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Full text of "Biologisches Zentralblatt"

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Accession No. 


by 


Given 


Place.,..... 


*,*No book or pamphlet is to be removed from the hab- 


oratory without the permission of the Trustees, 








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Biologisches Öentralblatt. 


Unter Mitwirkung 


von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Professor der Botanik Professor der Zoologie 


herausgegeben 


von 


Dr. J. Rosenthal 


Professor der Physiologie in Erlangen. 


Sechster Band. 
1586—1887. 


Mit 3 Abbildungen. 





Erlangen. 
Veozra sung hBrdiwsarz di B’eis 0.1, 
1887. 


Druck von Junge & Sohn in Erlangen. 


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Inhaltsübersicht des sechsten Bandes. 


A. Sachliche Inhaltsübersicht nach der Reihenfolge der Artikel. 


I. Botanik. 


Seite 
Ludwig, neue Fälle von Farbenwechsel in verschiedenen Blüten- 
ständen. Nr. 1 
Ludwig, Ueber ERROR wAseklune der nächlichen la. 
Eigentümlichkeiten bei nächstverwandten Pflanzenformen. Nr. 1. 3 
Errera, Ueber das Vorkommen von‘'Glykogen in der Bierhefe. — Der- 
selbe, die Reservestoffe der Pilze aus der Klasse der Kohlehydrate. 
IE N Ar Ei en raue PERS SR SF SER LE 2 Ba N N 
Wittrock, Ueber die Geschlechterverteilung bei Acer A L. und 
einigen andern Acer- Arten. Nr. 2 . 64 
Pringsheim, Ueber die Sauerstoffabgabe der Phänzeii im Rohe 
Nr. Sa A the: 4.2.69, 10SESN 
Volkens, Zur Flora der Erich irabiachen Wüste, En 3 71 
Müller, Feijoa, ein Baum, der Vögeln seine Blumenblätter als Lock- 
speise bietet. Nr. 6 5 191 
Schütt, Einiges über Bau und Teln aer Diane Nr. 257 
Jordan, Die Stellung ST a und der EN 
in den Blumen. Nr. . 298 
Ludwig, Ueber durch es Beine Keimfähigkeit ‘der Samen 
einiger Wasserpflanzen. Nr. 10 299 
Bonnier, Ueber die Wärmemengen, welche von an PHanden angehen 
ündwautzenommen: werden!) N) Hann a 1. EOS R N ER 389 
Costantin, Studien über die Blätter der Wasserpflanzen. Nr. 13 388 
Wiesner, Untersuchungen über die Organisation der en Zell- 
Hansi Nr. 1A 7 a 417 
Schröder, Die Austrorkiiungaihigkeit. der Piläriden! Nr. 14 423 
Klebs, Einige kritische Bemerkungen zu der Arbeit von Wiesner, 
„Untersuchungen über die Organisation der vegetabilischen Zellhaut“. 
Nr..15 Se De EL NEN 2 DES ERE LTR AUEFNE SR S IHR TER ER FED ET 
Ludwig, Neuere Beobachtungen über Bestäubungseinrichtungen der 
Pflanzen. Nr. 16 481 


IV Inhaltsübersicht. 


Seite 
Ludwig, Zwei neue karnivore Pflanzen der deutschen Flora. Nr. 16 . 481 
Ludwig, Einige neue Beispiele langer Lebensfähigkeit von Samen und 


Rihrzomener NIAssly er . 513 
Kirchner und Blochmann, Die ih rogkpiache Pidizenwelt der Süß- 

MaRsern.t Nr. 19H ar A 608 
Imhof, Poren an Diattmsceonschalen nnd Aussreten Han Piienlasman 

anıdıe Oberlläche: Nr. 237°... % er 719 


Ludwig, Ein neuer Fall verschiedener Blitlenfornen a Pflanzen alas 
nämlichen Art und ein neues mutmaßliches Kriterium der Schmetter- 
ner und. Hummelblumen > ENT:0a ua u ee 9 19 


II. Zoologie. 


Gruber, Die Frage nach dem Bestehen verschiedener Plasmaschichten 


im Weichkörper der Rhizopoden. Nr. 1 . . . i er: > 
Marshall, Ein neues Süßwasser - Cölenterat von Nordamerika INTER 8 
Wr1ll, Das Geschmaeksorgan der Insekten. Nr. 1. . 0.7. 0 20. 917210 
Yves Delage, Entwicklung der Sacceulina. Nr.1 . .». 2.2... 14 
Spengel, Pioanus redivivus. Nr.1. ... a N nr ee Ad) 
Möbius, Ein Zusatz zu der Spengel’schen Mitteilung: Phoenieurus 

neniwmwus. Nr. 3... el. Ä BE RS Ne ID 
Müller, Neue Beobachtungen Anen een ir De ARTE el 
Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. Nr. 6,7 . . 181, 193 
Forel, Fauna der Schweizer Seen. Nr. 7... : e 201 
Zacharias, Können die Rotatorien und Merlieraden nach. llerandrsar 

Aeerocknung wieder aufleben oder nicht? Nr.8, . 2 2. 27.222.230 
Ritzema Bos, Einige Bemerkungen über Pleuronektiden. Nr. 9 . . . 270 
Iubiborek, Hebensdauer der Ameisen, Nr 97 288 
Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands. Nr. 10 . .. . 2... ....300 


Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. Nr. 12 . 363 
Dogiel, Ueber den Bau des Geruchsorgans bei Fischen und Amphibien. 


NEeS1A ya i 2234 428 
Oerley, Die Rhabditiden el ihre aaa) Bee Ro var 433 
Piccone, Vögel als Pflanzenvertreter. Nr. 15 . .. . Re el) 
Nassonow, Welche Insektenorgane dürfen homolog den ee anen 

der Würmer zu halten sein? Nr. 15 . .. SEN ER IE H0\6) 
Leydig, Die Hautsinnesorgane der Arthropoden. A is u har: . 462 
Asper und Heuscher, Eine neue Zusammensetzung der „polnische 

TEBNSMERWelke ENT. DL re angaeneee N . 478 
List, Ueber die Entstehung der Dotter- und Eizellen bei Or eher ia a 

phracta Shaw. Nr. 16 .... : 3 eur: AD 
Zacharias, Das Vorkommen der Orihena ae Shan im Riesen? 

gehirge. uNT. Ab" oo .r. ER haar. Walale) 
Tiebe, Ueber den Helligkeite- nal Eorkenainn ner Miere. „N7>16°., 0807459 
ed Die Urformider Heteroplastiden Nr 17a os nt 2 le 
Blochmann, Ueber die Eireifung bei Insekten. Nr. 18... ... 554 
Blochmann, Die mikroskopische Tierwelt. Nr. 19 . 2. 2 2 2.22.2608 


Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie. Nr. 21 641 
Baur, her das Quadratum der Säugetiere. Nr. 21 BE mc 


Inhaltsübersicht. V 


III. Anatomie, Anthropologie, Histologie, Entwick- 


lungsgeschichte. 
Seite 
Adamkiewiez, Die Nervenkörperchen. Nr. I ... DONE FRE 3 2ER 
Kowalevsky, Zur embryonalen Entwicklung der ketilgn N PEN CS) 
Kowalevsky, Zum Verhalten des Rückengefäßes und des guirlanden- 
förmigen Zellenstrangs der Museiden. Nr.3 .... Ba 
Albrecht, Zur Odontologie der Kieferspaite bei der Eee (Mit 
Abbildung), .Ner3 . ... Se N Re ac ERNEN GE 
Pansch, Grundriss der one En Taenechen. Nrwarms aus a9) 
Virchow, Deszendenz und Pathologie. Nr. 4,5,6 . -: . . . 97, 129, 161 
Albrecht, Ueber den morphologischen Sitz der Hasenschartenkiefer- 
spalte. (Nachtrag zum Artikel S. 79.) Nr. n ET EN En ON 
Just, Zur Histologie des Flimmerepithels. Nr. 4 . . . rs 123 
Kölliker, Stiftechenzellen in der Epidermis von es ehiaeven No 
Alb ar Ueber die morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- 
BndeHiypospadie.saNTreszn, Se 204 
Fraisse, Die Regeneration von Gew Slam rc Oessucn Ya aa Wirbel- 
tieren, besonders Amphibien und Reptilien. Nr.S . 2. 2 2.2.2...225 
Roux, Beiträge zur Entwicklungsmechanik des Embryo. Nr. 9 . . . 274 
Klein, Grundzüge der Histologie. Nr. 10. . . . Se) 
Baur, Ueber die Morphogenie der Wirbelsäule der Antoreh. Nr. 1. 2 332,898 
Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies. Nr. 13... 397 


Albrecht, Ueber die im Laufe der phylogenetischen Entw ee Rn 
standene angeborne Spalte des Brustbeinhandgriffes der Brüllaffen. Nr.13 405 
Omer Van der Stricht, Untersuchungen über Hyalinknorpel. Nr. 14 431 


Kowalevsky und Schulgin, Zur Entwicklungsgeschiehte des Skor- 


PIOORT ENTER Wer EUER SA, er 
Jhering, Ueber ea ee an nedsieren, N Baal wma 
Locy, Embryologie der Spinnen. Nr. 18 . ... 59 
Madrid-Moreno, Ueber die morphologische Be deannne a on 

in der Riechschleimhaut der Knochenfische. Nr. 19. . . . . 589 
Barfurth, Experimentelle Untersuchungen über die Verwandlung a 

Kroschlarven. Ne. 20°... . ERBE: FRERDERNITERN URL O0.) 
Tafani, Beziehungen zwischen Mukter indl Fötus. Nr. 207 RM Ar oe 

“ Morin, Zur Entwicklungsgeschichte der Spimen. Nr. 1. 2. 2.2... 658 
Nusbaum, Zur Embryologie der Schizopoden. Nr. 21. . 2» .2..2...2...68 
Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. Nr. 24... . 749 


IV. Physiologie. 


Plateau, Die Palpen der nagenden Insekten. Nr. 1 12 
Pawlow, Wie die Muschel ihre Schale öffnet. Nr.1 .... ...2.22 
Meissl, Untersuchungen über den Stoffwechsel des Schweins. Nr. 1 . 26 
Zuntz und Geppert, Ueber die Natur der normalen Atemreize und den 
Ortuihren); Wirkung.) Nr. 2,1%»: a: 


Paneth, Ueber die Erregbarkeit der Eiintinde en Handar Nr 207456 
Just, Zur Physiologie und Histologie des Flimmerepithels. Nr. 4 . . 125 


VI Inhaltsübersicht. 


Seite 

Exner, Ueber eine neue Urteilstäuschung im Gebiete des Gesichtsinnes. Nr.4 126 
Baginsky, Ueber den Ursprung und Verlauf des Nervus acustieus des 

Kanmnchens.. Nt..D- 222% a 102 

Langendorff, Die chemische Bbakhon) Has“ grauen ann Nr.i6.... ‚188 
Simon und Susanna Phelps Gage, Wasseratmung bei weichschaligen 
Schildkröten, ein Beitrag zur Physiologie der Atmung bei Wirbel- 


tieren. NT, Ze. 0a 213 
Ehrlich, Ueber die Methylenblänskaktien len en Nr. 7 214 
Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. Nr. 8 235 
Voit, Lehmann und Rubner, Ueber die Fettbildung im Tierkörper. Nr 5 243 
Mislaws sky, Zur Lehre vom A an grinmihnn Neopren weh 
Gudden, Ueber die Frage der Lokalisation der Funktionen der Ben 

hienundeseNne Als: 3 a Net! 
Knoll, Beiträge zur Lehre von der rl esten Ne. 1022 22.207304 


Kowalevsky, Beobachtungen über die Blutzirkulation in der Haut. Nr. 10 312 
Sternberg, Zur Lehre von den Vorstellungen über die Lage unserer 


Glreder.aoNT- li 22 0.0: I ee EN a ee anna 1 
Langendorff, Beiträge zur end des Cheyne-Stoke’schen Phä- 

nomens., .Nr..12 . ...,. e BÜEH : a) 
Fick, Einige Bemerkungen Kyar ion heran der arme Ne 13 404 
;3rieger, Ueber basische Produkte der Miesmuscheln. Nr. 13 . . . . 406 


Seegen, Ueber das Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. Nr. 15 464 
Bayliss und Bradford, Elektrische Erscheinungen bei Drüsensekrc- 


BIOnES ENTE un. 2 ee De 27 Rn ee en AS 
Wooldridse, Intravaskulare Gerimnung. Nr. 15... » © 5. 2..2.0..0449 
Hitzig, Ueber Funktionen des Großhirns. Nr. = na en 
List, Ueber Strukturen von Drüsenzellen. Nr. A 992 
Rosenthal, Ueber das elektrische Leitungsvermögen ner Bee 

Te ee 2 ch : . 396 
Knoll, Ueber die a in der ale url 

die wechselnde Blutfülle des zentralen Nervensystems. Nr. 20. . 618 
Plateau, Die Palpen bei den Myriopoden und aaniden. Nn,22 2.0206 
Steiner, Ueber das Großhirn der Knochenfische. Nr. 22. . . ur KO 
Steiner, Die gegenseitige Verknüpfung der Zentren des Herne 

kok E22 0. 02.2 i ae a 6 AR 
Frenzel, Verdauung lebenden hs a Bebeive in NE 2206 
Brieger, Untersuchungen über Ptomaine Nr. 22, 23, 24 . . 685, 726, 739 
Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in nicht geschlossener oder in ge- 

Schiossaner Stzomhahne, Nr; 23. m ee, erran 


V. Verschiedenes. 


Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Nr. 1. ...%9 
Verhandlungen der Societ& de Biologie. Nr. 1,1. . 2... . Su Be! 


Weismann, Zur Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften. Nr.? 33 
Aus den Verhandlungen der physikalisch- medizinischen Societät zu Er- 


Una Ne 72,13 REINE re Re N ES el Ba 
Pasteur und seine Methode gegen die Ansteckung der Tollwut. Nr, 3 82 


Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Nr, 3, 16, 21,22 88, 
510, 671, 704 


Inhaltsübersicht. vi 
Seite 
Verhandlungen der physikalischen Gesellschaft zu Berlin. Nr. 3, 4 . 93, 156 
Kongress für innere Medizin. Nr.3.... - k 96 
Annalen des K. K. RE SEITEN zu Wien Nr. 4 128 
Ein in tiergeographischer Hinsicht interessanter Fund. Nr. 6 192 
Dewitz, Anleitung zur Anfertigung und Aufbewahrung zootomischer 
Präparate. Nr. 6 a aan er a Ten DR) eu REED OPERA 1 
58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg. (Sek- 
bon tür. Botanik.) Nr. 8, 97 2.2... 42498 266 
Jhering, Zur Kenntnis der brasilianischen Mäuse und Näweplagen Nr.8 256 
Professor Dr. v. Gudden +}. Nr. 10. 289 
98. ln deutscher Naturforscher und Nessie zu anne) (Sek- 
tion für Anatomie und Anthropologie.) Nr. 10, 11 . . . .... 844, 345 
Verhandlungen der Gesellschaft der Aerzte in Zürich. Nr. 11 . . .. .. 352 
Karsch, Vademecum botanicum. Nr. 11 5 352 
58. er menlune deutscher Naturforscher und Aerzte. (Sektion für Ehre 
Diese NESTON IH, 2 a At 
59. Versammlung deutscher Nahıftfordehen und. erne N7413 415 
Bunge, Der Vegetarianismus. Nr. 14 Eee tern 
Gruber, Körösi’s „relative Intensität der Todesursachen“ und der Ein- 
fluss der Wohlhabenheit und der Kellerwohnungen auf die Sterblich- 
keit? Nr. 0.9 0%. , e 438 
Verhandlungen der Academie des Be % ans Ne 15 { A AT 
Wilckens, Untersuchung über das Geschlechtsverhältnis und die ak 
der Geschlechtsbildung bei Haustieren. Nr. 6... a DU 
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Benin Ne, 
190192021027 23, 24, are 2 5395 520, 1997,,1638,,.60754692, 9 734191 
Entwicklung der zoologischen Station zu Neapel und das wachsende Be- 
dürfnis nach wissenschaftlichen Zentralanstalten. Nr 18. 545 
Engelmann, Zur Technik und Kritik der Bakterienmethode. Nr. 19 DR% 
Pasteur, Ueber die Prophylaxe der Tollwut. Nr. 20 621 
Fol, Bacillus der Hundswut. Nr. 20 AN: 629 
Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Beapkie, Nr223 705 
Gierke, Färberei zu mikroskopischen Zwecken. Nr. 24 746 


B. Inhaltsübersicht, alphabetisch geordnet nach den Namen 
der Verfasser der einzelnen Artikel, 


Albrecht, P., Ueber den morphologischen Sitz der Hasenschartenkiefer- 
spalte. A inıNr. 3.) , 3 

Albrecht, P., Nachtrag zum Aufsatz: ea Ss et Sitz 
der ale, (Nr. 4%) N 

Albrecht, P., Auszug einer Rede über yasulesndie Kasbhrose: 
Fans, Epi- und Hypospadie“. (Nr. . nn 

Albrecht, P., Verläuft der Nervenstrom in re Sanehiessener oder in 
ann dener Strombahn? (Originalmitteilung in Nr. 23.) 

Baginsky, B. Ueber den Ursprung und den zentralen Verlauf ar 
Nervus mals des Kaninchens. (Essay in Nr. 5.) 

Barfurth, D. Vortrag über experimentelle en neen über Ke 
Verwandlung der Froschlarven. (Nr. 20.) 


vi Inhaltsübersicht. 


Seite 
Baur, G., Ueber die Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. (Original- 
mitteilung in Nr. 11, 12)... . . » s F Ba 03324858 
Baur, &, Ueber das Quadratum der Sen (Originalmitteilung in 
a 
Biedermann, Referat über Pawlow, Joh: Wie die Muschel ihre 
Schalerofmmets. (Nr) Da Re Le Le 727 
Blochmann, F, Ueber die Eireifung Ber kan (Originalmitteilung 
it Nager a ae ee, Vase ES ZELL SR ae 554 
Bonnier, Gaston, Ueber die Wärmemengen, welche von den Pflanzen 
abgegeben und aufgenommen werden. (Essay in Nr. 13.) 0.» 389 
Brieger, L., Ueber basische Produkte in der Miesmuschel. (Autoreferat 
in Nr. 13.) RE 406 
Dogiel, Alex., Ueber dan Pan er Gomichkorganis bat Aischen il 
Amphibien. (Essay in Nr. 14) . . . 428 
Ehrlich, P., Ueber die an lenblazene on Hs Tapenden Never 
stanz. (Autoreferat in. Nr. 7.) . - - . ee. 92.\: 
Emery, C., en Bericht über Yves welare: Entwieklung der 
Sacculina. (Nr. Re 14 


Emery, C., Bericht u Jose Mn dr ik Mens Die allssrdhe 
Bene der Endknospen in der Riechschleimhaut der Knochen- 
hsches .(NT.1g0)n were : 589 

Engelmann, Th. W., Zur echnik nd Kritik er Bakteriermerhedet 
(Originalmitteilung in Nr. 19.) . RT: 005 De, 

Exner, $., Ueber eine neue Urteilstäuschung im @epiete des Gosichest 


SINTE SE (ESSay kann Ash URL ar a EN ET 
Fisch, C., Referat - Volkens, &.: Zur Flora der ägyptisch-arabischen 
Wüste (NEBEN Ale: I AR NE A IE er 


Fisch, C., Eh (Nr. a Ä 

Frenzel, J., Verdauung lebenden Gewebes und Solbsinerdannn (Essay 
INENERZIE Me R n ir Anh 681 

Gruber, A., Die Frage en dem Bestehen erschiedener Plasmaschich 


ten im Weichkörper der Rhizopoden. (Essay in Nr. 1.) 5 D 
Gruber, M., Kritische Besprechung von Körösi’s relative Intensität 

der ern und der Einfluss der Kellerwohnungen auf die 

Sterblichkeit. (Nr. 14.) > ö ; AS 
Gudden, v., RE per die Frage der okalikation dar Banktion der 

Großhirnrinde. (Nr. 10, 11.) .: Br le ern BIN 
Haacke, W., Der Nordpol Rennen der oarikieunum, (Original- 

eng DUNMIL2.) ER nr Va SR A en. Sinn 
Haacke, W, ee erchaksiten. Tiefseefauna und Paläontologie. 

VERBAND ZI) Wer re ee a 
Haacke, W., Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. (Essay in 

N a er 3 
Hermanr, F., Referat über Adamkiewicz: Die Nervenkörperchen. 
F. H., Notiz über Pansch, Ad.: Grundriss der Anatomie des Menschen. 

(Nr. 5 5) er a RE en) E10) 


His, Vortrag über die Eisen den olaekren Sean in Neapel 


und das wachsende Bedürfnis nach wissenschaftlichen Zentralanstal- 


ten. (Nr. 18.) % SE RER BAR RR 02:10 


: 2 


Inhaltsübersicht. 


Hitzig, Vortrag über Funktionen des Großhirns. (Nr. 18.) . . . 
Jdn., Anzeige von Annalen des k. k. naturhistorischen Hofmuseums zu 
Wien, redigiert v. Franz Ritter von Hauer. (Nr. 4) ... 
Jdn., Kritik über Dewitz, H.: Anleitung zur Anfertigung und An 
bewahrung zootomischer Präparate. (Nr 6) I 

Jdn.,, Referat über Forel, A: Fauna der Schweizer Seen. (Nr. 7.) 

Jdn., Besprechung von Kirchner, O. und Blochmann, F.: Die mikro- 
skopische Pflanzen- und Tierwelt des Süßwassers. (Nr. 19.) 

Jhering, H. von, Ueber Generationswechsel bei Säugetieren. (Original- 
mitteilung in Nr. 17.) 

Imhof, Othm. Em, Notiz über a an Diatone len nd) Ale: 
treten des Prem an die Oberfläche. (Nr. 23.) . . 

Just, A., Zur Histologie und Physiologie des Flimmerepithels. (Ol 
REED ST ee Nr a ed 


Kellermann, Referat über Leo Errera: Ueber das Vorkommen von 
Glykogen in der Bierhefe. — Leo Errera: Die Reservestoffe der 
Pilze aus der Klasse der Kohlehydrate (Nr. 1.) Be 

Klebs, G., Einige kritische Bemerkungen zu der Arbeit von Wider 
„Untersuchungen über die Organisation der vegetabilischen Zellhaut“. 
(Nr.715.) ER ee LE, DER 

Knoll, Ph., Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation (Nr. 10) 

Knoll, Ph., Ueber die Druckschwankungen in der Cerebrospinalfiüssig- 
keit und die wechselnde Blutfülle des zentralen Nervensystems. 
(Essay in Nr. 20.) n ARNETESTaN 

Kölliker, A., Stiftehenzellen in der er Ghre ohlarven (Oeena 
nn 6) SRESTENE SEE EA LANG 

Kowalevsky, A., Zur embryonalen Entwicklung der Me (Original- 
mitteilung in Nr. 2.) . 5 

Kowalevsky, A., Zum Verhalten Bas Rückengefäßes Da des en 


förmigen Zellenstrangs der Musciden während der a 


(Originalmitteilung in Nr. 3.) 

Kowalevsky, N., Beobachtungen über Eve Blutziekhlakton in 6: Haut. 
(Originalmitteilung in Nr. 30.) . a 

Kowalevsky, A. und Schulgin, M., Zur Enbwieklangsgosoltchte GE 
Skorpions (Originalmitteilung in Nr. 17.) ; \ are 

Krause, W, Referat über Tafani, Alessandro: Borichungen zwi- 
schen Mutter und Fötus. (Nr. 20.) . 

Krause, W,, Kritische Besprechung von ee er ein Ei, 
ana der Sinnesorgane. (Nr. 24.) . 


Langendorff, O., Die chemische Reaktion der grauen Substanz. (Essay 
m"Nn:6.) 3°. AR: 
Langendorff, O, Böitzäge, zur Kenntnis de Aheynes 'Stoke’ schen 

Phänomens. (Originalmitteilung in Nr. 12.) 4 ; 
Leod, Jules Mac, Referat über Omer van der Strieht: Inter 
se über Hyalinknorpel. (Nr. 14.) ; 
Leydig, F., Die Hautsinnesorgane der Arthropoden. (a in "Nr. 15.) 
List, J. H., Ueber die Entstehung der Dotter- und Eizellen bei Orthezia 
cataphracta Shaw. (Originalmitteilung in Nr. 16.) 
List, J. H., Vortrag über Strukturen von Drüsenzellen. (Nr. 19) 
] 


IX 


Seite 
562 


128 


192 
201 


608 


938 


Tal) 


123 


X Inhaltsübersicht. 


List, J. H., Kritische Besprechung von Gierke, H.: Färberei zu mikro- 
skopischen Zwecken. (Nr. 24.) : 

Ludwig, F, Einige neue Fälle von F Srlrenw ochedll: in N reablihenden Blüten- 
ständen. (Originalmitteilung in Nr. 1.) 5 

Ludwig, F., Ueber ungleichzeitige Entwicklung der örlichen biolden 
schen Eigentümlichkeiten bei nächstverwandten Pflänzenformen. (Essay 
TREE IE er ae de SER RER. ER IRENGEIT NR ee 

Ludwig, F., Referat über Wittrock, V.B: Ueber die Geschlechter- 
verteilung bei Acer platanoides und einigen andern Acer-Arten. (Nr. 2.) 

Ludwig, F., Notiz über Müller, F.: Neue on über eh 
wespen. (Nr. 4.) . 

Ludwig, F., Notiz über Miller, F.: one ein Also. a Vögeln seine 
Blumenblätter als Lockspeise bietet. (Nr. 6.) . 

Ludwig, F., Referat über Jordan, K. F.: Die Stellimg. der Honighehäl 
ter und der Befruchtungswerkzeuge in den Blumen. (Nr. 10.) 

Ludwig, F., Ueber durch Austrocknen bedingte Keimfähigkeit der Samen 
einiger ikerunfenken (Essay in Nr, 10.2 7.2 ange BE 

Ludwig, F., Neuere Beobachtungen über Bestäubungaehe en der 
Pilanzen. „(Essay in Nr. 16.).. . .. .» a 4.00 eöle 

Ludwig, F., Notiz über zwei neue karmivore Pflanzen der estschen 


Blora- ENE 216) 2 0er ee 
Ludwig, F., Notiz über einige neue Bepele aner Deren ähiekeit 
von Samen und Rhizomen. (Nr. 17.) . . . . 808 


Ludwig, F. Ein neuer Fall verschiedener Bitikenfonmen bei Pädnzen 
der nämlichen Art und ein neues mutmaßliches Kriterium der Schmet- 
terlings- und Hummelblumen. (Essay in Nr. 24.) EN RE. 

Man, J. G. de, Referat über Oerley, Ladislaus: Die Rhabditiden 


und ihre Medinkche Bedeutung. (Nr. 14.) wee u 
Marshall, W., Ein neues Süßwassereölenterat von Nordamernen a 
in’ Nr. 41.) 


Marshall, W., Referat über Will, Fr.: Das Geschmaecksorgan der In- 
sekten. (Nr. 1.) . 2 ANNE VE RE ER EEE: 
Minot, Ch. S., Referat über on w. A.: Embryologie der Spinnen. 
(Nr. 18.) . N her 3.0 e 
Moewes, F., en über Plateau, F.: Die Palpen der nagenden In- 
sekten. A Bande . 
Moebius, Ei a zu der en Sehen Mitteilung: anlanan 
redivivus. (Nr. 3.) u en A A rer 
Moewes, F,, Karat über Cosi J.: Etudes sur les feuilles des 
plantes aquatiques. (Nr. 13.) a 6 '6 
Moewes, F., Referat über Schröder: Die Austrocknungsfähigkeit der 
nn (Nr. 14.) ; a er ken ano. cc 
Moewes, F., Referat über Pieconi, A.: Vögel als Pflanzenverbreiter. 
BL A N ne Se er TE N a 
Moewes, F., Besprechung von Plateau, F.: Die Palpen bei den Myrio- 
Biden und Arachniden. (Nr. 22.) 5 N REN SC TARHRRIEERE 
Morin, J., Zur Entwicklungsgeschichte der Spinnen, (Originalmitteilune 
inıNr. 21.) 2 


Nasse, O., Fettzersetzung ne F ertadhäntuneh im Hierischen Körper. (Essay, 
in Nr. 8) 


Inhaltsübersicht. 


Nassonow, Welche Insektenorgane dürften homolog den Segmental- 
organen der Würmer zu halten sein? (Essay in Nr. 15.) 

Nusbaum, Jözef, Zur Embryologie der Schizopoden (Essay in Nr. 21.) 

Paneth, J., Ueber die Erregbarkeit der Hirnrinde en Hunde. 
(Essaypin Nr3 2er: 

Pringsheim, N, Ueber die Sauerstoflahabe Br Pilanzeri im Milrespek‘ 
trum. (Antoreferat in Nr. 3, 45.) . - BR Mo SHlüls); 

Rabl-Rückhard, Referat über Roux, W.: Beiträge zur Entwicklungs- 

mechanik des Embryo. (Nr. 9.) } 

Ritzema Bos, J., Einige Bemerkungen ic Pleurondehiden, (Nr. a 

Rosenthal, J., Referat über Simon, H. und Susanna Phelps Gage: 
Wasseratmung bei weichschaligen Schildkröten. (Nr. 7.) . 3 

Rosenthal, J., Referat über Albrecht, P.: Ueber die im Laufe der 
phylogenetischen Entwicklung entstandene, angeborne Spalte des Brust- 
beinhandgriffes der Brüllaffen. (Nr. 13.) . 

Rosenthal, J., Referat über Fick, A.: Einige Berieckunken über vn 
Mechanismus der Atmung. (Nr. 13.) 

Rosenthal, J, Referat über Bayliss und Br Jandedl Blektrische Er- 


scheinungen bei Drüsensekretion. (Nr. 15.) .. ; 
Rosenthal, J, Referat über Wooldri 5 ge: Intr ankslaee anne 
(Nr. 15.) 


Reith als), Ueber a elakmrcche Hoiinnervermägen krankeher ee 
webe. (Essay IUMNLEIg.R RE 
Rosenthal, J., Kritische a men von E. Ken Grundzüge ir 

Histologie. (Nr. 10.) ROTEN EETE TER RER VAN SR 
Rosenthal, Notiz über Karsc $ Re Vademecum botanieum. (Nr. 11.) 
ee W., Die Urform der Heteroplastiden. (Originalmitteilung in 


BEN) SR are ns 
en dt- till a at Ehe Bene 6 : Der Vegetarianismus. 
(Nr. 14.) 
Schulz, O,, Baypnschanee von ee L.; interstehungen über Be 
mame ss (N 222.29,.243, 022.0 £ 2 0200.:.20689,8026; 


Sehütt, F., Einiges über Bau und eh der Dieneen! (Essay in Nr. 9.) 

Seegen, J, Ueber das Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 
(Originalmitteilung in Nr. 15.) . 

Spengel, J. W., Phoenicurus redivivus in N 1) 

Steiner, J., Die gegenseitige Verknüpfung der Zentren des orlängeren 
Markes. (Antoreferat in Nr. 22.) 

Steiner, J., Ueber das Großhirn der ae ne tanzt os 22.) 

Sternberg, M, Zur Lehre von den Vorstellungen über die Lage unserer 
Glieder. (Essay ua Ne. 11), eh Ara 

Stuhlmann, F., Die Reifung des Reeopodeneiee, referat in Nr. 13.) 

Tiebe, Ueber en Helligkeits- und er der Tiere, N 


nach den Untersuchungen V. Graber’s 2165) 
Virchow, R, Referat über dessen Artikel im En f. path Nodtdinie: 
Deszendenz und Pathologie. (Nr. 4, 5,6.) . -» : 2 2.2... 97, 129, 


Voit, €. v, Mitteilung von Untersuchungen über 5 a im Tier- 
körper“. (Nr. 8) 

Vosmaer, G.C.J., Kritische Benesee Er neuerer ee per 
Schw nme SL ER ER Er EB 15) 


XI 


Seite 


458 
663 


56 


193 


XI Inhaltsübersicht. 


Weismann, A., Zur Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaf- 
180-7 (Onginalkmittellung nENT.. 2)u2% nass er Kost 

Wilekens, M, Referat über Meissl, E.: Untersuchungen über den 
Stoffwechsel des Schweins. (Nr. 1.) 


Wilekens, M., Untersuchung le das Geschleehtsyerkältue aha ae 
Drsachen der Geschlechtsbildung bei Haustieren. (Originalmitteilung 
IBUNTAAO,), u ee ee ee lee Me EEE 

Wilhelm, K., Referat über Wiesner, J.: Dntersuehuusen über die 
Organisation der vegetabilischen Zellhaut. (Nr. 14.) 

Zacharias, O0. Besprechung von Fraisse, P.: Die Regeneration von 
Geweben und ne bei den Wirbeltieren, besonders Amphibien 
undcReptilien? SUNT.: 8 usrs UN. u slle BR 

Zacharias, 0. Können die Rotktorien und Tardigraden nach ollatrnz 
diger Austrocknung wieder aufleben oder nicht? (Originalmitteilung 


ENT OIEN. ere n. I LE SIR APIS IE 
Zacharias, O0. Besprechung von Bee n, M.: Die rhabdocölen Turbel- 
larien Tirlanda (N8..10.) 2. 220 228 8708 ee 
Zacharias, O., Notiz über das Vorkommen von Orthezia cataphracta 
Shaw. im Riesengebirge. (Nr. 16.) .....72.0,% 


Zuntz, N. und Geppert, J., Ueber die Natur der oralen Alemalire 
und der Ort ihrer Wirkung. (Originalmitteilung in Nr. 2.) . . ..» 


300 


488 


54 


Biologisches Öentralblatt 


unter Mitwirkung von 
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 








Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 





1. März 1886. Nr. 1. 


VI. Band. 








Inhalt: Ludwig, Einige neue Fälle von Farbenwechsel in verschiedenen Blütenständen. -- 
Ludwig, Ueber ungleichzeitige Entwicklung der nämlichen biologischen Eigen- 
tümlichkeiten bei nächstverwandten Pflanzenformen. — Errera, Ueber das 
Vorkommen von Glykogen in der Bierhefe. Ders., Die Reservestoffe der 
Pilze aus der Klasse der Kohlehydrate. — Gruber, Die Frage nach dem 
Bestehen verschiedener Plasmaschichten im Weichkörper der Rhizopoden. --- 
Marshall, Ein neues Süßwasser- Cölenterat von Nordamerika. — Will, Das 
Geschmacksorgan der Insekten. — Piateau, Die Palpen der nagenden Insek- 
ten. — Yves Delage, Entwicklung der Sacculina. — Spengel, Phoenicurus 
redivivuss. — Adamkiewiez, Die Nervenkörperchen. — Pawlow, Wie die 
Muschel ihre Schale öffnet. — Meissi, Untersuchungen über den Stoffwechsel 
des Schwein. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: 
Physiologische Gesellschaft zu Berlin. — Societ@ de Biologie. 





Einige neue Fälle von Farbenwechsel in verblühenden 
Blütenständen. 


Von Dr. F. Ludwig. 


Den bekannten Fällen farbenwechselnder Blumen !), wie sie in 
dieser Zeitschrift öfter erörtert wurden, dürfte sich zunächst ein 
eigenartiger Farbenwechsel anschließen, den ich kürzlich bei Vero- 
nica Sandersoni, einem Strauche mit lederartigen immergrünen Blättern 
beobachtete. Die in diehter Blütenähre stehenden sehr proterandri- 
schen Blüten dieser Pflanze haben zuerst lebhaft rote Corollen und 
rote Staubfäden. Die Griffel haben in ihnen eine Länge von eirca 
7 mm. Sobald jedoch die Griffel nahezu die Länge der eirca 13 mm 
langen Staubfäden erreicht haben, werden Corollen und Staubfäden 
schneeweiß. Die Griffel nehmen gleichfalls die Verfärbung an, aber 
erst nach dem Ausfall der Blüte. Wie in den bekannten Fällen, z. B. 
bei Pulmonaria, Ribes aureum ete., wird auch hier einmal die Augen- 
fälligkeit des Blütenstandes gehoben, und es werden weiter die Aus- 
beute versprechenden Blüten einsichtigen Bestäubungsvermittlern unter 





1) Vergl. Biol. Centralbl. Bd. IV. 1884. Nr. 7. S. 196: Die biologische Be- 
deutung des Farbenwechsels. 


nt 


2 Ludwig, Farbenwechsel in verschiedenen Blütenständen. 


den Insekten gekennzeichnet, während die wenig einsichtigen Be- 
sucher auf die auffälligeren verblühenden Blüten abgelenkt werden. 

Kaum eine andere Bedeutung dürfte der Farbenwechsel bei man- 
chen Kompositen mit kleineren zahlreichen Blütenköpfehen von wenig 
auffälliger Färbung haben, wie bei Aster parviflorus und Aster sa- 
lignus!), bei denen die Scheibenblüten der älteren Köpfchen eine 
lebhafte rote Färbung annehmen. Bei den bereits auffälligen Aster- 
arten mit blauem Strahl unterbleibt die Verfärbung der Scheiben- 
blüten. 

Nach einer neuern Arbeit von Fritz Müller ?), welche außer- 
dem bezüglich der Verbreitungsmittel der Marantaceen (Ütenanthe, 
Stromanthe Tonckat\, von Campelia und Streptochaeta neue sehr 
interessante Beobachtungen enthält, dürften das prächtigste Beispiel 
solcher farbenwechselnden Blumen einige baumartige Melastomeen 
(Pleroma) bieten, deren große anfangs rein weiße Blumen später tief 
purpurrot werden, so Pleroma Sellowianum, das der Genannte im Mai 
1868 auf dem Wege von Desterro (in Brasilien) nach Lages in Blüte 
sah, und der Jaguatiräo, der im Norden der Provinz Santa Catharina 
häufig ist. Letzterer bedeckt bei S. Franeisco und Joinville ganze 
Hügel, die gegen Weihnachten in weiß und purpur prangen, und 
heißt bei den Deutschen Weinachtsblume. 

Einen Fall, in dem die Verfärbung ihren Sitz in dem Frucht- 
knoten hat, habe ich selbst zuerst an Spiraea opulifolia konstatiert ?), 
wo die frischen weißen Blüten grüngelbe, die älteren lebhaft rot ge- 
färbte Stempel besitzen. Hier konstatierte ich auch die Vorliebe ge- 
witzigterer Bestäubungsvermittler für die ersteren Blüten. Das Auf- 
fälligste war bei dieser Pflanze, dass die Verfärbung fortdauert 
und am intensivsten an den trocknen Samenkapseln wird, 
dass also auch die reifenden Fruchtkapseln noch zur Erhöhung der 
Auffälligkeit der Blütenstände beitragen. 

Einen Fall, der dem letztern analog sein dürfte, hat Fritz Mül- 
ler (l.e.) bei einer Verwandten der bekannten Tradescantia virginica, 
bei Campelia aufgefunden. Hier entwiekeln sich die Kelche des dicht 
gedrängten Blütenstandes nach dem Verblühen in saftigen, anfangs 


violetten, später schwarz glänzenden Beeren, auch dann, wenn — was 
häufig der Fall ist — die Blumeu unbestäubt, die Früchte also sa- 


menlos bleiben. „Es gibt nichts Hübscheres als einen solehen Blüten- 

stand, der in der Mitte schon reife, glänzend-schwarze Beeren trägt, 

denen nach beiden Seiten immer hellere folgen, während an beiden 

Enden noch weiße Blumen sich entfalten.“ Die biologische Bedeu- 

tung dieser Verfärbung dürfte jedoch zwiefacher Art sein, insofern 

sie auch den samenhaltigen Früchten zugute kommt und die Blüten 
1) Vergl. Botan. Centralbl. XXI. S. 44 Anm. 


2) Kosmos 1885. II. Bd. Heft 6. S. 438 ff. 
3) Kosmos 1884. II. Bd. S. 203. 


re 


Ludwig, Ungleichzeitige Entwicklung biologischer Eigentümlichkeiten. 3 


dann den Früchten den gleichen Dienst erweisen bei Anlockung sa- 
menverbreitender Tiere, wie diese jenen bei Anlockung der Bestäu- 
bungsvermittler. Wir erwähnen zum Schluss noch einen von Fritz 
Müller beschriebenen Fall, bei welchem eine ähnliche biologische 
Verfärbung, wie wir sie eben für Blüten und Blütengenossenschaften 
besprochen, bei Früchten vorkomme. Die Früchte von Stromanthe 
Tonckat bestehen aus anfangs schwärzlichen, später roten Früchten, 
die, sich nicht ganz öffnend, einen glänzend schwarzen durch einen 
schneeweißen Mantel in der Frucht zurück gehaltenen Samen hervor- 
treten lassen. Nachdem die Samen (durch Vögel) aus dem Gehäuse 
herausgeholt sind, schließen sich die fleischigen Fruchtklappen wieder 
und nehmen, indem sie sich intensiver rot färben, das Aussehen 
noch reifender Früchte an. 


Ueber ungleichzeitige Entwicklung der nämlichen biolo- 
gischen Eigentümlichkeiten bei nächstverwandten Pflanzen- 
formen. 


Wie sich gewisse biologische auf die Bestäubung bezügliche 
Charaktere einer Pflanze öfter in ungleichem Grade in verschiedenen 
Gegenden entwickelt haben, so kommt es vor, dass die nämlichen 
biologischen Eigenschaften bei 2 nächstverwandten For- 
men (Varietäten, Unterarten ete.) völlig ungleichzeitigerworben 
werden, dass Blüh- und Blütenumwandlungen, die bei der 
einen Form schon völlig beendet und ausgeprägt erscheinen, 
bei der andern noch gegenwärtig im vollem Gange sind. 
Ein neues Beispiel hierfür hat A. Schulz in Halle!) neuerlich auf- 
gefunden. Derselbe hat nämlich konstatiert, dass der Gynodimor- 
phismus, welcher bei dem gemeinen Thymian den Biologen schon 
lange bekannt ist, nur bei der einen phytographischen Form dessel- 
ben, dem von neueren Systematikern als Art betrachteten Thymus 
chamaedrys Fries völlig ausgeprägt ist, während er bei der andern 
Form: Thymus angustifolius noch in Bildung begriffen ist, während 
es scheint, dass sich bei diesem erst jetzt die Trennung in eine $ 
und eine 2 Form vollzieht. Bei Thymus Chamaedrys kommen ge- 
trennt auf verschiedenen Stöcken neben großen proterandrischen 
% Blüten kleine ausgeprägte Q@ Blüten vor. Bei 7A. angustifolius 
stehen dagegen die $ und ebenfalls kleineren 2 Blüten bald in ein 
und demselben Blütenstande, bald auf demselben Stocke in getrennten 
Infloreszenzen, bald auf verschiedenen Stücken. Auch sind bei dieser 
Form die $ sowohl als auch die 2 Blüten bei weitem nicht so aus- 
geprägt als bei Th. Chamaedrys. Es gibt hier Blüten, in denen alle 

1) Die biol. Eigenschaften von Thymus Chamaedrys Fr. und Th. angusti- 
folius Pers. Deutsche bot. Monatschrift, 1885, S 152-156. 


4 Errera, Glykogen in der Bierhefe. 


Staubgefäße verkümmert sind, während in anderen nur die 2 kurzen 
oder die 2 kurzen und 1 langes Staubgefäß ausgebildet sind. Auch 
die Länge der vollständig entwickelten Staubgefäße variiert hier viel 
mehr als bei Th. Chamaedrys Fr. — 

Einen ähnlichen Unterschied bezüglich der Ausprägung einer be- 
sonders auffälligen durch besondere Blütenzeichnung und Blühge- 
wohnheiten gekennzeichneten Insektenform hatte ich früher!) für die 
beiden phytographischen Formen des gemeinen Reiherschnabels, Ero- 
dium eicutarium L’Her. und E. eicutarium b. pimpinellifolium Willd. 
nachgewiesen. Auch hier sind die biologischen Charaktere des E. 
pimpinellifolium Willd. (wie auch die des E. pimpinellifolium Sibth.) 
bei E. eicutarium L’H&r. noch in voller Bildung begriffen. Für diese 
beiden in biologischer Hinsicht so verschiedenen Formen hat sich 
übrigens neuerlich durch Registrierung der zu ihnen gehörigen Bo- 
denunterlagen (namentlich von seiten des kartierenden Geologen 
Dr. Ernst H. Zimmermann) als ein weiterer interessanter Unter- 
schied ergeben ?), dass E. pimpinellifolium Willd. mit Vorliebe sili- 
cicol, E. cicutarium ealeicol ist, dass sich also beide wie die Formen 
der gleichfalls teils silicolen teils caleicolen Falcaria sioides oder wie 
Anthemis Cotula und A. arvensis etc. verhalten, die sich da, wo sie 
zusammen vorkommen, in den Boden teilen, so dass die erstere die 
Kalk-, letztere die Kieselregion bezieht. Bei den beiden Erodium- 
Formen komplizieren sich die Verhältnisse dadurch besonders, dass 
zu diesem Kampf um den Boden noch die Konkurrenz um die Be- 
stäubungsvermittler und, was praktisch besonders zu berücksichtigen 
sein dürfte, die Konkurrenz der xenogamisch entstandenen Descen- 
denten von E. pimpinellifolium und der meist autogamisch entstan- 
denen Descendenten von E. circutarium hinzukommt. 

F. Ludwig (Greiz). 


Leo Errera, Ueber das Vorkommen von Glykogen in der 
Bierhefe. — Derselbe, Die Reservestoffe der Pilze aus der 
Klasse der Kohlehydrate. 

Separatabdruck aus Comptes rendus. 7 Seiten. 

In einer großen Zahl von Pilzen findet sich Glykogen. So oft 
man in einer Zelle eine halbflüssige, weißliche, opalisierende, stark 
lichtbrechende Masse beobachtet, welche, wenn man das Präparat 
zerzupft, sich leicht in Wasser löst, durch Jod eine braunrote, bei 
50—60° verschwindende, bei Abkühlung wieder auftretende Färbung 


1) Vgl. Biol. Centralbl.. 1884, IV, Nr. 8, S. 229. 

2) Ludwig, Zur geogr. Verbreitung und Bodenadaption von Erodium 
cicutarium L’H&r. und E. cicutarium bei E. pimpinellifolium Willd. Mitteil. 
d. geogr. Ges. f. Thür., 1885, Bd. IV Heft 3 8. 81-84. 





Gruber, Plasmaschichten im Weichkörper der Rhizopoden. 5 


annimmt, kann man zuverlässig auf die Anwesenheit von Glykogen 
schließen. Es ist kein anderer Stoff bekannt, welchem diese charak- 
teristischen Reaktionen in ihrer Gesamtheit zukommen; auch gelingt 
es auf dem gewöhnlichen Wege aus Pilzen eine mit dem Glykogen 
der Leber identische Substanz zu isolieren. Dies ist z. B. der Fall 
bei Peziza vesiculosa, Tuber melanospermum, Tuber aestivum, Phyco- 
myces nitens, Clitocybe nebularis, Phallus impudieus. 

Bierhefe, welche in einer auf 30° erwärmten, mit Kalium- und 
Caleiumphosphat, Magnesiumsulfat und Ammoniumtartrat versetzten 
Zuckerlösung lebhaft vegetierte, enthielt reichliche Mengen von Gly- 
kogen. Dasselbe bildete in vielen Zellen eine halbmondförmige, stark 
liehtbrechende Anhäufung, andere waren ganz davon erfüllt. 

Das Glykogen spielt bei der Ernährung der Pilze die nämliche 
Rolle, welche bei den höheren Pflanzen der Stärke zukommt. 

Das Studium der Sklerotien der Pilze führt zu dem bemerkens- 
werten Resultate, dass bald Oel, bald Glykogen, bald Pilzcellulose 
als Reservestoff auftritt. Bei der Keimung der Sklerotien wandert 
das Glykogen in die jungen Pilze. Oelhaltige Sklerotien, wie Olavi- 
ceps purpurea, bilden bei der Keimung „Wanderglykogen“, welches zu 
den Verbrauchsorten strömt und schließlich verschwindet. Die Sporen 
vieler Pilze enthalten Oel, welches sich auf kosten von Glykogen ge- 
bildet hatte, und welches sich bei der Keimung wieder in Glykogen 
umwandelt. 

Kellermann (Wunsiedel.) 


Die Frage nach dem Bestehen verschiedener Plasmaschichten 
im Weichkörper der Rhizopoden. 


Von Dr. A. Gruber, 
Professor der Zoologie in Freiburg i. B. 

Eine schon zu öfteren Malen besprochene Frage ist die nach 
dem Vorhandensein besonderer Plasmaschichten in dem Weichkörper 
der Rhizopoden und dem dadurch bedingten kompliziertern Bau dieser 
niederen Protozoen. Es ist die Entscheidung dieser Frage deshalb 
von Interesse, weil bei den Rhizopoden wohl der Ausgangspunkt zu 
den höher entwickelten Protozoen zu suchen ist und weil damit ent- 
schieden würde, ob ein einzelliger Organismus zur Ausübung der 
wichtigsten physiologischen Funktionen auch dann befähigt sei, wenn 
sein Protoplasma noch eine vollkommen einheitliche, nicht in differente 
Regionen geschiedene Masse darstellt, oder ob dies nicht der Fall sei. 
Es kommt mir hier darauf an, es mit Bestimmtheit auszusprechen, 
dass eine Sonderung des Rhizopodenkörpers in morphologisch und 
physiologisch scharf geschiedene Zonen nicht vorkommt, und dass die 


6 Gruber, Plasmaschichten im Weichkörper der Rhizopoden. 


Deutungen, die in diesem Sinne gemacht worden sind, entschieden 
auf Täuschung beruhen. 

Ich will hier nur zwei Autoren erwähnen, welche in diesem 
Punkte am weitesten gegangen sind, und zwar zunächst Maggi, der 
nieht nur ein Ekto- und Endoplasma, sondern auch ein Mesoplasma 
unterscheidet!), in welehem die Exkretionsorgane der Rhizopoden, 
nämlich die kontraktilen Vakuolen, ihren Sitz haben, während das 
Ektoplasma der Lokomotion, das Endoplasma der Verdauung vorzu- 
stehen hat. Aus ersterem entstehen also die Pseudopodien, in letz- 
terem liegen die aufgenommenen Nahrungsbestandteile und ist zu- 
gleich auch der Kern eingeschlossen. 

Noch weiter geht Brass?), der im Rhizopodenkörper, wie in 
dem der Infusorien und der tierischen Zelle überhaupt vier Plasma- 
arten unterscheidet und zwar von innen nach außen gehend das Er- 
nährungsplasma, das Nahrungsplasma, das Atmungsplasma und das 
Bewegungsplasma. Die Brass’schen Angaben sind kürzlich schon 
von Bütschli?) in scharfer Weise widerlegt worden, und ich kann 
mich deshalb hier begnügen, auf diesen Aufsatz hinzuweisen, wenn 
er sieh auch hauptsächlich auf Infusorien bezieht. Bütschli’s Vor- 
würfe treffen nämlich meiner Ansicht nach mit gleichem Recht den 
Teil der Brass’schen Arbeit, der von den Rhizopoden handelt. 

Wer sich längere Zeit mit dem Studium der Rhizopoden beschäftigt 
hat, weiß, wie viele Arten, hauptsächlich unter den Amöben, es gibt, wo 
im Leben keinerlei Scheidung in getrennte Zonen stattfindet, wo 
sämtliche Inhaltskörper sowohl wie auch Kerne und Vakuolen regellos 
umhergestrudelt werden, so dass z. B. der Kern oder die Kerne ein- 
mal bis zur äußersten Peripherie vorgedrängt werden können, einmal 
wieder in das Zentrum des Körpers zurückfließen. Tritt nun bei 
solchen Rhizopoden nach Anwendung irgendwelcher Reagentien doch 
eine scheinbare Scheidung in differente Plasmalagen ein, so kann 
man dies nach der am Leben gewonnenen Ueberzeugung mit Be- 
stimmtheit als Kunstprodukt auffassen. Doch auch im Leben ist bei 
manchen Arten, hauptsächlich den zähflüssigen, oftmals eine schein- 
bare Trennung, wenigstens in zwei Schichten, zu bemerken; dieselbe 
ist aber wie gesagt nur scheinbar und beruht darauf, dass die Körn- 
chen und Vakuolen des Plasmas sich vorzugsweise in der Körper- 
mitte gruppieren und nicht so leieht in die austretenden Fortsätze 
hereinstürzen; in Wirklichkeit besteht auch hier nur eine einheitliche 
Plasmamasse und die scheinbare Schichtung kann sich jederzeit ver- 


innominata. Atti della Soe. Ital. di Scienze naturali. Vol. XIX fase. IV. 
2) Brass: „Die Organisation der tierischen Zelle“, I u. I. 


3) Bütschli: Bemerkungen über die Schrift desHerrn Arnold Brass etc. 
Morphol. Jahrb. Bd. 11. 








Gruber, Plasmaschichten im Weichkörper der Rhizopoden. 7 


eine Regionenbildung zustande und zwar dadurch, dass die Körnchen 
und Nahrungsbestandteile den vordern oder auch nur den mittlern 
Teil des Körpers einnehmen und die übrigen Teile dann als hyaline 
Zonen hervortreten; aber auch da ist von einer eigentlichen Schiech- 
tung nicht die Rede, denn bei der Teilung wird, wie ich dies gezeigt 
habe !), das gesamte Plasma beider Teilhälften vollkommen durch- 
einandergerührt. 

Ich bemerke ausdrücklich, dass diese Auffassung des Rhizopo- 
denkörpers durchaus nicht bloß auf meiner persönlichen Ueber- 
zeugung beruht, sondern dieselbe wurde unter anderen schon vor 
langer Zeit von einem englischen Protozoenforscher, Wallich 2), 
ausgesprochen und neuerdings von der kompetentesten Autorität auf 
diesem Gebiete, von Bütschli®), in Bronn’s Klassen und ÖOrd- 
nungen des Tierreichs mit Bestimmtheit dargethan. Bütschli be- 
hauptet mit Recht, dass bei allen marinen Rhizopoden, den Perfo- 
raten und einem großen Teil der Imperforaten, der gesamte Weich- 
körper von durchaus gleichmäßiger Plasmamasse gebildet wird und 
dass bei den vorhin von mir erwähnten Amöben und Monothalamien 
eine scharfe Grenze zwischen dem hyalinen Ekto- und dem körnigen 
Endoplasma nicht existiere, „wie auch schon daraus hervorgeht, dass 
bei gewissen Amöben und auch Pelomyxa, wo für gewöhnlich ein 
Ektoplasma sich nicht unterscheiden lässt, unter gewissen Verhält- 
nissen eine solche hyaline, äußere Plasmalage auftritt, die sich dem- 
nach hier in gleicher Weise aus dem körnigen Plasma hervorgebildet 
haben muss, wie sich, lokal begrenzt, ein hyalines Pseudopodium aus 
einem aus körnigem Plasma bestehendem Rhizopodenkörper ent- 
wickelt.“ 

Ich glaube hiermit über diesen Punkt genug gesagt zu haben, 
zumal ich in einer ausführliehern Arbeit über Amöben näher darauf 
eingegangen bin *), und möchte hier nur noch auf eines aufmerksam 
machen, nämlich auf die äußere Umgrenzung des Rhizopodenkörpers. 
Derselbe ist bekanntlich nackt, also von keiner Cuticula umgeben, 
dagegen scheint durch die Berührung mit dem Wasser eine Erstarrung 
des Plasmas an der Peripherie einzutreten, welche das Zerfließen des- 
selben verhindert und auch bei einer künstlichen Zerteilung einen 
unmittelbaren Verschluss der Schnittstelle herbeiführt. Wo das Pro- 
toplasma in breitem Fortsatz oder in Gestalt von Pseudopodien her- 
vortritt, löst sich die festere Umgrenzung in dem andrängenden 
Plasma auf, um sich im selben Moment wieder zu bilden. Gewöhn- 


1) „Der Teilungsvorgang bei Euglypha alveolata“ und „Die Teilung der 
monothalamen Rhizopoden“. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 35 u. 36. 

2) Ann. and mag. of nat. hist. Vol. 11, 12 (1863) und 12. 

3) Bronn’s Kl. u. Ordg. d. Protozoen, S. 98 u. 99. 

4) Studien über Amöben. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 41. 


Ss Marshall, Ein neues Süßwasser -Cölenterat von Nordamerika. 


lich ist diese Hülle auch bei den stärksten Vergrößerungen nicht 
siehtbar, bei einigen Amöben mit besonders zähem, träg fließendem 
Plasma dagegen erreicht sie manchmal eine darstellbare Dicke. Auch 
diese Ansicht habe ich in früheren Arbeiten genauer ausgeführt und 
komme hier hauptsächlich deshalb darauf zurück, weil ich in meiner 
ersten diesen Punkt betreffenden Arbeit übersehen!) und in der 
zweiten zwar erwähnt ?), aber nicht genügend hervorgeboben habe, 
dass schon lange vor mir Wallich?) ganz dieselbe Theorie aufge- 
stellt und genauer begründet hat; seine Ansicht stimmt mit der 
meinen vollkommen überein, und er hat außerdem noch eine Er- 
klärung für das Zustandekommen der Nahrungsvakuolen gegeben, 
indem er annimmt, dass mit dem Nahrungskörper auch ein Tropfen 
Wasser mitgerissen wird, welcher dann auf die den Körper umge- 
benden Plasmateile die bekannte erstarrende Wirkung ausübt, so 
dass dadurch jede Nahrungsvakuole mit einer „Ektosarkschieht“ aus- 
gekleidet erscheint. Ich glaube, es kann als eine kräftige Stütze für 
die hier ausgesprochene Ansicht angesehen werden, dass der eng- 
lische Forscher und ich ganz unabhängig von einander zu dem voll- 
kommen gleichen Resultat gekommen sind. 


Ein neues Süßwasser- Cölenterat von Nordamerika. 
John A. Ryder in Amer. Naturalist, Extra, December 1885. p. 1232 — 1236. 


Edward Potts von Philadelphia entdeckte im süßen Wasser 
der Umgegend dieser Stadt einen neuen Süßwasser-Polypen, den er 
(Science, Vol. V. 1885, Nr. 123) als Microhydra Ryderi kurz beschrieb, 
und welcher jetzt von dem Forscher, nach dem er benannt wurde, selbst 
genauer untersucht ist 

Das winzige Wesen ist 0,5 mm lang, hat eine nahezu zylindrische 
Gestalt, sein Durchmesser beträgt an der Basis 0,15 und am obern 
Ende 0,175 mm. Der Mund des viel weniger als Hydra kontraktions- 
fähigen Tieres ist klein, aber deutlich, und stellt am obern Ende 
einen unregelmäßigen Spalt dar. Die Magenhöhle ist gleichfalls klein 
und scheint nur in ihrem obern Abschnitte wirklich zu verdauen; im 
ganzen ist sie nicht viel höher differenziert als bei Larven anderer 
Cölenteraten (etwa Eucope) im Planulastadium. Ja, wenn eine Planula 
dieser Form sich festheftete, ihre Cilien verlöre und einen Mund be- 
käme, so würde sie vollkommen einer Microhydra gleichen. Diese 





I) Beitr. zur Kenntn. d. Amöben. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 36, 1882. 

2) Studien iiber Amöben. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 41, S. 190. 

3) 1. e. Wallich macht mir in einer kürzlich erschienenen Kritik meiner 
Arbeit mit Recht Vorwürfe über diese Unterlassungssünde. Ann. and mag. 
of nat. hist. Vol. 16. Nr. 93, Sept. 1885. 





Marshall, Ein neues Süßwasser - Cölenterat in Nordamerika. 9) 


ist mithin nicht allein der einfachste Hydroidpolyp, sondern das ein- 
fachste Cölenterat überhaupt; dabei ist ihr fixiertes Körperende 
nicht, wie bei Aydra und Protohydra, scheibenartig verbreitert, und 
um den Mund herum finden sich, so wenig wie bei letzterer, Tentakeln. 
Auch betrefis des mikroskopischen Baues zeigt die neue Form Unter- 
schiede von jenen beiden, bislang einfachsten Cölenteraten: es findet 
sich ein dünnes Ektoderm mit Nesselkapseln, die in der Nähe des 
Mundes dicht stehen, während ihrer auf der übrigen Körperoberfläche 
nur wenige sich nachweisen lassen. Unter diesem Ektoderm ist 
eine kaum wahrnehmbare Schicht, welche höchst wahrscheinlich aus 
kontraktilen Fortsätzen der äußeren Zellen besteht. Das Endoderm 
hat um die Mundöffnung herum und in deren Rande selbst solide 
Zellen; unterhalb dieser schmalen Zone aber und ungefähr auf ein 
Drittel der ganzen Länge des Tieres werden seine Zellen groß und 
haben, wie bei Hydra, ansehnliche Vakuolen, aber ihre exzentrisch 
gelegenen Kerne sind absolut und relativ weit kleiner als bei dieser. 

Geschlechtsreife Exemplare dieses interessanten Tieres wurden 
noch nicht gefunden, aber Potts konnte eine ungeschlechtliche Ver- 
mehrung genau studieren und durch mehrere Generationen verfolgen. 
Dieselbe ist von den analogen Vorgängen bei Hydra ebenfalls recht 
sehr verschieden: während bei dieser bekanntlich eine zunächst 
birnförmige Knospe sich anlegt, deren Leibesraum später am verbrei- 
terten, freien Ende als Mund sich öffnet und am hintern mit dem 
mütterlichen Leibesraum und senkrecht zu seiner Längsaxe im Zu- 
sammenhange bleibt, ist der Schlauch der Microhydra-Knospe keine 
senkrecht von der mütterlichen Verdauungshöhle abgehende Aus- 
stülpung, sie bildet sich vielmehr eher durch eine Art von Längs- 
abspaltung: wobei Mutter und Knospe Seite an Seite liegen, die 
Knospe, indem ihre beiden Enden sich abheben, wurst- oder bohnen- 
förmig wird und am obern Ende einen Mund erhält. Wenn die seit- 
liche Loslösung durchgeführt ist, fällt das Junge zu Boden, bleibt 
eine Zeit lang regungslos liegen, um sich dann mit dem aboralen Pol 
festzuheften und ein selbständiges Leben zu beginnen. So stellt die 
Microhydra in gewissem Sinne eine bleibende Gastrula dar, die sich 
durch seitliche Längsknospung fortpflanzt. Versuche über die künst- 
liche Teilbarkeit dieser neuen Süßwasser - Cölenteraten haben weder 
Potts noch Ryder gemacht, aber es ist zu erwarten, dass der letz- 
tere, der eine ausführlichere Arbeit über sein Patenkind in Aussicht 
stellt, diesen hochwichtigen Experimenten seine Aufmerksamkeit im 
vollsten Maße schenken wird. 

In einer Schlussnote wird auf die Aehnliehkeit von Mierohydra 
mit dem von Al. Gibbes Bourne beschriebenen, wahrscheinlichen 
Hydroidstadium von Limnocodium hingewiesen, aber zugleich darauf 
aufmerksam gemacht, wie sie doch wieder so verschieden von diesem 
sei, dass, wenn sie Quallen produzieren sollte, dieselben sicher ein 


10 Will, Das Geschmacksorgan der Insekten. 


von Limnocodium verschiedenes Genus (das der Sicherheit halber und 
aus Dankbarkeit gleich Pottsia benamset wird!) bilden würden. 
W. Marshall (Leipzig). 


Fr. Will, Das Geschmacksorgan der Insekten. 


Fr. Will hat in dem 42. Bande der Zeitschrift für wissenschaft- 
liche Zoologie eine mit einer Tafel ausgestattete Abhandlung über 
den Geschmackssinn und das Geschmacksorgan der Insekten und 
zwar hauptsächlich der gemeinen Wespe (Vespa vulgaris) veröffent- 
licht, in der eine Reihe interessanter Beobachtungen und Befunde 
enthalten sind. 

Dass den Insekten ein und zwar unter Umständen hoch ent- 
wickelter Geschmackssinn zukommt, ist bekannt und wird von nie- 
mand bezweifelt, aber doch bietet die ganze große Insektenliteratur 
einschlagende experimentelle Untersuchungen nur eines Forschers, 
nämlich Forel’s, der dieselben bei Ameisen machte. Es ist auch 
nicht leicht, derartige Experimente anzustellen, da das betreffende 
Versuchstier aktiv dabei beteiligt sein muss, was nicht nötig ist, wenn 
man andere Sinne untersuchen will, und außerdem kann man sich ja 
von den Grenzen der Wahrnehmungsfähigkeit eines andern Geschöpfes 
meist keine Vorstellung machen, deren Richtigkeit nach allen Seiten 
hin unanfechtbar wäre. Soviel aber scheint gewiss, dass für den 
Geschmackssinn der Insekten, wie für die meisten ihrer Sinne, die 
Grenzen der deutlichen Wahrnehmung sehr eng gezogen sind, dass 
aber innerhalb dieser Grenzen das Unterscheidungsvermögen ein außer- 
ordentlich feines ist. Auch geht aus den Experimenten hervor, dass 
die Dauer des Geschmackseindrucks ein ziemlich langer ist, denn die 
Reinigung des perzipierenden Endapparats geht nur allmählich vor 
sich. Oft brauchen Hymenopteren, die mit Honig, dem Salz, doppel- 
kohlensaures Natron oder Chinin beigemischt war, angeführt worden 
waren, eine Minute und mehr, ihre Mundteile und ihre Zunge von 
der übelschmeckenden Kost zu reinigen. 

Ueber den Bau und den Sitz des Geschmacksorgans der Glieder- 
tiere gehen die Ansichten der zahlreichen Forscher sehr auseinander, 
wenn auch alle darin übereinstimmen, dass dasselbe am Eingang zum 
Verdauungsrohr, irgendwo, also in der Mundhöhle bezw. an den Fress- 
werkzeugen naturgemäß zu suchen sei. Will hat den Nachweis ge- 
liefert, dass wirklich, wie schon Forel, z. T. in Uebereinstimmung 
mit Meinert, von den Ameisen annahm, die Unterteile der Maxillen, 
die Basis und die Spitze der Zunge, aber außerdem noch die Spitzen 
der Nebenzungen, wo solehe vorhanden sind, als Geschmacksorgane 
differenziert sind. An diesen Stellen findet man besonders entwickelte 
Chitinbildungen mit Drüsen und mit nervösen Endapparten in einer 
derartigen Verbindung, wie sie nur für ein Geschmacksorgan Bedeu- 





Will, Das Geschmacksorgan der Insekten. (Bil 


tung hat. Auf der Basis der Zunge und an der Unterseite der Maxillen 
zeigen sich Grübchen und Becher, in denen Nervenenden frei an die 
Oberfläche treten und sonach direktem chemischem Reize zugänglich 
sind, und es können die betreffenden Stellen mit Speichel übergossen 
werden. Auf der Oberseite der Zungenspitze findet sich ein Doppelkranz 
von Borsten; der vordere zeigt deren 12—16, der hintere 8; sie sind 
kurzstumpf, am basalen Ende in den obern Teil eines champagner- 
pfropfenförmigen Chitinröhrehens eingelenkt, zeigen im Innern einen 
Hohlraum oder eine Rinne und werden überragt von besondern Schutz- 
haaren. Gleich viele und gleich beschaffene Borsten befinden sich auch 
an der Spitze jeder Paraglosse. An dem champagnerpfropfenförmigen 
Basalteil einer jeden solchen Borste findet sich ein langgestrecktes 
im untern Teile angeschwollenes Gebilde, das nach oben allmählich 
in den Stiel der Borste, nach unten in den großen Zungennerven 
übergeht. In diesem Schlauch liegt ein zweiter, innerer, der in seiner 
Anschwellung 5-7, wahrscheinlich bipolare Sinneszellen einschließt, 
im proximalen Ende sich zu einer zarten Nervenfaser verdünnt, den 
äußern Schlauch durchbricht und sich in einem der großen Zungen- 
nerven verliert, am distalen oder apikalen Ende aber lang ausge- 
zogen ist, allmählich an Dieke abnimmt und endlich als feiner Faden 
mit seiner abgerundeten Spitze ein wenig über eine obere Oeffnung 
am pfropfenförmigen Basalteile der terminalen Borste, die mithin eine 
Sinnesborste ist, hervorragt. Der vordere Teil dieser Borste ist mit 
einer tiefen Rinne versehen, so dass die Endspitze des Nervenschlauchs 
frei und äußeren Einflüssen zugänglich ist. Aus dem Bau dieser Or- 
gane und daraus, dass sie durch einen dichten Wald von Schutz- 
haaren überragt sind, ergibt sich, dass die kleinen Borsten keine 
Tastorgane, sondern Sinnesborsten und zwar geschmacksvermittelnde 
sind. Eine wesentliche Stütze für die Annahme, in den Spitzen der 
Zungen der betreffenden Insekten den Sitz von Geschmacksorganen 
suchen zu dürfen, ergibt sich nach Will auch noch aus einer genauen 
Beobachtung der Einzelheiten in der Funktion der Zungen beim Be- 
ginn der Nahrungsaufnahme. Wenn die Spitze der Zunge mit der 
Nahrung in Berührung gebracht worden ist, so tritt eine lebhafte 
Kontraktion des Abdomens ein, der dann die rhythmischen Saugbe- 
wegungen folgen, und dadurch ist der Zeitpunkt des Beginnes der 
Nahrungsaufnahme genau festzustellen. Wenn in der Nahrung übel- 
schmeckende Substanzen vorherrschen, so verlässt sie das Insekt so- 
fort, bevor die geringste Saugbewegung ausgeführt wurde — es muss 
also die Zungenspitze der Sitz eines Geschmacksorgans sein. Einen 
-weitern Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht dürfte sich auch 
noch aus der Beschaffenheit der Zungenspitze der Ameisen ergeben: 
an ihr finden sich nämlich keine mit Nervenendigungen verbundenen 
Sinnesborsten, sondern Becherchen, die denen auch hier an der Zungen- 
basis befindlichen vollkommen in ihrem Baue gleich sind. Endlich 


12 


Plateav, Die Palpen der nagenden Insekten. 


finden sich nirgends weiter in der Mundhöhle der Hymenopteren als 
an der Unterseite der Maxillen, der Basis und der Spitze der Zungen 
Nervenendapparate, die überhaupt als Geschmacksorgan gedeutet 
werden könnten. 

Der Fortsetzung dieser interessanten Untersuchungen, die Ver- 
fasser auch auf andere Insektenordnungen auszudehnen verspricht, 


darf man mit Spannung entgegensehen. 
W. Marshall (Leipzig). 


F. Plateau, Die Palpen der nagenden Insekten. 
Bull. Soc. Zool., 1885, 2 Et., 5 Pie. 


Ein historischer Ueberblick, mit dem Verfasser die vorliegende 
Schrift einleitet, zeigt, wie sehr die Ansichten der Entomologen be- 
züglich der physiologischen Bedeutung der Palpen differieren. 

Straus-Dürkheim nimmt an, dass die Taster der Sitz eines 
besondern unbekannten Sinnes seien, der weder der Geschmack noch 
der Geruch ist. Nach Knoch dienen die Lippentaster, nach Leon 
Dufour und Packard die Taster im allgemeinen zur Wahrnehmung 
des Geschmacks. Lyonnet, Bonsdorff, Knoch (ÜUnterkiefer- 
Taster), Marcel de Serres, Lamarck, Newport, Driesch, 
Perris und Cornalia zählen die Taster zu den Geruchsorganen. 
Sie nehmen entweder an, dass nur diese Anhänge zur Wahrnehmung 
der Gerüche dienen, oder sie glauben, wie die beiden letztgenannten, 
dass außerdem die Fühler die Funktion von Geruchsorganen haben. 

Geoffroy, Comparetti, Cuvier, A. M. C. Dumeril, Bur- 
meister, Brulle, Lacordaire, Dug&s, C. G. Carus, Owen, 
Frey, Leuckart, v. Siebold, Th. Rymer Jones, Snellen 
van Vollenhoven, Em. Blanchard, P. Harting, Schmarda, 
Maurice Girard, Milne Edwards, Gegenbaur, Graber!), 
J. Chatin, Künckel d’Hereulais, Claus nehmen alle an, dass 
die Palpen Tastorgane seien, welehe die Nahrungsstoffe durch Be- 
rührung kontrolieren. Geoffroy, der erste auf der Liste, vergleicht 
sie mit den Händen, Graber, einer der letzten, findet eine Analogie 
zwischen ihnen und sehr beweglichen Fingern. Die meisten dieser 
Autoren lassen die Palpen von den Insekten dazu benutzt werden, 
um die Bissen zu dirigieren, oder um diejenigen Stückehen, welche 
fallen könnten, in die Thätigkeitssphäre der Kiefer zurückzubringen. 

Das Verfahren, welches Plateau bei seinen neuen Versuchen 
benutzte, ist folgendes: 

1) Das in einem Glase befindliche Insekt wird mit Hilfe einer 
Lupe beim Fressen beobachtet. 


1) Vgl. jedoch des Genannten neuere Arbeiten, veröffentlicht im Biol. 
Centralbl. Bd. V. 








Plateau, Die Palpen der nagenden Insekten. 15 


2) Die Unterkiefertaster oder die Lippentaster oder beide Paare 
zugleich werden so vollständig wie möglich entfernt. Nach einigen 
Tagen, nachdem die Tiere sich wieder beruhigt haben, reicht man 
ihnen Futter, welches sie, hungrig wie sie sind, sogleich angehen. 
Man kann dann leicht beobachten, ob die Palpen beim Fressen not- 
wendig sind. 

3) Nachdem das Insekt gefressen hat, wird es mit Chloroform 
getötet und man überzeugt sich von dem Inhalt des Verdauungs- 
kanals. 

4) Imprägnierung der Nahrungsstoffe mit Karmin, um ein leichtes 
Wiedererkennen zu ermöglichen. 

Schon 1872 hatte Plateau bei einem Versuche mit Carabus 
auratus folgendes beobachtet. Wenn das Tier frisst, so wechseln die 
Bewegungen der Ober- und Unterkiefer regelmäßig ab. Während die 
Mandibeln einander sich nähern, um ein Stück Fleisch abzuschneiden, 
gehen die Maxillen auseinander. Wenn die Mandibeln darauf aus- 
einander gehen, nähern sich die Maxillen nnd schieben den Bissen 
in die Mundhöhle. Die Palpen haben keinen Anteil an dem 
Ergreifen der Nahrung, sondern man sieht sie, während das 
Tier frisst, zu beiden Seiten des Kopfes nach hinten gerichtet, nur 
passiv an den Bewegungen desselben teilnehmen. 

Im Jahre 1883 angestellte Beobachtungen hatten ganz dasselbe 
Ergebnis. 

Seine neuen Untersuchungen begann nun Plateau damit, dass 
er einem Carabus die Taster abschnitt und ihm nach Verlauf von 
24 Stunden Futter gab. Die Sektion des getöteten Tieres ergab, dass 
der Magen mit zahlreichen kleinen Fleischbissen gefüllt war. 

Entsprechende Resultate wurden erhalten mit Omaseus melanurus, 
Nebria brevicollis und besonders Cicindela hybrida. Unbestimmter 
stellte sich anfangs die Sache mit Dytiscus marginalis; doch stellte 
sich auch hier heraus, dass die Tiere, wenn sie nur lange genug 
(10 Tage) gehungert hatten, gefräßig die Nahrung verschlangen, trotz- 
dem dass die Palpen entfernt waren. 

Weitere Untersuchungsobjekte bildeten Colymbetes fuscus und 
Stuphylinus olens. Ein verstümmeltes Exemplar des letztern, welches 
in Freiheit gesetzt worden war, wurde später im Garten zufällig wie- 
der gefangen, wobei sich herausstellte, dass die Palpen wieder zu 
wachsen begonnen hatten, wiewohl sie noch völlig rudimentär waren. 
Der tasterlose Staphylinus hatte sich während der inzwischen ver- 
gangenen 8 Wochen augenscheinlich gut ernährt, denn er war sehr 
munter. 

Geotrupes vernalis reagierte auf Gerüche (z. B. von Kaninchen- 
exkrementen) und fraß trotz der Entfernung der Taster. Auch zeigten 
die Versuche mit Periplaneta orientalis, dass der Geruchssinn durch 
die Amputation nicht beeinträchtigt wird, da die Tiere bei Annäherung 


14 Yves Delage, Entwicklung der Sacculina. 


eines mit Terpentin oder Chloroform benetzten Stäbehens die Fühler 
unruhig hin und her bewegten und dem Geruch zu entgehen suchten. 

Die Acridier sind zu den Versuchen ungeeignet, da sie nach 
Entfernung der Palpen schnell sterben. Doch wurden bei einem 
Stetheophyma grossum (Mecosthetus grossus Fieb.) die Versuche von 
Erfolg gekrönt, desgleichen bei Dectieus verrucivorus. 

Plateau zieht aus diesen Beobachtungen folgende Schlüsse: 

1) Während des Kauens bleiben die Lippen- und Unterkiefer- 
taster der Insekten unthätig. 

2) Die Entfernung der Unterkiefertaster verhindert die Insekten 
nieht, in gewohnter Weise Nahrung zu sich zu nehmen. 

3) Dasselbe gilt für die Entfernung der Lippentaster. 

4) Die Entfernung der vier Taster beeinträchtigt nicht den Geruch. 

5) Die Entfernung der vier Taster verhindert niemals die Insek- 
ten, ihre Nahrung zu erkennen und zu ergreifen. 

6) Die Insekten fressen trotz der Entfernung der vier Taster auf 
vollkommen normale Weise. 

F. Moewes (Berlin). 


Yves Delage, Evolution de la Sacculine (Sacculina Carcini 
Thomps.). Crustace parasite de l’ordre nouveau des Ken- 
trogonides. 

Archives de Zoologie exper. ete. 2. Ser. Tome IL. p. 447—738. Pl. XXII- XXX. 

Die sonderbare Gruppe der auf Dekapoden-Krebsen schmarotzen- 
den, sich durch verzweigte Wurzeln pflanzenartig ernährenden Sac- 
euliniden hat die Aufmerksamkeit der Naturforscher mehrfach 
erregt und im Laufe eines Jahrhunderts zu grundverschiedenen An- 
schauungen über ihre Organisation und systematische Bedeutung Ge- 
legenheit gegeben. 

Cavolini, der zuerst (1787) diese Tiere erwähnte, hielt den 
Leib des Schmarotzers für eine pathologische Geschwulst und die 
darin befindliche Nauplius-Brut für dieselbe erzeugende parasitische 
Einaugen. J. V. Thompson erkannte später sogar die Verwandt- 
schaft der von ihm Sacculina genannten Form mit den Cirripe- 
dien. Diese Beobachtungen wurden aber bald vergessen, und später 
verglich Rathke diese Organismen sogar mit Aetinien und Diesing 
klassifizierte sie unter den Trematoden als eine abweichende Gruppe. 
Nach und nach wurde, besonders durch die Beobachtungen von 
Leuekart, Steenstrup, Lilljeborg, Fr. Müller das Richtige 
erkannt und für Saceulina und verwandte Formen unter den Cirri- 
pedien die Abteilung der Suctoria oder Rhizocephala (Wurzel- 
krebse) aufgestellt. 








Yves Delage, Entwicklung der Saceulina. 45 


Die Organisation dieser Tiere ist schr einfach und wurde von 
den neueren Autoren ziemlich gut erkannt. Delage hat die auf 
Carcinus moenas häufige Sacculina carceini mit Hilfe der modernen 
Methoden eingehend untersucht. Wir werden die Resultate seiner 
Arbeit kurz resumieren. 

Der äußerlich sichtbare Teil des Tieres hängt von der ventralen 
Fläche des Abdomens des Carcinus mittels eines das Tegument 
durchsetzenden Stieles, welcher sich durch die alle Organe des Wirtes 
umspinnenden und sich bis in die Endglieder der Beine erstreckenden 
Wurzeln fortsetzt. Jener äußere Teil der Saceulina ist etwas flach- 
gedrückt-sackförmig, mit einer einzigen endständigen Oeffnung, der 
Kloake, welche in die weite Mantelhöhle führt. In dieser Höhle 
hängt der von D. als Visceralmasse, vielleicht richtiger als Ein- 
geweidesack (Ref.) zu bezeichnende Teil, welcher die Geschlechts- 
organe und das Nervensystem des Tieres einschließt. Auf der der 
rechten Seite des Wirtes entsprechenden Seite ist die Visceralmasse 
mit dem Mantel durch das sogenannte Mesenterium verbunden. Der 
Ansatz des Mesenteriums bestimmt die Hauptebene des Tieres, welche 
den Körper in zwei symmetrische Hälften teilt. Alle paarigen Or- 
gane sind beiderseits dieser Ebenen verteilt. Die Mesenterium -Seite 
betrachtet D. der gewöhnlich verbreiteten Anschauung gegenüber als 
die ventrale: rechts und links in der Sacculine entsprechen also dem 
vorn und hinten (resp. sternal und abdominal) der Krabbe. Der 
Mantel besteht aus einer doppelten Ektodermschicht, welche von einer 
Chitineutieula überzogen wird: die Zellen der äußern Ektodermschicht 
senden nach innen Fortsätze, durch welche sie sich mit den Zellen 
der inneren Mantelfläche verbinden: zwischen beiden Schichten be- 
findet sich ein Netz quergestreifter Muskelfasern. Die von allen die- 
sen Elementen begrenzten Lakunen werden von endothelartigen Zellen 
überzogen. — Die Visceralmasse besitzt eine ähnliche Ektodermschicht 
an der Oberfläche: die darin und darunter liegende Muskulatur besteht 
aber nicht allein aus Fasern, welehe der Oberfläche parallel sind, sondern 
sie sendet auch Stränge ab, welehe die ganze Masse durchziehen und 
die gegenüber liegende Fläche erreichen; durch ihre Kontraktion 
werden sämtliche Organe zusammengedrückt; sie scheinen haupt- 
sächlich bei der Eierentleerung wirksam zu sein. — Die Ovarien, 
welche den Hauptteil der Viseeralmasse bilden, sind mehrfach gelappt 
oder verzweigt, paarig, aber durch einen unpaaren Abschnitt mit 
einander verbunden. Ein jedes mündet durch eine Art Trichter in 
ein Atrium, welches die Oeffnung der aus verzweigten Röhren zu- 
sammengesetzten Kittdrüse aufnimmt; jedes Atrium mündet direkt 
durch eine Vulva nach außen. Vor der Eierablage gibt die Kittdrüse 
von ihrer innern Fläche eine Chitinmembran ab, welche einen voll- 
kommenen Abguss ihrer Höhle darstellt, also ein System von ver- 
zweigten Röhren bildet. Dieses Produkt hängt mit der cehitinösen 


16 Yves Delage, Entwicklung der Saecculina. 


Cutieula des Atriums zusammen und wird unmittelbar vor der Eier- 
ablage durch die Vulva derart hervorgestülpt, dass die durch die 
Kontraktion der visceralen Muskulatur hinausgepressten Eier in die 
Chitinschläuche getrieben werden, welche derart die verzweigten 
Eiersäcke bilden. Der Vorgang wurde einmal direkt beobachtet. 
Bis zum Ausschlüpfen der Nauplien bleiben die Eiersäcke in der 
Mantelhöhle, wo sie durch die Kontraktionen der Mantelmuskulatur 
beständig von frischem Wasser bespült werden; zum Festheften der 
Schläuche dienen zahlreiche kleine mit feinsten Widerhaken besetzte 
Fortsätze der Cutieula der Mantelhöhle, welche von D. Retinaecula 
genannt werden. — Weiter nach dem Stiel zu enthält die Visceral- 
masse die paarigen und paarig ausmündenden Hoden, deren sperma- 
bildender Teil mit dem umgebenden Mesoderm ohne erkennbare 
Grenze sich fortsetzt. — In der Nähe des Mesenteriums und ungefähr 
auf der Höhe der Vulvae liegt das unpaare nervöse Ganglion, woraus 
vier gabelig sich teilende Stränge nach den Muskeln des Mantels und 
der Visceralmasse abgehen. Andere Organe enthält der äußere Teil 
der Saceulina nicht. — Die Wurzeln sind hauptsächlich und vielleicht 
sogar ausschließlich eetodermale Gebilde, wie auch aus der Ontogenie er- 
hellt; sie entspringen von einer membranösen Ausbreitung der sog. Basi- 
larmembran, welche mit dem Stiel direkt verbunden ist und deren 
Hohlräume die Lakunen der Wurzeln mit jenen des äußern Körpers 
verbinden. Jedes Wurzelzweiglein besitzt an seiner Spitze eine kleine 
Oeffnung, die in eine längliche Höhlung führt; D. betrachtet diese 
Gebilde als Exkretionsorgane. 

Nach dieser Uebersicht des anatomischen Baues der erwachsenen 
Saceuline wollen wir uns nun zur Entwicklungsgeschichte des son- 
derbaren Parasiten wenden, welche den ganz originalen Teil der 
besprochenen Arbeit bildet. Die Ontogenie der Saceuline bietet 
äußerst merkwürdige Erscheinungen, welche von den bis jetzt ver- 
muteten Vorgängen gründlich verschieden sind und zum Teil sogar 
unter anderen Tieren keine Analoga finden. 

Der Sacculina-Nauplius ist darmlos und lebt bis zum Cypris- 
Stadium ausschließlich auf Kosten des Nahrungsdotters. Da er sich 
während dieser Metamorphose viermal häuten soll und dadurch Sub- 
stanz verliert, wird er dabei allmählich etwas kleiner. Die Cypris 
ist wie der Nauplius darmlos und besitzt keine paarigen Augen, son- 
dern nur ein unpaares. Drei Tage nach der letzten Häutung heftet 
sich die Cypris mittels einer Antenne an der Basis eines Haares einer 
Jungen 4—8 mm im größten Durchmesser messenden Krabbe. Die 
Festsetzung geschieht in der Nacht (oder in finster gehaltenen 
Aquarien auch am Tage) an jeder beliebigen behaarten Stelle des 
Careinus; niemals beobachtete sie D. am Sitz der erwachsenen Sac- 
culina, d. i. an der ventralen Fläche des Abdomens. — Es beginnt 
nun eime höchst sonderbare Metamorphose: der ganze Thorax mit 








Yves Delage, Entwicklung der Saceulina. AT 


den Schwimmfüßen, das Auge, die Reste des Dotters und anderer 
degenerierter Teile und bald darauf auch die Schale werden in toto 
abgestoßen. Das Ektoderm des Kopfes und eine Zellenmasse, welche 
schon im Kopfe des Nauplius fertig erscheint und das Ovarium der 
Saceuline bilden soll, bleiben einzig bestehen und sind von einer 
Chitineutieula umgeben, welche, nach D.’s Bildern zu urteilen, mit 
der fixierten Antenne zusammenzuhängen scheint. Innerhalb dieses 
sackförmigen Organismus entwickelt sich das von D. als kentro- 
gone Larve bezeichnete Stadium. 

Letztere bleibt in der sackförmigen Larvenhaut des vorhergehen- 
den Stadiums eingeschlossen, besitzt aber ihre eigene Uutieula; sie 
besitzt ebenso die Form eines länglichen Sackes, welcher nach vorn 
in einen hohlen, an der Spitze durehbohrten Stachel endigt. Dieser 
Stachel ist ein Fortsatz der chitinösen, vom Ektoderm abgesonderten 
Cutieula und wird im eingestülpten Zustand angelegt, stülpt sich 
später allmählich aus und dringt in die Höhlung der fixierten Oypris- 
Antenne ein. Auf diesem Wege gelangt der Stachel an die dünne 
Haut, welche die Basis des Carcinus-Haares umgibt; diese Haut wird 
perforiert und der durch Teilung seiner Zellenelemente flüssiger ge- 
wordene Inhalt der kentrogonen Larve gelangt durch den Stachel 
hindurch in das Innere des Wirtes. Diese Einwanderung oder, wie 
sich D. ausspricht, Inokulation der Sacculina wurde nicht direkt 
beobachtet, kann aber als ganz sicher festgestellt gelten. 

Hier besteht eine nieht unbedeutende Lücke in den sorgfältigen 
Beobachtungen von D. Wahrscheinlich geschehen die auf die Ein- 
wanderung unmittelbar folgenden Veränderungen sehr rasch, was die 
Untersuchung sehr bedeutend erschwert. — Das nächste beobachtete 
Stadium wurde bei Krabben von 5—10 mm Querdurchmesser ge- 
funden. Im Innern des Tieres, gewöhnlich am Darm, sieht man eine 
fast durchsichtige Membran (die Basalmembran), von weleher schon 
sehr lange weit verzweigte Wurzeln ausstrahlen; in dieser Membran 
erscheint ein winzig kleiner, wenige hundertstel Millimeter messender 
Knoten. Die Wurzeln sowie die Basalmembran und die äußere Schieht 
des Knotens entsprechen dem Ektoderm der Cypris-Larve; im Innern 
des Knotens befindet sich die zur Bildung des Ovariums bestimmte 
und von D. als Ovarium bezeichnete Zellmasse, sowie einige Elemente, 
welche wahrscheinlich aus dem Mesoderm der Cypris abstammen; 
aus letzteren entwiekeln sich später die Hoden, die Muskulatur und 
die endotheliale Auskleidung des Lakunensystems des Körpers. 

Der junge Parasit scheint nun langsam nach dem abdominalen 
Abschnitt des Darmes zu wandern, indem er zugleich wächst und die 
definitiven Organe sich allmählich differenzieren. Die nunmehr fer- 
tige innere Sacculina drängt sich gegen die Haut, indem die zwi- 
schen ihr und dem Chitinpanzer befindlichen Teile durch den Druck 
zum Schwinden gebracht werden und endlich das Chitin selbst 

2 


18 Yves Delage, Entwicklung der Sacculina. 


usuriert wird; es wird also ein Loch gebildet, durch welches die 
innere Sacculina sehr rasch nach außen durchbricht. 

Die Differenzierung der innern Sacculina ist von D. an Schnitt- 
präparaten sehr genau verfolgt worden. Wir werden nur das Haupt- 
sächlichste referieren. — Das Ovarium bleibt lange unverändert. 
Indess bildet sich im Ektoderm zuerst eine Art Einstülpung, welche 
zur Bildung einer den ganzen Organismus umgebenden Spalte führt: 
es ist dies die perisomatische Höhle, eine provisorische Vor- 
richtung, deren Einstülpungsöffnung bald schwindet. Das Ovarium 
ist zuerst von der perisomatischen Höhle durch eine einzige Zellen- 
schicht getrennt; später vermehren sich die Zellen, und es bildet sich 
in ihr durch Abblätterung eine neue Spalte, die spätere Mantelhöhle. 
Zugleich entsteht als solide Wucherung von der perisomatischen 
Höhle aus das Ganglion. Erst später wird die kloakale Oefinung 
gebildet. Das Atrium der Ovarien sowie die Kittdrüse entspringen 
vom Ektoderm der Mantelhöhle. Die Hoden werden erst später an- 
gelegt. Mit der histologischen Differenzierung des Ektoderms und 
der Muskulatur verändert sich die ursprünglich kuglige Gestalt des 
Ovariums zur definitiven Form. — Die Wand der perisomatischen 
Höhle bekommt dann eine lange Spalte, durch welche die nunmehr 
ausgebildete Sacculina ausgestülpt wird. Der Parasit ist nun zum 
Durchbruch nach außen fertig. — Nach dem Durchbruch, der ge- 
wöhnlich im Frühling stattfindet, wächst die Sacculina rasch weiter 
und ist schon im Herbst fähig, ihre erste Brut hervorzubringen. 

Nach D. dauert die Entwicklung der Sacculina bis zum Durch- 
bruch 20—22 Monate. Während der Zeit hat die Krabbe den Quer- 
durchmesser von 4—5 em erreicht. Nach dem Durchbruch lebt der 
Parasit noch fast 1'/, Jahre; er braucht aber dann für seinen raschen 
Wachstum und für die zu erzeugenden Bruten so viel Nahrung, dass 
die Größenzunahme des Wirtes vollkommen sistiert wird. Die Krabbe 
wächst und häutet sich nicht mehr, so lange sie eine Sacculina trägt. 
Erst nach dem Tode der Sacculina findet die nächste Häutung statt 
und beginnt das normale Wachstum wieder. 

Wir wollen nun die Sacculina mit normalen Cirripedien näher 
vergleichen. Die Entwicklungsgeschichte beweist, dass der ganze 
Leib der Saceulina aus dem Kopfe der eyprisartigen Larve ent- 
stammt. Die ganze Sacculina entspricht also dem Kopfe eines Cirri- 
pedien, also bzw. dem Stiele einer Lepadide. Der Mantel einer 
Sacculina ist also dem Cirripedien-Mantel nicht homolog, sondern als 
Neubildung zu betrachten. Stellen wir das Ganglion als dem untern 
Schlundganglion gleichwertig, so ergibt sich, dass, wie D. annimmt, 
die mesenteriale Seite der Saeculine als ventral aufzufassen ist. — 
Die späte Entwicklung des Hodens bedeutet nach D., dass der Her- 
maphroditismus ein sekundär erworbener Zustand ist. Die Stamm- 
formen der Cirripedien und Saceulinen waren ohne Zweifel getrennt 








Spengel, Phoenieurus redivivus. 19 


geschlechtlich, und erst später wurden die Männchen atrophisch und 
schwanden endlich sogar, indem sich beim Weibchen Hoden bildeten. 
Es sollten darum die Cirripedien- Männchen nicht als supplemen- 
täre, sondern als primordiale bezeichnet werden. Dagegen sind 
die Hoden der Weibehen in der That supplementäre Gebilde, indem 
sie als Ersatz für die im Schwund begriffenen oder bereits geschwun- 
denen Männchen entstanden sind. 

Es kommen auch bei Saceulina Individuen vor, welche nach D. 
als primordiale Männchen zu deuten sind. Dieselben entwickeln sich 
nicht weiter als bis zum Cypris- Stadium und wurden bereits von 
F. Müller an erwachsenen Saceulinen haftend gefunden. D. fand 
sie ganz konstant, aber nur im Frühling an jüngsten ausgebrochenen 
Saceulinen, deren Mantelöffnung noch durch eine Chitinmembran ver- 
stopft war. Dieselben wurden bis jetzt nur tot gefunden: die Existenz 
eines wirklichen Sperma erzeugenden Hodens konnte in diesen Tier- 
chen nicht nachgewiesen werden. Es bleibt also zweifelhaft, ob die- 
selben noch als Männchen fungieren, oder ob sie nur eine dem 
Schwund nahe stehende, einem rudimentären Organ vergleichbare 
ganz funktionslose Individuenform darstellen. 

Aufgrund der von normalen Cirripedien so abweichenden Or- 
ganisation und Entwicklungsgeschichte glaubt D. die Suctorien-Gruppe 
unter dem Namen von Kentrogoniden zu einer neuen Ordnung er- 
heben zu dürfen, erkennt aber selbst, dass dieselbe aus den Cirri- 
pedien entstanden sein soll. 

C. Emery (Bologna). 


Phoenieurus redivivus. 


Es ist eine ziemlich allgemein bekannte Thatsache, dass viele 
unserer verehrten Fachgenossen jenseits des Rheines sich ungern der 
Mühe unterziehen, gründliche Literaturstudien zu betreiben, ehe sie 
zur Veröffentlichung der Resultate ihrer eignen Untersuchung schrei- 
ten, und es ist nicht grade unerhört, dass in französischen Abhand- 
lungen die ältere Literatur, soweit sie nicht in französischer Sprache 
erschienen ist, vollständig ignoriert wird. Wie schwer sich eine 
solehe Unterlassung rächen kann, zeigt ein Aufsatz, den einer der 
trefflichsten Zoologen nicht nur seines Landes, sondern unserer Zeit, 
H. de Laeaze-Duthiers, vor kurzem herausgegeben hat. Derselbe 
findet sich unter dem Titel „Sur le Phoenieurus“ in der ersten Nummer 
des Bandes 101 der „Comptes Rendus de l’Academie des Sciences“, 
p- 31—35. Der Verfasser erklärt darin, das von ihm untersuchte 
Geschöpf, ein angeblicher Parasit der merkwürdigen Nacktschnecke 
Tethys, sei bis jetzt nur der Gegenstand sehr ungenügender Beobach- 
tungen von Rudolphi, Cuvier und Delle Chiaje gewesen und 


20 Spengel, Phoenieurus redivivus. 


eine genauere Erforschung seines Baues daher ein dringendes Be- 
dürfnis. Da Laeaze-Duthiers sich mit der Anatomie der Tethys 
eingehender beschäftigt hat — er hat über das Zentralnervensystem 
derselben (C. R. t. 101. Nr. 2. p. 135) Beobachtungen von der größten 
Wichtigkeit angestellt! — so sollten ihm füglich die früheren Publi- 
kationen über den gleichen Gegenstand bekannt sein, besonders 
Bergh’s Beschreibung („Malacologische Untersuchungen“ in: Sem- 
per, Reisen im Archipel der Philippinen“ Bd. 2. S. 345—362. Wies- 
baden 1875) und die Abhandlung von H. von Ihering („Tethys; ein 
Beitrag zur Phylogenie der Gastropoden“ in: Morpholog. Jahrb. 
Bd. 2. 1876. S. 27—62). Die Kenntnis dieser Arbeiten hätte den Ver- 
fasser davor bewahren können, seine kostbare Zeit an eine Unter- 
suchung zu verschwenden, welche absolut wertlos ist und sein 
muss. Denn es ist längst überzeugend nachgewiesen, dass die Phoe- 
nicuren gar keine Schmarotzer der Tethys sind, sondern normale 
Körperanhänge dieser Schnecke. Es ist überflüssig, die Geschichte 
der Phoenieurus-Frage, die längst erledigt ist, von deren einstiger 
Existenz Lacaze-Duthiers aber gar keine Ahnung zu haben scheint, 
noch einmal zu wiederholen, da v. Ihering in seiner oben ange- 
führten Abhandlung sie ausführlich dargestellt hat. Ich will nur in 
historischer Reihenfolge die Namen derjenigen Autoren aufführen, 
welche sich über die „Phoenieuren“ geäußert haben, um zu zeigen, 
wie begründet mein obiger, gegen Lacaze-Duthiers erbobener 
Vorwurf ist: Renier (1807. Parasiten: Hydatula varia); J. F. 
Meckel (1808. Fortsätze); Cavolini (? nach Bergh: Kiemen); 
Rudolphi (1819. Parasiten: Phoenicurus varius); Delle Chiaje 
(1823. Parasiten: Planaria ocellata); Otto (1823. Parasiten: Vertum- 
nus thetidicola); Macri (1825. Rückenanhänge); J. F. Meckel 
(1832. Parasiten); Verany (1840 [1842]. Rückenanhänge; Krohn 
(1842. Rückenanhänge); Lacaze-Duthiers (1874; Parasiten: Phoe- 
nicurus); Bergh (1875. Papillen); v. Ihering (1876. Papillen); 
Bergh (1877. Papillen). Ferner sind verschiedene Publikationen 
über die mit Tethys nahe verwandte Gattung Melibe Rang, welche 
ähnliche Papillen besitzt, unberücksichtigt geblieben. Ich nenne nur 
neben Bergh’s oben zitierten „Malacologischen Untersuchungen“ 
(5. 362—376) desselben Verfassers „Beitrag zur Kenntnis der Gat- 
tung Melibe Rang“ (in: Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 41. S. 142). 
Was nun die wahre Natur der angeblichen „Phoenieuren“ betrifft, 
so kann ich mich darüber sehr kurz fassen. Es unterliegt nach 
Bergh’s Untersuchungen nicht dem allergeringsten Zweifel mehr, 
dass die vermeintlichen Schmarotzer normale Rückenanhänge der 
Tethys darstellen, welche sich nur dadurch auszeichnen, dass sie sich 
sehr leicht vom Tiere ablösen. In jede dieser „Papillen“ tritt einer 
der schlauchförmigen Fortsätze der Leber ein und verästelt sich 
darin: dies ist der „Darmkanal“ des „Phoenicurus“. Und ebenso 








Adamkiewiez, Die Nervenkörperchen. 94 


sind die Nerven- und Ganglienzellen, in deren regellosen Variationen 
Lacaze-Duthiers sich vergebens abgemüht hat eine Ordnung zu 
erkennen, kein Zentralnervensystem, sondern peripherische Aeste. 
Das den Körper ausfüllende „tissu cellulaire fibrillaire offrant des 
noyaux nombreux“ ist typisches Gastropoden- Bindegewebe. Eine 
spezielle Vergleichung der Gewebe mit denen des übrigen Tethys- 
Körpers wird ohne Zweifel eine vollständige Uebereinstimmung er- 
geben. Dass keine Geschlechtsorgane aufzufinden sind, ist unter den 
obwaltenden Umständen gewiss nicht überraschend. Einer sorgfäl- 
tigen Untersuchung des natürlichen Zusammenhanges der Papillen mit 
dem Rücken stehen übrigens gegenwärtig nur geringe Schwierigkeiten 
im Wege, da es den geschickten Präparatoren der zoologischen Sta- 
tion in Neapel gelungen ist, die Tethys mit ihren sämtlichen „Phoeni- 
euren“ in voller Pracht zu Konservieren. 
J. W. Spengel (Bremen). 


Adamkiewicz, Die Nervenkörperchen. 
Sitzungsb. d. k. Akad. d. Wiss. zu Wien, Bd. XCI. III. Abt., Märzheft, 1885. 


Unter diesem Namen beschreibt A. einen vollständig neuen Be- 
standteil der markhaltigen Nervenfaser des Menschen. Verf. kam zu 
seinen Resultaten unter Anwendung seiner schon früher bekannt- 
gegebenen Färbungsmethode der in Müller’sche Lösung gehärteten 
Nerven mittels Safranin. Nach Einwirkung dieses Tinktionsmittels 
bekommt man an Querschnitten eines Nervenstammes folgendes Bild. 
Zu äußerst sieht man das leicht violett gefärbte, streifige, mit läng- 
lichen tief violetten Kernen versehene Perineurium, von dem Septa 
vollkommen gleicher Beschaffenheit hineingreifen zwischen die Nerven- 
bündel. Die Lücken zwischen den einzelnen Nervenfasern werden 
erfüllt von dem gleichfalls violettgefärbten Endoneurium, das sich 
durch den Mangel an Streifung, sowie durch den Besitz großer runder 
Kerne von dem Perineurium unterscheidet. Die Nervenfasern selbst 
präsentieren sich als ein Mosaik gelblichgefärbter Kreise, in deren 
Innerem der Querschnitt des ungefärbten Axenzylinders sichtbar ist, 
und welche umgeben sind von einem violetten Ringe der quergeschnit- 
tenen Schwann’schen Scheide, welche ihrerseits mit violetten runden 
Kernen besetzt ist. Vor allem aber fallen scharf gezeichnete, orange- 
gefärbte und mit violettem Kern versehene Halbmonde in die Augen, 
eben die sogenannten Nervenkörperchen. Diese sitzen unter der 
Schwann’schen Scheide, also zwischen ihr nnd der an solchen 
Stellen meist etwas eingebuchteten Markscheide, oder auch in manchen 
Fällen in die Substanz der Markscheide selbst eingebettet. Auf dem 
Längsschnitte nehmen diese Nervenkörperchen Spindelform an, ihre 
Gesamtform stellt sich demnach als die einer an beiden Enden zu® 
gespitzten, flachen Mulde dar, deren Konvexität sich der Schwänti 


I Pawlow, Wie die Muschel ihre Schale öffnet. 


u 


schen Seheide anlegt, während sie die Konkavität der Markscheide 
zukehrt. 

Das relative Zahlenverhältnis der Nervenkörperchen zu den Kernen 
der Schwann’schen Scheide gibt Verf. an, wie 1:5; eine Berech- 
nung, in welchen Abständen die Nervenkörperchen längs der Nerven- 
fasern aufeinander folgen, ergab, dass auf 1 mm Nerv 2—3 Nerven- 
körperchen kommen. 

Auch außer dem Vorkommen von solchen Nervenkörperchen finden 
sich in der kleinen Abhandlung des Verf. merkwürdige Punkte, die 
sich mit den bislang bekannten Thatsachen nicht recht in Einklang 
bringen lassen. In dem Axenzylinder lässt Verf. Kerne vorkommen, 
deren Kernnatur auch nach der beigegebenen Abbildung recht pro- 
blematisch erscheint, und vor allem fällt auf, dass Verf. der Schwann’- 
schen Scheide einen bei weitem größern Reichtum an Kernen zu- 
schreibt, als dies von allen anderen Forschern, z. B. Ranvier, 
Axel Key ete., geschieht. So zeigt die Tafel eine Figur, auf der 
sich — vorausgesetzt, dass die Verhältnisse in der Abbildung richtig 
gegeben sind — auf einer Strecke einer Nervenfaser, die etwa 0,2 mm 
beträgt, nieht weniger als 5 Kerne der Schwann’schen Scheide be- 
finden, und man sieht einen solchen auch einer Ranvier’schen Ein- 
schnürungsstelle aufsitzen, Verhältnisse, die ja den geltenden Ansichten 
durchaus widersprechen. Auch das Vorhandensein der beschriebenen 
Nervenkörperchen scheint mir nicht über allen Zweifel erhaben; man 
betrachte z. B. eine Abbildung einer Nervenfaser von Axel Key, 
man sehe, wie dort die Kerne der Schwann’schen Scheide zwi- 
schen dieser und der Markscheide angelagert erscheinen, wie sie 
umgeben sind von spindelförmigen Anhäufungen von Protoplasma, 
und es ist wohl nicht so schwer, an eine Identität dieser Neurilemm- 
kerne mit den Nervenkörperchen zu denken. Und wenn man auch 
nur in anbetracht der beigegebenen Abbildungen nicht berechtigt ist, 
eine mögliche Verwechslung von Endoneurium- und Neurilemmkernen 
zu vermuten, so wird es doch noch einer genauen Kontrole bedürfen, 
um den Nervenkörperchen von Adamkiewicz einen Platz unter 
den typischen Konstituentien einer markhaltigen Nervenfaser zu sichern. 

F. Hermann (Erlangen.) 


Joh. Pawlow, Wie die Muschel ihre Schale öffnet. 
(Versuche und Fragen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie.) 
Pflüger’s Archiv, Bd. XXXVII, 1885. 

Fast alle unsere Kenntnisse auf dem Gebiete der allgemeinen 
Nerven - und Muskelphysiologie verdanken wir Untersuchungen an 
den markhaltigen Nerven und quergestreiften Muskeln der Wirbeltiere. 
Nur in wenigen Fällen schenkte man auch den marklosen Nerven und 








Pawlow, Wie die Muschel ihre Schale öffnet. 23 


u 


glatten Muskeln einige Aufmerksamkeit. Es findet dies seine Be- 
gründung hauptsächlich in dem Umstande, dass geeignete Untersu- 
chungsobjekte, die man vor allem der Reihe der wirbellosen Tiere 
wird entnehmen müssen, im Binnenlande nur sehr spärlich zugebote 
stehen. Reiche Ausbeute steht hier sicher zu erhoffen, wenn erst 
physiologische Arbeiten an der Meeresküste allgemeiner sein werden, 
als es derzeit noch der Fall ist. Hierfür bietet neuerdings die in- 
teressante Arbeit von Pawlow Gewähr, welche, obschon nur auf 
unsere Süßwassermuscheln sich beschränkend und vielfach unfertig, 
doch zahlreiche Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen bietet. 

Die aus glatten Spindelzellen zusammengesetzten Schließmuskel 
von Anodonta mit den zugehörigen Nerven, welche Pawlow be- 
nützte, waren schon mehrfach Gegenstand physiologischer Unter- 
suchung. Bernstein!), Fick?) und vor kurzem erst Referent?) 
beschäftigten sich in ziemlich eingehender Weise mit den Folgeer- 
scheinungen der direkten elektrischen Reizung des hintern Schließ- 
muskels, und Fick machte auch bereits einige Angaben über dessen 
indirekte Erregung vom Nerven aus. P. untersuchte nun insbeson- 
dere die letztere, und zwar sowohl mit Rücksicht auf den hintern, 
wie auch auf den vordern Schließmuskel. Dabei ist vor allem zu 
beachten, dass die der Reizung zugänglichen Nervenstränge „inter- 
zentrale“ sind, d.i. nicht direkt, sondern unter Vermittlung von Gang- 
lien mit den beiden Muskeln in Verbindung stehen, und zwar einer- 
seits der vorn gelegenen oberen Schlundganglien und anderseits des 
hintern Kiemen- oder Eingeweideganglions. Letzteres, auf der Bauch- 
seite des hintern Schließmuskels gelegen, steht mit jedem der beiden 
vorderen Ganglien durch einen mehrere Centimeter langen unver- 
zweigten Nervenstrang in Verbindung. Beide Nerven liegen in der 
Medianlinie an der Schlossseite des Tieres nahe bei einander, ein- 
gebettet in das sogenannte Bojanus’sche Organ, wo sie leicht frei- 
präpariert werden können. 

Um die außerordentlich starke und anhaltende „tonische“ Ver- 
kürzung der Muskel auszuschließen, welche regelmäßig nach der Prä- 
paration beobachtet wird und Reizversuche wesentlich behindert, be- 
diente sich P. mit Erfolg der Morphiumvergiftung des unversehrten 
Tieres. Stellt man dann ein Präparat her, welches aus dem hintern 
Schließmuskel mit den zugehörigen Stücken der beiden Schalen und 
des Schlossbandes, dem hintern Ganglion mit den Verbindungsnerven 
und einem Stück des Mantels besteht, welcher vom Ganglion aus 
sensible Nervenfasern erhält, und reizt man mit Kettenströmen, so 
erfolgt bei der Schließung gewöhnlich eine Verkürzung des Muskels, 





1) De animalium evertebratorum museulis nonnulla. Diss. inaug. Berolini 1862. 
2) Beitr. z. vergl. Physiol. d. irretablen Substanzen. 1863. 
3) Wiener akadem. Sitzungsber., XCI. Bd. III. Abt., 1885. 


24 Pawlow, Wie die Muschel ihre Schale öffnet. 


an welche sieh nicht immer eine Wiederverlängerung anschließt, die 
aber in anderen Fällen schnell eintritt und dann unter Umständen 
beträchtlicher ausfällt, als die vorhergehende Verkürzung. Ob das 
eine oder andere geschieht, hängt vom Zustande des Präparates, so- 
wie von der Stärke und Dauer des Stromes ab. Im allgemeinen lässt 
sich sagen, dass bei kurzer Schließung eines wirksamen Stromes 
Verkürzung des Muskels mit bleibender Verstärkung des Tonus, bei 
einmaliger längerer Schließung bisweilen auch sekundäre Erschlaf- 
fung beobachtet wird. Diese letztere tritt aber am leichtesten ein 
bei wiederholten nicht zu rasch aufeinanderfolgenden Strom- 
schließungen (etwa jede Minute eine sekundenlange Schließung). 
Aehnlich wirken auch chemische Reize (NaCl, Glyzerin ete.), und es 
tritt hier bisweilen primäre Erschlaffung des Muskels ohne vorher- 
gehende Verkürzung ein. Durch geeignete (rhythmische) Reizung mit 
dem Kettenstrome gelingt es auch, den starken Tonus frischer Prä- 
parate gänzlich zu beseitigen und maximale Oeffnung der Schalen 
herbeizuführen, worauf in der Regel eine langsame, bisweilen durch 
spontane Kontraktionen unterbrochene Wiederzusammenziehung des 
Muskels erfolgt. 

Solche periodische Kontraktionen des hintern Schließmuskels 
gehören überhaupt zu den gewöhnlichen Erscheinungen, falls die 
Muschel vor Anfertigung des Präparates mit Morphium vergiftet 
wurde. Sie bleiben nach Exstirpation des hintern, als automatisches 
und Reflexzentrum fungierenden Ganglions aus. 

Der unvergiftete hintere Schließmuskel hält dagegen die Schale 
dauernd geschlossen, so lange das Ganglion erhalten ist. Im Gegen- 
satze zu dem hintern lässt der vordere Schließmuskel dieselbe sich 
zeitweise öffnen, wie man leicht an einem Präparate sieht, das in 
analoger Weise, wie es oben von dem hintern Muskel beschrieben 
wurde, vorbereitet wird. 

Pawlow neigt der Ansicht zu, dass das hintere Ganglion auf 
seinen Muskel nur im Sinne der Zusammenziehung, die vorderen 
Ganglien aber auf beide Muskeln nicht nur im Sinne der Kontraktion, 
sondern auch im Sinne der Erschlaffung zu wirken vermögen. Er 
nimmt demgemäß innerhalb der von den vorderen Ganglien zu dem 
entsprechenden Muskel gehenden Nervenstämmehen sowie innerhalb 
der Verbindungsnerven zweierlei funktionell verschiedene Fasern an, 
solche, welche die Muskeln zur Verkürzung anregen, und solche, 
welche sie zur Erschlaffung veranlassen (erregende und hemmende) 
und führt unter anderem als Stütze dieser Anschauung die Thatsache 
an, dass Gestalt und Verlauf der spontanen, rhythmischen Kontrak- 
tionen des hintern Schließmuskels vor und nach Durchschneidung der 
Verbindungsnerven wesentlich verschieden ausfällt, indem erstern- 
falls nach jeder Verkürzung rasche und stärkere Wiederverlängerung, 
andernfalls aber dauernde Zunahme des Tonus eintritt. P. bezieht 


Pawlow, Wie die Muschel ihre Schale öffnet. 35 


2 


auch die wechselnden Erscheinungen bei elektrischer Reizung der 
Verbindungsnerven auf die gleichzeitige Erregung von zwei verschie- 
denen Faserklassen und fasst insbesondere die „Reizerschlaffung“ als 
eine Folge der direkten Erregung hemmender Nervenfasern auf. Ohne 
diese Annahme durch die vorliegenden Thatsachen für sicher be- 
wiesen zu halten, wird man doch den Gründen zustimmen müssen, 
welche P. dafür beibringt, dass es sich hier nicht um eine Ermü- 
dungserscheinung des Muskels handelt. Dagegen spricht schon der 
Umstand, dass sich selbst überlassene Präparate Tage lang im Zu- 
stande maximaler, tonischer Verkürzung verharren können; auch lässt 
sich durch Reizung des Mantels reflektorisch Zusammenziehung des 
Muskels erzielen, an welche sich niemals eine sekundäre Erschlaffung 
anschließt. 

Da die Verbindungsnerven nicht direkt, sondern nur unter Ver- 
mittlung gangliöser Elemente mit dem hintern Muskel in Verbindung 
stehen, so erhebt sich vor allem die Frage, ob die „Reizerschlaffung“ 
durch eine unmittelbare Hemmung der Thätigkeit des Muskels oder 
zunächst nur des zugehörigen nervösen Zentrums bedingt ist, etwa 
in der Weise, wie man sich noch immer vielfach das Zustandekommen 
der Gefäßerweiterung bei Reizung vasodilatatorischer Nerven vorstellt. 
Während man aber hier die peripheren, „tonisierenden“ Zentren nicht 
mit Sicherheit nachzuweisen vermochte, bietet sich das Ganglion des 
hintern Schließmuskels unmittelbar dem Experimente dar. Offenbar 
müsste, wenn die „detonisierenden“ Fasern der Verbindungsnerven 
dadurch Erschlaffung des hintern Muskels herbeiführen, dass sie das 
motorische Ganglion desselben außer Thätigkeit setzen, auch schnelle 
Erschlaffung eintreten, wenn das Ganglion exstirpiert wird. Dies ist 
jedoch nicht der Fall. Es scheint hieraus hervorzugehen, dass die 
betreffenden Nervenfasern direkt auf den Muskel einwirken, „indem 
sie durch ihre Thätigkeit in demselben einen Vorgang einleiten, der 
zu schneller Abnahme des Tonus führt“. Um diese Annahme zu 
prüfen, reizte P. auch die kurzen, zwischen Ganglion und Muskel ge- 
legenen Nervenfädchen sowohl am hintern wie auch, wo es leichter 
ausführbar, am vordern Muskel. Dabei wurden beiderseits dieselben 
Erscheinungen beobachtet, wie bei Reizung der Verbindungsnerven. 
Auch chemische Reize zeigten sich bier wie dort in gleicher Weise 
wirksam, und dann trat oft Erschlaffung der Muskeln primär ohne 
vorhergehende Verkürzung ein. 

P. fasst schließlich seine Anschauungen bezüglich der verwickelten 
Innervationsverhältnisse der beiden Schließmuskeln von Anodonta in 
folgenden Sätzen zusammen: „Zu den Schließmuskeln gehen 2 Klassen 
von Nervenfasern, die einen motorische, welche Verkürzung, die 
anderen, wie man heute wohl sagen würde, hemmende, welche den 
verkürzten Zustand des Muskels aufheben und Erschlaffung desselben 
herbeiführen. Die motorischen Nerven entspringen für jeden der 


26 Meissl, Untersuchungen über den Stoffwechsel des Schweins. 


beiden Muskeln aus dem zunächst gelegenen Ganglion; die hemmen- 
den oder erschlaffenden Fasern gehen insgesamt aus den vorderen 
Ganglien hervor. Sie werden dem vordern Schließmuskel durch die 
kurzen, ihm von den vorderen Ganglien zugesandten Nervenstämmehen, 
dem hintern Muskel durch die Verbindungsnerven zugeführt. Das 
hintere Ganglion fungiert für den hintern Schließmuskel als motori- 
sches Zentrum, die vorderen Ganglien spielen dieselbe Rolle gegen- 
über dem vordern Schließmuskel. Die motorischen Zellen der beider- 
seitigen Ganglien können sowohl von peripherischen Nervenfasern 
(des Mantels, der Kiemen) als durch gewisse Fasern der Verbindungs- 
nerven in Thätigkeit versetzt werden. Die vorderen Ganglien sind 
überdies im stande, in beiden Schließmuskeln Erschlaffung herbeizu- 
führen“. 
Biedermann (Prag). 


E. Meissl (unter Mitwirkung von F. Strohmer und N. v. 
Lorenz), Untersuchungen über den Stoffwechsel des 
Schweins. 

Zeitschrift f. Biologie, Bd. XII, S. 63—160. 

Diese mit dem Pettenkofer’schen Respirationsapparat ausge- 
führten Stoffwechselversuche haben den unmittelbaren Beweis geliefert, 
dass das Schwein einen großen Teil seines Körperfettes aus den 
Kohlehydraten der Nahrung zu bilden vermag. 

Zu den Versuchen dienten verschnittene männliche Schweine, teils 
der großen Yorkshire-Rasse, teils der ungarischen Esseger -Rasse, 
von denen je zwei Tiere gewöhnlich gleichartig gefüttert wurden; 
das eine wurde zur Ausführung des Bilanzversuches verwendet, das 
andere zur Vergleichung der Lebendgewichtszunahme mit dem ersten 
benutzt. Als Futtermittel wurden nur möglichst einfache (Reis, Gerste, 
Fleischmehl, Molke) benutzt, deren Zusammensetzung sich leicht und 
zweifellos ermitteln ließ. Zur Zeit der Bilanzversuche standen die 
Schweine im Alter von 14 bis 18 Monaten. Jedem Bilanzversuche 
ging eine längere Vorfütterung voraus. 

Während des ersten siebentägigen Bilanzversuches nahm ein 
l4monatliches Yorkshireschwein von 140 kg Lebendgewicht täglich 
zu sich: 2 kg Karolina- Reis, 10 1 Quellwasser und 15 g Kochsalz. 
Die Lebendgewicht- Zunahme betrug 3,5 kg oder 0,5 kg täglich. 

Dem zweiten, ebenfalls siebentägigen Bilanzversuche diente 
ein 16monatliches Ungarschwein von 68,8 kg Lebendgewicht, das 
täglich verzehrte: 2 kg indischen Reis, 10 1 Brunnenwasser und 108 
Kochsalz und dabei an Lebendgewicht zunahm 4 kg oder 0.57 kg 
täglich. 

Zu dem dritten fünftägigen Bilanzversuche diente das York- 
shireschwein des ersten Reisversuches von 124,1 kg Lebendgewicht; 








Meissl, Untersuchungen über den Stoffwechsel des Schweins. 


27 
es verzehrte täglich 1900 & Gerste, 10 1 Wasser und 15 g Kochsalz, 
wobei es während des fünftägigen Versuches an Lebendgewicht zu- 
nahm 1,8 ke. 

Der vierte Bilanzversuch geschah mit dem Ungarschwein des 
2. Reisversuches. Das nunmehr 18 monatliche Tier wog bei Beginn 
des siebentägigen Bilanzversuches 102 kg, nahm während desselben 
um 3,ökg an Lebendgewicht zu und verzehrte täglich 150 g italieni- 
schen Reis, 400 g amerikanisches Fleischmehl und 8 kg Molke. 

Außerdem wurden zwei Versuche angestellt bei Entziehung der 
Nahrung, einmal ein dreitägiger mit eintägiger Benutzung des Re- 
spirationsapparates, das andermal ein fünftägiger mit zweimal 24 stün- 
digen Respirationsversuchen, von denen der eine vom Morgen bis zum 
andern Morgen, der andere vom Abend bis zum andern Abend dauerte 
und den Zweck hatte die Kohlensäure - Ausscheidung je bei Tag und 
bei Nacht festzustellen. 

Die durchschnittlich täglichen Einnahmen und Ausgaben betrugen 
in den vier Fütterungsversuchen in Grammen: 












































Kohlenstoff Stickstoff Asche Kochsalz 
{eb} i N © i ie o© h ie 1.70 A 1 
Bea? 5822188 je: #2 88[25 22 88|a5 32388 
as «al33 [BE <H:2Pp5 <an52faT <arz2 
4. Reisversuch 765,37 476,15 289,22 18,67112,59| 6,08] 9,65 7,48 2,17114,43113 56 0,57 
2. Reisversuch 785,80]446,62 339,2 |21,80113,98| 7,82|10,23) 8,05| 2,18] 9,62) 9,20) 0,42 
Versuch mit Gerste [725,41 574,31.151,10 29,0123,56 5,45 42,83,39, 78| 3,0514 43113, 94 0,49 
Versuch mit Reis, | 
Fleischmehl, Molkej672, 49) 455,51/216,98[69,94.62,72! 7,22]45,40 luı.aa) 3,97110,88110,34, 0,54 


Das im Körper angesetzte Fett ergibt sich aus dem im Körper 
zurückgebliebenen Kohlenstoff nach Abzug des im Eiweiß angesetzten, 
da wenigstens zum weitaus überwiegenden Teile keine andere kohlen- 
stoffreiche Verbindung außer Eiweiß und Fett im Körper vorkommt. 
Die gewöhnlich angenommene Zusammensetzung des Eiweißes mit 
16°/, N und 53°], C und der mittlere Kohlenstoffgehalt des Schweine- 
fettes mit 76,5°/, zu Grunde gelegt, berechnen sich folgende, täglich 
angesetzte Fettmengen: 


























SS TEE Sn || F= = - = 
Sand ELENA SO EN E 
Versuche E & ss | 2 8 >87 E 8 BE 

Az 1 Ba| 3 sQ 3 A 
1. Reisversuch 38,00 [20,10 8289.22 8269,12 g 351,8 g1 : 9,3 
2. Reisversuch 48,88 125,91 1339,20 1313,29 409,5 12:7854 
Versuch mit Gerste 34,06 118,05 1151,10 1133,05 1173,9 1: 5,1 

Versuch mit Reis, Fleisch- 

mehl, Molke 45,13 123,92 1216,98 [193,06 1252,4 11:56 


Denkt man sich das Eiweiß unter Wasseraufnahme und Harn- 
stoffabspaltung zerfallend, so können sich nach Henneberg aus 


28 Meissl, Untersuchungen über den Stoffwechsel des Schweins. 


100 g Eiweiß höchstens bilden 51,39 g Fett neben 33,45 g Harnstoff 
und 27,4 g Kohlensäure. Wenn unter dieser Annahme, das aus dem 
Eiweiß entstandene und das verdaute Nahrungsfett nicht hinreichen, 
um das im Körper angesetzte zu decken, so müssen dann noch die 
Kohlehydrate als Fettbildner herangezogen werden, da nur noch diese 
in größerer Menge in der Nahrung vorkommen und zugleich die zur 
Fettbildung notwendigen Elemente enthalten. 

Stellt man unter den erwähnten Annahmen die Fettbildung für 
die vier Fütterungsversuche auf, wobei als Erzeugung das im Kör- 
per angesetzte und das im Kot ausgeschiedene Feit gegenüber ge- 
stellt wird der Aufnahme aus dem Nahrungsfett, dem Eiweiß (in 
höchstmöglicher Menge) und dem Kohlehydraten, so erhält man: 
































Aufnahme Erzeugung 

aus der | aus aus Koble-| im im Körper 

Yeraueht Nahrung | Eiweiß | hydrat Kot angesetzt 

R absol.| °/, |absol.| °/,  absol.| °/. labsol.| 9, labsol.| %, 

1. Reisversuch 7,94 2,3 33,60, 9,51312,38|88,2] 2,12] 0,6 351,899,4 

2. Reisversuch 16,40) 3,9| 33,00| 7,81363,79|88,3| 3,69] 0,9) 409,5/99,1 

Versuch mit Gerste 15,17 7,3) 45,22,21,61148,35 71,1] 34,84|16,7| 173,9/83,3 
Versuch mit Reis, Fleisch- | 

mehl, Molke 48,56/18,91196,13 76,5] 11,65] 4,6] 3,94) 1,6| 252,4|98,4 











Hieraus ergibt sich, dass selbst unter den ungünstigsten Annahmen 
in den drei ersten Fällen die weitaus überwiegende Menge des neu- 
gebildeten Fettes (71—88°/,) aus den Kohlehydraten entstanden sein 
muss. Das Kohlehydrat, aus dem das Fett erzeugt wurde, war in 
den beiden ersten Versuchen bloß Stärkemehl, da der Reis kein anderes 
Kohlehydrat enthält; bei der Gerstenfütterung im wesentlichen eben- 
falls Stärkemehl und der diesem gleich zusammengesetzte Anteil der 
verdauten Rohfaser. Da sich im Reiskot keine und im Gerstenkot 
nur Spuren von Stärkemehl nachweisen ließen, so muss das ganze 
Stärkemehl als verdaut betrachtet werden. Nimmt man nun an, dass 
in der Gerste die übrige stiekstofffreie Substanz gleichwertig mit 
Stärke ist, und dass sich der unverdaute Teil dieser Substanz mit 
dem verdauten Teil der Rohfaser ausgleicht, so kommen als Material 
für die Fettbildung die Gesamtmengen der verzehrten stiekstofffreien 
Substanzen mit der Zusammensetzung des Stärkemehls inbetracht. 
Aus dem Vergleich der Menge der verzehrten Kohlehydrate mit der 
des daraus erzeugten Fettes ergibt sich nun, wie viel Fett aus 100 g 
Kohlehydrate von der Zusammensetzung des Stärkemehls mindestens 
entstanden sein musste. 


Stärke Daraus Fett aus 
verzehrt. Fett erzeugt. 100 g Stärke. 
1. Reisversuch 1592,3 312,4 19,6 
2. " 1575,2 363,8 23,1 


Gerstenversuch 1250,6 148,4 11,9. 


H. Virchow, Zonula und Petit’scher Kanal. 29 


Denkt man sich das Stärkemehl im Tierkörper, ähnlich wie das 
Eiweiß, in sich selbst zu Fett, Kohlensäure und Wasser zerfallend, 
so können 100 g Stärkemehl (oder 111,1 g Zucker) höchstens liefern: 
41,1 g Fett, 47,5 g CO, und 11,4g (bezw. 22,5 g) H,O. Nimmt man 
an, dass dieser Zerfall wirklich vor sich gegangen ist, so sind bei 
der Reisfütterung mehr als die Hälfte, bei der Gerstenfütterung mehr 
als ein Viertel des theoretisch möglichen Fettes thatsächlich aus dem 
Stärkemehl hervorgegangen; in Wirklichkeit wahrscheinlich sogar noch 
mehr, da aus dem Eiweiß gewiss eher weniger als die oben ange- 
nommene Menge Fett gebildet wurde, und deshalb noch mehr als 
berechnet aus den Kohlehydraten erzeugt worden sein musste. 


Aber auch bei dem Fleischmehlversuche — selbst unter 
der Annahme, dass aus dem Eiweiß die höchstmögliche Fettmenge 
entstanden sei — reicht letztere im Verein mit dem Nahrungsfett 


nieht hin, um den Fettansatz zu decken, sondern es muss immer noch 
eine Kleinigkeit Fett (11,65 g) als aus Kohlehydraten entstanden ge- 
dacht werden. Da es aber sehr unwahrscheinlich ist, dass die Spal- 
tung von Eiweiß in Harnstoff, Fett und Kohlensäure glatt ohne Bil- 
dung von Nebenprodukten vor sich gelit, so dürfte der höchstmögliche 
Fettanteil (51,4 °/,) bei der Spaltung von Eiweiß wohl nicht erreicht 
worden sein. Es wäre auch, nachdem einmal die Bildung einer be- 
trächtlichen Menge von Fett aus Kohlehydraten im Organismus des 
Schweines nachgewiesen ist, gänzlich ungerechtfertigt anzunehmen, 
dass bei der Fleischmehlfütterung gar kein Fett aus Kohlehydraten 
entstände, dafür aber aus Eiweiß die denkbar höchste Menge. 

Die Ergebnisse der Stoffwechselversuche wurden vollkommen be- 
stätigt durch die Schlachtung von drei Yorkshireschweinen, welche 
zum Vergleiche mit Reis (dasselbe Tier das dem ersten Reisversuche 
gedient hatte), mit Gerste und Fleischmehl gefüttert wurden. Das 
Reisschwein war das fetteste und sein Fett das festeste, hierauf folgte 
das Gerstenschwein und schließlich als magerstes das Fleischmehl- 
schwein. 

Die Ergebnisse der Hungerversuche können hier übergangen wer- 
den, da sie die Frage der Fettbildung aus Kohlehydraten nicht be- 
rühren. M. Wilekens (Wien). 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften, 
Physiologische Gesellschaft zu Berlin. 
Sitzung vom 16. Januar 1885. 
Herr Hans Virchow sprach „über den Bau der Zonula 
und des Petit’schen Kanales“. 
Der Glaskörper ist gegen den Petit’schen Raum durch eine Haut 
abgeschlossen. (Das Genauere über diese Bildung lässt sich am besten 


30 H. Virchow, Zonula und Petit’scher Kanal. 


in Verbindung mit dem Glaskörper besprechen. Es handelt sich aller- 
dings nicht um eine einfache Haut, sondern um ein eigentümliches 
diehtes Gewebe, welches jedoch immerhin den Namen einer Haut zu 
tragen verdient.) Der Petit’sche Raum ist mit Fasern, der soge- 
nannten Zonula, erfüllt, und gegen die hintere Augenkammer nicht 
durch eine Haut abgeschlossen. Zwischen dieser Fasermasse und der 
Oberfläche des Glaskörpers ist ein Spalt, allerdings größtenteils nur 
ideeller Natur, vorhanden. Die beiden sich widersprechenden in der 
Literatur vorhandenen Anschauungen, nach deren einer der Petit’sche 
Raum von Fasern frei und die Zonula die vordere, durch eine Mem- 
bran oder durch Fasern gebildete Wand dieses Kanales, nach deren 
anderer der Petit’sche Raum von Fasern durchsetzt ist, erklären 
sich aus der Verschiedenheit des Untersuchungsverfahrens. Die erste 
Anschauung wird nämlich gewonnen, wenn man durch Entfernung 
der Iris und der Ciliarfortsätze die Zonula von vorn her frei legt und 
Luft oder Flüssigkeit hinter dieselbe treibt; die andere, wenn man 
radiäre Schnitte anfertigt. Im ersten Falle wird der hinter der 
Zonula gelegene Spalt ausgedehnt und bietet das zwar sehr sinnfällige 
aber auch sehr unnatürliche Bild eines weiten Kanales, im andern 
Falle erhält man von dem Spalt gar keine oder doch nur eine sehr 
wenig auffallende Ansicht, erbliekt dagegen die Fasermasse in ihrer 
ganzen Dicke. Das Verhältnis kann noch eindringlicher vorgestellt 
werden, wenn man sich einen Augenblick auf den Standpunkt Han- 
nover’s stellt: Dieser zeichnete von den Spitzen der Falten je eine 
Membran an die vordere und an die hintere Fläche der Linse, welche 
zwischen sich einen Raum fassten (den von der Fasermasse erfüllten 
Raum), welchen Hannover für den Petit’schen Kanal nahm; außer- 
dem aber einen Spalt, der von der Glaskörperhaut hinten und von 
den Ciliarfortsätzen und der hintern Wand des Petit’schen Raumes 
(im Sinne Hannover’s) vorn begrenzt war. Den letzterwähnten Spalt 
nannte in der Folge Finkbeiner den Hannover’schen Kanal. 
Diese Anschauung hat insofern einen klärenden Wert, als in ihr 
zwei häume vorhanden sind, von denen der eine mit dem Petit’schen 
Raume der Injektionen, der andere mit dem der radiären Schnitte 
annähernd identisch ist. Man kann sich leicht von dieser allerdings 
schematischen Hannover-Finkbeiner’schen Darstellung zu dem 
wahren Sachverhalt erheben, wenn man nur berücksichtigt, dass weder 
die Zonula gegen die hintere Augenkammer, noch der prävitreale 
bezw. postzonale Spalt gegen die Zonula durch eine Membran abge- 
schlossen, und dass besonders an der hintern Fläche die Begrenzung 
der Zonula keine scharfe ist, indem hier die Fasern lockerer liegen 
und dünner sind. Die dieksten Fasern findet man (wenigstens ist 
das bei der Ziege in ausgesprochenem Maße der Fall) an der vordern 
Seite, unmittelbar hinter den Falten in dichter Lage. Uebrigens muss 
ausdrücklich betont werden, dass zum Studium dieses Verhältnisses 








Dupuy, Erster Atemzug beim Fötus. Sl 


neben den radiären Schnitten auch Querschnitte durch die Zonula 
unerlässlich sind, denn auf den ersteren erscheinen diese Fasern unter 
dem Bilde eines homogenen Streifens; welcher ebenso gut der Ausdruck 
einer quergeschnittenen Membran sein könnte; auf Querschnitten da- 
gegen ist leicht festzustellen, dass es sich um Fasern handelt, die 
allerdings sehr dicht liegen, sich zum Teil berühren und gewiss auch 
mitunter verbunden sind. Die Fasern der Zonula werden sodann in 
der Nähe des Linsenäquators durch sehr reiche Teilung, die beson- 
ders beim Hunde überaus schön ist, ganz fein und ihre Anhäufung 
in demselben Maße sehr dicht, so dass bei der Ziege unmittelbar an 
der Linse das Bild einer granulierten Substanz entsteht, in welcher 
die einzelnen Fasern nicht mehr zu erkennen sind. Die Fasern gehen 
nicht nur an die vordere und hintere Fläche der Linsenkapsel, son- 
dern auch an den dazwischengelegenen Abschnitt, welcher dem Linsen- 
äquator angehört, und heften sich hier unter zunehmenden Winkeln, 
in der Mitte rechtwinklig (Hund) an. Die Frage, ob die Fasern frei 
durch Flüssigkeit hindurchgespannt seien, oder ob eine Kittsubstanz 
sie verbinde, konnte nicht sicher entschieden werden, indem die Bilder 
bald mehr für das eine, bald mehr für das andere sprachen. Ver- 
bindungen zwischen der Zonula und der Glaskörperoberfläche wurden 
in ausgesprochener, charakteristischer Form nur im Bereiche des 
Orbieulus eiliaris (Orang, Kaninchen) gefunden. 


Societe de Biologie. 
Sitzung vom 16. Januar 1886. 

Herr Eugene Dupuy sprach „über die Ursache des ersten 
Atemzuges beim Fötus“. 

Die Physiologen sind nicht unter einander einig über die Ursache, 
welche den ersten Atemzug des Fötus bewirkt, noch über den Zu- 
stand, in welchem dieser sich befindet im Augenblicke der Geburt. 

Ich sah in diesen Tagen an einer trächtigen Hündin kurz vor 
der Wurfzeit, nachdem der Uterus aufgeschnitten war, so dass man 
die Jungen innerhalb des Amniossacks sehen konnte, jedesmal wenn 
eine Ligatur um die Trachea der Mutter gelegt wurde, einige Minuten 
darauf heftige Atembewegungen der beiden Jungen auftreten. Man 
sah dabei die Amniosflüssigkeit im Strahl aus den Nasenlöchern der 
Jungen herauskommen. Ließ man die Mutter frei atmen, so hörten 
innerhalb 7 Minuten die Atembewegungen der Jungen auf. Man 
konnte den Versuch mit dem nämlichen Erfolg mehrmals wiederholen. 
Die Umgebungstemperatur, 26° C., schien mir keinen Einfluss auf 
die Erscheinung auszuüben. 

Ich eröffnete Bauchhöhle und Uterus bei drei trächtigen Meer- 
schweinchen in einem Wasserbade von 29°. Die unvermeidlichen 


39 Wertheimer, Atmungscentra des Rückenmarks. 


ns 


Zerrungen waren offenbar die Ursache von Atembewegungen, welche 
anfangs beobachtet wurden; doch hörten diese binnen kurzem auf, 
nachdem die Teile so gelagert waren, dass die Bluizirkulation unge- 
hindert vor sich ging. Auch nachdem die Jungen innerhalb des 
Amnios der umgebenden Luft ausgesetzt wurden, indem man das 
Wasser aus dem Gefäße, in welchem sie mit der untern Körperhälfte 
ihrer Mutter lagen, ausfließen ließ, machten sie keine Atembewegungen. 
Sobald ich aber die Gefäße, welche ihnen das mütterliche Blut zu- 
führen, zwischen die Finger nahm, machten sie nach Verlauf von 
2 Minuten sehr heftige Ein- und Ausatmungsbewegungen. Wenn ich 
während der Zusammendrückung der Gefäße thermische oder mecha- 
nische Reize auf die Kleinen einwirken ließ, so waren diese anfangs 
wirkungslos, später aber, nach Verlauf von 2 Minuten, riefen sie deut- 
liche Atembewegungen hervor. Es geht also aus allen meinen Beob- 
achtungen hervor, dass Atembewegungen beim Fötus nur auftreten, 
wenn sich Kohlensäure in einer gewissen Menge in ihrem Blut an- 
gesammelt hat, und dass auch mechanische oder thermische Reize 
nur in dieser Periode Atembewegungen auslösen können. Woraus 
folgt, dass die eigentliche Ursache des ersten Atemzuges die Anwesen- 
heit von Kohlensäure in einer das Normale übersteigenden Menge in 
dem die Gefäße der Medulla oblongata durehströmenden Blute sein muss. 


Sitzung vom 30. Januar 1886. 

Herr E. Wertheimer sprach „über die Atmungscentra 
des Rückenmarkes“. 

Wie P.Rokitanski und Langendorff konnte auch W. Atem- 
bewegungen an Säugetieren nach Abtrennung der Medulla oblongata 
beobachten, nicht bloß an jungen, sondern auch an ausgewachsenen 
Tieren, mit oder auch ohne Anwendung von Strychnin, wenn die 
künstliche Atmung nach stundenlanger Unterhaltung ausgesetzt wurde. 
Er glaubt sich zu dem Schluss berechtigt, dass das Rückenmark nicht 
bloß das anatomische Zentrum der Atemnerven sei, sondern auch ein 
Zentrum im physiologischen Sinne, ein Zentrum, von welchem selb- 
ständig rhythmisehe Bewegungen der Atemmuskeln veranlasst werden. 
Dieses Zentrum könnte ohne Reflex nur durch die Beschaffenheit des 
in ihm zirkulierenden Bluts in Erregung geraten !). 


1) Anm. d. Red.: Vgl. Rosenthal, Altes und Neues über Atembewegungen. 
B101..Chl2 Bd. I.Nr: 2,3, 4, 6.0.7: 





Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün- 
schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an- 
zugeben. 

Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man 
an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘‘ zu richten. 








Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. 


Biologisches Oentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 





24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 








VL Band. 


15. März 1886. Nr. 2. 








Inhalt: Weismann, Zur Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften. — 
Kowalevsky, Zur embryonalen Entwicklung der Museiden. — Zuntz und 
Geppert, Ueber die Natur der normalen Atemreize und den Ort ihrer Wir- 
kung. — Paneth, Ueber die Erregbarkeit der Hirnrinde neugeborner Hunde. — 
Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Physikalisch - medizinische So- 
zietät in Erlangen. — Wittrock, Ueber die Geschlechter-Verteilung bei Acer 
platanoides L. und einigen andern Acer- Arten. 





Zur Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften. 


Von Dr. August Weismann, 
Professor in Freiburg i. Br. 

In Bd. V Nr. 22 dieser Blätter hat Herr Prof. Kollmann ein 
Referat oder vielmehr eine Kritik meiner kürzlich erschienenen Schrift 
„Ueber die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die 
Selektionstheorie“!) gegeben. So angenehm es mir sein muss, 
dass meine Arbeiten hier besprochen werden, so kann es mir doch 
auch anderseits nicht gleichgiltig sein, wenn meine Ansichten in viel- 
fach missverstandener Form einem großen Leserkreis vorgeführt 
werden. Mein Kritiker aber hat mich in der That in so wesentlichen 
Punkten missverstanden, dass ich fast an meiner Fähigkeit, mich 
klar auszudrücken, irre werden könnte. Ich mache ihm daraus keinen 
Vorwurf, denn man kann gewiss ein vortrefflicher Anatom und An- 
thropolog sein und doch nieht vollständig eingearbeitet in die Ge- 
dankenkreise der Deszendenzlehre; für mich aber möchte ich daraus 
das Recht ableiten, meine Sache hier noch einmal selbst führen zu 
dürfen. 

Zunächst einige Worte zur Rechtfertigung des eben Gesagten! 





1) Vortrag in der ersten allgemeinen Sitzung der Naturforscherversamm- 
lung zu Straßburg. Abgedruckt zuerst im Tageblatt der 58. Versammlung, 
S. 42 u. fg., 1885; in veränderter und mit Zusätzen versehener Form im Buch- 
handel erschienen bei Gustav Fischer, Jena, 1886. 


N: 3 


34 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 


Wenn über Selektion gesprochen werden soll, so ist es wohl 
unerlässlich, dass man klar darüber sei, was darunter verstanden 
wird. Dieser Forderung kommt mein verehrter Freund nicht so voll- 
ständig nach, als es zu wünschen wäre. 

Bekanntlich ist das Selektionsprinzip das einzige, welches die 
Zweckmäßigkeiten der Organismen auf naturwissenschaftlichem Wege 
erklärt, man könnte auch sagen: auf natürlichem Wege, denn 
wenn man das Selektionsprinzip nicht annehmen könnte, bliebe zur 
Erklärung der organischen Zweckmäßigkeiten nur die Annahme eines 
zweckthätigen Prinzips, d. h. des Wunders. Die Fähigkeit der Or- 
ganismen, sich den Lebensbedingungen anzuschmiegen, sich so zu 
gestalten, wie es den wechselnden Lebensbedingungen gegenüber am 
zweckmäßigsten ist, nennt man bekanntlich ihre Anpassungsfähig- 
keit, die zweckmäßigen Einrichtungen selbst aber bezeichnet man 
als Anpassungen und erklärt sie durch Häufung der nützlichen 
individuellen Variationen durch wiederholtes Ueberleben ihrer Träger 
im Kampf ums Dasein. Nach Kollmann versteht man aber „nach 
allgemeiner Anschauung unter Anpassung nichts Anderes, als die Er- 
werbung einer bestimmten Eigenschaft während des individuel- 
len Lebens unter dem Druck äußerer Agentien“. „Individuen 
sind es, die sich anpassen, deren Organismus sich entsprechend um- 
ändert, eine neue Eigenschaft ‘erwirbt. Nur so wird ein neuer 
Charakter erworben, so denkt sich der Darwinismus die 
Anpassung.“ 

Hier liegt eine unglückliche Verwechslung vor, die auf dem ver- 
schiedenen Sinn beruht, in welchem das Wort Anpassung gebraucht 
wird. Anpassungen im Sinne der Darwin’schen Selektionstheorie 
werden eben grade nicht im Einzelleben gewonnen, sondern nur 
im Artleben, d. h. in einer Reihe von Generationen, und durch Aus- 
wahl der besten aus einer großen Zahl von Individuen. Das Er- 
klärende des Selektionsprinzips liegt eben grade darin, dass die 
nützlichen Abänderungen nicht schon von vornherein bei ein- 
zelnen Individuen als gegeben angenommen werden müssen, SOn- 
dern dass sie sich erst zusammensetzen im Laufe der Generationen 
aus den kleinen individuellen Abweichungen, welche man that- 
sächlich beobachtet. Individuen passen sich nicht an nach 
der Selektionstheorie, sondern sie werden nur ausgewählt, die bes- 
seren zur Nachzucht, die schlechteren zum Untergang, und die Rolle 
des Züchters spielt der Kampf ums Dasein. Das ist die einzige Art 
der Anpassung, welche Darwin gekannt hat, die einzige, aus wel- 
cher er die Artumwandlung zum großen Teil herzuleiten suchte. 

Da das Biologische Centralblatt einmal meine Schrift eines Re- 
ferates wert gehalten hat, so wird es vielleicht nicht unerwünscht 
sein, wenn ich einige der wesentlichsten Punkte meiner Ansichten 
richtig zu stellen versuche. 





Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 35 


Der Gedankengang meiner Schrift ist der folgende. Die Grund- 
lagen oder die Voraussetzungen von Selektionsvorgängen sind: Ver- 
erbung, Variabilität und Kampf ums Dasein. Letzterer kommt hier 
nicht in betracht, wohl aber die beiden andern Faktoren. Durch 
frühere Untersuchungen war ich zu der Ueberzeugung geführt wor- 
den, dass die Vererbung darin ihren Grund habe, dass die Keim- 
substanz, aus welcher das Kind entsteht, nichts Anderes ist, als ein 
Rest der Keimsubstanz, aus welcher auch der „Aelter“t) sich seinerzeit 
entwickelt hatte. Dieses Verhältnis bezeichnete ich als „Konti- 
nuität des Keimplasmas“, indem ich unter Keimplasma jene 
minimale Substanz begriff, von deren molekülarer und chemischer 
Zusammensetzung es abhängt, dass das Ei sich zu einem Tier von 
bestimmten Eigenschaften entwickelt, zu einem Affen, oder einer 
Gans, zu einem Neger, oder Kaukasier, zu einem Holländer oder 
Deutschen, zu einem Müller oder Schulze. Das Biologische Central- 
blatt hat über die beiden Schriften ?), in welchen diese Theorie dar- 
gelegt wurde, bisher kein Referat gebracht, so dass seinen Lesern 
vielleicht damit gedient ist, wenn ich hier einiges darüber einflechte. 
Ohnehin ist die Kenntnis der dort ausgesprochenen Ansichten uner- 
lässlich zum Verständnis der jetzt von Kollmann besprochenen 
Schrift. 

Ich stelle mir vor, dass von der wirksamen Substanz des Keimes, 
dem Keimplasma, stets ein Minimum unverändert bleibt, wenn 
sich der Keim zum Organismus entwickelt, und dass dieser Rest des 
Keimplasmas dazu dient, die Grundlage der Keimzellen des neuen 
Organismus zu bilden. Diese Vorstellung lässt sich heute weder 
direkt noch indirekt gradezu erweisen, aber sie lässt sich wenigstens 
besser durch Thatsachen stützen, als die bisherige Anschauung von 
der Neuerzeugung des Keimstoffes im Organismus, und sie bietet eine 
Handhabe zum Verständnis des Vorgangs der Vererbung, indem sie 
ihn auf einfaches Wachstum zurückführt. Sie parallelisiert ihn mit 
der Fortpflanzung der Einzelligen, bei welchen auch dieselbe Substanz 
fort und fort wächst und neue Individuen nur dadurch entstehen, 
dass sie sich von Zeit zu Zeit teilt. Der Unterschied zwischen Ein- 
zelligen und Vielzelligen bestünde sonach nur darin, dass bei den 
letzteren jeder Teilung der „Keimsubstanz“ ein Entwicklungsprozess 
nachfolgt, der zur Bildung eines vielzelligen Individuums führt. Dies 
überwiegt dann zwar an Masse ganz unendlich über den unverbraucht 
zurückbleibenden Rest des Keimplasmas, aber in genetischer Be- 
ziehung ist es doch nur ein Nebenprodukt der ewigen Keimsubstanz, 





1) Dieser Singularis von „Aeltern“ rührt von Nägeli her und verdient, wie 
mir scheint, angenommen zu werden. 

2) Weismann, „Ueber die Vererbung“ Jena 1883 und „Ueber die Konti- 
nuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der Vererbung“ Jena 1885. 


3# 


36 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 


ist dem Tod verfallen, muss sterben nach einiger Zeit, während die 
Keimsubstanz unter dem Schutze und der Ernährung des vielzelligen 
Körpers (Soma) weiter wächst, sich an Masse vermehrt und neue 
Keimzellen liefert, die die Fähigkeit besitzen, eine folgende Genera- 
tion von Körpern (Somata) hervorzubringen, in welchen sich derselbe 
Prozess von neuem abspielt. Man kann sich also das Keimplasma 
unter dem Bilde einer lang dahinkriechenden Wurzel vorstellen, von 
welcher sich von Strecke zu Strecke einzelne Pflänzchen erheben: die 
Individuen der aufeinanderfolgenden Generationen. Hugo Spitzer!) 
drückt meine Anschauung in seinem ausgezeichneten kürzlich er- 
schienenen Buch in sehr schöner und treffender Weise folgender- 
maßen aus. Er meint, nach meiner Anschauung wäre „die Keimzelle 
das eigentlich schöpferische Gebilde in der organischen Welt, welches 
die mannigfachen Formen der Organisation nicht bloß erhält und 
überträgt, sondern auch ursprünglich ausprägt, so dass jede Beharrung 
wie jede Veränderung der Typen auf die Schicksale des Zeugungs- 
elementes gegründet erschiene. Der ganze übrige Organismus stellte 
sich gewissermaßen als ein Appendix an der Keimzelle dar und bliebe 
daher unverändert, so lange die molekülare Konstitution der Keim- 
zellen keine Veränderung erfährt, während jede Störung dieses Ge- 
füges auch eine entsprechende Umwandlung des Gesamtorganismus 
zur Folge haben würde.“ 

Mit diesem Zitat habe ich der Entwicklung meiner Ansichten 
vorgegriffen, denn Spitzer behandelt in ihm nicht bloß das Gleich- 
bleiben der Generationen, sondern auch ihre unter Umständen ein- 
tretende Veränderung, also nicht nur die Erscheinung der Ver- 
erbung, sondern auch die der Variation. Beides muss nach 
meiner Theorie auf dem gleichen Grunde beruhen, nämlich auf der 
Kontinuität des Keimplasmas; nur wenn das Keimplasma sich än- 
dert, kann und muss auch eine dauernde Aenderung an dem Körper 
der folgenden Generation eintreten. 

Aus der Kontinuität des Keimplasmas folgt keineswegs — wie 
Kollmann meint — eine auf alle Zeiten hinaus reichende Unver- 
änderlichkeit der Arten (siehe a. a. ©. 8.677 oben). „Es folgt daraus 
nicht einmal, dass die Generationen sich vollständig gleich bleiben 
müssen, so lange das Keimplasma vollständig gleich bleibt.“ „Erwor- 
bene“ Eigenschaften können sehr wohl neu auftreten bloß durch 
Einwirkung neuer Einflüsse auf den Körper (Soma) einer Genera- 
tion im Gegensatz zu den Keimzellen. Ich meine, in meiner letzten 
Schrift den Unterschied von erworbenen und ererbten Eigenschaften 
scharf hingestellt zu haben; es werden dort die Versuche von Nägeli 
mit SupenD Dane aresitun, die im Gartenland sich fast bis zur Un- 


1) Hugo nie: „Beiträge zur Deszendenztheorie und zur Methodologie 
der Naturwissenschaft*. Leipzig 1886. 





Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 37 


kenntlichkeit der Species veränderten, aber dabei Samen lieferten, 
die auf magerem Boden wieder zur ursprünglichen alpinen Form er- 
wuchsen, somit bewiesen, dass die im Gartenland angenommenen 
Charaktere mit keiner Veränderung des Keimplasmas verknüpft waren. 
Seit langer Zeit schon versteht man unter „erworbenen“ Eigenschaften 
solche, die infolge äußerer Einwirkungen auf den Organismus ent- 
stehen, im Gegensatz zu solchen Eigenschaften, welche aus der Be- 
schaffenheit des Keimes selbst hervorgehen. In diesem Sinne wird 
der Ausdruck bei Darwin gebraucht, in diesem Sinne bei Hensen, 
bei His, du Bois-Reymond, Götte, Spitzer, kurz bei allen 
denen, die selbst über Deszendenzlehre gedacht und geschrieben haben. 
Ich habe diese im Laufe eines Einzellebens erworbenen Charaktere 
auch als passante bezeichnet, weil sie meiner Ansicht nach nicht 
vererbt werden können, denn es ist offenbar eine Konsequenz der 
Theorie von der Kontinuität des Keimplasmas, dass Charaktere nur 
insoweit vererbt werden können, als ihre Anlage im Keimplasma 
schon gegeben war, dass aber Veränderungen, welche an dem bereits 
gebildeten Körper infolge äußerer Einwirkungen auftreten, auf den 
Organismus beschränkt bleiben müssen, in dem sie entstanden sind. 
So muss es sich mit Verstüämmelungen verhalten, so mit den Resul- 
taten der Uebung oder des Nichtgebrauchs eines Körperteils. 

Wenn dies nun richtig ist, so fällt damit nicht nur der ganze 
Lamarckismus, d. h. jene Ansicht, welche die Umwandlung der Arten 
vom direkten Einfluss der Lebensbedingungen, hauptsächlich vom 
gesteigerten oder geminderten Gebrauch einzelner Teile ableitet, son- 
dern es erhebt sich auch die Forderung einer neuen Begründung des 
einen Faktors der Selektion, der Variabilität. Denn die Variabilität 
leitete man bisher eben von den wechselnden Einflüssen her, welche 
jeden Organismus unausgesetzt treffen. Wenn aber alle die Einflüsse, 
welche den Körper individuell verschieden machen können, nur 
passante, nicht vererbbare sind, so entsteht auf diese Weise also 
nicht das Material an individuellen Variationen, mit welchem Selek- 
tion arbeiten kann. 

Hier setzt nun der von Kollmann kritisierte Vortrag ein und 
sucht die Quelle der erblichen individuellen Variationen in der 
geschlechtlichen Fortpflanzung nachzuweisen. Dies ist das eigentliche 
Thema der Abhandlung, alles Uebrige ist nur Einleitung dazu. Da 
das Kollmann’sche Referat einiges aus diesem Hauptteil bringt, so 
will ich darauf nicht näher eintreten; ohnehin würden Leser, die wirk- 
lich in die Sache eindringen wollen, sich doch wohl zur ausführlichen 
Darstellung wenden. Einen Punkt nur möchte ich hier hervorheben, 
den ich dort nur gestreift habe. Ich denke mir die erbliche indivi- 
duelle Variabilität bei niedersten Einzelligen durch direkten Einfluss 
verschiedenartiger äußerer Einwirkungen entstanden und leite dann 
aus dieser einmal gegebenen erblichen individuellen Variabilität die 


38 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 


der Metazoen und Metaphyten ab, und zwar so, dass dieselbe durch 
die inzwischen allgemein gewordene geschleehtliche Fortpflanzung 
verewigt, gesteigert und immer wieder neu kombiniert wurde. Wenn 
ich es nun aber auch für wahrscheinlich halte, dass diese individuelle 
Variabilität nicht auf einer direkten Wirkung äußerer Einflüsse auf 
die Keimzellen und das in ihnen enthaltene Keimplasma beruhen kann, 
da — wie aus gewissen Thatsachen hervorgeht — die Molekülar- 
struktur des Keimplasmas sehr schwer veränderbar sein muss, so 
sollte damit doch keineswegs gesagt werden, dass es nicht vielleicht 
doch durch sehr lange andauernde Einflüsse derselben Art ver- 
ändert werden könne. So seheint mir die Möglichkeit nicht abzu- 
weisen, dass lange, d. h. durch Generationen hindurch andauernde 
Einflüsse, wie Temperatur, Ernährungsmodus u. s. w., „die die Keim- 
zellen so gut, wie jeden andern Teil des Organismus treffen“ können, 
Veränderungen in der Konstitution des Keimplasmas hervorrufen 
können. Aber solehe Einflüsse würden dann keine individuellen 
Variationen hervorrufen, sondern sie müssten alle Individuen der Art, 
welche auf einem bestimmten Gebiet wohnen, in der gleichen Weise 
verändern. Es ist möglich, wenn auch zur Zeit nicht zu erweisen, 
dass manche „klimatische“ Varietäten auf diese Weise entstanden 
sind; vielleicht müssen noch andere Erscheinungen von Variation auf 
eine Veränderung in der Struktur des Keimplasmas bezogen werden, 
die durch äußere Einwirkungen direkt hervorgerufen wurde; wir 
können heute darüber noch nicht viel sagen, aber so viel darf wohl 
behauptet werden, dass Einflüsse, welche „meist wechselnder Natur 
sind, bald in dieser, bald in jener Richtung erfolgen“, schwerlich eine 
Veränderung in der Struktur des Keimplasmas hervorbringen, und 
dies ist der Grund, warum man die Ursache der individuellen 
erbliehen Unterschiede anderswo suchen muss, als in diesen wech- 
selnden Einflüssen. 

Ich glaube sie in der sexuellen Fortpflanzung gefunden zu 
haben, ja diese Art der Fortpflanzung scheint mir wesentlich nur die 
Aufgabe zu haben, die von den Einzelligen her ererbte individuelle 
Variabilität zu erhalten, zu steigern, in immer neuen Kombinationen 
zu mischen und dadurch die Möglichkeit zu bieten, durch Selektions- 
prozesse die Arten neuen Lebensbedingungen anzupassen. 

Kollmann missversteht mich, wenn er meint, die „Vererbungs- 
tendenzen“, von welchen ich sage, dass sie sich bei der Befruchtung 
vermischen, „glichen der innern Bewirkung Nägeli’s wie ein Ei dem 
andern“ und „es handle sich nur um einen Wechsel des Ausdrucks 
und eine Verschiebung des geheimnisvollen Prozesses in das Innere 
der Keimzelle“. Ich glaube, die Anschauung Nägeli’s und die mei- 
nige stehen sich diametral entgegen. Bei mir handelt es sich um 
nichts Geheimnisvolles, sondern um die einfache Thatsache, dass bei 
der Befruchtung die Vererbungstendenzen, welche in der Eizelle und 


Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 39 


in der Samenzelle schlummern, sich mischen, und dass daraus ein 
neuer Organismus mit einem bisher noch nicht dagewesenen Gemenge 
individueller erblicher Charaktere hervorgeht. Das.ist eine 
Thatsache, mögen auch ihre tieferen Ursachen noch so dicht ver- 
schleiert sein. Die Umwandlung der Arten beziehe ich nach Darwin’s 
Vorgang auf Selektionsprozesse, die aufgrund dieses Materials an 
individuellen Unterschieden stattfinden können. Nägeli dagegen 
leitet die Umwandlung der Arten von innern, in der Substanz der 
Organismen gelegenen Ursachen ab, die es mit sich bringen, dass 
von Zeit zu Zeit Umwandlungen eintreten. Die Struktur seines „Idio- 
plasmas“ bringt es mit sich, dass sie sich während ihres säkularen 
Wachstums verändert. Grade gegen dieses innere Entwicklungs- 
prinzip Nägeli’s kämpfe ich ja schon im Eingang meiner Abhand- 
lung an, da es mir zuerst oblag, zu zeigen, dass die Selektionstheorie 
trotz Nägeli’s scharfsinnigen und phantasiereichen Ausführungen 
doch nicht entbehrt werden kann, ja dass ihr Wirkungsgebiet wahr- 
scheinlich weit größer ist, als wir bisher angenommen hatten. Um 
es recht anschaulich zu machen, wie keineswegs bloß einzelne und 
untergeordnete Charaktere auf sie bezogen werden müssen, sondern 
die gesamte Organisation einer großen Tiergruppe, soweit sie 
sich überhaupt von den verwandten Gruppen unterscheidet, wählte 
ich ein bestimmtes Beispiel, die Ordnung der Wale, und zeigte an 
ihnen, dass alles, was Charakteristisches an ihnen ist, auf Anpassung 
an das Wasserleben beruht, auf Anpassung im selektionstheoretischen, 
nicht im physiologischen Sinn. „Wenn aber alles das, was sie zu 
Walen macht, durch Anpassung entstanden ist, dann hat also die 
innere Entwicklungskraft Nägeli’s keinen Anteil an der Entstehung 
dieser Gruppe von Tieren“, ja dann „dürfen wir kühn behaupten: 
eine solche Kraft existiert überhaupt nicht“. 

Kollmann druckt diese ganze Ausführung auf zwei Seiten seines 
Referates ab und meint dann, der „wichtigste Faktor bei der Er- 
schaffung der Wale“ müsse aber doch „die innere Entwicklungskraft“ 
gewesen sein! Gründe für diese merkwürdige Folgerung werden nicht 
angeführt. Dagegen wirft er mir die Frage entgegen, „was denn, 
wenn die Anpassung allein die Wale zustande gebracht hätte, dann 
dem Keimplasma noch zu thun übrig geblieben wäre?“ Als ob nicht 
eben die erblichen individuellen Variationen, welche das Keimplasma 
potentia in sich birgt, das Material darstellten, aus welchem Selek- 
tion die Anpassungen zusammenstellt!! — Man sieht: wir verstehen 
uns nicht. 

Leider ist dies auch der Fall inbezug auf den Begriff der „er- 
worbenen Eigenschaften“. Kollmann denkt sich darunter „die 
Veränderung, welche das Keimplasma während des individuellen 
Lebens erfährt“. Wie oben aber bereits gesagt wurde, begreifen wir 
unter „erworbenen Eigenschaften“ eben grade nicht die Verände- 


40 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 


rungen, welche vom Keim ausgehen, sondern solche, die an dem 
bereits vorhandenen Organismus entstehen und zwar infolge 
äußerer Einwirkungen. 

Es handelt sich hier in der That um eine schwerwiegende und 
weittragende Frage, und es lohnt sich wohl, den Sinn, den das Wort 
„erworben“ hier haben soll, bestimmt und klar zu fassen. 

Man kann ja anderer Ansicht sein, als ich, und erworbene Eigen- 
schaften mit Lamarck, Darwin und fast allen Andern für vererb- 
bar halten. Aber ehe darüber hin und hergekämpft wird, ist es 
nötig, zu wissen, was denn eigentlich unter „erworbenen Eigenschaf- 
ten“ zu verstehen sei. Der Ausdruck ist wohl früher besonders in 
medizinischen Kreisen in einem sehr allgemeinen Sinn genommen 
worden, nämlich in dem von neu auftretenden Eigenschaften über- 
haupt, mag ihre Wurzel liegen, wo sie wolle. Das war ja zu seiner 
Zeit ganz berechtigt, und wer bisher den zoologisch - botanischen Ge- 
dankenkreisen fern gestanden hat, war gewiss entschuldigt, wenn er 
das Wort zunächst in dem alten Sinn auffasste, als ich in vorigem 
Herbst mir erlaubte, die Frage von der Nichtvererbung erworbener 
Eigenschaften auf der Naturforscherversammlung zu Straßburg bei- 
läufig zu berühren. 

Den Biologen im speziellern Sinn war die Frage damals gar 
nicht mehr neu, da sie schon in jenen beiden oben erwähnten Schrif- 
ten von mir gestellt und durchgearbeitet worden war. Virchow!) 
trat mir darauf in der folgenden allgemeinen Sitzung bei Gelegenheit 
seines Vortrags über „Akklimatisation“ entgegen und machte geltend, 
dass in der Pathologie zahlreiche Beispiele bekannt seien, in welchen 
Missbildungen einzelner Teile, überhaupt „pathologische Merkmale“ 
sich durch Generationen hindurch vererbt hätten, so z. B. Deformität 
des Arms oder der Finger, ein weißes Haarbüschel auf einer gewissen 
Stelle des Kopfes u. s. w. Er meinte damit meine Behauptung von 
der Nichtvererbung erworbener Eigenschaften widerlegt zu haben, ja 
er war dessen so sicher, dass er sich darüber zu beklagen berechtigt 
hielt, dass wir Erforscher des „normalen Lebens“ „die Pathologie als 
eine Art Nebenfach betrachteten“, das uns „eigentlich nichts anginge“. 
Wir verlangten, dass die Pathologen unsere „Schriften lesen“, unsere 
„Journale kennen, aber wir hielten uns nicht für verpflichtet, die 
Schriften oder Journale der Pathologen zu lesen“. Wenn damit ge- 
sagt sein sollte, dass uns die Vererbung von Missbildungen u. Ss. w. 
nicht bekannt sei, so war das wohl kein zutreffender Vorwurf. Nicht 
nur in Darwin’s Schriften, sondern auch in meinen eignen ist darauf 
bezug genommen, aber die „kongenitalen“ Missbildungen haben eben 
mit dem nichts zu thun, was wir „erworbene Eigenschaften“ nennen, 
sie sind gewissermaßen das Gegenteil davon, und ich konnte mich 





1) Tageblatt der 58. Versammlung deutscher Naturforscher ete. S. 542. 


Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 41 


somit in meiner mündlichen Antwort an Virchow darauf beschränken, 
dieses Missverständnis einfach zu konstatieren und aufzuklären. Ich 
hielt damit diesen Zwischenfall für erledigt, so sehr, dass ich des- 
selben in der im Anfange dieses Jahres im Buchhandel erschienenen 
Ausgabe meiner Rede mit keinem Worte gedachte. 

Es scheint aber, dass ich damit meinen Gegner doch nicht über- 
zeugt habe, da seither im Archiv für pathologische Anatomie ein 
Artikel desselben erschienen ist, in welchem er fortfährt auf Grund- 
lage eines völlig andern Begriffs der „erworbenen“ Eigenschaften 
gegen mich anzukämpfen. Wenn. ich jetzt auch wohl kaum mehr 
hoffen darf, Herrn Virchow zu überzeugen, und natürlich auch voll- 
ständig darauf verzichte, einen Kampf aufzunehmen, der nur schein- 
bar gegen meine Ansichten, in Wahrheit aber gegen Phantome ge- 
richtet ist, die aus meinen missverstandenen Ansichten herausgelesen 
werden, so dient es doch wohl zur allgemeinen Klärung der be- 
treffenden Fragen, wenn ich hier noch einiges darüber folgen lasse. 

Die von Virchow geltend gemachten pathologischen Fälle sind 
mir schon lange und recht genau bekannt, wie sie überhaupt wohl 
kaum irgend einem Biologen unbekannt geblieben sein dürften. Ich 
erkenne ihre Bedeutung vollkommen an und stimme Virchow bei, 
wenn er hervorhebt, dass es „keine eigentliche Grenze gibt zwischen 
pathologischen und physiologischen Prozessen“, folglich auch nicht 
zwischen pathologischen und physiologischen Abänderungen !). Ich 
habe schon öfters grade die erblichen Missbildungen inbezug auf eine 
andere Seite der Deszendenzlehre ins Auge gefasst, allein für die von 
mir aufgestellte Ansicht von der Nichtvererbung erworbener Charak- 
tere haben diese Fälle in der That keine Bedeutung. 

Die große und für die ganze Deszendenzlehre wichtige Frage ist 
nicht die, ob irgendwelche neu auftretende Eigenschaften vererbt 
werden können — wenn das nicht möglich wäre, so gäbe es eben 
einfach keine Artumwandlung — sondern die Frage ist die, ob solche 
neue Eigenschaften, welche nicht schon im Keim als Anlagen 
enthalten waren, sondern sich erst infolge äußerer Ein- 
wirkungen im Laufe des Lebens bildeten, vererbt werden 
können oder nicht. Die außerordentliche Bedeutung dieser Frage 
leuchtet ein, sobald man weiß, dass es von ihrer Beantwortung ab- 
hängt, ob wir berechtigt sind, die direkte Einwirkung äußerer Ur- 
sachen auf den Körper (Soma) zur Erklärung der Artumwandlungen 
herbeizuziehen, oder nicht. Bekanntlich wollte Lamarck allein 
aus diesem Prinzip die gesamte Entwicklung der Organismenwelt er- 
klären, und die Deszendenztheorie hat wohl mit infolge dieses unge- 
nügenden Erklärungsprinzips, das dieser geniale Denker ihr damals 
allein mitgeben konnte, bei ihrem ersten Auftreten so kläglich Schiff- 


1) Archiv f. path. Anatomie Bd. 103 S. 1—14, 205—215 u. 413—436. 1886. 


42 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 


bruch gelitten. Denn es bedarf keines tiefen Eindringens, um einzu- 
sehen, dass man damit allein nicht ausreicht. Nachdem aber durch 
Darwin ein zweites Prinzip, das der Selektion hinzugekommen war, 
schien es, als ob doch auch das erste beibehalten werden müsse, als 
ob man ohne dasselbe nicht auskommen könne. Man wusste, dass 
Uebung (häufiger Gebrauch) ein Organ im Verlauf des Einzellebens 
kräftigt, Vernachlässigung (Nichtgebrauch) dasselbe schwächt, und 
es schien so selbstverständlich, die immer vollkommnere Ausbildung 
eines Organs im Verlauf der Artenbildung auf diesen Faktor 
zu beziehen und anzunehmen, dass die geringe Kräftigung, die ein 
Organ durch Uebung im Einzelleben erfährt, sich auf die nächste 
Generation vererbt, in dieser durch abermalige Uebung eine weitere 
Steigerung erfährt, und so im Laufe der Generationen und Arten zum 
Maximum der Entwicklung des betreffenden Organs führt. Wie leicht 
schien sich auf diese Weise z. B. die enorme Entwicklung der Flug- 
muskeln bei Zugvögeln, Raubvögeln u. s. w. zu erklären, wie leicht 
die Steigerung des Intellekts bei den höheren Tieren, oder die Stei- 
gerung in Festigkeit und Volumen von Skeletteilen unter dem Ein- 
fluss eines sich steigernden Muskelzugs u. s. w. Und wie künstlich 
und gewaltsam erscheint dagegen auf den ersten Blick die Erklärung 
aller dieser Erscheinungen durch Selektion, durch stete Auswahl der 
Individuen nach der Güte des betreffenden Organs! Und was für die 
Steigerung der Organe durch Uebung gilt, das gilt ebenso auch für 
das Verkümmern der Organe durch Niehtgebrauch. Das Verschwinden 
von Teilen spielt aber bei dem Entwicklungsprozess der Arten eine 
beinahe eben so wichtige Rolle, als die Bildung von neuen Teilen, 
und eine Deszendenztheorie, die kein Erklärungsprinzip für diesen 
Teil der Vorgänge hätte, wäre keiner ernsten Beachtung wert. Des- 
halb ist es auch sehr erklärlich, dass sowohl Darwin als Häckel, 
als überhaupt Alle, die auf diesem Gebiete arbeiteten, die Vererbung 
erworbener Eigenschaften nicht entbehren zu können meinten, auch 
wenn ihnen vielleicht Zweifel an der Richtigkeit dieser Voraussetzung 
aufgestiegen wären. Auch ich selbst war lange Jahre dieser Meinung 
und bin erst im Laufe des letzten Lustrums allmählich zu der Ueber- 
zeugung gekommen, dass die Voraussetzung nicht richtig ist, dass 
eine Vererbung der Resultate der Uebung oder des Nichtgebrauchs 
nicht möglich ist, und dass wir somit nach einer andern Erklärung 
der Erscheinungen suchen müssen. 

Mag man nun mit mir einverstanden sein, oder nicht, jedenfalls 
können wir nur dann um etwas streiten, wenn wir das Gleiche meinen. 
Ob der Ausdruck „erworbene Eigenschaften“ gut oder schlecht ist, 
kommt dabei nicht in betracht, wohl aber dieses, dass man nicht 
ganz etwas Anderes bekämpft, als was behauptet wird. Niemand hat 
bezweifelt, dass es eine Menge kongenitaler Missbildungen, Mutter- 
mäler und sonstiger individueller Merkmale gibt, die vererbt werden. 


Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 43 


Aber das sind eben keine erworbenen Eigenschaften in dem obigen 
Sinn. Gewiss müssen sie auch einmal zuerst aufgetreten sein, aber 
wir können nicht genau sagen, aus welcher Ursache, wir wissen nur, 
dass mindestens ein großer Teil von ihnen vom Keim selbst ausgeht, 
somit also auf Abänderung der Keimsubstanz selbst beruhen 
muß. Jede Veränderung der Keimsubstanz selbst aber, mag sie ent- 
standen sein, wie sie wolle, muß auch nach meiner Ansicht und 
zwar eben durch die Kontinuität des Keimplasmas auf die folgende 
Generation übertragen, und somit auch die Veränderungen des Soma, 
welche aus ihr hervorgehen, auf die folgende Generation vererbt 
werden. Es trifft desbalb nicht zu, wenn Virchow mir entgegenhält, 
jene vererbbaren Deformitäten oder überhaupt irgend welche erblichen 
Variationen müßten doch „irgend einmal durch eine Causa externa, 
durch eine Veränderung der Lebensbedingungen entstanden sein.“ 
Dem würde Nägeli allerdings nicht zustimmen, da er die Verände- 
rungen, welche eintreten, aus der Struktur seines selbstveränderlichen 
Idioplasmas herleitet, ich aber habe nichts dagegen einzuwenden, 
vorausgesetzt, dass man diese „causae externae“ im allerweitesten 
Sinn nimmt, inklusive das Aufeinanderwirken der bei der Befruchtung 
vereinigten beiden älterlichen Keimplasmen. Ich kann auch niemand 
verhindern, von „erworbenen“, anstatt bloß von „entstandenen“ 
Abänderungen des Keimplasmas zu reden, aber ich bin allerdings 
der Meinung, dass dadurch die Frage nach der Vererbung erworbener 
Eigenschaften nicht gefördert, sondern verwirrt wird, denn es ist eben 
nicht „unerheblich für diese allgemeine Erörterung, — wie Virchow 
meint — ob die Einwirkung der Causa externa auf das Ei oder auf 
das wachsende oder auf das ausgewachsene Individuum statt- 
gefunden hat“, sondern die zu entscheidende Frage ist eben grade 
die, ob dies einerlei ist oder nicht. Damit dass man Eigen- 
schaften, die aus einer Keimesänderung hervorgehen, auch als „er- 
worbene“ bezeichnet, schafft man die Frage nicht aus der Welt, ob 
die Resultate des Gebrauchs und Nichtgebrauchs vererbt werden oder 
nicht. Wenn Virchow zeigen könnte, dass auch nur eine jener 
erblichen Deformitäten zuerst durch Einwirkung einer äußern Ursache 
auf den bereits vorhandenen Körper (Soma) des Individuums, also 
nicht auf die Keimzelle entstanden wäre, dann wäre die Vererbung 
erworbener Eigenschaften bewiesen. Dies hat aber bis jetzt noch von 
niemand bewiesen werden können, so oft es auch schon behauptet 
worden ist. 

Ich sagte in meinem Straßburger Vortrag, es sei bis jetzt noch 
keine Thatsache bekannt, welche wirklich bewiese, dass erworbene 
Eigenschaften vererbt werden können — „Vererbung künstlich 
erzeugter Krankheiten sei nicht beweisend.“ Virchow 
bemerkt dazu, es sei „nicht recht verständlich“, warum ich „nur die 
Vererbung künstlich vererbter Krankheiten zugestehe.“ Meine Worte 


44 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 


bezogen sich auf die einzigen Versuche, welche meines Wissens bis 
jetzt für die Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften angeführt werden 
konnten, auf die Epilepsie-Versuche von Brown-Sequard an Meer- 
schweinchen. Dieselben sind so bekannt und so oft besprochen 
worden, dass ich mich in dem mündlichen Vortrag auf diese bloße 
vielleicht allzu kurze Anspielung beschränken zu dürfen glaubte. In 
der erweiterten im Buchhandel erschienenen Ausgabe meines Vortrags 
ist indess ein besonderer Abschnitt (der vierte Zusatz) diesen 
interessanten Ergebnissen gewidmet, und darin der Versuch gemacht, 
die Beweiskraft derselben zu widerlegen. Wenn ich nicht sehr irre, 
beruht das nicht abzuleugnende Vorkommen von Uebertragung er- 
worbener Epilepsie auf die folgende Generation nicht auf Vererbung, 
sondern auf Ansteckung des Keims, auf Uebertragung leben- 
diger Krankheitserreger. Jedenfalls ist es ein durchaus zweifel- 
hafter Fall, wie dort im nähern nachgewiesen ist. Wenn man nun 
auch dieser meiner Deutung der Brown-Se&quard’schen Versuche 
nicht beistimmen will, so muß man doch zugeben, dass ein sicherer 
Beweis für die Vererbung erworbener Charaktere nicht in ihnen 
gesehen werden darf, und dann liegt die Sache genau so, wie ich sie 
bezeichnete: es ist bis jetzt kein Fall bekannt, der wirklich beweisend 
wäre, und „so lange dies nicht der Fall ist, haben wir kein Recht, 
diese Annahme zu machen, es sei denn, dass wir dazu gezwungen 
würden durch die Unmöglichkeit, die Artumwandlung ohne diese An- 
nahme zu begreifen.“ Wenn wir nicht imstande wären, die Steigerung 
eines Organs, wie sie mit dem vermehrten Gebrauch desselben in der 
Phylogenese zusammentrifft, auf andere Ursachen zurückzuführen, oder 
wenn wir kein anderes Erklärungsprinzip für das Rudimentärwerden 
von Organen hätten, wie es mit dem Ueberflüssigwerden und dem 
Niehtgebrauch desselben in der Phylogenese eintritt, so wäre das für 
mich ein weit schwerer wiegender Grund, die unbewiesene Annahme 
der Vererbung erworbener Charaktere zu machen, als alle die Ge- 
schichtehen von Vererbung von Wundmalen, Verstiümmelungen und 
sonstigen künstlichen Deformitäten, von denen die Vererbungsliteratur 
wimmelt und von denen doch keine einzige der Kritik Stich hält. 
Nun liegt aber die Sache nicht so; wir bedürfen dieser An- 
nahme nicht zur Erklärung der Erscheinungen. Schon 1883 
habe ich versucht, die betreffenden Erscheinungen in anderer Weise 
dem Verständnis zugänglich zu machen. Auf den ersten Blick scheint 
es Ja sehr gesucht und künstlich, wenn man das Verkümmern der 
Augen bei Höhlentieren nicht auf Rechnung der direkten Wirkung 
des Nichtgebrauchs setzt, da wir ja im allgemeinen wissen, dass 
Nichtgebrauch eines Organs dessen „funktionelle Atrophie“ (Roux) im 
Individuum einleitet. Allein nicht jedes „post hoc“ ist auch ein 
„propter hoe“, und das Parallelgehen der Verkümmerung des Auges 
mit seinem Nichtgebrauch bei der Art ist noch kein Beweis eines 


Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 45 


direkten Kausalzusammenhangs zwischen beiden. Ja, wenn nur 
diese eine Erklärung möglich wäre! allein Panmixie, oder Nachlaß 
der Naturzüchtung erklärt die Sache mindestens ebenso gut. Soweit 
also wären die beiden Erklärungsweisen gleich berechtigt, und wir 
wüßten nicht, welcher wir den Vorzug geben, welche wir als die 
richtige betrachten sollen. Nun gibt es aber Fälle, in denen die erste 
Erklärung nicht ausreicht, und da diese Fälle in ihrer ganzen Er- 
scheinung den übrigen völlig gleich sind, welche sich scheinbar durch 
sie erklären lassen, so fragt es sich, ob das erste Erklärungsprinzip 
überhaupt als wirkend angenommen werden darf. Auf diese bewei- 
senden ja gradezu zwingenden Fälle habe ich ebenfalls schon früher 
hingewiesen, auf die Instinkthandlungen, welche nur einmal im 
Leben ausgeführt werden, demnach also nicht durch Vererbung der 
Uebungsresultate des Einzellebens entstanden und in der Art fixiert 
worden sein können u. s. w. Ich will hier kurz auf einige der präg- 
nantesten Fälle zurückkommen, wie ich sie in einem kürzlich hier in 
Freiburg gehaltenen Vortrag darlegte. 

Zunächst giebt es zahlreiche Fälle, in welchen ein Organ durch 
oder bei Nichtgebrauch verkümmert ist, obgleich es unveränder- 
bar ist im Individuum! Dahin gehört die Verkümmerung, oder 
der gänzliche Schwund von Flügeln bei den Insekten. Diese Tiere be- 
sitzen bekanntlich nur imsogenannten Imago-Zustand Flügel. Siemachen 
nun während dieser Periode ihres Lebens keine Häutung mehr durch 
und können infolge dessen weder wachsen, noch an Umfang ab- 
nehmen, da ihr hartes Hautskelet dies nicht erlaubt. Ihre Flügel 
bleiben sich also völlig gleich, mögen sie gebraucht 
oder nicht gebraucht werden; sie werden höchstens durch den 
Gebrauch abgenutzt, zerfetzt, wie man an lange schon umherfliegenden 
Schmetterlingen oft sehen kaun. Trotzdem haben viele Insekten, 
Schmetterlinge, Käfer, Orthopteren, Wanzen die Flügel mehr oder 
weniger eingebüßt — durch Nichtgebrauch, sagt man, ich sage: durch 
Wegfall der Naturzüchtung, denn ein überflüssiges Organ unterliegt 
derselben nicht mehr und muß deshalb notwendig im Laufe der 
Generationen von seiner Höhe herabsinken. 

Die zweite Reihe von Fällen betrifft diejenigen Organe, welche 
rudimentär geworden sind, obwohl sie eine eigentliche, d. h. ak- 
tive Funktion gar nicht besitzen, folglich dureh Nichtgebrauch in 
keinem, noch so geringen Grad verkümmern können. Es ist für den 
Staubbeutel einer Blume ganz gleichgiltig, ob die in ihm entstandenen 
Pollenkörner auf die Narbe einer andern Blume gelangen, oder nicht, 
fast immer geht die unendliche Majorität von ihnen nutzlos verloren 
und nur ganz wenige erreichen ihr Ziel. Nichtsdestoweniger sind die 
Staubbeutel in manchen, früher zwittrigen Blumen heute rudimentär 
geworden und bringen keinen Pollen mehr hervor; die Art hat sich 
zur Diöcie umgewandelt. In diesem Fall ist es nicht Panmixie, durch 


46 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 


welche die Verkiimmerung eintrat, sondern vermutlich positive Selektion. 
Diejenigen Pflanzen waren im Vorteil, deren Blumen nur das 
eine Geschlecht in voller Entwieklung hervorbrachten. Jedenfalls 
kann von einer Verkümmerung durch Niehtgebrauch hier nicht die 
Rede sein. 

Manche Tiergruppen haben die Gewohnheit angenommen, ihren 
Hinterleib in schützende Hüllen zu stecken, und in allen diesen Fällen 
finden wir die Haut des Hinterleibs ohne den harten Chitinpanzer, 
der die exponierten Körperteile sonst schützt. Es kann aber das 
Hautskelet nieht berühren, ob es dem Tier notwendig ist, oder nicht. 
Seine einzige Funktion besteht in seinem Dasein, und man sieht nicht 
ein, wie das einmal abgesonderte Chitinskelet das nächste Mal da- 
durch dünner ausfallen sollte, dass es inzwischen dem Tier keinen 
Nutzen gebracht hat, oder dass es von einer weitern Hülle bedeckt 
war. Ich erinnere an den weichen Hinterleib der Einsiedlerkrebse, 
die denselben in Schneckenschalen bergen, an den weichen Hinterleib 
der Köcherfliegen-Larven und der Raupen der Psychiden, die ihn 
mit einem selbstverfertigten Gehäuse umgeben. In allen diesen Fällen 
ist Verkümmerung durch Nichtgebrauch ausgeschlossen, aber auch 
positive Selektion und nur Panmixie oder Ausfallen der Selektion in- 
bezug auf die betreffenden Stellen der Haut bietet uns eine Erklärung 
der Thatsache. 

Die dritte Kategorie von Fällen ist wohl die schlagendste von 
allen, überzeugend auch für solehe, denen die eben erwähnten Bei- 
spiele nicht ganz geläufig und deshalb auch nicht ganz durchsichtig sind. 
Die sogenannten Geschlechtslosen der staatenbildenden Insekten 
zeigen mannigfache Abänderungen gegenüber den Geschlechtstieren, 
darunter auch Verkümmerungen einzelner Teile. So haben die Ar- 
beiter der Ameisen bekanntlich die Flügel vollständig eingebüßt. Dass 
ihre Vorfahren sie besessen haben, bedürfte zwar eigentlich keines 
besondern Beweises, indess hat Dewitz denselben geliefert, indem 
er zeigte, dass bei den Arbeitern ganz ebenso wie bei den eigentlichen 
Weibchen im Laufe des Larvenlebens die Flügel angelegt werden, 
um aber dann vollständig zu verkümmern. Dies kann nun unmög- 
lich direkte Wirkung des Nicehtgebrauchs sein, weil die 
Tiere sich nicht fortpflanzen. Wenn also auch der Nicht- 
gebrauch der Flügel irgend einen Grad der Verkümmernng im ein- 
zelnen Individuum hervorbrächte, so könnte derselbe sich doch nicht 
durch Vererbung steigern, wie es der Fall sein müßte, wenn das voll- 
ständige Schwinden des Organs auf diesem Wege erklärt werden sollte. 
Panmixie ist auch hier, wie mir scheint, die einzig mögliche Erklärung, 
womit ich übrigens nicht in Abrede stellen will, dass möglicherweise 
auch positive Selektion mit hineingespielt hat. Natürlich müssen bei 
diesen fortpflanzungsunfähigen Arbeiterinnen alle Umgestaltungen von 
den Aeltern ausgehen, d. h. Selektionsprozesse sowohl, als auch die 


Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 47 


Folgen der Panmixie laufen nicht direkt an den Arbeiterinnen ab, 
sondern an den Männchen und Weibchen, welche sie erzeugen. Nicht 
die Arbeiterinnen selbst werden selektiert, sondern die Aeltern, je nach- 
dem sie bessere oder schlechtere Arbeiterinnen hervorbringen. Das 
hat schon Darwin, betont, und das gilt natürlich nicht nur für die 
von ihm allein berücksichtigte positive Selektion, sondern auch für 
negative, d. h. für den Wegfall der Selektion oder die von mir als 
Panmixie bezeichnete Folge dieses Wegfalls. 

Da es nun sicher ist, dass in allen den angeführten Kategorien 
von Fällen die Rückbildungen nicht auf Rechnung der direkten Wir- 
kung des Nichtgebrauchs, oder, um mit Roux zu reden, auf funktio- 
nelle Atrophie gesetzt werden können, und da ferner Panmixie die 
einzige und zwar eine ausreichende Erklärung dafür bietet, so wird 
dadurch die Annahme der Panmixie als eines wirklich 
existierenden Prozesses als erwiesen zu betrachten sein. 
Wir werden schließen dürfen, dass überall, wo ein Organ nutzlos 
wird, d. h. bedeutungslos für die Existenz der Art, dasselbe im Laufe 
der Generationen von der Höhe seiner Ausbildung herabsinken muß, 
bis es zuletzt dem völligen Verschwinden verfällt. Es ist nicht denk- 
bar, dass dieser Prozess der stetigen Verschlechterung eines der Na- 
turzüchtung nicht mehr unterworfenen Organs bloß in dem einen oder 
andern Fall eintrete, weil die Bedingungen zu seinem Eintritt in 
Jedem Falle vorhanden sind. Jedes Organ besitzt die gewöhnliche 
individuelle Variabilität, d. h. es kommen bessere und schlechtere Or- 
gane vor. Sobald nun Naturzüchtung aufhört, die Individuen mit 
schlechterer Ausrüstung auszumerzen, tritt Panmixie ein, d.h. Kreuzung 
von Individuen mit allen möglichen Gütegraden des betreffenden Or- 
gans, daraus aber muß mit Notwendigkeit eine progressive Ver- 
schlechterung des Organs hervorgehen, da sich der mittlere Gütegrad, 
um den herum die individuellen Variationen schwanken, mit jeder 
neuen Generation um ein Minimum nach abwärts bewegt. 

Wenn nun aber — so schließe ich weiter — mit dem Aufhören 
der Selektion stets Panmixie eintreten muß, und wenn ferner diese 
allein nachweislich in zahlreichen Fällen die Rückbildung eines Teils 
zustande gebracht hat, so haben wir auch in allen andern Fällen 
keinen Grund, nach einem fernern Erklärungsprinzip für die Rück- 
bildung bei Nichtgebrauch zu suchen. Es wäre begreiflicherweise 
möglich, dass zwei oder mehrere Ursachen zusammenwirkten, um die 
Wirkung der Rückbildung zu erzielen. Wüssten wir z. B. sicher, dass 
erworbene Eigenschaften vererbt werden können, so müssten wir für 
die größte Zahl von Rückbildungsfällen ein Zusammenwirken von 
Panmixie und funktioneller Atrophie annehmen, da wir aber bis 
Jetzt eines jeden Beweises dafür entbehren, so haben wir 
kein Recht zu einer solehen Annahme. Am allerwenigsten aber 
können wir umgekehrt aus der Thatsache, dass Rückbildung von Organen 


48 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 


ihrem Nichtgebrauch ungefähr parallel läuft, eine Stütze für die Vor- 
stellung entnehmen, dass erworbene Eigenschaften vererbt werden 
können. 

Zu gunsten dieser Hypothese läßt sich nichts weiter anführen, 
als die vermeintlichen direkt beobachteten Fälle, deren oben schon 
gedacht wurde, und welche Kant bereits als „Wahn und Erdichtung“, 
His als „eine Hand voll Anekdoten“ bezeichnete. Es ist ja trotzdem 
möglich, dass ich irre, dass einzelne dieser Fälle doch mehr sind als 
Anekdoten, und dass die Zukunft neue Thatsachen kennen lehrt, die 
den Beweis für die Vererbung erworbener Charaktere wirklich er- 
bringen. Denn bloß daraus, dass uns die Vererbung unverständlich 
bleibt, wenn wir diese Annahme als begründet anerkennen müssten, 
können wir keinen zureichenden Grund zu ihrer Ableugnung hernehmen. 
Auf der andern Seite aber ist die Aussicht, auf Grundlage der Theorie 
von der „Kontinuität des Keimplasmas“ zu einem Verständnis der 
bisher so völlig dunkeln Vererbungsfrage zu gelangen, eine so ver- 
lockende und aussichtsreiche, dass — wie ich schon früher einmal 
sagte — „diese Theorie, selbst wenn sie später wieder verlassen werden 
müsste, doch als ein notwendiger Durchgangspunkt unserer Erkennt- 
nis“ aufgefasst werden darf. „Sie musste aufgestellt und sie muss 
durchgearbeitet werden, mag die Zukunft sie als richtig oder als 
falsch erweisen“. 

Es ist gewiss nur mit Freude zu begrüßen, wenn Anatomen und 
Pathologen ihre frühere Zurückhaltung der Deszendenztheorie gegen- 
über aufgeben und an der allgemeinen Gedankenarbeit der Zoologen 
und Botaniker Anteil nehmen; dazu ist es aber doch wohl unerläss- 
lich, dass sie sich zunächst mit den Vorstellungen näher vertraut 
machen, in denen wir uns nun schon über zwanzig Jahre hindurch 
bewegen mit dem Bestreben, sie nach allen Richtungen hin zu durch- 
dringen und zu klären und so allmählich in der Erkenntnis voranzu- 
schreiten. Sonst kann an ein ersprießliches Zusammenwirken nicht 
gedacht werden. 

Der „eigentümliche Widerstreit“, von welchem Virchow an- 
nimmt, dass er auf der letzten Versammlung der Naturforscher und 
Aerzte in Straßburg „zu Tage trat“, beruhte meiner Ansicht nach 
keineswegs darauf, dass „seit der Abspaltung des größten Teiles der 
Naturwissenschaften von der Medizin die Mehrzahl der Normal-Biologen 
von den Erfahrungen der Pathologen wenig oder gar keine Kenntnis 
nimmt“, sondern umgekehrt darauf, dass mindestens ein Teil der 
Pathologen den Fortschritten der Biologie nur unvollkommen gefolgt 
ist. Das kommt freilich sachlich auf eins heraus: wir verstehen 
uns nicht; inbezug auf die so wünschenswerte Heilung dieses Uebels 


ist es aber nicht gleichgiltig zu wissen, wo nachgeholfen werden 
muss. 











Kowalevsky, Entwicklung der Museiden. 49 


Zur embryonalen Entwicklung der Museiden. 
Von A. Kowalevsky, 


Professor in Odessa. 

Seit den klassischen Untersuchungen von Weismann!) über die 
Entwicklung der Musceiden sind über diesen Gegenstand keine ein- 
gehenden Studien publiziert worden. Ich kenne nur eine Angabe von 
Graber?), welcher die Sache aber nur nebenbei berührt. — Schon 
vor vielen Jahren stellte ich Untersuchungen an über die ersten Vor- 
gänge im Musca-Ei und habe schon im Jahre 1873 die Teilung des 
Kernes in zwei, vier und mehrere Kerne beobachtet. Diese Präparate 
wurden auch damals meinen Zuhörern und Freunden demonstriert; 
Jetzt, während meiner Forschungen über das Wesen der Meta- 
morphose, ging ich auch an die Untersuchung der embryonalen 
Entwicklung, und die hier vorgelegten Resultate waren schon im 
Laufe des Jahres 1884 gewonnen. 

Ungefähr eine Stunde, nachdem das Ei gelegt ist, beobachtet 
man die Teilung des Kernes in zwei, wobei die beiden neugebildeten 
Kerne noch ziemlich nahe am vordern zugespitzten Ende des Eies 
liegen. Bei den weiteren Teilungen rücken die Kerne immer mehr 
nach der Mitte des Eies, und wenn man dann ungefähr 8 Kerne zählt, 
so liegen dieselben ganz nahe um das Zentrum des Eies herum. 
Jeder Kern besitzt ein kleines Kernkörperchen und ist von außen von 
einem breiten Hofe reinen dotterfreien Protoplasmas umgeben. Wenn 
die Zahl dieser Kerne oder, genauer gesprochen, Zellen bedeutend 
gewachsen ist, begeben sich dieselben an die Peripherie des Eies, auf 
welcher während dieser Zeit eine ziemlich dieke Schicht der Keim- 
hautblasten sich gebildet hat. Dieselbe entsteht, wie es Weismann 
besprochen hat, anfangs am vordern, später am hintern Pol des Eies, 
um später von beiden Polen auf die gesamte Dotterfläche sich auszu- 
breiten. Die nach außen sich richtenden Zellen erreichen zuerst die 
Peripherie des Eies am hintern Pol; hier treten dieselben in die Keim- 
hautblastenschicht, durchsetzen dieselbe und treten in den freien Raum 
hervor, welcher zwischen dem Ei und der Dotterhaut zu der Zeit be- 
steht; ob zu diesen austretenden Zellen ein Teil der Keimhautblasten 
sich gesellt, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. 

Nach der Bildung der Polzellen erreichen die andern im Innern 
des Dotters gelegenen Zellen auch die Peripherie des Eies, wobei 
dieselben anfangs am vordern Pol und später auf der gesamten Ober- 
fläche des Eies hervortreten. Untersucht man diesen Vorgang an 
Längsschnitten, so sieht man, dass die Zellen, bevor sie die Keim- 





1) Die Entwicklung der Dipteren im Ei und die Entwicklung von Musca 
vomitoria im Ei. Zeitschr. f. wiss. Zool,, Bd. 13, 1863, S. 159. 
2) Die Insekten. München, 1879. 
v1, 4 


50 Kowalevsky, Entwicklung der Museiden. 


hautblasten erreichen, den Typus sehr deutlicher kolbenförmiger Zellen 
haben, welche mit dem breiten abgerundeten Ende nach der Peripherie 
und mit dem ausgezogenen zugespitzten Ende nach innen gerichtet 
sind. Während dieser Wanderung geht ein reger Teilungsprozess vor, 
wobei man solche kolbenförmige Zellen in verschiedenen Stadien der 
Teilung sieht. Wenn dieselben die Keimhautblasten erreicht haben, 
verschmilzt das den Zellkörper bildende Plasma mit dem der Sub- 
stanz bezw. auch dem Plasma der Keimhautblasten. Es entstehen 
in dieser Weise die Blastodermzellen, deren Plasma von zwei ver- 
schiedenen Teilen des Eies stammt. Ein Teil im Innern des Dotters 
sammelt sich um die Kerne, ein anderer Teil wird aus Keimhaut- 
blasten genommen. Ein Teil der Kerne mit Plasma bleibt im Dotter 
zurück und bildet die so oft erwähnten Dotterzellen. Nachdem die 
Keimhaut angelegt ist, wachsen ihre Zellen in die Länge durch die 
Bildung der innern Keimhautblastenschicht, wie es schon genau 
von Weismann beschrieben ist. — Damit ist die Keimhaut ferüg, 
und es beginnt die Bildung der Rinne. 

Die Rinne bildet sich anfangs auf der Bauchseite des Eies, von 
seinem vordern Pol aus, zieht sich bis zum hintern Pol, überschreitet 
denselben, um noch auf ein Drittteil der Rückenfläche sich fortzusetzen. 
Wo die Längsrinne sich früher gebildet hat, da beginnt sie sich auch 
früher zu schließen; die Schließung geht also vom vordersten Ende 
nach hinten zu, bezw. auch auf die Rückenseite. Die geschlossene 
Rinne bildet bekanntlich bei den meisten Insekten die Anlage des 
untern Blattes, aus welchem Meso- und Entoderm entstehen. 

Mit der Schließung der Rinne ist auch die Bildung der Embryonal- 
hüllen verbunden, welche in Form von zwei Falten, wie auch bei 
den andern Insekten, entstehen. Nur in einer Beziehung machen diese 
Embryonalhüllen der Museiden einen Unterschied von denen der andern 
Insekten, dass dieselben nur einen kleinen Teil des Keimstreifens be- 
decken, und namentlich nur denjenigen, welcher auf der Rückenseite 
liegt; der Teil des Keimstreifens, welcher auf der Bauchseite des 
Eies liegt, ist nie von Embryonalhüllen überzogen. Schon Graber!) 
hat dies richtig gesehen und in der Fig. 118 seines Werkes „Die 
Insekten“ auch abgebildet, aber er hat die Sache nicht eingehender 
gewürdigt. 

Beim Zusammenziehen des Keimstreifens auf die Bauchseite, in 
den späteren Stadien der Entwicklung, wird diese Embryonalhüllen- 
falte ausgezogen, und die äußere Lamelle wird unmittelbar zur Haut 
der Rückenseite. Die Embryonalhüllen der Museiden sind also sehr 
wenig ausgebildet, sie bedecken nur einen kleinen Teil des Keim- 


streifens bezw. des Embryos, und gehen unmittelbar in die Haut der 
Larve über. 


1) Graber, Die Insekten. Zweiter Teil, S. 403, Fig. 118. München 1879. 


Kowalevsky, Entwicklung der Museiden. 51 


Abgesehen von den Embryonalhüllen besteht also der Keimstreifen 
in der 5.—6. Stunde der Entwicklung aus zwei Embryonalblättern: 
nämlich dem äußern, dem Ektoderm — und dem innern, dem Meso- 
Entoderm, welches letztere aus den Zellen derzusammengefallenen Wände 
der geschlossenen Rinne sich gebildet hat. — Im Innern, im Dotter, 
sind noch mehrere Kerne eingelagert, welche auch öfters den Dotter 
in gewisse Zellenterritorien teilen; diese Zellen aber, welche mancher- 
seits für das Entoderm angesehen werden, haben mit diesem nichts 
zu schaffen, wie wir später sehen werden. 

Die erste Erscheinung nach der Schließung der Rinne und deren 
Zerfall in eine gemeinschaftliche Anlage des Ento-Mesoderms ist 
die Spaltung dieser beiden Blätter. Diese Spaltung oder Teilung 
geht in folgender Weise vor sich. Am Kopfteil des Keimstreifens, 
nieht weit vom vordern Ende des Körpers, bildet sich eine Einstülpung 
des Ektoderms, welche die Anlage des Vorderdarms darstellt. Diese 
Einstülpung, soweit dieselbe nach innen wächst, verdrängt den vordern 
Teil des innern Blattes, welcher aufgehoben wird und in Form eines 
Uhrglases in den vordern Teil des Dotters eindringt. Dieser uhrglas- 
förmige Teil des untern Blattes (Ento-Mesoderms), indem er von dem 
sich einsenkenden Vorderdarm aufgehoben wird, teilt sich vom primi- 
tiven untern Blatte und stellt jetzt eine selbständige Anlage, näm- 
lich die vordere Hälfte des Entoderms dar. Ein ganz ähnlicher Vor- 
gang vollzieht sich auch auf dem hintern Ende des Keimstreifens. 
Dort nämlich senkt sich auch der Hinterdarm ein und drängt einen 
Teil des primitiven untern Blattes vor. Diese vorgedrängte Partie 
teilt sich beim weitern Vordringen auch vom primitiven untern 
Blatte ab und bildet die hintere Anlage des Entoderms. — Das Ento- 
derm besteht also zu dieser Zeit aus zwei uhrglasförmigen Anlagen, 
eine am vordern, die andere am hintern Ende des Keimstreifens. 
Mit ihren ausgewölbten Teilen sind diese Anlagen nach den respek- 
tiven Enden des Keimstreifens gerichtet und mit deren Rändern gegen 
einander. Von vorn und hinten umgeben dieselben den Dotter und 
wachsen gegenseitig einander zu, bis sie einander begegnen, ver- 
schmelzen und den Dotter vollständig einschließen. — Das gegensei- 
tige Wachstum der uhrglasförmigen Anlagen des Entoderms geschieht 
aber nicht ganz gleichmäßig auf den Rändern der Anlage, sondern 
wie von vorn so auch von hinten treten von jeder Anlage zwei Aus- 
wüchse hervor, welche, dem Rande des Kernstreifens folgend, schneller 
wachsen und sich früher begegnen als die andern Teile des Ento- 
derms !). — Die in den Dotter eingeschlossenen Zellen bleiben in 





I) Diese Zellenstränge sind von mir in meinen Studien über Hydrophilus 
als erste Anlage des Entoderms beschrieben worden. Alle neueren Forscher 
haben dieselben gesehen, leiteten sie aber von den Dotterzellen ab (Hertwig, 
Cölomtheorie, Taf. II, Fig. 4 u. 5 En). 

4* 


52 Kowalevsky, Entwicklung der Museiden. 


demselben liegen und dienen wahrscheinlich dazu, den Dotter aufzu- 
lösen und zu verflüssigen. Auch nachdem der Dotter ganz von dem 
Entoderm umgeben ist, findet man noch die Dotterzellen darin liegen 
und selbst zu größeren Gruppen sich zusammenzudrängen. — Bei 
dieser Umwachsung des Dotters durch das Entoderm ist noch ein 
Punkt zu beachten, dass nämlich die Einstülpung des Vorder- und 
Hinterdarms nieht unmittelbar an den Eipolen vorgeht, sondern in 
gewisser Entfernung von denselben, so dass also der eingestülpte Teil 
des primitiven untern Blattes nicht den äußersten vordern und den 
äußersten hintern Teil des Dotters umschließt, sondern in den Dot- 
ter sich einsenkt und eine Partie desselben (äußerster vorderer 
und äußerster hinterer Teil des Dotters) von der zentralen Masse des 
Dotters trennt. — Dieser, wenn auch kleine Teil des Dotters, wird 
also nicht von dem Entoderm umschlossen, und kommt demnach zwischen 
Darm und Körperwand zu liegen. Diese kleinen Partien des Dotters 
werden von den hineinwachsenden Zellen des Mesoderms dicht durch- 
setzt und verschmelzen vollständig mit den Mesodermzellen. 

Der ganze übrige Teil des primitiven untern Blattes bezw. sein 
ganzer mittlerer Teil liefert das Mesoderm. Dieses zerfällt dabei 
in zwei Teile: erstens in zwei Stränge von Zellen, welche längs der 
wachsenden Ausläufer des Entoderms liegen und das Darmmuskelblatt 
liefern; der übrige bei weitem umfangreichere Teil des Mesoderms zwei- 
tens liefert alle andern vom Mesoderm stammenden Gebilde des Körpers. 

Wenn wir jetzt versuchen, diese Bildung des Ento- und Mesoderms 
bei den Museciden mit der Bildung dieser Blätter bei andern 
Tieren zu vergleichen, so sehen wir erstens, dass hier auch eine 
Art sehr in die Länge ausgezogener Gastrula entsteht, und dass aus 
dem eingestülpten Teil das Ento- und Mesoderm sich bildet. Also in 
diesen allgemeinen Zügen finden wir eine Uebereinstimmung. Es 
scheint mir aber, dass die Parallele noch weiter gezogen werden 
kann. Namentlich wenn wir der Bildung des Ento-Mesoderms bei 
Sagitta uns erinnern, so finden wir bei derselben, dass der eingestülpte 
Teil des Blastoderms in drei parallele Säcke zerfällt, von denen der 
mittlere das Entoderm liefert, die seitlichen aber das Mesoderm. 
ei den Museiden entsteht auch eine solche Einstülpung wie bei 


Sagitta, und auch der mittlere Teil — allerdings nur an beiden Enden 
vorhanden — liefert das Entoderm, die seitlichen Teile liefern das 


Mesoderm: also ähnlich dem, was wir bei der Sagitta beobachten. — 
Um die Aehnlichkeit weiter zu führen, kann vorausgesetzt werden, 
dass bei der so in die Länge gezogenen Gastrula der Insekten der 
mittlere, das Entoderm liefernde Sack so ausgezogen ist, dass er in 
der Mitte ganz verschwindet und nur an seinem vordern und hintern 
Ende bestehen bleibt. Bei dieser Auffassung wird es von selbst 
schon folgen, dass die sich schließende Rinne fast auf ihrer ganzen 
Länge nur das Mesoderm liefert. 


Kowalevsky, Entwicklung der Musciden. 53 


Jetzt bleibt noch die Frage übrig: wie verhalten sich die Flächen 
der Gastrula zu den Flächen des sich bildenden Entoderms. Bei der 
Sagitta wird die äußere Oberfläche der Blastula nach der Einstülpung 
zur innern Oberfläche des Darmkanals, d. h. die Seiten der Zellen, 
welche bei der Blastula nach außen gerichtet waren, werden im Darm- 
kanal nach seinem Lumen gerichtet. Bei den Insekten kann dasselbe 
auch vorausgesetzt werden. Wenn wir uns die eingestülpte Rinne 
vorstellen, so sind deren Oberflächen ganz ähnlich gelagert wie bei 
der Gastrula; wenn wir weiter die Bildung der beiden Entoderm- 
anlagen dem mittlern Sacke der Sagitta vergleichen, so bleibt die 
Lagerung der Zellenflächen noch ganz dieselbe. Wenn wir dann vor- 
aussetzen, dass der mittlere Sack durch die weite Ausbreitung und 
durch das Eindringen der Masse des Dotters gewissermaßen in seinen 
vordern und hintern Teil zersprengt ist, so kommt der Dotter ins 
Innere des hypothetischen Sackes, und die Zellen, die den Dotter be- 
decken, werden zu dem Dotter in derselben Beziehung stehen, wie 
bei der Sagıtta zu der eingestülpten Fläche. — Dass das auch wahr- 
scheinlich so ist, beweist die Bildung der Gastrula bei dem Fluss- 
krebse und bei andern Dekapoden. Es entsteht bei denselben, wenn 
wir die Untersuchungen von Bobretsxy!) zugrunde legen, eine 
wahre Archigastrula; durch die Entodermzellen dieser Gastrula wird 
der Dotter gewissermaßen filtriert und kommt von außen, . also aus 
dem Blastocöl, in das Lumen des Darmkanales. — Bei den Insekten 
entsteht anstatt dieses Filtrierens bezw. Absorbierens und der darauf- 
folgenden Ausscheidung des Dotters ein breiter Riss oder Zersprengung 
des mittlern Sackes, und der Dotter kommt in dieselbe Lage und 
Beziehung zu den eingestülpten Zellen wie bei den Dekapoden. — 
Man kann sich dabei allerdings verschiedene Möglichkeiten denken; 
ohne den Riss des mittlern Sackes kann ein einfaches Absorbieren 
des Dotters von den Zellen angenommen werden; das Wesentliche 
ist, dass die Bildung des Entoderms der Insekten auf dieselbe Art 
vorgeht wie bei den höheren Crustaceen bezw. Dekapoden und also 
auf eine einfache Gastrulabildung zurückgeführt werden kann. 

Auch von andern Seiten besitzen wir Angaben, dass das Ento- 
derm von einer Gruppe von Zellen abstammt, welche gar nichts mit 
den Dotterzellen zu schaffen haben. Hatschek?) in seinen Bei- 
trägen zur Entwicklung der Lepidopteren, Seite 7, sagt folgendes: 
„Der Keinstreifen ist aus drei Keimblättern zusammengesetzt, von 
denen das Entoderm, als eine Zellmasse von ganz geringer Ausdeh- 
nung, auf den vordersten Teil des Keimstreifens beschränkt ist“. Seine 





1) Zur Entwicklung des Flusskrebses (Russisch), in den Schriften der 
Naturforscher - Gesellschaft zu Kieff 1872. 

2) Hatschek, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Lepidopteren. 
Inauguraldissertation. Naumburg 1877. 


54 Zuntz und Geppert, Natur der normalen Atemreize. 


Abbildung Fig. 4 Taf. 1 erläutert das eben Gesagte. — Meine An- 
gaben differieren nur insoweit von denen Hatschek’s, dass ich zwei 
Entodermplatten finde, die vordere und die hintere, und deren Ab- 
stammung von den vorderen und hinteren Enden der geschlossenen 
Rinne ableite. 

Die Brüder Hertwig!) in ihrer „Cölomtheorie“* versuchen auch 
die Vorgänge der Insektenentwicklung auf die Entwicklung der Sagitta 
zurückzuführen, machen aber dabei einen großen Fehler, indem sie 
die Dotterzellen mit den Entodermzellen identifizieren, die Rinne, also 
die Gastrula-Einstülpung, als aus einer solider Zellenplatte bestehend 
annehmen. „Die Gastrula-Einstülpung ist nämlich solid“ sagen die 
Brüder Hertwig (8. 70). Diese Angabe ist aber für viele Insekten ganz 
unrichtig; beim Hydrophilus, den meisten Käfern, der Fliege führt 
die Einstülpung zur Bildung eines regelmäßigen und ganz geschlos- 
senen Rohres, welches seine selbständigen Wandungen hat, ganz unab- 
hängig von den Dotterzellen. 

Die Entwicklung des Kopfganglions hat in der Beziehung ein 
gewisses Interesse, dass hier zwei Einstülpungen des verdickten Ekto- 
derms entstehen, welehe die beiden Hälften des Kopfganglions liefern. 
Diese Beobachtung wurde auch von Hatschek in seinem oben 
zitierten Werke gemacht, und ganz unrichtig von andern Forschern 
geleugnet. 

Der Entstehung der Imaginalscheiben widmete ieh auch 
meine Aufmerksamkeit, konnte aber die Sache nicht ganz aufklären. 
Ich gelangte indess zu dem Resultate, dass dieselben nicht aus der 
Zellwand der Tracheen entstehen, sondern dass die schon gebildeten 
jungen Imaginalscheibehen mit den Tracheen und Nerven verschmelzen. 


Ueber die Natur der normalen Atemreize und den Ort ihrer 
Wirkung. 


Von N. Zuntz und J. Geppert. 


Man betrachtet heute allgemein den Gasgehalt des arteriellen 
Blutes als den Regulator der Atembewegungen, und es bestehen nur 
noch insofern Kontroversen, als die einen Autoren dem wechselnden 
Sauerstoffgehalt, die andern den Schwankungen der Kohlensäure den 
srößern Einfluss zuschreiben. Auch darüber herrscht kaum ein Zweifel, 
dass die Blutgase die nervösen Zentralapparate der Atmung direkt 
erregen. Ein einfacher Versuch zeigt, dass diese Erklärung nicht 
genügt. Wenn man einem auf Ziehen dressierten Hunde unter Aus- 
schluss jeglicher sensibler Erregung arterielles Blut, das eine Mal 


4) Ose. und Rich. Hertwig, Die Cölomtheorie, S. 70. 


Zuntz und Geppert, Natur der normalen Atemreize. 55 


während der Arbeit, das andere Mal bei Ruhe entnimmt, findet man 
es im erstern Falle reicher an Sauerstoff und ärmer an Kohlensäure. 
Die während der Arbeit eintretende enorme Verstärkung der Atmung 
hat also den. vermehrten Sauerstoffverbrauch und die gesteigerte 
Kohlensäurebildung überkompensiert. Die Atemsteigerung ist dem- 
nach aus dem Gasgehalt des in die nervösen Zentren eintretenden 
arteriellen Blutes nicht zu erklären. 

Es blieben nun folgende Möglichkeiten, welche der experimen- 
tellen Prüfung zu unterwerfen waren: 1) Die Muskelarbeit liefert dem 
Blute bisher unbekannte Substanzen, welche die Atemzentren erregen. 
2) Es wäre denkbar, dass in der Muskelsubstanz selbst zentripetal 
leitende Nerven endigen, deren Erregung das Atemzentrum zu ge- 
steigerter Thätigkeit veranlasst, und es wäre dann die Annahme be- 
rechtigt, dass diese Nerven durch die bei der Muskelkontraktion sich 
abspielenden Vorgänge gereizt werden. Diese früher von Volk- 
mann namentlich verfochtene Anschauung erscheint uns durch Ro- 
senthal’s Experimente nicht vollkommen widerlegt. 3) Durch die 
Willensimpulse werden gleichzeitig die Muskeln in Thätigkeit gesetzt 
und die Atemzentren unwillkürlich miterregt. Die zweite und dritte 
Möglichkeit konnten gleichzeitig geprüft werden, indem wir in Mus- 
keln, welche dem Einflusse des Willens entzogen und der Sensibilität 
beraubt waren, durch künstliche Reizung Kontraktion hervorbrachten 
und deren Effekt auf die Atmung und die Blutgase beobachteten. 
Jede nervöse Verbindung zwischen den thätigen Muskeln und den 
Atemzentren wurde durch Trennung des Rückenmarks zwischen dem 
achten und zwölften Brustwirbel zerstört. Nach dieser Operation 
konnte durch elektrische Reizung der Hüftnerven ein andauernder 
kräftiger Tetanus der hintern Extremitäten erzeugt werden, ohne 
dass das Tier irgend eine Empfindung davon hatte. Der Effekt auf 
die Atmung war nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ der- 
selbe wie bei willkürlicher Arbeit. Auch die arteriellen Blutgase 
waren in demselben Sinne verändert wie bei der willkürlichen Mus- 
kelthätigkeit. 4) Es bleibt eine letzte wiewohl wenig wahrschein- 
liche Möglichkeit, die Erscheinung doch noch aus der Wirkung der 
Blutgase zu erklären: das bei der Muskelthätigkeit venöser in die 
Lungen eintretende Blut konnte hier auf Nervenendigungen wirken, 
deren Erregung reflektorisch die verstärkte Atmung vermittelt. Auch 
diese Möglichkeit war ausgeschlossen, als die Wirkung des Tetanus 
unverändert blieb, nachdem alle Nervenbahnen zwischen Lunge und 
Atemzentrum getrennt waren, d. h. nachdem das Rückenmark am 
siebenten Halswirbel und alle Nerven des Halses mit Ausnahme der 
Phreniei im Niveau der obern Brustapertur durchschnitten waren. — 
Unsere Versuche führen zu folgenden Schlüssen: 1) Die Regulation 
der Atmung wird im wesentlichen durch die Beschaffenheit (und 
Menge) des in die betreffenden nervösen Zentren eintretenden Blutes 


56 Paneth, Hirnrinde neugeborner Hunde. 


vermittelt. 2) Außer dem Sauerstoff- und Kohlensäuregehalt des 
Blutes wirkt noch ein unbekannter, namentlich durch die Muskel- 
thätigkeit in größeren Mengen sich bildender Stoff, welcher auch bei 
Gegenwart überschüssigen Sauerstoffs eine Zeit lang wirksam bleibt. 


Ueber die Erregbarkeit der Hirnrinde neugeborner Hunde. 
Von Dr. Joseph Paneth. 


Die Frage, ob der Effekt der elektrischen Reizung bestimmter 
Stellen der Hirnrinde, wie ihn Hitzig und Fritsch beschrieben 
haben, auch bei neugebornen Tieren, respektive schon in den ersten 
Tagen des Extrauterinlebens, wahrzunehmen sei, wird von verschie- 
denen Autoren und für verschiedene Tiere nicht übereinstimmend be- 
antwortet. Soltmann!), der sie sich zuerst vorlegte und durch 
eine große Zahl von Experimenten zu beantworten suchte, kam zu 
dem Resultate, dass erst nach dem 10. Tage die Hirnrinde erregbar 
werde, und zwar nicht für alle in Frage kommenden Muskeln gleich- 
zeitig, sondern zuerst für das gekreuzte Vorderbein. Die erregbare 
Partie fand er anfänglich größer als später. Seine Versuchstiere 
waren hauptsächlich Hunde (außerdem Kaninchen); er narkotisierte 
den größten Teil seiner Objekte, wie es scheint, und fand, dass das 
Morphin dabei bessere Dienste leiste als Chloroform und Aether; er 
wendete von ersterem relativ große Dosen (0,04—0,06 g) an. Die 
elektrische Reizung wurde mit verschieden starken konstanten Strömen 
vorgenommen. Die Ursache der Unerregbarkeit suchte er in dem 
Fehlen der Markscheide, welche bei der Fortleitung des Reizes die 
Rolle eines Isolators spiele; so gerate der Reiz auf Abwege. 

Das Resultat der Soltmann’schen Untersuehung, dessen Glaub- 
würdigkeit durch manche theoretische Erwägungen erhöht wurde, ist 
auch in Gesamtdarstellungen der Lehre vom Gehirn übergegangen und 
scheint — wenigstens in Deutschland und Oesterreich — als bewiesene 
Thatsache angesehen worden zu sein. 

Bald nachher erschien eine Arbeit von Tarehanoff?) über das- 
selbe Thema. Tarchanoff, der nicht einfach von der Erregbarkeit 
der Hirnrinde, sondern von der Existenz und Entwieklung psycho- 
motorischer Uentra spricht, suchte dieselben zunächst bei Tieren, die 
entwickelter zur Welt kommen, als Kaninchen und Hunde: bei Meer- 
schweinchen. Er konnte bei diesen nicht nur nach der Geburt, son- 


1) Soltmann, Experimentelle Studien über die Funktion des Großhirns 
bei Neugeborenen. Archiv für Kinderheilkunde, IX, 1876. 

2) Tarchanoff, Sur les centres psychomoteurs des animaux nouveaunes 
et leur d&veloppement dans diff&rentes conditions. Revue mensuelle de mede- 
eine et de chirurgie, 1878, p. 721 et 826. 


Paneth, Hirnrinde neugeborner Hnnde. 57 


dern sogar schon gegen das Ende der Tragzeit in utero vom Hirn 
aus Kaubewegungen, Zuckungen der gekreuzten Vorder- und Hinter- 
pfote erzeugen. Er fand das Gehirn dieser Tiere makroskopisch und 
mikroskopisch entwickelter als das von Kaninchen; es zeigt nämlich 
Windungen, die letzterem fehlen und enthält Pyramidenzellen und 
markhaltige Nervenfasern, die beim Kaninchen noch nicht vorhanden 
sind. Auch die chemische Untersuchung bestätigte das; denn das 
Gehirn des Meerschweinchens zeigte gegenüber dem des Kaninchens 
eine Annäherung an die beim erwachsenen Tier stattfindenden Ver- 
hältnisse durch seinen größern Gehalt an festen Bestandteilen und 
Phosphor. Bei Kaninchen konnte er das Resultat der Soltmann’schen 
Untersuchung bestätigen, auch für den Fall, dass die Tiere vor Ab- 
kühlung geschützt wurden. Erst am 11.—13. Tage post partum fand 
er die psychomotorischen Zentren. Er schließt aus alle dem, dass 
verschiedene Tierspecies verschieden entwickelt zur Welt kommen. 
Die Entwicklung der psychomotorischen Zentren (sowie des Nerven- 
systems überhaupt) konnte er bei Hunden und Kaninchen beschleu- 
nigen, durch kleine Dosen Phosphor, oder dadurch, dass er die 
Tierchen täglich 1—2 Stunden lang mit dem Kopf nach unten auf- 
hing und ihnen so Hirnhyperämie erzeugte; oder auch verzögern, 
durch kleine Dosen Alkohol. Doch wurde die Untersuchung an 4 bis 
6 Wochen alten Tieren angestellt; und dieser Teil der Tarchanoff’- 
schen Abhandlung interessiert uns für diesmal nicht. 

Tarehanoff erwähnt ferner, dass Rouget in einem vor der 
Societe de biologie in Paris gehaltenen Vortrage die Unerregbarkeit 
des Gehirns neugeborner Tiere, sogar etwas früher als Soltmann, 
behauptet habe. 

Marcacci') hat an Hunden, die unmittelbar vor dem natür- 
lichen Ende der Schwangerschaft durch Sectio eaesarea zur Welt be- 
fördert worden waren, im chloroformierten Zustand nur dadurch ge- 
kreuzte Bewegungen hervorrufen können, dass er die Elektroden 
1—2 mm tief in die Hirnrinde einsenkte. Bei 2 Tage alten Hunden 
und Katzen dagegen war er im stande, schon durch bloße Berührung 
der Hirnrinde — appoggiando leggiermente — wohl charakterisierte 
— distintissimi — gekreuzte Zuekungen hervorzurufen. 

Ich entnehme ferner Marcacei (a. a. O.) die Notiz, dass Le- 
moine (dessen Abhandlung mir im Original leider nieht zugänglich 
war), im Laboratorium von B&elard an neugebornen Hunden und 
Katzen gleichfalls von der Hirnrinde aus Bewegungen der gekreuzten 
Extremitäten hervorrufen konnte, und zwar leichter der vordern als 
der hintern, sowie, dass auf Lemoine’s Veranlassung Duval das 
Gehirn dieser Tiere mikroskopisch untersuchte und die Abwesenheit 





1) Marcacei, Centri motori corticali. Estratto dal giornale della R. 
Aceademia di Torino. Torino 1882, p. 91. 


58 Paneth, Hirnrinde neugeborner Hunde. 


der charakteristischen Pyramidenzellen konstatierte, die in der Hirn- 
rinde erwachsener Hunde nicht fehlen. An ihrer Stelle fanden sich 
nur Rundzellen, manchmal mit einer kleinen Verlängerung. 

Dagegen konnte sich Crosnier de Varigny'), der im Labora- 
torium von Vulpian seine Versuche anstellte, bei zwei Hunden von 
1—2 Tagen weder in der Chloralhydratnarkose, noch im wachen Zu- 
stande von der elektrischen Erregbarkeit der Hirnrinde überzeugen. 

Somit ist diese bei neugebornen Tieren weder streng bewiesen 
in dem Sinne, dass für die positiven Erfolge elektrischer Reizung 
derselben die Möglichkeit, dass sie auf Stromschleifen in die Tiefe 
beruht haben könnten, ausgeschlossen erschiene, noch kann sie, an- 
gesichts mehrfacher positiver Angaben, als widerlegt gelten. Ich be- 
nutzte daher die sich mir wiederholt darbietende Gelegenheit, um über 
diese Frage womöglich ins klare zu kommen. Herrn Prof. Exner 
danke ich herzlichst für seine Mitwirkung an diesen Experimenten. 

Es wurde stets an nicht narkotisierten Tieren experimentiert. Die 
große Empfindlichkeit sehr junger Menschen gegen Narkotica, insbe- 
sondere gegen Morphin, ist eine allbekannte Thatsache ?). Ich selbst 
habe wiederholt gesehen, dass die Hirnrinde von jungen Hunden, die 
mit Morphin narkotisiert waren, unerregbar war. Aus diesem Grunde 
habe ich im allgemeinen Narkose vermieden und nur in zwei Fällen 
versucht, durch Vorhalten eines mit Chloroform getränkten Schwam- 
mes die spontanen Bewegungen der Tierchen zu besänftigen; diese 
Experimente gaben das eine einen negativen, das andere bloß einen 
wahrscheinlichen Erfolg. Die Tiere wurden sorgfältig, eventuell durch 
Einpacken in Watte, vor Abkühlung geschützt. Die Reizung wurde 
durch momentanes Aufsetzen von Platinelektroden bewirkt, die mit 
der sekundären Rolle eines du Bois’schen Schlittenapparats in Ver- 
bindung standen. Derselbe wurde durch ein Chromsäure-Element in 
Thätigkeit versetzt. Die Rollendistanz war verschieden groß und 
betrug meistens 6—12 em. Es ist selbstverständlich, dass zur Reizung 
stets Momente benutzt wurden, in denen die Tiere rubig waren. 
Uebrigens unterscheiden sich die Bewegungen nach Reizung der Hirn- 
rinde außer durch ihr zeitliches Zusammentreffen mit dem Moment 
des Reizes auch durch ihren Charakter von den spontanen Bewegungen 
des Tierchens. Sie sind nämlich viel brüsker, und manche von ihnen, 
z. B. die Spreizung der Zehen, scheint sonst überhaupt nicht vorzu- 
kommen. Sie betreffen zumeist die gekreuzte vordere Extremität in 
allen ihren Teilen; manchmal, aber sehwächer, auch die gleichnamige 


4) Crosnier de Varigny, Recherches exp6rimentales sur l’exeitabilite 
des eirconvolutions c&er&brales, Paris 1884. 

2) Vgl. Nothnagel und Rossbach, Handbuch der Arzneimittellehre, 
3. Aufl, S. 611; ferner Ziemssen, Handb. der spez. Pathologie u. Therapie, 
Intoxikationen, 8. 525. 


Paneth, Hirnrinde neugeborner Hunde. 59 


vordere, seltener die gekreuzte hintere Extremität. In einem Falle 
konnten auch Zuckungen im Bereich der Pars respiratoria des N. fa- 
cialis erzeugt werden. 

Das Hirn wurde immer möglichst rasch und in größerer Ausdeh- 
nung freigelegt. Es hat nämlich bei neugebornen Hunden sehr große 
Neigung zu prolabieren und wird dann durch die Ränder der Lücke 
in den Schädeldecken eingeschnürt und verletzt, was sich durch aus- 
giebige Eröffnung des Schädels vermeiden lässt. Außerdem war es 
auf diese Weise möglich, die Hirnoberfläche abzutasten und zu eruieren, 
ob die Bewegungen von allen Stellen auszulösen waren oder nicht. 
Es wurde dann noch durch Um- und Unterschneidung der Stelle, die 
sich als erregbar gezeigt hatte, oder durch Unterschneidung allein 
und nachfolgende Reizung mit viel stärkeren Strömen als zuvor der 
Beweis intendiert, dass der Effekt nicht darauf beruht habe, dass 
tiefer gelegene Hirnanteile, deren Erregbarkeit schon Soltmann 
konstatierte und auch ich wiederholt sah, von Stromschleifen getroffen 
wurden. Selbstverständlich durfte nach Unterschneidung kein Effekt 
mehr auftreten, wenn das Experiment Beweiskraft haben sollte. 

Im Vorstehenden sind schon größtenteils die Kriterien angegeben, 
nach denen entschieden wurde, ob ein Versuch „positives“, „negatives“, 
oder ein „wahrscheinliches“ Resultat ergeben habe. Um das erstge- 
nannte anzunehmen, verlangte ich: 

1) Zeitliches Zusammentreffen der Bewegung mit dem in einem 
Moment der Ruhe des Tieres applizierten Reize, 

2) Brüsken, schleudernden Charakter der Bewegungen und Be- 
schränkung derselben auf Extremitäten-, ohne Beteiligung der Rumpf- 
muskeln. 

3) Beschränkung der erregbaren Stelle auf ein bestimmtes Areal 
der Hirnrinde. Die Reizung an andern Orten musste erfolglos sein, 
ebenso die Applikation der Elektroden an den Knochenrand. 

4) Nach Um- und Unterschneidung, oder nach letzterer allein, 
musste der Effekt vollständig aufhören, auch für viel stärkere Ströme, 
als die zuvor angewendeten. 

In mehreren Fällen wurde konstatiert, dass die Unterschneidung, 
die höchstens 0,5 em tief war, die Stammganglien nicht herührte. 

Fehlte eines von den sub 1—4 angeführten Kriterien, 
so ist, auch wenn alle übrigen zutrafen, der betreffende 
Versuch nur als „wahrscheinlich“ gerechnet. 

Folgende Tiere standen mir zugebote: 

2 von höchstens 18 Stunden extrauterinen Lebensalters. 


1 ” ” 24 ” ” ” 
2 n I] 3 6 ” ” ” 
4 » ” 48 ” ” N 


An 4 von diesen wurden beide Hemisphären zum Versuche be- 
nutzt. Diese Experimente sind doppelt gerechnet. Es ergaben acht 


60 Paneth, Hirnrinde neugeborner Hunde. 


Versuche ein positves, vier ein wahrscheinliches, einer ein negatives 
Resultat. 

Es scheint mir hiermit bewiesen zu sein, dass schon in den ersten 
extrauterinen Lebenstagen die Hirnrinde der Hunde erregbar ist. 

Hiervou abweichende Resultate können durch den Einfluss der 
Narkose, durch zu langsames Operieren, Abkühlung der Tiere, über- 
mäßigen Blutverlust bewirkt sein. Belehrend nach dieser Richtung 
waren zwei Experimente an 18 Stunden alten Tieren. An der zuerst 
freigelegten Hemisphäre fiel der Versuch bei beiden „positiv“ aus. 
Die Bewegungen persistierten nach Umsehneidung der erregbaren 
Partie, hörten nach Unterschneidung vollständig auf. Bei Reizung 
der andern Hemisphäre traten in beiden Fällen anfangs gekreuzte 
Zuckungen auf, ganz so, wie auf der andern Seite; aber die Erreg- 
barkeit sank zusehends, alsbald konnte auch mit den stärksten Strö- 
men nichts mehr erreicht werden, und der Versuch ergab nur ein 
„wahrscheinliches“ Resultat. Das scheint mir deutlich zu zeigen, wie 
der traumatische Eingriff allein unter Umständen hinreichen kann, 
die Erregbarkeit der Hirnrinde bei so zarten Organismen zu ver- 
nichten. 

Die erregbare Stelle von 1—2 em Fläche lag immer in der Gegend 
des Suleus erueiatus; dieser selbst war in einigen Fällen deutlich zu 
erkennen, in andern nur angedeutet. Die übrige Hirnoberfläche war 
unerregbar. 

Das erregbare Stück wurde in zwei Fällen exzidiert und nach 
der von Exner!) angegebenen Osmiummethode auf die Anwesenheit 
markhaltiger Fasern untersucht. Dieselben fehlten vollständig. 

Nachträglich durch die Güte des Herrn Prof. Obersteiner in 
den Besitz der Lemoine’schen Arbeit?) gelangt, entnehme ich der- 
selben noch, dass er bei neugebornen Hunden (2) und Katzen (3) 
„den Erfolg der Reizung der Hirnrinde ganz ebenso wie beim Er- 
wachsenen“ gesehen hat. Während aber Mareacei und Lemoine 
aus ihren Resultaten, zusammen mit dem histologisch unvollkommenen 
Bau der Hirnrinde neugeborner Tiere den Schluss ziehen, dass die 
Erregung auch bei Erwachsenen eigentlich nielit in ihr, sondern in 
tiefern Partien stattfinde, nötigt mich schon der Umstand, dass die 
Unterschneidung den Effekt der Reizung aufhebt, die Hirnrinde als 
das Erregbare anzusehen — von allen andern Gründen, die hierfür 
beim Erwachsenen sprechen, abgesehen. 

Angesichts der thatsächlichen Uebereinstimmung zwischen Le- 
moine, Mareaceci und mir, kann die eingangs erwähnte Behaup- 
tung Soltmann’s wohl nicht mehr als richtig gelten. 





1) S. Exner, Zur Kenntnis vom feinern Bau der Großhirnrinde. Sitzungs- 
berichte der k. Akad. d. Wissensch , III. Abt., Februar-Heft, 1881. 

2) A. Lemoine, Contribution A la determination et A l’&tude experimen- 
tale des localisations fonctionelles enc&phaliques. These. Paris 1880, p. 46. 


Fischer und Penzoldt, Ueber die Empfindlichkeit des Geruchssinnes. 61 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 
Physikalisch-medizinische Sozietät zu Erlangen. 

Emil Fischer und Franz Penzoldt, „Ueber die Empfind- 
lichkeit des Geruehssinnes“. 

Zuverlässige Bestimmungen der Gewichtsmengen riechender Sub- 
stanzen, welche nötig sind, um Geruchsempfindung hervorzurufen, 
sind unseres Wissens nur von Valentin!) ausgeführt worden. Der- 
selbe fand mittels einer ziemlich umständlichen Methode, dass ein 
Luftstrom, der im Kubikeentimeter !/y, 000 mg Brom, oder "sooo Mg 
Schwefelwasserstoff, oder !yoo0.000 mg Rosenöl enthielt, noch deut- 
lich den Geruch dieser Stoffe erkennen ließ. 

Da er die Luftmenge, welche die geruchsperzipierenden Abschnitte 
der Nasenhöhle passieren muss, um eine Empfindung hervorzurufen, 
auf 50—100 Kubikceentimeter schätzte, so berechnet er die durch den 
Geruch erkennbaren Mengen auf ’/oo mg für Brom, oo mg für 
Schwefelwasserstoff, und !/,yo0o0 Mg für Rosenöl. 

Gelegentlich einer zu andern Zwecken unternommenen Unter- 
suchung über den Geruchssinn, welche bald durch äußere Umstände 
unterbrochen wurde, haben wir ähnliche Versuche mit andern stärker 
riechenden Stoffen angestellt und sind dabei zu sehr viel kleineren 
Werten gelangt. 

Die von uns benutzte Methode war folgende: Als Versuchsraum 
diente ein leerer Saal von 230 Kubikmeter Inhalt mit getünchten 
Wänden und Steinboden. Von der zu untersuchenden Substanz wurde 
1 g genau abgewogen, in 1 Liter reinem Alkohol gelöst und von 
dieser Lösung 5 ebem abermals mit Alkohol in bestimmtem Verhältnis 
verdünnt. Von der letzten Mischung wurden 1—3 ebem in eine kleine 
Flasche abgemessen, welche ähnlich den Waschapparaten für Gase 
einen doppelt durchbohrten mit 2 gebogenen Glasröhren versehenen 
Kork trug. 

Das Abwägen, Verdünnen und Abmessen der riechenden Sub- 
stanz, sowie das Reinigen der äußern Wände der Flasche geschah 
durch eine beim Versuch selbst nicht beteiligte Person im chemischen 
Laboratorium weit entfernt von dem benutzten Saale. 

Für den Versuch selbst wurde der Inhalt der Flasche von dem 
Einen von uns (F.) in dem allseitig geschlossenen Saale mit einem 
kleinen Handgebläse nach allen Richtungen verdampft, was 5—10 Mi- 
nuten dauerte und hierauf die Luft des Raumes mit einer großen 
Fahne etwa 10 Minuten lang sehr sorgfältig gemischt. 

Auf ein gegebenes Zeichen trat der Andere (P.) ein, um den 
Geruch zu prüfen. 

Wir versäumten übrigens nicht, das Resultat durch eine unbe- 
fangene, gebildete dritte Person kontrolieren zu lassen. 


1) Valentin, Lehrb. d. Physiol, 1848, II, 2, 8. 279 ft. 





62 Fischer und Penzoldt, Ueber die Empfindlichkeit des Geruchssinnes. 


In der angegebenen Weise wurden nach einer orientierenden Aus- 
wahl unter verschiedenen Riechstoffen das Mercaptan und Chlor- 
phenol genauer geprüft. 


Mercaptan. 


1. Versuch. 2 mg Mercaptan verdampft: 

Ueberall äußerst starker anhaltender Gestank, welcher selbst 
durch Oeffnen von 4 Fenstern und 2 Thüren und Herstellung eines 
lebhaften Luftzugs nicht beseitigt wurde und noch !/, Stunde später, 
nachdem die Fenster wieder geschlossen waren, recht deutlich war. 

Bei einer Verdünnung von 2 mg Mercaptan in 230 cbm kommt 
auf den Cbem Luft 15000000 Mg, was ungefähr einem Volumver- 
hältnis von Mercaptan zur Luft = 1:300000000 entspricht. 

Das eklatante Resultat dieses Versuchs bewog uns mit der zu 
prüfenden Quantität rasch herunterzugehen. 

2. Versuch. 0,01 mg Mercaptan verdampft. 

P. hatte schwache, aber deutliche Geruchsempfindung, ebenso die 
kontrolierende Person, während F., wahrscheinlich durch die Ge- 
wöhnung an den Geruch während des Verdampfens und Mischens 
unempfindlich gemacht, nichts wahrnahm. 

Es war somit wohl die Grenze erreicht. 

Verdünnung in 1 cbem Luft Y/, 3000000 mg Mercaptan. 

Volumverhältnis von Mercaptan zur Luft abgerundet: 

1: 60. 000. 000 000. 
Chlorphenol. 

3. Versuch. 1 mg Chlorphenol verdampft. 

Der Geruch war für P., sowie für die kontrolierende Person un- 
zweifelhaft sehr deutlich. 

Verdünnung: 1 ebem Luft enthielt "/a30 000 o0oo mg Chlorphenol. 

Volumsverhältnis von Chlorphenol zur Luft —= 1:1320000000. 

Um aus diesen Zahlen die absolute durch die Nase noch wahr- 
nehmbare Gewichtsmenge jener Stoffe zu berechnen, war es nötig die 
Luftmenge zu bestimmen, welche die Nase bezw. die Regio olfaetoria 
während einer Geruchsempfindung passieren muss. 

Am günstigsten für das Riechen sind die Bedingungen beim 
Schnüffen d. h. bei kurzen Inspirationen durch die Nase, bei welchen 
durch eine Verengerung der Naseneingänge eine starke wirbelförmige 
Bewegung der einströmenden Luft hervergerufen wird. 

Dieses Schnüffeln konnte nun P. in der gleichen Weise, wie es 
bei den oben geschilderten Versuchen geschehen, nach einer tiefen 
Exspiration 20 mal wiederholen, bis sich seine Lungen mit Luft ge- 
füllt d. h. 5000 ebem eingeatmet hatten. Es passierten also beim ein- 
maligen Schnüffeln ungefähr 550 ebem die gesamte Nasenhöhle. 

Nach den Angaben über die Ausbreitung des Riechnerven |Henle]') 


1) Henle, Handbuch der Anatomie, 1873, IL, $ 855, 861. 








Fischer und Penzoldt, Ueber die Empfindlichkeit des Geruchssinnes. 63 


kann man den Kubikinhalt des der Regio olfactoria entsprechenden 
Teils des Cavum nasi im Verhältnis zum übrigen Hohlraum gut ge- 
rechnet höchstens wie 1:5 taxieren. Wir kamen auf diese Weise 
darauf, dass 50 ebem Luft zu einer Geruchsperzeption notwendig sind, 
also etwa zu demselben Resultat wie Valentin. Bedenkt man aber, 
dass auf dem direktesten Wege in den weiten untern Nasengängen 
wahrscheinlich im Verhältnis viel mehr Luft nach den Lungen strömt, 
als auf dem Umwege durch die enge Regio olfactoria, so erscheint 
selbst die Quantität von 50 cbem als zu hoch. Legen wir aber diese 
Zahl, um a fortiori zu beweisen, unserer Berechnung zu grunde, so 
ergibt sich, dass für eine Geruchswahrnehmung ausreichen: 


1 re 
600000 8 Chlorphenol 

1 A 
460.000 000 8 Mercaptan. 


Das Mercaptan ist also im stande in außerordentlich viel kleineren 
Mengen, als es irgend eine der von Valentin geprüften chemischen 
Substanzen gethan hat, den Riechnerven zu erregen. 

Es scheit uns nicht überflüssig diese Zahl zu vergleichen mit den 
Gewichtsmengen nancher Metalle, welche durch die schärfste aller 
chemischen Methoden, die Spektralanalyse, erkannt werden können. 
Kirchhoff und Bunsen!) fanden, dass nach dem Verpuffen von 
3 mg cehlorsaurem Natron in einem Zimmer von 60 ebm Inhalt die 
Natriumlinie 10 Minuten lang sichtbar war. Da während der Beob- 
achtungszeit etwa 50 ebem Luft die Flamme passierten, so schätzen sie 
die für das Auge leicht erkennbaren Mengen des Natronsalzes auf 


weniger als mei) awas mg Natrium entspre- 


1 
300 000 
chen würde. Bei unserem Versuche war der Mercaptangehalt der 
Luft (0,01 mg auf 230 em) ungefähr 250 mal geringer als der Na- 
triumgehalt bei dem Versuche von K. u. B. 

Diese außerordentliche Empfindlichkeit der Nase gegen Mercaptan 
legt den Gedanken nahe, dasselbe zu benutzen bei Versuchen über 
Luftströmungen, Diffusion von Gasen, bei der Prüfung von Ventila- 
tionsvorrichtungen oder bei geologischen und bergmännischen Studien 
über Spalten, Gänge und Wasserläufe im Gebirge. 

Der Preis des Präparates (100 g 27 Mark), welches bis jetzt 
nur als Curiosum in den chemischen Sammlungen figurierte, würde 
sich bei größerem Bedarf sehr erheblich vermindern, und in den 
meisten Fällen wird auch eine kleine Quantität für den Versuch ge- 





1) Poggendorff’s Annalen, Band 110, S. 168. 
2) In der Abhandlung ist irrtümlich, wohl in Folge eines Druckfehlers 
1 


3000. 000 mg angegeben. 


64 Wittrock, Geschlechterverteilung b. Acer platanoides u. andern Acer-Arten. 


nügen; denn 1g des Stoffes reicht aus, um zum mindesten 500000 ebm 
Luft so stark zu infizieren, dass selbst eine wenig scharfe und ganz 
ungeübte Nase den Geruch erkennen muss. 


V. B. Wittrock, Ueber die Geschlechterverteilung bei Acer 


plalanoides L. und einigen andern Acer- Arten. 
Bot. Centralbl, XXV, 8. 55 -68. 

Die Verteilung der Geschlechter bei den Ahornarten ist merkwürdiger- 
weise bisher einer gründlichern Untersuchung nicht unterzogen worden. Verf. 
hat diese Untersuchung zunächst für Acer platanoides L. an zwei in klimati- 
scher Hinsicht ete. sehr verschiedenen Orten, Stockholm und Budapest, vor- 
genommen. Die Blüten dieses Baumes sind entweder männlich, oder sie ent- 
halten außer den Stempeln nicht funktionierende Staubblätter, sind also nur 
scheinbar hermaphrodit, in Wirklichkeit weiblich. Die Inflorescenz ist nach 
der Auffassung FEichler’s, der sich Verf. anschließt, eine mit Gipfelblüte 
versehene Doldentraube und besteht aus einer Hauptaxe und Nebenaxen von 
2—4 Ordnungen und 3—5 Blütengenerationen (von denen die Blüte der Haupt- 
axe die erste Generation darstellt). 

Es kommen nun bei Acer platanoides L. fünf verschiedene Arten von 
Inflorescenzen vor, von denen jede auf einen besondern Baum beschränkt ist, 
nur ausnahmsweise zwei oder drei auf ein und demselben Baum vorkommen, 
und welche von dem einzelnen Baum alljährlich in der gleichen Weise erzeugt 
werden: 

1) solehe, welche auschließlich aus weiblichen Blüten bestehen; 

2) solche, bei denen die zuerst entwickelten Blüten weiblich, die später 

entwickelten männlich sind; 

3) solche, bei denen die zuerst entwickelte Blüte (die Gipfelblüte) männ- 
lich ist, die folgenden Blüten aber teils männlich, teils weiblich, sowie 
die zuletzt auftretenden meistenteils männlich sind; 

4) solche, bei denen die zuerst entwickelten Blüten männlich, die später 
entwickelten weiblich sind, sowie 

5) solche, wo alle Blüten männlich sind. 

Die am allgemeinsten vorkommenden Inflorescenztypen sind Nr. 2 (be- 
obachtet bei ca. 40°), der untersuchten Bäume) und Nr. 4 (bei ca. 22°/,), s0 
dass also eine Heterodichogamie (vgl. Bot. Jahresbericht, 1878, 8. 310) vorzu- 
herrschen scheint, wie sie bei Juglans regia und andern Monöeisten bekannt 
und wahrscheinlich weiter verbreitet ist [Ref.]. 

Ausschließlich weibliche Inflorescenzen wurden bei nicht ganz 1"/,, männ- 
liche bei ca. 12°, und gemischte vom Typus Nr. 3 bei ca. 3°, der unter- 
suchten Bäume gefunden. 

Acer campestre L. scheint dem Verf. im wesentlichen mit A. platanoides L. 
übereinzustimmen, während bei Acer Pseudoplatanus L nur die Inflorescenz- 
typen Nr. 2 und 4 und 3 beobachtet wurden. Es scheint also auch hier die 
Heterodichogamie (gleichzeitiges Vorkommen proteraudischer und proterogyni- 
scher Stöcke) bereits ausgeprägt zu sein. Dagegen ist Acer Negundo bEranitE 
lich diöeisch. Für diese Art fand Verf. von 300 blütenden Bäumen 143 2, 
157 S', so dass auf 100 2 109,8 d kamen. (für Mereurialis annua hat bekannt 
lich Heyer aus der großen Zahl das Verhältnis von 100 2 zu 105,86 abge- 
leitet, bei Cannabis ist es 100: 86.) FE. Ludwig (Greiz). 





Verlag vi von Eduard Besold i in Erlangen. . — _ Druck von "Junge & Sohn i in Erlangen. 





Biologisches Centralblatt 


unter Mitwirkung von 
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 


24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 











v1 Band. 1. April 1886. Nr. 3, 








Inhalt: Pringsheim, Ueber die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. — 
Volkens, Zur Flora der ägyptisch -arabischen Wüste. — Kowalevsky, Zum 
Verhalten des Rückengefäßes und des guirlandenförmigen Zellenstrangs der 
Museiden. — Albreeht, Zur Odontologie der Kieferspalte bei der Hasen- 
scharte. (Mit Abbildung.) — Pasteur und seine Methode gegen die Ansteckung 
der Tollwut. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 
Physiologische und Physikalische Gesellschaft zu Berlin. — Möbius, Phoeni- 
eurus redivivu. — Pansch, Grundriss der Anatomie des Menschen. — 
Kongress für innere Medizin. 





Ueber die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


Von N. Pringsheim '). 


Die Kontroverse über den Gang der Sauerstoffabgabe assimilieren- 
der Gewebe ist noch keineswegs abgeschlossen. Für mieh und die 
Aufgabe, die ich bei meiner Untersuchung im Auge habe, liegt das 
Interesse an derselben wesentlich in dem Aufschlusse, den der Ver- 
lauf der Sauerstoffabgabe im Spektrum über die Beziehungen zu 
geben vermag, die zwischen den Lichtabsorptionen in der Pflanze 
und dem Gaswechsel derselben bestehen. Nun habe ich bereits an 
anderer Stelle gezeigt, dass sich aus der relativen Lage der Maxima 
von Absorption und Sauerstoffabgabe im Spektrum Folgerungen hier- 
über ableiten lassen, die offenbar geeignet sind, das sonst unverständ- 
liche Absorptionsspektrum der Chlorophylistoffe begreiflich zu machen 
und zu einem biologischen Verständnis der gemeinsamen Farbe aller 
assimilierenden Pflanzen führen können. Aber diesen Folgerungen 
stehen bis jetzt noch, zum Teil wenigstens, Schwierigkeiten im Wege, 
welche die Unsicherheit der Beobachtungen im Makrospektrum 
über die relative Lage der Maxima von Absorption und Sauer- 
stoffabgabe geschaffen hat. 





1) Der folgende Artikel ist ein nur wenig gekürzter Abdruck aus den 
Sitzungsberichten der k. preuß. Akademie der Wissenschaften, 1886, VI. 
VI. 5 


6b Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


Es behaupten bekanntlich einige Beobachter der Erscheinung im 
Makrospektrum noch immer die genaue Koinzidenz dieser Maxima, 
während andere sie mit voller Bestimmtheit in Abrede stellen. Noch 
andere endlich geben zwar zu, dass die Koinzidenz in der blau- 
violetten Hälfte des Spektrums fehlt, halten dieselbe aber für die 
minder brechbare Hälfte aufrecht und behaupten — wenigstens 
für die grünen Pflanzen, auf welche sich die Untersuchungen im 
Makrospektrum bisher allein beschränkt haben — dass zum mindesten 
hier das Minimum der Sauerstoffabgabe mit dem Maximum der Ab- 
sorption im Rot zwischen B und © Fraunhofer genau und konstant 
zusammenfällt. 

Diese letztere Behauptung, die übrigens die vorliegende theore- 
tische Frage nach der Funktion der Farbstoffe für sich allein gar 
nicht entscheidet, ist nun in letzterer Zeit vornehmlich zum eigent- 
lichen Angelpunkt in der Kontroverse über die Kurve der Sauerstoff- 
abgabe im Spektrum geworden. 

Bei der großen Divergenz, die hiernach in den Befunden im 
Makrospektrum noch besteht, war es daher von besonderem Wert, 
dass Engelmann mit der von ihm eingeführten Bakterien - Methode 
im Mikrospektrum einen eigentümlichen, neuen und ingeniösen Weg 
zur Entscheidung der Frage eingeschlagen hat, der, wie man schon 
auf den ersten Blick sieht, viele Vorteile vor der Methode im Makro- 
spektrum voraus hat. 

Engelmann gelangt hierbei aber zu dem Ergebnis, dass trotz 
der anscheinenden Abweichungen der Sauerstoffkurve vom Absorp- 
tionsspektrum dennoch die Maxima beider vollkommen zusammenfallen 
und sucht ferner aus seinen Beobachtungen im Mikrospektrum noch 
den Beweis herzuleiten, dass in jeder Region des Spektrums eine 
direkte und genaue Proportionalität zwischen der Größe der Assimi- 
lation und der Größe der gesamten, bei der Absorption in der 
Pflanze verschwindenden Lichtenergie, besteht. 

Diese Behauptungen schienen mir wenig wahrscheinlich. Sie 
standen mit den Anschauungen, die ich aus andern Erfahrungen 
über das Verhältnis zwischen Liehtabsorption und Lichtwirkung in 
der Pflanze gewonnen hatte, nicht im Einklange, und widersprachen 
außerdem ältern thatsächliehen Befunden. Hieraus nahm ich die 
Veranlassung zur eignen Aufnahme und Wiederholung der Engel- 
mann’schen Versuche im Mikrospektrum, und zu einer Prüfung seiner 
Methode auf ihre Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit, die mir schon 
deshalb geboten schien, weil bisher noch niemand Engelmann auf 
dem von ihm eingeschlagenen Wege gefolgt war. 

Engelmann hat seine Methode in zweierlei Formen angewandt, 
die er als simultane und sucecedane Beobachtungsweise unter- 
scheidet. Grade die simultane Beobachtungsweise eignet sich ganz 
vorzugsweise für die Erkenntnis der relativen Lage der Maxima von 


ur 


Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 67 


Absorption und Sauerstoffabgabe im Versuche. Sie soll hier zunächst 
ihre Besprechung finden. 

Bei derselben wird bekanntlich ein nach Form, Inhalt und Farbe 
möglichst gleichartiges Objekt — z. B. ein geeigneter zylindrischer 
Konfervenfaden — in einem auf das Gesichtsfeld des Mikroskops 
projizierten Spektrum senkrecht gegen die Fraunhofer’schen Linien 
orientiert. Das beobachtete Objekt durchschneidet somit das kleine 
im Mikroskop sichtbare Spektrum, und wird von demselben erleuchtet. 
Sind nun in dem Tropfen, in welchem das Objekt liegt, gegen Sauer- 
stoff empfindliche Bakterien in genügender Anzahl enthalten, so lässt 
sich vermöge der größern Ansammlung derselben an den bevorzugten 
Stellen im Spektrum in günstigen Fällen sofort übersehen, in welchen 
Regionen desselben die Sauerstoffausscheidung ergibiger, in welchen 
sie geringer ist. Zugleich aber gelangen hier im Objekt auch die 
Liehtabsorptionen desselben zur Anschauung, und auch hier treten die 
Stellen größerer und geringerer Absorption mit für unsere Zwecke 
genügender Schärfe und Genauigkeit hervor, so dass die Beziehung 
der Sauerstoffabgabe zu den Absorptionen im Objekte, namentlich 
soweit es nur die Maxima beider betrifft, sich in zahlreichen Ver- 
suchen mit einem Blick übersehen lassen. 

Der eigentümliche Wert der Engelmann’schen Methode, den 
außer ihr keine andere besitzt, und sie selbst auch nur in dieser 
Form simultaner Beobachtungsweise, besteht unfraglich in dieser 
Gleichzeitigkeit der Beobachtung der Absorption und der Sauer- 
stoffabgabe im ganzen sichtbaren Spektrum. Indem beide Ver- 
hältnisse, deren Beziehung gesucht wird, in demselben Versuche 
und, was noch wesentlicher ist, an demselben Objekte im ganzen 
Spektrum gleichzeitig vor Augen liegen, gewinnt die Beurteilung und 
der Vergleich ihrer Größenverhältnisse in den verschiedenen Regionen, 
obgleich hier nur approximative Schätzungen möglich sind, doch einen 
hohen Grad von Sicherheit. Da nun die Lage der Maxima in vielen 
und günstigen Fällen hierbei deutlich zum Ausdruck gelangt, so 
stehe ich keinen Augenblick an, anzuerkennen, dass die Engel- 
mann’sche Methode in der bezeichneten Begrenzung, so lange eben 
nicht exakte Zahlengrößen verlangt, sondern nur die relativen Lagen 
der Maxima gesucht werden, jede andere Methode, namentlich auch 
die im objektiven Makrospektrum, an überzeugender Beweiskraft 
weitaus übertrifft. 

Allerdings muss ich hier gleich hinzufügen, dass man auch bei 
der Bakterien-Methode durchaus nicht sicher ist, in jedem einzelnen 
Versuche sogleich ein bestimmtes und entscheidendes Resultat zu er- 
halten. In manchen Versuchen ist der Eindruck der Bewegung der 
Bakterien, den man erhält, so unbestimmt, dass die Stelle des Maxi- 
mums derselben nicht mit voller Sicherheit festzustellen ist, und in 
andern Fällen wieder kommt die Bewegung so undeutlich zustande, 

5# 


68 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


dass sie gar keinen Schluss von der Bewegung der Bakterien auf 
die Größe der Sauerstoffabgabe in den Spektralbezirken zu gestatten 
scheint. Allein obgleich diese Fälle, die noch bei der Darstellung 
im einzelnen ihre genauere Besprechung finden werden, durch ihre 
negativen Befunde die Untersuchung insofern erschweren, als sie dazu 
zwingen, die Versuchsreihen über eine weit größere Anzahl von Fällen 
auszudehnen, so stören sie doch keineswegs das positive Ergebnis 
der zahlreichen Fälle, in welchen die Entscheidung über die Lage 
der Maxima eine leichte und sichere wird; sie begrenzen vielmehr 
nur genauer den Umfang der Schlüsse, die man aus den Beobach- 
tungen im Spektrum ziehen darf. 

Dies vorausgeschickt gehe ich nun zur Darstellung meiner Ergeb- 
nisse mit der Engelmann’schen Bakterien-Methode über. Ich werde 
hierbei den Gang befolgen, zuerst meine Resultate mit der simul- 
tanen Beobachtungsweise an chlorophyllgrünen Pflanzen mit- 
zuteilen; dann sollen die Kritik der successiven Beobachtungsweise 
und meine Erfahrungen mit derselben folgen; zuletzt meine Ergebnisse 
an andersfarbigen, nicht cehlorophyligrünen Gewächsen und die 
Schlüsse, die sich aus den Untersuchungen im Mikrospektrum für die 
Frage nach der Wirkungsweise der Lichtabsorptionen in der Pflanze 
ergeben. 


I. Die Absorptionserscheinungen chlorophyllgrüner Ob- 
jekte im Mikrospektrum. 


Entsprechend der ganz begrenzten Aufgabe, die ich bei diesen 
Untersuchungen im Auge habe, nur die relative Lage der Maxima 
von Absorption und Sauerstoffabgabe festzustellen, kann ich auch 
hier bei der Darstellung der Absorptionserscheinungen der untersuch- 
ten Objekte von jeder numerischen Bestimmung der Absorptions- 
größen in den Spektralbezirken absehen, und mich allein an die Be- 
stimmung der Lage der Absorptionsbänder halten, die schon bei der 
unmittelbaren Beobachtung genügend scharf hervortreten und über 
den Ort der Maxima der Absorption in den Objekten keinen Zweifel 
lassen. 

In den dünnen mikroskopischen Objekten, die bei der Unter- 
suchung im Mikrospektrum allein in Frage kommen können — ein- 
zelne grüne Zellen oder dünne konfervenartige Fäden, auch Moos- 
blätter, Farnprothallien, dünne Blattdurchschnitte u. s. w. — gelangen 
von den bekannten, dem Chlorophyllfarbstoff angehörigen Absorptions- 
bändern nur Chlorophyliband I im Rot, zwischen B und C Fraun- 
hofer, und die sogenannte Endabsorption im Blau-Violett — Chloro- 
phylibänder V, VI, VII umfassend — zur Wahrnehmung. Die Chloro- 
phylibänder in dem mittlern Teile des sichtbaren Spektrums — 
Chlorophylibänder II, III und IV — fehlen hier ganz, d. h. sie kom- 
men nicht zur Anschauung, weil diese dünnen Objekte inbezug auf 


Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 69 


ihre Absorptionsgröße — soweit diese vom Chlorophylifarbstoff, den 
sie führen, abhängt — nur schwachen Chlorophylllösungen vergleich- 
bar sind, denen die Bänder II, III, IV gleichfalls noch fehlen. Sie 
sind in Rücksicht hierauf etwa mit derjenigen Absorptionsstufe einer 
normalen Chlorophylllösung zu identifizieren, die ich in meiner ersten 
Chlorophyll- Abhandlung unter d, Fig. 1 verzeichnet habe !). 

Der auffallendste Unterschied, der in den Absorptionen zwischen 
den ehlorophyligrünen mikroskopischen Objekten und ihnen gleich- 
wertigen schwachen Chlorophylllösungen hervortritt, ist der bekannte 
der Verschiebung der Absorptionsbänder nach dem roten Ende des 
Spektrums hin. Chlorophyliband I, wenn es noch nicht breit ist, 
nimmt bei den mikroskopischen Objekten den Raum von etwa B bis 
B !, C ein; während es bei den entsprechenden Chlorophylllösungen 
den Raum von etwa 5 '/, C bis C einnehmen würde. Ebenso fängt 
die Endabsorption in den mikroskopischen Objekten etwa gleich hin- 
ter d, — deutlich und sicher schon bei 5!/;, F — in den entsprechen- 
den Chlorophylllösungen erst hinter 5 !/, Fan. 

Außerdem ist aber bezüglich der Absorptionen in den mikro- 
skopischen Objekten noch ein Punkt zur Erledigung zu bringen, der 
für die Folgerungen über die Funktion der Liehtabsorptionen in der 
Pflanze von maßgebender Bedeutung ist. Er betrifft die Breite des 
Chlorophylibandes I und den Ort, wo noch innerhalb dieser Breite 
das eigentliche Maximum der Absorption hinfällt oder zu verlegen ist. 
Das Letztere kann selbstverständlich durch den unmittelbaren Augen- 
schein nicht bestimmt werden. Doch sind für unsern Zweck hier 
photometrische Messungen der Absorptionskoeffizienten gar nicht nötig. 
Es genügt die Beachtung der allmählichen Verbreitung des Bandes I 
bei farbstoffreichern Fäden, um sich in den Grenzen unseres Bedürf- 
nisses über die Stelle, wo das eigentliche Maximum im Rot liegt, mit 
genügender Genauigkeit zu orientieren. 

Bei dünnen oder an Farbstoff armen Objekten — zartern Clado- 
phora-, Ulothrix-, Draparnaldia-, Zygnema-Fäden u. s. w. — beginnt 
das Chlorophyliband fast genau bei B Fraunhofer, eigentlich noch 
eine Spur vor BD, und reicht in seiner Breite niemals bis ©, sondern 
hört schon etwa in der Mitte zwischen B und C auf. Erst bei diekern 
und farbstoffreichern Zellen und Fäden reicht dasselbe weiter nach 
C hin, oder nimmt den ganzen Raum zwischen B und C ein und kann 
selbst in sehr dieken Objekten etwas über C hinaus reichen. Dieses 
Verhaiten entspricht genay der allmählichen Verbreiterung der Ab- 
sorptionsstreifen in Lösungen des Farbstoffes von der Stelle der 
stärksten Absorption aus, und es folgt hieraus mit Notwendigkeit, 
dass das eigentliche Maximum der Absorption im Rot in den 
mikroskopischen Objekten, die der Untersuchung im Mikrospektrum 





1) Monatsberichte d. Akademie d. Wissenschaften in Berlin. Oktober 1874. 


70 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


unterliegen, niemals auf © oder gar hinter C und selbst nicht in 
der Nähe von (, oder in der Mitte zwischen B und © liegen 
kann, sondern viel näher an B, eigentlich auf B selbst, jedenfalls 
aber in der ersten Hälfte zwischen B und © zu suchen ist. 

Auf diesen Umstand ist bei den Untersuchungen über die Sauer- 
stoffabgabe genau zu achten, und ich hebe dies deshalb hier besonders 
hervor. Hierdurch sind die beiden Maxima der Absorption in den 
chlorophyligrünen Objekten ihrer Lage nach genügend scharf be- 
stimmt. Es bedarf aber wohl kaum der Erwähnung, dass außerdem 
in den Objekten noch Absorptionen der andern Spektralregionen 
stattfinden. Die grünen Zellen lassen eben keinen Teil des sichtbaren 
Spektrums ungeschwächt durch, auch nicht den Teil im Anfangsrot 
vor B, allein die Absorptionen sind hier überall bedeutend schwächer, 
als die bezeichneten im Blau-Violett und im Rot, und kommen daher 
bezüglich der Frage der Maxima der Absorption nicht in betracht. 
Da es aber von physiologischem Interesse ist, auch die Absorptionen, 
die nieht vom Chlorophyllfarbstoffe herrühren, in der Pflanze be- 
stimmter zu kennzeichnen, so will ich hier noch kurz darauf hin- 
weisen, dass schon bei der Untersuchung der dünnen Objekte im 
Mikrospektrum — leichter bei den diekern, und bei weniger inten- 
siver Beleuchtung, z. B. im Gaslicht — Verdunkelungen im Anfangsrot 
vor B und unmittelbar hinter dem Bande I siehtbar werden, die bei 
Chlorophylllösungen von entsprechender optischer Konzentration nicht 
vorhanden sind. In diesen erscheinen bekanntlich die betreffenden 
Stellen, namentlich die Stelle vor B, im Kontrast zum Chlorophylil- 
band I ausnehmend hell. Es werden hierdurch in den grünen Objek- 
ten schon im Mikrospektrum Absorptionen wahrnehmbar, die dem 
Chloropbylifarbstoff nicht angehören, und die vornehmlich die ganze 
Region im Rot bis etwa zum Anfang des Gelb betreffen. Die Absorp- 
tionsspektra der grünen Objekte sind daher in keinem Falle identisch 
mit denen der aus ihnen gewonnenen Chlorophylllösungen und der 
sogenannten künstlich dargestellten Rein-Chlorophylle. Doch denke 
ich diese Verhältnisse, die eine eingehendere Behandlung verlangen, 
an dieser Stelle nicht weiter auszuführen, zumal die Schlüsse und 
Deutungen, die ich an die hier vorliegenden Untersuchungen anknüpfen 
will, ausschließlich den Wert jener stärksten Absorptionen der Objekte 
im Blau-Violett und im Rot betreffen, die vorzugsweise den optischen 
Charakter der Chlorophylifarbstoffe kennzeichnen und die grüne Farbe 
der assimilierenden Pflanzen bestimmen. 


(Fortsetzung folgt.) 


Volkens, Flora der ägyptisch-arabischen Wüste. rl 


G. Volkens, Zur Flora der ägyptisch-arabischen Wüste. 
Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wissensch. zu Berlin vom 8. Januar 1886. 


Die äußerst interessante kleine Abhandlung, das Resultat eines 
einjährigen Aufenthalts in Aegypten, ist gewissermaßen der Vorläufer 
einer größern Arbeit, einer „Flora der ägyptisch-arabischen Wüste“, 
die nach einem wesentlich andern Prinzipe, als die gewöhnlichen 
Floren hergestellt werden soll. Während die bisherige Floristik, ab- 
gesehen von ihren Beziehungen zur Pflanzengeographie, ganz in den 
Dienst der Systematik sich stellt, will Verf. in dieser Flora neben der 
vergleichend-morphologischen Betrachtungsweise auch der anatomisch- 
physiologischen Raum gewähren. Er spricht sich darüber folgender- 
maßen aus: „Die Flora eines bestimmten Gebietes, wie sie mir vor- 
schwebt, wird, von den einzelnen Pflanzenformen als etwas Gege- 
benem ausgehend, zuvörderst die Faktoren zu prüfen haben, welche 
nach unsern bisherigen Erfahrungen gestaltend auf einen vegetativen 
Organismus einwirken. Hat ein genaues Studium der klimatischen 
und Bodenverhältnisse diese Vorbedingung erfüllt, so geht sie dazu 
über, die vorhandenen Beziehungen zwischen ihnen und dem Ent- 
wieklungsgange der einzelnen Formen, ihren morphologischen und 
anatomischen Merkmalen aufzudecken. Ein Schlusskapitel, in dem 
Blüte und Frucht am naturgemäßesten zu ihrem Recht kommen, hat 
die Anpassung der Florenvertreter an die Lebewelt zum Gegenstand 
der Darstellung zu nehmen. — Bei einer solchen Auffassung vom 
Wesen einer „Flora“ verlieren die bisherigen Floren nichts von ihrer 
Bedeutung, ihr Wert bleibt, da sie die Vokabeln liefern, welche zu 
einem Erlernen und Verstehen der Sprache der Natur unerlässlich 
sind.“ 

Was den Charakter der Wüste anbelangt, so ist sie durchaus 
nicht der gewöhnlichen Vorstellung entsprechend ein endloses Sand- 
meer, sondern terrassenartig vom Nilthal ansteigend ein chaotisches 
Gewirr von Bergen und Felsmassen, tiefen Schluchten und Thälern, 
die sich vielfältig durchschneiden und verzweigen und dadurch den 
Charakter einer wilden Zerrissenheit hervorbringen. Die Vegetation 
ist auf die Sohle der Thäler beschränkt, hier einen schmalen grünen 
Saum bildend. Indess bilden die Pflanzen nie wie bei uns einen 
gleichmäßigen Teppich; einzeln erheben sie sich, von einander durch 
mehr oder weniger große Zwischenräume getrennt, nur selten eine 
Art Hecke erzeugend, die sich dann aber in endlosem Wechsel aus 
den mannigfaltigsten Pflanzenformen zusammensetzt. Nitraria-Büsche 
wechseln mit Lyeium; Panicum, Pennisetum flechten sich hinein, De- 
verra, Astragalus, Zilla und andere bilden größere Haufwerke. „Mit 
demselben Blicke überschaut man hier eine Farsetia, dort ein Gymno- 
carpum, umstellt von Reaumuria, Iphiena, Echinops und Zygophyllum.“ 
Trotz dieser großen Variabilität auf engem Raume weichen indess 


12 Volkens, Flora der ägyptisch -arabischen Wüste. 


die einzelnen größern Thäler oft erheblich von einander ab; durch 
besonders massenhaftes Auftreten einer bestimmten Form wird nicht 
selten dem ganzen Landschaftsbilde ein ganz besonderer Charakter 
aufgeprägt, ganze Thäler haben nach der herrschenden Pflanzenspecies 
ihre Namen erhalten.“ 

Der Wechsel der Jahreszeiten macht sich für die Pflanzenwelt 
der Wüste im großen und ganzen nur durch einen Gegensatz zwischen 
der Regenzeit, die zumeist in den Februar und März fällt, und der 
ganzen übrigen trocknen Periode des Jahres bemerklich. Wenige 
Keimpflanzen und hin und wieder ein frischer Trieb oder eine Blüte, 
die der oft sehr erhebliche Nachttau während des Winters und 
Herbstes hervorlockt, verändern das Bild der Vegetation während des 
größten Teils des Jahres nicht. Wenn Ende Januar die Regenzeit 
beginnt, entwickelt sich mit unglaublicher Schnelligkeit eine Blätter- 
und Blütenpracht, die auch die sandigsten und kahlsten Stellen mit 
einem grünen Schimmer überzieht. Schon anfangs Mai verschwindet 
der frische Eindruck, die Einjährigen verdorren bei der sich steigern- 
den Hitze und Trockenheit des Bodens allmählich, die Keimlinge der 
Mehrjährigen vermögen nur an besonders günstigen Lokalitäten diesen 
Einflüssen zu widerstehen. „Die Höhen und Abhänge erscheinen jetzt 
wieder in ihrem starren schmutzigen Braun, ein Chamsin erfolgt und 
auch das Grün der Thäler wird matter und matter, immer mehr 
Gewächse von denen, welche den Sommer zu überdauern bestimmt 
sind, verwandeln sich nach dem Vertrocknen ihrer Blätter und Zweig- 
spitzen in dürre holzige, meist dornige Büsche, oder gewinnen durch 
Wachs- und Haarbedeckung ein totes bleigraues Ansehen.“ 

Viele Arten zeigen darin eine zum Klima in direkter Beziehung 
stehende Eigentümlichkeit, dass sie sich nicht scharf in ein- und 
zweijährige gliedern lassen. Oft sterben die meisten Exemplare einer 
Art ab, und nur wenige, deren Wurzeln tief genug in den Boden ein- 
gedrungen sind, vermögen zu überdauern, meist indem sie bis auf 
den Wurzelhals absterben und an diesem Ruheknospen bilden. Solche 
Pflanzen sind Heliotropium undulatum, Centaurea-, Tribulus-, Gypso- 
phila- Arten und andere. 

Von den drei Elementen der Wüste, wie Schweinfurth sagt, 
Salz, Hitze und Wassermangel, betrachtet Verf. nur die beiden letz- 
tern in bezug auf ihren Einfluss auf die Organisation der Wüsten- 
pflanzen. Natürlich wird ein solcher bei denjenigen Arten, die nur 
während der Regenzeit vegetieren, vollständig vermisst; Beispiele 
hierfür anzuführen dürfte überflüssig sein. Mit einigen Einschrän- 
kungen möchte Verf. diesen Formen auch die wenigen in der Wüste 
vorkommenden Zwiebelgewächse anschließen. 

Sowohl diejenigen einjährigen Pflanzen, die zur Reifung der 
Samen längerer Zeit benötigen, sowie die, welche zu übersommern 
vermögen, bedürfen besonderer Mittel, um einerseits des Wassers 











Volkens, Flora der ägyptisch - arabischen Wüste. 13 


überhaupt habhaft zu werden, dann aber auch, um es in der richtigen 
Weise zu verwenden. Die wasserundurchlässigen Schichten liegen 
ziemlich tief, so dass die Pflanzen gezwungen sind sehr lange Wur- 
zeln zu machen, um der ausdörrenden Hitze der obern (oft 50—60° C) 
zu widerstehen. „Keimpflanzen von Monsonia nivea, einer meist ein- 
jährigen Art, die indess bis in den Juli hinein auszudauern ver- 
mag, hatten schon Ende Januar, wo sie aus einer kaum nagelgroßen 
Rosette von drei bis vier Blättchen bestanden, Wurzeln von über 
ein halbes Meter Länge.“ Aehnliche Beispiele ließen sich noch in 
sroßer Menge aufzählen. Interessaut ist das Verhalten mancher Ero- 
dien, die an ihren Wurzeln streckenweise kuglige oder spindelförmige 
Anschwellungen zeigen, aus einem lockern Parenchym bestehend, von 
einem dieken Korkmantel geschützt. Es sind das Speicherorgane für 
Wasser, die zwischen den absorbierenden und transpirierenden Teilen 
der Pflanze eingeschaltet sind. 

Eine äußerst merkwürdige Erscheinung bietet die Gattung Reau- 
muria (R. hirtella). Es ist das ein 2—3 Fuß hoher Strauch, der in 
Felsspalten und Löchern wächst, an Orten also, wo es sehr unwahr- 
scheinlich ist, dass den Wurzeln während des ganzen Jahres das nötige 
Wasser zur Verfügung steht. Die Hauptsprosse der Pflanze verdorren 
im Sommer, es entstehen dafür Nebensprosse mit kleinern Blättern. 
Was nun der Pflanze die Möglichkeit gibt, die lange Periode abso- 
luten Regenmangels zu überdauern, ist die Ausscheidung eines stark 
hygroskopischen Salzes, das sich am Tage als weißliche die ganze 
Pflanze inkrustierende Masse darstellt und von besondern Drüsen 
auf den Blättern abgesondert wird. Während der Nacht ziehen diese 
Salzmassen aus der Atmosphäre Wasser an, das dann, wie Verfasser 
durch Versuche nachwies, von der Pflanze aufgenommen wird. Ein 
wasserspeicherndes Gewebe findet sich im Stamm in Gestalt der zu 
einem solehen umgewandelten primären Rinde vor. Aehnliches Verhal- 
ten zeigen Tamarix-Arten. Andere Pflanzen wie Diplotawis, Plantago, 
Heliotropium nehmen durch besonders gebaute Haare den Tau 
direkt auf. Demselben Zweck dienen feine Wurzelfasern, die nach 
jedem Regenschauer am Wurzelhals mit immenser Schnelligkeit her- 
vorsprossen, um bald wieder zu vertrocknen. 

Sehutzmittel gegen übermäßige Respiration ist zunächst die Re- 
duzierung der Verdunstungsfläche: Blattabwerfen, Einrollen, Aus- 
scheidung einer Wachsschicht und Verdiekung der Außenwand der 
Epidermiszellen. Verf. fand bei einigen Pflanzen eine Erfüllung der 
Epidermiszellen mit einem Celluloseschleim, der das Wasser mit 
großer Kraft festhielt. Bei andern fand er an dessen Stelle Gerb- 
stoff. Von Haaren kommen als Schutzmittel nur die toten, mit Luft 
gefüllten in betracht, die am Tage die Transpiration verhindern, 
während der Nacht aber wie ein Filz geeignet sind kleine Mengen 
Wasser aufzusaugen und festzuhalten. Häufig ist mit der Bildung 


74 Kowalevsky, Rückengefäß der Museiden. 


von Haaren diejenige von ätherischen Oelen verbunden, und interes- 
sant ist es, wie Verf. aufgrund Tyndall’scher Untersuchungen nach- 
zuweisen sucht, dass die mit ätherischem Oeldunst geschwängerte 
Luft, welche solehe Pflanzen umgibt, die strahlende Wärme in viel 
geringerem Grade durchlässt als reine Luft. — Hier anzuführen ist 
auch noch die Herabdrückung der Spaltöffnungen ins Blattgewebe, 
oder ihre Lagerung in tiefen Furchen. 

Als Speicherorgan für Wasser tritt in vielen Fällen einfach die 
Epidermis auf. Am instruktivsten ist der bekannte Fall von Mesem- 
bryanthemum erystallinum. Bei Atriplex besorgen mehrere Schichten 
von wassererfüllten blasenartigen Haaren dies Geschäft. Für Gra- 
mineen sind die bekannten Gelenkzellen anzuführen; noch bei an- 
dern Formen finden sich die Wasserreservoire in verschiedener Ge- 
stalt im Innern der Organe. Da hier nur ausführliche Details infor- 
mieren können, muss auf ein näheres Eingehen verzichtet werden. 

C. Fisch (Erlangen). 


Zum Verhalten des Rückengefäßes und des guirlanden- 
förmigen Zellenstrangs der Musciden während der 
Metamorphose. 

Von A. Kowalevsky, 


Professor in Odessa. 

Wir haben bis jetzt keine positiven Angaben über den Zustand 
des Rückengefäßes der Museiden während der Puppenperiode. 
Weismann!) meinte, das Rückengefäß „unterliegt einem ähnlichen 
Prozesse“, wie er ihn für den Darmkanal beschreibt, d. h. eine Art 
Histolyse. — Diese Angabe wurde aber von keinem neuern Forscher 
bestätigt, die meisten neigten sich der Ansicht zu, dass das Herz 
bestehen bleibe und das Rückengefäß der Larve unmittelbar in das 
Imago überginge. Ich habe mieh auch in diesem Sinne ausgesprochen, 
obgleich meine Beweise ziemlich schwach waren. — In der aller- 
letzten Zeit ist dieser Gegenstand von Herrn J. Künckel?) studiert 
worden, welcher die Bewegungen des Herzens bei der Eristalys-Puppe 
bis zum achten-neunten Tage verfolgt, dann einen Ruhezustand von 
einem bis zu zwei Tagen gefunden und vom zehnten Tage schon 
wieder die Pulsationen des Herzens beobachtet hat. — Dieser Ruhe- 
zustand von ein bis zwei Tagen ist allerdings gar nieht genügend, 


4) Die nachembryonale Entwicklung der Museiden. Zeitschrift f. wissen- 
schaftliche Zoologie, Bd. XIV, S. 308. 

2) J. Künekel, Des mouvements du eoeur chez les insectes pendant la 
metamorphose. 


Kowalevsky, Rückengefäß der Museiden. 7 


um eine Histolyse des Herzens anzunehmen; er kann nur von neben- 
sächlichen Umständen abhängen, einer gewissen Anpassuug der Wan- 
dungen und Muskeln des Rückengefäßes an die neue Lage, welches 
es im Vergleich zur Larve im Imago einnimmt. 

Meine Untersuchungen sind auf mehrere histologische Beobach- 
tungen gegründet, welche auch beweisen, dass das Herz der Larve 
auch im Imago bleibt, wenn auch nieht seiner ganzen Länge nach. — 
Auf die Untersuchung der Herzmetamorphosen wurde ich durch einen 
Versuch geführt, welcher den Zweck hatte, die Rolle der Mittel- 
darmzellen der Larve bei der Verdauung zu bestimmen. Ich fütterte 
die Musciden-Larven mit verschiedenen Farbstoffen und Salzen, um 
das Eindringen der gefärbten Fetttröpfehen in die Zellen des Mittel- 
darmes zu untersuchen. Die Versuche sind nicht gelungen, aber ich 
beobachtete eine höchst interessante Erscheinung, dass nämlich die 
Zellen, die das Herz umgeben, und die Zellen des von Weismann!) 
so genannten „guirlandenförmigen Zellenstrangs“ sich sehr intensiv mit 
den Farbstoffen färben und verschiedene Salze aufnehmen. Besonders 
schöne Resultate gab die Fütterung mit Cochenille und Silbersalzen. — 
Zu beiden Seiten des hintern Teiles des Herzens der Museidenlarve, 
wie es schon sehr schön Weismann?) angegeben hat, vom 11. bis 
9. Segment an, liegen 13 Paare von großen Zellen, von 0,096— 0,11 mm 
Durehmesser. Diese Zellen sind von den zerspaltenen Muskeln um- 
geben, in Form einer spinnwebeartigen Haut. Der mittlere Teil des 
Rückengefäßes reicht vom neunten Segment bis an den hintern Rand 
des fünften, und zeichnet sich durch bandartige zellige Massen aus, 
welche ihn an den Seiten begleiten. Sie sind offenbar die Analoga 
der großen Zellen im hintern Abschnitt des Rückengefäßes. Der vordere 
Abschnitt des Rückengefäßes ist nackt. 

Wenn man die jungen oder auch etwas ausgewachsenen Larven 
mit Fleisch zu füttern beginnt, welchem Cochenillepulver beigemengt 
ist, so bemerkt man schon am zweiten Tage, dass die 13 Paare der 
großen Zellen, welche das hintere Ende des Herzens umgeben, sich 
zu färben beginnen und schon von außen leicht sichtbar werden als 
zwei Reihen von kleinen roten Punkten. Bald nach denselben färben 
sich in derselben Weise auch die bandartigen zelligen Massen, welche 
den mittlern Teil des Herzens umgeben. Macht man die Larve auf, 
so findet man auch die Zellen des guirlandenförmigen Zellenstranges 
rot gefärbt. 

Wenn die Larven von ihrem Austritte aus dem Ei sogleich mit 
gefärbtem Fleisch gefüttert werden, so wird die Färbung aller dieser 
Zellen sehr intensiv, so dass selbst der rote guirlandenförmige Zellen- 
strang sehr deutlich an der lebenden Larve zu sehen ist. Ganz die- 





A)1. c. 8. 218. 
2) 1. c. 8. 209. 


76 Kowalevsky, Rückengefäß der Musciden. 


selben Erscheinungen treten hervor bei der Fütterung mit Silbersalzen, 
nur dass dann die Zellen bräunlich und selbst schwärzlich werden. 

Die Fütterung mit Methylenblau gibt eine intensivblaue Färbung 
aller dieser Gebilde. 

Ich hatte anfangs die Absicht, das Durchtreten der gefärbten 
Teile durch die Wandungen des Darmkanales zu beobachten, konnte 
aber dabei gar nichts beobachten. Die Zellen der Darmwandungen 
färbten sich nieht, sie bildeten einen hellen Saum um den tiefgefärb- 
ten Inhalt des Darmes. Das Blutplasma blieb auch ganz klar, und 
doch, ungeachtet dessen, wurden die angegebenen Zellengruppen ge- 
färbt. Dabei ist vorauszusetzen entweder, dass die Färbung des Blutes 
so schwach war, dass sie nicht zur Beobachtung gelangte, oder die 
Färbungsmittel gingen in eine ungefärbte Zusammensetzung über; 
wir werden später sehen, dass das Letzte wirklich möglich ist. In 
dem einen oder andern Falle ist doch so viel sicher, dass die färben- 
den Elemente im Blute erhalten sind; bei dem Zutritt des Blutes zum 
Herzen werden sie von demselben abgeschieden, das Blut wird ge- 
wissermaßen gereinigt und legt den Farbstoff in die Zellen ab. In 
den hintern Teilen des Körpers spielen die Rolle dieser blutreinigen- 
den Organe die Zellen, die das Herz umgeben, im vordern Teil der 
guirlandenförmige Zellenstrang. — Schon Weismann hat vermutet, 
dass diese Zellenstränge den „Blutgefäßdrüsen“ ') der Wirbeltiere zu 
parallelisieren sind, und meine Beobachtung liefern einen Beweis dazu. 

Jetzt kommt die Frage an die Reihe, in welchen Teilen der Zellen 
der Farbstoff oder das Silbersalz abgesetzt werden. — Es kommt 
immer in das Plasma der Zellen, in Form eines halbmondförmigen 
Ringes um den Kern; der Kern wird nie gefärbt, auch bei den inten- 
sivsten Färbungen der Zellen bleibt der Kern immer weiß und klar. — 
Diese Färbung der Zellen rührt wahrscheinlich von der Bildung eines 
komplizierten Eiweiß-Stoffes her, in den die abzulagernden Stoffe, 
Farben oder Metallsalze, eingehen. — Ich schließe dies daraus, dass 
z. B. die Cochenille sehr leicht löslich in Wasser und Spiritus ist, 
dass dagegen die Zeilen des guirlandenförmigen Stranges oder die- 
Jenigen, die um das Herz liegen, so intensiv sie auch gefärbt sein 
mögen, nicht ihre Farbe an das Wasser oder an den Spiritus abgeben, 
sondern bis zum gänzlichen Zerfallen immer rot gefärbt bleiben. — 
Hier entsteht also eine unlösliche Eiweißstoffverbindung mit den Farb- 
stoffen oder Salzen, welehe dem Organismus unnützlich oder schäd- 
lich sind. — Als ich diese Organe intensiv rot, blau oder braun ge- 
färbt hatte, konnte ich schon leicht ihr Schieksal in der Puppe ver- 
folgen. Ihre Färbung gab mir das Mittel, dieselben leicht zwischen 
den zerfallenden Organen und Fettkörpern der Puppe zu unterscheiden. 

Beginnen wir mit dem „guirlandenförmigen Zellenstrang“. — In 


1) 8. 219. 





Kowalevsky, Rückengefäß der Museiden. Zi 


den zwei ersten Tagen nach der Verpuppung bleibt er unverändert, 
dann aber bemerkt man, dass in mehreren Zellen desselben eine 
Fragmentierung der Zellenkerne beginnt, in denen schon von anfangs 
an immer zwei Kerne waren. — Bei der Larve fand ich immer zwei 
Kerne in jeder Zelle; am zweiten und dritten Tage fanden sich, be- 
sonders in den mittlern Zellen, öfters mehrere Kerne vor, und zwar 
6 bis 8, die aber keine Teilung der Zellen zur Folge hatten. Diese 
mittlern Zellen wurden auch immer früher von den Fagozyten bezw. 
Körnchenkugeln angegriffen. Die Körnchenkugeln traten am dritten 
Tage des Puppenzustandes in die Zellen des Stranges ein, isolierten 
dieselben zum Teil von einander, und verspeisten dieselben samt ihren 
Kernen. Die gefärbten Stücke dieser Zellen waren noch lange in 
den herumgruppierten Körnchenkugeln zu sehen, endlich aber ging 
die Färbung verloren. Ich erkläre mir diese Erscheinung in dem 
Sinne, dass bei Verdauung der gefärbten Stücke dieselben ihre Fär- 
bung ganz in der Art verlieren wie die gefärbten Nahrungsstücke 
die Farbe beim Durchtritt durch die Darmwandungen bezw. bei der 
Resorption oder Verdauung verlieren. — Die Verspeisung des guir- 
landenförmigen Stranges geht bei weitem früher vor sich als die Auf- 
lösung der Speicheldrüsen; die letztern bleiben noch einige Tage be- 
stehen. Der guirlandenförmige Strang ist also eine echte embryonale 
oder Larvendrüse, welche in die Fliege nicht übergeht. 

Wenden wir uns jetzt zu den andern gefärbten Zellen der Larve, 
so sind es erstens die 13 Paar großen Zellen, welche am hintern 
Ende des Herzens liegen und die bandartigen zelligen Massen, welche 
den mittlern Teil des Herzen umgeben. — Bis zum dritten Tage nach 
der Metamorphose beobachtet man am hückengefäß noch keine be- 
sondern Veränderungen; es pulsiert noch wie bei der Larve, später 
aber, wenn die dasselbe umgebenden Muskeln der Histolyse unterfallen, 
wird das Pulsieren unregelmäßiger, und bei Behandlung des Rücken- 
gefäßes mit Osmiumsäure findet man, dass die Grenzen der Zellen, 
welche das Herz zusammensetzen, deutlich werden, dagegen die Quer- 
streifung der Muskeln schwächer. Das Auftreten der Zellengrenzen 
|Bekanntlich besteht das Herz aus Paaren aufeinanderfolgender Zellen, 
deren Territorien aber gar nicht sichtbar sind. Während der Meta- 
morphose aber treten dieselben deutlich auf.| und die Erfüllung des 
Herzens mit den Körnehenkugeln dachte ich anfangs als einen Zerfall 
des Herzens deuten zu müssen; doch erwies sich diese Annahme 
als unrichtig. Der vordere und mittlere Teil des Herzens bleiben voll- 
ständig bestehen während der ganzen Puppenperiode, und gehen in 
die Imago über. Die den mittlern Teil an den Seiten begleitenden 
gefärbten zelligen Massen bleiben auch während der ganzen Puppen- 
periode bestehen und gehen in die Imago über, in dem gefärbten Zu- 
stande, welchen dieselbe bei der ausgewachsenen Larve hatten. Dabei 
besteht nur eine gewisse Veränderung in der Lagerung dieser Drüsen- 


718 Kowalevsky, Rückengefäß der Museiden. 


zellen. Erstens, wegen des Auffressens der Muskelfasern, die zwischen 
diesen Zellenmassen an das Herz sich inserierten, werden diese Zel- 
len etwas lockerer, scheinen vom Rückengefäß sich abzutrennen, und 
bei der Bildung des Abdomens der Imago legen sich die vordern 
Hälften dieser Zellenmassen dieht an die innern Wandungen des 
Abdomens. Sie bilden hier eine breite Zellenmasse, welche die ganze 
vordere Wandung des Abdomens von innen in Form eines dichten 
Netzes auskleidet. — Das Rückengefäß ist hier sehr breit und nach 
unten gebogen, um von hier aus, durch den dünnen Stiel, der das 
Abdomen mit dem Thorax verbindet, in den letztern einzudringen. 
Die gefärbten Zellenmassen, die das Herz umgeben, dringen nicht in 
den Thorax ein und bleiben allein im Abdomen. Bei der geschlechts- 
reifen Imago, also 10— 15 Tage nach dem Ausschlüpfen aus der 
Puppenhaut, habe ich diese Zellenmassen immer gefärbt gefunden. — 
Daraus ist also zu schließen, dass diese blutreinigenden Drüsenzellen 
während des ganzen Lebens der Musca bestehen und funktionieren. — 
Bei der eben erst aus dem Ei ausgekrochenen Larve, bei der ich 
nur das Herz auspräparieren konnte, fand ich immer zu beiden Seiten 
desselben die erwähnten Zellenstränge in Form von sehr kleinen, dicht 
gedrängten und ganz hellen Zellen, die dieht an das Rückengefäß 
angelegt waren. Beim Wachstum der Larve wurden die Zellen größer 
und gewissermaßen lockerer, sie bildeten schon nicht mehr eine ein- 
fache epitheliale Platte, sondern eine diehte Lage von rundlichen 


Zellen, die bei ihren Wachstum sich auch zu färben beginnen. — Die 
Färbung bezw. Abscheidung der letzten fremden Flemente aus dem 
Blute dauert das ganze Leben. — Ich habe auch die Fliegen mit 


durch Cochenille gefärbtem Zuckerwasser gefüttert; auch dabei färb- 
ten sich die das Herz umgebenden Zellen, und dies bewies, dass sie 
auch bei der Imago dieselbe Rolle spielen wie bei der Larve. 

Damit bleibt also bewiesen, dass der mittlere Teil des Herzens 
und die ihn umgebenden Zellenmassen von der jüngsten Larve aus 
bis zur Geschlechtsreife der Imago bestehen und immerwährend in 
einem Sinne funktionieren. 

Der hintere Teil des Herzens der ausgewachsenen Larve ist, wie 
gesagt, von 13 Paaren von großen Zellen umgeben; die Imago der 
Fliege hat nur sieben Paare von solehen Zellen, und der ganze hin- 
tere Abschnitt des Herzens der reifen Fliege ist bedeutend kürzer. — 
Die 6 Paare hintere Zellen werden schon am 3. und 4. Tage nach 
der Verpuppung von den Körnchenkugeln angegriffen, und dabei be- 
merkt man, dass die Konturen der großen, oft tief rot gefärbten Zellen 
unregelmäßig werden, dann gelappt und endlich in kleinere Stücke 
zerteilt werden. Diese Veränderung der Zellen wird durch die Körnchen- 
kugeln hervorgerufen, welche dieselben von außen zerren und endlich 
in Stücke zerreißen und in sich aufnehmen. Solche mit roten Stücken 
versehene Körnchenkugeln traten auch öfters ins Lumen des Herzens 


Albrecht, Kieferspalte bei der Hasenscharte. 79 


ein und sind da leicht zu beobachten. Alle 6 hintern Paare der 
großen Zellen werden so von den Körnchenkugeln aufgenommen, und 
es bleiben nur 7 vordere Paare, welche bleiben und im Imagozustand 
gefunden werden. — Was mit dem Teile des Herzens wird, welcher 
zwischen den hintern 6 Paaren der großen Zellen lag, kann ich 
nicht mit voller Bestimmtbeit sagen. Mir schien es aber, dass dieser 
Teil sowie auch die danebenliegenden Muskeln von den Körnchen- 
kugeln aufgenommen werden. Als allgemeine Erscheinung des Zu- 
standes des Herzens während der Metamorphose muss seine Bewegung 
von den tiefern Schichten des Körpers zu den äußern erwähnt 
werden. Bei der Larve liegt das Herz tief im Körper zwischen den 
Tracheenstämmen und ist an dieselben befestigt; bei der Metamor- 
phose, bei welcher die großen Larventracheenstämme zugrunde gehen, 
bewegt sich das Herz noch, aber unmittelbar unter den Hautbedeckungen 
des Rückens und liegt dicht unter der äußern Epithelschicht des 
Körpers. — In den 11 und 12 Tagen der Metamorphose wird die 
Querstreifung des Herzens wieder deutlicher, und das Herz beginnt 
regelmäßig zu pulsieren. 


Ueber den morphologischen Sitz der Hasenschartenkiefer- 
spalte. 


Nachweis, dass die von Herrn Dr. Theodor Kölliker auf S. 372 

des 5. Bandes des Biologischen Centralblattes abgebildete, linksseitige 

Kieferspalte nicht, wie derselbe behauptet, eine inzisiv-maxillare, 
sondern eine intra-inzisive Kieferspalte ist. 


Von Prof. Dr. Paul Albrecht. 


Durch die Verlegung meines Wohnsitzes von Brüssel nach Ham- 
burg im Rückstande, ist es mir zu meinem Bedauern erst heute mög- 
lich, in diesem Blatte kundzuthun, was ich bereits am 21. Sept. 1885 
in der anatomischen Sektion der in Straßburg abgehaltenen 58. Ver- 
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte ausgesprochen habe, 
dass nämlich die von Herrn Th. Kölliker in der Nummer dieses 
Blattes vom 15. August 1885 veröffentlichte linksseitige Kieferspalte') 
nicht im entferntesten eine inzisiv-maxillare, wie derselbe behauptet, 
sondern im Gegenteil, wie alle übrigen bisher von mir beobachteten 
Hasenschartenkieferspalten, eine intra-inzisive, das heißt, eine zwischen 
dem innern und dem äußern Zwischenkiefer derselben Körperseite 
liegende Kieferspalte, ist. 

Es ist nämlich über jedem Zweifel erhaben, dass in der von 
Herrn Th. Kölliker gegebenen Abbildung das die mit Jm und Jl 





1) Th. Kölliker, Zur Odontologie der Kieferspalte bei der Hasenscharte. 
Biol. Centralblatt vom 15. August 1885, Band V, 8. 371—5373. 


s0 Albrecht, Kieferspalte bei der Hasenscharte. 


bezeichneten Zähne tragende Knochenstück nicht der linksseitige Ge- 
samtzwischenkiefer, wie Herr Kölliker behauptet, sondern der links- 
seitige innere Zwischenkiefer, das Endognathion sinistrum ist. 











Fig. 1: Vordere Ansicht eines Teils des Obergesichtes eines mit rechtsseitiger 
intra-inzisiver Hasenschartenkiefergaumenspalte behafteten erwachsenen Mannes. 
(Präparat des königl. anatomischen Institutes zu Kiel.) 
A rechtsseitiger innerer Zwischenkiefer (Endognathion dextrum). 
B rechtsseitiger äußerer Zwischenkiefer + rechtsseitiger Oberkiefer (Me- 
sognathion dextrum + Exognathion dextrum). 
1 Alveole des Parasymphysius sinister. 


2 H „ Praecaninus A 
3 > „ Caninus & 
4 Praemolaris 1! 3 
Daun II ® | 
6 Molaris I < | 
ar; II n | 
1‘ Alveole des Parasymphysius dexter. 
2 5 „ Praecaninus a | 
3 5 „ Caninus n | 
4‘ Praemolaris I 4 
Da ı, II : 
6° Molaris I 3 
on I : 


Wäre nämlich dieses Knochenstück, wie Herr Kölliker will, der 
linksseitige Gesamtzwischenkiefer, so müsste er auch den zu diesem 
gehörenden, die Apertura pyriformis links bis zum Nasenbeine hinauf 
umziehenden Processus nasalis desselben tragen. Dies ist aber nicht 





Albrecht, Kieferspalte bei der Hasenscharte. S1 


der Fall, der Processus nasalis, das heißt mit einem Wort der links- 
seitige äußere Zwischenkiefer oder das Mesognathion, befindet sich 
nach außen vor der Spalte und ist mit dem Oberkiefer synostotisch 
verbunden. Das den von Herrn Kölliker mit © bezeichneten Zahn 
und die auf diesen folgenden unbezeichnet gelassenen Zähne bezw. 
Zahnreste tragende Knochenstück ist also nicht, wie Herr Kölliker 
behauptet, der linksseitige Oberkiefer, sondern linksseitiger äußerer 
Zwischenkiefer + linksseitiger Oberkiefer (Mesognathion sinistrum 
—+ Exognathion sinistrum). 

Der von Herrn Kölliker publizierte Fall gleicht inbezug auf 
die Knochen völlig dem mir zur Zeit vorliegenden, in der vorstehen- 
den Fig. 1 abgebildeten Präparate, welches ich der Güte des Herrn 
Professor Flemming verdanke, nur dass der Kölliker’sche Fall 
eine linksseitige, der meinige eine rechtsseitige Hasenschartenkiefer- 
spalte aufweist. 

A ist in dieser Figur nicht der rechtsseitige Gesamtzwischen- 
kiefer, sondern nur der rechtsseitige innere Zwischenkiefer; denn es 
fehlt ihm der die Apertura pyriformis bis zum rechtsseitigen Nasen- 
beine hinauf umziehende Processus nasalis. 

B ist nicht der rechtsseitige Oberkiefer, sondern der rechtsseitige 
äußere Zwischenkiefer — rechtsseitiger Oberkiefer, denn die ganze 
bis zum rechten Nasenbeine hinaufziehende, die Apertura pyriformis 
rechtsseitig begrenzende Knochenkante ist ja, wie ein Blick auf 
einen beliebigen Affenschädel zeigt, die vordere Kante des äußern 
Zwischenkiefers, der bei unserem Präparate synostotisch mit dem 
rechtsseitigen Oberkiefer verschmolzen ist. 

Ich erlaube mir noch ein Wort über die Zähne des von Kölliker 
abgebildeten Gipsabgusses hinzuzufügen!), obgleich ich weiß, wie 
schwer es schon an und für sich ist, über Formen, die man ledig- 
lich durch einen Gipsabguss kennt, zu urteilen, und mir nicht einmal 
dieser Gipsabguss selbst, sondern nur die Köllikersche Abbildung 
desselben zur Beurteilung vorliegt. 

Ich glaube nämlich, dass Kölliker sich sogar darin irrt, dass an 
seinem Präparate nur 4 Schneidezähne vorliegen; ich glaube, es hat 6! 

Jm der Kölliker’schen Figur ist nach meiner Ansicht der In- 
eisivus parasymphysius sinister, 

J! der Ineisivus proparasymphysius sinister, 

C der Ineisivus praecaninus sinister, 

der auf © folgende, von Kölliker unbezeichnet gelassene Zahn 
der Caninus sinister, der schließlich nach der Zahnlücke folgende 
Zahn der Molaris II sinister. 


1) Auf nachträglich geäußerten Wunsch des Herrn Professor Albrecht 
bringen wir in der nächsten Nummer nochmals zum Vergleich die Abbildung 
von Kölliker mit Albrecht’scher Analyse. Red. d. Biol. Ctbl. 

VI 6 


S2 Pasteur und seine Methode gegen die Tollwut. 


Auf der rechten Seite hingegen finden sich zunächst ebenfalls 
3 Schneidezähne, der Parasymphysius, der Proparasymphysius und 
der Praecaninus dexter, dann folgt der Caninus dexter, dann der 
Praemolaris I dexter, dann die Lücke für den ausgefallenen Prae- 
molaris II dexter, dann der Molaris I dexter, dann der Molaris II 
dexter und schließlich der Platz für den noch nicht hervorgebrochenen 
Molaris III dexter. 

Unter solehen Umständen hätte also das Kölliker’sche Prä- 
parat ein hexaprotodontes Gebiss, und die linksseitige Kieferspalte 
ginge auch hier zwischen Schneidezähnen und zwar zwischen Pro- 
parasymphysius sinister und Praecaninus sinister hindurch. 

Wie dem nun aber auch sei, die in Rede stehende von Th. Köl- 
liker als incisivo-maxillare veröffentlichte Hasenschartenkieferspalte 
hat sich als intra-inzisive Hasenschartenkieferspalte unumstößlich 
erwiesen. 


Pasteur und seine Methode gegen die Ansteckung der 
Tollwut. 

Herr Pasteur teilte der Akademie zu Paris am 1. März dieses 
Jahres folgendes mit: 

Am vergangenen 26. Oktober machte ich der Akademie der Wis- 
senschaften Mitteilung von einer Methode, den Ausbruch der Toll- 
wut nach erfolgtem Biss tollwutkranker Hunde zu verhüten, und 
ferner von den Einzelheiten ihrer Anwendung bei der Be- 
handlung des elsässischen Knaben Josef Meister, welcher am 
voraufgegangenen 4. Juli arg gebissen worden war. Der betreffende 
Hund war nachweislich tollwutkrank, die Gesundheit des Knaben ist 
bis heute völlig ungestört; der Zeitpunkt des Bisses aber liegt nun- 
mehr um etwa acht Monate zurück. Zur Zeit meines damaligen Vor- 
trages, am 26. Oktober, hatte ich den jungen Schäfer Jupille in 
Behandlung, der am 14. Oktober ebenso schwer, vielleicht noch 
schwerer gebissen worden war, als der kleine Meister. Die Gesund- 
heit desselben lässt ebenfalls nichts zu wünschen übrig bis heute 
(1. März), nachdem 4!/, Monate seit seinem Biss verflossen. 

Kaum waren diese ersten beiden glücklichen Versuche bekannt 
geworden, als eine große Anzahl von Leuten, von tollen Hunden ge- 
bissen, zu derselben Behandlung sich meldete, welche auf Meister 
und Jupille angewendet worden war, und heute — es ist der 25. Fe- 
bruar, wo ich dies schreibe — haben wir, Dr. Grancher und ich, 
die Einspritzungen bei dem 350. Kranken begonnen. Obwohl nun 
mein Laboratorium, seit fünf Jahren dem Studium der Wutkrankheit 
gewidmet, ein Mittelpunkt war für alle Mitteilungen, welche diese 
betrafen, so habe ich doch, ich gestehe es, das allgemeine Erstaunen 


darüber geteilt, dass die Zahl der von tollen Hunden gebissenen 
Personen eine solche Höhe erreiche. 


Pasteur und seine Methode gegen die Tollwut. 83 


Die Unkenntnis dieser Thatsache hing von mehr als einer Ur- 
sache ab. 

So lange die Tollwut für unheilbar angesehen wurde, war man 
bemüht, von dem Geiste der Kranken selbst den Namen der Krank- 
heit fern zu halten. Wurde jemand gebissen, so sagte ihm jeder- 
mann, dass dies durch einen nicht tollwütigen Hund geschehen sei, 
obwohl Tierarzt und Mediziner das Gegenteil versicherten, und das 
strengste Stillschweigen wurde über den Fall beobachtet. Zu dem 
Wunsche, die gefährdete Person nicht zu erschrecken, gesellte sich 
auch die Furcht, derselben durch Mitteilungen über den Fall unmittel- 
bar zu schaden. Denn ist man nicht bisweilen so weit gegangen, 
einem Arbeiter jede Arbeit zu verweigern, wenn man wusste, dass 
er von einem tollen Hund gebissen worden war? Man redete sich 
leicht ein, dass ein gebissener Mensch plötzlich selbst gefährlich 
werden könne, ein Umstand, der indess glücklicherweise nicht ein- 
tritt. Der tollwutkranke Mensch ist vielmehr nur zu fürchten in den 
letzten Stadien der Krankheit. 

Um nun etwaigen vorgefassten Meinungen zu begegnen und auch 
gegnerische Stimmen zu überzeugen, habe ich die Vorsicht gebraucht, 
sehr strenge Statistik zu führen. Ich habe Sorge getragen, dass 
Zeugnisse verlangt wurden, welche von Tierärzten oder von Medi- 
zinern ausgestellt waren, und welche die Wutkrankheit des Hundes 
feststellten. Nur in einigen vereinzelten Fällen konnte ich mich nicht 
der Verpflichtung entziehen, auch Leute zu behandeln, welche von 
wutverdächtigen, aber hinterher abhanden gekommenen Hunden ge- 
bissen worden waren, weil diese Leute, abgesehen von der ja doch 
möglichen Gefährlichkeit ihrer Bisswunden, unter der Furcht litten, 
sie könnten krank werden, wenn wir ihnen unsere Behandlung ver- 
weigert hätten. Gebissene Personen, deren Kleidung nicht siehtbar 
von den Hundezähnen durchlöchert oder aufgerissen war, habe ich 
nicht in Behandlung genommen; denn es ist klar, dass in einem 
solchen Fall keine Gefahr zu befürchten ist, weil das Virus nicht in 
das Fleisch eindringen konnte, auch dann nicht, wenn der Biss durch 
den Druck der Zähne eine selbst blutige Wunde zur Folge hatte. 
Bei einer Reihe von erst zweifelhaften Fällen wurde das Vorhanden- 
sein der Tollwut bei dem fraglichen Hunde in meinem Laboratorium 
selbst festgestellt, und zwar durch Impfungen an Kaninchen oder 
Meerschweinchen, vorgenommen mit Nervenmaterie aus dem Kadaver 
des Hundes. 

So weit Pasteur. Aus den von ihm der Pariser Akademie am 
1. März mitgeteilten Fällen — er beschreibt 23 von seinen sämtlichen 
350, und zwar haben diese 23 innerhalb eines Zeitraums von zehn 
Tagen bei ihm sich eingefunden — heben wir hier folgende hervor. 

Etienne Roumier, 48 Jahre alt, aus der Gemeinde Ourou£re 
(Nievre), gebissen an beiden Händen, und zwar am 4. November von 


84 Pasteur und seine Methode gegen die Tollwut. 


einem durch den Tierarzt Moreau als wutkrank erkannten Hund. Die 
Bisswunde war die ersten 24 Stunden vollkommen sich selbst über- 
lassen geblieben. 

Francois Saint-Martin, aus Tarbes, zehn Jahre alt, gebissen 
am rechten Daumen, und zwar am 7. November 1885. Bisswunde 
von einem Apotheker mit Ammoniak gewaschen. Hund als wutkrank 
erkannt von Herrn Dupont, Chef der Viehseuchen - Kommission. 


Marguerite Luzier, aus Fongrave (Haute-Garonne), 13 Jahre 
alt, am 11. November 1885 ins Bein gebissen von einer wutkranken 
Katze. Aetzung der Wunde mit Karbolsäure. Die Schwere der Biss- 
wunden veranlasste uns das Kind in das Hospital des Enfants-Mala- 
des zu bringen, um ihm dort die nötige chirurgische Behandlung an- 
gedeihen zu lassen. 


Corbillon, 27 Jahre alt, aus Neuville bei Clermont (Oise), ge- 
bissen am 12. November 1885. Hund als wutkrank erkannt von 
Herrn Chantareu, Tierarzt in Olermont. Mit dem Glüheisen ge- 
brannt acht Stunden nach dem Biss. 


Plantin, Einwohner in Etrung (Nord), gebissen im Anfang des 
Monats November an der rechten Hand. Gebrannt 40 Stunden nach 
dem Biss. Hund als wutkrank bezeichnet von Herrn Eloire, Tier- 
arzt in la Capelle (Aisne). 


Frau Achard aus Saint-Etienne, am 9. November 1885 am 
rechten Fuß gebissen und am 12. November an der rechten Hand von 
demselben Hund, als wutkrank erkannt von Herrn Charloy, Tier- 
arzt in Saint-Etienne. Nicht gebrannt. 


Dr. John Hughes aus Oswestry in England, gebissen am 
13. November 1885. Zwei starke Bisswunden an der Unterlippe. 
Keine Aetzung. Hund als wutkrank erkannt von dem genannten 
Arzte selbst. 

Witwe Faure, aus dem Dorfe Alma in Algier, ins Bein gebissen 
am 1. September 1885. Von demselben Hunde gebissen 4 Kinder, 
von denen eines im Mustapha-Hospital in Algier zwei Monate nach 
erhaltenem Biss gestorben ist. Sorgfältige Beschreibung der Wut- 
symptome bei diesem Kinde durch Dr. Moreau in Algier. Die an- 
dern drei Kinder wurden Mitte November in Behandlung genommen. 


Voisenet aus Semur (Cöte d’Or), 50 Jahre, gebissen am 16. No- 
vember in beide Beine von einem Hunde, den der Tierarzt Herr 
Colas als wutkrank erkannt. Brand mit dem Glüheisen nur 4 Stun- 
den nach dem Biss. Von demselben Hund gebissen wurde der folgende: 

Calmeau, aus Vassy-lez-Avallon, und zwar in der Nacht vom 
15. zum 16. November am Bauch, in den Steiß, ins Knie. Kleider 
und Hemd in Fetzen gerissen. Wunden ganz sich selbst überlassen. 
Hund als wutkrank erkannt von Herrn Colas, Tierarzt in Semur. 





Pasteur und seine Methode gegen die Tollwut. S5 


Jean Lorda, 36 Jahre alt, heimisch in Lasse (Basses-Pyrenees). 
Dieser Fall gehört zu den interessantesten. 


Herr Pasteur teilt weiter folgendes über diesen Fall mit: Ge- 
bissen am 25. Oktober 1885 kamL. erst am 21. November in mein In- 
stitut, also am 27. Tage nach erfolgtem Biss. An demselben Tage 
und von demselben Hund wie er wurden auch gebissen sieben 
Schweine und zwei Kühe, und zwar sind diese neun Tiere alle an 
der Wutkrankheit gestorben, die Schweine nach einer kurzen Inku- 
bationszeit von vierzehn Tagen bis zu drei Wochen. Erst durch den 
infolge der Wutkrankheit erfolgten Tod der Schweine erschreckt ging 
Lorda nach Paris. Die eine der gebissenen Kühe starb vierunddreißig, 
die andere zweiundfünfzig Tage nach erhaltenem Biss. Ich verdanke 
diese Einzelheiten Herrn Inda, Tierarzt in Saint- Palais. Besondere 
Beachtung verdient dabei folgender Umstand: alsbald nach erhal- 
tenem Bisse wurden die beiden Kühe gründlich mit dem Glüheisen 
gebrannt, eine Thatsache, die von Herrn Inda unterstrichen 
worden. Ich habe genügend zahlreiche Beweise für die Wirkungs- 
losigkeit des Brennens mit dem Glüheisen, auch wenn dies unver- 
züglich angewendet wird. Die Gesundheit Lorda’s aber ist unge- 
trübt; seine Behandlung wurde am vergangenen 28. November beendet. 

Ich führe nun nur noch einen Fall an, und zwar besonders 
darum, weil er mir lebhafte Sorge machte. Er bezieht sich auf einen 
acht Jahre alten Knaben namens Jullion aus Charonne, der am 
30. November gebissen wurde. Als das Kind den Hund auf sich zu- 
kommen sah, fing es an zu schreien, und in diesem Augenblick drang 
der Unterkiefer des Hundes in den offnen Mund desselben ein. Ein 
Zahn des Hundes zerreißt die Oberlippe des Kindes und dringt tief 
in den Gaumen ein, während ein Zahn des Oberkiefers, welcher letz- 
tere außerhalb der Mundöffnung des Kindes geblieben, zwischen dem 
rechten Auge und der Nase des letztern eindringt. Brennen war über- 
haupt nicht möglich. Der Hund aber, welcher Jullion biss, wurde 
als wutkrank erkannt von Herrn Guillemard, Tierarzt in Paris. 

Bei einer einzigen Person blieb die Behandlung ohne Erfolg; sie 
unterlag der Wutkrankheit, nachdem sie die Behandlung durchgemacht. 
Es war die kleine 10 Jahre alte Louise Pelletier aus la Vannere- 
Saint-Hilaire, welche am 3. Oktober 1885 von einem großen Hunde 
gebissen und mir am 9. November, am 37. Tage nach ihrer Verwun- 
dung, zugeführt worden war. Sie hatte tiefe Wunden in der Achsel- 
höhle und am Kopfe. Die Kopfwunde war so schwer und so bedeu- 
tend, dass sie noch am 9. November trotz fortgesetzter ärztlicher 
Behandlung blutete und eiterte. Die Anfangssymptome der Hydro- 
phobie zeigten sich am 27. November, elf Tage nach beendeter Be- 
handlung, und wurden deutlicher am Morgen des 1. Dezember. Der 
Tod erfolgte unter den ausgesprochensten Zeichen der Wutkrankheit 
am Abend des 3. Dezember. 


Pasteur und seine Methode gegen die Tollwut. 


(0,2) 
{op} 


Hierbei handelt es sieh um eine wichtige Frage: welches Wut- 
Virus hatte den Tod herbeigeführt, dasjenige des Bisses, oder das 
dem Kinde durch die Einspritzungen zugeführte? Es war mir leicht 
dies zu entscheiden. 24 Stunden nach dem Tode der Louise Pelletier 
wurde mit Erlaubnis ihrer Eltern und des Polizeipräfekten der Schädel 
in der Gegend der Bisswunde trepaniert, eine kleine Menge der Hirn- 
masse herausgenommen und darauf zwei Kaninchen mittels Trepana- 
tions-Methode eingeimpft. Beide Kaninchen wurden zehn Tage darauf, 
und zwar gleichzeitig, von der Wutkrankheit ergriffen. Nach ihrem 
Tode wurden von ihrem Rückenmark neue Kaninchen geimpft, bei 
denen die Krankheit nach einer Inkubationszeit von 15 Tagen aus- 
brach, und diese Versuchs- Ergebnisse genügen um zu zeigen, dass 
das Virus, an dem die kleine Pelletier starb, dasjenige des Hundes 
war, welcher sie gebissen hatte. Wäre ihr Tod erfolgt auf die 
Impfungen bin, so würde die Inkubationszeit bei den Kaninchen nach 
der zweiten Uebertragung höchstens 7 Tage betragen haben, wie aus 
meinen frühern Mitteilungen hervorgeht (Biol. Centralblatt, Bd. V, 
Nr. 18 und 19). 

Wenn nun meine Behandlungsweise niemals in 350 Fällen üble 
Folgen nach sich zog, weder Phlegmone, noch Abszesse, noch auch 
nur ödematöse Erscheinungen, kann man dann sagen, dass sie in 
der That die Wirkung hatte, den Ausbruch der Tollwut nach dem 
Bisse kranker Tiere zu verhüten? Für eine sehr große Zahl der be- 
reits behandelten Personen, die eine, Josef Meister, vor acht und die 
andere, Jean-Baptiste Jupille, vor mehr als vier Monaten behandelt, 
und für die meisten der 350 andern kann man versichern, dass diese 
neue Methode begründet ist. Ihre Wirksamkeit ergibt sich besonders 
aus den Durchschnittszahlen der Tollwut-Fälle nach wutgiftigem Biss. 
Die medizinischen und tierärztlichen Werke liefern in dieser Beziehung 
wenig übereinstimmende Angaben, was leicht zu verstehen ist, wenn 
man an das soeben von mir Gesagte denkt von dem Stillschweigen, 
das sehr oft von Familien und von Aerzten über die durch wutkranke 
Hunde erfolgten Bisse und selbst über die Natur des darauf erfolgen- 
den Todes beobachtet wird; mitunter wissentlich wird das mit dem 
Namen Meningitis bezeichnet, was man ganz wohl als von der 
Wutkrankheit herrührend kennt. 

Noch besser wird man die Schwierigkeit, zuverlässige Statistiken 
aufzustellen, durch folgende Thatsache kennen lernen. Am 14. Juli 1885 
wurden nacheinander fünf Personen auf der Route de Pantin von 
einem tollwutkranken Hunde gebissen. Alle diese Personen starben 
an der Wutkrankheit. Dr. Dujardin-Beaumetz zeigte auf die 
Weisung des Herrn Polizeipräfekten hin die Namen der Personen 
dem Conseil de salubrit& de la Seine an, ebenso die Umstände, unter 
denen die Bisse erfolgten, und den Tod der fünf Personen. Wenn 
eine solehe Reihe von Fällen in eine Statistik hineinkommt, so wird 


Pasteur und seine Methode gegen die Tollwut. 87 


das Verhältnis der Todesfälle zu den Bissfällen steigen. Es würde 
sinken durch eine gleich große Reihe, wo im Gegenteil auf fünf 
gebissene Personen kein einziger Todesfall käme. Mehr Vertrauen 
hätte ich zu folgenden statistischen Angaben: Herr Leblance, ein 
unterrichteter Tierarzt, Mitglied der Acad&mie de medeeine, welcher 
lange Zeit dem Sanitätsdienst der Polizeipräfektur der Seine vorstand, 
war so freundlich mir ein wichtiges Dokument zu überlassen über 
den von mir besprochenen Gegenstand. Das ist ein amtliches, von 
ihm selbst angelegtes Verzeichnis über die Berichte der Polizeikom- 
missare, oder zufolge der Aufzeichnungen von Veterinären, welche 
Hundespitälern vorstanden. Dieses Verzeichnis umfasst sechs Jahr- 
gänge und ergibt folgende Zahlen: Im Departement der Seine kamen 
im Jahre 1878 auf 103 gebissene Personen 24 Todesfälle an Tollwut, 
1879 auf 76 Gebissene 12 Todesfälle, 1880 auf 68 Gebissene 5 Todes- 
fälle, 1881 auf 156 Gebissene 23 Todesfälle, 1882 auf 67 Gebissene 
11 Todesfälle, endlich 1883 auf 45 Gebissene 6 Todesfälle. Diese 
Zahlen ergeben im Mittel 1 Todesfall auf 6 Gebissene. 

Um indess die Bedeutung der Methode der Tollwut-Prophylaxis 
richtig zu beurteilen, bleibt noch eine zweite Frage, nicht minder 
wichtig als diejenige der Durchschnittszahlen der Todesfälle infolge 
von Wutkrankheit nach wutgiftigen Bissen. Das ist die Frage zu 
wissen, ob wir der Zeit nach schon weit genug entfernt sind von dem 
Augenblick des bei den bereits behandelten Personen erfolgten Bisses, 
um nicht mehr bei ihnen den Ausbruch der Krankheit befürchten zu 
brauchen. Mit andern Worten: in welcher Zeit nach erfolgtem Biss 
kommt die Wutkrankheit zum Ausbruch ? 

Die statistischen Aufzeichnungen besagen, dass dies vornehmlich 
innerhalb von zwei Monaten geschieht, also während der ersten vierzig 
bis sechzig Tage nach dem Biss. Nun sind von den nach der neuen 
Methode behandelten Personen jeden Alters und Geschlechts hundert 
vor dem 15. Dezember 1885 gebissen worden, das heißt vor mehr als 
2'/, Monaten. Bei dem zweiten Hundert sind sechs Wochen bis zwei 
Monate seit dem Zeitpunkte des erfolgten Bisses vergangen, und für 
die hundertundfünfzig Andern, welehe behandelt sind oder noch in 
Behandlung sich befinden [alles vom 1. März ab gerechnet], vollzieht 
sich bis jetzt alles ebenso, wie bei den zweihundert ersten. 

Man erkennt daraus, so schloss Herr Pasteur seinen Vortrag, 
wie viele der behandelten Personen durch die neue Methode bereits 
dem Tode entrissen wurden. 


S8 König, Ueber Farbensehen und Farbenblindheit. 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 


Physiologische Gesellschaft zu Berlin. 
Sitzung vom 14. November 1884. 


Herr Arthur König (a. G.) sprach „über Farbensehen 
und Farbenblindheit“. 


Der Vortragende gab eine zusammenfassende Darstellung der 
bisher zum Teil von ihm allein, zum andern Teil in Gemeinschaft 
mit Herrn ©. Dieteriei ausgeführten Untersuchungen auf dem Ge- 
biete der normalen und anormalen Farbenempfindungen. 
Hier soll nur ein kurzer Ueberblick über den Inhalt des Vortrages 
gegeben werden: 

Den Ausgangspunkt meiner physiologisch-optischen Untersuchungen 
bildete die Beschäftigung mit dem von Herrn v. Helmholtz kon- 
struierten Leukoskope. Das Prinzip, auf dem die Theorie dieses 
Instrumentes beruht, lässt sich in folgender Weise darstellen. Wenn 
man einen polarisierten Strahl weißen, d. h. alle Wellenlängen ent- 
haltenden Lichtes durch eine Quarzplatte und darauf durch ein Nicol’- 
sches Prisma gehen lässt, so erscheint er im allgemeinen nicht weiß, 
sondern farbig, und seine Farbe ist sowohl abhängig von der Dicke 
jener Qnarzplatte als auch von dem Winkel, den die Polarisations- 
ebene des ursprünglichen Strahles mit der Polarisationsebene des 
Niecol’schen Prismas bildet. Sind zwei solche Winkel um 90° ver- 
schieden, die Quarzplatten aber gleich dick, was z. B. der Fall ist, 
wenn zwei senkrecht zu einander polarisierte weiße Strahlen dureh 
dieselbe Quarzplatte und darauf durch dasselbe Nicol’sche Prisma 
gehen, so erscheinen sie komplementär gefärbt. 

Eine spektroskopische Zerlegung eines solchen Strahles liefert 
uns ein Spektrum, welches von dunklen Bändern durchzogen ist, die 
zwischen sich, allmählich darin übergehend, Streifen von unvermin- 
derter Helligkeit einschließen. Bei der spektroskopischen Zerlegung 
eines komplementär gefärbten Strahles zeigt sich, dass hier im Spek- 
trum die Intensitätsmaxima liegen, wo sich dort die Minima befinden, 
und umgekehrt. Die Zahl dieser dunklen Streifen wächst mit zu- 
nehmender Dicke der Quarzplatte und sie werden alle durch Drehen 
des Nicol’schen Prismas seitlich verschoben. 

Ermöglicht man nun auch noch eine Aenderung des Intensitäts- 
verhältnisses zwischen den beiden ursprünglichen senkrecht zu einander 
polarisierten Strahlen, so hat man drei Variable, über die man be- 
liebig verfügen kann, und da das normale Farbensystem ein System 
dreifacher Mannigfaltigkeit ist, so sollte man glauben, jede beliebige 
Nüancierung der aus jenem optischen Systeme austretenden Strahlen 
nunmehr erzielen, u. a. auch den Fall zu realisieren zu können, dass 


König, Ueber Farbensehen und Farbenblindheit. 89 


beide austretende Strahlen weiß erscheinen und die gleiche Intensität 
besitzen, indem in dem einen Gelb und Blau, in dem andern Rot, 
Grün und Violett ausgelöscht ist. Die Erfahrung hat nun aber ge- 
lehrt, dass dieses im allgemeinen nieht möglich ist, d. h. dass eine 
noch unbekannte Beziehung zwischen den drei scheinbar unabhängigen 
Variablen bestehen muss. 

Nicht minder unerklärlich waren die Einstellungen, welche soge- 
nannte „Rothblinde“ und „Grünblinde“ mit dem Leukoskop machten. 
Sie können nämlich bei jeder 2 mm übersteigenden Quarzdicke und 
bei gleicher Intensität der zwei senkrecht zu einander polarisierten 
Lichtstrahlen dem Nicol’schen Prisma eine solche Stellung geben, 
dass ihnen die beiden austretenden Strahlen weiß erscheinen und 
gleiche Intensität besitzen. Das eine zweifache Mannigfaltigkeit re- 
präsentierende Farbensystem dieser Individuen musste theoretisch das 
Vorhandensein von zwei Variablen zur Einstellung auf Gleichheit er- 
fordern. Die erwähnte Erfahrungsthatsache lehrt aber, dass hier nur 
eine Variable notwendig ist. 

Einstellungen von etwa 50 solcher farbenverwechselnden Individuen 
ergaben, dass man hier scharf zwei Gruppen unterscheiden konnte. 
Die Individuen der einen Gruppe machten solche Einstellungen, wo 
für uns das Rot unzweifelhaft heller war, als das damit für gleich- 
farbig erklärte Grün, die Individuen der andern Gruppe erklärten 
ein dunkles Rot für gleiehfarbig mit einem hellern Grün. Eine solche 
scharfe Trennung in zwei Klassen ist nun aufgrund anderer Unter- 
suchungsmethoden vielfach behauptet, aber auch wiederum geleugnet 
worden. Hält man die Berechtigung zu einer solehen Trennung für 
erwiesen, so könnte man die erste Gruppe auf grund der Young- 
Helmholtz’schen Farbentheorie für „rotblind“, die zweite für „grün- 
blind“ erklären und bei ihnen das Fehlen der einen oder der andern 
Grundempfindungen vermuten. 

Er erschien mir nun in höchstem Grade wünschenswert, an einem 
Teil der von mir mit dem Leukoskope untersuchten Personen auch 
andere Untersuchungsmethoden anzuwenden und zu sehen, ob hier 
eine eventuelle Teilung in zwei Gruppen mit der oben erwähnten 
zusammenfallen würde. 

Proben mit Pigmentfarben oder farbigen Schatten waren natür- 
lich hierzu viel zu ungenau, und es blieb somit nur die Bestimmung 
der Spektrumsgrenzen und des „neutralen Punktes im Spektrum“. 
Wenige Versuche lehrten mich, dass die erste Methode nicht in be- 
tracht kommen konnte. Die Angaben hängen so sehr von der Inten- 
sität der benutzten Lichtquelle, von dem Adaptionszustand der Netz- 
haut an die grade vorhandene Intensität, von der Intelligenz des 
Untersuchten u. s. w. ab, dass auf diesem Wege sicherlich keine 
Resultate zu gewinnen waren, die man als die Grundlage zu weitern 
Schlussfolgerungen verwenden durfte. Ich benutzte daher die zweite 


90 König, Ueber Farbensehen und Farbenblindheit. 


Methode, mit der es mir gelang unter Anwendung des von Maxwell 
zuerst vorgeschlagenen Verfahrens zur Herstellung eines homogen 
gefärbten Feldes sehr genaue Bestimmung über die Wellenlänge des 
„neutralen Punktes“ an 13 „Rotgrünverwechslern“ zu machen. Unter 
dem „neutralen Punkte“ versteht man bekanntlich denjenigen Punkt 
im Spektrum, der den untersuchten Individuen, je nach der Intensität 
grau bezw. weiß erscheint. Die Genauigkeit der Messungen ermög- 
lichte es mir auch die von Herrn Preyer zuerst aufgefundene Ab- 
hängigkeit der Wellenlänge des „neutralen Punktes“ von der Intensität 
des Spektrums messend zu verfolgen. 

In der nachstehenden Tabelle gebe ich die Wellenlänge An (in 
Milliontel Millimeter) für den „neutralen Punkt“ von 13 „Rotgrün- 
verwechslern“ bei einer für alle Untersuchten gleichen Intensität und 
füge zugleich den aus 8 Einzeleinstellungen sich ergebenden wahr- 
scheinlichen Fehler hinzu. 


1) Hr. Dr. W 49170 + 0:09 
2), 4 Dr. Re 1092,02 210.08 
3). DrivBauk sen kennst 102: 057,019 
4) „ Dr. 8 493.08 + 013 
6)". Dre iso 
O) nunmal 
2), De BR a Aanle 09 
Bun 90 

49737 + 0.48 
Den nee 
10). RS oe 
11) 50, We 049g 92 
12) Wr oT 
13) 1: LP. lan ea 


Hierin sind die Individuen nach zunehmender Wellenlänge ihres 
neutralen Punktes geordnet, und ich erwähne nun, dass 1), 3), 4), 
5), 9) und 10) „Rotblinde“, die übrigen „Grünblinde“ waren. Es geht 
daraus hervor, dass eine scharfe Trennung dieser beiden 
Klassen aus der Lage des neutralen Punktes nicht zu 
folgern ist, vielmehr das Gegenteil. Eine Lösung dieses 
Widerspruches wird sich erst ergeben, wenn es gelungen sein wird, 
bei einer großen Anzahl Rotgrünverwechsler beider Klassen die Inten- 


1) Mehrere Tage später als die erste Messung gemacht. 


König, Ueber Farbensehen und Farbenblindheit. 91 


sitätskurve für die Grundempfindungen (nach Young-Helmholtz’- 
scher Theorie) genau zu bestimmen. 

Die überraschend große Sicherheit, welche sich in den eben be- 
sprochenen Versuchen bei der Einstellung auf den neutralen Punkt 
zeigten, veranlasste mich nun der Frage näher zu treten, ob die 
Sicherheit, mit der normale, d.h. mit einem trichromatischen Farben- 
system begabte Augen die Gleichfarbigkeit zweier homogen gefärbter 
Felder zu beurteilen im stande sind, von derselben Größenordnung sei. 

Ueber diesen Gegenstand lagen zwar schon einzelne Messungen 
von den Herren Mandelstamm, Dobrowolsky und Peirce vor, 
aber die Untersuchungsmethoden ließen doch manches zu wünschen 
übrig. Daher unternahm ich es gemeinsam mit Herrn C. Dieterici, 
die vorliegende Frage einer nochmaligen genauen Prüfung zu unter- 
ziehen, in der (sich nachher auch bestätigenden) Hoffnung, dass wir 
beide, obgleich nach genau derselben Methode arbeitend, doch zu 
verschiedenen Resultaten gelangen würden, was dann einen Nachweis 
dafür gab, dass auch innerhalb der trichromatischen Farbensysteme 
nicht geringe individuelle Verschiedenheiten vorhanden sind. 

Wir bestimmten die Empfindlichkeit gegen Wellenlängenunter- 
schiede für zwei verschiedene Intensitäten durch den mittlern (aus 
50 Einstellungen gewonnenen) Fehler einer Einstellung auf Nüancen- 
gleichheit zweier homogen gefärbten Felder. Die Resultate sind in 
folgender Tabelle angegeben, welche sowohl die Wellenlängen als 
auch die mittlern Fehler in Milliontel Millimeter angibt. 











. Mittlerer Fehler einer Einstellung für 
Wellenlänge beide Intensitäten. 
K D 
630 105 1-47 
620 0:68 1:00 
590 | 0:26 0-40 
ee 0:27 | 0:36 
SUR 0:29 0:31 
560 | 0,40 0:32 
550 | 0:65 0-51 
530 | 0:65 0-62 
520 | 0-59 0-51 





92 König, Ueber Farbensehen und Farbenblindheit. 


————————————————————————————— 




















Für hohe Intensität. Für geringe Intensität. 
RK | D K | D 
510.3). 213% 0:54, ,%..070:38292 004.040 0:38 
500: 1... 0413 Tu | O2 003 0:28 
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430 0:692 22 4 0:50, Ban E08 056 


Die Ergebnisse lassen sich in folgendem zusammenfassen. 


1) Die Empfindlichkeit ist für eine größere Wellenlänge als 
510 Milliontel Millimeter unabhängig von der Intensität. 


2) Das Maximum der Empfindlichkeit im Gelben liegt für beide 
Beobachter an verschiedenen Stellen des Spektrums. 


3) Die beiden andern Maxima (im Blaugrünen und am Ueber- 
gang von Indigo in Violett) liegen bei derselben Intensität für beide 
Beobachter an derselben Stelle. 


4) Sie wandern aber (ebenso wie der ungefähr in der Gegend 
des ersten dieser beiden Maxima liegende neutrale Punkt der Rot- 
grünverwechsler) mit steigender Intensität nach dem violetten Ende 
des Spektrums hin. 


Hinsichtlich der Einzelheiten sowohl der im Vorstehenden erwähn- 
ten Untersuchungsmethoden wie der erlangten Resultate verweise ich 
auf die speziellen Abhandlungen. Dieselben finden sich: 

Wiedemann’s Annalen, Bd. 17, S. 990, 1882; Bd. 22, S. 567 
u. 579, 1884. 

Gräfe’s Archiv, Bd. 30, Abt. 2, 8.155 m. 171,.188£ 

Verhandlungen der physikalischen Gesellschaft zu Berlin, Jahr- 
gang 1882, Nr. 2 u. 12; Jahrgang 1883, Nr. 4, 14 u. 16; 
Jahrgang 1884, Nr. 3, 4 u. 11. 

Zeitschrift für Instrumentenkunde, Bd. 3, S. 20, 1883. 

Hirschberg’s Centralblatt für praktische Augenheilkunde, 
Jahrgang 1884, Dezemberheft. 





‘ 


König, Ueber einen Fall von pathologisch entstandener Violettblindheit. 95 


Physikalische Gesellschaft zu Berlin. 
Sitzung vom 6. November 1885. 


Herr A. König sprach „über einen Fall von pathologisch 
entstandener Violettblindheit“. 

Bei den bisher aufgefundenen wenigen Individuen, deren Farben- 
system man durch Annahme eines Fehlens der Violettempfindung 
(nach Young-Helmholtz) oder der Blau-Gelbempfindung (nach 
Hering) erklären zu können glaubte, sind meines Wissens keinerlei 
genaue spektroskopische Bestimmungen gemacht worden. Man hat 
sich mit der Angabe von einigen Verwechslungsfarben und mit einer 
Beschreibung des Eindruckes, den die verschiedenen Teile des Spek- 
trums in solchen Augen hervorrufen, begnügen lassen. 

Vor etwa einem Jahre war ich durch die liebenswürdige Gefällig- 
keit des Herrn W. Uhthoff in der Lage, selbst Beobachtungen an 
einem jungen Manne anstellen zu können, der ebenso wie jene als 
violettblind, resp. blaugelbblind bezeichneten Individuen angab, in der 
uns gelb und gelbgrün erscheinenden Gegend des Spektrums ein 
breites graues Band zu erblieken, an welches sich nach dem lang- 
welligen Ende hin eine rote und nach der andern Seite hin eine grüne 
oder grünlich-blaue Region anschließen sollte, welche sich beide an- 
nähernd bis zu den für normale Farbensysteme gegebenen Grenzen 
des Spektrums hin erstreekten. Eine damals sofort angestellte und 
seitdem mit verbesserter Methode wiederholte systematische Prüfung 
dieses Farbensystems ergab nun aber, dass hier kein diechroma- 
tisches System vorhanden war, sondern ein trichromatisches. 
Festzustellen, worin die Abweichungen dieses trichromatischen Systems 
von den die große Mehrzahl bildenden normalen trichromatischen 
Farbensystemen bestehen, ist leider infolge der Unsicherheit der ge- 
machten Einstellungen trotz wiederholten Versuches unmöglich ge- 
blieben. Es liegt somit große Wahrscheinlichkeit, wenn nicht sogar 
Gewissheit vor, dass die bisher als violettblind (resp. blaugelbblind) 
bezeichneten Individuen ein zwar abnormales aber trichromati- 
sches Farbensystem besessen haben. 

Vor einigen Monaten wurde mir nun, ebenfalls wieder durch 
Herrn W. Uhthoff, ein Patient der hiesigen Schöler’schen Augen- 
klinik zugeführt, der auf dem rechten Auge in dem zentralen Teile 
des Gesichtsfeldes eine abnormale Farbenempfindung besaß, und bei 
welchem eine diesem Skotom genau entsprechende Retinitis vorhan- 
den war. Die ophthalmoskopische Prüfung hatte eine leichte Trübung 
der Papille ergeben. Gleichzeitig bestand eine grau-weißliche Trübung 
der Retina in der Gegend der Macula lutea, welche sich nach oben 
und unten weiter ausbreitete als nach den Seiten. Eine Untersuchung 
am Perimeter ergab, dass das Farbenskotom ungefähr elliptische 


94 König, Ueber einen Fall von pathologisch entstandener Violettblindheit. 


Gestalt hatte; die Enden der großen Axe dieser Ellipse lagen von 
dem Fixationspunkt 15° nach oben, 30° nach unten; die Enden der 
kleinen Axe 5° medianwärts und 15° lateralwärts. 

Die Aussagen des Patienten ließen Violettblindheit in diesem 
Skotom vermuten. Innerhalb des Skotoms erschienen weiße 
Gegenstände gelblich. Blaugrüne, blaue und violette Pigment- 
farben wurden innerhalb des Skotoms fast immer verwechselt und 
erschienen grün. Meine Vermutung, dass hier die Violettempfindung 
zerstört sei, wurde nun durch eine spektroskopische Prüfung voll- 
kommen bestätigt. Zunächst ergab sich das Vorhandensein eines 
neutralen Punktes. Die Bestimmung der Wellenlänge desselben ge- 
schah in derselben Weise, wie ich sie bei Rot- Grünverwechslern an- 
gewendet habe !). Es ergab sich als Wellenlänge des neutralen 
Punktes 560,4 uw mit einem wahrschemlichen Fehler von + 1,4 uw 
für die Einzelbestimmung. (Von einem breiten grauen Streifen im 
Spektrum, wie er bei den bisher als violettblind diagnostizierten In- 
dividuen erwähnt wird, konnte also keine Rede sein, was auch mit 
der Beschreibung des Spektrums seitens des Patienten übereinstimmte.) 
Dieser neutrale Punkt muss dem Schnittpunkte der beiden Intensi- 
tätskurven für die Rotempfindung und Grünempfindung (nach Young- 
Helmholtz’scher Theorie) entsprechen. Früher habe ich, die von 
Herrn v. Helmholtz ausgeführten Bestimmungen ?) der Komplemen- 
tärfarben benutzend, die Wellenlänge dieses Punktes zu ungefähr 
563 uw berechnet ?). 

Da monochromatisches Licht von der Wellenlänge 560 uw inner- 
halb und außerhalb des Skotoms denselben Eindruck machte, so 
haben wir unter der Bezeichnung „gelblich“, wie sie von dem Pa- 
tienten für den Eindruck von weißen Gegenständen innerhalb des 
Farbenskotoms benutzt wurde, sicher ein grünliches Gelb zu ver- 
stehen. 

Wurde das weiße Papier nieht mit Sonnenlicht, sondern mit dem 
Liehte eines Argand-Gasbrenners beleuchtet, so zeigte sich, dass 
seiner Farbe monochromatisches Lieht von der Wellenlänge 590, — uw 
entsprach. Der wahrscheinliche Fehler einer Einzeleinstellung betrug 
hier + 2, — un. Inwiefern diese Beobachtung mit meiner theore- 
tisch gemachten Bestimmung zusammenfällt, werde ich in einiger Zeit 
gemeinsam mit Herın ©. Dieterici nachweisen. 

Zwischen zwei monochromatisch erleuchteten Feldern von der 


1) A. König, Graefe’s Archiv XXX. (2) 8. 155. 1884 und Wied, Ann. 
XXII, 567. 1884 

2) H. Helmholtz, Pogg. Ann. LXLIV, 4. 1885 u. Wissensch. Abhandl. 
II, 45. Leipzig 1883. 

3) A. König, Verhandl. der Physikal. Ges. zu Berlin vom 2. März 1883. 
Nr. 4. 











Pansch, Grundriss der Anatomie des Menschen. 95 


Wellenlänge 515 uw und 477 uw bestand kein beträchtlicher Farbenun- 
terschied. Das Intensitätsverhältnis war bei Benutzung des Argand- 
Gaslichtes ungefähr 17 : 1. 

Das langwellige Ende des Spektrums war unverkürzt, das kurz- 
wellige endete hingegen im Indigo. 

Zur Erklärung dieser anormalen Farbenempfindung könnten 
vielleicht folgende drei Annahmen in betracht kommen: 

1. Die Störung des Farbensystems besteht in einer Absorption 
des violetten Endes des Spektrums durch die innern Schichten der 
Retina. Das ist aber unvereinbar sowohl mit der ausdrücklich kon- 
statierten völligen Gleichheit von weißem Licht und einem bestimm- 
ten monochromatischen Licht, wie auch mit der Thatsache, dass von 
dem neutralen Punkte an in dem kurzwelligen Teile des Spektrums 
die Farben sich nur durch mehr oder minder große Beimischung von 
Weiß unterschieden. Bei einer bloßen Absorption gewisser Teile des 
Spektrums hätte der Farbenton der nicht absorbierten der normale 
sein müssen. 

2. Unter Voraussetzung der Richtigkeit der Hering’schen Far- 
bentheorie mangelt die Blau-Gelbempfindung. Dann hätte aber mono- 
chromatisches Licht von der Wellenlänge des neutralen Punktes 
(560 uw) und weißes Sonnenlicht weiß und nicht gelblich erscheinen 
müssen. 

3. Es mangelt die Violett- Empfindung (nach Young-Helm- 
holtz). Hiermit sind alle Beobachtungen und Aussagen des Patien- 
ten im Einklang. 

Ich stehe daher nicht an, in dem vorstehend Berichteten eine 
unantastbare Stütze für die Richtigkeit der Young-Helmholtz’schen 
Farbentheorie zu erblicken. 


Zusatz zu der Spengel’schen Mitteilung: „Phoenicurus 
redivivus“. 

Außer den Autoren, welche Spengel in Nr. 1 S. 20 dieses Bandes des 
Biol. Centralbl. anführt, hat auch noch E. Grube die Rückenanhänge von 
Thetys fimbria Boh. richtig erkannt, gut beschrieben und nach dem Leben in 
ihrer natürlichen Lage sehr hübsch abgebildet, in der Schrift: Ein Ausflug 
nach Triest und dem Quarnero, Berlin 1861, S. 29, Taf. I, Fig. 12. Das 
von Grube beobachtete Individuum phosphoreszierte lebhaft, wenn es berührt 
wurde. 


K. Möbius (Kiel). 


Ad. Pansch, Grundriss der Anatomie des Menschen. 
Berlin. 1886. Verlag von Robert Oppenheim. 

Unter den verschiedenen kleinern Lehrbüchern der Anatomie, welche für 
den Gebrauch der Studierenden berechnet sind, nimmt dasjenige von Pansch, 
dessen 2. Auflage uns vorliegt, gewiss einen hervorragenden Platz ein. Was 
es vor allem auszeichnet, ist die Kürze, verbunden mit einer außerordentlichen 
Klarheit und Vollständigkeit. Es ist ja das Pansch’sche Buch nicht dazu 


95 Kongress für innere Medizin. 


bestimmt, den Gebrauch eines größern Handbuches oder die anatomische Vor- 
lesung zu ersetzen, sondern es soll erstens den Lernenden vorbereiten auf die 
Benutzung größerer Lehrbücher und zweitens bei einer Repetition in aller 
Kürze ein klares und vollständiges Bild der anatomischen Verhältnisse geben. 
Und dieser Aufgabe wird es sicher gerecht und wird sich deswegen gewiss 
viele Freunde sichern. Namentlich die Kapitel über die Bewegungsorgane und 
über das Gehirn sind trefflich bearbeitet und werden unterstützt von einer 
Reihe sehr guter Illustrationen, die, in der neuen Ausgabe zweifarbig gedruckt, 
dem Buche nicht nur zur Zierde gereichen, sondern ein lebendigeres Bild geben 
und so wesentlich zu einem leichtern Verständnis beitragen. Die Kapitel der 
Neurologie und Angiologie scheinen sowohl in Text als Illustration viel- 
leicht etwas zu gekürzt und zu schematisch gehalten, doch ist dies eine An- 
sicht, für und gegen die sich immerhin manches vorbringen lässt. Aeußerst 
praktisch erscheint aber eine tabellarische Uebersicht aller „benannten Teile 
in ihrer gegenseitigen Beziehung“, der als Beilage eine Reihe von Tafeln 
beigegeben ist; es wird dadurch sicher eine kurze Repetition wesentlich er- 
leichtert. So verdient denn der Grundriss der Anatomie von Pansch allent- 
halben bestens empfohlen zu werden. Noch mag schließlich die hübsche Aus- 
stattung des Buches lobend erwähnt werden. 


F. H. 


Kongress für innere Medizin. 


Vom 14. bis 17. April d. J. findet zu Wiesbaden der fünfte Kongress für 
innere Medizin statt. Aus dem bisher festgestellten Programm heben wir 
hervor: 

1) Referate und Diskussionen, an den Vormittagen des 14,, 
15. und 16. April: 

Ueber die Pathologie und Therapie des Diabetes mellitus. Referenten: Herr 
Stokvis (Amsterdam) und Herr Hoffmann (Dorpat). — Ueber operative Be- 
handlung der Pleuraexsudate. Referenten: Herr O. Fräntzel (Berlin) und 
Herr Weber (Halle). — Ueber die Therapie der Syphilis. Referenten: Herr 
Kaposi (Wien) und Herr Neisser (Breslau). 

2) Bisher angemeldete Vorträge, an den Nachmittagen der- 
selben Tage: 

Herr Thomas (Freiburg): Ueber Körperwägungen. — Herr Rieß (Berlin): 
Aus dem Gebiete der Antipyrese. — Herr Brieger (Berlin): Ueber Ptomaine. — 
Herr Ziegler (Tübingen): Ueber die Vererbung erworbener pathologischer Eigen- 


schaften. — Herr Fick (Würzburg): Ueber die Blutdruckschwankungen im 
Herzventrikel bei Morphiumnarkose. — Herr Rumpf (Bonn): Ueber syphilitische 
Erkrankungen des Gefässsystemes. — Herr Cursehmann (Hamburg): Demer- 


kungen über das Verhalten des Zentralnervensystems bei akuten Infektions- 
krankheiten. — Herr Knoll (Prag): Ueber Atmungs-Innervation. — Herr Stein 
(Frankfurt a. M.): Ueber die physikalische und physiologische Einwirkung der 
allgemeinen Elektrisation (Galwanisation, Faradisation und Franklinisation) auf 
den menschlichen Körper. — Herr Unna (Hamburg): Therapie der Lepra. — 
Herr Pfeiffer, Emil (Wiesbaden): Zur Aetiologie und Therapie der harn- 
sauren Steine. — Herr v. Basch (Wien-Marienbad): Zur Lehre von der Venen- 
stauung. — Herr Heubner (Leipzig): Ueber Scharlachdiphtherie und deren 

















Biologisches Üentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 








24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 











VL Band. 15. April 1886. Nr. 4. 
Inhalt: Virchow, Deszendenz und Pathologie. — Pringsheim, Ueber die Sauerstoff- 
abgabe der Pflanzen im Mikrospektrum (Fortsetzung). — Fritz Müller, Neue 


Beobachtungen über Feigenwespen. — Albrecht, Ueber den morphologischen Sitz 
der Hasenschartenkieferspalte (Nachtrag). — Just, Zur Histologie und Physiologie 


des Flimmerepithels. — Exner, Ueber eine neue Urteils-Täuschung im Gebiete 
des Gesichts-Sinnes. — Annalen des K. K. naturhistorischen Hofmuseums zu 
Wien. 





Rud. Virchow, Deszendenz und Pathologie '!). 


In seinem „Archiv für pathologische Anatomie“ (Band 103) ver- 
breitet sich Rud. Virchow noch einmal ausführlich über die zwischen 
ihm und Weismann auf der letzten Versammlung der Naturforscher 
und Aerzte in Straßburg erörterten Fragen in drei Artikeln, auf welche 
Herrn Weismann’s Erwiderung in diesem Blatte ?) sich bezog. Um 
nun unsern Lesern das ganze Material vorzulegen und die Gründe 
der Meinungsverschiedenheiten aufzuklären, welche zwischen Virchow 
und Weismann auf jener Versammlung zutage traten, ehe die Art 
derselben besprochen werde, so geben wir hier noch den Artikel 
des Herrn Virchow in seinen wesentlichen Teilen mit dessen eignen 
Worten wieder, indem auch wir glauben, es liege im Interesse der 
Wissenschaft, den Grund dieser Differenz aufzuklären. 

Nach Virchow ist dieser Grund kein anderer als der, dass seit 
der Abspaltung des größten Teiles der Naturwissenschaften von der 


Medizin die Mehrzahl der Normal-Biologen — um statt des sonst 
vielleicht mehr zutreffenden Ausdruckes der Physiologen einen nicht 
misszuverstehenden Namen zu gebrauchen — von den Erfahrungen 


der Pathologen wenig oder gar keine Kenntnis nimmt. 





4) Mit besonderer Erlaubnis des Herrn Verfassers hier auszugsweise als 
Referat wiedergegeben. Red. d. Biol. Ctbl. 
2) Biol. Centralbl., Bd. VI, Nr. 2. 
VI, 


1 


98 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


Nirgends tritt — so führt Virchow in dem ersten der drei Ar- 
tikel aus — dies so scharf hervor, als in den Erörterungen über 
Deszendenz. Freilich muss ich Darwin selbst insofern ausnehmen, 
als in allen seinen Schriften das Bestreben, auch den pathologischen 
Erscheinungen ihr Reeht widerfahren zu lassen, erkennbar ist. Sagt 
er doch gleich im ersten Kapitel seines berühmten Buches (On the 
origin of species. London 1859. p. 8): Monstrosities cannot be se- 
parated by any clear line of distinetion fom mere variations. Aber 
er selbst war kein Pathologe: er verdankte seine Kenntnisse auf die- 
sem Gebiete teils literarischen Studien, teils Mitteilungen einzelner 
Aerzte, und daher ist es ihm auch nicht gelungen, die einschlagenden 
Fragen so zu vertiefen, dass für seine Nachfolger eine genügende 
Klärung herbeigeführt worden wäre. 

Herr Weismann geht in seinem Widerspruch gegen die Patho- 
logie so weit, dass er gradezu die Vererbbarkeit erworbener Charak- 
tere leugnet. Er behauptet kurzweg: „Bis jetzt liegt noch keine 
Thatsache vor, welehe wirklich bewiese, dass erworbene Eigenschaften 
vererbt werden können“ (Tageblatt der 58. Versammlung deutscher 
Naturf. u. Aerzte. 1885. S. 47). Er fügt hinzu: „Vererbung künstlich 
erzeuster Krankheiten ist nieht beweisend, und so lange dies nicht 
der Fall ist, hat man kein Recht, diese Annahme (von der Vererbung 
erworbener Eigenschaften) zu machen, es sei denn, dass wir dazu 
gezwungen würden durch die Unmöglichkeit, die Artumwandlung 
ohne diese Annahme zu beweisen.“ 

Warum Herr Weismann nur die Vererbung künstlich er- 
zeugter Krankheiten zugesteht, ist nicht recht verständlich, denn die 
Zahl der künstlich erzeugten erblichen Krankheiten ist gegenüber der 
Zahl der natürlich entstandenen und doch erblichen Krank- 
heiten eine verschwindend kleine. Ja, ich möchte behaupten, Herr 
Weismann würde die meisten Aerzte in große Verlegenheit bringen, 
wenn er von ihnen die Angabe künstlich erzeugter, erblicher Krank- 
heiten verlangte, während ihm gewiss jeder Arzt eine Reihe natürlich 
entstandener Krankheiten aufführen würde, welche sich erblich über- 
tragen. Denn der Herr straft die Sünden der Väter an ihren Söhnen 
bis in das dritte und vierte Glied. Aber, was noch viel mehr über- 
rascht, das ist der Gegensatz, in welchen sich Herr Weismann 
gegen Darwin selbst stellt. Grade der Hauptteil der Gründe, welche 
der große Naturforscher für die Variabilität der Arten und damit für 
die Deszendenz gesammelt hat, und zugleich derjenige, welcher ihm 
besonders eigentümlich ist und seine Stärke ausmacht, ist den Er- 
fahrungen der Domestikation entnommen. Die Domestikation aber 
hatte in seinen Betrachtungen den Wert, dass durch sie die Vererbung 
erworbener Eigenschaften in unzweifelhafter Weise dargethan wer- 
den könne. Am Schlusse seines ersten Kapitels (S. 43), wo er seine 
Ansichten über die Domestikation zusammenfasst, sagt er: I believe 


Virchow, Deszendenz und Pathologie. 99 


that the conditions of life, from their action on the reproductive 
system, are so far of the highest importance as eausing variability. — 
Variability is governed by many unknown laws, more especially by 
that of correlation of growth. Something may be attributed to the 
direet action of the conditions of life. Something must be attributed 
to use and disuse. — Konnte es also schon damals nicht zweifelhaft 
sein, dass Darwin der Entstehung von Varietäten durch Erwerbung 
neuer Eigenschaften einen großen Wert beilegte, so hat er sich über 
die Vererbung erworbener Eigenschaften in seinem Werke über das 
Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation 
(deutsch von V. Carus. Stuttg. 1868. II. S. 36, 106 u. a.) auf das 
bestimmteste ausgesprochen. Freilich lag es in seinem Gedanken- 
gange, der eben durch die Erfahrungen über die Züchtung von Pflan- 
zen und Tieren bestimmt war, dass er als die, sowohl für künstliche, 
als für natürliche Variation entscheidende Methode die Zuchtwahl 
(selection) aufstellte, und dass er darüber die Frage nach der ersten 
Entstehung der Variation in den Hintergrund drängte. Es ent- 
ging ihm nicht, dass die Zuchtwahl nur die Fixierung einer neu ent- 
standenen Variation beabsichtigen kann, aber die Thatsache bleibt 
doch stehen, dass er die Frage dieser Neuentstehung sehr nebensäch- 
lich behandelt hat. 

Herr Weismann glaubt diesen Mangel dadurch ergänzen zu 
können, dass er sagt: „Es beruht alles auf Anpassung“. Aber was 
heißt denn Anpassung? Er selbst gibt eine Art von Erklärung dafür: 
„Es gibt keinen Teil des Körpers, und sei es der kleinste und unbe- 
deutendste, überhaupt kein Strukturverhältnis, das nicht entstanden 
wäre unter dem Einflusse der Lebensbedingungen, sei es bei der be- 
treffenden Art selbst, sei es bei ihren Vorfahren; keines, das nicht 
diesen Lebensbedingungen entspräche, wie das Flussbett dem in ihm 
strömenden Fluss.“ Da haben wir also wieder die conditions of life 
von Darwin. Aber was sind denn diese Lebensbedingungen? Ich 
wüsste nicht, was es anders sein kann, als in erster Linie die Ein- 
flüsse der äußern Dinge, der Umgebungen, der Medien. Dass ein 
lebendiges Wesen, welches unter veränderte Lebensbedingungen ver- 
setzt wird, andere Thätigkeiten ausüben, andere Funktionen in Ge- 
brauch nehmen, andere Gewohnheiten ausbilden muss, wenn es nicht 
sterben oder verkümmern will, das ist selbstverständlich. Darwin’s 
use and disuse entspricht der alten Lehre von der Gewöhnung und 
Uebung. Aber sieht denn Herr Weismann nicht, dass der Grund 
für diese Veränderung des Lebens eben in den Medien, in den äußern 
Verhältnissen liegt? und ist ihm wirklich unbekannt, dass eine Ver- 
änderung, welche „unter dem Einflusse der (veränderten) Lebensbe- 
dingungen entstanden ist“, nach einem alten Sprachgebrauche der 
Pathologie eine erworbene genannt wird? Ob sie an der betref- 
fenden Art selbst oder auch nur an gewissen Individuen derselben 


win 


‘ 


100 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


„entsteht“, oder ob sie schon bei deren Vorfahren „entstanden“ war 
und sich nachher erblich fortgepflanzt hat, das ändert nichts an der 
Thatsache, dass sie von demjenigen Individuum oder derjenigen Art, 
wo sie entsteht, erworben wird. Sie ist eben eine mutatio ac- 
quisita, und wenn sie sich auf die Nachkommenschaft überträgt, so 
ist das ein Fall von Vererbung erworbener Eigenschaften. 

In Straßburg war ich der nächste Redner nach Herrn Weis- 
mann. Mein Thema war die Akklimatisation. Darunter versteht 
man bekanntlich die Anpassung an die durch ein fremdes Klima ver- 
änderten Lebensbedingungen eines Individuums, d. h. die Erwerbung 
von neuen Eigenschaften, vermöge welcher es möglich ist, ein ge- 
sundes Leben auch unter den veränderten Verhältnissen zu führen. 
Gibt es keine Vererbung dieser Eigenschaften, so ist die Besiedelung 
eines fremden Landes durch eine eingewanderte Rasse unmöglich. 
Ich musste also notgedrungen zu der durch Herrn Weismann auf- 
gestellten These Stellung nehmen. Meine Ueberzeugung, der ich Aus- 
druck gab, geht dahin, dass es allerdings eine Akklimatisation 
gibt, aber eine beschränkte, dass gewisse Rassen mehr, an- 
dere weniger zu der Akklimatisation befähigt sind, und dass die we- 
niger befähigten, welche ich die vulnerablen nannte, für die Be- 
siedelung tropischer Gegenden sich überhaupt nicht eignen. 

Nur beiläufig will ich erwähnen, dass Herr Weismann in seiner 
Gegenrede die Akklimatisation in der Weise erklärte, dass „die 
sünstigsten individuellen Variationen, welche sich innerhalb + einer 
menschlichen Kolonie darboten, erhalten blieben, sich fortpflanzten 
und somit ihre eignen günstigen Eigenschaften auf die Nachkommen- 
schaft übertrugen“. Das Beispiel, welches er zur Erläuterung dieses 
Satzes beibrachte, war nicht sehr glücklich gewählt. „Ein junger, 
blühender Mann, vollkommen in der Kraft der Jugend, wurde inner- 
halb 8 Tagen vom gelben Fieber in Vera Cruz dahingerafft; ihn be- 
gleitete zum Grabe ein anderer Deutscher, ein kleiner dürrer Mann 
von fahler Gesichtsfarbe, der hat das gelbe Fieber nicht bekommen. 
Wäre dieser Mann — er ist jetzt auch zurückgekehrt — dort ge- 
blieben und hätte sich dort fortgepflanzt, so würde er vielleicht im 
Laufe der Zeit Anlass gegeben haben zu einer kleinen europäischen 
Kolonie, die dem gelben Fieber Widerstand zu leisten im stande 
wäre.“ Obwohl der stenographische Bericht hinter dieser Stelle ein 
Bravo verzeichnet, so wage ich doch zu behaupten, dass die moderne 
Medizin eine derartige „Ilustration“ als eine wissenschaftlich zu- 
lässige nirgends anerkennen wird. Denn der Umstand, dass der 
kleine dürre Mann das gelbe Fieber nicht bekam, würde ihm für 
eine neue Epidemie ebenso wenig Sicherheit gewährt haben, als das 
Verschontbleiben einzelner Individuen in einer Epidemie von Cholera 
oder Pocken ihnen Schutz für eine folgende Epidemie gewährt. Durch 
eine Rückkehr hat er sich dieser Probe entzogen und darum ist der 
Fall gänzlich wertlos. 





Virchow, Deszendenz und Pathologie. 101 


Indess, wie gut oder schlecht das Beispiel war, Herr Weismann 
blieb wenigstens konsequent: er leugnet eben die Akklimatisation, 
d. h. die Erwerbung neuer Eigenschaften, und verweist dieselbe ganz 
und gar auf das Gebiet der Variation, und zwar einer schon vorher, 
d. h. vor der Einwanderung in das fremde Klima vorhan- 
denen Variation. Wie schon angeführt, erkenne auch ich die 
Bedeutung präexistenter Eigenschaften, d. h. der bestehenden Varia- 
tion voll an, und ich will besonders hinzufügen, nicht bloß die Be- 
deutung der Rassen-, sondern auch die der individuellen Eigen- 
schaften. Aber damit ist die Frage der Akklimatisation selbst nicht 
gelöst: mit einer einfachen Negation wird man sie nicht aus der 
Welt schaffen. Wer auch nur das einfachste Gebiet der Akklima- 
tisationserscheinungen, das der exotischen Pflanzen, überbliekt, wird 
sich sehr bald überzeugen, dass es eine Akklimatisation gibt und 
dass die akklimatisierten Pflanzen nicht nur Veränderungen in ihren 
Lebensverrichtungen, sondern auch in ihrer anatomischen Einrichtung 
zeigen. 

Herr Weismann erklärte aber zugleich, dass er unter erwor- 
benen Eigenschaften „bloß solche Eigentümlichkeiten verstehe, welche 
im Laufe des Lebens entstanden sind durch äußere Einwirkung, 
nicht durch innere“. Damit führt er uns auf das Gebiet der Aetio- 
logie, auf die Frage der Causae externae und der Causae internae. 
Wie es mir scheint, verbindet Herr Weismann mit diesem letztern 
Begriff eine etwas mystische Vorstellung. Es ist richtig, dass wir 
Pathologen zu den Causae internae s. praedisponentes auch das ganze 
Bereich der erblichen Anlagen (Dispositiones hereditariae) rechnen, 
und ich will dies in keiner Weise beschränken. Aber ich habe schon 
oben darauf aufmerksam gemacht, dass eine erbliche Variation 
irgend einmal durch eine Causa externa, durch eine Veränderung der 
Lebensbedingungen entstanden sein muss. Ob die Einwirkung der 
Causa externa auf das Ei oder auf das wachsende oder auf das aus- 
gewachsene Individuum stattgefunden hat, das ist für diese allge- 
meine Erörterung unerheblich. Wer aber leugnet, dass eine Variation 
durch äußere Einwirkung überhaupt erworben werden kann, der 
muss es eben machen, wie Herr Weismann mit der Akklimatisa- 
tion: er muss die Möglichkeit einer Variation schlechthin in Abrede 
stellen. 

Das thut aber Herr Weismann keineswegs. Im Gegenteil, er 
stützt darauf sein ganzes Gebäude. Um dieses überraschende Re- 
sultat zu stande zu bringen, erklärt er, der Grund der Variation liege 
in der sexuellen oder — wie er mit Häckel sagt — amphigonen 
Fortpflanzung. Die Vermischung der beiderlei Geschlechtsprodukte 
sei die Ursache der erblichen individuellen Charaktere; sie habe das 
Material von individuellen Unterschieden zu schaffen, mittels dessen 
Selektion neue Arten hervorbringe. Bei der ungeschlechtlichen, mo- 


102 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


nogonen Fortpflanzung sei Selektion unmöglich. Dagegen könne der 
Körper der niedersten, einzelligen Organismen „im Laufe seines Le- 
bens durch irgend einen äußern Einfluss verändert werden, 
irgend ein individuelles Merkmal bekommen“, und dieses werde dann 
auf seine beiden Teilsprösslinge übergehen. Er macht weiterhin aus- 
drücklich das Zugeständnis, von dem ich gern Akt nehme: „So läge 
denn die Wurzel der erbliehen individuellen Unterschiede wieder in 
den äußern Einflüssen, welche den Organismus direkt verän- 
dern, aber nieht auf jeder Organisationshöhe — wie man bisher zu 
glauben geneigt war — kann auf diese Weise erbliche Variabilität 
entstehen, vielmehr nur auf der niedersten, bei den einzelligen Wesen.“ 
Ich füge noch hinzu, dass der Uebergang von der monogonen zur 
amphigonen Fortpflanzung nach Ansicht des Herrn Weismann durch 
die Konjugation einzelliger Wesen herbeigeführt worden ist. 

Das ist gewiss ein sehr geistreicher Gedanke und ich werde mich 
freuen, wenn er sich bestätigt. Aber ich bin außer stande zu ver- 
stehen, warum das, was für die einzelligen Wesen gilt, nämlich ihre 
Variation durch äußere Einflüsse, nicht auch von den mehr- und viel- 
zelligen gelten soll. Herr Weismann schiebt hier die Anpassung 
ein. Aber woran soll das amphigone Wesen sich anpassen? Doch 
nur an die äußern Einflüsse. Eine Anpassung wäre aber gänzlich 
überflüssig, wenn das Wesen durch die äußern Einflüsse nicht ver- 
ändert würde. Nehmen wir das Beispiel, welches Herr Weismann 
voranstellt, das der Wale. Sie waren ursprünglich Landsäugetiere, 
welche zur Sekundärzeit durch „Anpassung an das Wasserleben“ ihre 
neuen Formen erlangten. Sagen wir bloß Wasser statt Wasserleben, 
so liegt der äußere Einfluss, das äußere Agens, die Causa externa 
ebenso klar vor, als wenn Fräulein Chauvin die Axolotl durch Ge- 
wöhnung an die Luft dahin brachte, sich aus Wassertieren zu Land- 
tieren umzugestalten. Die Geschichte der Tiere mit rudimentären 
Organen, welche so viele und vorzügliche Beispiele darbietet, läuft 
überall darauf hinaus, den Einfluss der äußern Ursachen in zweifel- 
loser Weise zu zeigen. Wenn ein Liehttier durch dauernden Aus- 
schluss des Lichtes in ein Dunkeltier mit erblichen Eigenschaften 
verwandelt wird, so möchte ich wohl die Logik hören, welche uns 
die Causa externa wegdisputieren wollte. 

Ich will hier aber auf eine gewisse Schwierigkeit der Sprache 
aufmerksam machen, welche leicht zu logischen Irrtümern führen 
kann. Wenn man nur das äußere Einflüsse nennt, was durch Agen- 
tien erzeugt wird, welche von außen auf den Organismus einwirken, 
so wird der Begriff der Causae internae ganz verschoben. Ein mehr- 
oder vielzelliger Organismus, wie der menschliche Körper oder auch 
der Körper der meisten Tiere, pflegt bei der Variation nicht in allen 
seinen Zellen verändert zu werden; gewöhnlich wird nur ein Bruch- 
teil der Zellen Sitz der Veränderung. Auf diesen Bruchteil oder, 


Virchow, Deszendenz und Pathologie. 105 


besser ausgedrückt, auf jede der beteiligten Zellen können 
auch die übrigen, nicht beteiligten Zellen äußere Einwirkungen aus- 
üben, und umgekehrt können die ursprünglich nicht beteiligten Zellen 
dureh die beteiligten, wie durch äußere Dinge, beeinflusst werden. 
Der Begriff der Causa externa gilt also nicht bloß für diejenigen 
Agentien, welehe den Organismus von außen her beeinflussen, son- 
dern auch für diejenigen, welche die einzelne Zelle, sei es an der 
Oberfläche, sei es im Innern des Körpers, von andern Zellen oder 
innern Teilen aus treffen. Nur die sind wahrhaft innere Ursachen, 
welche wirklich in der Einrichtung der Zellen selbst gegeben sind. 
Diese Unterscheidung ist in unserer Terminologie nicht scharf aus- 
gedrückt, aber sie darf deshalb nicht übersehen werden. Wenn ein 
infekter Stoff an einer Stelle des Organismus erzeugt wird und auf 
eine andere Stelle einwirkt, so ist er für diese ebenso gut eine Causa 
externa, wie wenn er außerhalb des Organismus erzeugt und von 
außen in denselben eingeführt worden wäre. 

Auf die Vorgänge bei der amphigonen Befruchtung sind die- 
selben Betrachtungen anzuwenden. Die weibliche Eizelle wird durch 
die männlichen Sexualprodukte, wie durch eine Causa externa, be- 
einflusst. Das liegt ja offen zu Tage. Dadurch, dass ein Spermato- 
zoid in die Eizelle eindringt, wird es ebenso wenig zu einer Causa 
interna, wie etwa das Gift, welches in eine Zelle gelangt. Ihre be- 
sondere Prädisposition oder Anlage hat die Eizelle schon vor der 
Befruchtung, und diese Anlage ist die Causa interna für eine Menge 
von Besonderheiten der spätern Organisation, welche nicht erst durch 
das Spermatozoid hervorgebracht, sondern nur in Bewegung gebracht 
werden. Daher wirkt der Same desselben Mannes auf verschiedene 
Eizellen scheinbar verschieden, insofern die verschiedene Prädisposi- 
tion der einzelnen Eizellen der beginnenden Bewegung besondere 
Richtungen vorzeichnet. Immerhin bleibt die Befruchtung eine „äußere 
Einwirkung“ und in strengerem Sinne kann sie selbst als eine er- 
worbene Veränderung der Eizelle bezeichnet werden. Die Vererbung 
von der Mutter her ergibt die Causa interna, die vom Vater die Causa 
externa für die spätere Entwicklung. 

Jede Einwirkung einer Causa externa verursacht zunächst an 
dem betroffenen Teil eine Veränderung. Die Pathologie bezeichnet 
diese Veränderung als Störung (laesio), im Falle, dass dieselbe 
Veranlassung zu einer Thätigkeit wird, als Reiz, oder genauer Reiz- 
zustand (irritamentum). Diese Bezeichnungen haben an sich keine 
pathologische, sondern eine ganz allgemein biologische Bedeutung. 
Obwohl sie von den Pathologen aufgestellt und schärfer ausgebildet 
worden sind, so sollten sie doch in die Sprache aller Biologen über- 
gchen. Denn auch die Krankheitsvorgänge sind vitale Vorgänge, und 
eine eigentliche Grenze gibt es zwischen pathologischen und physio- 
logischen Prozessen nicht. Eine durch äußern Einfluss erzeugte 


104 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


Störung, welehe alsbald wieder ausgeglichen (reguliert) wird, oder 
welche nur als ein „adäquater Lebensreiz“ wirkt, betrachtet man als 
physiologisch. Eine analoge Störung, welche dauernd fortbesteht, ist 
pathologisch. 

Bevor ich diese Auseinandersetzung fortführe, muss ich aber be- 
sonders hervorheben, dass nicht jeder pathologische Zustand eine 
Krankheit bedingt, ja dass er nicht einmal immer zu einer Krankheit 
in Beziehung steht. Ein Knochenbruch ist so wenig eine Krankheit, 
als eine Schnürleber oder ein Buckel. Vielmehr sind das Uebel 
(mala) oder Fehler (vitia) oder Leiden (passiones, rc). Die 
Krankheit (morbus, vocos) beginnt erst, wenn durch einen patho- 
logischen Zustand weitere Störungen der Lebensvorgänge herbeige- 
führt werden, welche den Charakter der Gefahr an sich tragen. Ich 
will das hier nicht weiter ausführen; wem das Gesagte nicht genügt, 
möge meine Abhandlung über die allgemeinen Formen der Störung 
und ihrer Ausgleichung (Handb. der speziellen Pathol. u. Therapie. 
Erlangen 1854. I. insbesondere S. 6) nachlesen. Hier lag mir nur 
daran, mich vor dem Missverständnis zu verwahren, dass das patho- 
logische und das nosologische Gebiet sich decken: das letztere ist 
viel enger als das erstere. Schon in meiner Straßburger Rede habe 
ich daran erinnert, dass der alte Ringseis mit Recht ein Gebiet 
der physiologischen Breitengrade innerhalb der Pathologie 
unterschieden hat, welches mit der Nosologie nichts zu thun hat. 

Wie verhält es sich nun mit dem Entstehen einer Varietät? 
Zweifellos ist jede Varietät eine bleibende Störung der 
Einrichtung eines Organismus und insofern patholo- 
sisch. Denn sie stellt eine Abweichung von der typischen d. h. 
physiologischen Einrichtung der Species dar. Sehr bezeichnend sagt 
Darwin, wo er die aus einander hervorgehenden Varietäten und 
Unter- Varietäten bespricht (Origin of species p. 12): The whole or- 
ganization seems to have become plastie, and tends to depart in some 
small degree from that of the parental type. In der Abweichung 
von dem Typus der Eltern oder, allgemeiner ausgedrückt der Species 
liegt das Pathologische des Herganges. Daher musste Darwin zu- 
gestehen, dass eine scharfe Grenzlinie zwischen Varietät und Monstro- 
sität nicht gezogen werden könne. Auch schon Johann Friedrich 
Meckel (Handb. der pathol. Anatomie. Leipzig 1812. 8. 9) sagte: 
„Die geringern Bildungsabweichungen belegt man mit dem Namen 
von Naturspielen oder Varietäten. Zwischen diesen und den Monstrosi- 
täten findet sich indess keine bestimmte Grenze, da sie nur grad- 
weise von einander verschieden sind“. 

Darwin fuhr an der eben zitierten Stelle fort: Any variation 
which is not inherited is unimportant for us. Das soll, wie ich die 
Stelle zu verstehen glaube, heißen, dass für die Untersuchung über 
die Entstehung der Arten alle nicht vererbbaren Variationen uner- 


Virchow, Deszendenz und Pathologie. 105 


heblich sind. Zweifellos ist das richtig: für diese Untersuchung han- 
delt es sich nicht so sehr um die individuelle, als vielmehr um die 
erbliche Variation. Dabei darf man freilich nieht übersehen, dass 
die individuelle Variation, auch im Sinne des Herrn Weismann, 
die Grundlage der erblichen Variation ist, dass also die Art der Ent- 
stehung der individuellen Variation von der Untersuchung nicht aus- 
geschlossen werden darf. Eine neue Art kann nicht anders ent- 
stehen, d. h. beginnen, als mit dem ersten Individuum, welches der 
Variation verfällt. Mit der erblichen Uebertragung der Variation von 
dem ersten auf das zweite Individuum, mit der Ueberführung der 
erworbenen Abweichung vom Typus in eine erbliche beginnt der 
zweite Akt der Bildung der neuen Spielart oder Art. Denn damit 
wird ein neuer Typus festgestellt, der von dem ursprünglichen ver- 
schieden ist. Man könnte nun sagen, mit der erblichen Uebertragung, 
also in der zweiten Generation, sei die Störung ausgeglichen, der 
Fehler gesühnt; mit der Fixierung des neuen Verhältnisses sei das- 
selbe typisch und somit physiologisch, d. h. normal geworden. Aber 
eine genauere Betrachtung lehrt, dass es so leicht nicht ist, ein Kri- 
terium des Typischen oder Normalen zu finden. 

Würde jede, durch erworbene Störung eingeleitete Veränderung 
durch erbliche Uebertragung gewissermaßen legitimiert, so müssten 
wir sofort aufhören, von erblichen Krankheiten zu sprechen. Selbst 
die erblichen Missbildungen würden im zweiten Gliede nicht mehr als 
Missbildungen betrachtet werden dürfen. Beispiele für derartige Ver- 
erbungen sind oft geliefert; wer deren nachlesen will, wird bei Joh. 
Fr. Meckel (a. a. ©. S.15) oder bei Darwin selbst (Das Variieren 
der Tiere. II. S. 7) Beispiele genug finden. Ich habe daher niemals 
Bedenken getragen, auch die Möglichkeit pathologischer Rassen 
zuzugestehen. Sowohl der Bulldog als der Mops sind gute Beispiele 
dafür. Indess das beste unter den Wirbeltieren ist wohl das soge- 
nannte polnische oder Hollenhuhn. Darwin (Das Variieren. IH. 
S. 440) kannte dasselbe recht gut, aber er beschränkte sich darauf, 
die Schädelverhältnisse desselben vom Standpunkte der Korrelation 
aus zu betrachten. Ich habe die Literatur dieser interessanten Hühner- 
rasse, welche bis auf Blumenbach zurückreicht, in meiner Onko- 
logie (Bd. III. S. 274) ausführlich gegeben: es handelt sich dabei 
um eine hereditäre Encephalocele superior, deren Entstehung bis in 
frühe Zeiten des Embryonallebens zurückreicht. Darwin hat dafür 
eine sehr leichte Erklärung: für ihn entsteht das Loch im Schädel 
infolge des verstärkten Wachstums der Federn an dieser Stelle. 
Nach dieser Interpretation würden sich auch die Fälle leicht erklären, 
wo beim Menschen an gewissen Stellen des Rückens vermehrte Haar- 
bildung besteht und darunter eine Spina bifida oceulta liegt. (Man 
vgl. meine Mitteilungen in der Zeitschr. f. Ethnol. 1875. Bd. VII. 
S. 280. Taf. XVII. Fig. 2 und in der Berliner klinischen Wochenschr. 


106 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


1884. Nr. 47. S. 747.) Aber ich habe geglaubt, sie anders erklären 
zu müssen: nach meiner Auffassung ist sowohl die vermehrte Haar- 
bildung, wie die Spina bifida Folge einer lokalen Reizung. Wenn 
nun ein solcher Zustand bei einer Hühnervarietät erblich wird, so 
muss diese Varietät eben als eine pathologische betrachtet werden. 
Denn ein soleher Zustand des Schädels widerspricht dem Typus der 
Schädelbildung bei Hühnern; müsste er als ein neuer Arttypus aner- 
kannt werden, so könnte das Hollenhuhn nicht mehr zu der Gattung 
Huhn gerechnet werden. Wir würden dann nicht eine neue Rasse, 
auch nicht eine neue Art, sondern eine neue Gattung vor uns haben. 

Ich denke, dieses Beispiel wird meine Vorstellungen von der 
Existenz nicht nur pathologischer Spielarten und Rassen, sondern 
auch pathologischer Species ziemlich klarlegen. Aber gibt es auch 
pathologische Genera? Ich habe nicht den mindesten Zweifel daran. 
Man sehe doch nur die verschiedenen Kruster mit rudimentärer Kör- 
perentwicklung an. Es mag ja recht zweckmäßig sein, gewisse Or- 
gane zugrunde gehen zu lassen, wenn ein freilebendes Tier sich in 
ein parasitisches verwandelt, aber niemand wird behaupten können, 
dass der parasitische Zustand ein vollkommenerer ist, als der freie, 
oder dass das parasitische Genus dem Typus der Familie oder Klasse 
voll entspricht. Jeder Zustand niederer oder unvollkommener Funk- 
tion oder Organisation, der aus einem Zustande höherer oder voll- 
kommener Funktion oder Organisation hervorgeht, wird auch als ein 
Zustand von Störung und somit als ein pathologischer anerkannt 
werden müssen. 

Ob die Vererbung soleher Zustände auf dem Wege monogoner 
oder amphigoner Zeugung zu stande kommt, ändert an der Betrach- 
tung nichts. Man kann Herrn Weismann darin zustimmen, dass 
die amphigone Zeugung, insofern sie zwei Individuen mit verschie- 
dener Anlage in Wechselwirkung treten lässt, die Wahrscheinlichkeit 
erblicher und progressiver Abweichungen steigert, aber in der prin- 
zipiellen Beurteilung der ersten Entstehung der Abweichung ändert 
das nichts. Es wird schwerlich jemals gelingen, den Grund für die 
Entstehung der Möpse oder der Hollenhühner bis auf die Zeit der 
monogonen Zeugung zurückzuverfolgen. Eine geisteskranke, d. h. 
eine mit erblichen Störungen des Gehirns behaftete oder, wie man 
jetzt sagt, belastete Familie lässt sich in ihrer Besonderheit nicht 
einmal auf die Rasse zurückverfolgen. Auch darf ich wohl daran 
erinnern, dass eine der besten Ausführungen Darwin’s gelehrt hat, 
wie bei der Kreuzung verschiedener Varietäten, also grade solcher 
Individuen, welche vermöge erblicher Uebertragung gewisse Ab- 
weichungen von dem Typus der Art in besonderer Stärke zeigen, 
sehr häufig keine Steigerung der Varietät, sondern im Gegenteil ein 
Rückschlag auf die einfachern typischen Verhältnisse der Species 
eintritt. 


Virchow, Deszendenz und Pathologie. 107 


Wo soll man nun die Grenze zwischen pathologischer und physio- 
logischer Variation oder, wenn man es krass ausdrückt im Sinne 
Meckel’s und Darwin’s, zwischen Monstrosität und Varietät setzen? 
Herr Weismann verweist uns auf die Anpassung. Ich darf hier 
einschieben, dass auch dieser Begriff für die Pathologie kei neuer ist. 
Wir nennen das eine Ausgleichung oder Regulation der Störung, 
und wir berühren damit ein Hauptkapitel der allgemeinen Therapie. 
Gewiss trägt die Anpassung am meisten dazu bei, die Permanenz 
einer vorhandenen Störung zu ermöglichen, indem sie an die Stelle 
einer physiologischen Einrichtung eine neue Einrichtung setzt, welche 
geeignet ist, das Leben und bis zu einem gewissen Grade die Gesund- 
heit des betroffenen Individuums zu erhalten, beziehentlich wieder- 
herzustellen. Ich verweise deswegen auf die Lehre von den vika- 
riierenden Thätigkeiten, für welche die Pathologie so viele und so 
ausgezeichnete Beispiele liefert. Grade die Lehre von der Akklimati- 
sation beruht zu einem nicht geringen Teile auf derartigen Erfahrungen. 
Aber mit der Anpassung ist an sieh kein Normalzustand geschaffen. 
Sehr viele Organismen, welche ihre Defektzustände oder, um mit 
Darwin zu sprechen, ihre rudimentären, atrophischen oder abortierten 
Organe (Origin of speeies p. 450) durch kompensatorische Entwick- 
lung anderer Teile ersetzen, bleiben deshalb doch in pathologischen 
Zuständen, ihre Defektzustände bleiben trotz aller Vikariierung Fehler 
oder Uebel, und der Arzt würde ein schlechter Diagnost und Prognost 
sein, der über einer Sanatio ineompleta vergäße, dass sein Patient 
doch nieht wieder ein gesunder Mensch geworden ist. 

Darum muss man sagen, dass auf die Anpassung, so wichtig sie 
ist, doch nieht alles ankommt. Mindestens muss zu der Anpassung 
die Vererbung kommen; erst dadurch nimmt das neue Verhältnis den 
Charakter eines neuen Typus an. Bei der Akklimatisation beruht 
darauf jener wichtige Untersehied, den ich so scharf in den Vorder- 
grund gerückt habe, zwischen der Akklimatisation des Individuums 
und der Akklimatisation der Familie oder im weitern Sinne der 
Rasse. Leider wissen wir bis jetzt über die Gründe der Vererbung 
herzlich wenig. Warum die eine Abweichung sich vererbt, die andere 
nicht, darüber ist eigentlich gar nichts bekannt; unsere Kenntnisse in 
dieser Richtung sind rein empirische und kasuistische. Einiges lässt 
sich durch Gewöhnung erklären, aber der Grund der Gewöhnung, 
d. h. der veränderte Zustand der Organe, liegt fast überall außerhalb 
der Erfahrung. In der neuesten Zeit sind manche Versuche gemacht 
worden, die feinere histologische Einrichtung der variierenden Teile, 
selbst der Zellen, zum Gegenstande der Erörterung zu machen, aber 
nirgends ist man so weit vorgerückt, eine volle Theorie der Vererbung 
herzustellen. 

Soll eine solche Theorie gefunden werden, so wird es schwerlich 
gelingen, ihre Grundlagen sicherzustellen, wenn man die Untersuchung 


108 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


ins Ungemessene hinausdrängt und die Spekulation bis in jene Urzeiten 
zurücktreibt, wo die amphigone Zeugung aus der monogonen hervor- 
ging. Was Darwin erreicht hat, das hat er in der Hauptsache auf 
dem bis dahin abseits gelegenen Gebiete der Domestikation erreicht. 
In gleicher Weise wird nach meiner Auffassung auch der weitere 
Fortschritt wesentlich geknüpft sein an die Ergründung aktueller Vor- 
sänge. Und hier möchte ich glauben, dass die Wege der pathologi- 
schen Forschung auch Richtung und Mittel der biologischen Gesamt- 
forschung bestimmen müssen. Sollte es mir gelungen sein, das Ver- 
ständnis dafür durch meine Ausführungen in etwas gefördert zu haben, 
so wird die Frucht nicht ausbleiben. 
(Fortsetzung folgt.) 


Ueber die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


Von N. Pringsheim. 
(Fortsetzung.) 

II. Die relative Lage der Maxima von Absorption und 
Sauerstoffabgabe chlorophylligrüner Objekte bei simul- 
taner Beobachtungsweise im Mikrospektrum. 

Engelmann, von dessen Angaben wir hier notwendig ausgehen 
müssen, behauptet bekanntlich, zumal in seiner ersten Publikation, 
dass die Maxima der Absorption und Sauerstoffexhalation im Spek- 
trum in ihrer Lage übereinstimmen. Wörtlich sagt er dort!) aller- 
dings: „Bei von Null anwachsender Lichtstärke beginnt die Bewegung 
„der in unmittelbarer Nähe der grünen Zellen durch Sauerstoffmangel 
„zur Ruhe gekommenen Bakterien im allgemeinen zuerst im Rot, ge- 
„wöhnlich zwischen B und (© oder doch nahe bei (C*. 

Ich will nun gleich an dieser Stelle konstatieren, dass, wie ich 
im vorigen Abschnitte gezeigt habe, das Maximum der Absorption in 
ehlorophyligrünen Objekten niemals nahe bei C liegt, und dass 
somit, wenn man es genau nimmt, schon die eigne älteste Angabe 
Engelmann’s über die Lage des Maximums der Sauerstoffabgabe 
mit der allgemeinen Folgerung, die er über die Koinzidenz der Maxima 
ziehen will, nicht übereinstimmt. Nach meinen eignen Erfahrungen 
mit dieser Methode muss ich es aber überhaupt in Abrede stellen, 
dass die Darstellung bei Engelmann ein getreues Bild der Er- 
scheinung wiedergibt. Dies Bild der Ansammlung der Bakterien mit 
einer so entschiedenen und sichern Bevorzugung der Stelle im 


1) Bot. Zeit,, 1882, Nr. 26 und Pflüger’s Archiv f. Physiol., Bd. XXVII 
Ss. 487. 


Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 109 


Rot über 5 bis C Fraunhofer, wie es Engelmann gezeichnet hat, 
wird man vielleicht niemals wiederfinden und nur selten Fälle, die 
demselben ähnlich sehen. 

Zunächst steht fest, dass der Eindruck, welchen der Beobachter 
in verschiedenen Versuchen erhält, ein wechselnder ist, und nicht 
einmal in ein und demselben Versuche sich unveränderlich gleich 
erhält. Vermehrt man die Anzahl der Versuche genügend und variiert 
man dieselben bezüglich der Dimensionen und Farbentönung der Ob- 
jekte bei verschiedenen Intensitäten der Lichtquelle — wobei ja die 
Lagen der Maxima der Absorption sich durchaus nicht ändern — so 
wird es bald einleuchtend, dass der individuelle Charakter der Ver- 
suchsobjekte, und die Bedingungen, unter denen die Versuche ange- 
stellt sind, nicht ohne Einfluss auf die Lage des Maximums der 
Sauerstoffexhalation bleiben. Wir sehen daher sofort, dass die Er- 
scheinungen der Sauerstoffabgabe noch von Ursachen bestimmt werden, 
die nicht in grader und direkter Proportionalität zur Größe der Ab- 
sorptionen wirksam sind, und dass wir deshalb auch gar nicht er- 
warten können, durch die Beobachtungen im Spektrum unmittelbar 
zu einer positiven Einsicht in die Beziehungen zwischen Absorption 
und Sauerstoffabgabe der Gewächse zu gelangen. 

Hiermit ist gleich von vornherein der wesentliche Teil meiner 
empirischen Befunde und ihre Abweichung von den Resultaten, die 
Engelmann und auch die Beobachter im Makrospektrum erhalten 
haben, bezeichnet. Das Gemeinsame und Uebereinstimmende in den 
Versuchen geht nur so weit, dass bei den chlorophyligrünen Pflanzen 
unter allen Verhältnissen im Mikrospektrum die Energie der Bewegung 
der Bakterien und somit auch die Sauerstoffabgabe in der gesamten 
minder brechbaren Hälfte des Spektrums bedeutend größer gefunden 
wird, als in der brechbaren Hälfte. Diese geringere Sauerstoffabgabe 
im Blau-Violett ist übrigens, wie hier gleich betont werden soll, 
eine Thatsache, über welche alle Beobachter mit allen Methoden einig 
sind, und die, was besondere Beachtung verdient, auch Reinke, 
selbst nach Aufhebung der Dispersion im prismatischen Spek- 
trum, wieder gefunden hat. 

bei Anwendung von Gas- und Petroleumlicht sinkt die Bewegung 
im Mikrospektrum im Blau auch bei weiter Spaltöffnung hinter F 
bis fast auf Null herab. Bei direktem Sonnenlicht reicht sie zwar 
noch über @ hinaus, bleibt aber hier bei engem Spalt stets deutlich 
schwächer, als in der minder brechbaren Hälfte, nicht nur im Orange 
und Gelb, sondern auch im anfang Grün. 

In dieser minder brechbaren Hälfte, Rot, Orange und Gelb bis 
kurz hinter D, ist die eigentliche Lage des Maximums, d. h. das 
Zentrum der Bakterienbewegung, nicht im jedem einzelnen Falle mit 
voller Sicherheit sofort und leicht festzustellen. 

In manchen Fällen ist der Bakterienschwarm, der sich an das 


410 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


Objekt herandrängt, zu unbestimmt verbreitet, oder die Orte der 
stärkern Ansammlung und Bewegung, die bemerkbar werden, sind 
doch zu wenig scharf ausgesprochen und die Bewegung zu unregel- 
mäßig, um eine exakte Bestimmung zuzulassen. 

So unterliegt z. B. bei lebhafter Sauerstoffausscheidung, und wenn 
zahlreiche Bakterien im Versuchstropfen vorhanden sind, die Gestalt 
und der Umriss des beweglichen Bakterienschwarms oft sichtlich einer 
fortwährenden Veränderung, und es wechseln die Zentren der An- 
sammlung in Rot und Orange hin und wieder schon während einer 
und derselben Beobachtung ihre Lage. Es ist dann hier ebenso wenig 
möglich etwa nach Intervallen von Wellenlängen die Stellen im Spek- 
trum genau anzugeben, wo die Bewegung die größte Höhe erreicht, 
als es z. B. bei einem Mückenschwarm in der Luft möglich wäre, 
eine konstante und bestimmte Spitze desselben zu fixieren. Eine 
numerische Bestimmung der Bewegungsgröße an verschiedenen 
Stellen des Spektrums ist in solehen Fällen absolut ausgeschlossen. 

Anderseits kann es für die Beurteilung ebenso störend sein, wenn 
die Sauerstoffausscheidung des Versuchsobjektes nur gering ist, oder 
wenn nur wenige und träge Bakterien in der Nähe desselben be- 
findlich sind. Die geringe, mehr oder weniger ungleich über die 
Regionen des Spektrums verbreitete Bewegung, die sich in solchen 
Fällen einstellt, bringt dann gar keinen überzeugenden Eindruck von 
der Bevorzugung einzelner, bestimmt fixierbarer Orte hervor. 

Solche Umstände, die zu vielen Trugschlüssen Veranlassung geben 
können, wenn man die Beobachtungen nieht mit großer Sorgfalt vor- 
nimmt, und über eine große Anzahl von Versuchen ausdehnt, beein- 
trächtigen leider die Brauchbarkeit der Methode, namentlich für 
quantitative Zwecke, in hohem Grade. Allein es gibt anderseits Fälle 
genug, wo jene störenden Bedingungen nicht vorwalten und ein be- 
stimmteres Urteil über die Centra der Bakterien-Ansammlung möglich 
wird. Dann unterliegt zum mindesten die Bestimmung der Lage 
des Maximums keiner erhebliehen Schwierigkeit mehr. Oft ent- 
scheidet hierüber schon der erste Blick. Man findet dann in der 
großen Mehrzahl der Fälle, in welehen eine genügend sichere Bestim- 
mung möglich ist, den Hauptsitz der Bewegung entschieden hinter © 
Fraunhofer, beim Uebergang des Rot ins Orange, oder in Orange 
selbst, jedenfalls in dem Raume zwischen C und D Fraunhofer. 

Das eigentliche Maximum, soweit es sich innerhalb dieser Region 
noch genauer begrenzen lässt, scheint etwa in der Mitte zwischen C 
und D zu liegen, doch ist auch dies Verhältnis, welches allerdings 
in vielen Fällen ausgedrückt ist, nicht absolut konstant und unab- 
änderlich; oft scheint es näher an C, oft näher an D zu rücken. 
Aber auch solche Fälle sind mir vorgekommen, wo dasselbe ganz 
nahe bei ©, auf © selbst oder noch ein klein wenig vor C im Rot 
zu liegen schien. Anderseits aber sind mir auch bei ehlorophyligrünen 


Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 411 


Objekten wiederum solche Fälle vorgekommen, in welchen das Maximum 
sogar noch hinter D schon im anfang Grün lag. 

Vergleicht man, worauf es für uns grade wesentlich ankommt, 
die Bewegung in dem Teile des Rot, in welchem das Chlorophyli- 
band I liegt, also die Bewegung in der Region bei B — oder auch 
von B bis B !/, C — noch genauer mit der Bewegung in dem Raume, 
der unmittelbar hinter © Fraunhofer liegt, so wird man in 
Uebereinstimmung mit dem eben Gesagten sich gewöhnlich regelmäßig 
und leicht überzeugen können, dass sie bei B bis B !/, C schwächer 
ist, als unmittelbar hinter €. 

In einigen Fällen mag es unentschieden bleiben, ob die Bewegung 
im Rot unmittelbar vor C nicht ebenso stark, oder hin und wieder 
sogar stärker sei, als hinter C. Es ist dies jedoch für unsere Frage 
von wenig Gewicht, denn selbst in diesen zweifelhaften und unsichern 
Fällen, die nach meinen Erfahrungen immer die große Minderzahl 
bilden, liegt das Maximum doch noch immer in der Nähe von (, 
fällt demnach keineswegs mit dem Maximum der Absorption in der 
lebenden Pflanze zusammen, welches, wie wir im ersten Abschnitt 
gesehen haben, immer und unwandelbar bei B, oder höchstens bei 
Bl, € liegt. 

Nur wenn man sich flüchtig dem allgemeinen Eindruck überlässt, 
und den ganzen Raum bis C und über C hinaus, den bei dickern 
Objekten das Chlorophyllband I einnehmen kann, fälschlich als Maxi- 
mum der Absorption ansieht, kann man bei einzelnen Versuchen zu 
dem Fehlschluss gelangen, dass das Maximum der Absorption und der 
Sauerstoffexhalation zusammenfallen. 

Von der Stelle, wo die Bewegung im Mikrospektrum am stärksten 
ist, fällt sie allmählich und langsam, aber nicht immer stetig und 
kontinuierlich, nach dem blauen Ende hin ab. 

Hin und wieder scheinen in dieser vom Rot nach Blau hin ab- 
fallenden Kurve einzelne Punkte am Objekte vorzugsweise von den 
Bakterien aufgesucht zu werden. Man könnte geneigt sein, diese als 
sekundäre Maxima aufzufassen und sie etwa — wie Engelmann 
es versucht hat — zu den Chlorophylibändern II, III u. s. w. in Be- 
ziehung setzen wollen, allein es herrscht auch hier gar keine erkenn- 
bare Gesetzmäßigkeit und Konstanz in der Lage jener mittlern be- 
vorzugten Stellen, und sie liegen außerdem keineswegs vorwiegend 
genau an den Stellen, wo die betreffenden Chlorophylibänder, die man 
Ja im Mikrospektrum nicht sieht, liegen müssten, wenn man die Ver- 
hältnisse der Chlorophyli-Lösungen auf diese mikroskopischen Objekte 
richtig überträgt. 

Dies gilt auch, wie gleich hier bemerkt sein mag, noch für eine 
Stelle geringster Ansammlung der Bakterien, die hin und wieder 
bei Beobachtung in direkter Sonne im Grün etwa bei 5 Fraunhofer 
zur Erscheinung kommt und hier ein Minimum der Sauerstoffabgabe 


4492 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


anzeigt. Engelmann hat auf diese Depression und auf das Ansteigen 
der Bewegung hinter derselben im Blau besondern Nachdruck gelegt. 
Er sieht diese Erscheinung als den Ausdruck eines konstanten zwei- 
ten Maximums im Blau an, entsprechend dem Maximum der Absorp- 
tion, welches im Blau auftritt. Hierüber an dieser Stelle nur soviel. 

Auch diese Andeutung eines Minimums in der mittlern Region 
des Spektrums ist wiederum keineswegs eine konstante Erscheinung, 
die unter allen Verhältnissen auftritt. Hin und wieder ist sie da, 
meist fehlt sie. Dann aber fällt die Stelle bei 4, wo dies Minimum 
liegt, wieder nicht genau mit dem Minimum der Absorption im Chloro- 
phyll überein, welches ja hier in den mikroskopischen Objekten wegen 
der Verschiebung der Bänder nach dem roten Ende hin weit vor E 
liegen müsste, wenn es überhaupt bei diesen Objekten zur Anschau- 
ung käme. 

Endlich aber, und dies ist für unsere Frage hier von Bedeutung, 
ist die Bakterienbewegung bei # und im ganzen Blau-Violett 
— selbst in den Fällen, in welchen eine kleine Depression bei 5 be- 
obachtet wird — doch immer und ohne Ausnahme noch entschieden 
bedeutend schwächer, als an den andern Stellen im Gelb-Grün; 
z. B. als an jeder beliebigen Stelle in der Region D bis E£ Fraun- 
hofer. 

Das unmittelbare, empirische Ergebnis meiner Untersuchungen an 
chlorophyligrünen Pflanzen im Mikrospektrum (Oladophoren-, Oedogo- 
nien-, Ulotricheen-, Spirogyren-, Mesocarpus-Arten u. 8. w.) wie sich 
dasselbe erfahrungsmäßig ohne jede weitere theoretische Deutung 
herausstellt, lässt sich demnach dahin zusammenfassen. 

1) Eine konstante Koinzidenz der Maxima von Absorption und 
Sauerstoffexhalation im Mikrospektrum findet weder im 
Blau noch im Rot statt; weder bei künstlicher Beleuch- 
tung, noch im diffusen Tageslicht, noch in direkter Sonne. 
Wenn die Bewegung im Rot nahe bei ( auch häufig eine 
große Energie zeigt, so liegt doch das Maximum derselben 
vielleicht nie an der Stelle maximalster Absorption bei B!/, C, 
sondern gewöhnlich deutlich hinter C und D Fraunhofer, 
und seine Lage hier unterliegt ferner selbst bei Exemplaren 
derselben Pflanze nicht unerheblichen Schwankungen. 

In dem ganzen blau-violetten Ende des Spektrums ist 
die Bewegung immer im Verhältnis zur Größe der hier statt- 
findenden Absorption nur äußerst schwach. 

Dies wäre nicht möglich, wenn es sich bei der Sauerstoffabgabe 
in der Pflanze nur um ein einfaches Zersetzungsphänomen der Kohlen- 
säure handelte, welches von den Absorptionen im Chlorophylifarbstoff 
in direkter Proportionalität von ihrer Gröäe abhängig wäre. 

Dieser Schluss ist ohne weiteres einleuchtend, wenn man sich 
erinnert, dass das eine Maximum der Absorption in den grünen 


2 


—— 


o 


Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 113 


mikroskopischen Objekten bei B liegt, und das zweite Maximum 
das ganze blau-violette Ende des Spektrums von 5 !/, F an 
einnimmt, und wenn man festhält, dass diese Absorptionsmaxima ihre 
Lage unter allen Umständen bei allen chlorophyligrünen Objekten 
festhalten. Dieser Schluss wäre ferner auch dann richtig, wenn selbst 
hier und da — wie ich durchaus nicht absolut bestreiten will — das 
Maximum entschieden und genau bei B gefunden würde. Denn der 
Satz, dass eine direkte Proportionalität zwischen der Größe der Ab- 
sorption im Chlorophylifarbstoffe und der Größe der Sauerstoffabgabe 
der Pflanze besteht, welcher durch die Koinzidenz der Maxima beider 
erwiesen werden soll, verlangt eben die konstante Uebereinstimmung 
der Lage der Maxima, die aber jede nur einigermaßen ausgedehnte 
Versuchsreihe im Mikrospektrum sofort zurückweisen wird. 


II. Ergebnisse und Kritik der successiven Beobachtungs- 
weiseim Mikrospektrum. 


Die bisher mitgeteilten Resultate habe ich, wie angegeben, mit 
der Bakterien-Methode in derjenigen Form ihrer Anwendung erhalten, 
welche Engelmann als simultane Beobachtungsweise bezeichnet. 
Engelmann will aber mit Hilfe seiner Methode unter Anwendung 
derselben in einer zweiten Form, die er successive Beobachtungs- 
weise nennt, numerisch genaue Resultate über das Verhältnis der 
Sauerstoffabgabe in den verschiedenen Regionen des Spektrums er- 
langt haben, die seine Anschauungen in exakter Weise rechnungs- 
mäßig bestätigen sollen. 

Die gewonnenen Zahlen legt er den von ihm gezeichneten, so- 
genannten Assimilationskurven der Pflanzen zugrunde Da meine 
eignen Befunde bei simultaner Beobachtungsweise hiermit im Gegen- 
satze standen, so war ich genötigt, auch diese zweite Anwendungs- 
weise der Methode einer Prüfung zu unterziehen. Sie fiel nicht günstig 
aus. Bei dieser successiven Beobachtungsweise stellt Engelmann 
das Objekt nicht mehr, wie bei der simultanen, senkrecht, sondern 
parallel zu den Fraunhofern im Spektrum ein, und führt das- 
selbe dann nach und nach, grade so wie dies bei den Versuchen im 
objektiven Makrospektrum geschieht, über das kleine Spektrum im 
Gesichtsfelde hinweg. Die Bestimmung der Größe der Sauerstoffabgabe 
an jeder Stelle erfolgt durch die Bestimmung der Minimalweite 
der Spaltöffnung des Lieht zuführenden Apparates, bei welcher die 
Bewegung an der untersuchten Stelle beginnt, und die Größen der 
Sauerstoffabgabe in den verschiedenen Farben stehen dann im um- 
gekehrten Verhältnis der gefundenen Spaltweiten, die für die Bewegung 
in ihnen nötig waren. Für jede Stelle im Spektrum muss demnach 
eine besondere Messung der Spaltweite erfolgen. 

Wie man sieht, ist dies Verfahren viel umständlicher, und das 

VI, 8 


114 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


Ergebnis nicht so übersichtlich und anschaulich, als bei der simultanen 
Beobachtungsweise, und die Bakterien-Methode hätte in dieser Form 
der Anwendung, selbst wenn sie zu quantitativen Messungen brauchbar 
wäre, kaum einen Vorteil vor der Beobachtung im objektiven Makro- 
spektrum voraus. Es fehlt hier die Gleichzeitigkeit der Beobachtung 
und der unmittelbare Vergleich der Absorptions- und Exhalations- 
größen im ganzen Spektrum, die den großen Vorzug der simultanen 
Beobachtungsweise bilden. Allein die Möglichkeit genauer numerischer 
Größenbestimmungen der Sauerstoffabgabe durch die Messung der 
minimalsten Spaltweite ist überhaupt eine illusorische. 

Gewiss darf man annehmen, dass die Größen der Sauerstoffabgabe 
umgekehrt proportional der Spaltweite sind, durch welche das Licht 
auf das Objekt einfällt. Allein die Methode, die Engelmann be- 
folgt, setzt zugleich voraus, dass auch der Sauerstoffreiz, welcher die 
erste Bewegung bei den Bakterien hervorruft, unter allen Umständen 
stets von derselben kleinen Sauerstoffmenge ausgelöst wird, und dass 
die Lebhaftigkeit der Bewegung der Sauerstoffmenge proportional bleibt. 

Dies ist nicht der Fall. Das Eintreten der Bewegung an ruhenden 
Bakterien erfolgt keineswegs in so notwendiger und alleiniger 
Abhängigkeit von einer bestimmten kleinen Quantität vorhan- 
denen Sauerstoffs, dass es erlaubt wäre, den Anfang der Bewegung 
als Maßeinheit einer stets gleichen, minimalen Menge erzeugten 
Sauerstoffes zu betrachten. Man kann die Bakterienbewegung nicht 
einmal als ein vollgiltiges Reagens benutzen, wenn es sich darum 
handelt nachzuweisen, dass Sauerstoff nicht zugegen ist. Tritt die 
Bewegung ein, so ist sie allerdings innormalen Fällen!) ein Zeichen 





4) Ich sage in normalen Fällen, weil es auch andere Reize gibt, die von 
den Pflanzenzellen ausgehen und eine Bewegung der Bakterien hervorrufen 
können. Auch an gesunden Zellen, die nicht grün sind, habe ich unter 
Umständen eine sehr lebhafte Bewegung der Bakterien an lokalen Stellen 
eintreten sehen, ohne dass es möglich war, die Ursache sicher festzustellen, 
die jene Bewegung hervorrief. So in Präparaten, die in der Engelmann’schen 
Weise hergestellt waren, in welchen aber anstatt grüner Konferven sich Sapro- 
legnia-Schläuche befanden. In dem mit Vaselin verschlossenen Bakterienpräparat 
trat nach mehreren Stunden, obgleich die Bewegung überall sonst im Tropfen 
zur Ruhe gelangt war, unmittelbar am Saprolegnia-Schlauche an einer Stelle 
ein lebhaftes Bakteriengewimmel auf, grade so wie sonst nur an einem be- 
leuchteten grünen Objekte. Sichtlich ging hier der Reiz für die Bewegung 
vom Saprolegnia-Schlauche aus, und die Bewegung blieb auch bei veränderter 
Beleuchtung an jener Stelle bestehen, und erhielt sich dort auch bei Verdunk- 
lung des Präparates. Dieselbe Erscheinung kann man übrigens auch an krank- 
haft veränderten und toten grünen Zellen wahrnehmen. Auch von diesen kann 
ohne Rücksicht auf Beleuchtung und Farbe hin und wieder von einzelnen Stellen 
ein Bewegungsreiz auf die Bakterien ausgehen, der an lokalen Stellen ein 
ähnliches Schwärmen und Wimmeln der Bakterien hervorrufen kann, wie sonst 
die Sauerstoffexhalation im Lichte. Ich bemerke aber ausdrücklich, dass diese 





Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 415 


für vorhandenen Sauerstoff; bleibt sie aus, so folgt aber daraus immer 
noch nicht, dass Sauerstoff fehlt. Eine bestimmte minimale 
Menge Sauerstoff muss eben nicht notwendig die Bewegung an den 
Bakterien hervorrufen. 

In diesem Umstande liegt nun das absolute Hindernis, den Be- 
ginn der Bakterienbewegung, so wie es Engelmann will, quantitativ 
analytisch im Spektrum zu verwerten. Man kann sich durch den 
Versuch leicht und direkt überzeugen, dass es so ist. 

Erstens sind schon die Spaltweiten, bei welchen die Bewegung 
zuerst sichtbar wird, auch unter sonst gleichen Umständen für jede 
Farbe nicht konstant, was doch sein müsste, wenn die minimalste 
Spaltweite, bei welcher die Bewegung eintritt, als Maßeinheit für die 
gleiche Menge gebildeten Sauerstoffs dienen soll. Man sieht in der- 
selben Farbe die Bewegung bald bei geringerer, bald erst bei wei- 
terer Oefinung eintreten. Wären ferner die Angaben von Engel- 
mann richtig, so müssten sich die minimalen Spaltweiten, bei welchen 
die Bewegung im Rot, Gelb, Grün, Blau eintritt, in jedem Ver- 
suche zu einander verhalten, etwa wie: 

1 230, 248: 

Ich habe dies anders gefunden. Die allergeringste Spaltweite, 
bei welcher in meinen Versuchen bei direkter Sonne die Bewegung 
auch in den wirksamsten Farben — im Gelb, Rot und Grün — über- 
haupt sichtbar wird, dürfte auf etwa 5 bis 6 w anzuschlagen sein. 
Verringerte ich die Spaltweite noch mehr, so war überhaupt keine 
brauchbare Beobachtung mehr auszuführen. Nun steht aber so viel 
fest, dass ich die Bewegung bei 7 bis 8 u Spaltweite bei direkter 
Sonne schon in allen Farben auch in der der schwächsten Wirkung 
— im Blau — habe beobachten können. Unterschiede der minimalsten 
Spaltweiten für die Bewegung in den verschiedenen Farben in der 
Größe, wie sie Engelmann annimmt, sind daher gar nicht vorhan- 
den, jedenfalls mit seiner Methode nicht nachweisbar. 

Dasselbe, was für direkte Sonne gilt, gilt auch für Gaslicht. Bei 
dem starken Gaslicht, mit welchem ich gearbeitet habe und dessen 
Intensität stets gleich erhalten wurde, war die geringste Spaltweite, 
bei welcher die Bewegung im Rot, Gelb, Grün — in welchen Farben 
sie am leichtesten siehtbar wird — von mir schon bemerkt werden 
konnte, etwa auf 0,025 mm anzuschlagen. Bei einer Spaltweite — 
0,030 mm sah ich die Bewegung wiederum meist schon leicht in 
allen Farben, auch im Blau, eintreten. 

Die Inkonstanz und die Unbestimmtheit der minimalsten Spalt- 
weite, die in den einzelnen Farben für die Bewegung der Bakterien 


Erscheinungen zwar Vorsicht bei der Beurteilung der Vorgänge bedingen, aber 
die Verwertung der Bakterienbewegung als Sauerstoffindikator kaum beein- 
trächtigen. 


116 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


nötig ist, lässt sich endlich noch in anderer Weise darthun. Es ist 
gar nicht nötig, zu der immerhin misslichen Bestimmung der Größe 
der Spaltweite zu greifen. Man erreicht dies leichter und noch ent- 
scheidender, wenn man bei simultaner Beobachtungsweise den Ort 
aufsucht, wo an einem Objekte, welches das ganze Spektrum durch- 
zieht, die Bewegung der Bakterien zuerst auftritt. Ein vorwurfs- 
freies Verfahren ist etwa das folgende. 

Nachdem in einem vorschriftsmäßig angefertigten, verschlossenen 
Bakterienpräparat das geeignete Objekt — z. B. ein gleichmäßig grüner 
Olodophora-Ast, am besten nicht dicker als etwa 0,07 mm bis 0,11 mm 
— senkrecht gegen die Fraunhofer eingestellt ist und bei irgend 
einer beliebigen, geringen Spaltweite sich eine genügende Ansamm- 
lung und lebhafte Bewegung der Bakterien längs des ganzen Fadens, 
soweit er genügend beleuchtet ist, eingestellt hat, wird das Präparat, 
ohne die Anordnung im Versuche zu ändern, allseitig ver- 
finstert. Dies geschieht leicht durch passende Verdeckung des Objekt- 
tisches und durch Vorschieben eines ausreichenden Schirmes vor den 
Spiegel des Spektralapparates. Wird nun der Schirm nach kurzer 
Zeit — etwa nach 10 bis 30 Minuten — entfernt, so erblickt man 
das Objekt in seiner vorigen Lage im Spektrum, allein es herrscht 
im ersten Augenblicke, sofern die Verfinsterung lange genug gedauert 
hat, noch überall Ruhe, und es vergehen immerhin einige Sekunden, 
bis man die Bewegung der ersten Bakterien eintreten sieht. Man 
kann nun mit Sicherheit bestimmen, an welcher Stelle im Spektrum 
dies in dem gegebenen Falle geschieht. 

Wäre der Beginn der Bakterienbewegung ein unfehlbares 
Zeichen für die ersten Spuren sich entwickelnden Sauerstoffes an 
dem Orte, an dem sie erscheinen, und würde ihr Eintritt das Maß für 
eine bestimmte minimale Menge desselben sein, so müsste man er- 
warten, die Bewegung bei enger Spaltöffnung nach und nach in den 
verschiedenen Farben auftreten zu sehen, in der Reihenfolge, in 
welcher sie bezüglich ihrer Energie auf Sauerstoffentwicklung auf 
einander folgen. Bei einer genügend engen Spaltöffnung — der 
minimalsten für die wirksamste Farbe — müsste die Bewegung we- 
nigstens im Anfange sogar nur an einer Stelle im Spektrum auf- 
treten, dort, wo das Maximum der Sauerstoffausscheidung im Spektrum 
liegt. Wenn daher die Zahlenangaben von Engelmann richtig wären, 
und wenn es sich so verhielte, wie er und diejenigen annehmen, die 
das Maximum des Vorganges unabänderlich im Rot zwischen B und 
C finden wollen, so müsste offenbar die Bewegung in diesen Versuchen 
entweder nur im Rot auftreten, oder doch jedesmal zuerst im Rot, 
wie dies auch Engelmann an der früher schon angeführten Stelle 
seines ersten Aufsatzes wirklich angibt, dann im Orange, Gelb, 
Grün u. s. w. 

Diese Versuche sind von mir unzählige mal angestellt und variiert 


Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. ıLıbrl 


worden. Ich habe es nicht so gefunden, wie es dieser Vorstellung 
entspricht. Sowohl bei den möglichst engsten Spaltweiten, welche 
grade noch zur Beobachtung der Erscheinung bei verschiedenen Licht- 
quellen und verschiedenen Lichtintensitäten ausreichen, als auch bei 
weitern Oeffnungen der Spalte tritt die Bewegung, wenn sie über- 
haupt zur Erscheinung kommt, an den ersten Bakterien ganz unbe- 
stimmt, bald in der einen, bald in der andern Farbe zuerst auf; 
das eine Mal im Orange, das andere Mal im Gelb oder Grün, oder 
auch im Rot, ohne jede erkennbare bestimmte Regel; nur ist es stets 
die minder brechbare Hälfte des Spektrums, in welcher sie bei sehr 
engem Spalt zuerst zur Erscheinung kommt. Höchstens lässt sich 
auch hier wieder mit einiger Bestimmtheit angeben, dass sie in der 
größern Anzahl der Fälle zuerst im Orange bis Gelb — zwischen © 
und D — bemerkt wird, nicht selten tritt sie sogar hinter D im 
Grün früher auf als vor C im Rot. Es ist schwer, direkt aus den 
Beobachtungen von Engelmann die Unsicherheit seiner Zahlen- 
angaben nachzuweisen; die besondern Versuchbedingungen entziehen 
sich zu sehr der Kontrole; doch vermag ich wenigstens an einem 
Beispiele aus den eignen Versuchsreihen von Engelmann noch direkt 
zu zeigen, zu welch verschiedenen Zahlenwerten man bei der 
Befolgung der quantitativen Methode im Mikrospektrum gelangt, 
und dass es sich schließlich bei der Feststellung der Größen dann 
gar nicht mehr um rein objektive Befunde, sondern um eine Aus- 
wahl aus widersprechenden Befunden, und um die Deutung derselben 
vom Gesichtspunkte theoretischer Anschauungen handelt. 

In seiner ältesten Abhandlung!) hat Engelmann selbst zwei 
von einander völlig abweichende Zahlenreihen für die 
Sauerstofikurve einer und derselben Cladophora-Zelle gegeben. Da- 
nach soll die relative Energie der Sauerstoffabgabe im Spektrum für 
eine 0,028 mm dicke C/udophora verschieden sein, je nachdem man 
die Messungen an der obern oder an der untern Fläche der Zelle 
vornimmt. Sie soll betragen 


für die Region BbisC; D; D',E; Ebsd; F; F'1,G. 


an der untern 
Fläche gemessen 100,0 48,5 37,0 24,0 36,5 10,0 


an der obern 


2 ). 
a. a 36.5. 920 .%100,0° 520.0 22,0 120 


Diese beiden Reihen führen zu ganz entgegengesetzten Schluss- 
folgerungen über den Wert der Lichtabsorptionen im Gaswechsel der 
Pflanze. Von ihnen harmoniert die zweite nahezu ganz mit meinen 
Befunden und meinen eignen Anschauungen; die erste entspricht der 
Vorstellung von Engelmann. 


1) Bot. Zeit., 1882, Nr. 26. 


118 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


Welche Reihe ist für den bestimmten Fall und den Vorgang die 
maßgebende? Engelmann will nur die Messungen an der untern 
Fläche der Zelle gelten lassen. Als Grund führt er an, dass die 
Absorptionen zwischen B bis C in den obern Partien der Zellen nicht 
mehr wirken, weil das Licht von der Wellenlänge B bis C vermöge 
seiner starken Absorptionen schon in den untern Partien der Zelle, in 
welche es zuerst eintritt, verschwindet, während das Licht der andern 
Spektralregionen, z. B. das von C bis E Fraunhofer, da es nicht 
so stark absorbiert wird, in den obern Partien noch zur Wirkung 
gelangt. Deshalb, meint Engelmann, sei es auch erklärlich, wenn 
die Messungen an der obern Fläche der Zelle im Mikrospektrum, 
und die Untersuchungen von Blättern im Mikrospektrum, die Sauer- 
stoffabgabe im Gelb ergiebiger zeigen als im Rot. 

Die Begründung, welche Engelmann hier für seine Wahl der 
an der untern Fläche der Zelle gefundenen Zahlen zu geben ver- 
sucht, ist aber hinfällig; sie wäre nur denkbar und berechtigt, wenn 
die Absorption des Lichtes von der Wellenlänge B bis C in einem 
mikroskopischen Objekte von der Dicke einer Oladophora-Zelle schon 
in den untern Partien der Zelle eine totale wäre. Dass dies 
nicht der Fall ist, liegt auf der Hand. In einer einzelnen Zelle oder 
in einem Konferven-Faden von der Dieke 0,0238 mm kann von einer 
totalen Absorption überhaupt nicht, und an keiner Stelle des Spek- 
trums die Rede sein. Eine solche findet bekanntlich auch im Rot und 
Blau — wenn überhaupt — erst in äußerst dieken nnd farbstoffreichen 
Chlorophylllösungen statt, während die mikroskopischen Objekte, die 
hier in Frage kommen, worauf ich schon in dem Abschnitt über die 
Absorptionserscheinungen hinwies, nur den sehr schwachen Chloro- 
phylilösungen entsprechen, in denen noch nicht einmal Chlorophyli- 
bänder I und II zur Erscheinung kommen. 

Auch die eignen photometrischen Messungen der Absorption von 
Engelmann widersprechen hierin seiner Anschauung und Behaup- 
tung. Er selbst findet!), dass die gesamte Absorption des roten 


Lichtes von der Wellenlänge B bis C in einem dieken Cladophora- 


Faden, nachdem das Licht durch die ganze Dicke desselben hindurch- 
gegangen ist, nur 81 Prozent des auffallenden Lichtes beträgt; vom 
gelben Lichte bei D nur 47 Prozent; von dem Licht der Wellenlänge 
D ‘/; E nur 40 Prozent u. s. w. Die den relativen Absorptionskoef- 
fizienten der farbigen Strahlen entsprechenden Werte der Sauerstoff- 
abgabe können daher erst an der obern Fläche des Fadens zum 
Ausdruck gelangen, und erst die hier gefundenen Zahlen erlauben 
einen Schluss auf das Verhältnis zwischen der Absorptionsgröße und 
der Größe der Sauerstoffabgabe im Faden. Aus demselben Grunde 
ist auch die von Engelmann versuchte Erklärung der Befunde im 





4) Bot. Zeit., 1884. 


Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 119 


Makrospektrum, welche die stärkste Sauerstoffabgabe im Gelb bis 
Grün nachweisen, unhaltbar. Bei den jugendlichen Sprossspitzen, die 
bei diesen Untersuchungen benutzt werden, kann gleichfalls von to- 
taler Absorption nieht die Rede sein. Meines Wissens ist überhaupt 
kein Blatt bekannt, welches bei durchfallendem Lichte in irgend einem 
Teile des sichtbaren Spektrums absolut schwarz erscheint. 

Die Befunde im Makrospektrum entsprechen daher, ebenso wie 
die an der obern Fläche der Cladophora- Zelle, genau der Wirkung 
der relativen Absorptionsgrößen der Farben in den untersuchten Ob- 
jekten, und sprechen deutlich gegen die Vorstellung von der Propor- 
tionalität zwischen der Exhalationsgröße und der Größe der gesam- 
ten Absorption in den Pflanzen, welche Engelmann und die andern 
unbedingten Anhänger der alten Chlorophylitheorie zu verteidigen suchen. 

Für die Richtigkeit seiner Vorstellung, auf welche alle Zahlen- 
angaben und Kurven seiner Abhandlungen bezüglich sind und hin- 
führen sollen, sucht Engelmann endlich noch eine merkwürdige 
Uebereinstimmung geltend zu machen, die sich zwischen den Resul- 
taten seiner Beobachtungs-Ergebnisse im Mikrospektrum und den 
Resultaten herausstellen soll, welehe die neuere Physik über die Ver- 
teilung der Energie im Sonnenspektrum gewonnen hat; eine Ueberein- 
stimmung, die aber gleichfalls als bestehend nicht anerkannt werden 
kann, wenn man die Art, wie sie gewonnen ist, einer nähern Prüfung 
unterzieht. 

Engelmann legt hierbei nämlich die Vorstellung zu grunde, 
dass die photochemische Wirkung in der Pflanze von der Schwingungs- 
dauer des wirksamen Lichtes unabhängig ist, und stellt ferner die 
Hypothese auf, dass bei der assimilatorischen Arbeit in der Pflanze, 
welche zur Sauerstoffabgabe führt, die gesamte Lichtenergie ver- 
braucht wird, welche während des Vorganges von jeder Strahlengat- 
tung durch Absorption in der Pflanze verschwindet. Hiernach soll 
sich dann die Energie (E) jeder Stelle im Spektrum leicht aus der 
Größe der Assimilation (A) und der Größe der Absorption des Lich- 
tes (n) an der betreffenden Stelle berechnen lassen. Es ist somit, wie 
Engelmann meint, möglich, die Verbreitung der Energie des Sonnen- 
spektrums ebenso gut, wie aus der Bestimmung der Wärmewirkung, 
so auch aus der Bestimmung der Absorptionsgrößen (n) und Exhala- 
tionsgrößen (A) einer Pflanze in den verschiedenen Spektralregionen 
zu finden. Engelmann führt nun die Bestimmungen von A und u 
nicht nur für grüne, sondern auch für blaugrüne und braune Pflanzen, 
für welche die Werte von A und x selbstverständlich verschiedene 
sein müssen, mit seiner Methode aus; erhält so drei von einander 
ganz unabhängig gewonnene Zahlenreihen, und berechnet aus jeder 
derselben besonders den Wert für die relative Energie in den Spek- 
tralbezirken nach seinen Hypothesen über die Relation von A, » und 
E in der Pflanze. 


120 Fritz Müller, Neue Beobachtungen über Feigenwespen. 


Er findet nun, dass die so gewonnenen Werte von E nicht nur 
unter sich, sondern auch mit den Werten gut übereinstimmen, welche 
man auf rein physikalischem Wege durch Messung der Wärmeeffekte 
erhalten hat. Dem Vergleiche liegen bei ihm die von Lamansky 
und Langley erhaltenen Zahlen für das Normalspektrum der Sonne 
zu grunde. Aus dieser Uebereinstimmung schließt er alsdann zurück 
auf die Richtigkeit seiner Zahlenwerte und die Brauchbarkeit und 
Genauigkeit seiner Methode für die quantitative Feststellung der ein- 
schlagenden Verhältnisse. 

Dem entgegen bemerke ich nun, indem ich vorderhand von den 
theoretischen Schwierigkeiten, die den Grundanschauungen Engel- 
mann’s von vornherein entgegenstehen, und auf welche noch in den 
Schlussfolgerungen aus den Untersuchungen im Mikrospektrum zurück- 
zukommen sein wird, hier ganz absehe: 

Erstens: Die Werte von A sind, wie ich oben ausführlich gezeigt 
habe, in der That nieht nur inexakt, sondern auch unzuverlässig. 

Zweitens: Eine Umreehnung derselben ins Normalspektrum der 
Sonne, die Engelmann vornehmen musste — die Werte selbst waren 
im prismatischen Gasspektrum gefunden worden — ist mit so großen 
doppelten Fehlerquellen behaftet, dass sie die Genauigkeit, die hier 
verlangt werden müsste, schon von vornherein ausschließt. 

Drittens: Die Werte von n, über deren Genauigkeit ich mir aus 
Mangel an Kontrole kein Urteil erlauben will, durften auf die Werte 
von A nicht bezogen werden, weil sie nicht an denselben, sondern 
an verschiedenen Pflanzen bestimmt waren. Auf diesen Umstand 
macht übrigens Engelmann selbst aufmerksam. Auch diese Verhält- 
nisse schließen schon die Möglichkeit der Richtigkeit des Resultates aus. 

(Schluss folgt.) 


Fritz Müller, Neue Beobachtungen über Feigenwespen. 


Die interessanten Beobachtungen von Fritz Müller über die 
Feigenwespen des Itajahy in Brasilien, über welche wir in Bd. V 
Nr. 24 8. 745 ff. dieser Zeitschrift berichtet haben, sind inzwischen 
durch neue wichtige Forschungsergebnisse desselben Biologen ver- 
mehrt und zu einem gewissen Abschluss gebracht worden. Fritz 
Müller teilt uns unter dem Datum des 7. Febr. d. J. das Folgende mit: 

„Die Feigen und mehr noch ihre Bestäubungsvermittler und 
sonstigen Insassen haben mich während der letzten Monate fast aus- 
schließlich beschäftigt, und es haben schon die recht zeitraubenden 
und langweiligen Untersuchungen der letztern einen über Erwarten 
günstigen Erfolg gehabt. So hatte G. Mayr aus den Feigen eines 
Baumes nicht weniger als 20 verschiedene Arten beschrieben, darunter 


Albrecht, Kieferspalte bei der Hasenscharte. 121 


9 SZ ohne 2 und 4 2 ohne Z'; dadurch, dass ich aus 40 Feigen 
dieses Baumes die Wespen gesondert sammelte und die jeder Feige 
gesondert untersuchte (es waren im ganzen über 2000 Wespen), ge- 
lang es mir, fast für alle diese Fälle die zusammengehörigen 5 und 
2 herauszufinden. Der Ueberschuss der J' erklärt sich daraus, dass 
in mehrern Fällen dasselbe 2 zweierlei g hat: geflügelte, 
die ihm sehr ähnlich sind, und ungeflügelte, die nicht 
die geringste Aehnlichkeit mit ihm haben. So ist Physothorax 
disciger das flügellose Z von Diomorus variabilis (2 5‘), Heterandrium 
longipes das flügellose £ von Colyostichus longicaudis (2 d‘); Adpo- 
cerus inflaticeps, von dem G. Mayr geflügelte und ungeflügelte 9 be- 
schrieben, gehört zu A. emarginatus, von dem er nur 2 beschrieb 


u. s. w. — Aus einer andern Feigenart hatte G. Mayr nach flügel- 
losen Z' die Gattung Nannocerus aufgestellt; dazu gehört nun als 2 
ein Diomorus (wie zu Physothorax diseiger). — Mit dem rein systema- 


tischen Teile wäre ich somit nun ziemlich im klaren; aber es bleiben 
noch die schwierigern biologischen Fragen: in welcher Beziehung 
steht jede der zahlreichen Wespenarten zur Feige und zu den übrigen 
Insassen der Feige? — Es scheint, dass für einige der von Blasto- 
phaga brasiliensis bewohnten Feigen nicht diese der hauptsächlichste 
Bestäubungsvermittler ist, sondern eine Art der Gattung Tetragonaspis 
(wie G. M. die 2) oder Ganosoma (wie er die d' nannte). — Dann 
gibt es in den Feigen mehrerer Urostigma-Arten große Gallen, die 
gar nichts mit den Blüten der Feige zu thun zu haben scheinen, und 
die in mehrern Arten von Diomorus erzeugt werden, als deren 
Sehmarotzer dann Aöpocerus- Arten auftreten. — Aber für die Mehr- 
zahl der zahlreichen Feigenwespen habe ich noch keine Ahnung, was 
sie eigentlich in der Feige wollen und bedeuten“. 
F. Ludwig (Greiz). 


Ueber den morphologischen Sitz der Hasenschartenkiefer- 
spalte. 


Von Prof. Dr. Paul Albrecht. 


Nachtrag zu dem in der vorigen Nummer dieses Blattes unter obigem Titel 
erschienenen Aufsatze. 


Fig. 2 Analyse der von Herrn Th. Kölliker auf S. 372 des 5. Bandes des 
Biologischen Centralblattes gegebenen Abbildung einer von ihm als inzisiv- 
maxillar, tetraprotodont und zwischen lateralem Schneidezahn und Caninus 
hindurchlaufend erklärten linksseitigen Hasenschartenkieferspalte, welche nach 
meiner Ansicht intrainzisiv und hexaprotodont ist und zwischen dem linken 
proparasymphysischen und präcaninen Schneidezahn hindurchläuft. 


4199 Albrecht, Kieferspalte bei der Hasenscharte. 
















7 RN 
Ya) ) h, re 
Ice " 

N N N 








A Linker innerer Zwischenkiefer (von Kölliker für den linken Gesamt- 
zwischenkiefer erklärt). 

B Linker äußerer Zwischenkiefer + linker Oberkiefer (von Kölliker für den 
linken Oberkiefer erklärt) 

s Linksseitige intrainzisive Kieferspalte (von Kölliker für inzisiv - maxillare 


gehalten). 
J1 Ineisivus parasymphysius sinister. 
DE proparasymphysius „ (von Kölliker für den Ineisivus prae- 
caninus sinister erklärt). 
Ja praecaninus . (von Kölliker für den Caninus sinister 
erklärt). 


© Caninus sinister (von Kölliker für den Praemolaris I gehalten). 
Pm1 Lücke des Praemolaris I sinister. 

Pm2 ” ” ” II 
M1 e „  Molaris I 
M2 a „  Molaris II 


M3 Platz für den noch nicht hervorgebrochenen Molaris III sinister. 


” 
„ 


” 


i1 Ineisivus parasymphysius dexter. 
12 5 proparasymphysius „ 
iö A praecaninus ei 

ce  Caninus dexter. 


Just, Zur Histologie und Physiologie des Flimmerepithels. 123 


78 


pm1 Praemolaris I dexter, 

pm2 Lücke des Praemolaris II dexter. 

m1 Molaris I dexter. 

m2 n I.» 

m3 Platz für den noch nicht hervorgebrochenen Molaris III dexter. 


Zur Histologie und Physiologie des Flimmerepithels. 
Von Albert Just, Cand. med., Tübingen. 


Da nach Untersuchungen von Grützner!) Schädigungen, welche 
man auf einer ausgeschnittenen flimmernden Schleimhaut anbringt, 
sich in ganz bestimmter Richtung ausbreiten, indem nur die unter- 
halb der geschädigten Stelle (d. h. in der Richtung des wirksamen 
Schlages) liegenden Abschnitte in ihrer Thätigkeit erlahmen und sie 
am frühesten einstellen, so lag es nahe zu untersuchen, welche Ver- 
änderungen diese durch eine Zerstörung benachbarter Zellen außer 
Funktion gesetzten Zellen erleiden, wenn man sie im lebenden Or- 
ganismus lässt. Ich machte mich daher auf Anregung des Herrn 
Professor Grützner daran, diese Verhältnisse im Tübinger physio- 
logischen Institute etwas genauer zu verfolgen. Zeit und Umstände 
zwingen mich zu meinem Bedauern, diese Untersuchung, obwohl sie 
noch nicht abgeschlossen ist, für einige Zeit zu unterbrechen, und 
ich will deshalb im Folgenden nur eine kurze Uebersicht der bisher 
festgestellten Thatsachen geben. 

Das benutzte Objekt war vor allem die Rachen- und Speise- 
röhrenschleimhaut von Rana esculenta. Die Schädigung wurde durch 
Verbrennen vorgenommen. Zu diesem Zwecke steckte ich in den 
Oesophagus eine 5 cm lange Glasröhre von 0,7 em innerem und 0,9 em 
äußerem Durchmesser, die an einer Stelle, welehe sich in der Nähe 
des in den Rachen des Tieres eingeführten Endes befand, ein Loch 
hatte. An derselben Seite der Röhre, an welcher dieses Loch sich 
befand, brach ich an dem aus dem Rachen herausragenden Ende ein 
Stückchen heraus, um über die Lage des Loches in der Tiefe der 
Speiseröhre stets orientiert zu sein. In diese Röhre führte ich einen 
mäßig erwärmten Drat ein, der mit seinem vordern hakenförmigen 
Ende durch jenes Loch hindurchdrang. Auf diese Weise konnte man 
an verschiedenen Stellen des Oesophagus ziemlich bequem örtlich 
beschränkte Schädigungen bezw. Zerstörungen vornehmen, weil die 
benachbarten, sonst sich unmittelbar berührenden Teile durch das 
Glas geschützt waren. Ich ließ dann die Tiere 4 bis 6 Tage lang 
am Leben und fand nach dieser Zeit in der Regel die von Grütz- 
ner?) beschriebenen Erscheinungen. Ich fand also den unterhalb der 

4) Breslauer ärztliche Zeitschrift, 1882, Nr. 6. 

2) Physiologische Studien: Zur Physiologie des Flimmerepithels. Leipzig 
bei Vogel. 1883. 


124 Just, Zur Histologie und Physiologie des Flimmerepithels. 


geschädigten Stelle liegenden Abschnitt der Flimmerhaut in seiner 
Thätigkeit geschwächt und allmählich erlahmend, was ich durch als 
Signale aufgelegte Gewebsstückchen feststellte. 

Die mikroskopische Untersuchung der Zellen nahm ich 
zunächst im Aufblick auf die Haut mit mäßigen Vergrößerungen vor 
(Hartnack Oe. III, Obj. 4). Ich fand die Haut stets ausreichend 
durchsichtig, um — wenn ich sie sorgfältig hergerichtet — das wun- 
derbare Spiel der Flimmerzellen in einer überaus schönen Weise auf 
weite Streeken und unter nahezu normalen Bedingungen beobachten 
zu können. Zu diesem Zwecke spannte ich dieselbe auf eine Kork- 
platte aus, die vorher ziemlich im ganzen Umfange der aufgelegten 
Schleimhaut durchbrochen war. Man sieht dann durch die ganze 
Länge der Schleimhaut flimmernde Straßen ziehen, welche als schwarze 
flimmernde Säume breite weiße Flächen zwischen sich fassen, in 
denen man mit etwas stärkerer Vergrößerung (Hartnack Oe. II, 
Obj. 7) die Zellgrenzen der Schleimzellen unterscheiden kann. Auf 
diesen weißen Flächen findet ebenfalls ein Flimmern statt, aber in 
höherem Niveau als in den Straßen. Dieselben fehlen im obern 
Teile der Schleimhaut völlig und beginnen erst ungefähr in der Ge- 
gend der Choanen. In der Mitte also, etwa dem Kehlkopf gegenüber, 
sind sie am zahlreichsten und dichtesten, werden dann nach abwärts 
immer seltener und lassen immer größere Entfernungen zwischen sich. 
Häufig sieht man, wie zwei Straßen unter ganz spitzem Winkel sich 
zu einer einzigen vereinigen. Wie mir nun Querschnitte durch vor- 
sichtig gehärtete Sebleimhäute zeigten, sind jene Straßen, auf oder 
in denen die regste Thätigkeit des Flimmerepithels stattfindet, weiter 
nichts als lange Gräben, die der Länge nach in die Schleimhaut ein- 
gegraben sind. Diese Gräben werden nun, je weiter abwärts man 
kommt, immer seltener, aber immer tiefer, was ja nach der im Auf- 
blick gesehenen häufigen Vereinigung zweier Straßen zu einer ein- 
zigen vollkommen verständlich erscheint. Auf den Querschnitten 
sehen jene Gräben oder Straßen, wie leicht begreiflich, wie Thäler 
zwischen Papillen aus. Die Fortschaffung von Fremdkörpern ge- 
schieht, wenn dieselben natürlich eine gewisse Größe nicht über- 
schreiten, innerhalb der Straßen. 

Direkt unterhalb einer geschädigten Stelle zeigte sich nun im 
Aufblick keine Flimmerung; häufiger kommt man hinter der im völli 
gen Stillstand befindlichen Stelle auf einen Abschnitt, in dem die 
Flimmerung nicht mehr in normaler Weise gleichmäßig vor sich geht, 
sondern ruckweise, gewissermaßen pulsatorisch, wie dies als Charak- 
teristikum absterbender Zellen beriehtet wird. Die Straßen in dieser 
ganzen Gegend sind nun viel weniger scharf konturiert als im nor- 
malen Epithel und sämtlich in Ruhe, während man oberhalb bis 
direkt an die geschädigte Stelle vollkommen normal sich verhaltende 
Straßen herantreten sehen kann. 





Just, Zur Histologie und Physiologie des Flimmerepithels. 125 


Ferner zeigt sich die in Frage stehende Stelle auffallend trüb 
und von schwach gelblicher Farbe. Sie hat häufig eine Länge von 
1 Zentimeter und darüber, ist oben etwa so breit wie der geschädigte 
Bezirk und wird nach unten immer schmäler. 

Zu weiterer Behandlung wurde nun die Haut, wenn es sich um 
Herstellung von Isolationspräparaten handelte, auf ihrem Rahmen 
mindestens 24 Stunden lang in !/; Alkohol gelegt. Die isolierten 
Zellen werden meist mit Pikrokarmin, bisweilen auch mit Bismarck- 
braun gefärbt und in Glyzerin untersucht. Dabei zeigten sich nun 
besonders auffallend verändert die Schleimzellen unterhalb der ge- 
schädigten Stelle, denen man, wie mir scheint, bisher eine zu geringe 
Bedeutung bei der Thätigkeit des Flimmerepithels zugemessen hat. 
Dieselben sind mit ganz groben Körnern von mehr rundlicher oder 
länglicher Gestalt angefüllt, die, wenn ich schätzen soll, mindestens 
dreimal so groß sind als die Körner in normalen Schleimzellen. Ihre 
Gestalt ist meist schmäler und länger als die gewöhnlicher Schleim- 
zellen, und an ihrem obern Ende sieht man bisweilen eine viel klein- 
körnigere Masse als der Inhalt hervorquellen. Die Veränderungen 
der Flimmerzellen jener Gegend scheinen viel unwesentlicher zu sein. 
Man findet häufig Zellen, denen die Flimmerhaare fehlen, und an- 
dere, bei denen sie nicht von normalem Ansehen, sondern wie zu- 
sammengeklebt erscheinen. Gestaltsveränderungen der Flimmerzellen 
fand ich zu selten, um bisher zu einem sichern Resultate zu gelangen. 
Am auffallendsten sind die schon von Drasch!) „in der Umgegend“ 
geschädigter Stellen beschriebenen platten Zellen, an der einen Seite 
mit einem Flimmersaum von merkwürdig kurzen Haaren versehen, 
an der andern Seite etwas eingebuchtet. Doch fand ich auch diese 
Zellen nur sehr selten. Zur Anfertigung von Querschnitten erhärtete 
ich die Schleimhaut in der ersten Zeit direkt in Alkohol und färbte 
mit Alaunkarmin. Weiterhin folgte Einschmelzen in Paraffın und 
Zerlegung mittels des Mikrotoms in bekannter Weise. An den so 
hergestellten Präparaten sieht man, dass jene Stelle ein viel niedri- 
geres Epithel hat, das sich auch viel stärker färbt als das andere 
normale Epithel. Ferner sind die Straßen viel flacher geworden, ja 
sie fehlen bisweilen gänzlich. Die so veränderte Stelle wird nach 
abwärts immer kleiner, so dass sie ungefähr die Gestalt eines spitzen 
Dreiecks haben muss, wie Grützner dies schon auf seine Experi- 
mente gestützt angenommen hat. Ich habe in meinen Präparaten 
auch häufiger eine Vermehrung jener kleinen rundlichen Zellen ge- 
funden, die man zerstreut bald in kleinen, bald in größern Mengen 
fast überall in den tiefsten Lagen des Flimmerepithels findet, und von 
denen Griffini?) die Regeneration des Epithels herleitet. Vielleicht 





1) Wiener Sitzungsbericht, 1879, LXXX und 1881, III, 5. 
2) Archives ital. de Biologie. Tome V, 1884. 


496 Exner, Eine neue Urteils-Täuschung im Gebiete des Gesichts-Sinnes. 


verdankt diese Stelle dem größern Reichtum an diesen Gebilden ihre 
stärkere Färbung. Viel besser als durch die einfache Alkoholer- 
härtung erhält sich das Epithel, wenn man die Schleimhaut zunächst 
zwei Stunden in Ace. nitr. 3°/, einlegt, wobei die Befestigung auf dem 
Korkrahmen mittels Igelnadeln geschah, und darauf in Alkohol über- 
trägt. Diese Methode habe ich in der letzten Zeit angewandt und 
mit ihr die früher gewonnenen Resultate bestätigt gefunden. 

Die Untersuchung inbezug auf das Vorkommen von Straßen im 
Epithel dehnte ich noch auf Rana temporaria, Bufo cinerea, Sala- 
mandra maculata und auf die Luftröhre des Kaninchens aus und 
fand bei allen diesen den oben beschriebenen ziemlich analoge Er- 
scheinungen, wenn auch bei den einzelnen Tieren geringe Verschie- 
denheiten im Aussehen der Straßen bestehen. So sind z. B. die Pa- 
pillen, wie ich oben die die Straßen trennenden Stücke infolge ihres 
Ansehens im Querschnitt nannte, bei Rana esculenta viel breiter als 
bei Salamandra maculata, wo sie ziemlich spitz zulaufen, während 
sie beim Kaninchen mehr einem völlig abgerundeten Kegel gleichen. 
An der Rachenschleimhaut von Salamandra maculata fand ich außer- 
dem noch, wie sich allerdings als nahezu gewiss vermuten ließ, dass 
die Folgen einer Schädigung hier die gleichen sind, wie Grützner 
sie beim Frosche konstatiert hat. 

Zum Schlusse will ich noch bemerken, dass sich zu diesen Un- 
tersuchungen nur ganz frisch eingefangene Frösche eignen, weil grade 
die Rachenschleimhaut leicht Veränderungen unterliegt, die sich schon 
dem bloßen Auge häufig als nadelstichgroße hämorrhagische Herde 
repräsentieren. Wenn dieselben aber auch bei einem schon längere 
Zeit eingefangenen Frosche nicht vorhanden sind, so begegnet es 
einem doch leicht, dass sich um die zerstörte Stelle ein Entzündungs- 
herd bildet, in dem man reichlich Rundzellen nachweisen kann. Bei 
frisch eingefangenen Individuen ist mir das niemals passiert. Ich 
hoffe, nach einiger Zeit diese Arbeit wieder aufnehmen und beendigen 


zu können und werde mir dann erlauben, ausführlicher darüber zu 
berichten. 


Ueber eine neue Urteils-Täuschung im Gebiete des Gesichts- 
sinnes. 


Von Prof. Sigm. Exner in Wien. 


Vor mehr als Jahresfrist machte ich zufällig folgende Beobach- 
tung. Im Innern einer Almhütte neben dem offnen Herd liegend, 
auf dem Feuer brannte, schien mir der durch ein kleines Fensterchen 
sichtbare Nachthimmel fortwährend seine Helligkeit zu wechseln, so 
dass ich glaubte, es wetterleuchte. Ich ging zur Thür und überzeugte 





Exner, Eine neue Urteils-Täuschung im Gebiete des Gesichts-Sinnes. 127 


mich, dass dem nicht so sei, vielmehr ein vollkommen ruhiger sternen- 
heller Abend war. An meinen Platz zurückgekehrt, zeigte sich wieder 
das scheinbare Aufleuchten des Himmels, und es war nicht schwer, 
die Ursache desselben im Herdfeuer zu finden. In der That schien 
mir das Innere der Hütte, das bloß von dem lebhaft flackernden 
Feuer beleuchtet war, von immer gleicher Helligkeit, ja selbst nach- 
dem ich meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt hatte, gelang es nur 
unvollkommen, den Wechsel in der Intensität der Beleuchtung zu 
bemerken; der Himmel aber flackerte, als wäre er von einem bläu- 
lichen unstäten Lichte erleuchtet. 

Das ohnehin schon gebräunte Innere der Hütte war vom Feuer 
rötlich erhellt, der Himmel erschien in dem durch den Kontrast noch 
erhöhten Blau eines sternenhellen Nachthimmels. Die beiden Farben, 
das Braun der Hütte und das Blau des Himmels, erschienen von nähe- 
rungsweise gleicher Helligkeit. 

Es gelang leicht, der geschilderten Erscheinung die Form eines 
Schulversuches zu geben. Auf einen Schirm, aus mehreren Lagen 
paraffin-durchtränkten Papieres bestehend, klebte ich eine kreisrunde 
Scheibe undurchsichtigen weißen Kartenpapiers von 2—3 mm Durch- 
messer. Hinter dem Schirm wird eine durch einen Kautschukschlauch 
gespeiste Gaslampe aufgestellt, welche denselben als gleichmäßiges . 
weißes Feld erscheinen lässt, in deren Mitte sich dunkel die kleine 
Kreisscheibe abhebt. Diese wird nun von vorn so weit erhellt, dass 
sie näherungsweise mit dem Grunde gleiche Intensität hat. Hierzu 
diente eine zweite vorn aufgestellte Gasflamme, die von einem un- 
durchsichtigen Zylinder umgeben war, der die Flamme nur durch 
eine kreisrunde Oeffnung (von einigen Zentimetern Durchmesser) sicht- 
bar werden ließ. Mittels einer Konvexlinse wird das Bild dieser 
Oefinung auf die Kreisscheibe aus Kartenpapier geworfen und beide 
so vollkommen als möglich zur Deckung gebracht. 

Blickt man nun aus einer Entfernung von 1—2 m durch eine 
Röhre, welche nichts als den Schirm mit seinem Kreis sehen lässt, 
nach letzterem und lässt die hinter dem Schirm befindliche Lampe 
flackern, indem man ihren Kautschukschlauch zwischen den Fingern 
rhythmisch drückt, so bemerkt man ein Flackern des weißen Kreises, 
während thatsächlich der Grund flackert und der Kreis konstant er- 
hellt ist. 

Die Täuschung pflegt überaus frappant zu sein. Immer ist der 
Intensitätswechsel im Kreise viel auffallender als im Grunde. Ob man 
den Grund überhaupt flackern sieht, hängt von den Umständen ab; 
Jedenfalls pflegt man sein Flackern erst zu bemerken, wenn man das 
Augenmerk darauf richtet. Der Grad der Täuschung in dieser Be- 
ziehung hängt von der Gleiehmäßigkeit ab, in welcher Grund und 
Kreis beleuchtet sind, von der Größe der Helligkeitsschwankungen, 
die man erzeugt u. dgl. m. 


198 Annalen des K. K. naturhistorischen Hofmuseums zu Wien. 


Hervorheben will ich noch, dass das scheinbare Flackern des 
Kreises noch auffallender wird, wenn man ihn im indirekten Sehen 
betrachtet. Es genügt, einen Punkt, der um 10 cm seitlich von ihm 
liegt, zu fixieren. Man kann leicht durch Zuhilfenahme farbiger Gläser 
die Erscheinung in Farben darstellen, hat dann aber auch für an- 
nähernd gleiche subjektive Helligkeit zu sorgen. 

Diese Sinnestäuschung zeigt, dass wir geneigt sind, diein 
unserem Sehfeld dominierende Helligkeit für konstant 
zu halten, und infolge dessen die wechselnde Differenz dieser mit 
der Helligkeit eines beschränkten Feldes auf einen Helligkeitswechsel 
des letztern zu beziehen. 

Es findet dies seine Analogie in der bekannten Thatsache, dass 
wir geneigt sind, die im Sehfeld dominierende Farbe für weiß zu 
halten, und die Differenz zwischen dieser und der Farbe eines be- 
schränkten Feldes als eine Abweichung der letztern von der wahren 
Farbe des Feldes zu sehen, natürlich in der Richtung, welche durch 
die Differenz gegeben ist. Ein in Wahrheit grauer Schatten auf röt- 
lichem Grunde erscheint uns — bei korrekter Anstellung des Ver- 
suches — als grüner Schatten auf grauem Grunde. Ebenso besteht 
in unserem Falle die Täuschung darin, dass wir den Grund für gleich- 
mäßig beleuchtet halten, die Differenz aber zwischen seiner Hellig- 
keit und der des Kreises richtig beurteilen. 


Annalen des K. K. Naturhistorischen Hofmuseums zu Wien. 


Redigiert von Dr. Franz Ritter von Hauer. 


Unter obigem Titel erscheint von jetzt ab in Alf. Hölder’s Verlag in 
Wien in zwangsloser Folge eine Reihe von Heften, welche neben Berichten 
über den Geschäftsgang des Museums Originalabhandlungen bringen sollen über 
Arbeiten, welche in dem Museum ausgeführt werden. Erschienen ist bisher 
das erste Heft des ersten Bandes, welches einen Jahresbericht des Hofmuseums 
für das Jahr 1885 bringt. Das zweite Heft soll Anfang Mai erscheinen. 

idn. 





Verlag von August Hirschwald in Berlin. 
Soeben erschien: 


Klinik 
der 
Verdauungskrankheiten 
von Prof. Dr. C. A. Ewald. 
I. Die Lehre von der Verdauung. 
Zweite neu bearbeitete Auflage. 








Biologisches Gentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 








24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


YL. Band. 1. Mai 1886. Nr. 5 


Inhalt: Virchow, Deszendenz und Pathologie (Fortsetzung). — Pringsheim, Ueber 
die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum (Schluss). — Baginsky, 
Ueber den Ursprung und den zentralen Verlauf des Nervus acustieus des 
Kaninchen. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 
Physikalische Gesellschaft zu Berlin. 











Rud. Virchow, Deszendenz und Pathologie. 
(Fortsetzung.) 

In meinem ersten Artikel hatte ich zu zeigen gesucht, dass die 
Entstehung einer Variation mit erblichem Charakter jedesmal eine 
Abweichung von dem Typus, also ein pathologisches (wenn auch kei- 
neswegs ein krankhaftes) Verhältnis des ersten Erzeugers voraussetze, 
welches Verhältnis noch keineswegs durch die Anpassung, sondern 
definitiv erst durch die Vererbung und zwar durch dauernde Ver- 
erbung legitimiert werde. Eine eigentümliche Störung erleidet die 
Vererbung aber durch den Atavismus, den Rückschlag auf den 
ursprünglichen Typus, welcher unter sehr verschiedenen Formen zur 
Erscheinung kommt. Denn zuweilen betrifft er nur ein einzelnes In- 
dividuum, ohne dass die Nachkommen desselben in gleicher Weise 
zurückschlagen; anderemal wird der neue Typus gänzlich vernichtet, 
indem auch die Nachkommen die noch nieht genügend fixierten neuen 
Merkmale verlieren und zu dem ursprünglichen Stammestypus zurück- 
kehren. Beides ist von großer Wichtigkeit, insofern es einen der 
stärksten Beweise für die Abstammung von der ursprünglichen Art 
darstellt. 

Aber zugleich entsteht daraus eine besondere Schwierigkeit für 
die Erkenntnis des wahren Typus. Wären die Verwandtschafts- und 
Abstammungsverhältnisse genau bekannt und erfahrungsgemäß fest- 
gestellt, so würde es keine besondere Kunst erfordern, jedesmal zu 
sagen, welche Unterbrechung der erblichen Variation als Atavismus 
aufzufassen sei, und welche als pathologische Abweichung angesehen 

VI, g 


130 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


werden müsse. Aber leider ist die Zahl der Fälle, in welchen die 
Deszendenz verschiedener Arten aus einer Urart empirisch nachge- 
wiesen ist, ungemein klein, und wenn wir gar in das Gebiet der ver- 
schiedenen Gattungen und Familien eintreten, so werden wir immer 
mehr auf theoretische Spekulation, als auf wirkliche Erfahrung hin- 
gedrängt. Nirgends ist dies so sehr sichtbar, als beim Menschen. 
Alle die hochgehenden Hoffnungen, welche noch vor kurzem so viele 
Köpfe erfüllten, es werde gelingen, das „fehlende Glied“ (missing 
link) für die unmittelbare Ableitung des Menschen von bekannten 
Tieren aufzufinden, sind gescheitert; der Proanthropos ist noch nicht 
entdeckt, und, was noch schlimmer ist, nicht einmal die Abstammung 
der einzelnen Menschenrassen von einander hat auch nur mit an- 
nähernder Sicherheit festgestellt werden können. 

Gewiss folgt daraus nichts weniger, als dass das Streben nach 
einer wirklichen Erkenntnis des Stammbaumes der Menschen hoff- 
nungslos oder gar tadelnswert sei. Aber das scheint mir daraus zu 
folgen, dass es gegenwärtig, wo wir noch nichts darüber wissen, der 
äußersten Vorsicht und Zurückhaltung bedarf, wenn es sich darum 
handelt, Variationen der menschliehen Bildung auf Atavismus zurück- 
zuführen. Es gibt menschliche Rassen mit höherer und solche mit 
niederer Entwicklung, oder, wie man kurzweg zu sagen pflegt, höhere 
und niedere Rassen, und der Gedanke liegt sehr nahe, dass die 
höhern Rassen aus niedern entstanden sind. Aber wer kann sich 
berühmen, entdeckt zu haben, welche der niedern Rassen die Urrasse 
war, aus der sich die höhern Rassen entwickelt haben? Es ist noch 
nicht lange her, da glaubte man in den Schädeln der Pfahlbauten, 
der Gräber der Steinzeit, der Höhlen der Diluvialperiode zahlreiche 
Zeugnisse für die einstmalige allgemeine Existenz niederster oder 
wenigstens niederer Bildung bei den alten Menschen aufweisen zu 
können, und jetzt — was ist von diesen Zeugnissen übrig geblieben ? 
Eines nach dem andern hat bei genauer wissenschaftlicher Prüfung 
versagt. Ich darf mir vielleicht das Verdienst zusprechen, grade die 
wichtigsten Fälle zum Gegenstande einer eingehenden und vorurteils- 
freien Untersuchung gemacht und ihre Unbrauchbarkeit für die Lehre 
von der Deszendenz des Menschen überhaupt und, wenigstens vor- 
läufig, auch der Deszendenz der einzelnen Menschenrassen nachge- 
wiesen zu haben. Eine nicht geringe Zahl der allerältesten Schädel 
lässt an Vortrefflichkeit der Ausbildung auch gegenüber den Schädeln 
der heutigen Kulturrassen nichts zu wünschen übrig, und kaum ein 
einziger von ihnen steht inbezug auf Kapazität und Gestalt auf einer 
so niedrigen Stufe, als die Schädel mancher der niedersten noch jetzt 
lebenden Rassen. Sicherlich wird aber niemand behaupten dürfen, 
dass unter den lebenden Rassen eine einzige wäre, welche nicht als 
eine vollmenschliche angesehen werden müsste, oder welche uns die 
Beschaffenheit des gesuchten Proanthropos zur Anschauung brächte. 


Virchow, Deszendenz und Pathologie. 131 


Begreiflicherweise ist es unter diesen Umständen sehr schwierig 
festzustellen, ob eine gegebene Abweichung vom mensch- 
lichen Typus atavistisch oder pathologisch ist. Das wäre 
aber grade die Hauptsache. Oft genug zeigen sich Abweichungen, 
welche an tierische Bildung erinnern. Von der ältesten Zeit her hat 
daher unsere Terminologie ihre Bezeichnungen zum Teil aus der ver- 
gleichenden Betrachtung entnommen: von dem Karkinoma, der Ich- 
thyosis, dem Molluscum, dem Polypen, der Scrofula bis auf die Pho- 
komele, die Bucardie und das Katzenauge lässt sich eine Unzahl 
pathologischer Bezeichnungen aufstellen, in denen, zuweilen im ganzen, 
häufiger im einzelnen, bestimmte Tiere oder ganze Tierklassen zur 
Vergleichung und Namengebung herangezogen wurden. Die Tier- 
ähnlichkeit, Theromorphie, ist eben ein uralter pathologischer 
Begriff. Aber die theromorphen Erscheinungen sind doch in ihrer 
Mehrzahl als richtige pathologische Dinge angesehen worden. Nur 
in der Fabel treten uns wirkliche theromorphe Familien oder Stämme 
entgegen. Wenn die Geographen der römischen Kaiserzeit die Völker 
des hohen Nordens oder des tropischen Südens schildern, so kommt 
es ihnen nicht darauf an, alle möglichen Formen der Heteroplasie, 
auch der theromorphen, zuzulassen. Und die bocksbeinigen, mit Zie- 
genschwänzen und Ziegenklunkern behafteten Satyrn haben in der 
Mythologie ihren Wert behalten, bis sie in den christlichen Aber- 
glauben übergehen und als Teufel die geängstigte Phantasie schwacher 
Seelen erfüllen konnten. Unsere Wissenschaft ist nur an einer Stelle 
davon betroffen worden, an derjenigen, wo alle Erklärungsversuche 
fehlschlugen, und wo man daher der Fabel ihr Recht so wenig streitig 
machte, wie in der alten Geographie. Das war die Lehre von den 
Monstrositäten, die neuerlich so genannte Teratologie. Abge- 
sehen von den Missbildungen, welche durch Versehen der Mutter, 
ungefähr nach Art der von manchen Zoologen unserer Tage ange- 
nommenen Mimicry, zu stande kommen sollten, hatte man fast keine 
andere Erklärung, als Vererbung und Einwirkung zauberhafter Kräfte. 
Man sehe nur eines der zahlreichen Sammelwerke de monstris an, 
um sich bewusst zu werden, wie wenige Jahrzehnte uns von der Zeit 
des pathologischen Wunderglaubens trennen. 

Sonderbar genug und höchst bezeichnend ist es, dass grade an 
diesem Punkt die strenge genetische Methode der neuen Pathologie 
ihren ersten großen Sieg errungen hat. Erst im zweiten Dezennium 
dieses Jahrhunderts, genau genommen sogar erst im dritten, gelang 
es Joh. Fr. Meckel, die Teratologie unter die Gesetze der physio- 
logischen Embryologie zu beugen, lange bevor die physiologische 
Methode eines der andern Gebiete der Pathologie in vollem Maße 
erobern konnte. In Meckel’s Lehre nahm die Theromorphie eine 
ganz besondere Gestalt an. Bei der großen Bedeutung seiner Aus- 
führungen ist es erforderlich, dass ich die wichtige Stelle wörtlich 

9* 


132 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


wiedergebe. Sie lautet (Handb. der pathol. Anat. I. S. 10): „Alle 
Missbildungen bieten zwar Abweichungen von der Regel dar, ent- 
fernen sich aber nie in einem so hohen Grade von dem Normaltypus 
des respektiven Organismus oder Organs, dass sie aus der Reihe 
organischer Körper träten, in welche der Organismus, der sie her- 
vorgebracht, gehört, und missgebildete Produkte von Tieren tragen 
daher immer den Charakter der Tierheit, wenn sie auch in höchstem 
Grade unvollkommen sind. Ebenso verleugnet auch ein einzelnes 
missgebildetes Organ nie seinen Charakter so vollständig, dass nicht 
durch die größte Entstellung hindurch das Wesen desselben erkannt 
würde, sowie auch ein durch die mannigfaltigsten Missbildungen ent- 
stellter Organismus nie selbst aus der Species ganz heraustritt, in 
welche er durch den Organismus gehört, von welchem er abstammt.“ 

Diese vollkommen klassische Darstellung ist noch heute Wort für 
Wort anzuerkennen. Selbst die äußerste Missbildung, wie sie bei den 
Amorphi oder Anidei vorkommt, die einfache Mola (Mühlstein), hat 
keinen Teil an sich, den man nicht als menschlich anerkennen müsste. 
Meckel fährt nun fort: „Dagegen ist es auf der andern Seite keine 
seltene Erscheinung, dass Bildungen, welche einer Tierklasse als nor- 
male Zustände zukommen, in einer andern als regelwidrige wiederholt 
werden; eine Bemerkung, welche dem Scharfsinn des berühmten 
Blumenbach (Ueber den Bildungstrieb, S. 108) nicht entgangen ist, 
der als eine Abweichung des Bildungstriebes vorzüglich diejenige an- 
führt, „wo er bei Bildung der einen Art organischer Körper die für 
eine andere Art derselben bestimmte Richtung annimmt“. „Der Grund 
dieses Phänomens“, heißt es weiter bei Meckel, „ist unstreitig zu- 
nächst in der Bedingung enthalten, dass, wie der scharfsinnige Kiel- 
meyer bemerkt, alle Organisationen nur Abänderungen einer und 
derselben (Organisation) sind, und namentlich erscheinen bei den 
höhern Tieren die meisten Bildungen darum häufig als Bildungs- 
abweichungen, weil die höhern Tiere in ihrer Entwicklung 
die Perioden durchlaufen, welche in den niedern Tieren 
fixiert erscheinen“. 

Besonders ausführlich weist er dies an den Missbildungen des 
Herzens nach, indem er als niedrigste Herzform das Insekten- und 
Crustaceenherz beim Menschen wiederfindet (ebendas. S. 419), sodann 
als zweite Form das Reptilienherz (S. 422) und zwar in zwei Unter- 
abteilungen |1) niedrigstes Reptilien- oder Mollusken- und Fischherz, 
2) höheres Reptilienherz] und endlich das Säugetierherz mit offen ge- 
bliebenen Fötuswegen (S. 426) beschreibt. Er sagt dazu ($. 412): 
„Das Gefäßsystem ist unter allen am meisten geeignet, sowohl eine 
interessante Parallele zwischen den vorübergehenden Perioden des 
Embryo des Menschen und den bleibenden Zuständen der unter ihm 
stehenden Tiere darzustellen, als Belege zu der Behauptung zu liefern, 
dass die meisten Missbildungen der Organe nur in einem 


Virchow, Deszendenz und Pathologie. 1353 


regelwidrigen Verweilen auf früher normalen Bildungs- 
stufen begründet sind“. Und sehr treffend fügt er hinzu, dass 
„aus der Zusammensetzung höherer und niedrigerer Formen, welche 
durch das Vorauseilen eines Teils desselben (des Embryo) vor dem 
andern entsteht, eine reichere Fülle von Gestalten hervorgeht“, als 
in dem Tierreiche. 

Man sieht, wie vollständig der alte Anatom schon die Gedanken 
ausgebildet hat, welche durch und seit Darwin eine so weit gehende 
Anwendung erfahren haben. Die Darstellung Meckel’s von der Not- 
wendigkeit, dass das höhere Tier und der Mensch in ihrer embryonalen 
Entwicklung alle die Phasen thatsächlich durehlaufen müssen, welche 
„in den niedern Tieren fixiert erscheinen“, ist in dieser Formulierung 
nicht ganz richtig, aber es kommt für unsere Erörterung nicht darauf 
an, die Korrekturen vorzunehmen, welche den heutigen Erfahrungen 
entsprechen. Richtig ist, dass sowohl das menschliche Ei, als der 
menschliche Embryo eine Reihe auf einander folgender Stadien der 
Entwicklung zu durchlaufen haben, welche einem für die ganze Wirbel- 
tierklasse und noch darüber hinaus giltigen allgemeinen Ent- 
wicklungsgesetz entsprechen. Und richtig ist ferner, dass thero- 
morphe Bildungen dadurch entstehen, dass die weitere Entwicklung 
an einer gewissen Stelle gehemmt und in der That fixiert wird, 
gleichwie es richtig ist, dass, wenn die Entwicklung eines Teiles ge- 
hemmt wird und die andern Teile sich gesetzmäßig weiter entwickeln, 
dadurch eine Fülle neuer Gestaltungen bedingt wird, wie sie die Ent- 
wicklungsgeschichte der dem Hemmungszustande parallelen tierischen 
Bildungen nicht zeigt. 

Ist nun eine solche theromorphe Entwicklungshemmung (monstro- 
sitas per defeetum) jedesmal atavistisch? Zweifellos ist sie dies häufig, 
ja man darf sagen, in der überwiegend großen Mehrzahl der Fälle 
nicht. Denn wenn schon die normalen Entwicklungszustände 
eines menschlichen Embryo tierähnlich sind, so bedarf es 
keines Rückschlages, um erst ihre Hemmungszustände tieräbnlich zu 
machen. Zu der Hemmung genügt ein pathologisches Ereignis, und 
wenn wir z. B. bei den theromorphen Zuständen menschlicher Herzen 
stehen bleiben, so können wir bei der Mehrzahl derselben nachweisen, 
was dem alten Meckel unbekannt geblieben ist, dass mechanische 
Störungen der Zirkulation infolge endokarditischer und endoarteriitischer 
Vorgänge den Grund der Hemmung darstellen. Ganz abgesehen von 
den fortschreitenden Abweichungen der Bildung, welche durch das 
Weiterwachsen der nicht unmittelbar von der Entzündung getroffenen 
Teile oder, wie Meckel sagte, durch das „Voreilen“ derselben ent- 
stehen, ist die Hemmung an sich, der Defekt als solcher ein patho- 
logischer, und ein solcher Defekt findet sich daher auch bei keinem 
der Tiere, mit deren Herzen das missgebildete menschliche Herz eine 
äußere Aehnlichkeit darbietet. 


134 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


In der Aufsuchung von Parallelen für die theromorphen Hemmungs- 
bildungen blieb Meckel ganz folgerichtig bei den dem Menschen 
zunächst zu stellenden Säugetieren nicht stehen; er trug nicht einmal 
Bedenken, über die Wirbeltiere hinaus bis auf Crustaceen, Insekten 
und Mollusken zurückzugehen. Aber ebenso weit ging er auch in der 
Aufstellung von Parallelen der gewöhnlichen Entwicklung des mensch- 
lichen Eies und des menschlichen Embryo, und nur, insofern unter 
pathologischen Verhältnissen gelegentlich einer dieser an sich gewöhn- 
lichen und konstanten Zustände des Eies oder des Embryo durch 
Hemmung fixiert wurde, erhielt er eine theromorphe Monstrosität. 
Eine solche Hemmung könnte jedoch nur dann eine atavistische ge- 
nannt werden, wenn sie nicht durch äußere Ursachen, welche das Ei 
oder den Fötus treffen, sondern als Ausdruck eines innern, frühern 
Generationen eigentümlichen Entwicklungsgesetzes oder, um mit Blu- 
menbach zu reden, als eine bloße Abweichung des Bildungstriebes 
in die frühere Richtung entstände. Denn das Wesen des Atavis- 
mus liegt in der Spontaneität der Wirkung des Bildungs- 
gesetzes. Dieses Gesetz bedarf keiner äußern Ursachen, um wirksam 
zu werden, um gewissermaßen zu entstehen. Im Gegenteil, es ist 
schon vorhanden, wenngleich latent; nur durch äußere Ursachen ist 
es gehindert worden, beständig wirksam zu sein, und es bedarf daher 
nur einer Entfernung dieser Ursachen, einer Befreiung seiner Kraft, 
um sichtbar in die Erscheinung zu treten. Der neue Typus, dessen 
sich die Art oder die Gattung erfreut, erscheint eben als ein Zwangs- 
verhältnis, nach dessen Beseitigung der alte Typus sofort wieder 
hervortritt. In diesem Sinne sagte Dar win (Origin of species p. 166), 
that there is a Zendency in the young of each successive generation 
to produce the long-lost character, and that this tendeney, from 
unknown causes, sometimes preyails, und er nahm ausdrücklich an 
(Das Variieren der Tiere und Pflanzen, II, S. 72), dass „in jeder 
Generation alle die Charaktere latent vorhanden seien, welche durch 
Rückschlag auftreten“. 

Eine solche latente Fortpflanzung ließ Darwin auch für Krank- 
heiten zu (ebend. S. 30, 45, 74). Ich will natürlich nieht gegen einen 
Satz ankämpfen, der in der Pathologie so gut begründet ist. Die 
Lehre von den erblichen Anlagen würde jedes Fundament ver- 
lieren, wenn dieselben nicht latent von einer Generation auf die andere 
übertragen werden könnten. Aber ich möchte, grade mit Rücksicht 
auf einige der von Darwin vorgebrachten Beispiele, davor warnen, 
das Gebiet der erbliehen Anlagen zu weit auszudehnen. So scheint 
es mir, dass grade die von Herrn Weismann altein zugelassenen 
„künstlichen“ Krankheiten oder, vielleicht besser gesagt, Uebel eine 
zu günstige Beurteilung gefunden haben. Freilich erkennt Darwin 
an, dass ähnliche Missbildungen, wie sie bei Kindern von Vätern mit 
verstümmelten Teilen beschrieben sind, „nicht selten ganz von selbst 


Virchow, Deszendenz und Pathologie. 135 


erscheinen“, und dass „alle solche Fälle Folgen einer bloßen Koinzidenz 
sein können“. Aber gegenüber Autoritäten, wie Lucas undSedgwick, 
wird er doch weich, und er scheint z. B. dem letztern!) zu glauben, 
dass es auf Vererbung beruhte, wenn die beiden Söhne eines Soldaten, 
der 15 Jahre vor seiner Verheiratung sein linkes Auge durch eine 
eitrige Entzündung verloren hatte, auf derselben Seite mikrophthal- 
misch waren. Wäre festgestellt, dass das verlorne Auge vor der 
eitrigen Entzündung mikrophthalmisch war, so würde mir die Ver- 
erbung wahrscheinlich sein, denn einseitige Bildungsfehler vererben 
sich an den Augen unzweifelhaft, aber wenn eine erworbene Phthisis 
bulbi des Vaters bei den Söhnen Mikrophthalmie hervorrufen sollte, 
so wäre das keine Vererbung, da Mikrophthalmie etwas ganz Anderes 
ist, als Phthisis bulbi. Wie häufig ist übrigens Phthisis bulbi, und 
wie wenig beweist ein einziger Fall der angeführten Art! Scheinbar 
viel günstiger liegt das Verhältnis mit der Zirkumzision, von welcher 
Darwin auf die Autorität Blumenbach’s mitteilt, dass in Deutsch- 
land oft „beschnitten geborne“ Juden vorkämen. Wenn nur nicht die 
andere Thatsache dagegen stände, dass in Deutschland auch recht 
oft Kinder von Christen „beschnitten“, d. h. mit gespaltener oder zu 
kleiner Vorhaut, geboren würden! Wenn man bedenkt, dass die Be- 
schneidung bei den Juden seit beiläufig drei Jahrtausenden eingeführt 
ist, so musste sich doch wohl durch Vererbung der defekte Zustand 
des Präputium längst fixiert haben, wenn er überhaupt die Fähigkeit 
besäße sich zu vererben. Aber, soweit ich sehe, ist der defekte Zu- 
stand des Präputium in der Regel verbunden mit einer anomalen, 
mehr nach hinten (oder unten) verlegten Stellung des Orificium cuta- 
neum urethrae, d. h. mit dem geringsten Grade von Hypospadie; er 
gehört demnach einem Störungskreise an, welcher nicht in erster 
Linie das Präputium, sondern vielmehr die Urethra betrifft, also einen 
Teil, der bei der Zirkumzision gar nicht beteiligt ist. Mir scheint 
daher grade umgekehrt der negative Effekt der Zirkumzision inbezug 
auf die erblichen Eigenschaften der Menschen ein vortreffliches Bei- 
spiel dafür zu sein, dass ein einfacher Defekt künstlicher Art ohne 
Wirkung auf die typischen Eigenschaften der Familie ist, und dass 
die Beweise für Atavismus in der Reihe derjenigen Eigenschaften ge- 
sucht werden müssen, welche unzweifelhaft in frühern Generationen 
als Folgen fixierter und typisch gewordener Eigenschaften beobachtet 
waren. Bei der großen Aehnlichkeit erworbener Störungen mit erb- 
lichen ist jedoch die höchste Vorsicht in den Schlussfolgerungen 
geboten. 

Die zoologische oder, wenn man lieber will, die anatomische Aehn- 





4) Die Beobachtung ist übrigens nicht von Sedgwick; letzterer (The 
British and foreign med. chir. Review, London 1861, Nr. LIV, p. 484) zitiert 
vielmehr Geschreifht in Brüssel (Ann. d’oeulistique, 1845, T. XII, p. 33). 


156 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


lichkeit des Menschen mit den Affen ist von jeher anerkannt worden. 
Seit Galen hat die Anatomie des Affen länger als ein Jahrtausend 
als die Grundlage des anatomischen Wissens vom Menschen gegolten. 
Auch nach dem Sturze des galenischen Systems hat sich die Neigung, 
den Affen eine sehr nahe Stelle im System anzuweisen, immer erhal- 
ten. Blumenbach (De generis humani varietate nativa liber. Goet- 
ting, 1776, p. 31), nachdem er eine Reihe von Anatomen aufgeführt 
hat, welche sich mit Untersuchung von Affen beschäftigt haben, sagt: 
Legant hos, qui forte oran-vtan aliasue simias homini non adeo dissi- 
miles putant, vt aut pro cospeciebus aut certe humano generi maxime 
cognatis animalibus, haberi possint. Indess erst durch die Nachfolger 
Darwin’s ist die Aftenfrage in den Vordergrund des Interesses ge- 
rückt worden. Gegenüber den anthropomorphen Affen sind die pithe- 
koiden Menschen teils im ganzen, teils inbezug auf einzelne Organe 
erörtert worden. Ich beabsichtige nicht, an dieser Stelle die ganze 
Streitfrage zu besprechen. In einem Vortrage über Menschen- und 
Affenschädel (Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vor- 
träge von Virchow und v. Holtzendorff, Berlin 1869 — 70, 
IV. Heft 96) habe ich mich ausführlich darüber geäußert. Auf 
Einzelheiten werde ich noch zurückkommen. Was ich an dieser Stelle 
betonen möchte, ist, im Anschluss an das Mitgeteilte, der Unter- 
schied zwischen pithekoidem Atavismus und pathologi- 
schem Pithekismus. 

Ein Mikrocephaler ist unzweifelhaft pithekoid, und in einem ge- 
wissen Sinne kann man ihn ganz mit Recht einen Affenmenschen 
nennen. Aber man muss nur nicht mit Herrn Carl Vogt den Zu- 
stand eines solchen Affenmenschen als einen atavistischen betrachten. 
Es gibt keine Affenart, mit welcher ein mikrocephaler Mensch ver- 
wechselt werden könnte. Ganz abgesehen davon, dass sein Geistes- 
leben nicht die mindeste Aehnlichkeit mit dem eines Affen hat, dass 
ihm jeder ausgebildete Instinkt, jede Befähigung zu selbständiger 
Existenz, meist sogar der Trieb zur Fortpflanzung seiner Art fehlt, 
so ist auch der gesamte Körperbau verschieden, und die Aehnlichkeit 
beschränkt sich ganz und gar auf ein paar Eigenschaften des Kopfes 
und des Gehirns, welche jedoch nicht hindern, dass ein mäßig geübter 
Beobachter sofort einen solchen Kopf oder Schädel oder ein solches 
Gehirn als menschlich erkennen muss. Nichts ist übrigens daran vor- 
handen, was auf erbliche Uebertragung hinwiese. 

Partielle Abweichungen von affenartigem Charakter kommen auch 
bei sonst ganz normalen Menschen vor. In einer Abhandlung über 
einige Merkmale niederer Menschenrassen am Schädel (Abhandlungen 
der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1875) habe ich 
zwei solche Eigenschaften ausführlich besprochen: den Processus 
frontalis squamae temporalis und die katarrhine Beschaffenheit der 
Nasenbeine. Beide finden sich gelegentlich bei Leuten der verschie- 


Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 137 


densten Rassen, jedoch in unverkennbarer Häufigkeit bei gewissen 
wilden Rassen, die wir auch sonst als niedere zu bezeichnen pflegen. 
Beide entsprechen kaum Zuständen der normalen Entwicklung: die 
katarrhine Nase stellt einen Defektzustand dar, bedingt dureh mangel- 
hafte Ausbildung der Nasenbeine; der Stirnfortsatz der Schläfenschuppe 
dagegen ist ein positiver Auswuchs, der sich über Teile der Schläfen- 
gegend erstreckt, wohin sonst die Schläfenschuppe gar nicht reicht. 
Beide Zustände entsprechen ganz genau gewissen Zuständen des 
Skelets bei anthropomorphen Affen; beide sind also zweifellos pithekoid. 
Aber der Gedanke an eine pathologische Entstehung liegt bei der 
katarrhinen Nase näher, bei dem Stirnfortsatz der Schläfenschuppe 
sehr fern, denn die erstere ist eine Hemmungsbildung, der andere 
dagegen eine progressive, außerhalb des menschlichen Typus liegende 
Erscheinung'). Atavismus kann daher recht wohl zur Erklärung des 
Stirnfortsatzes angerufen werden, während er zweifelhaft ist inbezug 
auf die Katarrhinie. 
(Schluss folgt.) 


Ueber die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


Von N. Pringsheim. 
(Schluss.) 


IV. Relative Lage der Maxima von Absorption und Sauer- 
stoffabgabe brauner und roter Pflanzen im 
Mikrospektrum. 


Die verschiedenfarbigen, nicht chlorophyligrünen Gewächse, welche 
gleich diesen und unter denselben Umständen ‚ wie diese, Sauerstoff 
ausscheiden, sind offenbar wegen ihrer abweichenden Absorptions- 
verhältnisse geeignet, weitere Beiträge zu der Frage nach der Wirkung 
der Lichtabsorptionen in den Farbstoffen, die bei der Assimilation 
beteiligt sind, zu liefern. Engelmann hat auch bei ihnen die gleiche 
Relation zwischen Absorption, Energie und Sauerstoffabgabe finden 
wollen, die er für die cblorophyligrünen Gewächse in Anspruch nimmt. 
Er behauptet, dass auch hier die gesamte Lichtabsorption zur Kohlen- 
säurezersetzung benutzt wird, und dass dies bei der Beobachtung im 
Mikrospektrum durch die Koinzidenz der Maxima von Absorption und 
Sauerstoffabgabe zum Ausdruck gelangt. 

Auch hier haben aber meine eignen Untersuchungen im Mikro- 
spektrum ein abweichendes Ergebnis gebracht. 





1) Man vergl. meine Abhandlungen über den Schädel des jungen Gorilla 
(Monatsberichte der königl. Akademie d. Wissensch., 1880, S. 523. Sitzungs- 
berichte 1882, 22. Juni). 


138 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


Die Unproportionalität zwischen der Gesamtgröße der Licht- 
absorption der Pflanze und der Größe ihrer Sauerstoffabgabe, die 
nach meinen Erfahrungen und Anschauungen eine allgemeine Erschei- 
nung der assimilierenden Pflanzen jeder Farbe bildet, tritt bei den 
nicht chlorophyligrünen Pflanzen mindestens in ebenso großer Schärfe, 
wie bei den chlorophyligrünen, hervor, und zudem kommen hier wegen 
der abweichenden Absorptionsbedingungen Verhältnisse zur Anschau- 
ung, welche deutlich nachweisen, dass die vorwiegende Bedeutung, 
welche man in letzter Zeit wiederum den Absorptionen im Rot zwi- 
schen B und © für die Kohlensäurezersetzung zuerkennen will, ihnen 
nicht zukommt. 


a) Die Absorptionserscheinungen bei Phaeosporeen, Fucaceen und Florideen. 


Für die olivbraunen Pflanzen sollen mir hier die Sphacelarien, 
namentlich Sph. olivacea als Beispiel dienen. Die Liehtabsorptionen 
der andern Phaeosporeen und der Fucaceen, die ich untersucht habe, 
schließen sich nach meinen bisherigen Erfahrungen ohne andere Unter- 
schiede, als solche, die notwendig durch eine verschiedene Tiefe der 
Färbung bedingt sind, denen der Sphacelarien, wie es scheint, genau 
an, und ebenso scheint auch der Gang der Sauerstoffabgabe bei allen 
hierher gehörigen braunen Pflanzen, soweit wenigstens die Frage der 
Koinzidenz der Maxima und Minima von Absorption und Sauerstoff- 
ausscheidung in betracht kommt, nicht wesentlich abzuweichen. 

Tief braune Aeste und Stämme von Sphacelaria olivaceu zeigen 
nun trotz der auffallenden Abweichung in der Farbe, die zwischen 
ihnen und den eigentlich chlorophyligrünen Gewächsen besteht, dennoch 
im Mikrospektrum ein Absorptionsbild, welches inbezug auf die Lage 
der Maxima deutliche Chlorophylicharaktere an sich trägt. Ihr Spek- 
trum erscheint deshalb dem einer grünen Konferve überaus ähnlich. 
Chlorophyliband I und die Endabsorption treten ebenso und an der- 
selben Stelle wie z. B. bei einer Oladophora auf. Von den Chlorophylil- 
bändern II, III und IV im Orange und Grün ist bei den dünnen 
mikroskopischen Objekten, die auch hier immer vorliegen, ebenso 
wenig wie dort eine Andeutung vorhanden. Auch hier gelangt die 
unbestimmtere Verdunkelung der Region im äußern Rot zwischen «a 
und B Fraunhofer und hinter €, von der in manchen Fällen schon 
bei grünen Zellen Spuren auftreten, zur Wahrnehmung, und zwar ge- 
wöhnlich viel kräftiger und entschiedener als dort. Namentlich bei 
weniger intensiver Beleuchtung — z. B. im Gaslicht — erscheint 
hierdurch in diekern und dunkler gefärbten olivbraunen Zellen oft 
der gesamte rote Anfang des Spektrums bis zur Linie C fast gleich- 
mäßig verdunkelt. In dieser kontinuierlichen Verdunkelung zeichnet 
sich die Stelle zwischen B und ©, wo das Chlorophyliband I liegt, 
nicht immer durch auffallend tiefere Verdunkelung aus. Es ist daher 


Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 139 


bei tief braunen Zellen mitunter schwer, die eigentliche Begrenzung 
des Chlorophylibandes I festzustellen. Gleichwohlliegt hier das Maximum 
der Absorption an derselben Stelle im Rot, und in den weitaus häu- 
figsten Fällen und bei weniger tief gefärbten Objekten ist das Chloro- 
phyliband I an seiner Stelle leicht und sicher nachzuweisen, so dass 
ein Zweifel über seine Existenz und Identität mit dem Chlorophyll- 
band I der grünen Pflanzen nicht möglich ist. Auch schon ohne 
Messungen erkennt man daher, dass das eine Minimum der Absorp- 
tion auch bei den braunen Pflanzen zwischen B und C im Rot liegt!). 

Zu diesen Absorptionen im Rot und Blau- Violett, die mit denen 
grüner Pflanzen übereinstimmen, tritt nun bei den braunen Pflanzen 
als wesentlichster und eigentlich als einziger Unterschied von den rein 
chlorophyligrünen eine verstärkte Absorption in der grünen Region 
des Spektrums hinzu. Diese bestimmt eben die abweichende Farbe 
dieser Pflanzen. Die erwähnte Verdunkelung im Grün beginnt oft 
schon vor D !/, E, setzt sich je nach Dieke und Farbenkonzentration 
der Objekte bald schwächer, bald stärker und mehr oder weniger 
anwachsend über die ganze grüne Region des Spektrums fort und 
geht dann ununterbrochen in die Endabsorption im Blau über. Bei 
jJüngern und hellern Zweigen ist die Absorption im Grün oft äußerst 
schwach, wodurch das Absorptionsspektrum dem der chlorophyll- 
grünen Pflanzen noch ähnlicher wird. Man sieht dann wie bei einer 
Cladophora nur Chlorophyliband I und die Endabsorption, die aber 
immer schon weiter vor F beginnt, als dort. 

Zwischen C, wo die starke Absorption im Rot aufhört, und DJ, E, 
wo die stärkere Absorption im Grün wieder beginnt, liegt nun bei 
den braunen Zellen die Stelle der schwächsten Absorption. Da dieser 
Punkt für die Vergleichung mit der Sauerstoffexhalation der wichtigste 
ist, so hebe ich noch ausdrücklich hervor, dass die braunen Pflanzen- 
zellen, wie jede Beobachtung im Mikrospektrum zeigt, für diese Region 
Obis D!/, E unbedingt und unter allen Umständen am durchlässigsten 
sind, viel durchlässiger namentlich, als für die Stelle von B bis € im 
Rot, und dass hierüber schon der bloße Vergleich der Helligkeit der 
Objekte in den verschiedenen Regionen keinen Zweifel lässt. 

Kurz zusammengefasst zeigt sich demnach, dass das ganze Blau- 
Violett im Spektrum und ebenso das Rot zwischen B und © Fraun- 
hofer auch von den braunen Zellen am stärksten absorbiert wird, 
bedeutend schwächer dagegen schon das Grün und am schwächsten 
das Orange und Gelb, von C an bis etwa D4, E. 

Bei der vorliegenden Aufgabe, die nur den Wert der Liehtabsorp- 
tion in der Pflanze im Auge hat, darf man, wie ich noch bemerken 





1) Eine geringe Verschiebung des Bandes gegenüber seiner Lage bei grünen 
Pflanzen ist auch hier so zu deuten, wie die Verschiebung derselben in grünen 
Pflanzen gegenüber seiner Lage in Chlorophylllösungen. 


140 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


will, von der sonstigen Beschaffenheit des braunen Farbstoffes der 
Phaeosporeen und Fucaceen vorläufig ganz absehen. Es herrscht 
hierüber, wie bekannt, eine Meinungsverschiedenheit. Die einen halten 
denselben für eine Chlorophyllmodifikation, die andern für ein Ge- 
misch von Chlorophyll und einem zweiten Farbstoffe. Das Absorp- 
tionsspektrum der Pflanze gibt hierüber ebenso wenig nähere Aus- 
kunft, wie die an sich mehrdeutigen Zerlegungs- und Trennungs- 
versuche, durch welche man die Frage hat zur Entscheidung bringen 
wollen. Die Lage der Absorptionsmaxima in der Pflanze aber, auf 
die es hier ganz allein ankommt, wird von der Zusammensetzung und 
Reinheit, oder Unreinheit der Farbstoffe gar nicht berührt. Sie wird 
in jedem Falle von der Gesamtwirkung der in der Pflanze vorhan- 
denen Absorptionen bestimmt, und hierbei ist es ohne Belang, ob 
diese von einem oder von zwei Farbstoffen herrühren. Bemerkens- 
wert für die physiologische Betrachtung ist dagegen, dass auch im 
Absorptionsspektrum der braunen Pflanzen die nahe Beziehung ihrer 
Farbe zum Chlorophyll zur Anschauung gelangt. 

Man kann das Spektrum der braunen Pflanzen je nach der Vor- 
stellung, der man über den braunen Farbstoff huldigt, als ein Chloro- 
phylispektrum mit gesteigerten Absorptionen im Grün und im Rot 
neben Chlorophyliband I ansprechen, oder auch als ein Chlorophyll- 
spektrum, zu dem noch das Spektrum eines zweiten Farbstoffes hinzu- 
tritt mit Absorptionen, die vornehmlich im Grün und Rot liegen. 

Gehen wir nun zu den Absorptionserscheinungen der Florideen 
über, so finden wir bei diesen dunkelschwarz-roten bis rein roten 
Pflanzen analoge Erscheinungen wieder. Untersucht habe ich bezüg- 
lich dieses Punktes namentlich einige Polysiphonien, dann Rhodomela 
subfusca und Delesseria sanguinea. Trotz der großen Verschieden- 
heiten, die hier wieder in der äußern Farbe zwischen den dunklern 
Polysiphonien und der schön roten Delesseria bestehen, zeigen doch 
auch hier, grade wie es bei den braunen Pflanzen der Fall war, ihre 
Absorptionsspektren unter sich keine andern Verschiedenheiten, als 
solche, die in der Tiefe der Färbung liegen. Das heißt, man darf 
annehmen, dass es bei den verschiedensten Florideen sich immer nur 
um denselben Farbstoff, oder dasselbe Farbstoffgemenge, nur in ver- 
schiedener Konzentration, oder in relativ verschiedener Anhäufung 
handelt. Auch das Absorptionsspektrum der Florideen lässt sich nun 
kurz so auffassen oder darstellen, dass hier gleichfalls ein Chloro- 
phylispektrum vorliegt, zu welchem, wie bei olivbraunen Zellen, noch 
eine Absorption im Grün und Rot, und zwar eine noch viel stärkere 
als bei den olivbraunen Zellen hinzutritt. 

Im einzelnen ausgeführt nimmt man bei den Florideen folgende 
Absorptionserscheinungen wahr. 

Dünnere Polysiphonia- Aeste zeigen namentlich bei intensiver Be- 
leuchtung — z.B. in direkter Sonne — wiederum das bekannte Chloro- 


Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum, 141 


phyliband I beiderseitig mehr oder weniger scharf begrenzt an seiner 
richtigen Stelle; ferner die Endabsorption im Blau- Violett, und jene 
unbestimmtere Absorption im Rot vor B, durch welche auch hier bei 
dunklern Objekten eine kontinuierliche Verdunkelung des ganzen 
roten Anfangs im Spektrum bis zur Linie C — so wie bei manchen 
Phaeosporeen — hervorgerufen wird. In dieser Verdunkelung wird 
auch hier unter Umständen das Chlorophyliband I zwischen B und C 
nur äußerst schwer, oder gar nicht als eine noch tiefer markierte 
Absorptionsstelle erkennbar. Auch hier kommen dann die Chlorophyll- 
bänder II, III nicht zur Wahrnehmung, und auch hier tritt dann 
wieder, wie bei den braunen Pflanzen noch eine äußerst starke Ab- 
sorption im Grün, die hier aber bedeutend stärker als bei braunen 
Pflanzen ist, hinzu. Sie beginnt schon kurz hinter D, wo das Grün 
im Spektrum seinen Anfang nimmt, und erstreckt sich an Stärke 
rasch anwachsend ununterbrochen bis zur Endabsorption. So ist bei 
den Florideen die Absorption im ganzen Blau und Violett, dann im 
Grün, sowie auch im Rot zwischen B und C eine äußerst kräftige. 
Ueber die relative Größe desselben lässt sich selbstverständlich ohne 
photometrische Messungen nichts Bestimmtes aussagen, doch scheint, 
soweit die relativen Helligkeiten ein Urteil gestatten, nicht nur das 
ganze Blau-Violett, sondern sogar das dem Blau benachbarte Grün 
bei den Florideen stärker absorbiert zu werden, als das Rot. Allein 
dieser Umstand ist für die Betrachtung, die ich später daran knüpfen 
will, weniger von Bedeutung. Wichtig für dieselbe ist dagegen nur, 
dass die Stelle der geringsten Absorption bei den Florideen ungefähr 
zwischen € und D liegt, etwa vom Ende des Rot bis zum Anfang 
des Grün, und ausdrücklich erwähne ich noch besonders, dass die 
Absorption zwischen B und C unbedingt weit stärker ist, als zwischen 
C und D. Hierin findet demnach zwischen den braunen und roten 
Pflanzen eine volle Uebereinstimmung statt. 


b) Die Sauerstoffabgabe der Phaeosporeen und Florideen im Mikrospektrum. 


Die Untersuchung der Sauerstoffexhalation im Mikrospektrum zeigt 
auch bei den braunen und roten Pflanzen das Phänomen der Inkonstanz 
der Lage des Maximums, auf welches ich schon bei den grünen Pflanzen 
hingewiesen habe. Das Maximum schwankt in verschiedenen Versuchen 
innerhalb nicht unbedeutender Grenzen, und seine Schwankungen sind 
offenbar abhängig von Bedingungen, die man bei der Beobachtung im 
Mikrospektrum gar nicht beherrscht. Auf diesen Umstand und seine 
mögliche Deutung werde ich weiter unten zurückzukommen haben. 

Abgesehen aber hiervon lässt sich seine Lage in der Mehrzahl 
der Fälle mit genügender Sicherheit feststellen. 

Zunächst für braune Pflanzen ist es sicher, dass dasselbe fast 
regelmäßig in dem Raume zwischen C und D Fraunhofer liegt; 


442 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


häufig nahe der Mitte zwischen C und D. Bei der Beobachtung im 
Gaslicht ist der Abfall nach beiden Seiten vom Maximum stark aus- 
gesprochen, weniger stark in direktem Sonnenlicht, wo der Abfall 
namentlich nach Grün hin gewöhnlich viel unbedeutender ist. Aus- 
nahmsweise kann die Bewegung auch im Rot und Grün fast so groß 
werden als im Orange. Doch können diese Ausnahmen selbstverständ- 
lich das Resultat nicht umstoßen, dass in der Mehrzahl der Fälle das 
Maximum deutlich zwischen © und D liegt, und durch die verstärkte 
Absorption der braunen Pflanzen im Grün tritt dann das Verhältnis, 
dass Exhalations- und Absorptionsmaxima nicht zusammenfallen, hier 
ungemein deutlich hervor. In den bezeichneten Fällen liegt bei den 
braunen Pflanzen das Exhalationsmaximum sogar genau innerhalb der 
Region der geringsten Absorption der Pflanze. 

Was nun ferner die Sauerstoffexhalation der roten Pflanzen im 
Mikrospektrum betrifft, so findet auch hier ein ähnliches Verhältnis 
statt. Die Bewegung der Bakterien im Rot über B bis © erscheint 
zwar auch hier in seltenern Fällen sehr lebhaft, fast so lebhaft, wie 
im Orange hinter C, allein der gewöhnliche und regelmäßige Fall 
ist auch hier der, dass die Bewegung vom Rot nach Orange ansteigt, 
und dass ihr Maximum hier gradezu in den hellsten Teil der Pflanze, 
in die Region der schwächsten Absorption im Spektrum zwischen C 
und D oder kurz vor D fällt. Bei Anwendung von direktem Sonnen- 
licht liegt dasselbe fast ohne Ausnahme grade auf D und nimmt 
den Teil vor Beginn der starken Absorption im Grün ein. Von hier 
aus fällt die Bewegung nach beiden Seiten zunächst nur schwach, 
nach Rot hin aber stärker als nach Grün. Hier im Grün setzt sie 
sich nicht selten nahezu in gleicher Stärke wie im Gelb eine längere 
Strecke weit fort. Auch kann es vorkommen, dass die Bewegung im 
Anfang Grün hinter D hin und wieder einmal noch stärker erscheint, 
als um D. Jedenfalls erreicht aber in zahlreichen Fällen die Leb- 
haftigxeit der Bewegung ihr Maximum schon bei D und kurz vor D, 
also an einer Stelle, die wiederum sichtlich in der Region der 
schwächsten Absorption der Florideen liegt. So schon bei der Beob- 
achtung im Sonnenlicht; bei der Beobachtung im Gaslicht ist die Er- 
scheinung, dass Absorptions- und Assimilationsgröße bei den Florideen 
nicht gleichen Schritt halten, bei dem Vergleich zwischen der Be- 
wegung im Rot, Blau und Grün mit der Bewegung in dem Raume 
zwischen C und D noch ausgeprägter und noch entschiedener aus- 
gesprochen. 


V. Unproportionalität von Lichtabsorption und Sauer- 
stoffabgabe im Spektrum und Folgerungen daraus. 


Die hier mitgeteilten Ergebnisse fordern zunächst zu einem Ver- 
gleiche mit den Resultaten heraus, die bei der Untersuchung im Makro- 

















Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 143 


spektrum erhalten worden sind, und verlangen außerdem eine Erörte- 
rung der sich anschließenden Frage, welche Folgerungen sie zulassen 
bezüglich des physiologischen Wertes, den die elektiven Lichtabsorp- 
tionen im Gaswechsel der Pflanze besitzen. Es ist jedoch nicht meine 
Absicht, hier mehr als einige Andeutungen inbetreff der beiden be- 
rührten Punkte zu geben. Vor allem liegt es nicht in meiner Absicht, 
die Untersuehungsmethode im Makrospektrum und die mit derselben 
gewonnenen widerspruchsvollen Resultate hier einer ausführ- 
lichen und eingehenden Kritik zu unterziehen. Dies ist oft genug 
auch in letzter Zeit geschehen, ohne zu einer befriedigenden Erklä- 
rung der vorhandenen sachlichen Widersprüche geführt zu haben. 
Ich will vielmehr an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass sich 
die scheinbaren Widersprüche in einfachster Weise lösen und mit 
meinen Beobachtungen im Mikrospektrum vereinen lassen, wenn man, 
wie es meine Beobachtungen nachweisen sollen, die Inkonstanz der 
Lage des Maximums der Sauerstoffabgabe und des Verlaufes ihrer 
Kurve anerkennt. Es liegt dann kein Widerspruch der Befunde mehr, 
sondern nur die unberechtigte Verallgemeinerung derselben bei den 
verschiedenen Beobachtern, die zu abweichenden Resultaten gelangt 
sind, vor. 

Die Annahme, dass die Sauerstoffkurve im Spektrum bei allen 
chlorophyligrünen Pflanzen genau den gleichen Verlauf zeigen müsse, 
schien allerdings geboten, so lange man, wie dies bis auf meine 
Untersuchungen allgemein geschah, die Sauerstoffabgabe der Pflanzen 
im Licht nur als das unmittelbare Resultat eines einfachen Reduk- 
tionsvorganges der Kohlensäure betrachtete, der sich im Chlorophyll- 
farbstoff abspielen sollte. Berücksichtigt man aber die verschiedenen, 
von einander zum Teil unabhängigen Vorgänge der Oxydatiön und 
Reduktion in der Pflanze, deren Gesamtendresultat die Größe der 
Sauerstoffabgabe im Lichte darstellt, so erscheint die Annahme einer 
Konstanz derselben unter veränderten Umständen von vornherein un- 
denkbar. 

Für die Auslegung der Versuche im Makrospektrum, die ich oben 
gegeben habe, spricht auch der Umstand, dass es keinem der Beob- 
achter gelungen ist, eine befriedigende Erklärung für die abweichen- 
den Befunde der andern Beobachter zu geben, und die etwaigen 
Irrtümer derselben überzeugend aufzudecken. Die Bemängelung be- 
schränkte sich gewöhnlich auf Fehler in der Methode, die aber im 
vorliegenden Falle als durchaus nebensächliche zu bezeichnen sind. 
Dies gilt namentlich von den Ausstellungen, die inbetreff der Unrein- 
heit und Dispersion der Spektren gemacht worden sind, und durch 
welche man die Zuverlässigkeit der objektiven Befunde in den Ver- 
suchen in Frage stellen wollte. 

Was zunächst die Unreinheit der Spektren betrifft, so ist der 
hieraus resultierende Fehler weit übertrieben worden. 


144 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


Die Verschiebung der Lage des Maximums der Sauerstoff- 
abgabe — auf die es ja hier ganz allein ankommt — durch eine 
etwaige geringe Unreinheit des Spektrums kann bei nur einigermaßen 
rationeller Ausführung der Versuche das wahre Verhältnis nur ganz 
unwesentlich verändern, und kann unmöglich die enormen Wider- 
sprüche, die in den Angaben der Beobachter hier vorliegen, erklären. 
Der etwaige Fehler, der durch die Unreinheit des Spektrums hervor- 
gerufen wird, lässt sich außerdem beim Resultate in Rechnung ziehen. 

Der Grad der Unreinheit eines Spektrums wird durch die Breite 
bestimmt, welche das monochromatische Licht, oder der homogene 
Strahl in demselben einnimmt. Eine einfache Konstruktion durch die 
Ueberlagerung der Farben in der entsprechenden Breite zeigt, dass 
die Verschiebung der Lage des Maximums durch die Verbreite- 
rung der farbigen Strahlen von größter Wirksamkeit im Assimilations- 
vorgange nie mehr betragen kann, als die Hälfte der Breite, welche 
der homogene Strahl in dem unreinen Spektrum einnimmt. 

Soleh enorme Schwankungen in der Lage des Maximums, wie sie 
nach den Angaben der verschiedenen Beobachter im Makrospektrum 
vorhanden sind — die zwischen B im Rot und D im Gelb liegen — 
können unmöglich aus einer Verschiebung der Lage derselben infolge 
von Unreinheit des Spektrums erklärt werden. Wenn diejenigen im 
Recht wären, welche behaupten, dass das Maximum konstant bei BD 
liegt, so müsste die Unreinheit des Spektrums in jenen Fällen, in 
welchen die Lage des Maximums bei D gefunden wurde, eine Ver- 
schiebung desselben von B nach D hervorgerufen haben. Dies ist 
ganz undenkbar. Bei einer Breite der homogenen Strahlen und einer 
dementsprechenden Ueberlagerung der Farben, welche eine derartige 
Verschiebung des Maximums ermöglichte, würde niemand mehr von 
Versuchen über den Wirkungswert verschiedener Farben im Spektrum 
reden; die Spektralfarben wären selbst dem Auge als solche nicht 
mehr erkennbar. Bei den Beobachtungen im Mikrospektrum, dies sei 
beiläufig bemerkt, fällt übrigens die ganze Frage der Unreinheit eben- 
falls fort, da sich alle Beobachtungen bei Spaltweiten ausführen lassen, 
bei denen die Fraunhofer noch sichtbar sind, die also einen absolut 
genügenden Grad von Reinheit besitzen. Will man aber im Mikro- 
spektrum mit größern Spaltweiten und im Gaslicht untersuchen, dann 
ist es doch immer leicht möglich, durch die Bestimmung der Breite 
des homogenen Strahles in jedem Versuche den Fehler, den die Un- 
reinheit des Spektrums erzeugt, in Rechnung zu ziehen. 

Noch weniger aber, als die Unreinheit, kommt bei der Beurtei- 
lung derjenigen Befunde, nach welchen die Lage des Maximums bei 
D liegen soll, die Dispersion des Spektrums und der Fehler, den 
diese hervorruft, inbetracht. 

Ich erwähne dies ausdrücklich mit Rücksicht auf die neuern 
Untersuchungen von Reinke, in welchen die Dispersion aufgehoben ist. 


Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 145 


Pfeffer und Reinke haben z. B. mit nahezu derselben Methode 
gearbeitet. — Beide mit der Methode des Gasblasenzählens im Makro- 
spektrum; beide mit Elodea. Pfeffer findet aber bekamntlich das 
Maximum bei D; Reinke bei B. 

Nun hat Reinke allerdings bei seinen Versuchen den Fehler 
der prismatischen Dispersion durch eine geschickte Kombination auf- 
gehoben. Es wäre aber ein großer Irrtum, wollte man die Angaben 
von Reinke über die Lage des Maximums bei B deshalb für zuver- 
lässiger und richtiger halten, weil seine Beobachtung vom Fehler der 
Dispersion befreit war. Grade die Existenz der Dispersion in den 
Versuchen bei Pfeffer gibt eine größere Bürgschaft für die Richtig- 
keit seines Befundes in dem beobachteten Falle. 

Die vorhandene Dispersion bevorzugt im Resultate bekanntlich 
den Effekt der Wirkung des minder brechbaren Rot gegenüber dem 
stärker brechbaren Gelb. 

Wäre es daher wirklich so, wie z. B. Reinke und Engelmann 
behaupten, dass im Normalspektrum das Maximum der Sauerstoff- 
abgabe konstant und unabänderlich im Rot liegt, so hätte 
Pfeffer beiseinen Versuchen im prismatischen Spektrum, bei welchen 
das Rot ja noch außerdem gegen die übrigen Farben bevorzugt ist, 
das Maximum um so schärfer ausgesprochen im Rot finden müssen. 
Es wäre überhaupt ganz undenkbar, dass irgend ein Experimentator 
im prismatischen Spektrum je das Maximum über Rot hinaus im 
Orange, oder gar im Gelb gesehen haben könnte, und doch ist dies, 
wie bekannt, nicht nur von Pfeffer, sondern auch von andern Be- 
obachtern dort gefunden worden. 

Es ist deshalb für die Frage nach der Lage des Maximum im 
Rot weder nötig die Dispersion aufzuheben, noch die Resultate für 
das Normalspektrum zu berechnen. Hat man sich ein einziges mal 
im prismatischen Spektrum von der Lage desselben hinter C oder 
in der Nähe von C sicher überzeugt, so ist damit die Thatsache 
entschieden, dass die Maxima der Assimilation und Absorption nicht 
notwendig zusammenfallen. Nur wenn man das Maximum im Rot 
fände, bedürfte die Feststellung seiner Lage im Verhältnis zum Ab- 
sorptionsspektrum noch eine genauere Bestimmung durch Uebertragung 
ins Normalspektrum. 

Ich möchte ferner hier noch eine Erscheinung bei den Beobach- 
tungen im Mikrospektrum erwähnen, die gleichfalls Licht auf die 
Inkonstanz der Lage des Maximums verbreiten und auch zur Erklä- 
rung der Verhältnisse der Sauerstoffabgabe im Spektrum beitragen 
kann. Man hat oft, während ein und derselben Beobachtung im Mikro- 
spektrum, Gelegenheit zu sehen, dass die Bakterien den bevorzugten 
Ort ihrer Ansammlung am Objekte verlassen, und einen benachbarten 
aufsuchen. Namentlich wenn die Ansammlungen kleiner sind und die 
Sauerstoffausscheidung am Objekte nicht ergiebig ist, erhält man oft 

VI. 10 


146 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


das Bild kleiner getrennter Bakterienhaufen, die sich an einzelnen, 
lokal gesonderten Herden der Sauerstoffausscheidung angesammelt 
haben; nach kürzerer oder längerer Zeit sieht man dann die Bak- 
terien diese Herde verlassen und sich an andern benachbarten nieder- 
lassen. Die Erscheinung macht den Eindruck, als ob die Sauerstofl- 
entwieklung an einzelnen Stellen des Objektes unterbrochen, gleichsam 
erschöpft würde, und es gewinnt so den Anschein, dass der Körper 
in der Pflanze, welcher in die Kohlensäurezersetzung hineingezogen 
wird, und von dem die Sauerstoffabgabe ausgeht, lokal an einzelnen 
Stellen verbraucht und erst später dort wieder erzeugt wird. Diese 
Vorgänge erfolgen aber, ohne dass das Absorptionsspektrum des Ob- 
jektes irgend eine sichtbare Veränderung erleidet, jedenfalls ohne 
dass die Lage der Absorptionsmaxima sich ändert. Es 
scheinen somit diese Vorgänge schon darauf hinzuweisen, dass dem 
Körper, welcher in der Pflanze wirklich reduziert wird, die starken 
Absorptionen im Blau-Violett und Rot nicht angehören, und dass daher 
gar keine Proportionalität zwischen der Größe der Sauerstoflabgabe 
und der Größe der Absorption erwartet werden kann. Wir können 
nach alledem die Unproportionalität zwischen Lichtabsorption und 
Sauerstoffexhalation in der Pflanze als eine zweifellos feststehende 
Thatsache betrachten, und es bleibt nur übrig zu entwickeln, inwieweit 
dies Verhältnis Aufschluss zu geben vermag über den physiologischen 
Wert von Lichtabsorptionen in der Pflanze und über ihre Beziehung 
zum Gaswechsel der Gewächse. 

Zu dem Ende will ich schließlieh die Vorstellungen, die an den 
Vorgang der Sauerstoffabgabe anknüpfen und für die Beurteilung 
der Funktion der Liehtabsorptionen wichtig erscheinen, hier schließ- 
lich noch kurz zusammenfassen und mit den beobachteten Thatsachen 
vergleichen. 

Allgemein geht man und auch mit Recht bei der Betrachtung des 
Vorganges von der Annahme aus, dass die Größe des photochemischen 
Prozesses in der Pflanze in irgend einer proportionalen Abhängigkeit 
von der Größe der Absorptionen derjenigen Strahlengattungen stehen 
muss, die ihn ausführen. Ebenso ist man aber auch, nach allen vor- 
handenen Erfahrungen über die Beziehung der Farbe der Gewächse 
zur Assimilation des Kohlenstoffes, berechtigt vorauszusetzen und an- 
zunehmen, dass der Chlorophylifarbstoff und die ihm verwandten 
Farbstoffe der nieht rein chlorophyligrünen assimilierenden Gewächse 
eine geeignete und zweckmäßige Anpassung an die Assimilation be- 
sitzen und dieselbe auch zeigen müssen. 

Von dem Standpunkte der absoluten Anhänger der alten Chloro- 
phylitheorie, welche die Lichtabsorption in dem Farbstoffe nur zur 
Zersetzung der Kohlensäure in Beziehung bringen wollen, lag es daher 
nahe zu erwarten, dass im Spektrum ein sichtbarer Einfluss der Ab- 
sorptionsgröße im Farbstoff auf die Größe der Sauerstoffabgabe zur 


Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 147 


Anschauung gelangen werde. So entstand als Konsequenz der alten 
Theorie die Forderung der Koinzidenz der Maxima von Absorption 
und Sauerstoffexhalation im Spektrum. 

Die Thatsache nun, dass die Sauerstoffabgabe im blau - violetten 
Ende verhältnismäßig gering ist, stand schon mit dieser Forderung 
nicht im Einklange. Sie zeigte, dass die Größe der Sauerstoffabgabe 
in den betreffenden Farben keineswegs in gradem Verhältnisse zur 
Größe ihrer Absorptionen im Chlorophylifarbstoff steht, und führte 
zu der Vermutung, dass die Absorptionen im blau-violetten Teile des 
Spektrums einen Wert im Gaswechsel der Pflanze besitzen, der außer- 
halb der Kohlensäurezersetzung zu suchen sei. In dem minder brech- 
baren Teile des Spektrums waren und sind allerdings die Angaben 
über die Größenverhältnisse der Sauerstoffabgabe noch nicht überein- 
stimmend. Die einen behaupten, dass das Maximum derselben hier 
mit dem Absorptionsmaximum zwischen BD und © zusammenfällt, die 
andern, dass dasselbe im Orange oder Gelb, jedenfalls an einer 
Stelle geringerer Absorption im Farbstoffe auftritt. War das letztere 
der Fall, so war somit auch in der minder brechbaren Hälfte keine 
sichtbare Proportionalität zwischen Absorption und Sauerstoffabgabe 
vorhanden, und die hervorragendste Absorption im Farbstoff erschien 
auch hier nicht der Kohlensäurezersetzung, sondern vielmehr einer 
andern Leistung im Gaswechsel angepasst. 

Die Schwierigkeiten, die sich hieraus für die alte Theorie er- 
gaben, suchen die Anhänger derselben zu heben, indem sie an der 
Lage des Maximums im Rot bei D festhalten, und bezüglich der ge- 
ringen Sauerstoffabgabe in der blau-violetten Hälfte des Spektrums 
auf die geringe Energie der betreffenden Strahlengattungen hinweisen. 
Zuerst hat sich in diesem Sinne Lommel bekanntlich dahin ausge- 
sprochen, die blauen Strahlen könnten wegen ihrer geringen mecha- 
nischen Intensität im Assimilationsakte nur wenig leisten, das Maximum 
müsse aber im Rot liegen, weil hier die stärkste Absorption mit großer 
Energie der Strahlung zusammentrifft. 

Es ist von andern und mir schon wiederholt darauf hingewiesen 
worden, dass diese Deduktion durchaus nicht zwingend ist. Sie be- 
urteilt den Vorgang wie einen reinen Wärmeeffekt der Strahlung und 
übersieht, dass in der Sauerstoffabgabe vorzugsweise eine chemische 
Wirkung des Lichtes auf die Pflanze zur Erscheinung kommt. Auch 
habe ich wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass der Hinweis 
auf die geringe mechanische Intensität der blauen Strahlen am aller- 
wenigsten geeignet ist, wenn man auf dem Standpunkte der alten 
Chlorophylitheorie steht, die auffallende und hervorragende Absorption 
grade dieser Strahlen bei allen assimilierenden Pflanzen verständlich 
zu machen und eine Erklärung für die gemeinsame Farbe derselben 
zu geben. 

Auch die Vorstellung nun, welche neuerdings Engelmann über 

10:* 


148 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


die Sauerstoffabgabe der Gewächse entwickelt hat, und durch welche 
er gleichfalls glaubt, die der alten Chlorophylitheorie in den That- 
sachen entgegenstehenden Schwierigkeiten heben zu können, geht 
wesentlich wieder von den gleichen Gesichtspunkten aus, die dem 
Lommel’schen Erklärungsversuche zu grunde lagen. Nur hat Engel- 
mann seine Vorstellung konsequenter und methodischer durchgeführt, 
und durch zahlreiche und mühsame Beobachtungen und Messungen 
empirisch zu begründen gesucht. 

Wie ich bereits dargelegt habe, stellt Engelmann den Einfluss 
der Schwingungsdauer des Lichtes bei der Assimilation völlig in Ab- 
rede und stellt zugleich die Hypothese auf, dass die gesamte Licht- 
energie, welche bei der Absorption in der Pflanze verschwindet, zur 
Zerlegung der Kohlensäure in ihr verbraucht wird. Durch zahlreiche 
Größenbestimmungen von Absorption und Sauerstoffabgabe in den 
Spektralregionen sucht er dann zu erweisen, dass die thatsächlichen 
Verhältnisse den Forderungen aus seinen Voraussetzungen entsprechen, 
und dass an jeder Stelle im Spektrum die Sauerstoffabgabe genau 
dem Produkt aus Absorption und Energie der betreffenden Stelle 
gleich ist. 

Die große Reihe von Zahlenangaben, welche Engelmann als 
Beleg hierfür beibringt, hat auf den ersten Blick viel Bestechendes. 
Allein ich habe in diesem Aufsatze gezeigt, dass der Wert seiner 
Zahlen mannigfachen und erheblichen Bedenken unterliegt. Es ist 
dies erklärlich genug aus der komplizierten und subtilen Methode, zu 
welcher Engelmann gegriffen hat, um die Größen der Absorption 
und Sauerstoffabgabe im Mikrospektrum zu bestimmen und mit den 
berechneten relativen Lichtenergien der Spektralregionen zu ver- 
gleichen. Ich habe schon bei der Kritik der Methode im einzelnen 
nachgewiesen, dass die Fehlerquellen derselben ein genaues Resultat 
unmöglich machen, und dass der Beginn der Bakterien - Bewegung, 
an welchem Engelmann die Größe der Sauerstoffabgabe misst, kein 
geeignetes Maß für dieselbe abgibt. Aus den naheliegenden Bedenken 
gegen die Grundlagen der Engelmann’schen Hypothesen war auch 
von vornherein ein günstiges Resultat seiner Bemühungen und Mes- 
sungen nicht zu erwarten. Dass die Schwingungsdauer des Lichtes 
im photochemischen Prozesse der Pflanze ohne Einfluss sein sollte, 
scheint schon durch die Auswahl der Farben, welche bei der Assi- 
milation mitwirken, in hohem Grade unwahrscheinlich, und ebenso 
unwahrscheinlich ist die Annahme, dass die gesamte von der Pflanze 
absorbierte Lichtenergie zur Zersetzung der Kohlensäure in ihr ver- 
braucht wird. Die Kohlensäure-Zersetzung ist weder der einzige, 
noch selbst der einzige chemische Lichteffekt in der Pflanze. 

Endlich aber bringen meine eignen Beobachtungen im Mikro- 
spektrum, die ich hier mitgeteilt habe — namentlich die an braunen 
und roten Pflanzen — den sichern empirischen Beweis, dass es 





Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 149 


nicht so ist, und dass die von den Engelmann’schen Voraussetzungen 
geforderte Relation zwischen Energie, Absorption und Sauerstoffabgabe 
in der Pflanze nicht besteht. Meine Befunde gestatten zugleich diesen 
Beweis zu führen, ohne über die Grenzen hinauszugehen, welche der 
quantitativen Bestimmung der einschlagenden Verhältnisse im Mikro- 
spektrum gesteckt sind. 

Da im Mikrospektrum innerhalb der Ausdehnung seines sicht- 
baren Teiles, die hier in betracht kommt, nämlich von B bis DFraun- 
hofer, die Energie von B nach D fortgesetzt abnimmt, die stärkste 
Absorption in dieser Region aber bei allen assimilierenden Pflanzen 
— auch den braunen und roten — zwischen 5 und © auftritt, so 
könnte selbstverständlich, wenn die Engelmann’sche Relation in 
der Pflanze Geltung hätte und die Absorptionen nur die Zersetzung 
der Kohlensäure beträfen, niemals der Fall eintreten, dass die Sauer- 
stoffabgabe an irgend einer Stelle zwischen © und D größer sein 
könnte, als zwischen B und €. 

Grade dieses Verhältnis ist aber im Mikrospektrum der gewöhn- 
liche Fall, und da dies bei den grünen Pflanzen noch immer bezweifelt 
wird, so ist es für die Erkenntnis derselben desto wertvoller, dass 
die Thatsache bei braunen und roten Pflanzen um so viel anschau- 
licher und ausgeprägter zur Erscheinung kommt. 

Die Inkongruenzen zwischen Absorptions- und Exhalationsgröße 
im Spektrum sind daher nicht bloß scheinbare, sondern es findet 
absolut keine Proportionalität zwischen dem Gesamtbetrag der 
Absorption in der Pflanze und der Größe der Sauerstoffabgabe statt; 
wie dies auch von vornherein gar nicht anders zu erwarten war. 
Die Proportionalität wäre nur denkbar, wenn man den Bruchteil der 
Absorptionen in den grünen Geweben, der effektiv der Kohlensäure- 
zersetzung dient und für dieselbe verbraucht wird, aus dem Gesamt- 
betrage der Absorptionen der Pflanze ausscheiden könnte, und zugleich 
die Oxydationsvorgänge der Gewebe von dem Reduktionsvorgange zu 
trennen im stande wäre. 

So aber verlangt eben der überschüssige Teil der Liehtabsorp- 
tionen, der in der Kohlensäurezersetzung nicht zum Ausdrucke ge- 
langt, die Berücksichtigung seiner Bedeutung für die Liehtwirkung in 
der Pflanze und im Gaswechsel derselben. Mit andern Worten, die 
Differenzen zwischen dem Chlorophylispektrum und dem Gange der 
Sauerstoffkurve verlangen ihre biologische Erklärung. 

Vom Standpunkte der alten Chlorophylitheorie erscheint aber die 
Thatsache, dass die blau-violetten Strahlen in den assimilierenden 
Pflanzen so äußerst stark absorbiert werden und doch bei der Sauer- 
stoffabgabe nur wenig leisten, biologisch unverständlich und paradox. 
Sie wird nicht verständlicher, sondern nur unverständlicher, wenn man 
hinzufügt und behauptet, dass die blauen Strahlen für die Kohlen- 
säurezersetzung wegen ihrer geringen mechanischen Intensität über- 


150 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 


haupt nur von untergeordnetem Werte sein können. Aehnliches gilt 
von der Thatsache, dass die Strahlen zwischen B und © trotz ihrer 
äußerst starken Absorption, die bier noch mit einer hohen Energie 
der Strahlung verbunden ist, mindestens in den zahlreichsten Fällen 
weniger Sauerstoff entwickeln, als die benachbarten zwischen C und D, 
die um so vieles schwächer absorbiert werden. Mit der Thatsache 
allein kann man sich aber nicht begnügen wollen. Der Chlorophyll- 
farbstoff und die ihm verwandten bei der Assimilation wirksamen 
Farbstoffe würden unter diesem Gesichtspunkte für die Funktion, die 
man ihnen allein zuschreiben will, in ihren elektiven Absorptionen so 
ungünstig und unzweckmäßig als möglich angepasst erscheinen. 

Der gemeinsame und durchgreifende Charakter, der alle assimi- 
lierenden Pflanzen auszeichnet — die elektive Absorption des gesamten 
bian-violetten Endes und des Rot zwischen B und © — kann aber 
nicht anders als in kausaler Beziehung zur Assimilation gedacht und 
verstanden werden. 

Ist man daher gezwungen, die Thatsache anzuerkennen, dass die 
Maxima von Absorption und Sauerstoffabgabe im Spektrum bei den 
verschiedenfarbigen assimilierenden Pflanzen nicht zusammenfallen, so 
wird man auch gezwungen, den elektiven Absorptionen derselben im 
Blau- Violett und im Rot einen Einfluss und cine Bedeutung bei der 
Assimilation und in der Liehtwirkung auf die Pflanze zuzuschreiben, 
die außerhalb der Kohlensäurezersetzung liegen müssen. 

Das Nächste ist, wie ich mich bereits in frühern Aufsätzen schon 
zu zeigen bemüht habe, ihre Bedeutung in einer Beziehung zu den 
Oxydationsvorgängen der grünen Gewebe zu suchen. 

Schließlich noch eine Bemerkung inbetreff der Absorption der 
roten Strahlen zwischen B und C und der Deutung, die diese in 
letzter Zeit erfahren hat. 

In der Literatur des Gegenstandes, der uns beschäftigt, steht die 
Frage nach der Bedeutung grade dieser Strahlen für die Assimilation 
im Vordergrunde der Betrachtung. Es hat sich nach und nach die 
Ansicht verbreitet, als ob die Frage nach der Chlorophyllfunktion, 
und damit zugleich die nach der Liehtwirkung im Gaswechsel der 
Pflanze schon entschieden und erschöpft sei, sobald gezeigt ist, dass 
die Strahlen, die dem Absorptionsstreifen I im Chlorophyll entsprechen, 
einen positiven und hohen Wert für die Sauerstoffabgabe besitzen. 
Der Nachweis, dass dies der Fall ist, berührt jedoch nur die eine 
Seite des vorliegenden Problems. 

Zweifellos absorbiert die assimilierende Pflanzenzelle jeder Farbe 
sämtliche Strahlen des gesamten Spektrums — auch die vor B— 
nur in relativ vorschiedener Stärke. Ebenso steht es fest, dass die 
Strahlen jeder Wellenlänge —- vielleicht mit Ausnahme des Ultra- 
Rot — und zwar in verschiedener Intensität je nach dem photoche- 
mischen Wert der Schwingungsdauer für die Kohlensäurezersetzung, 





Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 151 


befähigt sind den Reduktionsakt in der Pflanze einzuleiten. Dies 
lehrt schon die unmittelbare Beobachtung im Mikrospektrum durch 
den Umfang, welchen die Bakterienbewegung im Spektrum einnimmt. 
Obgleich die Sauerstoffabgabe kein direktes Maß der Reduktion ist, 
so zeigt sie doch überall im Spektrum, wo sie auftritt, einen Ueber- 
schuss der Reduktion über die Oxydation an. Nun erstreckt sich oft 
genug die Bakterienbewegung im Mikrospektrum sichtlich über den 
ganzen Umfang des sichtbaren Spektrums und kann unter Umständen 
vom Rot vor B bis weit ins Violett reichen). Dass die roten Strahlen 
ebenso, wie alle andern sichtbaren Strahlen, einen positiven Wert 
für die Kohlensäurezersetzung besitzen, konnte daher und ist auch 
niemals in Frage gekommen, vielmehr nur, ob ihre Leistungen im 
Gaswechsel der Pflanze hiermit erschöpft sind. Hiergegen sprechen 
nun die bereits mehrfach dargelegten Gründe, namentlich die Unpro- 
portionalität, die zwischen der Absorption dieser Strahlen und ihrer 
Wirkung zur Anschauung gelangt. Man hat aber bisher immer nur 
den positiven Wert der roten Strahlen für die Reduktion im Auge 
gehabt und hat, indem man diesen zu demonstrieren beflissen war, 
die Bedeutung der roten Strahlen in dieser Richtung weit übertrieben. 
Das Aeußerste hierin leistet die Hypothese, welche die Absorption der 
roten Strahlen und zugleich die Kohlensäurezersetzung an eine be- 
sondere Atomgruppe im Chlorophylimolekül binden will. Ganz ab- 
gesehen von der Willkürlichkeit und größern oder geringern Wahr- 
scheinlichkeit dieser Vorstellung soll hier nur ihre Anwendung auf 
den vorliegenden Fall kurz beleuchtet werden. 

Auch Reinke hat diese Hypothese über die Wirkungsweise des 
Chlorophylifarbstoffes in neuerer Zeit aufgenommen. Er wurde bei 
seinen Untersuchungen im Spektrum?) auf sie geführt, weil er das 





4) Hierbei möchte ich noch auf den Umstand aufmerksam machen, dass 
auch inbezug auf den Umfang, über welchen die Sauerstoffabgabe im Spektrum 
sich ansdehnt, ebenso wenig Konstanz herrscht, wie bei der Größe der 
Sauerstoffabgabe in den einzelnen Spektralregionen. Oft geht die Bewegung 
der Bakterien bis weit hinter F, oft hört sie schon bei F auf. Auch dies ist 
vom Gesichtspunkte der alten Vorstellungen absolut unverständlich, so lange 
man eben auf die Oxydationsvorgänge nicht Rücksicht nimmt und die Sauer- 
stoffabgabe nur auf die Vorgänge im Chlorophyll zurückführen will. Die Be- 
deutung der Oxydationsvorgänge und dass sie bei der Sauerstoffabgabe keine 
unwesentliche Rolle spielen, sieht man bei den Untersuchungen im Mikrospek- 
trum besonders deutlich im Violett ausgesprochen, da hier auch bei gleich- 
farbigen Pflanzen trotz der gleichen Absorptionsbedingungen im Farbstoff die 
Sauerstoffabgabe bald weiter, bald weniger ins Blau- Violett hineinreicht. — 
%s wäre mehr als inkonsequent und unlogisch, wenn man die hieraus zu ziehen- 
den Folgerungen auf die violetten Strahlen beschränken und bei den anders- 
farbigen nicht berücksichtigen wollte. 

2) Berichte der Deutschen Bot. Gesellschaft, Bd. I, S. 414 und 8. 422; 
auch Bot. Zeit., 1881, Nr, 1—4 Schlussbemerkungen. 


IH2 Baginsky, Ursprung und Verlauf des Nervus acusticus des Kaninchens. 


Maximum der Sauerstoffabgabe in der Nähe von B fand, sich aber 
zugleich davon überzeugte, dass im Blau die Sauerstoffabgabe auch 
bei Aufhebung der Dispersion nur eine äußerst schwache ist. 
Er tritt deshalb bezüglich der Wirkungsweise der blauen Strahlen 
auf meine Seite, stellt aber wegen seiner Befunde im Rot im An- 
schluss an eine frühere Meinung von Hoppe-Seyler die Vermutung 
auf, dass die Zerlegung der Kohlensäure nicht vom ganzen Molekül 
des Chlorophylis ausgeht, sondern von einer bestimmten hypothe- 
tischen Atomgruppe desselben, welche optisch durch die Absorption 
der roten Strahlen charakterisiert sein soll. 

So lange man nur die grünen Pflanzen im Auge hat und der 
vollen Ueberzeugung ist, dass die roten Strahlen eine so dominierende 
Rolle bei der Sauerstoffabgabe spielen, mag man über das rein Hypo- 
thetische dieser Annahme, welche die unbekannte Funktion des noch 
unbekannten Chlorophyllmoleküls schon an seine noch unbekanntern 
Atomgruppen verteilen will, leichter hinwegkommen. Allein die Er- 
scheinungen der Sauerstoffabgabe im Spektrum bei braunen und roten 
Pflanzen zeigen sofort die Unhaltbarkeit auch dieser chemischen 
Hypothese. 

Jede braune und rote Alge zeigt in ihrem Absorptionsspektrum 
gleichfalls den dunkeln Absorptionsstreifen im Rot, der dem Chloro- 
phyliband I entspricht. Hierin gleicht sie der grünen Pflanze. Sie 
müsste demnach in ihrem Farbstoffe — gleichgiltig, ob man diesen 
als eine bloße Chlorophylimodifikation, oder ein Gemenge von Chloro- 
phyll und einem andern Farbstoffe ansieht — gleichfalls die von 
Hoppe-Seyler und Reinke hypothetisch angenommene Atomgruppe 
besitzen, welcher die Zersetzung der Kohlensäure übertragen sein soll. 
Nichtsdestoweniger liegt bei allen diesen Pflanzen das Maximum der 
Sauerstoffabgabe im Mikrospektrum mit einer Entschiedenheit, die 
jeden Zweifel ausschließt, nieht im Rot, sondern fällt weit ins Gelb 
und Grün des Spektrums hinein. Es ist dies offenbar ein Beweis, 
dass die Bedeutung der roten Strahlen zwischen B und € für die 
Kohlensäurezersetzung mindestens weit überschätzt wird, und dass 
jedenfalls die Vorstellung einer besondern, die roten Strahlen ab- 
sorbierenden Atomgruppe im Chlorophyll, von welcher die Zersetzung 
der Kohlensäure vorzugsweise ausgehen soll, nicht haltbar ist. 


Ueber den Ursprung und den zentralen Verlauf des 
Nervus acusticus des Kaninchens. 
Von Dr. B. Baginsky'!). 
Die Gudden’sche Methode, dem Ursprunge der Nerven und den 
Verbindungen der zentralen Teile mittels operativer Angriffe des 


4) Aus den Sitzungsber. d. k. preuß. Akad. d. Wissensch., 1886, XII 





Baginsky, Ursprung und Verlauf des Nervus acustieus des Kaninchens. 155 


Nervensystems neugeborner Tiere nachzugehen, hat in jüngster Zeit 
mit Vorteil auch für den Nervus acusticus Verwertung gefunden. Vor- 
her hatte die Untersuchung des Gehörnerven an Serienschnitten bloß 
zu unzuverlässigen Ergebnissen geführt, und man hatte etwa nur an 
den Ursprung des Acustieus aus dem vordern, dem äußern und dem 
innern Acusticuskern glauben können. Dagegen hat von Monakow 
nachgewiesen, dass beim Kaninchen der äußere Acusticuskern in gar 
keinen Beziehungen zum Nervus acustieus steht. Und Forel und 
Onufrowiez haben nicht bloß dies bestätigen, sondern auch es für 
mehr als zweifelhaft erklären können, dass der innere Acusticuskern 
direkte Konnexionen mit dem Hörnerven hat. Nur das Tubereulum 
laterale (Stieda), oder den Nacken des Kleinhirnschenkels (Stilling) 
und den vordern Acusticuskern fanden diese Forscher in enger Ver- 
bindung mit dem Acusticus, wahrscheinlich ausschließlich mit der 
hintern Wurzel desselben; die vordere Wurzel des Acusticus schien 
ihnen zu einem ventral vom Bindearm des Kleinhirns gelegenen Kern 
zu verlaufen. Weiter im Hirn haben sie die Bahnen des Acusticus 
nieht verfolgen können. 

Immerhin waren es doch nur spärliche Ergebnisse, welche hier 
die Gudden’sche Methode soweit geliefert hatte. Die Schuld schienen 
die besondern Schwierigkeiten zu tragen, welche die isolierte Zer- 
störung des Acusticus am neugebornen Tiere sowohl wegen der ver- 
steckten Lage des Nerven, wie wegen der Nachbarschaft des Gehirns 
und anderer Nerven geboten hatte: Schwierigkeiten, welche infolge 
des raschen Todes der Tiere oder der schweren Nebenverletzungen 
die Methode für diesen Fall sogar als unbrauchbar hatten erklären 
lassen. Diese Schwierigkeiten habe ich durch eine andere Operations- 
methode beseitigen können. Geht man nicht durch den äußern Gehör- 
gang, sondern von der Schädelbasis her dicht am Kieferwinkel durch 
das Trommelfell in die Paukenhöhle ein, so kann man das Gehörorgan 
ohne Nebenverletzungen ausbohren, und man gewinnt Tiere, welche 
bei im übrigen ungestörter Gesundheit, ohne Verdrehung des Koptes, 
ohne jede Störung in den Bewegungen, lange am Leben bleiben und 
sich normal entwickeln. 

An drei solehen Kaninchen, welche rechtsseitig operiert und 
nach sieben bis acht Wochen getötet waren, habe ich die folgenden 
Ergebnisse erhalten. Die Gehörorgane waren nach Konservierung in 
Flemming’sceher Flüssigkeit in Serienschnitte zerlegt. Die Gehirne 
waren in Müller’scher Flüssigkeit erhärtet und in frontaler Richtung 
geschnitten, die einzelnen Schnitte waren nach W eigert mit Häma- 
toxylin gefärbt. 

Die Gehörschnecke war vollständig zerstört. Ihre Windungen, 
deren Konturen sich meist noch erkennen ließen, waren von einem 
feinen Bindegewebe erfüllt, in dessen Maschen sich hier und da ver- 
einzelte atrophische Nervenfasern und schollige Elemente des Ganglion 


154 Baginsky, Ursprung und Verlauf des Nervus acusticus des Kaninchens. 


spirale fanden. An der Basis der Schnecke zeigte sich der Nervus 
eochleae beim Eintritt in den Modiolus hochgradig atrophisch. Saceulus, 
Utrieulus und die Ampullen waren überall unversehrt, ebenso der 
Nervus vestibularis mit seinem Ganglion. 

Die vordere Acustieuswurzel war stets unverändert. Dagegen war 
die hintere Wurzel, und zwar sowohl ihre Fasern wie die zwischen 
diesen befindlichen Ganglienzellen, fast völlig atrophisch. Das Tuber- 
culum laterale (Stieda) war so verschmälert, dass die Verkleinerung 
desselben schon bei der makroskopischen Betrachtung der Querschnitte 
sich deutlich erkennen ließ. 

Der äußere oder Deiters’sche Acusticuskern war auf beiden 
Seiten vollständig intakt, ebenso auf der linken Seite der innere und 
der vordere Acustieuskern. Am innern Acusticuskern der rechten Seite 
bestand ein ganz geringer Schwund der den Kern durchsetzenden 
feinen Nervenfasern. Der vordere Acusticuskern der rechten Seite 
war fast ganz atrophisch. 

Im Tubereulum laterale verschwand, wie es den Angaben von 
Stieda entspricht, ein Teil der Fasern der hintern Wurzel. Der 
andere Teil der atrophischen Fasern folgte der Krümmung des Tuber- 
culum, legte sich an die laterale Seite des Corpus restiforme an, um- 
kreiste dasselbe dorsalwärts und schien sich in ein feines, sehr ver- 
zweigtes Fasernetz aufzulösen, welches, die innere Abteilung des 
Kleinhirnstiels zum Teil durchflechtend, medialwärts von demselben 
der Raphe zustrebt und in die Fibrae arcuatae übergeht. Dieses 
feine Fasernetz zeigte auf allen Schnitten in der Höhe der hintern 
Wurzel einen erheblichen Faserschwund und Atrophie. 

Auf der dorsalen Seite des Corpus restiforme gesellte sich zu dem 
vorbeschriebenen Faserzug hinzu und mischte sich mit ihm ein anderer 
Faserzug, der auf allen Schnitten reehterseits in der Höhe der hintern 
Wurzel einen deutlichen Faserschwund zeigte; — wahrscheinlich die 
Striae medullares. Auch am Corpus trapezoides und der obern Olive 
der operierten Seite war ein mäßiger Faserschwund bezw. eine mäßige 
Verkleinerung zu konstatieren. Am Corpus restiforme, Pons, Üere- 
bellum, Bindearm, hintern Längsbündel boten sich merkliche Verände- 
rungen nirgends dar. 

Weiter in der Riehtung zum Großhirn traten Veränderungen erst 
dort wieder klar hervor, wo die untere Schleife in den hintern Vier- 
hügel einstrahlt. Hier ergab sich ein erheblicher Schwund von Fasern 
der untern Schleife auf der linken, also der der Operationsstelle ent- 
gegengesetzten Seite und nur auf dieser Seite. Je weiter aufwärts, 
desto beträchtlicher war die Degeneration. Auf derselben Seite zeigte 
sich auch Atrophie im Arm des hintern Vierhügels, und der hintere 
Vierhügel selbst war, wenn auch nieht bedeutend, so doch sichtlich 
kleiner. Am linken Corpus genieulatum internum war ein Faser- 
schwund deutlich; auch schien bei unveränderten Ganglienzellen die 








Baginsky, Ursprung und Verlauf des Nervus acustieus des Kaninchens. 155 


gelatinöse Substanz verändert und geschrumpft zu sein. Am Thalamus, 
Corpus genieulatum externum und Großhirn machten sich Verände- 
rungen nicht bemerklich. 

Demnach steht beim Kaninchen die hintere Acustieuswurzel mit 
der Schnecke allein in Verbindung und entspringt von dem Tuber- 
eulum laterale (Stieda) und dem vordern Aecusticuskern der gleichen 
Seite. Von hier aus verläuft ein Nebenfaserzug durch das Corpus 
trapezoides zur obern Olive der gleichen Seite. Der Hauptfaserzug 
verläuft in der Richtung zum Großhirn hin durch die untere Schleife 
der entgegengesetzten Seite zu dem hintern Vierhügel und dem Corpus 
genieulatum internum eben dieser Seite. Die der direkten Beobach- 
tung sich entziehende Kreuzung der letztern Fasern muss in der Me- 
dulla oblongata oder im Pons stattfinden und eine vollständige sein. 

Nimmt man dazu, dass v. Monakow infolge seiner Exstirpationen 
am Schläfenlappen neugeborner Kaninchen die zugehörigen Stabkranz- 
bündel, deren Fortsetzung in die innere Kapsel und das Corpus geni- 
eulatum internum der gleichen Seite atrophisch gefunden hat, so ist 
die Verbindung zwischen dem Großhirn und dem Nervus cochleae 
aufgehellt und für das Ergebnis des physiologischen Experiments 
(H. Munk) das anatomische Substrat gefunden. Auch zeigt sich eine 
bemerkenswerte Analogie im Verhalten der optischen und akustischen 
Bahnen, insofern einerseits Exstirpation der Sehsphäre vollständige 
Atrophie des Corpus geniculatum externum, Exstirpation der Hör- 
sphäre vollständige Atrophie des Corpus genieulatum internum zur 
Folge hat (v. Monakow), anderseits Zerstörung des Auges nur eine 
geringe, auf die gelatinöse Substanz und die Nervenfasern beschränkte 
Atrophie des Corpus geniculatum externum, Zerstörung der Schnecke 
eine entsprechende Atrophie des Corpus geniculatum internum nach 
sich zieht. Es schließen sich die Vierhügel an, der vordere Vierhügel 
den optischen Bahnen, der hintere den akustischen Bahnen zugehörig. 

Bei den misslungenen Versuchen waren die operierten Tiere in 
ihrer Entwicklung erheblich zurückgeblieben und hatten Kopfverdreh- 
ung oder andere Bewegungsstörungen (Drehungen, Ataxien) gezeigt. 
Hier fand sich, außer Veränderungen in der Schnecke, Atrophie der 
hintern Acusticuswurzel und Atrophie der Facialiswurzel. Besonders 
interessant war ein Fall, bei dem während des Lebens Kopfverdrehung 
bestand und die anatomische Untersuchung eine vollständige Atrophie 
des Facialis bis zum Kern und zentralwärts darüber hinaus ergab, 
während beide Gehörlabyrinthe gar nicht alteriert und beide Wurzeln 
der Acustiei intakt und normal waren. 

Die Untersuchung ist im physiologischen Laboratorium der Tier- 
arzneischule (zu Berlin) ausgeführt. 


156 König, Ueber den Gesichtssinn der Zulu-Kaffern. 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 


Physikalische Gesellschaft zu Berlin. 
Sitzung vom 16. März 1885. 


Herr A. König machte folgende Mitteilung „Ueber den Ge- 
sichtssinn der Zulu-Kaffern“. 

Die augenblickliche Anwesenheit einer Zulutruppe in Berlin hat 
mich veranlasst, die bereits mehrfach einer Untersuchung unterzogene 
Frage nach der Beschaffenheit des Farben- und Raumunterscheidungs- 
vermögens wilder Völkerstämme einem nochmaligen Beantwortungs- 
versuch zu unterziehen. Mit liebenswürdigster Bereitwilligkeit diente 
mir Herr Kommandant A. Schiel als Dolmetscher bei diesen Prüfungen. 

Bei Anwendung der Snellen’schen Sehproben für Analphabeten 
ergab sich bei den drei Zulumännern die Sehschärfe 4. Die Zulufrau 
war nicht zur Vornahme einer solehen Prüfung zu bewegen. Sie be- 
hauptete auf den Tafeln nichts sehen zu können. Eine fokale Be- 
leuchtung ihres linken Auges ergab nun auch thatsächlich das Vor- 
handensein eines Residuums der Pupillarmembran, welches in ihrem 
Gesichtsfelde entoptisch wahrnehmbar sein musste. Sie zeichnete auch 
ganz bestimmt und sicher einen schwarzen Fleck hin, der in seinen 
Umrissen überraschend genau mit der ihr ja sonst unbekannten äußern 
Gestalt jenes Residuums übereinstimmte. Ihr rechtes Auge war an- 
scheinend ganz normal. 

Der 9Yjährige Knabe besaß nur die Sehschärfe 1,5. Dieser Um- 
stand legt die Vermutung nahe, dass jene auffallend große Sehschärfe 
bei den erwachsenen männlichen Zulus verursacht ist durch eine in- 
folge großer Uebung (bei der Jagd u. s. w.) erworbene Gewandtheit 
im Umherführen des Blickes, und nicht durch eine (übrigens ja auch 
mit allen sonstigen anatomischen Ergebnissen im Widerspruch stehende) 
geringe Größe der Perzeptionselemente für die Lichtempfindung. Bei 
dem Kinde ist zu einer solchen Uebung noch keine Gelegenheit ge- 
wesen und daher der Blick noch nicht geschärft. 

Inbezug auf den Farbensinn nahm ich zunächst eine Prüfung 
mittels des von Herrn v. Helmholtz konstruierten Leukoskopes vor, 
und es ergab sich, dass das gesamte Farbensystem der Zulus genau 
mit dem triehromatischen Farbensystem der Europäer 
übereinstimmte. 

Farbenbezeichnungen, welche nicht auf der Vergleiehung mit all- 
gemein bekannten Gegenständen beruhen, haben sie für Schwarz 
(gleichbedeutend mit Dunkel), Weiß (gleichbedeutend mit Hell), Rot, 
Gelb und Blau. Diese Bezeichnung für Rot bezieht sich aber nur 
auf eine ganz bestimmte Nüance von Rot, welche etwa unserem reinen 
Spektralrot (Wellenlänge 660 bis 730 uw) entspricht. Weicht das Rot 
etwas nach Purpur oder Orange ab, so benutzen sie sofort bei ihnen 








König, Beziehung zwischen der Sehschärfe und der Beleuchtungsintensität. 157 


allgemein bekannte Blumen zur Bezeichnung der Farbe. Ihre Worte 
für Gelb und Blau haben keine so beschränkte Verwendung, sondern 
werden für alle Nüaneen dieser Farben benutzt. Grün wird bezeichnet 
durch „grasfarbig“. Die Bezeichnung für Violett wird einem im Zulu- 
lande sehr verbreiteten Steine entlelnt, über den ich näheres nicht 
zu erfahren vermochte. 

Die weißliehen ungesättigten Nüancen aller Farben bezeichnen 
sie durch Anhängung der Silbe „ngäs“ an das Wort für die gesättigte 
Farbe. Diese Silbe wird auch sonst vielfach von ihnen benutzt und 
hat die Bedeutung „jung, hübsch“. (So erhält z. B. durch Anhängung 
dieser Silbe das Wort, durch welches sie in ihrer Sprache eine alte 
Frau bezeichnen, die Bedeutung: eine Frau in den mittlern Lebens- 
jahren. Fügen sie es dem Worte „Frau“ hinzu, so heißt dieses nun- 
mehr: „Mädchen, Jungfrau“. „Kuh“ wird dadurch in „Kalb“ ver- 
wandelt u. s. w.) 

Aus alle diesem geht hervor, dass sie die Farben immerhin mit 
großer Aufmerksamkeit betrachten. 

Weitere Einzelheiten dieser Untersuchung werde ich nach der 
Anstellung von ähnlichen Prüfungen an andern Völkerstämmen später 
publizieren. 


Sitzung vom 4. Dezember 1885. 


Herr A. König sprach im Anschluss an Versuche, welche auf 
seine Veranlassung Herr W. Uhthoff im Physikalischen Institut 
der Universität zu Berlin ausgeführt hat: „Ueber die Beziehung 
zwischen der Sehsehärfe und derBeleuchtungsintensität“. 

Aus dem Vortrage, der eine historische Darstellung der bisher 
benutzten Methoden zur Bestimmung der Intensitätsverteilung im Spek- 
trum enthielt und auf manche psycho-physische Fragen, insbesondere 
hinsichtlich der Berechtigung ihrer Aufstellung näher einging, sei hier 
nur kurz dasjenige erwähnt, was mit den genannten Versuchen in 
näherem Zusammenhange steht. 

Die Herren Mac& de Lepinay und W. Nicati!) haben die 
Sehschärfe bei spektraler Beleuchtung als Maß für die Intensität des 
benutzten Lichtes aufgestellt: solange die Wellenlänge 507 uw über- 
steigt. Um die Berechtigung hierzu zu erbringen, mussten sie natür- 
lich zuerst den Nachweis geben, dass bei veränderter Intensität des 
gesamten Spektrums sich die aufgrund ihrer Methode gewonnene 
relative Intensität der verschiedenen Teile des Spektrums nicht ändert. 
Es ist dieser Nachweis von den genannten Herren nun bis zu einem 
gewissen Grade erbracht worden. Aber um ihre Methode als eine 





1) J. Mac& de Lepinay und W. Nieati. Annales de Chimie et de 
Physique. (5) XXIV, 289. 1881. 


158 König, Beziehung zwischen der Sehschärfe und der Beleuchtungsintensität. 


völlig einwurfsfreie hinzustellen, hätten sie die Intensität in demselben 
Grade variieren müssen, wie sich nachher das Verhältnis der Inten- 
sitäten zwischen den hellsten und den dunkelsten Teilen des unter- 
suchten Spektrums ergibt. Dann, aber auch nur dann wäre ihr Ver- 
fahren ein in sich gestütztes gewessen. Es ist dieses jedoch nicht 
geschehen. Sie haben die Intensität der zur Prüfung ihrer Methode 
benutzten Spektren nur in dem Verhältnis 1:16 (entsprechend einer 
Aenderung der Sehschärfe von 1: 2,1) variiert; hingegen ist das von 
ihnen bestimmte Intensitätsverhältnis zwischen der dunkelsten und 
hellsten Region des hier in betracht kommenden Intervalles des Spek- 
trums (681 uw bis 507 uw) wie 1:67. Zur Ausfüllung dieser Lücke 
in der Untersuchung der Herren J. Mace& de Lepinay und W.Ni- 
cati habe ich Herrn W. Uhthoff veranlasst, die Abhängigkeit der 
Sehschärfe von der Intensität der Beleuchtung innerhalb viel größerer 
Intervalle zu bestimmen. Da diese Frage auch abgesehen von ihrer 
speziellen Veranlassung großes Interesse besitzt, so wurde in der 
Variation der Intensität so weit gegangen, als es die experimentellen 
Einrichtungen überhaupt erlaubten, und neben farbigem Lichte auch 
weißes benutzt. Die Beobachtungsmethode ist schon früher bei einer 
kurzen vorläufigen Mitteilung über einen Teil dieser Untersuchung 
von Herrn W. Uhthoff selbst angegeben worden!). Die Bestimmung: 
der Sehschärfe bei farbigem Lichte geschah, abweichend von dem 
dort angegebenen Verfahren, nicht durch Vorsetzen von farbigen Ab- 
sorptionsmitteln vor die weiße Lichtquelle, sondern indem schwarze, 
sorgfältig berußte Snellen’sche Hakenproben auf farbigem Unter- 
grund angebracht waren. Es wurden hierzu die vorzüglichen von 
Herrn L. Wolffberg?) vorgeschlagenen roten, gelben, grünen und 
blauen Tuche aus der Fabrik von J. Marx (in Lambrecht in der Pfalz) 
benutzt. Die Untersuchung wurde auf fünf Personen ausgedehnt, von 
denen die eine (Herr B.) grünblind war; die vier übrigen Personen 
besaßen normale trichromatische Farbensysteme. Die Refraktions- 
anomalien der Beobachter wurden sorgfältig korrigiert. 

Als Einheit der Beleuchtungsintensität ist diejenige einer in 6 m 
Entfernung stehenden Normalkerze angenommen. Die Sehschärfe ist 
in Snellen’schem Maße gerechnet. 


Herr=B. 
Sehschärfe 
Intensität weiß gelb rot grün blau 
3600 1.54 1.24 1.03 0.41 0.34 
1175 1.22 1.03 0.92 0.30 0.31 





14) W. Uhthoff. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu 
Berlin. Sitzung vom 13. Februar 1855. 

2) L. Wolffberg. Sitzungsbericht der physikalisch-medizinischen Gesell- 
schaft zu Erlangen vom 12. Mai 1834, und Gräfe’s Archiv für Ophthalmologie 
XXXlI (1) 1885. 








König, Beziehung zwischen der Sehschärfe und der Beleuchtungsintensität. 


Intensität 


400 
144 
36 
16 








weiß 
0.97 
0.97 
0.52 
0.40 
0.34 
0.24 
0.15 
0.083 
0.042 


1.90 
1.87 
1.50 
1.24 
0.89 
0.70 
0.56 
0.30 
0.12 
0.061 
0.009 


(rl 
1:79 
1.32 
0.57 
0.36 
0.22 
0.17 
0.10 
0.080 
0.063 
0.017 


2.03 
1.20 
1.52 
1.34 
1.05 


Herr B. 
Sehschärfe 
gelb rot 
0.96 0.89 
0.80 0.74 
0.61 0.45 
0.50 0.40 
0.40 0.29 
0.23 0.063 
0.14 0.007 
0.07 — 
0.02 — 
Herr D. 
2.00 1.90 
1.80 1.69 
1.69 1.23 
1.54 1.08 
1.33 0.57 
0.62 0.33 
0.47 027 
0.23 0.095 
0.10 0.015 
0.042 — 
0.012 -— 
Herr K. 
1.45 1:15 
1.35 1.07 
1.28 0.97 
0.87 0.80 
0.70 0.49 
0.42 0.32 
0.40 0.19 
0.21 0.050 
0.15 0.007 
0.077 — 
0.024 — 
Herr R. 
2.00 1.82 
1.85 1.44 
1.69 1.33 
1.54 1.08 
113 0.58 


grün 
0.17 
0.11 
0.083 
0.073 
0.066 
0.052 
0.041 
0.015 


0.71 
0.64 
0.40 
0.24 
0.12 
0.088 
0.067 
0.046 
0.030 
0.004 


blau 
0.19 

0 

0.061 
0.058 
0.052 
0.042 
0.029 


0.25 
0.25 
0.16 
0.11 
0.073 
0.065 
0.061 
0.058 
0.030 


159 


160 König, Beziehung zwischen der Sehschärfe und der Beleuchtungsintensität. 


Herr R. 
Sehschärfe 
Intensität Sr Tee TEN ö 
15 0.85 0.77 0.43 0.080 0.067 
6 0.68 0.61 0.26 0.075 0.057 
1.5 0.33 0.28 0.063 0.069 0.046 
0.6 0.15 0.18 0.006 0.088 0.033 
04 0.070 0.049 = 0.004 0.002 
0.01 0.043 0.018 _- — u 
Herr U. 
3600 2.00 2.15 2.00 0.66 0.37 
141773 2.00 215 1.74 0.56 0.32 
400 1.80 2.10 1553 0.35 0.25 
144 1.59 1.68 1.12 0.16 0.14 
36 1.14 0.92 0.61 0.092 0.077 
15 0.93 0.74 0.43 0.077 0.066 
6 0.74 0.53 0.26 0.069 0.056 
je) 0.34 0.26 0.058 0.058 0.046 
0.6 0.21 0.16 0.007 0.044 0.033 
0.1 0.074 0.038 — 0.004 0.002 


0.01 0.024 0.015 — ae BaIR 


Eine ausführliche Interpretation dieser Beobachtungsresultate, 
welehe baldigst an einem andern Orte gegeben werden soll, zeigt, 
dass sie mit den Ansichten der Herren J. Mac& de Lepinay und 
W. Nicati im allgemeinen ziemlich übereinstimmen, solange man 
nur verhältnismäßig geringe Intensitätsvariationen in Rücksicht zieht. 
Bei großen Intensitätsveränderungen tritt jedoch eine erhebliche Ab- 
weichung hervor. 





Verlag von August Hirschwald in Berlin. 
Soeben erschienen: 
Grundzüge 
der 


anatomischen und klinischen 


Chemie, 
Analekten für Forscher, Aerzte und Studierende 
von Dr. Ludwig J. W. Thudiehum. 
1886. gr. 8. 10 Mark. 











Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. 





Biologisches Centralblatt 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 





24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 





VI. Band. 15. Mai 1886. Nr. 6. 








Inhalt: Virchow, Deszendenz und Pathologie (Schluss). — A. Kölliker, Stiftchen- 
zellen in der Epidermis von Froschlarven. — Vusmaer, Einige neuere Arbeiten 
über Schwämme. — Langendorff, Die chemische Reaktion der grauen Sub- 
stanz. — Fritz Müller, Feijoa, ein Baum, der Vögeln seine Blumenblätter als 
Lockspeise bietet. — Ein in tiergeographischer Hinsicht interessanter Fund. — 
H. Dewiiz, Anleitung zur Anfertigung und Aufbewahrung zootomischer Präparate. 





Rud. Virchow, Deszendenz und Pathologie. 
(Schluss.) 


Wenn es mir gelungen sein sollte, das Verhältnis zwischen Thero- 
morphie und Atavismus klarer zu stellen, als es in der Auffassung 
vieler unserer Zeitgenossen sich darstellt, wenn namentlich der Ge- 
danke Anerkennung finden sollte, dass es zwei Arten von Thero- 
morphie gibt, eine atavistische und eine erworbene, so 
wird auch der Schluss zugelassen werden, den ich ziehe, dass es vor 
allem darauf ankommt, die Merkmale aufzusuchen, durch welche sich 
diese beiden Arten unterscheiden. Auf den ersten Blick freilich könnte 
es scheinen, als sei die Sache sehr einfach, als komme es nur darauf 
an zu ermitteln, ob die Theromorphie erblich sei oder nicht. Es mag 
dem gegenüber zunächst darauf hingewiesen sein, dass, auch ganz 
abgesehen von der Erblichkeit erworbener Theromorphien, es keines- 
wegs immer leicht ist, in dem einzelnen Falle zu beweisen, dass Erb- 
lichkeit vorhanden sei, und noch weniger leicht zu beweisen, dass keine 
Erblichkeit vorhanden sei. Denn der Atavismus soll ja auch solche 
Eigenschaften wieder zur Erscheinung bringen, die in unvordenklichen 
Zeiten einmal typisch waren; ungezählte Generationen sollen also 
zwischen dem gegenwärtigen Rückschlag und der einst normalen Ge- 
staltung liegen können. 

Aber der Gegensatz zwischen atavistischer und erworbener Thero- 
morphie ist überhaupt nicht darin zu suchen, dass die eine erblich 
ist und die andere nicht. Denn auch die erworbene Theromorphie 
kann sich vererben, und der Unterschied von der atavistischen be- 

NN, 11 


169 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


> 


steht dann nur darin, dass wir ihren Beginn in eine nähere Vergangen- 
heit und bis auf ein bestimmtes Individuum historisch verfolgen können. 
Man denke nur an die erbliche Myopie und Mikrophthalmie, an die 
Hasenscharte, an die Familien der sogenannten Haar- und Stachel- 
schweinmenschen. 

Ich muss hier jedoch einschalten, dass man in der neuern Zeit 
angefangen hat, das Wort Atavismus in einem zu laxen Sinne zu ge- 
brauchen. Auch Darwin selbst hat nicht streng genug unterschieden. 
Nicht jeder „Rückschlag“ ist ein Ausdruck von Atavismus. Freilich 
kommt niemals Atavismus ohne Rückschlag vor. Man kann ihn so 
definieren: Atavismus ist diskontinuierliche Vererbung. 
Aber in der Medizin, in welcher die Lehren von der Vererbung so 
lange und so sorgsam ausgebildet worden sind, hat man nie Bedenken 
getragen, auch die Erscheinungen diskontinuierlicher Vererbung als 
erbliche zu bezeichnen, sobald die Unterbrechung nicht zu lange dauerte. 
Atavus bedeutet bekanntlich den Vater des Urgroßvaters, also einen 
Vorfahren im 4. Gliede, und Atavismus müsste daher mindestens eine 
Vererbung mit Ueberschlagung von 3 Generationen bezeichnen. Jetzt, 
wo man auch eine Ueberschlagung von 1000 Generationen und mehr 
unter demselben Namen unterbringt, sollte man um so vorsichtiger 
sein, die ganz gemeinen Vorgänge des Ueberschlagens von einer 
Generation oder von zwei anders zu benennen, als mit dem Namen 
der diskontinuierlichen Vererbung, während Atavismus etwa durch 
Ahnen-Erbschaft verdeutscht werden könnte. 

Somit würden wir genau genommen drei Arten der Theromorphie 
unterscheiden müssen: die selbsterworbene, die aus einem 
erworbenen Individualverhältnis her ererbte und die 
eigentlich atavistische. Alle drei sind an sich pathologische Er- 
scheinungen, denn auch die atavistische Tierähnlichkeit (ich rede hier 
aus praktischen Gründen nur von der Tierähnlichkeit, obwohl auch 
die Menschenähnlichkeit in eine analoge Betrachtung gezogen werden 
kann), wenn sie plötzlich nach Ueberspringung von Generationen an 
einem Individuum durch Rückschlag wieder hervortritt, stellt eine 
Abweichung von dem inzwischen fixierten Art- oder Gattungstypus 
dar. Aber ich erkenne an, dass die einfach erworbene Theromorphie 
noch viel mehr pathologisch ist, und dass auch die Vererbung der- 
selben an dieser Auffassung nicht viel ändert. 

An einer frühern Stelle hob ich als Merkmal des Atavismus die 
Spontaneität seines Hervortretens hervor. Nach dem in der Medizin 
herkömmlichen Sprachgebrauch soll damit keineswegs der Mangel 
eines Grundes, ein bloßer Zufall ausgedrückt sein. Mit Recht weist 
Herr Hensen in einem sehr lehrreichen Aufsatze über „Die Grund- 
lagen der Vererbung nach dem gegenwärtigen Wissenskreis“ (Land- 
wirtschaftl. Jahrbücher von Dr. H. Thiel, Berlin 1885, 8. 764) die 
Auffassung des Atavismus als eines Spiels des Zufalls zurück. Er 


Virchow, Deszendenz und Pathologie. 163 


führt aus, dass „bei jeder Zeugung sowohl der Typus, wie die indi- 
viduelle Rasseneigentümlichkeit vererbt wird“, und dass daher, „wenn 
die durch die Rassenbildung gesetzte kleine Modifikation des einen 
oder andern Charakters sehr schwach vertreten ist, oder wenn die 
verschiedenen Teile sich nicht recht addieren können, dieser Teil der 
Rasseneigentümlichkeit ausfällt und der Typus rein hervortritt“. Ich 
würde das so ausdrücken, dass die Variation bestimmte Hemmungen 
oder Exzesse der typischen Bildung herbeiführt, und dass jedesmal 
dann, wenn die durch die Variation geschaffene Zwangslage beseitigt 
wird, der latent gewordene Typus wieder zur Erscheinung kommt. 
Wenn Herr Hensen anerkennt, dass man aus den Fällen des Atavis- 
mus häufig einen Schluss auf den alten Grundtypus des Organismus 
machen könne, aber hinzufügt: „nur ist es nicht berechtigt, dabei 
eine Vererbung von den Ahnen herbeizuziehen“, so ist mir diese 
Reservation nieht ganz verständlich, es müsste denn sein, dass Herr 
Hensen den Begriff des Atavismus in dem vorher von mir zurück- 
gewiesenen, zu weiten Sinne vieler neuern Autoren nimmt. Der 
wahre Atavismus ist nach meiner Auffassung stets erb- 
lich, und insofern kann man nicht bloß, sondern muss man aus seinem 
Hervortreten auch die Vererbung von Ahnen ableiten. 

Es dürfte sich empfehlen, die von mir aufgestellten Sätze an be- 
stimmten praktischen Beispielen zu prüfen. Ich wähle dazu dasjenige 
Gebiet, welches von jeher die größten Schwierigkeiten geboten hat, 
das der Doppel- und Mehrbildungen (Duplieitas s. Pluralitas 
monstrosa). Hier hat sich stets eine Anzahl exklusiver Erklärungen 
gegenüber gestanden. Dass man zu keiner Einigung gelangt ist, er- 
klärt sich meiner Meinung nach eben aus der Exklusivität, welche 
jede dieser Erklärungen für sich in Anspruch genommen hat. Es ist 
eben dieselbe Erscheinung, die uns in der Geschichte der Medizin so 
oft begegnet, und die so viel dazu beigetragen hat, die Vorstellung 
zu unterstützen, als sei die Medizin die Wissenschaft des Unsichern. 
Statt anzuerkennen, dass in jeder der vorgetragenen Lehren ein Korn 
von Wahrheit steckt, hat man eine nach der andern verworfen, weil 
sie nicht auf alle Fälle passte. Wie wäre es, wenn wir die Berech- 
tigung mehrerer derselben neben einander anerkennten? Vielleicht 
passt die eine auf eine gewisse Zahl von Fällen, die andere auf eine 
gewisse andere Zahl. Nur dürfen dann natürlich diese Fälle nicht 
eklektisch zusammengelesen, sondern sie müssen organisch geordnet 
werden. 

Das Verführerische für die Forderung einer einheitlichen, allgemein 
giltigen Erklärung liegt in dem Umstande, dass es nicht die mindeste 
Schwierigkeit macht, eine ununterbrochene Reihe aufzustellen, welche 
mit den vollständig getrennten und selbständigen Zwillingen anhebt, 
demnächst auf die Doppelmissbildungen übergeht und schließlich mit 
der bloßen Verdoppelung einzelner Teile in einem einfachen Organismus 

a 


164 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


endet. Gesteht man einmal zu, dass diese Reihe einen innern orga- 
nischen Zusammenhang hat, dass sie also eine genetische Reihe ist, 
so folgt mit zwingender Notwendigkeit auch der Anspruch, einen 
einheitlichen Erklärungsgrund für sie aufzustellen. 

Aber wodurch beweist man, dass dies eine zusammenhängende 
Reihe ist? Durch nichts Anderes als durch den Zusammenhang der 
Formen, also durch rein morphologische Thatsachen. Es sieht sehr 
vernünftig aus, wenn man ein drittes Bein ebenso erklärt, wie einen 
sechsten Finger, und doch — was hat ein Finger mit einem Bein zu 
thun? Ein dritter Arm hat genetisch denselben Rang mit einem dritten 
Bein, aber ein sechster Finger oder eine sechste Zehe darf nicht ohne 
weiteres in die gleiche Stellung versetzt werden. Noch viel weniger 
darf ein sechster Finger als Vertreter eines vollständigen Zwillings 
hingestellt werden. Mit demselben Recht könnte man behaupten, ein 
überzähliger Zahn oder Wirbel sei das Rudiment eines im übrigen 
verschwundenen Zwillings. 

Zahlreiche Gattungen von Säugetieren gebären regelmäßig zwei 
oder mehrere Junge. Ein begeisterter Deszendenzmann könnte daher 
jede Zwillings- oder Mehrlingsgeburt bei einer Frau als 
Atavismus erklären und damit sofort bis über die Affen hinaus auf 
irgend einen tierischen Ahnen zurückgehen. Der Umstand, dass in 
manchen Familien oder gar Stämmen Zwillingsgeburten häufig sind, 
ja dass sich die Neigung, Zwillinge hervorzubringen, ganz sicher von 
der Mutter auf ihre weibliche Deszendenz, bald in kontinuierlicher, 
bald in diskontinuierlicher Erbfolge fortpflanzt, liefert Materialien zu 
einer solehen Beweisführung. Rechnet man dazu das Auftreten über- 
zähliger Brustwarzen und ganzer Brüste, die sogenannte Polythelie, 
die nicht ganz selten bei Frauen, zum Ueberfluss auch zuweilen bei 
Männern vorkommt, und von der sogar ein erbliches Beispiel existiert 
(E. Martin, Histoire des monstres. Paris 1880, p. 247), so lässt 
sich sehr bald ein genügend ausgeführtes atavistisches Bild gewinnen. 

Allein dieses Bild enthält neben einander zwei unmöglich durch 
eine gemeinsame Erklärung zu deutende Elemente. Eine überzählige 
Brust ist ebensowenig ein Rudiment eines Zwillings, wie ein über- 
zähliger Finger. Polythelie und Zwillingserzeugung gehören nicht 
einer und derselben Reihe von Erscheinungen an. Selbst wenn sie 
beide stets atavistisch wären, würde man sie auseinanderhalten müssen. 
Denn eine überzählige Brust entsteht nicht aus einem besondern Ovulum, 
sondern aus einem kleinen Teile des aus dem gemeinschaftlichen Ovulum 
hervorgegangenen Keimblattes. Die Erblichkeit hat in beiden Fällen 
einen ganz verschiedenen Sitz. 

Die Zwillingsschwangerschaft selbst hat man schon lange auf- 
gehört als ein stets gleichwertiges Phänomen zu betrachten. Zwillinge 
können aus zwei präexistierenden, aber völlig getrennten und unab- 
hängigen Ovula hervorgehen, aber auch aus einem einzigen Ovulum 


Virchow, Deszendenz und Pathologie. 165 


sich entwickeln. Im erstern Falle wird auch eine doppelte Befruch- 
tung, d. h. eine Befruchtung durch je ein Spermatozoid, erforderlich 
sein; im letztern genügt voraussichtlich, wenngleich nicht notwendig, 
ein einfaches Spermatozoid. Ersichtlich liegen somit auch für die 
Vererbung väterlicher und mütterlicher Eigenschaften die Verhältnisse 
sehr verschieden. Aber in dem ersten Falle, bei doppelten Ovula, 
lassen sich noch wieder zwei verschiedene Fälle denken: die beiden 
Ovula können dureh Teilung aus einer Eizelle entstanden sein, sie 
können aber auch verschiedene Ausgänge haben. Es sind dies hypo- 
thetische Untersceheidungen, aber sie liegen ganz innerhalb der erfah- 
rungsmäßig festgestellten Möglichkeiten der Zellenvermehrung, und 
man wird sich solchen Erwägungen nicht entziehen dürfen. Soviel 
aber ist klar, dass es gänzlich unzulässig ist, ein einheitliches Schema 
für die Entstehung der Zwillingsbildung aufzustellen. 

Ist aber ein solehes Schema unzulässig, so fallen auch alle darauf 
basierten Konstruktionen eines einheitlichen Schemas für die ganze 
Reihe der Doppel- und Mehrfachbildungen. Nichts hindert uns, diese 
Reihe in so viel Spezialabschnitte zu zerlegen, als das genauere Stu- 
dium der einzelnen Fälle besondere Gesichtspunkte für die Betrach- 
tung ergibt. Mit dieser Freiheit wollen wir uns nunmehr an die 
Sonderung begeben. 

Gibt es innerhalb des Gebietes der Duplizitäten und Pluralitäten 
Fälle von erworbenem Mehrfachwerden? Viele Jahre hindurch haben 
die eifrigsten Untersucher ihre Mühe darauf verwendet, derartige 
Formen auf künstliehem Wege zu erzielen. Lange Zeit hindurch 
sind die Hoffnungen vergeblich gewesen '!); weder mechanische, noch 
thermische oder andere Einwirkungen schienen die gesuchte Zerspal- 
tung der Anlagen herbeizuführen. Die ersten gelungenen Versuche 
verdanken wir Herın Leo Gerlach. Dieselben sind dargelegt in 
den Sitzungsberichten der physikalisch- medizinischen Sozietät zu Er- 
langen vom November 1880 und in seiner Monographie: „Die Ent- 
stehungsweise der Doppelmissbildungen bei den höhern Wirbeltieren. 
Stuttgart 1882“, besonders S. 118 fg. Indem er einen großen Teil 
des Hühnereis mit Firniss überzog und dadurch den Luftzutritt zu 
dem Innern des Eis auf bestimmte, vorher ausgewählte Stellen be- 
schränkte, gelang es ihm, eine Zerspaltung des vordern Endes des 
Embryo, eine Duplieitas anterior, zu erzielen und zwar in einer Häufig- 
keit, welehe den Verdacht des Zufalls ausschließt. Die beiden Seiten 
des Embryo wuchsen also in divergierender Riehtung denjenigen Stellen 





4) Man sehe eine Uebersicht dieser Versuche bei Panum (Untersuchungen 
über die Entstehung der Missbildungen, zunächst in den Eiern der Vögel. 
Berlin 1860, S. 21), Ch. Dareste (Recherches sur la production artificielle 
des monstruosites. Paris 1877, p. 280) und Rauber (Archiv für pathol. 
Anatomie u. Physiol., 1878, Bd. 74, S. 113). 


166 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


zu, wo der reichste Luftzutritt stattfand. Die wohl überlegte Anord- 
nung des Versuches hatte somit ein entscheidendes Resultat für eines 
der ältesten Probleme gebracht. 

Die frühern Forscher hatten mit einer gewissen Hartnäckigkeit 
den Weg der grob-mechanischen Einwirkungen verfolgt. Die nächste 
Veranlassung dazu boten die Erfahrungen, welche man an niedern 
Tieren bei der Regeneration gemacht hatte. Schon Redi hatte in 
seinem bekannten Buche (De animaleulis vivis quae in corporibus ani- 
malium vivorum reperiuntur. Amstel. 1708) außer der zweiköpfigen 
Schlange, welche ihm die Gelegenheit zu dieser Schrift gab, eine 
Eidechse mit 3 Schwänzen abgebildet (S. 302, Tab. I, Fig. 1). Er 
wusste noch nicht, wie die Sache zusammenhing; erst John Hunter!) 
v. Siebold und Heinr. Müller haben nachgewiesen, dass es sich 
in solchen Fällen um Regeneration handelt. Ich selbst habe längere 
Zeit hindurch grüne Eidechsen, denen die Schwänze abgebrochen waren, 
während der Periode der Neubildung beobachtet und mich davon über- 
zeugt, dass gelegentlich statt eines Schwanzes 2 oder 3 wiederwachsen. 
Hunter bezog die Doppelbildung auf eine Hemmung (obstruction), 
da nach seiner Beobachtung eine Wunde an der Seite des Schwanzes 
die Disposition zu einem jungen überzähligen Schwanze gab, der aus 
der Wunde hervorwuchs. 

Viel mehr besprochen ist die Polydaktylie der neu erzeugten Ex- 
tremitäten bei Salamandern. Schon Joh. Friedr. Meckel (Handb. 
der path. Anat., Bd. I, S.39) sagt: „Noch weit merkwürdiger ist eine 
von Platteretti (Opp. scelti di Milano, 8, vol. 27, p. 26, not.) ge- 
machte Bemerkung, dass bisweilen sich an den neureproduzierten 
Vorderfüßen der Salamander 5 Zehen statt der gewöhnlichen 4 fanden“, 
und er setzt hinzu: „diese Beobachtung ist desto interessanter, da 
nach Baker (An attempt towards a natural history of the polype. 
London 1743, p. 93) auch die Polypen, welche durch Zerschneidung 
eines ganzen gebildet werden, fruchtbarer als die sind, an denen 
keine Operation dieser Art vorgenommen wurde und die auf die ge- 
wöhnliche Weise entstanden. Wenn sich in einem vollendeten Indivi- 
duum Organe wiedererzeugen und sogar bei ihrer Wiedererzeugung 
vervielfachen können, warum sollen nicht auch in einem ursprünglich 
regelmäßig gebildeten, in der ersten Periode der Existenz begriffenen, . 
mit der stärksten Vegetationskraft begabten Embryo, wo die schäd- 
liche Einwirkung der Verwundung nicht vorangegangen war, sich 
überschüssige Organe entwickeln können, ungeachtet der Grund davon 
nicht außer ihm lag?“ Die Versuche von Spallanzani an Sala- 
mandern und von Trembley an Polypen erhielten diese Vergleichung 





1) Essays and observations on natural history, anatomy ete. Lond. 1861. 
Vol.]. p. 245; v. Siebold (de salamandris et tritonibus) und Heinr. Müller 
(Würzburger Verhandl., 1852, Bd. II, S. 66). 


Virchow, Deszendenz und Pathologie. 167 


so sehr lebendig, dass selbst Johannes Müller in einer seiner 
frühern Arbeiten (1828) die Teilung niederer Tiere zur Erklärung ge- 
wisser Doppelbildungen heranzog. Darwin kommt sehr häufig auf 
die Regenerationsvorgänge zu sprechen. Bei einer solchen Gelegen- 
heit (Das Variieren u. s. w., Il, S. 20 vgl. S. 449) zitiert er Bonnet, 
der bei Salamandern, denen er die Hände oder den Fuß abgeschnitten 
oder längsweise geteilt hatte, gelegentlich überzählige Finger, ja in 
einem Falle sogar 3 überzählige Finger entstehen sah. 

Diese Erfahrungen sind von großer theoretischer Wichtigkeit, 
insofern sie die Möglichkeit der Hervorbringung von Doppel- und 
Mehrbildungen einzelner Teile an Wirbeitieren infolge von mechani- 
schen Verletzungen unter Umständen zeigen, welche jeden Gedanken 
an Atavismus ausschließen. Aber ich möchte davor warnen, sie in 
dem Sinne aufzufassen, als sei die Doppelbildung direkt durch den 
mechanischen Eingriff, also etwa im Sinne einer wirklichen Zerteilung 
der Substanz, hervorgebracht. Der mechanische Eingriff, die Ver- 
wundung, der Bruch oder was sonst eingetreten war, setzt offenbar 
nur einen Reiz, welcher die Produktion neuer Gewebe anregt, ungefähr 
wie die Verwundung oder der Bruch eines Knochens auch beim Men- 
schen den Reiz für die Callusbildung schafft. Je nach den äußern 
Umständen können die regenerativen Vorgänge mehr oder weniger 
stark, ja zuweilen exzessiv werden. Wenn sich an einem gebrochenen 
Knochen ein Callus luxurians, vielleicht mit weit hin auswachsenden 
starken Exostosen bildet, so steht dieser Vorgang in einer zweifel- 
losen Parallele zu den drei- oder zweischwänzigen Neubildungen an 
der hintern Axe der Eidechsen. Die Größe des Reizes und die Stellen 
seiner Einwirkung, nicht ein ererbtes Gesetz, bestimmen Zahl, Form 
und Größe der regenerativen Produkte. 

Eine Anwendung dieser Erfahrungen auf das menschliche Ovulum 
und den Embryo selbst darf daher an sich füglich nicht in der Art 
versucht werden, dass die Entstehung einer Doppelbildung als das 
Ergebnis einer direkt teilenden oder spaltenden Einwirkung dargestellt 
wird. Vielmehr wird auch hier, wie es Herr Leo Gerlach mit so 
viel Glück gethan hat, zunächst ein Reizzustand vorausgesetzt werden 
müssen, der die neoplastischen Vorgänge steigert und nach verschie- 
denen Richtungen leitet. Ich möchte nicht so weit gehen, die Mög- 
lichkeit ganz auszuschließen, dass auch direkte mechanische Verhält- 
nisse ‘eine solche Wirkung ausüben können. Die Geschichte der 
Adhäsionen und Synechien des fötalen Körpers mit den Eihäuten und 
die Mannigfaltigkeit der dadurch erzeugten Missbildungen beweist, 
wie große Wirkungen der Zug, namentlich die Retraktion adhäsiver 
Massen, hervorbringt. Dagegen scheint mir die Hoffnung sehr gering 
zu sein, dass es gelingen werde, durch Verwundungen, die von außen 
herbeigeführt werden, fortwachsende Zerspaltungen der embryonalen 
Substanz zu stande zu bringen. Dazu ist die Vulnerabilität des Säuge- 


168 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


tiereis und seines Embryo zu groß. Ist es doch nicht einmal beim 
Vogelei möglich gewesen, ein solches Resultat zu erzielen. 

Auch in dieser Richtung wird man sich der Erwägung nicht ent- 
ziehen können, dass die Erfahrungen an niedern Weichtieren nicht 
ohne weiteres auf die höchsten Wirbeltiere übertragbar sind. Es war 
gewiss berechtigt, die Versuche an Hydropolypen zur Vergleichung 
heranzuziehen. Aber aus der bloßen Vergleichung darf man nicht 
sofort zu der Identifizierung der Vorgänge übergehen. Die neueste 
Zeit hat eine erhebliche Erweiterung der alten Versuche gebracht. 
Nur beiläufig will ich erwähnen, dass Herr Eimer (Ueber künstliche 
Teilbarkeit u. s. w. der Medusen. Bericht der Naturforscherversamm- 
lung zu München 1877) gezeigt hat, wie sogar Medusen in Stücke 
zerlegt werden können, welche ihre Kontraktilität behalten und fort- 
leben, sobald das Stück wenigstens eine der präexistierenden kontrak- 
tilen Zonen enthält. Indess ist bis jetzt nicht bekannt, dass diese 
Teilstücke sich wieder zu ganzen Tieren entwickeln können. Dagegen 
hat Herr Moritz Nussbaum (Archiv für mikroskopische Anatomie, 
Bd. 26, S. 485) den Nachweis geführt, dass bei künstlicher Teilung 
von Infusorien alle Teilstücke lebendig bleiben und sich wieder 
regenerieren, welche mindestens einen Kern enthalten. Wir besitzen 
für den Menschen auch in dieser Riehtung gewisse parallele Erfah- 
rungen, insbesondere in der Geschichte abgetrennter, transplantierter 
Stücke von Periost und der heterologen Neubildung von Knochen aus 
denselben. Man darf daher nicht ganz verzagen, solche Thatsachen 
einmal auf die Pathologie des menschlichen Eis ausdehnen zu dürfen. 

Vorläufig werden wir uns aber bescheiden müssen, auf eine weit- 
gehende Anwendung derselben zu verzichten. Denn die embryonale 
Entwicklung ist eine ungemein fest gegliederte, welche in regelmäßiger 
Reihenfolge, und zwar im Sinne direkter Erbfolge der Zellen, ein 
Glied aus dem andern entwickelt, so zwar, dass jedes Glied eine 
bestimmte prädestinierte Bedeutung hat. Wenn daher durch eine 
äußere Ursache eine Variation in der Entwicklung stattfinden soll, so 
kann sie immer nur so gedacht werden, dass die äußere Ursache auf 
diejenige Zelle oder diejenigen Zellen einwirkt, welche als Vor- 
gebilde oder als Anlage für spätere Zellen, Gewebe oder Organe 
dient oder dienen. In einem spätern Stadium, wo sich bereits wei- 
tere Entwicklungen vollzogen haben, wird dieselbe Ursache eine ganz 
andere Wirkung ausüben. Je früher die Einwirkung erfolgt, um so 
größer muss das Gebiet der Variation sein; je später sie eintritt, um 
so enger, um so mehr lokalisiert wird die Variation sich darstellen. 
Daher bezweifelt Herr W. Roux (Ueber die Zeit der Bestimmung der 
Hauptrichtungen des Froschembryo, Leipzig 1883, S. 27) auch die 
Zulässigkeit der Auffassung des Herrn L. Gerlach, indem er an- 
nimmt, dass durch Einwirkungen, wie sie dieser Forscher vorgenom- 
men hat, „höchstens ein aus zwei auseinanderstehenden symmetrischen 


Virchow, Deszendenz und Pathologie. 169 


Hälften bestehendes Doppelgebilde entstehen könnte, dessen beide 
Teile durch nicht zu Organen geordnete Gewebebildungen in einen 
durchaus nicht den Gesetzen symmetrischer Ausbildung und Vereinigung 
folgenden Zusammenhang gebracht seien“. Wie mir scheint, geht 
Herr Roux hier von einer falschen Voraussetzung aus. Nach seiner 
Darstellung sollte man annehmen, dass Herr Gerlach Eier zu seinen 
Versuchen gewählt habe, in denen der Primitivstreifen schon gebildet 
war; dies war aber unzweifelhaft nicht der Fall, denn Herr Gerlach 
(a. a. ©. S. 119) gibt ausdrücklich an, dass die Eier in den Brütofen 
gebracht wurden, nachdem der Firnissüberzug angelegt war. Diese 
Versuche stehen daher der Auffassung des Herrn Roux in keiner 
Weise entgegen, wonach die Entstehungszeit der Doppelmissbildungen 
in die früheste Zeit, „also vor, während oder direkt nach der Be- 
fruchtung zu verlegen ist, so dass von vornherein eine andere Material- 
verteilung um zwei Axen stattfinden könne“. Natürlich bedeutet 
„direkt nach der Befruchtung“ bei einem Vogelei etwas Anderes, als 
bei einem Säugetierei. 

Aber die Natur der Verhältnisse bringt es mit sich, dass derartige 
Beobachtungen selten, in gewissen Tierklassen nie an demselben Ovulum 
in allen ihren Stadien verfolgt werden können. So offenbare Verhält- 
nisse, wie sie einst Herr Gegenbaur (Zeitschrift f. wiss. Zoologie, 
1851, Bd. III, S. 390, Taf. XII) bei einem Ei von Limax agrestis fand, 
bei dem er nicht bloß die allmähliche Entwicklung zweier Embryonen, 
sondern endlich auch das getrennte Auskriechen derselben beobachten 
konnte, sind natürlich bei dem Menschen und den Säugetieren aus- 
geschlossen. Indess die Annahme, dass analoge Verhältnisse auch 
bei menschlichen Zwillingen, welche sich in einfachen Eihäuten ent- 
wickeln, bestanden haben, liegt so sehr innerhalb der berechtigten 
Analogie, dass wir uns über den Mangel des direkten Beweises hin- 
wegsetzen können. Wir werden also für solche Zwillinge annehmen 
müssen, dass sie aus der Teilung eines ursprünglich einfachen Eis, 
sei es schon vor der Befruchtung, sei-es „während oder direkt nach 
derselben“ entstanden sind, und zwar, wie ich schon ausführte, in- 
folge einer Reizung. 

Dass jemals ein Säugetierei so sehr durch mechanische Einwir- 
kungen getroffen werden könne, um sofort geteilt zu werden, ist 
schon aus theoretischen Gründen unzulässig. Wer hätte jemals ge- 
sehen, dass ein mechanisch geteilter Zellkern am Leben geblieben 
sei und sich nicht bloß regeneriert, sondern sogar vermehrt habe? 
Eine mechanische Erklärung hat sich ja nieht einmal inbezug auf die 
Furchung beweisen lassen. Die Versuche des Herrn Pflüger über 
den Einfluss der Schwerkraft auf die Teilung der Zellen und auf die 
Entwicklung des Embryo (Archiv f. die gesamte Physiologie, 1883, 
Bd. 31 und 32) schienen den sichern Nachweis geliefert zu haben, 
dass die Richtung der Furchungsebenen von der Gravitation abhängig 


170 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


sei, indess kann ich nach den Erörterungen des Herrn Oskar Hert- 
wig (Welchen Einfluss übt die Schwerkraft auf die Teilung der Zellen? 
Jena 1884, S. 29) nicht umhin anzuerkennen, dass wahrscheinlich nur 
in besondern Fällen und indirekt ein solcher Einfluss wirksam ist, 
dass aber in erster Linie Richtung und Stellung der Teilungsebenen 
von der Organisation der Zellen selbst abhängt. Nur beiläufig mag 
hier erwähnt werden, dass nach Herrn Hertwig die Richtung direkt 
durch die Lage der Axe des Zellenkerns bestimmt wird. 

Wenn ich statt solcher einfach-mechanischer Ursachen auf einen Reiz 
zurückgehe und auch die mechanische Einwirkung, insofern sie eine 
abnorme Zellenteilung hervorruft, als eine Reizung auffasse, so beziehe 
ich mich auf einen pathologischen Satz, den ich oft genug, z.B. in dem 
Arch. f. path. Anat. u. Physiol., 1858, Bd. 14, S.23 u. 39, entwickelt habe. 
Wenn schon die physiologische Neubildung überhaupt, insofern sie 
ein aktiver Vorgang ist, einen Reiz voraussetzt, so gilt dies in noch 
weit höherem Maße von der pathologischen Neubildung, und dahin 
wird im strengern Sinne jede Art der Zwillingsbildung beim Menschen 
gerechnet werden müssen. Es wird sich also nur fragen, woher der 
Reiz kommt? Darauf würde ich nach dem Vorstehenden antworten: 
der Reiz kann durch Erbschaft, in der Regel wohl von der Mutter, 
oder durch accidentelle Einwirkungen gegeben werden. Im erstern 
Falle kann die Vererbung eine kontinuierliche oder eine diskontinuier- 
liche sein, und die diskontinuierliche könnte vielleicht unter Umständen 
auch auf Atavismus deuten. 

Es ist hier nicht der Ort, diese Betrachtungen auf alle Details 
der Doppelmissbildungen auszudehnen. Nur in einer Beziehung 
möchte ich ein paar Worte sagen. Wie ich sehe, nimmt unter den 
neuern Schriftstellern die Zahl derjenigen wieder zu, welche die 
Doppelmonstra aus sekundären Verwachsungen früher getrenn- 
ter Embryonen erklären wollen. Ich habe mich stets gegen diese 
Erklärungsversuche ausgesprochen und muss es auch jetzt thun. Zu- 
nächst will ich auf die ausführliche Erörterung verweisen, welche 
Meckel (a. a. O. 1. S. 26) dieser Frage gewidmet hat, insbesondere 
auf die Darlegungen von Winslow, dass stets homologe Teile ver- 
wachsen, aber gleichzeitig sehr häuflg einzelne Organe eine verkehrte 
Lage haben oder ganz einfach sind. Sodann scheint es mir erforder- 
lich, den Begriff der Verwachsung genauer zu definieren, als es ge- 
wöhnlich geschieht. Ich meine, man kann nichts verwachsen 
nennen, was nicht zu irgend einer Zeit wirklich vorhan- 
den gewesen ist. Nun mag man noch so weit gehende Vorstel- 
lungen von der Fähigkeit eines Embryo hegen, schon vorhandene 
Teile zu verlieren, aber man soll sich nur nicht der Verpflichtung 
entziehen nachzuweisen, wie sie verloren gegangen sind. Meiner Mei- 
nung nach ist dies für die Mehrzahl der Doppelmonstra unmöglich. 

Damit leugne ich nicht, dass es auch Verwachsungen wirklich 


Virchow, Deszendenz und Pathologie. 171 


vorhandener Teile in Doppelmonstra gibt. Aber auch von diesen 
wird es vielfach bezweifelt werden dürfen, dass sie vor der Verwach- 
sung in wirklicher Trennung und in völliger Ausbildung bestanden. 
Im Gegenteil wird man sich bei vielen derselben vorzustellen haben, 
dass die Doppelanlagen aus einem ursprünglich einfachen 
Keim hervorgingen, ohne dass jemals eine vollständige 
Trennung der Embryonen eingetreten ist. 

Da diese Fragen mein Thema nur in geringer Ausdehnung be- 
rühren, so will ich mich darauf beschränken, ein paar Beispiele kurz 
zu entwickeln: 

Ich habe eben unter meinen Augen ein sehr merkwürdiges lebendes 
Doppelmonstrum, die früher von den Herren Fabini und Mosso be- 
schriebenen Brüder Tocei aus Piemont, von welchen auch Herr Grün- 
wald (Archiv f. path. Anat. u. Physiol., 1879, Bd. 75, 8. 561) eine 
kurze Mitteilung gemacht hat. Sie gehören zu der Klasse der Prodymen 
von Geoffroy St. Hilaire oder der Dicephali tetrabrachii von 
Förster. Der einfache Nabel bildet im ganzen die Grenze zwischen 
der nach oben doppelten, nach unten einfachen Körperbildung. Nur 
die Wirbelsäulen erstrecken sich, einander immer näher tretend, über 
die ganze Ausdehnung des untern, sonst einfachen Rückenabschnittes 
bis zum Steißbein. Der After, die äußern Geschlechtsteile, die Unter- 
extremitäten sind nur einmal vorhanden. Aber schon am Nabel be- 
ginnt die Trennung der Nerven: rechts von der Mittellinie empfindet 
nur der rechte, links nur der linke Zwilling. Das rechte Bein bewegt 
nur der rechte, das linke der linke Zwilling. Die Kinder sind gegen- 
wärtig im 9. Lebensjahre. 

Soll man nun annehmen, dass in diesem Falle jemals die untern 
Körperhälften der oben getrennten und vollständig entwickelten Kin- 
der vollständig vorhanden waren? Zweifellos ist keines der Beine 
aus einer Verwachsung zweier ursprünglicher Beine entstanden. In 
welcher Stellung sollte man sich auch die Kinder zu einander denken, 
damit eine vollständige Verschmelzung zweier linker oder rechter 
Beine zu einem einzigen zu stande käme? Nirgends ist auch nur die 
kleinste Spur eines dritten oder vierten Beines vorhanden. Wie sollte 
es geschehen, dass die äußern Geschlechtsteile zweier Kinder zu einer 
ganz einfachen, scheinbar ganz regelmäßigen Bildung verschmölzen ? 
Mag man auch sagen, die Verschmelzung könne schon geschehen sein, 
als weder die Unterextremitäten, noch der Geschlechtsapparat, sondern 
nur die Anlagen dafür vorhanden waren, so wird man doch schwer- 
lich nachweisen können, wie es zugegangen ist, dass nach spurloser 
Beseitigung der medialen Hälften die lateralen sich mit mathematischer 
Genauigkeit an einander fügten, so dass keinerlei Inkongruenz oder 
Verschiedenheit der Hälften bemerkbar wird. Die Monomphalie der 
Doppelbildung lehrt überdies, dass schon zur Zeit, als der Nabel sich 
bildete, dieselbe Einfachheit der Anlagen im untern Körperabschnitt 
bestand. 


A Virchow, Deszendenz und Pathologie 


Ganz anders liegen die Verhältnisse bei den Janus-Missbildungen. 
Hier haben wir doppelte Körper, dagegen einen „verschmolzenen“ 
Kopf. Aber dieser Kopf bietet noch alle Zeichen der Duplizität. Bei 
voller Ausbildung hat er 2 Gesichter und 2 Hinterköpfe; bei unvoll- 
ständiger Ausbildung sind von dem einen Gesicht wenigstens defekte 
Teile zu sehen. Aber jedes Gesicht besteht aus 2 nicht zusammen- 
gehörigen Hälften: die linke Hälfte des vordern und die rechte des 
hintern Gesichts gehört dem linken, die rechte des vordern und die 
linke des hintern dem rechten Zwilling. Will man sich den Modus 
der Verschmelzung klar machen, so muss man sich vorstellen, dass 
der Kopf jedes der beiden Zwillinge bis zur Mitte in der Sagittal- 
linie gespalten, dann auseinandergeklappt, der Quere nach nach außen 
gebogen, und die so zubereiteten Hälften mit ihren Schnittflächen an 
einander gefügt worden sind. Denn nur so wird es begreiflich, dass 
vorn und hinten ein Gesicht und zugleich rechts und links ein Hinter- 
kopf vorhanden sind. Auch hier wird wohl schwerlich jemand glauben 
können, dass jemals getrennte Köpfe existiert haben. Die primitive 
Sonderung der Keimzellen und die darauf folgende Wiedervereinigung 
müssen so frühzeitig eingetreten sein, dass eine wirkliche Abgrenzung 
der beiden Embryonen gegen einander nicht füglich angenommen 
werden kann. Mir wenigstens scheint es unmöglich zu sein, dass 
zwei, wenn auch noch so unvollständig ausgebildete Köpfe nachträg- 
lich durch ihr Gegeneinanderwachsen sich gegenseitig eine so regel- 
mäßige Halbierung und Auseimanderdrängung zufügen und trotzdem 
jedesmal in so regelmäßiger Weise wieder verwachsen sollten, dass 
man an den Gesichtern keine Spur der frühern Trennung, noch eine 
verschiedene Bildung der Hälften erkennen kann. 

In der Regel sind die Doppelmonstra als erworbene Varia- 
tionen anzusehen. Atavismus ist meines Wissens zu ihrer Erklärung 
niemals herangezogen worden, obwohl die Vorgänge der Konjugation 
und Kopulation dazu Anlass bieten könnten. Ehe das Diplozoon para- 
doxum durch v. Siebold als ein konjugiertes Tier erkannt war, lag 
die Versuchung einigermaßen nahe, in ihm den Ahnen der Doppel- 
missbildungen der Wirbeltiere zu suchen. Nachdem wir aber wissen, 
dass die Konjugation der niedern Tiere und Pflanzen ein Mittel ist, 
die geschlechtliche Entwicklung und Fortpflanzung zu ermöglichen, 
wird auch der begeisterte Anhänger des Atavismus wohl darauf ver- 
zichten, sie für die, äußerlich freilich ähnlichen und in diesem Sinne 
allenfalls auch theromorph zu nennenden Vorgänge der pathologischen 
Duplizität heranzuziehen. 

Diese Duplizität entbehrt jedoch, wie es scheint, nicht ganz der 
Fähigkeit, erblich zu werden. So erzählt John Hunter (a. a. 0. 
S. 246), dass eine Kuh nach London zur Schau gebracht wurde, welche 
ein überzähliges Bein an der Schulter hatte; ihr Kalb zeigte dieselbe 
Monstrosität. Meckel (a. a. ©. II. S. 20) zitiert eine Beobachtung 


Virchow, Deszendenz und Pathologie. 170 


von Narf, der eine Frau von einer Doppelmissgeburt entband, deren 
Großmutter von mütterlicher Seite eine ähnliche geboren hatte. — 
Zum Schlusse dieser Bemerkungen über monströse Duplizität will 
ich noch einige Lokalformen von theromorpher Bedeutung kurz be- 
sprechen. Ich beginne mit den überzähligen Herzklappen, wie 
sie sich an den arteriellen Ostien zuweilen finden. Herr Dilg (Archiv 
f. pathol. Anat. u. Physiol., 1883, Bd. 91, S. 242) hat vor einiger Zeit 
eine Zusammenstellung aus der neuern Literatur veröffentlicht, welche 
sich leicht, namentlich aus den Protokollbüchern des pathologischen 
Instituts, erweitern ließe. Er findet am häufigsten die Vermehrung 
am Ostium pulmonale, gewöhnlich 4, in 2 Fällen 5; seltener am Ostium 
aorticum, gewöhnlich 4, einmal 5. Dieser Vermehrung steht bekannt- 
lich eine noch häufigere Verminderung in der Zahl der Klappen auf 
2 gegenüber. Meckel (a. a. ©. II. 5. 139) erklärte beiderlei Zustände 
für Tierähnlichkeiten, nämlich den zweiklappigen als normal für 
Mollusken, Knochenfische und Reptilien, den vier- und mehrklappigen 
für gewisse Fische, namentlich den Sterlet und die Knorpelfische. 
Besonders merkwürdig sei es, dass die Verminderung der Klappen- 
zahl am häufigsten mit reptilienartiger Anordnung des Herzens vor- 
komme. Neuerlich ist Peacock auf eine analoge Deutung des vier- 
klappigen Zustandes gekommen. Indess ergeben die Beschreibungen 
der Herren Gegenbaur (Grundzüge der vergleichenden Anatomie, 
2. Aufl., Leipzig 1870, S. 829) und Balfour (Handbuch der vergl. 
Embryologie, deutsch von Vetter, Jena 1881, Bd. II, S. 573), dass 
bei den Fischen viel kompliziertere Verhältnisse bestehen, die nicht 
ohne weiteres zur Vergleichung herangezogen werden dürfen. Ich 
möchte daher diese Frage nicht entscheiden. Für die zweiklappige 
Form hat Herr Dilg Beobachtungen von Tonge über die Entwick- 
lung der arteriellen Herzklappen beim Hühnchen angezogen, wonach 
die 3 Semilunarklappen der arteriellen Ostien sich nicht gleichzeitig 
bilden, sondern die vordere und innere erheblich früher; sonach könne 
man den Ausfall der dritten Klappe als die Persistenz eines sonst 
vorübergehenden Zustandes ansehen. Die Herren Martinotti und 
Sperino (Sulle anomalie numeriche delle semilunari aortiche e pol- 
monari, Torino 1884, p. 16) haben dagegen, für viele Fälle gewiss 
mit Recht, geltend gemacht, dass unzweifelhafte Spuren der Ver- 
schmelzung zweier Klappen in eine sich nachweisen lassen. Wenn 
ich auch nicht behaupten will, dass alle Fälle von zweiklappigen 
Östien auf adhäsive Fötal-Endokarditis zu beziehen seien, so gilt dies 
doch für eine große Zahl. Ich habe unsere Sammlung darauf noch 
einmal durchgesehen: alle 5 Fälle von zweiklappigem Ostium aorticum, 
welche aufbewahrt sind, lassen Zeichen sekundärer Verschmelzung 
zweier Klappen erkennen. Auch ist es nicht unwahrscheinlich, dass 
mehrere dieser Fälle erst dem spätern Lebensalter angehören. Dem 
alten Meckel muss ich darin beistimmen, dass primärer Defekt einer 


174 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


Klappe, und dies ist meist eine Pulmonalklappe, am häufigsten mit 
Offenbleiben der Scheidewand, also unter krankhaften Verhältnissen 
vorkommt. Atavismus dürfte hier wohl kaum zu statuieren sein. Da- 
gegen will ich anerkennen, dass die vierklappige Form, von der ich 
in unserer Sammlung 4 Fälle vom Ostium aortium, 3 von dem Ostium 
pulmonale zähle, die Annahme einer atavistischen Ursache näher legt, 
zumal da nicht selten die überzählige Klappe von geringer Größe 
und Ausbildung ist. — 

Eine analoge Betrachtung lässt sich an die Anomalien in der 
Zahl der Zähne knüpfen. Ich will für diesmal, um nicht zu weit- 
läufig zu werden, von der Verminderung in der normalen Zahl ganz 
absehen. Nur das mag erwähnt sein, dass schon seit langer Zeit die 
Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist, dass mit der Verkürzung der 
Kiefer beim Menschen eine Reduktion in der Länge der Zahnreihen 
sichtbar wird. Darwin (The descent of man and seleetion in relation 
to sex, Lond. 1871, Vol. I, p. 26) hat in besonderer Betonung hervor- 
gehoben, dass der Weisheitszahn bei den mehr zivilisierten Rassen 
eine Neigung zeige, rudimentär zu werden, und Herr Mantegazza 
(Archivio per /’Antropologia e la Etnologia, 1878, Vol. VIII, p. 267) 
hat in einer umfassenden Detailuntersuchung nicht nur diesen Satz 
bestätigt, sondern auch die zuversichtliche Erwartung ausgesprochen, 
dass in einer mehr oder weniger entfernten Zeit der dritte Molaris 
ganz aus dem menschlichen Kiefer verschwinden könne. Dies würde 
ungefähr derselbe Vorgang sein, der nach den Lehren der Deszendenz- 
theorie das menschliche Gebiss schon gegenwärtig um ein sehr erheb- 
liches reduziert hat. Als Hauptbeweise für diese Reduktion gelten 
die überzähligen Zähne, von denen man 3 Arten aufgeführt hat: 

1) die völlig ausgebildeten Zähne, 
2) die Zahnkegel (Emboli), 
3) die schmelzlosen Rudimente. 

Was die völlig ausgebildeten überzähligen Zähne angeht, so sind 
diese seit alter Zeit bekannt. Herr Magitot (Traite des anomalies 
du systeme dentaire chez ’homme et les mammiferes, Paris 1877, 
p- 96) hat eine Uebersicht solcher Fälle gegeben. Es erhellt daraus, 
dass eine Vermehrung in der Zahl der Canini nicht oder kaum vor- 
kommt, dass sie bei den Prämolaren sehr selten ist und sich jeder- 
seits darauf beschränkt, dass statt 2 Zähne deren 3 (ganz selten 4) 
sich entwickeln, dass dagegen bei den Molaren öfter eine Vermehrung 
von 3 auf 4 und bei den Ineisivi von 2 auf 3 und, wenn man die 
Zahnkegel hinzurechnet, auf 4 und 5 beobachtet ist. Man wird diese 
Zahlen mit einiger Vorsicht aufnehmen müssen. Beschränkt man sich 
auf die wohl entwickelten und in der Reihe stehenden Zähne, so darf 
das Auftreten eines vierten Backzahns, eines dritten Prämolaris und 
eines dritten Schneidezahns in je einer Kieferhälfte in der That zu- 
gestanden werden. 





Virchow, Deszendenz und Pathologie. 175 


Diese Frage hat einen einigermaßen akuten Charakter angenommen 
durch die Erörterungen über die Hasenscharte, bei denen Herr P. 
Albrecht (Archiv f. klin. Chirurgie, 1885. Bd. XXXI S. 236; Cen- 
tralblatt f. Chirurgie, 1884, Nr. 32) nıehrfach 5, beziehentlich 6 Schneide- 
zähne beobachtete und daraus folgerte, dass hier der dem Menschen 
verloren gegangene zweite obere Schneidezahn wieder auftrete. Die 
Thatsache ist unzweifelhaft riehtig, und sie findet sich gelegentlich 
auch ohne alle Spaltbildung. Herr Turner (Journ. of anat. and 
physiol., 1885, Vol. XIX, p. 207) beschreibt 2 sonst normale Ober- 
kiefer, einen mit Mileh-, den andern mit bleibendem Gebiss, von 
denen jeder 6 Schneidezähne hat. Leider unterscheiden die meisten 
Autoren nicht scharf zwischen normal und abnorm gebildeten Zähnen, 
so dass es häufig’ unmöglich ist, eine genaue Deutung zu machen. 
Dies ist aber namentlich notwendig wegen der schon vorher erwähn- 
ten Emboli. Manche unserer besten Odontologen erklären sogar aus- 
drücklich, dass die überzähligen Zähne in der Regel konisch seien 
(Th. Bell, The anatomy, physiology and diseases of the teeth, 
Eond. 1835, p. 103, Pl. VII, Fig. 8; Tomes, A course‘of lectures 
on dental physiol. and surgery, Lond. 1848, p. 119). 

Ein Zahnkegel ist unter allen Umständen ein unvollkommener 
Zahn. Herr Magitot (a.a.0.p.13) erklärt gradezu, dass der Kegel 
der Primordial- oder Archetypus des Zahns sei, wie er bei den Fischen 
auftrete, und dass daher das Erscheinen des konoiden Typus, wie er 
sich bei so vielen teratologischen Verhältnissen zeigt, einen hück- 
schlag bedeute. Diese Auffassung hat viel für sich, aber es scheint 
mir, dass sie einfacher ist, als die Verhältnisse zulassen. Sie geht 
nämlich von der Voraussetzung aus, dass je ein Zahnkegel auch einem 
verloren gegangenen Zahne entspreche. Dieses wäre aber erst zu be- 
weisen. Herr Magitot selbst bildet einen, übrigens schon von Herrn 
Langer (Mitt. der anthrop. Ges. in Wien, 1871, Bd. I, S. 118) be- 
schriebenen Negerschädel ab (Pl. V, Fig. 2—3), dem er 11 Prämolaren 
und 16 Molaren, im ganzen 39 Zähne zuschreibt; in Wirklichkeit sind 
darunter 4 überzählige, in der Reihe stehende, wenngleich etwas 
kleinere, so doch gut ausgebildete Molaren, dagegen sind die 3 über- 
zähligen Prämolaren ganz aus der Reihe gerückt und mehr oder 
weniger konisch oder sonst defekt. Herr Langer spricht daher nur 
von einem überzähligen Prämolaris und rechnet im ganzen nur 37 Zähne. 
Man sieht daraus, dass die Deutung nicht zweifellos ist. Aber Sandi- 
fort (Observat. anat. pathol. Lugd. Bat. 1779. Lib. Ill. p. 136. k) 
zitiert eine Beobachtung von G. C. Arnold in Breslau, nach welcher 
ein 15 jähriger Knabe 72 „vollständige“ (integri) Zähne hatte, in jedem 
Kiefer 36, darunter je 8 Schneidezähne und auf jeder Seite 2 Canini 
und 12 Molares. Man kann sich hier nieht einmal mit der Erklärung 
helfen, dass gleichzeitig das Milchgebiss und das bleibende Gebiss 
entwickelt gewesen seien, denn dann käme man immer erst auf52 Zähne. 


176 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


Es wird also wohl die „Integrität“ der Backzähne nicht so wörtlich 
zu nehmen sein. Ich glaube mich zu einem solchen Zweifel berech- 
tigt, weil unsere Sammlung einen Schädel besitzt, wo an der Stelle 
des ersten Molaris im Oberkiefer 3 Emboli stehen, wo dem- 
nach ein dreiwurzeliger Zahn in 3 gesonderte Zahnkegel aufgelöst ist. 

Man kann auch dies als einen Rückschlag auffassen, indem man 
annimmt, dass die Molaren durch die Verschmelzung mehrerer Pri- 
mordialkegel entstanden sind. Aber wenn eine solche Zerlegung des 
typisch gewordenen, fixierten Zahnes in seine atavistischen Segmente 
möglich ist, so wird auch die Möglichkeit zugestanden werden müssen, 
dass ähnliches an den zweiwurzeligen Zähnen stattfindet, und die 
Zweiwurzeligkeit setzt sich gelegentlich bis in die vordern Zähne fort. 
Jedenfalls kann darüber kein Zweifel sein, dass ni&ht jeder Zahnkegel 
der Repräsentant eines typischen Zahns der nächstzurückliegenden 
Ahnenglieder ist. 

Noch schwieriger wird die Deutung bei den schmelzlosen 
Rudimenten, welche Herr Baume (Odontologische Forschungen. 
Leipzig 1882, Teil I, S. 268) an der labialen Seite des Kiefers in der 
Gegend der Prämolaren entdeckt und als Repräsentanten der verloren 
gegangenen Prämolares II und IV gedeutet hat. Neuerlich hat Herr 
Zuckerkandl (Mediz. Jahrbücher der k. k. Gesellsch. der Aerzte 
in Wien, 1885, $. 377) weitere Funde der Art beschrieben, welche 
sich auch auf andere Gegenden der Kiefer beziehen. Auch er sieht 
darin atavistische Erscheinungen. 

Es scheint mir etwas gewagt, schon jetzt ein abschließendes 
Urteil über diese, gewiss sehr bemerkenswerten Dinge abzugeben. 
Die Möglichkeit, dass abgesprengte Teile des Zahnkeims zu einer 
selbständigen Entwicklung gelangen, ist durch die bekannten Unter- 
suchungen des Herrn Kollmann über die Zahnentwicklung sehr 
nahe gerückt. Auch besitzen wir in der Geschichte der Odontome 
und der Dentes proliferi (vergl. meine Onkologie II S. 55) manche 
Parallelen für Absprengungen von Zahnsubstanzen. Ich erwähne das, 
um der weitern Untersuchung, die nach den Erfahrungen des Herrn 
Zuckerkandl auch auf Säugetiere auszudehnen ist, eine schärfere 
Fragestellung zu bieten. Dabei möchte ich noch besonders hervor- 
heben, dass die Frage von der Bedeutung def supernumeraren Zähne 
auch in die Anatomie der Primaten hineinreicht. Paul Gervais 
(Journal de zoologie, 1874, T. III, p. 164, Pl. VI) hat bei Gelegen- 
heit der Beschreibung eines Gorilla-Schädels mit 3 überzäbligen, in 
der That gut ausgebildeten und regelmäßig gestellten Backzähnen 
literarische Notizen darüber gegeben. — 

Wenn ich endlich noch mit einigen Worten auf die (so häufig 
erbliche) Polydaktylie zurückkomme, so kann ich mich ziemlich 
kurz fassen, da dieser schwierige Punkt durch die Forschungen der 
letzten Jahre ungemein geklärt worden ist. Mit Vergnügen erkenne 


Virchow, Deszendenz und Pathologie. IT 


ich an, dass grade die sechsfingerige Hand und der sechsfingerige Fuß, 
welche durch ihr Hineinziehen in die Lehre von der monströsen 
Duplizität so viel Verwirrung angerichtet haben, in der neuen ata- 
vistischen Anschauung in unerwarteter Weise verständlich geworden 
sind. Ich muss dabei Herrn Albrecht (Presse med. belge, 1884, 
Nr. 42) recht geben, dass es nicht genügt, aus dem 5fingerigen Typus 
in den 6fingerigen überzugehen, denn die Hexadaktylie ist an sich 
doppelter Art, indem nicht bloß ein sechster Kleinfinger, sondern auch 
ein sechster Daumen nicht ganz selten beim Menschen vorkommt. 
Dieser Doppeldaumen (Praepollex, Praehallux) führt auf andere Grund- 
lagen zurück, als der Doppelkleinfinger. Die höchst anziehenden 
Untersuchungen des Herrn Karl Bardeleben (Jenaische Zeitschr. 
f. Naturwissenschaften, Bd. XIX, N. F. XII, Suppl.-Heft III, 1885) 
haben die schon früher gewonnenen bessern Erfahrungen über die 
Organisation der Handwurzel durch den Nachweis paralleler Gebilde 
am Fuß gestützt und die Möglichkeit geboten, in größerem Umfange 
phylogenetische Betrachtungen an die Stelle rein teratologischer zu 
setzen. Zugleich haben wir dadurch den Unterschied kennen gelernt, 
der zwischen der traumatischen Polydaktylie der Salamander und 
der spontanen Polydaktylie der Menschen besteht. — 

Aus der Zusammenfassung dessen, was ich hier über die soge- 
nannten Doppelmissbildungen beigebracht habe, wird klar geworden 
sein, dass ich einigen Grund hatte, an der einheitlichen Natur der 
Reihe, welche man für die Duplizitäten aufgestellt hat, zu zweifeln. 
Diese Erscheinungen gehören vielmehr ganz verschiedenen Reihen an, 
und sie werden erst verständlich, wenn man sie auseinanderlöst. 
Aber eine atavistische Erscheinung, wie die Polydaktylie oder die 
Polyodontie oder die Polythelie, hört damit nicht auf, pathologisch 
oder teratologisch zu sein. Ja, sie wird um so mehr teratologisch, 
je weiter sie in die Ahnenreihe hinaufgreift. Unsere Anthropologen 
haben immer noch eine besondere Schwärmerei für das Pithekoide. 
Mit der Polydaktylie sind die Phylogenetiker schon bis zum Archi- 
pterygium- und Ceratodus-Schema zurückgegangen. Die Grenzen der 
verschiedenen Wissenszweige verwischen sich hier allmählich, aber 
das Verständnis für die Wahrheit sollte nicht verwischt werden, dass 
in gleicher Weise, wie die Variation aus einem patho- 
logischen Verhältnis hervorgeht, so auch der Rückschlag 
das Resultat pathologischer Umstände ist. 

Wovor wir alle uns aber zu hüten haben, das ist die Verwechs- 
lung der nur äußerlichen, sagen wir gradezu falschen Thero- 
morphie mit der innerlichen, wahren Tierähnlichkeit, welche auf 
wirkliche Verwandtschaft, der Organisation hinführt. Blumenbach 
(De anomalis et vitiosis quibusdam nisus formativi aberrationibus 
commentatio. Gotting. 1813. p. 5) schildert eingehend einen anen- 
cephalen Fötus propter vniversi eorporis habitum et partium prineipalum 

v1, 12 


178 Virchow, Deszendenz und Pathologie. 


relationem, quibus raninam prorsus formam adeo prae se fert, vt 
quieunque illud adhue in supellectile viderint, ad vnum omnes miram 
eius cum ranina forma similitudinem confessi sint. Gewiss, ein mensch- 
licher Anencephalus ist so batrachioid, wie möglich; ich werde jedes- 
mal, wenn mir ein neues Exemplar gebracht wird, von neuem von 
seiner Froschähnlichkeit betroffen. Und doch ist nicht der mindeste 
Atavismus darin. Der batrachioide Habitus des Anencephalus ist 
genau ebenso trügerisch, wie der pithekoide des Mikrocephalus. Es 
ist ein bloßer Schein, keine Wesenheit. 

Ich möchte zum Schlusse noch auf ein besonders auffälliges Bei- 
spiel verweisen. Eine der sonderbarsten Veränderungen des mensch- 
lichen Skelets ist die lokale Hyperostose. Die hauptsächlichen 
Fälle finden sich in meiner Onkologie, II, S. 21 fg. zusammengestellt. 
Eine derselben ist jene scheußliche Verunstaltung der Schädel- und 
Gesichtsknochen, welche ich mit dem Namen der Leontiasis ossea 
belegt habe. Die Aehnlichkeit dieser Formen mit manchen Bildungen, 
welche bei Tieren normal vorkommen, ist höchst augenfällig: ich 
erinnere nur an die Vorkommnisse bei Cetaceen und Krokodilen. Ein 
erfahrener Zoolog, Paul Gervais (Journ. de zoologie, 1875, T. IV, 
p. 272, 445, Pl. V—X) hat die parallelen Zustände bei dem Menschen 
und den verschiedensten Tieren, insbesondere Fischen, zum Gegen- 
stande einer besondern Arbeit gemacht. Obwohl er von Atavismus 
nichts sagt, so geht doch aus seiner Darstellung hervor, dass ihm 
der Gedanke eines Zusammenhanges vorschwebte. Nun besitzen wir 
glücklicherweise einige Krankengeschichten von Menschen,’ welche in 
unzweifelhafter Weise darthun, dass es sich um krankhafte, erwor- 
bene Anomalien handelt. Sollen wir daraus schließen, dass die 
Tiere, welche derartige Anomalien regelmäßig besitzen, z. B. der 
Fisch, welcher davon den sehr bezeichnenden Namen Ckhaetodon arthri- 
ticus führt, Species mit erblicher Krankheit seien? oder gar, dass 
diese Krankheit der Fische atavistisch in der Arthritis deformans und 
der Leontiasis ossea des Menschen wieder hervortrete? Ich denke, 
eine vorurteilsfreie Prüfung wird jeden überzeugen, dass wir beim 
Menschen nur Beispiele falscher Theromorphie vor uns haben, für 
deren Deutung gewisse gemeinschaftliche, auch auf die Tiere zutref- 
fende Gesichtspunkte gefunden werden können, die jedoch völlig außer- 
halb des Rahmens der Deszendenzlehre liegen. Die pathologische 
Hyperostose des Menschen steht mit der zoologisehen Hyperostose 
gewisser Fische, Reptilien und Säugetiere in gar keiner innern Be- 
ziehung. 








Kölliker, Stiftehenzellen in der Epidermis von Froschlarven. 179 


Stiftehenzellen in der Epidermis von Froschlarven. 
Von A. Kölliker'). 


Mit der Untersuchung der Nervenendigungen im Schwanze von 
Froschlarven beschäftigt, um mir ein Urteil über die von Hensen 
und Pfitzner beschriebenen Verhältnisse zu bilden, stieß ich in 
diesem Frühjahre auf noch nicht beschriebene besondere Elemente, 
deren Vorhandensein der ganzen Lehre von den Nervenenden der 
Batrachierlarven eine neue Wendung geben könnte. Es sind dies 
über die ganze Oberfläche des Schwanzes verbreitete, sehr zahlreiche 
mikroskopische Organe, deren jedes einer einzigen Zelle entspricht 
und am freien Ende ein oder mehrere Stiftchen trägt. 

Jede Stiftehenzelle erscheint in der Seitenansicht birnförmig, er- 
reicht mit dem spitzen Ende die Oberfläche der Oberhaut, während 
das breite Ende entweder der Cutis aufsitzt oder durch Teile der 
tiefern Oberhautzellen von derselben geschieden wird. Am freien 
Ende tragen diese Zellen, deren Höhe und Breite von 11—22 u misst, 
ein kurzes starres Stiftehen von 5 w in maximo, welches frei über die 
Oberfläche der Oberhaut hervorragt. Die oberflächlichen großen platten 
Zellen der Oberhaut verhalten sich so zu den Stiftehenzellen, dass 
je drei oder vier derselben mit kleinen Abschnitten diese Organe 
decken, so jedoch, dass die Oberhautplättehen über jeder Stiftchen- 
zelle eine kleine Oeffnung begrenzen, zu der die Stiftchen heraustreten. 

Jede Stiftehenzelle hat in der Tiefe einen Kern, ferner einen 
körnigen Inhalt, der häufig radiär gestreift erscheint. Gegen Osmium, 
Gold, Silber, Essigsäure, Alkohol ete. verhalten sich diese Elemente 
genau so, wie die Stiftehenzellen der Sinnesorgane der Seitenlinie, 
welche jedoch viel längere Stiftehen tragen. In der Tiefe ist jede 
Stiftehenzelle von den umgebenden Elementen der Oberhaut durch 
einen von Protoplasmafäden durchsetzten Interzellularraum geschieden, 
der aber auch an den andern Oberhautzellen nicht fehlt. In den meisten 
Reagentien schrumpfen diese Elemente mit Stiftehen zu glänzenden 
mehr homogenen, zackigen Körpern und sind dann von einem größern 
Hohlraume umgeben. 

Die Stiftchen sieht man in Profilansichten, am Saume der Flosse, 
zu 1—3 an jeder Zelle. Flächenbilder in Wasser gequollener Stiftchen 
erwecken die Vermutung, dass dieselben zum Teil aus noch mehr 
Einzelelementen bestehen, indem manche Stiftchen von oben im schein- 
baren Querschnitte bis zu 7 und 8 Punkte erkennen lassen. Die 
Zartheit dieser Elemente ist übrigens so groß, dass sie in keinem 





4) Aus dem „Zoologischen Anzeiger“. 


127 


150 Kölliker, Stiftehenzellen in der Epidermis von Froschlarven. 


Reagens sich erhalten, obschon sie in Wasser auch an abgeschnit- 
tenen Schwänzen eine Zeit lang gut zu sehen sind. 


Vorkommen und Zahl der Stiftehenzellen anlangend, merke ich 
folgendes an. Gefunden habe ich dieselben bei den Larven von Rana 
esculenta und R. fusca, denen von Hyla und Bufo spec. Nicht unter- 
sucht habe ich bis jetzt Bombinator und Alytes. Pelobates, von dem 
ich viel erwartete, zeigte, so weit meine Untersuchnngen reichen, wohl 
den Stiftehenzellen ähnlich gelagerte Elemente, nur dass dieselben mit 
einer kleinen Fläche die Oberfläche der Epidermis erreichen, dagegen 
vermochte ich bis anhin mit Sicherheit keine Stiftehen an denselben 
zu finden. Keine Stiftehenzellen besitzen die Larven von Triton, 
Salamandra maculata, Siredon. 


Die Zahl bestimmte ich bei Rana esculenta zu 79 auf 1 qmm, 
was für den ganzen Schwanz einer größern Larve, denselben zu 
144 qmm Oberfläche auf einer Seite gerechnet, die Zahl von 22 740 
Stiftehenzellen für beide Seiten ergibt. Am Schwanze finden sich die 
Stiftehenzellen überall, manchmal selbst auf den Organen der Seiten- 
linie, doch schienen sie mir am Flossensaume in größerer Menge zu 
stehen. Am Rumpfe habe ich dieselben am dorsalen Flossensaume 
ebenfalls gesehen, ihr sonstiges Vorkommen dagegen noch nicht 
untersucht. 

Bei ausgebildeten Ranae erinnern die von Eberth und Fr. E. 
Sehulze beschriebenen einzelligen Hautdrüsen durch ihre Stellung 
sehr an die Stiftchenzellen, doch ergaben meine bisherigen noch nicht 
abgeschlossenen Untersuchungen keine Zusammengehörigkeit der bei- 
derlei Bildungen. 

Zellen mit Stiftehen sind wahrscheinlich Sinneszellen, und so habe 
ich auch bei den beschriebenen neuen Organen Verbindungen mit 
Nerven gesucht. Die Verfolgung der Nervenenden bei Froschlarven 
ist jedoch ein ungemein schwieriges Thema, und so ist alles, was ich 
für einmal mitteilen kann, das, dass isolierte Stiftehenzellen am tiefen 
Ende manchmal einen blassen Faden ansitzen haben, und dass ich in 
einigen Fällen blasse feinste Nervenfäden bis zu Stiftchenzellen ver- 
folgt zu haben glaube. Beifügen kann ich noch, dass ich von Nerven- 
fäden, die zu den Nucleoli der Oberhautzellen gehen (Hensen), nichts 
finde. Zweitens sehe ich auch nichts von den Pfitzner’schen Nerven- 
enden. Ich halte wie Canini-Gaule (Arch. f. Anat. u. Phys., Phys. 
Abt. 1883) die Pfitzner’schen Fäden für die von Eberth und 
Leydig beschriebenen eigentümlichen Stäbe oder Fasern und bemerke 
noch, dass dieselben in schönster Ausbildung am Rumpfe und Kopfe 
sich finden und am Schwanze ohne Ausnahme am Flossensaume in 
sroßer Ausdehnung fehlen. Das subkutane Zellennetz (Canini Fig.3, 4) 
halte ich nicht für nervös, ebenso wenig die schon von Remak ge- 
sehenen radiären Fasern der Flossengallerte, deren Enden die Basal- 


Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 181 


schicht der Oberhaut (die Cutis) durehbohren und die chemische Natur 
von Zellenausläufern haben. 

Die hier beschriebenen Stiftehenzellen sind nur an ganz frischen 
Teilen in Wasser gut zu sehen und teils von der Fläche, teils am 
Flossensaume zu untersuchen. 


Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 


Kritisch referiert von @. C. J. Vosmaer. 


1. Heider K., Zur Metamorphose der Oscarella lobularis. In: Arb. z. Inst. 
Wien, Tom. VI, S. 175—236. 

2. Lendenfeld R. von, A monograph of the Australian Sponges. In: Proe. 
Linn. Soc. N. S. Wales. Vol. 9, 10. 

3. Derselbe, Das Nervensystem der Spongien. In: Zool. Anzeiger, VIII, 
S. 47—50, 448. 

4. Derselbe, Zur Histologie der Spongien. Ibid. S. 466-469, 483—486. 

5. Derselbe, Beitrag zur Kenntnis des Nerven- und Muskelsystems der Horn- 
schwämme. In: Sitz.-Ber. d. Akad. d. Wissensch., Berlin 1885, XLIV. 

6 Derselbe, Die Verwandtschaftsverhältnisse der Myxospongien. In: Zool. 
Anzeiger, VIII, S. 510-515. 

7. Derselbe, Das System der Monactinellidae. In: Zool. Anzeiger, VII, 
(1884) S. 201—206. 

8. Marshall W., Bemerkungen über die Cölenteratennatur der Spongien. 
In: Jen. Zeitschr, Bd. XVII, S. 868— 880. 

9. Pol&ejaeff N., Report on the Keratosa collected by H. M. S. Challenger. 
In: Rep. Challenger, Zoology, Vol. XI, 88 pp., 10 Taf. 

10 Schmidt O., Entstehung neuer Arten durch Verfall und Schwund älterer 
Merkmale. In: Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XLII, S. 639 —647. 

11. Schulze Fr. E., Ueber das Verwandtschaftsverhältnis der Spongien zu 
den Choanoflagellaten. In: Sitz.-Ber. d. Berliner Akad. 

12. Vosmaer G. C. J, Porifera in Bronn’s Klassen und Ordnungen des 
Tierreichs. 

13. Derselbe, Studies on Sponges. In: Mitt. zool. Stat. Neapel, Bd. V, 
S. 483—493. 


I. Abstammungs- und Verwandtschaftsverhältnisse. 


Wie vor Johnston (1842) die Frage, ob Spongien Pflanzen oder 
Tiere seien, noch immer nicht erledigt war, so streitet man jetzt 
noch, ob sie zu den Protozoen oder zu den Cölenteraten gehören, oder 
zu keiner dieser Gruppen. In engem Verbande hiermit und vielfach 
in unklarer Weise damit vermischt steht die Frage nach der Her- 
kunft der Schwämme. Es ist auch diese Frage in der letzten Zeit 
von Autoritäten mehrmals aufs Tapet gebracht worden, und darum 
wollen wir sie hier besprechen. 


182 Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 


Vor Leuckart (1854) galten die Schwämme als zweifellose Pro- 
tozoen. Als nun aber ihr komplizierter Bau allmählich bekannt 
wurde, und besonders nach Huxley’s Angaben über das Vorkommen 
von Eiern und Spermatozoen bei Tethya, sprach Leuckart zuerst 
die Meinung aus, dass die Spongien zu den Cölenteraten gehören. 
Und bis vor kurzer Zeit war dies wohl die allgemein giltige An- 
nahme, bis man endlich die dritte Möglichkeit einsah, nämlich dass 
sie eine gesonderte Stellung zwischen beiden einnehmen könnten. 
Diese Ansicht hat in der jüngst erschienenen Arbeit von Heider 
wieder einen Verteidiger gefunden. Ich habe 1880 in meiner Inau- 
gural-Dissertation darauf hingedeutet; Balfour (Comp. Anat. I. 
p. 122) ist der Ansicht, sie bilden einen „independent stock“ der 
Metazoa, am meisten geneigt, Sollas und Margö ebenfalls. Dass 
die Spongien keine Protozoen sind, darüber kann kaum Zweifel 
sein. Dass auf der andern Seite bedeutende Differenzen zwischen 
echten Cölenteraten und Schwämmen bestehen, ist wohl auch sicher. 
Auch die für die Cölenteraten-Natur der Porifera schwärmenden 
Forscher stellen sie als einheitliche, gesonderte Gruppe den Cni- 
dariern gegenüber. Es handelt sich aber nicht nur um die Frage: 
sind die Poriferen ein Subtypus der Cölenteraten, oder ein eigner 
Typus, sondern auch um die phylogenetischen Gründe. Wenn die 
Spongien keine Protozoen sind, so können sie doch von diesen ab- 
stammen. Wenn man im allgemeinen behaupten kann, dass die Meta- 
zoen von Protozoen abstammen, und wenn man ferner zugibt, dass 
Spongien echte Metazoen sind, so stehen wir sofort vor der Frage: 
wie verhalten sich phylogenetisch die Schwämme zu den übrigen 
Metazoen? In dieser Hinsicht stimmen nun die Resultate von Sollas, 
Margö und Bütschli im wesentlichen überein. Bütschli meint, 
„dass die Gruppe der Schwämme eine gegen die übrigen Metazoen 
ganz abgeschlossene ist, die durchaus selbständig aus der Abteilung 
der Choanoflagellaten (Sav. Kent) hervorging.“ Unabhängig von 
Bütschli kam Sollas zu demselben Schluss; er nennt das gesondert 
aus den Protozoa entstandene „Phyllum“ Parazoa, den Rest Me- 
tazoa. Margö lässt Porifera und Cölenterata als zwei getrennte 
„Phylla“ aus den „Archentera“ hervorgehen, d. h. aus den niedrigsten 
Formen der „Blastodermica“ (Metazoa Autt.), welche selbst aus den 
„Protoplastica* (Protozoa Autt.) entstanden sind. Dagegen tritt nun 
Marshall auf, indem er seine früher ausgesprochene Meinung weiter 
zu stützen sucht. Er sagte früher (Z. w. Z. Bd. XXXVI. S. 246): 
„Poriferen und Teliferen (sit venia verbo) sind zwei divergierende 
Aeste des Cölenteratenstammes, welche sich aus der gemeinsamen 
Stammform der Protactinia entwiekelt haben.“ Und er fügt jetzt (8) 
hinzu: „Dass die Ahnen der Spongien noch nicht sehr lange, viel- 
leicht noch gar nicht mit Tentakeln, die doch erst etwas Sekundäres 
sind, versehen waren, kann gern zugegeben werden; aber sie waren 


Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme, 183 


mindestens zweiblättrig und dabei, das können wir aus den gelegent- 
lich auftretenden Rückschlägen schließen, radiär; sie hatten eine 
Mundöffnung und einen Magenraum, von dem Gastralkanäle zentri- 
fugal verliefen, um, das Ektoderm durchbrechend, frei nach außen zu 
münden; und solche Geschöpfe sind, nach meiner Auffassung, unter 
allen Umständen echte Cölenteraten.“ Schulze (11) kritisiert die 
Ansichten von Bütschli, Marshall, sowie die der ältern Autoren, 
und kommt selbst zu dem Schlusse, es sei sehr wahrscheinlich, dass 
die ältesten Spongien noch keine radiären Ausstülpungen ihrer Zen- 
tralhöhle besaßen, sondern, ähnlich dem Olynthus der Kalkschwämme, 
einfache Sackform hatten. 

Prüfen wir jetzt die einander so stark widersprechenden Be- 
hauptungen. Ich will mit Marshall’s Theorie anfangen, da sie am 
bestimmtesten formuliert ist. Sie stützt sich hauptsächlich, wie der 
Autor selbst angibt, auf den radiären Bau, welchen die Schwämme 
nach ihm aber verloren haben. Er sieht in den Schwämmen rück- 
gebildete Tiere, und zwar degenerierte Cölenteraten, eine Ansicht, 
welche schon Dohrn vor zehn Jahren hatte und auch Balfour 
(Comp. Anat. I. p. 122) als möglich dargestellt hat. Balfour ist 
aber sehr im Zweifel: „It might perhaps be possible to regard spon- 
ges as degraded descendants of some Actinozoon type such as Al- 
cyonium, with branched prolongations of the gastrie cavity, but there 
does not appear to me to be sufficient evidence for doing so at pre- 
sent. I should rather prefer to regard them as an independant stock 
of the Metazoa.“ Ich glaube, jeder, der sich mit spongiologischen 
Untersuchungen abgegeben hat, gewinnt sehr oft den Eindruck einer 
Degeneration, kann dies aber nicht immer mit andern Thatsachen in 
Einklang bringen. Und daher vielleicht Balfour’s Zweifel. Es 
scheint mir, dass man sich immer die Fragen zu allgemein und an- 
derseits zu einseitig vorgelegt und nicht an die Möglichkeit gedacht 
hat, dass, was für eine Abteilung der Schwämme gilt, für eine an- 
dere sicher falsch ist. Es scheint mir, alles weist darauf hin, dass 
die meisten Kieselschwämme in gewisser Hinsicht zurückgehen, dass 
aber bei den Cornacuspongiae ein neues Moment eingetreten ist, das 
sie wieder in die Höhe bringt, und dass auch die jetzigen Calearea 
sich progressiv entwickeln. Aber wenn auch die meisten Schwämme 
zahlreiche Degenerationserscheinungen aufweisen, so brauchen sie 
darum noch nicht von „Cölenteraten“ abzustammen. Die Unterschiede 
zwischen beiden Gruppen sind so groß, dass selbst der eifrigste Ver- 
teidiger ihrer Cölenteratennatur, wie wir sahen, ihren phylogeneti- 
schen Zusammenhang sehr weit zurückschiebt. Und trotzdem ist 
Marshall’s Theorie wohl kaum zu halten. Angenommen, dass die 
nächsten Ahnen der Spongien „mindestens zweiblättrig“ waren, an- 
genommen auch, dass sie „radiär“ waren, ja dass sie einen „Magen- 
raum“ (s. 1.) ete. hatten, so beweist dies noch nichts. Solche Ge- 


184 Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 


schöpfe sind noch keine Cölenteraten. Marshall geht nun allerdings 
weiter und vindiziert den Schwamm-Ahnen eine „Mundöffnung“ und 
einen „Magenraum“ mit zentrifugal verlaufenden Kanälen. Hierfür liegt 
aber kein Grund vor. Denn wie auch Heider wieder angibt, ist 
das sogenannte Oseulum der Schwämme dem Mund der Cölen- 
teraten weder homolog noch analog, und die bei vielen Poriferen 
vorkommende große innere Höhle hat ebenso wenig die Bedeutung 
einer Magenhöhle, wie die damit in Verbindung stehenden Kanäle 
ohne weiteres den peripherischen Kanälen der Cölenteraten gleich- 
gestellt werden können. Es liegt kein einziger Grund vor, die zen- 
trale Höhle bei Schwämmen als Magenhöhle aufzufassen. Selbst 
wenn ihre Epithelzellen vielleicht Nahrungspartikelchen aufnehmen 
können, so ist noch nie beobachtet worden, dass die Höhle die 
wirklich verdauende Kavität zar &£oynv ist!). Es ist dies aus 
mehreren Gründen sogar sehr unwahrscheinlich. Denn erstens kommt 
die verhängnisvolle Höhle nicht immer vor, oder sie ist sehr klein; 
zweitens aber ist ihre Lage und Einrichtung zum Zurückhalten fester 
Körper sehr ungünstig. Man kann mir vorwerfen, es sei nicht be- 
wiesen, dass grade feste Nahrung aufgenommen wird. Da es aber 
sicher ist, dass gewisse Schwammzellen feste Körper aufnehmen 
können und es sehr gern thun, und ferner Schwämme, welche man 
in Bassins hält, die möglichst rein gehalten werden, wo das zu- 
fließende Wasser von suspendierten Körperchen befreit wird, rascher 
zugrunde gehen als andere, welehe man in sehmutzigen (sit venia 
verbo) Bassins hält, so ist es wohl schon aus diesem Grunde wahr- 
scheinlicher, dass feste Nahrung eine Lebensfrage für sie ist. Das 
Ungünstige der Lage der sogenannten Magenhöhle beruht oft (viel 
öfter, als man einfach ohne Grund annimmt) auf der nach unten 
mündenden großen Oefinung und dem verhältnismäßig starken Strom 
(denn die sogenannte Magenhöhle ist der Sammelkanal, die Cloaca, 
worin alle andern Kanäle münden). Und da, wo in den „Magen“ 
Spieula hineinragen, die eventuell Nahrung zurückhalten könnten, da 
sind konstant diese Spieula nach dem Oseulum zu gebogen, verhin- 
dern also den Eintritt, keineswegs aber den Ausgang. 

Die Entwicklungsgeschichte lehrt uns, dass schon sehr früh die 
Poriferen und Cölenteraten auseinander gehen. Wie Heider mit 
Recht ausdrücklich betont, heftet sich die Schwamm -Gastrula mit 
dem Munde fest, während die Cölenteraten-Gastrula mit dem aboralen 
Pole sich festsetzt. Also bis zur Gastrula gehen die beiden Typen 
zusammen, dann aber schon jeder seinen eignen Weg. Endlich hat 
schon Balfour (Comp. Embr. II p. 285) auf das frühe Auftreten und 
die mächtige Entwicklung des Mesoblasts als auf bedeutende Dif- 
ferenz zwischen Poriferen und Cölenteraten hingewiesen. Wenn ich 


1) Häckel’s Angaben beruhen auf reiner Phantasie. 





Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 185 


mich denjenigen also nicht anschließen kann, welche die Spongien 
zu den Cölenteraten rechnen wollen, so bin ich auch nicht damit ein- 
verstanden, dass sie von diesen abstammen. 

Bezüglich der Frage, ob denn die Schwämme von Protozoen 
stammen, muss man, um Missverständnisse zu vermeiden, wohl un- 
terscheiden eine direkte Abstammung (d. h. die Sache auffassen wie 
Saville Kent e. s. und dann als notwendige Konsequenz in den 
Poriferen eine progressiv sich entwickelnde Gruppe sehen) und eine 
indirekte Abstammung (d.h. ob überhaupt Schwämme oder Schwamm- 
Ahnen als Metazoen sich aus Protozoen -Kolonien entwickelt haben). 
Mir scheint das Letztere am plausibelsten. An eine direkte Ab- 
stammung ist wohl kaum zu denken. Ich will nicht weiter davon 
reden, dass die Spongien keine Monaden- oder Choanoflagellaten- 
Kolonien sind. Aber auch die Unterschiede zwischen den heutigen 
Spongien und Protozoen sind so groß, dass man eigentlich nur darüber 
reden kann, ob die Ahnen der Sechwämme von Protozoen stammen. 
Und in diesem Sinne kann ich die Frage nur bejahen, wenn es auch 
noch gänzlich unsicher ist, wie der Uebergang geschah. 

Bekanntlich ist Balfour ausgegangen von der Amphiblastula- 
Larve und hat darin die ontogenetische Rekapitulation einer Stamm- 
form gesehen, welche zwischen Protozoen und Metazoen stand. Er 
nimmt an, dass die Zellen der beiden Hälften funktionell sich dif- 
ferenzierten in nutritive (die amöboiden Zellen) und respira- 
torisch-lokomotorische (die Geißelzellen). Beim Festheften 
mussten diese (lokomotorischen) Geißelzellen größtenteils funktionslos 
werden, während die amöboiden Zellen, als für die Gesamtkolonie 
sehr nützlich, sich ausdehnten. Daher eine größere Außenschicht von 
nutritiven, eine kleine innere Schicht von nun hauptsächlich respira- 
torischen Zellen. 

Diese Theorie Balfour’s wird in Heider’s jüngster Arbeit kri- 
tisiert, und die beigebrachten Argumente scheinen uns allerdings 
sehr wichtig. Balfour war „im Unrecht“ — sagt Verf. — „als er 
kurzweg die Frage von der Hand wies, ob wir in der Amphi- 
blastula-Larve nicht vielleicht eine eönogenetisch verän- 
derte Form vor uns haben.“ Heider hält sie grade für eine 
solche, zumal die Amphiblastula nur bei den Calearea, und nicht ein- 
mal bei allen, vorkommt. Zweitens meint Heider, dass man noch 
kein Recht hat, die amöboiden Zellen als geeigneter zur Nahrungs- 
aufnahme anzusehen, als die Geißelzellen. Er weist hin auf die Sal- 
pingoeken und Codosigen und meint, dass unsere Kenntnis vom 
Mechanismus der Geißelbewegung eine zu geringe ist, um über die 
Fähigkeiten der Kragenzellen ein Urteil abgeben zu können. Drittens 
wirft er Balfour vor, dass er keinen Grund angegeben hat, warum 
die Larve ihre freie Bewegung aufgegeben habe. Gestützt auf seine 
neuen Untersuchungen an Oscarella stellt nun Heider eine andere 


186 Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 


Hypothese auf, indem er annimmt, „dass die durch die Einstülpung 
gebildete Höhle der Gastralraum sei, und dass die Zellen der einge- 
stülpten Sehicht, also bei Sycon die Geißelzellen, ursprünglich die 
Nahrung aufnehmenden Elemente waren.“ Die Gastrula-ähnliche 
Stammform der Spongien gab dann ihre herumschwärmende Le- 
bensweise auf, „indem sie ihren Mund der Oberfläche eines festen 
Körpers anlegte, um auf diese Weise an der mit kleinen Organismen 
aller Art belebten Fläche von Steinen nach Nahrung zu suchen.“ 
Die Festheftung geschah ursprünglich in der Weise, wie dies Heider 
bei Oscarella fand, nämlich nur an einzelnen Punkten, so dass immer 
Wasser in den Gastralraum strömen konnte. Allerdings ist auch für 
diese Hypothese viel zu sagen, aber wenn Heider Balfour vor- 
geworfen hat, er erkläre nicht, warum die Urform sich festgesetzt 
und die freie Bewegung aufgegeben habe, so kann man auf der an- 
dern Seite Heider den Vorwurf machen, er sage nicht, warum die 
Blastula-artige Larve auf einmal sich in eine Gastrula verwandelt. 
Was war da das Prineipium movens? Mir erscheint alles noch reine 
Hypothese, welcher man andere Hypothesen gegenüberstellen kann. 
Ich will gern die Möglichkeit zugeben, dass sich die Metazoen aus 
Kolonien von Protozoen gebildet haben; dies ist sehr wahrscheinlich, 
aber nieht notwendig. Solange wir aber noch nicht wissen, welche 
Zellen des Schwammes und der Schwammlarve die Nahrung auf- 
nehmen !), welche Zellen zur Respiration dienen, so lange wird es 
noch wenig helfen, nach einer Erklärung dafür zu suchen, wie aus 
einer Protozoen-Kolonie eine Schwammlarve resp. ein Urschwamm 
entstanden ist. Balfour’s Theorie beruht auf lauter Annahmen und 
ebenso diejenige Heider’s. Es wäre ebenso gut möglich, dass, nach- 
dem in einer Kolonie von Protozoen Funktions-Differenzierungen in 
den Zellen aufgetreten waren, durch Bildung von Spieula die Larve 
zu schwer zum Schwimmen wurde und zu Boden gesunken war, 
worin ein wichtiges Moment zum Festsitzen liegt. Hierfür spricht 
das frühe, oft sehr frühe Auftreten der Spieula. Aber das sind wie 
gesagt alles noch lauter Hypothesen, für welehe zwar manches sich 
beibringen lässt; aber es scheint mir noch ziemlich zwecklos, viel 
hierüber zu philosophieren. 

Wenn die Phylogenie der Porifera als Ganzes aber noch absolut 
im dunkeln liegt, so steht es mit der Verwandtschaft der ein- 
zelnen Gruppen unter einander doch etwas besser. Ich habe bei 
der in „Bronn“ (12) befolgten Einteilung der Spongien auf diese 
Verhältnisse Rücksicht genommen, obwohl in der Behandlung eines 





4) Bekanntlich hält Pol&jaeff es für ziemlich wohl bewiesen, dass die 
Kragenzellen sehr schlecht geeignet sind, Nahrung aufzunehmen, und zwar 
stützt er sich hauptsächlich auf mechanische Gründe. Man vergesse aber nicht, 
dass man von der Mikro-Mechanik kaum erst etwas weiß. 


Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 187 


Systems die Verhältnisse da nicht ganz klar zum Ausdruck kommen 
konnten, weil die Gattungen der Reihe nach erwähnt werden müssen. 
Ich habe erstens die große von Gray vorgeschlagene Einteilung in 
zwei Klassen: Kalkschwämme und Nicht- Kalkschwämme !) acceptiert, 
weil zwischen ihnen eine scharfe Grenze existiert, während innerhalb 
dieser Gruppen die Uebergänge uns bekanntlich oft genug zur Ver- 
zweiflung bringen. 

v. Lendenfeld (7), wie alle vor ihm, haben in den Horn- 
schwämmen eine ältere Gruppe gesehen und von diesen die soge- 
nannten Monactinelliden abgeleitet. Ich selbst hatte genau die ent- 
gegengesetzte Vorstellung über die Verwandtschaft, und glaubte die 
Ceratina umgekehrt von Spieula-besitzenden Formen ableiten zu 
können. Ich habe mich hierüber (13) ausgesprochen, und unabhängig 
von mir kam in demselben Jahre Pol&jaeff (9) im wesentlichen 
zu den nämlichen Schlüssen. Jeder Spongiologe ist wohl davon über- 
zeugt, dass z. B. zwischen den sogenannten Chalineen und den Cera- 
tina große Verwandtschaft herrscht. Es ist aber darum nicht aus- 
gemacht, dass sie so ist, wie es Schmidt, v. Lendenfeld u. a. 
angeben. Pol&jaeff und ich haben beide gefragt, warum so und 
nicht umgekehrt. „Es ist ohne Zweifel leichter verständlich, dass 
Hornschwämme von Kieselschwämmen stammen als umgekehrt“, sagt 
Polejaeff, und dies war und ist auch meine Meinung. In seinem 
„System der Monactinellidae* gibt v. Lendenfeld neue Beweise 
für die nahe Verwandtschaft dieser Gruppe mit den Ceratina. Aber 
Gründe liefert er nicht dafür, dass die erstern von den letztern 
abstammen. Dies haben die Gegner wohl gethan. Pol&jaeff sieht 
in dem äußerst vereinzelten Auftreten von Spieula bei Chalina lim- 
bata Bwk. nur eine phylogenetische Bedeutung. Er sieht nicht ein, 
wie eine einzige Reihe Spieula in den Sponginfasern des genannten 
Schwammes die Fasern verstärken kann. Mir scheint dies ein 
schwacher Punkt, denn wenn dies nicht so wäre, warum nehmen 
denn die (wahrscheinlich niedrigsten) Ceratina Sandkörnchen auf? 
Aber es gibt noch andere Argumente: das Kanalsystem meiner Hali- 
chondrina (— Monactinellidae Autt. mit Ausnahme der Suberitidae 
Autt.) ist einfacher als das der meisten Öeratina. Die Grundsubstanz 
ist meistens hyalin bei jenen, meistens körnig bei diesen. Bei den 
wahrscheinlich ältesten Spongien, den Hexactinelliden, ist nie eine 
Spur von Spongin gefunden worden, und wenn es auch nicht sicher 
ist, ob fossile Hornschwämme existieren oder nicht, so zeigen doch 





4) Ich muss meinem Freunde Pol&jaeff beistimmen, wenn er meine Be- 
zeichnung Porifera non-calearea schlecht findet. Ich habe aber nur darum 
nicht Silicea gesagt, weil dies Verwirrung geben. könnte, da man ziemlich all- 
gemein von Kalk-, Kiesel- und Hornschwämmen als von drei äquivalenten 
Gruppen redete. 


188 Langendorff, Die chemische Reaktion der grauen Substanz. 


die vorliegenden Daten, so unvollständig und wegig beweisend sie 
auch sein mögen, dass die Hornschwämme viel jünger sind als 
Hexactinelliden und auch nicht vor den Monactinelliden auftreten. 
Und dies sind wenigstens Gründe zum Vorteile der Hypothese von 
Polejaeff und mir. Wie gesagt, es lassen sich die Verhältnisse auch 
viel leichter erklären. Dass Spieula überhaupt bei Ab- oder An- 
wesenheit gewisser Bedingungen leicht verschwinden, darüber ist kein 
Zweifel, und wir werden darauf noch zurückkommen. Die in ge- 
ringerer Tiefe vorkommenden Schwämme sind mehr den Strömungen 
unterworfen, bedürfen also ceteris paribus eines elastischern Skeletes. 
Aber es scheint auch, dass für eine starke Kieselabsonderung seichtes 
Wasser unvorteilhaft ist. Wir finden manche Kieselschwämme mit 
ganz vereinzelten Spieula. Es ist klar, sagt Pol&jaeff, dass, wenn 
ein Schwamm einmal die Eigenschaft bekommen hat, die Spieula 
mittels einer elastischen Substanz zu Reihen oder Netzen zusammen- 
zukitten, dieses Ereignis für die Existenz des Tieres sehr wesentlich 
ist. Dass dabei die Anwesenheit von Spieula von sekundärer physio- 
logischer Bedeutung wird, ist wohl wahrscheinlich !). Umgekehrt 
kann ich mir die Sache nicht recht vorstellen, ohne zu sehr ge- 
zwungenen Annahmen zu greifen. 


(Schluss folgt.) 


Die chemische Reaktion der grauen Substanz. 
Von O. Langendorff in Königsberg ’). 


In einer kurzen, vor drei Jahren veröffentlichten Mitteilung 3) 
habe ich einige Angaben über die chemische Reaktion des Zentral- 
nervensystems bei Fröschen gemacht. Beim normalen lebenden Tiere 
hatte ich dieselbe alkalisch gefunden; dagegen hatte ich schnell 
Säuerung eintreten sehen, wenn das Tier erstickte, oder wenn Gehirn 
oder Rückenmark aus dem Körper entfernt wurde. Ich hatte an- 
genommen, dass die Säuerung sich nur auf die graue Substanz er- 
strecke, nicht auf die weiße. 

Im Anschluss an diese Versuche habe ich schon damals auch 
solche an Säugetieren gemacht. In der Hoffnung, dieselben weiter 
ausdehnen zu können, verschob ich ihre Veröffentlichung. Da ich 
indess seither nieht Zeit fand sie fortzusetzen, und vielleicht auch 
so bald nicht Zeit dazu finden werde, so erlaube ich mir hiermit, 





1) Vergl. aber oben. 
2) Aus: „Neurologisches Centralblatt“, 1885, Nr. 24. 
3) Centralbl. f. d. med. Wissenschaften, 1882, Nr. 50. 


Langendorff, Die chemische Reaktion der grauen Substanz. 189 


meine Versuchsergebnisse, die immerhin schon jetzt einiges Interesse 
beanspruchen dürften, mitzuteilen. 

Als bekannt darf ich voraussetzen, dass nach der Meinung der 
meisten der Gehirnrinde im Gegensatz zum Marke eine saure Reak- 
tion zukommt. Man stützt sich hierbei besonders auf die Angaben 
von Gscheidlen!), und noch jüngst hat Edinger?) durch ein eignes 
Verfahren den Nachweis von der Acidität der Rinde zu führen 
gesucht. 

Meine Versuche haben mich hingegen zu dem Ergebnis geführt, 
dass diese Annahme wohl für die tote und scheintote, 
nicht aber für die lebende Großhirnrinde richtig ist. Die 
Versuche wurden an Kaninchen und Meerschweinchen angestellt. In 
den meisten Versuchen waren die Tiere durch Chloralhydrat oder 
Aether tief betäubt; in einigen Vergleichsversuchen wurde die Nar- 
kose unterlassen. 

Zur Prüfung der Reaktion diente sehr empfindliches blaues und 
rotes Lakmuspapier, von Schuchardt in Görlitz bezogen, und vio- 
lettes, das ich mir selbst bereitet hatte. Instrumente und Schwämme 
waren auf Eis gekühlt. Das mit Messer oder Schere abgetragene 
Rindenstückchen wurde nach schneller Abtrocknung auf gekühltem 
Fließpapier auf einer auf Schnee stehenden Porzellanplatte zwischen 
zwei Lakmuspapierstreifen mittels eines eiskalten Porzellanpistills 
schnell zerquetscht. 

In allen Fällen, und ich habe wohl hundertmal die Reaktion 
der Großhirnrinde untersucht, fand ich dieselbe deutlich al- 
kalisch. Rotes sowie violettes Lakmuspapier wurde gebläut, blaues 
blieb unverändert, oder, falls es rote Töne enthielt, wurde stärker blau. 

Längeres Freiliegen der entblößten Gehirnoberfläche an der Luft 
änderte die Reaktion nicht. 

Wird die Prüfung eines Rindenstückchens einige Minuten nach 
der Exstirpation vorgenommen, so ist bereits Säuerung nachweisbar. 
Je höher die umgebende Temperatur, desto schneller tritt diese 
Reaktion ein. 

Wird das Tier oder nur das Gehirn durch Abklemmung der vier 
Gehirnarterien oder durch Verblutung erstickt, so geht die alka- 
lische Reaktion der Rinde schnell in die saure über. 
Zunächst nimmt die Bläuung des Reagenspapieres ab, dann wird 
weder violettes Papier, noch blaues oder rotes verändert, endlich wird 
das blaue deutlich gerötet. Saure Reaktion kann schon zwei Mi- 
nuten nach Eröffnung oder Ligatur der Halsgefäße vorhanden sein; 





1) Arch. f. d. ges. Physiologie ete., Bd. VIII, S. 171. Daselbst auch die 
frühere Literatur. 

2) Arch. f. d. ges. Physiologie ete., Bd. XXIX, 8. 251. Und: Zehn Vor- 
lesungen über den Bau der nervösen Centralorgane, Leipzig 1885, S. 19. 


190 Langendorff, Die chemische Reaktion der grauen Substanz. 


sicher deutlich ist sie nach vier Minuten. Später nimmt die anfangs 
geringe Acidität merklich zu. Die Großhirnrinde getöteter Tiere fand 
ich stets sauer. 

Von Wichtigkeit ist die Thatsache, dass die durch Hemmung des 
Blutstromes sauer gewordene Rinde nach Wiederfreigebung desselben 
wieder alkalisch werden kann. Doch schwindet die Säure nur lang- 
sam, um so langsamer, je längere Zeit die Anämie gedauert hat. Den 
Versuch des Abhaltens und Wiederzulassens des Blutes habe ich mit 
demselben Erfolge hintereinander dreimal wiederholen können. Obwohl 
die jedesmalige Arterienklemmung 5, 7 und 9 Minuten gedauert 
hatte), wurde die eingetretene Säuerung durch den zugelassenen 
Blutstrom jedesmal wieder getilgt, das letzte Mal freilich so lang- 
sam, dass 38 Minuten nach der Lösung der Arterienklemmung erst 
neutrale, aber noch nieht alkalische Reaktion eingetreten war ?). 

Eine merkwürdige Ausnahme von dem beschriebenen Verhalten 
macht das Großhirn neugeborner Tiere. Die Reaktion der 
lebenden Rinde ist hier sehr kräftig alkalisch., Weder Verblutung 
noch Erstiekung, noch der auf andere Weise herbeigeführte Tod des 
Tieres vermag die Reaktion sauer zu machen. Selbst nach 24 Stun- 
den findet man das im Kalten oder Warmen aufbewahrte Großhirn 
überall alkalisch 3). Wahrscheinlich hängt dies mit der reichlichen 
Durchtränkung des jugendlichen Gehirns mit alkalischen Säften zu- 
sammen, die eine auftretende Säure nicht zu neutralisieren oder gar 
zu überneutralisieren vermag. Würde man den Alkaleszenzgrad der 
Rinde quantitativ bestimmen, so fände man vielleicht auch hier eine 
Abnahme desselben. Doch wäre es auch denkbar, dass in der Groß- 
hirnrinde des Neugebornen überhaupt eine Säurebildung nicht stattfindet. 

Die Erstieckung der Großhirnrinde, wahrscheinlich die der grauen 
Substanz überhaupt, ist somit durch das Auftreten einer Säure charak- 
terisiert. Welche Natur dieselbe haben möge, wage ich nicht zu 
enteheiden. Vielleicht tritt freie Milchsäure auf, die Gscheidlen 
thatsächlich aus der grauen Rinde darstellen konnte; vielleicht han- 
delt es sich um ein saures Salz, etwa saures Natriumphosphat, das 
durch Abspaltung aus den phosphorhaltigen organischen Verbindungen 
der Rindensubstanz entstehen mag. 

Den Prozess, der zur Bildung der Säure führt, halte ich für 
keinen kadaverösen, sondern für einen vitalen, fortwährend ab- 





1) Bei diesen länger andauernden Abklemmungen wurde künstliche Atmung 
unterhalten, 

2) Die Großhirnrinde kann noch viel längere (über !/, Stunde) Zeit 
absolut anämisch sein, ohne dass ihre Fähigkeit, zur normalen Funktion zu- 
rückzukehren, erlischt. Bei späterer Gelegenheit werde ich einige darauf be- 
zügliche Erfahrungen mitteilen. 

3) Nur die Hirnrinde des bekanntlich in sehr ausgebildetem Zustande ge- 
bornen Meerschweinchens zeigt spät eintretende aber deutliche Säuerung. 


Müller, Blumenblätter als Lockspeise für Vögel. 491 


laufenden, der in ähnlichen Beziehungen zu der Thätigkeit der grauen 
Substanz zu stehen scheint, wie der Säuerungsprozess beim Muskel 
zur Muskelthätigkeit. Wäre die Säuerung eine Leichenerscheinung, 
so wäre ihr schnelles Schwinden schwer verständlich, und die that- 
sächlich mögliche funktionelle Restitution einer erstickten Hirnrinde 
ganz unfassbar. 

Dass am durchbluteten Gehirn nichts von dieser Säurebildung 
erkannt wird, liegt an der fortwährenden Beseitigung des fortwährend 
sich bildenden Produktes durch den Blutstrom. Wird er gehemmt, 
so häufen die Zersetzungsprodukte sich an und werden nachweisbar. 

Je thätiger die graue Substanz, desto reger wird ihr Stoffwechsel, 
desto reichlicher vermutlich auch die Säurebildung sein. Das wird 
beim Warmblüter nicht anders sein können, als beim Frosche, bei 
welchem ich dureh Strychninvergiftung die Säurebildung steigern konnte. 

Von der tiefen Narkose könnte man vielleicht erwarten, dass sie 
diese Prozesse lahmlege oder wenigstens verringere. Ob das letztere 
nieht wirklich der Fall ist, müssten quantitative Versuche entscheiden. 
Dass die schlafende Rinde aber chemisch nicht unthätig ist, dass sie 
wenigstens noch eine Vita minima führt, das beweisen die obigen 
Experimente. 


Fritz Müller, Feijoa, ein Baum, der Vögeln seine Blumen- 
blätter als Lockspeise bietet. 
Kosmos, 1886, Bd. I, Heft 2, S. 93—98. Mit 1 Holzschnitt. 


„In Europa sehen wir Vögel nur ausnahmsweise von Blumen angelockt. 
Sperlinge z.B. beißen gern die Blüten des gelben Crocus ab, Dompfaffen beißen 
mit ererbter Geschicklichkeit aus Schlüsselblumen grade denjenigen Querschnitt 
aus dem untern Teile der Blüte aus, welcher den Honig enthält. Irgendwelche 
Anpassung der Blumen, welche solche gelegentliche feindliche 
Angriffe von Vögeln unschädlich machte oder gar in einen Vorteil für 
die Pfanze verwandelte, hat sich daher eben wegen der Seltenheit dieser 
Angriffe bei keiner unserer Blumen durch Naturauslese geeigneter Abände- 
rungen ausprägen können“. Dies die Worte, welche Hermann Müller 1879 
niederschrieb. Kürzlich hat nun in dem an wunderbaren biologischen An- 
passungen so reichen Brasilien Verfasser die Entdeckung gemacht, dass der 
dort allgemein bekannte in Wuchs und Belaubung dem Goiabenbaume (Psidium 
pomiferum) gleichende und seiner wohlschmeckenden Früchte, der Goiaba do 
campo, halber gerühmte Feijoabaum in hoher Vollkommenheit eine derartige 
Anpassung darbietet. 

Die vier Blumenblätter von Feijoa sind beim Aufblühen etwa 15 mm lang 
und breit ausgebreitet und an der nach außen gewölbten Seite schmutzig gelb- 
lich weiß, mit bräunlichen und rötlichen Punkten und Fleckchen gezeichnet. 
Sie wachsen danach sehr rasch, in Tagesfrist zu 25 mm Länge und 30 mm 
Breite heran. Anstatt aber diese stattlichen Blumenblätter ausgebreitet zur 
Schau zu tragen, rollt die Feijoa dieselben den Vögeln wie einen Eierkuchen 
zu einem einzigen bequemen Bissen zusammen. Dabei kleiden sich dieselben 
in ein weithin leuchtendes Weiß, werden fleischig und erhalten — anfangs 


192 Dewitz, Anleitung zur Anfertigung u. Aufbewahrung zootomischer Präparate. 


fast geschmackslos oder von harzig-brennendem Geschmack — einen reinen 
zuckersüßen Geschmack. Die zahlreichen (50— 60) Staubgefäße mit dunkel 
blutroten Staubfäden und hellgelbem Blütenstaub sowie der Griffel scheinen 
durch ihre Festigkeit den großen Bestäubungsvermittlern gleichfalls angepasst. 

Nachdem Verfasser beobachtet hatte, dass die Blumenblattröhren kurz 
nach ihrer Entwicklung abgebissen wurden, ertappte er als die Thäter schwarze 
und braune Vögel, wahrscheinlich die S' und 2 eines Thamnophilus, welche 
die leckern Blumenblätter abbissen und, Staubbeutel und Narben dabei mit 
dem Kopfe berührend, die Bestäubung vollzogen. 


F. Ludwig (Greiz). 


Ein in tiergeographischer Hinsicht interessanter Fund 

ist von Dr. OÖ. Zacharias zu Hirschberg i/Schl. bei Gelegenheit einer zweiten 
Abfischung der beiden Koppenteiche des Riesengebirges (Sommer 1885) ge- 
macht worden, insofern die rote Varietät der Hydrachnide Pachygaster tau- 
insignitus Lebert (= Lebertia insignis Neumann) in den beiden genannten 
Hochseen zahlreich nachgewiesen wurde. Bisher war diese Wassermilbe nur 
aus gewissen Seen Schwedens und der Schweiz (Züricher und Zuger See) be- 
kannt. Ihr Vorkommen, welches von Dr. Z. im neuesten Hefte des 43. Bandes 
der Zeitschr. f. wissensch. Zoologie (1886) gemeldet wird, ist für Deutschland 
mit Ausnahme eines vereinzelten Fundes bei Lübeck neu. 


H. Dewitz, Anleitung zur Anfertigung und Aufbewahrung 


zootomischer Präparate. 
Berlin, 1886. Verlag von Mayer und Müller. 96 Seiten, 12 Tafeln. 

„Für Studierende und Lehrer“, so sagt der Titel, ist dieses Buch bestimmt, 
das ein Erstling, und kein schlechter, in seiner Art ist. Und für naturwissen- 
schaftliche Lehrer an Gymnasien, Realgymnasien u. s. w. dürfte dasselbe in 
der That in erster Reihe von Nutzen sein. Für einen solchen freilich, welcher 
während seiner akademischen Studienzeit niemals Gelegenheit gehabt, d. h. 
wohl mit andern Worten nie diese Gelegenheit aufgesucht hat, das eine oder 
andere Tier unter sachkundiger Leitung zu zergliedern — teils um seinen Bau, 
teils um Handhabung und Gebrauch von Messer, Schere und Pinzette kennen 
zu lernen — für den wird es auch mit Hilfe dieses Buches sehr schwer sein, 
in der angedeuteten Richtung zu arbeiten und etwas zu schaffen, das dann 
andern wirklich etwas nützt. Jedenfalls aber ist das Buch in einem Stil und mit 
einem so sichtlichen Streben nach Klarheit und Deutlichkeit in der Darstellungs- 
weise geschrieben, dass es das, was mit einem solchen Leitfaden erreicht wer- 
den kann, aller Wahrscheinlichkeit nach erreichen wird. 

Damit aber diese „Anleitung“ in Zukunft der ihr gestellten Aufgabe um 
so besser gerecht werde, wünschen wir ihr recht bald eine 2. Auflage, und 
zwar eine solche mit andern Abbildungen. Die jetzigen sind nicht alle 
derart, dass sie das genannt werden könnten, was sie hier in erster Reihe sein 
sollten: nämlich klar und, deutlich, und sie lassen nicht immer, was mindestens 
sehr wünschenswert wäre, auf den ersten Blick erkennen, worauf es eigentlich 
ankommt. Von dieser Kritik nehmen wir übrigens ausdrücklich Tafel V aus 
mit der Anodonta und noch einige andere. Größere Abbildungen, vielleicht 
in billigerer, z. B. zinkographischer Herstellungsweise, würden besonders zu 
empfehlen sein für solche wie die Figuren 75, 68, 42 — einfachere, mehr 
schematische Behandlung 2... B. für. ur Figuren 2, 41 und 58. idn. 











Verlag von Eduard Besold in Erlangen. . _ Druck von Junge. & Sohn i in n Erlangen. 





Biologisches Öentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 














24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 





VI. Band. 1. Juni 1886. Nr. 7. 








der Schweizer Seen. — Albrecht, Ueber die morphologische Bedeutung der 
Penischisis, Epi- und Hypospadie. — Simon H. und Susanna Phelps Gage, 
Wasseratmung bei weichschaligen Schildkröten, ein Beitrag zur Physiologie der 
Atmung bei Wirbeltieren. — Ehrlich, Ueber die Methylenblaureaktion der 
lebenden Nervensubstanz. 





Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 
Kritisch referiert von G. C. J. Vosmaer. 
(Schluss.) 

Ausgehend von der Hypothese, dass die Ceratina jünger sind 
und in anbetracht der Thatsache, dass die besprochenen Gruppen 
unter einander näher verwandt sind, habe ich sie zu einer Ordnung 
vereinigt, den Cornacuspongiae, welche in die Haliehondrina 
und Ceratina zerfallen. Zu den ersten rechne ich die Renieriden 
und Chaliniden der Autoren (Halichondridae), die Spongillidae, 
Desmacidonidae und Ectyonidae, welche in dieser Reihenfolge 
im großen und ganzen ein immer prononcierteres Auftreten von Spon- 
gin zeigen. Es ist vor der Hand noch unmöglich etwas mehr als 
rein mutmaßlich zu sagen, wie diese Familien unter einander zu- 
sammengehören. 

Bis jetzt — und selbst Pol&jaeff scheint dies auch zu wollen — 
hat man nach meiner Meinung viel zu viel an der Idee festgehalten, 
dass alle Schwämme, deren Spieula einaxig sind, zusammengehören. 
Ich dagegen habe die sogenannten Monactinelliden auflösen zu müssen 
geglaubt und lege hierauf Nachdruck. Ich war hiervon schon über- 
zeugt, als ich das Kapitel „Anatomie“ im „Bronn“ schrieb, und wies 
darauf hin, „dass Stabnadeln sowohl aus triaxilen als aus tetraxilen 
Nadeln entstehen können“ !). Womit natürlich nicht gesagt ist, dass 
dies der einzige Modus ihrer Entstehung sei. 





4) Bronn, Porifera S. 178. 
VI, 13 


194 Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme, 


Ich habe die Porifera non calcarea in drei Ordnungen zerlegt: 
Hyalospongiae (Hexactinelliden), Spieulispongiae und Cor- 
nacuspongiae. Für die erste ist das eigentümliche „Hexactinelliden- 
Skelet“ maßgebend, für die dritte ein neues Faktum, nämlich die Dif- 
ferenzierung gewisser Bindegewebszellen in Spongoblasten, also das 
Auftreten von Spongin. Bei der zweiten Ordnung dagegen, den Spi- 
eulispongiae, finden wir keines von beiden; die Spieula sind weder 
durch Kieselmasse noch durch Spongin verbunden, hängen tiberhaupt 
loser zusammen oder geben, falls sie fest sind, durch ihre eigen- 
tümliche Lage und Form dem Skelet mehr Halt. Die Spieuli- 
spongiae, so genannt wegen des vorwiegenden Auftretens von relativ 
lose zusammenhängenden Spicula, habe ich in fünf Unterordnungen 
eingeteilt, welche aber nicht alle gleich scharf von einander getrennt 
sind. Dies ist auch meines Erachtens nicht nötig, weil so etwas mir 
a priori unmöglich scheint. Die erste Unterordnung bilden die Li- 
thistina; wie diese mit den andern Subordines zusammenhängen, 
ist noch schwer zu sagen. Das Vorkommen aber von tetraxonen 
Spieula, die Beschaffenheit der Grundsubstanz und das Kanalsystem 
weisen wohl auf Zusammenhang mit der zweiten Unterordnung, den 
Tetraxonina (ungefähr — Tetraectinelliden Autt.) hin. Von diesen 
oder ähnlichen Formen scheinen mir die weitern Gruppen, unter 
steter Degeneration des Skeletes, abzustammen. Ich habe zu den 
Tetraxonina auch die Plakinidae und Corticium gerechnet. 
Dass diese überhaupt dazu gehören, wird man wahrscheinlich kaum 
bestreiten, und wir haben hierin sehr wichtige Beispiele vom all- 
mählichen Verkümmern und Schwinden der tetraxonen Nadeln. Aber 
auch unter den Geodiden kommt dies schon vor; hat man doch in 
Caminus und Puchymatisma die glänzendsten Beweise. Oskar 
Schmidt (10) hat grade kürzlich zugegeben, dass er seinen Ca- 
minus nur zu oberflächlich untersucht und beschrieben habe, und so 
meine Vermutung ') zur Wahrheit gemacht. Die ganze Anatomie 
weist nun aber auch darauf hin, wie nahe Tethya und Tuberella mit 
den Tetraxonina verwandt sind. Man hat dies schon von verschie- 
denen Seiten hervorgehoben, und so habe ich denn auch diese beiden 
als Pseudotetraxonina in die Ordnung eingereiht. Ich habe viel 
Gewicht auch auf die Anordnung der Spieula gelegt. Bei den Geo- 
didae, wo die anatomischen Verhältnisse am meisten differenziert 
sind, existiert immer ein Zentrum, von wo aus sich Bündel von Spi- 
cula nach der Peripherie begeben, auch ist die Rinde sehr stark 
entwickelt und von Skeletelementen gestützt. Bei denjenigen Formen, 
wo die tetraxonen Nadeln zurücktreten, ist auch fast immer die Rinde 
dünner. Sie verliert nämlich teilweise ihren Zweck, da sie nur dann 
einen bedeutenden Halt gibt, wenn die eigentümlichen tetraxonen 





1) Bronn S. 310. 


Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 195 


Spieula sie fest mit dem Körper verbinden oder so liegen, dass sie 
bei eventuellem Druck eine Stütze bilden. Unter den Ancoriniden 
besitzen viele noch eine Rinde, besonders aber starke Faserrinden, 
worin Kügelchen oder Sternchen zerstreut liegen, indess nie, obwohl 
oft in großer Anzahl, so zusammengepackt wie bei den Geodiden. 
Eine Tendenz zur sphärischen Form, möchte ich sagen, bleibt immer 
noch erkennbar, oft sehr ausgeprägt. Wir finden bei den Tethyaden 
diese Kugelform und damit zusammenhängend die radiäre Anlage 
der Spieula, die eigentümlichen Sternchen und die Rinde, die Be- 
schaffenheit der Grundsubstanz mit ihrem meist körnigen Bindegewebe 
und zahlreichen Fasern. Aber Schritt für Schritt sieht man diese 
Charaktere eingehen. Zunächst scheinen unter den Nadeln die Spitz- 
winkler, wie ich die „reeurvoternates“ von Bowerbank genannt 
habe !), zu verkümmern oder zu verschwinden. Dann die Stumpf- 
winkler ?), endlich die Geodienkügelchen, dann erst die Rechtwinkler 
und „Gabelanker“ (Schmidt), zuletzt die Sternchen. Mit dem Ver- 
schwinden der Rinde treten selbstverständlich manche Vereinfachungen 
im Kanalsystem ein. Die komplizierten Chonen und Crypts können 
sich nicht mehr ausbilden. Alles weist auf Degeneration hin; selbst 
wenn wir das Beispiel der Plakiniden nicht hätten, so ist doch die 
Sache viel leichter denkbar, wenn wir dies annehmen, als umgekehrt 
eine progressive Entwicklung, ein Auftreten stets komplizierterer ana- 
tomischer Verhältnisse und vielfacher Nadelformen. Von diesem Ge- 
sichtspunkte aus lassen sich die Chondrosiden und Halisareiden (we- 
nigstens Oscarella) als degenerierte Formen auffassen, so wie auch 
die Tethyaden. Ich hoffe hiermit zu genauen Untersuchungen in 
dieser Hinsicht angeregt zu haben, z.B. ob sich beweisen lässt, dass 
die Stabnadeln einer Tethya oder Tuberella von tetraxonen Nadeln 
stammen. Aber wenn auch diese genannten Schwammgruppen in- 
betreff ihres Skeletes und gewisser anderer anatomischer Elemente 
degeneriert sind, so schließt dies natürlich nicht aus, dass sie sich in 
andern Hinsichten progressiv entwickelt haben können. 

Auf der andern Seite scheint mir nun auch eine engere Ver- 
wandtschaft zwischen den sogenannten Suberitiden der Autoren und 
Tethya zu existieren. Auch dies ist schon von vielen gefühlt worden, 
und darum hat man Tethya oft zu dieser Gruppe gerechnet. Bei Po/y- 
mastia findet man noch eine Faserrinde, bei Weberella ebenfalls, ob- 
wohl oft nicht so deutlich. Ebenso bei Tentorium, Osculina und Pa- 
pillella. Was aber besonders ins Auge fällt, ist die Anordnung der 
Spieula, welche sich immer noch von der typischen radiären Anlage 
ableiten lässt. „Denken wir uns, dass die Radien nicht alle gleich 





4) Bronn S. 157. 
2) „Dreizähnige Anker mit abwärts gerichteten Zähnen“ (Schmidt). 
Bronn 8. 157. 


119.5 


196 Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 


lang sind, sondern vorzüglich nach der obern Hälfte wachsen, so 
bekommen wir nicht mehr kuglige, sondern halbkuglige Formen oder 
Scheiben (Polymastia), wobei die kleinen Randspicula !) teilweise 
mehr senkrecht auf die vertikale Axe des Körpers zu stehen kommen. 
Denken wir uns schließlich sehr verlängerte Formen, wo also nur 
sehr wenige Radien (völlig) entwickelt sind, so können wir uns das 
Entstehen von Skeletverhältnissen vorstellen, wie es bei einigen Su- 
beritiden der Fallist, nämlich eine zylindrische Axe mit ringsum senk- 
recht darauf stehenden kleinen Spieula“ (Bronn 8. 178). Und so 
glaubte ich auch die meisten sogenannten Suberiten der Autoren hier- 
mit in enge Beziehung bringen zu müssen. 

Die wichtigste Schwammarbeit der letzten Zeit ist wohl Pole- 
jaeff’s „Keratosa“. Wir haben schon früher die „Calcarea“ dieses 
Autors besprochen und gesehen, mit welcher Gewissenhaftigkeit und 
Logik Pol&ejaeff arbeitet. Es gibt auf spongiologischem Gebiete 
leider noch immer zu wenig Forscher, welche es wenigstens ver- 
suchen, dem von Schulze angegebenen schweren, aber einzig 
richtigen Wege zu folgen. Um so größer die Freude, wenn man 
jemand diesen Weg doch wandeln sieht. „All the specimens in 
the collection not devoid of soft parts have been examined with re- 
gard to their canalsystem and skeleton“, wird S. 35 gesagt. Diese 
Sammlung zählt 34 verschiedene Formen, wovon 21 neu, und P. gibt 
von allen mehr oder weniger ausführliche Beschreibung und Abbildung. 
Schon lange hatte man die Genera Janthella, Coscinoderma, Luffaria, 
Verongia aufgestellt, Marshall hat noch Psammoclema und Psammo- 
pemma errichtet; allein man kannte von allen kaum mehr als den 
Namen und etwas vom Skelet. Eine Anatomie, auf genaue mikro- 
skopische Beobachtung an gut erhaltenem Material begründet, hat 
erst Pol&jaeff geliefert und damit die ersten wissenschaftlichen 
Schritte gethan. Als ich derzeit einen Versuch, die Ceratina zu klassi- 
fizieren, lieferte, habe ich sogar einige der oben genannten Gattungen 
gar nicht erwähnt, weil ich selbst sie nicht gesehen hatte und aus 
der vorliegenden Literatur nicht klug wurde. Pol&jaeff bespricht 
ausführlich die verschiedenen Systeme und adoptiert schließlich das 
meinige, jedoch nur als ein vorläufiges. Dass manches daran fehlt, 
gebe ich zu, und auch ich sehe es nur als ein vorläufiges an. So 
ganz unnatürlich aber, wie P. meint, wenn ich ihn richtig verstehe, 
glaube ich, ist es doch nicht. Ich hatte fünf Familien ange- 
nommen; die fünfte war die der Hircinidae?). Ich stimme P. bei, 
wenn er diese aufgibt. Es bleiben also vier Familien: Spongeli- 
dae, Spongidae, Aplysinidae und Darwinellidae, welche 





1) Nämlich an der Peripherie — die Homologa der echten Rindenspieula. 
2) Schon Pole&jaeff hat darauf hingewiesen, dass in meiner Arbeit Ok- 
goceras irrtümlich mit hinein gekommen ist. 


Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 197 


ich auch im „Bronn“ angenommen habe. Zu den Spongeli- 
dae bringt P. nun auch die Gattungen Psammoclema und Psammo- 
pemma Marshall’s, während er Psammascus Marsh. als identisch 
mit Spongelia (—= Dysidea Johnst.) einzieht. Zu den Spongidae 
werden gerechnet Euspongia, Cacospongia, Hippospongia, Coscino- 
derma, Phyllospongia, Carteriospongia und Stelospongia. Zu den 
Aplysinidae stellte ich Ap/ysina und bedingungsweise auch Ve- 
rongia, Dendrospongia und Janthella. Die beiden letzten gehören nun 
nach Pol&jaeff zu den Darwinellidae. Ich kann ihm aber hierin 
nicht beistimmen, und ich habe diese Gattungen vorläufig in einem 
Anhang aufgenommen. Es scheint mir die baumartige Verästelung 
der Sponginfasern für die Darwinellidae zu charakteristisch. 
Dagegen hat P. die Familie der Aplysinidae um Lufaria be- 
reichert. Was endlich die vierte Familie betrifft, so hatte ich Aply- 
silla und Dendrilla dazu gebracht und bedingungsweise Darwinella. 
Pol&jaeff hat Gelegenheit gehabt gut konservierte Exemplare dieser 
Gattung zu studieren und konnte meine Vermutung für richtig er- 
klären. 

Der Hauptgrund, welcher P. veranlasst meine Gruppierung als 
unbedingt unnatürlich zu erklären, liegt in folgendem. Euspongia, 
sagt er, ist mittels Zufaria und Verongia mit Aplysina verwandt, 
aber anderseits mittels Carteriospongia mit Spongelia. Und allerdings, 
wenn dem so wäre, so spräche mein System absolut gegen die na- 
türlichen Verhältnisse. Es scheint mir aber kein Grund dafür vor- 
zuliegen, dass Euspongia mit Aplysina in der Weise verwandt sei, 
wie P. behauptet. Und sobald dies nicht bewiesen ist, können, wie 
mir scheint, die von mir aufgestellten Familien noch bestehen bleiben. 
Nach meiner Auffassung — und wir werden sehen, auch nach der- 
jenigen Pol&jaeff’s — hängen Darwinella, Dendrilla und Aplysilla 
unter sich enger zusammen als mit irgend einem andern Genus. Und 
ebenso Spongelia, Psammopemma und Psammoclema. Velinea weicht 
mehr ab und bildet schon einen Uebergang zu den Darwinellidae. 
Die möglichen genealogischen Verhältnisse stelle ich mir folgen- 
dermaßen vor. 

Angenommen dass das richtig ist, was ich über ihre Abstammung 
von sogenannten Monactinelliden sagte, so sehe ich die Spongeli- 
dae als die ältern Formen an: erstens wegen ihres weniger ent- 
wickelten Kanalsystems, und zweitens wegen der geringern Ent- 
wicklung von Spongin. Aus Spongelia-artigen Formen haben sich 
wahrscheinlich die Darwinellidae und Aplysinidae entwickelt, 
für welche Hypothese Velinea viel beiträgt, aber auch anderseits die 
Spongidae. Das Auftreten von Spongoblasten habe ich als eine 
neue Erwerbung dargestellt, wodurch allmählich andere Kennzeichen 
als unnütz oder überflüssig verschwinden. Bei den Spongelidae ist 
die Spongin-Entwicklung noch sehr gering; bei den Spongidae 


198 Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 


schon viel stärker, ja es gibt da Genera, welche noch kaum Fremd- 
körper in die Fasern aufnehmen brauchen. Das Kanalsystem wird 
komplizierter, und die jetzigen Hornschwämme stellen, nach dieser 
Auffassung, eine progressiv sich entwickelnde Gruppe dar. Die Dar- 
winellidae und Aplysinidae sind noch weiter fortgeschritten. 
Die Sponginfasern bedürfen nie der Fremdkörper, und bei den 
Aplysiniden hat das Kanalsystem seine höchste Differenzierung er- 
reicht. Ich sage hiermit nicht, dass die Spongidae direkt von den 
Spongelidae stammen, und dass aus den Spongiden die Dar- 
winellidae und dann Aplysinidae entstanden sind. Dies ebenso 
wenig wie Menschen von Affen abstammen. Es kann ungefähr so sein: 


Aplysinidae 


Darwinellidae /e 
N 


\ 
Mt d In 
\ 


\  Spongidae 
\ | 


\a 
Spongelidae 

Wenn man nun auch gewisse Uebereinstimmungen findet zwischen 
Aplysiniden und Spongiden, so scheint dies mir noch kein Beweis 
gegen den hypothetischen Stammbaum. Gehen doch beide von dem 
Stamme a aus und werden also Kennzeichen davon beibehalten. — 
Ich wiederhole: das System ist noch nicht fest begründet, aber ich 
glaube nicht, dass es durchaus unnatürlich ist. Polejaeff nimmt 
vorläufig mein System an. Am Schluss seiner Arbeit kommt er aber 
auf die Sache zurück und sagt, die ganze Gruppe der Hornschwämme 
sei nur eine Familie. Diese Familie umfasse eine Anzahl von Ge- 
nera, welche jedoch teilweise in Subgenera sich spalten lassen. 
Das Ganze läuft also darauf hinaus, dass er der geringen und 
quantitativen Unterschiede wegen von Genera redet, wo ich Familien 
sagte. Dies ist allerdings insofern eine Verbesserung, als die Dif- 
ferenzen wirklich kaum größern Wert haben. Das Verfahren scheint 
mir aber unpraktisch, und man vergesse nie, dass die ganze Ein- 
teilung doch nur für die Praxis gemacht ist. Scharfe Grenzen sind 
nirgends vorhanden, und wo man sie in der Natur findet, da liegt 
der Grund nur an mangelhafter Kenntnis an Mangel an Zwischen- 
formen, die doch sicherlich existieren oder existiert haben. Nur der 
Praxis wegen geben wir den Tieren Namen, um sie unterscheiden 
zu können. Nur müssen wir bei der Gruppierung nicht willkürlich 
arbeiten, sondern versuchen, die nächsten Verwandten zu einander zu 





Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 199 


stellen. Ebenso wenig wie die Charaktere, welche verschiedene 
Species unterscheiden, für alle Tiere absolut gleichwertig sind, ebenso 
wenig kann man verlangen, dass der Begriff „Gattung“ immer ein 
absolut äquivalenter ist. Er braucht es auch nicht sein. Und so 
glaube ich, dass der Streit zwischen P. und mir nur einer über Worte 
ist. In der Hauptsache sind wir unabhängig von einander wieder zu 
gleichen Schlüssen gekommen. Dass auch ich die Ceratina (oder 
Keratosa) nur als Unterabteilung ansehe, beweist meine Darstellung 
im „Bronn“ (s. oben). 

Fassen wir die Resultate zusammen, so können wir folgendes 
sagen. Die Ahnen der Schwämme stammen wahrscheinlich von Pro- 
tozoen-Kolonien. Sie haben alsbald ihre freie Bewegung aufgegeben 
und sich festgesetzt. Dass ein Urschwamm etwa wie ein Olynthus 
ausgesehen hat, wie Schulze will, ist sehr leicht möglich. Dies 
sind aber reine Hypothesen. Hingegen sprechen verschiedene That- 
sachen dafür, dass erstens die Hexactinellidae die ältesten 
Schwämme sind, dass zweitens die Spiculispongiae eine dege- 
nerierende Gruppe darstellen, und dass drittens die Cornacuspon- 
giae eine ursprünglich wohl degenerierte Gruppe sind, die sich aber 
durch Ausbildung neuer Elemente jetzt wieder aufschwingt. Was die 
Kalkschwämme betrifft, so scheinen die jetzigen Formen sich pro- 
gressiv zu entwickeln. Alle durchlaufen das Olynthus - Stadium, und 
besonders stellen nach Polejaeff’s Untersuchungen die Sycon - artigen 
Formen eine niedrigere Stufe dar als die Leucon-artigen. Wie aber 
diese Thatsachen sich mit der Paläontologie in Uebereinstimmung 
bringen lassen, ist einstweilen noch völlig unklar. 


lI. Nerven und Muskeln bei Schwämmen. 


Nach Lendenfeld sollen Schwämme wirklich Nerven und Mus- 
keln besitzen. Ich habe mehrmals gemeint, etwas Nervenartiges ge- 
sehen zu haben, und ähnliches hat Pol&jaeff mir mitgeteilt (vergl. 
Bronn S$. 181). Jedoch konnten wir nie mit Sicherheit ihr Vorhan- 
densein behaupten. Nun gibt Lendenfeld ihre Anwesenheit 
als bestimmt an; jedoch muss ich sagen, dass seine Gründe mir 
nichts weniger als beweisend vorkommen. Eine ausführliche Be- 
schreibung mit sehr genauen Abbildungen thut deswegen sehr not, 
vor allem aber neue Beobachtungen. Verf. hat die „sensitiven BEle- 
mente und Ganglienzellen“ zuerst bei Kalkschwämmen (3) gefunden 
und zwar bei Heterocoelien, nicht bei Homocoelien. Bei Sycandra!) 
arborea H. sind nach Verf. die Sinneszellen zu einem Ringe, der 
3—5 Zellen breit ist, in der Wand der Poren gruppiert. Sie sind 





1) Ascandra steht in der betreffenden Arbeit. Dies ist aber offenbar ein 
Druckfehler. 


200 Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 


sehr klein, spindelförmig, sehr tingierbar. Der dünnere proximale 
Teil spaltet sich in feine Ausläufer. Das gewöhnliche Plattenepithel 
fehlt an der Stelle, wo die Sinneszellen an die Oberfläche heran- 
treten; sie treten sogar „in Form kleiner Höcker“ hervor. „Im Leben 
mögen hier wohl Sinneshaare, Tastborsten sitzen.“ Die kontraktilen 
Fasern in der Umgebung nennt Verf. denn auch „Muskelzellen“. 
Eigentümliche Ganglienzellen sollen ebenfalls an der erwähnten Stelle 
vorkommen, und Verf. glaubt „gesehen zu haben, dass einzelne 
Ausläufer sich mit den basalen Ausläufern der Sinneszellen in Ver- 
bindung setzen“. 

Bei Aulena, einem neuen Hornschwamm, fand er (2) in Gruppen 
angeordnete, senkrecht auf der Oberfläche eigentümlicher Membranen 
stehende spindelförmige Zellen. Ein Teil von einer solchen Zelle, 
nämlich die Spitze, soll durch die Membranwand dringen und eine 
Art „Palpoeil“ bilden. Das Protoplasma dieser Zellen ist sehr un- 
durchsichtig, der Kern groß, oval. Das andere Ende der Zellen 
„scheint“ Fortsätze auszusenden, welche in die Grundsubstanz dringen. 
Verf. „glaubt“, dass diese Ausläufer der „sensitiven Zellen“ mit Fort- 
sätzen von tiefer gelegenen „miltipolaren Ganglienzellen“ in Verbin- 
dung steben. Die Spindelzellen in der Grundsubstanz selbst nimmt 
er als Muskelzellen in Anspruch und „zweifelt nicht“ daran, dass sie 
mit Ausläufern der „Ganglienzellen“ ebenfalls in Verbindung stehen. 

Bei einer Euspongia-Art fand er zwischen dem eigentlichen 
Schwammkörper und der skeletlosen Partie eine Membran, welche 
aus 3—4 Reihen spindelförmiger Zellen besteht. Diese sind „ganz 
gefüllt“ mit einer grobkörnigen, doppelt brechenden Masse. Obwohl 
diese Körner unregelmäßig zerstreut liegen, so glaubt Verf. doch eine 
Art Tendenz beobachtet zu haben zur Gruppierung in Reihen oder 
Scheiben. Er fasst diese Zellen als Mittelform zwischen einfachen 
und quergestreiften Muskeln auf. Am Distalende dieser „Muskel- 
membran“ ist eine Verdiekung. An dieser Stelle findet man eine 
Anhäufung von „Ganglienzellen“, und Verf. vergleicht diese Bildung 
mit den Ringnerven der Craspedoten. Auch sensitive Zellen wie die 
von Aulena hat er hier gefunden. 

v. Lendenfeld fasst (5) seine Resultate folgendermaßen zu- 
sammen: 

Sycandra arborea H. Die Sinneszellen bilden einen Ring am Ein- 
gange der einführenden Kanäle. 

Grantessa sacca Ldf. Die Sinneszellen stehen in Gruppen am 
Eingange der einführenden Kanäle. 

Vosmaeria gracilis Ldf. und Sycandra pila Ldf. Die Sinneszellen 
stehen in Gruppen weiter ab im Umkreise der Einströmungsöffnungen. 

Leucandra saccharata H. und L. meandrina Ldf. Die Sinnes- 
zellen stehen in Gruppen, welche unregelmäßig über die Oberfläche 
zerstreut sind. 





Forel, Fauna der Schweizer Seen. 201 


Leucetta microraphis Ldf. und Leucaltis Helena Ldf. Die Sinnes- 
zellen stehen einzeln an der Oberfläche zerstreut, scheinen jedoch 
zahlreicher in der Nähe der Einströmungsöffnungen zu sein. 

Aulena villosa Ldf. Die Sinneszellen stehen in kleinen Gruppen 
an den Vereinigungslinien der Membranen, welche im Vorhofsraume 
ausgespannt sind. 

Halme globosa Ldf. Die Sinneszellen stehen in Gruppen an den 
Rändern der Membranen, welche in den lakunösen Räumen des ein- 
führenden Kanalsystems ausgespannt sind. 

Euspongia canaliculata Ldf. Die Sinneszellen bilden Zonen, 
welche an der Oberfläche die lakunöse Ausbreitung des ausführenden 
Systems umziehen. 

Beide Gebilde, Nerven- sowie Muskelzellen, sind mesodermal. 

Wie im Anfange gesagt, ist es noch lange nicht bewiesen, dass 
die betreffenden Zellen wirklich Nerven sind. Spezifische Reagentien 
auf Nerven fehlen uns noch, und die Verbindung zwischen den 
sogenannten Sinneszellen, Ganglien und Muskeln ist noch nieht 
beobachtet. Es ist also die Behauptung, dass Schwämme Nerven 
besitzen, eine reine Hypothese. 


A. Forel, Fauna der Schweizer Seen. 


Neue Denkschriften der allgemeinen schweizerischen Gesellschaft für die ge- 
samten Naturwissenschaften, 1885. 

A. Forel, der gründliche Kenner und Erforscher der Fauna, 
zumal der Tiefenfauna der Schweizer Seen, hat in seiner letzten Arbeit 
über diesen Gegenstand ausführlich seine Ansichten niedergelegt über 
die Herkunft derselben. Er kommt zu dem Schlusse, dass sie der 
Hauptsache nach von der Uferfauna abstammen müsse. Derselben 
Anschauung haben freilich schon andere Forscher vor Forel Aus- 
druck gegeben; aber noch keiner hatte sie so ausgiebig begründet, 
noch keiner hatte andere Vermutungen über die Abkunft der Schweizer 
Tiefseefauna so gut widerlegt wie Forel. 

Nach ihm ist zu unterscheiden zwischen einer freiwilligen, 
selbständig thätigen Wanderung in die Tiefe — und einer unfrei- 
willigen, welche durch andere Tiere, durch Strömungen und durch 
erst schwimmende, später versinkende Gegenstände vermittelt wird. 

Die selbstthätige, wenn auch unbeabsichtigte [darum ist der 
Ausdruck „freiwillige“ eigentlich nicht recht zutreffend] wird nur bei den 
Formen stattfinden können und stattgefunden haben, denen eine ver- 
hältnismäßig große Beweglichkeit eigen ist. Der träge Schlamm- 
bewohner sowohl als diejenigen Formen der Uferfauna, welchen zu 
ihrem Leben der Pflanzenwuchs der höchstgelegenen Wasserschiechten 
unentbehrlich ist, werden schwerlich jemals durch eigne Bewegung 


202 Forel, Fauna der Schweizer Seen. 


hinabgelangen können. Für andere Formen stellt sich Forel diese 
selbstthätige Wanderung so vor: ein bestimmter Bruchteil von den 
Tieren solcher leicht beweglicher Arten verirrt sich; der Abfall des 
Seegrundes nach der Tiefe ist ein zu sanfter, als dass für das Gefühl 
der Tiere die Steigung des Bodens recht deutlich zum Ausdruck 
kommen könnte und auf diese Weise ein Wiederzurechtfinden leicht 
denkbar wäre, und so geraten dieselben immer weiter abwärts. 
Wiederum ein Bruchteil der solchergestalt „verirrten“ Tiere besitzt 
Widerstandskraft gegen neue Lebensverhältnisse und Fähigkeit der 
Anpassung an dieselben genug, um dann zu einer wirklichen Tiefen- 
fauna beizutragen. 

Man sieht schon, auch Forel betrachtet diese „freiwillige“ Wan- 
derung als etwas Nebensächliches gegenüber der andern, der „un- 
freiwilligen“, letztere vermittelt durch andere Tiere, durch Strö- 
mungen und durch erst schwimmende, später versinkende leblose 
Gegenstände. Bei dieser letztern unterscheidet Forel viererlei Art. 
Erstens ist es denkbar und wohl sicher als geschehend anzunehmen, 
dass Fische solche Formen, welche mit ihnen in irgend welcher Art der 
Symbiose leben, in andere Wasserschichten verschleppen. Embryonen 
von Süßwassermuscheln setzen sich bekanntlich eine Zeit lang an 
Fischen fest, machen also in dieser Zeit alle Wanderungen derselben 
mit, und dasselbe versteht sich für Formen, welche als echte Schma- 
rotzer der Fische leben, z. B. gewisse Würmer und Krebse. Zwei- 
tens bildet das Wasser der Seen rückläufige, nach der Tiefe ge- 
richtete Strömungen. Durch Winde werden Oberflächenströmungen 
nach dem Ufer hin erzeugt, und der Rückschlag und Ausgleich der- 
selben müssen unbedingt solche Tiefenströmungen sein. Diese aber 
führen dann Schlamm, Pflanzenteile und anderes mit sich fort, und 
damit mittelbar auch Tiere oder deren Eier. Drittens werden häufig 
genug vom Ufer her Holzstücke, Blätter und ähnliches in die Mitte 
eines Sees getrieben. An ihnen haben sich Vertreter der Uferfauna 
festgesetzt, oder sie führen Eier von solehen mit sich. Nach und 
nach saugen sich solche Gegenstände mit Wasser voll und sinken in 
die Tiefe, die ihnen anhaftenden Lebewesen mit hinunterziehend. 
Viertens endlich nennt Forel Uferrutschungen als Erklärung und 
Beweggrund für solche Tierwanderungen; diese aber können verhält- 
nismäßig nur geringe Bedeutung, meist nur Bedeutung haben für 
wenige, räumlich eng begrenzte Oertlichkeiten. 

Ein weiterer Grund für die Annahme, dass die Tierwelt der Tiefe 
von derjenigen der Ufer abstammt, ist der, dass die Formen jener 
zum überwiegenden Teil auch oben an den Ufern vorkommen, oder 
dass sie Uferformen außerordentlich nahe stehen. Sehr wenige Tiefen- 
bewohner zeigen Verwandtschaft mit Höhlenformen, noch geringer 
ist die Zahl derer, deren nächste uns bekannte Verwandte Bewohner 
des Meeres sind. 


Forel, Fauna der Schweizer Seen. 203 


Ueberlegt man nun die Sache genauer, so gelangt man notwendig 
zu der Frage: könnten jene Tierformen nicht noch auf andere Weise 
in die Tiefe gelangt sein? und man findet darauf in der That noch 
zwei anscheinend mögliche Antworten: entweder, die heutige Tiefen- 
fauna stammt unmittelbar ab von einer ehemals, schon zur Tertiärzeit 
vorhandenen; oder aber man könnte sagen, die Tiefseeformen hätten 
sich: fortverbreitet von See zu See; sie seien, in einem See einmal 
vorhanden, dann in einen andern und wieder einen andern weiter- 
gewandert. Als Drittes gibt es nur die eben ausgeführte und be- 
gründete Anschauung, dass nämlich die Tierwelt der Seetiefe von 
derjenigen abstammt, welche die Ufer bewohnt. 

Betrachten wir indess jene zwei scheinbaren Möglichkeiten näher, 
so finden wir bald genug, dass sie unhaltbar sind, und dass somit 
die Forel’sche Ansicht als einzig mögliche übrig bleibt. 

Ein Vermächtnis aus tertiärer Zeit erstens kann die Tiefen- 
fauna der Schweizer Seen einfach darum nicht sein, weil zwischen 
der Tertiärzeit und heute eine andere Zeit mitteninne liegt, während 
welcher an der Stelle der jetzigen Schweizer Seen Wassertiere über- 
haupt nicht leben konnten, da es während derselben, während der 
Eiszeit, dort gar keine Seen gab. Man hat ja allen Grund anzu- 
nehmen, dass im großen und ganzen die Oberflächengestaltung der 
Schweiz, am Ende der Tertiärzeit wenigstens, dieselbe war wie heut; 
man kann darum nicht gut mit dem Einwand hervortreten, dass die 
Seebecken von heute damals vielleicht anderswo gelegen hätten. Haben 
dieselben nun aber seit der Tertiärzeit bis jetzt ihre Lage nicht ge- 
wechselt, so kann man auch nicht in Abrede stellen, dass sie wäh- 
rend der Eiszeit infolge überhandnehmender Vergletscherung voll- 
ständig mit Eismassen ausgefüllt waren. Auch ferner angenommen, 
sie seien nicht ausgefüllt, vielmehr nur von oben her mit Eis bedeckt 
gewesen, so konnten auch dann die Tierformen, welche heut die 
Tiefen der Schweizer Seen bewohnen, diese Zeit nicht überstehen, 
nicht in Wasser leben, das eine vermutlich sehr lange Zeit hindurch 
von der atmosphärischen Luft durch eine mächtige Gletscherlage voll- 
kommen abgesperrt war. Letzteres mindestens aber müsste unbedingt 
der Fall gewesen sein. Jene Seebecken liegen zwischen den Alpen 
und dem Jura, und bis in eine Höhe von tausend und mehr Metern 
hinauf findet man auf letzterem noch erratische Blöcke, welche aus 
den Alpen stammen. Das Ufer des Genfer Sees liegt etwa 40 Meter 
über Meer, und somit kann man nicht gut anders als annehmen, dass 
während des im ganzen von uns „Eiszeit“ genannten Abschnittes der 
"hier in Frage kommenden Erdgeschichte die die heutigen Schweizer 
Seen überlagernde Eismasse eine Dieke von mehr als tausend Metern 
erreichte. Von einem Fortleben der Tiefenformen von der Tertiärzeit 
bis heute wird darum unter allen Umständen abzusehen sein. 

So leieht zweitens die Verbreitung der Hochseefauna unserer Süß- 


204 Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie. 


wasserseen aus der Verschleppung durch Wasservögel sich erklärt, 
und so gleiehförmig infolge dessen diese pelagische Tierwelt überall 
aussieht, so weit nur die Wanderungen unserer Wasservögel reichen, 
so unmöglich ist es dagegen, in entsprechender oder ähnlicher Weise 
eine Weiterverbreitung von solchen Formen anzunehmen, welche die 
Tiefen dieser Seen bevölkern. Eine Verschleppung durch Wasservögel 
einmal ist darum ausgeschlossen, weil auf der einen Seite diese nie 
in irgendwie ansehnliche Tiefen hinabtauchen, und weil auf der andern 
Seite die Tiefseetiere nie in die obern Wasserschichten heraufkommen, 
nie heraufkommen können. Außerdem aber besteht zwischen den 
Tiefen verschiedener Seen kein einziges Bindemittel. Der Weg von 
einer Seetiefe zur andern führt nur, kann nur führen durch die oberr 
Lagen des Wassers, und in diese lebend zu gelangen ist den Tiefen- 
bewohnern unmöglich. 

An der Hand der Ausführungen Forel’s gelangen wir also von 
neuem und in sicherer, trefflich begründeter Weise zu der schon 
ehedem vorhandenen Anschauung: die Tiefenfauna der Seen der 
Schweiz (und der meisten andern Seen) stammt von der Uferfauna 
derselben ab. idn. 
Ueber die morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- 

und Hypospadie des Menschen. 


Von Prof. Dr. Paul Albrecht in Hamburg. 
Ausführlicher Originalauszug eines am 10. April 1886, dem 4. Sitzungstage 
des XV. Kongresses der deutschen Gesellschaft für Chirurgie, zu Berlin ge- 

haltenen Vortrages. 

Um die morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hy- 
pospadie zu ergründen, ist es zunächst von Wichtigkeit, zu wissen, was 
der morphologische Wert des Penis ist. Um dieses wiederum in Erfah- 
rung zu bringen, ist es nötig, sich zunächst mit den Vorder- oder Schul- 
terflossen, hierauf mit den Hinter- oder Beckenflossen der Knorpelfische 
zu beschäftigen. Als passendstes Objekt hierzu erbietet sich nach A. 
das Skelet eines erwachsenen, männlichen Nagelrochen (Raia clavata L.). 

1. Die Humeri des Rochen. Ein Roche hat nicht wie der Mensch 
nur einen Humerus jederseits, ein Roche besitzt jederseits 3 Humeri. 
Diese Humeri bezeichnet A. von vorn nach hinten (kranio -kaudalwärts) 
gezählt, als Humerus I, II und III. Ihre bisherigen Namen waren, 
in derselben Richtung gezählt, das Basale des Schulter-Propterygoid, 
das Basale des Schulter-Mesopterygoid und das Basale des Schulter- 
Metapterygoid. Also: — 


Bisherige Bezeichnung. Albreceht’s Bezeichnung. 
Basale des Schulter- Propterygoid — Humerus I, 
> » E Mesome, — Sul? 
D) ” ” Meta ) ar „ HL 


Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie. 205 


2. Die 3 Avenabula des Rochen. Mit dem Ausdrucke Avenabulum 
bezeichnet A. eine auf einem Schultergürtel befindliche, zur gelenkigen 
Verbindung mit einem Humerus bestimmte Gelenkfläche. 

Der Mensch hat nur ein Avenabulum jederseits, der Roche drei; 
nämlich nach A. ein Avenabulum I, II und III. Am Avenabulum I 
artikuliert der Humerus I, am Avenabulum II der Humerus II, am 
Avenabulum III der Humerus II. 

3. Die 3 Schultergelenke des Rochen. Infolge dessen besitzt ein 
Roche jederseits 3 Schultergelenke, nämlich eine Artieulatio omozonio- 
humeralis I zwischen Avenabulum I und Humerus I, eine Artieulatio 
omozonio-humeralis II zwischen Avenabulum II und Humerus I, eine 
Artieulatio omozonio - humeralis III zwischen Avenabulum UI und 
Humerus III. 

4. Die 3 Humeralia des Rochen. Mit dem Ausdruck Humerale be- 
zeichnet A. den auf einen Humerus fallenden Abschnitt der Vorderflosse, 
nebst allen Skelet-, Bänder-, Muskel-, Nerven-, Gefäß- und sonstigen 
Gewebselementen, sowie dem dazu gehörenden Abschnitt des Integu- 
ments. Der Roche hat also jederseits 3 Humeralia; nämlich ein 
Humerale I, II und II. 

5. Die 2 Femora des Rochen. Ein Roche hat nicht wie der Mensch 
nur ein Femur jederseits; ein Roche besitzt jederseits 2 Femora. 

6. Die 2 Acetabula, 2 Hüftgelenke und 2 Femoralia des Rochen. 
Infolge dessen besitzt ein Roche auch jederseits 2 Acetabula, 2 Arti- 
eulationes pelvizonio-femorales und 2 Femoralia. 

7. Welchen der 3 Humeri des Rochen entsprechen die 2 Femora 
desselben, welchen der 3 Avenabula die 2 Acetabula, welchen der 3 Schul- 
tergelenke die 2 Hüftgelenke, welchen der 3 Humeralia die 2 Femoralia? 
Das am weitesten kaudalwärts liegende Femur des Rochen entspricht 
offenbar dem am weitesten kaudalwärts liegenden Humerus desselben. 
Da nun letzterer = Humerus III, so ist ersteres —= Femur Ill. Das 
vor dem Femur III liegende Femur unseres Rochen entspricht offen- 
bar dem vor dem Humerus III desselben liegenden Humerus. Da nun 
letzterer — Humerus II, so ist ersteres — Femur II. Vor dem 
Humerus II unseres Rochen liegt noch ein Humerus, der Humerus I; 
vor dem Femur II desselben liegt aber kein Femur mehr; es fehlt also 
dem Rochen das Femur I. Aus den soeben nachgewiesenen Homo- 
dynamien ergeben sich die Homodynamien der Avenabula und Aceta- 
bula, der Schulter- und Hüftgelenke, der Humeralia und Femoralia 
von selbst. Das Femur II des Rochen bezeichnet A., weil, wie wir 
weiterhin sehen werden, es dem Femur der Amphibien und Amnioten 
entspricht, als Orthofemur, das Avenabulum II als Orthoacetabulum, 
das Hüftgelenk II als Orthohüftgelenk, das Femorale II als Ortho- 
femorale; das Femur III des Rochen hingegen bezeichnet A., weil, 
wie wir ebenfalls weiterhin sehen werden, es das Femur des Hemi- 
penis desselben ist, als Hemipenifemur, das Acetabulum III als 


306 Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie, 


Hemipeniacetabulum, das Hüftgelenk III als Hemipenihüftgelenk, 
das Femorale III als Hemipenifemorale. Dann lassen sich die bisher 


nachgewiesenen Homodynamien in die folgenden Tabelle zusammen- 
fassen: — 


Albrecht’sche Homodynamien an Schulter- und Becken- 
sliedmaße des Rochen. 


a) Humeri und Femora. 


Humerus- True will var lenr AA eehlt; 

TO N I er a am ll, 
(Orthofemur), 

a DI er N INT 


(Hemipenifemur). 


b) Avenabula und Acetabula. 


Ayenabulum’l. = 7... 5 ur 2 Kchli, 
2 TIERES Br ZUSIENNISR DIN cetabulume-Er 
(Orthoacetabulum), 
= 1 U DER er ER PASS Ela Ba a ande li II, 


(Hemipeniacetabulum). 


c) Schulter- und Hüftgelenke. 


Artieulatio omozonio-humeralis I . . . . Fehlt, 
" » II  Artieulatio pelvizonio-femoralis II 
(Artieulatio pelvizonio-orthofemoralis), 
> e III Artieulatio pelvizonio-femoralis Il 


(Artieulatio pelvizonio-hemipenifemoralis). 


d) Humeralia und Femoralia !). 


Humerale-lr nis a Da SHOT RER FURchlE. 
b He nesneilk den a Sa iemorales1ls 
(Orthofemorale), 
RAS NETT ol a Bas re N BE a Prien: 
(Hemipenifemorale). 


Die bisherige, von der Gegenbaur’schen Schule vertretene An- 
sicht war, dass an der Beckenflosse der Knorpelfische das Mesopterygoid 
fehle, und dass das Albreeht’sche Femur II das Basale des Becken- 


propterygoid sei, während es nach Albrecht das Basale des Becken- 
Mesopterygoid ist. Also: — 





4) Unter einem Femorale versteht A. wiederum den ganzen auf ein Femur 
fallenden Abschnitt der Beckenflosse. 


Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie. 207 


Bisherige Ansicht. 
Basale des Becken-Propterygoid (vorhanden), 
“ „ r.LMeso.. ;,, (fehlt), 
= 5 Be MeLarn. (vorhanden). 


Albrecht’s Ansicht. 


Basale des Becken -Propterygoid — Femur I (fehlt), 
n n s Meso „ — ,„  H (vorhanden), 
„ ” 2) Meta „ = IH (vorhanden). 


8. Welchem der 3 Humeri des Rochen entspricht der Humerus, 
welchem der 3 Avenabula das Avenabulum, welchem der 3 Schulter- 
gelenke das Schultergelenk, welchem der 3 Humeralia der Arm des 
Menschen? Die bisherige, von Gegenbaur vorgebrachte Ansicht war, 
dass der Humerus des Menschen sowie aller Amphibien und Amnioten 
dem Basale des Schulter-Metapterygoid, also dem Albrecht’schen 
Humerus III, des Rochen entspricht. Albrecht ist nicht dieser An- 
sicht, sondern behauptet die Homologie von Schulter-Mesopterygoid — 
Humerus II des Rochen und dem Humerus der Amphibien und Amnioten. 
Er ist der Meinung, dass aus der vordern freien Gliedmaße eines 
Selachiers in der Weise die vordere freie Gliedmaße eines Amphibium 
oder Amnioten wurde, dass sich die Fingerglieder der Selachier so- 
wohl vom kranialen oder radialen, wie vom kaudalen oder ulnaren 
Rande der Flosse her verloren, ein ähnlicher Prozess, wie er sich 
noch heute in der Reihe der Säugetiere abspielt und zum alleinig 
ausgebildet übrig bleibenden Digitus III der Pferde geführt hat. 


Also: — 
Bisherige Ansicht. 
Amphibien. 
Knorpelfische. Amnioten. 


| | 
Basale des Schulter - Propterygoid = Fehlt, 


R 5 5 Meso „ — Fehlt, 
. = 5 Meta „ — Humerus. 
Albrecht’s Ansicht. 
Amphibien. 
Knorpelfische. Amnioten. 


| | 
Basale des Schulter- Propterygoid — Humerus I — Fehlt, 


e 5 r Meso „ = 3 II — Humerus, 
(Orthohumerus), 
n 5 » Meta „ — Humerus III — Fehlt. 
Mithin ist nach Albrecht’s Ansicht der morphologische Wert 
des Humerus der Amphibien und Amnioten — Humerus II, und somit 
der des Avenabulum dieser Tiere = Avenabulum II, der des Schulter- 


208 Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie. 


gelenkes = Artieulatio omozonio-humeralis II, der der ganzen vordern 
freien Gliedmaße oder des Armes — Humerale II. Also: — 


Albrecht’s Ansicht über den morphologischen Wert des 
Humerus, des Avenabulum, des Schultergelenkes und des 
Armes (Vorderbeines) der Amphibien und Amnioten. 


Humerus derAmphibien undAmnioten = HumeruslI, 


(Orthohumerus), 
Avenabulum a — Avenabulum Il, 
(Orthoavenabulum), 
Schultergelenk 4 — Artieulatio omozonio-humeralisllI, 
(Artieulatio omozonio-orthohumeralis), 
Arm (Vorderbein) MN — Humerale I], 


(Orthohumerale). 


9. Welchem der 2 Femora des Rochen entspricht das Femur, welchem 
der 2 Acetabula das Acetabulum, welchem der 2 Hüftgelenke das Hüft- 
gelenk, welchem der 2 Femoralia das Bein des Menschen? Die bisherige 
Gegenbaur’sche Ansicht war, dass das Femur der Amphibien und 
Amnioten dem Basale des Becken -Metapterygoid, d. h. also dem 
Albreeht’schen Femur III der Selachier entspricht. Albrecht ist 
nicht dieser Ansicht, sondern behauptet die Homologie von Becken- 
Mesopterygoid — Femur II des Rochen und dem Femur der Amphi- 
bien und Amnioten. 


Bisherige Ansicht. 
Amphibien. 
Knorpelfische. Amnioten. 


| | 
Basale des Becken - Propterygoid — Fehlt, 


„ „ D) Meso „ — Fehlt, 
(fehlt) 
” ) ) Meta „ = Femur, 


Albrecht’s Ansicht. 
Amphibien. 
Knorpelfische. 4 Amnioten. 
| | 
Basale des Becken-Propterygoid = Femur I = Fehlt, 


(fehlt) 
” „ „ Meso ” = Femurıl —= Femur, 
(Orthofemur) 
» » » Meta „ — Femur III = der proximo-mediale 


(Hemipenifemur) Abschnitt der Tunica 
albuginea des Corpus 
cavernosum penis. 


Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- nnd Hypospadie. 209 


Ist aber das Femur der Amphibien und Amnioten — Femur II, 
so ergibt sich für die übrigen zum Femur II in engerer Beziehung 
stehenden Organe folgende Tabelle: — 


Albrecht’s Ansicht über den morphologischen Wert des 
Femur, des Acetabulum, des Hüftgelenkes und des Beines 
(Hinterbeines) der Amphibien und Amnioten. 


Femur der Amphibien und Amnioten — Femur II, 
(Orthofemur), 
Acetabulum 4 — Acetabulum Il, 
(Orthoacetabulum), 
Hüftgelenk 3 = Artieulatio pelvizonio-femoralislI, 
(Artieulatio pelvizonio-orthofemoralis), 
Bein (Hinterbein) 5 = Femorale II, 
(Orthofemorale). 

10. Welchem Gebilde beim Menschen entspricht das Femorale III 
des Rochen? Das jederseitige Femorale III des Rochen, d. h. der 
ganze auf das Femur III des Rochen fallende Abschnitt der Becken- 
flosse mit allen Skelet-, Bänder-, Muskel-, Nerven-, Gefäß- und 
sonstigen Gewebselementen, sowie des alles dieses bekleidenden In- 
tegumentes ist das jederseitige sogenannte „Pterygopodium“ oder der 
„Penis“ des Rochen. Albrecht bezeiehnet dasselbe als Hemipenis, 
und setzt also Hemipenis des Rochen — Femorale III desselben. 
Diesem jederseitigen Hemipenis des Rochen entspricht nach Albrecht 
der jederseitige „Penisschlauch“ der Eidechsen und Schlangen und die 
jederseitige Längshälfte des Penis, d. h. wiederum der Hemipenis 
der Coecilien, Urodelen, Schildkröten, Krokodile, Vögel und Säuge- 
tiere und somit also auch der des Menschen. 

11. Der morphologische Wert des Penis des Menschen. Der Penis des 
Menschen und damit der der iibrigen Säugetiere, der Vögel, Krokodile, 
Schildkröten, Urodelen und Coecilien ist also —= den beiderseitigen 
Hemipenes — Dihemipenis des Rochen und der übrigen Selachier. 
Und da der Hemipenis der letztern = Femorale III, und das Femo- 
rale HI — dem metapterygischen Abschnitt der freien Beckenglied- 
maße ist, so erhalten wir folgenden morphologischen Ausdruck für 
den Penis des Menschen und der übrigen obengenannten Amnioten 
und Amphibien. 


Penis des Menschen — Hemipenis dexter — Hemipenis sinister — 
Dihemipenis = Difemorale III = Dipelvimetapterygium. 


Der Penis des Menschen und der übrigen genannten Amnioten und 
Amphibien ist entstanden aus den in der Mittellinie sympodisch mit ein- 
ander verwachsenen hintern Abschnitten der Beckenflossen der Knorpel- 
fische. Der ganze Penis ist ein Teil der hintern oder Beekenextremitäten, 
sein Skelet ein Teil des Extremitätenskeletes, seine Muskulatur Extre- 

VI; 14 


210 Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie. 


mitätenmuskulatur, seine Nerven und Gefäße Extremitätennerven und 
-gefäße. Und so erklärt es sich z. B., dass noch beim Menschen der so- 
genannte Nervus „dorsalis“ penis mit dem Nervus spermatieus externus 
des Nervus genito-eruralis anastomosiert. Was für den Penis gilt, gilt für 
die Clitoris; der Penis ist in Wirklichkeit nichts als eine durch Arbeits- 
hypertrophie gewaltiger ausgebildete männliche Clitoris, die Clitoris ein 
infolge geringer Inanspruchnahme wenig ausgebildeter weiblicher Penis. 

12. Sämtliche Hemipenes in der Reihe der Wirbeltiere entspringen 
postorthoacetabular. Ein gewaltiger Beweis für die Homologie der 
Hemipenes der Knorpelfische mit den Hemipenes der Eidechsen und 
Schlangen und den Längshälften der Penes der Urodelen, Schildkröten, 
Krokodile, Vögel nnd Säugetiere liegt in dem postorthoacetabularen 
Ursprunge aller dieser Gebilde vom ischiadischen Abschnitte des 
Beckengürtels. Bei unserem Rochen artikuliertt der jederseitige 
Hemipenis mittels des knorpligen Hemipenifemur — Femur III am 
Acetabulum III des Beckengürtels direkt hinter dem dem Acetabulum 
der Amphibien und Amnioten entsprechenden Acetabulum Il oder 
Orthoacetabulum. Bei den mehrfach genannten dihemipeni- und peni- 
feren Amphibien und Amnioten kommt es nicht mehr zur Ausbildung 
eines Jederseitigen knorpligen Hemipenifemur, daher auch nieht mehr 
zur Bildung eines jederseitigen Hemipenihüftgelenkes, wohl aber ent- 
springt auch bei ihnen der jederseitige Hemipenis oder die Längshälfte 
des Penis mittels des Corpus cavernosum penis vom Sitzbein und 
zwar stets hinter dem Acetabulum d. h. postacetabular, oder, da der 
morphologische Wert dieses Acetabulum = Orthoacetabulum ist, post- 
orthoacetabular. 

15. Die heutzutage bei allen Anatomen und Chirurgen geltenden 
auf oben und unten, dorsal und ventral sich beziehenden topographischen 
Bezeichnungen am Penis (bezw. Clitoris) des Menschen sind das diame- 
trale Gegenteil der richtigen topographischen Bezeichnungen, welche auf 
dieses Organ in Anwendung gebracht werden sollten. Wenn man den 
Penis eines Säugetieres mit dem Hemipenis eines auf dem Bauche 
liegenden Rochen in homologe Lage bringen will, so muss man dem 
ebenfalls auf dem Bauche liegenden Säugetiere den Penis der Art 
nach hinten durchziehen, dass das sogenannte „Dorsum“ penis auf 
dem Boden liegt, die sogenannte „untere“ oder „ventrale“ Seite des 
Penis nach oben, die Eichel gegen die Schwanzspitze hinsieht. Ein 
Jeder sieht jetzt sofort ein, dass die sogenannte „obere“ Seite oder das 
„Dorsum“ penis in Wirklichkeit die untere oder die ventrale Seite, die 
sogenannte „untere“ oder „ventrale“ Seite des Penis in Wirklichkeit die 
obere oder die dorsale Seite desselben ist. Der transprostatische Ab- 
schnitt der männlichen „Harnröhre“ (so nennt A. den prostatischen Ab- 
schnitt der Urethra distal vom Caput gallinaginis + Pars membranacea 
urethrae +4 Pars cavernosa urethrae) ist also nicht „ventral“ am Penis, 
sondern dorsal, die diesem entsprechende Rinne der Clitoris nicht 


/ 
/ 


Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie. 211 


„ventral“ an der Clitoris, sondern dorsal; die AA. die V. und die NN. 
„dorsales“ penis s. elitoridis in Wirklichkeit AA., V. und NN. ventrales 
penis s. elitoridis, die „Epi“spadie in Wirklichkeit eine Hypospadie, 
die „Hypo“spadie eine Epispadie. 

14. Die dorsale Lage der Hemisolenien und des Solenium aller 
dihemipeni- und peniferen Wirbeltiere. Einen weitern, wichtigen Beweis 
für die Homologie des Selachierhemipenis und des Hemipenis bezw. 
der Längshälften des Penis der dihemipeni- und peniferen Amphibien 
und Amnioten liefert uns die dorsale Lage der Hemisolenien und des 
Solenium der in Frage stehenden Tiere. Unter Hemisolenien und So- 
lenium versteht Albreeht folgendes. Auf der dorsalen Fläche des 
jederseitigen Hemipenis der Knorpelfische, Eidechsen und Schlangen 
befindet sich eine tiefe Rinne, welche dem ejakulierten Sperma als 
Leitrinne dient. Diese auf der dorsalen Fläche des jederseitigen Hemi- 
penis der Knorpelfische, Eidechsen und Schlangen gelegene Rinne 
nennt A. das jederseitige Hemisolenium. Auf der dorsalen Fläche 
des Penis der Coecilien, Urodelen, Schildkröten, Krokodile, Vögel und 
Säugetiere liegt ebenfalls eine Rinne, welche sich bei den meisten 
Säugetieren zum transprostatischen Abschnitt der sogenannten männ- 
lichen „Harnröhre“ schließt: diese Rinne bezw. Röhre (der morpho- 
logische Wert dieses Organs wird durch Schluss desselben zur Köhre 
nieht geändert) nennt A. das Solenium der genannten Tiere. Diese 
Penisrinne bezw. -röhre ist wiederum identisch mit der Qlitorisrinne 
bezw. -röhre, denn bei vielen Säugetieren (Halbafien, Insektenfressern, 
Nagetieren) schließt sich auch die Clitorisrinne zur Clitoris,harnröhre*, 
wie anderseits der Bradypus tridactylus in ähnlicher Weise wie die 
Coeeilien, Urodelen, Schildkröten, Krokodile, Vögel ein normaler Hypo- 
spadiaeus ist. Man kann also sagen, ob bei Säugetieren durch Penis 
oder Clitoris geharnt oder nicht geharnt wird, ist konventionell. 

Ebenso wie nun A. Penis der peniferen Wirbeltiere — Dihemipenis 
der dihemipeniferen Wirbeltiere setzt, so setzt er Solenium der peniferen 
Wirbeltiere —= Dihemisolenium der dihemipeniferen Wirbeltiere. Der 
unpaare Penis der peniferen Wirbeltiere ist nach A. in der Weise aus den 
beiden Hemipenes der dihemipeniferen Wirbeltiere entstanden, dass sich 
die beiden Hemipenes so in der Mittellinie an einander legten, dass ihre 
beiden dorsal gelegenen Hemisolenien zu einem in der Mittellinie liegen- 
den unpaaren dorsalen Solenium verschmelzen konnten. Im ersten Akte 
sind also beide Hemipenes mit ihren Hemisolenien von einander ge- 
trennt, im zweiten verschmelzen die Hemisolenien zu einem Solenium, 
die Hemipenes zu einem Penis, im dritten, der lediglich bei den in 
Frage kommenden Säugetieren spielt, schließt sich das Solenium zum 
transprostatischen Abschnitt der männlichen „Harnröhre* bezw. zur 
„Clitorisharnröhre“. 

15. Der morphologische Wert der Cartilago bezw. des Os penis 
s. clitoridis der Sängetiere. Bisher hat man den Penis oder Qlitoris- 

14. 


3142 Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie 


knorpel oder -knochen der Säugetiere, obwohl derselbe in jeder Hin- 
sicht die Struktur wahrer Knochen besitzt, als „Eingeweideknochen“ 
aufgefasst. Wir haben zur genüge gesehen, dass der Penis bezw. 
die Clitoris kein „Eingeweide“, sondern die in der Mittellinie sympodisch 
vereinigten hintern Abschnitte der Beckengliedmaßen ist. Jeder Hemi- 
penis der Selachier besitzt sein Hemipenisskelet; A. erklärt daher, dass 
er die Cartilago bezw. das Os penis s. clitoridis für den letzten Rest 
der in der Mittellinie zu einem unpaaren Skeletstücke sympodisch 
vereinigten Hemipenisskelete der Knorpelfische hält. 

16. Atavistische phalangoide Gliederung des Penisskeletes beim Menschen. 
Bei vielen Säugetieren gibt es kein knorpliges oder knöchernes Penis- 
skelet. Mit dem abnehmenden Widerstande der Weibchen ist auch 
das Os penis rudimentär geworden. Doch kommen atavistisch selbst 
noch beim Menschen knorplige sogar knöcherne Penisskelete vor. Das 
Charakteristische für das jederseitige Hemipenisskelet der Selachier ist, 
dass es proximo-distalwärts in einer Weise gegliedert ist, die A. als 
phalangoide Gliederung des Hemipenis der Selachier bezeichnet. Eine 
solche durch Atavismus wieder auftretende phalangoide Gliederung 
des Penisskeletes ist auch — ineredibile dietu — noch beim Menschen 
beobachtet. Der v. Lenhossek’sche Penis im 60. Bande von Vir- 
chow’s Archiv zeigt nach A. diese phalangoide Gliederung in aus- 
gezeichneter Weise. 

17. Weitere Homologien, die sich aus den Albrecht’schen Unter- 
suchungen ergeben. A. hält die in das Hemisolenium mündende Glandula 
pterygopodiü für dieCowper’sche Drüse, den Musculus flexor pterygo- 
podii für den Musculus ischio - cavernosus. 

18. Morphologische Bedeutung der Penischisis nach A. Bei der Peni- 
schisis sind die Hemipenes nebst deren Hemisolenien mehr oder weniger 
weit völlig getrennt geblieben. Ist nur die Glans penis gespalten, so 
ist dies ein Rückschlag auf die Hemiglandes der Beuteltiere, ist der 
ganze Penis gespalten, ein solcher auf die Hemipenes der Selachier. 

19. Morphologische Bedeutung der „Epi“spadie nach A. Wir haben 
schon oben gesehen, dass die „Epi“spadie in Wirklichkeit eineHypospadie 
ist. Bei der sogenannten „Epi“spadie bleiben dadurch, dass die Ischio- 
pubes durch die übermäßige Anfüllung der Allantois weit aus einander 
gehalten werden, die Corpora cavernosa penis so weit von einander 
entfernt, dass die sogenannte „untere“, in Wirklichkeit dorsale Wand des 
transprostatischen Abschnittes der männlichen „Harnröhre“ in ähnlicher 
Weise prolabiert, wie dies die sogenannte „hintere“, in Wirklichkeit 
dorsale Blasenwand bei Ektopie der Blase thut. 

20. Morphologische Bedeutung der „Hypo“spadie nach A. Wir haben 
schon oben gesehen, dass die „Hypo“spadie in Wirklichkeit eine Epi- 
spadie ist. Die sogenannte „Hypo“spadie ist ein partieller oder totaler 
Rückschlag auf das rinnenförmige Solenium. 


Simon H, und Susannna Phelps Gage, Wasseratmung bei Schildkröten. 213 


Simon H. und Susanna Phelps Gage, Wasseratmung bei 
weichschaligen Schildkröten, ein Beitrag zur Physiologie 
der Atmung bei Wirbeltieren. 

The American Naturalist, Vol. XX, Nr. 3, p. 233 (1886). 

Während man bisher annahm, dass die Atmung bei allen Reptilien 
ausschließlich und während des ganzen Lebens nur in der Luft und 
dureh Lungen erfolge, haben die Herren Verfasser bei weichschaligen 
Schildkröten (Amyda mutica und Aspidonectes spirifer) daneben noch 
eine echte Wasseratmung nachgewiesen. Diese Tiere verbleiben näm- 
lich für gewöhnlich sehr lange (bis zu 10 Stunden) unter Wasser, 
wobei sie regelmäßig, etwa 16 mal in der Minute, Mund und Pharynx 
abwechselnd mit Wasser füllen und wieder entleeren durch Bewegungen 
des Hyoidapparats, ganz ähnlich den entsprechenden Bewegungen bei 
Fischen. Die Schleimhaut des Pharynx ist dicht besetzt mit faden- 
förmigen Fortsätzen, welche den Zotten eines Säugetierdarms ähnlich 
aussehen. Besonders zahlreich sind dieselben längs der Hyoidbögen 
und rings um die Glottis. Sie enthalten reichliche Blutgefäße. Von 
A. Sager und L. Agassiz sind diese Fortsätze bei Aspidonectes 
schon erwähnt worden, und letzterer hat sie auch schon für Atmungs- 
organe erklärt. 

Dass aber diese Ansicht richtig sei, haben die Herren Verfasser 
durch Gasanalysen bewiesen. Schildkröten von 1 kg Gewicht ent- 
zogen, wenn sie 10 Stunden unter Wasser blieben, diesem 71 mg 
freien Sauerstoff und gaben an dasselbe 318 mg Kohlensäure ab. 
Da 71 mg Sauerstoff nur 97,55 mg Kohlensäure bilden können, so 
muss der Rest des Sauerstoffs entweder von dem sogenannten mole- 
kularen Sauerstoff der Gewebe oder von dem in den Lungen vorhanden 
gewesenen Luftvorrat herstammen. Die Lungenluft enthielt nach 
10 stündigem Verweilen der Schildkröte unter Wasser nur Spuren 
von Sauerstoff und von Kohlensäure. Soweit man aus diesem einen 
Versuch schließen darf, würde also der Inhalt der Lungenluft, falls 
die Lungen beim Untertauchen auch nur mäßig gefüllt sind, voll- 
kommen ausreichen, den Ueberschuss der Kohlensäure zu liefern. 

Dass die Wasseratmung fast allein durch den Pharynx und nur 
in sehr geringem Grade durch die Haut erfolgt, geht aus folgenden 
Erfahrungen hervor: In ätherhaltigem Wasser ganz untergetauchte 
Schildkröten werden 4 bis 5 mal schneller narkotisiert, als wenn man 
ihnen gestattet, nach Belieben an die Oberfläche zu kommen. — Die 
Menge des aus dem Wasser aufgenommenen Sauerstoffs und der an 
dasselbe abgegebenen Kohlensäure wird nicht wesentlich geändert, 
wenn man die Haut der Schildkröte vollständig mit Vaselin überzieht. 

Auch bei manchen hartschaligen Schildkröten (Chelydra und Chry- 
semis) sieht man ähnliche Bewegungen des Hyoidapparats sowie Ein- 
strömen und Ausströmen von Wasser durch die Nasenöffnungen, wenn 


214 Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. 


w 


die Tiere unter Wasser sind. Sind die Tiere in der Luft, so sieht 
man bei allen Schildkröten regelmäßige Ausdehnung und Zusammen- 
ziehung der Schlundgegend, ganz ähnlich wie es vom Frosch bekannt 
ist. Aber während sie bei diesem zur Füllung der Lungen dienen, 
sind sie bei den Schildkröten zu diesem Zweck unnötig. Da sie aber 
für die Wasseratmung der weichschaligen Schildkröten notwendig sind, 
mögen sie auch beim Atmen in Luft sowohl bei diesen als bei den 
hartschaligen einen Nutzen gewähren, indem sie die Luft an der blut- 
reichen Pharynxschleimhaut hin- und herbewegen. Diese Schleimhaut 
würde also ein Atmungsorgan sowohl für Luft- wie für Wasseratmung 
sein. Und die Schildkröten würden damit eine Mittelstellung zwischen 
den Amphibien und Fischen einerseits und den höhern Vertebraten 
anderseits einnehmen. Denn nach Garland sollen auch beim Hunde 
und beim Menschen solche Pharyngealatmungsbewegungen bei drohen- 
der Asphyxie vorkommen — gleichsam eine Erinnerung an frühere, 
längst vergangene Zeiten, in denen es noch keine vollkommneren 
Atmungsorgane gab). J. Rosenthal (Erlangen). 


Ueber die Methylenblaureaktion der lebenden Nerven- 
substanz?). 


Von Prof. Dr. P. Ehrlich. 


In einer Zeit, in der das Studium der Bakterien und der von 
ihnen erzeugten Ptomaine in den Vordergrund gerückt ist, wendet 
sich das allgemeine Interesse wieder mehr der Lehre von den Giften 
und ihren Wirkungen zu, die uns nicht nur zur Bekämpfung, sondern 
auch zur Erklärung von Krankheitsprozessen verhelfen sollen. Ich 
kann nun nicht leugnen, dass der moderne Schematismus der Pharma- 
kologie uns nach manchen Richtungen hin unbefriedigt lässt. Unwill- 
kürlich erhält man den Eindruck, als ob die vielgliederige Gruppen- 
bildung eben nichts sei als der reine Ausdruck der physiologisch 

1) Die Pharyngealatembewegungen der Hunde, Katzen und Kaninchen sind 
auch von mir beobachtet worden, doch habe ich dabei hauptsächlich auf die 
Bewegungen des Kehlkopfes geachtet (s. Rosenthal, Die Atembewegungen 
nnd ihre Beziehungen zum Nervus vagus S. 207). Eine wirkliche respiratorische 
Wirkung habe ich in ihnen aber nicht gesehen. Die Anwendung Darwinistischer 
Ideen auf das Gebiet der Atmung ist noch sehr spärlich geschehen, könnte aber 
noch weiter geführt werden, als die Herren Verfasser es thun. So habe ich, 
um nur eins anzuführen, gelegentlich das Gähnen vor dem Einschlafen als eine 
Erinnerung an jene Zeit erklärt, wo der automatische Charakter der Atem- 
bewegungen noch nicht ausgebildet war, sondern jeder Atemzug noch mit 
einer Willensanstrengung verknüpft war; eine sehr tiefe Inspiration gestattete 
eine darauf folgende Atempause und damit Schlaf. J. R. 

2) Nach einem am 21. Dez. 1885 im Verein für innere Medizin zu Berlin 
gehaltenen Vortrage. 





Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. 915 


beobachteten Thatsachen, dass aber hierbei grade der Kernpunkt, die 
Frage nach dem Wesen und der Ursache der spezifischen Wirkungen 
in den Hintergrund getreten sei. Zweck der Pharmakologie müsste 
es sein festzustellen, nicht nur dass, sondern warum ein bestimmtes 
Gift einen bestimmten Nervenendapparat affiziere. Solches wird jedoch 
nur dann möglich sein, wenn die Pharmakologie von dem bis jetzt 
ziemlich. einseitig verfolgten Wege abgehen und versuchen würde, 
durch anatomische und biologische Untersuchungen das Wesen der 
Funktionsstörung klar zu legen. Hierbei dürfte sie der Beihilfe der 
vitalen Farbenanalyse kaum entbehren können. 

Es ist in hohem Grade wahrscheinlich, dass eine bestimmt toxische 
Substanz primär und an erster Stelle nur die Elemente affizieren kann, 
zu denen sie thatsächlich gelangt und von denen sie in hervorragender 
Weise aufgenommen wird. Es ergibt sich hieraus die Forderung, 
zunächst die Verteilungsgesetze eines Körpers festzustellen und dann 
mit diesen Ergebnissen die physiologische Wirkung in Beziehung zu 
setzen. Für die Alkaloide, die ja in erster Reihe in betracht kommen, 
wäre ein solches Unternehmen bei der Kleinheit der wirksamen Dosis 
und dem Mangel geeigneter mikrochemischer Reaktion ganz aussichtslos. 
Bei den Farbstoffen bietet dagegen eine solche Untersuchung weit 
geringere Schwierigkeiten dar, indem der topische Nachweis sich 
ohne weiteres aus ihren sinnfälligen Eigenschaften ergibt. Nun be- 
sitzen wir zur Zeit eine außerordentliche Fülle synthetischer Farb- 
stoffe, deren Struktur bis in das kleinste Detail erkannt ist, und 
schon scheint das vorliegende Material auszureichen, um wichtige 
Beziehungen, die zwischen Konstitution und Verteilung bestehen, mit 
Klarheit erkennen zu lassen. In welcher Weise derartige farben- 
analytische Untersuchungen vorzunehmen sind, wird aus der folgenden 
Mitteilung erhellen, und ich glaube, dass in weiterer Verfolgung dieser 
Prinzipien die Verteilungs- und Wirkungsart organischer Körper in 
einfacher und klarer Weise sich wird definieren lassen. 

Im Fortlauf meiner Untersuchungen fand ich, dass das Methylen- 
blau eine außerordentliche Verwandtschaft zu den feinsten Verzwei- 
gungen des Axenzylinders besitzt, und es daher möglich ist, be- 
stimmte Nervenendigungen in noch lebendem Zustande und mit einer 
Deutlichkeit zu verfolgen, die durch keine andere Methode erreicht 
werden kann. Wie Sie wissen, besitzen wir zur Zeit für die Dar- 
stellung der peripheren Nervenendigungen nur die von Cohnheim 
entdeckte Vergoldungsmethode, der wir alle Fortschritte auf diesem 
Gebiete zu verdanken haben. Nichtsdestoweniger ist schon lange 
eine andere Methode zur Darstellung von Nervenendigungen als ein 
dringendes Bedürfnis erachtet worden, besonders aus dem Grunde, 
weil einerseits die Vergoldung vielfach vollkommen versagt und ander- 
seits Artefakte bei der Behandlung mit den stark wirkenden Reagen- 
tien nicht durchaus ausgeschlossen sind. 


916 Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. 


Der Vorzug der biologischen Methylenblaufärbung vor der Gold- 
methode beruht darin, dass sie uns erstens die Endapparate in ihren 
vollkommen natürlichen Verhältnissen zeigt, zweitens, dass sie viel- 
fach Nervenendigungen darstellt, die auf dem andern Wege nicht 
erhältlich sind. Selbstverständlich hat auch die biologische Methylen- 
blaufärbung ihre bestimmten Uebelstände, von denen ich hier nur die 
Vergänglichkeit der Präparate und die Begrenzung auf bestimmte 
Nervengebiete hervorheben möchte. 

Es liegt nieht in meiner Absicht, die anatomischen Resultate, die 
ich im Verlauf der Untersuchungen gewonnen habe, in ihren Einzel- 
heiten vorzuführen, um so weniger als ich dieselben in einer in Vor- 
bereitung befindlichen Monographie ausführlich darstellen werde; ich 
begnüge mich nur, um einen Einblick in die Leistungsfähigkeit der 
Präparate zu geben, einige Tafeln zu beschreiben, die treu nach der 
Natur gezeichnet sind. 

I. Die erste Tafel zeigt die Geschmackspapille des Frosches, 
deren Nervenreichtum so groß ist, dass diese Gebilde schon makro- 
skopisch durch ihre intensiv blaue Farbe hervortreten. Dicht unter 
dem Epithel der Geschmacksscheibe finden Sie einen diehtesten Plexus 
feinster mit mehr oder weniger großen Varikositäten versehener Axen- 
zylinder. Die Sinneszellen legen sich mit ihren Endigungen an die 
Varikositäten dieses Netzes an, ohne mit ihnen jedoch zu verschmelzen. 
Aus dem Grundplexus treten weiterhin ins Epithel feine Stämmchen 
über, von denen ein Teil sich zu den Sinneszellen hinbegibt, um in 
deren Oberfläche mit einem höchst scharfen kleinen Knöpfchen zu 
endigen. Aus diesen Bildern geht mit Evidenz hervor, dass die Ge- 
schmaceksnerven mit den Geschmackszellen nieht kontinuierlich, son- 
dern per contiguitatem verbunden sind. 

II. Riechschleimhaut des Frosches mit intensiv gefärbten Sinnes- 
zellen, deren zentrales Ende allmählich und ohne jede scharfe Grenze 
in eine variköse Nervenfibrille übergeht. 

Ill. Typische Muskelendplatten aus dem Augenmuskel. 

IV. Reicher Gefäßplexus um eine kleine Vene mit vereinzelten 
intensiv blau gefärbten Zirkularmuskeln, die nach meinen Erfahrungen 
als Vasokonstriktoren xar’ E£oynv anzusprechen sind. 

V. Zeichnungen vom schlagenden Vorhof des Froschherzens mit 
reichem Nervenplexus und eigentümlichen, intensiv blau gefärbten 
Herzmuskelfasern. 

VI. Sensible Nervenendapparate aus der Blase des Frosches. 
Dieselben präsentieren sich als ziemlich große rundliche Flecken, die 
aus der successiven Teilung einer einzigen markhaltigen Nervenfaser 
hervorgehen. Die Terminalfasern dieser Verzweigung tragen sämtlich 
endständige Knöpfe. 

VII. Zeichnungen, die einem lebenden, noch unter dem Mikroskop 
herumkriechenden Wurm entnommen sind. Man sieht zahlreiche wolkig 


Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. 37 


blau gefärbte Ganglienzellen, die einen hellern Kern und einen relativ 
großen Nukleolus haben, der eine kompakte relativ dicke und intensiv 
blaue Außenzone erkennen lässt. Die vielfachen Fortsätze lassen sich 
ohne weiteres bis zu den Muskeln verfolgen, die ebenfalls von blauer 
Farbe und mit einander durch schmale Brücken verbunden sind. Die 
feine Nervenfaser tritt zur Muskulatur heran, um sofort mit ihr zu 
verschmelzen, ohne irgend welchen Endapparat zu bilden. 

VII. Fernere drei Tafeln zeigen Zeichnungen von Ganglien- 
zellen, die mir einer besondern und ausführlichen Besprechung wert 
zu sein scheinen. Die sympathischen Ganglienzellen sind, wie bekannt, 
bipolar, indem der eine grade Fortsatz von dem zweiten als Spiral- 
faser bezeichneten umwunden wird. Bei den Methylenblauversuchen 
färbt sich sonderbarerweise ausschließlich die Spiralfaser blau, und 
es ist auf diese Weise möglich geworden, die Endigung dieses Ge- 
bildes mit aller Bestimmtheit präzisieren zu können. Nach meinen 
Beobachtungen bildet die Spiralfaser durch Teilung in feinste Fibrillen 
ein Nervenendnetz, welches bald nur einen Teil, bald die gesamte 
Oberfläche der Zelle mit seinen Maschen umflicht. Von diesem Netz 
pflegen sich einzelne Reiserchen abzulösen, die, auf der Oberfläche 
der Zelle verlaufend, distinkte mit knopfförmigen Termimalanschwel- 
lungen versehene Endbüschel bilden. Die höchst eleganten und ver- 
schiedenartigen Bilder, die man auf diese Weise erzielt, sehen Sie 
auf der einen Tafel, und es wäre eine vergebliche Mühe, die verschie- 
denen Modifikationen und Abweichungen, die sich aus diesem Grund- 
typus entwickeln, einzeln schildern zu wollen. Von Bedeutung ist es, 
dass ich bei genügender Blauinfusion in keiner Zelle des Sympathieus- 
stammes diese Nervenendnetze vermisste, und dass ich dieselben in 
gleicher Weise in den kleinen gangliösen Zellanschwellungen der 
verschiedensten Organe, wie Blase, Herz, Gaumen, Lunge ete., wieder- 
finden konnte. Ich halte also die von mir aufgefundene zur Spiral- 
faser gehörige Oberflächenverbreitung für ein Charakteristicum aller 
sympathischen Zellen. 

Welche Schlussfolgerungen ergeben sich nun aus diesen Befunden ? 
Die von mir gefundene Thatsache, dass der grade Fortsatz nicht die 
geringste Affinität zum Methylenblau besitze, deutet auf prinzipielle 
Differenzen der Funktion hin, und eine solehe Auffassung steht im 
besten Einklang mit der von Axel Key und Retzius gefundenen 
Thatsache, dass nur die umwundene Faser sich mit einer Markhülle 
umgebe. Schon die tinktorielle Differenz spricht nach meinen Erfah- 
rungen dafür, dass die umwundene Faser der zentripetalen, die grade 
Faser der zentrifugalen Leitung gewidmet sei, und jeder, der einmal 
derartige Bilder gesehen hat, wird unwillkürlich zu der Annahme ge- 
drängt, dass diese auf die Oberfläche der Zelle applizierte Endigung 
ihr Analogon in den Nervenendigungen der quergestreiften Muskel- 
fasern finde und sich von diesem Schema nur durch höhere Ausbildung 


318 Ehrlich, Methylenblaureaktion der lcbenden Nervensubstanz. 


unterscheide. Wir gelangen daher zu der Vorstellung, dass durch 
die umwundene Faser Reize zugeführt, die auf die Ganglienoberfläche 
mit Hilfe der Endausbreitung ziemlich gleichmäßig projiziert werden. 
Während die Muskelfaser auf diese Entladung dureh Kontraktion 
antwortet, reagiert die Ganglienzelle in ihrer spezifischen Weise durch 
einen sich in der graden Faser nach außen fortpflanzenden Erregungs- 
vorgang. Erwähnen möchte ich, dass ich einigemal Bilder gesehen 
habe, die noch eine weitere Analogie zwischen Ganglienzelle und 
Muskelfaser erkennen ließen. Ich fand nämlich weitere Differenzierungen 
in- der Ganglienzelle selbst, indem ein umfänglicher zentraler Teil, 
der den Kern barg, und der mit dem graden Fortsatz in Kontinuität 
stand, sich durch Blaufärbung von dem homogenen peripheren Teil 
abhob, auf dessen Oberfläche sich die dunkel gefärbte Endverbreitung 
befand. Ungezwungenerweise lässt sich an einer solchen Zelle die 
Nervenendverbreitung mit dem Muskelendgeweih, die helle periphere 
Zone mit der Substanz der Muskelsohle, der zentrale blau gefärbte 
Anteil mit der Muskelfaser selbst vergleichen. Ich denke, dass diese 
Thatsachen eine Bedeutung für die Physiologie und Pharmakologie 
gewinnen werden, da es sehr wahrscheinlich ist, dass diese Endaus- 
breitung ähnlich wie das Methylenblau auch andere (giftige) Körper 
in sich lokalisieren wird und so ähnlich wie die Muskelendplatte einer 
isolierten Lähmung zugänglich sei. 

Ueberraschend ist gewiss der Umstand, dass Axenzylinder nicht 
mit der Substanz der Zelle zu einem einheitlichen Ganzen verschmelzen, 
sondern auf ihr scharf abgesetzt gleichwie auf einem fremden dis- 
homogenen Material enden. Es wird hierdurch die alte Anschauung, 
als ob die Ausläufer der Ganglienzelle promisceue direkte Zellfortsätze 
wären, definitiv beseitigt, und es schien mir bei der prinzipiellen Be- 
deutung geboten, noch eine andere Art Ganglienzellen nach dieser 
tichtung hin zu prüfen. Ich wählte das Spinalganglion der Frösche 
zum Untersuchungsobjekt. Wie Sie wissen, besteht dasselbe aus großen 
Ganglienkörpern, die, ähnlich wie eine Birne am Stiel, an einem 
dieken Fortsatze hängen, der im weitern Verlaufe sich gablig teilt 
(tube en T). Bei meinen Methylenblauversuchen fand ich, dass ge- 
wöhnlich die Zellkörper selbst farblos blieben, während sich die 
Nervenfaser intensiv färbte. Der Uebergang der Nervenfaser in die 
Ganglienzelle erfolgte mit Hilfe eines kurzen Zwischenstückes, das 
aus blauen Fibrillen besteht, die unmittelbar naeh Eintritt in die Zelle 
enden. Bei der Sauerstoffzehrung blieb dieses Endstück relativ lange 
unreduziert und zeigte dann eine eigentümlich grünlich blaue Färbung. 
(Nüance des Aethylenblaues.) 


Weitere Untersuchungen, die mit großen Schwierigkeiten verbunden 
waren, zeigten jedoch noch etwas Anderes, nämlich eine zweite intensiv 
blauviolette Oberflächenendigung, die eine Modifikation der am Sym- 








Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. 219 


pathieus gefundenen Verhältnisse darstellt. Von diesen unterscheidet 
sich die spinale Endigung in folgenden Punkten: 

l. nimmt sie nur einen kleinen Raum der Zellenfläche ein, 

II. unterscheidet sie sich durch einen weit einfachern Bau und 

III. durch die Bildung kolossaler Varikositäten und Endknöpfe, 
die oft deutliche Impressionen der Zelloberfläche hervorrufen. Die 
Fasern, aus denen diese Endigung hervorgeht, sind außerordentlich 
fein, und es ist mir daher nicht möglich gewesen, ihren Verlauf oder 
ihren Ursprung erforschen zu können. 

Es sind mithin auch die Spinalganglien ähnlich gebaut wie die 
sympathischen, indem beide eine Oberflächenendigung und einen graden 
Fortsatz besitzen. Sie unterscheiden sich von einander scharf erstens 
durch die Konfiguration der Oberflächenendigung und zweitens durch 
das verschiedene färberische Verhalten der graden Fortsätze. Die 
Gesichtspunkte, die sich aus diesen höchst überraschenden Befunden 
ergeben, liegen klar auf der Hand, und es dürfte fortan geboten sein, 
Zellfortsätze und Zellansätze der Ganglienzellen mit aller Schärfe 
auseinander zu halten. Nach meinen bisherigen allerdings nur frag- 
mentarischen Beobachtungen scheint der Axenzylinderfortsatz der 
multipolaren Ganglienzellen dem Leibe derselben angelagert zu sein, 
während die Protoplasmafortsätze als wirkliche Ausläufe des Zell- 
protoplasmas ihren Namen mit vollstem Recht führen. 

Um in das Wesen der Methylenblaufärbung einen Einblick zu 
gewinnen, ist es notwendig, in kurzen Zügen die Verteilung der blau 
gefärbten Elemente zu schildern. Beim Kaninchen färben sich, wie 
schon erwähnt, inbesondere die peripheren Endausbreitungen des 
Nervensystems, während die groben Nervenstämme selbst in ihrer 
Gesamtheit ungefärbt bleiben. 

Durch Methylenblau werden in ihrer Gesamtheit dargestellt 

I. Alle sensibeln Fasern; 
II. Die Geschmacks- und Geruchsendigungen; 
III. Die Nerven der glatten Muskulatur und des Herzens. 

Im Gegensatz hierzu pflegen sich die motorischen Nervenendigungen 
der Willkürmuskeln nicht zu färben, und ich habe erst nach langem 
Suchen einige wenige Muskelgruppen angetroffen, die, wie die gesamten 
Augenmuskeln, die des Zwerchfells und des Kehlkopfs, hiervon eine 
Ausnahme machten. 

Im zentralen Nervensystem werden durch Methylenblau zwei ver- 
schiedene Dinge dargestellt, nämlich 

a. Relativ starke Fasern besonders reichlich in allen Kernen der 

Medulla oblongata, spärlicher im Gehirn; 
b. Ein diehtes Geflecht feinster variköser Nervenfibrillen, die mit 
Ganglienzellen zusammenhängen [Großhirnrinde]. 

Beim Frosch verhalten sich die Färbungsverhältnisse der peripheren 

Endausbreitungen ganz ähnlich wie beim Kaninchen, und hier pflegen 


220 Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. 


insbesondere die Augenmuskeln eine blaue sichelförmige Stelle zu 
zeigen, die aus einem gradezu verwirrenden Geflecht von Nerven und 
Endplatten zusammengesetzt ist. 

Auch beim Krebs erzielt man leicht Färbungen sensibler und 
motorischer Nerven. Die quergestreiften Muskelfasern lassen hier 
zwei Unterarten erkennen, die auch sonst morphologisch inbetreff 
ihrer sonstigen Eigenschaften unterschieden sind. Die eine Art, die 
schmale fein gestreifte Fasern enthält, entspricht in ihren Innervations- 
verhältnissen vollkommen dem Typus der glatten Muskelfasern, indem 
die Nerven sich intensiv färben und intramuskulare Plexus bilden. 
Die zweite Art breiterer und grob quergestreifter entspricht vollkom- 
men den quergestreiften Muskelfasern der höhern Tiere, indem die 
Nerven isoliert verlaufen, Oberflächenendverzweignngen bilden, welche 
durch Methylenblau nur ganz ausnahmsweise gefärbt werden. Ich 
erwähne diesen Umstand besonders aus dem Grunde, weil die Ver- 
goldungsmethode bei den Muskeln wirbelloser Tiere vollkommen ver- 
sagt. Dass ich an Würmern ebenfalls Färbungen des Nervenmuskel- 
systems erzielt habe, geht aus den erwähnten Zeichnungen hervor. 
Am einfachsten ist es, um möglichst naturgemäße Verhältnisse zu 
erhalten, hierzu die in der Froschblase schmarotzenden Eingeweide- 
würmchen zu verwenden, die bei Methylenblauinfusionen des Frosches 
das blaue Serum in sich aufsaugen. 

Ich muss daher aufgrund dieser und noch anderer vergleichend 
anatomischer Untersuchungen die Methylenblaureaktion als eine all- 
gemeine Eigenschaft der Axenzylindersubstanzen ansehen und sie somit 
in direkte Beziehung mit der Funktion der Nervensubstanz bringen. 
Es dürfte daher wohl der Mühe verlohnen, die hier in betracht kom- 
menden Bedingungen einer analytischen Untersuchung zu unterziehen, 
die, naturgemäß an erster Stelle, die folgenden zwei Fragen zu beant- 
worten hat. 


1) Warum färbt Methylenblau die Nerven? und 
2) Warum färben sich die Nerven im Methylenblau? 


Die erste Frage ist rein chemischer Natur und ihre Beantwortung 
durch den glücklichen Umstand ermöglicht, dass im letzten Jahre die 
Konstitution des Methylenblau durch Prof. Bernthsen aufgeklärt wor- 
den ist. Durch den Umstand, dass weder Fuchsin, noch Methylviolett, 
noch Saffranin Nervenfasern darstellte, wurde es wahrscheinlich, dass 
diese Eigenschaft durch eine ganz bestimmte chemische Eigentümlichkeit 
des Methylenblau bedingt sein müsse, und es war naheliegend, an 
erster Stelle an die im Methylenblau enthaltene Schwefelgruppe zu 
denken. Diese Vermutung habe ich in folgender Weise experimentell 
bestätigen können. 

Das Methylenblau entsteht, wie bekannt, aus dem Dimethylpara- 
phenylendiamin durch die Lauth’sche Reaktion (kombinierte Wirkung 


Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. 221 


von H,S und Fe,Cl,), und dem salzsauren Methylenblau kommt nach 
Bernthsen’s Untersuchungen folgende Formel zu: 


Hs — N(CH,), 

N ; 

h CH‘ — N(CH,),Cl 
| 


Es enthält mithin das Methylenblau zwei Dimethylaminreste, und 
ich habe zunächst, um den Einfluss der Methylgruppe sicher zu stellen, 
niedere Homologe des Methylblau, nämlich das Thionin und das sym- 
metrische Dimethylthionin untersucht und beide Verbindungen nerven- 
färbend gefunden. 





C,H, — NH, C;H; — N(CH,)H 
ae Aa 

N S m S 

re Se 

ICH, 1 | C,H, — nn 
_ Thionin. Dieikshniöne 


Das von Bernthsen entdeckte Methylenviolett ist wegen der 
er N(CH,;), 


N S 


Ay 
C,H, — O 


außerordentlich ungünstigen Löslichkeitsverhältnisse schwer zu diesen 
Versuchen zu benutzen, jedoch habe ich einige Fälle deutlicher Nerven- 
färbung im Herzen erzielen können. Es beweist dieser Umstand 
immerhin, dass vom theoretischen Standpunkte aus schon die Anwesen- 
heit einer basischen Gruppe, eines Ammoniakrestes, für das Zustande- 
kommen der Nervenfärbung ausreiche. Weiterhin habe ich das von 
Bernthsen aufgefundene Sulfon des Methylenblau, das Methylen- 
azur!) in 


C,H, — N(CH,), 
\ 


N SO, 
IN / 
C,H, — on: 


Anwendung gezogen und hiermit ganz die gleichen Nervenfärbungen 
wie mit dem Methylenblau selbst erzielt, wie solches auch a priori 





1) Ich verdanke diese kostbare Verbindung dem gütigen Entgegenkommen 
des Herrn Prof. Bernthsen, dem ich hierfür meinen besten Dank ausspreche. 


299 Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. 


zu erwarten stand, da beide Farbstoffe eine ihre Trennung sehr er- 
schwerende Analogie besitzen. Es geht hieraus hervor, dass es für 
das Zustandekommen der Reaktion ganz gleichgiltig ist, ob der Schwefel 
nach Art des Phenylsulfids oder des Phenylsulfons gebunden ist. 

Ich habe nun weiterhin, um den Einfluss des Schwefels zu eruieren, 
einen Körper untersucht, der in seiner Konstitution vollkommen dem 
Methylenblau entspricht und sich nur durch den Mangel des Schwefels 
von ihm unterscheidet. Es ist das von Bindschedler entdeckte 
Dimethylphenylengrün, das dureh gleichzeitige Oxydation von Dime- 
thylparaphenylendiamin und Dimethylanilin entsteht, und dem folgende 


Konstitution zukommt: 
C,H, N(CH;3), 
/ 
N 
IHN 
GEHEN (CHIC 
| 








Das Bindschedler’sche Grün unterscheidet. sich nun in ganz 
wesentlichen Punkten vom Methylenblau: 1) durch eine eminente 
Toxizität, 2) durch den Mangel jeder Nervenfärbung und 3) dadurch, 
dass es alle Herzmuskelfasern gleichmäßig grün färbt, während das 
Methylenblau nur eine Art der Muskelzellen (Gefäßmuskeln Pohl- 
Pinkus) in spezifischer Weise tingiert. Es geht aus diesem letzten 
entscheidenden Versuche hervor, dass in der That die Nervenfärbung 
durch den Eintritt des Schwefels hervorgerufen sei, und ich be- 
halte mir vor, die eigentümliche Rolle, die dem Schwefel hierbei zu- 
kommt, durch weitere experimentelle synthetische Untersuchungen 
aufzuklären. 

Ich gehe nun zur Beantwortung der zweiten Frage über, warum 
sich bei höhern Tieren nicht alle Nervenendigungen, sondern nur 
ein Teil von ihnen durch Methylenblau färben. Auf die Klarlegung 
dieser Verhältnisse möchte ich einen um so größern Wert legen, 
als mir dieselbe für das Verständnis der Alkaloidwirkung von funda- 
mentaler Bedeutung zu sein scheint. Man könnte annehmen, dass in 
den durch Methylenblau färbbaren Nerven eine Substanz vorhanden 
wäre, die zum Methylenblau eine besonders große Affinität besäße. 
Jedoch würde man durch diese Hypothese zu ganz sonderbaren Er- 
gebnissen geführt werden, indem man, um ein Beispiel anzuführen, 
eine prinzipielle chemische Differenz zwischen den Nervenendigungen 
am Augenmuskel und denen der Skeletmuskulatur aufstellen müsste. 
Viel wahrscheinlicher erscheint die Annahme, dass die Axenzylinder- 
substanz an allen Orten sich aus denselben chemischen Konstituentien 
aufbaue, und die verschiedenartige Reaktion gegen Farbstoffe und 
Alkaloide auf eine Verschiedenartigkeit bestimmter und bestimmender 
Nebenumstände zurückzuführen sei. Ich werde mich bemühen, diese 
Verhältnisse an dem konkreten Beispiele darzulegen. 


® 


Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. 293 


Bei Froschversuchen fiel es mir oft auf, dass die Färbung der 
Geschmacksnerven besonders dann prompt erfolgte, wenn durch künst- 
liches Aufsperren des Maules die Zunge der atmosphärischen Luft 
ausgesetzt wurde, dieselbe dagegen häufig ausblieb, wenn die Zungen- 
oberfläche andauernd dem Gaumen angelagert blieb. Ich glaubte, 
diese Beobachtung nur dadurch interpretieren zu können, dass eine 
bessere Sauerstoffsättigung der Nervenendigungen die Färbung durch 
Methylenblau begünstige. Eine wertvolle Bestätigung dieser Annahme 
erblieke ich in dem am Muskelsystem erhobenen Befunde. 

In einer frühern Arbeit über das Sauerstoffbedürfnis des Organis- 
mus habe ich gezeigt, dass die Sauerstoffsättigung der verschiedenen 
Muskeln eine verschiedenartige sei. Am besten versorgt fand ich die 
Augen-, Kehlkopf-, insbesondere aber die Zwerehfellmuskeln, und es 


ist gewiss eine höchst interessante Thatsache, dass grade in diesen Orten 


Methylenblau die Nervenendigungen darstellte. Aus dieser Koinzidenz 
glaube ich folgern zu müssen, dass in der That Nervenbläuung und 
Sauerstoffsättigung in engem Konnex zu einander stehen müssen, indem 
nur die mit Sauerstoff annähernd gesättigten und daher nieht reduk- 
tionskräftigen Nervenendigungen sich mit Methylenblau bereichern. 
Es steht übrigens diese Thatsache mit den Befunden, die ich früher 
in meiner Broschüre über das Sauerstofbedürfnis auseinandergesetzt 
habe, in vollster Uebereinstimmung, indem sich im allgemeinen die 
damals verwandten Farbstoffe wie Alizarinblau, Indophenolblau grade 
an den Orten aufstapelten, in denen sie unverändert blieben, während 
die reduktionskräftigen Parenchyme, wie Leber, Lunge ete., meist nur 
ganz geringe Mengen der entstehenden Reduktionsprodukte enthielten !). 

Unmöglich wird man jedoch mit diesem Erklärungsprinzipe allein 
auskommen können, da offenbar vielfach Nervenfasern, die sich wie 
die der Hirnrinde und des Rückenmarks der besten Sauerstoffverhält- 
nisse erfreuen, durch Methylenblau nicht dargestellt werden. Auch 
würde es, um ein weiteres Beispiel anzuführen, recht gezwungen er- 
scheinen, wenn man der graden Faser der sympathischen Zellen eine 
schlechtere Sauerstofisättigung als der gewundenen zuschreiben wollte. 





4) Diese Erscheinung lässt sich wohl am besten in der Weise deuten, wie 
ich dies in meiner Arbeit S. 16 gethan habe: „Nehmen wir an, dass in irgend 
eine Zelle ein löslicher, küpenbildender Körper eingeführt und in ibr reduziert 
werde, so lässt sich leicht beweisen, dass der reduzierte Farbstoff schnell aus 
der Zelle reeliminiert werden muss. Zweifelsohne kann der Farbstoff in die 
Zelle nur durch Diffusion hineingelangt sein, und es ist, da die Reduktionsstoffe 
der küpenbildenden Farben insgesamt leichter diffundieren als die Farben selbst, 
mit Sicherheit anzunehmen, dass das Reduktionsprodukt ohne Schwierigkeit 
aus der Zelle heraustreten kann. Es wird dieser Durchtritt der Leukoprodukte 
um so energischer stattfinden müssen, da im Blutserum selbst der Farbstoff 
nur in oxydierter Form bestehen kann, und daher die die Zellen umspülende 
Blutflüssigkeit stets frei von reduziertem Farbstoffe ist“. 


224 Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. 


Methylenblaulösungen erfahren durch Zusatz von kohlensauren 
oder ätzenden Alkalien keine Veränderung ihrer Nüancen. Im Gegen- 
satze hierzu zeigen die Lösungen des Thionins, Dimethylthionins und 
Methylenazurs eine Farbenveränderung ins Rote, die häufig mit einer 
Abscheidung der körnigen in Freiheit gesetzten Basis einhergeht. Ich 
habe mich nun beim Frosche überzeugt, dass bei Anwendung der 
letzten drei Farbstoffe die Färbung der Nervenendigungen eine meta- 
chromatische ist, indem sie sich durch eine exquisit ins Rote ziehende 
Färbung von der Umgebung unterscheiden. Hieraus glaube ich den 
Schluss ziehen zu müssen, dass die gefärbten Nervenfasern eine alka- 
lische Reaktion besitzen und somit im stande sind, einen Teil des 
aufgenommenen Farbstoffes in die rotgefärbte Base zu zersetzen. 
Sauerstoffsättigung und alkalische Reaktion sind mithin 
die beiden Bedingungen, von denen die Methylenblaureaktion des 
Nervensystems abhängig ist. 

Dass die Großhirnrinde, die durch ein Geflecht intensiv blauer 
Fasern ausgezeichnet ist, thatsächlich alkalisch reagierende Nerven- 
fasern enthalten müsse, geht ohne weiteres aus den Beobachtungen, 
die von Liebreich und jüngst von Langendorff kundgegeben 
ist, hervor, indem beide frisch herausgeschnittene Rindenstücke Lakmus 
bläuend fanden. Ganz abweichend hiervon sind die Resultate, welche 
Lieberkühn und Edinger mit Hilfe von Alizarininfusion erhalten 
haben, indem hier nach Einführung der violetten Natriumverbindung 
eine gelbe Färbung des Hirns auftrat, die von den Autoren nur auf 
eine saure Reaktion der Rindensubstanz bezogen wurde. In dieser 
Allgemeinheit ist der Schluss sicher nicht richtig. Ebenso wie das 
Methylenblau nur von bestimmten (alkalischen) Fasern aufgenommen 
wird, stapelt sich offenbar das Alizarinblau in andern (sauern) Ge- 
bieten auf, und daher ist die Alizarinreaktion nicht ein Indikator für 
die gesamte Rinde, sondern nur bestimmter in ihr erhaltener Gebilde, 
die nach der ganzen Sachlage nichts Anderes als Nervenfibrillen sein 
können. 

Wenn wir somit gezwungen sind, sauer und alkalisch reagierende 
Fasern anzunehmen, so können wir kaum zweifeln, dass auch neutral 
reagierende Fasern vorkommen werden. Man gelangt so zu der Vor- 
stellung, als ob im Nervensysteme je nach dem Orte und der Funk- 
tion eine vieltönige Abstufung der Alkaleszenzgrade stattfinde, die im 
Verein mit den Veränderungen der Sauerstoffsättigung darüber ent- 
scheidet, ob und welche Körper in bestimmten Territorien des Nerven- 
systems aufgenommen werden können. Ich denke, dass diese Gesichts- 
punkte zur Erklärung der differenten Alkaloidwirkung von hohem 
Werte sein müssten, und ich werde bald Gelegenheit haben, an einem 
andern Orte mich ausführlich hierüber auszulassen. 





Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. 








Biologisches Centralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 








24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 
VL Band. 
Inhalt: Fraisse, Die Regeneration von Geweben und Organen bei den Wirbeltieren, 
besonders Amphibien und Reptilien. — Zacharias, Können die Rotatorien und 
Tardigraden nach vollständiger Austrocknung wieder aufleben oder nicht? — 
Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. — Veit, Leh- 
mann und Rubner, Ueber die Fetibildung im Tierkörper. — Aus den Ver- 
handlungen gelehrter Gesellschaften; 58. Vers. deutscher Naturforscher 


und Aerzte zu Straßburg (Sektion für Botanik). — Ihering, Zur Kenntnis 
der brasilianischen Mäuse und Mäuseplagen. 





Nr. 8. 


15. Juni 1886. 











Paul Fraisse, Die Regeneration von Geweben und Organen 
bei den Wirbeltieren, besonders Amphibien und Reptilien. 
Mit 3 Tafeln, Kassel und Berlin, Verlag von Theod. Fischer, 1885. 


Besprochen von Dr. Otto Zacharias in Hirschberg i/Schl. 


Die vorliegende umfangreiche und typographisch vortrefflich aus- 
gestattete Arbeit beschäftigt sich in eingehender Weise mit den Re- 
generationserscheinungen bei Wirbeltieren, und gelangt aufgrund zahl- 
reicher Experimente und Beobachtungen zu dem Ergebnis, dass bei 
den in Frage kommenden niedern Vertebraten sich nicht bloß die 
Haut mit ihren Drüsen, die Muskulatur und die Blutgefäße, sondern 
auch das Rückenmark und das peripherische Nervensystem nach tief- 
gehenden Verletzungen wieder herstellt. Fraisse gewann seine Re- 
sultate an dem verschiedensten lebenden und konservierten Material. 
Es standen ihm von geschwänzten Amphibien zur Verfügung: Siredon 
pisciformis, Triton taeniatus, Tr. cristatus, Tr. helveticus, Tr. marmo- 
ratus; außerdem von anuren Amphibien die Larven von Hyla arborea, 
Pelobates fuscus, Bufo vulgaris, Bombinator igneus, Rana esculenta und 
R. temporaria. Hierzu kamen noch Studien an Regenerationsstadien 
von Lacerta agilis, Lac. ocellata, Platydactylus facetanus, Anguis fragilis 
und noch andern Reptilien. 

Zum Zwecke der Herstellung von schnittfähigem Material wurden 
die zarten Gewebe der ersten Stadien mit weinfarbiger Chromsäure 
behandelt, und zwar in der Weise, dass die Einwirkung dieses Här- 

VI. 15 


226  Fraisse, Regeneration von Geweben und Organen bei den Wirbeltieren. 


tungsmittels nur so lange währte, bis die zu untersuchenden Gewebs- 
stückchen grade abgetötet waren. Hierzu reichte in den meisten Fällen 
die Zeit von 10 Minuten hin. Ueberosmiumsäure kam ebenfalls zur 
Verwendung, aber nur in einer Verdünnung von 5—10 pro Mille. 
Chromsalze erwiesen sich für sehr zarte Stadien als unbrauchbar. 
Zur Färbung wurden Pikrokarmin und Hämatoxylin, später aber aus- 
schließlich Methylviolett (nach Dr. Born’s Methode) benützt. 

Das Ziel, welches Dr. Fraisse bei Abfassung der vorliegenden 
Abhandlung verfolgt hat, war eine Vergleichung der histogene- 
tischen Vorgänge, welche der Regenerationsprozess vor 
Augen stellt, mit denen, die in derembryonalen Entwick- 
lung der Gewebe und Organe auftreten. 

Dieser leitende Grundgedanke wurde vom Verfasser schon im 
Jahre 1883 zum Thema eines längern Aufsatzes (vgl. Biol. Central- 
blatt, III. Bd., Nr. 20) mit dem Titel „Neuere Beobachtungen über 
Regeneration“ gemacht, wobei er an die bekannte Bülow’sche Arbeit 
über die Keimschichten des wachsenden Schwanzendes von Lumbri- 
culus variegatus (Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 39. Bd.) anknüpfte und be- 
reits betonte: dass das Endresultat der Regeneration gelegentlich durch 
„funktionelle Anpassung“ modifiziert werde. Unter dieser Art von 
Anpassung versteht Fraisse die Herstellung eines Organteils oder 
Gewebes, wodurch das in Wegfall gekommene zwar nicht dem morpho- 
logischen Werte, aber doch der Funktion nach ersetzt wird. Es ge- 
schieht dies beispielsweise am regenerierten Schwanze der Eidechsen, 
insofern hier ein einfaches Knorpelrohr an die Stelle des ursprüng- 
lich vorhanden gewesenen Endstücks der komplizierten Wirbelsäule 
tritt. Etwas dem Aehnliches lässt sich auch bei der Schuppen-Rege- 
neration am Eidechsenschwanze beobachten. In diesem Falle wird 
der Neubildungsprozess gleichfalls vereinfacht, und zwar dadurch, 
dass die Schuppen von vornherein auf breiterer Basis angelegt werden 
und nicht in der Form von so winzigen Cutispapillen, wie am Schwanze 
des Eidechsenembryos. 

Wenn wir also mit Fraisse sagen, dass die Regenerations- 
vorgänge „nach dem Typus der ontogenetischen Entwicklung“ des 
betreffenden Organes oder Gewebes verlaufen, so geschieht dies mit 
der Einschränkung, welche im Hinblick auf das modifizierende Mo- 
ment der funktionellen Anpassung ihre Rechtfertigung findet. 

Fraisse’s Arbeit enthält aber vor allem auch den schlagenden 
Nachweis dafür, dass die Wiederherstellung verletzter Gewebe nur in 
Anknüpfung an die schon vorhandenen erfolgt, und dass es nicht, 
wie man früher meinte, die weißen Blutkörperchen sind, auf deren 
hauptsächliches Konto man jedwede Regenerationserscheinung setzen 
darf, obgleich ihre Stelle als Nährmaterial nicht in Abrede gestellt 
werden kann. Wir gewinnen aufgrund der Fraisse’schen Ergeb- 
nisse die sichere Ueberzeugung, dass sämtliche Gewebe der Amphibien 


‘ 


Fraisse, Regeneration von Geweben und Organen bei den Wirbeltieren. 227 


mw 


und Reptilien im stande sind, sich partiell zu regenerieren: entweder 
direkt aus ihren Elementen, oder aus einer Matrix, so lange dieselbe 
unverletzt ist. Als Matrix für die Epidermis ist das Rete Malpighii, 
für das zentrale Nervensystem das Epithel des Zentralkanals und für 
die Muskulatur die schon bestehende Muskulatur in Anspruch zu 
nehmen. 

Ich verweise inbetreff des diese Sätze stützenden Materials auf 
die entsprechenden Kapitel der Fraisse’schen Abhandlung, und be- 
sonders auf S. 43—81, 108—124 und 124—139. 

Von ganz besonderem Interesse erscheint mir das vom Verfasser 
inbezug auf die Regeneration des zentralen Nervensystems Mitgeteilte. 
Ich möchte aus diesem Grunde darüber etwas eingehender referieren. 
Das Untersuchungsobjekt für die allerjüngsten Stadien der Neubildung 
war in diesem Falle Siredon pisciformis. Die ersten Anfänge wurden 
dann an einer Larve von Sulamandra maculata (vgl. 1. e. S. 111—112) 
weiter verfolgt. 

Bei Siredon wird die Regeneration des Rückenmarkes damit ein- 
geleitet, dass die durch den Rasiermesserschnitt am Schwanze ver- 
ursachte Wundfläche mit einem Iymphartigen Blastem, welches aus 
zusammengeflossenen Leukocyten besteht, bedeckt wird. Hierauf be- 
obachtete Fraisse eine bedeutende Vermehrung der sogenannten 
„Körner“ der grauen Substanz, jener eigentümlichen Gebilde, von 
denen in neuester Zeit wohl Max Schmidt (vergl. dessen Beiträge 
zur Kenntnis des Rückenmarks der Amphibien, 1884) die richtigste 
Deutung gegeben hat, indem er sie aufgrund sorgfältiger entwick- 
lungsgeschichtlicher Untersuchungen für Zellkerne der grauen Substanz 
erklärte. Die in der Schmidt’schen Arbeit dafür angegebenen Gründe 
sind schlagend und dürften schwerlich widerlegt werden. Bei der von 
Fraisse konstatierten Körnervermehrung war — wie S. 111 der Ab- 
handlung ausdrücklich hervorgehoben wird — nirgends eine karyoki- 
netische Figur nachzuweisen. Es traten überall nur die Erscheinungen 
der sogenannten direkten Kernteilung auf. Aber nicht bloß in den 
peripherischen Regionen des Rückenmarkes wurde von Fraisse eine 
starke Substanzwucherung wahrgenommen, sondern auch am proxi- 
malen Rande des Zentralkanals. Dort vermehrten sich die Epithel- 
zellen auffallend rasch, und bildeten bald mehrere auf einander ge- 
häufte Lagen; aus diesen gingen, wie an Schnitten ersichtlich wurde, 
Spinalganglien hervor, die ihrerseits wieder durch den nämlichen 
Sprossungsprozess peripherischen Nerven den Ursprung gaben. 

Durch diese Beobachtungen am sich regenerierenden Rückenmark 
bekommen die interessanten Nachweise Max Schmidt’s, der bei 
Amphibien die lateralen Faserzüge der grauen Substanz in direkte 
Verbindung mit Epithelzellen des Zentralkanals treten sah, einen 
starken Halt, und die Auffassung jenes Epithels, als eines entschieden 
dem übrigen Rückenmark in physiologischer Hinsicht nahestehenden 

10: 


2938  Fraisse, Regeneration von Geweben und Organen bei den Wirbeltieren. 


Gebildes, muss den Ansichten Bidder’s gegenüber die Oberhand er- 
langen. Wie soll uns denn die epitheliale Aufreihungsweise eines 
Zellenkomplexes an dessen nervöser Natur Zweifel erwecken, wenn 
wir sie bei den Cölenteraten ganz allgemein im Nervensystem verbreitet 
sehen, welches einen vollständig epithelialen Charakter trägt? Und 
abgesehen hiervon, könnte man doch auch darauf hinweisen, dass 
das embryonale Rückenmark in seiner ersten Anlage doch auch nur 
die morphologische Bedeutung eines einschichtigen Epithelrohrs hat, 
und dass es erst im Verlaufe der Entwicklung die komplizierte Struk- 
tur gewinnt, die es zu den hohen physiologischen Leistungen befähigt, 
denen es später vorzustehen hat. Unser Erstaunen über die That- 
sache also, dass das Epithel des Zentralkanals bei Siredon pisciformis, 
Salamandra maculata und andern Urodelen die Matrix zur Regenera- 
tion von Rückenmarkssubstanz abzugeben im stande sein soll, wird 
sich vermindern, wenn wir dasselbe als ein im embryonischen Zu- 
stande verbliebenes Stück des ursprünglich einfachen Medullarrohrs 
betrachten, wozu die Berechtigung in den Thatsachen selbst liegt. 

Zum Vergleich mit dem wiederhergestellten Amphibienrückenmark 
untersuchte Fraisse auch Regenerationsstadien desselben Organs bei 
den Reptilien, speziell bei den Eidechsen. Es gelangten zur Ver- 
wendung: Lacerta muralis, L. ocellata, Hemidactylus frenatus, Platy- 
dactylus verus und Phyllodactylus europaeus. Die regenerierten Schwänze 
dieser Tiere wurden sämtlich mittels der Schnittmethode untersucht. 
Der Verfasser spricht das erhaltene Resultat S. 116 seiner Arbeit wie 
folgt aus: „Aus meinen Befunden scheint unzweifelhaft hervorzugehen, 
dass die frühere Ansicht, welche in dem regenerierten Rückenmark 
nur die Fortsetzung des Filum terminale sah, nicht ganz richtig 
ist. Wir haben es vielmehr mit einem Gebilde zu thun, welches 
zweifellos nervöser Natur ist, da nicht nur Nervenfasern, sondern 
auch schon vollkommen ausgebildete Ganglienzellen in demselben 
nachzuweisen sind. Dass nun aber dieses Gebilde auf einer so außer- 
ordentlich niedrigen Stufe der Entwicklung stehen bleibt, und dass 
es nicht zur Weiterentwicklung der Nervenelemente kommt, wie es 
bei den Salamandrinen der Fall ist, hat seinen Hauptgrund wohl darin, 
dass es von dem Körperparenchym vollständig durch das widerstands- 
fähige Knorpelrohr abgeschlossen ist; denn niemals habe ich auch 
nur eine Andeutung der Bildung von Spinalganglien gesehen. Es 
sind hier Wachstumsvorgänge nur nach einer Richtung möglich, die 
der Längsaxe des Tieres entspricht; von einer seitlichen Abzweigung 
von Nervenfasern ist keine Spur zu erkennen“. 

Die Regenerationsfähigkeit des Eidechsenrückenmarks ist also bei 
weitem nicht mit derjenigen des gleichnamigen Organs der Sala- 
mandrinen und Ichthyoden in Parallele zu stellen, denn bei 
diesen wird ein dem normalen vollständig gleich gebautes Rückenmark 
wieder erzeugt. Aber trotzdem kommt Fraisse mit Recht zu dem 


Fraisse, Regeneration von Geweben und Organen bei den Wirbeltieren. 299 


Schlusse, dass — möge die physiologische Funktion des regenerierten 
Eidechsenmarks sein welche sie wolle — dasselbe in morphologischer 
Hinsicht doch als ein nervöses Zentralorgan aufzufassen sei. 

Es wurde schon oben erwähnt, dass bei der Kernvermehrung in 
der grauen Substanz keine Fadenfiguren (Mitosen) von Fraisse be- 
obachtet werden konnten. Er fand nur schuhsohlenförmig einge- 
schnürte, gekrümmte und verlängerte Kerne, also nur Anzeichen für 
das Statthaben einer direkten Teilung. Auch bei andern Geweben, 
z. B. an sich neubildenden Muskeln und in den ersten Regenerations- 
stadien der Epidermis erwachsener Urodelen konnte Fraisse niemals 
die indirekte Kern- und Zellteilung konstatieren, so dass er (vergl. 
S. 143) geneigt ist, die direkte Teilung für ein häufigeres 
Vorkommnis zu halten als die mitotische. Das Auftreten der 
letztern glaubt er hauptsächlich für alle die Fälle voraussagen zu 
dürfen, wo es zur Bildung eines speziellen Organs kommt, in der 
Epidermis der Urodelen also z. B. bei Entstehung der Hautdrüsen, 
der Leydig’schen Schleimdrüsen und der Hautsinnesorgane. Ob 
Fraisse’s Voraussetzung, in dieser Allgemeinheit ausgesprochen, 
richtig ist, vermag ich nicht zu entscheiden, da mir keine eignen 
ausgedehnten Erfahrungen auf diesem Gebiete zugebote stehen. Ich 
kann mich aber auf neuere Forschungsergebnisse italienischer Histo- 
logen berufen, z. B. auf diejenigen von Giovanini, der an den 
Rändern experimentell erzeugter Hautwunden des Kaninchens, die 
durch Schnitte, durch Galvanokaustik oder durch chemische Aetzungen 
hervorgebracht waren, im Stadium der Vernarbung konstant Mitosen 
nachzuweisen vermochte '). Ganz ebenso hat Tizzoni an sich re- 
generierenden Muskeln des Oberschenkels beim Kaninchen sämtliche 
Kernmitosen in auf- und absteigender Reihe verfolgt. Es liegt noch 
eine ganze Anzahl von Arbeiten aus dem Laboratorium Tizzoni’s 
vor, durch welche das Auftreten der indirekten Kernteilung (bei höhern 
Wirbeltieren) für eine große Anzahl von Gewebsarten, sogar für die 
graue Hirnsubstanz, zur Thatsache erhoben wird. Es scheint dem- 
nach, dass Fraisse seine Annahme zunächst nur durch die von ihm 
beobachteten Objekte zu stützen vermag. Indess hat J. Kollmann 
(vergl. Nr. 4 des Biolog. Centralblattes, 2. Bd., 1882) grade auch das 
Epithel von in Pikrinsäure-Spiritus gehärteten Salamander- und Tritonen- 
larven als ein vorzügliches Objekt zur Orientierung über die Erschei- 
nungen bei der mitotischen Zellteiluing empfohlen. 

Ich begnüge mich, auf diesen Punkt der Fraisse’schen Arbeit 
hiermit hingedeutet zu haben, und überlasse es einem Berufenern, sich 
mit unserem Autor über die Frage nach der Häufigkeit der direkten 
Zellteilung auseinander zu setzen. 

Zum Schluss dieses Referats möge noch in Erwähnung kommen, 
dass Fraisse seiner Abhandlung einen Abriss der geschichtlichen 


1) Gazetta degli Ospitali, Nr. 21. Bologna 1885. 





930 Zacharias, Können Rotatorien und Tardigraden wieder aufleben oder nicht ? 


Entwicklung der Regenerationsfrage voraufgeschickt hat, der aber bei 
aller aufgewandten Umsicht und Belesenheit nicht ganz lückenlos ge- 
blieben ist. Auf den Umstand, dass in dieser Literaturaufzählung 
Newport’s wichtige Mitteilung über den Wiederersatz verloren ge- 
gangener Teile bei den Myriopoden (Philos. Trans. of the London 
Royal Society, 1884, p. 283) fehlt, hat schon Dr. R. Horst (Leyden) 
hingewiesen. Ich möchte meinerseits noch erwähnen, dass Darwin 
im zweiten Bande seines großen Werkes über das Variieren der Tiere 
und Pflanzen im Zustande der Domestikation ausführlich auf die starke 
Regenerationsfähigkeit amputierter überzähliger Finger zu sprechen 
kommt, und an dieses Faktum sehr interessante Reflexionen knüpft, 
welche der speziellen Hervorhebung in einer Arbeit über die Regene- 
rationserscheinungen wert gewesen wären. Indess liegt das Haupt- 
gewicht von Fraisse’s Buch nicht in seinem literaturhistorischen, 
sondern in seinem experimentellen und histologischen Teile, und 
dieser bringt uns vielerlei Neues und Interessantes. Die beigefügten 
Tafeln sind von sauberster Ausführung. 


Können die Rotatorien und Tardigraden nach vollständiger 
Austrocknung wieder aufleben oder nicht? 


Von Dr. Otto Zacharias zu Hirschberg i/Schl. 


Eine lange Zeit hindurch wurde auf die Autorität Trembley’s 
hin gelehrt und geglaubt, dass man der Regenerationsfähigkeit des 
Süßwasserpolypen die Leistung zumuten könne, das durch Umstülpung 
nach außen gekehrte Darmepithel in eine Hautschicht zu verwandeln, 
und letztere vice versa in den Dienst der Ernährungsfunktion zu 
stellen. Neuere Versuche haben bekanntlich gelehrt, dass die sonst 
so geduldige Natur der Hydren solchen Zumutungen des experimen- 
tierenden Forschers Hohn spricht. Eine Parallele hierzu bildet die 
Historie von einer bei Räder- und Bärtierchen zu findenden Fähig- 
keit, nach gänzlicher Austrocknung wieder aufzuleben. Seitdem 
Spallanzani und Duge&s hierüber Versuche gemacht und versichert 
haben, dass ihnen die Wiederbelebung der genannten Tiere gelungen 
sei, spricht man in vielen Lehrbüchern von dieser Sache wie von 
einem ganz unzweifelhaften Faktum. 

Auch in der vortrefflichen Spezialarbeit von K. Eekstein über 
die Rotatorien der Umgegend von Gießen (Zeitschr. f. wissenschaft- 
liche Zoologie, 39. Bd. 1883) finde ich S. 428 einen Passus, wo es 
heißt: „Wenn auch die meisten Rädertiere ein nur kurz dauerndes 
Leben haben, so zeichnen sich doch andere durch die glückliche 
Eigenschaft aus, die es ihnen ermöglicht, der Todesgefahr zu ent- 
gehen, welche sie während der heißen Sommertage im Moose der 
Dächer oder beim Austrocknen der heimatlichen Wasserlache be- 


DR 





Zacharias, Können Rotatorien und Tardigraden wieder aufleben oder nicht? 231 


droht, denn sie. vermögen sich bei Wassermangel zusammenzuziehen, 
und in diesem dem Winterschlaf anderer Tiere ähnlichen Zustand 
bessere Zeiten zu erwarten.“ 

Dem gegenüber steht aber die Ansicht eines andern, nicht min- 
der sorgfältigen Rädertier-Beobachters, nämlich diejenige Ludwig 
Plate’s, der in seinen „Beiträgen zur Naturgeschichte der Rota- 
torien“ (Jenaische Zeitschr. f. Naturw. 19. Bd. 1885) S. 113 sagt, 
dass er wiederholt zahlreiche Vertreter verschiedener Abteilungen der 
Rotatorien langsam in Uhrschälchen habe eintrocknen lassen, ohne 
die Tiere jemals wieder aufleben zu sehen. 

Dieses stimmt mit den experimentellen Ergebnissen Pouchet’s, 
auf welche Prof. K. Semper bei Erörterung der Wiederauflebungs- 
frage !) bezugnimmt, vollständig überein, insofern auch jener fran- 
zösische Forscher gezeigt hat, dass auf Objektträgern befindliche 
Rotatorien und Tardigraden immer sterben, wenn sie wirklich ein- 
getrocknet sind, dass aber mitunter in ihnen Keime (resp. Eier) vor- 
kommen, welche durch ihre Hüllen gegen gänzliches Austrocknen 
geschützt werden, und nach abermaliger Befruchtung sich rasch ent- 
wickeln. 

Zur weitern Sfütze dieser Ansicht, welche augenscheinlich die 
richtige Erklärung für das scheinbare Aufleben von Räder- und 
Bärtierchen in angefeuchtetem Moos (oder in mit Wasser übergos- 
senem Dachrinnensand) gibt, kann ich im Nachstehenden eigne Er- 
fahrungen und Beobachtungen anführen. 

Zwischen meinem Wohnorte Hirschberg i/Schl. und dem nord- 
westlich davon befindlichen Dorfe Grunau liegt im freien Felde eine 
große, mehrere Fuß dieke Granitplatte, die als breiter Steg über einen 
Bach führt, welcher von der Landbevölkerung „Froschgraben“ ge- 
nannt wird. In jener Granitplatte befindet sich eine durch Witterungs- 
einflüsse hergestellte flache Höhlung, welche sich bei jedem Regenfall 
mit Wasser füllt und dann 2—3 Liter davon fasst. Bei trocknem 
windigem Wetter hält sich das Wasser in der Platte höchstens 2—3 
Tage, während es bei ruhiger Luft vielleicht 5—6 Tage zum voll- 
ständigen Verdunsten braucht. 

In dem aufgesammelten Regenwasser der betreffenden Höhlung 
hat sich nun im Laufe der Zeit eine ganz eigenartige Fauna ange- 
siedelt, und zwar eine solche, deren Vertreter vollständig eintrocknen 
müssen, wenn das Wasser durch Verdunstung entschwindet. Das 
Hauptkontingent zu dieser Tierwelt stellt eine Philodinide, welche 
weit größer als die bekannte Philodina roseola und von hochroter 
Farbe ist, weshalb ich sie Ph. cinnabarina nennen möchte. Es ge- 
schieht dies freilich in der stillen Annahme, dass es sich dabei um 





4) Die natürlichen Existenzbedingungen der Tiere, Leipzig 1880. 
Bdr IS, 219. 


939 Zacharias, Können Rotatorien und Tardigraden wieder aufleben oder nicht? 


keine neue Species, sondern nur um eine lokale Varietät handelt. 
Ebenso zahlreich, wenn nicht noch massenhafter, lebt in der näm- 
lichen Höhlung eine Bärtierchen-Art von bräunlichem Ansehen, 
deren genaue Bestimmung ich mir noch vorbehalten muss. Dazu ge- 
sellen sich ferner Amöben (A. guttula), farblose Flagellaten und 
einzelne Exemplare einer Stylonychia. Im übrigen ist das Wasser 
mit den schönen rotierenden Kugeln einer interessanten Volvocinee, 
der Stephanosphaera pluvialis Cohn belebt, und dazwischen sieht 
man den merkwürdigen Haematococcus pluvialis (= Chlamydococeus 
plw. A. Braun) herumschwärmen, der durch Jul. v. Flotow’s 
epoehemachende Untersuchungen (1845) so berühmt geworden ist. 

Dr. v. Flotow entdeckte seinen Haematococcus hier am 6. Sep- 
tember 1841, Cohn seine Stephanosphaera im Juni 1852. Aus münd- 
licher Rücksprache mit dem Breslauer Forscher weiß ich, dass der- 
selbe auch schon damals die rote Philodinide und das braune Bär- 
tierchen gesehen hat. Es liegt somit nachweisbar eine ununterbro- 
chene Kontinuität zwischen den vor 34 Jahren auf jener Granitplatte 
vorhanden gewesenen Lebensformen und den heute dort anzutrefien- 
den vor. Tausende und aber tausende von malen ist das Wasser 
seit dem Jahre 1852 dort ausgetrocknet und wieder durch Regenfall 
erneuert worden, niemals aber ist das Leben auf jenem kleinen Be- 
zirke erloschen oder durch anders geartetes ersetzt worden. Meine 
Nachforschungen haben ergeben, dass jene Platte seit etwa 200 Jahren 
an derselben Stelle liegt, wo sie sich heute befindet. Demnach ist 
es höchst wahrscheinlich, dass sich dieselbe Fauna, welche Ferd. 
Cohn vor einem halben Jahrhundert zuerst in jener ausgewitterten 
Höhlung entdeckte, sich mindestens noch 50 Jahre früher dort an- 
gesiedelt hat, denn zu dieser Zeit war die napfartige Vertiefung in 
der Platte sicher schon ausgebildet. Nach einer Angabe v. Flo- 
tow’s aus dem Jahre 1845, die ich in einem seimer Tagebücher 
finde!), war die Kapazität der Höhlung (in Litern Wasser gemessen) 
zu damaliger Zeit nicht geringer als eben. Man könnte demnach ver- 
muten, dass die Aushöhlung des kleinen Wasserbeckens nicht erst 
von dem Tage ab datiert, da die in Rede stehende Platte über den 
Frosehgraben gelegt und als Fußsteg benutzt wurde. Es ergäbe sieh 
dann für die in jener Höhlung lebenden Tierspecies im Minimum 
eine Lebenskontinuität von 100 Jahren. 

Und wie ist diese ununterbrochene Generationsfolge derselben 
Speeies an einer eng begrenzten und allen Wechseln der Witterung 
ausgesetzten Stelle zu erklären? Auf diese Frage habe ich mir Ant- 
wort durch das Experiment zu verschaffen gesucht. Ich habe ältere 





4) Dieselben wurden mir in freundlichster Weise von dem Sohne des ver” 
storbenen Forschers, Herrn Generalmajor Otto v. Flotow, zur Durchsicht 
überlassen, 


N 
Me 











Zacharias, Können Rotatorien und Tardigraden wieder aufleben oder nicht? 933 


und jüngere Exemplare der oben genannten Philodina ceinnabarina 
langsam auf dem Öbjektträger eintrocknen lassen, und stets die Er- 
fahrung gemacht, dass sie samt und sonders starben, wenn alles 
Wasser verdunstet war. Dasselbe geschah mit den Bärtierchen, die 
in die gleiche Lage versetzt wurden. Dagegen schrumpfen oder ver- 
ändern sich die in dem feinen Mud des Wasserbeckens enthaltenen 
Eier derselben Philodinide und diejenigen der Tardigraden nicht im 
geringsten, wenn sie einer allmählichen Trockenlegung unterzogen 
werden. Aus einem Uhrschälchen, in welehem 30 Stück Eier mit 
einer kleinen Menge von pflanzlichem Detritus eingetroeknet waren, ge- 
wann ich nach Verlauf von 10 Tagen ein Dutzend junger und blass- 
rot gefärbter Philodina-Exemplare. Ob die übrigen Eier noch aus- 
geschlüpft wären, wenn ich das Schälchen noch länger hätte stehen 
lassen, vermag ich nicht zu entscheiden; ich begnügte mich mit Kon- 
statierung der Thatsache, dass es einzig und allein die Eier sind, 
durch welche die kontinuierliche Generationenfolge aufrecht erhalten 
wird. Denselben Versuch habe ich inbetreff der Bärtierchen ge- 
macht, indem ich deren Eier auf einem Deckglase eintrocknen ließ, 
jedoch erst nach Ablauf einer Woche in ein Schälechen mit Wasser 
brachte. Von 6 Eiern kamen innerhalb 12 Tagen 2 zur Entwicklung; 
über das Schicksal der andern habe ich mich nicht weiter bekümmert, 
weil es mir nur auf Feststellung der Thatsache ankam, dass auch 
bei den Tardigraden das scheinbare Wiederauflebungsvermögen auf 
der Widerstandskraft der diekschaligen Eikörper beruht. 

Neuerdings (16. und 17. April er.) habe ich im Bodensatz des 
Wassers, welches ich unlängst aus der Grunauer Granitplatte ge- 
schöpft habe, auch stark kontrahierte Philodiniden - Exemplare auf- 
gefunden, die den Anschein einer beginnenden Enzystierung darboten, 
insofern sich eine Art durchscheinender Hülle um ihren ganzen 
Körper abgeschieden hatte. Diese Exemplare fand ich aber im De- 
tritus einer Wassermenge, die noch 3—4 Tage bis zum gänzlichen 
Verdunsten nötig gehabt haben würde. Darüber, ob dergleichen 
quasi-enzystierte Philodiniden sich nach Austrocknung etwa wieder 
beleben lassen, habe ich bislang noch keine Erfahrung. 

Von der massenhaften Anwesenheit der in Rede stehenden Phi- 
lodina einnabarina in der Granitplattenhöhlung von Grunau wird man 
sich am besten einen Begriff machen können, wenn ich berichte, dass 
ich darin Fragmente von abgestorbenen Grashalmen fand, welche 
mit Trupps von 300—400 Stück der genannten Rotatorienspecies be- 
setzt waren. Dazwischen sah man zahllose Eier in allen Stadien der 
embryonalen Entwicklung. Ich habe bei meinen häufigen Exkursionen 
an die Tümpel und Teiche der Umgegend von Hirschberg nirgends 
so große und niemals so massenhafte Exemplare dieser Philodinide 
gefunden, wie’an der angegebenen Lokalität. Inbezug auf die hoch- 
rote zinnoberartige Farbe derselben möchte ich bemerken, dass mir 


934 Zacharias, Können Rotatorien und Tardigraden wieder aufleben oder nicht ? 


dieselbe von dem in den Darm aufgenommenen Haematococcus plu- 
vialis herzurühren scheint. Denn kultiviert man die Tiere in Wasser, 
welches aus einer gewöhnlichen Regentonne geschöpft ist, so werden 
dieselben allmäblich blässer, und bebalten schließlich nur noch einen 
rosafarbenen Schein. 

Außer den Rotatorien und Tardigraden waren es bisher vorzugs- 
weise auch noch gewisse Nematoden (Anguilluliden), denen man 
das Vermögen, einer vollständigen Dessikkation widerstehen zu können, 
zuschrieb. Inbetreff dieser Tiergruppe hat aber P. Hallez (Lille) 
neuerdings ebenfalls nachgewiesen, dass die herrschende Ansicht un- 
richtig ist !). Er ließ kleine Nematoden (Rhabditis aceti), die auf 
Stärkekleister kultiviert waren, eintrocknen und beobachtete, dass 
niemals größere und ältere Exemplare erschienen, nachdem der Kleister 
wieder befeuchtet worden war, sondern stets kleine und jüngere 
Würmer. Nähere Nachforschungen über diesen Umstand ergaben das 
Resultat, dass nicht die Muttertiere selbst, sondern die im Körper 
derselben mit eingetrockneten Eier auf allen Stadien der Entwick- 
lung das Vermögen besaßen, im Trockenzustande auszudauern. 
Kleisterbrocken, welche ein Alter von drei Jahren hatten, ergaben, 
wenn sie befeuchtet wurden, nach kurzer Zeit junge Exemplare von 
Rhabditis aceti in großer Menge. 

Was die in der Grunauer Steinplatte mit anwesenden Vertreter 
der Algenflora anlangt, so ist von Prof. G. Hieronymus (Breslau) 
inbezug auf Stephanosphaera plwvialis Cohn in einer besondern Ab- 
handlung ?) unlängst nachgewiesen worden, dass die durch den 
Paarungsakt der Mikrogonidien dieser Volvocinee erzeugten „Ruhe- 
zellen“ (Zygosporen) allein im stande sind, den Trockenzustand zu 
überdauern, um dann bei Wiederbenetzung mit Wasser neue Stephano- 
sphaera-Familien zu produzieren. Vom Haematococcus ist ein Ruhe- 
stadium ähnlicher Art bekannt, und so wird das ungestörte Fortleben 
beider Repräsentanten der Algenwelt an dem fraglichen Fundorte 
wohl begreiflich. 

Da Amöben und Flagellaten das gleiche Vermögen sich zu en- 
zystieren besitzen, so hat es auch inbezug auf diese Protozoen keine 
Schwierigkeit, sich deren fortdauernde Generationenfolge in der 
Höhlung jener Granitplatte zu erklären. 

Von einer eigentlichen Fauna und Flora rediviva 
kann im vorliegenden Falle aber nach alledem nicht 
mehr die Rede sein, sondern es handelt sich lediglich um ein 
Anpassungsverhältnis der betreffenden Eikörper an den Aufenthalt 





4) Recherches sur l’embryog&nie et sur les conditions du d&eveloppement 
de quelques nematodes. Paris, 1885. pag. 46 und 47. 

2) Vergl. Beiträge zur Biologie der Pflanzen, herausgegebeh von F. Cohn, 
4. Bd. 1885. 8. 73. 


Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. 255 


in austrocknendem Detritus. In jeder sonnigen und regenlosen Woche 
tritt die natürliche Auslese behufs Erzielung solcher ausdauernder 
Eier wenigstens einmal in Wirksamkeit: die etwa mit Regenwasser 
gefüllte Höhlung trocknet in dieser Zeit notwendig aus, und damit 
wird alles Leben, was sich nicht enzystieren kann oder in undurch- 
lässigen Eischalen geborgen ist, dem Tode des Verschmachtens ge- 
weiht. Dieser Ausleseprozess, der Jahr aus Jahr ein in jener napf- 
artigen Vertiefung der Grunauer Platte thätig ist, hat nun — wie es 
scheint — an dieser beschränkten Lokalität noch den Nebenerfolg 
gehabt, eine durch ihre Größe ausgezeichnete Varietät der Philodina 
roseola zu züchten, für die ich, wie schon gesagt, die Bezeichnung 
cinnabarina in Vorschlag bringe. Ich habe eine so stattliche, schön 
gefärbte und wenig scheue Philodinide bisher an keinem zweiten 
Orte in unserer Gebirgsgegend angetroffen. Wenn ich dieses Tierchen 
als „wenig scheu“ charakterisiere, so meine ich damit dessen Ver- 
halten in den Momenten, wo sein Räderorgan von einer rollenden 
Stephanosphärenkugel, einer vorbeischießenden Stylonychia oder einem 
strampelnden Bärtierchen berührt wird. Es kommt ihm in diesen 
Fällen nicht bei, sich furchtsam zu kontrahieren und zu lauschen, 
bis sich der vermeintliche Feind entfernt hat (wie dies Rotifer vul- 
garis zu thun pflegt), sondern es rädert mit seinem Wimperorgan 
unbekümmert fort, und lässt sich durch nichts stören. Ich erkläre 
mir dieses auffällige Verhalten aus dem Umstande, dass die Tierchen 
in ihrem kleinen Bezirke keinen eigentlichen Feind besitzen, und 
dass sie von Jugend auf an die einförmige zoologische Gesellschaft, 
in der sie sich zeitlebens befinden, gewöhnt sind. Auf die sozialen 
Neigungen desselben Tierchens, welches oft in ganzen Kolonien an- 
getroffen wird, habe ich schon oben hingewiesen. 


Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper!'). 


Bei denjenigen Stoffen, welche sowohl in der Nahrung enthalten 
sind, als auch im Körper — sei es vorübergehend, sei es ständig — 
vorkommen, ist eine zweifache, örtlich verschiedene Zersetzung 
möglich: im Darmkanal und in den Geweben. Es fragt sich, ob 
auch die Art der Zersetzung an den beiden Orten wesentlich ver- 
schieden von einander ist. Will man diese Frage entscheiden, so muss 
man sich wohl erinnern, dass die Vergleichung auf die Anfänge der 
Zersetzung zu beschränken ist. Es begreift sich ja leicht, dass bei 
Gleichheit in den Anfängen in den spätern Stadien Verschiedenheiten 


1) Nach einem in der naturforschenden Gesellschaft zu Rostock gehaltenen 
Vortrag. 


336 Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. 


auftreten können und voraussichtlich auch auftreten, die bedingt wer- 
den hauptsächlich durch die Gegenwart oder das Fehlen von Stoffen 
verschiedenster Art, welche sich mit den Zersetzungsprodukten in 
deren Status nascens zusammenlegen können. Findet man die An- 
fänge der Zersetzung an beiden Orten gleich, so wird dadurch eine 
Stütze gewonnen werden für die Anschauung, dass fermentartige 
Substanzen, wie solche im Darmkanal bekannt sind, auch in den 
Geweben die Zersetzungen einleiten. 

Nun lässt sich für einige Stoffe leicht zeigen, dass prinzipielle 
Unterschiede in den Anfängen ihrer Zersetzung innerhalb und außer- 
halb des Darmkanals nicht bestehen. So wird aus Eiweiß im Darm- 
kanal durch Trypsin, das eiweißspaltende Ferment der Bauchspeichel- 
drüse, Leucin und Tyrosin, abgespalten, und dieselben Substanzen 
treten unabhängig von der Nahrung unter gewissen Umständen, haupt- 
sächlich bei Erkrankungen der Leber, in dieser selbst sowie in den 
Ausscheidungen des Körpers auf. Die Erkrankung des Körpers hat 
also hier, wie in so vielen Fällen, der Physiologie einen wichtigen 
Aufschluss verschafft, indem sie eine bestimmte Stufe eines sonst nur 
in seinem Anfang und seinem Schluss zu erkennenden Vorganges auf- 
deckte. Dass aber in der That wenigstens der eine der beiden ge- 
nannten Stoffe sich wahrscheinlich stets bildet, wenn auch um sogleich, 
das heißt vielleicht schon im Status nascens, weiter verwandelt zu 
werden, dass man es also bei dem Auftreten desselben im Körper 
nicht mit einem vollkommen abnormen Prozess zu thun hat, dafür 
ist die Umwandlung von der Nahrung zugesetztem Leucin zu Harn- 
stoff ein schlagender Beweis. 

Auch bei den Fetten sind die Anfänge der Zersetzung, ihre 
Spaltung in Fettsäuren (einschließlich der Oelsäuren) und Glyzerin, 
im Darm und in den Geweben gleich; die Thatsachen, welche dieser 
Behauptung zu grunde liegen, eingehend zu erörtern, ist Aufgabe 
dieser Besprechung. Vielleicht gelingt es derselben, die Aufmerksam- 
keit der Physiologie wieder etwas auf das bereits seit längerer Zeit 
mehr als stiefmütterlich behandelte Kapitel der Fettzersetzung zu 
lenken. Es wird aus dem Folgenden klar werden, dass auf diesem 
Gebiete noch manche Lorbeeren zu erringen sind, freilich nieht mühelos 
und insbesondere nicht ohne Aufbietung der größten Sorgfalt bei den 
Untersuchungen. 

Was die Zersetzung der Fette im Darmkanal angeht, mit 
der naturgemäß wieder zu beginnen ist, so weiß man seit Ol. Ber- 
nard!), dass das Sekret der Bauchspeicheldrüse im stande ist, neu- 
trale Fette unter Aufnahme von Wasser zu zerspalten. Ebenso werden 
verschiedene andere Fette und aromatische Ester durch den Pankreas- 
saft gespalten und ferner auch Verbindungen anderer Art, wie z. B. 





1) Lecons de physiologie experiment. ete. Paris 1856. 


Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. 937 


die Hippursäure [Nencki] !). Während mau so bereits einigermaßen 
unterrichtet ist über die Natur der Zersetzungen und auch über die 
Bedingungen, unter welchen dieselben am besten verlaufen, ist es bis 
jetzt trotz aller Mühe noch nicht gelungen, das fettspaltende Ferment 
des Pankreas zu isolieren. Es scheint dasselbe gegenüber den bei 
der Isolierung unvermeidlichen Operationen verschiedener Art eine 
viel größere Empfindlichkeit zu besitzen als die andern bekannten 
Fermente. Diese Eigentümlichkeit verdient besonders hervorgehoben 
zu werden. 

Verfolgen wir nun, bevor die Fettzersetzung in den Geweben 
Gegenstand der Untersuchung wird, kurz das Nahrungsfett auf 
seinem Wege, so ist unter Hinweis auf den in diesen Blättern ent- 
haltenen Aufsatz von J’Munk?) zunächst der Thatsache zu gedenken, 
dass, unabhängig davon, ob viel oder, wie es meist ist, nur wenig 
Fett im Darmkanal gespalten wird, oder ob Fettsäuren und Glyzerin 
bereits getrennt oder auch die erstern allein in der Nahrung ent- 
halten waren, im Chylus und Blut sich nur neutrales Fett findet neben 
ganz geringen Mengen von Seifen. Bei reichlicher Fettnahrung kann 
das Blut so fettreich werden, dass das Blutserum milchig erscheint 
durch die in ihm suspendierten Fettkügelchen. Außer diesem suspen- 
dierten Fett ist aber auch noch Fett einfach gelöst im Serum, das 
wie jede Eiweißlösung eine gewisse Menge von Fett aufzunehmen 
vermag. So findet sich denn auch, wenn man nach mehrern Stunden 
— die Zeit ist natürlich abhängig von der Menge des Fettes in der 
Nahrung — von neuem einen Aderlass macht und nun ein vollkommen 
klares Serum aus dem Blute gewinnt, stets noch Fett in demselben, 
ja sogar noch nach mehrtägigem Huugern. 

Für das Verschwinden des Fettes aus dem Blut gab die ältere 
Physiologie einfach die Erklärung, das Fett wäre im Blute verbrannt. 
Es lässt sich nicht leugnen, dass ein Teil des Fettes, aber jedenfalls 
nur ein sehr kleiner Teil, durch Hilfe der weißen Blutkörperchen im 
Blute selbst vollkommen zersetzt werden kann zu Kohlensäure und 
Wasser; der größte Teil des Fettes muss aber aus dem Blute ent- 
fernt, in die Organe und Gewebe gebracht sein, sei es um hier ver- 
brannt zu werden, sei es um hier liegen zu bleiben. Wenn es nun 
auch weiter denkbar ist, dass in dem Transsudat des Blutes, der 
Lymphe, auch die feinen Fetttröpfehen des Blutserums mit aus den 
Gefäßen herauszutreten vermögen, so darf ein solches Austreten von 
Fetttröpfehen doch wohl nicht als die Regel angesehen werden, da 
auch bei sehr großem Gehalt des Blutes an Fett, ohne weiteres er- 
kennbar an der milchigen Beschaffenheit des Serums, niemals eine 
trübe Flüssigkeit aus den Lymphgefäßen gewonnnen wird [H. Nasse?°), 


1) Archiv für experiment. Pathologie, XX, $. 367, 1886. 
2) Band V S. 308 ff. 
3) Vorstudien zur Lehre von der Lymphbildung, Marburg 1862, S. 19. 


338 Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. 


Röhrig!)]. Hierzu ist noch zu bemerken, dass in den Versuchen von 
H. Nasse die Lymphe aus Körperbezirken stammte, in welchen eine 
rasche Ablagerung des aus den Blutgefäßen ausgetretenen Fettes aus- 
geschlossen war. Verlässt wirklich nur ausnahmsweise das Fett in 
Tröpfehen das Blut, so würde man sich von dem in Rede stehenden 
Vorgang etwa folgendes Bild machen können. Das Serum ist, sobald 
es milchig ist, ohne Zweifel als mit Fett gesättigt zu betrachten, eine 
gesättigte Lösung von Fett tritt demnach in der Lymphe aus dem Blut 
und kehrt da, wo sie mit Geweben in Berührung gewesen ist, welche 
Fett aufzunehmen im stande sind, als nicht mehr vollkommen ge- 
sättigte Lösung zum Blut zurück. Hier wird nun wieder suspendiertes 
Fett zur wirklichen Lösung gebracht werden, und so setzt sich dieses 
Spiel so lange fort, bis ein Gleichgewichtszustand zwischen dem Filtrat 
aus dem Blut und den Organen und Geweben des Körpers einge- 
treten ist. 

Auf welche Weise das Fett in den Organen abgelagert wird, die 
Fettinfiltration vor sich geht, ist nicht bekannt. Mit Ausdrücken 
wie Anziehungskraft der Zellen u. dgl. m. wird die Thatsache nur 
umschrieben, doch kann der gebrauchte Ausdruck beibehalten werden, 
da durch denselben eine gewisse selbstthätige Beteiligung der Zellen, 
die nicht allgemein verbreitet ist, angedeutet wird. Morphologisch 
verfolgt ist die Ablagerung des Fettes besonders in dem Bindegewebe 
|W. Flemming ?)]; es ist wohl anzunehmen, dass dieselbe in allen 
Organen im wesentlichen auf die gleiche Weise vor sich geht, und zwar 
sowohl wenn es sich um Nahrungsfett handelt, als auch wenn Fett, 
welches bereits abgelagert oder irgendwie im Körper gebildet worden 
ist, nachträglich aus einem Organ in ein anderes übertragen wird. 
Sehr verschieden ist indess die Schnelligkeit, mit welcher die Zellen 
Fett aufzunehmen vermögen; am größten ist dieselbe unzweifelhaft 
bei den Leberzellen: schon wenige Stunden nach dem Einführen fett- 
reicher Nahrung wird die Leber hochgradig mit Fett infiltriert ge- 
funden. So entsteht eine physiologische Fettleber [Kölliker?)], 
besonders leicht zu beobachten bei saugenden Tieren. Schnell wird 
Fett auch abgelagert in der Milchdrüse und ferner im Eidotter, sehr 
langsam dagegen im Fettgewebe. Bildete man eine Reihe, in welcher 
die Organe auf einander folgten nach abnehmender Geschwindigkeit 
in der Aufnahme von Fett, so würden in derselben ganz zum Schluss 
die Muskeln mit einer Geschwindigkeit = Null aufzuführen sein, 
womit gesagt werden soll, dass gewisse Organe, in erster Linie wohl 
die Muskeln, wahrscheinlich aueh die Nieren, der Fettinfiltration nicht 





4) C. Ludwig, Arbeiten aus der physiol. Anstalt zu Leipzig, 9. Jahrg, 
1874, S. 1. Leipzig 1875. 

2) Archiv für mikroskopische Anatomie, VII, S. 33, 1871. 

3) Verhandl. d. physikal. med. Gesellschaft in Würzburg, Bd. VII, 1856. 








Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. 2539 


anheimfallen können. Trifft man Fett in den Muskeln, und zwar in 
der Muskelsubstanz selbst, nicht in ihren aceessorischen bindegewebigen 
Teilen, so kann man dasselbe ohne weiteres als nekrobiotisches Fett 
betrachten. 

Wie die Infiltration rasch erfolgen kann, so kann anderseits auch 
das Fett unter Umständen sehr rasch wieder aus den Zellen ver- 
schwinden. Im allgemeinen können diejenigen Zellen, welche schnell 
Fett aufnehmen, sich desselben auch wieder schnell entledigen. Man 
unterscheidet nun wohl nach der Dauer des Liegenbleibens transito- 
risches Fett und permanentes, doch stets mit dem Nebengedanken, 
dass eine vollständige Permanenz nicht vorkommt. Das beste Beispiel 
von rasch wieder verschwindender Fettinfiltration bietet die erwähnte 
physiologische Fettleber bei sehr fettreicher Nahrung, an deren Stelle 
wenige Stunden nach dem Aufhören der Fettzufuhr wieder eine Leber 
von normalem Fettgehalt gefunden wird. Das Verschwinden des Fettes 
aus den Organen und Geweben kann zu stande kommen auf zwei 
verschiedene Weisen: entweder wird das Fett als solches fortgeschafft 
oder es wird zersetzt. 

Tritt Zersetzung des Fettes in den Geweben ein, so ist 
von vornherein wahrscheinlich, dass dieselbe mit einer Spaltung in 
Fettsäuren und Glyzerin beginnt, wie ja auch extra corpus diese 
Spaltung jedem Eingriffe in das Fett-Molekül folgt. Dass dies aber 
auch wirklich in den Geweben der Fall ist, lässt sich beweisen einer- 
seits daraus, dass das Fett gewisser Organe insbesondere der Leber 
außergewöhnlich viel freie Säure enthält [F. Hofmann!)]. Da indess 
nur durch eine summarische Titrierung des bei niederer Temperatur 
ausgeschmolzenen Fettes der Säuregrad ermittelt worden ist, fremde 
Säuren somit nicht ganz ausgeschlossen waren und außerdem die be- 
treffenden Organe von Leichen stammten, so möchten mit Recht Zweifel 
an der Vollgiltigkeit dieses Beweises erhoben werden können. Völlig 
einwurfsfrei dagegen dürften sein die Beobachtungen über das Ver- 
halten des Fettes in ölreichen Samen bei dem seinem Wesen nach 
mit dem tierischen Stoftwechsel ganz übereinstimmenden Prozess des 
Keimens: während die ruhenden Samen annähernd neutrales Fett 
enthalten, ist das Fett der keimenden Samen reich an fetten Säuren 
[von Rechenberg?)|. Das Fett war bei diesen Versuchen durch 
Ausziehen mit Petroleumäther gewonnen. Ein fettspaltendes Ferment 
hat aus keimenden Samen bisher ebenso wenig wie aus dem Pankreas- 
saft, und wahrscheinlich auch aus denselben Gründen, isoliert werden 
können, während die diastatischen Fermente und, wenn auch weniger 





4) Beitr. z. Anat. u. Physiol. als Festgabe Carl Ludwig gewidmet etc. 
Leipzig 1874, S. OXXXIV. 

2) Journ. f. prakt. Chemie, N. F., XXIV, $. 512, 1881; s. auch die ältere 
Literatur bei W. Pfeffer, Pflanzenphysiologie, I, $S. 283, Leipzig 1881. 


940  Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. 


leicht, die eiweißzerlegenden Fermente schon fast in reinem Zustande 
aus Samen gewonnen sind. Bei der Wiederaufnahme dieser Unter- 
suchungen wird man nicht vergessen dürfen, dass nach den am Pankreas 
gemachten Erfahrungen insbesondere Säuren und zwar schon in ganz 
geringen Mengen das Fettferment zerstören [Cl. Bernard'), Grütz- 
ner?)]. Das fettzerlegende Ferment mag sich ähnlich wie das diasta- 
tische teilweise erst während des Keimungsprozesses bilden, ein Teil 
ist aber jedenfalls schon im ruhenden Samen enthalten. Das geht 
hervor aus dem schnellen Auftreten von freien Fettsäuren bei dem 
Zerreiben Ölhaltiger Samen mit Wasser [|Schützenberger?)|. In 
gleicher Weise wie in diesem Versuche mit Samen wird sicher auch 
in der Leber die stete Anwesenheit einer fettzerlegenden Kraft nach- 
zuweisen sein, und an diesen Nachweis, der bisher noch gar nicht 
versucht ist, werden sich dann mancherlei wichtige Experimente über 
die Abhängkeit der Fettzersetzung von äußern Bedingungen, wie Gas- 
gehalt des mit Fett digerierten Leberbreis, Anwesenheit fremder Sub- 
stanzen u. dgl. von selbst anschließen. 

In dem Vorstehenden ist nicht bloß der Beweis dafür erbracht, 
dass die Fettzersetzung in. ihren Anfängen intra et extra 
intestina die gleiche ist, sondern auch bereits angedeutet, dass 
dieselbe wohl nicht in allen Organen mit der gleichen Leichtigkeit 
vor sich geht, dass es vielmehr einzelne Organe gibt, wie insbesondere 
die Leber, in denen das Fett seiner Hauptmasse nach verbrannt wird. 
Wenn sich nun auch noch nicht vollkommen klar übersehen lässt, wie 
in dieser Beziehung die Arbeitsteilung der Organe ist, so kann man 
doch schon von einem Gewebe, welches besonders reich an Fett ist 
und von demselben seinen Namen trägt, mit einiger Bestimmtheit 
sagen, dass in ihm die Zersetzung wohl nur sehr gering ist. Es ist 
wohl überhaupt der Stoffwechsel im Fettgewebe sehr langsam; 
wie lange fremdes Fett in demselben abgelagert bleibt, eine Ernäh- 
rung des betreffenden Körpers vorausgesetzt, bei welcher der Fett- 
bestand unverändert bleibt, weiß man gar nicht. Gegen die Annahme 
der Fettzersetzung bei dem Verschwinden des Fettes aus dem Fett- 
gewebe möchte zur Zeit neben dem geringen Protoplasmagehalt der 
Zellen weniger das fast vollständige Fehlen von Fettsäuren in dem 
ausgeschmolzenen Fett (F. Hofmann) angezogen werden dürfen, 
zumal Untersuchungen des Fettgewebes in Fällen von rascher Ab- 
magerung nicht genügend vorliegen, als vielmehr das anatomische 
Bild bei Rückbildung des Fettgewebes. Es erscheinen nämlich die- 
selben Formen der Zellen wieder, nur in umgekehrter Reihenfolge, 
welche bei der Ablagerung des Fettes beobachtet werden (W. Flem- 





IRA Na70. 
2) Archiv f. d. ges. Physiologie, XII, S. 302, 1876. 
3) Die Gärungserscheinungen, Leipzig 1876, 8. 263. 








Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. 241 


ming). Nur ausnahmsweise entstehen die früher als typisch betrach- 
teten serumhaltigen Fettzellen. So bleibt denn für das Fettgewebe 
nur die erste der oben erwähnten Möglichkeiten: das Fett, das als 
solches hineingebracht war, wird auch als solches wieder fortgeschaftt, 
vermutlich in derselben nicht näher anzugebenden Art, wie das transi- 
torische Fett der physiologischen Fettleber aus dieser wieder als 
solches herausgebracht wird. Bemerkenswert erscheint hier noch die 
Beobachtung [H. Nasse!)], dass bei Wiederaufnahme des Fettes aus 
seinen Depöts das Blutserum ebenso milehig sein sein kann wie nach 
Einführen sehr fettreicher Nahrung; eine gewisse Aktivität der Fett- 
zellen bei Abgabe ihres Fettes könnte hieraus gefolgert werden. 

Das Fett des Fettgewebes wird bis auf die kleinen Mengen, 
welche im Blute verbrannt werden, wahrscheinlich in die Leber ge- 
bracht, um unter gewöhnlichen Verhältnissen hier rasch zerstört zu 
werden, unter abnormen auch wohl kürzere oder längere Zeit liegen 
zu bleiben. Ein solcher Transport von Fett in die Leber, und 
zwar in diesem Falle Ablagerung des Fettes in der Leber (Infiltration), 
ist bis jetzt allerdings nur ein einziges mal als mit Zahlen belegbar 
festgestellt worden, nämlich bei Phosphorvergiftung [H. Leo?)|, aber 
diese eine sichere Beobachtung erlaubt schon — und darin liegt ihre 
allgemeinere Bedeutung — die bereits angedeutete Vermutung auszu- 
sprechen und dieselbe als weiterer eingehender Prüfung wert hinzu- 
stellen, dass die Leber das Fett aufnimmt, welches von den der Fett- 
zersetzung nicht mächtigen Organen des Tierkörpers abgegeben wird. 
Angenommen ist dieser Vorgang schon oft von der Pathologie; ins- 
besondere sind die Leber-Fett-Infiltrationen bei starker Abmagerung, 
so u. a. hauptsächlich bei Phthisis |[Frerichs?)] auf diese Weise er- 
klärt worden. Dabei hat man aber wohl niemals die Möglichkeit 
einer Komplikation durch mehr oder weniger fortgeschrittene fettige 
Entartung der Leber in Abrede stellen wollen. 

Des Liegenbleibens von Fett in der Leber ist schon wiederholt 
gedacht worden als einer abnormen Erscheinung. Durch dasselbe 
wird erzeugt die einfache (Infiltrations-) Fettleber. Von einfacher 
Fettleber darf nur gesprochen werden, wenn die Leber abzüglich des 
Fettes in ihrer Größe (Gewicht) und ihrer Zusammensetzung normal 
ist. Schwierig ist hierbei freilich anzugeben, was normal ist. Zunächst 
ist das Verhältnis des Lebergewichtes zum Körpergewicht, oder, ge- 
nauer gesagt, die physiologischen Schwankungen in diesem Verhältnis 
keineswegs genau bekannt, und weiter ist der chemische Bau der 
fettfreien Lebersubstanz kaum annähernd ermittelt und im einzelnen 
Fall sehr schwer festzustellen. Die Untersuchungen von Menschen- 

}) Ueber den Einfluss der Nahrung auf das Blut, Marburg 1850, S. 74; 
s. auch Frerichs, Klinik der Leberkrankheiten, Bd.1, S. 293, Braunschweig 1855. 

2) Zeitschr. f. physiol. Chemie IX, S. 469. 1885. 

3A. 0. 

VI, 16 


942  Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. 


lebern, welche vorliegen [Perls'!), R.v. Hösslin?)], haben sich aus 
guten Gründen bisher beschränkt auf den Gehalt an festen Bestand- 
teilen und an in Aether löslichen Stoffen, welche letztere insgesamt, 
ohne der an Menge wechselnden Beimischung von Cholesterin und 
Leeithin zu gedenken, als Fett bezeichnet werden. Aus diesen sehr 
allgemein gehaltenen Untersuchungen hat sich aber doch schon er- 
geben, dass in manchen Krankheiten die Leber, immer wieder nach 
Abrechnung des Fettes, sehr wasserreich (so z. B. bei perniziösem 
Ikterus, akuter gelber Leberatrophie und oft bei Phthisis), in andern 
dagegen wasserarm ist (so z. B. in einem Fall von Phosphorvergif- 
tung); dabei wird angenommen, dass in der gesunden Leber der 
Prozentgehalt der fettfreien Leber an festen Bestandteilen zwischen 
19 und 22 schwankt. Wenn nun auch in der Leber abzüglich des 
Fettes sich alles in den eben angegebenen Grenzen der Zusammen- 
setzung (genauer: des Wassergehaltes) und den noch nicht näher 
anzugebenden Grenzen des Gewichtes verhält, so fragt es sich, von 
welchem Fettgehalt ab dieselbe als (einfache) Fettleber bezeichnet 
werden darf. Es ist die Anschauung verbreitet, dass der Fettgehalt 
der Leber in einem gewissen Verhältnis stehe zum Fettgehalt des 
ganzen Körpers, mit diesem zunehme. Der Beweis für die Richtig- 
keit dieser Anschauung, die wesentlich auf Sektionsbefunde und 
Schätzung der Fettmengen durch das Auge gegründet ist, muss aber 
erst noch erbracht werden durch genaue Untersuchungen von Leichen 
gesunder Menschen sowie von Tieren, diese natürlich getötet erst 
ungefähr dreißig Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme, damit 
nicht das Fett der transitorischen Nahrungs-Fettleber Fehler bedinge. 
Eine an Fett sehr reiche Leber könnte also unter gewissen Verhält- 
nissen, nämlich bei allgemeinem Fettreicehtum des Körpers, physiolo- 
gisch genannt werden müssen, während eine Leber von vollkommen 
gleichem Bau und gleicher Zusammensetzung pathologisch zu nennen 
wäre, wenn sie in einem fettarmen Körper vorkommt. Pathologisch ist 
selbstverständlich diejenige Fettleber, deren fettfreie Substanz nicht mehr 
normal zusammengesetzt (vgl. die oben angeführten Beispiele) oder 
an Menge vermindert oder vermehrt ist u. s. w. Das Fett einer 
solchen pathologischen Fettleber wird unter Umständen auch nur 
infiltriertes Fett sein können, wird aber auch durch fettige Degenera- 
tion entstanden sein können: nekrobiotisches Fett. Wie häufig sich 
fettige Degeneration mit Fettinfiltration und Abnahme der fettfreien 
Lebersubstanz-Menge (nebst Veränderungen in der Zusammensetzung) 
vereinigt, und wie schwierig es im einzelnen Falle ist, genau die 
Natur der Fettleber anzugeben, zumal auch das Mikroskop nur in den 
extremsten Fällen Hilfe zu leisten vermag und oft nur aus dem Auf- 





4) Mediz. Cenlralblatt, 1873, S. 802. 
2) Deutsches Archiv f. klin Medizin, XXXII, S. 600, 1883. 


Voit, Lehmann und Rubner, Ueber die Fettbildung im Tierkörper. 243 


treten von nekrobiotischem Fett in andern Organen auf fettige Dege- 
neration der Leber geschlossen werden kann, darüber muss man die 
Pathologie hören; für die hier vorliegenden Zwecke ist der Exkurs 
über die Fettleber schon fast zu lang geworden. 

Sobald überhaupt Fett, ganz unabhängig von seiner Abstammung, 
abnormer Weise liegen bleibt, sei es im ganzen Körper (bei soge- 
nannter Fettsucht), sei es in einem bestimmten Organ: der Grund 
dieses Liegenbleibens muss in gänzlichem Fehlen oder in Vermin- 
derung des Fettzersetzungsvermögens gesucht werden. Die 
früher betonten Erfahrungen über die Sensibilität des fettzerspaltenden 
Fermentes des Pankreassaftes ermächtigen sicher zu der Annahme 
einer gleich großen Sensibilität der einstweilen freilich noch rein 
hypothetischen und von dem Protoplasma nicht abzutrennenden fett- 
spaltenden Fermente der Organe des Tierleibes. Bringt man mit dieser 
Vorstellung die Thatsache in Verbindung, dass Liegenbleiben von Fett 
in demjenigen Organ, in welchen sonst die Fettzersetzung lebhaft vor 
sich geht, der Leber, die Enderscheinung so vieler Krankheiten und 
experimenteller Störungen des Körpers ist, so wird man sich aber 
sehr davor hüten müssen, die Wirkung fremder Agentien auf den 
Organismus, weil in ihrem Gefolge auch Liegenbleiben von infiltrier- 
tem oder nekrobiotischem Fett eintritt, stets auf dieselbe Weise er- 
klären zu wollen. Es ist hier nicht der Ort, auf die Wirkung dieser 
Agentien näher einzugehen, zumal die Gefahr vorliegt sich in Hypo- 
thesen zu verlieren; nur mag zum Schluss noch darauf hingewiesen 
werden, dass manche Stoffe, während sie den Fettzerfall hindern, 
den Eiweißzerfall im Körper vermehren; diese Erscheinung würde 
dafür sprechen, dass die Kräfte, welche die beiden in Rede stehenden 
Zersetzungen vermitteln, ebenso an verschiedenen Molekülen des Proto- 
plasmas haften, wie im Darmkanal die Zersetzungen von Eiweiß, 
Fett u. s. w. durch verschiedene Fermente veranlasst werden. 

0. Nasse (Rostock). 


Ueber die Fettbildung im Tierkörper. 
Nach zwei von Dr. Erwin Voit und Dr. C. Lehmann und von 
Dr. M. Rubner ausgeführten Untersuchungen 


mitgeteilt von ©. v. Voit!). 


Man hat bekanntlich früher, nachdem sich herausgestellt hatte, 
dass das Eiweiß im Tierkörper ausschließlich aus dem in der Nahrung 
schon vorhandenen Eiweiß stammt und demnach kein Eiweiß in dem- 
selben erzeugt wird, das Gleiche auch für das Fett angenommen. Es 
waren vorzüglich die französischen Forscher Dumas, Boussingault 





4) Aus den Sitzungsberichten der k. bayr. Akademie d. Wissenschaften. 
Nöris: 


944 Voit, Lehmann und Rubner, Ueber die Fettbildung im Tierkörper. 


und Payen, welche den Satz verteidigten, dass das Fett des Tieres 
nur von dem aus der Nahrung resorbierten, durch die Pflanze berei- 
teten Fett herrührt. 

Liebig zog dagegen aus seinen geistvollen Betrachtungen über 
die Vorgänge im Tierkörper den Schluss, dass die Kohlehydrate der 
Nahrung die Hauptquelle für das im tierischen Organismus abgelagerte 
Fett seien. Liebig ging damals aus dem lebhaft geführten Kampfe 
als Sieger hervor, da es sich zeigen ließ, dass das Fett der Nahrung 
in einer Anzahl von Fällen nicht hinreicht, das unterdess im Körper 
angesetzte Fett zu decken. 

Pettenkofer und ich machten später auf eine weitere Quelle 
für das Fett aufmerksam, nämlich auf das Eiweiß, das sich nach 
unsern Untersuchungen am Hunde im Organismus in einen stickstoff- 
haltigen und stiekstofffreien Anteil spaltet, welcher letzterer nahezu 
die Zusammensetzung des Fettes besitzt. 

Dadurch war es nötig geworden zuzusehen, ob vielleicht das in 
der Nahrung zugeführte Fett mit dem bei dem Eiweißzerfall sich ab- 
spaltenden Fett hinreieht, den Fettansatz im Tierkörper zu bewirken, 
und ob die Kohlehydrate in diesem Falle nur die Aufgabe haben, 
das Fett vor der weitern Zerstörung zu schützen. 

Es ließ sich dies auch in der That, unter der Annahme, dass 
nach Henneberg’s Berechnung aus dem Eiweiß bei dem Zerfall in 
‘sich selbst — nach Analogie der Zuckergärung, ohne Eingriff des 
atmosphärischen Sauerstoffes — im höchsten Falle 51,4 °/, Fett ent- 
stehen, für die von uns beim Hunde gemachten Beobachtungen nach- 
weisen. Ebenso genügte das aus dem Darm resorbierte und aus dem 
Eiweißzerfall entstandene Fett zur Deckung des Butterfettes einer 
gut genährten reichlich Milch sezernierenden Kuh. Auch von andern 
wurde darauf hin das Gleiche gefunden, so z. B. von Stohmann 
für milchgebende Ziegen, von Gust. Kühn und von M. Fleischer 
für Milchkühe bei an Eiweiß und Fett armer Nahrung. 

Ich habe daher damals gesagt, dass der Uebergang von Kohle- 
hydraten in Fett nicht bewiesen sei und ein solcher Vorgang erst 
dann angenommen werden dürfe, wenn man Beispiele fände, wo jene 
beiden andern Fettquellen sicher nicht melir zureichen. Es war dies 
der einzig richtige Standpunkt; niemals habe ich behauptet, dass die 
Kohlehydrate kein Fett geben, und es ist demnach auch, wenn der 
Beweis der Bildung von Fett aus Kohlehydraten geliefert wird, nicht 
dargethan, dass ich mich geirrt habe, wie es jetzt nicht selten fälsch- 
lich von solchen dargestellt wird, die meine Lehren nicht kennen. 

Von den früher angestellten Versuchen schienen nur einige von 
Lawes und Gilbert an Schweinen angestellte die Notwendigkeit 
der Kohlehydrate zur Fettbildung zu ergeben. Diese Forscher stellten 
bei einem Schweine den Gehalt an Wasser, Eiweiß, Fett und Asche 
fest und dann ebenso in einem andern, dem ersten möglich gleichen, 














Voit, Lehmann und Rubner, Ueber die Fettbildung im Tierkörper. 945 


nachdem es durch 10 Wochen mit einer bekannten Nahrung gefüttert 
worden war. Ich habe diese Versuche nicht für genau genug gehalten, 
um einen so wichtigen Satz festzustellen; auch Soxhlet hält dieselben 
nicht für entscheidend, da dabei weder der Kot noch der Harn auf- 
gesammelt worden ist und nur ein einziger brauchbarer Versuch vor- 
liegt, bei welchem zudem nur wenig Fett aus Kohlehydraten abzu- 
stammen braucht, während bei den übrigen Versuchen weder die 
Zusammensetzung der Versuchstiere noch die gleichartiger Kontrol- 
tiere ermittelt wurde. 

Bei den später von Weiske und Wildt ebenfalls an Schweinen 
ausgeführten Versuchen schien es, als ob die Kohlehydrate für die 
Fettbildung nicht in Anspruch genommen werden müssten; jedoch 
machte E. Schulze und auch E. v. Wolff darauf aufmerksam, dass 
der Stickstoff der dabei verfütterten Kartoffeln nicht aller in Eiweiß, 
wie Weiske und Wildt angenommen hatten, sondern zum großen 
Teil in Amidverbindungen enthalten ist, die kein Fett zu liefern im 
stande sind. 

Es mehrten sich nun nach und nach die Beispiele, nach welchen 
das Fett aus der Nahrung und aus dem Eiweiß nicht zureicht. 

Zunächst wurden Versuche vorgebracht, bei welchen eine Anzahl 
möglichst gleicher Tiere ausgewählt und dann angenommen wurde, 
dass alle die gleiche Fettmenge im Körper besitzen. Eines oder 
mehrere der Tiere wurde nun gleich geschlachtet, um den anfäng- 
lichen Fettgehalt zu erfahren und dann eines oder mehrere gefüttert 
und hintennach wieder die Quantität des Fettes ermittelt. Auf diese 
Weise suchte man zu finden, wie viel Fett unter dem Einflusse einer 
bestimmten Nahrnng angesetzt worden ist. Man wählte solche Tiere 
aus, welche sich zur Fettmast erfahrungsgemäß besonders eignen und 
große Quantitäten von an Kohlehydraten reichen und an Eiweiß sowie 
an Fett armen Nahrungsmitteln ertragen, wie z. B. Schweine oder 
Gänse. 

In solcher Art sind die Versuche von Soxhlet an Schweinen 
bei Fütterung mit Reis, von B. Schulze und von Chaniewski an 
Gänsen, sowie von M. Tscherwinsky an Schweinen gemacht worden. 

Gegen diese Methode ist im allgemeinen einzuwenden, dass es 
kaum möglich ist, Tiere mit annähernd gleichem Fettgehalt zu be- 
kommen. Ich habe dies bei Versuchen, welche sehon vor 15 Jahren 
an Gänsen in meinem Laboratorium ausgeführt worden sind, erfahren, 
und es hat sich das Gleiche neuerdings bei den Versuchen von Dr. 
E. Voit und Dr. C. Lehmann an Gänsen herausgestellt. Trotzdem 
die Tiere aus dem gleichen Trieb genommen waren und nahezu gleiches 
Gewicht besaßen und vor Beginn des Versuchs 4!/, Tage lang ge- 
hungert hatten, zeigte sich doch ein Unterschied im prozentigen Fett- 
gehalte der Kontrolgänse von 14—27°/, oder bei einem Gewicht der 
Gans von 4 Kilo eine Differenz in der Menge des Fettes von 500 Gramm. 


946 Voit, Lehmann und Rubner, Ueber die Fettbildung im Tierkörper. 


Es ist klar, dass bei solchen Verschiedenheiten die Methode zu keinem 
genauen Resultate führen kann. 

Soxhlet schlachtete von drei möglichst gleichen Schweinen eines 
zur Kontrole und fütterte die beiden andern mit Reis, wobei er den 
Kot aufsammelte und daraus die Menge des im Darm resorbierten 
Eiweißes und Fettes entnahm. Das Kontrolschwein erwies sich schon 
als recht fett, denn es enthielt 38,6 Kilo Fett, und von den beiden 
andern nahm das eine in 75 Tagen um 10,1 Kilo, das andere in 82 
Tagen um 22,2 Kilo Fett zu. Der Erfolg der Mast war also sehr 
verschieden, und obwohl das dritte Tier etwas länger gefüttert wurde, 
so ist doch wohl ein großer Teil des ungleichen Resultates auf einen 
verschiedenen Anfangsfettgehalt bei den Tieren zu setzen. Soxhlet 
kommt jedoch bei der Betrachtung der Versuchsergebnisse zu dem 
Schluss, dass, wenn man nicht ganz abnorme Zahlen für die Tiere 
anfangs abgelagerte Fettmenge annehmen will, ein großer Teil des 
Körperfettes aus Kohlehydraten gebildet worden sein muss. Soxhlet 
hat mir später übrigens die Mitteilung gemacht, dass durch ein Ueber- 
sehen bei der chemischen Untersuchung der Organe sich die Differenz 
nicht so hoch stelle. 

Bei den Versuchen von B. Schulze an Gänsen wurden 8 Tiere 
verwendet, zwei alsbald geschlachtet und sechs mit Roggenkleie und 
Kartoffelstärke gefüttert. Bei den 2 Kontroltieren war der Fettgehalt 
höchst ungleich, nämlich bei dem einen nur 452 Gramm, bei dem 
andern 783 Gramm; die Differenz beträgt 331 Gramm. Schulze 
nimmt als Anfangsfettgehalt das Mittel von 617 Gramm Fett an. Bei 
Anwendung eines Futters mit einem im Verhältnis zum Eiweiß reichen 
Stärkemehlgehalte fand nun in vier Fällen ein Ansatz von Fett aus 
Kohlehydrat statt, und zwar von 24, 121, 95 und 74 Gramm (5—20%, 
des gesamten neugebildeten Fettes betragend), welche Zahlen aber alle 
in die Fehlergrenzen der ursprünglichen Bestimmung des Fettgehaltes 
fallen. 

Bei den beiden Versuchen von Tseherwinsky an jungen 
Schweinen wurde allerdings so viel Fett bei Fütterung mit Gerste 
angesetzt, dass kaum etwas Anderes anzunehmen ist, als dass dabei 
aus Stärkemehl Fett erzeugt worden ist. Denn im ersten Versuche 
enthielt das 7,3 Kilo schwere Kontroltier nur 0,69 Kilo Fett, das ge- 
fütterte Tier 9,25 Kilo, wovon für 4,87 Kilo das Stärkemehl in An- 
spruch genommen werden muss; im zweiten Versuche fand sich im 
11,03 Kilo schweren Kontroltier 1,01 Kilo Fett vor, im gefütterten 
6,44 Kilo, von denen 4,01 Kilo aus Kohlehydraten stammen mussten. 

Chaniewski wählte in einer ersten Versuchsreihe 3 Gänse, von 
denen eine gleich getötet, die beiden andern unter Aufsammlung der 
Exkremente mit Reis während 18 und 26 Tagen gemästet wurden. 
Die Menge des Fettes im Körper betrug bei der ersten Gans 216 Gramm, 
bei den beiden gemästeten Gänsen 489 und 890 Gramm, wovon 194 


Voit, Lehmann und Rubner, Ueber die Fettbildung im Tierkörper. 247 


und 504 Gramm nicht aus dem Fett und dem Eiweiß der Nahrung 
gedeckt werden, also aus Kohlehydraten entstanden sein müssen, wenn 
man nicht annehmen will, dass der Anfangsfettgehalt der Masttiere 
um so viel größer gewesen sei; allerdings ist die Fettmenge bei der 
dritten Gans so beträchtlich höher als bei der zweiten, dass ein sehr 
ungleicher Gehalt an Fett bei denselben zu Anfang der Mast vorhanden 
gewesen sein muss. Um solche Zweifel zu beseitigen führte Cha- 
niewski noch eine zweite Versuchsreihe aus, bei welcher die Gänse 
vorher 5 Tage lang hungerten. Das Kontroltier wurde nach dieser 
Zeit als fast fettfrei (98 Gramm) gefunden, während das Masttier nach 
13 Tagen 543 Gramm Fett enthielt, also 445 Gramm Fett mehr, wovon 
385 Gramm auf die Kohlehydrate treffen. Ich möchte hierzu bemerken, 
dass nicht immer nach 5tägigem Hunger sich so wenig Fett im Körper 
einer Gans vorfindet; denn nach meinen obigen Mitteilungen kann 
trotz eines Hungers von 4!/, Tagen die Menge des in Gänsen abge- 
lagerten Fettes von 560 bis 1080 Gramm schwanken. 

E. Meißl und F. Strohmer haben nun nicht diese vielfach 
trügerische Methode angewendet, sondern sie haben zugesehen, wie viel 
von dem aus der Nahrung resorbierten Kohlenstoff in den Exkreten, 
im Harn und Kot sowie in der Respiration nicht ausgeschieden wurde, 
wie viel also im Körper in der Form von Fett zurückgeblieben ist. 
Sie sagen, sie hätten versucht, auf einem andern vollkommen ein- 
wurfsfreien Wege zum Ziele zu gelangen, vergessen aber hinzuzufügen, 
dass dieser Weg zuerst und schon längst durch die Versuche von 
Pettenkofer und mir gebahnt und betreten worden ist. Meißl 
und Strohmer experimentierten an einem Schwein, welches mit Reis 
gefüttert wurde, bei welchem Harn und Kot aufgefangen und am 3. 
und 6. Versuchstage die durch Haut und Lunge ausgeatmete Kohlen- 
säure in einem Pettenkofer’schen Respirationsapparate bestimmt 
wurde. Von den dabei im Tag angesetzten 352 Gramm Fett mit 
269 Gramm Kohlenstoff stammen 310 Gramm Fett aus Kohlehydraten, 
so dass kein Zweifel darüber besteht, dass hier bei der reichlichen 
Fütterung mit dem fett- und eiweißarmen Reis aus Kohlehydraten Fett 
entstanden ist. 

Die gleichen Versuche wie früher von Pettenkofer und mir 
an Hunden mit Bestimmung der Atemprodukte, der ausgeschiedenen 
Kohlensäure und des aufgenommenen Sauerstoffes, wurden nun von 
Dr. Erwin Voit und Dr. C. Lehmann an fünf Gänsen ausgeführt 
und zwar bei Fütterung mit Reis. 

Es stellte sich dabei heraus, dass im Körper der hungernden 
Gans wie in dem des Hundes nur Eiweiß und Fett zersetzt und bis 
in die letzten Ausscheidungsprodukte übergeführt wird. 

Bei reichlicher Fütterung mit Reis findet ein Ansatz von Stick- 
stoff und von Kohlenstoff statt. Aber am ersten Fütterungstage nach 
dem Hunger bleibt nach Abziehung des im angesetzten Eiweiß ent- 


348 Voit, Lehmann und Rubner, Ueber die Fettbildung im Tierkörper. 


haltenen Kohlenstoffes ein Rest von angesetztem Kohlenstoff, mit 
welchem, unter der Annahme dass derselbe im Fett enthalten ist, 
weniger Sauerstoff angesetzt worden ist, als sich der Bestimmung nach 
als angesetzt ergibt, d.h. es besteht die jenen Kohlenstoff enthaltende 
Verbindung zum großen Teil nicht aus Fett, sondern aus einem sauer- 
stoffreichern Stoff, der wohl nur Glykogen sein kann, welches bei 
Beginn der reichlichen Fütterung nach 4!/,tägigem Hunger in dem 
Körper aufgespeichert wird. An den folgenden Tagen hört die Gly- 
kogenbildung auf. Nach den dabei erhaltenen Werten scheint es, als 
ob das Eiweiß der Nahrung zu der Glykogenbildung nicht ganz aus- 
reicht und als ob die Kohlehydrate auch dafür zu Hilfe gezogen wer- 
den müssen, worüber eben noch weitere entscheidende Versuche an- 
gestellt werden. Man ersieht daraus, wie der Respirationsapparat 
auch über die intermediären stofflichen Vorgänge der Zersetzung im 
Körper Aufschluss zu verschaffen vermag. 


Bei einer Gans sind in 13 Tagen 376 Gramm Kohlenstoff des 
Futters in den Exkreten nicht wieder zum Vorschein gekommen, also 
im Körper zum Ansatz gelangt. Nach Berücksichtigung der Glykogen- 
ablagerung und der Fettmenge, welche aus dem Darm resorbiert 
worden ist und der, welche im Maximum aus Eiweiß hervorgegangen 
sein kann, bleiben noch 346 Gramm Fett übrig. Diese können nur 
aus den Kohlehydraten der Nahrung erzeugt worden sein; es sind 
dies 27 Gramm Fett im Tag. 


Bei einer andern kleinern Gans, die weniger Reis fraß, gelangten 
in 4 Tagen 89 Gramm Fett aus Kohlehydraten zum Ansatz, also im 
Tag 22 Gramm; bei einer dritten Gans in 5 Tagen 82 Gramm, im 
Tag 16 Gramm. 


Nach den Versuchen gingen im Durchschnitte aus der Gesamt- 
menge des aus dem Darm resorbierten Stärkemehles 17°/, Fett hervor. 
Da aber ein Teil der Kohlehydrate zur Deckung der stofflichen Be- 
dürfnisse des Körpers dient und zersetzt wird, so darf man zur Fett- 
bildung nur den über den Bedarf hinausgehenden Anteil derselben 
heranziehen. Dieser aus der Wärmebildung beim Hunger berechnet, 
ergibt einen Wert, dass daraus 30°/, Fett entstanden sind. Nach der 
Bereehnung von Henneberg können im Maximum aus 100 Gramm 
Stärkemehl, bei dem Zerfall in sich selbst, unter Abspaltung von 
48°/, Kohlensäure und 11°), Wasser 41°/, Fett hervorgehen. 


Man könnte nun die Frage aufwerfen, ob die Pflanzenfresser sich 
von den Fleischfressern in den Zerfall- und Aufbauprozessen in ihrem 
Körper darin unterscheiden, dass erstere aus Kohlehydraten Fett zu 
erzeugen vermögen, die letztern aber nicht. Es wäre damit ein Unter- 
schied gegeben, der über die durch die Verschiedenheiten der Nahrung 
gesetzten hinausginge.. Man könnte in der That jetzt geneigt sein, 
einen solchen Unterschied zu machen, nachdem früher Pettenkofer 








Strasburger, Veredlung von Datura auf Kartoffel. 249 


und ich bei einem großen Hunde nicht im stande waren eine Bildung 
von Fett aus Kohlehydraten zu beobachten. 

Dr. M. Rubner ist es nun aber schon vor längerer Zeit gelungen, 
einem kleinen Hunde von 6 Kilo Gewicht mehr Kohlehydrate beizu- 
bringen, indem er nur einen Teil derselben als Stärkemehl reichte, 
den andern Teil in dem leicht resorbierbaren Zucker, und danach 
ebenfalls eine Aufspeicherung von Kohlenstoff im Körper zu beobach- 
ten, die nur unter der Annahme einer Fettbildung aus Kohlehydraten 
zu erklären ist. 

Somit wird, wenn man einen großen Ueberschuss von Stärkemehl 
neben wenig Fett und Eiweiß bietet, aus ersterem sowohl beim Pflanzen- 
fresser als auch beim Fleischfresser Fett erzeugt. Es muss eine große 
Quantität davon vorhanden sein, ein Ueberschuss über den stoftlichen 
Bedarf hinaus; ist dieser Bedarf daher groß, z. B. bei starker Muskel- 
arbeit oder grimmiger Kälte, dann wird kein Fett aus Kohlehydrat 
mehr angesetzt. Wird weniger Kohlehydrat, aber mehr Fett oder 
mehr Eiweiß, aus dem sich dann mehr Fett abspaltet, aus der Nah- 
rung resorbiert, dann decken die beiden letztern den Fettansatz und 
das Kohlehydrat wird zerstört, indem es das schwerer oxydierbare 
Fett vor der Zersetzung schützt. Dies ist in der Mehrzahl der Fälle 
gegeben, weshalb ich früher weder beim Fleischfresser noch beim 
Pflanzenfresser aus Kohlehydraten Fett hervorgehen sah; das resor- 
bierte Fett und das aus dem Eiweiß entstandene Fett bildet für ge- 
wöhnlich die Hauptquelle des im Tierleib abgelagerten Fettes. Da 
sich nach Rubner’s Untersuchungen 100 Teile Fett und 221 Teile 
Stärkemehl in Beziehung der Ersparung des Fettes im Körper ver- 
treten, so tritt bei Aufnahme von Fett viel eher der Ueberschuss ein 
als bei Aufnahme von Kohlehydraten. 

Ob diese Fettbildung aus Kohlehydraten in allen Organen statt- 
findet, oder in einem besondern Organ z. B. in der Leber, das muss 
einer weitern Untersuchung vorbehalten bleiben. 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 
58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg). 
I. Sektion für Botanik, 1. Sitzung. 


Herr E. Strasburger (Bonn) zeigte eine auf Kartoffelunterlage 
veredelte, sehr kräftige Pflanze von Datura Stramonium vor. Die 


4) Nur dem Umstande, dass wir die Abteilung „Aus den Verhandlungen 
gelehrter Gesellschaften“ erst jetzt in unserem Blatte eingeführt haben, bitten 
wir es zuzuschreiben, dass wir auf die Verhandlungen der letzten Versamm- 
lung deutscher Naturforscher und Aerzte nicht eher Rücksicht nahmen. 

Red. d. Biolog. Centralbl. 


250 Zacharias, Eier und Samenfäden, — Woronin, Peziza baccarum. 


Unterlage hatte zahlreiche kräftige Knollen (Kartoffeln) gebildet, deren 
Ernährung somit ausschließlich von der Datura besorgt worden war. 
Ein Einfluss der Datura auf Gestalt und innern Bau der Kartoffel- 
knollen war trotzdem nicht nachzuweisen. Dieselben enthielten aber 
Spuren von Atropin. Weiter berichtete Vortragender über die gegen- 
seitige Veredlung verschiedener Gattungen von Solaneen auf einander, 
aus welcher hervorgeht, dass Möglichkeit der Verwachsung und ge- 
schlechtliche Affinität sich nicht decken. Auch über die Veredlung 
einer Skrophularinee auf einer Solanee wurde berichtet. 


Vortrag von Herrn Zacharias über Eier und Samenfäden. 
Aus der vergleichenden mikrochemischen Untersuchung von Eiern und 
Samenfäden bei Charen, Moosen, Farnen, Fröschen (junge Eierstocks- 
eier und Spermatozoen aus den Hoden), sowie der Pollenschlauch- 
inhalte und Eier bei Phanerogamen ergab sich, dass in den unter- 
suchten Fällen die Kerne der männlichen Sexualzellen sich durch 
kleine oder fehlende Nukleolen und reichen Nukleingehalt auszeichnen, 
während die weiblichen Sexualzellen sehr arm an Nuklein, hingegen 
reich an Eiweiß sind, und einen Nucleolus oder deren mehrere von 
oft auffallender Größe enthalten. Letztere unterscheiden sich in ihrem 
chemischen Verhalten nicht von den Nukleolen anderer Kerne. Im 
Zellplasma wurde Nuklein nicht nachgewiesen. Da nun das Verhältnis 
der gesamten Kernmasse zur Masse des Zellplasma in den Sexual- 
zellen ein derartiges ist, dass die männlichen Zellen im Verhältnis 
zu ihrer Zellplasma-Masse eher mehr als weniger Kernmasse ent- 
halten als die weiblichen, so wird das befruchtete Ei im Verhältnis 
zu seinen sonstigen Bestandteilen mehr Nuklein enthalten als das un- 
befruchtete, es sei denn, dass im unbefruchteten Ei größere Mengen 
von Nuklein in äußerst feiner Verteilung enthalten wären, welche sich 
dem Nachweis auf mikrochemischem Wege entzogen hätten. 

Diskussion: 

Herr Strasburger bemerkt hierzu, dass es interessant wäre, 
parthenogenetische Fälle im Tierreiche zu untersuchen und zu kon- 
statieren, dass diese nukleinreichere Eikerne besitzen. Ist nämlich 
der geringe Gehalt an Nuklein die Ursache, dass unbefruchtete Eier 
sich nicht teilen können, so müssen eben Eikerne, die zu partheno- 
genetischer Entwicklung befähigt sind, durch ihren relativen Nuklein- 
reichtum ausgezeichnet sein. 


2. Sitzung. Vortrag des Herrn Woronim über Peziza baccarum. 
Döll hat 1859 (Flora des Großherzogtums Baden Bd. II) eine weiß- 
beerige Varietät der Heidelbeere, Vacceinium Myrtillus var. leucocarpum, 
beschrieben, welche 1878 von Schröter fast an denselben Lokali- 
täten wiedergefunden wurde. Schröter fand, dass es sich nieht um 
eine besondere Varietät der Heidelbeere handelte, sondern dass die 











Reess, Weitere Untersuchungen an Elaphomyces granulatus. 251 


weißen Beeren unter der Mitwirkung eines Pilzes entstanden waren, 
welchem er den Namen Peziza (Sclerotinia) baccarum beilegte. Er 
veröffentlichte seine Untersuchung darüber in der Hedwigia 1879. 
Die ersten Herbarexemplare des Pilzes sind 1885 in Krieger’s Fungi 
Saxonici (Heft I 1885) erschienen. 

Vortragender fand dieselbe Sklerotienkrankheit 1884 in Finnland 
nicht nur auf V. Myrtillus, sondern auch auf den drei außer der ge- 
nannten dort einheimischen Vaceiniumspecies (V. Vitis Idaea, V. Oxy- 
coccus, V. uliginosum). Er studierte sie am ausführlichsten bei V. 
Vitis Idaea. 


Herr Reess (aus Erlangen) berichtet, unter Vorlage von Abbil- 
dungen und Präparaten, und mit Hinweisung auf seine vor fünf Jahren, 
sowie im letzten Heft der Berichte der Deutschen Botanischen Gesell- 
schaft geschehenen Veröffentlichungen über die Fortsetzung seiner 
Untersuchungen an Elaphomyces granulatus. 

Der Vortragende beschrieb noch einmal die Verschiedenheit pilz- 
freier und von Elaphomyces befallener Kiefernwürzelehen, nach An- 
sehen, Verzweigung und Anatomie. Er besprach alsdann Bau und 
Wachstum der von Elaphomyces erzeugten Pilzscheiden auf den Kiefern- 
wurzelspitzen, das Eindringen der Pilzelemente in die Wurzelrinde, 
die Abstoßung mehr als einjähriger Pilzscheiden durch die Binnen- 
korkbildung der sekundär veränderten Wurzel, endlich die Entstehung 
neuer Pilzscheiden durch Verzweigung verpilzter, seltener durch My- 
celiumsangriff auf vorher pilzfrei gewesene Wurzeln. 

Hierauf wurde die Entwicklung der Früchte von Elaphomyces, 
besonders in ihrer Beziehung zu den pilzbescheideten Wurzeln erörtert. 
Die Frucht wird zunächst unabhängig von unmittelbarer Berührung 
mit den Wurzeln angelegt, bekommt aber — halbreif — nach einmal 
zufällig erfolgter Berührung mit einer solchen, durch überreiche, ge- 
drängte Auszweigung derselben, die Anlage der bekannten Wurzel- 
hülle. Diese Wurzelhülle fehlt reifen, gesunden Früchten nie. Ihre 
Bedeutung für die Ernährung der Elaphomyces-Frucht ergibt sich daraus, 
dass diese, umsponnen von der Wurzelhülle, noch sehr beträchtlich 
wächst, so dass die erst stielrunden Würzelehen der Hülle in tangen- 
tialer Richtung breit gedrückt werden. 

Während der Ausbildung der Wurzelhülle um die Elaphomyces- 
Frucht setzt sich die der erstern ohnedies aufs innigste angeschmiegte 
Fruchtrinde mittels zahlreicher Hyphen in ausgiebige anatomische 
Verbindung mit den Pilzscheiden der Wurzelhülle. 

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Gewebe der Elaphomyces- 
Frucht einerseits, die der Pilzscheiden auf den Kiefernwurzeln, die- 
selben mögen in einer Fruchthülle liegen oder nicht, anderseits einem 
und demselben Pilze angehört. Mit demselben stimmt das Elapho- 


352 Reess, Weitere Untersuchungen an Elaphomyces granulatus. 


myces-Mycelium auch dann anatomisch überein, wenn es frei im wurzel- 
durehwucherten Humus lebt. 

Der Vortragende hat im Lauf der letzten Jahre zur weitern Auf- 
klärung der Lebensvorgänge des Elaphomyces zahlreiche Versuche 
und Kulturen, mit sehr ungleichem Erfolg, unternommen. 

Sporenkeimungsversuche sind noch immer vergeblich gewesen. 
Im Anschluss an seine frühere Mitteilung weist der Vortragende darauf 
hin, dass eine Verbreitung der Sporen eigentlich nur durch Tiere statt- 
finden kann, und eine solehe dureh die Exkremente des Wildes sehr 
wahrscheinlich ist. Im Boden sich selbst überlassen, verwittern die 
Früchte allmählich, ohne dass die Sporen eine Weiterentwicklung 
erfahren. Versuche, das Elaphomyces-Mycelium auf Kiefernwurzeln 
zu übertragen, sind bisher missglückt. Ebenso Kulturversuche in 
Lösungen und künstlichen Nährböden. 

Beraubt man reifende Früchte unter sonst günstigen Umständen 
ihrer Wurzelhülle, so gehen sie zugrunde. 

Anderseits hat der Vortragende umsonst versucht, pilzfreie Kiefern- 
wurzeln zum Umspinnen loser reifer Elaphomyces-Früchte oder ähnlich 
gestalteter Korkstücke zu bewegen. 

Zieht man aus dem bisher über Elaphomyces Gesagten die Summe, 
so ist — zunächst um Erlangen — sein Vorkommen an den Kiefern- 
wurzelbezirk gebunden. Obgleich es möglich ist, dass einzelne My- 
celiumstücke unmittelbar aus an Kieferngewebsresten reichem Humus 
sich ernähren, so liegt doch die hauptsächliche Entfaltung desselben 
in den Pilzscheiden der Kiefernwurzeln. Deren Bedeutung aber für 
die Ernährung des Elaphomyces als eines Schmarotzerpilzes wird 
insbesondere dureh die Wurzelhüllen der Früchte klar bewiesen. 

Somit liegt die Abhängigkeit des Elaphomyces von der Kiefer 
klar zutage. Die Möglichkeit einer symbiontischen Förderung der 
Kiefernwurzeln durch die Elaphomyces-Scheiden soll dabei durchaus 
zugegeben werden. 

In welchem Umfang sodann Elaphomyces auch auf andern als 
Kiefernwurzeln Myeorhizen erzeuge, kann der Vortragende zur Zeit 
nicht übersehen. Er verweist dabei nochmals auf die schon erwähnten 
Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft. 

Ihm selbst sind übrigens früher und neuerdings auf Versuchs- 
kiefern des Erlanger botanischen Gartens Mycorhizen begegnet, deren 
losere Hyphenabschnitte durch das Ansehen ihrer Verzweigung sowohl 
als durch zahlreiche Schnallen und Krystallabsonderungen in der 
Membran von Elaphomyces sich so spezifisch verschieden verhalten, 
als bei dergleichen Gebilden nur möglich ist. Es muss weitern 
Beobachtungen und Kulturversuchen überlassen bleiben, in diese und 
ähnliche, bei den verschiedenen Wurzelpilzformen auftauchende Fragen 
Licht zu bringen. 


Fisch, Verhalten der Zellkerne in fusionierenden Pilzzellen. 2553 


Vortrag von Herrn C. Fisch über das Verhalten der Zell- 
kernein fusionierenden Pilzzellen. Die neuern Untersuchungen 
über die Kopulation zwischen den Zellkernen der männlichen und weib- 
lichen Geschlechtszellen der Tiere und der höhern Pflanzen ließen es 
sehr wünschenswert erscheinen, auch für niedere pflanzliche Organismen 
die betreffenden Vorgänge zu studieren. Ich habe eine Anzahl von 
Pilzen verschiedener Formenkreise als Untersuchungsobjekt gewählt. 
Es lag grade hier der Gedanke nahe, die Kopulation der Zellkerne 
als Kriterium für die geschlechtliche Qualität der sich vereinigenden 
Zellen zu benutzen, da doch wohl das Eine heutzutage unbestritten 
behauptet werden kann, dass bei einem Sexualakt stets Kopulation 
der Zellkerne der männlichen und weiblichen Zellen stattfindet. Ich 
lasse selbstverständlich dabei die Frage ganz unberührt, ob in dieser 
Vereinigung der Zellkerne allein das Wesen der Befruchtung ge- 
geben ist. 

Untersucht habe ich Formen der Gattung Pythium (Cystopus scheint 
sich, nach allerdings unvollständigen Beobachtungen ebenso wie dieses 
zu verhalten), die Sporidienkopulation bei verschiedenen Ustilagineen 
und die Schnallenzellenbildung bei den Hymenomyceten, speziell bei 
Merulius lacrimans. 

Was zunächst Pythium betrifft, so ist über das Vorhandensein 
und die Lagerung der Zellkerne von Schmitz zuerst berichtet wor- 
den. Sie finden sich in ziemlicher Zahl im Mycelium vor, sind wie 
fast alle Zellkerne bei Pilzen mit einem sehr großen Nukleolus ver- 
sehen, der in manchen Fällen die sogenannte Kernwandung fast zu 
berühren scheint. Als Färbemittel habe ich verschiedene Hämatoxylin- 
präparate benutzt. Im jungen Oogonium, vor der Oosphbärenbildung, 
sind ziemlich regelmäßig 10—20 Zellkerne anzutreffen. Bei der Bildung 
der Oosphäre rücken sie zusammen, bis sie dicht an einander liegen 
und verschmelzen dann zu einem einzigen, ziemlich großen Eikern. 
In der Antheridialzelle habe ich immer nur einen Zellkern gefunden, 
bezweifle aber nicht, dass auch mehrere vorkommen können, die aber 
dann sicher vor der Befruchtung zu einem einzigen verschmelzen. 
Der Zellkern der Antheridialzelle wandert mit dem Gonoplasma in 
die Oosphäre über und verschwindet hier mit dem Eikern. Es ist 
das ein in gut gefärbten Präparaten leicht zu beobachtender Vorgang. 

Von Ustilagineen habe ich Formen der Gattungen Tilletia, Uro- 
eystis, Ustilago (und Protomyces) untersucht. Ueberall sind Zellkerne, 
wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten nachzuweisen. In den Sporen 
sind sie in Einzahl vorhanden, dagegen sind die Mycelzellen meist 
mehrkernig, ebenso die Zellen des sogenannten Promycels und meist 
auch die Sporidien. Bei der Kopulation der Sporidien bezw. der 
Promycelzellen untereinander ließ sich eine Kopulation der Zellkerne 
nie beobachten. In den nach der Kopulation gebildeten Mycelanfang 
wandern mit dem Plasma die Zellkerne sehr häufig in Vierzahl ein 





254 Brunchorst, Knöllchen an den Wurzeln von Alnus und den Elaegnaceen. 


und werden bald durch eine Querwandbildung von einander getrennt, 
so dass auch dann eine Vereinigung ausgeschlossen bleibt. Auf De- 
tails bei den verschiedenen Arten einzugehen ist hier nicht der Ort. 

Ebenso will ich hier nur kurz für die Hymenomyceten bemerken, 
dass auch bei ihnen in den Schnallenzellen nie eine Zellkernfusion 
stattfindet. 

Die Folgerungen, die ich mir aus meinen Beobachtungen zu ziehen 
erlaube, sind diese: Die Vorgänge bei Pythium (und Verwandten) 
reihen sich völlig in die von höhern Pflanzen bekannten Sexual- 
erscheinungen ein. Durchaus verschieden davon ist die Kopulation 
der Ustilagineen und die Schnallenbildung der Hymenomyceten. Wir 
haben es hier höchst wahrscheinlich mit nicht geschlechtlichen Pro- 
zessen zu thun. 


3. Sitzung. Herr B. Brunchorst sprach über die Knöllchen 
an den Wurzeln von Anus und den Elaegnaceen. Woronin, 
Frank und Möller haben sich mit den an den Alnus-Wurzeln vor- 
kommenden korallenartigen Anschwellungen beschäftigt. Sie fassen 
alle dieselben als krankhafte Bildungen auf, welche von einem Pilze 
verursacht werden; aber über die Natur des Pilzes sind die Ansichten 
der verschiedenen Forscher äußerst auseinandergehend. Woronin 
und Frank sehen beide in den Zellen der Knöllchen einen Hyphen- 
pilz, welcher in der Weise Sporen bildet, dass die Enden des viel- 
verzweigten Pilzfadens stark anschwellen und zu kugelförmigen Blasen 
werden. 

Möller dagegen, der die Sache zuletzt untersucht hat, sieht in 
den Zellen keine Hyphen, sondern einen Plasmodium- Pilz, dessen 
vegetatives Stadium einfach aus einer homogenen (d. h. nicht irgend- 
wie differenzierten) Plasmamasse besteht, und der seine Sporen so 
bildet wie es Plasmodiophora Brassicae thut, nämlich durch in der 
Plasmamasse eintretende Differenzierung, Ausscheidung dichterer zu 
Sporen werdender Partien von einer anders beschaffenen Zwischen- 
substanz. Durch eine Arbeit über Leguminosen-Knollen wurde ich 
veranlasst auch die Alnus-Knollen mit zu untersuchen, und ich kam 
dabei zu dem Resultate, dass die Möller’sche Auffassung des Pilzes 
nicht mit den thatsächlichen Verhältnissen übereinstimmt. 

Schon die Form der fertigen Sporen, wie man sie an frischem 
Materiale sehen kann, lehrt dies, indem dieselben ausnahmslos mit 
einem Hyphenfortsatz versehen sind, weleher in keiner andern Weise 
entstanden sein kann, als dadurch, dass ein Teil der sporenerzeugen- 
den Hyphe an der fertigen Spore haften bleibt. Und auch die Ver- 
teilung der Sporen lehrt dasselbe. Sie sind nämlich nicht wie bei 
Plasmodiophora durch die ganze Masse verteilt, sondern sitzen bloß 
der Oberfläche eines nieht aus Sporen bestehenden Klumpens auf. 


Stahl, Einfluss des Lichteinfalls auf die Teilung der Equisetum-Sporen. 255 


Und endlich sieht man an geeignetem Material direkt, wie die 
Sporen nicht mit einmal in der endlichen Größe herausdifferenziert 
werden, sondern aus sehr kleinen Bläschen, wenn auch sehr rasch, 
zu ihrer endlichen Größe anwachsen. In ganz jungen Anschwellungen 
gelingt es auch, wenn die Schnitte in geeigneter Weise behandelt 
sind, zu sehen, wie die von Möller als Plasmodien aufgefassten Ge- 
bilde in der That aus einem dichten Knäuel sehr feiner Pilzfäden 
bestehen. Der betreffende Pilz kann deshalb keine Plasmodiophora 
sein. Wo er eigentlich hingehört, kann nicht entschieden werden, da 
man bis jetzt die Keimung und weitere Entwicklung der sogenannten 
Sporen gar nicht beobachtet hat, ja, es scheint sogar zweifelhaft, ob 
die als Sporen gedeuteten Bläschen auch wirklich Sporen sind. Sie 
keimen nämlich anscheinend nicht, sondern gehen in den Zellen, in 
denen sie entstanden sind, nach nicht langer Zeit wieder zugrunde 
und werden mitsamt dem Hyphenknäuel vollständig desorganisiert. 
Der Gedanke liegt nahe, dass vielleicht in den Alnus-Knollen zwei 
verschiedene Pilze, ein Hyphenpilz und ein von Möller beobachteter 
Plasmodium-Pilz vorhanden sein könnten. Dies kann jedoch nicht 
der Fall sein, da der Vortragende sich an dem von Möller selbst 
benutzten Materiale davon überzeugen konnte, dass wirklich bloß 
einer und derselbe Pilz vorlag. Der Grund, warum Möller die Sache 
so falsch aufgefasst hat, ist der, dass er, wie er selbst angibt, aus- 
schließlich Alkoholmaterial untersucht hat, und Alkohol verändert in 
sehr hohem Grade sämtliche hier in betracht kommenden feinen Struk- 
turverhältnisse, wie direkte Versuche gezeigt haben. Auch sind in 
der That die betreffenden Hyphen äußerst fein und zart und in dem 
Plasma der Wirtszelle sehr schwer zu unterscheiden. 

Bei den Elaegnaceen sind schon seit langer Zeit Knollen- 
bildungen bekannt, welche äußerlich ganz mit denen von Alnus überein- 
stimmen. Warming hat angenommen, dass in denselben sich ein 
Plasmodiophora-ähnlicher Pilz finden sollte. In der That ist ein Pilz 
vorhanden, der aber in allen untersuchten Fällen ganz und gar mit 
dem von Alnus übereinstimmt und folglich gar nichts mit der Plas- 
modiophora zu thun hat. 


Herr Stahl sprach über den Einfluss des Lichteinfalls 
auf die Teilung der Eguisetum-Sporen. Die Richtung, in wel- 
cher die Kernteilung erfolgt, ist durch den Strahlengang bedingt und 
zwar in der Weise, dass die beiden durch Teilung des Sporenkerns 
entstandenen Tochterkerne in die Richtung des Strahlengangs zu liegen 
kommen. Der von der Lichtquelle entferntere ist der Kern der Wurzel- 
zelle, der andere der Kern der Prothalliumzelle. Die Wurzelzelle 
kommt also auf der vom Lichte abgewendeten Seite der Spore zu 
liegen. 

Herr Pfitzer richtet an den Vortragenden die Frage, ob die 


956 Ihering, Zur Kenntnis der brasilianischen Mäuse und Mäuseplagen. 


Kernteilung der Sonderung des Plasmas in einen grün erscheinenden 
und einen farblosen Teil vorausgehe oder folge. 

Herr Stahl antwortet darauf, dass dieser Punkt noch genauerer 
Untersuchung bedürfe, dass ihm aber die Kernteilung der Plasma- 
sonderung voran zu gehen scheine. 


H. von Ihering, Zur Kenntnis der brasilianischen Mäuse 
und Mäuseplagen. 
Kosmos 1885, 2. Band, 6. Heft. 


Aus einer längern Mitteilung von H. von Ihering über südamerikanische 
Mäusearten, ihre Unterschiede von den europäischen und ihre Lebensweise, sei 
hier eine Thatsache erwähnt, welche bisher nicht allgemein bekannt gewesen 
sein dürfte. Die Beobachtung derselben beschränkt sich vorläufig — so weit 
sie nämlich literarisch zuverlässig festgelegt wurde — auf ein räumlich eng 
begrenztes Gebiet, auf einige deutsche Niederlassungen in den Provinzen Rio 
Grande do Sul und Sta. Catharina. Aber man wird anzunehmen berechtigt 
sein, dass das Gleiche auch auf andere Gegenden von Südamerika zutrifft. 

Die überwiegende Mehrzahl der südamerikanischen Mäuseformen gehört 
der artenreichen Gattung Hesperomys an. Die Vertreter derselben, ihrer Lebens- 
weise nach Nachttiere und selten sichtbar, meiden für gewöhnlich menschliche 
Wohnungen. Jedoch treten Zeiten ein, in denen sie letztere nicht nur zahl- 
reich besuchen, sondern, in unglaublicher Zahl anrückend, sie überschwemmen 
und durch Vernichtung von Warenvorräten und häuslichen Gegenständen aller 
Art zu einer ebenso schädlichen als ekelhaften Plage werden. Hunderte von 
Ratten werden während einer solchen Zeit täglich — besser gesagt nächtlich — 
in einem Hause erschlagen, und nur die standhaftesten Behältnisse vermögen 
die Vorräte vor dem Nagezahn der Eindringlinge zu schützen. 

Das Merkwürdige an der Sache ist, dass diese Mäuseplagen der Zeit nach 
Hand in Hand gehen mit der Blüte eines „in Menge im Walde wachsenden 
Bambusgrases (Taquara oder Cresciuma). Diese viele Meter hohen riesigen 
Gräser blühen nur nach langen Zwischenräumen, welche für die einzelnen Arten 
verschieden zu sein scheinen. — — — Als 1876 das Rohr zu blühen begann, 
sagten sofort ältere Brasilianer die bevorstehende Mäuseplage voraus“ — und 
in der That sind dann in jenem Jahre, wo es irgend Taquaraes gibt, die Ratten 
zu einer Landplage geworden und haben sich derartig vermehrt, dass sie alle 
Pflanzungen verheerten. „Es ist dieses‘ — so schrieb der bekannte deutsche 
Kolonist C. v. Koseritz damals in seiner „Deutschen Zeitung“ — „eine alte 
Erfahrung in der Provinz: sobald die Taquara blüht und Samen treibt, ver- 
mehren sich die Waldratten in unglaublicher Weise. Doch zum Glück blüht 
die Taquara nur etwa alle 30 Jahre. In hiesiger Provinz (Rio Grande do Sul) 
blühte sie zuletzt im Jahre 1843, und auch diese Blüte hatte die gewöhnliche 
Rattenplage zur Folge“. Das Gleiche traf für das Jahr 1876 für die benach- 
barte Provinz Sta. Catharina zu, und an der Hand von Nachrichten, welche 
er von dort erhielt, hat K. Möbius seine Ansicht über diesen Fall nieder- 
gelegt in den Deutschen geogr. Blättern, Bd. V, Heft 3, 1832 (Bremen). 

Diese Mäuseplagen rühren demnach von nichts Anderem her, als von der 
in den Blütejahren des Rohres überreich vorhandenen Nahrung und der aus 
dieser entspringenden ganz ungewöhnlich starken Vermehrung der Waldratten. 











Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn i in Erlangen, 


Biologisches Gentralblatt 


unter Mitwirkung von 
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 
herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 








24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 














VL Band. 1. Juli 1886. Nr. 
Inhalt: Sehütt, Einiges über Bau und Leben der Diatomeen. — Ritzema Bos, 
Einige Bemerkungen über Pleuronectiden. — Roux, Beiträge zur Entwicklungs- 
mechanik des Embryo. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesell- 
schaften; 58. Vers. deutscher Naturforscher und Aerzte. — Mislawsky, 
Zur Lehre vom Atmungszentrum. -—- Sir John Lubbock, Lebensdauer der 


Ameisen. 





Einiges über Bau und Leben der Diatomeen. 
Von Franz Schütt. 


1) E. Pfitzer, Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Bacillaria- 
ceen (Diatomaceen) in: Hanstein’s Botanische Abhandlungen, Heft 2, Bonn 
1871. [Grundlegende Untersuchung für das in Frage kommende Gebiet, mit An- 
gabe der ältern Literatur bis 1871.] — 2) Otto Müller, Ueber den feinern 
Bau der Zellwand der Baeillariaceen, insbesondere des Triceratium Favus 
und der Pleurosigmen. Reichert’s und Du Bois-Reymond’s Archiv für 
Anatomie und Physiologie, 1871, S. 619. — 3) Fr. Schmitz, Die Bildung der 
Auxosporen von Cocconema (istula Ehrbg. Botan. Zeitg., 1872, S. 117. — 
4) A. Ladenburg, Ueber die Natur der in den Pflanzen vorkommenden Sili- 
eiumverbindungen. Ber. d. d. chem. Ges., V, 1872, S. 568. — 5) E. Borscow, 
Die Süßwasserbacillariaceen [Diatomaceen des südwestl. Russlands]. Kiew 1873. — 
6) Cleve, On Diatoms from the arctic sea. Bihang till k. Svensk. Vet. Akad, 
Handlingar, Bd. I, Nr. 13. — 7) Archer, Conjugated state of Stauroneis 
Phoenicenteron. Quarteriy Journal of microscopical science, 1876. — 8)Barker, 
Conjugated state of Pinnularia. Quart. Journ. of mier. seience, XV, 1875. — 
9) Reinhardt, Zur Morphologie und Systematik der Baeillariaceen. Bot. Zei- 
tung 1875 S. 633. — 10) P. Petit, Essai d’une classification des Diatom6es. 
Bull. de la Soe. Bot. de France, 1876. — Deby, Ce que c’est qu’une diatomee. 
Bull. de la Soc. Belge de Microscopie, 1876. — 12) Fr. Schmitz, Auxosporen- 
bildung der Bacillariaceen. Sitzungsber. d. Naturf.-Ges. zu Halle, 1877. — 
13) H. L. Smith, Diatoms in coloured liquids. Journ. of the Roy. mier. Soc., 
1878. — 14) W. Lange, Ueber die Natur der in den Pflanzen vorkommenden 
. Silieiumverbindungen, Ber. d. d. chem. Ges., XI, 1878, S. 822. — 15) Grunow, 
Algen und Diatomaceen aus dem Kaspischen Meere. Sitz.-Ber. d. naturf. Ges, 
Isis 1878. — 16) Engelmann, Ueber die Bewegung der Osecillarien und Dia- 
tomeen, Bot. Zeitung, 1879, S. 49. — 17) Mereschkowsky, Beobachtungen 

VI. 17 


258 Schütt, Bau und Leben der Diatomeen. 


über die Bewegung der Diatomeen und ihre Ursache. Bot. Zeitung, 1880, 
S. 529. — 18) W. Prinz und E. van Ermenghem, Recherches sur la struc- 
ture de quelques Diatom6es. Ann. de la Soc. Belge de Microscopie, VII. — 
19) Deby, Diatomees terrestres. Ann. de la Soc. Belge de Micr. — 20) P. Petit, 
De l’endochrome des Diatomees. Brebissonia II. — 2!) Pfitzer, Die Bacil- 
lariaceen (Diatomaceen).. Schenk’s Handbuch der Botanik, I, 18852. — 
22) Sehmitz, Die Chromatophoren der Algen, 1882. — 25) Grunow, Bei- 
träge zur Kenntnis der fossilen Diatomaceen Oesterreich - Ungarns, 1882. — 
24 Otto Müller, Die Zellhaut und das Gesetz der Zellteilungsfolge von 
Melosira. Pringsheim’s Jahrbücher f. wissensch. Botanik, 14. — 25) Otto 
Müller, Die Chromatophoren mariner Baecillariaceen. Ber. d. d. botanischen 
Ges., 1883, S. 478. — 26) Ermenghem, Rapport sur le m&moire de Mr. 
J. Hogg relatif aux mouvements des Diatomees. Ann. de la Soc. Belge de 
Mier., IX, 1883, p. 37. — 27) Onderdonc, Sur la motilite des Diatomees. 
Amer. month mier. Journ., Bd. IV, 1883, p. 61. — 28) Adams, Motion of 
Diatoms. Amer. monthl. mier. Journ., 1883. — 29) Synopsis des Diatomees de 
Belgique v. Van Heurck (und Grunow). Anvers 1880—1885. — 30) Engler, 
Ueber die pelagischen Diatomaceen der Ostsee. Ber. d. d. bot. Ges., 1883, 
S. 10. — 31) Cox, Structure of the Diatome-Shell. Amer. month. mier. Journ., 
1884. — 32) Strasburger, Neue Untersuchungen über den Befruchtungs- 
vorgang. Jena 1884. — 33) Grunow, Die Diatomeen von Franz - Josefsland, 
1884. — 34) Hensen, Quantitative Bestimmung des Auftriebs. Mitt. f. d. 
Ver. Schleswig-Holsteinscher Aerzte, 1885. — 35) F. Schütt, Auxosporen- 
bildung von Rhizosolenia alata. Ber, d. d. bot. Ges., 1886, 8. 8. 


Da die eigentümlichen Lebensverhältnisse, speziell die Fort- 
pflanzungserscheinungen der Diatomeen auch für einen weitern Leser- 
kreis nicht ohne Interesse sein dürften, so will ich versuchen, hier 
eine kurze Darstellung derjenigen Resultate der Diatomeenforschung, 
welche ein allgemeineres Interesse beanspruchen dürfen, zu geben. 

Die Diatomeen, Diatomaceen, oder wie ihr zwar weniger ge- 
bräuchlicher, wissenschaftlich aber berechtigterer Name lautet, die 
„Bacillariaceen“, sind mikroskopisch kleine, einzellige, braune Algen, 
welche über die ganze Erde verbreitet sind. Als echte Kosmopoliten 
sind sie bezüglich ihres Aufenthalts durchaus nicht wählerisch. 
Sie bewohnen sowohl das Meer, wie das Wasser unserer Flüsse, 
Teiche und Seen; ja selbst die salzhaltigen Soolquellen unserer Mi- 
neralbäder, die feuchten Moospolster der Bäume, die benetzten Felsen 
der Wasserfälle, die vom Quellwasser feucht gehaltene Ackererde, 
kurz jeder dauernd oder auch nur vorübergehend vom Wasser be- 
netzte Ort bietet ihnen eine Heimat; nur jauchige, von verwesenden 
oder giftigen Stoffen erfüllte Gewässer setzen ihnen unübersteigliche 
Hindernisse entgegen. 

Sie sind vor fast allen andern Pflanzen durch einen sehr hohen 
Kieselgehalt ihrer Membran ausgezeichnet. In weleher Form das 
Silicium in dieser Membran vorkommt, ist bis jetzt noch nicht sicher 
entschieden. Jedenfalls ist es kein reiner Kieselsäurepanzer, 
der den weichen Zellleib umgibt; vielmehr bildet auch hier, wie 


Schütt, Bau und Leben der Diatomeen. 259 


überall, eine celluloseartige Substanz die Grundmasse. Durch Fluss- 
säure kann man das Silieium aus der Membran ausziehen, wobei die 
Cellulosegrundsubstanz als zartes biegsames Häutchen zurückbleibt. 
Umgekehrt kann man auch die organische Substanz entfernen und 
das Silicium behalten. Dies geschieht am einfachsten durch Glühen, 
wobei die zurückbleibende Kieselsäurehaut noch alle Details der ur- 
sprünglichen Zellhaut mit wunderbarer Schärfe wiedergibt. Der Um- 
stand, dass dieses beim Glühen zurückbleibende Skelet aus Kiesel- 
säure besteht, berechtigt jedoch noch nicht zu dem Schlusse, dass 
das Silieium auch schon vor dem Glühen in Form dieser Verbindung 
vorhanden gewesen ist. Vielleicht könnte sich ja die Kieselsäure als 
stabilste Verbindung erst beim Glühen aus einer organischen Sili- 
eiumverbindung gebildet haben! Es ist zwar bei den Diatomeen 
nicht direkt chemisch nachgewiesen, dass das Silicium ihrer Membran 
nicht in Form einer organischen Verbindung vorhanden sei; aber 
die gegenteilige Vermutung, dass es einer organischen Verbindung 
angehöre, indem es etwa als Vertreter des Kohlenstoffs ein in- 
tegrierender Bestandteil des hierdurch in eigentümlicher Weise ver- 
änderten Cellulosemoleküls sei, besitzt noch weniger Wahrscheinlich- 
keit, weil man sich der Annahme doch nicht wohl verschließen kann, 
dass die Kieselsäure in der Diatomeenmembran eine ähnliche Rolle 
spiele, wie in andern silieiumreichen Membranen, z. B. in derjenigen von 
Equisetum. Für diese Pflanze liegen aber chemische Untersuchungen 
vor, welche darthun, dass hier das in der Pflanze vorkommende Si- 
lieium nicht als organische Verbindung vorhanden ist, sondern 
lediglich in der Form der Kieselsäure oder von deren Hydrat. Man darf 
hiernach wohl mit Recht annehmen, dass die Diatomeenschale aus 
einer Cellulosegrundsubstanz besteht, zwischen deren Moleküle Kiesel- 
säurehydratmoleküle sehr gleiehmäßig und in so großer Menge zwi- 
schengelagert sind, dass auch bei Zerstörung der Cellulosemoleküle 
die erstern ihren Zusammenhang behalten und dadurch die Form 
der lebenden Schale bis ins feinste Detail wiedergeben. 

Weit wichtiger als diese leeren Kieselpanzer sind für uns die 
lebenden Zellen wegen der großen Bedeutung, welche sie für die Bio- 
logie des Meeres haben. 

Nach den Untersuchungen von Hensen ist das Meer von einer 
solchen Anzahl von Diatomeen erfüllt, dass die Menge der durch sie 
erzeugten organischen Substanz annähernd gleich ist derjenigen, 
welche auf einer gleich großen Strecke Landes durch die Landflanzen 
erzeugt wird. Welche Wichtigkeit dies für den Haushalt der Natur 
hat, leuchtet von selbst ein. Diese Bedeutung der Diatomeen wird 
noch vergrößert durch den Umstand, dass sie im Verein mit den 
Peridineen wohl die einzigen Lebewesen sind, welche auf hobem 
Meere erhebliche Mengen organischer Substanz erzeugen, d. h. assi- 
milieren können. Sie bilden auf diese Weise die Basis des ganzen 

17 


960 Schütt, Bau und Leben der Diatomeen. 


67 


organischen Lebens in dem Meere, indem sie den niedern Tieren 
zur Nahrung dienen, diese wieder den größern u. 8. w.; so dass 
schließlich alles Leben in dem Meere auf das Leben der Diatomeen 
und Peridineen als Grundbedingung zurückgeführt werden kann. 

Ob die Süßwasserdiatomeen für das Leben in den Flüssen und 
Landseen eine ähnliche Rolle spielen wie die marinen Formen für 
das Meeresleben, ist noch zu ermitteln. 

Unter Berücksichtigung der starken Verkieselung der Membran 
ist man von vorn herein geneigt, den Begriff der Starrheit mit dem 
der Diatomeenschale zu verbinden. Dass diese Annahme viel wahr- 
scheinliches für sich hat, zeigt uns der eigentümliche Bau der Mem- 
bran, welche das Aussehen hat, als ob sie ganz dazu gebaut wäre, 
die Schädlichkeiten, welche durch den Widerstand eines starren Zell- 
panzers gegen Volumenzunahme, also Wachstum, bedingt wird, durch 
besondere Einrichtungen auszugleichen. Die Membran jeder Zelle 
besteht nämlich hier nicht wie bei den übrigen Pflanzen aus einem 
Stück, sondern aus zwei frei gegen einander beweglichen Stücken, 
durch deren Verschiebung gegen einander eine Vergrößerung des Zell- 
volumens stattfinden kann, ohne dass die Membran selbst im ge- 
ringsten sich zu vergrößern oder überhaupt zu verändern braucht. 

Von dem Bau der Schale kann man sich am besten einen Begriff 
machen, wenn man sie mit einer gewöhnlichen Pillenschachtel ver- 
gleicht. Wie diese, so besteht auch der Diatomeenpanzer aus vier 
Stücken: zwei flächenförmigen, entsprechend der Boden- und Deckel- 
fläche der Pillenschachtel, und zwei ringförmigen Stücken: den bei- 
den Seiten. Die beiden flächenförmigen Stücke nennt man die 
„Schalen“, die beiden ringförmigen die „Gürtelbänder“. 

Wie bei der Schachtel, so ist auch bei der „Diatomeenfrustel“, 
das heißt dem aus den vier erwähnten Stücken zusammengesetzten 
Diatomeenpanzer, je eine Schale mit einem Gürtelbande fest verbun- 
den, und beide zusammen stecken so in den beiden andern wie die 
beiden Hälften einer Pillenschachtel und sind auch in derselben Weise 
gegen einander beweglich. 

Die „Schale“ der Diatomeen trägt meist eine durch partielle 
Zellwandverdickung entstandene charakteristische Zeichnung, bestehend 
aus Strichen, Punkten, Sechsecken, Kreisen u. s. w.; die Gürtelbän- 
der dagegen sind gewöhnlich frei von dieser Zeichnung. 

Dem eben angegebenen Grundtypus, der Pillenschachtel, ent- 
sprechen manche Diatomeenformen vollständig; andere dagegen er- 
leiden mancherlei Variationen der Form. Stets bleibt aber, trotz aller 
Verschiedenheit, die Zusammensetzung aus zwei ringförmigen, über- 
einandergreifenden Stücken und zwei die offenen Enden verschließen- 
den Platten erhalten. 

Die Variationen lassen sich in zwei größere Gruppen sondern, 
von denen die eine durch Abweichungen der Gürtelbänder vom Grund- 


Schütt, Bau und Leben der Diatomeen. 261 


typus, die andere durch Veränderungen der Schalen bedingt wird. 
Erstere wird wiederum hervorgerufen entweder durch Streekung der 
Gürtelbänder in der Richtung der Längsaxe, oder durch Veränderungen 
des Querschnittes. Unter Längsaxe ist dabei diejenige Axe zu ver- 
stehen, nach welcher das Längenwachstum stattfindet. Sie verläuft 
den Gürtelbändern parallel und fällt meist annähernd mit der Ver- 
bindungslinie der Schalenmittelpunkte zusammen. Querschnitt ist 
dann ein zur Längsaxe senkrechter Schnitt. Durch Streekung in 
der Richtung der Längsaxe können Formen entstehen, die so lang 
und dünn sind, dass sie weniger einer Pillenschachtel als vielmehr 
einem Thermometerfutteral ähneln. Die Variation des Quer- 
schnitts kann Formen erzeugen, deren Durchschnittsbild nicht mehr 
kreisförmig erscheint, wie dies beim Grundtypus angenommen wurde, 
sondern mehr oder minder langgestreckt ellipfisch, dreieckig, vier- 
eckig, Cförmig und selbst Sförmig gebogen ist. 

Außer diesen Veränderungen der Gürtelbänder, welche die Scha- 
len in ihren Umrissen natürlich mitmachen müssen, können diese 
auch noch selbständige Umformungen erleiden. Der flache Deckel 
kann sich wölben, er kann halbkugelig, zuckerhutförmig werden, ja 
er kann ganz spitz auslaufen; die Oberfläche kann Wellenform an- 
nehmen, die Wellen können sich an mehrern Stellen zu Ausstülpungen 
emporbauschen, ja sie können selbst zu langen verzweigten Hörnern 
auswachsen. 

Durch Kombination dieser Variationen der Gürtelbänder und der 
Schalen kommen Formen von ganz erstaunlicher Mannigfaltigkeit zu 
stande. 

Weniger Verschiedenheit als die kieselhaltige Zellhülle der 
Diatomeen zeigt ihr weicher Zellleib. Er besteht, wie gewöhnlich 
im Pflanzenreich, aus einem Plasmaschlauch, der als Wandbeleg die 
Zellmembran in dünner Schicht auskleidet. In demselben liegt einge- 
bettet, gewöhnlich der Mitte des Gürtelbandes oder der Schale an- 
geschmiegt, der Zellkern. 

Die eigenartigsten Teile des Zellleibes der Diatomeen sind die 
Assimilationsorgane, die Chromatophoren. Sie enthalten neben Chloro- 
phyll noch einen braunen Farbstoff, dem sie ihre gelbbraune Farbe 
verdanken. Bei den verschiedenen Individuen derselben Art sind die 
Chromatophoren zwar sehr ähnlich in Form und Farbe, bei verschie- 
denen Arten dagegen verhalten sie sich sehr verschieden. Bei manchen 
Arten hat jedes Zellindividuum nur eine große Endochromplatte von 
bestimmter Form und Lagerung im Zellraum. Diese Platten, die bei 
vielen Formen einfache Tafeln sind, zerfallen bei andern Arten durch 
mehr oder minder tiefe und unregelmäßige Einschnitte in eine Anzahl 
von Lappen. Häufig geht die Zerschlitzung so weit, dass sich statt 
einer großen Platte zwei oder mehr kleinere Platten in der Zelle 
vorfinden; noch andere Arten führen eine große Anzahl kleiner mehr 


262 Schütt, Bau und Leben der Diatomeen. 


u 


oder minder rundlicher Körner, die sich von den Chlorophylikörnern 
der höhern Pflanzen nur durch die braune Farbe unterscheiden. 

Die Chromatophoren vermehren sich durch Zweiteilung. Dieser 
Prozess steht in engem Zusammenhang mit der Zweiteilung der 
ganzen Zelle, welche den gewöhnlichen, sehr charakteristischen Fort- 
pflanzungsakt der Diatomeen bildet. Als Vorbereitung für die Zell- 
teilung ist die Verlängerung der Zelle in der Richtung der Längsaxe 
durch Auseinanderschieben der Gürtelbänder aufzufassen. Bei den 
Formen mit nur einer Endochromplatte beginnt die eigentliche Zell- 
teilung mit der Durchsehnürung dieser Platte, bei den Formen mit 
mehrern Chromatophoren geht der Kernteilung häufig eine Wan- 
derung der Chromatophoren vorher. In vielen Fällen ist aber auch 
die Kernteilung selbst als erster sichtbarer Akt der beginnenden Zell- 
teilung zu erkennen. Während noch der Kern seine Teilung nicht 
ganz vollendet hat, beginnt schon das Plasma des Wandbelegs sich 
durch eine von außen nach innen vordringende, rings um das Gürtel- 
band herumlaufende Ringfurche durchzuschnüren. Mit der hierdurch 
bedingten Durchschneidung des Plasmaschlauches, die fast gleich- 
zeitig mit der Kernteilung vollendet ist, ist die Zelle in zwei Tochter- 
zellen zerteilt. Nach kurzer Zeit scheiden dann die beiden Tochter- 
zellen an ihren freien Seiten gleichzeitig zwei neue „Schalen“ aus. 
Den jungen Schalen, die sich ihre konvexen Seite zukehren, schließen 
sich bald zwei neue Gürtelbänder an. Die neugebildeten Teile ver- 
schmelzen nicht mit der alten Membran, sondern stecken nur lose 
innerhalb der Gürtelbänder der Mutterzelle. Die bis dahin noch zu- 
sammenhängenden Toehterzellen werden frei, indem sie sich unter 
Volumenzunahme in der Richtung der Längsaxe strecken und dadurch 
die beiden bis dahin noch übereinandergreifenden Gürtelbänder der 
Mutterzelle auseinanderpressen. 

Weil die bei der Teilung der Zelle entstehenden neuen Schalen 
mit den dazugehörigen Gürtelbändern innerhalb der alten Schalen 
und Gürtelbänder ausgebildet werden, so müssen sie natürlich kleiner 
sein als die alten Membranstücke, und zwar ist die innerhalb des 
weitern Gürtelbandes der Mutterzelle ausgebildete Tochterschale 
gleich der kleinern Schale der Mutterzelle, die zu dieser letztern ge- 
hörige Tochterschale aber kleiner. 

Es entstehen demnach aus jeder Zelle durch Teilung zwei Zellen: 
eine, welehe der Mutter gleicht und zur Hälfte noch mit der größern 
Schale der Mutterzelle bekleidet ist, und eine kleinere, welche die 
kleinere Schale der Mutterzelle weiterführt. Durch weitere Teilung 
dieser kleinern Zelle werden dann noch kleinere Individuen erzeugt. 

Um diese Größenabnahme wieder auszugleichen, gibt es ver- 
schiedene Möglichkeiten. Die nächstliegende Annahme ist die, dass 
die Zellen wachstumsfähig sind, und dass sich Zellteilung und Wachs- 
tum annähernd das Gleiehgewicht halten, indem die Verkleinerung 





Schütt, Bau und Leben der Diatomeen. 263 


des Individuums durch Teilung alsbald durch Wachstum der Membran 
wieder ausgeglichen wird. In diesem Falle müssen alle Zellen der- 
selben Art annähernd gleiche Größe, die Größe der ursprünglichen 
Mutterzelle, haben. 

Es kann aber auch bei bestehender Wachstumsfähigkeit der 
Membran ein starkes Missverhältnis zwischen Zellteilung und 
Wachstum stattfinden, indem das eine das andere überwiegt. Ein 
dauerndes Ueberwiegen des Wachstums über die Teilung schließt 
sich von selbst aus, weil dadurch das „Artmaximum“, die Grenze, 
die jeder Art von der Natur gesteckt ist, sehr bald erreicht werden 
müsste, worauf dann dieses Missverhältnis von selbst aufhören würde. 
Ein dauerndes Ueberwiegen der Teilung über das Wachstum ist 
ebenfalls ein Ding der Unmöglichkeit, weil dadurch die Individuen 
immer kleiner und kleiner werden, und schließlich eine Minimalgrenze 
erreichen müssten, die nicht mehr überschritten werden kann. Nicht 
nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich ist jedoch die Annahme, 
dass beide Vorgänge vereinigt sind, indem ein periodischer Wechsel 
zwischen Teilung und Wachstum stattfindet in der Weise, dass eine 
Zeit lang die Teilung und dann wieder eine Zeit lang das Wachstum 
überwiegt. Auf diese Weise würden Individuen derselben Art eine 
sehr verschiedene Größe haben können, diese Größe aber ein be- 
stimmtes Maximum und Minimum nicht überschreiten. 

Eine dritte Möglichkeit ist die, dass die Diatomeenmembran 
wegen ihres starken Kieselsäuregehalts des Wachstums überhaupt 
nicht fähig ist. In diesem Falle müssen die Individuen einer Art 
sich immerfort verkleinern. Da dies natürlich nicht bis zur Unend- 
lichkeit fortgehen kann, so müssen wir erwarten, dass, wenn die 
Verkleinerung der Art bis zu einer bestimmten Grenze fortge- 
schritten ist, durch irgend einen Regenerationsprozess, der von der 
Teilung erheblich abweicht, die normale Größe wiederhergestellt wird. 

Welche von diesen drei Annahmen ist nun die richtige? Die 
Thatsache, dass die Individuen einer Art sehr erheblich in ihrer 
Größe voneinander abweichen, zeigt, dass die erste Annahme nicht 
berechtigt ist. Der verschiedene Durchmesser, den die verschiedenen 
Zellen eines Hemantidium-Fadens, die sämtlich aus einer Mutterzelle 
entstanden sein müssen, zeigen, legt dies noch deutlicher an den Tag. 
Dieser Fall würde jedoch noch mit Annahme 2 und 3 vereinbar sein, 
denn beide gestatten eine länger dauernde Größendifferenz der ver- 
schiedenen Individuen; dass aber nur die letzte Annahme richtig ist, 
wird durch den Umstand bewiesen, dass die Zahl der „Riefen“ d. h. 
die aus Strichen bestehende Zeichnung der Membran bei großen und 
kleinen Individuen derselben Art auf die Flächeneinheit gleich groß 
ist, die Gesamtzahl der Riefen also bei großen Individuen bedeutender 
ist als bei kleinen. Dies ist aber nicht vereinbar mit einem Flächen- 
wachstum der Membran, denn wenn dieses stattfände, so müssten ent- 


264 Schütt, Bau und Leben der Diatomeen. 


weder die großen, durch Wachstum der verkleinerten Form entstan- 
denen Zellen ebenso viele Riefen auf der ganzen Zelle zeigen wie die 
kleinen Individuen, dagegen die Anzahl der Riefen auf der Flächen- 
einheit müsste geringer sein, oder es müssten zwischen die alten 
Riefen beim Wachstum neue Riefen eingeschaltet werden, was nicht 
gut möglich ist, da sie Vertiefungen auf der Außenfläche bilden. 

Da hiernach das Flächenwachstum der Membran für gewisse 
Arten ausgeschlossen ist, und da man doch wohl vermuten darf, dass 
sich alle Diatomeen in dieser Beziehung gleich verhalten, so erscheint 
die dritte Annahme als die einzig mögliche. Völlig sicher gestellt 
wird sie durch die Auffindung des durch sie geforderten eigentüm- 
lichen Regenerationsprozesses zur Vergrößerung der Art. Pfitzer, 
dem wir die Aufklärung dieses sonderbaren Entwicklungsganges ver- 
danken, nennt diesen Regenerationsprozess die Auxosporenbildung. 

Der Vorgang der Auxosporenbildung ist bei den ver- 
schiedenen Diatomeengattungen außerordentlich verchieden, das ein- 
zige, worin alle übereinstimmen, ist das Grundprinzip: die Erzeugung 
größerer Artindividuen durch einen eigentümlichen Sporenbildungs- 
prozess. Die hierdurch entstandenen größern Zellen der neuen Ge- 
neration vermehren sich dann wieder durch vegetative Teilung, ein 
Vorgang, durch den die „Art“ dann wieder verkleinert wird. 

Ein schönes Beispiel für den erwähnten Regenerationsprozess 
bietet uns Rhizosolenia alata. Diese Form eignet sich darum beson- 
ders zur Demonstration der einschlägigen Verhältnisse, weil der Vor- 
gang bei ihr in der Weise gleichförmig verläuft, dass fast alle In- 
dividuen zur bestimmten Zeit sich in gleichem Entwicklungsstadium 
befinden. Man kann also den ganzen Generationswechsel mit größter 
Sicherheit konstatieren, obschon man natürlich die einzelnen Indivi- 
duen, welche ihn durchlaufen, nicht dureh alle Generationen hindurch 
verfolgen kann. Die Periode dauert hier gerade ein Jahr. Im Herbst 
treffen wir nur sehr große Individuen an, welche sich dann im Laufe 
des Jahres durch Zweiteilung immer mehr und mehr verkleinern, bis 
sie im Herbst des nächsten Jahres nur noch etwa !/, so groß sind 
wie im Herbst des Vorjahres. Diese Grenze wird nicht überschritten; 
vielmehr, wenn dieser Punkt der Verkleinerung eingetreten ist, wird 
der Regenerationsprozess eingeschaltet, und zwar in folgender Weise: 

Die Zelle öffnet sich einseitig durch Abwerfen einer „Schale“. 
Aus dem nunmehr offenen Ende des Gürtelbandes quillt ein Teil 
des Plasmas in Form einer kleinen Kugel hervor, die von einer 
dünnen verkieselten Membran umgeben ist. Das Plasma der Kugel 
bleibt dabei in ununterbrochenem Zusammenhang mit dem im 
alten Gürtelbande steckenden zylindrischen Plasmaschlauch. Die 
Kugel wächst bald zu einem kurzen Zylinder von dem dreifachen 
Durchmesser des ursprünglichen Gürtelbandes aus. 

Diese eigentümliche Zelle, welche jetzt zum größten Teil von der 


Schütt, Bau und Leben der Diatomeen. 965 


aus der Mutterzelle stammenden „Frustel“, zum Teil jedoch von einer 
eigenartigen Membran bekleidet ist, ist das Gebilde, welches zur 
Vergrößerung der Art bestimmt ist: die Auxospore. 

Innerhalb der neugebildeten Membran, der „Kieselscheide“ oder 
des „Perizoniums“, welche für die Auxospore charakteristisch ist, 
wird nun eine neue „Schale“ ausgeschieden, welche nur wenig von 
der gewöhnlichen Schale der Rhizosolenia abweicht. Diese Schale, 
die schon in der Nähe des abgerundeten Endes der „Kieselscheide“ 
entstand, schiebt sich nun weiter nach außen, durchbricht die Kiesel- 
scheide am Ende und begrenzt nun, nachdem das überstehende Ende 
der „Scheide“ abgestoßen ist, die Zelle nach einer Seite. Die Zelle, 
die jetzt von einer „alten Schale“, einem alten „Gürtelbande“, einem 
Stück „Scheide“ und einer neuen Schale bekleidet ist, die nicht mehr 
Sporenform, aber auch noch keine regenerierte Tochterzelle ist, und die 
wir wegen ihrer Funktion „Vergrößerungszelle“ nennen wollen, voll- 
zieht nun den Akt der Erzeugung größerer Artindividuen dadurch, 
dass ihr dieker Teil (der neu gebildete) sich in die Länge streckt 
und dann in der Nähe der Grenzstelle zwischen diekem und dünnem 
Teile gleichzeitig zwei neue Schalen ausscheidet, ähnlich wie bei 
der gewöhnlichen Zweiteilung der Diatomeen. Durch diese Zellteilung 
wird eine der ursprünglichen Mutterzelle gleich gestaltete „Tochter- 
zelle“ gebildet, welche die Mutterzelle aber um das Dreifache an 
Dicke übertrifft und zugleich die Vergrößerungszelle wieder rege- 
neriert, welche dadurch befähigt ist, denselben Prozess der Erzeugung 
größerer Artindividuen zu wiederholen. 

Da fast alle Zellen von Rhizosolenia beinahe gleichzeitig diesem 
Regenerationsprozess sich unterziehen, so ist nach Verlauf weniger 
Wochen aus dem zwergenhaften Geschlechte ein Geschlecht von 
Riesen entstanden, welches dann im Verlauf eines Jahres nach und 
nach wieder bis zur Minimalgröße zusammenschrumpft. 

Ein etwas abweichendes, gewissermaßen vereinfachtes Verhalten 
zeigt der Auxosporenbildungsprozess bei Melosira, der zugleich als 
Typus für den gleichen Vorgang bei einer Anzahl anderer Diatomeen 
aufgefasst werden kann. 

Auch bei Melosira sind es die dünnen Individuen, welche sich 
zur Auxosporenbildung anschieken. Diese selbst unterscheidet sich 
aber dadurch von derjenigen von Rhizosolenia, dass bei Melosira das 
Gürtelband der Mutterzelle von der schwellenden Auxospore abge- 
sprengt wird, während letztere bei Rhizosolenia zum größten Teil 
in dem mütterlichen Gürtelbande stecken bleibt. Der folgende 
Schritt ist bei beiden der gleiche: sie scheiden beide an der 
der umhüllenden mütterlichen Schale entgegengesetzten Seite eine 
Schale aus. Während aber Rhizosolenia durch die Ausbildung 
dieser Schale zu einer eigenartigen Vergrößerungszelle wurde, welche 
durch gleichzeitiges Ausscheiden zweier Schalen sich in zwei ver- 


266 Schütt, Bau und Leben der Diatomeen. 


schiedene Zellen, eine vergrößerte Tochterzelle und eine weiterent- 
wicklungsfähige Vergrößerungszelle, teilte, so verwandelt sich bei Me- 
losira die ganze Auxospore durch Ausscheidung einer, der um- 
schließenden elterlichen Schale angeschmiegten neuen Schale in eine 
einzige vergrößerte Tochterzelle, welche direkt als Anfangsglied einer 
neuen Generation auftritt. 

Während die Auxospore von Khizosolenia zum größten Teil in 
der mütterlichen Frustel stecken blieb, zeigt diejenige von Melosira 
schon das Bestreben sich von dieser Fessel zu befreien, indem sie 
das Gürtelband absprengt und nur noch mit einem kleinen Bruch- 
teil ihres Zellleibes in der alten Schale haften bleibt. Noch einen 
Schritt weiter in dieser Richtung geht Orthosira, denn sie lässt bei 
der Auxosporenbildung aus einer Zelle, deren Membranhälften von 
einander weichen, den Inhalt, umgeben von einer Schleimhülle, frei 
austreten. Derselbe entwickelt sich dann, ohne mit der Haut der 
Mutterzelle in Berührung zu sein, zu einer Auxospore, welche sich 
ebenso wie bei Melosira weiterentwickelt, d. h. direkt in eine Erst- 
lingszelle umwandelt. 

Die drei erwähnten Fälle können aufgefasst werden als Unter- 
abteilungen eines großen Grundtypus der Auxosporenbildung, dessen 
Charakteristikum in der „geschlechtslosen Verjüngung“ der Mutter- 
zelle liegt. 

Ein schon beträchtlich anderes Verhalten zeigt Rhabdonema bei 
der Auxosporenbildung. Nach den schon ziemlich alten Berichten, 
die uns über diesen Vorgang vorliegen, soll diese Form aus einer 
Mutterzelle zwei Auxosporen bilden, und zwar in der Weise, dass 
durch Teilung des Kerns in einer Zelle vier Tochterkerne entstehen. 
Mit der letzten Kernteilung ist zugleich eine Zellteilung verbunden, 
so dass jede junge Zelle zwei Kerne hat. Die Tochterzellen scheiden 
jedoch keine neuen Schalen aus, sondern durch Anschwellen der 
Plasmaschläuche werden die beiden von der Mutterzelle stammenden 
Frustelhälften auseinandergepresst, die nackten Zellen treten aus den 
offenen Seiten von Schleim umgeben hervor. Hierauf soll nach der 
Beobachtung von Lüders zwar keine Kopulation zwischen den bei- 
den nackten Tochterzellen stattfinden, wohl aber sollen beide Tochter- 
kerne je einer Zelle miteinander verschmelzen (kopulieren), worauf 
sich dann beide Zellen mit einer Kieselscheide, der gewöhnlichen 
Auxosporenhaut, umkleiden. Die Auxospore wächst und scheidet, 
wenn sie die normale Größe erreicht hat, zwei Schalen aus. Durch 
Auseinanderweichen dieser Schalen wird die Kieselscheide gesprengt, 
und die neue Zelle ist damit fertig, als Anfangsglied der neuen Ge- 
neration aufzutreten. 

Die Mehrzahl der Diatomeen, deren Auxosporenbildung bis jetzt 
bekannt ist, bildet ihre Auxosporen nach einem andern Typus, als 
dessen Repräsentanten wir Cocconema Cistula auffassen können. 


Schütt, Bau und Leben der Diatomeen. 967 


Schmitz, der diesen Vorgang genau studierte, beschreibt ihn folgen- 
dermaßen: Cocconema Cistula „zeigt stets zwei Zellindividuen vereint 
bei der Bildung der Auxosporen, ohne dass jedoch eine wirkliche 
Kopulation der beiden Plasmamassen erfolgte. Bei diesem Modus 
der Auxosporenbildung legen sich zwei Individuen parallel neben- 
einander, mehr oder weniger einander genähert. Beide Zellen schei- 
den Gallerte aus, welche zusammenfließend das Zellpaar als gemein- 
same, meist ellipsoidische Hülle umschließt. Dann werfen beide Zellen 
innerhalb der Gallerthülle ihre alten Schalen, von denen die eine, 
Jüngere noch gar kein Gürtelband erhalten hatte, ab und liegen nun 
als nackte Zellen nebeneinander. In andern Fällen beginnt die Gal- 
lertausscheidung erst nach dem Abwerfen der alten Schalen, die als- 
dann der gemeinsamen Gallerthülle nur äußerlich anhaften oder gänz- 
lich verloren gehen. Innerhalb der Gallerthülle, die bald mehr, bald 
weniger stark entwickelt ist und bald mehr, bald weniger dünnflüssig 
erscheint, liegen die beiden nackten Zellen in einzelnen Fällen einander 
sehr genähert, in andern dagegen durch ziemlich dicke Gallertschichten 
getrennt, so dass nicht die geringste Berührung zwischen beiden 
stattfindet. Beide strecken sich alsdann in die Länge und wachsen 
parallel neben einander zu der normalen Größe der Auxosporen heran, 
während an ihrer Außenfläche früher oder später ein deutliches Peri- 
zonium sichtbar wird.“ „Innerhalb dieses Perizoniums scheidet end- 
lich die fertige Auxospore nacheinander zwei Schalen aus und wird 
damit zur Erstlingszelle einer neuen Reihe auf einander folgender 
gewöhnlicher Zellgenerationen.“ 

Der Vorgang bei Frustulia unterscheidet sich von dem bei Coc- 
conema nur dadurch, dass die beiden Auxosporen nicht durch Schiehten 
der Gallerthülle getrennt sind, sondern sich bis zur Abplattung an- 
einanderdrücken. Ein Substanzaustausch ist aber auch hier nicht zu 
erkennen. 

Einen wesentlich andern Typus der Auxosporenbildung finden 
wir bei Himantidium. Es umhüllen sich zwar auch bei dieser Form, 
ebenso wie bei Cocconema, je zwei Individuen mit einer gemeinsamen 
Gallerthülle und entlassen ihren Zellinhalt als nackte plasmatische 
Massen, aber diese verschmelzen dann miteinander und wachsen 
zu einer einzigen Auxospore aus. 

Als letzten Typus kann man die Auxosporenbildung von Epi- 
themia Zebra aufstellen. Auch hier vereinigen sich je zwei Indivi- 
duen in einer gemeinsamen Gallerthülle und werfen dann die Schalen 
ab; statt jedoch direkt miteinander zu verschmelzen, teilt sich das 
Plasma jeder Zelle erst in zwei Hälften, so dass vier nackte Tochter- 
zellen entstehen. Von diesen vier Plasmaklumpen vereinigen sich 
dann je zwei und zwei einander gegenüberliegende, verschiedenen 
Zellen angehörende, so dass durch diese Kopulation wieder zwei 
Toehterzellen entstehen, die zu zwei Auxosporen heranwachsen. Aus 


268 Schütt, Bau und Leben der Diatomeen, 


diesen entstehen dann wieder durch Ausscheidung von Schalen zwei 
neue Individuen der gewöhnlichen Art, die sich durch Teilung weiter 
vermehren. 

Lassen wir denjenigen Teil der Diatomeenkunde, der das allge- 
meinste Interesse für sich beanspruchen darf, noch einmal schnell an 
unserem Auge vorüberziehen, so sehen wir zuerst, dass bei Rhiz2oso- 
lenia, Orthosira und Melosira und denjenigen Formen, welche sich 
an sie als Typen anschließen, keine Andeutung irgend eines Be- 
fruchtungsvorganges gefunden worden ist. Früher glaubte man bei 
ihnen Kopulationserscheinungen des Kerns gesehen zu haben; da die 
neuern Beobachter diese Angabe aber nicht bestätigen, so müssen 
wir annehmen, dass der Regenerationsprozess, die Auxosporenbildung, 
hier auf rein asexuellem Wege zustande kommt. 

Ob sich der eigentümliche Kopulationsprozess bei Rhabdonema, 
wo nach den alten Angaben kurz vor der Auxosporenbildung eine 
Zellteilung, dann eine Kernteilung in jeder Tochterzelle und hierauf 
eine Kopulation der Kerne je einer Zelle stattfinden soll, bestätigen 
wird, ist abzuwarten. Wir wollen wegen der Unsicherheit der alten 
Beobachtungen zur Zeit nicht näher auf diesen Fall eingehen. 

Bei Cocconema und Frustulia dagegen müssen wir unbedingt eine 
Einwirkung zweier Individuen aufeinander zum Zweck der Erzeugung 
der durch Größe ausgezeichneten neuen Artindividuen annehmen, denn 
es wäre ein Unding zu glauben, dass kurz vor der Auxosporenbil- 
dung sich, wenige Ausnahmen abgerechnet, immer je zwei Individuen 
ohne irgend welchen Zweck und Nutzen vereinigen und nun den Ent- 
wieklungsgang gemeinschaftlich durchlaufen. Die Ausnahmefälle, in 
denen sich einzelne Individuen zu Auxosporen umbilden, ohne dass 
sie sich vorher mit einem andern Individuum zusammengelagert haben, 
lassen aber die etwaige Befruchtung hier mehr als eine fakultative 
denn als eine obligatorische erscheinen. Da sich ferner bei dem ge- 
wöhnliehen Verlauf beide Individuen weiter entwickeln, und da außer- 
dem bisher kein Substanzaustausch hat nachgewiesen werden können, 
so steht dieser Fall der heutigen Auffassung über den Befruchtungs- 
vorgang doch ziemlich fern. Man darf jedoch wohl erwarten, dass 
sich das Rätselhafte dieses Vorganges zum guten Teil auflösen wird, 
wenn man erst das Verhalten des Zellkerns unter den erwähnten 
Umständen genau kennen wird. 

Hatten wir bei Melosira eine Regeneration ohne Befruchtung vor 
uns, und zeigte Cocconema und Frustulia ein zweifelhaftes Verhalten 
in diesem Punkt, so sehen wir in dem Typus Himantidium dagegen 
einen unzweifelhaften Befruchtungsakt vor sich gehen. Eine morpho- 
logisch wahrnehmbare Differenzierung der kopulierenden Zellen in 
ein männliches und ein weibliches Individuum ist jedoch auch hier 
nicht nachgewiesen worden. 

Betrachten wir nun den Vorgang bei Epithemia, so finden wir 


Sehütt, Bau und Leben der Diatomeen. 369 


auch hier, wie zwei Individuen, welche keine morphologische Dif- 
ferenzierung zeigen, sich vereinigen zum Zweck der Auxosporenbildung. 
Sie vollziehen die Kopulation aber nicht selbst, sondern teilen sich 
erst in zwei Zellen, welche nun paarweise kopulieren. Sollte man 
hier nicht eine Analogie vermuten mit dem Befruchtungsvorgang, wie 
er neuerlich von Strasburger für die höhern Pflanzen gefunden 
wurde? Die Versuchung liegt ziemlich nahe, die vorliegende Zell- 
teilung vor der Befruchtung als ein Analogon der Kemteilung der 
Sexualzellen vor der Befruchtung der höher organisierten Wesen auf- 
zufassen. Als Differenz bliebe dann der Umstand bestehen, dass bei 
den höhern Organismen von dem geteilten Kern nur der eine Teil 
kopuliert, der andere Teil dagegen ausgestoßen wird, während hier 
beide kopulieren und sich weiterentwickeln. Wie gesagt, die Ver- 
suchung zu solchen Schlüssen liegt sehr nahe; aber sind wir des- 
wegen auch wirklich zu denselben berechtigt? Wohl kaum! Die 
Beobachtungen, welche uns die betreffenden Vorgänge schildern, 
stammen aus einer Zeit, wo die Methoden zum Kernstudium, die dem 
heutigen Forscher zugebote stehen, noch nicht entwickelt waren. 
Wir wissen darum über das Verhalten des Kerns bei diesen Prozessen 
noch so gut wie gar nichts. Schlüsse über den Befruchtungsvorgang, 
welche nicht auf eingehendes Kernstudium gestützt sind, können aber 
natürlich nur sehr zweifelhaften Wert haben. 

Soviel scheint jedoch zur Zeit schon gesichert, dass wir es bei 
den Diatomeen mit einer Familie zu thun haben, bei welchen ein 
ganz charakteristischer entwicklungsgeschichtlicher Prozess (die Auxo- 
sporenbildung) auf der einen Seite auf rein asexuellem Wege zu stande 
kommt, bei andern derselben Familie angehörenden Formen dagegen 
ein typischer Befruchtungsakt vorliegt. Man kann also mit ziemlicher 
Gewissheit voraussagen, dass ein genaues Kernstudium bei diesem 
Prozesse von großem physiologischem Interesse sein würde, weil es 
wichtige Aufschlüsse über das Wesen der Befruchtung und der 
Sexualität zu geben verspricht. 

Einen sehr interessanten Punkt im Diatomeenleben haben wir 
bisher ganz unerwähnt gelassen: es ist dies das höchst eigenartige 
Bewegungsvermögen derselben. Da aber die Ansichten über die Art 
und Weise, wie diese Bewegung, die man treffend als „Gleitbe- 
wegung“ bezeichnet, zu stande kommt, noch zu sehr auseinander- 
sehen, so wollen wir uns hier mit der einfachen Konstatierung der 
Thatsache, dass diese mikroskopisch kleinen Algenformen mit einem 
eignen Bewegungsvermögen begabt sind, begnügen. 

Zum Schluss möchte ich noch einer Erscheinung Erwähnung 
thun, über deren Deutung man sich zur Zeit zwar noch nicht völlig 
geeinigt hat, die aber dennoch unser lebhaftes Interesse in Anspruch 
zu nehmen im stande ist. Nicht grade selten hat man Diatomeen 
gefunden, die in ihren gewöhnlichen Schalen noch innere kleinere 





270 Ritzema Bos, Bemerkungen über Pleuronectiden. 


w 


Schalen ausgebildet hatten, wobei sich aller Zellinhalt in die innern 
Schalen zurückgezogen hatte. Diese Innenschalen hat man früher 
wohl als selbständige Arten aufgefasst, in andern Fällen wurden 
sie als Sporenform beschrieben. Heute belegt man diese Vorgänge 
der innern Schalenbildung meist mit dem Ausdruck „Cratieular- 
bildungen“, ein nicht sonderlich schöner Name, der, als ziemlich 
nichtssagend, mit dem Durchdringen einer naturgemäßen Erklärung 
des Vorganges bald von selbst verschwinden dürfte. 

Es ist wohl ziemlich wahrscheinlich, dass wir es hier mit einer 
„Ruhesporenbildung“ zu thun haben, indem die betreffenden Zell- 
individuen ihren Zellinhalt auf ein geringeres Volumen kondensieren, 
sich dann mit einem neuen Panzer umgeben, der sich vor dem alten 
durch größere Dicke auszeichnet, und in diesem widerstandsfähigern 
Zustande eine Ruheperiode durchmachen. Da diese eigentümlichen Bil- 
dungen sowohl bei Süßwasserdiatomeen, als auch bei Formen, die an der 
Küste leben, wie bei freiflutenden Meeresformen beobachtet worden 
sind, so darf man wohl annehmen, dass die Ruhesporenbildung ein 
ganz allgemeiner Prozess im Diatomeenleben ist. Bei dem jetzigen 
Stande der Kenntnisse ist dies jedoch noch keine sicher bewiesene 
Thatsache, sondern nur eine Vermutung, die allerdings viel Wahr- 
scheinlichkeit für sich hat. 


Einige Bemerkungen über Pleuronectiden. 
Von Dr. J. Ritzema Bos, 


Dozent der Zoologie an der landwirtschaftl. Schule in Wageningen (Niederlande). 


Die Pleuronectiden verlassen bekanntlich das Ei, wie alle an- 
dern Teleostier, als vollkommen symmetrische Geschöpfe. Lange 
aber währt dieser bilateral-symmetrische Zustand nicht. Sie schwimmen 
und ruhen bekanntlich nicht wie andere Fische: im Ruhezustande | 
legen sie sich auf die eine Seite, sich teilweise unter dem Sande des | 
Bodens verbergend; sie schwimmen schief, mit derjenigen Seite nach | 
oben gewendet, welche während der Ruhe die einzig sichtbare Seite 
ist. Yarrell behauptet zwar, dass auch zuweilen eine Scholle sich 
plötzlich drehe, sich mit der Breitseite senkrecht in das Wasser stelle 
und nun wie ein Blitz die Wellen durchschneide, sodann wieder sich 
wende und auf den Boden herabsinke. Doch geschieht eine der- 
artige Wendung nicht bei jeder beschleunigten Bewegung; im Aqua- 
rium habe ich niemals eine derartige Wendung beobachten können, 
und jedenfalls schwimmt eine Pleuroneetide gewöhnlich in der seit- 
lichen Lage. 

In Anpassung an die Lebensweise ändert sich der anfänglich 
bilateral-symmetrische Körper der Pleuroneetiden. Gewöhnlich wan- 
dert das Auge derjenigen Seite, welche beim ausgewachsenen Tiere 








Ritzema Bos, Bemerkungen über Pleuroneetiden. 311 


ohne Augen ist, während es älter wird, etwas nach vorn, und wan- 
dert sodann allmählich über die Dorsalseite des Kopfes hinweg, 
bis es schließlich auf dieselbe Seite des Kopfes zu liegen kommt wie 
das andere Auge. Während dieses Vorgangs bleibt das wandernde 
Auge stets auf der Oberfläche und bleibt in Funktion; und sobald 
die beiden Augen auf derselben Seite des Kopfes liegen, verliert die 
des Sehorgans entbehrende Körperseite ihre Pigmentzellen und wird 
farblos. Die Rückenflosse wächst nach der Wanderung des Auges 
nach vorn bis über die Augen hinaus !). 

Zwar möchte die Fähigkeit der Pleuronectiden, sich asymme- 
trisch zu entwickeln, sich vererben können, was sich denn auch aus 
dem Umstande ergibt, dass bei einigen verwandten Arten (Rkombus 
mazimus, R. laevis, R. megastoma) die Augen auf der linken, bei 
andern Arten (Platessa vulgaris, Pl. flesus, Pl. limanda, Pl. miero- 
cephalus, Pl. limandoides, Hippoglossus maximus und Solea vulgaris 
auf der rechten Seite liegen. Aber dass man hier nicht vorwiegend 
an Vererbung, mehr an direkten Einfluss der Lebensweise auf jedes 
einzelne Individuum denken muss, scheint mir doch deutlich aus dem 
Umstande, dass man in einer und derselben Species Individuen findet, 
welche die Augen auf der rechten, andere, welche sie auf der linken 
Seite haben. So fand man, zwar selten, Exemplare von Khombus 
maximus mit den Augen auf der rechten Seite; ebenfalls selten Pla- 
tessa vulgaris und Solea vulgaris mit den Augen auf der linken Seite. 
Namentlich bei Platessa flesus, obgleich in der Regel auf der rechten 
Seite mit Augen versehen, kommen dann und wann ziemlich häufig 
Exemplare vor, die an dieser Seite blind, an der linken hingegen mit 
zwei Augen versehen sind. So fand Wittmach?) unter vierund- 
sechzig auf einem Zuge erbeuteten Stücken nieht weniger als sieben, 
welehe die Augen auf der linken Seite hatten; und meinen Er- 
fahrungen zufolge gibt es unter den Flundern der Zuidersee auf je 





1) Vergl. Fr. M. Balfour, „Handbuch der vergleichenden Embryologie‘“, 
übersetzt von B. Vetter, II, I, Seite 72. — Wir danken diese Mitteilungen 
den Untersuchungen von Al. Agassiz („Development of the Flounders“, in 
„Proceedings of the American Academy of Arts and Sciences“, XIV, 1878). 
Es gibt eine Pleuroneetiden-Gattung (Plagusia Steenstrup), bei welcher die 
Rückenflosse schon vor der Wanderung des einen Auges nach vorn wächst. 
Dieser Umstand bedingt eine Modifikation des oben beschriebenen Vorgangs. 
Das Auge wandert herum, wie bei andern Pleuronectiden; aber an der Basis 
der Flosse versinkt es über dem Stirnbein allmählich in den Geweben des 
Kopfes. Dabei wird die Oeffnung der Augenhöhle bedeutend verkleinert. Bald 
aber entsteht eine allmählich sich vergrößernde Oeffnung auf der andern Seite, 
während die ursprüngliche Oeffnung sich schließt; inzwischen ist das Auge 
vollständig nach der andern hinübergewandert. 

2) Vergl. Brehm’s „Tierleben“, große Ausgabe. Fische. Seite 191. — 
Linnaeus beschrieb die Exemplare von Pl. flesus, welche die Augen auf der 
linken Seite haben, als eine eigne Art: Pl. passer. 


372 Ritzema Bos, Bemerkungen über Pleuronectiden. 


mr 


zehn Exemplare gewöhnlich eins, das die Augen an der linken Seite 
trägt. 

Lister, Pouchet und Heincke!) haben gezeigt, dass viele 
Fische und Amphibien nicht unter dem unmittelbaren Einflusse 
des Lichtes schützende Farben und Zeichnungen annehmen, sondern 
unter dem Einflusse des auf die Sehnerven ausgeübten Eindrucks, 
welcher vom Gehirn aus durch den Sympathicus weiter geleitet wird, 
während der Sympathieus durch Vermittlung der Spinalnerven, die in 
regelmäßigen Abständen aus dem Rückenmark hervorkommen, mit 
den feinsten, wahrscheinlich an die Chromatophoren herantretenden 
Hautnerven in Verbindung steht. 

Die Kontraktionen der Chromatophoren stehen im allgemeinen 
unter dem Einfluss des Nervensystems, wie im Jahre 1874 Paul 
Bert?) für Reptilien und P. Harting?) für cephalopode Mollusken 
dargethan hat. Es ist aber das Verdienst Lister’s, bei Amphibien, 
und Pouchet’s, bei Fischen gezeigt zu haben, dass die Thätigkeit 
der Chromatophoren in Fällen chromatischer Funktion *) gänzlich 
abhängt von der Wirksamkeit der Augen. So lange diese Chromato- 
phoren in Verbindung mit dem Gehirn, und weiter durch Vermittlung 
des Sehnerven in Verbindung mit den Augen bleiben, so lange wirkt 
auch das von den Umgebungen reflektierte Lieht auf die Chromato- 
phoren ein. Sobald aber die Augen zerstört oder die Sehnerven 
durehschnitten sind, tritt Unfähigkeit dieser Chromatophoren ein, die 
verschiedenen Schwankungen in Farbe und Lichtintensität der Um- 
sebung durch Kontraktionen anzuzeigen. Die Chromatophoren blei- 
ben sodann ausgedehnt, und der Fisch also dunkel gefärbt. Ja durch 
Abschneiden der Verbindung einiger der obengenannten Spinalnerven 
mit dem Sympathicus derselben Seite gelang es Pouchet, die so- 
genannte „chromatische Funktion“ auf solche Stellen der Haut zu 
beschränken, deren Nerven noch ihre Verbindung mit dem Sympa- 
thieus behalten haben. So gelang es ihm unter anderem, eine zebra- 
artige Streifung an der einen Seite eines Fisches hervorzurufen, 
dessen andere Seite die natürlichen Farben und normalen Wechsel 
derselben je nach der Farbe der Umgebung behalten hatte. 


1) Vergl. auch für die Literaturangaben: Semper, „Die natürlichen Exi- 
stenzbedingungen der Tiere“, I, Seite 112 u. s. w. 

2) Vergl. „Revue scientifique*, 1874, 2ieme Serie, pag. 407. 

3) Vergl. „Tydschrift der Nederlandsche Dierkundige Vereeniging“, I, 1874, 
S. 209 u. s. w. Bei toten Lolöiyo-Embryonen sind die Chromatophoren ausge- 
dehnt, bei gereizten Exemplaren zusammengezogen. 

4) Von Pouchet wurde das Wort „chromatische Funktion“ in die zoolo- 
gische Wissenschaft eingeführt, um damit die durch die Augen vermittelte 
Farbenanpassung an die Umgebung zu bezeichnen. Konstante, wenn auch 
schützende Färbungen fallen also ebenso wenig in diese Rubrik wie die Farben- 
änderungen, welche wie z. B. bei Chamäleonten durch psychische Erregung ver- 
ursacht werden. 





Ritzema Bos, Bemerkungen über Pleuronectiden. 275 


Ein instruktives Beispiel, welches das oben Gesagte beweist, wurde 
von Pouchet beobachtet. Die nach oben gerichtete Körperseite der 
Pleuronectiden, welche die Augen trägt, zeigt die chromatische Funk- 
tion in hohem Grade. Auf weißem Meeresboden fand Pouchet unter 
zahlreichen, fast weißen oder wenigstens sehr hellen Schollen ein 
einziges Exemplar, das die mit Augen versehene Oberseite dunkel, 
fast schwarz gefärbt hatte, wo somit die Chromatophoren sich im 
nicht zusammengezogenen Zustande befanden. Es ergab sich bald, 
dass das Tier völlig blind war. 

Eine merkwürdige Monstrosität von Pleuronectes (Platessa) flesus 
verdanke ich dem Herrn L. Broekema, Direktor der hiesigen land- 
wirtschaftlichen Schule. Das Exemplar hat sich insoweit abnorm 
entwickelt, als die Wanderung des Auges entweder zu spät ange- 
fangen hat, oder sehr bald auf einem bestimmten Stadium stehen geblie- 
ben ist. Das eine Auge des ganz gut ausgewachsenen Flunders hat 
zu wandern angefangen, ist aber nicht weiter gekommen, als bis auf 
die Dorsalseite des Kopfes. Natürlich ist auch die Rückenflosse hier 
nicht so weit nach vorn gewachsen, wie es sonst der Fall ist; sie 
dehnt sich nach vorn bis zum Kopfe aus. Diejenige Seite des Kör- 
pers, welche kein Auge besitzt (die linke Seite), ist bei weitem nicht 
so flach wie die weiße pigmentlose Seite des normalen Flunders, 
jedoch etwas weniger gewölbt als die rechte Seite. Merkwürdig ist 
die Färbung des abnorm entwickelten Tieres. Während die rechte 
Seite die gewöhnliche sehr veränderliche Färbung zeigt, ist die 
linke Seite größenteils dunkel, fast schwarz. Diese Seite scheint also 
nicht mehr in obengenannter Weise unter dem Einflusse des Auges 
zu sein wie die rechte Hälfte. Nur der vordere Abschnitt des 
Rückens, der sich unmittelbar an den Kopf anschließt (derjenige Ab- 
schnitt ungefähr, welcher noch von dem auf der Rückenseite des 
Kopfes liegenden Auge übersehen werden kann), zeigt eine lichtere 
Farbe und ehromatische Funktion. Die linke Seite des Kopfes ist 
bis auf die Kiemenspalte ganz weiß, pigmentlos, wie die ganze linke 
Seite beim normalen Flunder. 

Die chromatische Funktion der Chromatophoren der Haut ist für 
das Leben der Fische von großem Interesse. Aber sie verliert ihre 
Bedeutung, und die Chromatophoren werden entweder für die linke 
oder für die rechte Körperseite der Pleuronectiden überflüssig, sobald 
diese Fische anfangen, entweder die eine oder die andere Seite phy- 
siologisch in die Unterseite umzuwandeln. Sobald dies geschieht, 
verliert denn auch die letztgenannte Seite ihre Pigmentzellen und 
wird farblos. — Gleichwie die Wanderung des Auges bei dem von 
ınir beschriebenen Exemplare auf einer gewissen Stufe stehen ge- 
blieben ist, so ist es ihm auch mit der Entfärbung und der Ab- 
flächung der linken Seite gegangen. 








VI, 13 


7 


[9] 
> 


Roux, Entwicklungsmechanik des Embryo. 


W. Roux, Beiträge zur Entwicklungsmechanik des Embryo. 
Zeitschrift f. Biologie. XXI. N. F. III. S. 1—118 (Sep. - Abdr.). 


Verf. bezeichnet als Entwieklungsmechanik des Embryo die Wissen- 
schaft von der Beschaffenheit und den Wirkungen derjenigen Kombi- 
nationen von Energie, welehe Entwieklung hervorbringen. Letztere 
aber ist nach ihm das Entstehen wahrnehmbarer Mannigfaltigkeit, wobei 
man zwischen wirklicher Produktion solcher, und der Umbildung nicht 
wahrnehmbarer d. h. latenter präexistierender in wahrnehmbare Mannig- 
faltigkeit, unterscheiden muss. Für beide Vorgänge verwendet er die 
schon in ähnlichem Sinne gebrauchten Worte Epigenesis und Evolu- 
tion. Das Wahrnehmbarwerden kann beruhen: 1) auf einfachem 
Größerwerden unter Erhaltung aller Proportionen (Beispiel: Krystall- 
bildung), 2) auf verändertem Verhalten der Teile gegen das Licht 
(Beispiel: Entwicklung des photographischen Negativs) also Umände- 
rung der Natur der Verschiedenheiten und 3) auf einer Vereinigung 
beider Vorgänge. — 

Roux hat sich nun aus dem großen Gebiete der Entwicklung 
zunächst die Frage ihrer Lösung näher zu führen bemüht: ist 
die Entwieklung des ganzen befruchteten Eis bezw. einzelner Teile 
desselben Selbstdifferenzierung oder das Produkt von Wechselwir- 
kungen mit ihrer Umgebung? Dabei definiert er als Selbstdifferen- 
zierung eines Systems von Teilen den Vorgang, wo die Veränderung 
in ihrer Totalität, oder die spezifische Natur der Veränderung vor- 
wiegend durch die Energien des Systems selbst bestimmt wird. — 
Ihr gegenüber steht die „korrelative Differenzierung“, d. h. die Ver- 
änderung einer Summe materieller Teile durch Aufnahme und Abgabe 
von Energie, sofern .die spezifische Natur der Veränderung durch diese 
bestimmt wird. Auf jeden einzelnen Entwieklungsvorgang angewandt, 
würde es sich also um eine Topographie der zusammenwirkenden 
Differenzierungsursachen handeln. — Verfasser hat bereits in einer 
frühern Arbeit (Breslauer ärztliche Zeitschift, 1884, Nr. 6) gegen 
Pflüger den Nachweis geführt, dass die formale Entwicklung des 
befruchteten Eies unabhängig von der Schwerkraft bezw. andern von 
außen einwirkenden Energien ist, dass also Selbstdifferenzierung vor- 
liegt, wobei natürlich der Einfluss gewisser, wie z. B. der Außen- 
wärme nicht ausgeschlossen ist. — Die vom Verfasser gegebenen 
Beiträge sollen die Forschung nach den oben auseinandergesetzten 
Gesichtspunkten inaugurieren. Bei einer Versuchsreihe, die die Frage 
des Einflusses elektrischer Energie auf die Formentwicklung in An- 
griff nahm, fand Roux, dass sich stets in der Umgegend einer ver- 
letzten Stelle von Froschembryonen eine Pigmentzone entwickelt, indem 
Pigmentzellen um dieselben eine diehte Phalanx bilden. Für eine 
andere Erscheinung, die er beim Absterben verletzter Embryonen 
beobachtete, hält er die Einführung einer besondern Bezeichnung der 


Roux, Entwicklungsmechanik des Embryo. 275 


Framboisia embryonalis finalis minor für notwendig. Er versteht 
darunter eine grobkörnige Beschaffenheit der Umgebung der Wunde, 
die darauf beruht, dass die Epithelzellen Kugelgestalt annehmen. Als 
F. major bezeichnet er das Auftreten gröberer Unebenheiten und 
Buckel an der Körperoberfläche der verletzten Embryonen. 

Verfasser stach die im Beginn der Furehung befindlichen Eier von 
Rana fusca und R. eseulenta mit einer feinen Präpariernadel an, wobei 
er das Heraustreten von Eisubstanz beobachtete, die unter Umständen 
durch einen Fadenstrang als Ballen mit dem Ei in Verbindung blieb. Ein 
sroßer Teil der so operierten Eier entwickelte sich vollkommen nor- 
mal, nur waren viele Embryonen auffallend klein und starben leicht 
in frühen Entwieklungsstadien ab, was Verf. auf den Verlust an Nah- 
rungsdotter durch das Ausfließen des Ei-Inhalts zurückzuführen ge- 
neigt ist. Eine zweite Gruppe zeigte allerlei krankhafte Verände- 
rungen, die man aber auch ohne vorheriges Anstechen beobachtet: 
hydropische Ansammlungen in bestimmten Gegenden, Verkrümmungen 
des Leibes ete. An einer dritten Gruppe endlich fanden sich Ab- 
normitäten, die sonst nicht oder äußerst selten zur Beobachtung kom- 
men, wie umschriebene Defekte an bestimmten Körperstellen ete. — 
Die Einzelheiten der Versuche und die Folgen der Verletzung in den 
verschiedenen Furchungsstadien auf die Form der Entwicklung müssen 
im Original nachgelesen werden. Zunächst ergeben dieselben, dass 
nicht alles Keimmaterial für die Entwicklung des Embryos unerläss- 
lich notwendig ist, indem trotz nicht unbeträchtlicher Verluste 
durch Austritt nach Einstich dieser sich normal entwickeln kann. 
Anderseits haben zirkumskripte operative Defekte der Eisubstanz 
häufig zirkumskripte Defekte oder Verbildungen an dem sonst wohl- 
gebildeten Embryo zur Folge, und zwar einerlei, in welchem Stadium 
der Furchung der Eingriff geschah. Nach dem Anstechen des Eis in 
der ersten Furchungsebene am obern schwarzweißen Saum, da wo 
sich später der Urmund anlegt, fand sich der Defekt am Embryo 
immer dicht hinter der Mitte des primitiven Medullarrohrs. Dies 
weist wohl darauf hin, dass der hintere Abschnitt des letztern auf 
der weißen Hemisphäre des Eis gebildet wird, indem die dorsale Ur- 
mundslippe gegen die ventrale hin vorwächst. Operationen an der 
Gastrula und an nächstfolgenden Phasen der Entwicklung ergaben 
weiterhin, dass die Substanzverluste sehr gering waren, sofern nicht 
das Dotterlager direkt verletzt worden war. Es entstanden keine 
Bildungsdefekte im Entoderm, sondern die klaffenden Wunden heilten 
entweder per primam, oder unter Narbenbildung durch Ueberwuche- 
rung von der Oberflächenschicht. Hier entstand neues Ektoderm aus 
der bloßgelegten weißen Dotterschicht, was auf eine Teilung der Ma- 
terialien schon mit dem Beginn der Keimblattbildung deutet. Die- 
jenigen Embryonen, welche den Eingriff genügend lange überlebten, 
entwickelten entweder bis an die Wundränder hinan normale Formen, 

18,7 


2376 Wortmann, Mechanik des Windens der Pflanzen. 


oder wenigstens nur so weit gestürte, dass sie sich aus der passiven 
Deformation infolge der Verletzung herleiten ließen. In einzelnen 
Fällen entstanden, vielleicht dureh disloziertes Material, nahe oder 
auch entfernt von der Eingriffsstelle Geschwulstbildungen. — 

Beobachtungen, namentlich teratologische, sprechen dafür, dass 
viele Teile des Embryo unter günstigen Ernährungsumständen unab- 
hängig von ihrer Umgebung sich zu differenzieren vermögen, so dass 
man in der Differenzierung nieht eine Funktion der Wechselwirkung 
der Teile schen kann. Verfasser findet dies auch aufgrund seiner 
Versuche durch Verletzung der Embryonen und unterscheidet zwischen 
„formaler“ und „qualitativer Selbstdifferenzierung“ der Teile. 

Der Rest der Arbeit eignet sich nieht zu einem Referat, da die 
Art der angestellten Betrachtungen eine kurze inhaltliche Wiedergabe 
des Thatsächliehen kaum möglich macht. — Es genüge das Gegebene, 
um auf den eigentümlichen und stellenweise von der großen Heer- 
straße embryologischer Einzelforschung abseits führenden Gedanken- 
gang aufmerksam zu machen, den der Verfasser in seinen Arbeiten 
einschlägt. 

Rabl-Rückhard (Berlin). 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 

58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg. 

I. Sektion für Botanik (Schluss). 

4. Sitzung. Vortrag des Herrn J. Wortmann über die Mecha- 
nik des Windens der Pflanzen. Die verschiedenen, einander oft 
direkt widersprechenden Ansichten, welche über die in letzter Zeit 
wieder lebhaft ventilierte Frage nach der Mechanik des Windens der 
Pflanzen ausgesprochen wurden, haben mich veranlasst, mein Interesse 
dieser Frage zuzuwenden und eine Reihe von Beobachtungen und 
Versuchen anzustellen, aus deren Ergebnissen sich das meiner Ansicht 
nach bis dahin noch ungelöste Problem des Windens in sehr einfacher 
und ungezungener Weise erklären lässt. 

Indem ich auf eine demnächst in der Botanischen Zeitung er- 
scheinende ausführliche Publikation meiner diesbezüglichen Unter- 
suchungen hinweise, beschränke ich mich darauf, an dieser Stelle in 
kurzen Zügen nur die wesentlichsten Momente, welche für die Erklä- 
rung des Zustandekommens der Windungen der Schlingpflanzen ins 
Auge zu fassen sind, darzulegen: 

Der Schlüssel, welcher zum Verständnis des Windephänomens 
führt, liegt in der richtigen Erkenntnis und Vorstellung der Bewegung, 
welche durch Kombination von negativem Geotropismus und kreisen- 
der Nutation in der ganzen wachsenden Region des windenden 
Stengels bei Abwesenheit einer Stütze ausgeführt wird. 


Wortmann, Mechanik des Windens der Pflanzen. IT 


In jedem kleinsten Querabschnitte der wachsenden Partie eines 
windenden Stengels treten nämlich Cireumnutation und negativer 
Geotropismus mit einander in Kombination, jedoch so, dass an der 
Spitze des Stengels die Cireumnutation weit stärker als der negative 
Geotropismus ist, nach der Basis fortschreitend, also in ältern Inter- 
nodien, aber der Geotropismus zunimmt. 

Die Folge hiervon ist eine Modifikation der gewöhnlichen Wachs- 
tumsbewegung, insofern jeder kleinste Querabschnitt des windenden 
Stengels die Tendenz hat, sich nicht gradlinig zu streeken, wie 
das bei den gewöhnlichen orthotropen, nicht windenden Internodien 
der Fall ist, sondern in einer Schraubenlinie wachsend sich zu strecken, 
welche durch die erwähnte eigentümliche Kombination von Cireum- 
nutation und Geotropismus an der Spitze des windenden Stengels 
sehr flach ist, nach der Basis hin aber allmählich steiler und stei- 
ler wird. 

Findet ein in dieser schraubenlinigen Bewegung wachsender 
Stengel einer Schlingpflanze keine Stütze, wird er jedoch zugleich 
vor dem Umfallen geschützt, so wird, da nach der Basis hin die 
Schraubenlinien immer steiler werden, und, so lange das Wachstum 
überhaupt anhält, auch Geotropismus vorhanden ist, der Stengel nach 
Beendigung des Längenwachstums schließlich vollkommen vertikal 
und grade gestreckt sein wie jeder andere orthotrope Stengel, eine 
Thatsache, die sich sehr leicht beobachten lässt, wenn man mittels 
eines feinen, über eine Rolle geführten und mit einem kleinen Gewicht 
versehenen Fadens den kreisenden Stengel am Umsinken verhindert. 

Durch diese Fähigkeit, unter Beschreibung einer Schraubenlinie 
sich grade zu strecken, ist auch für die stärksten Schlinggewächse 
die Möglichkeit gegeben, die dünnsten Stützen (feine Fäden ete.) 
regelmäßig zu umwinden. 

Der eigentliche Zweck der Stütze ist nach dem Gesagten leicht 
ersichtlich: Die Stütze ist ein Hindernis für die Grade- 
streekung des in schraubenliniger Bewegung sich be- 
findenden wachsenden Stengels. Durch die infolge der Gegen- 
wart der Stütze verhinderte Gradestreckung aber wird der Stengel 
am Umsinken gehindert. Je dieker die Stütze ist, desto früher wird 
dieser Gradestreckung Einhalt geboten, desto flacher müssen in diesem 
Falle auch im allgemeinen die Windungen ausfallen, und umgekehrt. 

Da das Wachstum (nicht aber die Fähigkeit noch weiter zu 
wachsen) nach dem Anlegen der Internodien an dieke Stützen not- 
gedrungen aufhört, so erklärt sich auch die häufige Beobachtung, 
dass um dicke Stützen gewundene Internodien im allgemeinen kürzer 
sind, als solche, welche um dünne Stützen sieh gelegt haben; denn 
im letztern Falle konnte das Wachstum der Internodien, bevor es 
zum Anlegen an die dünne Stütze kam, noch längere Zeit ungestört 
vor sich gehen. 


9718 Wortmann, Mechanik des Windens der Pflanzen. 


Das oben dargelegte, in den jüngsten Internodien auftretende 
Verhältnis des Vorherrschens der Circumnutation über den negativen 
Geotropismus, infolge dessen die in den untern Internodien vorhandene 
schraubenförmige Bewegung mehr und mehr in eine horizontale, kreis- 
förmige übergeht, ist für das Zustandekommen der Windungen insofern 
von wesentlicher Bedeutung, als dadurch die Endknospe der winden- 
den Pflanze niemals dauernd von der Stütze sich wieder entfernen 
kann; denn die jüngsten Internodien bilden auf diese Weise eine oder 
einige flache, sehr lockere Windungen, welche, indem der Geotropismus 
allmählich in ihnen immer stärker wird, (die Circumnutation aber nicht 
erlischt), nach und nach in immer engere Schraubenwindungen sich 
umbilden, die sich dann, bei ihrem weitern Bestreben sich schraubig 
zu verengern, von unten Punkt für Punkt der Stütze anlegen müssen. 

Die an windenden Pflanzen so häufig zu beobachtenden Torsionen 
sind für den Windungsvorgang selbst von nebensächlicher Bedeutung. 
Die homodromen, mit der Windungsrichtung gleiehsinnig verlaufenden 
Torsionen sind eine Folge der schraubenförmigen Bewegung des win- 
denden Stengels. Sie entstehen immer dann, wenn bei der Streckung 
der Internodien die Endknospe in ihren Bewegungen nicht aufgehalten 
wird, und treten demgemäß sehr deutlich bei Umwindung dünner 
Stützen (Glasfäden, Seidenfäden ete.) auf. Ein nachträgliches Ent- 
stehen von Torsionen irgend welcher Art an Windungen, welche ein- 
mal der Stütze definitiv anliegen, habe ich nie beobachten können. 
Die sehr starken homodromen Torsionen, welche an bereits grade 
gestreckten, in beliebiger Lage sich befindenden Internodien (welche 
keine Stütze gefunden haben), nachträglich auftreten, erklären sich 
ungezwungen aus der Thatsache, dass nach Gradestreckung des Inter- 
nodiums dessen Wachstumsfähigkeit noch nicht erloschen ist. Da 
aber selbst nach der Gradestreckung jeder kleinste Querabschnitt 
infolge der in ihm noch vorhandenen Circumnutation noch das Be- 
streben hat, in Richtung einer Schraubenlinie sich zu verlängern, so 
müssen durch diese nachträgliche Streckung notwendigerweise noch 
homodrome Torsionen entstehen, die in diesem Falle so lange auf- 
treten, als überhaupt noch Wachstum unterhalten wird. Die homodrome 
Torsion der Internodien ist also wie die Windebewegung selbst die 
Folge von Circumnutation und Geotropismus. 

Antidrome, der Windungsrichtung entgegengesetzt verlaufende 
Torsionen entstehen in all den Fällen, in welchen die Endknospe auf 
irgend eine Weise an der freien Drehung verhindert wird, ein Umstand, 
welcher immer bei Stützen von einer gewissen Dieke eintritt. Für 
den eigentlichen Vorgang des Windens sind sie, ebenso wie die homo- 
dronen Torsionen, von keiner Bedeutung. 

Diskussion. 

Herr Zimmermann hält die Torsionen für bedeutungsvoll für 
die Theorie des Windens, besonders deshalb, weil alle windenden 
Pflanzen antidrome Torsionen zeigen. 


Strasburger, Fremdartige Bestäubung. 379 


Herr Wortmann entgegnet, dass nach seinen Beobachtungen 
das nicht der Fall sei, sondern dass die meisten gewundenen Stengel 
grade homodrome Torsionen zeigen, antidrome Torsionen aber nur 
bei einer gewissen Stützendieke auftreten. 

Herr Zimmermann erklärt, dass er speziell keine Beobach- 
tungen gemacht habe. 

Herr deBary betont, dass von Schwendener nur ein spezieller 
Fall, in welchem antidrome Torsionen auftreten müssen, aus der Reihe 
der übrigen herausgegriffen und als der normale bezeichnet sei. Sähe 
man sich jedoch auch die übrigen Fälle genauer an, so gelange man 
zu der Auffassung des Vortragenden, dass bei ganz normal windenden 
Pflanzen die Art der Torsion nur von der Dicke der Stütze abhängig sei. 

Herr Noll macht die Mitteilung, dass er rotierende Nutation an 
etiolierten Keimlingen sonst nicht schlingender Pflanzen beobachtet 
und diese Keimlinge durch Anbieten von Stützen zum Winden ge- 
bracht habe. Die Beobachtuug dieser windenden Keimlinge habe ihn 
auch zur Ueberzeugung gebracht, dass negativer Geotropismus ver- 
bunden mit rotierender Nutution allein vollständig zum Schlingprozesse 
befähigen. In einer demnächst erscheinenden vorläufigen Mitteilung 
über diesen Gegenstand habe er dieser Ueberzeugung auch Ausdruck 
verliehen. 


Vortrag des Herrn E. Strasburger (Bonn) über fremdartige 
Bestäubung. Eine große Reihe von Versuchen, bei welchen Pollen 
der einen Species auf die Narbe einer andern übertragen wurde, führte 
zu dem allgemeinen Ergebnis: 

Dass besondere Schutzeinriehtungen nicht bestehen, welche die 
Schlauehbildung auf fremdartiger Narbe, ja selbst das Eindringen der 
Pollenschläuche in den fremden Griffel und Fruchtknoten verhindern. 

Solches zu verhindern wäre auch überflüssig, da der Pollen der 
eignen Art durch den fremden Pollen in seiner Schlauchbildung nicht 
beeinträchtigt wird. 

Selbst in solchen Fällen, wo Befruchtung durch den fremdartigen 
Pollen möglich ist, befindet sich der eigne Pollen im Vorteil. Seine 
Schläuche erreichen früher die Samenknospen. 

Da nun ausreichend dafür gesorgt ist, dass der Pollen der eignen 
Art auf die Narbe gelange, so werden auch in letztem Falle Schutz- 
einrichtungen, um Bastardbefruchtung zu verhindern, überflüssig. 

Daher auch spontan entstandene Bastarde relativ so selten sind, 
und selbst in Gattungen, die am meisten zur Bastardbildung neigen, 
durchaus nicht häufig auftreten. 

Bei einzelnen Arten sind die Bedingungen für die Schlauchentwick- 
lung aus dem Pollen einer nächstverwandten Art oder Abart günstiger 
als für Sehlauehbildung aus dem Pollen derselben Blüte der eignen 


280 Strasburger, Fremdartige Bestäubung. 
Art. Dann ist aber auch hinreichend dafür gesorgt, dass Pollen von 
einer andern Blüte derselben Art auf die Narbe gelange, und dieser 
Pollen ist dann stets im Vorteil gegen den fremdartigen. 

Uebrigens haben die Versuche ergeben, dass die heterogensten 
phanerogamen Pflanzen in einseitigem oder gegenseitigem Verhältnis 
zur Pollenschlauchbildung auf einander befähigt sind. 

So gelangen beispielsweise die Schläuche von Lathyrus montanus bis 
in die Fruchtknoten von Convallaria latifolia, diejenigen von Agapanthus 
umbellatus bis tief in den Griffel von Achimenes grandijlora hinein. 
So regen die Pollenschläuche von Fritillaria persica, in den Frucht- 
knoten der Orchis-Arten hineinwachsend, die Entwicklung der Samen- 
knospen in demselben an und veranlassen dessen beginnende An- 
schwellung. Hingegen sind die Pollenkörner von Achimenes grandiflora 
nicht befähigt auf den Narben von Agapanthus zu treiben. 

Im allgemeinen sind alle Arten einer Gattung zu mehr oder we- 
niger vollkommner Pollenschlauchbildung auf einander befähigt, ganz 
unabhängig davon, ob Bastardbefruchtung zwischen denselben mög- 
lieh ist oder nicht. Ausnahmen von dieser Regel sind selten; sie 
kommen beispielsweise in der Gattung Orchis vor, wo unter anderem 
Orchis Morio keine Schläuche auf Orchis fusca bildet, während um- 
gekehrt die Schläuche von Orchis fusca in «den Fruchtknoten von 
Orchis Morio eindringen, die ganz normale Ausbildung der Samen- 
knospen veranlassen und letztere vereinzelt sogar befruchten. 

Für gewöhnlich dringen die Pollenschläuche in den Griffel bezw. 
auch in den Fruchtknoten um so tiefer ein, je näher die Pflanzen 
verwandt sind. Ausnahmen hiervon sind aber nicht selten. 

Das Vordringen der Pollenschläuche bis in den Fruchtknoten hinein 
ist meist nur bei nächstverwandten Pflanzen möglich, kann aber auch 
zwischen ganz heterogenen Pflanzen erfolgen, wie das Beispiel von 
Lathyrus montanus auf Convallaria latifolia zeigt. 

Da die heterogensten Pflanzen Pollenschläuche auf einander bilden 
können, so darf dieser Vorgang nicht als Maß für sexuelle Affinität 
gelten. 

Ein solches Maß könnte nur das Verhalten der Geschlechtsprodukte 
selbst abgeben, wenn es möglich wäre, diese unter sonst gleichen Be- 
dingungen an einander zu bringen. Für Anlage und Ausbildung der 
Pollenschläuche sind sekundäre Einflüsse maßgebend, und aus diesen 
beispielsweise zu schließen, dass Orchis Morio weniger sexuelle Affinität 
zu Orchis fusca als diese zu Morio besitzt, wäre ganz willkürlich. 
Würde doch dann umgekehrt aus der Schlauchbildung von Fritillaria 
persica auf Orchideen eine sexuelle Affinität zwischen diesen ange- 
nommen werden müssen. 

Dass Abarten derselben Art, Arten derselben Gattung, Gattungen 
derselben ja verwandter Familien, meist leichter auf einander Pollen- 
schläuche als Gattungen entlegener Familien treiben, ist nur Folge 








Götte, Entwicklung der Aurelia aurita und Cotylorhiza borbonica. 281 


einer größern Uebereinstimmung in der Zusammensetzung der von 
Narbe und Griffel den Pollenkörnern und Schläuchen gebotenen 
Nahrung. 

Wo Bastardbefruchtung erfolgt, gibt diese und ihre Folgen ein 
Maß für sexuelle Affinität ab, während ein Ausbleiben der Bastard- 
befruchtung nicht an sich schon als Mangel sexueller Affinität ge- 
deutet werden darf. 

Herr Zimmermann berichtet: Herr G. Ebel (Leipzig) hat an 
den Epidermiszellen verschiedener Eriocaulon-Arten eine anatomische 
Eigentümlichkeit aufgefunden, die höchst wahrscheinlich eine mecha- 
nische Bedeutung hat. Diese Zellen sind nämlich dadurch ausge- 
zeichnet, dass sie lange Aussackungen auf der Innenseite des Pflanzen- 
körpers besitzen, die wie Borstenhaare in diesen hineinragen. Diese 
Aussackungen haben häufig eine ähnliche Gestalt wie die Zellen des 
Palissadenparenchyms, stehen aber stets mit den Epidermiszellen in 
einer haltbaren Verbindung und sind stets gleich diekwandig und 
chlorophylifrei wie diese. In andern Fällen haben wir es jedoch mit 
bedeutend kürzern Fortsätzen zu thun. Dieselben sind bald in Ein- 
zahl, bald zu zwei an einer Epidermiszelle vorhanden. Eine ausführ- 
lichere Mitteilung über diesen Gegenstand wird demnächst an einem 
andern Orte gegeben werden. 


II. Sektion für Zoologie, 1. Sitzung. 

Herr A. Götte (Rostock) sprieht über die Entwicklung der 
Aurelia aurita und Cotylorhiza borbonica. Die ersten Blastomeren 
sind abwechselnd gleich oder ungleich; die Elemente der daraus her- 
vorgehenden Keimblase zeigen aber keinerlei Verschiedenheit. Durch 
Einwanderung einzelner Elemente aus der Keimblasenwand in die 
Höhle wird dieselbe zuletzt ganz gefüllt; diese innere Entodermmasse 
höhlt sich nachträglich aus (Urdarm) und bricht nach außen durch 
(Prostoma). Nach der Umbildung dieser Gastrula in die Flimmerlarve 
entsteht, vor oder nach dem Festsetzen derselben, eine taschenförmige 
Einstülpung des Ektoderms am prostomialen Ende, woraus der blei- 
bende ektodermale Schlund wird, der in den Magen durchbrieht. Zu- 
gleich bilden sich an zwei entgegengesetzten Seiten zwei fingerförmige 
Aussackungen des Entoderms, welche, zwischen Schlund und Oberhaut 
gelegen, abwärts in zwei Rinnen der Magenwand auslaufen; die Ränder 
dieser Rinnen sind die vier Magenfalten. Zwischen den zwei großen 
Magentaschen entsteht jederseits eine sekundäre; die zusammenstoßen- 
den Taschen bilden vier Septen über den vier Falten. 

Ueber jeder primären Tasche erhebt sich ein Tentakel, über den 
sekundären je drei; später gleicht sich die Zahl der Tentakel jedes 
Quadranten aus. Die sogenannten Muskeln der Seyphistomen ent- 
wickeln sich aus triehterförmigen Einstülpungen des perioralen Ekto- 
derms in das Innere der Septen und Falten, wo sie sich schlauch- 


2382 Leuckart, Entwicklung der Sphaerularia bombi. 


förmig ausdehnen und hohl bleiben. Die Anwesenheit der Mündungen 
an der ersten Ephyra beweist, dass diese nicht eine Knospe, sondern 
der ursprüngliche orale Abschnitt des Scyphistoma ist. Neben der 
Strobilabildung kommt aber auch eine wirkliche Knospung der Sey- 
phistomen vor. 

In der Diskussion macht Ludwig (Gießen) auf die Aehnlichkeit 
der beiden primären Magentaschen der Aurelia mit den Magengefäßen 
der Rippenquallen aufmerksam. 

Herr Götte hält diese verwandtschaftliche Beziehung des Sey- 
phistoma mit Ctenophoren gleichfalls für möglich, aber nicht für un- 
zweifelhaft. 

Herr Leuckart (Leipzig) macht aufmerksam auf die Homologie 
zwischen der Schlundeinstülpung eines Cölenteraten mit dem Schlund- 
rohr eines höhern Metazoons und der Seitendivertikel des verdauenden 
Hohlraums mit der Leibeshöhle der Enterocölier. 

Herr Götte schließt sich dem Vergleich des Vorderdarms im all- 
gemeinen an. 

Herr Osear Sehmidt (Straßburg): Ueber Entstehung von 
Arten durch Verfall und Sehwund älterer Merkmale. 

Herr Schmidt (Straßburg) teilt mit, dass er bei dem von Grube 
entdeekten Caminus osculosus zahlreiche verkümmerte Nadeln des vier- 
strahligen Typus gefunden habe, welche die Zugehörigkeit dieser 
Spongie zur Ordnung der Tetractinelliden außer Frage stellen. Es 
hat sich ergeben, dass einzelne soleher in pathologischem Zustande 
befindlichen Kieselkörper auch bei dem zuerst bekannt gewordenen 
Caminus vulcani aus der Adria vorkommen, während bei dem ameri- 
kanischen Caminus apiarium bis jetzt keine Spur derselben zu sehen 
war. Aus der Beschaffenheit der Nadeln geht hervor, nicht dass sie 
im Entstehen, sondern dass sie im Schwinden begriffen und dass die 
obigen Arten sich auf verschiedenen Stadien dieser Rückbildung be- 
finden. Es ist damit für die einst von Schmidt aufgestellte Hypo- 
these ein direkter Beweis erbracht, dass die Gattung Caminus ihre 
nächsten Verwandten bei den Tetraetinelliden habe und durch all- 
mählichen Schwund und Verlust der vierstrahligen Nadeln entstan- 
den sei. 

Herr Ludwig (Gießen) hebt die von Schulze beschriebenen 
Deformationen der Vierstrahler in der Familie der Plakiniden hervor. 


2. Sitzung. Vortrag von Herın Leuckart (Leipzig) über die 
Entwicklung der Sphaerularia bombi. Um die Frage zu lösen, 
müssen die Hummeln im Winter untersucht werden, zu welcher Zeit 
sie bis über 1 Meter tief in der Erde liegen. Die geschlechtsreife 
Sphaerularia gehört zu den Anguillulariden, speziell zu dem Genus 
Tylenchus, Die jungen Tiere enthalten, wenn sie aus der Hummel 


Selenka, Embryologie des Opossum und die Abstammung der Säugetiere. 285 


ausschlüpfen, reichliche Reservestoffe in den Darmzellen, welche wäh- 
rend der einige Monate später stattfindenden Entwieklung der Ge- 
schlechtsorgane aufgebraucht werden. Es erfolgt im freien die Be- 
gattung, und die Weibchen wandern im Herbst (höchst wahrscheinlich 
durch den Mund) in die Hummeln ein. Man findet die jungen Tiere 
häufig in der Leibeshöhle zwischen den malpighischen Gefäßen, manch- 
mal in der Wand des Darmes unter der Muscularis festsitzend, wobei 
der die Geschlechtsorgane enthaltende Anhang frei in die Leibeshöhle 
hineinhängt. Bei den eingewanderten Tieren wird die Vagina aus- 
gestülpt, ihr Epithel erleidet eigentümliche Veränderungen, und der 
Geschlechtsapparat rückt allmählich in die umgestülpte Vagina hinein; 
der Wurmkörper verkümmert. Außer dem Geschlechtsapparat findet 
man einen Zellenstrang mit auffallend (bis 1 mm) großen Zellen, 
welcher den ganzen Anhang durchzieht; er dürfte eher ein Reserve- 
stoff enthaltender Teil des Hautmuskelschlauches als ein Teil des 
Darmes sein. Die Wucherung dieser Zellenmasse gibt vermutlich die 
erste Veranlassung zur Ausstülpung der Vagina. Die Eier werden 
in die Leibeshöhle der Hummeln entleert, wo die Embryonen aus- 
schlüpfen und heranwachsen, bis sie den Körper der Hummeln ver- 
lassen. 

Herr Prof. Pagenstecher (Hamburg) bemerkt, dass der Vor- 
gang wohl am besten als ein Prolapsus vaginae cum utero gravido 
betrachtet werde. 

Herr Leuckart erklärt, dass dieser Ausdruck die Sache richtig 
bezeichne, und dass er ihn in der ausführlichen Publikation ver- 
wendet habe. 

Herr Kollmann Basel) drückt seine Freude darüber aus, dass 
durch die Mitteilungen des Herrn Leuckart Zellenformen bekannt 
werden, welche für die Histologen eine wahre Fundgrube von interes- 
santen Beobachtungen abgeben werden. Die Aufnahme und Abgabe 
von Reservestoffen werden sich an der Sphaerularia mit einer großen 
Sicherheit verfolgen lassen, und die Studien über die Biologie der 
Zelle ein vortreffliches Objekt zur Verfügung haben. 

Herr Leuckart verspricht über diese Frage weitere Mitteilungen 
in einer der nächsten Sitzungen zu machen und macht darauf auf- 
merksam, dass ähnliche interessante Verhältnisse sich bei Allantonema 
mirabile finden. 

Prof. Pagenstecher bemerkt weiter, dass das Verhalten von 
Tetrameres haemorrhous gar nichts von den Besonderheiten der Sphae- 
rularia zeigt. Es sei nur der Mittelkörper durch die zahlreichen 
Windungen des Eileiters kolossal ausgedehnt, und Köpfehen und 
Schwänzchen hängen unscheinbar an. 


Vortrag von Herrn Selenka (Erlangen) über die Embryo- 
logie des Opossum und die Abstammung der Säuge- 


254 Ziegler, Entstehung der Blutkörperchen bei Knochenfischembryonen. 


tiere. Nach beendigter Furchung besteht das Ei von außen nach 
innen aus der Zona radiata, einem Mantel von Nahrungsdotter, dem 
Ektoderm, dem Entoderm und der Dotterhöble. Von der Primitiv- 
rinne wuchert die Chorda dorsalis als medianer Strang nach vorn, 
die beiden Mesodermlappen seitlich hervor. Fünf Tage nach der Be- 
fruchtung des Eies schließt sich der Amnionnabel. — Hervorzuheben 
ist das Fehlen eines transitorischen Ektoderms, das Fehlen jeglicher 
Zottenbildung; die Ernährung des Embryo geschieht lediglich durch 
osmotische Aufnahme der Uterinlymphe durch das Chorion. Die sehr 
lockere Festheftung des Eies (am Fruchthofe) geschieht mittels Ver- 
klebung der persistierenden Zona. Die Kerne der quergestreiften 
Muskelfasern liegen axial. 

Herr Leuckart macht darauf aufmerksam, dass die Geschlechts- 
organe des Opossum dem Gesagten zufolge hinsichtlich des mittlern 
Blindsehlauchs Annäherung an Hamaturus zeigen. 

Herr Pagenstecher bemerkt, dass auch bei den Hamatu- 
riden der Bau des Uterin- und Vaginal-Apparates sehr verschieden 
sei und alles darauf deute, dass derselbe abzuleiten sei von zwei 
symmetrischen, paarigen, eingestülpten, den Milchdrüsen entsprechen- 
den Regionen. 


Vortrag von Herrn H. E. Ziegler (Straßburg) über die Ent- 
stehung der Blutkörperehen bei Knochenfisch- 
embryonen. Gensch hat im Anschluss an ähnliche Angaben 
früherer Autoren die Behauptung aufgestellt, dass beim Hecht die 
Biutkörperchen von den im Dotter gefundenen „Zellen“ abstammen. 
Ich habe beim Lachs folgendes beobachtet: 

Im Dotter liegen keine Zellen, sondern große Kerne; dieselben 
sind meistens oval, häufig sind sie langgestreckt oder eingeschnürt 
und geben das Bild direkter Kernteilung; unter den derartigen Be- 
funden sucht man vergeblich nach solchen, welche die Entstehung von 
Blutkörperchen aus den Kernen des Dotters beweisen könnten. Das 
Aussehen der Kerne weist auf Degeneration hin, und es haben die- 
selben keine morphologisch wichtige Rolle mehr zu spielen. 

Zu der Zeit, wenn die Keimscheibe mehr als zwei Drittel des 
Eies umwachsen hat und der Hohlraum zwisehen den Parietalplatten 
sich ausdehnt (etwa am 13. Tage), findet man lateral von dem Kiemen- 
darm, der in der Medianlinie den Dotter noch erreicht, unter dem 
Splanchnopleur einen Zellstreifen, der nach vorn und medianwärts in 
die undifferenzierte (den Ursegmenten entsprechende) Mesodermmasse 
des Kopfes übergeht; er muss folglich von der letztern abstammen 
oder doch mit ihr gleichartigen Ursprungs sein. Während der Hohl- 
raum zwischen den Parietalplatten sich vergrößert und der Kiemen- 
darm median (von vorn nach hinten) vom Dotter sich ablöst, rücken 


Eimer, Zeichnung der Säugetiere, Schmetterlinge und Mollusken. 285 


die Zellstreifen dementsprechend medianwärts und vereinigen sich; 
aus ihnen geht das Endothel des Herzens hervor. 

Man findet bis zu dem Zeitpunkt, wo die Massen von Blutkörper- 
chen, deren Herkunft im folgenden besprochen werden wird, in die 
Zirkulation gelangen, in den Gefäßen keine, im Sinus venosus aber 
einige wenige Blutkörperchen. Ueber den Ursprung der letztern war 
folgendes festzustellen: von dem obenerwähnten Stadium ab findet 
man in der Gegend des Sinus venosus die Urwirbel lateralwärts nicht 
scharf begrenzt, sondern in der Weise zwischen Somatopleur und 
Ektoderm vordringend, dass der Zusammenhang der Zellen lateral- 
wärts sich lockert, und dass lose zusammenhängende amöboide Zellen 
den lateralen Rand der Parietalplatten erreichen und überschreiten; 
einzelne Zellen werden unter dem Splanchnopleur gefunden und machen 
es sehr wahrscheinlich, dass solche Zellen zwischen Splanchnopleur 
und Dotter medianwärts wandern, um an und in den Sinus venosus 
zu treten. 

Viel leichter als die Herkunft dieser Zellen ist die Abstammung 
der plötzlich in großer Menge in die Zirkulation eintretenden und 
namentlich im Sinus venosus sich anhäufenden Zellen festzustellen. 
Die schon von Oellacher beobachtete intermediäre Zellenmasse ver- 
wandelt sich in die unter der Aorta verlaufende mediane Vene und 
in die Blutkörperchen, welche dies Gefäß füllen; dies habe ich schon 
früher angegeben („Embryonale Entwicklung von Salmo salar“, Frei- 
burg, 1882), und Wenkebach („Journal of Anatomy and Physiology“, 
vol. XIX) hat vor kurzem den gleichen Vorgang beim Barsch beob- 
achtet. Bevor diese Zellmasse mit dem Gefäßsystem in Verbindung 
tritt und die in ihr entstandenen Zellen als Blutzellen weggespült 
werden, gibt sie einen großen Teil der Zellen ab; es treten nämlich 
im mittlern Rumpfteil Zellmassen von da durch enge Spalten von 
variabler Lage zwischen dem Darm und dem vertikalen Teile der 
Parietalplatten auf den Dotter hinab (17. Tag); dieselben häufen sich 
zuerst neben dem Embryo an (18. Tag) und bewegen sich dann unter- 
halb Splanchnopleur in peripherer Richtung; aus ihnen gehen die 
ersten Gefäße des Dotters, insbesondere die Randvene der Area vas- 
culosa hervor. Diese Zellmassen sind von flachen Zellen umhüllt, so- 
dass ihr Austreten wohl als eine Gefäß-Sprossenbildung aufgefasst 
werden kann, bei welcher die Sprossen in dem Maße, als sie weiter 
wachsen, vom Muttergefäß aus mit Massen von Blutkörperchen gefüllt 
werden. Sobald die Randvene so weit entwickelt ist, dass sie mit dem 
Sinus venosus in Verbindung tritt (19. Tag), erweitert sich der letz- 
tere beträchtlich und weist eine große Anzahl von Blutkörperchen auf. 


4. Sitzung. Herr Eimer spricht über die Zeichnung der 
Säugetiere, Schmetterlinge und Mollusken. Die Unter- 


256 Mislawsky, Zur Lehre vom Atmungszentrum. 


suchungen des Vortragenden haben demselben vollkommene Gesetz- 
mäßigkeit in der Zeichnung der Tiere ergeben. Seine neu angestellten 
Untersuchungen stellen neue Beweise dar für die Erklärung der Ent- 
stehung der Arten, im Sinne des Vortragenden auch für die Schmet- 
terlinge und für die Mollusken dahin, dass diese Entstehung 
sanz wesentlich mit auf ein Variieren in bestimmter, durch die Zu- 
sammensetzung des Organismus bedingter Richtung — also aus kon- 
stitutionellen Ursachen — vor sich gehe, ohne dass deshalb 
der großen Bedeutung des Nützlichkeitsprinzips zu nahe getreten 
werde. Der Vortragende weist auf seine schon seit 1871 wiederholt 
in der Literatur und besonders auch auf der Freiburger Naturforscher- 
versammlung erfolgte Vertretung dieser seiner Ansichten hin, welche 
auf ganz anderem Wege als die ähnlichen Nägeli’s gewonnen wor- 
den und die denjenigen Weismann’s insofern entgegenstehen, als 
dieser der Anpassung, dem Nützlichkeitsprinzip, eine viel maßgebendere 
Rolle zugesteht. 

Herr Weismann (Freiburg i. B.) bemerkt, dass er keineswegs 
die Konstitution einer Art für bedeutungslos hält inbezug auf die Art 
des Variierens, dass er im Gegenteil von jeher betont habe, dass ver- 
schiedene Arten auch verschieden variieren müssen. Das ist aber 
ganz etwas anderes, als wenn man die Entwicklung der Organismen- 
welt auf innere treibende Ursachen zurückführt. Dazu liegt kein 
Grund vor, und auch die interessanten Eimer’schen Beobachtungen 
geben dazu keinen Anlass. Erst müssen einmal möglichst zahlreiche 
Thatsachenreihen über die Veränderungen der Zeichnung bei den 
Tieren vorliegen, ehe wir über die Ursachen dieser Veränderungen 
entscheiden können. Bis jetzt wird nichts der Vermutung entgegen- 
stehen, dass auch diese Zeichnungen mindestens zum einen Teil auf 
Anpassung an die Lebensbedingungen beruhen. Der andere Teil, das 
was Eimer als „männliche Präponderanz“ bezeichnet, dürfte, 
ins Darwin’sche übersetzt, vielleicht als sexuellle Züchtung be- 
zeichnet werden. 


Zur Lehre vom Atmungszentrum'). 
Von N. Mislawsky. 


Aus dem physiologischen Laboratorium von Prof. N.Kowalewsky in Kasan. 


4) Die Gierke’schen Bündel haben keine Beziehungen zu den Atem- 
bewegungen. Sie können sowohl an der Stelle durchschnitten werden, wo sie 
gegen den Zentralkanal konvergieren, als auch höher, auf dem Niveau der Mitte 
des Calamus seriptorius, und die Atembewegungen dauern fort. 

Die Versuche sind mittels des Mikroskops kontroliert. 





1) Aus dem „Centralblatt f. d. mediz. Wissenschaften“. 


Mislawsky, Zur Lehre vom Atmungszentrum. 87 


2) Die Atembewegungen hören sofort auf, wenn die Zellengruppen zerstört 
werden, die in den sogenannten „Faisceaux intermediaires ou laterals* (Longet) 
eingelagert sind. Diese, so viel ich weiß, bis jetzt noch nicht beschriebenen 
Zellengruppen bilden zwei Zentren von unregelmäßiger, aber doch ziemlich 
beständiger Form, zu beiden Seiten der Raphe, nach innen von den Hypo- 
glossuswurzeln und dicht ihnen anliegend. Die Grenze ihrer Ausdehnung nach 
oben (resp. nach vorn) wird durch die Basis des Calamus scriptorius bestimmt, 
nach unten (resp. nach hinten) durch den Winkel des letztern. Von vorn 
nach hinten (resp. von oben nach unten) liegen diese Zentren zwischen den 
Oliven und der grauen Substanz des Bodens des vierten Ventrikels. Die ein- 
seitige Zerstörung dieser Zentren zieht den Stillstand der Atembewegungen 
nur an der entsprechenden Seite nach sich. In einem Falle rief die einseitige 
Zerstörung bei einem alten Tiere den absoluten Stillstand der Atembewegungen 
hervor. Unvollständige Zerstörungen oder Verletzungen in der Nähe dieser 
Zentren verursachen eine Schwächung der Atembewegungen an der entspre- 
chenden Seite. Die Verletzung der seitlich und höher liegenden Teile der 
Oblongata rufen die oben erwähnten Effekte nicht hervor. 


3) Die Leitungsbahnen von diesen Zentren zu den Rückenmarksursprüngen 
der Atemmuskelnerven liegen, auf der Höhe, wo der Zentralkanal bereits ge- 
schlossen ist, außerhalb der Gierke’schen Bündel. 


4) Die Versuche mit Trennung der Oblongata vom Rückenmark beweisen 
nicht, dass in letzterem normale reflektorische, geschweige denn automatische 
Atemecentra (Langendorff) vorhanden sind. Die Reflexe von den sensiblen 
Nerven auf das Diaphragma hören mit der Trennung der Oblongata auf; das 
Erhalten jedoch von Reflexen bei strychnisierten Tieren ist nicht beweisend, 
weil das Strychnin für die Reflexe neue Wege eröffnet, die im Rückenmark 
angelegt, aber physiologisch nicht kultiviert sind, und so entsteht ein Bild 
von Reflexen, das wenig dem normalen ähnlich ist. Automatische Atembe- 
wegungen nach der Rückenmarksdurchschneidung und nach Strychninvergiftung 
bei ausgewachsenen, ebenso wie bei jungen Tieren, die mehr als einen Monat 
alt waren, habe ich niemals bemerken können. — Die Experimente an strychni- 
sierten Tieren können nur als Beweis der Legallois’schen Lehre angesehen 
werden, dass die Nerven der Atemmuskeln, wie auch andere motorische Nerven 
im Rückenmark anfangen, d. h. nach unsern jetzigen Ansichten aus den Zel- 
len der vordern Hörner entspringen. 


5) Die Zentren, welche im dritten Ventrikel und in den Corpora quadri- 
gemina, um den Aquaeduetus Sylvii, beschrieben sind (Christiani, Martin 
und Boocker), haben nur nebensächliche Bedeutung und müssen zu dem 
psychoreflektorischen Apparat gerechnet werden. Die Trennung des Gehirns 
und der Corpora quadrigemina verändert die Atembewegungen nicht wesent- 
lich; die Zerstörung jedoch der in ihnen eingelagerten Zentren ruft nur rasch 
vorübergehende Erscheinungen hervor, die außerdem noch mit andern Stö- 
rungen des lokomotorischen Apparates verbunden sind. 

Die Versuche sind an Katzen angestellt. 

Die ausführliche Darstellung meiner Untersuchungen wird in kurzem er- 
scheinen. 


388 Sir John Lubbock, Lebensdauer der Ameisen. 


Sir John Lubbock, Lebensdauer der Ameisen. 
Contemporary Review, November 1885. 


Zu den nicht am wenigsten wissenswerten Thatsachen, welche ich meinen 
Beobachtungen über die Ameisen verdanke — so schreibt Sir John Lub- 
bock an dem genannten Orte — gehört die Kenntnis von der Lebensdauer 
dieser Tiere. Allgemein glaubte man früher, sie lebten etwa wie die Wespen 
nur ein Jahr. Aristoteles hatte einst behauptet, dass Bienenköniginnen 
sechs oder selbst sieben Jahre leben, wogegen Bevan bemerkte, dass „die 
Ansichten alter sowohl als neuerer Forscher über diesen Gegenstand lediglich 
auf Vermutung beruhten. Denn es erscheint in der That zweifelhaft, ob die 
Lebensdauer, welche man ehedem einzelnen Bienen beilegte, nicht vielmehr 
auf das Bestehen eines ganzen Bienenstockes sich bezog“. 

Die Ameisennester jedoch, welche ich beobachtete, haben mich in den 
Stand gesetzt, diese Frage bedeutend aufzuklären. Die Ameisenweibchen sind 
so leicht zu unterscheiden von den Arbeitern, dass man sie auf den ersten 
Blick erkennt; und wo es in einem Nest kein Weibchen gibt, können wir auch 
sicher sein, dass wir es nur mit Arbeitern zu thun haben. Denn wenn auch 
Arbeiter bisweilen Eier legen, so gehen aus diesen ohne Unterschied nur 
Männchen hervor. Somit gibt uns bei einem solchen Nest die Dauer desselben 
zugleich das Alter der Arbeiter an; mindestens können letztere nicht jünger 
als ihr Bau sein, obwohl natürlich älter. Auf diese Weise hielt ich Arbeiter 
von Lasius niger und Formica fusca länger als sieben Jahre. Was aber noch 
merkwürdiger ist: ich habe jetzt zwei Weibchen der letztgenannten Art bereits 
seit 1874, und diese müssen, da sie damals bereits völlig ausgebildet waren, 
nahezu zwölf Jahre alt sein. Auch in diesem Jahre legten sie mir wieder ent- 
wicklungsfähige Eier, ein für Tierphysiologen gewiss bemerkenswerter Umstand. 
Obwohl ein bischen steif in den Gliedern und weniger beweglich als ehedem, 
sind sie noch kräftig und wohlauf, und ich hoffe sie noch manche Zeit gesund 
zu erhalten. 


Berichtigung. 
In Nr. 8 dieses Bandes soll es auf Seite 253 Zeile 11 von unten nicht 
heißen „und verschwindet mit dem Eikern“ — sondern es soll heißen „und 


versehmilzt mit dem Eikern“. Dieser Irrtum, welcher zuerst in dem 
„Tageblatt der 58. Vers. d. Naturf. u, Aerzte“ sich vorfand, hat schon mehr- 
fach zu falschen Auffassungen meiner Beobachtung geführt. 


C. Fisch (Erlangen). 





Verlag von Eduard Besold im Erlangen. 


Zoologisches Taschenbuch für Studierende. 


3. Auflage. 12° in elegantem Leinwandband. Preis M. 3. 





Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün- 
schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an- 
zugeben. 

Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man 
an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut“ zu richten. 








Verlag von Eduard Besold in Erlangen, — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. 





Biologisches Gentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 








Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 

Inhalt: Prof. Dr. von kudden 7. — Gudden, Ueber die Frage der Lokalisation 
der Funktionen der Großhirnrinde. — Jordan, Die Stellung der Honigbehälter 

und der Befruchtungswerkzeuge in den Blumen. — Ludwig, Ueber durch 
Austrocknen bedingte Keimfähigkeit der Samen einiger Wasserpflanzen. — 

Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands. — Knoll, Beiträge zur Lehre 

von der Atmungsinnervation. — Kowalewsky, Beobachtungen über die Blut- 
zirkulation in der Haut. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesell- 


sehaften: 58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, Sektion für 
Anatomie und Anthropologie. — Klein, Grundzüge der Histologie. 








Professor Dr. von Gudden 7. 


Noch ehe der nachstehende Vortrag, eine kurze Zusammenfassung 
der Ergebnisse jahrelanger Arbeit, welche ihr Verfasser uns gütigst zur 
Verfügung gestellt hatte, zum Abdruck gelangen konnte, verbreitete 
der Telegraph nach allen Richtungen die Kunde von dem unter so 
erschütternden Umständen erfolgten jähen Tode desselben. Niemand 
wird dem tragischen Geschick des Mannes seine Teilnahme versagen, 
der als Opfer seines Berufs und seiner Pflichttreue gefallen ist. Aber 
auch den Mann der Wissenschaft haben wir zu betrauern, der seinem 
vielbeschäftigten Amtsleben immer noch die Muße abzugewinnen wusste, 
mitzuarbeiten an dem Ausbau nicht nur seines Spezialfaches, sondern 
auch der theoretischen Grundlagen desselben und seiner Hilfswissen- 
schaften. 

Bernhard Gudden wurde geboren zu Cleve am Rhein am 
7. Juni 1824. Nach vollendeten Studien wurde er Assistent an dem 
Irrenhause zu Siegburg, später an dem zu Illmau in Baden. Im 
Jahre 1855 übernahm er die Leitung der Kreisirrenanstalt zu Werneck, 
im Jahre 1869 wurde er als Professor der Psychiatrie an die Univer- 
sität Zürich berufen, von wo er im Jahre 1872 nach München über- 
siedelte, um neben der Professur an der dortigen Universität zugleich 
die Leitung der Kreisirrenanstalt des Kreises Oberbayern zu über- 
nehmen. Als das fortschreitende Leiden König Ludwig’s II dauernde 
ärztliche Behandlung notwendig machte, übernahm Gudden die 

v1. 19 


290 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 


Ueberführung des hohen Kranken nach Schloss Berg am Starnberger 
See. Am folgenden Tage, den 12. Juni abends 9 Uhr fand man die 
Leichen des Königs und seines Arztes im See, nahe dem Ufer. Ueber 
die nähern Vorgänge, welche das Unglück herbeigeführt haben, ist 
nichts bekannt geworden. 


Ueber die Frage der Lokalisation der Funktionen der Groß- 
hirnrinde. 


Vortrag, gehalten in der Jahresversammlung des Vereins deutscher Irrenärzte 
in Baden - Baden 


von Prof. v. Gudden. 


Nicht entfernt, was ich gleich bemerken muss, kann es meine 
Absicht sein, auf die Einzelheiten der verschiedenen, an der Groß- 
hirnrinde angestellten Versuche, sowie auf deren wirkliche oder ver- 
meintliche Resultate mich einzulassen —- diejenigen, die sich dafür 
interessieren und es nicht vorziehen, die Original-Arbeiten durch- 
zugehen, verweise ich auf das sehr gute Referat Exner’s im dies- 
jährigen Biologischen Centralblatte!) — vielmehr genügt es vollständig 
für meinen Zweck, daran zu erinnern, dass sich unter den Physiologen 
zwei Gruppen einander gegenüber stehen, von denen die eine die 
Großhirnrinde gewissermaßen landkartenartig in eine größere Anzahl 
von einander scharf getrennter Provinzen mit verschiedener Funktion 
einteilt, die andere die Berechtigung einer solchen Flächeneinteilung 
bestreiten und die Funktion der Rinde als eine mehr einheitliche auf- 
fassen zu müssen glaubt. Als die Hauptvertreter der beiden Gruppen 
können wir Munk und Goltz bezeichnen, dürfen aber nicht über- 
sehen, dass auch unter den Lokalisationsanhängern selbst wieder 
nichts weniger als Uebereinstimmung herrscht, wobei in hohem Grade 
zu bedauern ist, dass der Konflikt mitunter sehr unerquickliche For- 
men angenommen hat. 

Meine Untersuchungen gingen von Anfang an andere Wege, be- 
fassten sich zunächst mit der Anatomie des Gehirns, benutzten dazu 
auch, wo es nur zulässig war, und nicht ohne Erfolg, die experimen- 
telle Methode. Der Plan war, in erster Linie von der Peripherie aus, 
von den Nerven Schritt für Schritt immer tiefer in die Zentren vor- 
zudringen, bei Angriffen aber auf die Zentren und zumal auf die 
Großhirnrinde, die ihrer Natur nach, wenigstens bei der Rinde, immer 
etwas Rohes haben, nur mit der größten Behutsamkeit zu verfahren, | 
um zunächst die Fehlerquellen zu entdecken und die Mittel und Wege | 
aufzufinden, wie man sie einigermaßen vermindern und vermeiden 
könne. Wenn man etwas unternimmt, soll man wissen, was man 
unternimmt; wer aber die Großhirnrinde angreift, ohne vor allem ganz 





4) Biolog. Centralblatt, Bd. V, Nr. 1 und 2. 


Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde 291 


genau den Faserverlauf zu kennen, der weiß einfach nicht, da die 
Hirnrinde ohne Verletzung von Fasernzügen, die möglicherweise ganz 
anderswohin sich begeben, nicht abgetragen werden kann, was er 
gethan hat, ganz abgesehen von Folgezuständen, insbesondere Ent- 
zündungen bei erwachsenen Tieren mit ihren nicht selten großartigen 
Verheerungen, die selbst wieder nicht eher genau umgrenzt werden 
können, bis das operierte Tier lang genug gelebt hat, um die sekun- 
dären Atrophien sich vollziehen zu lassen und eine genaue, oft die 
Ueberwindung großer Schwierigkeiten erfordernde, anatomische Unter- 
suchung nach der Schnittmethode und unter Anwendung geeigneter 
Tinktionen vorgenommen worden ist. Ist aber schon die Erforschung 
der Hirnanatomie vielfach so außerordentlich schwierig, wie soll man 
da dem physiologischen Experimente, unternommen ohne alle anato- 
mische Grundlage, höchstens sich stützend auf ein wenig Flächen- 
topographie und verwertet nicht einmal mit nachträglicher sorgfältiger, 
auch in die Tiefe eindringender anatomischer Kontrole, noch dazu 
unter dem Andrange so widerspruchsvoller Angaben der verschiedenen 
Beobachter, ein unbedingtes Zutrauen schenken? 

Obgleich aber meine Untersuchungen zunächst anatomische Ziele 
im Auge hatten, das vielfach zu Hilfe genommene anatomische Ex- 
periment gestattete doch auch manche physiologische Beopachtung. 
Wir werden sehen, dass auch diese physiologischen Beobachtungen 
die von anatomischer Seite sich erhebenden Bedenken gegen die 
Munk’sche Invasion in die Großhirnrinde mit ihren glänzenden und 
epochemachenden Resultaten nur zu vermehren im stande sind. Munk 
wird sich übrigens erinnern, dass er die aufgrund anscheinend der 
feinsten und genauesten Untersuchungen und Beobachtungen im Gegen- 
satz zu seinem hemiopisch gewordenen Affen behauptete kontralaterale 
Blindheit beim Hunde (nach Abtragung der Sehsphäre) auf grund 
anscheinend wieder ebenso exakter Experimente hat fallen lassen und 
zugeben müssen, dass die Brücke, die er zwischen dem kontralateral 
blinden und hemiopischen Hunde schlug, etwas luftiger Art ist. Es 
ist und bleibt so, vor einer zweifellos erwiesenen anatomischen That- 
sache verliert jedes physiologische Resultat, welches mit derselben 
in Widerspruch steht, seine Bedeutung. Nach Entfernung einer Seh- 
sphäre musste!) der Hund hemiopisch werden, sobald nachgewiesen 
war, dass auch er im Besitze eines und zwar starken ungekreuzten 
Optieusbündels sei, und um auch ein Ergebnis elektrischer Reizung 
zu streifen: wenn ein angesehener und, wie ich annehme, mit der 
Methode der Untersuchung vollkommen vertrauter Physiologe aufgrund 
seiner elektrischen Reizungen zu dem Sehlusse gelangt, dass der Nerv. 
trochlearis sich partiell kreuze, und meine an Kaninchen und Katzen 
angestellten anatomischen Experimente (Fortnahme des Nerv. trochl.) 





1) Vergl. v. Gräfe’s Archiv für Ophthalmologie, XXV, 8. 245. 


19% 


292 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 


weisen einen kompleten Ausfall des ganzen entgegengesetzten Kernes 
nach, so steht fest, dass die Trochleares sich vollständig kreuzen, 
und man ist klar darüber, dass auch die Resultate elektrischer Reizung 
nur mit größter Vorsicht verwertet werden dürfen. 

Vor den Hunden und Katzen — Affen standen mir nicht zur Ver- 
fügung — haben die Kaninchen gewisse Vorteile, die von wesentlicher 
Bedeutung sind. Sie kommen am geeigneten Platze zur Sprache; 
operiert man aber an neugebornen Tieren, so verdienen für alle Ope- 
rationen die Kaninchen insofern den Vorzug, als bei ihnen dieselben, 
was bei Hunden und Katzen das Gewöhnliche ist, nur ausnahmsweise 
von störenden Entzündungen gefolgt werden. 

Enukleiert man bei einem neugebornen Kaninchen ein Auge, so 
entwickelt es sich nicht weiter, und es geht, soweit er bereits entwickelt 
war, der entgegengesetzte Traetus optieus, selbstverständlich mit Aus- 
schluss seines ungekreuzten Bündelchens, zugrunde. Das ungekreuzte 
Bündel ist beim Kaninchen so klein, dass es kaum in betracht kommt. 
Tiere mit bloß ungekreuztem Bündel in einem Auge, benehmen sich, 
als wenn sie auf demselben blind wären. Die Vorteile dieses Ver- 
hältnisses liegen auf der Hand. An die Atrophie des Tractus schließt 
sich die Airophie der Zentren, des Corpus geniculatum externum, 
welches nur experimentell nachweisbar in Form eines schräg liegen- 
den Meniseus sich außen an den vordersten lateraldorsalen Vorsprung 
des Thalamus (wahrscheinlich Homologon des menschlichen Pulvinar) 
anschließt), und die oberste Schieht der grauen Kappe des vordern 
Hügels vom Corpus quadrigeminum, welches das eigentliche Sehzentrum 
ist. Das Gall’sche Bündel (Tract. pedune. transversus) lasse ich 
hier außer betracht. Dasselbe atrophiert zwar bei Atrophie des Nervus 
opticus, sein vom Nerv. opt. abhängiges Zentrum, welches, wie ich 
jetzt mit Bestimmtheit behaupten kann, nicht das eigentliche Seh- 
zentrum im vordern Hügel ist, ist immer noch sowohl seinem Sitze 
als seiner Funktion ?2) nach unbekannt. Hier von Wichtigkeit ist nur 
das eigentliche Sehzentrum. Man wird annehmen dürfen, dass das- 
selbe durch Fasern in Verbindung mit der Großhinrinde steht, man 





4) Dasselbe verliert nach Durchschneidung eines Nervus opticus (oder 
Zerstörung der Retina) die bei weitem größte Mehrzahl seiner Nervenzellen, 
wie evident aus Hämatoxylinpräparaten hervorgeht, nach Durchschneidung 
eines Tractus optieus aber alle; es bleibt dagegen schön erhalten, während nun 
das angrenzende große Ganglion mit seiner Faserung zu grunde geht, wenn 
man, selbstverständlich ohne Verletzung des Tractus opticus, eine ganze Groß- 
hirnhemisphäre entfernt hat. Inbezug auf die Scheidung von Pupillarfasern 
und eigentlichen Sehfasern im Sehnerven verweise ich auf meine Vorträge 
(Tagblatt der Eisenacher Naturforscherversammlung, 8. 307—310 und der Straß- 
burger, 8. 136—137). Das Corpus geniculatum externum ist Zentrum für die 
Pupillarfasern. 

2) Vergl. hiermit v. Gudden: Ueber den Traet. pedune. trans, Archiv 
für Psychiatrie, XI, p. 419. 





Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 295 


wird dann auch annehmen müssen, dass diese zu grunde gehen, wenn 
das genannte Sehzentrum (primäres Zentrum) zu grunde geht !). Unter- 
sucht man aber die Großhirnhemisphären, so findet man zwar bei ge- 
nauer Betrachtung in situ, d. h. nach Entfernung der Schädeldecke 
auf der Seite der Enukleierung eine gewisse Verschiebung der Ge- 
hirnmasse infolge des Zusammenrückens der Orbita, man findet auch 
in der Gegend der supponierten Sehsphäre des großen Gehirns (also 
auf der entgegengesetzten Seite) eine kleine Abweichung in der Form; 
aber diese ist, wie ich das schon im Archiv für Psychiatrie, II, S. 714, 
Anmerkung, angegeben habe, ebenfalls ein Verschiebungseffekt, her- 
vorgerufen durch die Atrophie des vordern Hügels. Die sorgfältigste 
von Herrn Dr. Niss]l vorgenommene mikroskopische Untersuchung 
dieser Gegend inbezug auf die Zellen mit der von ihm geübten Anilin- 
färbung nach Alkoholhärtung und inbezug auf die Fasern mit der für 
diesen Zweck ebenso vorzüglichen W eigert’schen Hämatoxylinfärbung 
nach Erhärtung in Müller’scher Lösung hat auch nicht den gering- 
sten Unterschied von Bedeutung im Verhalten der beiden Seiten nach- 
weisen lassen und das Einzige, was bemerkt werden konnte, war, 
dass der über dem atrophischen Hügel liegende Teil der Großhirn- 
rinde, weil er durch die Atrophie mehr Raum zur Entwicklung vor- 
fand, sich, um mich kurz auszudrücken, etwas geräumiger entwickelt 
hatte. Das ist eine Thatsache, deren Gewicht nicht zu verkennen ist. 

Enukleiert man beim neugebornen Kaninchen beide Augen, wo- 
durch auch die ungekreuzten Bündelchen der Sehnerven in Wegfall 
kommen, so ist der Befund zwar noch etwas reiner, aber im wesent- 
lichen derselbe auf beiden Seiten. 

Es ist mir gelungen, beim neugebornen Kaninchen auch den Nervus 
acustieus mit Einschluss zwar des Faeialis, aber ohne weitere Neben- 
verletzung von Bedeutung an seinem Austritte aus der Medulla ob- 
longata abzutrennen. Die Operation ist eine ungemein delikate (wegen 
der Nähe der Medulla) und trotz zahlreicher Uebung derselben bin 
ich nur im Besitze eines einzigen nach Wunsch ausgefallenen Prä- 
parates. Bekanntlich besteht auch der Acusticus mindestens aus zwei 
übrigens auf den ersten Blick wohl von einander zu unterscheidenden 
Fasersystemen. Eigentliches Gehörzentrum wird das Tuberculum 
acusticum sein. Ueber das gefundene zweite Zentrum werde ich 
anderswo berichten, will aber schon hier die Beobachtung bestätigen, 
wonach der großzellige, sogenannte Deiters’sche Kern zu dem Acusti- 
cus in gar keiner direkten Beziehung steht. Das Präparat, und zwar 
das ganze Gehirn, ist seit Jahren geschnitten, aber mit Karmin ge- 
färbt. Ich gebe zu, dass diese Färbung keine so genaue Untersuchung 


1) So viel auch schon bekannt ist von den Faserlagern im vordern Hügel, 
so hat man doch noch nicht gelernt, diese letztern genau und bestimmt ab- 
zugrenzen. 


| 


294 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirmrinde. 


gestattet wie die Weigert’sche inbezug auf die Fasern und die 
Nissl’sche inbezug auf die Zellen, aber wie oft und wie anhaltend 
ich die Hirnrinde in demselben durchgemacht habe, auch bei ihr ist 
es mir nieht gelungen, an irgend einer Stelle eine Atrophie aufzufinden. 

Leichter ist der Angriff auf den Quintus. Für uns von Bedeutung 
ist zunächst die sensible Portion, einschalten will ich übrigens, 
dass die absteigende Wurzel ausschließlich zur motorischen sich be- 
gibt. Nach Durchschneidung der aufsteigenden Wurzel atrophiert das 
bezügliche Zentrum; ich glaube auch die Bahn aufgefunden zu haben, 
die von diesem Zentrum zur Hirnrinde geht, sich mit der der andern 
Seite kreuzt, sich noch eine Strecke weit durch die Haube verfolgen 
lässt, dann aber sich ausfasernd dem Auge verloren geht. Der Quintus 
des Kaninchens ist ein mächtiger Nerv, aber auch bei seiner Atrophie 
war die Untersuchung der Hirnrinde resultatlos. Untersucht konnten 
bis jetzt nur mit Karmin gefärbte Schnitte werden. 

Die andern sensibeln Nerven — die Atrophien der meisten waren 
Gegenstand der Untersuchung — übergehe ich, um mich dafür etwas 
länger beim Nervus olfactorius aufzuhalten, der für die vorliegende 
Frage in mehrfacher Beziehung der wichtigste Nerv von allen ist. 
Ich werde an einem andern Orte nachweisen, nicht bloß behaupten, 
dass das Zentrum des Olfactorius die Glomerulischicht ist und alle 
andern Teile des Bulbus olfactorius Bestandteile der Großhirnhemi- 
sphären sind. Der Tractus olfactorius ist im Sinne Meynert’s Pro- 
jektionsbündel, der sogenannte Olfaetoriusanteil der vordern Kommissur 
ausschließlich Kommissur der Lobi olfaetorii. Die große Bedeutung 
des Nerv. olfact. für unsere Frage ist die, dass die Verbindung seines 
Zentrums mit der Hirnrinde im Traetus olfaetorius klar vor Augen 
liegt. Es genügt beim neugebornen Kaninchen ein Nasenloch zu ex- 
zidieren und die Wundränder durch einige Suturen zur Verwachsung 
zu bringen, um eine allerdings sehr mäßige Atrophie der Glomeruli- 
schieht und des Traetus zuwege zu bringen. Man kann zwar, doch 
muss man hierzu etwas ältere (5—6 Wochen alte) Tiere nehmen, nach 
Entfernung eines Nasenbeines mit einem scharfen Löffel (selbstver- 
ständlich in der Narkose) den Geruchsnerv zugleich mit der Schleim- 
haut abkratzen; aber die Operation ist eine widerwärtige und rohe, 
und vorzuziehen ist es, den Bulbus olfactorius, der beim neugebornen 
Tierchen durch das Schädelehen durchscheint, nach Aufklappen dieses 
mit dem Löffel ganz herauszunehmen, oder, was noch leichter und 
besser ist (besser, weil dadurch den Verschiebungen vorgebeugt wird), 
ihn intrakraniell mit einem feinen Messerchen abzutrennen. Es 
wird zwar in dieser Weise die Spitze des Lobus olfactorius mit fort- 
genommen, aber die Reinheit des Experimentes verhältnismäßig nur 
sehr wenig getrübt. Untersucht man nach der intrakraniellen Ab- 
trennung das erwachsene Tier, so findet man eine lineare Narbe von 
Bindegewebe zartester Art — Wiedervereinigung der nervösen Ele- 





Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 295 


mente kommt nicht vor, was für das ganze Gehirn nach Trennung 
seiner einzelnen Teile gilt — der Traetus ist verschwunden und der 
Lobus olfactorius, makroskopisch verglichen mit dem der andern 
Seite, scheint nicht im mindesten gelitten zu haben. Die mikrosko- 
pische Untersuchung ergibt für die Rinde des Lobus folgendes: drei 
mit Karmin gefärbte Schnittreihen lagen vor. Bei der einen scheinen 
allerdings die Zellen der Rinde etwas weniger zahlreich und auch 
ein klein wenig kleiner zu sein, da aber dieses bei den andern nicht 
der Fall ist, wenigstens nicht in erkenntlicher Weise, so ist mir der 
Gedanke aufgestiegen, ob nicht in dem ersten Falle doch vielleicht 
eine, wenn auch sonst seltene, Meningitis eine Rolle gespielt hat. 
Wenigstens möglich wäre es. Früher war ich der Ansicht, die Inner- 
vation des seines Nerven beraubten Lobus würde durch die vordere 
Kommissur vermittelt !), wie könnte sich sonst, dachte ich, der Lobus 
so intakt verhalten, nachdem doch aus der vergleichenden Anatomie 
feststeht, dass die Entwicklung des Lobus proportional der Mächtig- 
keit der Nerven gefunden wird; aber diese Ansicht musste fallen ge- 
lassen werden, nachdem es mir gelungen war, beide Bulbi olfactoriüi 
beim ganz jungen Tierchen abzutrennen. Man braucht mit der Ope- 
ration nur zu waıten, bis die Tierchen 7—8 Tage alt sind. Bis dahin 
hat sich der Nervus trigeminus so weit entwickelt, dass der Olfac- 
torius zum Sauggeschäfte nicht mehr absolut nötig ist, und die Ka- 
ninchen, die früher operiert, verhungert wären, überwinden den Ein- 
griff, der als Verletzung an und für sich ganz ungefährlich ist. 
Thatsache ist, dass nach Abtrennung beider Bulbi bei gänzlicher 
Atrophie der Traetus beide Lobi sich anscheinend ganz normal ent- 
wickeln und auch bei der mikroskopischen Untersuchung keine Atrophie 
der Zellen ihrer Rinde auffinden lassen. In der Proportionalität der 
Größenentwicklung des Nervus, Bulbus und Lobus olfactorius einer- 
seits und anderseits in der Erhaltung und normalen oder doch we- 
nigstens nahezu normalen Entwicklung des Lobus auch nach Ab- 
trennung des Bulbus und Atrophie des Tractus liegt meine ganze 
Anschauungsweise der Lokalisation der Hirnfunktionen eingeschlossen. 

Was von den Empfindungsnerven gilt, gilt auch von den motori- 
schen Nerven. Man kann beim neugebornen Tiere die Augenbewegungs- 
nerven, bei einem andern den Facialis oder den Hypoglossus, man 
kann mit dem Plexus brachialis, dem Ischiadieus fast alle bezw. die 
meisten motorischen Nerven des Vorder- oder Hinterbeines fortnehmen, 
niemals findet sich beim erwachsenen Tiere in der Hinrinde ein um- 
schriebener Defekt. Nimmt man aber neugebornen Kaninchen beide 
Augen fort, exstirpiert die Ohrgänge und schließt bie Haut darüber, 
so dass auch von dieser Seite her die Anregung wenigstens in hohem 
Grade erschwert ist, sperrt die Tiere, wenn sie nicht mehr saugen, 





1) Archiv f. Psychiatrie, II, S. 707. 


296 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 


in einen kleinen Käfig, jedes für sich, und lässt sie in Kaspar Hauser’- 
scher Weise groß werden, so findet sich zwar bei der Sektion das 
Geruchsorgan stärker entwickelt (vorzugsweise deutlich das primäre 
Olfactoriuszentrum am Bulbus), das übrige große Gehirn scheint aber 
in seiner Gesamtheit in der Ausbildung zurückgeblieben zu sein, 
was sich dann auch durch die stärkere Entwicklung der ganzen 
Knochendecke kundzugeben pflegt !). Auch bei neugebornen Hunden 
und Katzen wurden Augen fortgenommen, eins oder beide, aber diese 
Tiere sind wenigstens für die einseitige Fortnahme wegen der Mäch- 
tigkeit ihrer ungekreuzten Optieusbündel zu Opticusexperimenten in 
der Richtung der Erforschung der Großhirnrinde viel weniger brauch- 
bar als die Kaninchen; außerdem kann ich auch für sie nur wieder- 
holen, was ich schon früher?) angegeben habe, dass sich bei ihnen 
ebenfalls kein Unterschied in den Hirnwindungen, und zwar, was ich 
jetzt, nachdem ich eine viel größere Erfahrung besitze, einschränkend 
hinzufüge, der hintern Regionen entdecken lässt, dass aber die Ver- 
schmälerung der vordern Partien des Gehirns in frontaler und die 
Verkürzung in sagittaler Richtung zugleich mit Vergrößerung ihres 
Höhendurchmessers, je nachdem auf einer oder beiden Seiten, wie 
sie mehr oder weniger deutlich wohl in allen Fällen nachzuweisen 
sein wird, lediglich wieder ein Verschiebungsresultat und zwar infolge 
des Zusammenrückens der Orbita ist. 

Ich gehe zu den zentralen Experimenten am neugebornen Tiere 
über und zwar zunächst wieder zu denen am Kaninchen. 

Nach Aufklappung der einen Seite des Schädeldaches um die 
Sagittal- und Stirnnaht wird eine ganze Hemisphäre mit Einschluss 
des Gorpus striatum entfernt, wobei man sich vor der nahe liegenden 
Verletzung des Traetus optieus zu hüten hat. Die so operierten 
Tierchen entwickeln sich ganz normal in der äußern Erscheinung, 
sehen, hören, fühlen und bewegen sich, wie nichtoperierte, und nicht 
der geringste Unterschied zeigt sich zwischen den beiden Seiten. 
Ueber das Sehen und Hören gibt die Ohrenstellung zuverlässigen Auf- 
schluss; die Prüfung des Gefühls wie die Beurteilung der Bewegung 
machen ebenso wenig Schwierigkeiten. Etwas mißlicher steht es mit 
der anatomischen Untersuchung. Unaufgeklärt bleibt die anatomische 
Grundlage für die Beherrschung des ganzen Hirnstammes nur von 
einer Hemisphäre aus, und ebenso wenig wie nach Fortnahme eines 
Sehnerven bin ich nach Fortnahme einer Großhirnhemisphäre im 
stande gewesen, die Verbindungsfasern zwischen Sehzentrum im vor- 
dern Hügel und der Hirnrinde klar zu stellen. Man sieht zwar, und 





4) Vergl. meine Experimentaluntersuchungen u. s. w. im Archiv für Psy- 
chiatrie, II, S. 710, und meine Arbeit über das Schädelwachstum, München 1874, 
Sala, 32, 

2) Archiv für Psychiatrie, II, S. 715. 





Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 297 


das vorzugsweise in dem obern Faserlager des vordern Hügels, eine 
Verminderung der Zahl der Nervenfaserquerschnitte, aber dieser Aus- 
fall von Fasern hat keine Beziehung zum Sehzentrum, denn mit ihm 
geht ein ganz anderes Zentrum im obern Hügel, die zweite graue 
Schicht der grauen Kappe zugrunde Ich komme auf diese Ver- 
hältnisse anderswo ausführlich zurück, für die vorliegende Frage ist 
aber ein anderer Befund von fundamentaler Bedeutung und dieser 
ist: dass das Sehzentrum selbst (die oberste graue Schicht) nicht die 
geringste Veränderung erkennen lässt!), und dass Tractus und Nervi 
optiei auf beiden Seiten gleich sind. 

Hier ist der Ort, eine Kontroverse zur Sprache zu bringen, die 
sich zwischen meinem Freunde und frühern Mitarbeiter Herrn Dr. 
Ganser und mir entsponnen hat. — In v. Gräfe’s Archiv für Oph- 
thalmologie, XXI, S. 201—203 hatte ich das Gehirn eines Hundes 
beschrieben, dem ich wenige Tage nach der Geburt einen großen 
Teil des linksseitigen Scheitel- und Hinterhauptshirnes abgetragen 
hatte. Bei der Sektion des erwachsenen Tieres fand sich eine nicht 
unbeträchtliche Atrophie des gleichseitigen Tractus optieus vor, wozu 
ich bemerkte, dass sie wohl zweifellos eine Druckatrophie (infolge 
eines Exsudatdruckes auf die primären Zentren) sei und nicht in 
direkten Zusammenhang mit der Abtragung der Großhirnwindungen 
gebracht werden dürfe. Ganser erkennt zwar die Richtigkeit meiner 
Angaben beim Kaninchen an und fährt dann fort?): „Ueberdies hat 
v. Gudden erst kürzlich diese Frage einer gründlichen Revision 
unterzogen. Die Nervi optiei einer kleinen 3?) Reihe von 6 Kaninchen, 
welche alle ganz jung operiert, einer Hemisphäre beraubt waren, 
wurden möglichst exakt quergeschnitten, mittels der Camera obscura 
bei 23facher Vergrößerung gezeichnet und je zwei zusammengehörige 
mit einander verglichen. Wir haben uns dabei überzeugt, dass diese 
ganze Prozedur von Fehlerquellen keineswegs frei ist; die letztern 
haben wir möglichst zu vermeiden gesucht und gefunden, dass beim 
Kaninchen eine nachweisbare Atrophie des Nervus optieus infolge von 
Hemisphärenexstirpation nicht eintritt. Das Kaninchen bietet für die 
Untersuchung am Nerv insofern ein besonders günstiges Objekt, als 
das ungekreuzte Bündel außerordentlich schwach ist“. So weit Ganser, 
ich bemerke inbezug auf die hervorgehobenen Fehlerquellen, dass sie 
vorzugsweise in der Krümmung des der operierten Seite angehörenden 
Nerven liegen und dadurch am zuverlässigsten vermieden werden, 
dass man beim Einbetten hierauf Rücksicht nimmt und dann noch 
aus den möglichst quergeschnittenen Scheibehen die kleinsten heraus- 





1) Obgleich die Verbindungsfasern zur Großhirnhemisphäre fehlen müssen, 
welcher Defekt aber im Fasernfilz des Hämatoxylinpräparates nicht zutage tritt. 

2) Archiv für Psychiatrie, XII, S. 373. 

3) Für den Zweck aber doch wohl groß genug. 


298 Jordan, Honigbehälter und Befruchtungswerkzeuge in den Blumen. 


sucht. Nun ist aber Ganser der Meinung, dass, wenn überhaupt 
eine reine Atrophie des Nervus opticus (oder sagen wir lieber des 
Traetus optieus) nach Eingriffen in eine Gehirnhemisphäre eintrete 
(und er ist zu dieser Annahme geneigt), diese nur an hochstehenden 
Tieren nachgewiesen werden könne. In der That hat Ganser an 
den von ihm operierten 2 Katzen im wesentlichen denselben Befund 
konstatiert (l. ce. 372), wie ich an meinem Hunde. Ich kann noch 
hinzufügen, dass auch mein Freund und Kollege, Herr Direktor 
Bumm, die Freundlichkeit hatte, mir 4 von ihm in derselben Weise 
behandelte Katzengehirne vorzulegen, die alle einen mehr oder we- 
niger atrophierten Tractus zeigen, und dass auch er zu der Ansicht 
sich hinneigt, diese Atrophie sei eine direkte Folge des Angriffes 
auf die Hemisphäre. Mir ist bei den angeführten 6 Katzengehirnen 
zunächst aufgefallen, dass der Grad der Atrophie in keinem bestimm- 
ten Verhältnisse zum Ort und zu dem Umfange der Verletzung stand, 
was doch hätte der Fall sein müssen, wenn die sogenannte Sehsphäre 
sich auf die von Munk umschriebene Region beschränkte; aber wenn 
mir noch so viele derartige Präparate vorgelegt worden wären, sie 
hätten mich nicht irr gemacht, und ich wiederhole, was ich von An- 
fang an entgegnet habe und was auch Ganser (l. ce. S. 375) als 
richtig anerkennt, dass ein einziger Fall mit negativem Befunde 
(also mit einem nicht atrophischen Traktus) die Frage in meinem 
Sinne auch für die höhern Säuger entscheidet. 
(Schluss folgt.) 





Karl Friedrich Jordan, Die Stellung der Honigbehälter 
und der Befruchtungswerkzeuge in den Blumen. 
Flora, LXIX, 1886, S. 145—225, 243—252, 259—274. 

Verf. hat, da dies bisher zusammenfassend noch nicht von anderer 
Seite gethan worden ist, für eine große Anzahl einheimischer Pflanzen 
das Vorkommen, die verschiedene Ausbildung und die Stellung der 
Honigbehälter und ihre Beziehung zu der Deheszenzrichtung näher 
untersucht und ist dabei zu dem Hauptresultat gelangt, dass sich die 
entsprechenden Verhältnisse einzig und allein bei Berücksichtigung 
der die Bestäubung bewerkstelligenden Tiere unter einen einheitlichen 
Gesichtspunkt bringen und erklären lassen. 

Die wichtigsten Ergebnisse seiner Untersuchungen, die leider hie 
und da zu geringe Literaturkenntnis verraten, fasst der Verfasser in 
folgender Weise zusammen. 

„1) In terminal oder annähernd terminal stehenden Blumen, d. h. 
solchen, zu denen den Insekten der Zutritt von allen Seiten in gleichem 
Maße offensteht, dient die Mitte oder der ganze Rand gleichmäßig 
als Anflugstelle für die Insekten; daher sind diese Blumen meist völlig 
regelmäßig oder doch nicht einseitig zygomorph. 


Ludwig, Keimfähigkeit der Samen einiger Wasserpflanzen. 299 


In Blumen, welche seitlich (an einer Hauptaxe) stehen, bei denen 
also den Insekten auf einer Seite ein leichterer Zutritt geboten wird, 


dient meist die von der Axe weggewendete, bisweilen — bei wag- 
recht stehenden Blumen (Serofularia) — die ihr zugewendete Seite 


des Blumenrandes als Anfliegestelle, und diese Blumen zeigen eine 
sich auf einen, mehrere oder alle Blütenkreise erstreckende Zygo- 
morphie, welche durch Züchtung seitens der Insekten entstanden ist. 
Die Zygomorphie erstreckt sich besonders auch auf die Nektarien. 

2) Die Honigbehälter sind auf derjenigen Seite der Blume ent- 
weder nur vorhanden, oder doch stärker entwickelt, auf welcher sich 
die Anfliegestelle für die Insekten befindet (Ausnahmen Digitalis, 
Calluna, Lilium spec., Papilionaceen). 

3) Die Antheren wenden die Oeffnungsseite der Auflugseite der 
Insekten zu, daher im ganzen auch den Nektarien. 

4) Wenn in regelmäßigen Blumen die Staubgefäße ohne Biegungen 
verlaufen und ebenso wenig Drehungen oder Kippungen erfahren, so 
finden sich bei introrsen Staubgefäßen die Honigbehälter innerhalb, 
bei extrorsen außerhalb ihres Kreises vor; bei teilweise introrser, teil- 
weise extrorser Beschaffenheit der Staubgefäße befinden sich die Honig- 
behälter zwischen dem Kreise der introrsen und dem der extrorsen 
Staubgefäße, Staubgefäße mit seitlich sitzenden Beuteln verhalten sich 
wie introrse, wenn die Honigbehälter sich innen befinden und der 
Insektenbesuch von außen erfolgt, wie extrorse im umgekehrten Fall. 

5) Wie die zygomorphen Blumen aus regelmäßigen durch Züch- 
tung seitens der Insekten hervorgegangen sind, so sind bei vielen 
Blumen die Streekungen und sonstigen Bewegungen der Staubgefäße 
und Griffel als für die Bestäubung zweckmäßige Einrichtungen ent- 
standen. Die Stellung der Befruchtungswerkzeuge vor der Verstäu- 
bungszeit lässt bei solchen Blumen frühere Stufen gleichfalls zweck- 
mäßiger Ausbildung erkennen. 

6) Die Insekten bestäuben sich meist nicht beim Anfliegen, son- 
dern bei dem Aufenthalt in der Blume und beim Zurückfliegen aus 
derselben. Eine Ausnahme machen zuweilen größere, wagrecht aus- 
gebreitete Blumengesellschaften (Umbelliferen). Die Narbe wird meist 
beim Anfliegen befruchtet. 

7) Mehr Staubgefäße als Karpelle und Narben finden sich deshalb, 
weil zur Befruchtung dieser nur ein Korn des Blütenstaubes erforder- 
lich ist (?!), aber vom Insekt eine hinreichende Merge Staub fest- 
gehalten werden muss“. F. Ludwig (Greiz). 


Ueber durch Austrocknen bedingte Keimfähigkeit der Samen 
einiger Wasserpflanzen. 
Von Prof. Dr. F. Ludwig. 


Bei einer Reihe brasilianischer — wohl auch andern Ländern 
angehöriger Wasserpflanzen schienen die Samen einer frühern Mit- 





300 Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands. 


teilung von Fritz Müller zufolge nicht zu keimen, wenn sie 
nicht zuvor austrocknen, so bei Eichhornia und Heteranthera. Dies 
ist, wie ich neuerdings zusammen mit genanntem Biologen konstatiert 
habe, auch der Fall bei einer niedlichen kleinen Wasserpflanze, der 
Mayaca fluviatilis. Am 7. Februar dieses Jahres sandte Fritz 
Müller frisch geerntete Samen dieser Pflanze an mich ab und säte 
gleichzeitig von dem gleichen Samen ins Wasser. Am 23. März kam 
die Sendung bei mir an, nachdem also die Samen etwa 6 Wochen 
lang in ausgetrocknetem Zustande unterwegs gewesen waren. Am 
24. März und in den folgenden Tagen bereits keimten die Samen der 
Mehrzahl nach, während sie bei den nicht ausgetrockneten Exem- 
plaren von Fritz Müller nach einer Mitteilung vom 8. Mai, also 
nach einem Vierteljahr, noch keine Anstalt dazu machten. — Eine 
ähnliche durch Austrocknen bedingte Keimfähigkeit erwähnt 
übrigens bereits Alexander Braun bei der Alge Chlamydococcus 
plwvialis (Alex. Braun, Betrachtungen über die Erscheinung der 
Verjüngung in der Natur. Leipzig 1851, S. 225). Bei ihren Sporen 
ist eine wenigstens eintägige Eintroeknung vonnöten, wenn ein 
neuer Generationscyklus beginnen, die Zelle „ihre Verjüngungs- 
fähigkeit zurückerhalten soll.“ — Bei Pistia scheint es — nach Fritz 
Müller — wenigstens nötig zu sein, dass die Samen an die Wasser- 
oberfläche, also mit der Luft in Berührung kommen, wenn sie keimen 
sollen (sie reifen und bleiben oft zwischen den ältern Blättern und 
Wurzeln, wo sie nie keimen). 


M. Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands. Ein 
Beitrag zur Anatomie, Systematik und geographischen Ver- 
breitung dieser Tiere. 

Mit 4 Tafeln. Verlag der Dorpater Naturforscher-Gesellschaft. Dorpat 1885. 
Besprochen von Dr. Otto Zacharias in Hirschberg i/Schl. 


Die in dieser Abhandlung publizierten Forschungsergebnisse liefern 
uns den Beweis, dass mit Gründlichkeit und Umsicht ausgeführte Ex- 
kursionen, auch wenn sie sich nur auf ein kleines Gebiet erstrecken, 
dennoch ertragsreich sein können. Prof. Braun hat in den jüngst- 
verflossenen Jahren faunistische Ausflüge in die nächste Umgebung 
von Dorpat gemacht und ist so glücklich gewesen, die bisher für 
Europa bekannte Artenzahl von Süßwasser-Rhabdocöliden um 20 neue 
Species zu vermehren. Dieselben verteilen sich auf die verschiedenen 
Gattungen wie folgt: 

Macrostoma . 
Stenostoma 
Prorhynchus 
Mesostoma 


Sp r 








- Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands, 301 
Bothromesostoma . . .». . 53 
(Dostnadanaln Kine AND 
Boten 
Derostoma: Ama] Aa 
Summa: 20 


Die bisherige Artenzahl derselben Würmergruppe betrug für 
Livland 24. Es sind somit gegenwärtig 44 Species aus dieser Gegend 
des russischen Reichs bekannt, was so viel heißt, als dass von den 
überhaupt konstatierten 80 europäischen Arten hier mehr als die 
Hälfte vorkommt. Uebrigens kennen wir aus Russland nur noch 
die Umgebung von Moskau und Petersburg inbezug auf Turbellarien, 
so dass die Hoffnung besteht, es könne die Artenzahl derselben im 
Laufe der Zeit noch ganz erheblich sich steigern. Zunächst sieht man 
sich aber durch die mangelhaften Kommunikationsmittel bei Vornahme 
von größern Exkursionen mannigfach beschränkt, was im Hinblick 
auf wissenschaftliche Forschungen von Prof. Braun mit Recht sehr 
beklagt wird. 

Was die Art des Einfangens der Süßwasser-Rhabdocöliden betrifft, 
so verfährt Braun dabei genau so, wie ich es S. 267 und 268 meines 
kleinen Lehrbuchs der Mikroskopie!) angegeben und auf meinen Ex- 
kursionen im Riesengebirge selbst praktiziert habe: nämlich in der 
Weise, dass er die betreffenden Tümpel oder Bäche durchfischt, Pflanzen 
abstreift, vom Boden eine kleinere Quantität heraufholt und nun das 
Ganze in flachen Schalen — mit Wasser von denselben Lokalitäten 
übergossen — zur Ruhe stellt. Nach 3—4 Stunden bemerkt man dann 
die Rhabdoeöliden entweder im Wasser schwebend, oder an der Grenz- 
schicht von Wasser und Luft sich bewegend, bezw. am Boden und 
im Detritus umherkriechend. Mit Hilfe eines Spatels bringt man sie 
von hier aus in besondere Glasdosen oder Uhrschälehen, worin sie 
sich, wenn dem Wasser einige Algen zugesetzt werden, lange auf- 
heben lassen. Dergleichen lebendes Material muss man sich immer 
behufs genauer Untersuchung des Geschlechtsapparats vorrätig halten; 
es ist unmöglich, durch bloße Sehnittserien über dieses Organsystem 
ins reine zu kommen. Ich werde dies im Nachstehenden an einem 
Beispiele zeigen. 

Ueber die von Prof. Braun angewandten Methoden der Konser- 
vierung möge man das Nähere auf S. 8—10 der vorliegenden Ab- 
handlung nachlesen. Wie in vielen andern Fällen, so wurde auch 
hinsichtlich der Rhabdoeöliden Lang’s Flüssigkeit sehr probat ge- 
fungen, während sich Chromsäure und Pikrinschwefelsäure wenig be- 
währten. 





4) Das Mikroskop und die wissenschaftl. Methoden der mikroskop. Unter- 
suchung, IV. Auflage, Leipzig 1384. 





302 Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands. 


Ich komme nun auf einige der Braun ’schen Funde etwas spezieller 
zu sprechen, und gedenke zunächst eines neuentdeckten Prorhynchus 
(eurvistylus) aus der unmittelbaren Umgebung von Dorpat, wo unser 
Autor schon im Jahre 1881 den nicht minder interessanten Pr. balti- 
cus Kenn., aber leider nur in einem einzigen Exemplare, fischte. 
Prorhynchus curvistylus ist ein Tierchen von etwa 3 mm Länge und 
gelblicher Farbe. Das mit 2 Augenpunkten versehene Kopfende 
ist vorn abgestutzt, die Mundöffnung liegt zentral und führt in einen 
kegelförmigen Pharynx, der in seinem mittlern Teile durch auf- 
fallend starke Ringmuskeln sich auszeichnet. Der Darm zeigt seichte, 
aber sehr unregelmäßig angeordnete Ausbuchtungen; im Epithel des- 
selben heben sich gewisse hochrot gefärbte Zellen vor den andern 
hervor. Hierin ist ein Unterscheidungsmerkmal gegen Pr. stagnalis 
gegeben, bei dem nichts Derartiges zu finden ist. Der unter dem 
Pharynx befindliche Penishaken ist sehr klein und rechtwinklig ge- 
bogen. Dies und noch manches Andere erinnert an De Man’s Geocentro- 
phora sphyrocephala, welche v. Graff ebenfalls zu den Prorhynchiden 
gestellt hat. Ein llammerartig verbreitertes Vorderende besitzt aber 
die Braun’sche Form nicht. Einen Prorhynchus, welcher diesen 
letztern Charakter trägt, habe ich selbst bei Gelegenheit meiner vor- 
jährigen (zweiten) Exkursion im kleinen Koppenteich des Riesen- 
gebirges zwischen Büscheln von Fontinalis sguamosa aufgefunden und 
kürzlich eingehend beschrieben !). Zu Ehren Geheimrat Leuckart’s, 
dem ich vielfache Förderung in meinen wissenschaftlichen Bestre- 
bungen verdanke, nannte ich die neue Species Pr. Leuckarti. Die- 
selbe scheint als eine verbindende Form zwischen dem Prorhynchus 
curvistylus Braun und der Geocentrophora de Man’s betrachtet wer- 
den zu können, denn sie bekundet eine deutliche Verwandtschaft nach 
beiden Seiten hin. Eine Verstärkung der Ringmuskulatur ist bei 
Pr. Leuckarti ebenso wie bei der neuen Species Braun’s im mittlern 
Teile des Pharynx zu beobachten, wogegen sie bei Pr. sphyrocephalus 
in den hintern zwei Drittteilen desselben Organs auftritt. Inbezug 
auf die hammerförmige Verbreiterung des Kopfendes steht der Pro- 
rhynchus des kleinen Koppenteichs (vgl. die von mir in der zitierten 
Arbeit gegebene Abbildung) entschieden der @Geocentrophora nahe, 
während er hinsichtlich des sehr einfach gebauten Penisstiletts wieder 
an die Braun’sche Form erinnert. In der Art der Fortbewegung 
hingegen ähnelt Pr. Leuckarti mehr der landbewohnenden Geocentro- 
phora, insofern er nicht schwimmend, sondern an Wasserpflanzen 
herumkriechend angetroffen wurde. Auch im Uhrschälchen sah ich 
das Tierchen stets auf dem Boden sieh hin- und herbewegen, niemals 
im Wasser schwebend und schwimmend. Nach alledem kennen wir 





4) Ergebnisse einer zoologischen Exkursion in das Glatzer-, Iser- und 
Riesengebirge. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 43. Bd., 1886, S. 263—266. 








Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands. 303 


also jetzt 5 distinkte Arten von Prorhynchus, die de Man’sche Land- 
species mit eingerechnet. 

Die von Braun neuentdeckten 7 Mesostomiden sind unter 
folgenden Namen dem System eingereiht worden: M. chromobactrum, 
M. platycephalum, M. rhynchotum, M. punctatum, M. nigrirostrum, M. 
raugeense und M. lanceola. Auf eine nähere Charakteristik der Species 
können wir an dieser Stelle nicht eingehen. 

Die neu aufgefundenen Vertreter des n. g. Brothromesostoma erhiel- 
ten folgende Namen: B. Essenii, B. marginatum und B. lineatunm. 

Hierzu kommen noch von Costrada: C. acuta, ©. Hofmanni, ©. 
chlorea, C. granea und ©. pellueida. 

Von Vortieciden fand sich nur eine einzige neue Species, V. peni- 
cillus; vom Genus Derostoma ebenfalls nur eine: D. balticum. 

Ein besonders biologisches und tiergeographisches Interesse knüpft 
sich noch an die von Prof. Braun eruierte Thatsache, dass Plagio- 
stoma Lemani Dupl. (Graff), jene zur Tribus der Alloiocölen gehörige 
Rhabdoeölide aus dem Genfer See, auch in den Gräben der Embaech- 
niederung und in der Tiefe des Peipus-Sees zu finden ist. Ebenso 
interessant ist es zu vernehmen, dass der von mir in den beiden 
Koppenteichen (Sommer 1884) aufgefundene Süßwasser-Monotus (Mo- 
notus reliectus mihi) von Braun auch im Peipus-See nachgewiesen, 
und durch wechselseitigen Austausch von konserviertem Material aufs 
genaueste identifiziert worden ist. Ueber die Richtigkeit der Species- 
bestimmung kann somit kein Zweifel obwalten. Herrn Prof. Braun 
gebührt das Verdienst, die in Rede stehende Form inbezug auf die 
Lage der beiden Geschlechtsöffnungen eingehender untersucht und 
gefunden zu haben, dass bei derselben der männliche Genitalporus 
vor dem weiblichen liegt, und dass wir somit die fragliche Alloiocöle 
in das v. Graff’sche Genus Automolos zu stellen haben. Dazu 
stimmt auch die Form des Penis, wie ich sie in Fig. 5 auf Taf. XXVI 
im 41. Bande der Zeitschr. f. wiss. Zoologie 1885 abgebildet habe, 
denn nach Einsendung dieser Zeichnung an Prof. Olaf Jensen (da- 
mals noch in Bergen) schrieb mir dieser erfahrne Turbellarienforscher 
wörtlich: „Wenn ich nur den Penis in betracht ziehen wollte, so 
müsste ich unbedingt diese neue Form für eine Automolos-Species er- 
klären“. Ich kann somit auch nicht zugeben, dass Braun 8. 109 
seiner Abhandlung recht hat, wenn er sagt: „Nach der Abbildung, 
welche Z. von dem Penis gibt, musste ich die Art von der hiesigen 
verschieden halten“. Prof. Braun hat allem Anschein nach das 
männliche Kopulationsorgan lediglich mit Hilfe von Schnittserien unter- 
sucht und dasselbe niemals am lebenden Objekt sieh zur Ansicht ge- 
bracht. Infolge dessen ist ihm auch die flaschenförmige und mit 
Stacheln besetzte Chitinbildung, mit welchen der Duetus ejaculatorius 
an der Spitze des Peniszapfens ausmündet, entgangen. Dieselbe 
präsentiert sich in seinen Querschnitten (vgl. Tafel I Fig. 15 D, E 








304 Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation. 


und F) nur als ein kleiner, mit Pünktchen umsäumter Kreis. Die 
Pünktchen sind aber die parallel mit ihrer Längsaxe getroffenen feinen 
Stacheln, welche den Halsteil des flaschenförmigen Penisrohrs in 5 
bis 6 aufeinanderfolgenden Reihen umstehen. Am konservierten Ob- 
jekt sind diese Verhältnisse freilich gar nicht zu erkennen, und es 
empfiehlt sich daher, zum genauen Studium des Geschlechtsapparats 
die an Schnittserien erhaltenen Befunde unbedingt noch am lebendigen 
Objekt, bezw. an Quetschpräparaten zu studieren. Diese Kontrole ist 
notwendig, wenn man nicht in Irrtum verfallen will. Was man am 
ersten Exemplar nicht bemerkt, sieht man am zweiten, dritten oder 
vierten; es kann aber auch vorkommen, dass 30—40 Objekte ihr Leben 
lassen müssen, ehe eine genaue Zeichnung vom Geschlechtsapparat 
zu stande gebracht werden kann. 

Dagegen leisten gute Schnitte zur Klarstellung anderer Punkte 
vortreffliches. So hielt ieh früher die lückenartigen Räume dicht 
unter dem Hautmuskelschlauch auf dem Rücken und in der Seiten- 
gegend der letzterwähnten Alloiocöle für Hohlräume im Parenchym. 
An Braun’s besser gelungenen Querschnitten sehe ich aber, dass es 
Hautdrüsen sind, die durch einen feinen Ausführungsgang sich 
öffnen. Dies ist nur ein Beispiel für viele. 

Die vorstehenden kleinen Ausstellungen wollen aber im Hinblick 
auf Braun’s musterhafte Gesamtarbeit, durch welche unsere syste- 
matische und anatomische Kenntnis der rhabdocölen Turbellarien 
wesentlich gefördert wird, wenig besagen. Das Buch bildet gleichsam 
einen Nachtrag zu der v. Graff’schen großen Monographie. 


Ph. Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation. 
Erste Mitteilung: Atmung bei Erregung des Halsvagus durch seinen eignen 
Strom. Zweite Mitteilung: Atmung bei künstlicher Erregung des Hals- 
vagus. Dritte Mitteilung: Ueber Apnoe. Vierte Mitteilung: Atmung bei 
Erregung der Vaguszweige. Fünfte Mitteilung: Atmung bei Erregung 
sensibler Nerven. Sechste Mitteilung: Zur Lehre vom Einfluss des zen- 
tralen Nervensystemes auf die Atmung. 
Sitzungsberichte der k. Akademie in Wien. III. Abteilung, Bd. 85, 86 [zwei 
Mitteilungen], 88, 92 [zwei Mitteilungen] '). 

Referent, der in den ersten der oben angeführten Abhandlungen, 
über welche bereits Biedermann im zweiten Bande dieser Zeit- 
schrift auf Seite 563 berichtete, den Nachweis erbracht hat, dass die 
Erregung des Halsvagus durch seinen eignen Strom exspiratorische 
Wirkungen bedingt, zeigt in der zweiten Abhandlung, dass die Inter- 





4) Die Versuche wurden vorwaltend an Kaninchen durchgeführt. Wo 
nichts Abweichendes bemerkt ist, sind die Angaben des Referates daher auf 
dieses 'Tier zu beziehen. 





Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation. 305 


ferenz dieses Stromes mit dem künstlichen Strom eine der Ursachen 
für den so viel diskutierten wechselnden Erfolg der Reizung dieses 
Nerven mit schwachen Induktionsströmen ist. Am auffallendsten 
war dies in der Regel in der Querschnittsgegend, wo die Differenz 
in der Wirkung verschieden gerichteter Ströme zuweilen einer durch 
Rollenverschiebung um 5—8 cm bedingten Stromdifferenz entsprach; 
aber auch an 2—3 em vom Querschnitt entfernt liegenden Teilen 
machte sich dieser Umstand noch geltend. Da bei vorsichtig ab- 
gestufter Reizung der Nerven mit dem Induktionsstrome mit den 
schwächsten Strömen (25—40 cm Rollenabstand) in der Mehrzahl der 
Fälle exspiratorische Wirkungen, bei Verstärkung des Stromes aber 
inspiratorische Wirkungen zu erzielen sind, so bietet die Interferenz 
des Eigenstromes mit dem Induktionsstrome Anhaltspunkte für die Er- 
klärung mancher scheinbar paradoxer Wirkungen der Induktions- 
reizung des Halsvagus. 

Die Reizung mit dem Induktionsstrom lässt oft noch eine deut- 
liche Nachwirkung zurück, und aus der Erschlaffung vorher thätiger 
respiratorischer Hilfsmuskeln während derselben, aus der Abschwächung 
oder gänzlichen Vernichtung anderer Reflexe auf die Atmung und der 
respiratorischen Wirkungslosigkeit der Hirnanämie während eines 
durch jene Reizung erzeugten inspiratorischen Stillstandes wird eine 
Herabsetzung der Erregbarkeit des Atemzentrums durch die Reizung 
erschlossen. 

Die während der Bewegung des Halsvagus häufig auftretenden 
Schluckbewegungen führen in der Regel zu einer jähen Einatmungs- 
bewegung, die sich auch beim Menschen bei Beginn des Schlingaktes 
graphisch nachweisen lässt. 

Den wechselnden, bald in- bald exspiratorischen Wirkungen der 
Reizung des Halsvagus mit dem Induktionsstrome gegenüber, ergab 
die in verschiedenster Weise durchgeführte mechanische Reizung des 
Halsvagus primär stets inspiratorische, die Reizung desselben mit 
Kettenströmen sowie mit verdünnten Lösungen von kohlensaurem 
Natron, Aetznatron und salpetersaurem Kali stets exspiratorische 
Wirkungen. Die Einwirkung indifferenter von + 1'/, bis 60° C. tem- 
perierten Flüssigkeiten auf den Halsvagus, sowie das Gefrieren des- 
selben hatten keinen Einfluss auf die Atmungsbewegungen. 

Aus der Gesamtheit der Erscheinungen wird erschlossen, dass 
die verschiedene Wirkung verschiedenartiger Reizung des Halsvagus 
durch die differente Stärke der Reize bedingt ist, und dass die schwäch- 
sten Reize im allgemeinen exspiratorisch, die stärkern inspiratorisch 
wirken, wobei zunächst die Frage unentschieden gelassen wird, ob 
dies durch die Vereinigung verschiedener Fasergattungen im Hals- 
vagus verursacht sei. 

Der Umstand, dass die Reizung des Halsvagus zu einer Herab- 


setzung der Erregvarkeit des Atmungszentrums führt und eine Nach- 
y. 20 





306 Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation. 


wirkung zurücklässt, gab Anlass zu einer eingehendern Untersuchung 
der bei Tieren mit intakten Halsvagis nach dem Aussetzen ausgiebiger 
künstlicher Lüftung zu beobachtenden Apnoe, die Rosenthal be- 
kanntlich mit einer Sauerstoffanhäufung im Blute erklärt hat. 

Gad und Franz hatten bereits darauf aufmerksam gemacht, 
dass zu Ende dieser Apnoe das arterielle Blut auffallend dunkel wird, 
und Ref. hat nicht allein diese Beobachtung bestätigt, sondern auch 
den Nachweis erbracht, dass vor dem Eintreten der spontanen Atmung 
ausgesprochen dyspnoische Erscheinungen: Steigerung des Blutdruckes, 
Seltnerwerden des Herzschlages und Darmbewegungen eintreten. Es 
weist dies darauf hin, dass anhaltende künstliche Ventilation eine 
Herabsetzung der Erregbarkeit des Atmungsapparates bedingt, und 
die oft noch lange nach dem Aussetzen der künstlichen Atmung an- 
haltende dunklere Färbung des Carotisblutes, sowie die zeitweilig zu 
beobachtende anhaltende Ausprägung von Traube’schen Wellen 
zeigen an, dass diese Wirkung der künstlichen Atmung keineswegs 
flüchtiger Natur ist. 

Diese Herabsetzung der Erregbarkeit des Atmungsapparates aber 
kann so intensiv sein, dass Verschluss der Hirnarterien nach der 
Methode von Kussmaul und Tenner, der, wie des Genauern dar- 
gelegt wird, sonst sehr ausgeprägte inspiratorische und aktiv exspi- 
ratorische Wirkungen nach sich zieht, während einer solchen Apnoe 
wohl Krämpfe, aber keine Atembewegungen veranlasst. Während 
einer solchen Apnoe kann man durch Reize, welche sonst eine Reihe 
von beschleunigten Inspirationen auf reflektorischem Wege auslösen, 
wohl eine einzelne träge Einatmungsbewegung hervorrufen, und zwar 
um so sicherer, je näher der Wiederbeginn der spontanen Atmung 
bevorsteht, nicht aber Gruppen von Atembewegungen, während, wie 
in der fünften Abhandlung gezeigt wird, schmerzhafte Reize eine Serie 
von (aktiv exspiratorischen) Schreiatmungen und Hustenreize eine Serie 
von Hustenstößen zu bedingen vermögen. 

Im Gegensatz zu Gad, der vorher schon eine Herabsetzung der 
Erregbarkeit des Atemzentrums bei künstlicher Lüftung durch kumu- 
lierte Erregung der Vagi infolge der forcierten Ausdehnungen der 
Lunge angenommen hatte, konnte Ref. eine Unterbrechung der nach 
dem Aussetzen der Ventilation aufgetretenen Apnoe durch Sektion 
beider Halsvagi nicht konstatieren. Dagegen konnte er bei den 
meisten Tieren (bei 20 unter 25) nach Durchschneidung der beiden 
Halsvagi durch die künstliche Lüftung keine dieselbe überdauernde 
volle Atemruhe mehr erzielen, sondern nur eine kurz dauernde starke 
Abflachung der Atembewegungen, also eine Art relativer Apnoe!). 





1) Ref. hat sich später davon überzeugt, dass auch bei solchen Tieren 
eine absolute Apnoe erzielt werden kann, wenn man bei denselben durch 
Morphium oder Chloral die Erregbarkeit des Atemzentrums herabgesetzt hat, 
was einen Anhaltspunkt für die Erklärung der oben angegebenen Ausnahme- 
fälle bietet. 








Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation. 307 


Wurde aber bei derartigen Tieren die künstliche Lüftung mit einer 
im Takt der Blasungen erfolgenden rhythmischen Erregung der Hals- 
vagi durch Kettenströme verknüpft, so kam es nach dem Aussetzen 
der Lüftung zu länger dauernder absoluter Apnoe, ein Beweis dafür, 
dass die Vaguserregung eine wesentliche Rolle bei dieser Art der 
Apnoe spielt. Dass der Gasgehalt des Blutes dabei aber nicht ganz 
bedeutungslos ist, wird daraus wahrscheinlich, dass sich durch diese 
mit Einblasungen kombinierte rhythmische Vaguserregung keine Apnoe 
erzielen lässt, wenn trotz künstlicher Lüftung das Blut dyspnoisch 
bleibt. Auch die relative Apnoe bei vagotomierten Tieren dürfte wohl 
auf die durch die künstliche Lüftung bedingte Veränderung des Gas- 
gehaltes des Blutes zu beziehen sein. 

Behufs Lösung der in der zweiten Mitteilung angeregten Frage, 
ob im Halsvagus verschiedene Fasergattungen vereinigt sind, schritt 
Ref. zu einer eingehenden Untersuchung der Wirkungen, welche die 
Erregung der einzelnen Vaguszweige (ausschließlich des Ramus auri- 
cularis) mittels jener Reize nach sich zieht, deren Applikation am Hals- 
vagus die Atmung verschiedenartig beeinflusst, worüber er in der 
vierten Mitteilung berichtet. Mit der Reizung der Nervenzweige selbst 
wurde aber eine Erregung der Endausbreitungen derselben durch 
solche Reize verbunden, welehe mit den natürlichen eine gewisse Aehn- 
lichkeit besitzen, und durch die Verbindung dieser Reizmethode mit 
der Durchschneidung und Erregung der einzelnen Nervenzweige selbst 
dem Verbreitungsgebiet der letztern nachgeforscht. Auf diesem Wege 
wurde ermittelt, dass die bei Reizung der Schleimhaut des Pharynx 
und Gaumensegels eintretende Atmungshemmung auf Erregung von 
Trigeminusfasern bezogen werden müsse, dass die sensible Inner- 
vation des Larynx beim Kaninchen durch den Laryngeus superior und 
inferior erfolgt, und die Verbreitung des Laryngeus superior keine 
streng halbseitige ist, dass dagegen bei Hunden nicht bloß die Sensi- 
bilität des Larynx, sondern auch jene der Trachea (durch die Galen’sche 
Anastomose) vom Laryngeus superior vermittelt wird, wie vorher schon 
Kandarazki angegeben hatte, während die Innervation des Hals- 
teiles der Trachea beim Kaninchen nur durch den Larygeus inferior 
erfolgt. Eine wesentliche Beziehung zwischen den sensibeln Herz- 
nerven und den Atembewegungen, die Frangois-Franck behauptet 
hatte, konnte nicht ermittelt werden; doch ließ sich ein schwacher 
und inkonstanter Reflex vom Depressor auf die Atembewegungen nach- 
weisen. Die der Selbststeuerung der Atmung dienenden Vagusfasern 
wurden in den Rami tracheales inferiores et pulmonales ermittelt, und 
im Bauchvagus von Hunden und Katzen atmungshemmende Fasern 
aufgefunden, die beim Kaninchen fehlen. Da Reizung der Laryngei 
und des Bauchvagus mit den verschiedenen am Halsvagus verwendeten 
Reizen nur exspiratorische, und bloß jene des Brustvagus sowohl in- 
als exspiratorische Wirkungen bedingte, mussten im Vagus zweierlei 

20 


308 Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation. 


die Respiration beeinflussende Fasern angenommen werden, wobei es 
aber wahrscheinlicher erscheint, dass die Differenz dieser Fasern nur 
in einer differenten zentralen Verknüpfung derselben besteht. Die 
Erregung der einen Fasergattung führt zur Hemmung der Atmung in 
Exspirationsstellung und unter Umständen zu Schluckbewegungen 
(besonders im Laryngeus superior), und zu Hustenstößen (nament- 
lich im Laryngeus inferior). Die Erregung der andern Fasergattung 
bedingt Kontraktion inspiratorischer Mnskeln. Nur diese Fasern können 
mit gewöhnlichen sensibeln Nerven parallelisiert werden. 

Letztere These wird nun gegenüber den abweichenden Annahmen 
von Langendorff und Frangois-Franek in der fünften Mittei- 
lung durch eine eingehende Darlegung der Wirkungen, welche die 
Erregung sensibler Nerven auf die Atmung hat, begründet. Auch in 
der dieser Mitteilung zu grunde liegenden Versuchsreihe wurde viel- 
fach neben der Reizung der Nervenstämme und -Zweige selbst die 
Erregung der Endausbreitungen derselben in Anwendung gezogen. 
Die mechanische Reizung des Tastorgans ergab bei Kaninchen, ab- 
gesehen von der Endausbreitung des Infraorbitalis, entweder Be- 
schleunigung der Atmung bei tieferem Zwerchfellsstande, oder Seltner- 
werden und selbst vollständigen Stillstand derselben bei Inspirations- 
stellung, ausnahmsweise Schreien, das aus einem typisch ablaufenden 
Gemisch von beschleunigten abgeflachten Atmungen bei Inspirations- 
stellung und aktiven Exspirationen besteht. Auch bei Hunden scheint 
der Reflex vom Tastorgan auf die Atmung im allgemeinen inspirato- 
rischer Natur zu sein, doch ist hier die Beobachtung sehr getrübt 
durch die bei diesen Tieren bei den mannigfaltigsten Erregungen auf- 
tretenden Serien sehr frequenter Exspirationsstöße, welche den Ein- 
druck eines psychischen Reflexes machen. Thermische Reizung des 
Tastorganes erwies sich bei Ausschluss der Interferenz mechanischer 
Reizung, wenn nicht Verbrennung ins Spiel kam, bei Kaninchen und 
Hunden unwirksam. Auch die Applikation schwächerer Reize auf die 
Stämme der sensibeln Nerven — geprüft wurden der Peronaeus, 
Ischiadieus, Saphenus major, Cervicalis II, III und IV, Glossopharyn- 
geus, Infraorbitalis, Phrenieus, Optieus, Ramus lingualis, Trigeminus 
und Facialis — führte zu inspiratorischen Wirkungen. Eine Ausnahme 
bildete nur der Splanehnieus, dessen von Graham nachgewiesene 
Hemmungswirkung auf die Atmung schon bei Minimalreizen zutage 
trat. Die von Anrep und Cybulski entdeckte Wirkung der Phreni- 
eusreizung auf die Atmung war unsicher und geringfügig bei Kaninchen, 
deutlicher, aber gleichfalls unbeständig, bei Hunden. Erregung der an- 
gegebenen Nerven mit starken mechanischen oder elektrischen Reizen 
führte meistens zum Schreien. Vom Phrenieus, Glossopharyngeus, 
Optieus und Ramus lingualis Trigemini aus war diese Wirkung über- 
haupt nicht, vom Infraorbitalis aus nur selten zu erzielen. Bei Rei- 
zung des letztern Nerven mit starken induzierten Strömen trat dagegen 








Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation. 309 


wie am Splanchnieus vorwaltend exspiratorische Verlangsamung der 
Atmung oder vollständiger Stillstand derselben in Exspirationsstel- 
lung ein. 

Ganz gleichsinnig erwies sich die Wirkung der angegebenen 
Nervenreizungen bei Dyspnoe vor dem Ausbruch der Erstiekungs- 
krämpfe, während einer durch Vagusreizung oder Reizung der Nasen- 
schleimhaut herbeigeführten Verlangsamung der Atmung, und bei 
narkotisierten und enthirnten Tieren. 

Akustische Erregung, die bei nicht narkotisierten Tieren sehr 
ausgeprägte inspiratorische Wirkungen herbeiführt, war bei narkoti- 
sierten und enthirnten Tieren nur ausnahmsweise, Lichtreizung, die 
bei Albino-Kaninchen eine schwache inspiratorische Wirkung bedingt, 
unter diesen Umständen nie wirksam. Da bei Albino-Kaninchen außer- 
dem nicht nur die Belichtung, sondern auch die Verdunklung des 
Auges inspiratorisch wirkt, so wird der fragliche Reflex als Psycho- 
Reflex gedeutet. 

Es ergibt sich mithin, dass die gewöhnlichen sensibeln Nerven, 
abgesehen vom Trigeminus und Splanchnieus, keine den Hemmungs- 
fasern des Vagus entsprechenden exspiratorischen Fasern enthalten, 
während zwischen den inspiratorischen Wirkungen des letztern und 
der übrigen sensibeln Nerven kein wesentlicher Unterschied besteht. 
Im Einklang hiermit steht es, dass weder die Aufblasung der Lungen 
noch die kräftigste durch Phrenieusreizung bedingte Zwerchfellkon- 
traktion nach Sektion beider Vagi noch eine Hemmung der Atmung 
bedingt, durch welche Thatsache aber zugleich der Annahme Gra- 
ham’s, dass der Splanchnieus ein „spezifisches regulatorisches Nerven- 
system der Atmung“ ist, die Grundlage entzogen erscheint. 

Während die vom Vagus und Trigeminus aus auszulösenden ex- 
spiratorischen Reflexe den Charakter von Schutzvorrichtungen für die 
Luftwege haben, schreibt Ref. den von den sensibeln Nerven ausge- 
lösten inspiratorischen Reflexen die Bestimmung zu, einen, dem Blut- 
reiz gegenüber allerdings untergeordneten Antrieb zu den Atembe- 
wegungen zu liefern. Anhaltspunkte hierfür findet er in dem Seltner- 
werden der Atemzüge bei dem natürlichen und durch Nareotica 
herbeigeführten Schlafe, in der Möglichkeit, Atmungspausen bei narko- 
tisierten Tieren mittels sensibler Erregung abzukürzen, und ferner in 
einer oft bei nicht narkotisierten Kaninchen mit anderweiten Zeichen 
sensibler Erregung auftretenden periodischen Beschleunigung der 
Atmung, die er nach ihrer Analogie mit den sogenannten spontanen 
Blutdruckschwankungen, mit denen sie in der Regel kombiniert er- 
scheint, spontane Atemschwankung nennt. Mehrere Umstände machen 
es ihm aber wahrscheinlich, dass die sensibeln Nerven nicht nur mit 
dem Atemzentrum selbst, sondern auch mit den spinalen Zentren der 
zu den Inspirationsmuskeln ziehenden motorischen Nerven verknüpft 
sind, so dass ihre Reizung beiderlei Zentren erregt und aus der Inter- 





310 Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation. 


ferenz dieser Erregung sich die hierbei zu beobachtenden mannigfal- 
tigen Kombinationen von Beschleunigung der Atmung und Tiefstand 
des Zwerchfells und das jeweilige Ueberwiegen der einen oder andern 
Wirkung ergibt. Zur Begründung dieser Ansicht verweist Referent 
insbesondere darauf, dass nach Durchschneidung des Rückenmarkes 
am ersten Halswirbel die Ischiadicus-Reizung eine einzelne Einatmungs- 
bewegung auslöst, so lange, aber auch nur so lange dieselbe zugleich 
zu andern Reflexbewegungen im Vorderkörper des Versuchtieres führt. 

Die mit dem letztern Versuche gestreifte Kontroverse bezüglich 
der Lage des Atemzentrums wird in der sechsten Mitteilung eingehen- 
der verhandelt. Die Gründe, welche von vornherein gegen die, ins- 
besondere von Langendorff auf das Entschiedenste vertretene An- 
sicht sprechen, dass die Atembewegungen von spinalen automati- 
schen Zentren aus erregt und von der Oblongata aus nur reguliert 
würden, und dass der Stillstand der Atembewegungen bei Durch- 
schneidung des Markes an der Spitze des Calamus seriptorius durch 
eine Schädigung dieser Zentren bei gleichzeitiger Erregung von Hem- 
mungsapparaten der Oblongata bedingt sei, wurden von Rosenthal 
im ersten Bande dieser Zeitschrift (S. 88) dargelegt. Referent suchte 
nun eine Entscheidung hinsichtlich dieser Frage durch einen Vergleich 
der Folgen vollständiger mit jenen unvollständiger Abtrennung der 
Oblongata von der Medulla spinalis zu erzielen. Das Ergebnis dieser 
Versuche war, dass Schnitte an der Spitze des Calamus seriptorius 
immer zunächst eine inspiratorische Erregung bedingen. Durchsetzen 
diese Schnitte die ganze Dicke des Marks, so ist diese inspiratorische 
Wirkung nur eine momentane, die Atembewegungen erlöschen da- 
nach sofort dauernd. Ist die Durchtrennung des Markes eine unvoll- 
ständige, so kommt es zu etwas längerer inspiratorischer Wirkung, 
unter Umständen auch zum Schreien. Später werden die Atembe- 
wegungen seltener, dauern aber selbst in solchen Fällen noch fort, 
wo nur eine schmale Brücke (1!/,—2 mm breit) die Oblongata mit 
der Medulla spinalis verbindet, erlöschen aber alsbald, wenn auch 
diese Brücke noch durchtrennt wird. Diese Thatsachen lassen wohl 
keinen Zweifel daran, dass die Atembewegungen von hirnwärts von 
der Spitze des Calamus seriptorius gelegenen Teilen des zentralen 
Nervensystems ausgelöst werden, und da Referent sich später davon 
überzeugt hat, dass man bei Durchschneidungen der Oblongata die 
Atembewegungen fortdauern sieht, so lange man sich bei der Schnitt- 
führung der Spitze des Calamus seriptorius nicht bis auf beiläufig 
5 mm genähert hat, so wird das Atemzentrum in dem hiermit abge- 
gsrenzten Teile der Oblongata zu suchen sein. 

Gegenüber der Behauptung von Christiani, dass in den Seh- 
hügeln ein inspiratorisches und in den vordern Vierhügeln ein ex- 
spiratorisches, sowie derjenigen von Martin und Booker, dass in den 
hintern Vierhügeln ein inspiratorisches Atemzentrum liege, führt 








Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation. Sl 


Ref. an, dass weder die Ausschaltung dieser Hirnteile charakteristische 
Störungen der Atmung oder den Ausfall bestimmter Reflexe auf dieselbe 
bedingt, noch die Reizung derselben Wirkungen auf die Atmung aus- 
übt, welche von benachbarten Hirnteilen aus nicht zu erzielen seien, 
dass also Seh- und Vierhügel nicht als Sitz besonderer respiratori- 
scher Zentren angesehen werden können. Elektrische und mechanische 
(durch Scherenschnitte ausgeübte) Reizung der Seh- und Vierhügel 
führt in der Regel zu sehr ausgeprägter Beschleunigung der Atmung, 
wie eine solche auch nach Verletzungen des Groß- und Kleinhirns 
und der Medulla spinalis zu beobachten ist. Bei Verwendung sehr 
starker Ströme an dem untern Abschnitt der vordern Vierhügel er- 
hält man, wie bei mechanischer oder schwächerer elektrischer Reizung 
des Bodens des Aquaeductus Sylvii, ungemein frequente und flache 
Atembewegungen, oder einen scheinbaren vollständigen Stillstand der- 
selben in Mittelstellung bei allgemeinem Zitterkrampf, der besonders 
an den Augen, dem Schwanz und den Flanken ausgesprochen ist. 
Da also die Reizung jener Hirnteile, abgesehen von dem besondern 
zuletzt angeführten Falle, keine andern Erscheinungen bedingt als 
jene, die man auch bei schwächerer Erregung sensibler Nerven oder 
bei der Auslösung von Psychoreflexen beobachtet, so bezieht Referent 
diese Erscheinungen lediglich auf die Erregung psychischer oder sen- 
sibler Leitungsbahnen und spricht die Vermutung aus, dass die ex- 
spiratorischen Wirkungen, die Christiani von den vordern Vier- 
hügeln aus erhielt, welche nach dem gegebenen Curvenbeispiel der 
Atmungsstörung beim Schreien sehr ähneln, durch die Stärke des an- 
gewendeten Reizes, beziehungsweise die Verbreitung des verwendeten 
Induktionsstromes auf nahe gelegene sehr empfindliche Nerven be- 
dingt gewesen sein dürften. 

Zum Schluss fasst Referent die aus seinen Beobachtungen ge- 
wonnene Ansicht über die Vorgänge bei der Atmungsinnervation 
dahin zusammen, dass das in der Medulla oblongata liegende Atem- 
zentrum, das auf den Blutreiz durch rhythmische Thätigkeit reagiert, 
einerseits durch psychische Erregung und durch Erregung der meisten 
sensibeln Nerven eine Steigerung seiner Thätigkeit, anderseits aber 
durch Erregung bestimmter Nerven (gewisse Vagus- und Trigeminus- 
fasern und Splanchnieus) auch eine Hemmung derselben erfahren kann. 
Die von da ausgehenden Impulse pflanzen sich zu den Zentren der 
Atemnerven im Rückenmarke fort, welche ihrerseits wieder wie die 
der Ortsbewegung dienenden Reflexmechanismen sowohl von der Peri- 
pherie aus durch sensible Reize, als vom Gehirn aus willkürlich er- 


regt werden können!). 
Ph. Knoll (Prag). 





1) Vgl. hierzu die ähnlichen Ausführungen Rosenthal’s 1. ce. S. 2. 





312 Kowalewsky, Brobachtungen über die Blutzirkulation in der Haut. 


Beobachtungen über die Blutzirkulation in der Haut '). 


Von Prof. N. Kowalewsky in Kasan. 

Zur Klarstellung der Blutzirkulation unter verschiedenen physio- 
logischen Bedingungen genügt es nicht, den Blutlauf im Aortensystem 
durch Druck- und Geschwindigkeitsbestimmungen in einem größern 
arteriellen Gefäße zu studieren. Die komplizierten Innervationsver- 
hältnisse der Blutgefäße verlangen außerdem ein detailliertes Studium 
der Blutzirkulation an verschiedenen Lokalitäten. Es genügt der 
Hinweis auf die Fälle, wo ein umgekehrtes Verhältnis inbezug auf 
Gefäßfüllung in einigen Hautregionen im Vergleich mit derjenigen der 
innern Organe, namentlich der Unterleibsorgane, unter gleichen phy- 
siologischen Bedingungen beobachtet wird. Bekanntlich haben solche 
Fälle sogar Veranlassung gegeben zu einer. übertriebenen Verallge- 
meinerung der Vorstellung von der Zirkulation in der Haut und zu 
einer Entgegenstellung dieser zu derjenigen der innern Organe. Ich 
glaube daher recht zu thun, wenn ich im Folgenden einige Beobach- 
tungen mitteile, die sich auf die Blutfüllung der Hautgefäße beziehen 
und unter solchen physiologischen Bedingungen angestellt sind, deren 
Einfluss auf den arteriellen Druck durch kymographische Versuche 
bereits festgestellt ist. Ich finde es um so notwendiger, als die in 
Rede stehenden Beobachtungen die Unzulänglichkeit der oben er- 
wähnten Verallgemeinerung beweisen. 

Ich untersuchte an Katzen, und zwar stellte ich meine Beobach- 
tungen an den Ohren, an der Nase und am Lidrande an, weil die 
Vaskularisation dieser Teile dem unbewaffneten Auge zugänglich ist. 
Da ich der Konstanz der Versuchsbedingungen halber zum Kurare 
meine Zuflucht nehmen musste, so werden hier einige Thatsachen, die 
die Wirkung des Kurare auf das Blutgefäßsystem betreffen, am 
Platze sein. 

1) Spritzt man in die Vena saphena 1—1,5 cem einer Kurare- 
lösung, die durch Aufguss von 8 Gewichtsteilen des Giftes auf 1000 
Teile Wasser erhalten worden, so tritt schon nach 0,5‘ eine präg- 
nante Gefäßerweiterung in den genannten Teilen ein. — Bei weißen 
Katzen bemerkt man gleichzeitig eine mehr oder weniger ausgespro- 
chene Hyperämie der ganzen Haut. Nach eirca 2° schwindet dieser 
Effekt, um nach wiederholter Einspritzung wiederzukehren. Diese 
vorübergehende Gefäßerweiterung (welche wahrscheinlich auch an- 
dere dem Auge nicht zugängliche Gefäßbezirke betrifft) erklärt den 
Abfall des Blutdrucks in der Carotis, der bei den kymographischen 
Versuchen nach jedesmaliger Einspritzung von Kurare eintritt 2). Da 


1) Aus dem „Centralblatt f. d. mediz. Wissenschaften“. 

2) Nicht veröffentlichte kymographische Versuche mit Curare, die ich ge- 
meinschaftlich mit Dr. Astaschewsky und fast gleichzeitig mit Couty und 
de Lacerda (Archives de phys., 1880) angestellt habe, zeigten uns, dass der 
Blutdruck, nach 1—2 maliger Einspritzung, im Laufe von 1—2,5‘ auf 53—92 mm 
hg (31—58 /,) fällt und darauf wieder fast bis zur Norm ansteigt. 


j 





Kowalewsky, Beobachtungen über die Blutzirkulation in der Haut. 313 


die Hauthyperämie und die Druckabnahme selbst nach mehrern (in 
Intervallen von 5-25 Minuten) wiederholten Einspritzungen bald vor- 
übergehen und das vasomotorische Zentrum auf Reize (Karotiden- 
schließung, Unterbrechung der künstlichen Atmung, Reflexe) durch 
Blutdrucksteigerung in ungeschwächter Weise reagiert, folglich seine 
Leistungsfähigkeit nicht eingebüßt hat, so habe ich keinen Grund 
vorauszusetzen, dass ich es mit abnorm veränderten Zirkulationsver- 
hältnissen zu thun hatte. 

2) Durchschneidung eines Seitenstranges des Rückenmarks in der 
Höhe des dritten Halswirbels ruft eine bleibende Gefäßerweiterung 
hervor an dem Ohr, der Nasenhälfte und den Lidrändern der gleich- 
namigen Seite; durchschneidet man aber an einer Seite den Seiten- 
strang und an der andern Seite den Halssympathicus, so erhält man 
ziemlich gleichmäßige Gefäßdilatation an beiden Seiten in denselben 
Lokalitäten. Daraus folgt, dass die Vasomotoren des Hals- 
sympathicus, oder die sie tonisierenden Rückenmarks- 
fasern aus dem gemeinschaftlichen vasomotorischen 
Zentrum der Medulla oblongata in dem entsprechenden 
Seitenstrange des Rückenmarks herabsteigen. 

3) Wenn man nach Durchschneidung des einen Seitenstranges in 
der Höhe des dritten Halswirbels den zentralen Stumpf des einen 
oder andern Ischiadieus im Laufe von 3‘ reizt, so beobachtet man 
folgende Reflexerscheinungen: 

a) zuerst tritt eine Kontraktion der Gefäße des Ohrs und des 
Lidrandes an der intakten Seite ein und gleichzeitig an derselben 
Seite eine Dilatation der Gefäße der Nase, die der an der entgegen- 
gesetzten Nasenhälfte infolge der Seitenstrangdurchschneidung ein- 
getretenen Hyperämie gleichkommt; 

b) etwas später tritt eine verhältnismäßig schwache Verengung 
der Ohrgefäße an der operierten Seite ein; darauf 

ce) eine Gefäßerweiterung am Ohre an der operierten Seite; diese 
Gefäßerweiterung ist viel stärker als diejenige, welche an der operierten 
Seite infolge der Durchschneidung des Seitenstranges beobachtet wird; 
gleichzeitig bemerkt man eine Verengerung der Nasengefäße an der 
intakten Seite; endlich 

d) kehren nach aufgehobener Reizung die Gefäße der intakten 
Seite zur Norm zurück. 

Diese Reihe von Erscheinungen bleibt unverändert, wenn man 
nach der Durchschneidung des Seitenstranges noch eine Durchschnei- 
dung des Halssympathicus an derselben Seite vornimmt. 

Die reflektorische Gefäßkontraktion am Ohre und 
am Augenlide der intakten Seite weist darauf hin, dass die 
reflektorische Gefäßdilatation, die an einigen Körper- 
stellen (z. B. in unserem Fall an der Nase) auftritt, keine 
allgemeine Giltigkeit hat, wie es einige wollen. 


314 Kollmann, Geschichte des Primitivstreifens bei den Meroblastiern. 


Die später eintretende und schwächere reflektorische Gefäßkon- 
traktion an der Seite, wo der Seitenstrang oder der Halssympathieus 
durchschnitten sind, beweist, dass nicht alle gefäßverengernden 
Fasern des Ohres in dem Seitenstrange und dem Hals- 
sympathicus derselben Seite verlaufen. 

Endlich beweist die reflektorische Dilatation der Ohrgefäße der 
intakten Seite, die auf die anfängliche Gefäßkontraktion folgt und 
stärker ist, als die paralytische Dilatation derselben Gefäße nach 
Durchschneidung des Seitenstranges und des Halssympathiceus, dass 
im Seitenstrange und im Halssympathieus mit den gefäß- 
verengernden auch gefäßerweiternde Fasern verlaufen. 
Möglicherweise ist der besagte Effekt an den Gefäßen der Nase 
ebenso zu deuten. 

4) Durchschneidet man beide Halssympathiei und reizt darauf 
direkt den Halsteil des Rückenmarks, so kontrahieren sich die Ge- 
fäße des Ohres, während die Gefäße der Nase sich erweitern. Diese 
Dilatation möge passiv oder aktiv sein, jedenfalls beweist dieser 
Versuch wiederum, dass die gefäßverengernden Fasern des Ohres 
nicht ausschließlich im Seitenstrange und im Halssympathicus verlaufen. 

5) Spritzt man eine gewöhnliche Dose Kurare in die Vena sa- 
phena ein, nachdem man nur einen Seitenstrang in der Höhe des 
dritten Halswirbels oder auch den gleichseitigen Halssympathieus 
durchschnitten hat, so tritt die in Punkt 1 erwähnte Gefäßdilatation 
nicht nur an der nicht operierten, sondern auch an der operierten 
Seite ein. Diese Erscheinung, sowie der Druckabfall im Aorten- 
system nach Kurareeinführung bei in der Höhe des ersten Wirbels 
durchschnittenem Rückenmarke beweisen, dass die gefäßdilata- 
torische Wirkung des Kurare nicht durch zentrale, son- 
dern durch peripherische Apparate vermittelt wird. 

6) Es ist erwähnenswert, dass ich bei meinen Experimenten 
mehreremal auf Versuchstiere gestoßen bin, bei denen weder die 
Durchschneidung des Seitenstranges, noch die des Halssympathieus 
einen zentralen Gefäßtonus aufdecken konnten, während die Ein- 
führung von Kurare ins Blut die gewöhnlichen Folgen hatte. 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 
58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg. 
III. Sektion für Anatomie und Anthropologie, 1. Sitzung. 

Vortrag von Herrn Prof. Kollmann (Basel) über die Geschichte 
des Primitivstreifens bei den Meroblastiern. Aus den Un- 
tersuchungen über die Entwicklung der Vertebraten, die aus einem 
dotterreichen, meroblastischen Ei entstehen, hat sich ergeben, dass 
die Keimhaut des Embryo von der Fläche gesehen drei Primitiv- 
organe aufweist: 1) den Randwulst, 2) den Primitivstreifen, 3) die 
Medullarfurche mit den Medullarwülsten. 








Kollmann, Geschichte des Primitivstreifens bei den Meroblastiern. 3145 


[0] 


Diese Reihenfolge der Aufzählung entspricht auch der Zeitfolge 
der Entstehung. Bei dem Vogel erscheint nach Ablauf der Furehung 
der Randwulst = Area opaca: dann folgt in dem von ihm umgrenzten 
Raum der Primitivstreifen, der sich später im der Mitte spaltet und so 
die Primitivrinne mit zwei begrenzenden Primitivfalten entstehen lässt; 
endlich folgt die Medullarrinne mit den Medullarwülsten und zwar, 
was dabei wichtig ist, ohne äußern und innern Zusammenhang mit 
dem Primitivstreifen, als gesonderte Anlage. 

Dieselben Embryonalorgane finden sich freilich mit einigen Ab- 
änderungen bei den Säugetieren, deren Ei sich aus einem dotterreichen 
meroblastischen Ei!) zu der jetzigen Form reduziert hat. Der Primi- 
tivstreifen ist groß, langgestreckt und nimmt die Mitte der Keimhaut 
ein. Kein Streit herrscht darüber, was man an den Keimhäuten von 
Hund, Kaninchen und Maulwurf als Primitivstreif, später als Primitiv- 
rinne zu deuten hat. Die Angaben von Hensen, Kölliker, Lie- 
berkühn, Rauber sind über diesen Punkt völlig übereinstimmend. 
Dasselbe gilt von der Anlage der Medullarwülste. Sie beginnen in 
beträchtlicher Entfernung von dem Kopffortsatz des Primitivstreifens, 
dann folgt die Annäherung an die unterdessen vergrößerte Primitiv- 
rinne und das Ineinandergreifen der Primitivfalten in die Medullar- 
wülste. Diese beiden Embryonalorgane verhalten sich also bei den 
beiden weit auseinander liegenden Vertretern der Vögel und Säuger 
bis auf die einzelnen Details vollkommen gleich. Dem Randwulst 
fehlt dagegen bei den Säugern allerdings die von den Vögeln her 
bekannte Dicke, er dauert auch nur sehr kurze Zeit aus, er ist im 
Anfange der Entwicklung reduziert, um jedoch in spätern Stadien 
ebenso große Bedeutung zu erlangen wie der Randwulst des Vogels. 

Aus der Uebereinstimmung in dem Bau und in der Entwicklung 
der Vertebraten schließt man mit Recht, dass die hier erwähnten 
Embryonalorgane sich bei allen Meroblastiern finden werden. Allein 
so berechtigt diese Voraussetzung, so schwierig ist doch die Begrün- 
dung, namentlich was den Primitivstreifen und die einzelnen Phasen 
seines Wachstums betrifft. Die niedern Wirbeltiere verursachen in 
dieser Hinsicht noch beträchtliche Schwierigkeiten. Um den Primitiv- 
streifen und sein Gebiet festzustellen, stehen uns folgende Merkmale 
zur Verfügung: 

1) Der Primitivstreifen hängt mit dem Randwulst zusammen. 

2) Die Primitivrinne ist im Anfang vorn geschlossen. 

3) Wie der Primitivstreif mit dem Randwulst, so hängen auch die 
später entwickelten Primitivfalten mit dem Randwulst zusammen. 

4) Der Primitivstreifen wird zur Bildung des hintern Stammesge- 
bietes verwendet. 





1) Die Gründe für eine solche Beurteilung des Säugetiereies, trotz der 
Aehnlichkeit mit dem Ei der Holoblastier, werden durch die neuesten Mit- 
teilungen über Zchidna wesentlich gefestigt. 





316 Kollmann, Geschichte des Primitivstreifens bei den Meroblastiern. 


5) Die Chorda dorsalis wandert in sein Gebiet ein, sie entsteht 
nicht in ihm. 

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ergibt sich für die Se- 
lachierkeimhaut folgendes: 

Der Primitivstreifen ist bei seinem Auftreten sichelförmig um 
den hintern Umfang der Keimhaut gelegt (I. Stadium, Sichelform des 
Primitivstreifens). 

Demnächst erscheint ein mittlerer verdickter Abschnitt, 
Randknospe, und zwei sichelartige Seitenteile, die Sichelhörner. Letz- 
tere begrenzen noch wie früher, als zwei in jeder Beziehung ent- 
sprechende Gegenstücke als „homotype Keimstreifen“, den hintern 
Umfang der Area Opaca (Il. Stadium, Randknospe mit Sichelhörnern). 

Aus dem mittlern verdiekten Abschnitt geht die Primitivrinne 
„Randkerbe“ hervor, die mit den Primitivfalten in die Area pellueida 
hineinragt, ebenso wie bei den Säugetieren und Vögeln. Die Falten 
verlängern sich später nach rückwärts und folgen dem hintern Rande 
der Keimscheibe noch für längere Zeit, um schließlich in dem kau- 
dalen Rumpfabschnitt verwendet zu werden (III. Stadium Rinne mit 
Sichelhörnern). Die Primitivrinne der Selachier ist, wie jene der 
höhern Vertebraten, anfangs nach vorn geschlossen, und in ihren 
Zellenschichten wandert die Chorda von vorn her ein. 

Man hat die Rinne des III. Stadiums bisher als Medullarrinne 
gedeutet. Ich halte diese nahe liegende Bezeichnung nicht für zu- 
treffend, denn die Randkerbeprimitivrinne der Selachier hat in ihrem 
ersten Auftreten mit der Medullarrinne ebenso wenig zu thun, wie die- 
jenige der Vögel und Säuger; die letztere entsteht vielmehr unab- 
hängig hier wie dort, und in demselben vordern Gebiet der Keimhaut. 

Beträchtlichen Schwierigkeiten begegnet der Nachweis der ein- 
zelnen Teile des Primitivstreifens bei den Teleostiern. Die Deutungs- 
versuche fallen bis jetzt noch sehr verschieden aus. Ich entscheide 
nach den oben aufgestellten Kriterien wie folgt: 

Die Randknospe, welche z. B. an der Keimhaut des Salmoniden- 
eies so früh und so deutlich bemerkbar ist, ist ein Abschnitt des Primitiv- 
streifens der Teleostier!). Henneguy bezeichnet diese Stelle ebenfalls 
als Primitivstreifen. Ich rechne aber ferner zu dem Primitivstreifen: 

Die sichelförmigen Streifen, die sich nach hinten in dem Rand- 
wulst anschließen. Sie sind anfangs nicht geschieden, treten aber 
später deutlich hervor und zwar als homotype Streifen an dem hin- 
tern Umfang des Randwulstes, ebenso wie bei den Selachiern. Zu 
dem Primitivstreifen gehört ferner: 

Ein kleines vor der Randknospe liegendes Gebiet des Embryo- 
nalschildes. 

Eine weitere Identität der Entwicklungsvorgänge beweisen fol- 
gende Merkmale: 





1) Teleostier hier ausschließlich: Physostomen und Physoklysten. 





Kollmann, Geschichte des Primitivstreifens bei den Meroblastiern. 317 


Die Randknospe zeigt eine leichte, schnell vorübergehende Ein- 
schnürung. Dieselbe entspricht einem Teil der Primitivrinne. Wenn 
auch nur für kurze Zeit, dennoch wird auch der Teleostier gezwungen, 
die gleichen Wege wie der Selachier zu wandeln, um die symme- 
trische Teilung des Primitivstreifens wenigstens anzudeuten. Vor 
der Randknospe in dem Bereich des Embryonalschildes taucht später, 
freilich ebenfalls sehr vorübergehend noch ein Abschnitt der Primi- 
tivrinne auf. Dieser Abschnitt ist, soweit ich die Literatur kenne, 
noch nie gesehen worden. Er ist mir nur an Salmonideneiern (am 
15. Tag) begegnet, welche bei einer Temperatur von 4—4!/,° R., 
also sehr langsam entwickelt worden waren. 

Dieses Entwieklungsstadium der Teleostier, in welchem die Rand- 
knospe und der Embryonalschild schnell vorübergehende Spuren einer 
Primitivrinne zeigen, entspricht dem III. der obenerwähnten Stadien 
der Selachierkeimhaut (Rinne mit Sichelhörnern). 

Zu weiterer Begründung meiner eben dargelegten Bezeichnung 
der Keimhautgebilde der Teleostier führe ich noch folgende Punkte an: 

1) Das Gebiet des Primitivstreifens ist frei von der Chorda; diese 
wandert erst später ein. 

Die Medullarrinne hat bei ihrem ersten Auftreten mit der hinter 
ihr liegenden Primitivrinne keinen Zusammenhang, die letztere 
ist, wie bei den Vögeln und Säugern nach vorn geschlossen. 
Die Medularrinne ist bekanntlich bei den Teleostiern in ihrem 
ersten Auftreten eine sehr seichte Rinne, die sich sehr rasch 
füllt. Wenn dann die Medullarwülste erscheinen und auf der 
Oberfläche des Embryonalschildes eine ovale weite Grube um- 
grenzen, sind alle frühern Spuren der Primitivrinne längst ver- 
schwunden. Was mit dem Auftreten der Medularrinne als Spalt 
sich schließlich wieder bis zu der Randknospe fortsetzt, ist ein 
neues Gebilde, das allgemein bekannt, und von allen Beobach- 
tern, von Stricker, Oellacher und His angefangen, bis 
herauf zu den jüngsten Arbeiten von Kupffer und Ziegler 
übereinstimmend geschildert wird. Man betrachtet allgemein 
und mit Recht diese Medullaranlage, welche hinten strangförmig, 
vorn dagegen verbreitert ist, als einen Hauptteil der definitiven 
Embryonalanlage. 
Sie erhebt sich mehr und mehr aus der Ebene des Embryonal- 
schildes, aber stets der Art, dass an einer bestimmten Stelle, wo der 
Hirnteil und der Medullarteil aneinander grenzen, eine breite quer- 
gestellte Vertiefung sichtbar bleibt. 

Was hinter dieser Vertiefung liegt, befindet sich auf demjenigen 
Gebiet des Embryonalschildes, auf dem einst die Primitivrinne auf- 
tauchte. Ich habe deshalb in meiner Abhandlung: Ueber gemeinsame 
Entwicklungsbahnen der Wirbeltiere (Arch. f. Anat. und Phys. Anat. 
Abt. 1885, S. 296) diesen hintern Abschnitt des Salmonidenembryos 


2 


= 


318 Kollmann, Geschichte des Primitivstreifens bei den Meroblastiern. 


für ein Produkt der Primitivrinne und der Primitivfalten erklärt, in- 
dem ich vermutete, dass aus dem Material dieser Embryonalorgane 
die hintere Anlage des Embryos hervorgegangen sei. Ich möchte aus- 
drücklich betonen, dass die beiden Buchstaben Prr = Primitivrinne 
und Prw — Primitivwülste nur andeuten sollen, dass das embryonale 
Medullarrohr in ein früheres Gebiet des Primitivstreifens eingeschlossen 
ist. Nur in diesem Sinne ist die Bezeichnung der Fig. 7 Prr. und 
Prw. aufzufassen. 

Ich sehe also bei den Teleostiern wie bei den Selachiern, den 
Vögeln und Säugetieren sowohl die einzelnen Abschnitte des Primitiv- 
streifens als die Hauptstufen seines Wachstums wie die Anlage der 
Sichelhörner, und der Rinne mit den entsprechenden Falten, wieder- 
kehren, immerhin manchen dieser Teile beträchtlich reduziert. 

Eine wertvolle Bestätigung dieser Deutung liefert die Entwick- 
lungsgeschichte der Reptilien. Was die uns hier beschäftigenden Em- 
bryonalorgane betrifft, so besitzen sie bei den Reptilien eine sehr 
beachtenswerte Uebereinstimmung mit denjenigen der Keimhaut der 
Selachier. Der Primitivstreif hat die Form einer Knospe oder eines 
Knopfes. Diese Knospe wird von Balfour, Strahl und Henneguy 
übereinstimmend mit mir gedeutet. Die Bezeichnung „Primitivstreif“ 
kommt diesem Gebilde der Keimhaut mit vollem Rechte zu, sowohl 
was seine Lage, als was seinen Bau betrifft. Auf ihm erscheint die 
Primitivrinne als der von Kupffer und Benecke beschriebene 
Canalis neuro-enterieus. Dieser Kanal besitzt alle Kriterien einer 
Primitivrinne. Er befindet sich 1) in dem Bereich der Knospe wie 
bei den Selachiern und Teleostiern, 2) ist er nach vorn geschlossen, 
3) wird seine Umgebung zur Bildung des hintern Rumpfabschnittes 
verwendet, 4) wandert die Chorda erst später in sein Gebiet ein, 
5) wird er zu einer Fortsetzung des Neuralrohres, 6) entsprechen die 
Ränder des Canalis neuro-enterieus — Primitivrinne, den Primitiv- 
falten, denn sie helfen wie diejenigen der Vögel, Säugetiere und Se- 
lachier die Medullarrinne bilden. Endlich erstreckt sich wie bei allen 
besprochenen Abteilungen das Gebiet dieses Primitivstreifens in den 
Randwulst hinein, und finden sich Sichelhörner. 

Diese Deutung schließt die Annahme aus, dass die Primitivrinne 
— Canalis neuro-enterieus der Reptilien eine Form der Gastrula 
darstelle. 

Die Gastrulation erfolgt bei den Abkömmlingen meroblastischer 
Eier nach demselben Schema, das für alle übrigen Metazoen Geltung 
hat. Das Kriterium für die Entscheidung, ob Gastrulation vorliege, 
ist nicht die Umwachsung des Dotters, auch nicht Invagination an 
irgend einer Stelle der Keimhaut, wodurch dieselbe in größerem oder 
geringerem Maße von einem Kanal durchsetzt wird, sondern der Um- 
schlagrand der Keimscheibe, wobei der Entoblast angelegt wird. 

Bei den Selachiern ist die Discoblastula mit allen Einzelheiten 








Klein, Grundzüge der Histologie. 3149 


nachzuweisen. Auch bei den Teleostiern ist sie noch sehr vollkommen; 
bei den Sauropsiden wird der Prozess mehr abgekürzt. 

Der Randwulst zerfällt nach Abfluss der Gastrulation in zwei 
Abschnitte, der hintere ist teilweise die Bildungsstätte des Primitiv- 
streifens, der vordere wird zur Umwachsung des Dotters verwendet 
und zur Bildung des Blutes. 

Diese Uebersicht über die drei Hauptorgane der Keimhaut ergibt 
eine unerwartete Uebereinstimmung, die sich auf den Primitivstreifen 
erstreckt, und zeigt, wie trotz mannigfacher Abänderungen die Ge- 
meinsamkeit des Entwicklungsvorganges nicht bloß in dem Randwulst 
der Medullaranlage und der Gastrulation erkennbar ist, sondern auch 
in den Phasen, welche der Primitivstreif durchzumachen hat. 

Soweit Unterschiede hervortreten, sind sie überall, auch in dem 
Bereich des Primitivstreifens, die Wegweiser, welche uns zeigen, wann 
die einzelnen großen Abteilungen die gemeinsamen Wege verlassen 
und in ihre spezifische Entwicklungsbahn einlenken. 


E. Klein, Grundzüge der Histologie. 
Deutsche autorisierte Ausgabe, nach der vierten englischen Auflage bearbeitet 


von Dr. A. Kollmann in Leipzig. Mit 181 in den Text gedruckten Abbil- 
dungen. 16. XVII. und 418 Seiten Leipzig. Arnoldische Buchhandlung 1886. 


Ein sehr gutes Büchlein, dem wir weiteste Verbreitung wünschen. Der 
durch vortreffliche Arbeiten bekannte Verfasser hat es verstanden, nicht nur 
die Grundzüge unseres jetzigen Wissens von dem feinern Bau der Organe in 
klarer und leicht fasslicher Weise darzustellen, sondern auch schwierigere 
Punkte, bei denen noch keine genügende Uebereinstimmung der Forschungs- 
ergebnisse erzielt ist, so zu erörtern, dass neben seiner eignen Ansicht die 
anderer genügend zur Geltung kommen. So wird nicht nur der Anfänger sich 
des Buches mit großem Nutzen bedienen können; auch der Fortgeschrittene 
wird beim Nachlesen einzelner Abschnitte vieles finden, was ihn anregt und 
fördert. 

Unterstützt werden diese Vorzüge des Textes durch die ganz ausgezeich- 
neten Abbildungen. Aus des Verfassers großem Atlas bezw. aus dem von 
ihm in Gemeinschaft mit Burdon Sanderson, Foster und Brunton her- 
ausgegebenen Handbook for the physiological Laboratory zum großen Teile 
übernommen, kommen sie bei dem vortrefflichen Druck der deutschen Ausgabe 
fast noch zu besserer Geltung als in dem zuletztgenannten Original. 

In 43 Kapiteln behandelt der Verfasser zuerst die allgemeine Histologie, 
Zellen, Blut, Epithel u. s w, dann die einzelnen Organe. Die Beschreibung 
bezieht sich immer auf den Menschen, doch sind die abweichenden Verhält- 
nisse bei den viel zum Studium benutzten Tieren wenigstens kurz angedeutet. 
Ebenso ist jedesmal auf die Entwicklung, wenn auch nur mit einigen Sätzen, 
Rücksicht genommen Die Beschreibung ist in ihrer prägnanten Kürze gradezu 
musterhaft. Als Beispiel will ich nur auf das 30. Kapitel (Niere, Ureter und 
Blase) hinweisen, in welchem bei dem geringen Umfang von 17 Seiten doch 
eine erschöpfende Darstellung des Gegenstandes gegeben ist. 

Nicht ganz so uneingeschränktes Lob können wir der deutschen Bearbei- 
tung spenden. Unsere Ausstellungen sind freilich nicht schwerwiegender Art. 


320 Klein, Grundzüge der Histologie. 


Aber rügen müssen wir doch die Ungenauigkeiten im Ausdruck, besonders 
wenn es sich um die Bezeichnung von Richtungen handelt Es kann nur Ver- 
wirrung stiften, wenn hier die Wörter „horizontal“ und „vertikal“ gebraucht 
werden, bei denen der Schreiber natürlich an eine bestimmte Lage des Organs 
gedacht hat, aber ohne es zu sagen. So bedeutet z. B. der Ausdruck „hori- 
zontal“ bei der Besprechung der Faserrichtung im Rückenmark (S. 163) soviel 
wie transversal und wird gradezu als Gegensatz von „longitudinal“ gebraucht. 
Bei der Besprechung des Zahnschmelzes aber ist von „horizontalen gebogenen“ 
Linien die Rede, wo „horizontal“ bedeuten soll „der Oberfläche parallel“; und 
der Gegensatz „vertikal“ hat hier den Sinn „senkrecht“ (besser wäre noch 
das freilich bisher weniger gebräuchliche normal) zur Oberfläche. Ebenso 
ist z. B. von „Vertikalschnitten“ z. B, durch die Dickdarmschleimhaut (Fig. 117 
auf S. 244) die Rede, wo Transversalschnitte gemeint sind. Und bei der Niere, 
um nur noch ein Beispiel anzuführen, ist von „vertikalen“ Streifen die Rede, 
welche „radiär“ verlaufen (S. 280) und diese selben Streifen, die Markstrahlen, 
bewirken unmittelbar darauf „eine gleichförmige Längsstreifung* in der Grenz- 
schicht und auch der Papillarteil ist „longitudinal gestreift“ (S. 281). Alle 
diese Ausdrücke sollen aber doch nur eine und dieselbe Richtung bezeichnen, 
nämlich die zur Oberfläche normale oder „wenn man will, radiäre“. Solche 
Unbestimmtheit der Ausdrucksweise ist aber nur zu sehr geeignet, den Leser 
und namentlich den Anfänger zu verwirren. Noch sonderbarer aber klingt es, 
wenn man (9.294) liest, das Corpus Highmori sei „im Querschnitt mehr weniger 
konisch“; ein Querschnitt kann doch nur eine Fläche sein, also niemals konisch. 

Der Ausdruck „mehr weniger“ kehrt übrigens fast auf jeder Seite wieder 
und auf mancher Seite steht er 3—4 mal. Wir sind — leider — in unserer 
medizinischen Literatur schon an das Fehlen des Wörtchens „oder“ in dieser 
Redensart gewöhnt; im vorliegenden Buche aber scheint das „mehr weniger“ 
überhaupt jede Bedeutung verloren zu haben und nur noch ein Flickwort ge- 
worden zu sein. Fast ohne Ausnahme wird jede Eigenschaft, die von irgend 
etwas ausgesagt wird, durch den Zusatz „mehr weniger“, ich weiß nicht ob 
ich sagen soll eingeschränkt. Zellen sind mehr weniger zylindrisch oder mehr 
weniger spindelförmig, Fasern sind mehr weniger wellig oder mehr weniger 
gebogen u. 8. w. U. 8. W. 

In einer deutschen Uebersetzung sollten auch Ausdrücke wie „superficiell“ 
vermieden werden; denn das Wort superficial hat dasselbe Anrecht darauf, 
übersetzt zu werden wie alle andern Wörter des englischen Textes. 

Schließlich wollen wir noch auf einige kleine Versehen hinweisen, welche 
uns beim Lesen aufgestoßen sind. Pons darf nicht als Femininum behandelt 
werden (8. 182 £.), wenngleich es im Deutschen „die“ Brücke heißt. S. 149 
Z. 2 v. 0. muss es statt „glatte“ heißen „quergestreifte“; in der Erklärung zu 
Fig. 68 (S. 135) „marklose“ statt „markhaltige“, 

Es sind, wie gesagt, nur kleine Ausstellungen, die wir zu machen haben, 
und der Herausgeber wird vielleicht geneigt sein, uns deshalb der Kleinlich- 
keit zu zeihen. Er kann aber überzeugt sein, dass nur wahres Interesse an 
dem Werk uns veranlasst hat, unsere Klagen zu erheben. Grade weil wir dem 
Buche die weiteste Verbreitung, namentlich in den Kreisen der jungen Medi- 
ziner, wünschen, möchten wir dazu beitragen, dass bei einer, hoffentlich bald 
nötig werdenden neuen Auflage auch die kleinen Mängel ausgemerzt werden, 
welche ihm jetzt noch anhaften und ohne welche es gradezu als vollkommen 
wird bezeichnet werden können. R. 








Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. 











Biologisches Gentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 








24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


VI. Band. 1. August 1886. Nr ll: 











Inhalt: Gudden, Ueber die Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirn- 
rinde (Schluss). — 6. Baur, Ueber die Morphogenie der Wirbelsäule der 
Amnioten. — Sternberg, Zur Lehre von den Vorstellungen über die Lage 
unserer Glieder. — Aus den Verhandiungen gelehrter Gesellschaften: 
58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, Sektion für Anatomie 
und Anthropologie. — SoeietE de Biologie. — Gesellschaft der Aerzte in 
Zürich. — Karsch, Vademecum botanicum. 





Ueber die Frage der Lokalisation der Funktionen der Groß- 
hirnrinde. 
Vortrag, gehalten in der Jahresversammlung des Vereins deutscher Irrenärzte 
in Baden - Baden 
von Prof. v. Gudden. 
(Schluss.) 

Ich lasse hier das Protokoll der Sitzung der Gesellschaft für 
Morphologie und Physiologie zu München vom 19. Febr. 1884 (Aerzt- 
liches Intelligenzblatt 1884) folgen. Dasselbe lautet: 

„Obermedizinalrat v. Gudden demonstriert das Gehirn eines 
3 Monate alten Kätzchens, bei dem 4 Wochen nach der Geburt durch 
einen intrakraniellen Eingriff das linksseitige Scheitel- und Hinter- 
hauptsgehirn bis auf einen schmalen Saum zur Atrophie gebracht 
worden war. Auch die sogenannte Sehsphäre sei zu grunde gegangen. 
Nichtsdestoweniger sei das Tier, wie der oft wiederholte Ganser’sche 
Versuch!) ergab, nicht hemiopisch gewesen, und wie man sich am 
Präparate selbst überzeugen könne, fänden sich beide Tractus optiei 
gleichmäßig entwickelt. Dass im vorliegenden Falle, worauf es bei 
allen derartigen Versuchen ankomme, die, linksseitigen primären Seh- 
zentren keinen abnormen Druckverhältnissen, die zur Atrophie der- 
selben hätten führen können, ausgesetzt gewesen seien, gehe daraus 
hervor, dass die rechtsseitige Großhirnhemisphäre in sofort auffallender 
Weise hinüber in die linksseitige Schädelhälfte sich verschoben habe“. — 

1) S. Archiv für Psychiatrie, XIII, S. 304. 

VI. 21 








322 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 


Das wertvolle Präparat ist seitdem geschnitten worden, die Tinktion 
erfolgte abwechselnd mit Karmin und mit Hämatoxylin, aber auch 
bei der mikroskopischen Untersuchung fand sich keine Spur einer 
atrophierenden Nervenfaser. (Die bezüglichen Zeichnungen und Prä- 
parate wurden vorgelegt.) 

Nach diesem Befunde bei der Katze darf ich mir vielleicht den 
Rat erlauben, nicht eher beim Experimentieren mit der Sehsphäre 
sich einen Schluss zu erlauben, als bis man, wozu eine geraume !) 
Zeit nach der Operation vergehen muss, sich überzeugt hat, ob nicht 
ein Druck auf das primäre Zentrum stattgefunden hatte, und auch 
beim Menschen mit Konstatierungen von Atrophien eines Traetus 
opticus infolge von Rindenzerstörungen in der Gegend der „Seh- 
sphäre“ vorsichtig zu sein, und wenn sie sich zusammen vorfinden, 
nicht eher einen kausalen Zusammenhang anzunehmen, 
als bis die Atrophie anatomisch von der Hirnrinde bis 
zum Traetus nachgewiesen ist, wozu indess keine Aussicht 
besteht. Auf die experimentellen Untersuchungen v. Monackow’s?), 
die vielfach mit den Ergebnissen der meinigen nicht übereinstimmen, 
werde ich an einem andern Orte näher eingehen. 

Wichtiger noch inbezug auf die Lokalisation der Großhirnfunk- 
tionen, als das erste zentrale Experiment, ist das folgende: Nach Auf- 
klappung der Schädeldecke in der Richtung nach vorn um die Kranz- 
naht wurde auf beiden Seiten, mit Erhaltung jedoch des Lobus 
olfactorius, das ganze Hinterhaupts- und Scheitelhirn bis (von hinten 
nach vorn gerechnet) 1 mm vor der Kranznaht fortgenommen. Wie 
sauber die Operation gelungen war, sieht man aus der Zeichnung, 
die vorgelegt wurde. In den ersten Tagen (vier waren so operiert) 
mussten die Tierchen, die öfters aus dem Nest herausfuhren, in dieses 
zurückgebracht werden, dann wurden sie ruhig und entwickelten sich, 
als wenn ihnen fast gar nichts geschehen wäre. Sie sahen, hörten, 
fühlten und bewegten sich anscheinend wie normale Kaninchen, und 
nur insofern habe ich geglaubt, einen Unterschied zu bemerken, als 
ihr Benehmen einen mehr impulsiven Charakter an sich trug, als ihn 
nicht operierte Tiere ihrer Altersstufe wahrnehmen lassen. Speziell 
was ihr Sehen und dessen psychische Verwertung betrifft, so war 
nicht etwa die Frage, ob sie Hindernissen aus dem Wege gingen, 
eine solche trat gar nicht an einen heran, im freien waren sie nur 
schwer zu fangen, wichen sogar auf größere Entfernung bei absoluter 
Stille einer Handbewegung aus, bemaßen, auf Pflöcke gesetzt, richtig 
die Entfernung vom Boden, tasteten ein wenig mit den Vorderpfoten 
und sprangen dann mit der größten Sicherheit herunter, sprangen 
Treppenstufen hinauf und herunter u. s. w., wovon sich unter vielen 
andern die Herren Bälz, Bumm, Grashey, Jolly überzeugt haben. 





1) Je nach dem Alter des operierten Tieres verschieden. 
2) Archiv für Psychiatrie, XIV u. XVL 








nah in Saat SENT u 2 Au TE 2 a en a De ee 


Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhimrinde 325 


Erst nachdem sie ziemlich erwachsen waren, wurden sie getötet. Ich 
möchte kaum bezweifeln — lasse es übrigens dahingestellt — dass 
sie später bei der Bethätigung höherer Funktionen: Fortpflanzung, 
Nestbau, Großziehung der Jungen u. s. w. Defekte gezeigt haben 
würden, darauf kommt es hier nicht an, aber Thatsache ist und bleibt 
es, dass sie ohne alle und jede Spur von Sehsphäre sahen und ihr 
Sehen psychisch verwerteten. 

Bei einer andern Reihe von neugebornen Kaninchen wurde das 
Schädeldach von vorn nach hinten um die Kranznaht umgeklappt 
und auf beiden Seiten das „Stirnhirn“ nieht ganz bis zum Lobus 
olfactorius abgetragen. Die erwachsenen Tiere sahen, hörten, fühlten 
und, was ich besonders hervorhebe, bewegten sich wie normale. 

Anders ist das Verhalten von Kaninchen, denen man nach der 
Geburt mit Erhaltung der Lobi olfactorii und der übrigen am tiefsten 
gelegenen Partien der Großhirnhemisphären diese mehr oder weniger 
tief — selbstverständlich ohne Verletzung des Hirnstammes — ab- 
getragen hat. Manche, bei denen der Schnitt zu tief ausfiel, gehen 
zu grunde, andere, bei denen dies nicht der Fall war, kommen durch, 
konzentrieren sich vorzugsweise auf ihren Geruchssinn, sehen zwar, 
folgen mit den Augen, wenngleich die Probe bei denselben Tieren 
zu andern Zeiten versagt, neugierig der sich vor ihnen in einer ge- 
wissen Entfernung bewegenden Hand), was normale Tiere nie thun, 
hören, was man aus den zuweilen auf ein Geräusch hin plötzlich sich 
aufrichtenden Ohren, die für gewöhnlich flach auf dem Nacken liegen, 
ersieht, fühlen, wie man sich leicht aus den Abwehrbewegungen über- 
zeugt, halten und bewegen sich eigentümlich und ohne suffiziente 
sichere Führung, was man z. B. daraus ersieht, dass sie sich beim 
Fressen eines Krautblattes aufriehten, immer weiter nach rückwärts 
sich überbeugen und schließlich umfallen, kurz: sie sind Idioten, zu- 
meist etwas schläfrig, dann wieder übermäßig agil, gedeihen auch 
nicht recht, bleiben im Wachstum weit hinter ihren Altersgenossen 
mit intakten Gehirnen zurück, würden in Gemeinschaft mit diesen im 
Kampfe ums Dasein entschieden zu grunde gehen, müssen isoliert ge- 
halten und auch inbezug auf Reinlichkeit besonders im Auge behalten 
werden. — Es ist schwer, alle diese Tiere in eine Besprechung zu- 
sammenzudrängen, ein jedes ist wieder etwas anders, je nachdem 
mehr oder weniger abgetragen wurde, aber das scheint doch sicher 
zu sein, dass wenigstens rudimentär alle Empfindungen zur Geltung 
und psychischen Verwertung kommen, und dass ebenso auch alle Be- 
wegungen einer psychischen Direktion nicht gänzlich entbehren. 

Was ich vom Sehzentrum im vordern Hügel nach Exstirpation 
einer ganzen Großhirnhemisphäre sagte, gilt von den Zentren aller 
Empfindungsnerven. Allen müssen die Bahnen zu der fortgenommenen 





4) Die Hand darf nicht so nah herumgeführt werden, dass der Geruchssinn 
in Frage käme. 


21* 





394 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 


Hemisphäre fehlen, aber sie selbst sind sonst intakt. Intakt sind 
auch die Kerne der Bewegungsnerven, und was für die Kaninchen 
gilt, gilt auch für die Hunde und Katzen. Nur noch auf das primäre 
Zentrum des Nerv. olfactorius, die Glomerulischicht des Bulbus olfae- 
torius, möchte ich einen Augenblick zurückkommen. Schneidet man 
beim neugebornen Kaninchen intrakraniell den Bulbus vom Lobus 
olfactorius ab, so bleibt die Glomerulischicht desselben erhalten, vom 
Traetus sind nur die kleinsten Reste vorhanden, die zum eingeschlos- 
senen Teil des Lobus gehören, die Kommissurenfasern dieses Teiles 
sind aber zu grunde gegangen. 

Nach Mitteilung dieser Versuche und Beobachtungen dürften we- 
nigstens unbefangene Beurteiler geneigt sein, anzunehmen: dass in 
der Großhirnrindenfläche zirkumskript umgrenzte Regionen, die aus- 
schließlich und unter allen Verhältnissen eine bestimmte Funktion 
ausüben, nicht vorhanden sind. Es spricht dagegen auch im großen 
und ganzen der histologische Aufbau der Rinde, ihre Zellenformationen 
und deren Lagerung, sowie die Art des Verlaufes ihrer Fasern, wenn- 
gleich zugegeben werden muss, dass gewisse Unterschiede, zumal in 
den Zellen, allerdings sich bemerkbar machen und es daher notwendig 
sein wird, für jede Tiergattung, die zu Versuchen benutzt wird, eine 
genaue Untersuchung der gesamten Rinde und zwar mit den ver- 
besserten Hilfsmitteln der neuern Technik vorzunehmen. Freilich aber 
lässt sich einwenden — und ich halte trotz des Kätzehens, welches, 
bereits 4 Wochen alt und jedenfalls inbezug auf seine Hirnrinde schon 
einigermaßen eingeübt, nach Fortnahme der sogenannten Sehsphäre 
nicht hemiopisch wurde, den Einwand für nicht unbegründet, dass 
an neugebornen Tieren angestellte Hirnrindenversuche in ihren Ergeb- 
nissen nicht ohne weiteres maßgebend für erwachsene seien, und dass 
demgemäß zu weiterer Aufklärung entsprechende Versuche auch an 
diesen vorgenommen werden müssten. 

Diesem Einwande gegenüber kann ich mitteilen, dass ich auch 
mit herangewachsenen Tieren viel experimentiert habe, mit Kaninchen, 
Hunden und Katzen. Den ganz erwachsenen ziehe ich indess halb 
und drittel erwachsene vor, weil letztere munterer und lebhafter sind, 
die Operationen besser ertragen und die sekundären Atrophien rascher 
auch makroskopisch wahrnehmen lassen. Operiert wurde in den letz- 
ten Jahren nur in der Aethernarkose, früher auch wohl nach Injek- 
tionen von Morphium. Bei neugebornen Kaninchen ist die Anwendung 
antiseptischer Kautelen überflüssig, neugeborne Hunde und Katzen 
sind, wie ich früher schon bemerkte, zu Entzündungen in unvergleich- 
lich höherem Maße disponiert; bei ihnen sowie erst recht bei erwach- 
senen Tieren, die Kaninchen eingeschlossen, sollte man dieselbe nie 
außer acht lassen. Ganz abgekommen bin ich davon, bei mehr heran- 
gewachsenen Tieren den Schädel in größerem Umfange zu öffnen, 
operiere vielmehr intrakraniell, zu welchem Behufe mittels der Säge, 











Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde 325 


unter Umständen auch mittels eines stärkern Messers, nach Durch- 
schneidung und Zurseiteschiebung des Perieraniums, eventuell auch 
nach Trennung der Muskulatur, Spalten angelegt werden, die jedoch 
nicht zu eng ausfallen dürfen, damit die einzuführenden feinen Messer 
nicht anstoßen und das Blut am freien Austritte nicht gehindert ist. 
Selbstverständlich hat man sich zu hüten, die Sinus und die größern 
Arterien zu verletzen. — Zur Orientierung dienen alsdann getötete 
Tiere gleichen Alters, deren eine Großhirnhälfte freigelegt und in der 
erforderlichen Weise partiell, sei es frontal, sagittal oder horizontal 
abgetragen ist. An der so vorbereiteten Hirnhälfte sowie an der er- 
haltenen Hälfte des Schädelgewölbes bestimmt man den Ort, die 
Riehtung und wie weit das Messer einzuführen ist. Nach der Ope- 
ration lässt man, je nach dem Alter, die Tiere 5—6 Monate, zu ge- 
wissen Zwecken auch noch länger, bis zu einem Jahre leben. Bei 
erwachsenen Kaninchen, um ein Beispiel von der Peripherie herzu- 
nehmen, sind nach der Enukleierung eines Auges der zugehörige 
Nervus optieus und dessen Zentrum 9 Monate nach der Operation 
zwar bedeutend kleiner, aber der Nerv selbst noch weiß und nicht 
grau und auch die Zentren noch nicht vollständig atrophiert!). Bei 
allen Tieren, die operiert wurden, muss man verlangen, dass die 
anatomische Untersuchung nach der Schnittmethode vorgenommen 
werde. 

Wurde in der angegebenen Weise operiert, so kommt es vor, dass 
man bei der Sektion feine lineare Narben findet, ohne Spur von Ent- 
zündung, Exsudat und Druckerscheinung. Eigentliche Narben sind 
es nicht einmal, eine Wiederverwachsung zentraler nervöser Teile tritt, 
wie schon bei den Operationen am neugebornen Tiere bemerkt wurde, 
nicht ein, die Schnittflächen liegen etwas verklebt aneinander und 
nur die Pia bildet eine festere Verbindung an der Oberfläche, dringt 
auch mehr oder weniger in die Spalte vor. Aber nicht in allen Fällen 
ist das Resultat ein so reines, und ich bin im Besitze von Gehirnen 
(deren Zeichnungen ich vorlege), bei welchen die äußere Betrachtung, 
außer gewissen Merkmalen am Stamme, die den Sachverständigen 
sofort einigermaßen orientieren, nur geringe Veränderungen nachwies, 
die aber doch, nachdem sie geschnitten waren, größere Zerstörungen 
infolge von Exsudat und Druck erkennen ließen. Am gefährdetsten 
sind inbezug auf die Reinheit der Resultate diejenigen Gehirne, bei 
denen der Druck von einem oder beiden Seitenventrikeln ausgeht. 
So liegen mir Präparate vor, bei denen ein Eingriff in das Hinter- 
hauptshirn Atrophien der Pyramidenbahn, und andere, bei denen ein 
Eingriff ins Stirnhirn Atrophien der Großhirnrindenschleife herbei- 
führte, Präparate, die, wie wir später sehen werden, ganz unbrauchbar 
sind. Immer auch muss man sich gegenwärtig erhalten, dass der 





1) Uebrigens lassen sich die Atrophien mikroskopisch sehr deutlich 
schon nach 3 Monaten nachweisen. 


396 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 


Schnitt selbst, auch wenn keine Entzündung folgte, etwas weiter ge- 
führt wurde, als möglicherweise beabsichtigt war. Man kennt noch 
viel zu wenig, worauf ich ebenfalls schon aufmerksam machte, den 
Fasernlauf. Mir liegen Schnittreihen von Menschengehirnen vor: eine 
frontale, eine horizontale und eine (diese freilich nieht sehr gelungen) 
sagittale. Alle drei sind mit Karmin gefärbt. Hält man die Schnitte 
im dunkeln Raume gegen eine mehr oder weniger schräg einfallende 
Kerzenflamme, so erkennt man beim Hin- und Herbewegen in der 
Weise, dass man immer noch durch den Schnitt aufs dunkle sieht, 
im Zentralmarke sehr schön und deutlich die einzelnen Züge in ihrem 
verschiedenen sich gegenseitig ausweichenden Verlaufe, und beispiels- 
weise, was die Operationen am Tiere betrifft, so genügt beim Ka- 
ninchen ein kleiner, gar nicht tief geführter Schnitt an einer be- 
stimmten Stelle der-Grenze zwischen Lobus olfactorius und dem über 
ihm liegenden Scheitelhirn (die bezügliche Zeichnung wird vorgelegt), 
um die ganze oder fast ganze Ausstrahlung des Thalamus in das 
Scheitel- und Hinterhauptshirn zu treffen und damit auch eine Atrophie 
der bezüglichen Thalamusganglien (auch des Corpus geniculatum 
internum) herbeizuführen. 

Die Versuche sind noch lange nicht abgeschlossen, noch mehr 
aber bedaure ich, dass eine große Anzahl von Gehirnen noch nicht 
geschnitten ist. Es wird das den nicht wundern, der aus eigner Er- 
fahrung weiß, welche Zeit es kostet, nur ein Gehirn von größerem 
Umfange zu schneiden, zu färben und dann erst folgt die eigentliche, 
so mühselige Aufgabe, ein Organ zu untersuchen von einer solchen 
Komplikation, dass es zumal im Hämatoxylinpräparat einen gradezu 
verwirrenden Eindruck macht und noch dazu durch ganz besondere 
Eigentümlichkeiten die Erforschung mit einer solchen Menge, wenn 
ich so sagen darf, heimtückischer Fallstricke erschwert, dass man 
nicht vorsichtig genug auf seinem Wege sein kann. Was nun die 
sogenannte Sehsphäre betrifft, auf die und die motorische Zone ich 
mich hier beschränken muss, so liegen mir 2 Gehirne von Hunden 
vor, bei denen dieselbe zwar nicht in ihrem ganzen Umfange, aber 
doch zum größten Teile abgetragen war, ohne dass ein Exsudat mit 
seinem Drucke störend eingriff. Letztes geht (die Tiere waren halb 
erwachsen, als sie operiert wurden, und blieben am Leben, bis sie 
vollständig ausgewachsen waren) aus der Integrität des Tractus optieus 
der operierten Seite hervor. Zu diesen beiden Hunden kommt der 
von Herrn Prof. Goltz auf der Naturforscher-Versammlung zu Straß- 
burg !) demonstrierte, bei dem die Großhirnrinde der linken Seite mit 
einziger Ausnahme des hintern Teiles des Lobus olfaetorius fort- 
genommen war. Herr Prof. Goltz hat die Freundlichkeit gehabt, 
mir die Gehirne der getöteten Tiere zur anatomischen Untersuchung 








1) Vergl. Tageblatt 8. 414. Sämtliche Hunde waren erwachsen, als sie 
operiert wurden, 





Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 327 
zu überlassen. Man denke sich die bezügliche Großhirnhemisphäre 
frontal in 4 Teile geteilt und die Teile von hinten nach vorn mit 
1, 2, 4 und 3 bezeichnet. Teil 1 war am 24. Okt. 1884, 2 am 7. Jan., 
3 am 19. Febr. und 4 am 6. Mai 1885 fortgenommen worden. Hier 
kommt zunächst Teil 1 in betracht, nach dessen Entfernung nicht 
weniger als 11 Monate vergangen waren. Das Gehirn ist noch nicht 
genügend erhärtet, um es schneiden zu können, aber makroskopisch 
ist auch bei ihm am Tractus opticus nicht die geringste Atrophie zu 
erkennen. Ob der Hund hemiopisch war (hemiopisch im ganzen Um- 
fange der Bedeutung, die man dem Worte gegenwärtig unterlegen 
kann), darüber mir bei der Demonstration ein Urteil zu bilden, war 
ich auch entfernt nicht im stande, aber von meinen beiden Hunden 
glaube ich behaupten zu dürfen, dass sie es nicht waren. Ich will 
jedoch nicht verschweigen, dass in meinen Bemühungen, hierüber zur 
vollen Klarheit zu kommen, Geruch und Gehör, vorzugsweise aber 
erster, mir ungemein hinderlich waren und stets aufs neue Zweifel 
hervorriefen!). Vollkommen sicher aber bin ich in der Ueberzeugung: 
dass jeder, seiner Sehphäre beraubte Hund, bei dem nach Ablauf 
der erforderlichen Zeit eine Atrophie des Traetus opticus gefunden 
wird, für irgend einen Schluss in betracht der sogenannten Sehsphäre 
absolut unbrauchbar ist, dass aber demnach auch kein an der Seh- 
sphäre vorgenommener Eingriff mit seinen Folgen für die Beobach- 
tung im Leben diese für rein und gesichert ausgeben darf, bevor 
nicht das Tier so lange gelebt hat, bis man bei der Sektion mit Be- 
stimmtheit entscheiden kann, ob der Tractus durch Druck gelitten 
hat oder nicht. 

Leiehter sind die Beobachtungen in der Richtung der Bewegungen 
als solcher, beziehungsweise der „motorischen Zone“. Bei ihnen ist 
der Unterschied im Erfolge, je nachdem man bei neugebornen oder 
mehr erwachsenen Tieren operiert, sofort in die Augen fallend. Beim 
neugebornen Tiere (Kaninchen) stört selbst die Fortnahme einer ganzen 
Gehirnhemisphäre nicht im geringsten die Bewegung; operiert man 
dagegen bei mehr herangewachsenen Tieren (Kaninchen, Katzen), so 
treten schon nach einseitiger Fortnahme des einen Stirnhirnes, was 
allerdings ein ziemlich verschwimmender Ausdruck ist, nieht unbe- 
deutende Unregelmäßigkeiten auf. Bei den Kaninchen wurde die Spalte 
2 mm hinter, bei den Katzen in der Kranznaht selbst angelegt, und, 
während die Köpfe auf den horizontalen Aesten der Unterkiefer auf- 
lagen, das Messer senkrecht eingeführt und mittels desselben der 
ganze vor ihm liegende Hirnteil mit Einschluss des Lobus olfactorius 
abgetrennt. Versuchen die aus der Narkose erwachenden Tiere sich 
aufzurichten, so fallen sie auf die der Operation entgegengesetzte 
Seite, vermögen sich jedoch, sobald sie etwas freier in ihrem Sen- 





4) Ich erinnere hier an die Munk’schen kontralateralblinden und hemio- 
pischen Hunde. 


328 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 


sorium geworden sind, aufrecht zu erhalten, wobei die Katzen in der 
bekannten Weise mit der dorsalen Fläche des Vorderfußes aufzutreten 
pflegen, die Kaninchen den Vorderfuß nicht gehörig vorsetzen, beiderlei 
Tiere aber auch in der Bewegung der Hinterbeine keine Unzulänglich- 
keiten wahrnehmen lassen. Der Schnitt trifft bei den Katzen das 
Stirnhirn etwa 1 mm hinter dem sogenannten Gyrus posterueiatus, 
erreicht die Basis des Lobus olfactorius jedoch nicht immer, was aber 
von unwesentlicher Bedeutung sein dürfte, in der gleichen Entfernung 
vom Bulbus (Folge geringer Abweichungen in der Lagerung der Köpfe 
während der Operation). In hohem Grade merkwürdig ist es, dass 
die genannten Störungen schon in wenigen Tagen fast spurlos ver- 
schwinden und die Tiere, welche überhaupt die Operation staunens- 
wert leicht ertragen, sehr bald sich wieder benehmen, als wenn gar 
nichts mit ihnen vorgenommen wäre. Der bei der anatomischen Unter- 
suchung zutage tretende Effekt war bei den Kaninchen eine vollständige, 
bei den Katzen eine nicht vollständige Atrophie der Pyramidenbahn 
(Hämatoxylinpräparate). Bei einem Hunde, bei dem die Spalte 3 mm 
hinter der Kranznaht angelegt wurde und die Erscheinungen während 
des Lebens dieselben waren, wie bei der Katze, zeigte sich die Pyra- 
midenbahn wie beim Kaninchen ganz atrophisch. Abnorm gesteigerte 
Lebhaftigkeit der Bewegungen, wie sie bei dem dritten (Straßburger 
Tagblatt S. 415) von Goltz vorgestellten Hunde in so auffallender 
Weise zutage trat, habe ich bei keinem der von mir in der ange- 
gebenen Weise operierten Tiere wahrgenommen. Goltz stellte auch 
einen Hund mit großer und tiefer Zerstörung der sogenannten motori- 
schen Zone beider Hirnhälften vor. Die Bewegungen desselben waren 
äußerst plump. Er konnte aber gehen und kein Muskel war gelähmt. 
Der Hund war außer stande, von selbst zu fressen. Man musste ihm 
die Bissen unmittelbar vors Maul halten, wenn er sie verzehren sollte. 
Er zeigte ferner eine ausgeprägte Sehstörung, obwohl seine Sehsphären 
wenigstens zum Teil erhalten waren. Soweit das Tageblatt auf der 
angeführten Seite. Die Zerstörung war in der That, wie aus dem 
mir vorliegenden Gehirne hervorgeht, eine sehr umfangreiche und 
tiefgehende. Keinem Zweifel dürfte es unterliegen, dass die als 
motorische Regionen geltenden Teile ganz vernichtet waren, aber auch 
die sogenannte Sehsphäre fehlt auf der linken Seite ganz und ist auf 
der rechten wenigstens nicht intakt. Das Gehirn ist noch nicht ge- 
schnitten, und ich werde später ausführlicher über den Befund be- 
richten, aber Thatsache ist und bleibt es, dass das Tier nicht gelähmt 
im gewöhnlichen Sinne des Wortes war, wenngleich es nicht weniger 
Thatsache ist, dass es sich äußerst plump bewegte und diese Plump- 
heit nicht ohne weiteres mit seinem Idiotismus zusammenfällt. An 
Katzen und Hunden habe ich die oben beschriebene, von mir geübte 
Abtrennung des Stirnhirns auf beiden Seiten nicht vorgenommen, 
die Doppelabtrennung dagegen bei einer Reihe von Kaninchen, die 











Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 399 


indess nicht älter als 2 Monate waren, ausgeführt. Die Operation 
ist nicht ohne Gefahr. Bei ihr muss allem Anscheine nach der Lobus 
olfactorius geschont werden, wenn die Tiere nicht zu grunde gehen 
sollen, auch ist sie tödlich, wenn der Schnitt beiderseits — wenigstens 
schien das aus der Sektion der wenige Tage nach der Operation zu 
grunde gegangenen Tiere hervorzugehen — den äußern Teil der 
innern Kapsel, oder gar die Ausstrahlung des Thalamus getroffen 
hatte. Die durchgekommenen Tiere leben aber noch, weshalb ich sie 
eigentlich gar nicht hätte erwähnen sollen. Sie haben in ihrem Be- 
nehmen Aehnlichkeit mit jenen Kaninchen, denen wenige Tage nach 
der Geburt beide Hemisphären abgetragen worden waren. Auch ihnen 
musste durch die Pflege nachgeholfen werden, auch sie blieben in 
der körperlichen und geistigen Entwicklung bedeutend hinter ihren 
Altersgenossen zurück, zeigten aber doch innerhalb des allgemeinen 
psychischen Defekts vorzugsweise Störungen der Bewegung; die Tiere 
saßen anders wie normale, schoben dabei die Hinterbeine vor, so dass 
die Vorderfüße zwischen die Hinterfüße zu stehen kamen, und wenn 
sie sprangen, hoben sie den Hinterteil des Körpers viel höher und 
schleuderten die Hinterbeine viel weiter hinaus, als dies gewöhnlich 
der Fall ist. Auch schwankten sie leicht, wenn sie sich mit den 
Vorderfüßen den Kopf putzten, und überschlugen sich auch wohl 
— wie das von den ihrer beiden Hemisphären großenteils beraubten 
Tieren berichtet wurde — wenn sie sich aufrichteten, um den Rest 
eines Kohlblattes ins Maul zu bringen. Merkwürdig ist aber doch 
auch wieder, dass, je älter die Tiere wurden, auch diese Störungen 
mehr zurücktraten. 

Ich unterlasse es, aus den mitgeteilten, bei mehr herangewach- 
senen Tieren angestellten Versuchen bestimmte weitergehende Schluss- 
folgerungen zu ziehen, werde sie fortsetzen und darüber später zu- 
gleich mit den Sektionsbefunden unter Heranziehung der Sehnittmethode 
berichten. Uebrigens bemerke ich noch ausdrücklich, dass auch eine 
sorgfältige Untersuchung der Hirnrinde (Karminpräparate) von Ka- 
ninchen, denen in erwachsenem Zustande Augen entfernt worden 
waren, zu keinem andern Resultate führte, als von Kaninchen, bei 
denen ich dieselbe Operation wenige Tage nach ihrer Geburt vornahm. 


Eine halbe Wahrheit ist gefährlicher als ein ganzer Irrtum, der 
viel leichter richtig gestellt werden kann, welchem Satze ich noch 
eine Stelle aus $1 der Abhandlung Scehiller’s über den Zusammen- 
hang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen an- 
schließen könnte, die lautet: es ist gewiss der Wahrheit nichts so 
gefährlich, als wenn einseitige Meinungen einseitige Widerleger finden. 

Bin ich auch kein Anhänger der Lehre, welche die Großhirnrinde 
mit scharfer Abgrenzung unter die verschiedenen Sinne und Muskel- 








330  Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 


gruppen verteilt, so bin ich doch auch nichts weniger als ein Gegner 
jeglicher Lokalisation. 

Die anatomischen Verhältnisse, auf die ich mich stütze, sind 
folgende: 

1) In der ganzen Säugetierreihe findet sich ein bestimmtes Ver- 
hältnis zwischen der Größenentwicklung des Lobus und der des Bulbus 
und Nervus olfactorius. Die Bedeutung dieses Befundes wird von 
keiner Seite bestritten werden können, und das um so weniger, als 
gleichzeitig die Rinde des Lobus olfactorius besondere Eigentümlich- 
keiten darbietet. Ich erinnere aber gleichzeitig an die Abtrennung 
beider Bulbi bei 7—8 Tage alten Kaninchen, nach der sich die Lobi 
dennoch weiter entwickeln und bei der Untersuchung des erwach- 
senen Tieres sich anscheinend ganz normal verhalten. Würde deren 
Hirnrinde, wird man schließen dürfen, ausschließlich vom Geruchs- 
sinn aus in Thätigkeit versetzt, so müsste sie atrophieren. So aber, 
ich wiederhole es, liegt hier ein Fingerzeig für eine nieht unwesent- 
lich modifizierte Lokalisationshypothese. 

2) Fortnahme des Stirnhirns und nur diese führt zur vollständigen 
Atrophie der Pyramidenbahn. Fortnahme des Scheitel- und Hinter- 
hauptshirnes lässt diese unberührt. Bei dieser Gelegenheit will ich 
gegenüber Flechsig, obgleich mir an der Priorität nicht allzu viel 
liegt, bemerken, dass diese Abhängigkeit der Pyramidenhahn vom 
Stirnhirn zuerst von mir nachgewiesen wurde |vergl. Korrespondenz- 
blatt für Schweiz. Aerzte, 1872, Nr. 4]1). Ich nehme an, dass Hirn- 
rindenteile, die einer besondern abgeschlossenen Bahn ihren Ursprung 
geben, auch einer besondern Funktion vorstehen. 

3) Nach Fortnahme einer ganzen Hemisphäre mit Einschluss des 
Corpus striatum atrophiert der ganze rechtsseitige Peduneulus (Karmin- 
präparat). Beim Kaninchen liegen der mediale und laterale Teil des- 
selben nebeneinander, bei den höhern Säugetieren kommen Verschie- 
bungen vor, auf die ich hier nicht weiter eingehen kann, bei allen 
aber gibt die Ausstrahlung der Meynert’schen Kommissur genügen- 
den Aufschluss über die Grenzscheide beider. Thatsache ist es, dass 
der mediale Teil zum Stirnhirn, der laterale zum Scheitel-Hinterhaupts- 
hirn wenigstens vorzugsweise in Beziehung steht. 

4) Die Abhängigkeit der Schleife (der von v. Monackow soge- 
nannten Rindenschleife) von der Großhirnrinde wurde ebenfalls von 
mir zuerst nachgewiesen ?). Thatsache ist es, dass sie abhängt vom 
Scheitel- Hinterhauptshirn. Ich bin der Meinung, worüber noch ge- 





4) Die dort erwähnte Atrophie des Hypoglossuskernes war ein zufälliger 
Befund. Ich bin noch im Besitze des Präparates, habe seitdem noch ein mal 
und zwar ein vollständiges Fehlen desselben Kernes auf einer Seite bei einer 
Katze gefunden, einmal auch und zwar bei einem sonst ganz normalen Ka- 
ninchen das einseitige Fehlen des Abducenskernes. 

2) Archiv für Psychiatrie, XI, S. 237. 








Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 351 


nauere Untefsuchungen definitiv entscheiden müssen, dass der Lobus 
olfactorius zum Scheitel-Hinterhauptshirn zu rechnen ist, Fortnahme 
des Stirnhirns aber lässt jedenfalls die Schleife die bezüglichen Fibrae 
arcuatae und die Kerne des Funiculus cuneatus und graeilis intakt, 
während diese wenigstens großenteils zugrunde gehen — sich an- 
nähernde Beobachtungen wurden bereits von v. Monackow im Korre- 
spondenzblatt für Schweiz. Aerzte, 1884, Nr. 6 u. 7 veröffentlicht — 
wenn das Scheitel- Hinterhauptshirn entfernt wurde. 

5) Die Kerne des Thalamus sind zum Teil unabhängig von der 
Großhirnrinde, so insbesondere diejenigen (worauf ich an einem andern 
Orte zurückkomme), die durch die von mir sogenannte Commissura 
inferior mit einander verbunden sind. Ob gar keine Kerne vom Stirn- 
hirn abhängig sind — die Grenze desselben ist, wie wiederholt be- 
merkt, unsicher — lasse ich vorläufig dahingestellt, aber die große 
Mehrzahl derselben, mit ihr auch das Corpus genieulatum internum, 
ist abhängig vom Scheitel - Hinterhauptshirn. 

6) Auch das mediale hintere Ganglion des Corpus mammillare 
ist abhängig vom Scheitel-Hinterhauptshirn, bleibt erhalten nach Ab- 
trennung des Stirnhirns. 

Nach allen diesen anatomisch nachgewiesenen Abhängigkeiten 
von wenigstens 2 Hauptregionen der Großhirnrinde bleibt wohl nichts 
Anderes übrig, als sich mit einer gewissen Entschlossenheit zu der 
Ansicht zu bekennen, dass bei normaler Entwieklung und Einübung 
der Großhirnrinde sich auch die Funktionen wenigstens in 2 Haupt- 
regionen lokalisieren, der für die Bewegungs- und der für die Em- 
pfindungsvorstellungen. Mehr zu behaupten, hat man bis jetzt, glaube 
ich, nicht das Recht. 

Für die Methode fernerer Untersuchungen lag es nahe, daran zu 
denken, ob es nicht möglich sei, ohne oder doch mit möglichst ge- 
ringer Verletzung der Hirnrinde die von ihr abhängigen Bahnen und 
Zentren anzugreifen und nach ihrer Zerstörung den Erfolg in der 
Hirnrinde aufzusuchen. Anfänge in dieser Richtung habe ich schon 
vor Jahren gemacht. Man muss an die Basis heran. Zu diesem Zwecke 
enukleierte ich bei jungen Tieren ein Auge und versuchte durch das 
Foramen optieum in die innere Kapsel einzudringen und zwar zunächst 
in das mittlere Drittel derselben, d. h. in die Pyramidenbahn. Ob 
man diese wirklich zerstört hat, darüber zwar gibt die spätere ana- 
tomische Untersuchung vollkommen zuverlässigen Aufschluss, aber 
bis jetzt nieht darüber, ob man nicht etwas mehr zerstört hat. Bei 
einem Kaninchen, bei dem nur ein ganz kleiner Rest der Pyramiden- 
bahn sich erhalten zeigte, fand sich in der Hirnrinde eine fast voll- 
ständige Atrophie der großen Pyramidenzellen, ohne nachweisbare 
Beteiligung der andern Zellenformationen. Einen ähnlichen Befund 
beschreibt v. Monackow nach einem andern und zu einem ganz 
andern Zweck gemachten Eingriff im Archiv für Psychiatrie, XIV, 





332 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten, 


S. 713—716. — Der merkwürdige Befund regt den Gedanken an, ob 
nicht an die verschiedenen Zellenlagen sich verschiedene Funk- 
tionen binden. Thatsache scheint zwar zu sein, dass beim normalen 
Kaninchengehirn !) die zahlreichsten und größten Pyramidenzellen 
sich in der Region des Stirnhirns befinden: ich muss aber gleich be- 
merken, was allerdings noch nicht entscheidend ist, dass in einem 
Hundegehirn, bei dem die Pyramidenbahn durch einen Eingriff in das 
Stirnhirn (Zeichnung) ganz und gar zugrunde gegangen war, die großen 
Pyramidenzellen sich zum Teil noch wohl erhalten fanden. Seitdem 
habe ich einen andern Weg aufgefunden, auf dem sich wenigstens 
für gewisse Bahnen die Aussicht eröffnet, dem gewünschten Ziele 
näher zu kommen. Wie aber auch diese Bemühungen ausfallen: das 
eine dürfte jetzt schon klar sein, dass es noch mancher und großer 
Arbeit bedarf, um über die Funktionen und die Lokalisation der Funk- 
tionen der Großhirnrinde ins reine zu kommen, und dass man mit 
der Befolgung der Heine’schen Doktrin des Trommelschlagens nur 
den, der nicht selbst untersucht hat, mit sich fortreißen kann ?). 

Zuerst also Anatomie und dann Physiologie; wenn aber zuerst 
Physiologie, dann nicht ohne Anatomie. 

Zum Schlusse nur noch zwei Bemerkungen: 1) dass es zunächst 
ziemlich gleichgiltig ist, was ich mir über eine weitere Gliederung 
der Hirnrinde innerhalb der Grenzen der Bewegung und Empfindung 
denke, dass aber die große Müller’sche Errungenschaft der spezi- 
fischen Energie der Sinnesorgane, die Helmholtz der Entdeckung 
des Gravitationsgesetzes gleichgestellt hat, davon ganz unberührt 
bleibt und 2) dass man auch vom höhern Säugetier inbezug auf die 
Bewegung nicht ohne weiteres auf den Menschen schließen darf, weil 
bei diesem die willkürlichen Bewegungen eine unendlich viel 
größere Rolle spielen, als bei jenen. 


Ueber die Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 
Von Dr. G. Baur 


in New-Haven. Conn., Yale College Museum. 

Durch die neuen Funde in der Permformation Nord - Amerikas 
und Europas, die uns namentlich durch die Arbeiten von Cope, 
Credner, Fritsch und Gaudry bekannt geworden sind, ist eine 
neue Aera für das richtige Verständnis der Wirbelsäule emporgestiegen. 
Schon vor dreißig Jahren war der große Osteologe H. v. Meyer bei- 
nahe grade so weit wie wir heute sind; sonderbar aber ist, dass seine 





1) Die Untersuchungen wurden an Serien von Sigittalschnitten vorgenommen, 
es wäre indessen noch möglich, dass durch die nicht ganz gleichen Winkel, 
unter denen die Zellenlagen getroffen werden, eine Täuschung hervorgerufen 
wurde. 

2) Oder gelinder gesagt der Empedokleischen des dis xaı roı5 ro xalov. 





Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 333 


ausgezeichneten Mitteilungen über diese Frage beinahe vollkommen 
vernachlässigt worden sind. 
“ Credner!) hat neuerdings auf letztern Umstand hingewiesen. 

Heute stehen sich zwei Ansichten diametral gegenüber; die von 
Gaudry-Fritsch und die von Cope. 

Um dieselben hier klar zu legen, ist es am besten, von einem 
Wirbel auszugehen, der möglichst alle Elemente enthält. Solche Wirbel 
sind z. B. bei Chelydosaurus Fritsch vorhanden. Ein Wirbelkomplex 
besteht aus folgenden Elementen: 

1) dem obern Bogen (zwei-seitliche Elemente), 

2) dem Hypocentrum arcale, 

3) den beiden seitlichen Pleurocentren, 

4) dem Hypocentrum pleurale, welches zwischen je zwei Hypo- 
centra arcalia liegt. 

Die Anschauung von Gaudry und Fritsch ist nun: 

Das Hypocentrum arcale ist der eigentliche Wirbel- 
körper der Amnioten; die Pleurocentren sind nach Fritsch 
die vordern Gelenkfortsätze, Sphenodon (Hatteria); das Hypo- 
centrum pleurale ist homolog den Hypapophysen, das heißt 
untern Bögen der Amnioten. Gaudry erblickt im Hypocentrum 
arcale + den beiden Pleurocentren den eigentlichen Wirbelkörper. 

Cope dagegen behauptet und Albrecht?) sowie Dollo:) und 
ich*) haben sich ihm angeschlossen: 

Das Hypocentrum arcale (Cope’s Intercentrum) ist homolog 
den Hypapophysen d. h. untern Bögen der Amnioten. 

Die Pleurocentra sind homolog dem eigentlichen Wirbel- 
körper. 

Das Hypocentrum pleurale trägt zur Vervollständigung des 
Wirbelkörpers bei. 

Im nachfolgenden werde ich nachzuweisen versuchen, dass nur 
die Cope’sche Ansicht die richtige sein kann. 


Historischer Ueberblick. 


Die ersten Bemerkungen und Abbildungen über Wirbel, bestehend 
aus „Pleurocentra“ und „Intereentra“, stammen vonH. v.Meyer und 





1) Credner H., Die Stegocephalen aus dem Rotliegenden ... V. Teil. 
Zeitschr. deutsch. geol. Gesellsch., Jahrg. 1885, S. 718—724. 

2) Albrecht P., Note sur une h&mivertebre gauche de Python Sebae. 
Dum. Bull. Mus. Roy. Hist. Nat. Belg., Bd. II, 1883, p. 22. 

3) Dollo L., Note sur le Batracien de Bermnissart. Ibid. Bd. III, 1834, 
p- 86; — Premiere note sur le Simoedosaurien d’Erquelinnes. Ibid. Bd. III, 
1884, p. 165. 

4) Baur G., The Intercentrum of living Reptiliaa Am. Nat., Febr. 1886, 
p. 174; ders., Die zwei Centralia im Carpus von Sphenodon (Hatteria) und 
die Wirbel von Sphenodon und Gecko vertieillatus Laur, (@. Verus, Gray). 
Zool. Anz., Nr. 219, 1886. 


304 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Ammnioten. 


Plieninger!). Eine genauere Homologisierung ist aber nicht ge- 
geben. 

Im Jahr 1854 sagt H. v. Meyer in Mitteilungen, an Professor 
Bronn gerichtet (Neues Jahrbuch f. Min., 1854, S. 424—426), folgen- 
des über die Wirbel von Archegosaurus: 

S. 424. „Unterwirft man die von den Wirbeln herrührenden Ueber- 
reste einer genauern Untersuchung, so erlangt man die Ueberzeugung, 
dass in Archegosaurus die Rückensaite (Chorda dorsalis) gar nicht 
gegliedert, nicht in einzelne Wirbelkörper getrennt sein konnte, sie 
muss vielmehr einen ungegliederten Zylinder von weicher Beschaffen- 
heit dargestellt haben, woran peripherisch knöcherne Teile ange- 
bracht waren. Es ist dies ein Charakter, der vorzugsweise den 
Embryonen eigen ist, doch treten auch, insbesondere bei den Fischen, 
die verschiedenen Entwicklungs-Phasen des Embryos als feststehende 
Typen, niedrigere Organisations-Stufen bildend, auf, deren geologische 
Wichtigkeit Agassiz und hierauf Heckel erfolgreich nachgewiesen 
haben. Dass ein ähnliches Verhältnis sich bei den Reptilien vorfinden 
würde, war bisher nicht einmal vermutet worden“. v. Meyer unter- 
scheidet folgende knöcherne Wirbelteile: 

1) einen dachförmigen obern Bogen, 

2) eine untere, äußerst schwach gebogene horizontale Platte, 
welche den Wirbelkörper vertritt, 

3) einen vertikalen keilförmigen und mit der Spitze abwärts ge- 
richteten Knochen an der Außenseite zwischen je zwei Wirbeln 
und zwar an der Stelle, wo das den Nerven zum Ausgang 
dienende Intervertebral-Loch sich vorfindet. 

Im Schwanz treten hiezu noch andere peripherische Teile, nament- 
lich ein knöcherner unterer Bogen. 

Von großem Interesse, sagt er, ist das Wirbelsäulenstück, welches 
aus dem Alaunschiefer der Lettenkohle von Gaildorf stammt?). 

S. 426. „Es besteht aus 3 noch zusammenhängenden Wirbeln. — 
Diese Wirbel sind denen im Archegosaurus analog gebildet. Außer 
dem Bogen erkennt man die den Wirbelkörper vertretende Knochen- 
Platte, welche von der in Archegosaurus nur dadurch verschieden ist, 
dass die bei letztem eigentlich gar nicht in betracht kommende Außen- 
seite auffallend hoch sich darstellte, indem sie unter Zuspitzung bis 
zum obern Bogen reicht, was dem Querschnitt der Platte eine huf- 
eisen- oder halbringförmige Gestalt verleiht. Der keilförmige Knochen 
an der Außenseite ist auch hier vorhanden und schloss den durch die 





1) Meyer H. v.und Plieninger Th., Beiträge zur Paläontologie Württem- 
bergs, Stuttgart 1844, Taf. VII, Fig. 5 u. 6, (Wirbel mit großen Intercentra) 
S. 39—40 und 67. 

9) Meyer H. v. und Plieninger Th., Beiträge zur Paläontologie Würt- 
tembergs, Stuttgart 1844, $. 39, Taf. VII, Fig. 5, 6; Meyer H. v., Saurier 
des Muschelkalkes, Taf. 29, Fig. 15. 


Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 335 


aufwärts gehende Zuspitzung der Außenseite der Wirbelplatten ent- 
stehenden unbedeckten Raum wohl bis auf ein geringes Intervertebral- 
Loch, durch das die Verbindung des Rückenmarkes mit den Nerven 
unterhalten wurde“. 

Meyer’s Hauptuntersuchungen über diesen Gegenstand finden 
sich aber in seinem großen Werk über die Reptilien der Steinkohlen- 
formation }). 

S. 95—104 wird die Wirbelsäule von Archegosaurus behandelt. 

H. v. Meyer beginnt mit den Worten: „Die Beschaffenheit der 
Wirbelsäule in Archegosaurus war meinen Vorgängern gänzlich ent- 
gangen“ und S. 97 sagt er: „Wenn man die trefflichen Untersuchungen, 
die wir von Bär, Joh. Müller, Rathke und andern über die Ent- 
wicklung der Wirbelsäule während des Fruchtlebens der Tiere und 
in der nächstfolgenden Zeit verdanken, zu Rat zieht, und sich dabei 
der ausgewachsenen Knorpelfische als Vergleichungsmittel bedient, so 
wird man dahin gelangen, sich eine richtige Vorstellung von der Be- 
schaffenheit der Wirbelsäule in Archegosaurus zu machen“. 

Wie früher unterscheidet v. M.: obern Bogen, untern Bogen, und 
die seitlichen Keile. 

Der obere Bogen entsteht zuerst, und zwar aus 2 Seitenteilen. 
Die Verwachsung der beiden Bogenhälften ist wahrscheinlich erst nach 
dem mittlern Alter des Tiers eingetreten. Vordere und hintere Gelenk- 
fortsätze sind wohl entwickelt, ebenso findet man am vollständig ent- 
wickelten Bogen eine den Querfortsatz vertretende Anschwellung, 
welche die Rippe aufnahm. 

Nach dem obern Bogen tritt der untere auf, er mochte, so lange 
er aus Knorpel bestand, analog dem obern Bogen, aus 2 Teilen be- 
standen haben. Ob auch die Verknöcherung aus 2 Punkten ausging, 
ist unsicher. Nur an einem Exemplar fand H. v. M. die untere Platte 
als ein Paar rundliche Knorpelblättchen gebildet, aber nur in der 
vordern Gegend des Rumpfes. Dahinter stellt sich schon die einfache 
Platte dar, anfangs allerdings in einer Gestalt, welche der Vermutung, 
dass sie aus 2 Plättehen hervorgegangen, günstig wäre. Diese Platten, 
auf denen die Rückensaite lag, schlossen nicht dicht aneinander an, 
sondern waren durch kleine knochenlose Zwischenräume von einander 
getrennt. 

v. M. bielt anfangs die untere Platte für den Wirbelkörper; da 
aber bei allen Tieren die Verknöcherung des Wirbelkörpers immer 
ringförmig ist, so nimmt er an, dass bei Archegosaurus eine Ver- 
knöcherung des Wirbelkörpers gar nicht stattfand, und dass die Platte 
einer Ausstrahlung aus dem Wirbelkörper ihren Ursprung verdankt. 
„Diese untere Platte lässt sich am besten dem sogenannten accessori- 
schen Knochenstück oder Schlussstück des Atlas anderer Tiere, das 





4) H. v. Meyer, Reptilien aus der Steinkohlenformation in Deutschland, 
Juli 1857, Palaeontographica, Bd. VI. Kassel 1856—1858. 





nn 
336 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 


irrtümlich für den Körper des Atlasses gehalten wurde, vergleichen. 
Dieses Knochenstück ist nichts Anderes als ein modifizierter unterer 
Bogen. Dieselben Bildungen sind die Knochenkeile in den ersten 
Halswirbeln des Ichthyosaurus |Egerton, Trans. geol. Soc., London, 
2. Ser., V, p. 187, t. 14], und die Zwischenwirbelbeine von 
Sphenosaurus (Saurier des Muschelkalkes, S. 141, t. 70). 

Bei den Fischen ist dieser untere Bogen nicht einfach, sondern 
doppelt. Er stellt getrennte Bogenteile dar, mit mehr oder weniger 
deutlichen Fortsätzen, die sich im Schwanze zu Bogen mit Stachel- 
fortsätzen ausbilden. In den Knorpelfischen (Stör) tritt unten an jeder 
Seite der weichen Chorda ein schwach gebogenes, länglich viereckiges 
Knorpelstück auf, das früher Basilarknorpel genannt wurde und den 
untern Bogen darstellt. Denkt man sich diese beiden Knorpelstücke 
vereinigt und verknöchert, so hat man eine Knochenplatte, die der in 
Archegosaurus vollkommen ähnlich ist. Deutlicher noch tritt diese Er- 
scheinung bei den sogenannten halbwirbeligen Ganoiden auf (Heckel, 
Sitzungsber. d. k. Akad. in Wien, 1850, V, 8.143, 358; Thiolliere, 
poissons foss. du Jura dans le Bugey, p. 6). 

„Es gehört sonach die untere Platte in Archegosaurus wohl un- 
bezweifelt dem untern Bogen an, was noch dadurch eine Bestätigung 
erhält, dass je eine solche Platte selbst in der Rückengegend nicht 
genau unter einem, sondern mehr zwischen je 2 obere Bogen zu liegen 
kommt, und dass die Platte in den Schwanzwirbeln sich zu einem 
vollständig ausgebildeten untern Bogen mit einem sehr geräumigen 
Loche und Durchgang für die starken Blutgefäße und mit einem 
Stachelfortsatz entwickelt. Die Seiten der Platte nehmen in den ältern 
Tieren wohl an Höhe zu, doch betrug diese selbst in den Schwanz- 
wirbeln kaum mehr als die halbe Höhe der ungegliederten Rücken- 
seite, der durch sie eine knöcherne Stütze ward“. Ob der Bogen 
anfangs in zwei Hälften getrennt war, ließ sich nicht ermitteln. 

Die seitlichen Keile verknöchern zuletzt. „Zwischen je zwei 
obern Bogen oder vielmehr in der hintern Gegend des untern Teils 
einer jeden Bogenhälfte tritt vertikal, mit der Spitze abwärts gerichtet 
und auf die Lücke zwischen je zwei untern Platten deutend, ein 
knöcherner Keil auf, der sich anfangs als ein schmälerer Knochen 
zu erkennen gibt. — Diese Keile sind nicht auf die obern Bogen 
beschränkt; in der vom Schwanz eingenommenen Strecke finden sie 
sich auch zugleich zwischen je zwei untern Bogen, mit dem spitzern 
Teil aufwärts gerichtet, vor, und es scheint fast, als wenn zwischen 
den untern Bogen mehr als ein Paar solcher Keile vorhanden ge- 
wesen wäre. 

Diese Keile finden sich ebenfalls bei den Knorpelfischen. Bei 
Aceipenser, Chimaera finden sich nach J. Müller zwischen den Seiten- 
teilen der obern Bogen, der Gelenkfläche von je zwei Wirbeln und 
nicht wie der wirkliche obere Bogen der Mitte eines Wirbels ent- 








Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 337 


sprechend, mithin ganz an derselben Stelle, wo in Archegosaurus die 
keilförmigen Knochen liegen, Knochenplättehen von meist unregel- 
mäßiger dreieckiger Form auf. Diese Knochenplättchen, die einfach 
und doppelt vorhanden sein können, erscheinen auch zwischen den 
untern Bogen“. 

Zusammenfassung. 

Die Chorda ist ein ungegliedertes Rohr. Eigentliche Wirbelkörper 
kommen nicht zur Bildung; dagegen 

1) die obern Bogen, sie treten zuerst auf, und entstehen aus 
zwei seitlichen Elementen. 

2) Die untern Bogen, vielleicht aus 2 Elementen sich ent- 
wickelnd; ihnen sind homolog das untere Schluss-Stück des 
Atlas, die Hypapophysen der Cervikalwirbel der Reptilien; 
und die „Zwischenwirbelbeine“ von Sphenosaurus, sowie die 
„Basilarknorpel“ der Knorpelfische; sie wachsen im Schwanz 
zu den untern Bögen (Chevron-Bones) aus. 

3) Die seitlichen Keile, sie entstehen zuletzt und sind den 
Knorpelbildungen bei den Knorpelfischen (Aceipenser, Chimaera) 
homolog. Im Schwanz sind sie stärker entwickelt als im 
Rumpf. 

Owen R., On the orders of Fossil and Recent Reptilia, and their 
Distribution in Time. Brit. Assoc. Rep. (Aberdeen 1859) London 1860. 
p- 157 gibt folgende Darstellung der Wirbelsäule von Archegosaurus, 
wohl zum größten Teil nach H. v. Meyer. „The vertebrae of the 
trunk in the fully developed full-sized animal present the following 
stage of ossification. The neurapophyses coalesce at the top to form 
the arch, from the summit of which is developed a compressed, sub- 
quadrate, moderately high, spine; with the truncate, or sligthly convex, 
summit expanded in the fore-and-aft direction, so as to touch the 
contiguous spines in the beck; the spines are distinet in the tail. The 
sides of the base of the neural arch are thiekened and extended 
outwards into „diapophyses“ having a convex artieular surface for 
the attachment of the rib; the fore part is slightly produced at each 
angle into a zygapophysis looking upward and a little forward; the 
hinder part is much produced backwards, supporting two thirds of the 
neural spine, and each angle is developed into a zygapophysis with 
a surface of opposite aspects to the anterior one. In the capsule of 
the notochord three bony plates are developed, one on the ventral 
surface, and one on each side, at or near the back part of the dia- 
pophysis these bony plates may be termed „eortical parts“ of the 
centrum, in the same sense in which that term is applied to the 
element which is called „body of the atlas“ in Man and Mammalia, 
and „subvertebral wedge-bone“ at the fore part of the neck in 
Enaliosauria. 


As such ventral or inferior eortical element co-exists with the 
VI. 9 


Ben. 


338 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 


separately ossified centrum in certain vertebrae of the Ichthyosaurus, thus 
affording ground for deeming them essentially distinet from a true 
centrum, I have applied the therm „hypapophysis“ to such inde- 
pendent inferior ossifiecations in and from the notochordal capsule, 
and by that term may be signified the sub-notochordal-plates in 
Archegosaurus, which co-exist with proper „hemapophyses“ in 
the tail.“ 

Dieselben Angaben finden sich in Owen’s Palaeontology. Sec. 
Edit. Edinburgh, 1861. 

Für Archegosaurus schuf Owen eine besondere Ordnung: die der 
Ganocephala. 

Die erste genauere Mitteilung von Cope tiber die Wirbelsäule 
der Batrachier und Reptilien der Permformation von Texas geschah 
am 5. April 1878 vor der American Philosophical Society, Phila- 
delphia }). 

p- 510 sagt Cope über die Wirbel von Clepsydrops (Rept. Order. 
Pelyeosauria.): „There are mostly small intercentra throuhgout the 
dorsal and caudal series, in the latter prolonged into two processes 
below, constituting chevron bones.“ 

p. 522 sagt er über Cricotus (Batr.): „The intereentra are more 
largely developed than in any other genus, having the form and pro- 
portions of the centra in the caudal region, and being but little 
smaller in other portions of the column. In the prepelvic region, the 
true centra only bear neural arches, which are artieulated, and bear 
short diapophyses at their base. On the caudal region they share the 
neural arches with the intercentra, while the latter bear the conti- 
nous chevron bones exelusively.“ 

p- 524. Trimerorhachis insignis (Batr.). 

„The eentrum is represented by three cortical ossifications of the 
chorda-sheath, a median inferior, and two lateral. The lateral pieces 
are quite distinet from each other, and are in contact with the 
neurapophyses above, and the posterior border of the median segment 
in front. The neural arch joins chiefly the lateral elements, but is 
in slight eontaet with the lateral summits of the inferior element.“ 

Am Schluss dieser Arbeit stellt Cope folgende Sätze auf. p. 530. 

„d. That in the primitive land vertebrata of the Permian, the 
place of the vertebral centrum was occupied by two elements the 
centrum and intereentrum. 

6. That the intereentrum, from a position of primary impor- 
tance, as in Rhachitomus and Trimerorhachis, became reduced, and 
finally mostly obliterated, but that it remains at the present day in 





4) Cope E. D., Desceriptions of extinet Batrachia and Reptilia from the 
Permian Formation of Texas. Proc. Am. Philos. Soc. XVII. 101. Palaeont. 
3ullet. Nr. 29. Vergleiche auch Cope E. D. A new Fauna. Amer. Naturalist. 
May 1878. p. 328. 


Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 339 


the anterior dorsal region of some Lacertilia; and as the chevron 
bones of most reptiles and some mammals.“ 

Nun folgt die erste Arbeit von A. Gaudry!'). 

p. 5 (Separatabdruck) sagt Gaudry über Actinodon (Batrach.) 
„Le eentrum est compos£& de trois os. — L’os inferieur est le plus im- 
portant.“ (Conf. Nouv. Arch. Mus. Hist. Nat. t. III. 1867.) 

p. 7. „Les os lateraux du centrum, qu’on peut appeler pleuro- 
centrum pour les distinguer de l’os inferieur. .. .* 

Am 5. Juni 1880 erschien Cope’s zweiter Beitrag über die Verte- 
braten der Permformation von Texas ?). 

Er stellt Archegosaurus, Actinodon, Trimerorhachis, Rhachitomus 
und Eryops zu den Ganocephala Owen, welche er folgendermaßen 
charakterisiert: p. 14. 

„Vertebrae eonsisting of centra and intercentra, the former not 
extending to the base of the vertebra, the latter not rising to the 
neural canal. The centrum eonsisting of two parts distinet from the 
superior neural arch; viz., a lateral piece (pleurocentrum), on each 
side. Atlas eonsisting of separate segments, the superior of which 
are not united above the neural canal, and the inferior (intercentrum) 
divided on the middle line, into two segments.“ 

Von Eryops sagt Cope p. 14: „The largest element of the ver- 
tebra is the intercentrum — which occupies the entire inferior sur- 
face of the vertebra. The element representative of the centrum is 
wedged in between the superior external angles of adjacent inter- 
centra, as in Trimerorhachis.“ 

Von diesem p. 18: „The portion of the atlas which represents 
the intercentrum is divided into two lateral portions, each of which 
has the form of an entire intercentrum, i. e., erescentic. The inter- 
centrum of a cervical of a large species of this group, is wider than 
that of the other vertebrae, and presents two articular facets anteriorly.“ 

Wir werden später sehen, dass diese Verhältnisse von sehr großer 
Wichtigkeit sind. 

Im April 1882 schuf Cope) die Subordnung Rhachitomi für 
Trimerorhachis, Eryops, Actinodon, Zatrachis; da Fritsch angegeben 
hatte, die Wirbel von Archegosaurus wären nicht segmentiert. 

1883 beschrieb Gaudry) die Wirbel von Enchirosaurus und 
gab dem „Intercentrum“ Cope den Namen Hypocentrum. 





1) Gaudry A., Les reptiles de l’&poque permienne aux environs d’Autun. 
Bullet. Soe. g&ol. France 3e ser. t. VII. s6ance du 16. Decembre 1878. 

2) Cope E. D., Second contribution to the history of the Vertebrata of 
the Permian Formation of Texas. (Read bef. the American Philos. Soc. May 7. 
1880. Pal. Bull. Nr. 32.) 

3) Cope E. D., The Rhachitomous Stegocephali. Am. Nat. April 1882. 
p. 335. 

4) Gaudry A., Les enchainements du Monde animal dans les temps g&o- 


logiques. Fossiles Primaires. Paris 1833. p. 273. FE 





340 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 


Im Januar 1884 gab Cope eine nähere Charakteristik der Perm- 
Batrachier ). 

Er stellt eine Gruppe auf: 

„Supra oceipital, intercalary and supratemporal bones present. 
Propodial bones distinet“ und unterscheidet 

1) Rhachitomi. „Vertebrae centra, including atlas, segmented, 
one set of segments together suppording one arch.“ 

2) Embolomeri?). „Vertebral segmented, the superior and in- 
ferior segments each complete, forming two centra to each arch.“ 

3) Stegocephali. „Vertebral centra, including atlas, not seg- 
mented; one to each arch.“ 

Die Rhachitomi enthalten die Genera: Trimerorhachis, Eryops, 
Acheloma, Anisodexis, Zatrachys Cope, Archegosaurus Goldf., Ac- 
tinodon, Euchirosaurus Gaudry. 

Die Embolomeri enthalten das Genus Cricotus Cope. 

Nun sind die Mitteilungen von Fritsch?) zu betrachten. 

Er beschreibt die Kaudalwirbel von Diplovertebron, welche ebenso 
wie die von Cricotus sich verhalten. Ferner erhalten wir eine neue 
Beschreibung der Wirbelsäule von Archegosaurus. Fritsch nimmt 
an, dass der embolomere Wirbelbau sich aus dem rhachitomen ent- 
wickelt habe, indem sich die Pleurocentra zu einer vollkommenen 
Wirbelscheibe vereinigten. 

Von sehr großem Interesse ist die Wirbelsäule von Chelydosaurus. 
Hier lernen wir zum ersten mal ein neues Element der Wirbelsäule 
kennen, das Hypocentrum pleurale; ich muss hierauf etwas 
näher eingehen. 

S. 24 sagt Fritsch: 

„Der Bau der Wirbel ist im allgemeinen „rhachitom“. Bei der 
Ansicht von unten sehen wir an den ältern Exemplaren wohl 
verknöcherte Wirbelkörper: die Hypocentra, welche ich, weil sie 
unter dem Neuralbogen liegen, Hypocentra arcalia nenne. — In 
den Zwischenraum zwischen zwei aufeinander folgenden dieser Hy- 
pocentren schieben sich von der Seite her die beiden Pleurocentra 
als zwei keulenförmige dreieckige Knochen. — An dieser Figur ent- 
deckte ich noch an zwei Präsakralwirbeln Reste von Wirbelkörpern, 
die zum Pleural-Abschnitt gehören, und welche ich Hypocentrum 
pleurale nenne. — An den Schwanzwirbeln erscheinen diese Hypo- 
centra pleuralia mutmaßlich als untere Dornfortsätze, resp. als untere 
Bogen“. 

Wir kommen nun auf einen sehr wichtigen Punkt zu sprechen: 





1) Cope E. D., The Batrachia of the Permian Period of North America. 
Am. Nat. Jan. 1884. p. 26—39. 

2) Amer. Naturalist. 1880. p. 610. 

3) Fritsch A., Fauna der Gaskohle und der Kalksteine der Permforma- 
tion Böhmens, Bd. II, Heft. 1, Prag 1885. 


Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 341 


auf die Wirbelsäule von Sphenosaurus Sternbergii H. v. M. Zuerst 
ist es nötig der Beschreibung von H. v. Meyer!) zu gedenken. 

„Die Rückenwirbel besaßen starke Gelenkfortsätze, welche die 
Länge des Wirbelkörpers nicht viel überragten, dafür aber um so 
mehr nach außen herausstanden, doch nicht so weit, als es jetzt in- 
folge des Druckes der Fall ist.“ Das „Zwischenwirbelbein“, 
das keilförmige Knöchelchen zwischen je zwei Wirbeln, erinnert etwas 
an die Bildungen, welche Egerton im Hals von Ichthyosaurus be- 
schrieben hat. „Die Knochenplatte, welche ich unten an der Rücken- 
seite gewisser Labyrinthodonten auffand, ist von anderer Bedeutung, 
da sie den Wirbelkörper vertritt, der dem Tier aus Böhmen nicht 
fehlt.“ Wie wir wissen (conf. oben), hat H. v. Meyer diese Meinung 
später zurückgenommen, und er setzt das „Zwischenwirbelbein“ homo- 
log der horizontalen Platte von Archegosaurus, sowie den untern 
Bogen der Vertebraten überhaupt. 

Fritsch kommt zu total verschiedenen Ansichten. Er sieht in 
den Gelenkfortsätzen die Pleurocentralia. In dem eigentlichen 
Wirbelkörper das Hypocentrum arcale und im „Zwischenwirbel- 
bein“, das Hypocentrum pleurale; stellt also Sphenosaurus nicht wie 
H. v. Meyer zu den Reptilien, sondern zu den Batrachiern. 

Basierend auf Fritsch’s Beschreibung kommt Cope?) zu folgen- 
den Schlüssen. 

„I. The prineipal vertebral bodies in the Sphenosauridae (Am. 
Nat., 1885, p. 592) |Sphenosaurus and Chelydosaurus]|, if Fritsch’s 
deseriptions be correct, are intercentra and not centra. 

II. It is probable that the true centra become extincet in the 
batrachian descendants of this family, so that the solid vertebrae of 
such Batrachia are intercentra, and not centra. 

III. The eharaeters of Cricotus on the other haud point to the 
extinetion or reduction of the intercentra as we find it inthe Pelyco- 
saurian Reptilia, and point to the probability of the Embolomeri being 
ancestors of the Reptilia, as I have already suggested (Am. Nat., 
1884, p. 37). 

IV. The Sphenosauridae (which must also include Sparagmites) 
are intermediate between the Rhachitomi and Embolomeri, resembling 
rather the latter in the completion of the true centrum, but resembling 
the former in the incompleteness of the intercentrum“. 

Kurz hierauf erschien die Fortsetzung von Fritsch’s Werk®): 

Fritsch fasst seine Ansichten über rhachitome Wirbel fol- 
sendermaßen zusammen S. 51. 





4) Meyer H. v., Die Saurier des Muschelkalkes mit Rücksicht auf die 
Saurier aus buntem Sandstein und Keuper. Frankfurt a. M. 1847— 1855. >. 141 
b1s1142. Taf. 70: 

2) Cope E.D., The Batrachian Intereentrum. Am. Nat., Jan. 1886, p. 76 — IT. 

3) Fritsch A., Fauna der Gaskohle, Bd. II, Heft 2, Prag 1885. 


349 Sternberg, Lehre von den Vorstellungen über die Lage unserer Glieder. 


„Die Wirbel vom rhachitomen Bau sind am schwierigsten zu ver- 
stehen, und ich kam erst am Schlusse meiner Studien durch Ver- 
gleichung mit Hatteria und bei Berücksichtigung der Verhältnisse bei 
Archegosaurus, Chelydosaurus und Sphenosaurus, wie ich glaube, zur 
richtigen Auffassung. 

Ein rhachitomer Wirbel besteht in seiner vollkommenen Ausbildung 
aus 5 Elementen: 





1) dem obern Bogen (Neurapophysis), 

2) dem dazu gehörigen unvollständigen Wirbel- 7 Arcalsegment. 
körper (Hypocentrum arcale), 

3) u. 4) zwei seitlich gelegenen Pleurocentra, | 

5) einem zu den Pleurocentra gehörigen keilför- Dlentalsermenk 


migen rudimentären Wirbelkörper Hypocentrum 
pleurale. 


So finden wir denselben bei Sphenosaurus, bei den präsakralen 
Wirbeln von Chelydosaurus und bei jungen Hatterien“. 
(Schluss folgt.) 


Zur Lehre von den Vorstellungen über die Lage unserer 
Glieder '). 


Von Maximilian Sternberg, 
stud. med. in Wien. 

Woher die Kenntnis von der Lage unserer Gliedmaßen stammt, 
ist eine Frage, die von den Autoren sehr verschieden beantwortet 
worden ist. Ch. Bell und nach ihm E. H. Weber, Bernhard, 
Romberg, Duchenne, Vierordt, Sachs, Funke haben die 
Quelle in Muskelempfindungen gesucht, Spieß, Lotze, Schiff in 
Hautempfindungen. Rauber glaubte den Ursprung in Sensationen 
der Vater’schen Körperchen gefunden zu haben, Bernhardt in 
Empfindungen von Haut, Faszien, Periost und den durch die Muskeln 
durchgehenden Nervenstämmen, Lewinski in Gelenks- und Knochen- 
empfindungen; für einen gemischten Ursprung aus all diesen Sensa- 
tionen haben sich Leyden, Meynert, Nothnagel, Hitzig, 
Ferrier, Benediet, Erb, Eulenburg, Munk ausgesprochen. 

Für die Perzeption aktiver Bewegungen scheint bereits Bell 
an eine Beteiligung des Willensimpulses gedacht zu haben; bestimmter 
hat dies Joh. Müller betont, dem sich Ludwig anschließt. Gräfe, 
Helmholtz, Hering, Bain, Benediet, Bernstein, Weir 
Mitchell, Stricker sehen diese zentrifugale Erregung als haupt- 
sächlichen oder einzigen Faktor an; während Wundt daneben die 
oben erwähnten sensibeln Eindrücke mitwirken lässt. 





14) Aus Pflüger’s Archiv f. Physiologie, Bd. XXXVI. 


Sternberg, Lehre von den Vorstellungen über die Lage unserer Glieder. 343 


Meynert, dem Wernicke und Munk folgen, negiert bekannt- 
lich die Existenz willkürlicher Bewegungen im gewöhnlichen Sinne 
des Wortes, indem er diese durch das Bewusstwerden von Bewegungs- 
vorstellungen ausgelöst werden lässt, welche zum Teile Residua der 
peripheren Empfindungen bei der Bewegung sind, zum Teil aus den 
„Innervationsgefühlen* der subkortikalen Zentren resultieren. Mit 
diesen Innervationsgefühlen deckt sich ungefähr Duchenne’s hypo- 
thetische „eonseienee musculaire“, später von ihm „aptitude motrice 
independante de la vue“ genannt. 

Die verschiedenen Ansichten sind zum größten Teile aus klinischen 
Beobachtungen gewonnen worden, zum Teil stützen sie sich auf das 
Tierexperiment. Einige Argumente entstammen auch der Selbstbeobach- 
tung, sonst wurden am Gesunden noch Versuche mit Hautanästhesie 
von Heyd und von Rosenthal angestellt. 

Im folgenden sollen nun einige ganz einfache Versuche am ge- 
sunden Menschen mitgeteilt werden, welche für die in Rede stehende 
Angelegenheit nicht ohne Belang sein dürften. 

Wenn man nämlich die Hand so fixiert, dass einer der dreigliedrigen 
Finger — am besten der Zeigefinger — im Metakarpophalangealgelenke 
und im Gelenke zwischen Grund- und Mittelphalange möglichst gebeugt 
ist, während die andern Finger in allen Gelenken vollständig gestreckt, 
womöglich dorsalflektiert sind, so ist die Endphalange des ge- 
beugten Fingers aktivunbeweglich, wie aus den anatomischen 
Verhältnissen leicht einzusehen ist. 

Man macht nun den Versuch am bequemsten an sich selbst in 
folgender Weise: Handteller, Mittel-, Ringfinger und kleiner Finger 
der rechten Hand werden mit der Volarseite fest an die Tischplatte 
angedrückt, Zeigefinger und Daumen, der letztere in Abduktionsstel- 
lung, ragen über den Rand derselben hinaus. Unter die Gegend des 
Carpus wird eine Unterlage von 1—2 cm Höhe gebracht. Nun wird 
mit der linken Hand das Metacarpophalangealgelenk des Zeigefingers, 
sowie das Gelenk zwischen Grund- und Mittelphalange möglichst 
stark gebeugt. Intendiert man jetzt, ohne auf. die Hand zu 
blicken, eine Beugung der Endphalange des Zeigefingers, 
so glaubt man dieselbe wirklich auszuführen. Ein Blick 
auf den Finger lehrt, dass dies eine Täuschung ist. 

Wenn man einem andern bei verbundenen Augen die Hand in die 
angegebene Stellung bringt und ihn auffordert, die Endphalange des 
Zeigefingers zu beugen und dem Zeigefinger der andern Hand die- 
selbe Stellung zu geben, so sieht man, dass der Betreffende glaubt, 
er habe wirklich gebeugt. 

Wir setzen also den Effekt der Muskelkontraktion als selbst- 
verständlich voraus, wir verknüpfen mit dem Willensimpulse sofort 
die Vorstellung von der Bewegung, so dass wir dieselbe für wirklich 
ausgeführt halten, wenn sie auch gar nicht eingetreten ist. 


944 Sternberg, Lehre von den Vorstellungen über die Lage unserer Glieder. 


Herr Prof. Sigmund Exner, dem ich diese Versuche mitteilte, 
machte mich darauf aufmerksam, dass man auch von den Kaumuskeln 
eine ähnliche Täuschung erhalten könne. Fixiert man nämlich den 
Unterkiefer bei geöffnetem Munde, indem man etwa ein Stück Hart- 
gummi zwischen die Zähne hält, und beißt schwach darauf, so hat 
man täuschend die Vorstellung, als ob sich die Kiefer einander näher- 
ten und die Zähne in den harten Gegenstand eindrängen. Man kann 
sich indess am Hartgummi leicht vom Gegenteil überzeugen, und eine 
Lokomotion der Zähne in den Alveolen tritt bei mäßigem Drucke 
gewiss nicht ein. 

Es sind diese Versuche analog den Beobachtungen bei Paresen, 
bei Tenotomien und Myotomien, bei Amputationen (Gräfe, Weir 
Mitchell, Wundt u. a.), in welchen Fällen die Kranken über die 
Größe der Bewegung, über die Lage der Glieder im Irrtume waren. 
Inwieweit es sich in unserem Falle um rein zentrale Vorgänge handelt, 
inwiefern Empfindungen von dem Kontraktionszustande der Muskeln 
hiebei eine Rolle spielen, ist natürlich daraus allein nicht zu ent- 
scheiden, doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass für die Beurteilung 
des Maßes der Bewegung der letztere Faktor von Bedeutung ist. 

Täuschungen durch unsere Sinne sind nur dann möglich, wenn 
die Kontrole von seiten anderer Sinne fehlt. Bei unsern Versuchen 
wird offenbar auf die Kontrole, welche die Empfindungen in den an- 
geblich bewegten Gliedern bieten, nicht geachtet. Diese Kontrole ist 
aber auch eine ziemlich mangelhafte, wie ein weiterer Versuch 
lehren mag: 

Schaltet man nämlich in der angegebenen Weise die Muskel- 
wirkung auf die Endphalange eines Fingers aus, gibt der letztern 
dann bestimmte Lagen und lässt den Untersuchten dem entsprechen- 
den Finger der andern Hand dieselben Positionen erteilen, so sieht 
man — wenn die Hand exakt fixiert ist — bedeutende Abweichungen. 
Man kann sich dagegen überzeugen, dass unter normalen Verhältnissen 
die Glieder der einen Extremität die der andern erteilte Stellung mit 
der größten Präzision nachahmen, „so dass mit dem bloßen Auge 
nicht leicht Differenzen zu erkennen sind“ (Leyden). 

Es hat also in dem letzten Versuche durch die Ausschaltung der 
Muskelwirkung die Genauigkeit der Vorstellungen von der Lage des 
Gliedes bedeutend gelitten, es müssen daher die Empfindungen, die 
aus der Spannung von Muskel und Sehne resultieren, für das Zustande- 
kommen präziser Vorstellungen notwendig sein. Da indess mit der 
Aufhebung der Muskelwirkung die Vorstellung von der Lage des 
Gliedes nicht vollständig aufgehoben ist, so müssen wir noch Empfin- 
dungen von den bewegten Teilen haben, welche zu einer solchen 
einigermaßen beitragen können. Das mögen nun Sensationen in der 
Haut, den Gelenken etc. sein. 

Es berechtigen demnach die dargelegten Versuche zu dem Schlusse, 





Gaule, Bedeutung der Cytozoen für die Bedeutung der tierischen Zellen, 345 


dass die Vorstellung von der Lage eines Gliedes auf dem 
Zusammenwirken verschiedener Empfindungen beruht, 
unter denen den Empfindungen in Muskel und Sehne eine 
besondere Wichtigkeit zukommt; dass wir ferner bei 
aktiven Bewegungen auf die von den bewegten Gliedern 
uns etwa zukommenden Lageempfindungen nicht not- 
wendig achten, sondern gewohnt sind, mit dem Willens- 
impuls sofort die Bewegung für ausgeführt zu halten. 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 

58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg. 

III. Sektion für Anatomie und Anthropologie. 

2. Sitzung. Vortrag des Herrn Prof. Gaule (Leipzig) über die 
Bedeutung der Cytozoen für dieBedeutung der tierischen 
Zellen. Die Cytozoen, welche von mir vor einigen Jahren als aus 
den Froscehblutkörperchen sich entwickelnde Wesen von freier Be- 
weglichkeit beschrieben wurden, sind keine Parasiten, wie dies von 
mehrern Autoren behauptet wurde. Alle die Gründe, welche für die 
letztere Anschauung geltend gemacht wurden, sind nicht stichhaltig 
und schon durch die in meiner ersten Abhandlung mitgeteilten That- 
sachen widerlegt. Dass trotz dieser Thatsachen die Behauptung von 
der parasitären Natur der Cytozoen überhaupt aufgestellt wurde, und 
dass sie eine so beifällige Aufnahme fand, liegt in der Art des Phä- 
nomens selbst. Es ist eine so außerordentliche Erscheinung, grade 
aus den roten Blutkörperchen und deren krystallisiertem Inhalt Wesen 
sich entwickeln zu sehen, die den Entwieklungsstufen gewisser nie- 
derer Tiere sehr ähnlich sehen und die, wie diese, mit freier Selb- 
ständigkeit und Beweglichkeit ausgestattet sind, dass man vergebens 
versucht, dieses Phänomen auf eine andere Weise in den Rahmen 
unserer heutigen Anschauungen einzupassen, als indem man ein para- 
sitäres Verhältnis annimmt. Ich habe diese Schwierigkeit von vorn- 
herein erkannt und habe auf sie auch sofort aufmerksam gemacht. 
Ich habe mir aber auch gesagt, dass unsere heutigen Anschauungen 
noch keineswegs eine wirkliche Lösung des Problems von der Natur 
der Organismen enthielten, und dass es sehr wohl möglich sei, dass 
eine ganz andere und bis dahin nicht geträumte Auflösung des Rätsels 
uns die Sache in einem ganz andern Lichte müsse sehen lassen. Vor 
allen Dingen erschien es mir unmöglich, die Thatsachen zugunsten 
irgend welcher Anschauung zu unterdrücken, es erschien mir rich- 
tiger, sie möglichst zu vervollständigen, in der Erwartung, dass sie 
dann schon selbst ihre Wirkung auf die Anschauungen ausüben 
würden. Im Verlauf meiner darauf gerichteten Untersuchungen bin 
ich nun zunächst dazu gelangt, festzustellen, dass die Cytozoen eine 


346 Gaule, Bedeutung der Cytozoen für die Bedeutung der tierischen Zellen. 


ziemlich komplizierte Struktur haben. Sie besitzen vor allem einen 
Kern, der sich mit allen Kernfärbemitteln färbt, und ihr Protoplasma 
besteht aus zwei Substanzen, wovon diejenige, welche ich die nigro- 
sinophile nennen will, die beide Spitzen der Cytozoen erfüllt, während 
die andere die eosinophile Substanz in Gestalt zweier Körner in 
einem hellen Raum zu beiden Seiten des Kerns liegt. 

Das Cytozoon vereinigt auf diese Weise die Substanzen der bei- 
den hauptsächlichsten im Froschblute vorkommenden Zellen, nämlich 
der ganz nigrosinophilen, gewöhnlich amöboiden Zellen und der 
Körnchen des Plasma oder eosinophilen Zellen. Es ist dabei zu be- 
merken, dass die nigrosinophile und die eosinophile Substanz über- 
haupt in allen Zellen wiederkehren und in verschiedener Weise ge- 
mischt das Protoplasma zusammensetzen. 

Nicht alle Cytozoen haben den eben geschilderten Bau, es kommen 
im Froschblut verschiedene Formen von Cytozoen vor, welche teil- 
weise als verschiedene Entwicklungsformen anzusehen sind. Die 
eben geschilderte Form ist die typische. Es ist aber ferner 
Gewieht darauf zu legen, dass fast jede Zellart, obgleich sehr viel 
weniger häufiger als die Blutkörperchen, eine vollkommen reife Cyto- 
zoenform auszubilden im stande ist, dass alle Zellenarten aber ganz 
gewöhnlich unentwickelte Cytozoenformen bilden, und dass daher der 
Reichtum an verschiedenen Cytozoenformen in ein und demselben Tier 
ein sehr großer ist. 

Interessant ist ferner, dass jede Tiergattung oder Spezies ihre 
besondere Cytozoenform hat, so sind die von Rana temporaria anders 
als die von R. esculenta. Die von Salamandra maculata, Tritgn eristatus 
und T. taeniatus sind wie die Blutkörperchen dieser Tiere ungeheuer 
groß und mit Geißeln versehen. Auch die von Danilewsky kürz- 
lich beschriebenen von einer Schildkröte scheinen von denen des 
Frosches abzuweichen. Am wichtigsten erscheinen die Cytozoen des 
Menschen, welche in zwei Formen vorkommen, mit Geißeln und in 
einer den Cytozoen des Frosches ähnlichen Form. Dieselben kommen 
im Moment, wo das Blut die Gefäße verlässt, aus den Blutkörperchen 
hervor und schmelzen sofort in der Flüssigkeit. Sie sind daher nur 
sichtbar, wenn man, mit Hilfe einer besondern Methode, in diesem 
Momente das Blut fixiert. Wendet man nicht ganz geeignete Metho- 
den an, sö erscheinen nur unvollkommen ausgebildete und teilweise 
abgeschmolzene Cytozoen, welche man seither als Hämatoblasten oder 
Blutplättchen bezeichnete. 

Zeigen die bisher mitgeteilten Thatsachen, dass den Cytozoen 
eine große Bedeutung zukommt, so entscheiden sie doch noch nicht 
die Frage, ob sie wirklich den Organismen, in denen sie vorkommen, 
angehören. Denn die Erfahrung lehrt uns so mannigfaltige Mögliech- 
keiten der Symbiose kennen, dass wir unsere Vorstellungen in dieser 
Beziehung weit ausdehnen können. Aber hierdurch kommen wir zu 








Gaule, Bedeutung der Cytozoen für die Bedeutung der tierischen Zellen. 347 


einer ganz neuen Auffassung des Problems. Denn im Grunde ist ja 
nach unserer jetzigen Auffassung bereits das Leben jedes aus mehrern 
Zellen bestehenden höhern Organismus eine Symbiose. 

Doch muss es ein Kriterium geben, welches ein solches Zusam- 
menleben, wie es die zusammengehörigen Zellen eines höhern Orga- 
nismus führen, zu unterscheiden gestattet von einem zufälligen Zu- 
sammenleben. Ein solches ist vor allem der gemeinschaftliche Zweck. 
Der gemeinschaftliche Zweck ist aber das Gesamtleben des Gesamt- 
organismus. Wir würden also uns vor allen Dingen stets, und na- 
mentlich hier inbezug auf die Cytozoen, fragen müssen: inwiefern 
dienen die Einzelorganismen dem gemeinschaftlichen Zweck, d. h. 
welche Rolle ist ihnen in dem Leben des Gesamtorganismus ange- 
wiesen? Aber die Erfahrung hat uns misstrauisch gemacht, sie hat 
uns gezeigt, dass dieses Kriterium allein noch nicht genügt, indem 
sie uns bekannt machte mit Fällen, wo Wesen ganz verschiedener 
Art sich doch in ihren Lebenszwecken unterstützen, also bis zu einem 
gewissen Grad einen gemeinschaftlichen Zweck haben. Man muss 
also noch ein weiteres Kriterium hinzufügen, nämlich das der ge- 
meinschaftlichen Abstammung. Wir können uns ja die Entwicklung 
eines jeden Wesens als eine Reihe von Stadien vorstellen, welche 
nicht eine Kontinuität zu haben brauchen, sondern welche, wie in den 
Fällen des Generationswechsels, sich sprungweise ändern können. 
In diesen Fällen wird die Zusammengehörigkeit dieser einzelnen 
Wesen, welche unter sich ja in allem abweichen können, dadurch 
nachgewiesen, dass sie von einander abstammen und in einander 
übergehen. 

Ich habe diese beiden Kriterien auf die Cytozoen angewendet 
und nachzuweisen versucht: 1) welche Rolle spielen sie in dem Le- 
bensprozess des Gesamtorganismus? 2) von welcher Zellenart stam- 
men sie ab, in welche gehen sie über? A priori lässt sich die Be- 
antwortung der beiden Fragen von einander nicht trennen. Ich kon- 
statierte nun zunächst, dass die Cytozoen in der Milz und nur in der 
Milz (in einigen Ausnahmefällen auch in der Leber) die roten Blut- 
körperchen verlassen und sich in die Milzzellen hinein begeben, und 
zwar stets in eine Art protoplasmareicher Zellen, die in Gruppen zu- 
sammenliegen. Um gleich einen Namen dafür zu haben, nenne ich 
diese Zellen die Ammenzellen. 

Die Gruppen der Ammenzellen liegen in der Milz des Frosches 
zerstreut wie die Follikel in der Milz der Säugetiere. Ursprünglich 
sind diese Gruppen klein und bestehen aus wenigen Zellen, sie wer- 
den im Verlauf einer Periode, die ich gleich schildern werde, immer 
größer und größer, und ändern dabei ihr Aussehen. Das nigrosino- 
phile Protoplasma der Zellen füllt sich nämlich mit Pigmentkörnchen, 
und zwar einem eigentümlichen Pigment von der Farbe des Blut- 
farbstoffs. In dieser Periode der Bildung des Pigments gibt das Pro- 





948 Gaule, Bedeutung der Cytozoen für die Bedeutung der tierischen Zellen. 


toplasma der Ammenzellen (nicht das Pigment selbst) eine sehr schöne 
Eisenreaktion mit Ferroeyankalium. Durch eine Reihe von Ueber- 
gängen, deren Detail ohne eine sehr ausführliche Schilderung nicht 
verstanden werden kann, entstehen nun in diesen Ammenzellen die 
Jungen Blutkörperchen. Die Periode der geschilderten Vorgänge 
dauert vom Herbst bis zum Frühjahr, d.h. es beginnt die Einlagerung 
der Cytozoen im Herbst, es schwellen dann die Ammenzellengruppen 
an, füllen sich gegen Mitte des Winters aufs diehteste mit Pigment, 
zeigen im Beginn des Frühjahrs die jungen Blutkörperchen und ent- 
leeren dieselben wahrscheinlich schon mit den ersten Bewegungen im 
Frühjahr. 

Während die jungen Blutkörperchen auf diese Weise neu gebildet 
werden, gehen die alten, aus welchen die Cytozoen ausgewandert 
sind, allmählich zugrunde, indem sie in der Pulpa der Milz und in 
den Inseln der Leber stecken bleiben, und man sieht diese mehr und 
mehr sich füllen. Die Blutmenge des Frosches sinkt auf diese Weise 
während des Winters fortwährend herab, bis auf ein Minimum, und 
schwillt im Frühjahr plötzlich wieder an. Sehr wichtig ist, dass man 
diesen Vorgang experimentell beherrschen kann. Wenn man einen 
Frosch mit 0,6—1 mg Pilokarpin während des Winters vergiftet, 
etwa November bis Dezember, so beginnen schon nach 6 Stunden in 
den vorher mit Pigment gefüllten Ammenzellen sich die charakteristi- 
schen Bildungsstadien der Blutkörperchen zu zeigen, nach 24 Stunden 
ist alles Pigment aus der Milz verschwunden, nach 48 Stunden bilden 
sich neue Ammenzellengruppen, nach 96 Stunden lagern sich wieder 
Cytozoen in dieselbe ein, und es beginnt wieder die Pigmentbildung. 
Gleichzeitig konstatiert man eine kolossale Vermehrung der zirku- 
lierenden Blutkörperchen. Zählungen ergeben, dass dieselbe von 
Stunde zu Stunde steigt und das Maximum nach etwa 12 Stunden 
mit dem Doppelten der ursprünglichen Zahl erreicht. Unter diesen 
zirkulierenden Blutkörperchen finden sich auffallend viel unfertige, 
unvollkommene Formen; an einzelnen hängen noch die Kränze von 
Pigmentkörnehen, mit denen sie in der Ammenzelle zusammenhängen. 

Wie man aber durch die Pilokarpinvergiftung den Ablauf dieses 
Phänomens beeinflussen kann, so kann man es auch durch jede Ver- 
änderung der Lebensweise. Normal, wie hier geschildert, vollzieht 
sich dieses Phänomen der Umbildung des Blutes nur, wenn der Frosch 
seinen normalen Winterschlaf hält. Die Gefangenschaft, ja jede ab- 
norme Wärme während des Winters, vor allem die Trockenheit und 
noch mehr das Licht beeinflussen es im höchsten Grade. Alle diese 
Reize wirken zunächst so auf den Frosch, als ob das Frühjahr ge- 
kommen wäre und er nun rasch seine Blutbildung zu Ende führen 
müsse. In zweiter Linie wirken sie dann aber auch als veränderte 
Lebensbedingungen, denen der Frosch sich anpassen muss, und es 
entstehen dann statt der roten Blutkörperchen auch weiße aus den 








Gaule, Bedeutung der Cytozoen für die Bedeutung der tierischen Zellen. 349 


Cytozoen. Die Umwandlung der Cytozoen in den Ammenzellen kann 
also eine ganz verschiedene sein. Bei der Umbildung in rote Blut- 
körperchen scheiden sie nun eine fettartige Substanz ab, welche sie 
einhüllt und an deren Rändern das Pigment auftritt. Werden sie 
dagegen in weiße Blutkörperchen umgewandelt, so liegen sie direkt 
in dem Protoplasma der Ammenzelle, und dann zerfallen sie in ihre 
drei Hauptbestandteile, in den Kern, in die eosinophile und die nigro- 
sinophile Substanz. Und jeder dieser Bestandteile kann sich für sich 
weiter entwickeln zu einer Zelle, und zwar sowohl für sich allein, als 
auch indem er sich mit andern gleichartigen Zellen vereinigt. Der 
Kern entwickelt sich zu kleinen runden, den Follikelzellen des Menschen 
ähnlichen Zellen, die nigrosinophilen und eosinophilen Teile, zu den 
Zellen mit dem entsprechenden Protoplasma. 

Man könnte nach diesen Mitteilungen glauben, dass man die 
Cytozoen anzusehen habe als die Zwischengeneration der roten Blut- 
körper, gewissermaßen ihr bewegliches, ihr Leukocytenstadium. Aber 
das erschöpft die Sache noch durchaus nieht. Es werden nämlich im 
Sommer während der Fressperiode auch Blutkörperchen gebildet, und 
dann sind die Vorgänge ganz andere; es tritt das Phänomen nur auf 
bei geschlechtsreifen Fröschen, es tritt in etwas verschiedener Weise 
auf bei Männchen und Weibchen, und es ist begleitet von dem Ein- 
treten gewisser Färbungen der Haut, die man als eine Schmuckfarbe 
bezeichnen kann und die einen geschlechtlichen Charakter hat. Man 
muss daher auf den Gedanken kommen, dass die Cytozoen nicht bloß 
zur Blutbildung, sondern auch zu den geschlechtlichen Funktionen in 
Beziehung stehen, und dann sieht man ohne weiteres, dass die ge- 
schilderte Umbildung des Blutes während des Winters in einem Zu- 
sammenhang stehen muss mit der während der gleichen Zeit erfol- 
genden Reifung der Geschlechtsprodukte. Miescher hat uns gezeigt, 
wie bei dem Lachs während der Hungerperiode im Flusswasser das 
Blut in der Milz festgehalten wird, wie unterdessen in den Muskeln 
eigentümliche Veränderungen stattfinden, die schließlich dazu führen, 
dass die Bestandteile der Muskeln zum Aufbau der Geschlechtsorgane 
verwendet werden. 

Auch bei dem Frosch finden während der Hungerperiode merk- 
würdige Veränderungen statt, die, wenn sie rasch verlaufen, dazu 
führen können, dass die Bestandteile der quergestreiften Substanz in 
die Kerne übergeführt werden, dass in diesen Kernen eigentümliche 
Zellen gebildet werden, welche in das Blut und mit diesem in die 
Leber gelangen. In der Leber werden diese Zellen umgebildet, und 
ihre Bestandteile gelangen in das Protoplasma der Leberzellen, welche 
dadurch eine ganz eigentümliche Beschaffenheit annimmt. Dann aber 
treten in den Blutkörperchen eigentümliche Einlagerungen auf, die 
der Ausgangspunkt der Cytozoenbildung sind. Es sind also die aus 
den Muskeln herstammenden Bestandteile, welche die Cytozoenbildung 


550 Gaule, Bedeutung der Cytozoen für die Bedeutung der tierischen Zellen. 


hervorrufen, und diese Bestandteile sind bestimmt, zum Aufbau der 
Geschlechtsprodukte verwendet zu werden. 

Eine Reihe von Betrachtungen, welche ich anzuführen der Kürze 
halber unterlassen muss, führen mich nun zu dem Schluss, dass es 
wesentlich das Zusammentreffen von Bestandteilen verschiedener Ge- 
webe des Organismus in einer und derselben Zelle ist, wie es in den 
Blutkörperchen stattfindet, wenn dieselben das Material zum Aufbau 
der Geschlechtsprodukte in dem Geschlechtsorgan zusammenführen, 
denn dieses Material muss notwendig, wenn der junge Organismus 
ein Abbild des alten werden soll, auch die Teile der alten vertreten. 
Es würde also das Cytozoon ein Individuum sein, welches die Ge- 
samtheit der Gewebe des Organismus, welches auch beide Geschlechter 
in sich vereinigt. 

Eine viel weitere Ausdehnung erhält diese Betrachtung durch die 
Beobachtung, dass die Cytozoen selbst zerfallen können in kleinere 
Individuen, welche Form oder Eigenschaften der Gesamteytozoen wie- 
derholen. Von diesen lassen sich nur zwei Haupttypen unterschei- 
den, und diese beiden Typen der, wie ich sie nennen will, unvoll- 
kommenen Cytozoen, und die man unterscheiden kann als Karyozoen 
und Plasmozoen, spielen die größte Rolle in allen Gewebsbildungen. 
Es gibt fast keinen intensivern Vorgang, der sich im Organismus ab- 
spielt, bei dem es nicht zu einer Entwicklung dieser unvollkommenen 
Cytozoen käme. Um ein Beispiel anzuführen, will ich bemerken, dass 
eine Strychninvergiftung beim Triton zu einer außerordentlichen Ent- 
wicklung des Karyozoon aus den Kernen der Zellen der grauen Sub- 
stanz des Rückenmarks oder Gehirns führt. Ich will auf die Kon- 
sequenzen hier nieht näher eingehen, ich will nur meine Anschauung 
formulieren. Das Cytozoon ist die Grundform desjenigen Wesens, 
aus dem die höhern Organismen hervorgehen, der Zerfall in Keim- 
blätter und der damit zusammenhängende Zerfall in Geschlechter ent- 
spricht dem Zerfall des Cytozoons. Die Zellen der einzelnen Gewebe 
entstehen durch Kombination der aus dem Zerfall der Cytozoen ent- 
standenen Einzelwesen; wo die Bestandteile der verschiedenen Gewebe 
wieder in einer Zelle zusammentretfen, da entsteht wieder das Urwesen. 
Dass dies nicht geschehe, ist eine der Hauptaufgaben des Organismus, 
denn dann spaltet sich der Gesamtorganismus in eine Anzahl selb- 
ständiger Einzelorgane. Verhütet wird dies durch die Zusammen- 
fügung der einzelnen Gewebe, namentlich durch die Wechselwirkung 
der Archiblasten und Parablasten. 

Näher hierauf kann ich nicht eingehen. Ich muss noch etwas 
Anderes berühren. Die Cytozoen haben auch eine Bedeutung als 
selbständige Organismen. Sie sind an die Seite zu setzen den Ge- 
schlechtstieren der Fadenpilze. Und das sind sie auch in den höhern 
Organismen, denn dieser Pilz, welcher die Cytozoen erzeugt, bildet 
sich fortwährend in den Zellen. Sein Mycel ist das nigrosinophile 








Soeiste de Biologie. dl 


Protoplasma, seine Hyphen sind die Chromatusfäden des Kerns, sein 
Gyniosium ist das Plasmosoma. Aber dieser Pilz bildet sich in der 
Gewebszelle nie vollständig aus; seine Ausbildung wird immer unter- 
brochen, weil die einzelne Zelle nicht vollständig ist, sondern zu ihrer 
Ergänzung der Zelle eines andern Gewebes bedarf. Darauf beruht 
eben das Leben der Gesamtorganismen. 

Und damit ist auch der Schlüssel gegeben, wie wir uns die Ent- 
stehung der höhern Organismen vorzustellen haben. Sie entstehen 
durch die Kombination einer Anzahl von Individuen der niedern. 
Es ist das im Grunde auch die einzige Lösung des Problems, das 
dem denkenden Verstande möglich erscheint. Nicht bloß die morpho- 
logischen Thatsachen, sondern eine Menge von Thatsachen physio- 
logisch chemischer und pathologischer Natur, auf die ich auch an- 
deutungsweise nicht eingehen kann, unterstützen die hier vorgetra- 
gene Anschauung. 


Societe de Biologie. 
Sitzung vom 8. Mai 1886. 


Herr Wertheimer trägt zu seiner Mitteilung über regelmäßige Atem- 
bewegungen nach Abtrennung der Med. oblongata (s. Biol. Ctbl., VI, 32) noch 
nach, dass die Atembewegungen besonders schneil (5—15 Minuten) nach der 
Durchschneidung wiederkehren, wenn man die Tiere vorher durch einen Strom 
kalten Wassers bis auf 28 oder gar 25° abgekühlt hat. Geschieht dies nicht 
von selbst, so kann man sie durch Kneipen oder Kitzeln der Haut und der 
Schleimhäute (des Anus oder der Vulva) leicht herbeiführen. Doch sei das 
Verfahren nicht sehr zu empfehlen, weil die Bewegungen bei solchen abge- 
kühlten Tieren der Art seien, wie sie sonst bei noch nicht vollkommen her- 
gestellter Thätigkeit der grauen Substanz beobachten werden. 

Herr Charpentier hat gefunden, dass ein schwach beleuchtetes Objekt 
von geringer Ausdehnung, welches in einem sonst dunklen Raume fixiert wird, 
scheinbare Bewegungen zeigt, besonders wenn man, ohne die Fixation aufzu- 
geben, seine Anfmerksamkeit auf eine andere Stelle des Gesichtsfeldes richtet. 
Die Scheinbewegung erfolgt dann in der Richtung nach dieser andern Stelle hin. 


Sitzung vom 22. Mai 1886. 


Mit einer Spieluhr, welche immer nur einen Ton auf einmal gab, deren 
einzelne Lamellen, durch Stifte von gleicher Länge um gleiche Strecken ver- 
bogen, Schwingungen von gleichen Amplituden ausführen, machte Herr Char- 
pentier Versuche über die Empfindlichkeit des Gehörs für verschiedene Ton- 
höhen. Einen Grundton mit seiner Oktave vergleichend findet er, dass man 
letztern in dreifach größerer Entfernung noch hören kann als erstern; nun 
ist die äußere oder mechanische Intensität der Schwingungen (soll 
heißen: ihre Energie) der Oktave Amal größer als die des Grundtons; sie 
sollte also in der doppelten Entfernung noch hörbar sein. Da sie aber weiter 
hörbar ist, so ist ihre physiologische Energie größer als ihre mechanische 
und zwar im Verhältnis von 4:9. Daraus schließt Herr Ch., dass die Er- 
regungen durch die einzelnen Vibrationen sich zu einander addieren. Gleiches 


3523 Karsch, Vademecum botanieum. 


fand er für die Intervalle der Quinte und Quarte. Er stellt deshalb den Satz 
auf: die physiologischen Intensitäten zweier Töne desselben Ursprungs und von 
gleicher Amplitude verhalten sich wie die dritten Potenzen ihrer Schwingungs- 
zahlen. 


Gesellschaft der Aerzte in Zürich. 
Sitzung v. 2. Nov. 1885. 


Herr Haab berichtet über einen bisher nicht bekannten Pupillenreflex. 
Wenn man in einem sonst dunkeln Raum auf eine im indirekten Sehen er- 
scheinende, seitlich von der Gesichtslinie aufgestellte Flamme die Aufmerk- 
samkeit richtet, ohne die Blickrichtung zu ändern, so verengert sich die 
Pupille, und erweitert sich wieder, wenn man die Aufmerksamkeit auf den 
dunklen Hintergrund lenkt. 

[Die Erscheinung wird wohl nicht, wie Herr H. meint, als Reflex von der 
Hirnrinde, sondern eher als Mitbewegung mit einer unbeabsichtigten Aende- 
rung der Akkomodation aufzufassen sein. J. R.] 


A. Karsch, Vademecum botanicum. 


Handbuch zum Bestimmen der in Deutschland wildwachsenden sowie im Feld 
und Garten, im Park, Zimmer und Gewächshaus kultivierten Pflanzen. 1. Liefe- 
rung. 8. 64 $. mit 129 Illustrationen. Leipzig 1886. Verlag von Otto Lenz. 


Wohl jeder, der eine Flora zu benutzen in der Lage ist, insbesondere der 
Anfänger, wird den Mangel empfunden haben, dass ihn die vorhandenen Werke 
im Stich lassen, wenn es sich um eine fremde Pflanze handelt, wie deren so 
viele in Gärten, Öffentlichen Anlagen u. dergl. zu finden sind. Der Versuch, 
diese Lücke auszufüllen, wird daher von vielen mit lebhaftem Dank begrüßt 
werden. 

Ueber die Ausführung desselben werden wir etwas eingehender berichten, 
wenn das ganze Werk fertig vorliegen wird. Dasselbe soll etwa 16—18 Liefe- 
rungen umfassen von je 4 Bogen und soll mit zahlreichen Illustrationen ver- 
sehen werden. Soweit diese erste Lieferung einen Schluss gestattet, sind 
dieselben zwar sehr einfach und in kleinem Maßstab ausgeführt, aber durchaus 
naturgetreu und dabei sehr klar und zweckentsprechend. Hervorzuheben ist 
der trotz dieses Reichtums an Abbildungen und der guten Ausstattung sehr 
billige Preis (1 M. 20 Pf. für die Lieferung). 

Wir erlauben uns schließlich noch den Wunsch auszusprechen, dass dem 
Werke zum Schluss nicht nur ein gutes Register beigegeben werden möge 
(was sich ja wohl von selbst versteht), sondern auch eine Erklärung der ge- 
brauchten Kunstausdrücke und der Abkürzungen. Der Mangel dieser Zugabe 
ist uns bei manchen sonst vortrefflichen Floren aufgefallen; zumal dieselben 
doch vorzugsweise von solchen benutzt werden, die in die Botanik erst ein- 
geführt werden wollen. R. 











Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. 


biologisches Gentraiblatt 


unter Mitwirkung von 
Dr. M. Reess wd Dr E. Selenka 
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 





24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 

VI. Band. 

Inhalt: @. Baur, Ueber die Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten (Schluss). — 

Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. — Langen- 

dorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens. — Aus 


den Verhandlungen gelehrter Gesellsehaften: 58. Versammlung deutscher 
Naturforscher und Aerzte, Sektion für Physiologie. 








15. August 1886. 


Nr. 1. 














Ueber die Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 
Von Dr. G. Baur 


in New-Haven Conn.,, Yale College Museum. 
(Schluss.) 

Ich stelle nun zur bequemen Uebersicht die verschiedenen Mei- 
nungen über die Morphologie der Wirbelsäule der Batrachier der 
Permformation zusammen. 

Die H. v. Meyer-Cope’sche Ansicht steht der von Fritsch 
geäußerten diametral gegenüber. Es handelt sich nun darum nach- 
zuweisen, welche von diesen beiden die richtige ist. 

Vor allem erhebt sich die Frage: 

Sind die untern Bögen (Hypapophysen, subvertebral wedge- 
bones, chevron-bones) der Vertebraten (Amnioten) homolog dem Inter- 
centrum (Cope) oder dem Hypocentrum pleurale (Fritsch)? 

Um diese Frage zu beantworten betrachten wir zuerst die Wirbel- 
säule von Sphenodon. 

Albreeht!) hat zuerst nachgewiesen, dass bei Sphenodon zwi- 
schen allen Wirbeln vom Atlas bis zum 30. Wirbel (3. Schwanz- 
wirbel) Hypapophysen existieren. 

Ich habe dies später bestätigt und gezeigt, dass dieselben Ele- 
mente bei Gecko verticillatus (@. verus) vorhanden sind?). Ich vermutete 





4) Albrecht P., Note sur la pr&sence d’un Rudiment de Proatlas sur un 
Exemplaire de Hatteria punctata Gray. Bull. Mus. Royal d’Hist. Nat. Belg. 
Tome II. 1883. p. 190. 

2) Baur G., The Intereentrum of Living Reptilia. Am. Nat. Febr. 1856. 
p. 174—175 u. Zool. Anz. Nr. 219, 1886. 

VI, 23 


ule der Amnioten. 


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Baur, Morphogenie der Wirbels 


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Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 355 


damals, dass sie auch bei den übrigen Geckoniden, sowie bei den 
ebenfalls amphieölen Uroplatiden zugegen sein möchten. 

Uroplates konnte ich bisher nicht untersuchen, dagegen habe 
ich die Elemente bei Tarentola annularis (Platydactylus aegyptiacus) 
vorgefunden, so dass meine früher ausgesprochene Vermutung be- 
stärkt ist. 

Lydekker!) spricht ebenfalls von den für Sphenodon charak- 
teristischen „intervertebral“ „wedge-bones“, und drückt sich so 
aus, als hätte Günther in seiner bekannten Arbeit dieselben schon 
gesehen. 

Günther?) sagt aber nichts von diesen Elementen in den Dorso- 
Lumbal-Wirbeln. p. 11: „The hindmost autogenous hypapophysis 
corresponds to the seventh and eighth vertebrae“. 

Auch Fritsch?) erwähnt die Elemente als zwischen allen Wirbeln 
vorhanden, ohne aber Albrecht’s Arbeit zu nennen. 

„Die Zwischenwirbelbeine (Hypocentrum pleurale) finden wir bei 
der Hatteria an allen Wirbeln entwickelt. Beim ersten und zweiten 
Wirbel sind sie ungewöhnlich groß. Vom dritten Halswirbel ange- 
fangen sind die Zwischenwirbelbeine fast von gleicher Größe bis zum 
dritten Schwanzwirbel, wo wir an demselben zwei Höcker wahrnehmen, 
welche die Bildung des untern Bogens vorbereiten. Vom vierten 
Schwanzwirbel angefangen, sind dieselben in ganz gehörig entwickelte 
Hämapophysen umgewandelt“. 

Cope hat nun in einer sehr wichtigen Notiz*) gezeigt, dass die 
untern Bögen der Schwanzwirbel von Sphenodon mit einem knorp- 
ligen scheibenförmigen Intercentrum zusammenhängen, welches dem 
von Cricotus sehr ähnlich ist. 

Ich kann dies vollkommen bestätigen und außerdem hinzufügen, 
dass dieses knorplige scheibenförmige Intereentrum auch zwischen 
den präkaudalen Wirbeln vorhanden ist, nur sein basilarer Teil 
ist verknöchert und stellt das „Zwischenwirbelbein“ vor. 

Wenn wir uns diese knorpligen Scheiben ganz verknöchert denken, 
so erhalten wir morphologisch die Wirbelsäule von Cricotus. Hieraus 
ist aber der sichere Schluss zu ziehen: 

Die Intercentra von Cricotus sind homolog den Inter- 
eentra (Hypapophysen, Zwischenwirbelbeinen, untern Bögen, Chevron) 
von Sphenodon. 

Gehen wir nun zu Archegosaurus über. H. v. Meyer hat nach- 
gewiesen, dass die horizontale Platte (Intercentrum) von Archegosaurus 





1) Lydekker R., The Reptilia and Amphibia of the Maleri and Duwa 
Groups Mem. Geol. Surv. India. Ser. IV. Vol. I. Part 5. Caleutta 1885. p. 13. 
2) Günther A., Contribution to the Anatomy of Hatteria (Rhyncho- 
cephalus Owen) Philos. Trans. Part II for 1867. 
3) Fritsch A., Fauna der Gaskohle, Bd. II, Heft 2, Prag 1885, 8. 32. 
4) CopeE.D., The Intercentrum in Sphenodon. Am. Nat. Febr. 1886. p. 175. 
23% 


356 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 


in den Schwanzwirbeln zum untern Bogen (Chevron) wird, mit andern 
Worten: Das Intereentrum der Dorsalwirbel ist = dem Intercentrum 
der Schwanzwirbel. Klar ist, dass die untern Bögen der Schwanz- 
wirbel von COricotus, Sphenodon und Archegosaurus homolog sind, 
folglich ist auch die horizontale Platte (Intereentrum) von 
Archegosaurus homolog dem Interecentrum von Sphenodon und 
Cricotus. Die Hypapophysen von Sphenodon sind also Intercentra 
und nicht Hypocentra pleuralia. Folglich ist Cope’s Mei- 
nung die richtige und nicht die von Fritsch. Ueber die 
Homologien des Intercentrums wären wir also im klaren, natür- 
lich ist dadurch auch die der Pleurocentra verständlich. Die 
Pleurocentra werden zum eigentlichen Wirbelkörper der 
Amnioten. 

Fritsch!) will die Pleurocentra bei einem jungen Sphenodon in 
den Halswirbeln gefunden haben, nach Fritsch sind die vordern 
Gelenkfortsätze des Wirbels, die Präzygapophysen nichts Anderes 
wie die Pleurocentralia. Dass dies falsch ist, zeigt schon die 
einfach logische Betrachtung. 

Nach Fritsch sind also die Pleurocentra — den Präzygapophysen, 
also Teile des obern Bogens, und zwar sollen dieselben bei Sphenodon 
von besondern Verknöcherungspunkten entstehen. 

Bei allen Vertebraten sind aber die Präzygapophysen, wenn sie 
vorhanden, „Teile“, das heißt Ausstrahlungen des obern Bogens; nie 
entsteht eine Präzygapophyse selbständig, und Sphenodon allein sollte 
eine Ausnahme machen! Aber Archegosaurus besitzt ja neben den 
Pleurocentra wohlentwickelte Präzygapophysen! wie reimt sich 
das zusammen? Es unterliegt doch wohl keinem Zweifel, dass die 
Präzygapophysen von Archegosaurus denen von Sphenodon homolog 
sind. Diese kurzen Betrachtungen schon machen es unmöglich, die 
Pleurocentralia von Sphenodon in den Präzygapophysen zu suchen. 
Nach den 3 Exemplaren von Sphenodon (eines davon, welches ich 
Herrn Prof. B. G. Wilder in Ithaca verdanke, misst nur 210 mm), 
welche ich in Alkohol untersucht habe, ist es sicher, dass die Präzyga- 
pophysen sich genau so verhalten, wie die aller Vertebraten, d.h. sie 
sind Teile des obern Bogens. 

Nun aber erhebt sich sofort die weitere Frage, wie verhält es 
sich mit Sphenosaurus; ist Sphenosaurus wirklich, wie es Fritsch 
nun haben will, ein Batrachier? Isolierte Pleurocentra hat Fritsch bei 
Sphenosaurus nicht gesehen; wie bei Sphenodon betrachtet er die 
Gelenkfortsätze als Repräsentanten dieser Elemente; diesmal aber die 
hintern, also die Postzygapophysen, nicht wie bei Sphenodon die 
vordern. 

Die Pleurocentra können also nach Fritsch nach Belieben ein- 
mal als vordere, einmal als hintere Gelenkfortsätze auftreten! Das 





1) Fritsch A,,l. e. Bd. II Heft 2 Taf. 70. 











Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 357 


ist der Natur doch etwas zu viel zugemutet. Wenn Sphenosaurus in 
der That ein Batrachier ist, so müssen die Pleurocentra jedenfalls an 
anderer Stelle gesucht werden. 

Es erhebt sich nun die weitere Frage, was ist das Hypocen- 
trum pleurale? Sicher nachgewiesen ist es nur bei Chelydosaurus, 
es bildet sozusagen die Basis der Pleurocentralia. Nach Cope!) 
war es wahrscheinlich bei Eryops vorhanden, und zwar in den 
Halswirbeln; es soll früh mit der hintern Seite des Intereentrums ver- 
wachsen. Bei Archegosaurus ist ein Hypocentrum pleurale noch nicht 
nachgewiesen, wahrscheinlich war es nicht verknöchert; die Angaben 
H. v. Meyer’s lassen übrigens vermuten, dass dieses Element in den 
Kaudalwirbeln von Archegosaurus zugegen war?). 

S. 104 sagt er von den seitlichen Keilen, also den Pleurocentra: 
„Diese Keile sind nicht auf die obern Bögen beschränkt; in der vom 
Schwanz eingenommenen Strecke finden sie sich auch zugleich zwi- 
schen je zwei untern Bögen, mit dem spitzern Teile aufwärts ge- 
richtet vor; und es scheint fast, als wenn zwischen den untern Bögen 
mehr als ein Paar solcher Keile vorhanden gewesen wäre“. 

Bemerkenswert ist, dass bei Ohelydosaurus, wo das Hypocentrum 
pleurale entwickelt ist, die Intercentra eng sich berühren. Bei Archego- 
saurus sind die Intercentra durch einen ziemlich bedeutenden Zwischen- 
raum getrennt, und keine Hypocentra pleuralia sind bisher nachge- 
wiesen; wahrscheinlich waren es Knorpel, welche mit den verknöcher- 
ten Pleurocentra einen Ring bildeten, ähnlich wie bei Cricotus. 

Nach diesen Betrachtungen fragt es sich nun: 1) ist es nachweis- 
bar, dass der Wirbelkörper der Amnioten in der That den Pleuro- 
centra entspricht und 2) inwieweit finden wir Anklänge an die andern 
Elemente? (Intereentra und Hypocentra pleuralia.) 

1) Soll das erste der Fall sein, so muss sich nachweisen lassen, 
dass der eigentliche Wirbelkörper der Amnioten aus 2 lateralen Ele- 
menten sich bildet. Es würde zu weit führen, die ganze Literatur 
über die Wirbelbildung der Amnioten hier zusammenstellen zu wollen. 
Schon Baer und Rathke haben eine bilaterale Anlage des Wirbel- 
körpers angegeben. Johannes Müller?) behauptet, dass das Centrum 
der Sakralwirbel der Vögel aus 2 seitlichen Knochenkernen entstehe. 

E. Rosenberg*) hat eine doppelte Anlage für die Schwanz- 
wirbel des Menschen angegeben und angenommen, dass sich die prä- 
kaudalen Wirbel wahrscheinlich ebenso verhalten. 





1) Cope E.D., The Intercentrum in Sphenodon. Am. Nat. Febr. 1886. p. 175. 

2) Meyer H. v., Reptilien aus der Steinkohlen-Formation in Deutschland. 
Paläontographica. Bd. VI. Kassel 1856—1858. 

3) Müller J., Handbuch der Physiol., Bd. H, S. 753, 1845. 

4) Rosenberg E., Ueber die Entwicklung der Wirbelsäule und das Cen- 
trale carpi des Menschen, Morph. Jahrb., Bd, I, 1876, S. 131. 


358 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 


Albrecht!) ist ebenfalls der Ansicht, dass die Anlage der Centra 
eine doppelte ist. 

In neuester Zeit hat nun Froriep?) diese Ansicht bestärkt. 

S. 125 sagt er: „Die Gestalt der Körperanlage ist anfangs eine 
bilaterale in dem Sinne, dass zwei zu beiden Seiten der Chorda 
gelegene, größere Knorpelherde durch eine dünne, die Chorda ventral 
umfassende Knorpelbrücke in Verbindung stehen. An der dorsalen 
Seite der Chorda entsteht das Knorpelgewebe erst später, so dass 
der Körperknorpel zunächst eine dorsalwärts offene Halbröhre ist. 
Ob die seitlichen Herde bei dem Beginn der knorpligen Anlage des 
Körpers darstellen, habe ich nicht mit Bestimmtheit entscheiden können, 
ich halte es aber für wahrscheinlich“. 

Bei Embryonen von Lacerta habe ich ganz ähnliche Verhältnisse 
angetroffen. 

Da der Atlas, wie Froriep in seinen Arbeiten ganz entschieden 
nachgewiesen hat, ursprüngliche Verhältnisse zeigt, so sollte man 
demnach hier am leichtesten eine doppelte Anlage des Körpers nach- 
weisen können. Dies ist auch in der That der Fall. Der Atlaskörper 
entwickelt sich meist (die Angaben sind nicht alle übereinstimmend) 
aus zwei seitlichen Knochenkernen, ja es sind Fälle bekannt, wo 
der Atlaskörper, d. h. der Proc. odontoideus das ganze Leben hin- 
durch aus 2 getrennten seitlichen Elementen bestand °). 

Diese wenigen Beispiele dürften genügen, um der Behauptung, 
dass der Wirbelkörper der Amnioten ursprünglich aus 2 lateralen 
Elementen entsteht, also den Pleurocentra homolog ist, eine ge- 
wisse Wahrscheinlichkeit zu geben. 

2) Es handelt sich nun weiter darum nachzuweisen, wie weit das 
Interecentrum bei den Amnioten verbreitet ist. 


Reptilia. 

Wie wir oben gesehen haben, finden sich wohlentwickelte Inter- 
centra, und zwar zwischen allen Wirbeln bei Sphenodon, den Gecko- 
nidae, wahrscheinlich den Uroplatidae. Unter den fossilen Rep- 
tilien sind sie nachgewiesen für die Pelycosauria®) aus dem Perm. 

Ferner besitzen diese Elemente: Sphenosaurus und Hyperodapedon?). 


1) Albrecht P., Note sur une hemivertebre gauche surnum6raire de 
Python Sebae Dumeril. Bull. Mus. Roy. Hist. Nat. Belg. T. II. 1883. p. 21—34. 

2) Froriep A,, Zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelsäule. II. Beobach- 
tung an Säugetierembryonen. Arch. f. Anat. u. Phys., 1886, Anat. Abt. 

3) Bennett, Trans. Path. Soe. Dublin. Vol. VII. p. 117 (nach D. J. Cun- 
ningham: The connection of the os odontoideum with the Body of the Axis 
vertebra. Journ. Anat. Physiol. Vol. XX. Part II. Jan. 1886). 

4) Cope E. D., Descriptions of extinet Batrachia and Reptilia from the 
Permian Formation of Texas. Paleont. Bull. Nr. 29. 1878 und Marsh 0. C,, 
Notice of New Fossil Reptiles. Am. Journ. Se. VoI.XV. May 1878. p. 409. 

5) LydekkerR, |, c. p. 13. 





Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten, 359 


Sämtliche Formen, bei welchen die Intercentra bis jetzt zwischen allen 
Wirbeln aufgefunden worden sind, besitzen ampbhicöle Wirbel; es ist 
daher nicht unwahrscheinlich, dass überhaupt alle Reptilien mit amphi- 
cölen Wirbeln diese Elemente, wenn auch vielleicht zum Teil ganz 
rudimentär, entwickelt haben. 

Intercentra in den Halswirbeln der Reptilien sind längst be- 
kannt. So finden sie sich bei allen Lacertiliern frei, oder mit dem 
Wirbelkörper verschmolzen. Bei allen Reptilien kommen sie vor, 
wenn sie auch manchmal versteckt sind; das erste Intercentrum, das 
„untere Schlussstück des Atlas“, ist immer vorhanden. 

In den Kaudalwirbeln sind die Intereentra kräftig entwickelt 
(untere Bögen, Chevron -bones). 

Bei den Reptilien finden wir demnach das Intercentrum in allen 
möglichen Stadien der Entwicklung. 

Beiläufig möchte ich hier bemerken, dass die normale Querteilung 
der Schwanzwirbel, wie sie seit Cuvier bekannt und von Hyrtl') 
und Gegenbaur?) genau beschrieben worden ist, mit dem Inter- 
centrum, wie Fritsch l. ec. meint, nichts zu thun hat. 

Vögel. 

Zwei Intereentra haben sich bei allen Vögeln erhalten, das des 
Atlas und das des Epistropheus. Das erstere bildet den untern Bogen 
des Atlas, das letztere den vordern und untern Teil des Epistropheus?). 

Froriep*) hat nachgewiesen, dass sie auch in den nächsten 
Halswirbeln embryonal angelegt werden (Hypochordale Spange Fro- 
riep’s), jedoch einer Reduktion unterliegen. 

Mit der Reduktion des Schwanzes der Vögel ist bei vielen auch 
eine Reduktion der Intercentra eingetreten, denn nicht alle Vögel be- 
sitzen diese Elemente im Kaudaltheil der Wirbelsäule. 

Manche Fortsätze am untern Teil der Wirbel der Vögel, welche von 
Owen und nach ihm von vielen andern Hypapophysen, also Inter- 
centra genannt werden, haben mit diesen Elementen nichts zu thun, 
es sind sekundäre „Auswüchse“ des Wirbelkörpers. 

Vielleicht haben die Kreidevögel mit amphicölen Wirbeln rudi- 


[> 
. 


mentäre Intereentra auch in den Rückenwirbeln besessen ? 
Mampnnalia. 


Das erste Intereentrum, unterer Bogen des Atlas, ist bei allen 
’ ’ 
Säugetieren vorhanden, bei manchen sogar frei (verschiedene Marsu- 


4) Hyrtl J., Ueber normale Querteilung der Saurierwirbel. Wiener Sitz.- 
Ber‘, 1853 8.118519. 

2) Gegenbaur C,, Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der 
Wirbelsäule bei Amphibien und Reptilien. Leipzig 1862. 

3) Jäger G., Das Wirbelkörpergelenk der Vögel. Sitzungsber. d. Akad. 
Wissensch. zu Wien, 1858, Bd. 3%. 

4) Froriep A., Zur Entwicklung der Wirbelsäule. I. Beobachtung an 
Hühnerembryonen. Arch. f. Anat. u. Entwicklungsgeschichte. Jahrgang 1833. 





360 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 


pialier).. Im allgemeinen finden sich im Schwanz wohlentwickelte 
Intercentra vor, wenn derselbe nicht stark reduziert oder modifiziert ist. 

Sehr interessant sind die Insektivoren. Verschiedene Vertreter 
dieser Ordnung besitzen Intercentra auch in den Dorsolumbar- und 
Sakralwirbeln. Beim Maulwurf sind diese Elemente schon von Ja- 
cobs!) beschrieben und abgebildet worden. 

Später hat sie Owen?) wieder erwähnt. 

In neuester Zeit hat sie Meyer?) bei verschiedenen andern 
Insektivoren (Erinaceus, Myogale) beschrieben. 

Sehr interessant sind die neuesten Angaben von Froriep®). 

Froriep findet Rudimente von Intercentra (Hypochordale Spange) 
bei Embryonen vom Rinde zwischen den Halswirbeln angelegt; alle 
aber werden zurückgebildet bis auf das erste Intereentrum, den untern 
Bogen des Atlas. 

Diese Untersuchungen machen es wahrscheinlich, dass bei Em- 
bryonen von Maulwurf, Igel ete. Intercentra zwischen allen Wirbeln 
in einer gewissen Periode vorhanden sind. 

Das Hypocentrum pleurale ist bis jetzt nur bei Chelydo- 
saurus bestimmt nachgewiesen worden. Ueber sein Schicksal, wäh- 
rend der Entwicklung der Amnioten, wissen wir bis jetzt gar nichts. 
Wenn es überhaupt sich erhalten hat und nicht schon sehr früh 
atrophiert ist, muss es im pleurocentralen Komplex, also im Wirbel- 
centrum der Amnioten enthalten sein. Vielleicht geben embryologische 
Untersuchungen hierüber noch Aufschluss. 


Die Wirbelsäule der Batrachier (Amphibia). 

Cope, basierend auf Fritsch’s Deutung der Wirbelsäule von 
Sphenosaurus, nimmt an, dass die Batrachier unserer Fauna keine 
eigentlichen Wirbelkörper besitzen, sondern nur Intercentra. So sonder- 
bar dies im Anfang klingen mag, hat es doch manches für sich. Es 
ist mir bis jetzt nicht möglich zu entscheiden, ob Cope’s Meinung 
die richtige ist. Zuerst muss eine genaue Entwicklungsgeschichte der 
Wirbelsäule eines urodelen Batrachiers geliefert sein, ehe dies ge- 
schehen kann. Ist Cope im Recht, so müssen die untern Bögen (Inter- 
centra) mit dem „Wirbelkörper“ einheitlich angelegt werden. Götte?) 
gibt allerdings an, dass die untern Bögen der Salamandrinen gradeso 
entstehen wie die obern, also isoliert vom Wirbelkörper, doch ist 





1) Jacobs F. G. J., Talpae europaeae anatome. Dissertatio Jenae 1816. 
p. 17—18. Tab. 1. Fig. 19. Nr. 3. 

2) Owen R., On the cervical and lumbar vertebrae of the Mole (Talpa 
exrropaea L.). Brit. Assoe Rep. 1861. p. 152—154 London 1862. 

3) Meyer 0., Insectivoren und Galeopitheeus geologisch alte Formen. 
Neues Jahrbuch £. Min., 1885, Bd. I. S. 229 —230. 

4) Froriep A., Zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelsäule II. Beobach- 
tung an Säugetierembryonen |. c. 
5) Götte A., Die Entwicklungsgeschichte der Unke, Leipzig 1875, S. 397. 





Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 361 


eine Prüfung, glaube ich, nicht ungeraten. Bei keinem urodelen 
Batrachier sind im erwachsenen Zustand die untern Bögen vom Wirbel- 
körper getrennt. Für Cope spricht auch das Verhalten der ersten Cer- 
vicalwirbel. Dieselben sind total verschieden von denen der Amnioten. 
Bei allen Amnioten können wir denselben Grundplan nachweisen, bei 
allen ist, wenigstens im Atlas, das Intereentrum erhalten geblieben. 
Bei allen Batrachiern finden wir aber immer nur ein Element, den 
eigentlichen Wirbelkörper. Denken wir uns bei Sphenodon alle Inter- 
centra so stark entwickelt, wie die beiden ersten, zugleich aber die 
Pleurocentra, also den eigentlichen Wirbelkörper rückgebildet, so er- 
halten wir ein Bild, wie es uns die Wirbelsäule der Batrachier zeigt. 
Der „Processus odontoideus des Atlas“!) der urodelen Batrachier 
würde dann dem eigentlichen Wirbelkörper d. h. dem Pleurocentral- 
komplex entsprechen. 
Weitere Untersuchungen müssen hier noch Licht bringen. 


Anknüpfungspunkte an die Fische. 

Schon H. v. Meyer (s. oben) hat vermutet, dass das Intercentrum 
(seine horizontale Platte) von Archegosaurus ursprünglich aus 2 Ele- 
menten bestände. Dies ist sehr wahrscheinlich. Da der Atlas das 
ursprünglichste Verhalten zeigt, so sollte dieser Wirbel hierüber Auf- 
schluss geben. Dies ist auch der Fall. Nach Cope?) ist das Inter- 
centrum von T’rimerorhachis in zwei seitliche Teile gespalten. 

„Ihe portion of the atlas which represents the intereentrum is 
divided into two lateral portions, each of which has the form of an 
entire intercentrum i. e. erescentic“. 

Auch bei einigen Schildkröten besteht das Intercentrum zwischen 
Atlas und Epistropheus aus 2 seitlichen isolierten Elementen (Eretmo- 
chelys imbricata, Sphargis). 

Ich nehme also an, dass auch das Intercentrum morphologisch 
zwei Elemente enthält. Wahrscheinlich sind nun diese Elemente den 
Basilarknorpeln der Knorpelfische homolog, worauf schon H.v. Meyer 
aufmerksam gemacht hat. 

Eine „primitive“ Wirbelsäule würde also aus 6 Elementen be- 
stehen: den zwei obern Bogen, den zwei Pleurocentra und den beiden 
untern Bögen (Intercentra). Es ist mir nicht möglich, näher auf die 
Verhältnisse bei den Fischen einzugehen, dies würde hier zu weit 
führen. Eine ausführliche morphogenetische Arbeit über die Wirbel- 
säule der Fische, auf embryologischer und paläontologischer Basis, 
wäre sehr wünschenswert. 


4) Albrecht P., Ueber einen Processus odontoideus des Atlas bei den 
urodelen Amphibien. Centralblatt f. d. med. Wissenschaften, 1878, 8. 577 und 
Note sur le basioccipital des Batraciens anoures. Bull. Mus. Roy. Hist. Nat. 
Belg. T. II. 1883. p. 195—198. 

2) Cope E. D., Second Contribution to the History of the Vertebrata of 
the Perm. Form. of Texas. Pal. Buli. 32. p. 18. 1880. 


.. 


Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 


2) 


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36 








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Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. 3693 


Zum Schluss möchte ich nur noch bemerken, dass die geistreiche 
Theorie von Herbert Spencer!) über die Entwicklung der Wirbel- 
säule, welche von Cope?) weiter begründet wurde, mit den Ergeb- 
nissen dieser Mitteilung vollkommen im Einklang steht. 

Die Homologien der Wirbelsäule, soweit sie hier inbetracht kom- 
men, stelle ich auf vorherstehender Tabelle zusammen. 


Nachtrag. 


Während des Druckes dieser Mitteilung erschien eine weitere 
Arbeit von Cope°), in welcher er seine frühern zerstreut erschienenen 
Anschauungen zusammenfasst und ausführlich behandelt. 


Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. 
Von Wilhelm Haacke in Adelaide. 


Gewisse Gruppen der Säugetiere und Vögel haben, wie in anderer 
Hinsicht, so auch inbezug auf ihre geographische Verbreitung das 
Interesse der Forscher in hervorragender Weise in Anspruch ge- 
nommen. Insbesondere sind es unter den Säugetieren: die Monotremen, 
die Beuteltiere, Halbaffen, Edentaten und Insektenfresser, unter den 
Vögeln vornehmlich die Rabiten, welche in dieser Beziehung zu nennen 
sind. Der eigentümlichen geographischen Verbreitung der straußen- 
artigen Vögel verdankt die Hypothese eines ausgedehnten, jetzt fast 
ganz verschwundenen antarktischen Kontinentes, jener der Lemuren 
die Hypothese des unter den Spiegel des indischen Ozeans versunkenen 
Weltteiles Lemurien ihren Ursprung. Diesen Hypothesen tritt nun 
aber der Umstand entgegen, dass die meisten Geologen der Gegen- 
wart wenig geneigt sind, den verflossenen Perioden der Erdgeschichte 
eine wesentlich andere Anordnung der großen Festlandmassen zuzu- 
schreiben, als wie sie in der Gegenwart besteht. Dass die Konfigura- 
tion der Kontinente im großen und ganzen seit jeher dieselbe gewesen 
ist wie heute, kann als ziemlich ausgemacht gelten. Daraus hat man 
nun schließen wollen, dass die afrikanischen und asiatischen Halb- 
affen, die amerikanischen, afrikanischen, australischen und neusee- 
ländischen Strauße getrennten Ursprunges sind. Polyphyletische 
Deszendenzhypothesen sind aber wieder in den Augen vieler Forscher 
wenig geeignet, sich zu empfehlen. So steht denn der Lösung des 
Problems, welches uns die geographische Verbreitung der genannten 


1) Spencer H., The Principles of Biology. Vol. II. p. 192 und Fort- 
setzung. New- York 1867. 

2) Cope E. D., The Batrachia of the Permian Period of North America, 
l. e. p. 31—32. 

3) Cope E. D., On the Intercentrum of the Terrestrical Vertebrata Trans, 
Am. Philos. Soc. Vol. XVI. p. 243—253. pl. I. 


364 Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. 


Tiergruppen darbietet, augenscheinlich manches im Wege. Indess 
scheint es mir, dass die geographische Verbreitung der größern und 
kleinern Tiergruppen nicht die geringsten Anhaltspunkte für polyphy- 
letische Deszendenzhypothesen darbietet, und dass man gleichwohl 
nicht zu den Hypothesen eines Lemurien und eines 'sroßen Südkon- 
tinentes seine Zuflucht zu nehmen braucht, um die geographische 
Verbreitung der Halbaffen und Strauße zu erklären. Vielmehr glaube 
ich grade an der jetzt herrschenden Anschauung von der Beständig- 
keit der Kontinente festhalten zu sollen, um die geographische Ver- 
breitung jener und anderer Tiergruppen in befriedigendster Weise zu 
erklären. Obwohl ich im folgenden nur die Strauße und die erwähn- 
ten niedern Säugetiergruppen in den Kreis meiner Betrachtungen 
ziehe, glaube ich doch für den Satz, der aus der geographischen Ver- 
breitung ihrer Mitglieder sich für mich ergibt, allgemeine Bedeutung 
inbezug auf die Landfauna unserer Erde in Anspruch nehmen zu 
dürfen. Dieser Satz besagt, dass der Nordpol das Schöpfungszentrum 
jener Tiergruppen ist, und, allgemein gefasst, dass sich alle größern 
sruppen der Landtiere, etwa schon alle Gruppen von der Bedeutung 
einer Ordnung, von dem in der nördlichen Erd-Halbkugel gelegenen 
Kontinentalkomplexe aus, dessen Mittelpunkt der Nordpol ist, über 
die Erde verbreitet haben. Ich will es versuchen, diesen Satz kurz 
zu begründen. 

Zu einigen weniger gewagten Hypothesen muss ich mich vorerst 
bekennen. Ich halte zunächst fest an der Hypothese von der relativen 
Beständigkeit der Kontinente, glaube aber mit vielen andern, dass 
vielerorts, wo heute Festland ist, einst seichtes Meer war, und dass 
dort, wo heute seichtes Meer ist, einst Land war. Ich verwerfe also 
einerseits eine ausgedehnte hypothetische Lemuria und Antarktia und 
nehme anderseits an, dass Europasien mit dem Nordpolarkontinente 
sowie mit Amerika, Afrika, Australien und durch das letztere mit 
Neuseeland, dass Afrika mit Madagaskar und Nordamerika mit den 
Antillen durch breite Landbrücken früher verbunden war. Ich nehme 
ferner an, dass das Klima der Nordpolarzone einst ein wärmeres, 
vielleicht ähnlich dem heutigen subtropischen war. Selbstverständ- 
lich bekenne ich mich weiterhin zur Deszendenztheorie. Inbezug auf 
diese letztere muss ich dann aber noch die weitere Annahme machen, 
dass die Entstehung neuer Tiergruppen hauptsächlich dort stattfand, 
wo große Festlandkomplexe, bald mit einander verbunden, bald von 
einander getrennt, angehäuft waren. Solche Erdregionen, welche 
neben ausgedehnten Landmassen eine im Laufe der Zeiten wechselnde 
Verteilung von Land und Wasser und damit eine ausgedehnte Ver- 
schiebung der klimatischen und faunistischen Verhältnisse aufweisen, 
würden meiner Ansicht nach in ganz hervorragender Weise befähigt 
gewesen sein, neue Tiergruppen ins Dasein zu rufen. Für oder wider 
die mono- oder polyphyletischen Deszendenzhypothesen brauche ich 











Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. 3b 


mich hier nicht zu entscheiden. Es mögen die einen oder die andern 
richtig sein. Nur das will ich nochmals hervorheben, dass die geo- 
graphische Verbreitung der Tiere uns nicht nötigt, uns zur polyphy- 
letischen Deszendenzhypothese zu bekennen. 

Behalten wir nun die obigen Hypothesen im Auge und werfen 
wir einen Blick auf die Erdkarte, so gelangen wir zu dem Ergebnis, 
dass etwa die nördlichen zwei Drittteile der Nordhemisphäre das 
einzige größere Kontinentalgebiet der Erde bilden, in welchem wäh- 
rend früherer Erdperioden größere Landmassen bald mit einander 
verbunden, bald von einander getrennt waren, dass also nur dieses 
Gebiet, dessen Mittelpunkt der Nordpol ist, den Schauplatz für die 
Entstehung größerer Systemgruppen des Tierreiches abgeben konnte. 
Ist dieses aber der Fall gewesen, dann müssen die neuentstandenen 
Tiergruppen die ältern mehr und mehr nach Süden bis in die ent- 
ferntesten Erdenwinkel gedrängt haben. Ist unsere Schlussfolgerung 
richtig, dann müssen wir in südlichen entfernten Erdenwinkeln heute 
die letzten überlebenden Vertreter alter und größtenteils ausgestor- 
bener Tiergruppen finden, während die Reste ihrer früher lebenden 
Vorfahren und Anverwandten auch in den Erdschichten der nörd- 
lichen Hemisphäre abgelagert sein müssen. Beides ist aber in der 
That der Fall. 

Ein Blick auf die Erdkarte ergibt südwärts vom etwa vierzigsten 
Nordbreitengrade an Erdenwinkeln, welche einst mit der allgemeinen 
Festlandmasse in Zusammenhang standen oder ihr noch jetzt ange- 
hören, etwa die folgenden. Im äußersten Südosten finden wir den 
Inselkontinent Neuseelands. Nähern wir uns von hier der großen 
Festlandmasse Europasiens, so stoßen wir zunächst auf Neuholland, 
weiterhin auf Neuguinea mit den übrigen papuanischen Inseln, dann 
auf den großen Archipel der ostindischen Inseln von Sumatra bis zu 
den Philippinen. Begeben wir uns von hier auf das heutige Festland, 
so treten uns in Hinterindien mit Malakka und in Vorderindien mit 
Zeylon entlegene südliche Zipfel des großen europasiatischen Konti- 
nentes entgegen. Aehnliches finden wir in Afrika: Madagaskar bildet 
den ehemaligen, Mosambik und das Somaliland die heutigen Südost- 
zipfel dieses Kontinentes; das Kapland ist sein heutiger Südzipfel; 
ein südwestlicher Zipfel Afrikas scheitelt sich zu in der Sierra Leone. 
Nicht viel anders ist es in Amerika. Ganz Südamerika, insbesondere 
aber sein Südende, ist ein abgelegener Erdenwinkel. Die Reste eines 
frühern Südostzipfels Nordamerikas treten uns in den Antillen ent- 
gegen, deren damalige Rolle heute die Halbinsel Florida übernimmt; 
das südliche Kalifornien bildet einen südwestlichen Zipfel. Damit ist 
die Aufzählung der nach Süden auslaufenden abgelegenen Erden- 
winkel, welche dem südlich von dem großen nördlichen eireumpolaren 
Festlandkomplexe gelegenen Theile der Erdkugel angehören, voll- 
ständig erschöpft. 


366 Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. 


Vergleichen wir nun mit diesem Ergebnisse einer Erdkarten 
musterung die geographische Verbeitung der Rabiten, Monotremen, 
Marsupialien, Lemuroiden, Edentaten und Insektivoren, welche Tiere 
als Reste alter, jetzt größtenteils ausgestorbener Tierordnungen ganz 
besonders für diesen Zweck sich eignen, so finden wir, dass ihre 
Verbreitungsbezirke in hochgradiger Weise mit den aufgezählten süd- 
lichen Erdenwinkeln sich decken. 

Von den Rabiten finden wir die erst im gegenwärtigen Erdzeit- 
alter ausgestorbenen Dinornis- oder Moa-Arten und die gegenwärtig 
noch lebenden Apteryx- oder Kiwi-Arten auf Neuseeland. Neuholland 
bietet nur den Emu oder Dromaeus und eine Kasuar- oder Hippaleec- 
tryo-Art. Die übrigen Kasuar-Arten sind auf Neu-Guinea und nahe- 
gelegene melanesische Inseln beschränkt. Hier ist also die Deckung 
eine vollständige. Das gleiche gilt von Südamerika und den Verbreitungs- 
bezirken seiner Rhea-Arten. Der Pampas-Nandu, Ihea americana, 
bewohnt die Pampas von Uruguay und Argentinien, vom dreißigsten Süd- 
breitegrade bis zum Rio Negro. Darvin’s Nandu, ARhea Darvinii, 
ist ein Bewohner Patagoniens, vom Rio Negro südwärts bis zur 
Magellan-Straße. Nicht ganz so befriedigend für uns, aber immerhin 
befriedigend genug, ist das Ergebnis inbezug auf die afrikanischen 
Strauße. Zwar findet sich von diesen die bekannteste Art oder Varietät, 
Struthio camelus, noch weit im Norden, wo sie sich sogar nach Asien 
hinein verbreitet hat; aber eine andere Struthio- Art oder - Varietät, 
der Somalistrauß, findet sich im Somalilande und eine dritte noch 
weiter südlich, und besonders fällt ins Gewicht, dass sich die noch 
nicht gar lange ausgestorbene Aepyornis auf Madagaskar findet. Die 
Strauße, welche als echteste Landvögel ganz besonders in Wett- 
bewerb mit den nach ihnen auf der Weltbühne erscheinenden höhern 
Säugetieren traten, wurden von diesen aus ihrer nordischen Heimat 
weiter und weiter nach Süden gedrängt. Das Resultat dieses Pro- 
zesses ist die eigentümliche geographische Verbreitung ihrer rezenten 
und subrezenten Vertreter, welche sehr unnötigerweise zu der An- 
nahme eines früher mit Süd-Amerika, Afrika, Neuholland und Neusee- 
land in Zusammenhang stehenden Südpolarkontinentes geführt hat. 

Die Monotremen oder Kloakentiere, diese eigentümlichen eier- 
legenden Säuger, sind möglicherweise auf Neuholland nebst einigen 
seiner südlichen Inseln und Neu-Guinea beschränkt. Doch halte ich 
es für wahrscheinlich, dass das angeblich äußerlich otterähnliche 
Säugetier Neuseelands, dessen man bis jetzt noch nicht habhaft ge- 
worden ist, zu den Monotremen gehört. Die Aufgabe, dieses vorläufig 
noch rätselhafte Tier zu erbeuten, bildet gewissermaßen das Experi- 
mentum erueis der hier von mir vorgetragenen Theorie der Landtier- 
verbreitung. Ist es nicht ein den Monotremen Australiens sehr nahe- 
stehendes oder ein noch niedriger organisiertes Tier, so erleidet diese 
Theorie einen argen Stoß. Inbezug auf die uns bis jetzt bekannten 





Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. 367 


Monotremen ist es gewiss beachtenswert, dass sie sich vornehmlich 
im Osten des angegebenen Verbreitungsbezirkes finden. Der Verbrei- 
tungsbezirk der Ameisenigel mit den Gattungen Echidna oder Tachy- 
glossus und Acanthoglossus erstreckt sich von der Känguru-Insel und 
Tasmanien im Süden über das östliche Neuholland bis nach Neu- 
Guinea im Norden. Ihr westliches Vorkommen erscheint zweifelhaft, 
zum mindesten sporadisch. Ornithorhynchus, das Wasserschnabeltier, 
ist bisher nur östlich vom St. Vinzent-Golfe gefunden worden. 

Das Vorkommen der Marsupialien oder Beuteltiere ist beschränkt 
auf Neuholland mit den nächstgelegenen Inseln, Südamerika und zwei 
kleinen Distrikten Nordamerikas. Es ist beachtenswert, dass das 
virginische Opossum, Didelphys virginiana, in dem in die Halbinsel 
Florida auslaufenden Zipfel Nordamerikas sich findet, während die 
zweite der beiden einzigen Beuteltierarten Nordamerikas, Didelphys 
californica, einen fast ebenso abgelegenen Distrikt, Mejiko und das 
Südende Kaliforniens, bewohnt. Alle noch übrigen zahlreichen und 
einander sehr nahe stehenden Beuteltierarten Amerikas sind auf die 
südamerikanische Region beschränkt. Aus dem Umstande, dass sämt- 
liche amerikanische Beuteltiere fünfzehige Füße besitzen, während 
dies bekanntlich bei den australischen Beuteltieren nur in sehr be- 
schränkter Weise der Fall ist, hat man geschlossen, dass die ameri- 
kanischen Beutler der Stammform der Marsupialien näher stehen als 
die australischen. Ist unsere Theorie richtig, dann ist dieses nicht 
wunderbar. Denn die australischen Beuteltiere haben im Vergleiche 
mit den Amerikanern eine sehr weite Strecke durchwandert, auf 
welcher sie vorzügliche Gelegenheit hatten, ihren Gliedmaßenbau 
umzubilden. Finden wir doch auch die abweichendsten Vertreter der 
Straußvögel, die Kiwi, in dem entlegenen Neuseeland. 

Sehr interessant ist die geographische Verbreitung der Halbaflen 
oder Lemuroiden; hat doch grade sie zu der Lemuria-Hypothese ge- 
führt. Wir müssen diese Hypothese als durchaus unnötig verwerfen, 
da die eigentümliche geographische Verbreitung der heutigen Halb- 
affen, auch wenn man an ihrem gemeinsamen Ursprunge festhält, aus 
der viel besser begründeten Annahme von der relativen Beständigkeit 
der Kontinente sich erklärt. Die gegenwärtig lebenden Halbaffen sind, 
wie die Strauße, Kloakentiere und Beutler, Reste einer alten im Norden 
der Erde entstandenen Tiergruppe, welche von später auftretenden 
Ordnungen allmählich nach Süden in abgelegene Erdenwinkel hinein 
verdrängt und dadurch zersplittert wurde. Die Halbaffen von heute 
zerfallen in vier Familien, deren geographische Verbreitung unsere 
Hypothese in sehr befriedigender Weise bestätigt. Die einzige Art 
aus der Familie der Flattermakis, Gauleopithecus volans, bewohnt 
Malakka und viele der ostindischen Inseln. Die Familie der Fingertiere 
mit der einzigen Art Chiromys madagascariensis, dem Aye-Aye, ist 
beschränkt auf Madagaskar. Der einzige Vertreter der Familie der 


368 Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. 


Gespenstaffen, Tarsius spectrum, ist ein Bewohner des ostindischen 
Archipels. Die meisten Arten der Lemurinen, welche die noch übrige 
Familie der Halbaffen bilden, finden sich auf Madagaskar. Doch sind 
die Plumploris, Nyeticebus, in Hinterindien von Ost-Bengalen bis Süd- 
China- und auf den Sunda-Inseln zuhause. Die Schlankloris, Stenops, 
leben in den Distrikten von Madras und Malabar auf Vorderindien, 
nicht minder auch auf Zeylon. Der Potto, Perodietius potto, lebt als 
einzige Art seiner Gattung in der Sierra Leone, und der Bärenmaki, 
Arctocebus calabarensis, gleichfalls die einzige Art seiner Gattung, 
nieht weit davon in Alt-Calabar. Nur die Galagos haben eine wei- 
tere Verbreitung als sämtliche andern Gattungen der in etwa sechzig 
Arten zerfallenden Halbaffen; sie finden sich von Fernando Po bis 
Sansibar und Natal. Alle andern Lemuroiden sind, wie wir gesehen 
haben, Bewohner abgelegener Erdenwinkel. 

Nieht ganz so schön für unsere Hypothese gestaltet sich die 
geographische Verbreitung der zahnarmen Säugetiere oder Edentaten. 
Immerhin ist sie befriedigend genug. Die Familien der Bradypoden 
oder Faultiere, der Dasypoden oder Gürteltiere und der Myrmecophagen 
oder Ameisenbären sind auf die südamerikanische oder neotropische 
Region beschränkt. Die afrikanischen Oryeteropoden oder Erdferkel 
zerfallen in vielleicht drei Arten, von denen die eine das Kapland, 
die zweite Nordost-Afrika, die dritte das Senegalgebiet bewohnt. Die 
Mavididen oder Schuppentiere finden sich in Afrika südlich von der 
Sahara und in Ostindien, mit Einbegriff Zeylons und der östlichen 
Inseln. Ueber das Alter der Ordnung der Zahnarmen sind wir noch 
im unklaren. Aber abgesehen davon ist die Gruppe eine wenig wider- 
standsfähige und beweist jedenfalls durch ihre frühere und gegen- 
wärtige geographische Verbreitung, dass sie aus einem größern mehr 
oder minder zusammenhängenden Gebiete auf die von ihr heute be- 
wohnten Bezirke verdrängt ist. Jenes größere Gebiet kann sich nur 
auf der nördlichen Hemisphäre befunden haben. 

Recht brauchbar für unsern Zweck ist wieder die Säugetierord- 
nung der Insektenfresser oder Insektivoren. Doch müssen wir die 
Familien der Igel, Spitzmäuse und Maulwürfe, welche weit über die 
Erde verbreitet sind, von der Betrachtung ausschließen. Die Igel sind 
durch ihr Borstenkleid, die Spitzmäuse durch ihre Behendigkeit, die 
Maulwürfe dureh ihre unterirdische Lebensweise in vorzüglicher Weise 
erhaltungsmäßig ausgestattet und konnten deshalb nicht leicht aus 
dem weiten Gebiet ihrer Urheimat verdrängt werden. Von den übrigen 
Familien sind die Makrosceliden oder Rohrrüssler fast ganz auf Süd- 
Afrika beschränkt, von wo aus sie sich bis Mosambik finden. Indess 
bewohnt eine Art der Gattung Macroscelides die Barbarei und Algerien; 
aber die Gattungen Petrodromys und Rhyncocyon sind mit je einer 
Art auf Mosambik beschränkt. Von der vorzugsweise indo-malayischen 
Familie der Tupaiiden bewohnt die Gattung Tupaia die Sunda-Inseln 








Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. 369 


und indochinesischen Länder; eine Art findet sich auf dem Khasia- 
Gebirg in Hinterindien, eine andere in der Nähe von Madras. Die 
Gattung Hylomys reicht von Tenasserim bis Java und Borneo, Ptilo- 
cerus gehört der letztern Insel an. Sehr interessant ist die Verbrei- 
tung der Borstenigel oder Centetiden. Während die meisten Arten 
dieser Familie auf die Subregion von Madagaskar beschränkt sind, 
bewohnt die Gattung Solenodon die Antillen. Die Potamogaliden sind 
auf West-Afrika, die Goldmullen oder Chrysochloriden auf Süd-Afrika 
zurückgedrängt; die letztern bewohnen das Kapland, eine Art reicht 
bis Mosambik. 

Als eine alte Ordnung sollten hier noch die Nagetiere erwähnt 
werden. Indess sind diese Tiere mit einer in hohem Grade erhal- 
tungsmäßigen Organisation ausgestattet, welche schon genügt, sie für 
unsern Zweck durchaus unbrauchbar zu machen. Sie haben denn 
auch eine äußerst weite Verbreitung. 

Betreffend die ehemalige geographische Verbreitung der be- 
sprochenen Tierordnungen genügt es zu sagen, dass Vertreter aller 
in einer für unsere Hypothese hinlänglichen Anzahl fossil in den Erd- 
schichten der nördlichen Hemisphäre, sowohl in der neuen wie in der 
alten Welt sich finden. 

Das Vorstehende wird genügen, um unsere Hypothese als disku- 
tierbar nachzuweisen. Wir behaupteten als wahrscheinlich, dass der 
Nordpol der Schöpfungsmittelpunkt der Landtierordnungen unserer 
Erde war, dass sich die letztern von den großen nördlichen Kontinental- 
massen aus über die Erde verbreitet haben. Dann mussten sich die 
Ueberreste älterer und wenig erhaltungsmäßig organisierter Ordnungen 
vorzugsweise in abgelegenen südlichen Erdenwinkeln finden. Als 
dergleichen Ordnungen können wir die niedern Vögel, nämlich die 
Rabiten, und die niedern Säugetiere nach Ausschluss der Nager, Igel, 
Maulwürfe und Spitzmäuse, nämlich die Monotremen, Marsupialien, 
Lemuroiden, Edentaten und den Rest der Insektivoren ansprechen. 
Abgelegene Erdenwinkel bilden Neuholland mit Neuguinea und Neu- 
seeland, Hinterindien mit seinem Archipel, Vorderindien mit Zeylon; 
ferner das Somaliland, Mosambik mit Madagaskar, das Kapland und 
die Sierra Leone mit ihrer Umgebung; endlich ganz Südamerika, 
insbesonders sein Südende, Florida mit den Antillen und Süd-Kalifornien. 
Wir fanden, dass die Verbreitungsbezirke der genannten Tiere in auf- 
fallender Weise mit den aufgezählten entlegenen Erdenwinkeln sich 
decken, während wir ihre fossilen Verwandten im Norden finden, und 
sind berechtigt, darin die Stichhaltigkeit unserer Hypothese bestätigt 
zu sehen. 

Diese Hypothese, welche an der relativen Beständigkeit der Kon- 
tinente festhält, die Annahme ehemaliger jetzt unter den Meeresspiegel 
versunkener Kontinente verwirft, jedoch eine relative Verschiebbarkeit 
der Küstenlinien annimmt, so zwar, dass einst der jetzt von der 

VI, 24 


370 Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens. 


Tausendfaden - Linie umrahmte Meeresboden Land gewesen sein mag, 
bedarf nicht der Annahme eines polyphyletischen Ursprungs der Land- 
tierordnungen, obwohl sie denselben nicht unbedingt in Abrede stellen 
will. Ganz neu ist die Hypothese nicht; vielmehr scheint es mir, 
dass sie schon mit einigen Abweichungen implieite m den Werken des 
ausgezeichneten Wallace enthalten ist. Ihm muss ieh hier den Tribut 
meiner Dankbarkeit abstatten. Ich habe versucht, dasjenige, was für 
mich das Hauptergebnis seiner Werke ist, in bündiger Form zusammen- 
zufassen, auszusprechen und durch dazu besonders geeignet erschei- 
nende Thatsachen zu begründen. Es ist mein Wunsch, dass meine 
Hypothese von andern unter Heranziehung anderer Thatsachen ge- 
prüft werde und sich, falls sie die Prüfung vorläufig besteht, ferner 
als nützlich erweisen möge. 


Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens!). 
Von Prof. ©. Langendorff in Königsberg. 

Das Cheyne-Stoke’sche Phänomen ist bekanntlich dadurch 
charakterisiert, dass die Atmung von Zeit zu Zeit aussetzt, und dass 
mit den bald längern, bald kürzern Pausen größere oder kleinere 
Atmungsreihen abwechsen. Die letztern sind in typischen Fällen 
dureh treppenartig an- und absteigende Tiefe und dureh an- und ab- 
schwellende Frequenz ausgezeichnet; doch kommen in dieser Bezieh- 
ung die größten Variationen vor; die Frequenz- und Tiefenänderungen 
können sogar gänzlich fehlen, so dass man sie als wesentliche Er- 
scheinungen nicht betrachten kann. Das Wesentliche ist eben nur der 
periodische Wechsel von Atmungsgruppen und Atmungs- 
pausen. 

Eine solche Periodik ist den Atmungsapparaten nicht allein eigen- 
tümlich; auch andere rhythmisch thätige Organe können, wie von 
verschiedenen Forschern gezeigt worden ist, ihr verfallen. Will man 
der Ursache des Cheyne-Stoke’schen Atmens nachgehen, so sind 
diese Erfahrungen zu berücksichtigen. 

Am häufigsten zeigt das Herz den periodisch aussetzenden Rhythmus. 
Nach Lueiani zeigt diese Erscheinung das sinuslose, mit Serum ge- 
speiste, am Manometer arbeitende Froschherz. Rotes Blut stellt die 
normale Schlagfolge eines solchen wieder her. Dieselbe Erscheinuug 
wird beobachtet, wenn man durch Quetschung den Zusammenhang 
der Vorhöfe und der Kammer des Herzens eines kurarisierten, sonst 
unversehrten Frosches unterbricht; der Ventrikel verfällt in periodisch- 


I) Nach einem im Verein für wissenschaftliche Heilkunde zu Königsberg 
gehaltenen Vortrage. 





Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens. 571 
aussetzendes Schlagen, während die Atrien in regelmäßigem Rhythmus 
verbleiben. Auch das ganze Herz kann unter Umständen periodisch 
pulsieren. Ausgeschnittene Herzen von Hühnerembryonen zeigen nach 
Fano ähnliche Erscheinungen. Sie treten auch an den Lymphherzen 
des Frosches und an andern rhythmisch tbätigen Organen, auch der 
Wirbellosen auf. 

Im allgemeinen kann man sagen, dass die häufigste Veranlassung 
zum Periodischwerden einer rhythmischen Bewegung die Erstieckung 
ist. Wie weit eine solche Ursache auch für das klinisch beobachtete 
Cheyne-Stoke’sche Phänomen gilt, will ich nicht näher untersuchen, 
zumal von kompetenterer Seite darauf schon hingewiesen worden ist. 
Erwähnt sei nur, dass Herzverfettung und andere Heızaffektionen, bei 
denen man die Erscheinung beobachtet, mit starker Sauerstofiver- 
armung des Blutes einhergehen können, und dass es sich um ähn- 
liche, wenn auch lokal bleibende Vorgänge handeln mag, wenn die 
Oblongata durch den Druck meningitischer Exsudate oder apoplek- 
tischer Ergüsse in ihrer Blutversorgung beeinträchtigt wird. 

Für das genaue Studium des Cheyne-Stoke’schen Phänomens 
erhebt sich daher die Frage, ob dasselbe experimentell durch Er- 
stiekung erzeugt werden kann. Erstiekung kann man bei warmblü- 
tigen Tieren dadurch herbeiführen, dass man die Trachea unterbindet, 
oder die Tiere verblutet, oder, falls nur Gehirn und oberer Teil des 
Rückenmarkes erstickt werden soll, durch Abklemmung der vier Gehirn- 
Arterien. Während der lebhaften Vorgänge, die diesen Operationen 
folgen, sieht man indess nichts von der in Rede stehenden Erscheinung. 
Doch wird man durch eines der Erstickungssymptome daran erinnert. 
Nach heftiger Dyspnoe erlahmt die Atmung und steht schließlich still. 
Man hält das Tier für tot, denn der Stillstand kann minutenlang 
währen. Plötzlich setzt mit einem tiefen Atemzuge die Respiration 
wieder ein; ihm folgt eine ganze Reihe weiterer, freilich mit abneh- 
mender Tiefe. Nach Beendigung der zuweilen langen Atmungsreihe 
ist das Tier tot. Schnappende Kopfatmungen können allerdings die 
Rumpfatmung noch eine Weile überdauern, eine Erscheinung, die ich 
an Meerschweinchen mehrmals wahrzunehmen Gelegenheit hatte. Wir 
haben also auch hier die Erscheinung, dass die Atmung gänzlich auf- 
hört und nach längerer Pause wieder beginnt. Ob hier ein Rudiment 
periodischen Atmens vorliegt, wird freilich zweifelhaft sein, weil der 
Atmungspause nur eine Gruppe, ihr aber dauernder Stillstand folgt. 
Doch glaube ich bei langsamem Verbluten einmal nach der zweiten, 
gewöhnlich definitiven Pause noch eine zweite Gruppe gesehen zu 
haben. 

Immerhin bleibt die Gruppenbildung in diesen Fällen höchst 
rudimentär. Kann nun Erstickung bei Warmblütern wirklich periodi- 
sches Atmen bewirken, so liegt es nahe daran zu denken, dass sie 
hier mit zu großer Geschwindigkeit eintritt, die Atmnngszentren zu 

24* 


372 Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens. 


schnell abtötet, als dass die Erscheinung sich voll ausbilden könnte. 
Es war mir deshalb von Interesse, kürzlich bei Gelegenheit einer 
sehr langsamen, im Laufe von 1—2 Stunden sich abspielenden Er- 
stickung das Phänomen in optima forma beobachten zu können. Es 
handelte sich um Kaninchen, denen zu andern Zwecken von Herrn 
Stud. R. Cohn beide Pleurahöhlen eröfinet und nach geschehenem 
Lufteintritt wieder geschlossen worden waren. Drei dieser Tiere 
zeigten nun einige Zeit hindurch bis zu ihrem an Erstickung erfolgen- 
dem Tode, der übrigens ohne Krämpfe eintrat, eine sehr wohl aus- 
geprägte periodisch -aussetzende Atmung. Als gleichzeitig der Blut- 
druck der Tiere aufgeschrieben wurde, prägte sich die Atmungspause, 
sowie die wechselnde Tiefe der Atmungen in prägnanter Weise an 
der Blutdruckkurve aus. (Nebenbei sei bemerkt, dass diese Blutdruck- 
zeichnungen der oft erwähnten, sicher unhaltbaren Theorie Filehne’s 
durchaus nicht günstig sind. Die Veränderungen der Blutdruckhöhe 
sind an sieh gering und immer derartig, dass sie als durch die Ver- 
änderungen der Atmungstiefe bedingt angesehen werden können.) 

Wenn bei Säugetieren die Erstickung in der Regel zu akut ver- 
läuft, um zum Periodisch- Atmen zu führen, eine länger protrahierte 
Erstiekung aber die Erscheinung hervortreten lässt, so ist zu erwarten, 
dass dieselbe in denjenigen Tierklassen, in denen die chemischen 
Lebensprozesse von Natur einen sehr langsamen Verlauf haben, leich- 
ter zur Beobachtung kommen werde. 

In der That lässt sich zeigen, dass, wenn man Kaltblüter, z. B. 
Frösche, ersticken lässt, jedesmal für die Zeit von !/, bis 2 Stunden 
periodisch-aussetzendes Atmen erscheint. Das haben die vor einigen 
Jahren unternommenen gleichzeitigen Versuche von Siebert und 
mir, und von Luchsinger und Sokolow nachgewiesen. Wir 
unterbanden die gemeinsame Aorta und sahen nach wenigen Minuten 
bereits schöne Atmungsgruppen sich ausbilden. Mit zunehmender Er- 
stiekung nahm die Zahl der in den einzelnen Gruppen vorhandenen 
Atmungen ab, schließlich blieben nur noch weit von einander ab- 
stehende Einzelatmungen übrig, denen sich dann der dauernde Still- 
stand anschlos#. Bei der der Freigebung der Ligatur folgenden Er- 
holung trat wieder Periodik, später normale Rhythmik auf, voraus- 
gesetzt, dass die Bluthemmung nicht zu lange Zeit bestanden hatte. 

Schon damals fiel den beiderseitigen Beobachtern während des 
Studiums der Atmungsgruppen eine Erscheinung auf, die von allge- 
meiner Bedeutung für das Studium der periodischen Thätigkeit nervöser 
Zentralapparate zu sein scheint. Ich habe dieselben weiterhin näher 
untersucht, und möchte sie hier etwas eingehender darstellen. 

Obwohl schon Traube erwähnt, dass beim Cheyne-Stoke’- 
schen Phänomen des Menschen den Atmungsgruppen sich gewisse 
Begleiterscheinungen von seiten des Kreislaufapparates u. a. hinzu- 
gesellen können, dürfte ©. Rosenbach der erste gewesen sein, der 








Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens. 375 
eindringlich darauf hinwies, dass es sich beim Cheyne-Stoke’schen 
Phänomen des Klinikers nicht allein, sogar nicht einmal wesentlich 
um die Atmungserscheinungen handelt, sondern dass dasselbe ein 
Symptomenkomplex ist, an dem eine ganze Reihe nervöser Zentral- 
apparate teilnimmt. Es können Erscheinungen von seiten des Groß- 
hirns, der Zentren für Pupillen- und Augapfelbewegung, des Gefäß- 
zentrums, und des herzhemmenden Vaguszentrums, der Zentren für 
die Skeletmuskeln, die periodisch- wechselnden respiratorischen Er- 
scheinungen begleiten. 

Bei erstickenden Fröschen tritt nun die Komplexität der Erschei- 
nungen oft mit großer Deutlichkeit hervor. 

Zunächst muss der die Atmungsgruppen sehr oft, wenn auch nicht 
immer, begleitenden Bewegungsanfälle gedacht werden. Schon 
kurz vor Beginn einer Atmungsreihe macht sich an dem während der 
Pause wie schlafend oder tot daliegenden Frosche eine gewisse mo- 
torische Unruhe bemerkbar. Er richtet sich auf, verändert seinen 
Platz, hüpft auch wohl eine beträchtliche Strecke weit, und versinkt, 
wenn der Atmungsanfall zu Evnde gegangen ist, an dem neuen Ruhe- 
platze wieder in seine Lethargie. In manchen Fällen sind die Be- 
wegungen mehr krampfartig. Bei kräftigen frischgefangenen Gras- 
fröschen sah ich wahre an Strychnin- Vergiftung erinnernde Krämpfe 
auftreten. 

Hat man Frösche mit Strychnin vergiftet und erstickt sie dann 
in einer abgeschlossenen Wassermasse, so treten besonders in den 
spätern Stadien regelmäßige periodische Streckkrämpfe auf. In den 
Pausen hocken die Tiere anscheinend leblos auf dem Grunde des 
Gefäßes; in Abständen von 8—10 Minuten werden sie von heftigen 
Streckkrämpfen ergriffen, die mehrere Sekunden lang andauern. Nach 
Beendigung des Anfalles sinkt das Tier schlaff in seine alte Lage 
zurück. Aeußere Reize sind bei der Auslösung dieser periodischen 
Krämpfe nicht im Spiele, wie mir mehrfache Kontrolversuche bewiesen 
haben. Die Krampfanfälle können übrigens noch andauern, nachdem 
die Atmungsthätigkeit bereits erloschen ist — offenbar deshalb, weil 
die spinalen Zentren der Erstickung später erliegen, wie die bulbären 
oder gar die zerebralen. 

An unvergifteten Tieren kann man noch folgende Wahrnehmungen 
machen: Erstickende Frösche lassen sich in der Pause, besonders zu 
Beginn derselben, ohne Widerstreben auf den Rücken legen, was ein 
normaler Frosch bekanntlich niemals duldet. In dieser Zwangslage 
verharren sie nun während des ganzen Restes der Pause. Mit be- 
ginnendem Anfall aber drehen sie sich um. Es ist wie wenn das 
Tier oder vielmehr sein ruhender Sinn für die Erhaltung der Normal- 
lage plötzlich erwachte. Während der Pause kann man dem Tiere 
die Beine in komplizierter Weise verschränken: die Beseitigung dieser 
erzwungenen Stellung erfolgt erst mit dem Anfall. Oft bleibt der 


374 Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens. 


Frosch, wie überrascht vom Einbruch der Pause, in unnatürlichen 
und unbequemen Stellungen liegen; erst nach Beendigung der Pause 
repariert er dieselben. Diese Erscheinung erinnert an die von klini- 
scher Seite beobachtete Thatsache, dass Kranke beim Cheyne- 
Stoke’schen Phänomen mit dem Eintritt der Pause Bewegungen 
nicht vollendeten, die sie während des Anfalles begonnen hatten. 
Ueberhaupt bieten die Beobachtungen an Menschen mancherlei Ana- 
logien dar zu den hier mitgeteilten. 

Wer die Lokomotionsanstrengungen des erstickenden Frosches 
sieht, wird anfangs geneigt sein, sie für die willkürlichen Bewegungs- 
äußerungen eines von Zeit zu Zeit aus seinem lethargischen Zustande 
erweckten Tieres zu halten. Sie treten indess noch nach Entfernung 
des Großhirns, ja nach Entfernung des Mittelhirns (Lobi optiei) in 
derselben Weise auf, wie vorher. Ja, es scheinen Rudimente dieser 
periodischen Bewegungsanfälle, wenn auch nicht mehr mit Atmungs- 
gruppen verschwistert, sogar noch nach Fortnahme des verlängerten 
Markes vorzukommen. Man hat es demnach lediglich mit einem 
willkürliche Impulse nicht voraussetzenden Mechanismus zu thun, der 
teilweise wenigstens als Analogon der beim Warmblüter zu beobach- 
tenden, freilich schneller und heftiger ablaufenden Erstiekungskrämpfe 
aufzufassen ist. 

Auch das Wiederumdrehen aus der Rückenlage tritt noch bei 
Fröschen ein, die Großhirn und Sehlappen eingebüßt haben. 

Eine weitere Erscheinung, die neben den Atmungs- und Bewegungs- 
symptomen an erstickenden Fröschen auffällt, macht sich am Herzen 
bemerklich. Bei erregbaren Fröschen, besonders bei frischgefangenen 
Exemplaren von R. temporaria, sah ich zuweilen jeden Anfall durch einen 
kürzern oder längern Herzstillstand bezeichnet. Bei sonst frequent schla- 
genden Herzen treten Stillstände von 5 und mehr Sekunden Dauer ein. 
Gewöhnlich beginnt die Herzpause kurz vor dem Atmungsanfall. Bei 
minder reizbaren Präparaten kommt es nur zur periodischen Puls- 
verlangsamung, bei vielen fehlt endlich jede merkliche Aenderung der 
Schlagfolge. Zweifellos ist die Erscheinung auf eine mit den Atmungs- 
fällen synehrone Erregung des Vaguszentrums zu beziehen. Mit dem 
oben erwähnten periodischen Schlagen erstickender Herzen ist die 
hier berührte Erscheinung schon deshalb nicht zu verwechseln, weil 
das erstere nach viel längerer Erstickungsdauer eintritt, zu einer Zeit, 
wo selbst das Rückenmark längst völliger Lähmung verfallen ist. 
Die die Atmungsanfälle begleitenden Herzsymptome bleiben nach Ver- 
siftung mit Kurare oder Atropin aus. 

Dass auch die Lymphherzen an den Erstickungsanfällen ihren 
Anteil haben, babe ich bereits in einer frühern Mitteilung erwähnt. 
Auch sie erfahren bei jedem Anfall eine Unterbrechung ihrer Thätig- 
keit. Der Stillstand erscheint (an beiden hintern Herzen zugleich, 
wahrscheinlich auch an den vordern) bereits vor dem Ausbruch des 








Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne -Stoke’schen Phänomens. 375 
’ fe) IL) 


Bewegungsanfalles und überdauert meistens ihn und die Atmungs- 
gruppe. Der Eintritt eines Stillstandes, der in diesem Erstiekungs- 
stadium sonst noch regelmäßig pulsierenden Lymphherzen ist ein 
sicheres Signal für den bevorstehenden Ausbruch eines Anfalles. Die 
Ursache der Intermission liegt offenbar in einer Reizung der nach- 
weislich in der Oblongata oder im Gehirn vorhandenen Hemmungs- 
apparate. 

Wie sich die vasomotorischen Zentren verhalten, vermag 
ich aus eigner Erfahrung nicht zu sagen. Luchsinger und Soko- 
low haben behauptet, dass der Blutdruck beim Anfalle keine Ver- 
änderung zeige; doch ist es mir fraglich, ob dies für alle Fälle zutrifft. 
Aus Analogie wäre auf eine Erregung auch der vasomotorischen 
Zentren zu schließen. Freilich würde, wenn eine solche sich auch 
beim Frosche nachweisen ließe, daraus der Filehne’schen Theorie 
des Cheyne-Stoke’schen Phänomens keine Stütze erwachsen. 

An den Pupillen sah ich Veränderungen nieht auftreten. 

Betrachtet man den ganzen reichhaltigen Symptomenkomplex, wie 
er sich beim Cheyne-Stoke’schen Phänomen des Menschen und 
beim erstickenden Frosche darstellt, so erhebt sich die Frage nach 
der Natur der Zusammenhanges dieser Erscheinungen. 

Es liegen hier drei Möglichkeiten vor: 1) die Erregung geht vom 
Atmungszentrum aus; die eingetretenen zum Teil verstärkten Atmungen 
schaffen wieder Sauerstoff ins Blut und beleben dadurch die übrigen, 
vorher in Erstiekungsohnmacht versunkenen Zentralorgane. Hierbei 
wäre besonders an die Großhirn- und Mittelhirnfunktionen gedacht. 
Für den Frosch muss diese Deutung von vornherein schon deshalb 
zurückgewiesen werden, weil ein verbluteter oder mit Aortenligatur 
versehener Frosch bei der Atmung Sauerstoff überhaupt nieht mehr 
aufzunehmen vermag. Dadurch wird diese Erklärung auch für die 
analogen Erscheinungen am Menschen unwahrscheinlieh. 

2) Die Erregung betrifft zunächst das Atmungszentrum und strahlt 
von diesem auf die benachbarten Zentralorgane aus. Entschließt 
man sich zu einer solehen Annahme, so vindiziert man dem Atmungs- 
zentrum eine Art von Anführerrolle gegenüber den andern Zentral- 
apparaten des Höhlengraus; und dafür liegt doch sonst kein Anhalts- 
punkt vor. Gegen die Irradiation spricht die oben erwähnte Thatsache, 
dass die übrigen Erregungserscheinungen bereits früher einzusetzen 
pflegen, wie der Atmungsanfall. Handelt es sich um eine Ausstrah- 
lung der Erregung vom Atmungszentrum her, so ist zu erwarten, 
dass eine solche erst dann eintritt, wenn die Erregung mindestens 
schon zu Atmungen geführt hat. Gegen die Irradiation sprechen auch 
die erwähnten rudimentären Bewegungsanfälle oblongataloser Frösche, 
und die periodischen Strychninkrämpfe solcher Tiere, deren Atmung 
bereits der Erstickung unterlegen ist. 

3) Es bleibt demnach nur übrig, die verschiedenen einen An- 


376 Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne - Stoke’schen Phänomens. 


fall zusammensetzenden Thätigkeitsäußerungen als koordinierte 
Folgen einer periodisch durehbrechenden Reizung der 
grauen Substanz von Hirn und Rückenmark zu deuten. 
Diese Deutung ist eigentlich die einfachste, und sie würde auch die 
nächstliegende sein, wenn man nieht durch die prägnanten Erschei- 
nungen am Atmungsapparat (besonders beim klinischen Cheyne- 
Stoke’schen Phänomen) veranlasst würde, diesem eine besonders 
hervorragende Rolle zuzuerteilen. Das Hervortreten der Atmungs- 
erscheinungen beruht indess auf äußerlichen Gründen; und führt man 
an, dass die übrigen Erscheinungen völlig fehlen können, die Atmungs- 
anfälle deshalb das einzig Essentielle des Symptomenkomplexes sein 
müssen, so ist zu bemerken, dass dies durch die allgemein angenom- 
mene höhere Erregbarkeit des Atmungszentrums in ausreichender 
Weise erklärt wird. 


Kehren wir nach dieser etwas langen, aber für das Verständnis 
des Phänomens vielleicht nicht unfruchtbaren Abschweifung zur Be- 
sprechung der Ursachen des periodischen Atems zurück ! 

Wir haben gesehen, dass Erstieckung oder besser ein unter 
die Norm gesunkener und für längere Zeit abuorm gering bleibender 
Sauerstoffgehalt der Organe zur Ursache dieser Erscheinung werden 
kann. Ein solcher Zustand ist aber keineswegs in allen Fällen, in 
denen er zur Beobachtung kommt, ohne weiteres vorauszusetzen. Das 
periodische Atem ist nämlich bei Säugetieren auch unter folgenden 
Bedingungen beobachtet worden. 

Bevor noch Traube auf die Stoke’schen Beobachtungen auf- 
merksam gemacht und seine eignen Erfahrungen mitgeteilt hatte, be- 
schrieb Schiff ein eigentümliches Atmungsphänomen, das bei Vivi- 
sektionen infolge von reichlichem Bluterguss in das verlängerte Mark 
oder stärkerem Druck auf dasselbe auftrat: Die Respirationen fehlen 
eine viertel oder eine halbe Minute ganz, beginnen dann langsam, 
beschleunigen sich, nehmen darauf wieder ab, bis eine abermalige 
Pause eintritt. Ein ähnliches Phänomen hat, wie es scheint, Leyden 
bei seinen experimentellen Untersuchungen über Hirndruck beobachtet. 
Kronecker und Markwald u. a. bemerkten Cheyne-Stoke’sches 
Atmen nach hoher Durchschneidung der Oblongata, dureh welche die 
Atmung noch nicht gelähmt wurde. Dr. Joseph und ich sahen die 
spinalen Atmungen eines oblongatalosen Kaninchens diese Form an- 
nehmen. Heidenhain beschrieb periodisch-aussetzendes Atmen bei 
tief chloralisierten Hunden. In weiterer Verfolgung dieser Angabe 
hat Filehne tiefe Narkotisierung von Tieren mit Morphium und 
Chloralhydrat angewendet, um das Phänomen experimentell nach 
Belieben zu erzeugen. Doch muss bemerkt werden, dass die Pausen 
hierbei kurz zu sein, die Gruppen nur aus zwei bis drei Atmungen 











Langendorfi, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens. 377 


zu bestehen pflegen. Ganz ähnlich war die Atmung in einem Falle, 
den ich an einem neugebornen Kätzchen wahrnahm, das ich zentri- 
petaler Vagusreizung unterworfen hatte. Der Reizung folgte ein 
exspiratorischer Stillstand; nach dem Aufhören blieb längere Zeit hin- 
durch ausgesprochenes Gruppenatmen zurück. Bei Kaninchen sah 
ich einer Reizung der nasalen Trigeminusenden durch Chlorotform- 
dämpfe periodisches Atem folgen. Endlich beobachtete ich dasselbe 
gemeinschaftlich mit Herrn Bongers bei winterschlafenden Igeln. 
Diese Beobachtung bot insofern besonderes Interesse, als die Atmungs- 
pausen ungemein lange, bis gegen 40 Minuten, währten. Das Phä- 
nomen dauerte während des ganzen Winters an. Schon vorher hatte 
Mosso am winterschlafenden Myoxus avellanarius ab und zu perio- 
disches Atmen gesehen. An zwei Haselmäusen, die während des 
Winters 1883/84 im Königsberger physiologischen Institut ihren Winter- 
schlaf hielten, vermochten wir stets nur regelmäßiges Atmen zu be- 
obachten. Fano sah periodisches Atmen bei winterschlafenden Schild- 
kröten und Alligatoren. Zum Schluss sei noch einer Erscheinung 
Erwähnung gethan, die sich allerdings von dem gewöhnlichen Typus 
des periodisch - aussetzenden Atmens unterscheidet, die aber einen 
Uebergang zu demselben darstellen dürfte. Es kommen nämlich sehr 
ausgesprochene Periodizitäten in der Atmungsfrequenz vor. »o 
sah ich bei einem einer subkutanen Kurare- Injektion allmählich er- 
liegenden Meerschweinchen die Atmung eine Zeit lang vor ihrem Er- 
löschen in periodischem Wechsel schneller und flacher und wieder 
tiefer und langsamer werden. Am erstickenden Herzen kommt ähn- 
liches vor. Ich habe darauf bezügliche Kurvenzeiehnungen von Frosch- 
herzen mitgeteilt. An embryonalen Hühnerherzen hat jüngst Fano 
ähnliches beobachtet. 

Das Vorkommen des Cheyne-Stoke’schen Phänomens beim 
Menschen hier zu besprechen, würde man mir um so eher erlassen, 
als darüber mehrfach und in erschöpfender Weise von klinischen 
Autoren berichtet worden ist. Es ist bekannt, dass, wie von Traube 
und andern gezeigt worden ist, die verschiedensten Affektionen zum 
periodischen Atmen führen können. Dass aber auch beim gesunden 
Menschen im Schlafe (und zwar im natürlichen wie im Chloralschlafe) 
diese Atmungsform auftreten kann, hat Mosso zuerst bemerkt. 


Suchen wir nunmehr, nachdem wir das Vorkommen des Cheyne- 
Stoke’schen Atmungs- Phänomens oder der ihm ähnlichen Atmungs- 
formen nebst ihren Begleiterscheinungen studiert haben, nach einer 
Erklärung für diese für den Arzt wie für den Physiologen wichtige 
und interessante Erscheinung, so werden wir dieselbe zunächst ganz 
allgemein, ohne Rücksicht auf die Differenzen ihrer Form, zu betrach- 
ten haben. Wir werden einfach fragen müssen: wie kann aus 


378 Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne -Stoke’schen Phänomens. 


dem gewöhnlichen rhythmischen Atmen das periodisch 
aussetzende werden? 

Gegenüber dem Phänomen der Periodik ist alles Uebrige, also die 
wechselnde Tiefe und Frequenz der Atmungen, die Größe oder Klein- 
heit der Gruppen und der Pausen, sehon deshalb unwichtig, weil die 
in dieser Richtung beobachteten Typen selbst für den Menschen nichts 
weniger als konstant sind. Es ist deshalb zunächst für uns ohne 
Belang, wenn manche Autoren, wie Biot und Knoll, zwei Arten 
des periodischen Atmens beim Menschen unterscheiden, den eigent- 
liehen Cheyne-Stoke’schen Typus von dem von ihnen so genannten 
meningitischen Atem abtrennen. Von beiden wäre wieder das Atmen 
des erstickenden Frosches und des winterschlafenden Igels verschieden. 
Doch fallen alle unter den Gesichtspunkt einer periodisch aussetzenden 
Bewegung. 

Eine Erklärung der letztern aber wird man anzuknüpfen haben 
an die Anschauungen, die man sich von den Ursachen der rhythmi- 
schen Bewegungen überhaupt gemacht hat. Denn der periodisch- 
aussetzende Rhythmus ist ja nichts Anderes als eine Rhythmik mit 
zwei verschiedenen Perioden, einer langsamern und einer schnellern: 
die erstere entspricht dem Wechsel von Gruppen und Pausen, die 
andere innerhalb einer Gruppe dem Wechsel von Einatmung und 
Ausatmung. Schließt man sich nun für die Deutung der kleinen 
Periode der sogenannten Widerstandshypothese an, nimmt man an, 
dass der Rhythmus der gewöhnlichen Atmung dadurch bedingt ist, 
dass ein kontinuierlicher Reiz die Atmungszentren trifft, dass die Er- 
regung der letztern aber auf ihrem Wege zur Peripherie auf Wider- 
stände stößt, die dem kontinuierlichen Impulse nur periodische Aus- 
ladungen gestatten, so wird man, wie ich an anderer Stelle gezeigt 
habe, auch für die Deutung der großen Perioden, d. h. des Wechsels 
der Gruppen und Pausen, nicht in Verlegenheit sein. Vor dem Wider- 
stande, der die Periodizität der Einatmungen veranlasst, müsste ein 
zweiter größerer Widerstand gedacht werden, der zur Ursache der 
periodischen Entladungsschübe würde. Weder die Erregbarkeit der 
Zentralorgane noch die Atmungsreize brauchte man sich dann als 
periodisch wechselnd vorzustellen. 

Es fragt sich nur, ob die Bedingungen, die zu dem Auftreten des 
Phänomens führen, derartige sind, dass sie zur Annahme eines solchen 
großen, neu auftretenden Widerstandes berechtigen. Diese Frage kann 
bejaht werden. 

Schon Traube hat bemerkt, dass alle Fälle, in denen das kli- 
nische Phänomen beobachtet wird, ausgezeichnet sind durch eine 
Herabsetzung der Erregbarkeit des Atmungszentrums. 
Mangelhafte Versorgung mit Sauerstoff kann wohl zweifellos zu einer 
solchen führen. Somit fallen unter diese Rubrik alle Fälle, in denen 
„langsame Erstickung“ zur Ursache der Erscheinung wird. Man wird 














Baumann, Aetherschwefelsäuren des Harns und Amidosäuren im Tierkörper. 379 


aber nicht zu weit gehen, wenn man auch für das winterschlafende 
Tier, für den tief im normalen oder im Chloralschlaf befindlichen 
Menschen, für die unter dem Einflusse einer atmungshemmenden Er- 
regung der Vagi oder des Trigeminus stehenden Kaninchen und 
Katzen, für die mit Morphium oder Chloralhydrat vergifteten Warm- 
blüter die Annahme einer tiefen Erregbarkeitsherabsetzung der den 
Atmungsapparaten dienstbaren Zentralorgane macht. 

Vor einem mit geringer Erregbarkeit begabten Zentrum wird 
aber der dasselbe in Thätigkeit bringende Reiz zu einer größern 
Höhe anwachsen müssen, wie vor einem leicht erregbaren. Diese 
niedrige Erregbarkeitsstufe kann den Widerstand reprä- 
sentieren, den unsere Hypothese fordert. In vielen der 
Fälle würde es sich nicht allein um die Atmungszentren handeln, 
sondern auch das übrige Rückenmarksgrau und die graue Substanz 
gewisser Hirnteile wird an der Erregbarkeitsveränderung einen An- 
teil haben. In diesen Fällen treten dann den Atmungsgruppen syn- 
chrone periodische Entladungen auch dieser Organe auf. 

Ich verhehle mir nicht das Hypothetische dieser Ausführungen. 
Ich weiß auch, dass die ihnen zu grunde gelegte Rosenthal’sche 
Widerstandstheorie unter den Physiologen gegenwärtig nicht mehr 
die Anerkennung genießt, die ihr im Anfang entgegengebracht wurde. 
Ich halte es aber für ungerecht, sie ganz zu verwerfen, weil sie nieht 
alles geleistet hat, was sie ursprünglich versprach. Die Thätigkeit 
der regulatorischen Nerven vermag sie allerdings nicht zu erklären. 
Aber für die Entstehung der normalen rhythmischen und der periodiseh- 
aussetzenden Bewegungen schafft sie doch ein physikalisches greif- 
bares Bild, das mehr befriedigt, wie wenn man sich mit einer Um- 
schreibung der Thatsachen begnügt. 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 

58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg. 

IV. Sektion für Physiologie. 

Erste Sitzung. Herr Baumann (Freiburg) spricht über die Aetherschwefel- 
säuren des Harns und das Verhalten einiger Amidosäuren im Tierkörper. 

Die bis jetzt bekannten aromatischen Substanzen des Tierkörpers ent- 
stammen entweder dem Eiweiß oder Bestandteilen der Pflanzennahrung, welche 
Benzolderivate schon enthalten. Eine Bildung von aromatischen Verbindungen 
im Tierkörper aus Substanzen der aliphatischen Reihe ist bis jetzt niemals 
beobachtet worden. 

Von den aromatischen Substanzen des Tierkörpers, welche im Harn er- 
scheinen, gehört die Mehrzahl zu der Klasse der Aetherschwefelsäuren. Von 
diesen im Harn aller Tiere in Form von Salzen austretenden Substanzen sind 
bis jetzt 7 bekannt, welche im normalen Harn vom Menschen vorkommen: die 
Aetherschwefelsäuren des Phenols, des Kresols, des Brenzcatechins, des Indoxyls, 
Skatoxyls, der Hydraparacumarsäure und der p. Oxyphenylessigsäure. Die bei- 


380 Baumann, Aetherschwefelsäuren des Harns und Amidosäuren im Tierkörper. 


den letztgenannten Säuren werden aber stets nur zum kleinsten Teil in Ver- 
bindung mit Schwefelsäure im Harn gefunden, zum bei weitem größern Teil 
erscheinen sie als solche ungepaart. 

Außer diesen Säuren gibt es nun noch weitere, welche durch die geringere 
T.öslichkeit ihrer Alkalisalze in Alkohol von den genannten Aetherschwefel- 
säuren des Hans getrennt werden können. Daher ist es erklärlich, dass der 
Harn von Menschen, welcher Indoxyl, Phenol und die andern bekannten Aether- 
schwefelsäuren kaum in Spuren enthält, zuweilen, z. B. bei Dünndarmfisteln, 
eine nicht unerhebliche Menge gepaarter Schwefelsäure liefert. 

Durch den Nachweis dieser neuen Aetherschwefelsäuren im Harn, deren 
Zusammensetzung noch nicht ermittelt ist, gewann die Frage nach der Ab- 
stammung dieser Art von Körpern ein erneutes Interesse. 

Dass die Menge der Aetherschwefelsäuren sehr wesentlich abhängig ist 
von den Fäulnisprozessen im Darm, war schon durch frühere Versuche außer 
allen Zweifel gestellt. Die prinzipielle Frage aber, ob es außer den Fäulnis- 
prozessen noch andere Quellen der Entstehung dieser Substanzen gibt, ist bis 
jetzt ungelöst, denn der Harn hungernder Tiere enthält nach v. d. Velden’s 
3estimmung noch wesentliche Mengen von Aetherschwefelsäuren, und nach 
üingabe von fäulniswidrigen Mitteln ist bis jetzt immer nur eine Abnahme 
dieser Bestandteile des Harns konstatiert worden. 

Diese Frage zu entscheiden gelang dadurch, dass einem gutgenährten 
Hunde nach Entziehung der Nahrung zweimal Gaben von 2 g Kalomel ver- 
abreicht wurden, wodurch der Darm entleert und von Fäulnisprodukten voll- 
kommen gesäubert wurde. Der danach entleerte Harn war frei von Phenol, 
Indoxyl und Skatoxyl, und enthielt überhaupt keine Spur von Aetherschwefel- 
säuren. Letztere entstammen somit sämtlich den Fäulnispro- 
zessen im Darm; und die früher gemachten Beobachtungen, dass der Harn 
von hungernden Tieren Indoxyl- und andere Aetherschwefelsäuren enthält, ist 
nur auf den Umstand zurückzuführen, dass auch im Darm hungernder Tiere 
noch nach längerer Zeit Fäulnisprozesse verlaufen, durch welche jene Sub- 
stanzen wie beim gefütterten Tiere gebildet wurden. 

Nach der Kalomeleingabe verschwand schon früher als die Aetherschwefel- 
säuren die Hippursäure aus dem Harn, während früher das Auftreten auch 
dieser Säure im Harn hungernder Hunde (Salkowski) konstatiert worden ist. 

Dagegen blieb die Kynurensäure als Bestandteil des Harns während der 
ganzen Dauer des Versuches erhalten, und ebenso merkliche Mengen der aro- 
matischen Oxysäuren, was darauf schließen lässt, dass die Bildung dieser Sub- 
stanzen zum Teil von den Fäulnisprozessen unabhängig erfolgt. 

Als wichtiges Ergebnis der vorliegenden Versuche ergibt sich der Schluss, 
dass die Aetherschwefelsäure-Ausscheidung nicht nur teilweise, sondern voll- 
ständig von der Darmfäulnis abhängig ist; diese Erfahrung wird sich weiter 
verwerten lassen für die Ermittlung der desinfizierenden Medikamente inner- 
halb des Darms. 

Der Vortragende führt weiter aus, dass es eine Anzahl von aromatischen 
Amidosäuren gibt, zu welchen das Tyrosin gehört, welche im Tierkörper bei 
Ausschluss der Fäulnis eine fast völlige Oxydation erfahren, während alle ihnen 
nahe verwandten stickstofffreien Körper, sowie alle andern Benzolderivate nur 
teilweise oder gar nieht oxydiert werden. Dieses eigentümliche Verhalten der 
Amidosäuren, welche bei der Spaltung des Eiweißes gebildet werden, teilt die 
von Plöchl entdeckte „Amidozimmtsänre*. Die leichtere Oxydierbarkeit dieser 
Substanzen ist offenbar bedingt durch die in ihnen enthaltene NH,gruppe. 








Herzen, Spaltung des Temperatursinnes in zwei gesonderte Sinne. 381 


Vortrag von Herın A. Herzen (Lausanne) über die Spaltung des 
Temperatursinnes in zwei gesonderte Sinne. Im Jahre 1879 machte 
ich zufällig folgende Beobachtung: wenn ich in der Nacht mit einem tief „ein- 
geschlafenen* Arm erwache, so hat mein Arm nicht nur die Tastempfindung 
eingebüßt, sondern auch die Fähigkeit Kälte zu empfinden — während er die 
Wärme- und Schmerzeindrücke noch deutlich wahrnimmt. Diese Beobachtung 
erzeugte bei mir die Vermutung, dass der sogenannte „Temperatursinn“ viel- 
leicht in Wirklichkeit aus einem Kältesinn und einem Wärmesinn bestehe, und 
zwar so, dass der erste an den Tastsinn, der zweite an die Fähigkeit Schmerz 
zu empfinden, irgendwie gebunden sei. 

Eine Reihe von Versuchen an mir selbst und an mehrern andern Personen 
bestätigte diese Vermutung; wenn man durch mäßigen andauernden Druck, 
z. B. auf den Ischiadieus, ein Bein zur taktilen Anästhesie gebracht hat, und 
berührt es nun mit thermisch indifferenten oder mit kalten Gegenständen, so 
fühlt man in den meisten Fällen gar nichts; wenn man es aber mit einem 
warmen Gegenstand berührt, so fühlt man deutlich die Wärme. Die Empfind- 
lichkeit für Wärme und Schmerz geht erst viel später verloren. 

Es wurde nun wahrscheinlich, dass die Kälteempfindungen, wie die Tast- 
empfindungen, durch die Hinterstränge des Rückenmarks, und die Wärme- 
empfindungen, wie der Schmerz, durch die graue Substanz zum Gehirn geleitet 
werden — was durch eine andere Versuchsreihe bestätigt wurde; wenn man 
nämlich eine Hand oder einen Fuß bald mit kalten (0°) bald mit mäßig warmen 
(40—45°) Gegenständen berührt und nicht auf die Berührung, sondern das 
Gefühl der Kälte oder der Wärme reagieren lässt, so ist die Reaktionszeit 
bei warm immer viel länger als bei kalt. Außerdem hatte ich das Glück, 
diese gewiss nicht entscheidenden Resultate sofort durch eine ganz evidente 
klinische Beobachtung bestätigt zu sehen: 

Eine Frau, die unter anderem an einer taktilen Anästhesie der Beine litt, 
während sie schmerzhafte Eindrücke sehr gut empfand, hatte nicht nur ein 
deutliches Wärmegefühl bei jeder Berührung ihrer Beine mit warmen Gegen- 
ständen, sondern sie konnte auch die verschiedenen Wärmegrade, zwischen 60 
(Schmerzgrenze) und 27° unterscheiden; unter 27° dagegen empfand sie gar 
nichts, auch nicht wenn man ein Stück Eis mit irgend einem Punkte ihrer 
Beine in Berührung brachte. Die Sektion ergab eine Pachymeningitis hyper- 
trophica vom vierten bis zum siebenten Rückenwirbel, die sich auf die hintern 
2/3 des Rückenmarks erstreckte; dieses war verdünnt und augenscheinlich 
pathologisch verändert; die mikroskopische Untersuchung ergab eine trans- 
versale Myelitis: Vorderstränge und graue Substanz normal; Hinterstränge und 
dorsale Hälfte der Seitenstränge, besonders die Kleinhirn - Seitenstrangbahn, 
stark ergriffen. — Seitdem habe ich ein paar Ähnliche Fälle gesehen, die aber 
nicht zur Sektion kamen, wo zugleich mit der taktilen Sensibilität die Em- 
pfindlichkeit für Kälte verloren, während die Empfindlichkeit für Wärme und 
Schmerz erhalten war. — Fälle von Analgesie habe ich leider nie gesehen, 
und auch die betreffende Literatur niemals zur Verfügung gehabt; hie und da 
habe ich Andeutungen gefunden, die vermuten lassen, dass bei Analgesie ge- 
wöhnlich auch eine Unempfindlichkeit für Wärme vorhanden ist. 

Im Laufe dieses Jahres habe ich nun die Frage von neuem aufgenommen 
und mich bemüht, durch Versuche an Tieren zu prüfen, ob die Sachen sich wirk- 
lich so verhalten, wie es aus meinen frühern Beobachtungen hervorzugehen 
schien. An Tieren sind aber nur Versuche über Kälteeindrücke möglich, denn 
sie reagieren offenbar nur auf unangenehme Eindrücke — und die Berüh- 


382 Herzen, Spaltung des 'Temperatursinnes in zwei gesonderte Sinne. 


rung ihrer Pfoten mit mäßig warmen Gegenständen ist ihnen im Gegenteil sehı 
angenehm, so dass sie gar nicht reagieren, so lange der Gegenstand nieht zu 
heiß ist; dann haben wir es aber mit einer Reaktion gegen Schmerz und nicht 
auf eine spezifische Empfindung der Wärme zu tlıun — was man eben ver- 
meiden muss, 

An einigen Katzen und Hunden habe ich nun folgende Resultate konsta- 
tiert: einseitige Rückenmarks- und Gehirnverletzungen, welche die Tastempfin- 
dung nicht beeinträchtigen, lassen auch die Kälteempfindung bestehen; die- 
jenigen Verletzungen hingegen, welche taktile Unempfindlichkeit zur Folge 
haben, zerstören zugleich die Fähigkeit Kälte zu empfinden (also Durchschnei- 
dungen der Hinterstränge und Exstirpationen der sogenannten „motorischen 
Rindencentra“). Bei neugebornen Hunden hat bekanntlich die Zerstörung des 
Gyrus sigmoideus gar keine Symptome zur Folge: Motilität und Sensibilität 
scheinen sich ganz normal zu verhalten; damit übereinstimmend hat es sich 
auch in meinen Versuchen an neugebornen Hunden erwiesen, dass sie, nach 
vollständiger Ausrottung der genannten Windung, genau wie im Normalzustande, 
vom zehnten Lebenstage an, auf Tast- und Kälteeindrücke reagieren. 

Die Versuchsmethode ist eine äußerst einfache: die normale Pfote zuckt 
und zieht sich zurück, schlägt sogar aus, beim geringsten Bestreichen mit einem 
Strohhalm; bei Berührung mit einem Stückchen Eis reagiert sie auf dieselbe 
Weise; berührt man sie aber mit einem thermisch indifferenten Körper, dann 
bekommt man höchstens nur im Momente des ersten Kontaktes eine kleine 
Zuckung; ganz anders verhält sich die „ataktische* Pfote: sie reagiert gar 
nicht auf die genannten Reize. Am deutlichsten erscheint der Unterschied 
bei erwachsenen Katzen, wenn man sie in die Luft hebt und nun langsam 
tiefer bringt, so dass ihre Hinterbeine bald in lauwarmes, bald in eiskaltes 
Wasser eindringen; meistens gelingt es, beide Beine ohne Reaktion in das 
lauwarme Wasser zu senken; in das kalte Wasser dagegen senkt sıch nur 
das „ataktische* Bein, während das normale heftig zurückgezogen wird; macht 
man den Versuch abwechselnd bald mit dem „ataktischen“, bald mit dem nor- 
malen Beine, so kann man ihn im ersten Falle nach Belieben fortsetzen und 
wiederholen; im letzten duldet das Tier keine Wiederholung, es leistet Wider- 
stand und wird oft böse und gefährlich. 


Abgesehen von jeder Theorie betreffs des Mechanismus der Temperatur- 
empfindungen, scheint mir aus dem Mitgeteilten folgendes hervorzugehen: 


1) Dieselbe Region der Hirnrinde (Gyrus sigmoideus) enthält das Zen- 
trum (oder die zu demselben führenden Leiter) für Tast- und Kälte- 
empfindungen, 

2) Beiderlei Empfindungen werden im Rückenmark durch die Hinter- 
stränge geleitet. 

3) Beide werden durch Druck auf die peripheren Nervenstämme auf- 
gehoben. 

4) Die Beobachtungen am gesunden und kranken Menschen zeigen, dass 
bei pathologisch oder experimentell aufgehobener Empfindlichkeit für 
Kälte die Empfindlichkeit für Wärme meistens erhalten ist; sie wird 
demnach von andern Nerven, durch andere Bahnen, zu andern Hirn- 
zentren vermittelt. 

5) Also besteht der „Temperatursinn“ aus zwei Sinnen: einem Kälte- 
sinn und einem Wärmesinn, die von einander unabhängig sind, 
— sowohl physiologisch wie anatomisch, — 





PEN 
E% 


Vareth, Hirnrindenfelder des Hundes. 383 


Obgleich nun die Tast- und Kältesinne einerseits und die Schmerz- und 
Wärmesinne anderseits näher aneinander gebunden zu sein scheinen, darf man 
sie dennoch gewiss nicht identifizieren, oder etwa die Temperaturempfindungen 
als eine Modalität der Tast- oder Schmerzempfiudnngen betrachten. Gegen 
eine solche Annahme gibt es übrigens, außer manchen Wahrscheinlichkeits- 
gründen, einen ganz entscheidenden experimentellen Grund: die von M. Blix 
entdeckte und von Eulenburg, Goldscheider und andern bestätigte Existenz 
besonderer, isolierter, unregelmäßig auf der Haut zerstreuter Punkte, von 
denen die einen nur Kälte, die andern nur Wärme, die dritten nur Berührung 
empfinden. Indem ich die Blix’schen Beobachtungen wiederholte und an ver- 
schiedenen Körperstellen bestätigte, stieß ich auf eine Gegend, die sich in 
dieser Beziehung ganz eigentimlich verhält: die Oberfläche der Glans penis 
des Menschen, obgleich sie der feinern taktilen Unterscheidungen, Lokalisa- 
tionen u. 8. w. entbehrt, während sie etwas gröbere Berührungen deutlich wahr- 
nimmt, ist für Kälte vollständig unempfindlich. Am Präputium fühlt 
man die Kälte im Gegenteil sehr intensiv, aber die dafür empfindlichen Punkte 
liegen relativ sehr entfernt von einander; in den Zwischenräumen ist nun das 
Tastvermögen außerordentlich fein, so dass die leiseste Berührung sogleich 
deutlich empfunden und lokalisiert wird. 

Die peripheren Empfangsorgane sind demnach nicht dieselben, folglich 
können es auch die zentripetalen Leiter nicht sein: es handelt sich also um 
spezifische Nerven, und es erhellt nun, dass ihr gemeinsamer Verlauf in 
den hintern Rückenmarkssträngen und ihre gemeinsame Endigung in derselben 
Gegend der Hirnrinde nur scheinbar gemeinsam sind. 


Zweite Sitzung. Herr S. Exner (Wien) berichtet über eine unter seiner 
Leitung im physiologischen Institute zu Wien von Herın Dr. Vareth ausge- 
führte Untersuchung über Lage, Ausdehnung und Bedeutung der 
motorischen Rindenfelder an der Hirnoberfläche des Hundes. 
Die Widersprüche in den Angaben der Autoren über dieses Gebiet waren die 
Veranlassung zu dieser Arbeit. An Hunden mittlern Alters wurde in mäßig 
tiefer Morphinnarkose durch elektrische Reizung der Hirnoberfläche das zu 
verschiedenen Muskeln der Extremitäten, sowie des Facialisgebiets gehörige 
Feld bestimmt. Die elektrische Reizung geschah mittels konstanter Ströme 
von immer gleicher Dauer und abstufbarer Intensität. Die Muskeln, mit Aus- 
nahme des Orbicularis palpebrarum, dessen Kontraktionen durch Inspektion 
festgestellt wurden, schrieben mittels zweier Marey’scher Trommeln ihre 
Zuckungen auf. Nachdem das Feld, von dem aus Kontraktionen eines be- 
stimmten Muskels zu erzielen waren, zunächst eruiert worden war, wurde das- 
selbe partienweise zuerst umschnitten, dann unterschnitten. Sollte die Existenz 
von Fasern bewiesen sein, welche von der betreffenden Partie direkt in die 
Tiefe ziehen und unter Vermittlung subkortikaler Zentren Kontraktionen des 
betreffenden Muskels veranlassen, so musste die elektrische Reizung nach Um- 
schneidung, d. i. nach Abtrennung der gereizten Partie von der benachbarten 
Hirnrinde noch ungefähr denselben Effekt haben wie zuvor; es war dann aus- 
geschlossen, dass derselbe auf indirekter Reizung benachbarter Partien durch 
bogenförmige Fasern beruht habe. 

Die Unterschneidung, d. h. die Durchtrennung der Verbindungen der 
gereizten Stelle nach der Tiefe, musste den Effekt der Reizung aufheben; hier- 
durch war ausgeschlossen, dass derselbe auf Stromschleifen nach der Tiefe 


384 Vareth, Hirnrindenfelder des Hundes. 


beruht habe. Nur von jenen Partien, die nach Umschneidung noch Kontraktion 
ergaben, nach Unterschneidung nicht mehr (außer bei beträchtlich gesteigerter 
Stromstärke), wurde angenommen, dass sie zu dem betreffenden Muskel ge- 
hören: dass sie das Rindenfeld dieses Muskels bilden. Doch war es manchmal 
nötig, mehrere Versuche zu kombinieren, weil der einzelne Versuch, wegen des 
Absinkens der Erregbarkeit der Hirnrinde durch operative Eingriffe, Blut- 
verlust ete. unvollständig blieb. Das Resultat jedes Versuchs wurde auf einem 
Diagramm des Hundehirns notiert. 

Trägt man die dergestalt gefundenen motorischen Felder der einzelnen 
Muskeln zusammen auf ein Diagramm auf, so ergibt sich, dass dieselben nicht 
von einander getrennt und nicht punktförmig sind. Vielmehr ist der hintere 
und äußere Teil des Gyrus sigmoideus das gemeinsame Gebiet der Extremitäten- 
muskeln (Flexor, Extensor digitorum und Abductor pollueis der Vorderpfote ; 
Flexor und Extensor digitorum der Hinterpfote). 

Die Rindenfelder dieser einzelnen Muskeln decken sich zum größten Teile, 
scheinen aber doch etwas gegeneinander verschoben zu sein. 

Die dem Gyrus sigmoideus nach außen anliegende Windung bildet das 
Gebiet des Museulus orbieularis palpebrarum; Facialis- und Extremitätengebiet 
sind vollständig getrennt; letzteres ist nach hinten scharf abgeschnitten. 

Das durch diese Versuche eruierte Gebiet entspricht demjenigen, welches 
nach pathologischen Erfahrungen am Menschen als „absolutes Rindenfeld“ be- 
stimmt wurde. Die „absoluten Rindenfelder“ der einzelnen Muskelgruppen 
liegen bekanntlich auch beim Menschen vielfach in einander. 

Durch den Nachweis, dass den einzelnen Körperteilen auf der Hirnober- 
fläche weder punktförmige „Zentren“ noch mit scharfen Grenzen aneinander- 
stoßende Felder zugewiesen sind, sondern dass für die Extremitäten ein größeres 
Areal existiert und dass die Gebiete verschiedener Muskeln derselben in 
einander liegen, die Gesichtsmuskeln aber separat lokalisiert sind, erscheinen 
viele Widersprüche in den Angaben der Autoren über die Lage dieser „Zen- 
tren“ aufgeklärt. Die in Rede stehenden Rindengebiete sind ausschließlich 
„absolute Rindenfelder“, wenn man mit diesem Namen jene Rindenteile belegt, 
von denen aus direkte Stabkranzfasern in die Tiefe gehen, die den betreffenden 
Muskel in Kontraktion zu versetzen vermögen. Dabei muss jedoch hervorge- 
hoben werden, dass Zerstörung auch anderer Rindengebiete („relative Rinden- 
felder“) die Funktionsweise der betreffenden Muskeln alterieren kann. 





Verlag von Eduard Besold in Erlangen. 


Filehne, Professor Dr. Wilhelm, Ueber das CUheyne- 
Stokes’sche Atmungsphänomen. 8°. geh. A 1. 20 +8. 





Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün- 
schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an- 
zugeben. 

Einsendungen für das „Biologische CGentralblatt“ bittet man 
an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘ zu richten. 


von Junge & Sohn in Erlangen. 


Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck 











Bioloeisches CGentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 





94 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


v1. Band. 1. September 1886. Nr. 13. 














Inhalt: Bonnier, Ueber die Wärmemengen, welche von den Pflanzen abgegeben und 
aufgenommen werden. — Costantin, Studien über die Blätter der Wasser- 
pflanzen. — Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies. — Albrecht, 
Ueber die im Laufe der phylogenetischen Entwicklung entstandene angeborne 
Spalte des Brustbeinhandgriffes der Brüllaffen. — Fick, Einige Bemerkungen 
über den Mechanismus der Atmung. Brieger, Ueber basische Produkte 
der Miesmuschel. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellseiaften: 
58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg, Sektion 
für Physiologie. — Physik. -mediz. Sozietät zu Erlangen. — 59. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte. — Anzeige. 








Ueber die Wärmemengen, welche von den Pflanzen abge- 
geben und aufgenommen werden. 


Von Gaston Bonnier. 
Comptes rendus des s&ances de l’acad. d. sciences. Fevr. 1886. 

Indem ich die im Jahre 1879 begonnenen Versuche über die 
Wärmemenge, welche von keimenden Samen abgeschieden wird, wie- 
der aufnahm, bemühte ich mich, in allgemeinerer Form die Unter- 
schiede zwischen der Eigenwärme der Pflanzen und der äußern Um- 
gebung festzustellen. 

Man hat bisher niemals die Wärmemengen, welche von den Ge- 
weben der Pflanzen abgegeben oder absorbiert werden, gemessen, 
und die Temperaturbeobachtungen, welche von verschiedenen Forschern 
gemacht sind, erlauben nicht die Menge der erzeugten Wärme zu 
berechnen, nicht einmal eine diesem Wert proportionale Zahl anzu- 
geben. Und es ist doch, wie später gezeigt werden wird, vor allem 
wichtig und interessant zu wissen, wie viel Kalorien von einem be- 
stimmten Pflanzenteil in einem gegebenen Zeitpunkt seiner Entwick- 
lung erzeugt werden. 

Ich habe nach zwei verschiedenen Methoden gearbeitet, erstens mit 
dem Kalorimeter, zweitens mit Anwendung konstanter Temperaturen. 

Ich bediente mich des Kalorimeters von Berthelot, wie man es 
gewöhnlich für das Studium langsam eintretender Reaktionen anwendet. 

nr 25 


386 Bonnier, Wärmemengen der Pflanzen. 


Die dem Versuch unterworfenen Objekte wurden entweder direkt in 
Wasser gethan, oder in lufterfüllte Platinrezipienten, die untergetaucht 
werden konnten. 

Bei der zweiten Art der Versuchsanstellung benutzte ich das 
Kalorimeter von Rynault, indem ich dabei die Methode der kon- 
stanten Temperaturen befolgte. Das Rynault’sche Kalorimeter ist 
bekanntlich ein Thermometer, in dessen Kugel ein kleiner Rezipient 
sich befindet. Die in den letztern gelegten Pflanzenteile befinden 
sich also in einer doppelten Glasumhüllung, welche Quecksilber oder 
Alkohol enthält. 

Bei dem Versuche bringt man das leere Kalorimeter in einen 
Raum von konstanter Temperatur, so dass der letztere und das Ka- 
lorimeter genau die gleiche Temperatur haben. Darauf führt man in 
den Rezipienten des Kalorimeters die Versuchspflanzen oder Pflanzen- 
teile ein, möglichst mit der gleichen Anfangstemperatur. Nach Ver- 
lauf einer gewissen Zeit zeigt, während die umgebende Luft immer 
dieselbe Temperatur t, beibehält, das Kalorimeter Temperaturstei- 
gerungen, die mit t, bezeichnet werden mögen. Ist der Unterschied 
zwischen diesen beiden Wärmegraden nicht zu groß, so kann man 
setzen 

qy=klk— th), 
wobei k eine Konstante ist und q die Menge der in einer Sekunde 
von den lebenden Geweben abgegebenen Wärme bedeutet. 

Durch einen zweiten Versuch kann man k bestimmen, indem 
man von Minute zu Minute den Temperaturrückgang an dem dieselben 
Pflanzen enthaltenden Apparat beobachtet, nachdem sie vorher etwa 
durch Anästhesierung getötet worden. Wenn © die Temperatur am 
Anfang der Minute ist und 4 die Erniedrigung während einer Mi- 
nute, so hat man 


ou 
M40 — k (5z*-1) > 60, 


wobei M die Wärmemenge des Ganzen bedeutet, die in der gewöhn- 
lichen Weise bestimmt wird. — 

Die Versuche erstreekten sich auf folgende Pflanzen: Erbse, 
Kichererbse, Mais, Weizen, Bohne, Feldbohne, Rieinus, Kresse, Brun- 
nenkresse, Lupine, Iris, Richardia, Syringa, Robinia. Beide soeben 
angedeutete Methoden ergaben genügend übereinstimmende Resultate, 
um daraus die folgenden Ergebnisse ziehen zu dürfen. 

Die in gleicher Zeit von einem gleichen Gewicht pflanzlichen 
Gewebes abgegebenen Wärmemengen sind sehr verschieden, je nach 
dem Entwicklungszustand der Pflanze und des Pflanzenteils. Die Zahl 
der Kalorien geht im allgemeinen von einem Maximum zu einem 
Minimum über. Die höchsten Maxima findet man beim Be- 
ginn der Keimung und während der Blütezeit. 

Man beobachtet, dass diese beiden Perioden, während welcher 








Bonnier, Wärmemengen der Pflanzen. 387 


die Wärmeabgabe die intensivste ist, zusammenfallen mit denjenigen, 
in denen die Intensität der Atmung die größte ist; aber man darf 
deshalb nicht ohne weiteres schließen, dass zwischen beiden Erschei- 
nungen eine direkte Beziehung besteht. 

Es wurde nämlich in einigen der erwähnten Versuche die von 
den Versuchsobjekten ausgeschiedene Kohlensäure gemessen und 
ebenso in einigen die Menge des absorbierten Sauerstoffs. Indem 
dann die Zahl der Kalorien berechnet wurde, die nötig waren, um 
die Quantität während des Versuchs erzeugter Kohlensäure zu bilden, 
und dieselbe mit der beobachteten Zahl verglichen wurde, fand man 
niemals eine genaue Uebereinstimmung. Die ausgeschiedene Wärme- 
menge entspricht also nicht derjenigen, welche die Verbrennung der 
vom Organismus verlornen Kohle darstellen würde, eine Anschauung, 
die man früher hegte. 

Bei Beginn der Keimung findet man für die oben genannten 
Pflanzen die Zahl der abgegebenen Kalorien größer, als diejenige 
sein würde, welche die Bildung der produzierten Kohlensäure ergeben 
hätte. So, dass ein Kilogramm keimender Erbsen, unter die ange- 
gebenen Bedingungen gebracht, in der Minute eine Kohlensäuremenge 
abgibt, deren Bildung 4 Kalorien berechnen lässt, während man 
unter den gleichen Bedingungen eine wirkliche Abgabe von 12 Ka- 
lorien in der Minute findet. Diese letztere Zahl ist sogar noch größer 
als diejenige, welche sich ergeben würde bei der Verbindung der 
Kohle mit dem gesamten von dem keimenden Samen während einer 
gleichen Zeit aufgenommenen Sauerstoff (7 Kalorien in dem zitierten 
Versuch). — Dagegen lässt sich am Ende der Keimung oder für 
einen erwachsenen beblätterten Zweig grade das Entgegengesetzte 
konstatieren. Dasselbe gilt für aufgeblühte Blüten und reifende 
Früchte, welche in den untersuchten Fällen stets eine geringere 
Wärmemenge abgaben, als diejenige, welche die Bildung der ausge- 
schiedenen Kohlensäure ergeben hätte. 

Bekanntlich hat man es bei der Untersuchung lebender Gewebe 
nicht mit einfachen chemischen Reaktionen zu thun, man misst nur 
die Resultate verschiedener gleichzeitiger Vorgänge. Um die letztern 
von einander zu trennen, muss man zu Hypothesen schreiten. Die in 
dieser Notiz angedeuteten Thatsachen kommen einer der wichtigsten 
Hypothesen zu Hilfe, die über die innern Vorgänge aufgestellt sind, 
der Hypothese nämlich, dass die nicht direkt assimilierbaren Reserve- 
stoffe sich im allgemeinen im Organismus unter Wärmeabsorption 
bilden, während die Umbildung dieser Stoffe in assimilierbare Körper 
mit einer Wärmeabgabe verbunden ist. 

Im Zusammenhang mit diesen Vorgängen kann man die Pro- 
duktion der Kohlensäure betrachten, deren Bildung eine große Menge 
Kalorien erzeugt. Solange die untersuchten Gewebe in der Ver- 
zehrung einer begrenzten Reservestoffmenge begriffen sind, wie beim 

In % 


Zi) 


338 Costantin, Blätter der Wasserpflanzen. 


Beginn der Keimung, addiert sich gewissermaßen die durch die Um- 
formung der Reservestoffe erzeugte Wärme zu derjenigen, welche die 
Bildung der Kohlensäure erzeugt. Sind dagegen die betreffenden 
Gewebe im begriff Reservestoffe zu bilden, wie bei den reifenden Früch- 
ten, dann subtrahiert sich die durch die Bildung dieser Substanzen 
absorbierte Kohlensäure von der durch die Atmung frei gewordenen, 
und man misst nur die Differenz zwischen diesen beiden Quantitäten. 


J. Costantin, Etudes sur les feuilles des plantes aquatiques. 

Annales des Sciences naturelles. 56° ann&e. 7e serie. T. III. pag. 94. 

Weleh dankbares Objekt die Wasserpflanzen für biologische Stu- 
dien abgeben, hat erst kürzlich wieder H. Schenck in einer treff- 
lichen und umfassenden Abhandlung bewiesen '!). Die Arbeit des 
französischen Forschers ist enger umgrenzt; sie bezieht sich nur auf 
die Form- und Strukturverhältnisse eines bestimmten Organs, nämlich 
des Blattes, bei welchem allerdings die Plastizität des organischen 
Materials unter dem Einfluss äußerer Einwirkungen am augenfälligsten 
hervortritt 2). Obgleich die Abhandlung nicht durchweg von gleichem 
Interesse ist, halten wir doch bei der allgemeinen Bedeutung des 
Gegenstandes, der hoffentlich noch zahlreiche Bearbeiter finden wird, 
eine dem Inhalt möglichst genau sich anschließende Rekapitulation 
für angezeigt. Bei bekanntern Einzelheiten werden kurze Andeu- 
tungen genügen. 

I. Morphologie (Morphologie externe). 
I) Eigentliche Wasserblätter. 

A. Bandförmige Blätter. Treten bei den meisten unterge- 
taucht lebenden Monokotylen auf, z. B. bei Sagittaria. Wächst diese 
Pflanze in tiefem Wasser, so können die Blätter eine Länge von 2m 
erreichen. Obgleich es ausgesprochene Wasserblätter sind, können 
sie sich doch auch unter Beibehaltung der Bandform in der Luft ent- 
wickeln, werden dann aber kürzer und verlieren ihre Weichheit und 
Biegsamkeit, indem sie fest und steif werden. Auch mehrere Diko- 
tylen haben derartige bandförmige Blätter (Hippuris vulgaris, Ela- 
tine Alsinastrum). 

B. Haarförmige Blätter. Rununeulus aquatilis. Auch hier 
verlieren die Blätter, wenn sie sich an der Luft entwickeln, keines- 
wegs völlig ihre Form; doch werden die Diehotomien weniger zahl- 





4) H. Schenck, Die Biologie der Wassergewächse. Mit 2 Tafeln (Bonn, 
Cohen und Sohn 1886). 

2) In einer frühern Arbeit hat der Verf. die Modifikationen des Stengels 
behandelt. S. Ann. se. nat. Serie VI. T. XIX. 1884. S. 287. 





Costantin, Blätter der Wasserpflanzen. 389 


reich und die letzten Auszweigungen kürzer und dicker; der früher 
kreisrunde Querschnitt der Zipfel plattet sich ab. Weitere Beispiele: 
Myriophyllum verticillatum, Oenanthe Phellandrium. 

C. Blätter mit breiter, dünner Spreite. Die unterge- 
tauchten Blätter von Nuphar luteum liefern hierfür ein gutes Beispiel. 
Potamogeton lucens. 

D. Intermediäre Fälle. Verfasser zeigt, dass es verschie- 
dene Uebergänge zwischen den oben bezeichneten Fällen gibt, so dass 
man z. B. in der Familie der Podostemaceen bei Vergleichung der 
verschiedenen Arten die successiven Umwandlungen erkennen kann, 
welche von einem Blatt mit ungeteilter Spreite zu einem solchen von 
zerschlitzter, haarartiger Gestalt führen. 

In Summa äußert sich der Einfluss des Wassers in der Ver- 
längerung, dem Dünnerwerden und der stärkern Zerteilung der Blatt- 
spreite. 


2) Verhalten der Blätter von Luftpflanzen im Wasser. 


Verfasser wiederholte den von Lewakoffski mit Rubus fruticosus 
angestellten Versuch, indem er zeigte, dass die unter Wasser sich 
entwickelnden Blätter von Luftpflanzen, wie Medicago minima, Lysi- 
machia nummularia, Nasturtium officinale kürzer und dünner werden. 
Bei Nasturtium amphibium sieht man häufig im Wasser Knospen 
treiben, die sich in eine gewisse Zahl von Blättern, bestehend aus 
einem Stiel und einer nicht zerteilten Spreite, entfalten. — Das Me- 
dium des Wassers bewirkt also eine beträchtliche Reduktion der 
Spreite und beeinträchtigt ihre Differenzierung, Auch eine Ver- 
längerung der Blattstiele ist zu beobachten, so bei Marsilia quadri- 
folia. 

Es können sich mithin sowohl die Wasserblätter wie die Blätter 
von Luftpflanzen an das fremde Medium adaptieren. Doch ist die 
Adaption davon abhängig, dass das Blatt noch nieht vollständig 
ausgewachsen ist, womit sich die gegenteiligen Angaben erledigen. 

3) Blätter von zweierlei Art bei derselben Pflanze. 


Verfasser geht daran zu zeigen, dass die Existenz von zwei 
Arten von Blättern bei den Wasserpflanzen sehr gewöhnlich ist, selbst 
da, wo ein soleher Dimorphismus bisher nicht bekannt geworden ist; 
ferner zu prüfen, welches die Wirkung des Wassers bezw. der Luft 
auf die beiden Arten von Blättern ist; endlich zu untersuchen, wie 
die Differenzierung der Blätter, welche zu Luftblättern bestimmt sind, 
vor sich geht, wenn die Pflanze im Wasser wächst. 

A. Thatsachen. Die Nymphaeaceen haben untergetauchte 
zarte Blätter und dicke feste Schwimmblätter Sagittaria hat sub- 
merse bandförmige Blätter und pfeilförmige Luftblätter. Den weitern 
bekannten Fällen einer doppelten Blattbildung fügt Verfasser zwei 
neue hinzu, nämlich Stratiotes uloides, wo die innern Blätter der 


390 Costantin, Blätter der Wasserpflanzen. 


Rosetten öfter aus dem Wasser hervorragen, und fest, steif und un- 
durchsichtig sind im Gegensatz zu den weichen und transparenten 
äußern Wasserblättern — und ferner Hippuris vulgaris, ein Fall, 
auf den wir unten zurückkommen. 

B. Wirkung des Wassers als Medium. Im tiefen Wasser 
bringt Sagittaria nur bandförmige Blätter hervor, bleibt auch 
steril (var. vallisneriifolia). Zugleich werden weit mehr Blätter 
produziert, als wenn die Pflanze in der Luft wächst. Ranunculus 
aquatilis und verwandte Arten bilden unter ähnlichen Verhältnissen 
eine Varietät capillaceus (submersus de Grenier und Godron), wo 
die Spreiten vollständig verschwinden. Alisma plantago erzeugt eine 
Varietät graminifolia, welche fruktifizieren kann. 

„Es scheint also, dass das Medium des Wassers nicht nur die 
Entstehung differenzierter Blätter verhindert, sondern auch die Zahl 
der Blätter von submersen Formen vermehrt.“ 

0. Wirkung des Mediums der Luft. Beim Auftauchen aus 
dem Wasser z. B. einer Sagittaria entwickelt sich eine Reihe inter- 
mediärer Formen zwischen bandförmigen und pfeilförmigen Blättern. 
Es entstehen zuerst spatelförmige Blätter, deren Spreitenbasis anfängt, 
sich nach innen einzurollen; endlich biegt sich die Spreite gegen den 
Blattstiel knieförmig um, und auf dem folgenden Stadium hat sich 
die Pfeilform deutlich herausgebildet. — Bei Alisma Plantago werden 
dagegen die bandförmigen Blätter sogleich durch die gewöhnlichen 
Luftblätter ersetzt. 

D. Differenzierung der Blätter in Wasser. Untersucht 
man die (untergetauchte) Knospe eines Schwimmblattes von Nuphar, 
so sieht man, dass das junge Blatt bereits fest und lederartig ist. 
Es hat sich mithin außerhalb der Wirkung des Mediums differenziert. 
Das Pfeilblatt von Sagittaria hat bereits seine definitive Form, ehe 
es aus dem Wasser hervortritt. Dieselbe vollständige Ausbildung der 
Form nach wurde bei noch untergetauchten Blättern von Ranunculus 
aquatilis und Alisma natans beobachtet. 

Folgende Momente beeinflussen diese Differenzierung der Blätter 
in der Knospe: 

a) Die Jahreszeit. Bei Nuphar luteum bilden sich zuerst im 
Winter und im Frühling mehrere durchscheinende submerse Blätter; 
im Sommer erscheinen dann die lederartigen Blätter. Im Dezember 
fallen diese ab, und ein neues durchscheinendes Blatt erscheint. Es 
besteht also eine Beziehung zwischen der Erscheinung der differen- 
zierten Blätter und der Periode. Noch interessanter ist der Fall von 
Hippuris vulgaris. Während des ganzen Frühlings bieten die neuen 
Stengel, welche von demselben Rhizom ausgehen, denselben Anblick 
von Wasserorganen dar; besonders bleiben die Blätter dünn und 
durchscheinend. Etwas später gelangen einige von diesen Sprossen 
an die Luft und wandeln sich um. Wenn der Sommer kommt, haben 








Costantin, Blätter der Wasserpflanzen. 591 


die im Wasser erscheinenden Sprosse nicht mehr das Ansehen der 
frühern submersen Sprosse; die Blätter sind kurz, ein wenig dick, 
fast als wenn sie an der Luft gebildet wären. Während also bei 
Wiederbeginn der Vegetation die Blätter der jungen Knospe sich 
nicht differenzieren, wird später mit der Vermehrung der vom Rhizom 
erzeugten Sprosse und nach dem Erscheinen einer gewissen Zahl von 
ihnen an der Luft die Aktivität der Pflanze groß genug, um Knospen 
zu bilden, deren sämtliche Blätter schon differenziert sind, ehe sie 
mit dem Wasser in Berührung kommen. 

b) Die Tiefe des Wassers. Je tiefer das Wasser, um so 
zahlreicher sind die bandförmigen Blätter von Sagittaria. In sehr 
tiefem Wasser muss die Pflanze erst eine große Anzahl von sub- 
mersen Blättern bilden, ehe sie in der Knospe differenzierte Blätter 
hervorbringen kann. In solchem Falle d. h. in sehr tiefem Wasser 
entstehen keine Mittelformen: ersteres veranlasst also eine Be- 
schleunigung in der Entwieklung. 

Bei plötzlichem Steigen des Wassers kann sich das Pfeilblatt 
von Sagittaria bandförmig verlängern; die folgenden Blätter werden 
dann spatelförmig. Es tritt hier also eine rückschreitende Ent- 
wicklung ein. 

ec) Das gleiche Resultat, d. h. eine Rückkehr zu den frühern 
Zuständen, durch welche die Pflanze hindurch gegangen ist, kann 
jeder Einfluss haben, der der Pflanze einen Teil ihrer Kraft raubt, 
z. B. das Abschneiden der bereits entwickelten Blätter. 

Ein analoges Rückschreiten kann auch nach dem Abblühen ein- 
treten, wie Schenck bereits bei Ranunculus aquatilis konstatiert hat. 
Während zur Blütezeit gewöhnlich Luftblätter entstehen, wird die 
sich hierin offenbarende Energie durch die Samenbildung wieder ge- 
schwächt, und es entstehen von neuem teilweise oder ganz zerschlitzte 
Blätter. 


II. Anatomie (Morphologie interne). 
1) Einfluss des Wassers auf die Spaltöffnungen. 


A. Blätter ohne Spaltöffnungen. Derartige Blätter sind 
bei den submersen Pflanzen sehr gewöhnlich, so z. B. bei Hippuris 
vulgaris. Wenn die Sprosse hier an die Luft kommen, so verändern 
sich die Blätter und bekommen Spaltöffnungen. Das Umgekehrte 
geschieht beim Uebergang von Luft in Wasser. 

Dass die Organisation der Epidermis, mithin auch die Bildung 
der Spaltöffnungen nicht an eine bestimmte Blattform gebunden ist, 
sieht man daraus, dass bandförmige Blätter von Sagittaria, die sich 
an der Luft entwickeln, Spaltöffinungen bekommen, während die unter- 
getauchten Blätter gleicher Form solche nicht besitzen. Diese Ver- 
änderlichkeit der Struktur durch das Medium zeigte auch ein mit 
Potamogeton natans angestellter Versuch. — Es kann auch geschehen, 


399 Costantin, Blätter der Wasserpflanzen. 


dass, wenn man einen Luftspross in Wasser taucht, auf den ersten 
Blattorganen einige Spaltöffnungen sichtbar bleiben (Ranuneulus aqua- 
tilis, Myriophyllum); diese Organisation beruht auf einer primordialen 
Differenzierung, welche mit dem frühern Luftleben im Zusammen- 
hange steht. 

Von der als exquisite Wasserpflanze geltenden Hottonia palustris 
erhielt Verfasser kleine Luftpflänzchen, deren Blätter mit Spalt- 
öffnungen bedeckt waren. „Dieses Beispiel zeigt, dass die Zahl der 
ausschließlich nur im Wasser lebenden Pflanzen vielleicht viel geringer 
ist, als man glaubte.“ 

Der Einfluss des Mediums auf die Hervorbringung von Spalt- 
öffnungen kann sich an einem und demselben Blatte zeigen, wenn 
dasselbe mit der Spitze aus dem Wasser hervortaucht (Stratiotes 
aloides). 

Die Untersuchungen an den erwähnten Pflanzen zeigten, dass die 
Anpassung derselben an Luft oder Wasser eine fast unmittelbare ist 
und die Zwischenstufen mit großer Schnelligkeit durchlaufen werden. 

B. Blätter, welche nur an der Oberseite Spaltöff- 
nungen haben. Dies ist mit einigen Ausnahmen bei den Schwimm- 
blättern der Fall. Hildebrandt hat Luftsprosse von Polygonum 
amphibium und Marsilia quadrifolia, deren Blätter auf beiden Seiten 
Spaltöffnungen tragen, in Wasser getaucht und Schwimmblätter er- 
halten, welche nur auf der Oberseite Spaltöffnungen hatten. Der 
Verfasser tauchte Pflanzen von Marsilia quadrifolia in Wasser, bei 
denen die Blätter bereits in der Luft zu wachsen begonnen hatten. 
Sie entwickelten sich im Wasser weiter und wurden zu Schwimm- 
blättern, welche aber auf der Unterseite noch eine Anzahl 
von Spaltöffnungen trugen. Das Gleiche wurde bei Polygonum 
amphibium beobachtet. Ebenso bemerkt man eine Verminderung der 
Spaltöffnungen beim Uebergang von Schwimmblättern zu unterge- 
tauchten Blättern (Nymphaeaceen, Trapa natans, Potamogeton ru- 
fescens). Eine Pflanze in tiefem Wasser kann den Eindruck machen, 
als ob sie ihre Schwimmblätter ganz verloren hat, während man bei 
näherer Untersuchung am obern Teile des Stengels Blätter findet, 
deren Epidermisstruktur darauf hinweist, dass sie beim Sinken des 
Wasserniveaus zu Schwimmblättern werden würden. 

C. Wasserblätter, welche auf der Oberseite mehr 
Spaltöffnungen haben, als auf der Unterseite. Oft zeigen 
die Schwimmblätter einen Uebergangszustand zu wirklichen Luft- 
blättern, indem sie auch auf der Unterseite einige Spaltöffnungen 
haben. So bei Sagittaria. Sehr deutlich ist die Erscheinung bei 
Alisma Pluntago zu beobachten. Der Zustand der Schwimmblätter ist 
hier nur ein schnell durchschrittenes Stadium zwischen submersen und 
Luftblättern. Sobald das Blatt vollständig an der Luft wächst, nimmt 
die Zahl der Spaltöffnungen auf der Unterseite sogleich beträchtlich 








Costantin, Blätter der Wasserpflanzen. 393 


zu. Auch bei Potamogeton natans finden sich auf der Unterseite Spalt- 
öffnungen. Diese Art wächst selten an trockenen Stellen; doch konnte 
Verfasser eine Anzahl von Luftformen sammeln: bei diesen waren die 
Spaltöffnungen auf der Unterseite weit zahlreicher geworden. 

D. Blätter mit vielen Spaltöffnungen auf der Unter- 
seite. Alle bisher betrachteten Pflanzen sind mehr oder minder aus- 
geprägte Wasserpflanzen gewesen. Es ist nun interessant zu prüfen, 
wie sich Blätter von Luftpflanzen verhalten, wenn man sie zwingt in 
Wasser zu wachsen. Verfasser ließ junge Sprosse von Epilobium 
hirsutum neben einander in der Luft und im Wasser wachsen. Die 
untergetauchten Sprosse fuhren fort zu wachsen und bildeten Wasser- 
blätter, wo die Spaltöffnungen auf der Oberseite weit überwogen, 
während bei den Luftblättern das entgegengesetzte Verhältnis statt- 
fand. Das Wasser strebt also, dies Verhältnis umzukehren. Bei 
Nasturtium offieinale wird das gleiche Resultat durch Verminderung 
der Spaltöffnungen auf der Unterseite erreicht. Auch bei Rubus 
(Lewakoffski) und Cardamine pratensis(Schenck) ist das Verhältnis 
der Spaltöffnungen a im Wasser viel größer als in der Luft. 
Es scheint also bei im Wasser treibenden Luftpflanzen die 
Tendenz zu bestehen, Schwimmblätter zu bilden. 

E. Differenzierung in der Knospe. Die Schwimmblätter 
der Nymphaeaceen zeigen schon in der Knospe zahlreiche Spalt- 
öffnungen auf der Oberseite. Diese Blätter haben sich unabhängig 
von der Wirkung des Wassers ausgebildet, da sie so eingerollt sind, 
dass die Oberseite geschützt ist und weil das Blatt in der Knospe 
eingeschlossen ist. Dasselbe ist zu beobachten an den Pfeilblättern 
von Sagittaria, an den Schwimmblättern von Tömnocharis Humboldtii, 
Potamogeton natans u.a. Die Ursachen, welche auf diese Differenzierung 
der Epidermis der Blätter in der Knospe einwirken können, sind 
folgende: 

a) Einfluss der Jahreszeit. Im Frühjahr erscheinen dünne 
Blätter ohne Spaltöffnungen; anfangs Sommer bilden sich lederartige 
mit Spaltöffnungen. Nymphaeaceen, Hippuris. Vgl. oben. 

b) Einfluss der Tiefe. Damit ein Spross, der in tiefem Wasser 
vegetiert, in der Knospe Blätter mit Spaltöffnungen anlegen kann, 
muss die Zahl der (nicht differenzierten) Blätter größer sein, als 
wenn die Pflanze in der Luft wächst. So hat auch Mer gezeigt, 
dass Potamogeton rufescens erst Blätter mit Spaltöffnungen auf der 
Oberseite bildet, wenn die Kraft der Pflanze bedeutend zugenom- 
men hat. 

c) Einfluss des Aufenthalts in der Luft. Wie der Ueber- 
gang aus tiefem Wasser in weniger tiefes die Differenzierung der 
Blätter in der Knospe beschleunigt, so zeigt sich dieser Vorgang noch 
schärfer beim Uebergang in Luft. Die Differenzierung der Blätter 


394 Costantin, Blätter der Wasserpflanzen. 


hinsichtlich der Bildung der Spaltöffnungen kann sich zuweilen auf 
einen ganzen Spross erstrecken, wie es bei den eigentümlichen sub- 
mersen Sommertrieben von Hippuris der Fall ist (vgl. oben). 

d) Einfluss der fiühern Lebensperiode der Pflanze. 
Wenn z. B. bei Nuphar die Aktivität der Pflanze im Sommer sehr 
groß gewesen ist und beträchtliche Reserven aufgespeichert wurden, 
so kann es geschehen, dass noch im nächsten Frühjahr an erster 
Stelle nur lederartige Blätter mit Spaltöffnungen erscheinen. 


2) Andere Modifikationen der Epidermis. 

A. Form der Zellen. Die Hauptwirkung des Wassers auf die 
Form der Zellen besteht darin, dass die Scheidewände der Epidermis- 
zellen gradflächig werden, während dieselben bei den Luftblättern 
mehr oder minder hin- und hergebogen sind (Hippuris vulgaris, Sa- 
gittaria, Polygonum amphibium). 

B. Chemische Konstitution der Scheidewände. Ge- 
wöhnlieh ist die allgemeine Körpermembran bei den submersen Blät- 
tern weniger diek, die kutikularisierten Partien sind weniger ausge- 
bildet, als bei den mit der Luft in Berührung befindlichen Blättern. — 
Während bei den Luftblättern von Polygonum amphibium nur die 
äußere Wandung der Epidermis kutikularisiert ist, sind bei den 
Sehwimmblättern alle Wandungen wie sklerifiziert. 

C. Haarorgane. Die Schwimmblätter von Polygonum amphi- 
bium sind auf der Oberseite nackt, während die Luftblätter mit Haaren 
bedeckt sind. „Man kann in diesem Falle nicht sagen, dass die 
Haare durch die Wirkung des Mediums umgewandelte Spaltöffnungen 
darstellen, denn bei Polygonum verschwinden und erscheinen die 
Spaltöffnungen und die Haare zu gleicher Zeit. Die erwähnte Ansicht 
von der Ersetzung der Spaltöffnungen durch Haare ist von Sicard 
aufgestellt worden und scheint für einige Fälle gerechtfertigt zu sein. 
Die Blätter von Nuphar haben niemals Spaltöffnungen auf der Unter- 
seite, selbst wenn sie in der Luft austreiben; an ihrer Stelle befinden 
sich zahlreiche Haare... .“ Zuweilen bestehen Haare und Spalt- 
öffnungen neben einander, z. B. auf der Unterseite der Schwimm- 
blätter von Ranunculus aquatilis oder R. lutarius. 

D. Chlorophyll. Dasselbe findet sich bei den submersen 
Pflanzen oft in der Epidermis. Den Uebergang zu der chlorophyll- 
losen Epidermis der Luftblätter kann man bei Stratiotes aloides, sogar 
an einem und demselben Blatte beobachten (vgl. oben). 

3) Modifikation des Mesophylis. 

A. Pallisadengewebe. Die Ausbildung dieses Gewebes, 
welches sich bekanntlich bei den Luftpflanzen in einer oder mehrern 
Sehiehten unter der obern Epidermis ausbreitet und reichlich Chloro- 
phyli führt, wird durch das Wasser beeinträchtigt. 

a) Blätter von Wasserpflanzen. Bei den verschiedenen 











Costantin, Blätter der Wasserpflanzen. 395 


Blättern der Wasserpflanzen sind die Umwandlungen sehr merklich. 
Während bei den submersen Blättern der Nymphaeaceen das Meso- 
phyll nur sehr schwach entwickelt ist, zeigt sich in den lederartigen 
Blättern das Pallisadengewebe sehr mächtig und von mehrern Zell- 
schichten gebildet. Bei den Luftblättern von Ranunculus aquatilis 
erscheint ein Pallisadengewebe unter der obern Epidermis, während 
die Wasserblätter ein auf beiden Seiten symmetrisches Parenchym 
zeigen und die Bilateralität erst in dem Gefäßbündel hervortritt. 

Bei dem Heraustreten der Blätter von Stratiotes aus dem Wasser 
finden außer der Modifikation der Epidermis auch beträchtliche Ver- 
änderungen im Mesophyll statt, indem sich die Zellen verlängern und 
Pallisadenschichten entstehen. Sehr bedeutend sind die Veränderungen 
der Blattstruktur bei den band- und pfeilförmigen Blättern von Sa- 
gittaria, wie Verfasser durch Abbildungen erläutert. Bei Alisma 
Plantago zeigt das zweite Blatt des Wassertriebes große Analogie mit 
der Struktur der submersen Blätter von Sagittaria. Das Mesophyll 
ist beinahe verschwunden, und zwischen den beiden Epidermen treten 
große Hohlräume auf. Das fünfte Blatt besitzt eine etwas kompli- 
ziertere Struktur, indem sieh unter der obern Epidermis eine Zell- 
schicht bildet. Bei dem Lufttriebe wird hingegen von dem dritten 
Blatte an das Mesophyll durch drei Zelllagen dargestellt, und die 
sroßen Hohlräume sind auf bloße Gänge reduziert. Beim sechsten 
Blatt treten 5 Zellschichten auf, Pallisaden sind jedoch noch nicht 
vorhanden. Da sich die Spaltöffnungen bilden, ehe noch Pallisaden- 
zellen entstanden sind, so ergibt sich, dass die Gewebe der Pflanze 
sich mit sehr verschiedener Schnelligkeit differenzieren. 

b) Blätter von Luftpflanzen. Bei der Entwicklung soleher 
Blätter im Wasser werden die Pallisadenschichten zurückgebildet. 
Man kann dies beobachten an Lysimachia Nummularia, Nasturtium 
amphibium, Ranunculus Flammula, Gultum uliginosum, Epilobium hir- 
sutum. Von letzterer Pflanze wurde auch ein Spross unter Ab- 
schluss des Lichtes in Wasser getaucht, und es zeigte sich, dass 
hier die Differenzierung des Pallisadengewebes noch geringer war, 
als bei dem beleuchteten. Es stimmt dies Ergebnis mit den Unter- 
suchungen von Stahl und andern, dass sich das Pallisadengewebe 
mehr im Lichte als im Schatten entwickelt }). Die Struktur der sub- 
mersen Blätter findet jedoch hierin allein noch nicht ihre Erklärung. 

c) Bei den Schwimmblättern sind die Pallisaden auf der Ober- 





1) Die biologische Bedeutung dieser Thatsache besteht nach Stahl darin, 
dass in den senkrecht zur Oberfläche des Blattes gestreckten Pallisadenzellen 
den Chlorophylikörpern die Möglichkeit gegeben ist, gegen das einfallende 
intensive Licht eine Profilstellung einzunehmen. Neue Untersuchungen Haber- 
landt’s stellen jedoch die Richtigkeit dieser Anschauungen in Zweifel (Ber, 
d. D. Bot. Ges., Bd. IV S. 206). 


396 Costantin, Blätter der Wasserpflanzen. 


seite ebenso gut entwickelt, wie bei den Luftblättern, und ihre 
Bildung beginnt, noch ehe die Blätter aus dem Wasser hervortreten. 

B. Andere Gewebe. 

a) Lückengewebe. Die Interzellularräume gewinnen bei den 
Wasserblättern große Bedeutung, zuweilen nehmen sie fast den ganzen 
Raum zwischen den beiden Epidermen ein (Sagittaria). Sehr schön 
lässt sich der Gegensatz von Wasser- und Luftblättern bei Alisma 
Plantago beobachten. Die Hohlräume bestehen hier auch in großer 
Entwicklung in dem Mittelnerven und dem Stiel der Wasserblätter; 
letzteres bemerkt man auch bei Marsilia quadrifolia und Ranunculus 
Flammula. 

b) Mechanisches Gewebe. Dasselbe wird auch im Wasser 
reduziert. So verschwinden bei Marsilia die Scheiden, welche die 
Gefäße der Blattstiele umgeben; bei Seirpus lacustris die festen Ele- 
mente unter der Epidermis der Blätter; bei Alisma Plantago die 
sklerifizierten Scheiden der medianen Gefäßbündel. 

Die Schwimmblätter haben die Charaktere der Luftblätter, sind 
sogar zuweilen mehr differenziert. So haben z. B. die Schwimm- 
blätter von Polygonum amphibium in ihren Mittelnerven einen Collen- 
chymstreifen, welcher in den Luftblättern fehlt; auch ist in letztern 
die Gefäßscheide weniger sklerifiziert. Schon äußerlich ist der Un- 
terschied zwischen beiden Arten von Blättern bemerkbar, da die 
Schwimmblätter fest und steif sind, während die Luftblätter weich 
bleiben. Wie wir bereits sahen, sind bei den Schwimmblättern die 
Scheidewände der Epidermiszellen vollständig kutikularisiert, was bei 
den Luftblättern nieht der Fall ist. Diese Erscheinung, meint der 
Verfasser, zusammen mit der Vermehrung der Parenchymzellen und 
der reichern Blütenentwicklung scheint anzuzeigen, dass die im 
Wasser wachsende Pflanze sich besser entwickelt, als die Landpflanze. 

e) Leitgewebe. Die Verminderung des Gefäßsystems unter 
dem Einfluss des Wassers ist sehr häufig zu beobachten. 

d) Sekretionsgewebe. Die Sekretionskanäle erleiden durch 
die submerse Lebensweise keine Veränderung, wie man sich bei 
Alisma und Sagittaria überzeugen kann. 

C. Inhalt der Zellen. Mit der Veränderung der Zellform geht 
eine solche des Inhalts Hand in Hand. Sobald eine Pallisadenzelle 
erscheint, sammelt sich das Chlorophyll in großer Menge darin an. 
Auch die übrigen Zellen des Parenehyms nehmen an der Veränderung 
Teil, indem sie sich stärker mit Chlorophylikörnern füllen. Diese 
außerordentliche Veränderung in der Verteilung des Chlorophylis 
muss natürlich eine korrespondierende Variation in der Erzeugung 
der Kohlehydrate, besonders der Stärke, mit sich führen. Man kann 
diese Aenderung im Blattstiel von Ranumculus aquatilis beobachten; 
alle Chlorophylikörner in dem Stiel des Luftblattes enthalten Stärke, 
so dass sich der mit Jod behandelte Querschnitt fast blau färbt. Bei 








Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies. 397 


dem Stiel des Wasserblattes ist dagegen nichts dergleichen zu 
beobachten. — 

Die Schlussbetrachtungen des Verfassers, in denen sich derselbe 
über den Unterschied von direkt und indirekt erfolgenden Modifika- 
tionen verbreitet, glauben wir hier als unwesentlich übergehen zu 
können. Was man an der Abhandlung als Mangel empfindet, ist der 
Umstand, dass nirgends eine Erklärung der Strukturverschiedenheiten 
der Blätter aus mechanischen Prinzipien versucht wird, vielmehr die 
wirkende Kraft des Mediums stets von einem geheimnisvollen Schleier 
umhüllt bleibt. Immerhin enthalten die zusammengebrachten That- 
sachen des Bemerkenswerten genug, und die Arbeit dürfte deswegen 
das Ihrige dazu beitragen, zur weitern Erforschung dieses interes- 
santen Gebietes anzuregen. 

F. Moewes (Berlin). 


Franz Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies. 


Berichte der Freiburger naturforschenden Gesellschaft Bd. I, 1886, VII u. 
128 S., mit 2 Holzschnitten und 6 Tafeln. 


Inbetreff der Reifungsvorgänge des tierischen Eies, die ja in der 
letzten Zeit vielfach das Interesse der Forscher in Anspruch ge- 
nommen haben, sind die Arthropoden bis jetzt nahezu vollständig 
unberücksichtigt geblieben. Bei Cölenteraten, Echinodermen, den 
meisten untersuchten Würmern, Mollusken, Tunikaten und Säugetieren 
ist die Ausstoßung von „Richtungskörperchen“ mit Sicherheit nach- 
gewiesen. Von den Artlropoden liegen aber nur sehr wenige 
Beobachtungen hierüber vor. Bei Peripatus, wenn man dieses Tier 
überhaupt hierher zählen will, sind Richtungskörperchen durch Kennel 
und Sedgwick nachgewiesen; außerdem aber nur noch bei Moina 
und Cetochilus von Grobben, bei Polyphemus von Weismann und 
vielleicht auch bei Entomostraken von Hoeck. 

Die meisten Forscher behaupten, dass im reifen Ei vom Eikern 
keine Spur mehr vorhanden sei; eine direkte Kontinuität zwischen dem 
Keimbläschen und den Furchungskernen ist nur bei den viviparen 
Aphiden und Cecidomyia-Larven nachgewiesen und bei einigen 
kleinen Ichneumoniden und Gallwespen wahrscheinlich gemacht. 

Wenn man nun die Eier der eben erwähnten Tiere in betracht 
zieht, so findet man, dass dieselben sich alle durch ihre Kleinheit und 
ihren geringen Dottergehalt auszeichnen. Bei sämtlichen großen Eiern 
ist das Schwinden des Keimbläschens behauptet worden. Alle 
Beobachter aber, welche diese Eier und ebenfalls die dotterreichen 
Eier der meisten Wirbeltiere untersucht haben, geben an, dass das 
Keimbläschen an die Oberfläche rücke und dort Veränderungen erleide, 


398 Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies. 


Ich stelle mir nun die Aufgabe, das Keimbläschen in seiner Lebens- 
geschichte bei verschiedenen Arthropoden - Eiern zu verfolgen, beson- 
ders um zu sehen, ob auch hier Teile desselben aus dem Ei, oder 
doch wenigstens aus dem zukünftigen Eikern entfernt würden. Es 
ist hier wohl nicht der Ort, genauer auf die einzelnen untersuchten 
Formen einzugehen. Ich will nur kurz die allgemeinen Resultate 
mitteilen. 

Die Entstehung der Eier aus den Keimzellen wurde nur 
bei wenigen Formen untersucht. Aus einem Keimlager mit gleich- 
mäßigen Kernen bildeten sich einzelne Kerne zu Eiern heraus. Sie lassen 
sich schon früh durch ihre Reaktion von den andern unterscheiden, indem 
sie bei Doppelfärbung mit Pikrokarmin und Hämatoxylin sich rot 
färben, während die andern die blaue Färbung annehmen. Alle „Keim- 
kerne“ haben ursprünglich ein zentrales und eine Anzahl von peripheren 
Chromatinkörpern, beim Wachstum des Kernes schwinden letztere, 
während ersterer sich wahrscheinlich zum Nukleolus des Eies ver- 
wandelt. Auf diese Weise nimmt der Keimkern, der sich nun auch 
mit Zellplasma umgibt, die Keimbläschenform an. Ein Austreten 
von Chromatinpartikeln aus dem Eikern konnte niemals 
sicher beobachtet werden. Follikelkerne bilden sich aus 
den Keimkernen heraus. Ebenso ist es bei Tunikaten, die auch 
beiläufig untersucht wurden!'). 

Die Bildung des Keimbläschens bei Peripatus weicht etwas von 
diesem Modus ab, kommt jedoch im wesentlichen auf dasselbe hinaus. 

Bei sämtlichen näher untersuchten Formen konnte das Keim- 
bläschen in jungen Stadien im Zentrum des Eies nachgewiesen werden. 

Zu einer gewissen Zeit nun, oft schon sehr früh, beginnt es an 
die Peripherie zu wandern, wo es einige Zeit verweilt und Verände- 
rungen erleidet. 

„Hier liegt es hart am Follikelepithel an, plattet sich sogar 
„meistens gegen dasselbe etwas ab. Oft schon vorher (Carabus), oft aber 
„erst hier (Sphinx), manchmal auch erst später (Silpha), verliert das 
„Keimbläschen seinen Nukleolus. Die Art und Weise, wie derselbe 
„schwindet, ist verschieden; er kann in kleinere Stücke zerfallen 
„(Carabus auratus, Dytiscus), er kann aber auch allmählich blasser 
„und blasser werden, bis man ihn endlich nicht mehr von der Umgebung 
„unterscheiden kann (Sphinx ligustri). Aus allem schien mir hervorzu- 
„gehen, dass das Schwinden des Nukleolus nicht zum Wesen der Ei- 
„reifung gehört, besonders weil ich ihn bisweilen (so bei Silpha) so 
„lange verfolgen konnte, als noch ein Rest des Keimbläschens im Ei 
„sichtbar war. 


4) Ganz sicher beweisen lässt sich das natürlich nicht, da sich eine Aus- 
wanderung nie beobachten lässt. Man muss deshalb die wahrscheinlichste 
Deutung der Bildung annehmen, und diese ist die, dass hier keine Chromatin- 
partikel austreten. 











Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies. 399 


„Bei sehr vielen der untersuchten Formen konnte ich nun be- 
„merken, dass das Keimbläschen an der Seite, welche der Eiperipherie 
„anlag, eingebuchtet war, und dass in dieser Bucht größere oder klei- 
„nere Ballen lagen, welche sich durch ihre Färbung und ihr Licht- 
„brechungsvermögen von den Dotterpartikeln unterschieden. Besonders 
„schön waren sie bei Lina populi, bei Sphine und Zygaena sowie 
„bei Musca; dieser Vorgang konnte bei 15 von 25 untersuchten 
„Insektenformen konstatiert werden und zwar bei Vertretern aller 
„Ordnungen. Wir sind deshalb wohl berechtigt, ihn als allgemeine 
„Erscheinung anzusehen. 

„Es konnte nun gezeigt werden, dass diese Ballen höchst wahr- 
„scheinlich aus dem Keimbläschen abstammen. Bei den Lepidop- 
„teren und bei Musca hatte das Keimbläschen kleine stumpfe Fort- 
„sätze, welche sich wahrscheinlich abschnürten und so die Ballen 
„lieferten. Bei Lina waren nur ein oder zwei sehr große Ballen vor- 
„handen, die gradezu im Keimbläschen vergraben waren. Später 
„konnten wir dieselben von letzterem getrennt wiederfinden. 

„Einmal bei Zygaena machte es den Eindruck, als wenn die ein- 
„zelnen runden Ballen noch innerhalb des Keimbläschens lagen, als wenn 
„die periphere Hälfte desselben durch Eindringen einer feinen Punkt- 
„substanz in einzelne Partien zerfallen war. Die Ballen hatten hier 
„bis in alle Details dieselben Eigenschaften wie die Substanz des 
„Keimbläschens selbst. Stets aber lagen die Ballen an der 
„Seite des „Keimbläschens, welche dem Follikelepithel 
„zugewendet war, sie wurden stets nach außen abge- 
„schieden“. 

Es konnte nun wahrscheinlich gemacht werden, dass man diesen 
Prozess als eine Modifikation der direkten Kernteilung ansehen 
kann. 

Es scheinen also die Reifungserscheinungen der Insekten nicht so 
enorm verschieden von denen anderer Tiere. Für die austretenden 
Ballen habe ich den Namen „Reifungsballen“ vorgeschlagen. 

Bei Spinnen und Myriopoden rückt das Keimbläschen ebenfalls 
an die Oberfläche und entschwindet dort unsern Blicken. Bei Glomeris 
konnte ich sogar ein Keimbläschen beobachten, das an der der Peri- 
pherie zugekehrten Seite eingebuchtet war, so dass hier möglicher- 
weise die Reifungsvorgänge denen der Insekten gleich vermutet wer- 
den können. 

Bei Peripatus Edwarsii bildet der Eikern 2 Kernschleifen jede mit 
6 Mikrosomen und stößt zweimal ein Richtungskörperchen aus (nach K en- 
nel). Es konnte auch der Eikern und der Spermakern mit ihren Kern- 
schleifen gesehen werden. 

Bei Moina, Polyphemus und Cetodrilus entstehen ja, wie oben be- 
merkt, auch Richtungskörperchen. 

Dies führt uns auf die Vermutung, dass bei den Vorfahren der 


400 Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies. 





Arthropoden, wie bei allen Tieren, die Eireifung durch eine indirekte 
Kernteilung und Bildung der „Riehtungskörperchen“ vor sich ging. 

Dies ist uns noch bei Peripatus und einigen niedern Crusta- 
ceen erhalten. Später aber, wohl wahrscheinlich durch den größer 
werdenden Dotterreichtum der Eier, wurde die Reifung modifiziert, so 
dass wir sie jetzt in der heutigen Gestalt vor uns haben. Es ist des- 
halb sehr gut möglich, dass noch bei andern niedern Arthropoden, 
besonders wenn dieselben dotterarme Eier haben, wirkliche Richtungs- 
körper aufgefunden werden. Bei den viviparen Aphiden wird es ja 
allerdings von den Beobachtern bestritten. So viel aber ist wahr- 
scheinlich, dass bei den dotterreichen Eiern keine wirklichen Rich- 
tungskörper vorkommen?). Als Beispiel mögen grade die Daphniden 
dienen. Moina sowie Polyphemus, wo Richtungskörper vorkommen, 
haben beide sehr kleine Eier, weil dieselben in ihrer Entwieklung durch 
die vom „Nährboden“ abgesonderte Flüssigkeit der Brutkammer er- 
nährt werden. Bei den dotterreichen Eiern anderer Daphniden sind 
aber bis jetzt noch keine Richtungskörper konstatiert worden. 

Sehr bemerkenswert ist hier auch noch die Zeit der Reifungs- 
erscheinungen. „Bei den meisten Tieren treten dieselben erst am voll- 
„ständig ausgebildeten Ei auf, zuweilen sogar erst nach dem Eindringen 
„des Spermatozoons in das Eiplasma. Hier aber geschieht der Aus- 
„tritt der „Reifungsballen“ in einem sehr frühen Stadium, während 
„das Ei noch nicht im entferntesten seine halbe Größe erreicht hat. 
„Dies ist gewiss sehr merkwürdig, und man könnte deshalb bezweifeln, 
„dass es sich hier um die wirkliche Reifung des Eies handelt. Ich 
„glaube aber, dass diese Thatsache wiederum mit dem Dotterreich- 
„tum der Eier zusammenhängt. Von großen Wirbeltiereiern wissen wir 
„ja auch, dass schon zu sehr früher Zeit das Keimbläschen an die 
„Oberfläche des Eies steigt und dort große Veränderungen erleidet“. 

Nach dem Ballenaustritt rückt das Keimbläschen gewöhnlich wie- 
der etwas in das Ei-Innere hinein und schwindet dann unsern 
Blicken. Es kann erstens amöboid zerfließen wie bei Silpha, Necro- 
phorus und Dytiscus. Grade bei Silpha konnte gezeigt werden, wie 
allmählich, bei dem stärkern Auftreten des Dotters im Ei, das Keim- 
bläschen immer undeutlicher wurde. Dann aber kann das Keim- 
bläschen noch schwinden, indem es seine Struktur ändert; es verliert 
seine Membran und sein Inhalt wird körnig, bis man es nicht mehr 
von dem umgebenden Dotter unterscheiden kann (Sphinx, Zygaena, 
Musca). 

„Jemand könnte nun behaupten, dass das Schwinden des Keim- 
„bläschens das Wesen der Reifung sei; dieser Einwurf lässt sich 





4) Will sagt allerdings in seiner neuesten Arbeit (Zeitschr. f. wiss. Zool., 
Bd. 43, S. 353), dass er bei Dytiscus ein Richtungskörperchen wahrscheinlich 
gemacht habe, doch müssen wir das Nähere darüber wohl noch abwarten, 








Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies. 401 


„einfach durch die Thatsache widerlegen, dass bei einigen Insekten 
„Aphiden, Cecidomyia) das Keimbläschen eben nicht schwindet, dass 
„aber doch ein so fundamentaler Vorgang wie die Reifung bei allen 
„Insekten der gleiche oder wenigstens kein vollständig verschiedener 
„sein wird. Grade der Umstand, dass bei den viviparen Aphiden 
„und den viviparen Cecidomyia-Larven das Keimbläschen nicht 
„schwindet, führt uns wieder auf den Gedanken, dass hier der Dotter 
„das Schwinden bewirkt. 

„Ich glaube, dass ich meine Ansicht so formulieren kann: Ursprüng- 
„lieh blieb der Eikern wie bei den meisten übrigen Tieren sichtbar. 
„Bei den kleinen dotterlosen Eiern der Aphiden und Cecidomyia-Larven 
„konnte dieser Zustand bestehen bleiben. Bei den schon bedeutend 
„dotterreichern Eiern der Gallwespen (Weismann) und wahrschein- 
„lieh auch einiger Ichneumoniden (Ganin) zerfloss der Eikern sehr 
„stark amöboid, so dass man ihn nur noch als Wolke im Ei wahr- 
„nehmen konnte. Dieser Prozess geht bei den andern Insekten noch 
„weiter, so dass hier die Kernsubstanz im Ei derartig verteilt ist, dass 
„wir dieselbe überhaupt nicht mehr nachweisen können, besonders, da 
„dieselbe auch meistenteils vollständig jeden Chromatins entbehrt. 

„Hier ist also ein ganz ähnliches Verhältnis zwischen dem Dotter- 
„gehalt des Eies und der Modifikation der Kernverhältnisse zu erkennen, 
„wie vorhin bei der Reifung“. 

Das erste Auftreten des Furchungskerns habe ich nur zweimal bei 
Musca beobachten können, und zwar am obern Pol in der Nähe der 
Stelle, wo das Keimbläschen verschwand. Die in der Arbeit ange- 
gebenen Mitteilungen über die ersten Furchungskerne von Musca be- 
dürfen noch der Korrektur, da es sich hier wahrscheinlich um Arte- 
fakte gehandelt hat. Ich gedenke diese Verbesserung nächstens zu geben. 

Das Insektenei, in dem wir keinen Kern sehen können, ist also 
keine Monerula im Sinne Häckel’s, da in ihm sicher eine Kontinuität 
der Kernsubstanz besteht. Eher könnte man es mit einem Infusor 
vergleichen, dessen Kern bisweilen in eine große Anzahl von Stücken 
zerfällt (Opalina). Das Wahrscheinlichste ist mir jedoch, dass die Kern- 
substanz sich nicht zerstreut, sondern nur sehr stark amöboid zerfließt, 
so dass sie bei ihrer Farblosigkeit nicht zwischen dem Dotter wahr- 
genommen werden kann. 

Bei den Wirbeltieren sind die Verhältnisse ganz ähnlich. Bei 
den kleinen Eiern der Säugetiere und einiger niederer Fische (Am- 
phioxus, Petromyzon) treten wirkliche Richtungskörperchen auf, wäh- 
rend bei den dotterreichen Eiern der übrigen Fische, der Amphibien, 
Reptilien und Vögel das Keimbläschen ebenfalls an die Oberfläche 
des Eies tritt und dort verändert wird, so dass wir es schließlich 
nicht mehr sehen können. 

Endlich wurde noch die Entstehung der Dotterkerne bei den 
Hymenopteren beobachtet. Diese zuerst am Keimbläschen entstehen- 

VI. 26 


402 Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies. 


den Gebilde sah Blochmann für echte Kerne an. Ihre Entstehung 
außerhalb des Keimbläschens, ihre spätere Auflösung, besonders aber 
die Vergleichung der verschiedenen untersuchten Arten brachten mich 
zu dem Schluss, dass es Dotterkonkretionen seien. 

„Die ursprüngliche Entstehung aller Dotterkerne der Hymenopteren 
„ließ sich auf einen Typus zurückführen. Es bildeten sich stets ganz 
„kleine Konkretionen dieht an der Peripherie des Keimbläschens, oder 
„doch wenigstens in seiner unmittelbaren Nähe. Diese wanderten nun 
„vom Keimbläschen weg und legten sich in einer vollständigen Schicht 
„an die ganze Eiperipherie (Bombus), oder sie blieben mehr am obern 
„Eipol angesammelt (Vespa, Trogus, Pimpla), oder endlich sie konnten 
„sich zu einer Anzahl etwas größerer, im ganzen Ei verteilter Klumpen 
„vereinigen (Banchus). Ich bezeichnete dies mit dem Namen „diffuser 
„Dotterkern“. 

„Es können nun auch die einzelnen kleinen Dotterkonkretionen 
„sich zu einer einzigen großen färbbaren Masse vereinigen, die stets 
„am hintern Eipol lag. Dies Gebilde nannte ich den „eigentlichen 
„Dotterkern“ (Anomalon, Ophion, Lampronata, Ephialtes, Ambyteles). 
„Man kann also wohl den diffusen Dotterkern als eine ontogenetische 
„und phylogenetische Vorstufe des eigentlichen Dotterkerns betrachten, 
„wenigstens bei den Hymenopteren. Niemals aber konnte ich eine 
„Entstehung aus dem Keimbläschen konstatieren, wie Balbiani dies 
„für Geophilus und Will für den Frosch angibt. 

„Sehr merkwürdig sind die Verhältnisse bei Glomeris. Hier bilden 
„sieh erst in der Nähe des Keimbläschens eine oder mehrere Konkre- 
„tionen, die sich jedoch mit dem Wachstum des Eies bald wieder auf- 
„lösen. Später treten im Ei zwei verschiedene Dotterarten auf, von 
„denen sich eine gelbrot, die andere blau bei der Doppelfärbung färbt. 
„Die letztere ballt sich zu einer großen Masse zusammen. Hier sind 
„also offenbar zwei vollkommen verschiedene Arten von Dotterkernen 
„vorhanden, denn als Dotterkern bezeichnen wir doch ein Gebilde, das 
„von dem übrigen Dotter abweicht. 

„Was nun meine Meinung über die Bedeutung des Dotterkerns 
„betrifft, so schließe ich mich der von Schütz an. Der Dotterkern 
„stellt eine Konkretion von besonderem, von dem gewöhnlichen Dotter 
„verschiedenem Nährungsmaterial dar, das zu irgend einer Zeit vom 
„Ei resorbiert wird. Er kann schon sehr früh gelöst werden oder aber 
„noch im abgelegten Ei vorhanden sein“. 

Beachtenswert ist, dass der „diffuse Dotternkern“ sich oft erst 
bildet, nachdem die Eireifung, d. h. der Austritt der Ballen stattge- 


funden hat. 
F. Stuhlmann (Hamburg - Borgfelde). 








Albrecht, Spalte des Brustbeinhandgriffes der Brüllaffen. 405 


P. Albrecht, Ueber die im Laufe der phylogenetischen Ent- 
wicklung entstandene, angeborne Spalte des Brustbeinhand- 
sriffes der Brüllaffen. 

Sitzungsber. d. k. pr. Akad. d. Wiss. z. Berlin. Physik. Mathem. Klasse. 1885. 
RNIT IST). 

An die Beschreibung und anatomische Deutung der vordern Brust- 
beinabschnitte von drei dem Königsberger anatomischen Institute ge- 
hörigen Brüllaffenskelette knüpftHerr Albrecht Betrachtungen, welche 
ihn zu dem Schlusse führen, dass die den Brüllaffen eigentümliche 
Fissura manubrii sterni eongenita im Laufe der phylogenetischen Ent- 
wicklung entstanden sei als Folge der durch Uebung veranlassten 
größern Entwicklung ihres Hyothyreoidalapparats. Er sieht darin zu- 
gleich den ersten positiven, d. h. nicht allein auf Indizien beruhenden 
Beweis für die Abstammungs- und Anpassungslehre. 

Das eine der abgebildeten Königsberger Präparate von einem 
erwachsenen Mycetes sp. Illig. zeigt ein in allen wesentlichen Eigen- 
schaften völlig dem des Menschen gleiches d. h. ungespaltenes Ma- 
nubrium. An dasselbe legen sich vorn die beiden Clavieulae, unmittel- 
bar dahinter die beiden ersten und noch weiter nach hinten die beiden 
zweiten Rippen an, welche letztern zugleich die Vorderenden des 
nächsten Sternalteils berühren. Diesen Teil, der zwischen dem 2. und 
3. Rippenpaare liegt, nennt Herr A. Sternebra 2; das Manubrium, 
welches zwischen den Claviculae und dem 2. Rippenpaare liegt, muss 
man sich aus 2 Teilen bestehend denken, der Sternebra 0 und der 
Sternebra 1. (Vgl. des Herrn Verf.’s Abhandlung: Sur les elements 
morphologiques du manubrium du sternum chez les mammiferes. 
Bruxelles 1884.) 

Bei einem Mycetes ursinus Geoffr. desselben Instituts fehlt das 
Manubrium scheinbar ganz. An die seitlichen Vorderränder der 
Sternebra 2 legen sich die Knorpel der 2. Rippen, und zwischen 
diesen, den Knorpeln der ersten Rippen und den Schlüsselbeinen 
findet sich auf jeder Seite je ein Skeletstück, welches offenbar nichts 
Anderes sein kann als die Hälfte des Manubrium oder, wie Herr A. 
sich ausdrückt, ein Hemimanubrium dextrum bezw. sinistrum. Dieser 
Mycetes zeigt also eine vollständige Fissura manubrii sterni congenita. 
Diese Deutung des Präparats stützt Herr A. durch eine genaue Ver- 
gleichung mit einem Präparat einer fast vollständigen Spaltung des 
Sternums beim Menschen. Endlich beschreibt er noch ein drittes 
Präparat von einem erwachsenen Mycetes ursinus Geoffr., bei wel- 
chem gleichsam eine unvollständige Manubrium-Fissur vorhanden ist. 
Vor der 2. Sternebra findet sich nämlich hier ein kleines queres 
Knochenstück und vor demselben erst eine durch eine Membran ge- 





4) Durch zufällige äußere Umstände verspätet. Red. 
20° 


ADA Fick, Einige Bemerkungen über den Mechanismus der Atmung. 


schlossene Lücke. Jenes Knochenstück (Postmanubrium) ist aber die 
Sternebra, d. h. der zwischen den beiderseitigen 1. und 2. Rippen 
gelegene Teil des Manubriums. 

Von dem so gewonnenen Standpunkt aus beleuchtet A. die Ab- 
bildungen und Beschreibungen, welche W. K. Parker und Mivart 
von den Brustbeinen der Brüllaffen gegeben haben, und zeigt, dass 
auch bei den Präparaten dieser Autoren die Teile so sind wie bei dem 
Königsberger Mycetes ursinus. Es gibt also Brüllaffen mit ungespal- 
tenem Manubrium, mit angeborner Fissur des Prämanubrium und mit 
angeborner Fissur des ganzen Manubrium. Da nun alle übrigen Säuge- 
tiere ein ungespaltenes Manubrium besitzen, und man daher wohl an- 
nehmen kann, dass auch die Vorfahren der Brüllaffen ein solches 
besaßen, da ferner der Zungenbeinkörper und der Schildknorpel beim 
Brüllaffen ungewöhnlich stark entwickelt sind, was offenbar auf einer 
im Laufe der phylogenetischen Entwicklung allmählich erworbenen 
Eigentümlichkeit beruht, so hat sich diese so zu einem festen Species- 
charakter ausgebildet, dass jetzt schon in der Embryonalanlage der 
Hyothyreoidapparat viel stärker wächst als bei andern Säugetieren. 
Und die Folge dieses stärkern Wachsens ist dann die mangelhafte 
Vereinigung der Sternebrae oder die angeborne Fissur, indem schon 
in der 6. Woche des Embryonallebens der Hyothyreoidapparat zu 
groß geworden ist, um jene Vereinigung zu gestatten. Die seltnern 
Fälle von ungespaltenem Manubrium wären als atavistisch zu betrach- 
ten, während in Zukunft vielleicht neben dem Prämanubrium auch 
das Postmanubrium und somit das ganze Manubrium gespalten sein 
wird, wie es jetzt schon der Königsberger Mwycetes ursinus aufweist. 

J. Rosenthal (Erlangen). 


A. Fick, Einige Bemerkungen über den Mechanismus der 
Atmung. 
Festschrift des Vereins für Naturkunde zu Kassel zur Feier seines fünfzig- 
jährigen Bestehens. Kassel 1886. S. 55 —61. 

Zur Stütze der noch immer angefochtenen Lehre Hamberger’s, 
dass die Mm. intercostales interni Rippensenker, also exspiratorische 
Muskeln seien, führt F. die Erfahrung an, dass man eine ziemlich 
energische aktive Exspiration ausführen kann, ohne die Bauchmuskeln 
in Spannung zu versetzen. Am besten gelingt dies, wenn man den 
Willen darauf richtet, die Schultern und die obern Rippen sinken zu 
lassen. Ein die Mundhöhle abschließendes Wasser-Manometer kann 
hierdurch 4—5 em hoch getrieben werden. Da aber außer den Bauch- 
muskeln, von deren Nichtbeteiligung man sich leicht durch Aufsetzen 
eines Fingers auf dieselben überzeugen kann, keine andern Muskeln 
vorhanden sind, denen man diese Wirkung zuschreiben könnte, so 





Fick, Einige Bemerkungen über den Mechanismus der Atmung. 405 


bleibt niehts Anderes übrig, als die Mm. intercostales interni als Urheber 
jener Bewegung anzusehen !). 

Aus seinen Selbstbeobachtungen schließt Herr F. ferner, dass die 
Mm. intereost. int. nicht nur die Rippen zu senken vermögen, sondern 
dass sie dies auch bei jeder gewöhnlichen Ausatmung thun, dass 
also dieser letztere Akt bei ruhiger Atmung nicht lediglich durch 
elastische Kräfte zu stande komme, wie man meistens annehme. Man 
kann nämlich die natürliche Ausatmung in ihrem Verlauf willkürlich 
unterbrechen. Wenn Herr F. dies thut, dann hat er deutlich den 
Eindruck, dass er eine im Gange befindliche Muskelthätigkeit unter- 
breche oder hemme, nicht aber den, dass er die Bewegung durch 
Anstrengung antagonistischer Muskeln unmöglich mache. 

Schließlich spricht sich Herr F. über den Anteil des Zwerchfells 
an der aktiven inspiratorischen Thoraxerweiterung aus. Dieser Anteil 
sei minimal; es ziehe sich zwar zusammen, aber seine Erregung habe 
nur eine Vermehrung seiner Spannung zur Folge, welche verhindere, 
dass es infolge der durch andere Kräfte hervorgebrachten Erweiterung 
des Brustraums gleichsam in die Höhe gesaugt werde. Zu diesem 
Schlusse kommt Herr F. durch die Betrachtung, dass die durch Rippen- 
hebung bewirkte Erweiterung des Brustkorbs im Quer- und Tiefen- 
durchmesser schon allein vollkommen ausreicht, die normale Inspira- 
tionserweiterung von rund 500 cem zu bewirken. [Wenn aber das 
Zwerchfell bei der gewöhnlichen Inspiration nicht wirklich nach ab- 
wärts geht, woher kommt dann die doch stets vorhandene Vorwölbung 
der Bauchwand? Und wie käme dann die Zunahme des intraabdomi- 
nalen Drucks zu stande, welche ich bei Einführung einer Sonde in 
den Magen beobachtet habe (Handb. d. Physiol. IV. 2. 228)? Bei 
Tieren, deren Atmung im übrigen mit der des Menschen vollkommen 
übereinstimmt (Hunde, Katzen, Kaninchen) ist die Abflachung der 
Zwerchfellswölbung bei ruhiger Inspiration übrigens auch unmittelbar 
beobachtet worden.] J. Rosenthal (Erlangen). 


4) Hierin stimme ich Herın Fick vollkommen bei, nicht aber in seiner 
weitern Bemerkung, dass es unmöglich sei, außer den Bauchmuskeln und den 
Mm. intereost. int. irgend einen andern Muskel anzugeben, der exspira- 
torisch wirken könnte. Ich selbst habe eine solche Wirkung dem M, serratns 
post. inf., dem M. iliocostalis lumborum und dem M. quadratus lumborum zu- 
geschrieben (Handb. d. Physiol. IV.2.186). Aber freilich wirken diese Muskeln 
nur auf die untern Rippen. Vermutlich hat Herr F. bei seinem Ausspruch nur 
an die obern Rippen gedacht; in diesem Falle bin ich mit ihm ganz derselben 
Meinung, J.R, 


406 Brieger, Ueber basische Produkte der Miesmuschel. 


Ueber basische Produkte in der Miesmuschel. 


Von Prof. Dr. L. Brieger, 


Assistent der Universitätsklinik des Herrn Geheimrat Prof. Dr. Leyden. 


Vortrag mit Demonstration gehalten in dem Verein für innere Medizin zu 
Berlin den 21. Dezember 1885. 


M. H.! Vor etwa 8 Wochen durchlief die Zeitungen die betrübende 
Nachricht, dass in Wilhelmshaven sich eine größere Anzahl von Per- 
sonen durch den Genuss gekochter Miesmuscheln (Mytilus edulis) ver- 
giftet hätten, von denen vier Individuen starben. Ueber die eigen- 
artigen Krankheitssymptome, welche vorzugsweise eine Lähmung der 
motorischen Zentren bekundeten, sowie über die pathologisch anato- 
mischen Befunde hat Virchow aufgrund der ihm von Herrn Kreis- 
physikus Dr. Schmidtmann in Wilhelmshaven übermittelten Berichte 
in der medizischen Gesellschaft am 9. November Mitteilung gemacht. 
Der Umstand, dass auch alkoholische Extrakte das Gift aus den 
Muscheln aufnahmen, bestimmte Virchow, dasselbe für ein Alkaloid 
zu erklären, nachdem bereits vorher Schmidtmann dasselbe für 
ein chemisches Gift angesprochen. Der Sitz dieses Giftes ist nach 
M. Wolff und Salkowski in der Leber ausschließlich zu suchen. 
Salkowski, der auf Virchow’s Anregung die Natur des Giftes zu 
ergründen unternahm, fand, laut seiner ausführlichen Publikation in 
dem soeben erschienenen Hefte des Virchow’schen Archivs, dass 
dasselbe mit Wasserdämpfen auch aus alkalisierter Lösung nicht über- 
geht, und dass durch Kochen mit kohlensaurem Alkali dasselbe zer- 
setzt wird. Möglicherweise kann nach Salkowski diese letzte Wahr- 
nehmung zum Unschädlichmachen der giftigen Muscheln verwertet 
werden. Auch aus giftigen alkoholischen Auszügen konnte Salkowski 
mittels Platinchlorid das Gift nicht darstellen, selbst wenn er noch 
Aether hinzugoss. 

Bei derartigen Tagesereignissen, welche das Allgemeinwohl be- 
drohende Zustände vor dem Forum der Oeffentlichkeit zur Sprache 
bringen, wirft das öffentliche Interesse die Fragen auf und verlangt 
von jedermann, der dazu beitragen will, daran mitzuwirken, die dunklen 
Kräfte jener unheilvollen Katastrophen aufzudecken. Und zwar ist 
es Pflicht, möglichst bald an dieser Arbeit teilzunehmen, da sonst die 
Gelegenheit zu derartigen Forschungen für immer verloren gehen 
kann. Seit Jahren mit der Reindarstellung von chemischen Giften 
aus tierischen Substraten beschäftigt, glaubte ich aus den eben ent- 
wickelten Gründen mich an der Erforschung dieses so furchtbaren 
Giftes beteiligen zu sollen. 

Der Güte des Herrn Kreisphysikus Dr. Schmidtmann verdanke 
ich auf meine Bitte hin das Rohmaterial zu meinen Untersuchungen, 








Brieger, Ueber basische Produkte der Miesmuschel. 407 


und ich nehme an dieser Stelle Gelegenheit, dem verehrten Herrn 
Kollegen nochmals meinen besten Dank dafür auszusprechen. 

Wenn ich nunmehr hier vor einer Versammlung praktischer Aerzte 
etwas eingehender chemische Details berühre, so dürfte dies die Natur 
der Sache rechtfertigen. 

Die Isolierung der in den Miesmuscheln enthaltenen basischen 
Produkte wurde mir durch folgendes Verfahren ermöglicht. Die zer- 
quetschten Weichtiere wurden mit schwach salzsäurehaltigem Wasser 
aufgekocht — die Schalen wurden durch Kochen für sich ausgezogen — 
und da wegen der schleimigen Beschaffenheit der Lösung an schnelles 
Filtrieren nicht zu denken war, durch Dekantieren das Wasser von 
den festen Bestandteilen abgehebert. Die zur Syrupkonsistenz einge- 
dampfte Flüssigkeit wurde wiederholt mit Alkohol extrahiert. 

Nur ein Teil des Giftes geht in den Alkohol hinein. Es wurde 
deshalb der Rückstand, sowie der alkoholische Auszug gesondert ver- 
arbeitet. Der Rückstand wurde mit Soda neutralisiert, mit Salpeter- 
säure sehr stark angesäuert und mit Phosphormolybdänsäure frak- 
tioniert gefällt. Zunächst wurden Schleim und färbende Substanzen 
eliminiert und dann erst soviel Phosphormolybdänsäure hinzugefügt, 
dass alles damit sich Paarende niedergerissen wurde. Die Zerlegung 
der Phosphormolybdänsäureverbindung durch Baryumkarbonat gelang 
nicht, und als ich nun mittels Barytwasser in der Kälte die Zerlegung 
der Doppelverbindung unternahm, ging der größte Teil des Giftes 
verloren. Nur in saurer Lösung erwies sich das giftige Prinzip halt- 
bar. Hiermit stimmt sehr wohl die Beobachtung Salkowski’s 
überein, der konstatierte, dass die wässerige sauer reagierende giftige 
Lösung zur Trockne gedampft 7 Minuten lang auf 110° C. erhitzt 
werden konnte, ohne merklich an Effekt einzubüßen.. Ich zerlegte 
nun mit neutralem essigsaurem Blei die Phosphormolybdänsäuredoppel- 
verbindung. Durch leichtes Anwärmen wird die Zersetzung sehr be- 
schleunig. Vom Unlöslichen wird alsdann abfiltriert, das Filtrat 
durch Schwefelwassarstoff entbleit, und die wasserklare Lösung, mit 
wenig Salzsäure versetzt, eingedampft. Der Syrup wird wiederholt 
mit Alkohol erschöpft. 

Vom unlöslichen Rückstand wird abfiltriert und mit alkoholischer 
Platinchloridlösung gefällt. Der Platinchloridniederschlag wird in das 
Goldsalz verwandelt und das Filtrat nach Verjagen des Alkohols und 
Aufnehmen mit Wasser vom Platin durch Schwefelwasserstoff befreit. 

Der alkoholische Auszug wird mit alkoholischer Queeksilberchlorid- 
lösung versetzt, vom Queeksilberchloridniederschlage abfiltriert, der 
Alkohol verdunstet, das Quecksilber mittels Schwefelwasserstoff ent- 
fernt und mit Soda abgestumpft und nun in gleicher Weise wie oben 
vorgegangen. Auch das Quecksilberchloridfiltrat wurde nach Elimi- 
nierung des Quecksilbers durch Schwefelwasserstoff der oben ange- 
gebenen Prozedur unterworfen. 


408 Brieger, Ueber basische Produkte der Miesmuschel. 


Ich habe vorläufig nach diesem komplizierten Verfahren ge- 
arbeitet, weil sich zeigte, dass verschiedene Substanzen in den gif- 
tigen Miesmuscheln vorhanden sind, und bei der geringen Quantität 
Rohmaterial, welche mir bisher zur Verfügung stand, eine erfolgreiche 
Trennung dieser Körper nur durch successive Fällungen und sorg- 
fältige Umkrystallisationen zu erwarten stand. 

Diese Umstände, insbesondere die Ausarbeitung der Methodik, 
welche naturgemäß mit vielen Verlusten an Material verbunden war, 
lässt es begreiflich erscheinen, wenn ich Ihnen die Eigenschaften der 
von mir aus der giftigen Miesmuschel isolierten Körper in diesem 
Augenblicke nur in fragmentarischer Form vorführen kann. Nach 
Beschaffung größerer Mengen dieser Mollusken wird eine genauere 
Charakterisierung ihrer basischen Produkte von mir noch gegeben 
werden. Es glückte mir, mehrere giftige und ungiftige Basen aus 
diesen von mir verarbeiteten Organismen darzustellen. 

1) In dem wässerigen Rückstande sowohl als in dem alkoholischen 
Auszuge nach Beseitigung des Quecksilbers blieben nach wiederholter 
Extraktion durch absoluten Alkohol neben Würfeln von Kochsalz noch 
Nadeln zurück, die sich vielfach durch einander verfilzten. Dieselben 
stellten das Chlorhydrat einer organischen ungiftigen Base dar. 
Diese salzsaure Base ist luftbeständig, gibt mit Platinchlorid eine 
äußerst leicht lösliche Doppelverbindung und geht nur mit Goldchlorid, 
Phosphormolybdänsäure sowie mit Kaliumwismutjodid krystallinische 
Doppelverbindungen ein. Durch Jodjodkali und jodhaltige Jodwasser- 
säure entsteht aus ihrer Lösung eine amorphe Fällung. 


Die reine Base ist ölig, riecht ammoniakalisch. Die Analyse des 
in prachtvollen Blättehen, ähnlich Cholestearintafeln, anschießenden 
Golddoppelsalzes ergab folgende Werte: 


— 43,59 Prozent 

CGH=H,37 “ 
= 2,98 D) 

Nr. #4,31 5 


Die Kohlenwasserstoff- und Stickstoffbestimmungen, wohl mit 
nicht genügend gereinigter Substanz ausgeführt, lassen vorläufig die 
Aufstellung einer bestimmten Formel nicht zu, doch lassen die analy- 
tischen Zahlen schließen, dass diese Substanz in Beziehung steht zu 
der Cholinreihe. 

2) In dem Platinchloridniederschlage wird durch Schwefelwasser- 
stoff neben Salmiak noch eine salzsaure organische Base freigemacht, 
die in geringster Menge spezifische Giftwirkung äußert. Sie bewirkt, 
subkutan injiziert, profuse Speichelsekretion und abundante Diarrhöen 
bei Meerscheinchen und Kaninchen, die so erschöpfend werden können, 
dass die Tiere zu grunde gehen. Dieses Gift kommt nur in sehr geringer 
Menge vor, relativ am reichlichsten fand ich esin der zuerst in meine 











Brieger, Ueber basische Produkte der Miesmuschel. 409 


- Hände gelangten Sendung, welche, neben frischen lebenden Muscheln, 
noch alte abgestorbene Exemplare enthielt. Das Chlorhydrat krystalli- 
siert in Prismen und gibt mit Goldehlorid ein in gelben Krystalldrusen 
anschießendes Golddoppelsalz. Das Platinat ist nur aus Alkohol erhält- 
lich. Durch den größten Teil der übrigen Alkaloidreagentien wird 
das Chlorhydrat nur ölig oder amorph niedergeschlagen. 

3) Das spezifische Gift dieser Muscheln, über dessen kurare- 
ähnliche Wirkung bereits Schmidtmann, Virchow und Sal- 
kowski berichtet haben. Platinchlorid fällt das Gift nicht. Infolge 
dessen konnte dasselbe nur nach Eliminierung der beiden oben er- 
wähnten Basen aus den wässerigen und alkoholischen Auszügen dar- 
gestellt werden. Die Reindarstellung war äußerst schwierig und 
konnte nur durch Goldchlorid bewerkstelligt werden. Neben einer 
allmählich krystallinisch werdenden Doppelverbindung schied sich 
dabei stets noch ein rotes Oel aus, das hartnäckig die Krystalle 
umschloss. Erst durch wiederholtes Erwärmen mit Salzsäure, Fil- 
trieren ete. gelang es, das Oel zu entfernen und das krystallinische 
Aurat in für die Untersuchung geeigneter Form zu gewinnen. Das- 
selbe präsentiert sich mikroskopisch in Würfeln und hat die Zusammen- 
setzung C,H,,NO,AuC].. 


Gefunden berechnet für 

I 0 II IV V C,H,.N0,AuCl, 
015,88; 15,55 == — — 15,64 
H 3,38 3,30 -- — _— 3,98 
Nagy a Son — 2,96 
A er = ET SA TO 41,64. 


Der Schmelzpunkt dieses Golddoppelsalzes liegt bei 182° C. 

Das aus dem Goldsalz dargestellte salzsaure Salz krystallisiert 
in Tetraedern. Die üblichen Alkaloidreagentien bewirken in den 
Lösungen dieses Chlorhydrates, wenn überhaupt, nur ölige Präzipitate. 

Die durch Kali in Freiheit gesetzte Base riecht widerlich, verliert 
aber beim ruhigen Stehen an der Luft rasch diesen durchdringenden 
Geruch und ist dann ungiftig. Durch Destillieren mit Kali wird diese 
giftige Base zerstört, in der Vorlage befindet sieh nur ein aromatisch 
riechendes nicht giftiges Produkt. Ich nenne diese giftige Base, 
C,H,;NO,, bis zur Feststellung ihrer Konstitution, als der eine Träger 
des spezifischen Giftes der Muscheln, Mytilotoxin. 

4) Die durch Goldehlorid als Oel sich ausscheidende Doppel- 
verbindung wird im Exsikkator langsam fest, ohne aber je krystallinisch 
zu erstarren. Der Goldgehalt des nach Möglichkeit gereinigten erstarrten 
Oels beträgt 36,73 Prozent, bei 100° C. ist es geschmolzen. Ein anderes 
hellgelb gefärbtes Oel, welches nach einiger Zeit erstarrte, lieferte 
41,08 Prozent Gold. 

Die daraus dargestellte salzsaure Basis zeigt gleichfalls keine 


410 Brieger, Ueber basische Produkte der Miesmuschel. 





Neigung zur Krystallisation. Mit Platinchlorid gibt sie eine harzige 
Verbindung, ebenso eine mit Pikrinsäure, der freien Base haftet ein 
penetranter ekelerregender Geruch an. Das Chlorhydrat, Meerschwein- 
chen injiziert, ruft bei diesen Tieren eigentümliche, den Schüttelfrösten 
analoge Schauerregungen hervor. Die Tiere kauern sich auf den 
Boden, pressen den Leib und Kopf auf die Unterlage und bleiben 
wie festgebannt auf den einmal gewählten Standpunkt. Die Atmung 
wird frequenter, die Pupillen weit, einige zappelnde Bewegungen mit 
Vorder- und Hinterextremitäten, die Tiere fallen zur Seite, machen 
einige schnappende Atembewegungen und sind dann tot. 

5) Neben diesem Körper kommt noch ein rotes amorphes Gold- 
salz vor, das, wenn einmal ausgeschieden, schwer in Wasser löslich 
ist. Es enthält 31,71 Prozent Au. Möglicherweise sind diese Harze 
nur verunreinigte Produkte. 

6) In dem durch Phosphormolybdänsäure nicht fällbaren Anteil 
ist eine flüchtige, ungiftige, in ihrem abscheulichen Geruch an das 
Kakodyl erinnernde Base vorhanden, die ein in Nadeln krystallisieren- 
des Golddoppelsalz liefert, das auch in Bälde näher bestimmt wer- 
den wird. 

Mancherlei Umstände sprechen dafür, dass diese basischen Pro- 
dukte, selbst wenn man auf dem Standpunkt Selmi’s verharrt und 
nur die durch Fäulnisprozesse geschaffenen basischen Substanzen als 
Ptomaine bezeichnet, auch Ptomaine in diesem engern Sinne sind. 
Das Speichel erregende Gift schließt sich den muskarinähnlichen 
Ptomainen an, wie ich sie aus den verschiedensten fauligen Massen 
isolierte. Einer dem in Tetraedern krystallisierenden Chlorhydrat 
sehr ähnlichen Substanz glaube ich auch in den früher von mir ver- 
arbeiteten Fäulnisgemengen begegnet zu sein. Ferner hat Herr Dr. 
Schmidtmann bewiesen, dass nur durch die schädlichen Bedingungen 
der Oertlichkeit das Gift im Muschelorganismus sich bildet. Wie Herr 
Dr. Schmidtmann mich autorisierte mitzuteilen, fand er, dass ge- 
sunde Muscheln innerhalb 14 Tagen in dem Wasser des Kanals, der 
in den Hafen mündet, stark giftig werden, und dass dieselben, von 
dort in frisches Wasser übertragen, ihre Giftigkeit vollständig ver- 
loren. An der Stelle, wo der Kanal in den Hafen mündet, Vorhafen 
genannt, werden die dort eingesetzten Muscheln weniger giftig. Her- 
vorzuheben ist, dass Kaninchen, mit Muscheln von diesem Platze ver- 
giftet, unter anderem stark speichelten, eine Erscheinung, die auch 
die eine der von mir isolierten Basen in exquisiter Weise zeigte. 

Hoffentlich gestatten mir weitere Untersuchungen den Sachverhalt 
bald völlig klar zu legen. 








Goltz, Verstümmelung des Gehirns. 411 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 
58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg. 
IV. Sektion für Physiologie. 


Dritte Sitzung. Herr Goltz ergreift zur Einleitung seiner Demonstration 
das Wort: 


Meine Herren! ich werde Ihnen fünf Hunde vorstellen, von denen ein jeder 
eine ausgedehnte Verstümmelung des Gehirns erfahren hat. Keines dieser 
Tiere zeigt an iıgend einem Punkte seines Körpers eine Aufhebung der Em- 
pfindung, keines zeigt eine Lähmung eines Muskels. 

Dem ersten dieser Tiere ist die Rinde der linken Hirnhälfte in sehr großer 
Ausdehnung zerstört. Die sogenannte erregbare Zone fehlt ihm in einem 
solchen Umfange, dass er unbedingt mindestens einige der sogenannten moto- 
rischen Zentren oder Fühlsphären verloren hat. Gleichwohl hat er überall 
Empfindung. Ich fordere diejenigen Herren, welche Munk’s Angaben für 
richtig halten, auf, sich davon zu überzeugen, dass dieser Hund überall Em- 
pfindung hat und auf Druck der Pfoten mit Aeußerungen des Unwillens oder 
selbst Beißen antwortet. Seine Hinterpfoten hebt er beim Harnen wie ein 
gesunder Hund, und zwar bald die linke, bald die rechte. 

Der zweite Hund, den ich Ihnen vorstelle, hat eine ausgedehnte Zerstörung 
der beiden Hinterhauptslappen überstanden. Nach Munk müsste dieser Hund, 
wenn er eine vollständige Abtragung der Sehsphäre erlitten hätte, stockblind 
sein. Dass er dieses nicht ist, ist leicht zu beweisen, denn das Tier geht 
Hindernissen mit voller Sicherheit aus dem Wege. Wollte man annehmen, was 
ja zutreffen kann, dass das Tier Restehen von Sehsphäre behalten hat, so 
müsste er, wenn Munk recht hätte, sich verhalten wie ein Hund mit Netz- 
hautdefekt. Dies trifft aber durchaus nicht zu. Der Hund nimmt ein Stück 
Fleisch nicht wahr, in welchem Teile des Sehraumes sich dasselbe auch be- 
finden mag. Er beachtet ebenso wenig Bedrohungen mit der Faust oder der 
Peitsche. Es ist eben wahrnehmungsschwach geworden und geblieben, obwohl 
er in den Monaten, die seit der letzten Operation verstrichen sind, Erfahrungen 
genug hätte machen können. Er weiß auch die übrigen Sinneseindrücke nicht 
zu verstehen und zu verwerten. So macht er sich gar nichts aus dem heftig- 
sten bedrohlichen Zuruf, obwohl er die sogenannte Hörsphäre noch besitzt. 
Er verwertet auch die Tasteindrücke so schlecht, dass er sich nicht entschließen 
kann, aus einer niedrigen Umzäunung herauszusteigen, 

Das dritte Tier, welches ich Ihnen vorstelle, hat eine tiefe und große 
Zerstörung der linken Hälfte des Vorderhirns erfahren. Ich zeige Ihnen diesen 
Hund als Probe davon, wie bei den vorn operierten Tieren die Lebhaftigkeit 
der Bewegungen sich anormal steigern kann. Sie sehen, wie das Tier in den 
Armen des Dieners zappelt, der es kaum festzuhalten vermag. Losgelassen 
macht der Hund einen unermüdlichen Rundlauf durch den Raum und lässt sich 
durch keine begütigende Zurede in seinem Beginnen hemmen. 

Das vierte Tier, weiches ich Ihnen zeige, soll dazu dienen, darzuthun, dass 
die vollständige Durchtrennnng der Capsula interna keineswegs, wie allgemein 
angenommen worden ist, eine Lähmung der Muskeln der gekreuzten Körper- 
hälfte zur Folge hat. 

Bei dem Hunde, den Sie hier vor sich sehen, habe ich in frontaler Rich- 
tung eine breite Zerstörung der erregbaren Zone bis in eine solche Tiefe vor- 


412 Goltz, Verstümmelung des Gehirns. 


genommen, dass nach Durchdringung des linken Seitenventrikels die Hirnmasse 
bis auf wenige Millimeter von der Basis durchschnitten ist. Das Tier hat 
keinerlei Lähmung und auch nirgend eine Aufhebung der Empfindung. Die 
einzige in die Augen fallende Störung, die der Hund zeigt, sind Reitbahn- 
bewegungen nach links herum. Sie überzeugen sich aber nunmehr, dass dieser 
Hund trotz der scheinbaren Zwangsbewegungen im stande ist, einen Futter- 
napf, den ich ihm darbiete, zu erreichen. Sie sehen auch, dass er selbst 
größere Strecken gradlinig durchschreitet, wenn ich ihm mit dem Futternapf 
vorangehe. Endlich können Sie auch beobachten, dass er den Kopf unter 
Krümmung der Wirbelsäule nach rechts wendet, sobald ich ihm das dargebotene 
Fleischstück nach rechts vorüberführe. 

Endlich zeige ich Ihnen noch ein Tier mit großer und tiefer Zerstörung 
der sogenannten motorischen Zone beider Hirnhälften. Sie sehen, dass die 
Bewegungen desselben äußerst plump sind. Er kann aber gehen. Kein Muskel 
seines Körpers ist gelähmt. Kein Punkt seiner Haut ist ohne Empfindung. 
Dieser Hund ist aber außer stande, von selbst zu fressen. Man muss ihm die 
Bissen unmittelbar vor das Maul halten, wenn er sie verzehren soll. Er zeigt 
ferner eine ausgeprägte Sehstörung, obwohl seine Sehsphären sicher wenigstens 
zum Teil erhalten sind. 

Es folgt die Vorstellung der Hunde. 


Vierte Sitzung. Herr Goltz: Meine Herren! ich lege Ihnen hier vier Ge- 
hirne vor, die von vier der heute früh vorgestellten Hunde herrühren. Das 
Hauptgewicht lege ich auf den Befund, welchen das Gehirn des heute zuerst 
vorgestellten Hundes darbietet. Der linken Hälfte dieses Hirnes fehlt der 
Stirnlappen vollständig. Die sogenannte erregbare Zone der Rinde ist gleich- 
falls bis zu großer Tiefe vernichtet. Ich fordere Sie auf, mir irgend ein er- 
haltenes Zentrum zu zeigen. Auch die Sehsphäre ist linkerseits bis auf einen 
kleinen Rand des Hinterhauptslappens zerstört. Mehrere von den Herren haben 
sich heute noch vor dem Tode des Tieres überzeugt, dass der Hund nach 
Druck auf die rechte Vorder- oder Hinterpfote lebhafte Schmerzensäußerungen 
machte. Dieselben Herren überzeugten sich ferner, dass dieser Hund auch 
noch das besaß, was Hitzig Muskelbewusstsein der Pfoten nennt. Dass er 
keine Spur von Lähmung hatte, haben Sie alle gesehen. Gleichwohl fehlten 
ihm linkerseits die Zentren für die Gliedmaßen wie alle übrigen sogenannten 
Fühlsphären. 

Das Gehirn des zweiten heute vorgestellten Hundes zeigt rechts wie links 
vollständige Zerstörung der Sehsphäre. Links ist außerdem die sogenannte 
Fühlsphäre des Auges vernichtet. Das Tier hätte nach Munk stockblind sein 
müssen, was es nicht war. 

Das dritte Gehirn rührt von dem zuletzt vorgestellten Hunde her, der sich 
besonders dadurch auszeichnete, dass er ganz außer stande war, selbständig 
Nahrung aufzunehmen, obwohl er keinerlei Lähmung noch eine Aufhebung der 
Empfindung hatte. Die Ausdehnung der Verletzung bei diesem Tier ist viel 
größer, als ich erwartet hatte. Unversehrt ist beiderseits nur der Stirn- 
lappen. Die sogenannte motorische Zone ist beiderseits vollständig vernichtet, 
und das Zerstörungsgebiet greift hinten weit in die Sehsphäre hinein, von der 
nur rechts eine Randzone besteht. 

Was das Gehirn des Hundes anbelangt, dem ich einen tiefen frontalen 
Schnitt durch die linke Hirnhälfte gemacht hatte, so wird von einigen Herren 











Head, Entstehung der Apnoe, 413 


bezweifelt, dass bei diesem Tier wirklich eine vollständige Durchtrennung der 
Capsula interna besteht. Ich brauche auf diesen Fall indess kein Gewicht zu 
legen, da das zuerst besprochene Gehirn zum Beweise genügt, dass die Endigung 
der gesamten Ausstrahlung der Capsula interna vernichtet sein kann, ohne 
irgend welche Lähmung zu erzeugen. 


Vortrag des Herın Henry Head (Cambridge) über die Entstehung 
der Apnoe, Um die Folgen einer Vergrößerung oder Verkleinerung der 
Lungen zu untersuchen, sind die bisherigen zu der Registration der Atem- 
bewegungen benutzten Methoden unbrauchbar. Die von mir zu diesem Zweck 
gebrauchte Methode besteht wesentlich in der Uebertragung der Bewegungen 
der von dem Knochen des Schwertfortsatzes frei präparierten Zwerchfell- 
schenkel auf einen passenden an der berußten Fläche einer Kymographion- 
trommel schreibenden Hebel. 

Die durch eine kurzdauernde Aufblasung hervorgerufene Hemmung wirkt 
nicht allein während der Aufblasung, sondern dauert einige Sekunden, nach- 
dem die Lungen ihre normale Größe wieder erreicht haben. Diese Nachwirkung 
zeigt sich in der Verkleinerung der einer kurzdauernden Aufblasung folgenden 
Inspirationen. 

Eine Verkleinerung der Lungen ruft eine starke Inspiration hervor, die, 
wenn die Aussaugung nur kurze Zeit dauert, nicht gleich am Schluss der Aus- 
saugung, sondern allmählich zu Ende kommt. Während dieser Zeit nehmen 
die Inspirationen ihren Ursprung von einer erhöhten Grundlinie, und selbst 
während der Pausen zwischen den rhythmischen Bewegungen (Inspiration) bleiben 
die Muskeln in einem Zustand tonischer Zusammenziehung. Diesem Tonus ent- 
spricht die Nachwirkung des inspiratorisch wirkenden Aussaugungsreizes. 

Wiederholt man solche kurzdauernde Aufblasungen periodisch, so summiert 
sich diese Nachwirkung, wodurch alle rhythmischen Bewegungen der Muskeln 
endlich zum Verschwinden gebracht sind und eine Apnoe im Ruhezustand 
des Zwerchfells zu stande kommt. Aehnlicherweise durch periodische Aus- 
saugungen verschwinden allmählich die Exspirationen, bis die Muskeln in einem 
Zustand stetiger Kontraktion zu Ruhe kommen. 

Hört man zu ventilieren auf, so sieht man im ersten Fall eine 5—10 Se- 
kunden dauernde Hemmungspause, während im letzten Fall die Apnoe sich als 
eine stetige allmählich verschwindende Kontraktion der Muskeln zeigt. 

Dass diese Erscheinungen nicht hauptsächlich durch Verbesserung der 
Lungenluft bedingt sind, geht aus der Thatsache hervor, dass sie im wesent: 
lichen dieselben sind, wenn die Ventilation mit Wasserstoff 
(anstatt Luft) ausgeführt ist. Das Erscheinen der reinen Nachwirkung wird 
durch die, von dem Sauerstoffmangel hervorgerufene Dyspnoe erschwert, im 
Gegenteil durch die Anwendung von Sauerstoff (anstatt Luft) erleichtert. 

Während beider Apnoepausen ist eine Aufblasung beziehungsweise Aus- 
saugung im höchsten Grad wirksam. Es ist auch möglich, durch elektrische 
Reizung während der inspiratorischen Apnoepause eine Exspiration hervor- 
zurufen, oder während der Hemmungsapnoe die Muskeln in Kontraktion zu 
bringen. 

Trennt man die Vagi während einer solchen Apnoe durch, so ist man im 
stande diese Nachwirkung in ihrer reinsten Form zu beobachten, indem man 
durch Trennung der Vagi den Einfluss des durch die Stellung der Lungen her- 
vorgerufenen Reizes entfernt hat. 


414 Hermann, Menschliche Doppelmissbildung. 


Nach Trennung der Vagi ist es auch möglich eine Apnoe hervorzurufen, 
die ganz dieselbe Form annimmt, wenn man sie durch die eine oder andere 
Ventilation erzeugt. Diese Apnoe spielt nur eine unbedeutende Rolle in dem 
Zustandekommen der Apnoe vor der Vagustrennung. 


1) Ehe die rhythmischen Muskelbewegungen verschwinden, muss man 2—5 mal 
so lang ventilieren, als vor der Trennung der Vagi nötig war, um eine 
Apnoe zu erzeugen. 


2 


— 


Wo dies nicht der Fall ist, unterscheiden sich jedoch die beiden Arten 
von Apnoe vor der Vagustrennung wesentlich von der nach der Trennung 
zu stande kommenden Apnoe. 


3 


SZ 


Vor der Vagustrennung ist es möglich, durch Ventilation mit Wasserstoff 
die rhythmischen Muskelbewegungen zum Verschwinden zu bringen, was 
nach der Durchschneidung der Vagi unmöglich wird; während einer solchen 
Apnoe ist das Zentrum ebenfalls erregbar. Eine Reizung der Nasen- 
schleimhaut mit Chloroform oder die Anwendung von elektrischen Strömen 
von verschiedenen Intensitäten sind eben so wirksame Reize wie ge- 
wöhnlich. 


Physikalisch -medizinische Sozietät zu Erlangen. 
Sitzung vom 19. Juli 1386. 


Dr. F. Hermann sprach über eine menschliche Doppelmissbildung: 
Der Liebenswürdigkeit zweier Nürnberger Aerzte, der Herren Dr. Ohlmüller 
und Dr. Buchner, verdanke ich die Gelegenheit, für das hiesige anatomische 
Institut eine Doppelmissbildung erwerben zu können, die ich bei ihrer Selten- 
heit nicht unerwähnt lassen möchte. 

Es handelt sich dabei um eine Duplieitas anterior unter der Form des 
Ischiopagus tetrapus. Das Wesen dieser Missbildung besteht bekannt- 
lich darin, dass die beiden Becken zu einem gemeinsamen Ring verschmolzen 
sind, und das Zustandekommen dieser Bildung lässt sich am besten so versinn- 
bildlichen, dass man die Becken zweier getrennter Früchte an ihrer Symphyse 
öffnet, die vordern Beckenteile auseinander zieht, in diesem Zustande die beiden 
Becken aneinander stößt und so verwachsen lässt, dass das linke Schambein 
des Individuums A mit dem rechten des Individiums B verbunden ist, und um- 
gekehrt. Auf diese Weise kommt es zur Bildung eines gemeinschaftlichen 
Beckenringes, an dem eine ventrale und eine dorsale Symphyse sich unter- 
scheiden lassen, während die beiden Sakralteile nach links und rechts gewendet 
sind. Die daraus resultierende gemeinsame Beckenhöhle steht mit einer in 
ihrem untern Teile gemeinschaftlichen Bauchhöhle in Verbindung, von deren 
ventraler Fläche der Nabelstrang ausgeht; nach oben zu haben sich beide 
Individuen vollkommen selbständig entwickelt, und ihre Längsaxen sind so 
gerichtet, dass sie entweder einen stumpfen Winkel bilden oder in ausgebil- 
deten Formen in einer graden Linie liegen. Auch in dem vorliegenden Falle 
handelt es sich um die erwähnte Ringbildung des Beckens; dagegen findet sich 
zum Unterschied von dem gewöhnlichen Ischiopagus auch eine Verbindung der 
beiden Brustkörbe miteinander. Das Substrat derselben ist in einer teils 
knorpligen, teils fibrösen sattelförmigen Verbindungsbrücke gegeben, welche 
die beiden Processus xiphoidei untereinander vereinigt. 











59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 415 


Diese Art der Doppelmissbildung scheint, soweit mir die einschlägige 
Literatur bekannt ist, noch nicht beobachtet zu sein, und ich möchte für die 
Form den Namen Ischioxiphopagus tetrapus vorschlagen. 

Bei der äußern Betrachtung ist es vor allem die Analgegend, welche die 
Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Man findet nämlich 2 Hodensäcke, deren 
jeder aus 2 noch deutlich abgrenzbaren Hälften besteht, und zwischen den 
beiden Serota liegt ein einziger, wohlausgebildeter Penis. Derselbe ist mit 
einem Orificium eutaneum versehen, eine eingeführte Sonde gelangt auch in 
eine ziemlich weite Harnröhre, die jedoch schon nach ganz kurzem Verlaufe, 
schon nach 5 mm, blind endigt. An der Unterseite des Penis, nahe seiner 
Wurzel, zeigt sich, versteckt unter einer Hautfalte, eine ziemlich enge Oeff- 
nung, der gemeinschaftliche Anus. 

Die anatomische Betrachtung der Brusteingeweide ergibt vollkommen nor- 
male Verhältnisse. Entsprechend dem Umstande, dass bei der uns vorliegenden 
Missbildung nicht nur die beiden Becken zu einem Ringe vereinigt sind, son- 
dern auch die beiden Proc. xiphoidei miteinander in Verbindung stehen, haben 
wir eine vollkommen einheitliche Bauchhöhle vor uns. Dieselbe enthält, im 
allgemeinen in normaler Lage, getrennt angelegte Unterleibsorgane, und es 
sind namentlich Magen, Milz, Nieren und Dünndarm, an denen sich absolut 
nichts Abnormes nachweisen lässt. Auch die Leber ist doppelt vorhanden, 
es geht aber von dem linken Lappen der einen Seite, teilweise von dessen 
Spitze überlagert, eine aus Lebersubstanz bestehende, etwa 2 cm breite, 4 cm 
lange und 0,5 em in der Dicke haltende Verbindungsbrücke zu dem rechten Leber- 
lappen des andern Individiums hinüber. Zu den beiden Lebern führt von dem 
gemeinsamen Nabel aus je eine Vena umbilicalis. 

Was den Dünndarm betrifft, so ist derselbe, wie gesagt, normal gelagert; 
die unterste Schlinge beider Dünndarmpackete streben nach der Medianlinie 
der Missbildung zu, um sich hier zu vereinigen unter Bildung eines 1 cm langen 
Divertikels, das sich wohl unschwer als der Rest des Ductus omphalo - mesen- 
tericus deuten lässt, zu einer gemeinsamen untern Ileumschlinge, welche in den 
Cökalteil des gemeinschaftlichen Enddarmes einmündet. Letzterer verläuft, durch 
eine Peritonealduplikatur an die dorsale Bauchwand angeheftet, in vielfachen 
Windungen in der Medianlinie nach abwärts, um an der beschriebenen Stelle 
an der Wurzel des Penis auszumünden. 

Gehen wir zur Betrachtung des Urogenitalsystems, so zeigt sich, dass zwei 
Harnblasen vorhanden sind, die aber durch eine schlitzförmige Oeffnung mit- 
einander in Kommunikation treten. In dieselben münden die 4 normal ver- 
laufenden Ureteren ein, so zwar, dass der linke Ureter von Individuum A 
zusammen mit dem rechten Ureter von B sich in die ventral gelegene, der 
rechte von A mit dem linken von B in die dorsal gelegene Blase einsenkt. 
Aus den beiden Harnblasen entwickeln sich paarig vorhandene Harnröhren, 
welche getrennt in das Reetum einmünden, wohin auch die Vasa deferentia 
führen; so kommt es zu einer Kloakenbildung, ein Verhältnis, dass sich bei 
den meisten Fällen von Ischiopagus vorfindet. 


59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 


Die Versammlung findet zu Berlin statt in den Tagen vom 18. bis 24. Sep- 
tember. Die 3 allgemeinen Sitzungen werden am 18., 22. und 24. Sep- 
tember im Zirkus Renz von vormittags 11 Uhr an stattfinden, Außerdem sind 


416 59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 


30 Sektionen für einzelne Fächer gebildet worden. Gleichzeitig mit 
der Versammlung findet eine Ausstellung wissenschaftlicher Apparate, 
Instrumente und Unterrichtsgegenstände statt, für welche die Akademie der 
Wissenschaften und die Akademie der Künste Räume in dem Akademie-Gebäude, 
Unter den Linden 38, zur Verfügung gestellt haben. Diese Ausstellung wird 
täglich von 8 bis 11 Uhr vormittags unentgeltlich für die Mitglieder und Teil- 
nehmer der Versammlung, in andern Stunden gegen Eintrittsgeld geöffnet sein. 
Für die ganze Dauer der Versammlung steht der Wintergarten des Zentral- 
hotels zu geselligen Zusammenkünften zur Verfügung. 

Das Büreau der Geschäftsführer (Rud. Virchow und A. W. Hof- 
mann) ist Berlin SW. Leipzigerstraße 75 eingerichtet Dorthin siud alle 
Korrespondenzen geschäftlicher Art zu richten. Vom 1. bis 12. September 
werden daselbst auch gegen Einsendung oder Einzahlung der Beiträge Mit- 
gliedskarten ausgegeben. 

Das Wohnungs- und Auskunfts-Büreau wird am 1. September im 
Zentralhotel (Eingang von der Dorotheenstraße) eröffnet und bleibt bis zum 
18. September bestehen. Vom 13. September ab werden daselbst auch Mit- 
gliedskarten ausgegeben. Diejenigen Herren, welche auf dem Zentralbahnhof 
(Friedrichstraße) ankommen, finden im Zentralhotel (Eingang Georgenstraße 25/27) 
Empfangsräume geöffnet und können von da aus ohne Zeitverlust die Ge- 
schäfte auf dem Auskunftsbüreau erledigen. Ein zweites Auskunfts- 
büreau wird am Nachmittag des 18. September in der Kgl. Universität er- 
öffnet werden. 

Jedes Mitglied und jeder Teilnehmer erhält eine Karte nebst Er- 
kennungszeichen (Schleife), für welche 15 Mark zu entrichten ist. 
Karten für angehörige Damen kosten 10 Mark. 

Als Mitglied wird jeder Schriftsteller im naturwissenschaftlichen 
und ärztlichen Fache betrachtet; wer aber nur eine Inaugural-Disser- 
tation verfasst hat, kann nicht als Schriftsteller angesehen werden. Teil- 
nehmer können alle sein, die sich wissenschaftlich mit Naturkunde und Medizin 
beschäftigen. Stimmrecht haben nur Mitglieder. 

Wohnungsbestellungen wolle man mit mindestens dreitägiger 
Vorausbestellung richten an das Wohnungs- Kowitee im Zentralhotel. 

Das allgemeine Festessen findet am 18. September nachmittags 5 Uhr 
statt (Preis 5 Mk. ausschließlich Wein). Frühzeitige Anmeldung, jedenfalls 
bis 12. September, wird dringend erbeten, und zwar an das Anmeldungsbüreau 
im Zentralhotel (Dorotheenstraße 18/21). 





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v1. Band. 15. September 1886. Nr. 14. 

















Inhalt: Wiesner, Untersuchungen über die Organisation der vegetabilischen Zell- 
haut. — Sehröder, Die Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen. — Dogiel, 
Ueber den Bau des Geruchsorgans bei Fischen und Amphibien. — Omer Van 
Der Strieht, Untersuchungen über den Hyalinknorpel. — Oerley, Die 
Rhabditiden und ihre medizinische Bedeutung, — Bunge, Der Vegetarianis- 
mus. — Gruber, Körösi’s „relative Intensität der Todesursachen‘“ und der 
Einfluss der Wohlhabenheit und der Kellerwohnungen auf die Sterblichkeit. 





Julius Wiesner, Untersuchungen über die Organisation der 
vegetabilischen Zellhaut. 


Sitzungsber. d. kaiserl. Akad. d. Wissensch., XCIII. Bd., I. Abt., Januar-Heft, 
Jahrg. 1886, 8°, 64 S. Mit 5 Holzschnitten. 


Bisher suchte man, wie der Verfasser in der Einleitung zu dieser 
ebenso interessanten wie wichtigen Arbeit des nähern ausführt, in 
der Botanik das Wesen der Organisation in einer bestimmten Molekular- 
struktur. Dies that vor allem Nägeli in seiner mit bewunderns- 
wertem Scharfsinn und blendender Logik entwickelten Micellarhypothese. 
Pfeffer, dieser durchaus beipflichtend, erklärte sogar die Organi- 
sation für etwas vom lebenden Organismus Unabhängiges, nur durch 
gewisse physikalische Eigenschaften (Quellbarkeit) Bedingtes. Auch 
Strasburger, sonst aufgrund seiner eingehenden Forschungen über 
Bau und Wachstum der Zellhäute von den Anschauungen Nägeli’s 
weit abweichend, will die Eigentümlichkeit organisierter Gebilde auf 
ihren molekularen Bau zurückgeführt wissen. Wiesner dagegen fasst 
die Organisation als etwas vom molekularen Bau ganz Verschiedenes 
auf, als eine Struktur, welche eben nur den Lebewesen eigentümlich 
ist. Sie kann nur durch strenge und möglichst vielseitige Beobach- 
tung erkannt, niemals aber auf vorwiegend theoretischem Wege er- 
schlossen werden. Wiesner teilt somit die Ideen Brücke’s, welche 
der berühmte Physiologe in seinen „Elementarorganismen“ klar aus- 
gesprochen hat, und die in der heutigen zoologischen Forschung 

VE 27 


418 Wiesner, Organisation der vegetabilischen Zellhaut. 


mächtig nachwirken, während die Theorien Nägeli’s hier niemals 
Anklang fanden. Aber auch in der Botanik ist die Zeit ihrer unbe- 
dingten Geltung und Herrschaft wohl dauernd vorbei, denn sie ge- 
raten mit unzweifelhaften Thatsachen immer mehr und mehr in 
Widerspruch, was der Verfasser in der Einleitung sehr übersichtlich 
darstellt. Indem Wiesner den zur Lösung der gestellten Aufgabe 
allein tauglichen experimentellen Weg mit gewohnter Umsicht betrat, 
gelangte er zu Thatsachen, welche ihn in den Stand setzten, bei gleich- 
zeitiger Berücksichtigung des von Strasburger über den Bau und 
das Wachstum der Zellhäute erforschten, sowie der Entdeckung Tangl’s 
von dem Zusammenhang der Protoplasmakörper benachbarter Zellen, 
„eine naturgemäße Vorstellung von der Organisation der Zellwand 
entwickeln zu können“. 

Der Verfasser legte seinen Untersuchungen ein Verfahren zu 
srunde, welches in der Praxis als „Karbonisierung“ bezeichnet wird, 
und die Entfernung vegetabilischer Verunreinigungen aus Tierwolle 
und Geweben aus solcher bezweckt. Die zu reinigende Substanz wird 
mit etwa zweiprozentiger Salz- oder Schwefelsäure behandelt, und 
dann auf 60—70° C. bis zur völligen Eintrockung erhitzt. Hierbei 
bleibt die Tierfaser anscheinend unverändert, alle vegetabilischen Bei- 
mengungen werden aber vollständig mürbe, sie „zerstäuben“ und 
lassen sich leicht (durch Waschen mit Wasser u. s. w.) beseitigen. 
Das ungleiche Verhalten der tierischen und pflanzlichen Faser bei 
dieser Behandlungsweise war von dem Verfasser schon früher studiert 
worden!). Diesmal nun schenkte er den Veränderungen der vegeta- 
bilischen Gewebe erhöhte Aufmerksamkeit. Er benützte zur „Zer- 
stäubung“ einprozentige Salzsäure, welche durch 24 Stunden einwirkte, 
und trocknete das so vorbereitete Gewebe dann bei Temperaturen 
von 50—65° C. Auf solchem Wege ließen sich verholztes und nicht 
verholtztes Parenchym (Hollundermark z. B.), Bastzellen (Jutefaser, 
Leinen- und Hanffaser), Holzgewebe, Meristeme, leicht zerstäuben. 
Dagegen bedurfte es bei dem diekwandigen Endosperm von Phytelephas 
monatelanger Einwirkung der Salzsäure, ehe durch nachfolgende Trock- 
nung bei 50—60°C. die Zerstäubung möglich wurde, und Pilzgewebe 
sowie Korkhäute ließen sich auf solchem Wege überhaupt nicht zum 
Zerfall bringen. Bei den leicht zerstäubbaren Geweben war übrigens 
das Mürbwerden auch ohne Anwendung erhöhter Temperatur zu er- 
zielen, wenn man die Salzsäure 2—3 Tage einwirken und die Masse 
dann an der Luft abtrocknen ließ. 

Die Zerstäubung besteht nun darin, dass die auf die angegebene 
Weise behandelten Gewebe schon durch leisen Druck in kleine staub- 
feine Bruchstücke zerfallen. Bei den untersuchten Bastfasern stehen 
die ebenen oder staffelförmigen Bruchflächen zur Zellaxe senkrecht. 





4) Siehe Dingler’s polytechn. Journ, Jahrg. 1876, S. 454 ff. 





Taf 











Wiesner, Organisation der vegetabilischen Zellhaut. 419 


Holzfasern (Tracheiden) brechen häufig auch schief, und immer ist 
letzteres bei den Fasern der Baumwolle der Fall, deren Bruchflächen 
oft unter 45° gegen die Zellaxe geneigt sind. Die charakteristischen 
Reaktionen auf verholzte und unverholzte Zellwände kommen zwar 
an den „zerstäubten“ Elementen noch zu stande, doch haben die 
Membranen nichtsdestoweniger chemische Veränderungen erlitten, die 
nach den vorliegenden Untersuchungen durch ein teilweises Löslich- 
werden ihrer Substanz in Wasser und durch das Auftreten reduzieren- 
den Zuckers im Extrakte angezeigt werden. 

Behandelt man nun zerstäubtes Gewebe mit gewöhnlicher Salz- 
säure oder mit konzentrierter Kalilauge, oder abwechselnd mit beiden 
Reagentien, so bewirkt ein sodann auf das Präparat ausgeübter Druck 
den Zerfall der Wand in kleine Fasern (Fibrillen), und schließ- 
lich in winzige Körnchen, die einer homogenen Schleimmasse einge- 
bettet sind. Körnchen und Schleim färben sich mit Chlorzinkjod 
violett, letzterer jedoch weit lebhafter als jene. Auf dem angedeuteten, 
in der ÖOriginalabhandlung für einzelne Fälle genauer präzisierten 
Wege gelang es dem Verfasser, alle bis jetzt untersuchten Zellmem- 
branen (Baumwolle, Leinen- und Jutefaser, Hollundermark, Holzgewebe) 
mit alleiniger Ausnahme jener der Pilze in solehe Körnchen (und der 
Masse nach zurücktretenden Schleim) zu zerlegen. Er betrachtet diese 
mikroskopisch eben noch wahrnehmbaren Körnchen, die sich durch 
Druckwirkung nicht mehr verkleinern lassen, als organisierte Körper- 
chen, welche an dem Aufbau der Zellwand wesentlichen Anteil nehmen, 
und nennt sie Dermatosomen. Dieselben sind vermutlich schon 
oft gesehen, häufig wohl auch für Mikrokokken und Bakterien ge- 
halten worden, von welchen sie optisch nicht zu unterscheiden sind. 
Dieser Umstand dürfte die neuerdings wieder aufgetauchte Behaup- 
tung, Gewebezellen höherer Organismen könnten bei ihrem Zerfall 
Spaltpilze liefern, hinreichend erklären. 

Die geschilderte Zerstäubungsmethode ist nach dem Verfasser 
darum besonders lehrreich, weil dureh dieselbe die verschiedenen 
zwischen den Dermatosomen bestehenden Bindungen allmählich gelöst 
werden. Die Schlusswirkung, der Zerfall in Dermatosomen, kann 
aber auch auf kürzerem Wege erreicht werden, nämlich durch Behand- 
lung mit Chromsäure, oder noch besser durch wochenlanges Einlegen 
in Chlorwasser. Letzteres Mittel ist für sich allein im stande, obige 
Zerlegung herbeizuführen; doch wird der Vorgang erheblich abgekürzt, 
wenn man der anfänglichen Einwirkung des Chlorwassers Behandlung 
mit Kalilauge folgen lässt (worüber das Original nähere Anweisung 
gibt) und schließlich Druck anwendet. Durch dieses Verfahren lassen 
sich auch die nicht zu „zerstäubenden“ Wände von Korkzellen in 
Dermatosomen auflösen; dagegen kann solehes bei Pilzzellenwänden 
nicht erreicht werden, vielmehr verwandeln sich die letztern bei der- 


artiger Behandlung in einen anscheinend homogenen Schleim. Viel- 
DE 


420 Wiesner, Organisation der vegetabilischen Zellhaut. 


leicht sind hier die Dermatosomen so klein, dass sie sich der Wahr- 
nehmung entziehen. 

In dem vorstehend besprochenen ersten Abschnitt seiner Abhand- 
lung zeigt also der Verfasser die Zusammensetzung der vegetabilischen 
Zellhaut aus mikroskopisch nachweislichen Elementarkörperchen (Der- 
matosomen). Der folgende Abschnitt handelt von der „Außenhaut 
(Mittellamelle) und Innenhaut der Zellwand“. Aus der Thatsache, 
dass beim Kochen von Kartoffelstücken die einzelnen Zellen sich von 
einander lösen, während diese Trennung unterbleibt, wenn dünne 
Kartoffelschnitte, welehe keine ganzen Zellen mehr enthalten, gekocht 
werden, folgert der Verfasser, dass im ersten Falle das Auseinander- 
treten der unverletzten Zellen nicht durch Lösung, sondern durch Spal- 
tung der gemeinschaftlichen Außenhäute (Mittellamellen) bedingt sei; 
die letztern müssen demnach aus zwei Schichten bestehen, von denen 
je eine einer besondern Zelle angehört. Die bisher geltende Annahme, 
dass die jugendlichen Zellwände homogen seien und die Bildungen 
einer Grenzschicht zwischen benachbarten Zellen erst später eintrete, 
entspricht nicht den Thatsachen, denn es gelang dem Verfasser, in 
Vegetationsspitzen von Keimpflanzen (Mais z. B.), oder Laubsprossen 
(Kartoffel) die Zellen durch konzentrierte Salzsäure nach wenigen 
Minuten zu isolieren, während die Zellen des Dauergewebes bei solcher 
Behandlung erst nach viel längerer Zeit aus dem Verbande traten. 
Der Verfasser erblickt hierin den Beweis für die schon im Meristem- 
zustande der betreffenden Gewebe vorhandene Zusammensetzung der 
Mittellamelle aus zwei Schichten. — Als „Innenhaut“ bezeichnet der 
Verfasser bekanntlich die homogen erscheinende innerste Zellwand- 
schichte, deren Vorhandensein und Isolierbarkeit er schon in seiner 
„technischen Mikroskopie“ (S. 53, 108, 110) dargelegt hat, desgleichen 
in seiner Schrift über die „Zerstörung der Hölzer an der Atmosphäre“ 
(S. 16, 17) die Imprägnierung dieser Innenhaut mit Eiweißkörpern. 
Außer Schwefelsäure oder Chromsäure kann nach Wiesner’s neuern 
Untersuchungen auch Chlorwasser zur Freilegung der Innenhaut dienen. 
Dass die letztere der eingetrocknete Primordialschlauch der betreffen- 
den Zellen sei, was Russow behauptet, bestreitet der Verfasser auf 
grund der Thatsache, dass durch Chlorwasser isolierte Innenhäute von 
Markstrahlzellen oder Bastfasern nach 12-48 stündigem Liegen in 
Chlorzinkjodlösung deutlich violett werden. Die Innenhaut „bildet eben 
eine Zellwandschichte, in welcher Protoplasma am reichlichsten vor- 
kommt und am längsten sich erhält, so dass die Innenhaut einer aus- 
gebildeten Zelle dem Chlorzinkjod gegenüber kaum anders als eine 
Meristemzellwand sich verhält... . .“ 

Der dritte Abschnitt der Schrift ist der chemischen Beschaffenheit 
der Zellhaut und dem Vorkommen von Protoplasma in derselben ge- 
widmet. Der Verfasser begründet hier seine Ansicht, dass die 
lebende Zellwand stets Eiweißkörper führt. Für junge 











Wiesner, Organisation der vegetabilischen Zellhaut. 421 


Zellen folgert er dies aus dem Verhalten der Zellen des Scheitel- 
meristems, des Phellogens und des Cambiums, deren Wände erst nach 
Behandlung mit Kalilauge oder Peptonisierung und längerem Liegen 
in Chlorzinkjod Cellulosereaktion erkennen lassen. Der direkte Nach- 
weis von Eiweiß in diesen zarten Membranen stößt freilich auf Schwierig- 
keiten. Auch die Thatsache, dass die Membranen der Pilzzellen erst 
nach längerer Behandlung mit alkalischen Flüssigkeiten oder mit Chlor- 
wasser Cellulosereaktionen geben, beruht wahrscheinlich auf der Gegen- 
wart von Eiweiß in denselben. In diekwandigen Pilzhyphen von 
Flechten sowie in den Membranen zahlreicher Meristeme und Dauer- 
sewebe gelang auch der direkte Nachweis von Eiweißkörpern durch 
das Millon’sche und Raspail’sche Reagens, sowie durch die Biuret- 
und Xanthoproteinsäure-Reaktion. Ueber die betreffenden in Wiesner’s 
Laboratorium ausgeführten Arbeiten wird demnächst Ausführlicheres 
veröffentlicht werden. Von dem Eiweißgehalt der „Innenhaut“ war 
schon oben die Rede. Der Verfasser versucht ferner durch eine Rech- 
nung zu zeigen, dass in den sehr diekwandigen Hyphen mancher Pilze 
(Polyporus fomentarius z. B.) die Hauptmasse des Protoplasmas der 
Membran angehöre. —- Durch die Annahme der Gegenwart von Proto- 
plasma in der lebenden Zellwand sieht der Verfasser das Verständnis 
der in der Zellwand statthabenden chemischen Vorgänge weit mehr 
gefördert, als durch die bisherige Lehre, derzufolge alle sogenannten 
Umwandlungsprodukte der Zellwand aus Cellulose sich ableiten sollen. 
Damit würde z. B. die sonst schwer erklärbare Entstehung aromati- 
scher Verbindungen (Coniferin, Vanillin) in der Membran von Holz- 
zellen begreiflich. 

Der vierte Abschnitt bespricht die Organisation der Zellwand 
und bringt vorwiegend theoretische Auseinandersetzungen. Indem der 
Verfasser hier betont, dass wir noch nicht einmal über den moleku- 
laren Bau wasserfreier Krystalle hinreichend im klaren sind, erscheint 
ihm das Suchen nach der gewiss viel kompliziertern Molekular- 
struktur der Organismen als ein „derzeit hoffnungsloses Beginnen“, 
umsomehr, als die neuern Untersuchungen die Beteiligung zahlreicher 
Stoffe an dem Aufbau der Stärkekörner, der Myxomyceten-Plasmodien, 
der Chlorophylikörner ..... dargethan haben. Der Verfasser hält es 
nun für das Wahrscheinlichste, dass sich diese Körper zu sehr kleinen 
individualisierten Gebilden von derzeit nicht zu ermittelndem moleku- 
larem Bau vereinigen, welche die letzten Formelemente der Zellen 
und ihrer Teile darstellen. In der Zusammensetzung aus solchen 
Teilchen — Mikrosomen — erblickt er das Wesen der Organisation. 
So wären z. B. die Mikrosomen des Plasmas, die Plasmatosomen, als 
die kleinsten individualisierten Formelemente des Protoplasmas, somit 
als die eigentlichen Elementarorgane der Pflanzen (und Tiere) anzu- 
sprechen, während die (aus Plasmatosomen entstehenden) Dermato- 
somen die charakteristischen Formelemente der pflanzlichen Zellhaut 


429 Wiesner, Organisation der vegetabilischen Zellhaut. 


darstellen würden. „Nach dieser Auffassung würde die Zelle in dem- 
selben Sinne aus Mikrosomen (Plasmatosomen und Dermatosomen) 
aufgebaut sein, wie die Gewebe aus Zelle sich zusammensetzen“. Die 
gegenseitige Bindung der Dermatosomen in der Zellwand lässt der 
Verfasser durch zarte Protoplasmastränge zu stande kommen. Auf 
bloßen Anziehungskräften kann sie nicht beruhen, da sie ja sowohl 
auf mechanischem Wege als auch durch chemische Veränderungen, 
bei welchen feste Substanz in Lösung geht, aufzuheben ist. Die erste 
Anlage der Wand besteht aus Protoplasma; aus Mikrosomen desselben 
entstehen die Dermatosomen, und diese bleiben durch feine Plasma- 
stränge netzartig miteinander verknüpft. Die letztern entziehen sich 
der direkten Beobachtung. „Nur in jenen Fällen erscheint das Proto- 
plasma direkt in der Wand, wo es als solches in breiten Zügen er- 
halten bleibt, innerhalb welcher die Plasmatosomen keine Umwandlung 
in Dermatosomen erfuhren“. — Auf die Verhältnisse der Schichtung 
und Streifung der Zellhaut übergehend hält der Verfasser im Hin- 
blick auf die früher mitgeteilten Thatsachen die Frage, ob die Mem- 
bran aus Schichten oder Fibrillen zusammengefügt sei, für ziemlich 
bedeutungslos. Die Zellwand besteht eben „aus Dermatosomen, die, 
bestimmt angeordnet, entweder zu Fibrillen sich vereinigen oder zu 
Schichten, oder zu beiden, ein Fall, welcher in den Wänden fibröser 
Zellen die Regel bildet“. In einer geschichteten Zellwand besteht 
jede Schichte aus in tangentialer Richtung stark genäherten Dermato- 
somen, die gleichsam ein zusammenhängendes Häutchen bilden. Je 
zwei solcher Schichten sind durch „Gerüstsubstanz“ voneinander ge- 
trennt zu denken. — Die Thatsache, dass die Streifung bei Tracheiden 
des Fichtenholzes schärfer hervortritt, wenn das betreffende Präparat 
stundenlang im Luftbad bei 110° getrocknet wurde, bei folgendem 
Wasserzusatz aber wieder undeutlicher wird, bestärkt den Verfasser 
in der Vorstellung, dass die Zellwand ein Gerüste bilde, 
welches reichlich von Hohlräumen durchsetzt ist, die im 
lebenden Zustande der Wand mit Flüssigkeit gefüllt, im 
trocknen Zustande aber leer sind und sich dann gewöhn- 
lich mit Luft füllen. Wegen der Quellbarkeit der Dermatosomen 
ist das in der lebenden Zellwand enthaltene Wasser in zweierlei Form 
zu denken: teils als kapillares, die Dermatosomen und Verbindungs- 
stränge umspülend, teils als von den Dermatosomen aufgenommenes 
„Quellungswasser“. Schließlich wird in diesem Kapitel noch betont, 
dass das Hervortreten von Schichten und Streifen nach Einwirkung 
von Reagentien mindestens in vielen Fällen nieht auf einer Aenderung 
des Liehtbrechungsvermögens benachbarter Hautteile beruht, sondern 
durch die Auflösung der zwischen den Schichten und Streifen vor- 
handenen Bindesubstanz bedingt ist. 

Im fünften Abschnitt entwickelt der Verf. seine Ansichten über 
das Wachstum der Zellwand. Indem er sich aus mehrfachen Gründen 





Schröder, Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen. 4923 


gegen jede Einseitigkeit in der Auffassung der hierbei wirksamen 
Vorgänge ausspricht, gelangt er, auf den Forschungen Strasburger’s 
und seinen eignen Untersuchungen fußend, zu folgendem Schlusse: 
„Die Formbildung der Zellwand geht nicht von dem von 
der Zellwand rund umschlossenen Protoplasma (Zellen- 
plasma), sondern von dem inmitten der Zellwand ge- 
legenen Protoplasma (Dermatoplasma, Hautplasma) aus“. 
Die Zellhaut wächst also weder durch bloße Anlagerung von außen 
oder innen, noch durch bloße Einlagerung, sondern im wesentlichen 
wie das Zellen-Protoplasma, „gewissermaßen aus sich selbst heraus“. 
Die Mikrosomen des Dermatoplasmas dürften sich in den meisten 
Fällen gänzlich in Dermatosomen umwandeln, und auch die zarte, 
ursprünglich protoplasmatische „Gerüstsubstanz“ schließlich in Wand- 
substanz übergehen. Diese so umgewandelte Gerüstsubstanz bildet 
wahrscheinlich den anscheinend homogenen Schleim, der durch Be- 
handlung „zerstäubter“ Wände mit Salzsäure und Kali neben den 
Dermatosomen entsteht. — Für die „Belebung“ der Membran durch 
in ihr enthaltenes Protoplasma sprechen auch die von Leitgeb be- 
schriebenen Vorgänge bei der Entstehung der Sporenhäute von Moosen 
und Gefäß-Kryptogamen!). 

Schließlich fasst Wiesner seine Ausführungen dahin zusammen, 
dass es ihm darum zu thun gewesen sei, den Charakter der wach- 
senden Zellwand als lebendes protoplasmaführendes Gebilde in den 
Vordergrund zu stellen und sowohl die Struktur, als das Wachstum 
und den Chemismus der Zellhaut den analogen Verhältnissen des 
Protoplasmas näher zu bringen. Die Ergebnisse der Arbeit werden 
nochmals in 12 knapp gehaltenen Sätzen vorgeführt, und die Weiter- 
entwicklung der von dem Verfasser ausgesprochenen Grundgedanken 
fernern Forschungen anheimgegeben. 

Wiesner’s verdienstliche Arbeit bereichert nicht nur die Wissen- 
schaft an wertvollen Thatsachen — sie sucht auch unsere Einsicht 
in die Struktur und das Leben der Pflanzenzelle in besonnener Weise 
zu vertiefen und eröffnet weitern Forschungen auf diesem Gebiete 
neue, anregende Gesichtspunkte. Ihr gebührt gewiss eine hervor- 
ragende Stelle unter jenen Werken, welchen die Botanik die Erlösung 
aus dem Banne der unfruchtbaren Theorien Nägeli’s zu danken hat. 

K. Wilhelm (Wien). 


Schröder, Die Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen. 

Die Frage, innerhalb welcher Grenzen der pflanzliche Organismus 
im stande ist, das Austrocknen zu ertragen, ist bereits der Gegen- 
stand zahlreicher Versuche und Beobachtungen gewesen. G. Schrö- 





1) Leitgeb, Ueber Bau und Entwicklung der Sporenhäute ete. Graz 1884. 


424 Schröder, Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen. 


der hat kürzlich das Wissenswerte darüber systematisch zusammen- 
gestellt und durch eigne Untersuchungen bereichert!). Er stellte 
seine Versuche in der Art an, dass er die Pflanzen oder Pflanzenteile 
entweder der Luft aussetzte, bis sie keinen wesentlichen Gewichts- 
verlust mehr bemerken ließen (Lufttrockenheit), oder indem er sie 
unter den nötigen Vorsichtsmaßregeln in einen Schwefelsäure - Ex- 
sikkator brachte (Schwefelsäure - Trockenheit). 

Die Pflanzenkörper der Phanerogamen und Gefäß-Krypto- 
gamen werden größtenteils durch Austrocknung getötet, doch sind 
einige /soötes- Arten, die auf Sandhügeln Algeriens vorkommen, sehr 
widerstandsfähig. Isoötes setacea wurde von A. Braun nach zwei- 
jähriger Aufbewahrung im Herbarium wieder zum Leben gebracht. 
Die diekblättrigen Bewohner trockner Standorte, wie Cacteen, Cras- 
sulaceen etc., sind durch die mächtige Ausbildung der Cutieula in 
den Stand gesetzt, wegen der geringen Verdunstung lange andauernde 
Trockenheit zu ertragen. Verf. fand, dass Opuntia-Sprosse von etwa 
0,7—1,9 g Gewicht nach 4 Monaten im Exsikkator erst 48—65°/, 
Wasser verloren hatten. Berücksichtigt man, dass diese Sprosse 
durch einen solchen Wasserverlust noch keineswegs getötet werden, 
und dass, wenn sie im Zusammenhang mit den übrigen Teilen der 
Pflanze bleiben, die lebensfähigern Teile den ältern noch Wasser 
entreißen, so wird es begreiflich, dass diese Pflanzen in der Natur 
selbst durch sehr intensive Dürre nicht getötet werden. Die große 
Lebenszähigkeit der diekblättrigen Pflanzen geht unter anderem auch 
aus der Angabe Decandolle’s (Pflanzenphysiologie) hervor, dass 
ein Exemplar von Sempervivum caespitosum noch, nachdem es 18 Mo- 
nate in der Sammlung gelegen, an der äußersten Spitze seines Stengels 
eine kleine Knospe entwickelte. 

Aus den Versuchen, die Verf. mit dünnblättrigen Pflanzen an- 
stellte, heben wir hervor, dass die abgeschnittenen Endspitzen von 
Asperula odorata mit 84,9%, Wassergehalt noch bei einem Gewichts- 
verlust von 61,5°/,, Blätter von Parietaria arborea mit 83,7°/, Wasser 
bei 44,90%/,, Fuchsia-Blätter mit 88,3%/, Wasser bei 36°/,, Blätter von 
Limnanthemum nymphaeoides mit 87,3%), Wasser bei 62°/, Wasser- 
verlust völlig lebend blieben. 

Sehr resistent gegen Austrocknung sind bekanntlich die Samen. 
Immerhin gibt es eine Anzahl von ihnen, die infolge von Wasserent- 
ziehung ihre Keimkraft verlieren. Es ist aber in manchen Fällen die 
Austrocknung an und für sich wahrscheinlich nicht der Grund des 
Absterbens. Bei Corydalis- Arten ete. wird die Trockenheit wohl da- 
durch schädlich, dass sie eine Nachreife des zur Zeit des Ausfallens 
der Samen noch sehr unentwickelten Embryos verhindert. Die Samen 





1) Untersuchungen aus dem Botanischen Institut zu Tübingen. Bd. II. 
1886. 8. 1. 








Schröder, Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen. 425 
von Weiden, Pappeln und Ulmen gehen zugrunde, wenn sie ein- 
trocknen; der Embryo ist hier aber überhaupt nur sehr kurzlebig und 
stirbt z. B. bei Salix fragilis, auch wenn die Verdunstung verhindert 
wird, sehr bald ab. 

Wie die Samen der Phanerogamen sind auch die Mehrzahl der 
Sporen der Gefäßkryptogamen gegen die Trockenheit sehr wider- 
standsfähig. Es liegen Angaben vor, dass aus alten Herbarien ent- 
nommene Farnsporen, welche an 50 Jahre alt sein konnten, als keim- 
fähig befunden wurden. Doch gibt es Ausnahmen; so erlischt z. B. 
die Keimfähigkeit der grünen Sporen der Osmundaceen und Hymeno- 
phyllaceen schon nach kurzer Zeit. 

Das Verhalten der Moose ist auch sehr verschieden je nach dem 
Standort. Es ist behauptet worden, dass Moose, die seit 100 Jahren 
trocken gewesen sind, durch Eintauchen in Wasser wieder ihre Le- 
bensfähigkeit erlangen können. Indess ist das Straffwerden trockner 
Laubmoose beim Einlegen in Wasser kein Beweis dafür, dass sie sich 
wirklich wieder belebt haben, denn auch tote Moose zeigen diese 
Eigenschaft. Die vom Verfasser angestellten Versuche mit Moosen, 
die eine längere Reihe von Jahren im Herbar gelegen hatten, ergaben 
ein negatives Resultat. Eine Anzahl von Moosen indess, die nur 
2—3 Jahre lang aufbewahrt waren, lebten beim Eintauchen in Wasser 
wieder auf. — Barbula muralis und an trocknen Standorten vor- 
kommende Laubmoosarten widerstehen der Trockenheit mit außer- 
ordentlicher Zähigkeit, selbst bei monatelangem Aufenthalt im Ex- 
sikkator. Die Sporen der Laubmoose behalten ihre Keimkraft lange 
Jahre hindurch. Die Dauerzellen, welche das Protonema im Exsikkator 
bildet, vermögen einen langen Aufenthalt im Exsikkator zu ertragen. 

Von den Algen überstehen einige Chlorophyceen die Trockenheit 
ohne Lebensgefahr in ihrer gewöhnlichen. vegetativen Gestalt (Hor- 
midium parietinum, Scenedesmus obtusus, Oystococcus humicola). Einige 
Algen bilden bei eintretender Trockenheit besondere Dauerzellen. 
Das wichtigste Ruhestadium aber sind die Zygoten (Zygosporen). 
Dieselben enthalten häufig fettes Oel, und es ist daher angenommen 
worden, dass letzteres zu der Fähigkeit, das Eintrocknen zu ertragen, 
in Beziehung stände. Verf. meint indess, dass es vielmehr als ein 
Schutzmittel gegen intensive Beleuchtung zu betrachten sein dürfte. 
Darauf deutet hin, dass die Zygoten von Hydrodictyon, denen solches 
Oel fehlt, ohne Schaden austrocknen, aber nur, wenn sie vor der Ein- 
wirkung des Lichtes geschützt sind. 

Die in den Dauerzustand übergegangene Chlamydomonas obtusa 
bedarf, um eine weitere Entwicklung nehmen zu können, einer be- 
stimmten, ziemlich weit gehenden Austrocknung. Auch Ch. pulvis- 
culus lieferte nach 13wöchentlichem Aufenthalt über Schwefelsäure 
zahlreiche Schwärmer, während nach eben so langer Lufttrockenheit 
und sonst gleichen Bedingungen keine Schwärmzellen aufzufinden 


426 Schröder, Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen. 


waren. Die Notwendigkeit der Austrocknung für die Weiterentwick- 
lung zeigt noch deutlicher Chlorogonium euchlorum. Klebs beobach- 
tete, dass die in den Ruhezustand übergegangenen Kopulationspro- 
dukte dieser Flagellate nach einem Jahre reichlicher keimten, als 
nach 3 Monaten, nach dieser Zeit wieder in größerer Zahl als nach 
3 Wochen. Durch Versuche wies Verf. nach, dass dabei mehr der 
Grad der Wasserentziehung, als die Dauer der Trockenheit bestim- 
mend ist. — Auch die Ruhezustände von Haematococcus bedürfen der 
Austrocknung, um entwicklungsfähig zu sein. A. Braun sah neue 
Schwärmer aus zweijährigen eingetroekneten Massen nach dreitägiger 
Einweichung hervorgehen. Verf. erhielt gleichfalls günstige Resultate 
mit Material, welches 5 Jahre lang in Papier aufbewahrt gewesen 
war. Frisches Material kann 8 Monate im Exsikkator stehen, ohne 
Schädigung zu erleiden, während altes Material dabei zugrunde geht. 

Diatomeen ertragen das völlige Austrocknen nicht, können aber 
in feuchter Erde noch bei 12,25°/, Wassergehalt bestehen. Die Des- 
midiaceen schließen sich ihnen im wesentlichen an. In dem gallert- 
artigen Schleim, den sie in größerer Menge auszusondern vermögen, 
finden sie einen wirksamen Schutz gegen die erste Einwirkung der 
Trockenheit. Die Zygnemaceen bilden bei allmählicher Verdunstung 
des Wassers Ruhezellen; am widerstandsfähigsten sind die von ihnen 
gebildeten Zygoten. 

Was die Schizophyceen betrifft, so lebten von Nostoc- Lagern, 
welche 4 Monate lang lufttrocken bezw. 5 Wochen über Schwefelsäure 
aufbewahrt waren, alle Zellen wieder auf. Selbst nach 7monatlichem 
Aufenthalt über Schwefelsäure fand sich wenig Abgestorbenes. An- 
dere Nostocaceen sind weniger widerstandsfähig. — Am auffal- 
lendsten tritt die Anpassung an das Medium bei den Oscillarien 
hervor. Die nur im Wasser vorkommenden kleinzelligen Arten fand 
Verf. schon nach achtwöchentlicher Lufttrockenheit stets degeneriert; 
andere Arten dagegen, welche man auch auf Schlamm oder gar außer- 
halb des Wassers antrifft, konnten völlig staubtrocken werden. 

Die Pilze zeigen im allgemeinen eine sehr geringe Widerstands- 
fähigkeit gegen das Austrocknen, da die Hyphen sehr schnell zu 
grunde gehen. Was die Sporen betrifit, so keimten solche vom 
Schimmel, Penicillium glaucum und Mucor mucedo, nach einer 8 Wo- 
chen dauernden Schwefelsäure- Trockenheit. Die Sporen von Brand- 
pilzen (Ustilagineen) blieben noch nach 31/,— 8!/,jähriger Aufbe- 
wahrung im Herbarium lebensfähig. Einige Pilze schützen sich gegen 
die Trockenheit dadurch, dass das Mycel in einen Dauerzustand 
(Sklerotium) übergeht, von denen mehrere über 1 Jahr lang trocken 
aufbewahrt werden können. Etwa das Gleiche gilt für die Sklerotien 
und Mikrocysten (Ruhezustände der Schwärmer) von Schleimpilzen. 
Bierhefe rief noch nach siebenwöchentlichem Aufenthalte im Schwefel- 
säure-Exsikkator Gärung hervor. 














Schröder, Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen. 427 


Die Fleehten werden durch Dürre wenig in ihrer Lebensfähig- 
keit beeinträchtigt. Stieta pulmonaria war noch, nachdem sie 17 Wo- 
chen im Exsikkator gelegen, völlig lebend. Bei 30 Wochen dauern- 
dem Liegen an der Luft stirbt Sticta großenteils ab. Aus den Ver- 
suchen scheint hervorzugehen, dass ein Wassergehalt von 4,5°/, das 
Minimum ist für die Erhaltung dieser Flechte. 

Sehr sorgfältige Versuche hat Verf. auch mit Bakterien ange- 
stellt. Er fand dieselben meist lebensfähig, auch wenn die Aus- 
trocknung 13 und selbst 21 oder 25 Wochen gedauert hatte. Die 
Spirillenform und verwandte Formen können aber die Trockenheit 
nicht überstehen, wie bereits durch zahlreiche Beobachtungen, unter 
andern auch am Cholerabacillus festgestellt worden ist. Einige 
Spaltpilzformen bilden bei langsamer Verdunstung Sporen, welche 
jahrelang ihre Keimkraft behalten, z. B. der Milzbrandbaeillus. 

„Der Nutzen einer hohen Resistenz gegen Trockenheit“, sagt Verf., 
„beruht nicht allein darauf, dass die betreffende Pflanzenspecies an 
Standorten sich erhalten kann, die wegen häufig eintretenden Mangels 
an Feuchtigkeit für andere Organismen unbewohnbar werden; ein 
wesentlicher Vorteil für die bei der Austrocknung lebend bleibenden 
Zellen beruht vielmehr auch in dem Faktum, dass sie in diesem 
trocknen Zustande gegen anderweitige äußere Einflüsse, wie 
extreme Temperaturen ete., sich weit unempfindlicher 
zeigen, als bei statthabender Turgeszenz.*“ Trockene Samen wer- 
den von dem Wechsel der Temperatur um so weniger beeinflusst, je 
vollkommener sie ausgetrocknet sind. Eine Grimmia pulvinata, welehe 
längere Zeit über Schwefelsäure getrocknet war, konnte Verf. in 
einem Reagierglas mit frisch geglühtem Chlorcaleium eine Stunde 
lang auf 95—100° erhitzen, ohne dadurch ihre Lebensfähigkeit zu 
zerstören |?]. 

„Erträgt eine Pflanze oder ein Pflanzenteil einmal das Aus- 
trocknen, so kann die Trockenheit auch meist eine recht lange an- 
dauernde sein. Es wird also dadurch eine beträchtliche Verlängerung 
des Lebens der Einzelindividuen erreicht, eine Erscheinung, welche 
besonders auffallend bei Bakterien und andern Organismen, deren 
Lebensdauer im gewöhnlichen Verlauf der Dinge eine nur sehr kurze 
ist, sich zu erkennen gibt.“ 

Eine absolute Trockenheit konnte im Exsikkator nicht erreicht 
werden, während das Objekt noch am Leben war. Die an Sticta 
pulmonaria ausgeführten Wasserbestimmungen scheinen anzuzeigen, 
dass ein gewisser Gleichgewichtszustand in der Feuchtigkeitsmenge 
beim Trocknen über Schwefelsäure eintreten kann. 

„Förderlich, ja selbst notwendig für die weitere Entwicklung ist 
eine vorübergehende Austrocknung bei einigen Samen, Sporen und 
andern Ruhezuständen. Von vielen Samen ist es bekannt, dass sie 
gleich nach der Reife nicht keimfähig sind.“ Wenn hier auch andere 


498 Dogiel, Bau des Geruchsorgans bei Fischen und Amphibien. 


Umstände mit ins Spiel kommen können, so ist wenigstens in einem 
Fall, nämlich für die Samen von Eichhornia crassipes festgestellt, 
dass der Keimung eine Austrocknung unabweislich vorausgehen muss. 
(Vgl. hierzu die Mitteilung von F. Ludwig über Mayaca fluviatilis, 
Bd. VI. S.299 dieses Blattes). Die Notwendigkeit der Austrocknung 
für einige Ruhezustände von Algen ist oben besprochen worden. 

Im Anschluss hieran möchte Ref. auf eine ganz analoge Er- 
scheinung im Tierreich hinweisen. Die Eier von Apus entwickeln 
sich bekanntlich nieht, wenn sie nicht eine Zeit lang trocken gelegen 
haben, und es lässt sich dabei eine der Dauer des Trockenliegens 
entsprechende Steigerung der Entwicklungsfähigkeit beobachten. 

F. Moewes (Berlin). 


Ueber den Bau des Geruchsorgans bei Fischen und 
Amphibien. 


Von Dr. med. Alexander Dogiel, 
Prosektor und Privatdozent an der Universität Kasan. 

Im Laufe eines Jahres war ich mit Untersuchungen des Geruchs- 
organs bei Ganoiden (Aceip. ruthenus und A. Güldenstädtii), Knochen- 
fischen (Esox lucius) und Amphibien (Rana temporaria) beschäftigt. 
Ich kam dabei zu Resultaten, die vielleicht geeignet sind, einiges Licht 
zu verbreiten über das Verhältnis der Stützzellen zu den 
Neuroepithelien und der letztern zu dem Geruchsnerven. 

Meine Arbeit ist bereits abgeschlossen, und nur der augenblick- 
liche Mangel an einem Uebersetzer verhindert mich meine Beobach- 
tungen in extenso zu veröffentlichen. 

Zwischen Stützzellen (Epithelien) und Riechzellen (Neuro- 
epithelien) existiert bei allen von mir untersuchten Tieren ein scharfer 
Unterschied. 

Die Stützzellen bei den Ganoiden sind längliche membranöse 
Gebilde, deren innere Enden sich verjüngen, um schließlich in eine 
verbreiterte Sohle auszulaufen, die der bindegewebigen Unterlage auf- 
liegt. Der ovale, seitlich etwas komprimierte Zellkern liegt an der 
Stelle, wo der membranöse Zellkörper in den sich verjüngenden Fuß 
übergeht. Die membranösen Stützzellen erscheinen häufig konkav 
'ausgebogen zur Aufnahme der bauchigen Riechzellen, während an 
ihrem freien Ende die Flimmerhaare vorhanden sein oder fehlen 
können. 

Bei dem Hechte und bei dem Frosche erscheinen die Stütz- 
zellen an ihrem äußern Ende schleimig, sowohl ihrer Struktur, als 
ihrem Verhalten zu Farbstoffen (Hämatoxylin ete.) nach und müssen 
also nach dem Vorgange von Ranvier als Schleimzellen bezeichnet 
werden. Bei dem Hechte nimmt der schleimige Teil ?/,; der Zelle ein, 














Dogiel, Bau des Geruchsorgans bei Fischen und Amphibien. 429 


bei dem Frosche !/,. Aus dem freien Ende der Zelle sieht man häufig 
körnige helle Tropfen oder Pfröpfe austreten, die sich in Hämatoxylin 
intensiv färben. Dieselbe Färbung nimmt der ganze periphere Teil 
der Stützstelle an. Neben den austretenden Schleimpfröpfen sieht 
man beim Frosche häufig am freien Ende der Zellen lange Flimmer- 
haare. Letztere sind immer vorhanden an den Zellen, die noch ge- 
schlossen sind d. h. keine austretenden Schleimpfröpfe besitzen. Die 
Stützzellen des Hechtes besitzen keine Cilien. Der frühere (äußere) 
Teil der Stützzellen beim Frosche ist birn- oder becherförmig, je nach 
der Quantität des angesammelten Schleimes. Wird letzterer nach 
außen befördert, so erscheint der äußere Zellteil schlank, gleichsam 
komprimiert. An der Grenze des äußern und innern (Fuß-) Teiles 
der Zelle liegt der große ovale Kern, dessen oberer Pol manchmal 
etwas komprimiert erscheint. Der äußere schleimige Teil der Stütz- 
zelle beim Hechte hat die Form eines schmalen Zylinders, der ?/, der 
ganzen Zelle einnimmt und durch einen ovalen Kern von dem Fußteile 
abgegrenzt wird. — Die innern Abschnitte (Fußteile) der Stützzellen 
sind membranös verdünnt, sowohl beim Frosche, wie beim Hechte. 
Bei ersterem spaltet sich schließlich der Fuß in dünne häutige Fort- 
sätze, während er beim Hechte wie bei den Ganoiden in eine trom- 
petenförmige Verbreiterung (Sohle) ausläuft. 

Unter den Riechepithelien (Neuroepithelien) aller oben genannten 
Tiere sind 3 Formen zu unterscheiden. Die eine entspricht den von 
M. Schultze in seinen klassischen „Untersuchungen über den Bau 
der Nasenschleimhaut“ beschriebenen Gebilden. Es sind stark in die 
Länge gezogene Gebilde, an denen man einen Zellkörper nebst Kern 
und 2 Fortsätze, einen peripheren stäbehenförmigen und einen zen- 
tralen fadenförmigen varikösen unterscheiden kann. 

Die zweite Form erscheint als ziemlich dicker Zylinder, an dessen 
innerem, bei dem Frosche etwas aufgetriebenen Ende ein ovaler oder 
runder (Fische) Kern liegt. Nach innen von dem Kern beginnt der 
zentrale Fortsatz, der an diesen Zellen viel dicker ist als bei den 
von M. Schultze beschriebenen Gebilden, und häufig varikös erscheint. 

Die beiden Formen fasse ich unter dem Namen „Riechstäbchen“ 
zusammen. 

Was die dritte Form der Riechzellen anlangt, so liegen sie immer 
in einer diskontinuierlichen Reihe und zwar sehr nahe an der Ober- 
fläche des Epithelialstratums. Die Kerne dieser Riechzellen liegen 
immer viel oberflächlicher, als die Kerne der Stützzellen. Sie bilden 
beim Frosche die oberste Kernreihe. Diese Riechzellen sind zapfen- 
oder tonnenförmig, weshalb ich sie „Riechzapfen“ genannt habe. Bei 
Amphibien und Ganoiden liegt der Kern an dem innern Ende, bei 
dem Hechte in der Mitte des Zellkörpers. Die zentralen Fortsätze 
dieser Zellen sind entweder fein varikös oder dicker und dann fibrillär. 

Das periphere Ende aller Riechzellen bei dem Frosche und den 


430 Dogiel, Bau des Geruchsorgans bei Fischen und Amphibien. 


Ganoiden trägt Riechhärchen, bei dem Hechte hingegen einen feinen 
Stift. An dem äußern Ende der Riechzellen treten manchmal kleine 
Eiweiß-Tropfen (-Klümpchen) hervor, die aber durch ihr Aussehen 
und Verhalten zu Farbstoffen sich sehr wesentlich von den Schleim- 
pröpfen der Stützzellen unterscheiden. 

Bei den von mir untersuchten Tieren verhalten sich die Fasern 
des N. olfactorius sehr verschieden zu dem Epithelialstratum, niemals 
aber bilden sie, wie es Exner u. a. wollen, einen subepithelialen 
Nervenplexus. 

Bei den Ganoiden treten die Zweige des N. olfactorius zu den 
Geruchsknospen und verlaufen am Boden des Epithelialstratums, indem 
sie auf einer Strecke feine Nervenbündel abgeben, die auf der Höhe 
der Basalzellen in die horizontale Richtung umbiegen, eine Strecke 
weit an der Oberfläche der Basalzellen verlaufen und isolierte Fibrillen 
den Riechzellen zusenden. 

Bei dem Hechte ist das Verhalten ein ähnliches: ziemlich dieke 
Nervenstämmehen treten an die Geruchsknospen und verlaufen zwi- 
schen diesen und der bindegewebigen Unterlage. Von hier aus treten 
Nervenbündel in das Epithelstratum, wo sie bis an die untere, den 
Stützzellen angehörige Kernreihe zu verfolgen sind. Hier biegen sie 
in die horizontale Richtung um und bilden einen intraepithelialen 
Nervenplexus, der nach außen von den Basalzellen liegt. Aus diesem 
Plexus treten feine Fibrillen aus, die in die zentralen Fortsätze der 
Riechzellen übergehen. 

Was den Frosch anlangt, so ist der Verlauf der Nervenfasern 
hier ein weniger komplizierter, als beim Hechte. Es existiert weder 
ein subepithelialer noch intraepithelialer Plexus. Die Olfactoriusfasern 
treten, in Bündel vereinigt, in das Epithelialstratum in grader oder 
schiefer Richtung. Hier zerfallen die Nervenbündel auf verschiedener 
Höhe in einzelne Fibrillen, die in die zentralen Fortsätze der Riech- 
zellen übergehen. 

Bei dem Frosche und bei dem Hechte ist es mir wiederholt ge- 
lungen, an Isolationspräparaten den Zusammenhang der Nervenbündel 
mit den zentralen Riechzellenfortsätzen zu konstatieren. Für diesen 
Zweck eignet sich besonders der Hecht. 

Die Bowman’schen Drüsen der Amphibien gehören ihrer Struktur 
nach zu den serösen Drüsen und verhalten sich wie letztere zu Farb- 
stoffen, namentlich zu Hämatoxylin. 

Als ich diese Arbeit bereits abgeschlossen hatte, kam mir zu 
Händen der Artikel von Dr. Kaufmann „Ueber die Bedeutung der 
Riech- und Epithelialzellen der Regio olfactoria“ (Medizinische Jahr- 
bücher, Wien 1886). Ohne mich auf Details einzulassen, die in der 
ausführlichen, mit Abbildungen versehenen Abhandlung mitgeteilt wer- 
den, bemerke ich nur vorläufig, dass die körnigen Klümpehen, die 
Kaufmann aus den Epithelialzellen hat austreten sehen und denen 














Omer Van Der Stricht, Untersuchungen über den Hyalinknorpel. 451 


er eine besondere Bedeutung vindiziert — nichts Anders als Schleim- 
pfröpfe sind, die von Schleimzellen abgesondert werden. Mit Neuro- 
epithelien (Riechzellen) haben sie nichts zu schaffen. Dr. Kaufmann 
hätte sich wohl ebenfalls davon überzeugt, wenn er der Struktur 
dieser Zellen mehr Aufmerksamkeit gewidmet hätte. 


Omer Van Der Stricht, Untersuchungen über Hyalin- 
knorpel '!). 

Vorliegende Arbeit enthält eine ausführliche Bibliographie (Seite 3 
bis 36), worin 101 Abhandlungen aufgeführt und meistens auch be- 
sprochen werden. 

Die Zellen und die Grundsubstanz des Knorpels sind bis jetzt 
auf sehr verschiedene Weise beschrieben worden. Die Grundsubstanz 
hat man anfänglich für strukturlos gehalten; viele Autoren haben 
darin, im Gegenteil, Fibrillen, Saftkanälchen, Zellenausläufer u. s. w. 
beschrieben. Endlich hat man, durch Einwirkung verschiedener Reagen- 
tien, in der Grundsubstanz Spalten, breite Streifen und andere Bilder 
sefunden, welche die einen als eine Schiehtung aus leichter 
und schwerer imbibierbaren Lagen erklärt, während andere 
Autoren solche Bilder für den Ausdruck eines lamellaren Baues gehal- 
ten haben. 

Alle diese Einzelheiten hat man durch Einwirkung sehr verschie- 
dener Reagentien bekommen. Könnte man (so bemerkt Verf. richtig) 
in einem einzigen Präparat zugleich Fibrillen, Zellenausläufer und 
Kanälchen sichtbar machen, so hätte man einBild, vom frischen Knorpel 
sehr abweichend, und im Gegenteil mit Knochengewebe ziemlich überein- 
stimmend. 

Verf. hat sich die Frage gestellt, ob alle die beschriebenen Einzel- 
heiten wirklich verschiedenen Sachen entsprechen, oder ob man, im 
Gegenteil, durch Anwendung verschiedener Methoden dieselbe Bildung 
auf verschiedene Weise erklärt hat. Nachdem er sich mit den meisten 
Methoden seiner Vorgänger und deren Resultaten praktisch bekannt 
gemacht hatte, wählte Verf. hauptsächlich die Chromsäure in ver- 
schiedenen Konzentrationsgraden für seine weitern Untersuchungen. 
Silbernitrat, Goldehlorid (nach der Citronmethode), Osmiumsäure; 
Eosin, Hämatoxylin, Pikrokarmin u. s. w. waren die andern meist 
gebrauchten Reagentien und Farbstoffe. 

Die untersuchten Objekte waren: die Patella des neugebornen 
Kindes; der Artikulationsknorpel des Kalbsfußes; die Luftröhre des 
Rindes; der Kopf- und Wirbelknorpel des Spinax acanthias; der Femur- 





4) Omer Van Der Stricht, Recherches sur le cartilage hyalin, 92 8. 
und 3 dopp. Tafeln. — Arch. de Biolog., t. VII, 1886. 


432  Omer Van Der Stricht, Untersuchungen über den Hyalinknorpel. 


er 


und Humerusknorpel des Frosches; weiter wurden Loligo, Salamandra- 
Larven und Menschenfüße benutzt. 

Fibrillen. In allen den untersuchten Knorpelarten hat Verf. in 
der Grundsubstanz Fibrillen gefunden, und den faserigen Bau konnte 
er sichtbar machen durch die benützten Reagentien. Die gefundenen 
Fibrillen sind kollagen, da sie, bei Spinax, mit den Bindegewebs- 
Fibrillen der Oberfläche der Wirbel, sowie mit den Fibrillen der 
Medullarröhren des Knorpels zusammenhängen. Endlich findet man, 
bei Loligo und Spinax, außer dem allgemeinen Fibrillensystem der 
Grundsubstanz, noch Faserbündel. 

Kanälchen. Verf. konnte nieht, bei Kalb und Frosch, auf 
demselben Teil eines Präparates gleichzeitig Fibrillen und Kanäl- 
chen bekommen: die peripherischen Teile des Präparates, wo die 
Einwirkung der Chromsäure vollkommen ist, zeigen einen fibrillaren 
Bau; die tiefern Teile zeigen Bilder, welche, allein gesehen, für inter- 
kapsulare Kanälchen imponieren können; aber durch weitere Einwir- 
kung des Reagens rückt der fibrillare Bau weiter nach dem innern 
Teile des Stückes vor, und die scheinbaren Kanälehen werden durch 
Fasern ersetzt. Die sogenannten interkapsularen Kanälchen (von 
Budge u. a. beschrieben) sind also wahrscheinlich von den Fibrillen 
nicht verschieden. Bei den Selachiern sind die sogenannten Ka- 
nälchen nichts Anders alsdieoben erwähnten Faserbündel. Die Zwischen- 
substanz, durch welche die Fasern des Bündels innerhalb desselben 
untereinander zusammenhängen, ist schwerer löslich als die Sub- 
stanz, wodurch das Bündel, im ganzen genommen, mit den übrigen 
Teilen der Grundsubstanz vereinigt ist, und leichter löslich als die 
Zwischensubstanz, welche die Fibrillen der allgemeinen Grundsubstanz 
vereinigt. Daraus folgt, dass, unter stufenweiser Einwirkung von 
Chromsäure 1) die ganzen Bündel als strukturlose Streifen erscheinen ; 
2) durch weitere Einwirkung die Fibrillen der Grundsubstanz deut- 
lich werden; 3) endlich, noch später, die anfänglich strukturlosen 
Streifen (bezw. Kanälchen) als fibrillare Komplexe vorkommen. 

Loligo-Knorpel führt zu denselben Schlüssen. 

Also, bei Spinax und Loligo sind die sogenannten interkapsularen 
Kanälchen einfach Fibrillenbündel; die interkapsularen Streifen bei 
Kalb und Frosch stimmen mit diesen Bündeln überein. Der Knorpel 
enthält also: a) kollagene Teile (Fibrillen), in Chromsäure nicht lös- 
lich; b) ehondrogene Teile (Zwischen- oder Kittsubstanz), welche die 
ersten im frischen Zustand verhüllen und in Chromsäure mehr oder 
minder schwer löslich sind. 

Ausläufer der Zellen findet man im Kopfknorpel von Loligo, 
zahlreich und durch Anastomosen ein Netz bildend. Sie existieren, 
aber mit weniger Anastomosen, bei Spinax und Kalb (obere Teile 
des Artikulationsknorpels), und in der Patella des neugebornen Kindes. 
Die Ausläufer sind überall in Kanälehen (Fortsetzungen der Zellkapsel) 
begriffen. 





Oerley, Rhabditiden und ihre medizinische Bedeutung. 433 


Lamellen. In allen untersuchten Knorpelarten, mit allen Reagen- 
tien, hat Verf. einen lamellaren Bau erkannt. Die Lamellen sind 
vereinigt durch eine Kittsubstanz von derselben Art wie die inter- 
fibrillare Kittsubstanz, aber leichter löslich und von geringerer Dichte 
als diese letzte. Daher erscheint der lamellare Bau vor dem fibrillaren 
unter stufenweiser Einwirkung von Chromsäure. Die Zellenaus- 
läufer setzen sich sowohl in als zwischen den Lamellen fort. Die 
Richtung der Faserbündel durchschneidet die Richtung der Lamellen. 
Die Lamellen scheinen aus den Fibrillen der Grundsubstanz 
zu bestehen; letztere folgen in der That der Richtung der Lamellen 
und verbinden zuweilen diese letztern mit einander. 

Schlussfolgerung des Verfassers. 1) Die Grundsubstanz 
des Hyalinknorpels ist durch einen lamellären Bau charakterisiert. 

2) Die Lamellen sind aus Fibrillen zusammengesetzt. 

3) Die Lamellen sind durch Fasern verbunden; es existieren auch 
interkapsulare Faserbündel. 

4) Die interlamellare und interfibrillare Kittsubstanz scheint die- 
selbe zu sein. 

Aus dieser Zusammensetzung des Knorpels geht eine merkwürdige 
Uebereinstimmung zwischen Knorpel- und Knochengewebe hervor: der 
lamellare Bau ist beiden Geweben gemein; die Lamellen sind beider- 
seits fibrillar; zwischen den Lamellen findet man, im Knorpel sowie 
im Knochen, Verbindungsfasern; die Faserbündel des Knorpels stim- 
men mit den Sharpey’schen Fasern des Knochens überein. 

Im Knorpel findet man, außer den Kanälchen, welche die Zellen- 
ausläufer enthalten, keine andern Röhren; im Knochengewebe ist 
dieses im Gegenteil der Fall. Die Nährsäfte des Knorpels diffundieren 
wahrscheinlich durch alle die Teile des Gewebes, in verschiedenem 
Maße, je nach ihrer verschiedenen Durchdringbarkeit. 

Julius Mac Leod (Melle-by-Gent). 


Ladislaus Oerley, Die Rhabditiden und ihre medizinische 
Bedeutung. 
Mit VI. Tafeln. Berlin 1886. 8°. 

Seit der schönen Entdeckung Leuckart’s, dass die Jugend- 
zustände vieler parasitischer Nematoden, wie z. B. des menschlichen 
Dochmius duodenalis, nach Bau und Lebensweise mit den freilebenden 
Rhabditiden übereinstimmen, haben die letztern immer mehr die Auf- 
merksamkeit nicht nur der Zoologen, sondern auch der Mediziner auf 
sich gezogen. Das Interesse der letztern für die Nematodengruppe 
der Rhabditiden, dieser winzigen Würmer, deren meiste Vertreter 
die feuchte Erde und faulende Substanzen bewohnen, ist aber in der 
letzten Zeit noch durch eine andere merkwürdige Entdeckung ge- 
steigert worden, indem es nämlich den französischen Professoren 

VI, 28 


434 Oerley, Rhabditiden und ihre medizinische Bedeutung. 


Normand und Bavay gelang, rhabditisartige Würmer (Rhabdonema 
strongyloides) als die Urheber der gefährlichen, als „Diarrh6e ou dy- 
senterie de Cochinchine“ bezeichneten Krankheit zu erkennen, welche 
überall unter der Tropen vorzukommen scheint und öfters einen töd- 
lichen Ausgang nimmt. Eine monographische Zusammenstellung aller 
bekannten Rhabditiden, ein guter Leitfaden zur Bestimmung der Arten 
und zur Orientierung in den biologischen Verhältnissen, wurde darum 
immer mehr wünschenswert und ein Desiderat in der helminthologi- 
schen Literatur. 

Es ist das Verdienst des ungarischen Helminthologen, des Herrn 
Dr. Lad. Oerley, diese Lücke jetzt ausgefüllt zu haben, indem er 
durch die Veröffentlichung seiner neuesten Arbeit, welche oben an- 
gezeigt wurde, allen denjenigen Wünschen, welche, besonders von 
medizinischer Seite, gestellt werden konnten, entgegengekommen ist. 
Es sei mir darum gestattet, eine kurze Uebersicht dieser Arbeit den 
Lesern des „Biologischen Centralblattes“ zu geben. 

Nach einer kurzen Einleitung gibt der Verf. zuerst ein ausführ- 
liches und genaues Literaturverzeichnis, bespricht dann die von ihm 
angewandten Untersuchungsmethoden und gibt darauf eine Uebersicht 
der allgemeinen Organisationsverhältnisse dieser Tiere. In der nun 
folgenden Abteilung des Werkes werden sämtliche Arten der Familie 
der Rhabditiden angeführt und kurz beschrieben, mit genauer Er- 
wähnung der Synonymie, während mehrere Formen abgebildet werden. 
Hinzugefügt ist eine Tabelle zur Bestimmung der Gattungen und 
Arten. Von der Gattung Rhabditis werden 26 Arten beschrieben, von 
Cephalobus 2, unter welchen der interessante ©. appendiculatus, von 
Diplogaster 3, während von den merkwürdigen heterogenen Formen 
des schon längere Zeit bekannten Angiostomum nigrovenosum, des ge- 
fährlichen Rhabdonema strongyloides und des erst seit kurzer Zeit eben- 
falls durch Leuckart bekannt gewordenen Allantonema mirabile aus 
der Leibeshöhle von Hylobius pici angeführt werden. 

Nur wenig konnte natürlich über die geographische Verbreitung 
unserer Tiere mitgeteilt werden: in Ungarn wurden 22 Arten beob- 
achtet, während die Anwesenheit des Rhabdonema strongyloides in 
den ungarischen Bergwerken noch zweifelhaft blieb. Nach dem syste- 
matischen Teile handelt der Verfasser über die Lebenserscheinungen 
unserer Tiere. Er bespricht ihre sehr verschiedene Lebenszähigkeit 
gegenüber der Fäulnis, ihre Wanderungen, ihre Paarung und die Er- 
scheinung, dass er nur von Diplogaster Eier im freien beobachtete, 
nie aber von eigentlichen Rhabditis-Arten. Er konstatiert weiter die 
wichtige Thatsache, dass die eigentlichen Rhabditiden ausschließ- 
lich auf das freie Leben angewiesen sind und nur die eine Genera- 
tion der heterogenen Rhabdonemen als echter Parasit auch im tieri- 
schen Körper leben kann: die erstern können in den warmblütigen 
Tieren, also im Menschen, nicht sehmarotzen. Die Rhabditiden findet 














Bunge, Der Vegetarianismus. 455 


Verf. sehr empfindlich nieht nur gegen Austrocknung, sondern auch 
gegen die konstante Einwirkung des Wassers. Im menschlichen und 
im tierischen Urin können diese Tiere nicht leben. Schließlich erwähnt 
er, dass die Rhabditiden bei einer Wärme von 45° C. zu grunde 
gehen, und ebenso bei einer Temperatur unter dem Gefrierpunkte. 

Darauf wird die Entwicklungsgeschichte behandelt. Der Verf. 
komnit zu dem Schlusse, „dass alle jene Rhabditiden, welche im stande 
sind, im freien Generation auf Generation zu produzieren, sich dem 
parasitischen Leben nicht angepasst haben“. Diese nennt er monogene 
Formen, im Gegensatze zu den heterogenen Arten. Von besonderem 
Interesse ist die letzte Abteilung des Werkes, welche über die Rhab- 
ditiden in medizinischer Beziehung handelt. Der Verf. findet, dass 
die überall im freien lebenden monogenen Formen im Darme warm- 
blütiger Tiere nicht leben und nur faulende. Substanzen bewohnen 
können, dass diese dem Menschen also nicht schädlich sind, während 
die gefährlichen Formen zu den Rhabdonemen gehören. Bisweilen 
trifft man Rhabditiden bei Sputum - Untersuchungen: dorthin gelangen 
sie aber nur zufällig. 

Die sonderbare Cornwall’sche Epidemie, welche vor einigen 
Jahren in England so viel von sich hat reden lassen, wurde mit großer 
Wahrscheinlichkeit nicht durch Rhabditiden hervorgerufen. Am Ende 
verbreitet sich der Verf. über die Geschichte der Entdeckung des ge- 
fährlichen Urhebers der Cochinchina-Diarrhoe, des merkwürdigen 
Rhabdonema strongyloides und über die Unwahrscheinlichkeit des Vor- 
kommens dieses Tieres in Ungarn, als Ursache der unter den ungari- 
schen Bergwerksarbeitern verbreiteten, anämischen Krankheit der so- 
genannten Cachexia montana. — 

Wir wünschen dem Buche viele Leser. 

J. G. de Man (Middelburg). 


G. Bunge, Der Vegetarianismus. 
Berlin 1885. Hirschwald. 


Der Autor betont, dass bisher weder eine exakte wissenschaft- 
liche Widerlegung noch eine solehe Begründung der Lehren der 
Vegetarianer gebracht sei. Vom Standpunkte der vergleichenden 
Anatomie müsse man allerdings bekennen, dass der Mensch im Zahn- 
bau eine hervorragende Aehnlichkeit mit den sogenannten frugivoren 
Affen besitze; eine irgend befriedigende Untersuchung der übrigen 
Verdauungsorgane liege gegenwärtig noch nicht vor. Wenn Custor 
und Aeby angäben, dass auf 1 g Körpergewicht des Menschen 0,29, 
bei Affen aber 0,91 — 0,94 Quadratzentimeter Darmfläche kämen, so 
spräche dieses nur scheinbar für die omnivore oder gar karnivore 
Natur des Menschen, denn einmal sei nur die äußere, nicht aber die 
innere, resorbierende Darmfläche gemessen, und sodann seien nur kleine 


436 Bunge, Der Vegetarianismus. 


Affen (ein Cercopithecus von 2,8 kg und ein Papio von 3,7 kg Körper- 
gewicht) untersucht worden, während es doch längst bekannt sei, dass 
bei verwandten Tieren mit gleicher Ernährung das Verhältnis der 
Darmoberfläche zum Körpergewicht um so größer sich gestalte, je 
kleiner das Tier sei. 

Verfasser wirft dann die Frage auf, wie sich denn überhaupt die 
sogenannten frugivoren Affen nährten und kommt zu dem interessanten 
Ergebnisse, dass diejenigen Affenarten, deren Lebensweise überhaupt 
im freien Zustande genauer beobachtet sei, vollendete Omnivoren seien. 
Sie verzehrten ausnahmslos neben Vegetabilien auch Insekten, Spinnen, 
Crustaceen, Würmer, Schnecken und Reptilien, mit besonderer Vor- 
liebe aber sowohl Vogeleier als junge Nestvögel. Einige Affen stellten 
sogar auch ausgewachsenen Vögeln nach und nährten sich vorherrschend 
von Fleisch. Hinsichtlich der großen Anthropoiden sei allerdings bisher 
noch nicht mit Sicherheit beobachtet, dass sie im Naturzustande 
animalische Nahrung zu sich nähmen, doch verzehrten sie in der Ge- 
fangenschaft begierig Milch, Eier und große Mengen Fleisch. Auf 
letztern Umstand sei indess kein großes Gewicht zu legen, denn in 
der Gefangenschaft gewöhnten sich die Affen auch an Tabak und 
Alkohol; auch sei es Thatsache, dass man entschieden herbivore Tiere 
in der Gefangenschaft an Fleisch gewöhnen könne. 

Sollte es deshalb selbst richtig sein, dass die großen Anthropoiden 
(Orang, Schimpanse und Gorilla) im Naturzustande nur von Vegetabilien 
sich nährten, so würde daraus doch nur folgern, dass der Bau der 
Zähne bei den Affen einen Schluss auf die Ernährungsweise nicht zu- 
zulässt; denn es würde dann festgestellt sein, dass trotz der großen 
Uebereinstimmung im Zahnbau die Affen zum Teil frugivor, zum Teil 
omnivor seien. Aehnliches sei hinsichtlich der Nagetiere, die doch 
eine große Uebereinstimmung im Zahnbau aufweisen, längst bekamnt, 
so zeigten z. B. Murmeltier (Arctomys marmota) und Zisel (Spermo- 
philus eitillus) die denkbar größte Uebereinstimmung im Bau der Zähne 
und sonstigen anatomischen Bau, und doch sei das erstere ein rein 
herbivores, das letztere aber ein omnivores Tier, da es Mäuse, Vogel- 
eier und junge wie alte Vögel fresse. Sei deshalb vom Zisel weiter 
nichts als der anatomische Bau, vom Murmeltier aber Bau und Lebens- 
weise bekannt, so müsse man nach der Logik der Vegetarianer 
schließen, ersteres sei auch ein herbivores Tier. 

Von der vergleichenden Anatomie sei deshalb eine befriedigende 
Antwort auf die Frage, ob der Mensch ein herbivores oder omnivores 
Geschöpf sei, bisher nicht zu erlangen. 

Auch die von den Vegetarianern beliebte Appellation an den 
Instinkt ergebe keineswegs eine Entscheidung zu gunsten ihrer An- 
schauungen. Eine instinktive Abneigung gegen Fleischgenuss müsste 
man dann bei den Naturvölkern antreffen, vor allen Dingen bei denen, 
die an wohlschmecekenden Früchten niemals Mangel litten. Das sei 


















































Bunge, Der Vegetarianismus. 437 


aber keineswegs der Fall. Selbst bei den Bewohnern der Südsee- 
inseln, welche letztere bekanntlich die herrlichsten Früchte massen- 
haft lieferten, während sie sehr arm an wohlschmeckender Fleischkost 
seien, zeige sich das Verlangen nach animalischer Nahrung so mächtig, 
dass sie Katzen, Hunde, Vampyre, Spinnen, Holzlarven, rohe Fische, 
Ja sogar Ratten bei lebendigem Leibe verzehrten. Die Angabe der 
Vegetarianer, die Inder lebten von rein vegetabilischer Nahrung, sei 
nicht riehtig; auch bei diesem Volke habe sich das Verlangen nach 
Fleisch zu allen Zeiten mächtiger erwiesen als die Religion, und es 
sei sehr bezeichnend, dass nach der Legende Buddha selbst einen 
Schweinebraten als letzte Mahlzeit verzehrte, bevor er ins Nirwana 
einging. 

Die Fragestellung der Vegetarianer, welche Nahrung die natur- 
gemäße sei, könne aber als eine wissenschaftliche überhaupt nicht 
betrachtet werden, denn das heiße doch so viel als: was war unsere 
Nahrung, bevor wir Mensch wurden; wie nährten wir uns, so lange 
wir uns noch vom unbewussten Instinkt leiten ließen, bevor wir an- 
fingen, mit bewusster Ueberlegung eine Auswahl zu treffen. Wolle 
man streng wissenschaftlich vorgehen, so müsse man zunächst einfach 
fragen: ist Fleischgenuss dem Menschen schädlich, eine Frage, die 
sich möglicherweise experimentell beantworten lasse. Ein solches 
Experiment sei nicht leicht und sei bisher noch von keinem Vegetarier 
gemacht. Bisher hätten nur einige Vegetarianer bewiesen, dass es 
Menschen gebe, die bei ausschließlich vegetabilischer Kost jahrelang 
existieren können; der Beweis, dass sie dabei in irgend einer Hin- 
sicht besser gediehen, als ceteris paribus bei gemischter Nahrung, 
fehle aber vollständig. Außerdem sei nur einzelnen Wenigen der ge- 
nannte Beweis gelungen, die große Mehrzahl der Vegetarianer füge 
der Pflanzennahrung Milch, Käse, Eier und Butter hinzu. 

Bunge weist endlich darauf hin, dass der Vegetarianismus in 
den romanischen Ländern keinen Boden finde, hebt hervor, dass die 
Romanen mäßig im Essen und Trinken auch ohne Vegetarianerverein 
seien und schiebt den Erfolg der ganzen Bewegung in Deutschland 
lediglich der deutschen Unmäßigkeit zu. 

Insofern die Vegetarianer ihre Gesetze wesentlich einer vollstän- 
digen Vermeidung aller alkoholischen Getränke verdankten, verdienten 
sie die vollste Anerkennung. Fast allerwärts begegne man der Mei- 
nung, der Alkohol wirke in mäßigen Quantitäten „stärkend, erregend, 
belebend, erfrischend“ auf den Menschen ein. Zur Widerlegung dieser 
Meinungen könne nichts mehr beitragen als die von der Militärver- 
waltung Englands, Nordamerikas und Deutschlands im großen ange- 
stellten Massenexperimente, welche bereits gezeigt hätten, dass die 
Soldaten in Kriegs- und Friedenszeiten, in allen Klimaten, bei Hitze, 
Kälte und Regen alle Strapazen der angestrengtesten Märsche am 
besten ertragen, wenn man ihnen vollständig alle alkoholischen Getränke 


38 Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen. 


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entziehe. Dieselbe Erfahrung habe man auch bei der Nordpolexpe- 
dition gemacht; die Matrosen bekämen keinen Tropfen mehr. Hierbei 
wird darauf hingewiesen, dass durch den Genuss alkoholischer Ge- 
tränke das Verlangen grade nach derjenigen Nahrung abgeschwächt 
oder gänzlich aufgehoben werde, welche einem gesunden Menschen 
mit unverdorbenem Geschmacksinn die meiste Freude bereite: zucker- 
reiche Früchte und überhaupt alle süßen Speisen. Ein Mann, der auf 
den Alkohol ganz verzichte, erlange den Appetit eines Kindes wieder. 
Und der gesunde Instinkt stehe hier im besten Einklange mit den 
Ergebnissen der Physiologie, welche dargethan, dass die Kohlehydrate 
die Quellen der Muskelkraft seien. Die Frauen und Kinder äußerten 
durch ihren Appetit auf Backwerk und Süßigkeiten einen gesunden 
Instinkt; süß sei in der Sprache aller Völker gleichbedeutend mit an- 
genehm, und wenn das Süße nicht mehr angenehm sei, so deute das 
auf einen abnormen Zustand hin. In dieser Lage befinde sich der 
Trinker mit seinem fast ausschließlich auf Fleischspeisen gerichteten 
Appetit, und die Lehre der Vegetarianer, dass Alkoholgenuss und 
Unmäßigkeit im Fleischgenuss im ursächlichen Zusaminenhange stän- 
den, sei berechtigt. 
Schmidt- Mülheim (Mülheim). 


Körösi’s „relative Intensität der Todesursachen“ und der 
Einfluss der Wohlhabenheit und der Kellerwohnungen auf 
die Sterblichkeit. 

Von Prof. Max Gruber in Graz. 


Vor kurzem wurde in Wittelshöfer’s „Wiener med. Wochen- 
schrift“ über das neueste Werk des bekannten Statistikers Körösi 
„Die Sterblichkeit der Stadt Budapest in den Jahren 1876—1881 und 
ihre Ursachen“ berichtet und dabei das überraschende Ergebnis her- 
vorgehoben, zu dem Körösi bezüglich des Einflusses der Wohlhaben- 
heit und der Wohnung auf die Sterblichkeit der Budapester Bevölke- 
rung gekommen ist. 

Eine ganze Reihe von Krankheiten — darunter auch wichtige 
Infektionskrankheiten — soll, der herrschenden Ueberzeugung der 
Hygieiniker entgegen, durch die Armut und ihr böses Gefolge, als da 
ist: Schmutz, gedrängtes Wohnen, ungenügende und schlechte Nahrung, 
Ueberanstrengung, ungenügende Pflege der Kranken u. s. w., nicht 
allein nicht gefördert, sondern gradezu in ihrem Auftreten als Todes- 
ursache gehemmt werden. 

Die übelbeleumundeten Kellerwohnungen seien gar nicht so schlimm. 
Wichtige Infektionskrankheiten, wie Diphtheritis und Scharlach, fän- 
den in ihnen einen viel ungünstigern Boden, als in den Palästen der 
Reichen. 








Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen. 439 


Es sei gestattet zu rekapitulieren, dass Körösi angibt: „bei 
Armen betrage die „Intensität“ der Diphtheritis als Todesursache 
(wenn Intensität bei Wohlhabenden = 100 gesetzt wird)“ 66 (bei Kin- 
dern unter 5 Jahren 48!); die des Scharlach ebenso 50 (Kinder 40); 
die des Krup 53 (Kinder 42); die des Keuchhustens 73 (nur Kinder); 
die des Wasserkopfes 40; die der Hirnhautentzündung 61 (Kinder 41); 
die der Gehirnentzündung 56 (Kinder 41); die der Bright’schen 
Nierenkrankheit 61 ete.; in Kellerwohnungen ferner falle die Intensität 
bei Krup um 24°/,, bei Scharlach um 31°/,, bei Diphtheritis um 43°/,! 

Das wäre ein überaus wichtiges Ergebnis, das die Hygieine in 
Theorie und Praxis nicht genug würdigen könnte! Vielleicht wäre 
dann doch Nägeli’s!) Theorie von den gesundheitlichen Vorzügen 
des Schmutzes richtig, und vielleicht hätte es die öffentliche Gesund- 
heitspflege mit ihren bisherigen Maßregeln und Vorschlägen statt 
besser, schlechter gemacht?! 

Bevor man zu so gewichtigen Folgerungen aufsteigt, ist man aber 
doch verpflichtet, die Grundlagen, auf denen sie ruhen, sorgfältig auf 
ihre Festigkeit zu prüfen. Diese Prüfung vermisse ich in dem voran- 
gegangenen Berichte und erlaube mir daher die Aufmerksamkeit des 
Lesers neuerdings auf Körösi’s Buch zu lenken. 

Wie wurden die oben zitierteu Intensitätskoeffizienten berechnet, 
und was bedeuten sie? 

Körösi nennt diese Zahlen die „relative Intensität der Todes- 
ursachen“ und will diesen neuen Begriff als allgemeines Maß, inwiefern 
gewisse soziale oder auch natürliche Einflüsse, wie Armut, Wohnung etec., 
das Auftreten der einzelnen Krankheiten als Todesursachen hemmen 
oder fördern, in die Statistik einführen. Ihre Berechnung erfolgt auf 
folgende Weise: Man sondert alle Todesfälle nach den Bevölkerungs- 
gruppen, welche inbezug auf ein bestimmtes Moment, z. B. Armut, mit 
einander verglichen werden sollen und berechnet nun für jede Gruppe 
von Todesfällen für sich, welchen prozentischen Anteil die untersuchte 
Todesursache an der Gesamtzahl der Todesfälle hat (oder, wie 
Körösi gewöhnlich verfährt, wie viele Todesfälle an der betreffenden 
Krankheit auf je 100 nichtinfektiöse Todesfälle fallen). Von den für 
jede Gruppe gewonnenen Prozentzahlen wird eine (z. B. bei Bestimmung 
des Einflusses der Armut die der Wohlhabenden) — 100 gesetzt und 
die übrigen im Verhältnisse umgerechnet. Die so erhaltenen Zahlen 
geben die „relative Intensität“ an. 

Wie sich aus der Art der Berechnung ergibt, bedeutet also die 
relative Intensität einer Todesursache, wie viele von je 100 oder 1000 
oder 100000 Todesfällen in einer gewissen Bevölkerungsgruppe von 
der betreffenden Todesursache bedingt sind, wenn der Anteil dieser 
Todesursache an je 100 oder 1000 oder 100000 etc. Todesfällen in 
der Vergleichsgruppe = 100 gesetzt wird. 





1) Der denn auch — allerdings sehr vorsichtig — von Körösi zitiert wird. 


440 Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen. 


Gestattet nun diese Art des Vergleiches wirklich die Schlüsse 
Körösi’s, ist es erlaubt, wie er thut, von einem „seltenen“ Auftreten 
der Krankheit, von einer „Hemmung der Todesursache“ zu sprechen, 
wenn die Zahl der relativen Intensität unter 100 bleibt, und umge- 
kehrt von einer Förderung, wenn 100 überschritten wird? 

Unmittelbar einleuchtend, das können wir gleich sagen, ist der 
Schluss nicht! Es kann nicht scharf genug hervorgehoben werden, 
dass Körösi’s Zahlen nicht die relative Intensität des Auftretens 
unter der Bevölkerung, sondern die relative Intensität des Auftretens 
unter den Todesfällen angeben. Von der absoluten Zahl der Todes- 
fälle insgesamt und der Todesfälle an der betreffenden Ursache ins- 
besondere, von ihrem Verhältnisse zur Zahl der Lebenden in jeder 
Bevölkerungsgruppe wird völlig abgesehen. Als einzige Grundlage 
der Beurteilung dienen die Verschiedenheiten in der prozentischen 
Verteilung der Todesfälle auf die einzelnen Todesursachen. Es lässt 
sich nun zunächst mit Leichtigkeit zeigen, dass ein relativ häufigeres 
Auftreten einer Todesursache unter 1000 Lebenden durchaus nicht 
ein relativ häufigeres Auftreten unter 1000 Todesfällen der gleichen 
Bevölkerungsgruppe gegenüber 1000 Lebenden, bezw. 1000 Todes- 
fällen der Vergleichsgruppe bedingt. Nehmen wir an, ein bestimmter 
Einfluss, wie es z. B. von der Armut allseitig erwiesen ist, steigere 
die Gesamtsterblichkeit. Sie steigere nun — gewiss ein möglicher 
Fall — in gleichem Maße das Auftreten der fraglichen Todesursache. 
Dann wird der Prozentanteil dieser an der Gesamtzahl der Todes- 
fälle bei Armen und Reichen der gleiche sein, die relative Intensität 
wird die gleiche sein, oder, um mit Körösi zu sprechen, die Armut 
wird weder fördernd, noch hemmend auf das Auftreten dieser Todes- 
ursache gewirkt haben, während thatsächlich vielleicht drei- oder 
viermal so viel Arme als Reiche dahingerafft werden! 

Dass dem so ist, weiß auch Körösi. Aufgrund eines mir unbe- 
greiflichen Gedankenganges setzt er sich aber darüber hinweg. Bei 
Besprechung des Einflusses der Kellerwohnungen auf das Auftreten 
der Infektionskrankheiten sagt er z. B. (S. 223): „da die Mortalität 
der Kellerbewohner überhaupt höher ist, so ist es nicht auffallend, 
dass auch die Mortalität an den Infektionskrankheiten höher ist“. Ist 
die Steigerung gleich groß bei infektiösen und nichtinfektiösen Krank- 
heiten, so beweist dies (S. 183), „dass die Armut keinen befördernden 
Einfluss auf die Infektionskrankheiten ausübt“. Der fördernde oder 
hemmende Einfluss einer Lebensbedingung auf das Auftreten einer 
Todesursache wird nach Körösi nicht daran erkannt, ob die Zahl 
der betreffenden Todesfälle auf 1000 Lebende gegenüber der Ver- 
gleichsgruppe vermehrt oder vermindert ist, sondern allein daran, wie 
sich diese Vermehrung oder Verminderung zur durchschnittlichen 
Vermehrung oder Verminderung aller Todesursachen (oder aller nicht- 
infektiösen Todesursachen) verhalte. Da z. B. die Armen überhaupt 





Gruber, Körösi’s relative Intensität der 'Todesursachen. 441 


sterblicher seien, als die Reichen, so müssten auch die einzelnen 
Todesursachen entsprechend häufiger auftreten. Ein häufigeres Auf- 
treten einer Todesursache bei Armen sei also etwas für die Beurtei- 
lung des Einflusses der Armut völlig Gleichgiltiges, wenn sie der 
allgemeinen Steigerung der Häufigkeit der Todesfälle proportional ist. 
Von Wichtigkeit sei nur die über- oder unterproportionale Häufigkeit, 
die Abweichnng vom Durchschnitte, und diese erkenne man eben aus 
der „relativen Intensität“. 

Dieser Standpunkt ist wirklich erstaunlich. Ich dächte, die erste 
und wichtigste Frage, welche eine derartige Untersuchung zu beant- 
worten hat, lautet: tritt die betreffende Todesursache unter dem Ein- 
flusse der untersuchten Lebensbedingung häufiger auf oder nicht? Es 
ist z. B. durchaus nicht selbstverständlich, dass jede Todesursache 
durch die Armut befördert werde. Gibt es doch Todesursachen, deren 
häufigeres Auftreten bei Armen als bei Reichen von vorn herein im 
höchsten Maße unwahrscheinlich ist. Ich nenne nur die Altersschwäche. 
Wenn sich also herausstellt, dass eine bestimmte Todesursache bei 
Armen häufiger auftritt, als bei Reichen, so ist das eine höchst wich- 
tige Thatsache, ganz gleichgiltig, ob die Steigerung der Häufigkeit 
kleiner, gleich oder größer ist, als die durchsehnittliche Steigerung 
der Todesfälle. Dies ist eine völlig nebensächliche Frage. Jede 
Betrachtungsweise, die mir auf die Hauptfrage keine Antwort gibt, 
muss ich von vorn herein zurück weisen. 

So verhält es sich zugestandenermaßen mit Körösi’s Methode. 
Sie beschäftigt sich ausschließlich mit der Beantwortung eines sehr 
gleichgiltigen Punktes. Und auf diesem Wege soll noch gar das 
einzige, entscheidende Maß für die Beurteilung gewonnen werden! 

Zu welch abenteuerlichen Ergebnissen man auf diesem Wege ge- 
langt, mögen die folgenden Beispiele zeigen: 

1) Es handle sich um die Frage des Erfolges der Impfung. Man 
habe gefunden, dass in der Gruppe der Ungeimpften von 10 000 
Lebenden 10 an Blattern sterben, in der Gruppe der Geimpften 5. 
Im übrigen sei in diesem Falle die Mortalität in beiden wohlhabenden 
Gruppen gleich (nehmen wir an, die Ungeimpften bestünden aus Impf- 
gegnern). An allen übrigen Krankheiten sterben in beiden Gruppen 
Jährlich 100. Auf 100 andere Todesfälle entfallen also bei Ungeimpf- 
ten 10, bei Geimpften 5 Blatterntodesfälle. Die relative Intensität der 
Ungeimpften ist = 200. 

Nun ein zweiter Fall. Zwischen Geimpften und Ungeimpften be- 
stehe auch ein Unterschied in der Wohlhabenheit. Es herrsche in 
dem Lande der Untersuchung kein Impfzwang; die überwiegende 
Majorität der Wohlhabenden sei zwar geimpft, aber die größte Zahl 
der Armen ungeimpft. Die Verhältnisse der Geimpften seien dieselben, 
wie im vorigen Falle; so sterben also von 10000 jährlich 5 an Blat- 
tern, 100 an andern Krankheiten. Auch bei den Ungeimpften sei die 


442 Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen. 


Frequenz der Blatterntodesfälle dieselbe wie früher, nämlich 10 von 
10.000. Entsprechend aber ihrer ungünstigen Lage sterben von 10 000 
nicht 100, sondern 400. Es treffen also auf 100 andere Todesfälle 
bei den Geimpften 5, bei den Ungeimpften 2,5. Die „relative Inten- 
sität“ ist also in diesem Falle bei den Ungeimpften 50! Das Resultat 
nach Körösi’s Methode wäre also in diesem Falle, dass die Impfung 
das Auftreten von Blattern befördert!! Thatsächlich wären in dem 
einen wie in dem andern Falle die Ungeimpften doppelt so stark von 
Blattern heimgesucht, als die Geimpften. Ihre scheinbar günstige 
Lage im zweiten Falle hätten sie nur dem traurigen Umstande zu 
verdanken, dass sie von allen andern Krankheiten nicht zweimal, 
sondern viermal so zahlreich dahingerafft werden, als die zufällig 
zugleich wohlhabenden Geimpften! 

2) Ein zweites Beispiel, das Körösi’s eignen Angaben entnommen 
ist. Von 31295 Kellerbewohnern in Budapest starben in den Jahren 
1870—1882 73 an Krup, 4813 an nichtinfektiösen Todesursachen; von 
329256 Bewohnern anderer Wohnungen in derselben Zeit 541 an 
Krup, 29842 an nichtinfektiösen Krankheiten. 

Nach Körösi treffen demnach in Kellern auf 100 niehtinfektiöse 
Fälle 15,17 Krupfälle, in andern Wohnungen 18,13. Diese — 100 ge- 
setzt, ergibt sich für die Keller als relative Intensität die Zahl 83,66. 
Krup tritt „also“ nach Körösi um 16,54°/, seltener in Kellerwoh- 
nungen auf. Berechnet man dagegen in gewöhnlicher Weise für die 
Keller und für die übrigen Wohnungen, wie viele von 100000 Leben- 
den an Krup sterben, so erhält man für Keller die Zahl 58,3, für 
andere Wohnungen 41,1, d. h. thatsächlich ist Kruptod in Kellern um 
42°], häufiger!! 

Es ist ja ganz klar: berechnet man die thatsächliche Verteilung 
der Todesfälle auf die einzelnen Todesursachen in Form von Prozenten 
und vergleicht nun die Prozentanteile der betreffenden Todesursache 
bei den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, so müssen sich diese 
gegenüber der Veränderung der Gesamtmortalität nicht nur dann um- 
gekehrt zu verhalten scheinen, wenn das Auftreten der betreffenden 
Todesursache sich thatsächlich umgekehrt verhält wie diese; nicht 
nur dann, wenn die untersuchte Lebensbedingung thatsächlich auf die 
betreffende Todesursache ohne Einfluss ist, sondern auch dann, wenn 
sich der verändernde Einfluss bei dieser Todesursache zwar in dem- 
selben Sinne geltend macht, wie bei dem Durchschnitte der übrigen 
Todesursachen, das Auftreten anderer Todesursachen aber und damit 
der Durchschnitt in viel höherem Maße verändert wird. Es wird dies 
namentlich dann geschehen, wenn der betreffenden Todesursache unter 
allen Umständen nur ein geringer Anteil an der Gesamtmortalität zu- 
kommt, wie dies z. B. bei den meisten Infektionskrankheiten in der 
Regel der Fall ist. 

Sehr bedeutende Steigerungen im Auftreten einer bestimmten 








Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen. 443 


Todesursache können also bei ausschließlicher Betrachtung der pro- 
zentischen Verteilung der Todesfälle nach Todesursachen völlig un- 
bemerkt bleiben, selbst durch eine scheinbare Verminderung verdeckt 
werden, wenn andere Krankheiten in einer noch mehr erhöhten Häufig- 
keit auftreten, ein Umstand, der überaus zahlreiche statistische Unter- 
suchungen sehr unzuverlässig macht und von vielen Statistikern noch 
immer nicht genügend gewürdigt wird. 

Ich glaube, über Körösi’s Methode genug gesagt zu haben. Sie 
ist ein ungeheuerlicher Missgriff des verdienstvollen Statistikers. Alle 
auf diesem Wege gewonnenen Ergebnisse sind zur Beurteilung des 
Einflusses der Wohlhabenheit und der Wohnung auf die Sterblichkeit 
völlig unbrauchbar und wir wollen daher noch untersuchen, ob zuver- 
lässigere Anhaltspunkte dafür zu gewinnen sind. 

Körösi beruft sich zur Bekräftigung seiner Angaben, dass viele 
Infektionskrankheiten, speziell Diphtheritis und Scharlach, durch die 
Armut gehemmt werden, auf die Untersuchungen Lievin’s über die 
Sterblichkeit in Danzig (D. Viertelj. f. öffentl. Ges.- Pflege, 3, 329). 
Mit Hilfe der relativen Intensität lässt sich auch für Danzig aus- 
reehnen, dass die erwähnten Krankheiten bei den Armen in bedeu- 
tendem Maße seltener den Tod verursachen. In korrekter Weise be- 
rechnet, zeigt sich, dass Diphtheritis in den reichen Bezirken 1,8, 
in den armen 3,9, im reichsten 1,7, im ärmsten 5,1 von 10000 tötete, 
dass an Scharlach in den reichen 6,9, in den armen Bezirken 12,5, 
im reichsten 5,0, im ärmsten 14,3%/900 starben. Soviel nur zur weitern 
Beleuchtung des Wertes der relativen Intensität. Die Zahlen Lievin’s 
selbst sind für eine Todesursachenstatistik gänzlich wertlos, da mehr 
als dieHälfte der Danziger Todesfälle wegen mangelnder 
oder unbrauchbarer Diagnose unberücksichtigt bleiben 
musste! 

Der zweite Gewährsmann Körösi’s, Dr. Reck, macht für 
Braunschweig wertvollere Angaben. Reck (Die Gesundheitsver- 
hältnisse der Stadt Braunschweig, Ibid. 1877) untersuchte die Morbilität 
und die Sterblichkeit in den einzelnen Gassen Braunschweigs, die er 
nach dem Durchschnittseinkommen pro Kopf klassifizierte. In der 
folgenden Tabelle sind seine Resultate enthalten. 





Von 10000 0—A5jährigen starben oder erkrankten jährlich 
































Durchschnitt- - oe er 

Be an Scharlach an der Diphtherie an Krup 

innahme EEE ER . ık- 
h an en, | u Fee | N 

0— 75 Rm. 157 26 Si 12 21 14 
75—100 „ 140 18 53 5 20 | 8 
100—150 „ 144 15 54 1 18 | 10 
450—200 „ 171 10 49 7 11 | 3 
200-250 „ 193 46 97 16 | ae 
über 30 , 245 41 139 22 ET ORAL 


444 Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen. 


Auch hier lassen sich mancherlei Einwände erheben. Die An- 
gaben über Morbilität sind wohl ziemlich unverlässlich. Es ist sehr 
wahrscheinlich, dass bei den Armen viele leichte Fälle gänzlieh über- 
sehen werden und so die Morbilität der Wohlhabenden scheinbar 
größer wird. Was die Mortalität anbelangt, so sind nur bei Diph- 
theritis die Wohlhabenden im Nachteile, bei Scharlach ist die Morta- 
lität der Armen fast 2!/, mal höher. Aber es ist überhaupt zweifel- 
haft, ob die beobachteten Unterschiede der Mortalität auf die Ver- 
schiedenheiten des Besitzes, und ob sie nicht auf verschiedene 
Alterszusammensetzung innerhalb der Gruppe der 0—15jährigen zu 
beziehen ist. Da die Zahl der Geburten in den armen Gassen fast 
4 mal so groß ist, als in den reichen (457 gegen 132 Geburten auf 
100 000 Einwohner), so müssen auch unter 10000 0—15jährigen in 
den armen Gassen viel mehr 0—1jährige sich befinden als in den 
reichen Gassen. Da nun die Untereinjährigen sehr wenig für Diph- 
theritis disponiert sind, so muss allein durch diesen Umstand die 
Diphtheritismortalität in den armen Gassen herabgemindert werden. 
Reck’s Altersklasse ist eben viel zu groß; sie umfasst drei nach 
dem Grade ihrer Disposition durchaus verschiedene Gruppen, die 
0—1-, die 1—5- und die 5—15jährigen. Immerhin müssen seine An- 
gaben zu weitern Forschungen in.dieser Richtung aufmnntern. 

In einer von Körösi nicht zitierten Abhandlung: „Beitrag zur 
Untersuchung des Einflusses von Lebensstellung und Beruf auf die 
Mortalitätsverhältnisse“, Jena 1877, von Joh. Conrad, gibt dieser 
an, dass von 100 Todesfällen unter Kindern bis zu 14 Jahren 
aus höhern Lebensstellungen 10, von Handwerkern 8, von subalternen 
Stellungen 8, von Arbeitern 10 und unehelichen Kindern 4 an Diph- 
theritis starben. Diese Zahlen beweisen natürlich, wie oben dargelegt, 
gar nichts. Ich führe sie nur an, weil das Kuriosum, dass die unehe- 
lichen Kinder am günstigsten gestellt scheinen, wohl jedem über den 
Wert derartiger Prozentzahlen die Augen öffnen muss, und die Ursache 
dieses günstigen Scheines so handgreiflich am Tage liegt. 

Die allgemeinen Angaben, welche aus englischen Städten und aus 
Boston vorliegen, und welche ebenfalls von Körösi zitiert werden, 
beziehen sich gar nicht unmittelbar auf die vorliegende Frage. Wenn 
Scharlach sich unabhängig von Kanalisation und Wasserversorgung 
verbreitet, und wenn unter den von Diphtheritis ergriffenen Häusern 
in Boston nur 50 (später 70) Prozent schmutzig sind, so beweist das 
nicht viel über den Einfluss der Armut. 

Bei diesem spärlichen bisherigen Materiale müssen wir Körösi 
um so dankbarer sein für das, was er uns in seinem neuen Buche 
mitteilt. Glücklicherweise hat er sich nämlich nicht ausschließlich 
auf die Mitteilung der relativen Intensitäten beschränkt. Da ihm 
bezüglich der Wohlhabenheit der lebenden Bevölkerung keine Einzel- 
angaben vorlagen (auf Körösi’s Veranlassung wird bei jedem ein- 





Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen. 445 


zelnen Verstorbenen in sehr dankenswerter Weise der Wohlhaben- 
heitsgrad bestimmt), eine direkte Berechnung der Sterblichkeit für 
jede Wohlhabenheitsklasse daher nicht möglich war, so musste er 
sich darauf beschränken, die Sterblichkeit der einzelnen Stadtbezirke 
mit einander zu vergleichen, welche er nach dem Verhältnisse der 
Dienstboten zur übrigen Bevölkerung in vier Wohlhabenheitsklassen 
einteilte. 

In der I. (reichsten) Bezirksgruppe treffen auf 1 Dienstboten nur 
4,4 und 4,8 andere Personen, in der IV. (ärmsten) 16,2 und 33,3. 
Eine solche Betrachtungsweise kann naturgemäß keine präzisen Zahlen 
liefern, da ja in jedem Bezirke Arme und Reiche wohnen, aber sie 
muss höchst wertvolle Anhaltspunkte zur Beurteilung der Tendenz 
des Einflusses der Wohlhabenheit liefern. 





Br on atarben Due (1879 1882) aus ca 























Fir Ir | Nuke ya 
Wohlhabenheitsklasse 

an Krup. . re 2 bet, 5 | 6 
an Diphtheritis I6 10 7112 sn 
an Keuchhusten 2 3 3 | 4 
ansScharlach® 20... 4 5,5 5 
an Masern las) 6 4 7 
an Blattern . Biel: 5 4 15) 13.5 
an IyPhn8., .Insle.H5,s 3 4 5,0 9 
an Tuberkulose . . . 164 251 311 388 
an Lungenentzündung . | 79 1.197 150 112 





Man sieht, das Auftreten jeder einzelnen dieser Infektionskrank- 
heiten wird häufiger bei sinkendem Wohlstande, und auch bei Krup, 
Diphtheritis, Keuchhusten und Scharlach verhält es sich nicht anders. 
In der vorstehenden Tabelle sind alle Alter zusammengefasst, in der 
folgenden sind nur die bis 5 jährigen berücksichtigt. Sie ist mit einer 
gewissen Unsicherheit behaftet, indem die Zahl der bis 5jährigen 
Verstorbenen zwar für die ganze Stadt bekannt war, ihre Verteilung 
auf die einzelnen Wohlhabenheitsgruppen aber nicht direkt beobachtet, 
sondern nur geschätzt werden konnte. 





Von 10000 Unterfünfjährigen starben jährlich 
IDEE RR 
_Wohlhabenheitsklasse 




















an Krup . . SLR 22,5 Rabe 34,5 4 lopr 
an Diphtheritis Br: 375,60 | 3ay74 47 81,5 49,5$ 90,5 
an Keuchhusten . . . | 26 | 26 26 29 
ansScharlache 2. 20% 32 Ne 33 34 

an» MaBeını an. wles 18,5 4 5855 | 36 | 54 

an Blattern»s 1.1 40 1,723,5 IA TUD 69,5 

an Tuberkulose . . . 462 | 520 ı 648 | 716 


an Lungenentzündung . 595 (63 | 833 


446 


Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen. 


Wenn man von einigen Unregelmäßigkeiten absieht, ergibt sich 
also bei Krup und Diphtheritis, bei Masern, Blattern, Tuberkulose 
und Lungenentzündung für die Unterfünfjährigen dasselbe, wie für 
alle Alter, nämlich Steigen der Mortalität bei Sinken des Wohlstandes. 
Nur bei Keuchhusten und Scharlach ist ein Einfluss der Wohlhaben- 
heit bei den Kindern nicht zu erkennen, was jedenfalls sehr beach- 
tenswert ist. Ein Sinken der Sterblichkeit bei Sinken des Wohlstandes 
erfolgt bei keiner der von Korösi betrachteten Krankheiten. Denn 
wenn in den armen Bezirken Hirnhautentzündung und Hirnentzündung 
seltener werden, dafür aber Fraisen!) über diese Abnahme hinaus häu- 
figer werden, so ist es wohl zweifellos, dass es sich hier nicht um 
Verschiedenheiten der Häufigkeit, sondern um Verschiedenheiten der 
Diagnosen handelt. 


Besonders wertvoll sind die Erhebungen Körösi’s bezüglich der 
Kellerwohnungen, da über die wichtige Frage, welchen Einfluss sie 
auf die Sterblichkeit haben, abgesehen von Angaben Reck’s (a. a. O.) 
über das Verhalten von feuchten und trockenen Wohnungen, bisher 
nichts brauchbares vorlag. 

Bei der außerordentlichen Wichtigkeit, die diese Frage für die 
öffentliche Gesundheitspflege besitzt, wird es gerechtfertigt sein, wenn 
ich das Ergebnis Körösi’s hier im Detail wiedergebe. 





Es starben in den Jahren 1879—1882 von 100000 jährlich 





in Kellerwohnungen in anderen Wohnungen 


























0-5 über 5 Zu- 0—5 über 5 Zu- 
Jahr Jahr | sammen | Jahr Jahr sammen 
Alle Todesfälle _ - 4391 _ 3240 
Nichtinfektiöse 
Krankheiten _ _ 3845 _ 2899 
Infektions- 
krankheiten 4393,4 155,8 546,4 2269,8 116,6 341,1 
(Krup)er. 2° (528,69 1.2010,06) |7°(58,3) 17 (832,8) 0) (41,1) 
(Diphtheritis) . | (485,3) (12,3) (55,9) (445,7) (751) (61,8) 
Krup u. Diph- 
theritis . 1 1013,9 22,9 114,2 778,5 24,2 102,9 
Keuchhusten 554,6 = Di 233,0 1,4 25,5 
Masern 996,5 2,6 94,3 324,8 29 36,4 
Scharlach 372,6 12,3 45.0. 1 312,4 18:6. 249,5 


4) Unter „Fraisen“ sind wahrscheinlich mit Krampfzuständen verbundene 


Krankheitszustände zu verstehen. Dieser sehr unbestimmten Angabe der Todes- 
ursache begegnet man am häufigsten in den Fällen, wo keine Ärztliche Behand- 
lung stattgefunden hatte. 

Anm. d. Red. 








Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen. 447 


Aus dieser Zusammenstellung folgt also: 


Es sterben jährlich in Kellern gegenüber 
andern Wohnungen 














alle Alter | 0-Bjährige | ae 

Prozent Prozent | Prozent 
BDETHRDNU IE Are Mescan + 35,5 (l) — — 
an nichtinfekt. Krankheiten + 32.6 —_ — 
an Infektionskrankheiten . . . Isitzh 60 (!!) — — 
anoRrunge ne. N rt —A2 + 59 +49 
an Keuchhusten —+100 +133 — 
an Masern +159 +207 —10 
an Diphtheritis — 10 an — 28 
an Scharlach — 8 + 19 -— 34 





Betrachten wir zuerst die negativen Fälle näher. Wenn der Aus- 
schlag bei Diphtheritis sowohl für alle Alter, als für die Ueberfünf- 
Jährigen zu gunsten der Kellerbewohner ausfällt, so wird uns dies 
nicht allzu sehr imponieren, wenn wir gleichzeitig die Häufigkeit des 
Krup emporschnellen sehen. Man mag über das Verhältnis von Krup 
und Diphtheritis denken, wie immer, das wird man zugestehen müssen, 
dass sie in praxi nicht genügend geschieden werden. Die Statistik 
wird beide Todesursachen nur vereint inbetracht ziehen dürfen. Thut 
man dies im vorliegenden Falle, dann ergibt sich für die Keller eine 
Steigerung der beiden Krankheiten um 11°/, für alle Alter. Die 
Sterblichkeit der Ueberfünfjährigen ist aber auch jetzt noch etwas 
niedriger, 29,9°/, gegen 24,2%/,. Wenn man aber die Bedeutung dieses 
Unterschiedes richtig würdigen will, muss man sich doch die absoluten 
Zahlen etwas näher besehen. Da findet man denn, dass jährlich im 
Durchschnitte der 4 Jahre überhaupt nur 6,5 Todesfälle an Krup 
und Diphtheritis von überfünfjährigen Kellerbewohnern gezählt wur- 
den. Würde jährlich nur 1 (!) Todesfall an Krup und Diphtheritis 
mehr unter 28410 Kellerbewohnern vorgekommen sein, so würde ihr 
Verhältnis schon weit ungünstiger, als das der anders Behausten er- 
scheinen. Und nun berücksichtige man dem gegenüber noch, dass 
jährlich 10 (!) Krup- und Diphtherie-Todesfälle außer betracht bleiben 
mussten, weil bei ihnen die Wohnungslage nicht ermittelt werden 
konnte! 

Dasselbe gilt denn auch bei den übrigen negativen Ausschlägen. 
In 4 Jahren gab es überhaupt nur 3 (!) über 5 Jahre alte Masern- 
tote und 14 Todesfälle Ueberfünfjähriger an Scharlach ; 57 Todesfälle 
an dieser Krankheit aus allen Altersklassen in Kellern. Wenn von 
den 32 Scharlachtodesfällen, die außer betracht bleiben mussten, nur 
6 thatsächlich den Kellern zugehören sollten, dann wäre der negative 
Ausschlag zu gunsten der Keller schon beseitigt. Wie dem auch sei, 
eine Hemmung der Ausbreitung dureh die Kellerwohnungen wird 


A448 Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen. 


niemand aus den vorliegenden Thatsachen erkennen wollen. Dagegen 
ist es ein für die Aetiologie des Scharlach sicherlich sehr bedeutungs- 
volles Faktum, dass sich diese Krankheit auch hier wieder in ihrer 
Ausbreitung von den sozialen Lebensbedingungen ziemlich unabhängig 
zeigt. An unserem Urteile über die sanitäre Beschaffenheit der Keller- 
wohnungen kann dieser Umstand nichts ändern. 

Eine Steigerung der Gesamtsterblichkeit um 35,5 °/,, eine Steige- 
rung der Infektionskrankheiten um 60%,! Und nun bedenke man 
noch, dass nicht etwa die Gesamtheit oder auch nur die Mehrzahl 
der Armen in Kellern wohnt. In Kellern wohnen nur 31295 von 
360 551 Budapestern, und es starben in den Jahren 1872— 1882 nur 
11453 Personen aus Kellern, während in den Jahren 1876 — 1881 
allein unter 59102 Toten, deren Wohlhabenheitsgrad ermittelt werden 
konnte, 48 962 Arme und Notdürftige gezählt wurden und weitere 
14044 Fälle, bei denen der Wohlhabenheitsgrad nicht festgestellt 
werden konnte, wohl auch zum weit überwiegenden Teile den Armen 
zugezählt werden müssen. 

Es ist also eine durchschnittlich arme Bevölkerung, die an und 
für sich schon unter sehr ungünstigen Bedingungen lebt (wie auch 
ihre hohen Sterblichkeitsziffern beweisen), mit der die Kellerbewohner 
verglichen werden und trotzdem diese ungeheure Steigerung der 
Sterblichkeit! Erwägt man weiter, dass es zum großen Teile gar 
nicht die Aermsten sind, die in Kellern wohnen (Portiere, Haus- 
besorger, Händler, Wirte) dann muss man auf grund der Mitteilungen 
Körösi’s zu dem Schlusse kommen, dass das Wohnen in Kellern an 
sich eine soleh eminente Gesundheitsschädigung darstellt, dass darauf 
ein gesetzliches Verbot aller Kellerwohnungen gar wohl begründet 
werden kann. 

Diesen Thatsachen gegenüber nimmt es sich wahrhaft grotesk 
aus, wenn Körösi uns erzählt, wie er im Jahre 1872 seine Unter- 
suchungen in der Meinung begonnen habe, ein recht ungünstiges 
Resultat bezüglich der Kellerwohnungen zu erhalten, und in welche 
Unruhe es ihn versetzt habe, als im Verlaufe das Ergebnis (8. 220) 
„beinahe auf eine Glorifizierung der Kellerwohnungen hinauslief“ und 
hiermit die auf Verminderung der Kellerwohnungen gerichteten admini- 
strativen Maßregeln „eine sehr unliebsame Desavouierung erfahren“, 
wenn er von einem seltenern Auftreten der Epidemien in denselben 
spricht u. s. w. Und das alles hat die „relative Intensität“ verschuldet! 





Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün- 
schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an- 
zugeben. 

Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man 
an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘ zu richten. 














Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. 











Bioloeisches Üentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 








24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


v1. Band. 1. Oktober 1886. Nr. 15. 








Inhalt: Klebs, Kritische Bemerkungen zu der Arbeit von Wiesner: Untersuchungen 
über die Organisation der vegetabilischen Zellhaut, — Piecone, Vögel als 
Pflanzenverbreiter. — Nassonow, Welche Insektenorgane dürfen homolog den 
Segmentalorganen der Würmer zu halten sein? — Leydig, Hautsinnesorgane 
der Arthropoden. — Seegen, Ueber das Material, aus welchem die Leber 
Zucker bildet. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 
Academie de Sciences de Paris. — Asper und Heuscher, Eine neue Zusammen- 
setzung der pelagischen Organismenwelt. — Bayliss und Bradford, Elektrische 
Erscheinungen bei Drüsensekretion. — Wooldridge, Intravaskulare Gerinn- 
ung. — Anzeigen. 





Einige kritische Bemerkungen zu der Arbeit von Wiesner 
„Untersuchungen über die Organisation der vegetabilischen 
Zellhaut“. 


Von Georg Klebs. 


Die Frage nach dem Bau und dem Wachstum der vegetabilischen 
Zellhaut ist schon oft behandelt worden, aber von einer Lösung der- 
selben stehen wir noch sehr weit entfernt; ja grade die neuern Unter- 
suchungen haben sie in eine größere Ferne gerückt, als man früher 
anzunehmen berechtigt war. Der ausgezeichneten Forschung von 
Nägeli verdanken wir die ersten eingehenden Studien über die 
feinsten Organisationsverhältnisse der Zellhaut, indem er, gestützt auf 
seine Untersuchung der Stärkekörner, die daraus gewonnenen An- 
schauungen über Bau und Wachstum auf die Zellhaut übertrug !). 
Danach besteht dieselbe aus kleinen Molekülgruppen, den sogenann- 
ten Micellen, welche die Form und die optischen Eigenschaften von 
Krystallen haben, sich aber durch den Besitz bestimmter Wasserhüllen 
auszeichnen. Durch Einlagerung neuer Micellen zwischen den alten 





1) Auf die Theorie Nägeli’s ist mehrfach in dieser Zeitschrift hinge- 
wiesen worden. Vergl. z. B. Biolog. Centralblatt I. S. 586, III. S. 100—102, 
12V 32.493, 

V], 29 


450 Klebs, Kritische Bemerkungen zu Wiesner. 


von dem Protoplasma der Zellen aus wächst die Zellhaut sowohl in 
die Länge wie in die Dicke. Diese Intussuszeptionstheorie Nägeli’s 
ist mehrere Jahrzehnte hindurch die herrschende gewesen, bis sie in 
neuester Zeit von verschiedener Seite sehr lebhaft angegriffen und 
etwas ins Wanken gebracht worden ist. Besonders hat Strasbur- 
ger?) in seinem Buche „Ueber den Bau und das Wachstum der Zell- 
häute“ 1832 die ganze Nägeli’sche Theorie beiseite gesetzt und im 
Anschluss an die von Schmitz ausgesprochenen Anschauungen eine 
neue Auffassung durch sehr umfassende und eingehende Beobachtungen 
begründet. Danach entsteht die Zellhaut durch Umwandlung der 
äußersten Protoplasmaschicht, wächst in die Dicke durch Auflagerung 
neuer Lamellen und folgt dem Längenwachstum der Zellen nicht 
durch eignes Wachstum, sondern nur durch Dehnung. Infolge dieser 
Arbeit von Strasburger ist die ganze Frage wieder in lebhaften 
Fluss gekommen, eine allgemein anerkannte Auffassung hat sich aber 
noch nicht Bahn gebrochen. Das erkennt man auch an der neuesten 
die Frage behandelnden Arbeit von Wiesner, „Untersuchungen über 
die Organisation der vegetabilischen Zellhaut“, worin eine ganz neue 
Anschauung, hauptsächlich den feinern Bau betreffend, verteidigt wird. 
Die wesentlichen Ergebnisse und Ueberlegungen der Arbeit von 
Wiesner sind in dem ausführlichen Referat von Wilhelm?) hervor- 
gehoben und mit großem Beifall begrüßt worden. In der That liegt 
in dem Grundgedanken der Wiesner’schen Arbeit etwas Bestechendes 
vor allem deshalb, weil er bei dem ersten Anblick die schwierigen 
Verhältnisse des Zellhautwachstums einfacher zu erklären scheint. 
Umsomehr erscheint es aber wohl berechtigt, eine solche neue Auf- 
fassung, welche alte, zum teil eingelebte Vorstellungen über den 
Haufen werfen will, auf die Art ihrer Begründung etwas genauer 
anzusehen, und in diesem speziellen Falle fordert die Arbeit schon 
an und für sich zur Kritik heraus. 

Die Hauptgrundlagen der neuen Hypothese liegen in zwei bisher 
noch nicht aufgestellten Behauptungen, welche darin bestehen, dass 
erstens die Zellhaut aus kleinen, mikroskopisch eben noch sichtbaren 
Elementarkörperchen, den „Dermatosomen“, zusammengesetzt ist, und 
zweitens die Zellhaut, so lange sie überhaupt an lebenden Zellen sich 
befindet, auch lebendiges Protoplasma enthält. Wie steht es nun mit 
der Begründung dieser Behauptungen ? 

Der Nachweis der Dermatosomen geschieht in der Weise, dass 
die Zellhaut von Lein-Hanffasern mit Salzsäure behandelt, dann bei 
50—60° erwärmt wird, wodurch sie in einen brüchigen Zustand über- 
geführt wird, so dass sie beim leisen Druck in zahllose kleine Frag- 
mente zerfällt. Dasselbe geschieht bei Quetschung mit dem Deckglas, 


1) Vergl. das Referat im Bioiogischen Centralblatt II. S. 641. 
2) Vergl. vorige Nummer dieses Blattes. 





Klebs, Kritische Bemerkungen zu Wiesner. 451 


namentlich bei gleichzeitigem Zusatz von konzentrierter Kalilauge. 
Noch besser gelingt der Zerfall bei Behandlung der Bastfasern mit 
Chromsäure, vor allem aber nach wochenlanger Einwirkung von Chlor- 
wasser und dann einem Druck oder bei Zusatz von Kali. Nach die- 
sen Methoden hat Wiesner die Zellhäute der verschiedenartigsten 
Gewebe selbst von verkorkten und verholzten Zellen untersucht und 
stets ihren schließlichen Zerfall in sehr kleine rundliche Körperchen, 
die Dermatosomen, und außerdem in eine homogene Grundsubstanz 
beobachtet. Nur die Zellwände der Pilze ließen sich bisher nicht in 
solcher Weise zerlegen. Diese Körperchen sollen nun nach Wiesner 
die wesentlichen Elementarorgane der Zellhaut sein. 

Von vorn herein wird man bei unbefangenem Urteil bezüglich 
dieser Beobachtungen sich sagen, dass durch solche einschneidende 
chemisch und physikalisch verändernde Mittel, wie Wiesner sie an- 
gewandt hat, eine weitgehende Zerstörung der Zellhautsubstanz statt- 
gefunden hat und die dabei beobachteten Körnchen nichts weiter als 
Zerfallsprodukte vorstellen. Die verschiedensten organischen Körper 
wie Schleim, Protoplasma können vielfach in eine körnige Masse zer- 
fallen. Wiesner hat sich diesen Einwand selbst gemacht, beant- 
wortet ihn nur damit, dass er sagt: seine Dermatosomen seien or- 
ganisiertt. Der Nachweis dieser besondern Organisation wäre für ihn 
also der wichtigste Punkt. Auffallenderweise begnügt sich aber 
Wiesner nur mit dem Wort, ohne dasselbe zu erklären, in welchem 
Sinne es gemeint ist, und noch weniger dasselbe zu begründen. Denn 
er geht in seiner Mitteilung überhaupt nicht auf die chemischen oder 
physikalischen Eigenschaften der Dermatosomen ein. Die einzigen 
Angaben, die man über sie findet, bestehen darin, dass bei zerstäubter 
Leinenfaser die Dermatosomen sich in Chlorzinkjod weniger violett 
färben als die Grundsubstanz, d. h. also anscheinend weniger Cellu- 
lose enthalten als die letztere, und ferner dass die Körnchen quellbar 
sind. Mit diesen spärlichen Angaben ist aber doch keine Organisation 
der Körperchen nachgewiesen, noch wahrscheinlich gemacht; denn die- 
selben stimmen auch für beliebige Zerfallprodukte der Zellhaut, und 
die Behauptung, dass dieselben nun gar die wesentlichen Struktur- 
elemente der Zellhaut vorstellen, ist in keiner Weise geliefert. 

Das zweite bedeutungsvolle und neue Moment in den Anschauungen 
Wiesner’s liegt in der Behauptung, dass als zweiter wesentlicher 
Bestandteil der Zellhaut lebender Zellen Protoplasma selbst auftritt. 
Dieselbe gründet sich darauf, dass die jungen Zellwände in den Ve- 
getationsspitzen nur dann Cellulose-Reaktionen zeigen, wenn sie mit 
Kalilauge oder Pepsin behandelt werden. Daraus folgt vorläufig nur, 
dass in den jungen Zellwänden eine Substanz sich vorfindet, welche 
die Chlorzinkjodreaktion beeinträchtigt, aber nichts über die Natur 
dieser Stoffe. Denn auch die Pepsinversuche sind nicht beweisend 
für die Eiweißnatur derselben, da die dabei angewandte Salzsäure 

29* 


459 Klebs, Kritische Bemerkungen zu Wiesner. 


sehr wohl die Rolle des reinigenden Mittels gespielt haben kann und 
höchst wahrscheinlich auch gespielt hat. Wiesner hat dann ferner 
Schwefelsäure und Zucker angewendet und will das Eintreten der Ei- 
weißreaktion an den Zellwänden beobachtet haben; doch gibt er selbst 
zu, dass bei der Dünnheit der Wände, dem Eiweißreichtum des Zell- 
inhaltes sehr leicht eine Täuschung möglich ist; die ganze Reaktion 
gehört überhaupt zu den am wenigsten charakteristischen, weil die 
Färbung zu wenig bestimmt ist; ein sicherer Schluss lässt sich auf 
sie allein hin nicht gründen. Einen weitern Nachweis hat Wiesner 
selbst aber überhaupt nicht in der vorliegenden Arbeit geliefert; da- 
gegen hebt er hervor, dass in später erscheinenden Arbeiten seiner 
Schüler der Eiweißgehalt junger Zellmembranen nachgewiesen werden 
wird. Vorläufig erscheint, da ein Urteil über die Methoden in diesen 
Arbeiten sich noch nicht gewinnen lässt, der Eiweißgehalt als eine 
Annahme. An und für sich ist dieselbe möglich, für manche Fälle 
vielleicht wahrscheinlich, und dass wenigstens stiekstoffhaltige Sub- 
stanzen, wenn auch in sehr geringer Menge, in der Zellwand vorhan- 
den sind, ist auch vielfach bekannt. Wiesner macht aber nun einen 
auffallenden Sprung. Er begnügt sich nicht zu sagen, dass in der 
Zellhaut Körper eingelagert sind, welche gewisse Eiweißreaktionen 
zeigen, sondern behauptet, dass Protoplasma, d. h. sogenanntes ak- 
tives lebendes Eiweiß vorhanden ist. Er drückt sich sogar so aus: 
„Ich werde zeigen, dass die lebende Zellwand stets Protoplasma 
enthält, somit Eiweißkörper bildet.“ Danach sollte man also einen 
ganz sichern unumstößlichen Beweis für die Behauptung erwarten, 
welche auch einfach als Thatsache von ihm aufgestellt wird. Der 
Nachweis des Protoplasmas kann in zweierlei Weise geschehen: einmal 
auf anatomischem Wege durch den Zusammenhang eiweißhaltiger 
Substanz mit dem lebenden Zellplasma; ein zweiter und sehr viel 
sichererer Weg besteht darin, dass man von dieser eiweißartigen Sub- 
stanz Lebenserscheinungen, sei es Ernährung, Wachstum, Bewegung 
und dergleichen nachweist. Für den fraglichen Körper in der Zell- 
haut hat Wiesner keinen der beiden Wege betreten, wenigstens hat 
er ein positives Resultat nicht erlangt. Vielmehr stützt er sich allein 
auf eine rein theoretische Ueberlegung, welche überdies nur für einen 
speziellen Fall, nämlich die Zellhaut der Pilze gilt, d. h. grade der- 
jenigen, bei welchen anderseits ihm der Nachweis der Dermato- 
somen nach ihren wesentlichsten Elementen nie gelungen ist. Außer- 
dem ist nun aber auch diese Ueberlegung selbst angreifbar, da sie 
auf mehrern willkürlichen Annahmen fußt, so dass sie selbst für den 
speziellen Fall keine zwingende Beweiskraft besitzt. Wiesner macht 
darauf aufmerksam, dass in dem wachstumsfähigen Gewebe des 
Fruchtkörpers von Polyporus fomentarius die Zellfäden eine sehr dicke 
Membran und ein sehr enges Zell-Lumen besitzen. Nach einer Analyse 
sind von dem Trockengewicht des Gewebes 2,34°/, Stickstoff vor- 








Klebs, Kritische Bemerkungen zu Wiesner. 4553 
handen, welchem, nur auf Eiweiß bezogen, 14,6°/, desselben ent- 
sprechen. Daraus wird dann ein Gehalt von mindestens 10°, Proto- 
plasmasubstanz berechnet, welche wegen des kleinen Zell-Lumens zum 
Teil in der Zellhaut Platz finden müsste. Aus der einen Analyse folgt 
zunächst nur, dass stickstoffhaltige Substanz wahrscheinlicherweise in 
der Zellhaut des betreffenden Pilzes vorhanden ist, aber hieraus einen 
Beweis (!) für das allgemeine Vorkommen von lebendem Protoplasma 
in allen Zellhäuten lebender Zellen zu erblicken, wird niemand zu- 
geben. Setzten wir nun aber voraus, dass ein solcher Beweis ge- 
liefert worden wäre, so würde er für die Wiesner’sche Anschauung, 
dass das Protoplasma ein wesentlicher Bestandteil der Zellhaut sei, 
noch wenig Bedeutung haben. Denn wir wissen jetzt, dass viele Ge- 
webezellen durch zarte Fäden verbunden sind, von denen es we- 
nigstens wahrscheinlich ist, dass sie aus Protoplasma bestehen; wir 
haben das Recht für die Annahme, dass diese Verbindung ein noch 
häufigeres Vorkommen ist, als bisher thatsächlich nachgewiesen worden. 

Wie und wo ist nun aber das Kriterium dieses Protoplasmas von 
dem die Zellhaut zusammensetzenden zu unterscheiden, vor allem der 
Nachweis, dass die Eiweiß- resp. Protoplasma-Reaktionen nicht diesen 
die Zellen verbindenden Fäden allein angehören? Augenscheinlich 
ist die Entdeekung dieser Fäden die erste Veranlassung zu der Wies- 
ner’schen Anschauung gewesen. Aber das Vorhandensein solcher 
Verbindungsfäden hat mit derselben sehr wenig zu thun und beweist 
für sie nichts, da nach ihr die ganze Zellhaut von einem dichten 
Plasmanetz durchsetzt sein soll, ja in den jungen Zellwänden die 
Dermatosomen selbst aus Protoplasma bestehen sollen. 

Aus der vorliegenden Kritik ergibt sich wohl, dass die beiden 
Grundlagen der neuen Anschauung über die Organisation der Zell- 
haut noch viel zu sehr der thatsächlichen Begründung entbehren. 
Noch eine ganze Reihe Einwände lassen sich aber fernerhin erheben; 
nur auf einige mag noch hingewiesen werden. Infolge seiner An- 
schauungen muß Wiesner zwei ganz verschiedene Arten von Zell- 
wänden unterscheiden; eine lebende junge, in welcher der größere 
Teil der Dermatosomen noch aus lebendem Eiweiß besteht und zwischen 
ihnen zahlreiche Plasmastränge ausgespannt sind, und eine tote ältere, 
wo einmal die Dermatosomen aus Cellulose bestehen, außerdem aber 
noch eine homogene ebenfalls aus Cellulose zusammengesetzte Zwi- 
schenmasse vorhanden ist. Sehen wir ab von dieser sehr unwahr- 
scheinlichen Behauptung, zwei verschiedene Cellulosen, eine geformte 
und eine ungeformte neben einander z. B. in den Lein-Hanffasern 
vorzufinden, so fragt man sich vor allem, ob denn nun thatsächlich 
ein solch prinzipieller Unterschied zwischen Zellen verschiedenen 
Alters vorhanden ist? Es ist allerdings eine weit verbreitete Er- 
scheinung, dass die Zellhaut allmählich verändert wird, indem be- 
sondere Substanzen in sie eingelagert werden, wie bei der Verholzung, 


454 Klebs, Kritische Bemerkungen zu Wiesner. 


Verkorkung u. $. w. Aber hierbei wissen wir stets nur, dass in den 
jungen Zellwänden Cellulose wesentlich allein vorhanden ist und dass 
es selbst bei den stark veränderten noch gelingt, nach Lösung der 
inkrustierenden Substanzen die Cellulosegrundlage nachzuweisen. Aber 
in denjenigen Fällen, welche hier vor allem in betracht kommen, wo 
die Zellwand der toten Zellen noch aus Cellulose besteht, hat noch 
niemand nachgewiesen, dass dieselbe anfangs ganz anders gebaut ist. 
Es wäre ja in der That möglich, dass mit dem Tode einer Zelle ge- 
wisse Veränderungen auch in der Zellwand sich zeigen; aber die Art 
derselben lässt sich theoretisch nicht konstruieren, und eine sehr exakte 
Untersuchung kann allein ergeben, ob diese Veränderungen in che- 
mischer oder physikalischer Beziehung eintreten, ob sie sich auf 
Elastizität, Dehnbarkeit, das Verhalten gegenüber Quellungs-Färbungs- 
mitteln u. s. w. beziehen. Wiesner, für den doch der Nachweis 
eines solchen Unterschiedes von größter Bedeutung wäre, gibt keine 
bestimmten Thatsachen, so dass sein Ausspruch, die Zellhaut sei ein 
lebendes Organ der Zelle, in der Luft schwebt. Um so nötiger wäre 
ein sehr genauer Nachweis gewesen, als dieser Satz den bisher fest- 
gehaltenen Anschauungen widerspricht, und der Behauptung, dass die 
jungen Zellwände fast nur aus Plasma bestehen, auch viele That- 
sachen direkt widersprechen, z. B. die, dass grade die jüngsten Zell- 
wände speziell von Algen die reinste Cellulose zeigen. 

Die Frage nach dem Bau der Zellhaut hängt aufs innigste mit 
der Frage nach dem Wachstum derselben zusammen, und die ganze 
Hypothese von Wiesner über die Organisation der Zellhaut entspringt 
wohl dem Bestreben das Wachstum zu erklären. Er schiebt dem in 
der Zellhaut angenommenen Protoplasma die Hauptrolle dabei zu, 
ohne übrigens eine konsequent und klar durchgeführte Theorie zu 
liefern und auf die zahlreichen Schwierigkeiten näher einzugehen. 
Mit dem beliebten und bequemen Zauberwort Protoplasma glaubt man 
manches zu erklären. Aber auch hierfür ist doch vor allem notwendig 
der Nachweis eines solchen, und bevor das nicht geschehen und die 
Kritik zum Stillschweigen gebracht ist, lässt sich schwer über solche 
Anschauungen diskutieren. Sonst erscheint das Protoplasma !) mehr 
wie ein herbeigeholter deus ex machina. 





1) Bezüglich des unbekannten Protoplasmas hat Wiesner eine Vorstel- 
lung ausgesprochen, die mehr kühn als überzeugend ist. Er meint, dass ent- 
sprechend wie die Zellhaut auch das Protoplasma aus kleinen Körnchen, den 
sogenannten Plasmatosomen zusammengesetzt sei. Nun wissen wir von den 
Körnchen des Protoplasmas der Mikrosomen so gut wie nichts, als dass sie 
sich mit Jod und Farbstoffen färben und höchst wahrscheinlich sehr heterogener 
Natur sind. Wir wissen ferner in einzelnen Beispielen von ihnen, dass sie 
passiv bewegt werden von dem anscheineud homogenen aktiv beweglichen 
Hyaloplasma. Diese unbekannten Körnchen nun auf einmal als Elementar- 
organe alles Lebens zu bezeichnen, muss wohl etwas übereilt genannt werden. 


Piccone, Vögel als Pflanzenverbreiter. 455 


Wenn ich in dem Vorhergehenden auf die Mängel und Lücken 
der Wiesner’schen Anschauungen hingewiesen habe, so möchte ich 
doch anderseits auch die Vorzüge der Abhandlung hervorheben, welche 
neben dem Gehalt an mancherlei thatsächlichem neuem Material vor 
allem in der geistigen Anregung zu neuen Forschungen liegen. Zwei 
Gedanken sind es wohl hauptsächlich, welche auf neue Wege hin- 
weisen, der Hinweis einmal, dass man nach einer gröbern erkenn- 
baren Organisation der Zellhaut suchen müsse, bevor man gleich 
ihren feinsten molekularen Bau zu erklären versucht, anderseits die 
Vorstellung, dass die Zellhaut vielleicht in gewisser Weise ein le- 
bendes Organ der Zelle ist. In welcher Weise nun diese Vorstellungen 
durch die Macht der Thatsachen bestätigt oder erweitert werden, 
muss die weitere Forschung lehren. 


A. Piccone, Di Aleune Piante Liguri Disseminate Da Uccelli 
Carpofagi. 
Nuovo Giornale Botanico Italiano, Vol. XVII, 1836, p. 286. 

Der Verfasser hat festzustellen gesucht, welche Vögel die Früchte 
einer Anzahl ligurischer Pflanzen zu verzehren pflegen und damit deren 
Verbreitung befördern können. Er hat dabei eine Reihe von Beobacht- 
ungen und Versuchen angestellt, um zu ermitteln, ob in den Exkre- 
menten von im Käfig gehaltenen Vögeln oder in den Fäces, welche 
dem Endteil des Darmes von getöteten freilebenden Vögeln entnommen 
waren, von den gefressenen Früchten Samen sich vorfänden, welche 
weder durch die mechanische Aktion des Magens noch durch die 
chemische der Verdauungssäfte verändert wären. Um ihre Unverletzt- 
heit um so sicherer festzustellen, wurden in einigen Fällen Keim- 
versuche angestellt. Von vorn herein ist es klar, dass die mit einem 
kräftigen Muskelmagen versehenen fruchtfressenden Vögel (z. B. Tauben 
und Hühner) nur zur Verbreitung solcher Pflanzen beitragen können, 
deren Samen sehr gut gegen die Zertrümmerung geschützt sind; und 
dass anderseits diejenigen, welche keinen Kropf und nur einen schwachen 
Muskelmagen haben, im stande sein werden, auch diejenigen Arten zu 
verbreiten, deren Samen nur durch die eigentliche Samenschale ver- 
wahrt sind. Wie aus der folgenden Aufzählung hervorgeht, gehören 
fast alle Vögel, über welche der Verfasser Beobachtungen anstellen 
konnte, der zweiten Gruppe an. 

1) Rhamnus Frangula L. = Pyrrhula rubicilla, Pall. 

2) Prunus avium L. 

3)  „  Cerasus L. 
Sylvia atricapilla Scop. — Corvus cornix L. — Garrulus glandarius 
Vieill. 


| Turdus merula L. — Turdus viscivorus L. — 


456 Pieccone, Vögel als Pflanzenverbreiter. 


Die schwarzköpfige Grasmücke verschluckt oft die kleinen Kirschen 
ganz, speit aber zuweilen den Kern wieder aus. Auch hierdurch kann 
sie zur Verbreitung derselben beitragen, sobald sie den Kern an einer 
entfernten Oertlichkeit wieder ausspeit. 

#) Fragaria vesca L. = Turdus merula L. — Philomela Luscinia 
Selby. 

5) Rubus discolor W eih. u. Nees | i J 

ee. | Turdus merula L. — Erytha- 
cus rubecula Macgill. — Sylvia atricapilla Scop. — 9. cinerea 
Lath. — S. conspieilata Marm. — Pyrophthalma melanocephala Bp. 

Verf. beobachtete die Keimung der Samen von AR. discolor, aus 
den Exkrementen von Amseln und Rotkelchen, die im Käfig gehalten 
und mit reifen Früchten dieser Art gefüttert wurden. 

7) Rubus Idaeus L. = Turdus viscivorus L. 

8) Crataegus owyacantha L. — Üoccottraustes vulgaris. 

Obgleich viele Vögel den fleischigen Teil der Beeren des Weiß- 
dorns genießen, so scheint doch nur der Kernbeißer zuweilen die 
ganzen Früchte zu verschlucken, oder, noch öfter, mit seinem kräf- 
tigen Schnabel das Endokarp durchzubeißen, um den Samen zu ver- 
speisen. 

9) Pirus Aria Ehrh. — Pyrrhocorax alpinus Vieill. 

10) Pirus Aucuparia Gärtn. — Turdus merula L. — T. torgua- 
tus L. — T. pilaris L. — Pyrrhocorax alpinus Vieill. 


11) Ribes rubrum L. — Turdus merula L. — Philomela Luscinia 
Selby. | 
12) Myrtus communis L. — Turdus merula L. — T. musicus L. — 


T. pilaris L. — Sylvia atricapilla Scop. Besonders die dritte dieser 
Species liebt die Früchte der Myrte. Verschiedenemal wurden sehr 
zahlreiche Samen in ihren Exkrementen gefunden. 

13) Hedera Helix L. — Turdus merula L. — T. musicus L. — 
T. pilaris L. — Erythacus rubecula Macgill. — Sylvia atricapilla 
Scop. 

Epheusamen aus dem Dickdarm der Grasmücke wurden in Ge- 
fäße gebracht und keimten. 

14) Sambucus nigra L. — Erythacus rubecula Macgill. 

15) Viburnum Tinus L. = Turdus merula L. — T. musicus L. — 
Sylvia atricapilla Scop. 

16) Arbutus unedo L. — Parus major L. — Turdus merula L. — 
T. torquatus L. — T. viscivorus L. — T. musicus L. — T. iliacus L. 
— T. pilaris L. — Accentor alpinus Bechst. — 4A. modularis 
Bechst. — Ruticilla phoenicura Bp. — R. thithys Brehm. — Ery- 
thacus rubecula Maegill. — Sylvia atricapilla Scop. — Pyrophthalma 
melanocephala Bp. — Pica caudata L. — Garrulus glandarius Vieill. 

Gut erhaltene Samen von Ardutus fanden sich in den Exkrementen 
von gefangen gehaltenen Amseln, Drosseln und Rotkehlehen, denen 





Piceone, Vögel als Pflanzenverbreiter. 457 


reife Früchte verabreicht worden waren. Auch fand Verf. deren im 
Darm von getöteten freilebenden Rotkehlehen und schwarzköpfigen 
Grasmücken. Verschiedentliche Aussaaten wurden angestellt, und 
außer in drei Fällen wurde immer das Entstehen einiger Pflänzehen 
beobachtet. 

17) Vaceinium myrtillus L. = Turdus merula L. — T. torguatus 
L. — T. viscworus L. — T. pilaris L. — Garrulus glandarius Vieill. 
— Lyrurus tetris SwS. 

Heidelbeersamen, die sich in großen Mengen im Darmkanal einiger 
getöteten Amseln vorfanden, keimten reichlich. Auch das Birkhuhn?) 
ist sehr begierig nach diesen Früchten, doch konnte nicht festgestellt 
werden, ob sich in seinen Exkrementen keimfähige Samen fanden. 
Obgleich es wie alle Hühnervögel einen kräftigen Muskelmagen hat, so 
ist es doch leicht möglich, dass unter der Unzahl von Samen, welche 
dasselbe verschluckt, einige der Zerstörung entgehen. 

18) Olea europaea L. — Turdus musicus L. — T. pilaris L. — 
Sylvia atricapilla Scop. — Fregilus graculus L. — Pyrrhocorax alpinus 
Vieill. — Corvus frugilegis L. — C. corone L. — 0. cornix L. — 
Pica caudata L. — Garrulus glandarius Vieill. 

Es ist wohlbekannt, dass sich sowohl in den Fäces von Drosseln 
wie in denjenigen vieler Corviden, welche sich von Oliven nähren, 
die unversehrten Kerne der Früchte vorfinden. Die Grasmücken, 
welche die Früchte fressen, bekommen dadurch einen besondern Ge- 
schmack, und ihre Eingeweide werden schwarz. 

19) Phyllirea angustifolia L. — Sylvia atricapilla Scop. — 
S. orphea Temm. 

Die S. orphea frisst viele Früchte dieser Pflanze, und unter den 
zahlreichen Samen, welche Verf. im Diekdarm getöteter Vögel fand, 
waren auch einmal einige Früchte, welche von den Verdauungssäften 
kaum affiziert worden waren. 

20) Phytolacca decandra L. — Turdus merula L. — T. musicus 
L. — Erythacus rubecula Maegill. — Sylvia atrocapilla Scop. — 
Pyrophthalma melanocephala Bp. 

Sowohl Amseln wie Rotkehlchen wurden im Käfig mit reifen 
Früchten von Phytolacca gefüttert. Immer waren ihre Exkremente 
intensiv gefärbt und enthielten gut erhaltene Samen. Hier sowohl 
wie bei den andern Vögeln, wenn sie sich von Phytolacca nähren, wer- 
den nicht nur die Exkremente, sondern auch die Gewebe des Verdau- 
ungskanals gefärbt. Einige Keimungsversuche (Amsel, Rotkehlchen, 
Grasmücke) ergaben gute Resultate. 


1) Der Verf. nennt das Tier hier und weiter unten kurzweg „il fagiano*. 
Dass nicht Phasianus colchicus gemeint ist, geht an beiden Stellen aus dem 
Zusammenhang hervor. Die Italiener nennen das Birkhuhn (Lyrurus tetrix 
Sws. = Tetrao tetrix L.) „fagiano di monte*, Bergfasan (s. Savi, Omitho- 
logia Toscana, Vol. II, p. 180). 


458  Nassonow, Insektenorgane homolog den Segmentalorganen der Würmer. 


21) Morus alba L. — Turdus merula L. — Montieola saxatilis 
Boie. — Sylvia atricapilla Scop. — 8. orphea Temm. — S. cinerea 
Lath. — 8. conspieillata Marm. — Passer italiae Gerb, u. Degl. — 
Fringilla coelebs L. 

Gut erhaltene Samen fanden sich in den Exkrementen gefangen 
gehaltener Amseln, welehe mit den Früchten gefüttert waren. Einige 
keimten. Auch im Inhalt des Diekdarms von zwei erschossenen Exem- 
plaren der Sylvia cinerea wurden Samen in gutem Zustande an- 
getroffen. 

99, Juniperus communis L. — 


; a Turdus merula L. — T. torgua- 
tus L. — T. viscivorus L.— T. pilaris L. — Pyrrhocorax alpinus 
Vieill. — Lyrurus tetrie Sws. 


Dass das Birkhuhn die Wachholderbeeren sehr gern frisst, ist 
wohlbekannt. Es konnte aber nicht festgestellt werden, ob die Samen 
den Darmkanal unversehrt passieren, wie dies bei den Drosseln und 
bei Pyrrhocorax der Fall ist. 

F. Moewes (Berlin). 


Welche Insekten-Organe dürften homolog den Segmental- 
organen der Würmer zu halten sein? 


Von Nassonow, 
Assistent des Zool. Museums an der Universität zu Moskwä. 

Bei der Untersuchung der Organisation der niedern Insekten bot 
sich mir Gelegenheit, auf eine Reihe von Thatsachen zu stoßen, die, 
wie es mir scheint, ein gewisses Licht auf die schon lange auf eine 
Aufklärung wartenden Fragen werfen können, ob es bei den Insek- 
ten Organe gibt, die den Segmentalorganen der Würmer 
homolog seien, und welche als solche zu betrachten sind. 

Die Körperorganisation der niedern Insekten ist von mir haupt- 
sächlich inbetreff der Campodea, Lepisma und teils Mactilis inbetracht 
genommen. Campodea staphylinus nämlich hat an der untern Seite 
des Kopfes zwei dicke und kurze Anhänge (Fig. 1 a), von denen 
jeder einen kleinen, eingliedrigen Taster trägt. Zwischen diesen bei- 
den Anhängen befindet sich eine Oeffnung, mittels welcher die Aus- 
führungsgänge zweier gewundener, röhriger Drüsen (2), die sich an 
der hintern Seite des Kopfes befinden, ausmünden. Außerdem be- 
finden sich auf dem 2.—7. Segmente des Abdomens, auf der Bauch- 
seite zwischen den Rudimenten der Gliedmaßen, je zwei Oeffnungen, 
welche die Ausmündungsöffnungen der auf jedem der eben erwähnten 
Segmente befindlichen und am innern Ende blind endigenden Röhren 
(c) sind. Aehnliche Röhren finden sich in den Segmenten des Abdo- 





Nassonow, Insektenorgane homolog den Segmentalorganen der Würmer. 459 


mens auch bei Mactilis. Durch Behandlung mit Spiritus und einigen 
andern Reagentien stülpen sie sich nach außen als sackförmige Anhänge 
vor — und so sind sie als Respirationsorgane beschrieben worden. 
Auf dem ersten Segmente und zwar bei den Weibchen sind die An- 
hänge (/) kurz und aneinandergerückt (ähnlich den an der untern 
Seite des Kopfes befindlichen Anhängen), es befindet sich auch zwischen 
diesen eine als Ausführungsgang zweier Röhren dienende Oeffnung. 
Diese Röhren (e) unterscheiden sich von den Röhren anderer Segmente 
durch ihre Länge und sind nichts weiter, als die Ausführungsgänge 
zweier nur bei Campodea staphylinus vorkommender Eierröhrchen (d). 
Bei Lepisma saccharina findet sich gleichfalls im vordern Teil des 
Kopfes eine Drüse, die in der Basis der Unterlippe unter dem Hypo- 
pharynx ausmündet. Diese Drüse stimmt mit der Thorakalspeichel- 
drüse der Orthoptera, Hymenoptera und der an demselben 
Orte ausmündenden Drüse anderer Insekten vollkommen überein. 
Jedoch ist diese Drüse bei L. saccharina nicht so entwickelt, als bei 
andern, höhern Insekten, sondern ist mit ihrer ganzen Masse in den 
Kopf eingebettet. Sie ist paarig und mit einem breiten Ausführungs- 
gange versehen, wobei jede Hälfte der Drüse zweilappig ist. 


Fig. 1. Schematische Darstellung der CO. staphylinus von der 


Bauchseite: 
a) Die Anhänge der untern Seite des Kopfes. — b) Die Kopf- 
drüsen. — c) Die Röhrchen des Abdomen. — d) Ovaria. — 


e) Deren Ausführungsgänge. — f) Genitalanhänge. 


Fig. 2. 


Fig. 2. Schematische Dar- 
stellung der männlichen Ge- 
schlechtsorgane einer jungen 
Lepisma saccharina: 

a) Vas deferens an der 
Stelle der Mündung der Trich- 
ter (b), 

c) Samenkapseln, 

d) die Windungen der 
Ausführungsgänge, 

e) Genitalanhänge. 





Was die Geschlechtsorgane betrifft, so findet sich bei L. sac- 
charina nicht eine Eiröhre in jedem Ovarium, wie bei C. staphylinus, 
sondern ihrer fünf und sechs Samensäcke jederseits in den männlichen 
Geschlechtsorganen. Der Bau dieser letztern ist besonders interessant 
und bietet folgende Eigentümlichkeiten. Auf der Bauchseite des 


460 Nassonow, Insektenorgane homolog den Segmentalorganen der Würmer. 


neunten Segmentes nämlich befinden sich bei jungen Männchen zwei 
sich einander nähernde Anhänge (Fig. 2 e), denen der C©. staphylinus 
nieht unähnlich. Mehr nach vorn gerückt trifft man zwei ähnliche 
Anhänge, die jedoch von bedeutender Größe sind. Zwischen dem 
ersten Paare der Anhänger öffnen sich die Ausführungsgänge der 
Genitalorgane. Diese Ausführungsgänge sind lange Röhren, deren 
ein wenig sich verbreiterndes hinteres Ende drei Biegungen (d) macht. 
In das vordere Ende münden zwei mit Epithelwänden versehene Trich- 
ter (d). Etwas abwärts finden sich noch zwei Paar Trichter, die in 
den nämlichen Ausführungsgang mittels zweier gemeinsamer Kanäle 
münden, wobei jedes der drei Paar Trichter gleich weit von dem fol- 
genden absteht. Jeder Trichter mündet in das Lumen einer nieren- 
förmigen Kapsel (c), in der Samenkugeln sich befinden. Jede Kapsel 
ist mit Bindegewebemembran bedeckt, das als Tegument auf die 
Wandungen der Kanäle, Trichter und Ausführungsgänge übergeht. 
Die Membran geht ohne deutliche Grenzen in den Fettkörper über. 
Die Geschlechtsorgane der erwachsenen Männchen der Lepisma haben 
eigentlich dieselbe Einrichtung; jedoch sind alle Teile mehr entwickelt 
— die Triehter mit ihren Ausführungsgängen sind rückwärts gebogen 
und sind weniger deutlich ausgeprägt als bei jungen Individuen. 
Setzen wir den Fall, dass die Ausführungsgänge bei ihrer Ein- 
mündung in die Trichter (@) als auch die Kanäle der Trichter sich 
bedeutend verkürzt haben, so haben wir die typische Form der männ- 
lichen Geschlechtsorgane höherer Insekten vor uns. Wie bekamnt, 
entwickeln sich die Vasa deferentia, die Geschlechtsdrüsen und 
die zwischen ihnen liegenden Teile aus dem Mesoderm. Diese That- 
sache als auch die, dass das Vas deferens mit der Höhle der Samen- 
schläuche mittels der Trichter kommuniziert, gestattet, wie es mir 
dünkt, diese als homolog den Segmentalorganen zu betrachten. In 
dem nämlichen Sinne drückt sich, wiewohl hypothetisch, auch Palmen 
in seiner Arbeit „Ueber die paarigen Ausführungsgänge der Geschlechts- 
organe bei den Insekten“ (1884) aus. — Bei den Weibchen sind die 
Ausführungsgänge der Ovarien ebenfalls sehr lang, und bei ihrer 
Einmündung verschmelzen sie miteinander. ‚Unter der Stelle der Ver- 
schmelzung entspringt ein sackförmiges Organ. Die Eierröhrchen 
jedes Ovariums kommunizieren mittels breiter Kanäle nur von einer 
Seite mit dem Ovidukt. Im allgemeinen erhalten wir ein den männ- 
lichen Geschlechtsorganen nicht unähnliches Bild. Die Ausführungs- 
öffnung befindet sich an den Grenzen zweier Segmente, und die Lege- 
röhre besteht aus zwei Paar Anhängen. Das obere Paar entspricht 
dem Segment, welchem die Ausführungsgänge der Geschlechtsorgane 
angehören, das untere Paar aber entspricht dem Segmente, in dem 
die zwei röhrigen Drüsen sich befinden. Die nämlichen Drüsen öffnen 
sich bei jungen Lepismen unter der Geschlechtsöffnung in ihrer Nähe 
an der Grenze zweier Segmente durch zwei Oeffnungen. Diese Drüsen 





Nassonow, Insektenorgane homolog den Segmentalorganen der Würmer. 461 


entsprechen gewissen paarigen Nebendrüsen der Ovarien höherer In- 
sekten. Da bei den erwachsenen Lepismen die Segmente, auf der 
Bauchseite verschmolzen sind, so sind die zwei Paar Anhänge 
der Legeröhren mit ihrer Basis so aneinandergerückt, wie die Oeff- 
nungen aller röhriger Organe dieser Segmente. Die blinden Röhren 
auf den Bauchsegmenten der ©. staphylinus entsprechen ihrer Lage 
nach vollkommen den äußern Enden der Segmentalorgane!). Wahr- 
scheinlich eben deshalb fehlen diese Röhrchen den Segmenten, wo die 
Ausführungsgänge der Geschlechtsorgane sich öffnen. Bei L. sac- 
charina sind die blinden Röhrchen ähnlich dem, was wir bei ©. staphy- 
linus finden, mit Ausnahme der oben erwähnten Nebendrüsen nicht 
vorhanden. Die beiden Anhänge, die sich auf der untern Seite des 
Kopfes bei C. staphylinus befinden, entsprechen wahrscheinlich den 
beiden Gliedmaßen des Embryos der Insekten, aus denen die Unter- 
lippe entsteht. Diese Annahme wird dadurch bestätigt, dass der 
Unterrand der Mundöffnung durch eine einfache Hautfalte begrenzt 
wird, in der weder eine Gliederung noch irgend welche Anhänge zu 
bemerken sind. Diese Falte entspricht wahrscheinlich dem Hypopharynx 
anderer Insekten. Die Seidespinndrüsen haben, nach Bütschli und 
Kowalewsky, beim Embryo der Biene und nach Tiehomirow 
bei der Seidenraupe, wenn die Anhänge, welche die Unterlippe um- 
geben, noch nicht aneinandergerükt sind, die Form zweier röhriger 
Drüsen, die durch zwei Oeffnungen zwischen den Anhängen ausmünden. 
Diese Oefinungen fließen zusammen, wenn die die Unterlippe bilden- 
den Anhänge aneinanderrücken; zu dieser Zeit erhalten die Drüsen 
eine den Kopfdrüsen der C. staphylinus ähnliche Lage. Der Unter- 
schied, dass bei höhern Insekten diese Drüsen nicht nur im Kopfe, 
sondern auch im Rumpfe liegen, darf nicht inbetracht kommen, um 
so weniger, da bei L. saccharina die Speicheldrüse, die sich an der 
untern Seite der Unterlippe öffnet, voll und ganz im Gehirnraume 
liegt. Das alles weist daraufhin, dass wir es hier mit homologen 
Organen zu thun haben. — Anderseits entstehen nach Wejdowsky 
die Speicheldrüsen bei einigen Oligochäten durch Verwachsung 
der Segmentalorgane. Die Lage der Kopfdrüse bei C. staphylinus, 
zum Teil auch ihr Bau spricht dafür, dass wir es hier mit Resten 
der Segmentalorgane zu thun haben. Dafür spricht auch der Um- 
stand, dass die Seidespinndrüsen, die homologen Organe der Kopf- 
drüse des ©. staphylinus, ursprünglich als zwei getrennt gelegene Röhr- 
chen auf der innern Seite der Anhänge angelegt werden. Leider 
besitzen wir nicht ausführliche Beobachtungen über die Lippendrüsen 
irgend eines Insektes, die eben von diesem Standpunkte aus gemacht 
wären. — 

4) Bei flüchtigem Blick könnte man diese Röhrchen, ebenso wie die 
Drüsen des Kopfes für die der Tracheen halten, jedoch dieser Ansicht wider- 
spricht ihre Lage an der innern Seite der Anhänge. 


462 Leydig, Hautsinnesorgane der Arthropoden. 


Auf das hier Gesagte uns stützend, haben wir, wie es mir 
scheint, Grund genug, um zu folgern, dass ein Teil der Ausfüh- 
rungsgänge der männlichen Geschlechtsorgane sich 
aus dem Mesoderm entwickelt, und dass die Thorakal- 
speicheldrüsen der Insekten homolog den Segmental- 
organen der Würmer sind. Esist ferner wahrscheinlich, 
dass auch die Ovidukte, einige Nebendrüsen der Ge- 
schlechtsorgane der Insekten und ebenso die Abdominal- 
röhrchen bei Campodea und Mactilis die Reste der 
Segmentalorgane sind!). 


F. Leydig, Die Hautsinnesorgane der Arthropoden. 
Zoologischer Anzeiger, Nr. 222 und 223. 


Tastborsten, Riechkolben, Schmeckfäden und Hörhaare der Arthro- 
poden sind nichts Anderes als Umbildungen des gewöhnlichen Haar- 
oder Borstenbesatzes. Dies hatte Verf. früher bereits dargethan, und 
nach ihm sind Forel, Hauser, Kräpelin zu derselben Anschauung 
gelangt. Dabei ist der Inhalt der gewöhnlichen Haarfortsätze 
der Hautdecke gleichzusetzen einer Ausstülpung der Leibeshöhle: eine 
homogene Cuticula und darunter die zellige Matrix umschließen einen 
hellen Inhalt, die Blutflüssigkeit. In das von der Cutieulaschicht des 
Integuments abgegliederte Haar führt durch die Cutieula ein stärkerer 
Porenkanal zum Innenraum des Haares, dessen Inneres entweder ein- 
fach mit heller Flüssigkeit erfüllt erscheint, oder von „einem Netz- 
oder Wabenwesen durchspannt ist, dessen Maschen die Flüssigkeit in 
sich schließen“. „Das cutieulare Haar ist in seiner ersten Anlage 
die Abscheidung eines zelligen Elementes des Panzers; ein fadiger 
Fortsatz des Zellkörpers kann sich durch den Porenkanal hindurch 
bis ins Innere des Haares erheben, ja dort bleibend sich erhalten.“ 
Zellsubstanz besteht aus Spongioplasma und Hyaloplasma; man darf 
somit das Flüssige im Haar als Hyaloplasma ansprechen, während 
das von dem Spongioplasma Erhaltene der Borste ihr ein maschiges 
oder gekammertes Aussehen verleiht. Das Hyaloplasma aber, welches 
teilweise den Charakter eines Sekrets hat, kann nach außen vor- 
quellen und die Borsten zu Gifthaaren, Hafthaaren, Duftschuppen 
machen. 


4) Eine ausführlichere Beschreibung dieser Frage wird in meiner Arbeit 
„Ueber die Organisation der Thysanuren“ stattfinden, die bald in den „Arbeiten 
des Laboratoriums des zoologischen Museums an der Universität zu Moskwä“ 
gedruckt werden wird. 











Leydig, Hautsinnesorgane der Arthropoden. 463 


Eine Tastborste ist die Ausrüstung einer Endganglienzelle: ein 
Nerv verläuft nach ihr hin, um an ihr gangliös zu enden. So kommen 
bei Rotatorien, Crustaceen und Insekten überall terminale, mit Haut- 
borsten in Verbindung stehende Ganglienkugeln vor. Im Bau der 
Tastborsten macht sich kein Unterschied bemerkbar von den gewöhn- 
lichen Haaren und Borsten. Besonders bei Wassertieren finden sich 
die Tastborsten häufig in zarte, blasse, ganz- oder halbgefiederte Ge- 
bilde verwandelt, während bei Insekten die Borste in ganzer Länge 
stark chitinisiert bleiben kann. 

Schon mehr von den gewöhnlichen Haarfortsätzen weichen die 
Riechkolben in ihrem Baue ab. Nur hängt auch hier die Stärke 
der euticularen Umhüllung von dem Aufenthalt ab: bei Insekten und 
Myriopoden bleibt nach der ganzen Länge des Organs die Chitinhaut 
so ziemlich von gleicher Dicke; hingegen bei den Krebsen grenzt sich 
nur das Wurzelstück durch eine dicke Outicula wie eine Art Stiel ab, 
während der übrige Teil viel zarter ist. Das freie Ende der Riech- 
kolben kann eine Oeffnung besitzen, umgeben von einem dunkeln 
festen Cutieularing, wie es Verf. zuerst bei Daphniden beobachtete. 
Das Innere der Riechkolben erschien Leydig als ein blasser homo- 
gener Stofi; homogene Nervensubstanz verschmilzt mit dem Hyalo- 
plasma des Riechkolbens in eins. Aus der Oeffnung des Kolbens 
aber kann der Inhalt nach außen hervordringen, in Form eines 
Wölkchens feinkörniger Substanz, oder auch in Gestalt blasser Fädchen 
und Stiftchen, wie wohl auch bei den Riech- und Geschmackszellen 
der Wirbeltiere. 

Mit den außen ansitzenden Riechkolben stellt Verf. die innerlich 
vorkommenden Hörstifte der Insekten zusammen, für welche An- 
sicht er besonders die Untersuchungen von Bolles Lee ins Feld 
führt). Nach Bolles Lee stellt ein solches Organ einen Schlauch 
vor, der entstanden ist aus der Kapsel der Ganglienzelle und einen 
Axenfaden einschließt. Der Schlauch schwelle zum Stiftskörper an, 
verdicke sich zum Stiftsknopf, um zuletzt wieder verdünnt als 
„Distalehorda* am Integument zu endigen. Gestützt darauf führt 
Leydig aus: Der Hörstift ist die Verbreiterung einer Nervenröhre, 
und insofern die letztere aus einem Gerüst oder Spongioplasma und 
dem homogenen Inhalt oder Hyaloplasma besteht, unterscheidet man 
auch an dem Hörstift eine Umhüllung, welche zart anfängt, sich all- 
mählich verdickt und den dunkeln Rand erzeugt; dieselbe schwillt 
ferner an zu dem durchbohrten Knopfe, von dem weg wieder das 
Spongioplasma, verdünnt, zum Integument zieht. Die helle homogene 
Masse im Innern entspricht nervösem Hyaloplasma. Ist aber der 
Axenfaden wirklich ein Faden in der Mitte der Nervensubstanz und 





4) Arthur Bolles Lee, Bemerkungen über den feinern Bau der Chordo- 
tonalorgane. Arch. f. mikr. Anat. 1883. 


464 Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 


dann etwa vergleichbar einem der Fäden in der Axe der breiten Ner- 
venfasern des Flusskrebses, oder hat man nicht vielmehr den op- 
tischen Ausdruck einer das Hyaloplasma halbierenden Scheidewand 
vor sich? 


Ueber das Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 


Von J. Seegen in Wien. 


Meine letzten Mitteilungen!) in diesen Blättern hatten zum Gegen- 
stande jene Versuchsreihen, durch welche der Zuckergehalt des in die 
Leber einströmenden Pfortaderblutes und des aus der Leber aus- 
strömenden Lebervenenblutes festgestellt wurde. Durch 13 Versuche, 
an lebenden Hunden angestellt, wurde konstatiert, dass das ausströ- 
mende Blut beträchtlich mehr Zucker enthält als das in die Leber 
gelangende Blut. Es wurden ferner Versuche mitgeteilt, welche über 
die Größe der Ausfuhr innerhalb einer Zeiteinheit Aufschluss geben 
konnten; endlich auch von jenen Versuchen Mitteilung gemacht, welche 
den Beweis lieferten, dass der gebildete Zucker rasch im Blute und 
in den Organen umgesetzt wird. Die Resultate aller dieser Versuche 
waren in dem Satze zusammengefasst: die Bildung des Zuckers 
in der Leber und dessen Umsetzung im Blute oder in den 
von dem Blute durcehströmten Organen zählen zu den 
wichtigsten Funktionen des Stoffwechsels. 

Diese Resultate waren im großen und ganzen nur die Bestätigung 
von Bernard’s vor nahezu 40 Jahren gemachten Entdeckungen. Im 
Jahre 1848 hat Bernard die bis dahin nicht geahnte Entdeckung 
gemacht, dass die Leber Zucker bilde. Von vielen, zumal von fran- 
zösischen Gegnern wurde diese Entdeckung bekämpft; aber alle Ein- 
würfe wurden von Bernard glänzend widerlegt, und die gesamte 
wissenschaftliche Welt nahm die glykogene Funktion der Leber als 
feststehende Thatsache an. Erst viele Jahre später trat ein neuer 
und mächtiger Gegner F. W. Pavy auf den Schauplatz. 

Bernard hatte für die Feststellung der glykogenen Funktion der 
Leber einen zweifachen Beweis geliefert: a) er hatte in der Leber 
einen beträchtlichen Zuckergehalt nachgewiesen, b) er hatte gezeigt, 
dass das Lebervenenblut zuckerreicher sei, als das Blut der Pfort- 
ader. Aber Bernard hatte alle seine Versuche an getöteten Tieren 
ausgeführt. Pavy behauptete nun, dass die ganze Zuckerbildung ein 
postmortaler Vorgang sei. In der toten Leber werde durch ein im 
Momente des Todes in der Leber entstehendes Ferment, das Leber- 
amylum, in Zucker umgewandelt, grade so wie wir im stande sind, im 





1) Biologisches Centralblatt, IV. Bd., Nr. 20. 











Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 465 


Laboratorium aus Leberamylum Zucker zu bilden durch Hinzufügung 
von Speichel oder Pankreasextrakt. Im Leben sei dieses Leberferment 
nicht.vorhanden, es finde also auch keine Zuckerbildung statt. Wenn 
die Fermentbildung verhindert wird durch Eintauchen der dem eben 
getöteten Tiere rasch exzidierten Leber in siedendes Wasser oder in 
eine Kältemischung, dann sei auch die Zuckerbildung verhindert; eine 
solehe Leber enthalte keinen oder nur Spuren von Zucker, und das 
sei der Zustand, wie er im Leben vorhanden ist. Bernard hat 
diese Einwendungen Pavy’s und zwar in schlagender Weise widerlegt. 

In seiner letzten — kurz vor seinem Tode veröffentlichten — 
Arbeit hat er Versuche mitgeteilt, die an lebenden Tieren angestellt 
wurden. Die dem lebenden Tiere exzidierte Leber enthält beträcht- 
liche Mengen Zucker. Bernard’s Resultate wurden von Dalton in 
New-York, von mir und Kratschmer bestätigt. Wir fanden bei 
unsern zahlreichen, an Tieren verschiedener Klasse angestellten Ver- 
suchen durch gründlichere Erschöpfung der dem lebenden Tier ent- 
nommenen Leber einen nahezu doppelt so großen Zuckergehalt, als 
ihn Bernard gefunden hat. Alle diese positiven Befunde waren 
nicht im stande, die durch Pavy angeregten Zweifel an der vitalen 
Glykogenie zu bannen. Es wurde gegen all die Versuche, an lebenden 
Tieren angestellt, der Einwand erhoben, dass die wenigen Minuten, 
welche verstreichen mussten, bis die Leber exzidiert, gewogen, 
geschnitten und in siedendes Wasser eingetragen wurde, genügt hätten, 
um das Auftreten des Fermentes und mit diesem die Zuckerbildung 
zu ermöglichen. Es sei der Vorgang, so dachte man, analog der 
Blutgerinnung, die auch, fast unmittelbar nachdem das Blut dem leben- 
den Tiere entnommen ist, stattfindet. Und so ward allmählich Ber- 
nard’s Lehre zuerst angezweifelt, schließlich als irrig beseitigt, und 
jene Forscher, welche den Zucker im Blut direkt nachwiesen, glaubten, 
es sei Nahrungszucker, der, mit der Pfortader in die Leber geführt, 
diese einfach durchströmt, um in die allgemeine Zirkulation gebracht 
zu werden, ohne dass die Leber zu dieser Zuckerfracht etwas hinzu- 
fügt. Bernard’s einst so berühmter Fundamentalversuch, die quanti- 
tative Bestimmung des Zuckers des in die Leber einströmenden und 
des aus der Leber ausströmenden Blutes, war von ihm nur an frisch 
getöteten Tieren ausgeführt und verlor die Beweiskraft, sowie man 
die Zuckerbildung in der Leber als postmortale Erscheinung auf- 
fasste. Einige Forscher wiederholten zwar den Fundamentalversuch 
Bernard’s an lebenden Tieren; aber sie hatten es wie Abeles 
versäumt, die beiden Blutarten unvermischt zu erhalten, oder sie 
hatten wie Bleile und v. Mering diese Versuche unmittelbar 
nach reicher Zuckernahrung ausgeführt und nur eine unscheinbare 
Differenz im Zuckergehalte des zu- und abgeführten Blutes erhalten, 
und hatten durch diese Versuche die Ansicht gekräftigt, dass die 
Leber sich an der Zuckerbildung nicht beteiligt. Meine Versuche 

vi, 30 


466 Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 


knüpften an Bernard’s Fundamentalversuch an, nur waren die- 
selben an lebenden Tieren ausgeführt und war die Methode (nach 
v. Mering) der Reingewinnung der beiden Blutarten eine tadellose. 
Wie bereits erwähnt gaben 13 zu diesem Zwecke angestellte Versuche 
das gleichmäßige Resultat, dass das Lebervenenblut nahezu doppelt 
so viel Zucker enthält als das Pfortaderblut. Damit war die That- 
sache, dass die Leber Zucker bildet, wieder festgestellt und wird 
hoffentlich nicht mehr angezweifelt werden können. Ich habe mit 
diesem Teil der Arbeiten gleichsam eine Quelle wiedergefunden, die 
durch Unkenntnis verschüttet wurde, und sie nur durch richtige Fassung 
vor ähnlichen Zufällen bewahrt. Ich habe, indem ich die Größe der 
Zuckerbildung innerhalb einer Zeiteinheit annähernd bestimmte, die 
Bedeutung dieser Leberfunktion für den Gesamtstoffwechsel ermittelt 
und damit den vollen Wert von Bernard’s großer Entdeckung klar 
gestellt. 

Der 2. Teil meiner Arbeiten. hatte zum Gegenstande die Er- 
forschung des Materials, aus welchem die Leber den Zucker bildet, 
und hier kam ich zu Resultaten, die mit denen von Bernard nicht 
übereinstimmen. 

Bernard hatte, wenige Jahre nachdem er die Leber als zucker- 
bildendes Organ erkannt hatte, in diesem Organe einen Körper ge- 
funden, der dem pflanzlichen Stärkemehl sehr nahe verwandt ist; für 
Bernard war es kein Zweifel, dass dieser Körper das Material sei, 
aus welchem die Leber den Zucker bereite. Er nannte ihn daher 
Glykogen. Er hielt die Zuckerbildung in der Leber für identisch 
mit der Zuckerbildung im keimenden stärkemehlhaltigen Samenkorn. 
In diesem ist es die Diastase, welche die Umwandlung bewirkt; in 
der Leber sollte gleichfalls ein eignes Leberferment diesen Umwand- 
lungsprozess vollziehen. Einen direkten Beweis für die Entstehung 
des Leberzuckers aus Glykogen hat Bernard nie erbracht. Ich habe 
schon früher!) Thatsachen mitgeteilt, die mit Bernard’s Auffassung 
des Zuckerprozesses in Widerspruch standen. — Zwei Vorgänge können 
nur dann als gleich angesehen werden, wenn die Bedingungen gleich 
sind und wenn das Produkt ein gleiches ist. Das tierische und das 
pflanzliche Amylum können als analog angesehen werden; dagegen 
ist es bis jetzt noch nie gelungen, ein Leberferment darzustellen, 
welches in seiner Wirkung auch nur annähernd an die Wirkung der 
andern diastatischen Fermente heranreicht. Die schwache sacharifi- 
zierende Wirkung des Leberglyzerinextraktes ist dieselbe, wie sie 
den meisten eiweißhaltigen Geweben zukommt, und sie wäre nicht im 
stande, die reiche Zuckerbildung in der Leber zu erklären. Der Leber- 
zucker ist unzweifelhaft Traubenzucker, während der durch Fermente 
gebildete Zucker wahrscheinlich mit Maltose identisch ist. Endlich 





4) Biologisches Centralblatt, II. Bd., Nr. 19. 








Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 467 


lehrte auch eine Reihe von Versuchen, dass der Zuckerbildungs- 
prozess in der Leber, der noch 24—48 Stunden nach dem Tode des 
Tieres fortbesteht, den Zuckergehalt der Leber von 0,5 auf 3°/, und 
darüber zu bringen vermag, während der Glykogengehalt innerhalb 
dieser Zeit ganz unverändert bleibt. Das Material für die Zucker- 
bildung musste also notwendigerweise ein anderes sein. 

Es ist mir zunächst gelungen nachzuweisen, dass bei Pepton- 
fütterungen, bei Peptoninjektionen, und bei Einwirkung von Leber, 
die durch arterielles Blut lebend erhalten wurde, auf Pepton die 
Zuckerbildung gesteigert wird, dass also die Leber im stande ist, auf 
kosten von Pepton Zucker zu bilden. Auch über diese Versuche habe 
ich in diesen Blättern Mitteilung gemacht '). 

Durch diese Arbeiten war nun bewiesen, dass die Rolle, die dem 
Glykogen bei der Zuckerbildung in der Leber zugeschrieben wurde, 
keine solide Basis habe. Wir sahen Zuckerbildung vor sich gehen, 
ohne dass das Glykogen in seinem Bestande verringert wurde, und 
wir lernten durch das Experiment, dass die Leber die Fähigkeit be- 
sitzt, durch die Spaltung eines Eiweißkörpers Zucker zu bilden. Damit 
ist aber die Frage nicht gelöst, in welcher Weise die Leber des leben- 
den Tieres den Zucker bereitet. Weil die Möglichkeit für die Leber 
erwiesen ist, aus einem Albuminate Zucker zu bereiten, ist damit noch 
nicht festgestellt, dass die Albuminate wirklich das Material für diese 
Umsetzung abgeben. Weil das Glykogen nicht so labil ist, wie es 
nach Experimenten im Laboratorium den Anschein hat, ist damit nicht 
erwiesen, dass es nicht in langsamer Umwandlung im Tierkörper den 
Blutzucker liefern könne, und wenn die Natur des Leber- und Blut- 
zuckers dagegen sprieht, dass derselbe durch ein Ferment entstanden 
sei, so ist damit nur erwiesen, dass unsere Vorstellung über den Um- 
wandlungsvorgang des Glykogens in Zucker eine irrige war. Es ist 
aber nicht ausgeschlossen, dass die Umwandlung in einer andern Weise, 
etwa durch eine schwache Säure zu stande kommen und als Resultat 
Traubenzucker entstehen könne. Ich habe mir daher die Aufgabe 
gestellt, die Zuckerbildung in der Leber unter den verschiedensten 
Ernährungsbedingungen zu studieren, in der Hoffnung, dass es da- 
durch möglich sein wird, mit Bestimmtheit zu erkennen, aus welchem 
Materiale der Zucker gebildet wird, und über diese Versuche will ich 
hier berichten. Die Versuche wurden ausschließlich an Hunden an- 
gestellt. Die Versuchsdauer schwankte zwischen 8—10 Tagen. Es 
wurden 43 Tiere für die Versuche verwendet. Die Versuche zerfielen: 

A) in Hungerversuche, B) Fütterung mit Stärke, C) Fütterung mit 
Zucker, D) Fütterung mit Dextrin, E) Fleischfütterung, F) Fett- 
fütterung. 

Zum Schlusse jeder Fütterungsperiode wurde der Zuckergehalt des 





1) Biolog. Centralblatt, II. Bd., Nr. 19. 
>0= 


468 Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 


Carotisblutes, des Pfortader- und Lebervenenblutes bestimmt. Die beiden 
letztgenannten Blutarten wurden nach früher angegebenen Methoden!) 
sorgfältig getrennt gesammelt, durch essigsaures Natron und Eisen- 
chlorid enteiweißt, und der Zucker durch Fütterung mit Fehling’scher 
Lösung und durch Gärung bestimmt. Die Details der Versuche finden 
sich in den Originalabhandlungen ?). 


A) Hungerversuche. 

Ich habe 8 Hungerversuche angestellt. Die Hungerperiode war 
von 6—10 Tagen (Versuch VI 10 Tage), die Tiere bekamen inner- 
halb dieser Zeit nur Wasser nach Belieben. Das Tier, welches 10 Tage 
gehungert hatte, war zuletzt so schwach, dass es nur mühsam vom 
Käfig ins Laboratorium wankte. Bei 8 Hungertieren wurde der Harn 
während der ganzen Periode oder während des größten Teiles der- 
selben gesammelt, und täglich der im Harn befindliche Stickstoff in 
dem von Seegen-Schneider angegebenen Apparate bestimmt. 

Die wichtigsten Resultate gibt die nachstehende Tabelle. 






































aa = - | Stickstoff- 
Es 05 un menge || Gesammt- 
>" || Anfang | Ende | Carotis | Porta |Lebervene ‚ harns 
I 12 10,7 0,144 0,133 0,350 = = 
ul % 128 | 0,200 | 0,166 0,268 = ai 
II 8,5 7,5 0,172 0,163 0,424 300 11,7 
IV 411,2 8,9 0,200 0,171 0,279 450 10,2 
V 13,0 11,0 |! 0,140 0,132 0,215 830 || 35,3 
VIENNA IS 16,2 0,108 0,091 0,156 14907 ,17.59,8 
vu 12,8 10,5 || 0,148 0,169 0,190 1770 33,8 
VII 10,9 7,8 0,148 0,156 0,200 40 | 141 











Mittel: 0,157 | 0,147 | 0,260 

Die wichtigsten Ergebnisse dieser Versuche sind: 1) Bei allen 
Hungerversuchen ist das Lebervenenblut reicher an Zucker als das 
Pfortaderblut. Das Lebervenenblut enthält nahezu die doppelte Menge 
Zucker. Selbst in dem Versuche VI, der 10 Tage gedauert hat, bei 
welchem das Tier fast sterbend und der Zuckergehalt der Pfortader 
unter 0,1°/, gesunken war, enthielt das Lebervenenblut 0,156 %/,, es 
waren also in der Leber mehr als 50 °/, Zucker hinzugekommen. 

Die Zuckerbildung in der Leber dauert bis zum Ina- 
nitionstode fort. 

2) Die Zuckerbildung während des Hungerns kann unmöglich 
auf kosten von früher eingeführten und etwa im Körper in irgend 
einer Form aufgespeicherten Kohlehydraten stattfinden. Denken wir 
uns z. B., die Leber des Versuchstieres VI hätte beim Beginn des 
Hungerns 10°/, Glykogen enthalten, es ist dies nahezu die größte 

1) Biologisches Centralblatt, IV. Bd., Nr. 20. 

2) Pflüger’s Archiv für Physiologie, Bd. XXXVII und Bd. XXXIX. 














Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 469 


Menge des nach Kohlehydratfütterung gefundenen Glykogengehaltes. 
Bei einer Lebergröße von etwa 300 g würde der Glykogengehalt 
derselben 30 g betragen. Dazu wäre auch zu rechnen der Glykogen- 
gehalt der Muskeln. Dieser schwankt nach O. Nasse in den ein- 
zelnen Muskelpartien des Hundes zwischen 0,7—0,9 /,. Bei einem 
Tiere von 20 kg und dem Muskelbestand von 45°/, (nach Voit) würde 
dies 90 g Glykogen im Maximum betragen. Nach Messungsversuchen, 
die ich ausgeführt habe, und die in meiner Arbeit „Ueber Zucker im 
Blute“ früher mitgeteilt wurden, wird die Leber eines 10 kg schweren 
Tieres von 230 Liter Blut in 24 Stunden durchströmt, und wenn die 
Zuckeraufnahme in der Leber auch nur 0,05°/, betragen würde, wäre 
die Zuckerausfuhr in 24 Stunden 115 g. Das gesamte Glykogen 
würde also eben ausreichen, um für etwa 24 Stunden genügendes Ma- 
terial für die Zuckerbildung zu liefern. 

Es ist also zweifellos, dass das hungernde Tier aus seinem Organ- 
bestande das Material für die Zuckerbildung hergegeben hat. 

3) Die Stiekstoffausscheidung durch den Harn war eine sehr 
wechselnde. Bei jenen Versuchstieren, welche eirca 2 g Stickstoff 
des Tags ausschieden, würde diese Ausscheidung einem Fleischumsatz 
von eirca 50—60 g per Tag entsprechen. Der Kohlenstoffgehalt 
dieses Fleisches würde für die Zuckerbildung des Tags nicht genügen. 
Es ist also wahrscheinlich, dass auch andere nicht stickstoffhaltige 
Organbestandteile und speziell Fettgewebe sich an der Stickstoffbildung 
beteiligen. 


B) Fütterung mit Stärke. 


Die Tiere erhielten, nachdem mehrere Hungertage vorausgegangen 
waren, täglich 250 g eines aus Reisstärke und Wasser bereiteten 
Kuchens — 150 g Stärke. In zwei Versuchen wurde statt des 
Stärkekuchens Kartoffelkuchen oder Reiskuchen in gleicher Quantität 
angewendet. Die nachstehende Tabelle enthält die gewonnenen Resultate. 












































| | 
.. Stunden 
a s | I ne zwischen || Körpergewicht Zuckergehalt 
2 = dauer Versuch in Kilogramm in Prozenten 
e = in Tagen und letzter | 
| Fütterung) Anfang | Ende | Carotis | Porta Lebervene 
IX 4 19 | 11,8 —_ 0,152 0,158 0,409 
x 6 124 | 135 13,0 0,149 0,123 0,215 
xI Zi linatluilasl 298:8 1,5,1611,,0,142).1..0,120%., 0,183 
XI % | 3 ı 10,5 11,8 0,129 , 0,120 | 0,346 
Xıll 5 | | 16,2 15,8 0,147 0,170 0,252 
XIV 5 15 | 8,8 82 || 0,138 | 0,138 | 0,241 
XV 6 31a | 9,7 9,3 —_ 0,120 | 0,190 
XVI || 7 7 | 7,4 12 0,205 0,207 0,270 
XVII 7 4 | 9,1 8,7 0,164 0,170 0,250 
Mittel: 0,150 | 0,144 | 0,261 


470 Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 


Als Resultat ergibt sich: 1) das Lebervenblut enthält wieder be- 
trächtlich mehr Zucker als das Blut der Pfortader. Das Mittel aus 
allen Versuchen ergibt: 0,144 °/, Zucker für die Pfortader und 0,261 
für die Lebervene. 

2) Die Versuche beweisen auf das entschiedenste, dass der Leber- 
venenzucker nicht vom Nahrungszucker bezw. von den eingeführten 
Kohlehydraten herrührt, da ja sonst die Lebervene keine größere 
Menge Zucker ausführen könnte, als die Einfuhr in die Leber beträgt. 
Es müsste sogar die Ausfuhr eine geringere sein, weil ein Teil der 
zugeführten Kohlehydrate zur Glykogenbildung verwendet wurde. 


C) u. D) Zucker- und Dextrinfütterung. 

Die Tiere erhielten, nachdem sie 41 Stunden gefastet hatten, täg- 
lich morgens 100 g Zucker in Substanz, die meisten Tiere fraßen 
diese Menge rasch und bekamen nachher Wasser nach Belieben. Drei 
der Versuchstiere waren die ganze Zeit über im Käfig (mit Ausnahme 
der Fütterungszeit), der Harn wurde gesammelt und auf Zucker unter- 
sucht. Die vier letzten Versuchstiere (in der Tabelle mit * bezeichnet) 
erhielten Zucker und Dextrin je 88 g in Form eines Breies, oder 
die gleichen Quantitäten in Form eines Kuchens. Nachstehende Tabelle 
enthält die gewonnenen Resultate: 
































\ .. Stunden 
a : a Zwischen Körpergewicht Zuckergehalt 
7 3 dauer |) Versuch in Kilogramm in Prozenten 
E S in Tagen end letzter 
‚Fütterung | Anfang | Ende | Carotis | Porta |Lebervene 
XVII 6 2 9,5 8,0 0,156 0,200 0,299 
XIX 4 2 7,8 7,6 0,180 0,250 0,359 
xx 5 a, 8,4 81 | 0,161 | 0,136 | 0,250 
XXI 8 | 3 — —_ 0,163 0,176 0,238 
XXH 6 25 9,2 3 0,169 0,209 0,196 
XXIII 7 4 —_ — —_ 0,144 0,250 
XXIV* | ) 3 20,6 19,2 0,162 0,264 0,272 
xXXV* 4 2.0 10,9 11,0 0,185 0,320 0,347 
XXVI* 5 3 8,6 8,4 0,128 0,192 0,367 
xXVIe| 5 A 16,0 15,6 || 0230 | 0,258 | 0,294 

















Mittel: 0,214 | 0,287 

Die gewonnenen Resultate sind folgende: 1) Bei Zuckerfütterung 
wie bei Dextrinfütterung ist der Zuckergehalt des Pfortaderblutes 
weit größer als bei allen andern Fütterungsarten. Der Zuckergehalt 
ist am beträchtlichsten, wenn man das Pfortaderblut bald nach der 
Fütterung untersucht. Es gilt dies speziell für Zuckerfütterung. Die 
Zuckerresorption ist nämlich eine sehr rasche, und das nach 2 bis 
2'/, Stunden untersuchte Pfortaderblut ist am reichsten mit Zucker 
befrachtet. In den spätern Stunden wird die Resorption eine sehr 
geringe und allmähliche, so dass sie in dem Pfortaderblut kaum mehr 
ziffermäßig nachzuweisen ist und dasselbe ungefähr denselben Zucker- 
gehalt zeigt wie in den Stärke- und Hungerversuchen. 





Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 41 


2) Das Lebervenenblut enthält im Mittel aller Versuche einen 
größern Zuckergehalt als das Pfortaderblut, doch ist das Zuckerplus 
beträchtlich geringer als bei den andern Fütterungsarten, und in ein- 
zelnen Versuchen ist der Zuckergehalt der beiden Blutarten nahezu 
einander gleich; und so konnte es kommen, dass Bleile'), der nur 
bei Zucker- und Dextrinfütterung die beiden Blutarten auf ihren Zucker- 
gehalt untersuchte, zu dem Ausspruche gelangen konnte, dass „die 
Leber weder mehrend noch mindernd auf den von der Pfortader zu- 
gebrachten Zucker wirke“. Aber eine einfache Erwägung zeigt, dass 
auch in diesen Ausnahmefällen das Lebervenenblut nebst dem Nah- 
rungszucker auch solchen enthalte, der in der Leber gebildet wurde. 
Bei Zucker- und Dextrinfütterung wird nämlich der größte Glykogen- 
gehalt der Leber gefunden; in meinen Versuchen enthielt die Leber 
8—13 %), Glykogen. Dieses Glykogen wurde aus dem mit der Pfort- 
ader zugeführten Zucker gebildet und in der Leber deponiert. Wenn 
nun das ausführende Blut auch nur die gleiche Menge Zucker ent- 
hält als das zuführende, muss es doch einen Teil und zwar jenen, 
der dem deponierten Glykogen entspricht, in der Leber aufgenommen 
haben. 

3) Bei einer Reihe von Versuchen mit ausschließlicher Zucker- 
fütterung habe ich?) nachgewiesen, dass der Harn sowohl Rohrzucker 
als Invertzucker in mäßiger Menge enthält. 


E) Fleischfütterung. 


Es wurden acht Hunde ausschließlich mit Fleisch gefüttert. Sie 
erhielten nach 24stündigem Hungern täglich 500 g Fleisch, am Ver- 
suchstage 300 g. Zwei bis drei Stunden nach der Fütterung wurde der 
Versuch ausgeführt. Das Lebervenenblut wurde in fünf Versuchen 
mittels Kanüle entzogen. Nachstehende Tabelle enthält die gewon- 
nenen Resultate: 





























Tersuche® ee Kurnergewieht Zuukerzeialt 
nummer n a in Kilogramm in Prozenten 
msn | Anfang | Ende | Carotis | Porta | Lebervene 

XXVII 7 13,3 13,4 0,185 0,192 0,265 
xXAIX Ü 8,2 8,2 0,155 0,141 0,430 
XXX 7 9,2 9,2 0,130 0,143 0,300 
XXXI 8 9,5 9,9 0,161 0,110 0,230 
XXXII 8 1345 13,8 0,167 0,137 0,200 
XXXII 7 | 40,7 9,8 | 0,151 | 161 | 0,210 
XXXIV 7 13,0 rt 0,137 0,101 0,230 
XXXy | 10 8.9 8.2 0,158 | 0,145 | 6,384 

















Mittel: 0,155 | 0,141 | 0,281 
1) Bleile, Ueber den Zuckergehalt des Blutes in Du Bois Reymond’s 
Archiv f. Physiol., 1879. 
2) Seegen, Ueber Zucker im Harn bei Rohrzuckerfütterung. Pflüger’s 
Archiv für Physiol. Bd. XXXVI. 





472 Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 


Der Zuckergehalt des Lebervenenblutes ist bei Fleischfütterung 
doppelt so groß als der der Pfortader. 


F) Fettfütterung. 

Die Tiere erhielten 200—250 g Schweinefett täglich. Das erste 
und zweite Versuchstier erhielten in den ersten Tagen noch außerdem 
100 g Fleisch, alle spätern Tiere 50 g Fleisch, vom 3. oder 4. 
Fütterungstage angefangen wurde die Fleischration verringert und in 
den letzten drei Fütterungstagen nur Fett gegeben. Drei Versuchs- 
tiere wurden in einem Käfig gehalten, dort gefüttert, aller Harn ge- 
sammelt und in demselben wie in dem Wasser, mit welchem der Stall 
zuletzt ausgespült wurde, der Stickstoff bestimmt. Die Lebern der 
Tiere kennzeichneten sich schon makroskopisch als exquisite Fett- 
lebern, bei einigen wurde der Fettgehalt mit einem Soxhlet’schen 
Extraktionsapparat bis zur vollständigen Erschöpfung extrahiert und 
die Quantität desselben bestimmt. Derselbe betrug von 11 bis 26°/,. 
Nachstehende Tabelle gibt die gewonnenen Resultate: 









































Fütte- | Körpergewicht Zuckergehalt I N-Gehalt 
Versuchs- : F 
nummer | TUngS-| in Kilogramm in Prozenten menge |des Harns 
ar Anfang | Ende || Carotis| Porta |Lebervene es 
XXXVI ü 10,4 | 10,6 || 0,145 | 0,104 0,202 _ _ 
XXXVI 8 14150. |,11.4 110,147 | 0,128 0,230 — — 
XXXVII 7 11,5 10,0 || 0,155 | 0,129 oa22 | — _ 
XXXIX | 10 15,0 19,8: 4 10,150=.50,109 0,210 e— -- 
x n12 10,0 9,8 ı 0,100 | 0,100 0,156 | — —_ 
XLI 9 19,8. [5.45,6% | 0,145 10,120 0,270 1800 13,8 
XL 7 19,8: 511,60 1910,12920:144 0,256 1310 | 14,6 
XLII 9 11,7 | 115 || 0,150 | 0,114 | 0,196 || 950 || 15,0 























Mittel: 0,128 [0,114 0,217 


Die Resultate sind folgende: 1) Das wichtigste Resultat ist, dass 
bei Fettfütterung das aus der Leber strömende Blut nahezu doppelt 
so viel Zucker enthält als das in dieselbe eintretende. Es drängt sich 
nun zunächst die Frage auf, aus welcher Quelle dieser Zucker seinen 
Ursprung nimmt. Die Versuchstiere hatten im Durchschnitt ein Körper- 
gewicht von 10—12 kg; einige derselben hatten ein Körpergewicht 
von über 15 kg. Auf Grundlage früher mitgeteilter Messungen würde 
die Blutmenge, welche innerhalb 24 Stunden die Leber durchströmt, 
mindestens 200 Liter betragen, und wenn die Zuckeraufnahme in der 
Leber auch nur 0,1 °/, beträgt, würden diese Tiere innerhalb 24 Stun- 
den 200 g Zucker aus der Leber in den Kreislauf geführt haben. 

Es ist undenkbar, dass diese Zuckermenge sich auf kosten von 
Kohlehydraten, bezw. Glykogen, welches im Körper aufgespeichert 
war, gebildet hat; wenn selbst, was niemals der Fall war, der Fett- 


Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 413 
fütterung eine Zuckerfütterung vorausgegangen wäre, konnten in der 
Leber eines 12 kg schweren Tieres, dessen Lebergewicht 420 g be- 
trägt, bei einem 10 prozentigen Glykogengehalt nur 42 g Glykogen 
angehäuft sein. Wenn wir den gesamten Glykogengehalt der Muskeln 
hinzuaddieren, würde der Glykogenbestand eirca 90 g betragen, und 
dieser würde nicht genügen, um auch nur für einen Tag ausreichen- 
des Material zur Zuckerbildung zu liefern. 

Es wäre nun denkbar, dass die Zuekerbildung während der Fett- 
fütterung aus der Spaltung von Eiweißkörpern hervorgegangen sei. 
Ich habe zu diesem Zwecke in drei Versuchen während der ganzen 
Fettfütterung den Harn gesammelt und die in diesem enthaltene Stick- 
stoffmenge bestimmt. Es waren in jedem der drei Versuche eirca 
15 & Stiekstoff ausgeschieden. Diese Menge Stickstoff entspricht 
100 g Eiweißkörper oder 400 g Fleisch. Nun bedarf es aber zur 
Bildung von 200 g Zucker so viel Kohlenstoff, als in 300 g Fleisch 
enthalten ist. Mit der Menge des während der ganzen Versuchsperiode 
umgesetzten Fleisches hätten, wenn selbst der gesamte Kohlenstoff 
des Fleisches für die Zuckerbildung verwendet worden wäre — was 
nicht denkbar ist, da für die Bildung des Harnstoffes ein Teil be- 
nutzt wird — kaum 130 g Zucker gebildet werden können, also lange 
nicht so viel, als in einem Tage ausgeschieden wird. Es ergibt sich 
aus diesen Erwägungen mit zwingender Notwendigkeit, dass das mit 
der Nahrung eingeführte Fett das Material ist, aus wel- 
chem die Leber Zucker gebildet hat. Damit ist nun auch 
erklärt, in welcher Weise die Leber des hungernden Tieres Zucker 
zu bilden vermag. Die oben angeführten Hungerversuche lehrten, dass 
das während des Hungerns umgesetzte Fleisch lange nicht ausreiche 
als Material für die Zuckerbildung. Ein großer Teil des von dem 
Hungertiere ausgeschiedenen Zuckers stammt gewiss aus dem ver- 
brauchten Fette. Es stimmt damit auch die Erfahrung, dass das 
hungernde Tier nahezu seinen ganzen Fettbestand verliert (nach 
Voit 97°/,), während die Muskeln sich nur mit 30°), an dem Ver- 
luste beteiligen. 

Die Thatsache, dass Zucker aus Fett entstehe, ist neu und 
nicht im Einklange mit den bisherigen chemischen und physiolo- 
gischen Vorstellungen, und wenn dieselbe sich auch aus unsern 
Nährungsversuchen mit zwingender Notwendigkeit ergibt, schien 
es mir doch von Interesse, die Umbildung von Fett in Zucker 
durch die Kraft der Leberzelle experimentell nachzuweisen, und ich 
habe zu diesem Zwecke eine Reihe von Versuchen angestellt!). Die 
Versuche wurden in gleicher Weise ausgeführt, wie diejenigen, bei 
welchen ich die Zuckerbildung aus Pepton nachgewiesen habe?) und 





1) Seegen, Ueber die Fähigkeit der Leber, Zucker aus Fett zu bilden, 
Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol Bd. XXXIX. 
2) Biolog. Centralblatt, I. Bd., Nr. 19. 


ATA Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 


zwar durch Zusammenbringung der fein zerschnittenen Hundeleber mit 
einem Fettkörper und einer Quantität von Blut, welches durch Aspiration 
durch viele Stunden arteriell erhalten wurde. Inbezug auf die Details 
der Versuche, speziell inbezug auf die Methode, den Zucker zu be- 
stimmen, möchte ich auf die zitierte Originalarbeit verweisen. Aus 
zehn Versuchen ergab sich ausnahmslos, dass die mit Fett behandelte 
Leber mehr Zucker enthält, als das in gleicher Weise mit Ausschluss 
von Fett behandelte Kontrolstück. Die Zuckerzunahme ist meist eine 
beträchtliche, im Durchschnitt aus zehn Versuchen beträgt die Zu- 
nahme nahezu 50°/,. Ich habe auch darüber Versuche angestellt, 
welcher Bestandteil des Fettes sich an der Zuckerbildung beteilige 
und statt des Fettes die Leber mit Glyzerin, mit Seifen und Fett- 
säuren in vorhergenannter Weise in Verbindung gebracht. Abermals 
war ausnahmslos ein Zuckerplus im Vergleiche zum Kontrolstück 
nachzuweisen. 

Die Thatsache, dass aus Fett Zucker entstehen könne, hat für 
uns ein doppeltes Interesse: a) Wir sehen dadurch die Wirkungs- 
sphäre der Leber inbezug auf Verwertung der Nahrungsmittel bedeu- 
tend erweitert; b) die Thatsache hat aber auch ein großes biologisches 
Interesse, indem sie uns eine neue Analogie zwischen dem Stoffumsatze 
des Tieres und der Pflanze kennen lehrt. Sachs hat bereits im 
J. 1859 nachgewiesen, dass bei der Keimung fetthaltiger Samen auf 
kosten des Fettes Stärke und Zucker gebildet wird. Die Thatsache, 
die nach Sachs’ Ausspruch „sowohl in chemischer wie in physio- 
logischer Beziehung viel Ueberraschendes“ hatte, ist heute von allen 
Botanikern anerkannt und wird durch ein einfaches sehr hübsches 
Schulexperiment gezeigt. In einem aus Oelsamen im dunkeln ge- 
zogenen Keimling werden die Kotyledonen du:ch Jodtinktur tief blau 
gefärbt, das Fett des Samens ist verschwunden, und in dem Keime, 
speziell in den Kotyledonen hat sich Stärke angehäuft. Hoffentlich 
wird auch die Thatsache, dass die Leber aus Fett Zucker bildet, die 
heute noch Chemiker wie Physiologen überraschen dürfte, bald all- 
gemein anerkannt werden und damit abermals eine Kluft ausgefüllt 
sein, die das Tier- vom Pflanzenleben trennt. 

Ich möchte nun die Ergebnisse meiner Ernährungsversuche in 
Kürze resumieren. 

Ich habe in 7 Fütterungsreihen an 43 Hunden den Zuckergehalt 
des in die Leber strömenden und des aus der Leber strömenden 
Blutes bestimmt. Wenn dazu noch jene Versuche an 13 Hunden ge- 
zählt werden?), bei denen ich zuerst das Verhältnis im Zuckergehalte 
der Vena Porta und der Lebervene bestimmt habe, und die, vom Hunde- 
händler bezogen, bei mir entweder einen Tag gehungert oder Fleisch 
erhalten hatten, erstrecken sich meine Versuche in Summe auf 56 Tiere. 


4) Biologisches Centralblatt, Bd. IV, Nr. 20. 














Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 475 


Die nachstehende kleine Tabelle enthält übersichtlich die inbezug auf 
den Zuckergehalt erlangten Resultate. 






































Eu Zuckergehalt Zuckerplus 
= S Art der Ernährung in Be ie im a 
= ; ort- eber- relativ 
S > Carotis ader vene absolut in Proz. 
13 | gewöhnl. Hundefutter —_ 0,119 0,230 0,111 93 
8 Hunger 0,157 0,147 0,260 0,113 76 
9 Stärke 0.150 0,147 0,261 0,114 77 
6 Zucker 0,165 0,186 0,265 0,079 42 
4 | Dextrin und Zucker 0,176 0,258 0,327 0,069 26 
8 Fleisch 0,155 0,141 0,281 0,140 99 
8 Fett 0,128 0,114 0,217 0,113 90 
56 


Die wichtigsten Ergebnisse meiner Versuche sind: 1) Das aus 
der Leber strömende Blut enthält ausnahmslos mehr 
Zucker als das in die Leber gelangende Blut. Bei reicher 
Zucker- oder Dextrinnahrung gelangt zumal in den ersten auf die 
Fütterung folgenden Stunden so viel Zucker ins Pfortaderblut und 
mit diesem in die Leber, dass dadurch die Zuekerzunahme in der 
Leber nahezu verdeckt wird, dass sogar in einzelnen, 2—2!/, Stunden 
nach diesen Fütterungen angestellten Versuchen der Zuckergehalt 
des ein- und ausströmenden Blutes gleich ist. Wenn man aber der 
Ueberlegung Raum gibt, dass von diesem eingeführten Zucker ein 
großer Teil in der Leber als Glykogen zurückgehalten wird, muss 
man erkennen, dass der ausgeführte Zucker, wenn er auch ziffermäßig 
dem eingeführten vollkommen gleich ist, doch nicht bloß Nahrungs- 
zucker, sondern dass ein Teil desselben in der Leber produzierter 
Zucker ist. Schon vier Stunden nach der Zuekerfütterung ist die 
Hochflut der Zuckereinfuhr vorüber, und die Zuekerproduktion der 
Leber kommt in den Ziffern zur Geltung, indem die Ausfuhr fast 
doppelt so groß ist als die Einfuhr. Als Durchschnitt aus allen Zucker- 
und Dextrinfütterungen ergibt sich noch immer ein Plus von 26-42], 
in dem Lebervenenzucker gegen den Zuekergehalt der Pfortader. Bei 
allen andern Fütterungsformen, etwa mit Ausnahme der Fleischfütte- 
rung, scheint die Zuckerbildung in der Leber gleichmäßig groß zu 
sein, das Zuckerplus des Lebervenenblutes schwankt in den verschie- 
denen Fütterungsformen in den engen Grenzen zwischen 0,111—0,114°],. 
Diese letzte Ziffer gehört den Hungerversuchen an, und sie beweist, 
dass auch während des Hungerns die Zuckerbildung in der Leber 
gleichmäßig fortdauert. Nur bei Fleischfütterung scheint eine etwas 
reichere Zuckerbildung stattzufinden, die absolute Steigerung des 
Zuckergehaltes im Lebervenenblute beträgt 0,141°/,, und prozentisch ist 


476 Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet, 


der Zuckergehalt des Lebervenenblutes nahezu doppelt so groß als 
in der Pfortader. 

2) Der in der Leber neugebildete Zucker ist vom Nah- 
rungszucker wie von den mit der Nahrung eingeführten 
Kohlehydraten vollständig unabhängig. Diese Thatsache 
wird vor allem durch alle jene Fütterungsversuche festgestellt, bei 
welchen keine Spur von Zucker oder von Kohlehydraten mit der 
Nahrung eingeführt wurde. 

3) Auch das Leberglykogen ist an der Zuckerbildung 
in der Leber unbeteiligt. Das wird bewiesen a) durch jene 
Fütterungsversuche, bei welchen nahezu kein Glykogen gebildet wurde, 
insbesondere durch die Fettfütterungsversuche; b) durch die Hunger- 
versuche, bei denen das Glykogen sehr rasch auf ein Minimum sinkt 
und endlich ganz schwindet, während die Zuckerausfuhr bis zum 
Inanitionstode fortbesteht; e) endlich auch durch die Fütterungs- 
versuche mit Kohlehydraten, speziell bei Stärkemehl-Nahrung. Würde 
der Leberzucker aus dem Glykogen entstehen, könnte, da letz- 
teres nur aus einem Teile der eingeführten Kohlehydrate gebildet 
wurde, auch nicht ein Atom mehr Zucker aus der Leber ausgeführt 
werden, als in Form von Kohlehydraten mit der Nahrung eingeführt 
wurde. 

4) Eiweiß und Fett sind das Material, aus welchem 
die Leber den Zucker bildet. Die Zuckerbildung aus Albumi- 
naten wird durch die Fleischfütterungsversuche erwiesen. Die Tiere, 
die ausschließlich mit Fleisch gefüttert worden, hatten den reichsten 
Zuckergehalt im Lebervenenblute. Die Zuckerbildung aus Fett wird 
illustriert: a) durch die Fettfütterungsversuche und b) durch die Hunger- 
versuche. Bei beiden Versuchsreihen ist die Stickstoffausscheidung 
eine so geringe, dass der ausgeführte Zucker nicht auf das umge- 
setzte Fleisch als einziges Bildungsmaterial zurückgeführt werden 
kann. Da bei Hunger- wie bei Fettfütterung das Glykogen in ver- 
schwindend kleiner Menge auftritt, kann auch dieses nicht als Quelle 
für die Zuckerbildung angesehen werden, und es ergibt sich mit 
zwingender Notwendigkeit, dass aus dem Fette Zucker entstehen muss. 

Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, dass beim Hungern beide 
Bildungsmateriale, Fleisch und Fett, für die Zuckerbildung herbei- 
gezogen werden, und der Umstand, dass bei langen bis zum Inanitions- 
tode fortgesetzten Hungerperioden mehr als 90°), des Körperfettes 
verschwinden, dürfte darauf hinweisen, dass grade Fett das Haupt- 
kontingent für diese wichtigste Stoffwechselfunktion bildet. 

In gleicher Weise möchte es in dieser leichtern Umsetzung des 
Fettes in Zucker seine Erklärung finden, dass Fettnahrung in so 
hohem Grade im stande ist, den Fleischumsatz zu reduzieren. 

Es ist damit die große Bedeutung des Fettes für den Stoffwechsel 
nur angedeutet. Die volle Darlegung dieser Bedeutung, wie sie sich 








Maupas, Fortpflanzung von Infusorien. ATT 


aus den Beziehungen der einzelnen Nahrungskörper zur Zuckerbildung 
ergibt, und die Folgerungen für die praktische Diätetik sollen den 
Gegenstand einer spätern Arbeit bilden. 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 


Acad&mie des Sciences de Paris; Sitzung v. 6. September 1886. 


Neue Beobachtungen, welche Herr E. Maupas an Paramaecium caudatum 
gemacht hat, brachten denselben auf eine wichtige Thatsache, welche ihm 
bisher entgangen war. Danach vereinigen sich die Kernkörperchen zweier 
Individuen, welche vorher mit einander sich verbanden. Aus dieser Vereinigung 
entsteht also ein neues Kernkörperchen von zweierlei Ursprung, und von diesem, 
oder vielmehr von dessen Nachkommen stammen die neuen Nucleoli und Nuclei der 
wieder von einer getrennten Paramaecien ab. Nach Beobachtungen an Kuplotes 
patella ferner teilt Maupas mit, dass innerhalb einer Zeit von vier Stunden 
nach vollzogener Zusammenlegung und wieder erfolgter Trennung der Individuen 
eine Erneuerung sämtlicher Körperanhänge stattfinde. 

Die Art der Zusammenlegung (Konjugation) erklärt nach M. endlich die 
wahre Bedeutung des Kerns und des Kernkörperchens bei den Infusorien. 
Danach sind die Ciliaten und die Acineten die einzigen Lebewesen, bei 
denen man das Vorhandensein von zwei untereinander so grundverschiedenen 
Kernelementen festgestellt hat. Diese Verschiedenheit entspricht einer Teilung 
der physiologischen Aufgabe des Kernapparats. Wir wissen heute, dass der 
Kern das vornehmste, wenn nicht das einzig wirksame Agens ist für die ge- 
schlechtliche Befruchtung. Bei den Ciliaten ist diese Funktion ganz auf das 
Kernkörperchen beschränkt, das hier einen hermaphroditischen Geschlechts- 
apparat darstellt. Im gewöhnlichen Zustande, im Zustande der Ruhe gar keine 
Rolle spielend, schrumpft es zu äußerster Kleinheit zusammen. In den Zeiten 
der Geschlechtsreife aber entwickelt es sich beträchtlich und macht eine Reihe 
von Veränderungen durch, welche die geschlechtliche Befruchtung höherer Lebe- 
wesen in ihren wesentlichen und allgemeinen Zügen wiederspiegelt Man beob- 
achtet dabei eine Abstoßung abgenutzter Teilchen und sieht einen Unterschied 
hervortreten in einen befruchtenden und einen befruchteten Teil, ersterer 
durch gegenseitige Auswechselung von einem der mit einander verbundenen 
Individuen zum andern hinübergesendet. Endlich sieht man auch die Vereinigung 
und völlige Verschmelzung dieser beiden Elemente, woraus dann ein neuer 
Kern aus beiden hervorgeht, welcher dem befruchteten Ei verglichen werden 
kann. Die Entwicklungsstufen, welche diesem Austausche der Kernkörperchen 
vorausgehen, haben keinen andern Zweck, als diesen geschlechtlichen Akt 
vorzubereiten; und diejenigen, welche ihm nachfolgen, sind dazu bestimmt, 
die den Ciliaten eigentümliche Zweiheit in den Kernelementen wiederherzustellen. 


478 Bayliss und Bradford, Elektrische Erscheinungen bei Drüsensekretion. 


Asper und Heuscher, Eine neue Zusammensetzung der 
„pelagischen“ Organismenwelt. 
Zoologischer Anzeiger, Nr. 228. 


Die Verfasser untersuchten im Auftrage der naturforschenden Gesellschaft 
St. Gallen die in jenem Kanton gelegenen Seen auf ihre Tierwelt. Vor Beginn 
dieser Arbeit prüften sie ihre Apparate, darunter aus sehr feinem Seidenbeutel 
bestehende „pelagische Netzchen“, im Züricher See. Die trocken gemessene 
Maschenweite dieser Netzchen beträgt nicht mehr als 15 Mikromillimeter. Ab 
und zu erhielten die Verf. als Rückstand in denselben eine „trübe, gelbbraun 
gefärbte Flüssigkeit, die in ihrem Aussehen am ehesten an frisch gepressten 
Apfelmost erinnert“. Bei der mikroskopischen Betrachtung ergab dieser Rück- 
stand in jedem Tropfen ungezählte Mengen zweier Dinobryon- Arten, der 
Astrionella formosa Hass., Ceratium hirundinella Müll., Heliozoen und Dia- 
tomeen, von letztern Fragilaria, Synedra, Nitzschia, Suritella. Im Züricher See 
blieb das Ergebnis stets dasselbe, ob der Fang nachts oder am Tage, im offnen 
Wasser oder an seichten Uferstellen geschah. Diese Mikrofauna aber fehlte 
völlig nach den Untersuchungen der Verf. in kleinen Wasserbecken; sie scheint 
demnach nur großen Wasserflächen anzugehören. 


W. Maddock Bayliss und J. Rose Bradford, 'T'he electrical 
Phenomena accompanying the process of secretion in the 
salivary glands of the dog and cat. 


Proceed. of the royal society. Vol. XL. Nr. 243. 1886. S. 203. 


An der Submaxillar- und Parotisdrüse von Hunden und Katzen fanden die 
Verfasser beim Hunde meist die äußere Oberfläche der Drüse negativ gegen 
den Hilus, bei der Katze dagegen in der Regel das Umgekehrte. Bei Reizung 
der Chorda tympani zeigt die Submaxillardrüse des Hundes eine negative Span- 
nung der Oberfläche gegen den Hilus (vermutlich war der Ruhestrom vorher 
kompensiert. Ref.), welcher zuweilen eine zweite Phase schwächerer entgegen- 
gesetzter Spannungsdifferenz folgt. Nach Atropineinspritzung in die Pleura- 
höhle geht die erste Phase schnell, später und nach größern Dosen auch die 
zweite verloren. Bei Sympathicusreizung wird die Außenfläche positiv gegen 
den Hilus; Atropin hat auf diese Sympathieuswirkung keinen Einfluss; sie ist 
schwächer, kommt später und verläuft langsamer als die Chordawirkung. Bei 
der Katze ist die Chordawirkung im wesentlichen dieselbe wie beim Hunde, 
nur dass die zweite Phase niemals fehlt und meist sogar stärker ist als die 
erste. Wo die erste Phase stark ausgeprägt war, war die Absonderung stets 
sehr wässerig; umgekehrt bei zäher Absonderung fiel die erste Phase schwach 
aus. Der Sympathicus wirkt im wesentlichen gleich, nur ist die erste Phase 
meist stärker. Atropin bewirkt Ausfall der ersten Phase und bei größern 
Dosen auch der zweiten. Aehnlich waren die Erfolge an der Parotis. 





Wooldridge, Intravaskulare Gerinnung. 479 


Alles in allem folgt aus den Versuchen, dass immer, wenn die Reizung 
eine reichliche wässerige Sekretion veranlasste, die erste Phase überwiegt, bei 
spärlicher, zähflüssiger Sekretion dagegen die zweite. 

J. Rosenthal (Erlangen). 


Wooldridge L. C., On intervascular Clotting. 
Proceed. of the royal society. Vol. XL. Nr. 243. 1886. 8. 134. 


Aus dem Hoden und der Thymusdrüse des Kalbes hat W. eine Substanz 
dargestellt, deren Injektion in die Venen eines Tieres augenblicklichen Tod 
durch weitausgebreitete Blutgerinnung innerhalb der Gefäße herbeiführt. 

Das zerkleinerte Organ wird mit einer großen Menge destillierten Wassers 
gemischt; nach einigen Stunden wird das Wasser abfiltriert, mittels der Zentri- 
fuge von allen festen Partikelchen befreit, mit Essigsäure versetzt, der reich- 
lich entstehende Niederschlag durch die Zentrifuge gesammelt und mit ange- 
säuertem Wasser gut ausgewaschen. Der Niederschlag wird in der Lösung 
eines Alkalisalzes aufgelöst. 

1—2 g dieser Substanz bewirken bei einem großen Hunde augenblicklichen 
Tod. In der Vena portarum und ihren Verzweigungen, im rechten Herzen und 
in der A. pulmonalis finden sich Gerinnsel. Bei einem Kaninchen trat Tod 
ein, ehe noch die Injektion von 1 g vollendet war; die Vena portae, die Vv. 
iliacae und renales, V. cava und die Aorta, sowie beide Herzhälften enthielten 
Gerinnsel. 

Das nach dem Tode aus den Arterien ausfließende Blut gerinnt nicht mehr; 
war die Injektion ungenügend, den Tod herbeizuführen, so bleibt das nach der 
Injektion abgelassene Blut zuweilen mehrere Tage flüssig. Zusatz der Injek- 
tionsflüssigkeit zu solehem Blut bewirkt Gerinnung. Es scheint demnach, dass 
die Gerinnung bewirkende Substanz bei dem Akt der Gerinnung verloren geht. 

Das Essigsäure -Präzipitat ist löslich in 0,5 prozentiger Salzsäure. Fügt 
man zu solcher Lösung Pepsin und digeriert bei 37°, so entsteht etwas Pepton 
und daneben entsteht ein Niederschlag. Macht man die Flüssigkeit wieder 
alkalisch, so vermag sie nicht mehr Gerinnung zu bewirken, erlangt diese 
Fähigkeit aber wieder, wenn frisches Präzipitat zugesetzt wird; die Unwirk- 
samkeit beruht also nicht auf der Anwesenheit der geringen Menge Pepton 
oder des Pepsins. In verdünntem Magnesiumsulfat- Plasma, welches durch Zu- 
satz von Fibrinferment leicht gerinnt, bewirkt das Präzipitat keine Gerinnung; 
es kann also nicht mit diesem Ferment identisch sein. 

J. Rosenthal (Erlangen). 








Berichtigung. 
In Nr. 14 dieser Zeitschrift soll es heißen 
Seite 429 Zeile 4 von oben Stützzelle statt Stützstelle, 
- - Sr »„ periphere „ frühere. 


480 
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Artbegriffe; Ludwig, Echinodermen des Beringsmeeres; Lacksche- 
witz, Kalkschwämme Menorcas; Boas, Pteropoden; Marenzeller, 
Aleyoneiiden; Hartlaub, Manatherium delheidi; Lenz, Spinnenfauna 
Madagascars; Lendenfeld, Taenia echinococcus; Göldi, Eripus hetero- 
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unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 





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v1. Band. 15. Oktober 1886. Nr. 16. 








Inhalt: Ludwig, Neuere Beobachtungen über Bestäubungseinrichtungen der Pflanzen. — 
Ludwig. Zwei neue karnivore Pflanzen der deutschen Flora. — List, Ueber 
die Entstehung der Dotter- und Eizellen bei Orthezia cataphracta Shaw. — 
Zacharias, Das Vorkommen von Orthezia cataphracta Shaw. im Riesen- 
gebirge. — Tiebe. Ueber den Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. — 
Wilckens, Untersuchungen über das Geschlechtsverhältnis und die Ursachen 
der Geschlechtsbildung bei Haustieren. — Aus den Verhandlingen ge- 
lehrter Geselisehaften. Physiologische Gesellschaft zu Berlin. 





Neuere Beobachtungen über Bestäubungseinrichtungen der 
Pflanzen. 
Literatur: 
Strasburger, Ed., Ueber fremdartige Bestäubung. Pringsheim’s Jahr- 
bücher für wissenschaftliche Botanik, Bd. XVII, 1886, S. 50. 
Trelease, William, The Nectary of Yucca. Bull. of the Torrey Bot. 
Club, Aug. 1886, p. 135. 
Müller, Fritz, COritogaster und Trichaulus. Kosmos 1886, II Bd., 1. Heft, 
S. 54. 
Ders., Die Bestäuber von Gloriosa superba. Aus Briefen. 
Löw, E., Fruchtbarkeit der langgriffligen Form von Arnebia echioides DC. 
bei illegitimer Kreuzung. Ber. d. D. B. Ges., IV. Jahrg., Heft 6, 1886, 
S. 198. 
Ders., Beiträge zur Kenntnis der Bestäubungseinrichtungen einiger Labiaten 
und einiger Borragineen. Ber. d, D. B. Ges., 1886, Heft 4, S. 113 und 
Heft 5, S. 152. 


Nachdem E. Strasburger konstatiert, dass der Pollen irgend 
einer Pflanzenart häufig auf der Narbe, oder auf einem 
Querschnitt des Griffels von Pflanzen ganz anderer Ver- 
wandtschaft (selbstMonokotyledonen und Dikotyledonen) 
auszukeimen und unbeschadet der gleichzeitigen Entwicklung der 
Schläuche des eignen Pollens bis in größere und geringere Tiefe des 
Griffels einzudringen vermag, legte er sich die Frage vor, wodurch 
Art und Richtung des Wachstums der Pollenschläuche beeinflusst 

VI. al 


482 Ludwig, Bestäubungseinrichtungen der Pflanzen. 


wird. Er findet als Antwort darauf, dass dabei Berührungs- 
wirkungen und chemische Reize maßgebend seien. Den 
richtenden Einfluss der letztern, welcher z. B. auch von Stahl 
für die Bewegung der Mycetozoen-Plasmodien, von Pfeffer für die 
Bewegung der Spermatozoiden in die Archegonien verantwortlich ge- 
macht wurde, nennt er — die frühern Bezeichnungen Trophotropismus 
und Chemotropismus vereinigend — Chemotaxis. Vermöge der 
Berührungswirkungen legt sich der Pollenschlauch dicht an dies Sub- 
strat an. Bei seinem Eindringen kommen die verschiedenen Struktur- 
verhälinisse der Narben und der zur Durchbreehung der Zellwände 
nötigen — wohl nach Species verschiedenen — Ausscheidungen (Enzyme) 
der Pollenschläuche in betracht. 

Nächst der Strasburger’schen Arbeit über Bestäubungseinrich- 
tungen überhaupt sind eine Anzahl neuerer Arbeiten über Anpas- 
sungen der Bestäubung an Insekten zu verzeichnen. 

Wir erwähnen von ihnen zunächst die von Trelease über das 
Nektarium von Yucca. Trelease bestätigt die eigentümliche 
kürzlich hier erörterte Anpassung der Yucca-Motte an die Yucca- 
Pflanze, die — wie Riley zuerst nachwies — von jener in aller Form 
willkürlich bestäubt wird, damit deren Brut im den heranwachsenden 
Samen die nötige Nahrung vorfindet. Riley hatte jedoch geglaubt, 
dass die Narbenhöhle, in welehe durch die Motte der Blütenstaub 
hineingestopft wird, gleichzeitig die Rolle eines Nektariums spielte 
und die Motte durch Darbietung des Nektars entschädigte. Dies wider- 
legt Trelease. Yucca filamentosa sowie auch andere von ihm unter- 
suchte Arten von Yucca haben vielmehr Septaldrüsen, wie sie 
kürzlich!) Grassmann für die Monokotyledonen als sehr verbreitet 
nachgewiesen hat, d. h. in den zwischen den Fruchtknotenkammern 
befindlichen Scheidewänden gelegene Drüsen, die unter der Narbe nach 
außen münden. Dass diese letztern durch die neuere Anpassung der 
Yucca an die Bestäubung durch die Pronuba Yuccasella in den Hinter- 
grund getreten sind, folgt aus ihrem verringerten Sekretionsvermögen. 
|Die Yucca wird auch in deutschen Gärten gezogen, wo Pronuba und 
Prodorus, die heimatlichen Bestäuber der Pflanze, fehlen; hier wäre 
darauf zu achten, ob nicht die Septaldrüsen zu voller Entwicklung 
gelangen, um einen andern Besucherkreis herbeizulocken. Ref.] 

In Verbindung mit der Bestäubungseinrichtung der Yucca be- 
sprachen wir früher?) die der Feigenarten, zuletzt die der brasiliani- 
schen Feigen. Ueber diese letztern handelt eine kleinere neuere Arbeit 
von Fritz Müller. 

Es wird darin die frühere Vermutung der Zugehörigkeit der 
Feigenwespengattung Trichaulus zu Oritogaster bestätigt. Die unter 


4) Biol. Centralbl., Bd. V, 8. 561. 
2) Biol. Centralbl., Bd. V, 8. 561—564, 744—746; Bd. VI S. 120—121. 








Ludwig, Bestäubungseinrichtungen der Pflanzen. 483 


letzterem Namen beschriebenen flügellosen Wespen sind die Männchen 
von Trichaulus. Dagegen fand Fritz Müller, dass die 3 von ihm 
beobachteten Arten Critogaster singularis, C. piliventris und C. nuda 
nieht, wie er früher vermutet hatte, Männchen desselben Weibchens 
Trichaulus versicolor sind, sondern verschiedenen Arten von geflügelten 
Weibchen (Trichaulus) zugehören. T. wersicolor gehört zu Uritogaster 
singularis. 

Von weitern Arbeiten ete. über Bestäubungseinrichtungen ein- 
zelner Pflanzenarten und Familien erwähnen wir zunächst eine brief- 
liche Mitteilung von Fritz Müller, nach welcher Gloriosa superba 
weder Hymenopteren, wie Delpino zuerst, noch Schwärmern, wie er 
später (Ulteriori osserv.) meinte, sondern Tagschmetterlingen 
angepasst ist. Es beweisen dies unter anderem die Geruchlosigkeit, 
die Farbe und namentlich der Farbenwechsel der Blumen, die sich 
nach der Bestäubung lebhafter röten. — E. Löw hat an einem lang- 
griffligen Exemplar der Arnebia echiodes, dem einzigen des Berliner 
bot. Gartens, die Erfahrung gemacht, dass diese Pflanze trotz illegi- 
timer Bestäubung dort einige Samen ansetzt, also zwar eine stark ge- 
schwächte Fruchtbarkeit, nicht aber Selbststerilität zeigt, während 
2. B. Pulmonaria selbststeril ist. Dass von zwei nahe verwandten 
Pflanzenarten die eine autokarp, die andere selbststeril sein kann, 
hat Ref. erst kürzlich an Arten der Gattung Erodium erfahren. Von 
den beiden perennierenden in der Blüte mit großen Saftflecken ver- 
sehenen Arten E. Macrodenum und E. manescavi ist die erstere völlig 
selbststeril; die letztere ist zwar von stark geschwächter Fruchtbarkeit, 
erzeugte aber doch lebensfähige Samen, aus denen in diesem Jahre 
kräftige Exemplare der Pflanze herangezogen wurden. 

Am umfangreichsten sind zwei Arbeiten von E. Löw über die 
Bestäubungseinrichtungen von Labiaten und Borragineen, welche der- 
selbe im Berliner bot. Garten beobachtete. Es bilden diese Arbeiten 
eine Fortsetzung der in Bd. V S. 33—36 dieser Zeitschrift besprochenen 
größern Arbeit desselben Verfassers. 

Verf. beschreibt in denselben zunächst für eine größere Anzahl 
fremdländischer Arten die Blüteneinrichtung und gibt sodann einen 
allgemeinen vergleichenden Abriss der gesamten biologischen Blüten- 
verhältnisse für die beiden Familien, wobei wie in der frühern Arbeit 
des Verf. auch auf die bestäubungsvermittelnden Insekten ein beson- 
deres Augenmerk gerichtet wird. 

Die Arten, deren Blüteneinrichtung und Bestäuberkreise eingehen- 
dere Schilderung erfahren haben, sind die folgenden: 

Labiatae: Phlomis Russeliana Lag. (Syrien, Levante), Betonica 
grandiflora Steph. (Kaukasusprovinzen und Nordwestasien), Lamium 
Orvala L., L. garganicum L., Nepeta Mussini Henck (Kaukasus), 
N. melissaefolia Lam. (Südeuropa), N. macrantha Fisch. (Mittel- und 
Südrussland), Lophanthus rugosus Fisch. A. Mey. (Nordamerika), 

al.r 


484 Ludwig, Karnivore Pflanzen der deutschen Flora. 


Pyenanthemum pilosum Nutt. und P. Zanceolatum Pursh (Nordamerika), 
Salvia glutinosa L., Pleetranthus glaucocalyx Mac. (Ostasien). 
Borragineae: Echium rosulatum Lge., Psilostemon orientale DC., 
Symphytum cordatum W illi., 8. grandiflorum DC., 8. asperrimum Sims., 
S. offieinale L. var., Anchusa ochroleuca B. (Südrussland, Orient), 
Caryolopha sempervirensL. (Südeuropa und England), Arnebia echioides 
DC. (an den Lappeneinschnitten der Corolle jüngerer Blüten dieser 
Pflanze finden sich schwarz-violette Saftmalpunkte, die nach 1—3tägiger 
Blütezeit der betreffenden Blumen allmählich verschwinden und in 
ältern Blüten fehlen, was mit dem geringen in kleinen Nektarien ge- 
bildeten Honigvorrat in Verbindung stehen mag.), Caccinia strigosa 
Boiss. F. Ludwig (Greiz). 


Zwei neue karnivore Pflanzen der deutschen Flora. 


Nachdem schon früher Cohn die Ansicht ausgesprochen, dass die 
eigentümlichen Höhlungen in den chlorophyllfreien fleischig schuppigen 
Niederblättern der Schuppenwurz, Lathraea squamaria, zu Fang und 
Verdauung von Tieren dienten, haben dies für die in Laubwäldern und 
unter Haselstauden durch ganz Deutschland verbreitete Lathraea, wie 
auch für die ähnlichen Apparate der im Riesengebirge, mährischen 
Gesenke, im Elsass ete. vorkommenden Bartsia alpina, Kerner von 
Marilaun und Wettstein von Westerheim neuerdings zu be- 
stätigen gesucht. 

In einer Abhandlung über die rhizopodoiden Verdauungsorgane 
tierfangender Pflanzen (Sitzungsber. d. k. k. Akad. d. Wiss. zu Wien, 
Abt. I, Bd. XCIII) werden die betreffenden Verdauungsorgane näher 
beschrieben und abgebildet. Die innern Wände der aus der Blatt- 
rückseite gebildeten Höhlungen sind mit zweierlei Drüsenhaaren ver- 
sehen, welche durch sehr regelmäßig angeordnete Perforationen ihrer 
Außenmembran ähnliche Protoplasmafäden hervortreten lassen, wie 
sie F. Darwin bei den Blattdrüsen von Dipsacus und Referent bei denen 
von Silphium perfoliatum (Kosmos 1880, Oktoberheft) beschrieben 
haben. Diese Fäden kommen in Berührung mit den Zersetzungs- 
produkten der in die Höhlen gelangten und dort zu grunde gegangenen 
Tiere (Infusorien, Milben ete.) und vermitteln aller Wahrscheinlich- 
keit nach eine direkte Aufnahme der tierischen Zersetzungsprodukte. 
Ein zersetzendes Sekret konnte nicht nachgewiesen werden. Die Menge 
der in den Blatthöhlungen vorgefundenen Tierkörper ist bei Lathraea 
im Herbste eine größere als im Frühjahr, womit der Umstand zu- 
sammenzuhängen scheint, dass im Herbste die Haustorien zum Teil 
zu grunde gehen, während im Frühjahr die Nahrungsaufnahme zum 
sroßen Teil durch die Haustorien besorgt wird. 

F. Ludwig (Greiz). 





List, Dotter- und Eizellen bei Orthezia cataphracta. 485 


Ueber die Entstehung der Dotter- und Eizellen bei Orthezia 
cataphracta Shaw'). 


Von Dr. Joseph Heinrich List. 

Trotzdem in jüngster Zeit durch eine Reihe von Forschern [|Wil1?), 
v. Wielowiejski®) und Korschelt*)] der Versuch gemacht wurde, 
die Bildung der Dotter- und Eizellen bei Insekten einer befriedigenden 
Lösung entgegenzuführen, stehen doch die Angaben der Antoren 
einander gradezu schroff gegenüber. Und je mehr Erfahrung man 
über den Gegenstand sammelte, desto mehr zeigte es sich, wie ver- 
früht Verallgemeinerungen von an einzelnen Objekten gemachten Be- 
funden selbst innerhalb derselben Ordnung sind. 

Während nach Will bei Hemipteren die Eizellen aus den in der 
Endkammer angehäuften großen Kernen (Ooblasten) nach Abgabe der 
Dotter- und Epithelzellkerne sich bilden, leitet Korschelt sämtliche 
Elemente der Eiröhren (Dotter-, Ei- und Epithelzellen) aus den Ele- 
menten der Endkammer ab. 

v. Wielowiejski neigt der Ansicht zu, dass die Dotterzellen 
in der Endkammer gebildet werden, während er sich über die Bildung 
der Eizellen nicht bestimmt ausspricht, wohl aber der Korsehelt’schen 
Anschauung entschieden entgegentritt. 

Meine Beobachtungen an Orthezia cataphracta weichen nun von 
dem bisher von Hemipteren Bekannten wesentlich ab. 

Betrachtet man an herauspräparierten Ovarien®) die Eiröhren, so 
erscheinen dieselben als mehr zylindrische oder auch birnförmige 





1) Da es voraussichtlich noch längere Zeit dauern wird, bevor meine im 
Drucke befindliche Monographie erscheint, so gebe ich hier die interessanten 
Befunde wieder, indem ich bezüglich der weitern Ausführung und der Ab- 
bildungen auf jene Arbeit selbst verweise, 

2) L. Will, Ueber die Entstehung des Dotters und der Epithelzellen bei 
den Amphibien und Insekten. Zoolog. Anzeiger, Jahrg. VII, 1884, S. 272 —276 
u. 288—291; ferner Bildungsgeschichte und morphologischer Wert des Eies 
von Nepa cinerea und Notonecta glauca. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie, 
Bd. XLI, 1885. 

3) v. Wielowiejski, Zur Kenntnis der Eibildung bei der Feuerwanze. 
Zoolog. Anzeiger, Jahrg. VIII, 1885, S. 369—375 und zur Morphologie des 
Insektenovariums, ebenda, Jahrg. IX, 1886, S. 132—139. 

4) E. Korschelt, Zur Frage nach dem Ursprung der verschiedenen Zellen- 
elemente der Insektenovarien. Zoolog. Anzeiger, Jahrg. VIII, 1885, S. 5851—586 
u. S. 599—605; ferner ein weiterer Beitrag zur Lösung der Frage nach dem 
Ursprung der verschiedenen Zellenelemente der Insektenovarien, ebenda, Jahr- 
gang IX, 1886, S. 256—263. 

5) Die Ovarien waren sämtlich in halb gesättigter wässeriger Sublimat- 
lösung, der auf je einen ce ein Tropfen Pikrinschwefelsäure zugesetzt worden, 
gehärtet. Man vgl. Zeitschrift f. wiss. Mikroskopie, Bd. III, S. 43 ff, 1886. 


486 List, Dotter- und Eizellen bei Orthezia cataphracta. 


Gebilde, von welchen jedes mit einem verjüngten, stielförmigen Teile 
dem Ovidukte, welcher sich gabelig teilt, aufsitzt. 

In jeder Eiröhre lassen sich nun zwei, physiologisch wesentlich 
verschiedene Teile unterscheiden. Ein oberer, Endfach, Dotter- 
fach und ein unterer, das Eifach. An ausgebildeten Eiröhren sind 
beide Teile gewöhnlich durch eine Verjüngung von einander getrennt. 

Das Eifach ist von einem hohen Zylinderepithel, welches beim 
Uebergange in das Endfach allmählich niedriger wird, ausgekleidet. 

Schon in ganz jugendlichen, noch unentwickelten Eiröhren kann 
man in den Endfächern große, polygonal begrenzte Gebilde, welche 
auf ihrer Oberfläche gewöhnlich riffenartige Zeichnungen tragen, die 
Dotterschollen bemerken. 

Betrachtet man dieselben genauer, so kann man auf denselben 
Kerne beobachten, und häufig gelingt es auch, um die letztern poly- 
gonale Zeichnungen zu bemerken, die Spuren der mit einander 
verschmolzenen und nun zu Dotterschollen umgewandel- 
ten Epithelzellen des Endfaches. 

Ich bin nicht in der Lage anzugeben, ob das Endfach von dem- 
selben hohen Zylinderepithele, wie das Eifach, ausgekleidet ist, da 
es mir nicht gelang, so jugendliche Individuen zu erhalten. In allen 
von mir untersuchten Ovarien konnte ich in den Endfächern bereits 
Dotterschollen auffinden. Aber selbst an ausgebildeten Ovarien ge- 
lingt es, stets Eiröhren zu finden, in welehen man noch die basalen 
Reste der Epithelzellen beobachten kann, während der gegen das 
Lumen zugekehrte Teil in die Kernschmelzung bereits eingegangen 
ist. Sind die Dotterschollen vollkommen ausgebildet, so liegen 
dieselben der Tuniea propria der Eiröhre an, und man kann dann 
keine Spur mehr von den Epithelzellen bemerken. Die Dotter- 
schollen erreichen dann eine bedeutende Größe; ich konnte solche von 
110 « Länge und 71 w Querdurchmesser beobachten. Die Kern- 
schmelzung der Epithelzellen des Endfaches bezw. die Bildung der 
Dotterzellen beginnt an dem in das Lumen ragenden Teil der Epithel- 
zellen und schreitet gegen den basalen Teil derselben allmählich fort. 
Ob dabei auch Wucherungsprozesse von seiten der Epithelzellen auf- 
treten, konnte ich nicht konstatieren. Die Dotterschollen selbst er- 
scheinen aus einer granulierten Substanz gebildet, welche, wie früher 
bereits erwähnt, auf der Oberfläche häufig riffenartige Zeichnungen 
tragen. Die Kerne der Epithelzellen, welehe anfangs auf den Dotter- 
schollen noch gut zu beobachten sind, verfallen allmählich einem 
Degenerationsprozesse, und zwar scheint es, dass die dem Eifache 
zunächst liegenden Dotterschollen zuerst von diesem Prozesse ergriffen 
werden. An solchen Dotterschollen kann man nun, nachdem sämt- 
liche oder beinahe alle Kerne verschwunden sind, einen neuen, großen, 
ovalrunden oder sphärischen Kern auftreten sehen: aus der Dotter- 
scholle hat sich die Dotterzelle hervorgebildet. 














List, Dotter- und Eizellen bei Orthezia cataphracta. 487 


Die Dotterzellen liefern nun den Dotter des Eies, indem dieselben 
gegen das Eifach rücken und daselbst in Dottergranula zerfallen. 
Ein von der Eizelle in das Endfach sich erstreekender Dottergang, 
wie er bei Hemipteren so häufig zu beobachten ist, kommt bei Orthezia 
nicht vor. 

Die Eizellen nehmen ihre Entstehung in dem unterhalb des 
Endfaches liegenden Teile der Eiröhre, dem Eifache, und zwar 
werden sie verhältnismäßig spät gebildet; denn in jungen Ovarien 
konnte ich keine Spur einer Eizelle bemerken, während selbst an aus- 
gebildeten erwachsenen Individuen nur in wenigen Eiröhren Eizellen 
zu konstatieren waren. Soviel ich beobachten konnte, werden die- 
selben aus dem Epithele des Eifaches selbst gebildet, und zwar 
in der Weise, dass eine Epithelzelle stärker wächst, rundlich wird, 
und zur Eizelle sich umbildet. Ob die ganze Epithelzelle in die Bil- 
dung der Eizelle eingeht, oder ob die letztere durch eine Art Ab- 
schnürung (Sprossung) frei wird, während der Rest sich wieder zu 
einer gewöhnlichen Epithelzelle regeneriert, konnte ich nicht entschei- 
den, obwohl mir das Letztere plausibel erscheint. 

In zahlreichen Eiröhren konnte ich in den Eifächern solche um- 
gewandelte Epithelzellen bemerken. Sie waren mehr rundlich geworden, 
enthielten einen stärker lichtbrechenden Zellinhalt und einen deut- 
lichen Nucleus. Solche umgewandelte Epithelzellen kann man an den 
verschiedensten Stellen des Eifaches, besonders aber in dem untern 
(der Verjüngung zunächst liegenden) Teile desselben beobachten. 
Nach der Trennung vom Epithele rückt die Eizelle in die Mitte des 
Eifaches, um daselbst an Größe zuzunehmen und von den Dotter- 
granula umgeben zu werden. Uebrigens können auch noch nicht in 
Granula zerfallende Dotterzellen oder Teile derselben in das Eifach 
rücken, um hier erst ihrem Auflösungsprozesse anheimzufallen. Einmal 
gelang es mir sogar, eine ausgebildete Eizelle auf einer Dotterscholle 
liegend im Eifache aufzufinden. 

Ausgebildete Eizellen, die ich beobachten konnte, zeigen eine 
oval begrenzte, granuliert erscheinende Zellsubstanz, einen deutlichen 
großen, sphärischen Nucleus, welcher außen aus einem aus dünnen 
Balken gebildeten Gitterwerke zu bestehen schien. Im Innern konnte 
ich einen kleinern, ovalbegrenzten Körper beobachten, der wohl als 
Nucleolus zu deuten ist. 

Obwohl es Regel ist, dass in jedem Eifache nur eine einzige Ei- 
zelle gebildet wird, so konnte ich doch auch Eiröhren beobachten, 
in welchen zwei Eizellen gebildet wurden. Ob beide Eizellen zu 
ausgebildeten Eiern heranreiften, gelang mir nicht weiter zu verfolgen. 

Ist die ausgebildete Eizelle von Dotter genügend umgeben, wobei 
man ein mächtiges Anschwellen des Eifaches bemerken kann, so wird 
das nun fertige Eichen von dem Chorion umgeben, welches von den 
Epithelzellen abgesondert wird. 


ASS Zacharias, Vorkommen von Orthezia cataphracta. 


Das Eifach fungiert nun auch als Uterus, das fertige Ei gelangt 
allmählich in den Eileiter, woselbst es dann durch die Kontraktionen 
der außerordentlich mächtig entwickelten Muskulatur des Oviduktes 
in das Marsupium befördert wird. 

Die Eiröhren erscheinen nach Ausstoßung des Eies als lange, kolla- 
bierte Schläuche, in deren Dotterfache ich stets noch unverbrauchte 
Dotterzellen beobachten konnte. Ob diese Eiröhren rückgebildet wer- 
den, oder ob sie fähig sind, noch einmal Eier zu bilden, darüber 
konnte ich nicht zur Klarheit kommen. 


Das Vorkommen von Orthezia cataphracia (Shaw) im Riesen- 
gebirge !). 
Von Dr. ©. Zacharias in Hirschberg i/Schl. 


Im Sommer 1884 fand ich bei einem Ausfluge nach den Mooren 
der sogenannten „Weißen Wiese“, welche auf der Kammhöhe des 
Riesengebirges gelegen sind, an den Wurzeln von Torfmoos ein weiß- 
lich gefärbtes coceidenartiges Wesen vor, von dem ich junge und 
erwachsene Exemplare sammelte, die in Alkohol konserviert wurden. 
Das betreffende Gläschen wurde beiseite gestellt und geriet, da 
die Gelegenheit zu einer sichern Bestimmung seines Inhalts sich nieht 
darbot, in Vergessenheit. Da erweckten mir die Mitteilungen von 
Dr. Joseph Heinrich List (vgl. „Zool. Anzeiger“ Nr. 219, vom 29. März 
1886) die Erinnerung an meinen frühern Fund, und nach einer so- 
gleich vorgenommenen mikroskopischen Besichtigung der konservierten 
Coceiden des Riesengebirges ergab sich deren unbestreitbare Aehn- 
liehkeit mit dem Habitus der Orthezien. Im Hinblick auf den Um- 
stand, dass Herr Dr. List seine Exemplare der notorischen O. cata- 
phracta an den Wurzeln von Saxifraga aizoon, also ebenfalls subterran 
sefunden hatte, stieg mir der Gedanke an die Möglichkeit auf, dass 
die Species aus den steyrischen Alpen mit der hier entdeckten iden- 
tisch sein könnte. 

Um hierüber Klarheit zu erlangen, sandte ich einen Teil des von 
mir gesammelten Materials an Herrn Dr. List nach Graz, und erhielt 
von demselben unterm 9. April d. J. den gefälligen Bescheid, dass 
meine Voraussetzung sich bestätige, und dass die beiden Species 
thatsächlich identisch seien. 

Es ist in tiergeographischer Hinsicht von entschiedenem Interesse 
zu sehen, wie die Orthezia cataphracta Shaw, die in nördlicher ge- 
legenen Ländern (Nord- England, Schottland, Grönland) unter Steinen 
und auf Carex- Arten lebt, in unsern Breiten zu einem subterranen 





1) Aus dem „Zoologischen Anzeiger“ Nr. 225. 








Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 489 


Bewohner des Hochgebirges geworden ist. Dr. List fand die Tier- 
chen auf der Krump-Alpe in 1300 m Höhe und ich dieselben in 
1368 m vertikaler Erhebung. Wenn der Grazer Forscher mitteilt, 
dass er seine Exemplare „besonders an jenen Steinbrechpflanzen 
häufiger fand, die auf einer mehr feuchten moosigen Unterlage stan- 
den“, so stimmt das genau mit den hiesigen Verhältnissen des Vor- 
kommens der nämlichen Coceide überein; denn die „Weiße Wiese“ 
ist ein durch und durch feuchtes, von zahlreichen Tümpeln bewäs- 
sertes Terrain, welches ein diehtes Sphagnum-Polster trägt. Außerhalb 
des Moordistriktes der „Weißen Wiese“ habe ich die in Rede stehende 
Orthezia bisher noch nicht entdecken können; dasselbe Beschränktsein 
auf eine engbegrenzte Lokalität berichtet Dr. List auch von seiner 
identischen Speeies. Diese zeigte sich nirgends anderwärts als auf 
der Krump-Alpe. 

Hinsichtlich des Riesengebirges ist es interessant zu sehen, wie 
die Höhen desselben nicht bloß inbetreff der Pflanzenwelt, sondern 
auch bezüglich des Vorkommens von Tieren, welche der Hochgebirgs- 
fauna angehören, ein Uebergangsglied von den Alpen zu den gewöhn- 
lichen Mittelgebirgen darstellen. 


Ueber den Helligkeits- und Farbensinn der Tiere, vorzugs- 
weise nach den Untersuchungen V. Graber'’s. 


Vom Gymnasiallehrer Tiebe in Stettin !). 


Dass die Tiere im stande seien, Helligkeitsabstufungen und Farben 
von einander zu unterscheiden, vermuten wir schon deshalb, weil wir 
bei fast allen mehr oder weniger entwickelte, im wesentlichen nach 
demselben Grundplan gebaute Augen oder doch Pigmentflecke kennen. 
Wir vermögen auch zur Stütze dieser Vermutung eine Reihe bekannter 
Erscheinungen anzuführen, bei denen Tiere auf den Gegensatz zwischen 
hell und dunkel reagieren: während die einen durch das Licht des 
Tages zu neuem Leben geweckt werden, meiden die andern dasselbe 
mit ängstlicher Scheu, und ebenso sehen wir augenlose Quallen, 
Korallen, Wurzelfüßer und Infusorien bald nach dem Licht bald nach 
dem Dunkel sich drängen?); jeder kennt den Einfluss, den eine leuch- 
tende Flamme auf Ameisen, Schaben, Fliegen, Mücken und Nacht- 
schmetterlinge im Dunkel der Nacht ausübt. Inbetreff des Vermögens 
der Farbenunterscheidung indess hat man sich bei dem Mangel an 





4) Nach einem in der physikalischen Gesellschaft zu Stettin über das 
Graber’sche Hauptwerk gehaltenen Vortrage. In diesem Werk wolle man 
auch die hier nichtgegebenen literarischen Nachweise nachsehen. 

9) Vergl. u. a. Giebel, Naturgeschichte des Tierreichs V, S. 266, 267, 
275. 314, 317, 325. 


490 Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 


Beobachtungen lange mit der Erwägung begnügt, dass, wenn nicht 
alle, so doch sicherlich die höhern Tiere ein solehes besitzen würden, 
natürlich in geringerem Grade als wir, deren ästhetisches Gefühl viel 
weiter entwickelt sei. Noch im Jahre 1879 hat Grant Allen geglaubt, 
auf rein spekulativem Wege die Frage dahin entscheiden zu können, 
dass die Tiere im wesentlichen den gleichen Farbengeschmack hätten 
als wir, dass sie aber nur ausnahmsweise auf Farbenunterschiede 
reagierten. 

Nur wenige Thatsachen konnten wir bis vor kurzem inbetreff 
dieses Punktes verzeichnen. 

Es ist allgemein bekannt, dass Truthähne und Stiere durch Rot 
sehr stark erregt werden und Bauern und Kinder sich über brennend 
rote Tücher oder Bilder besonders freuen. Danach hat E. Krause 
die Behauptung aufgestellt, dass das Auge der Vögel, Säugetiere und 
Menschen durch ein feuriges Rot am meisten erregt würde, dabei 
aber nicht beachtet, wie wenig berechtigt er war, aus einer so ge- 
ringen Zahl von Beobachtungen, die zudem eine grade entgegen- 
gesetzte Erregung beweisen, einen allgemeinen Schluss zu ziehen. 

In denselben Fehler verfällt Gustav Jäger, wenn er aus den 
Mitteilungen von fünf englischen Gartenbesitzern, denen die Sperlinge 
vorzugsweise den gelben Crocus zerstört hatten, eine allgemeine Anti- 
pathie der Sperlinge gegen Gelb schließt und danach mit Hindeutung 
auf die Farben einiger von einigen Vogelarten gefressenen Beeren 
Gelb überhaupt als Ekel- und im Gegensatz dazu Blau als Lockfarbe 
bezeichnet. Seine Ansicht ist denn auch bald nachher dadurch wider- 
legt worden, dass die Sperlinge mehrfach ihre Zerstörungswut be- 
sonders gegen blauen Crocus richteten. 

Schon vor Darwin ist vielfach die Ansicht ausgesprochen wor- 
den, dass die Farbe viele Tiere vor Nachstellungen schütze und auch 
in ihrem Geschlechtsleben eine Rolle spiele!). Der letztere Punkt ist 
aber eingestandenermaßen heute noch sehr dunkel, und die zur Unter- 
stützung des erstern angeführten sogenannten Thatsachen sind streng- 
genommen nur Vermutungen von großer Wahrscheinlichkeit, welche 
uns bisher dunkle Verhältnisse erklären, denen aber exakte Grund- 
lagen fehlen. Wenn wir, um nur einiges herauszugreifen, eine Phyllium- 
oder Pterochroza-Art im Laube oder eine grüne Raupe auf einem 
grünen Blatt sehen, wenn wir von Me Lachlan hören, dass die Raupe 
desselben Spanners (Kupitheria absinthiata) auf verschiedenen Kom- 
positen deren Farben entsprechend verschieden gefärbt vorkommt, 
gelb auf Senecio Jacobäa, rötlich auf Centaurea nigra, weißlich auf 
Matricaria, wenn nach Wallace viele asiatische Schmetterlinge 
Blättern täuschend ähnlich sehen, dann drängt sieh uns mit einer 





1) Carus Sterne, Werden und Vergehen. 3. Aufl. 1886. S. 282, 732— 744, 
757—159. 








Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 491 


gewissen zwingenden Macht der Gedanke auf, dass diese Tiere durch 
ihre Färbung und Zeichnung geschützt seien. Sie sind es sicherlich 
vor uns; wo aber ist je eine Beobachtung darüber angestellt worden, 
ob sich die Schutzfarbe den Tieren des Waldes und der Luft gegen- 
über wirklich als solche bewährt, oder ob etwa Vögel mit schärfern 
Sinnen die Raupe und den Schmetterling ebenso sicher erkennen, wie 
der Adler aus gewaltiger Höhe den Hasen oder das Murmeltier auf 
gleichfarbigem Boden? 

Sprengel und später besonders Darwin und Hermann 
Müller haben der Farbe eine hervorragende Bedeutung bei der Er- 
klärung der wunderbaren Wechselbeziehungen zwischen Blumen und 
Insekten beigemessen, und jeder wird geneigt sein, ihnen schon darin 
beizustimmen, dass große, leuchtend gefärbte Blumen von den Insek- 
ten besser gesehen werden als kleine, unscheinbare. Doch darf man 
nicht übersehen, dass man dabei eine unserer menschlichen Erfahrung 
entnommene und für unser menschliches Empfindungsvermögen giltige 
Ansicht ohne weiteres auf Tiere überträgt, während es doch höchst 
schwierig— wenn überhaupt möglich — sein muss, den Einfluss der Farbe 
gegenüber dem der andern als Anloekungsmittel betrachteten Fak- 
toren: des Geruchs, des Honigs, des Blütenstaubs, abzuschätzen. Auch 
mit einigen Beweisen, welche man versucht hat, ist man bis jetzt 
nicht glücklich gewesen. Aus dem langen Schweben kleiner Schweb- 
fliegen vor den Blüten der Königskerze !) oder des Ehrenpreises ?) hat 
man auf ein Wohlgefallen dieser Fliegen an den Farben der Blumen 
geschlossen, dabei aber nicht beachtet, dass die Tiere dieselbe Ge- 
wohnheit auch an sonstigen Stellen zeigen, an denen wir eine Veran- 
lassung nicht erfinden können. H. Müller?) hat ferner durch ein- 
gehende Beobachtungen gefunden, dass sich unter 482 von Bienen 
besuchten Blumenarten 330 rote, blaue und violette, aber nur 152 
weiße und gelbe befinden, und daraus eine Vorliebe der Bienen be- 
sonders für Blau-Violett geschlossen. Diese Beobachtung beweist nur 
nicht das, was sie beweisen soll, ebenso wenig wie die andere*), dass 
die große Malva silvestris im Verlaufe von fünf Sommern von 31, 
die kleine Malva rotundifolia nur von 4 Arten besucht worden sei. 
Denn es kommt gar nieht darauf an, wieviel Arten Blumen von den 
Bienen und von wieviel Arten Insekten die Malven oder andere Pflanzen 
besucht werden, sondern auf die Anzahl der einzelnen Tiere, welche 
die einzelnen Pflanzen aufsuchen. Es ist die Möglichkeit nieht aus- 


1) Behrens, Meth. Lehrbuch der allg. Bot., 2. Aufl., 1882, S. 173. 

2) H. Müller, Die Wechselbeziehungen zwischen den Blumen und den 
ihre Kreuzungen vermittelnden Insekten. Encykl. d. Naturwissensch., 1. Abt., 
Eee BandtS.n2: 

3) Alpenblumen, ihre Befruchtung durch Insekten und ihre Anpassung an 
dieselben, !881, S. 114, 115, 501. 

4) Die Wechselbeziehungen ete., S. 35. 


4992 Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 


geschlossen, dass die weißen oder gelben Blumen trotz ihrer geringern 
Artenzahl von viel mehr Individuen besucht werden als die roten, 
blauen und violetten. In dieser Richtung müssen die Zählungen an- 
gestellt werden, wenn sie uns eine Antwort von genügender Beweis- 
kraft geben sollen. 

Das Verdienst, die Frage nach dem Farbensinn der Tiere zuerst 
einer experimentellen Prüfung unterworfen zu haben, gebührt Paul 
Bert (1869). Auf einen mit Wasserflöhen ziemlich gleichmäßig be- 
setzten Trog Wasser projizierte er ein Spektrum; nach kurzer Zeit 
konnte er beobachten, dass die Majorität der Tiere sich nach dem 
gelbgrünen Teil desselben begeben hatte. Leider hat sich Bert dureh 
dies Resultat zu voreiligen Schlüssen verleiten lassen. Indem er an- 
nahm, dass ein unter ein Spektrum gestellter Mensch sich nach dem 
gelben Teil begeben würde, da er hier am deutlichsten sehen könnte, 
konstatierte er eine völlige Uebereinstimmung der Farbenempfindung 
aller Tiere mit derjenigen der Menschen so weit, dass er den Tieren 
die Fähigkeit absprach Ultrarot und Ultraviolett zu empfinden, wäh- 
rend er aus seiner einzigen Beobachtung und seiner Vermutung doch 
nur den sehr unsichern Schluss ziehen durfte, dass die Daphniden 
ungefähr in derselben Weise wie die Menschen von den Farben des 
Spektrums das Gelb aufsuchten, und dabei die Möglichkeit nicht be- 
rücksichtigt ist, dass sie das Gelb nicht einmal als Farbe, sondern 
seiner Helligkeit wegen bevorzugten. 

John Lubbock (1881, 1883) hat die Untersuchungsmethode 
Bert’s zweckmäßigerweise dahin abgeändert, dass er in den Glastrog 
Schieber einsetzte, wenn sich nach einer eirca 5—10 Minnten langen 
Einwirkung der Beleuchtung die Daphniden verteilt hatten, und den 
Glastrog so groß wählte, dass auch der ultrarote und der ultraviolette 
Teil des Spektrums auf das Wasser fielen. Bei seinen Versuchen 
zogen die Tiere das Grün allen Farben, auch dem Gelb vor, so dass 
damit die Schlussfolgerungen Bert’s hinfällig wurden. Blendete Lub- 
boek den leuchtenden Teil des Spektrums ab, so wurde das Ultra- 
violett, das uns doch ebenfalls schwarz erscheint, 20 mal mehr besucht 
als der verdunkelte Teil des Spektrums, so dass mit Evidenz ein 
Vermögen der Daphniden sich heraustellte, ultraviolette 
Strahlen anders zu empfinden als wir. 

Eine noch bedeutendere Empfindlichkeit für Ultraviolett konnte 
Lubbock bei den Ameisen konstatieren (1879, 1882). Als er auf 
ein Ameisennest neben einander eine rote, gelbe, grüne und blau- 
violette Glasplatte!) legte, trugen die Ameisen sofort mit emsiger 


1) Es verdient bemerkt zu werden, dass man völlig einfarbige Gläser oder 
Flüssigkeiten nicht herstellen kann; gelbe Gläser enthalten mindestens noch 
rote oder grüne, grüne Gläser gelbe oder blaue, blaue Gläser außer einigen 
roten, gelben und grünen auch noch violette und ultraviolette Strahlen, 





5) 


Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 493 


Geschäftigkeit fast alle Puppen aus der blauen Region weg, so dass 
nach einiger Zeit schon die Hälfte aller Puppen in das Rot und je 
ein Viertel in das Gelb oder Grün gelagert war. Um genauer zu 
untersuchen, welche Lichtstrahlen im Blau- Violett eigentlich eine so 
energisch abstoßende Wirkung hervorbringen, projizierte Lubbock 
ein Sonnenspektrum auf ein Ameisennest und brachte alle Puppen in 
den ultravioletten Teil desselben. Alle wurden mit größter Geschwindig- 
keit in andere Farben und nach Verlauf mehrerer Stunden nach dem 
Ultrarot oder, wenn man dieses abblendete, nach dem Schwarz ge- 
bracht. Danach erwiesen sich die Ameisen als dunkel- 
liebende Tiere, welche auf Schwarz und Ultrarot gleich- 
artig reagieren, deren Lichtempfindungsvermögen jedoch 
am kurzwelligen Ende des Spektrums weiter reicht als 
bei uns. 

Lubbock (1881) hat seine Untersuchungen auch auf die Bienen 
ausgedehnt. Schon vor ihm hatte Bonnier (1879) mit diesen Tieren 
keine positiven Resultate erlangen können, als er ihnen mehrere große, 
mit Honig gefüllte verschiedenfarbige Gläser zur Auswahl vorsetzte, 
wahrscheinlich, weil die Anziehungskraft der großen Menge Honig 
den Einfluss der Farbe aufhob. Deswegen legte Lubbock 6 kleine 
mit farbigem Papier beklebte Glasplatten mit je einem Tropfen Honig 
neben einander auf den Rasen und ließ einer Biene die Wahl zwischen 
ihnen; nachdem sie von dem Honig einer Platte etwas genascht hatte, 
wurde ihr dieselbe weggenommen und sie dadurch veranlasst, eine 
zweite Farbe unter den übrig bleibenden fünf zu wählen. In den 
weitaus meisten Fällen besuchte die Biene zuerst das 
Blau. 

Bei diesen Versuchen Lubbock’s ist indess ebenso wenig wie 
bei denen Bert’s beachtet worden, dass bei der Wirkung einer Farbe 
nicht nur deren Ton, sondern auch ihre Helligkeit eine Rolle spielen 
kann. Wie notwendig die Beachtung verschiedener Helligkeitsstufen 
ist, zeigen die Untersuchungen Mereschkowsky’s (1880) an niedern 
Crustaceen, an Larven von Balanus und Dias longiremis. Diese be- 
vorzugten stets das Weiß vor dem Schwarz und die hellere Farbe vor 
der dunklern, während sie auf verschiedene Farbentöne von derselben 
Helligkeit gar nicht reagierten. Aus diesem Mangel an Reaktion darf 
man freilich noch nicht, wie Mereschkowsky thut, auf einen 
Mangel an Farbenempfindung schließen; mit demselben Reehte müsste 
man sonst einzelnen Säugetieren und Vögeln, welche, wie die folgen- 
den Untersuchungen Graber’s zeigen, auf größere Helligkeitsunter- 
schiede nicht reagieren, das Sehvermögen absprechen. 

Bei Mereschkowsky findet sich ein wesentlicher Fortschritt in 
der Methode, indem er nämlich den Tieren nicht, wie dies Bert und 
Lubbock (mit einer Ausnahme) gethan, gleichzeitig eine große Menge 
von Farben in der Reihenfolge des Spektrums, sondern jedesmal nur 


494 Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 


zwei Farben zur Auswahl vorlegte. Die erste Methode würde nur 
dann einen Sinn haben, wenn die Tiere im stande wären, das Spek- 
trum mit einem mal zu übersehen, und selbst dann würde man von 
einer absoluten Vorliebe für eine bestimmte Farbe nicht ohne weitere 
Untersuchung sprechen dürfen, da die Wirkung einer Farbe ähnlich 
wie bei uns durch den Kontrast gegen die benachbarten bedingt sein, 
sich demnach mit einer andern Reihenfolge ändern könnte. Sieht man 
auch von diesen Bedenken ab, so kann man doch bei der gleich- 
zeitigen Anwendung mehrerer Farben falsche Resultate erhalten. Wir 
wollen z. B. annehmen, ein Tier hätte eine Zuneigung zu Blau und 
eine ebenso starke Abneigung gegen Rot, sowie eine dreimal stärkere 
gegen Gelb und Grün. Brächte jemand solche Tiere gleichmäßig ver- 
teilt unter die 4 Farben, so würden sich dieselben aus dem Gelb in 
das Rot und aus dem Grün in das Blau begeben; im Rot und im 
Blau würden sich annähernd gleich viel Individuen finden, und der 
Beobachter würde daraus eine gleiche Vorliebe des Tieres für beide 
Farben schließen, während doch das Gegenteil der Fall ist. 

Zur Erlangung genauer Resultate ist mithin nur die Zweifarben- 
methode geeignet. Für dieselbe hat sich der neueste Forscher auf 
dem Gebiete des Helligkeits- und Farbensinns der Tiere, Professor 
VitusGraber') inÜzernowitz, trotz der ihr innewohnenden Schwierig- 
keiten nach einer gründlichen Kritik der vorangegangenen Unter- 
suchungen entschieden. 

Von der Anwendung der Spektra musste bei derselben aus nahe- 
liegenden Gründen Abstand genommen werden. Für die Benutzung 
von farbigen Gläsern hatte Lubbock bereits zwei verschiedene 
Methoden angewendet: er hatte die Ameisen durch auf das Nest ge- 
legte Glasplatten (wenigstens von einer Seite) total beleuchtet, den 
Bienen dagegen nur verschieden gefärbte kleine Gesichtsfelder zur 
Auswahl vorgelegt. Diese letztere Methode hat auf den ersten Blick 
etwas Bestechendes, weil bei ihr die chemischen und wärmenden Ein- 
flüsse des Lichtes fast ganz eliminiert sind und die durch sie erlang- 
ten Resultate direkte Schlüsse für das Naturleben der Tiere gestatten. 
Indess hält es bei ihr schwer, bei Gegenwart anderer, oft vorwiegen- 
der Reize die Aufmerksamkeit des Versuchstieres grade auf die Farben 
zu lenken, auch lässt sich die Helligkeit und die Qualität der letztern 
nicht genau regulieren; zudem kann man immer nur mit einem ein- 
zigen Tiere operieren, und dadurch werden die Untersuchungen un- 

1) Fundamentalversuche über die Helligkeits- und Farbenempfindlichkeit 

augenloser und geblendeter Tiere. Sitz.-Ber. d. k. k. Akad. d. Wiss. 
in Wien, 1. Abt., 1883, Aprilheft. 

Grundlinien zur Erforschung des Helligkeits- und Farbensinns der Tiere. 

Prag, Leipzig 1884, VIII, 322 S. 
Ueber die Helligkeits- und Farbenempfindlichkeit einiger Meertiere. Sitz. - 
Ber. 'ete., 4.'Abt., 1885, März-Heft, 22'S. 





Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 495 


gemein in die Länge gezogen, da die induktive Methode grade die 
Beobachtung einer möglichst großen Anzahl von Individuen verlangt. 
Dieser Uebelstand wird um so fühlbarer, als die Zweifarbenmethode 
aus einem andern Grunde schon einen beträchtlichen Aufwand von 
Zeit und Mühe erfordert. Die Farben Rot, Gelb, Grün, Blau- Violett 
ohne und mit ultravioletten Strahlen, sowie Weiß und Schwarz ge- 
statten unter einander 21 verschiedene Zusammenstellungen; diese 
Zahl erhöht sich noch um 10, wenn man die durchaus erforderliche 
Rücksicht auf die Helligkeit nimmt. Entscheidet sich bei der Kom- 
bination Rot-Blau ein Tier für die letztere Farbe, so kann man ihm 
nur unter der Voraussetzung eine Vorliebe für dieselbe zusprechen, 
dass die beiden angewendeten Farben von gleicher Helligkeit sind. 
Da diese Bedingung aber nicht zu erfüllen ist, so muss man im all- 
gemeinen Hellrot mit Dunkelblau und Dunkelrot mit Hellblau zusammen- 
stellen; erst dann, wenn sich das Tier in beiden Fällen für Blau 
entscheidet, ist bei der Reaktion die Helligkeit Nebensache und die 
Vorliebe für den Farbenton Blau unzweifelhaft. Aus all diesem geht 
hervor, dass man bei der Methode der partiellen Beleuchtung zu 
nennenswerten Resultaten kaum gelangen kann. Graber hat deshalb 
bei seinen Untersuchungen allgemein die totale Belichtung (der Tiere 
und ihres ganzen Gesichtsfeldes) angewendet. 


B 








Werden zu dem Zwecke vor und über die durchsichtige Vorder- 
wand und Decke von Kästen, Trögen oder weitern Glasröhren in 
einem besondern Rahmenwerk z.B. je eine rote und eine blaue Glas- 
platte geschoben, so erhält man bei Anwendung diffusen Tageslichtes, 
welehes vor dem direkten Sonnenlieht aus verschiedenen Gründen 
den Vorzug verdient, im Innern der Gefäße nicht zwei verschieden- 
farbige Abteilungen, sondern nur die äußersten Ecken zeigen ein reines 


, 


496 Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 


Rot bezw. Blau. In der Mitte entsteht ein Gemisch beider Farben, 
welches nach dem einen Ende zu mehr rot, nach dem andern zu mehr 
blau wird. Durch eine in der Mitte angebrachte Scheidewand, welche 
den Raum nicht ganz durchsetzt, kann man diesen Zwischenraum zwar 
verkleinern, bei größern Tieren ist sie aber nur in sehr beschränktem 
Maße möglich, weil durch sie die Bewegung derselben zu sehr ge- 
hemmt wird. Der Mittelraum erscheint zunächst als ein Nachteil, 
erweist sich aber in anderer Beziehung als sehr vorteilhaft, weil man 
in ihn die zu untersuchenden Tiere bringen kann und dieselben dann 
auf jeden Fall eine Auswahl zwischen den beiden Farben treffen 
müssen. 

Bei den Untersuchungen Graber’s erfolgte die Reaktion der in 
solche Kästen gebrachten Tiere im allgemeinen in der Art, dass 
sich nach einer Beleuehtungszeit von 5 bis 15 Minuten die Majorität 
derselben in einer Abteilung angesammelt hatte. Wenn danach auf 
eine verschiedene Empfindlichkeit der einzelnen Tiere derselben Art 
geschlossen werden muss, so ist um so auffallender die bei Beobach- 
tung einer größern Menge stets gefundene Konstanz der Besuche. 
Beim Frosch z. B. ergaben sich in fünf Versuchsreihen folgende Zahlen: 


rot: 225, 225, 238, 240, 228; 
erün: 175, 175, 162, 160, 172. 


Mit besonderem Nachdruck weist diese Erscheinung auf die schon 
einmal betonte Notwendigkeit hin, mit einer größern Anzahl von Tieren 
zu operieren. Bei Säugetieren, Vögeln ete. von einiger Größe geht 
das nicht an, aber auch bei kleinern Arten darf man viele Individuen 
auf einmal nicht zusammenbringen, weil sonst der Geselligkeits- und 
Geschlechtstrieb störende Einflüsse ausübt: die Tiere betasten, beriechen 
und behorehen sich, sie spielen oder raufen mit einander und achten 
nicht mehr auf die Farben. Auch die Größe der Kästen und das 
Naturell der Tiere ist von wesentlicher Bedeutung: in kleinern Räu- 
men geht z. B. der überaus bewegungslustige Sperling in alle Ecken, 
sie mögen beleuchtet sein, wie sie wollen, in größern hingegen unter- 
nimmt er seine Sprünge und Flüge am liebsten in der blauen Abtei- 
lung; das träge Meerschweinchen kehrt, auch wenn es gewaltsam 
entfernt worden ist, immer wieder auf den anfänglich gewählten 
Ruhesitz zurück u. dergl. mehr. 

Mit ungemeinem Fleiß ist Graber bemüht gewesen, diese viel- 
fachen innern und auch manche äußern Schwierigkeiten nach Mög- 
lichkeit zu überwinden. Ungefähr 60 Tiere hat er in den Kreis seiner 
Untersuehungen gezogen und mit ihnen unter sorgfältigster Berück- 
sichtigung der Quantität und Qualität der angewendeten Lichter eine 
erstaunlich große Anzahl von Beobachtungen angestellt; so teilt er 
uns mit: 





Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 497 


1022 Versuche mit 2 Schweinen. 


1460 a „ 10-20 Stieglitzen, 

330 B „ einer großen Anzahl von Molchen, 
120 R » 60 Schmerlen, 

110 n „ 10-30 Schaben, 

170 >. „  100—300 Mücken, 

112 : „ zahlreichen Seesternen u. $S. w. 


Mehr noch als Fleiß und Sorgfalt erweisen uns die große Vor- 
sicht und Umsicht, mit welcher die Versuche vorbereitet und die 
Resultate unter allen möglichen Gesichtspunkten gedeutet sind, in 
Prof. Graber einen ausgezeichneten Forscher. Nach der Lage der 
Dinge können wir nicht erwarten, dass die Untersuchungen überall 
erschöpfend und alle Resultate durchaus sicher sind; um so größere 
Anerkennung verdient es, dass wir heute schon über eine stattliche 
Reihe sicherer Ergebnisse gebieten. 

Einige derselben sind in nachstehender Tabelle verzeichnet. In 
ihr ist in der ersten wagerechten Reihe angegeben, wieviel mal mehr 
schwarz als weiß und dann wieviel mal mehr gelb, grün, blau als rot 
besucht wurden; in der zweiten Reihe findet sich eine ähnliche Zu- 
sammenstellung von grün und blau mit gelb u. s. w. 




































































blau- violett 
| weiß |schwarz| rot gelb grün | ohne mit 
ultra- violett 
Tr FIETE EEE nA We # Far a En 
f Ic. 0,4 | 1 1,3 0,4 1,8 
Schwein oder il 1,8 0,8 
8 Min. 2,5 ae) 0,5 
NT 
| 1 | 2 
| BER], 
Hund 1 0,08 1 | — 2 12 
oder 
12,5 1 | 
nal: 1 | 0,15 | | 1,2 2 3 3 
Stieglitz ses ' = 5 
5 Min. 6,7 1 4 a 20 
Na | u 
1 159 1 0,6 0,7 0,16 0,07 
Moleh 4 0,2 0,13 0,2 
45 Min. 0,17 0,33 
1 0,15 
Schmerle | 1 2,1 1 - 0,7 =“ 0,5 
e . 1 hs — 
30 Min. | r 0.8 








VI. 32 


498 


Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 

















































































































| |  blau-|violett 
weiß |schwarz| rot gelb grün | ohne mit 
| ultra- ‚violett 
Schabe 1 7 1 w 2” = Ir 
15 Min. N er: 0,1 
1 0,1 
. 1 0,3 1 22 — — 5 
Biene oder 1 1 IT F 57 
5—10 Min. 3,3 1 4 3 ee, 
1 3 
Mückenlarve | Eule In \ : | a | Br . 
10 Min. 10 1 N | — | 2 
1 0,7 
x A 1 4 4 0,5 | 0,06 | 0,24 0,21 
Goldkäfer N 0,50? | 0,40 | 0,28 
40 Min. | 1 0,16 | 048 
1 0,4 
Raupe vom 1 | 0,06 1 0,5? | 0,8? | —_ 14 
Weissling re oder Ä 1 192 | — nn 
15 Min. | | | 1 5 
Roter See- 4 | 0 45 4 ze 1 6 —— 
stern oder 4 _ 1,2 
15 Min. ar 4 
Regenwurm 1 5,2 1 — 0,4 = 0,2 
mit Vorder- 1 _ 0,3 
ende 1 0,2 
4 Stunde | 
ohneVorder- | 27 | 1 ne TOR LER 0,3 
ende Reh 
4—12 Stunden | | 
ern 
Molch, | | | 
geblendet 1 2,1 4 0,5 — —_ 0,4 
45—40 Min. 1 — | 0,6 


Nach dieser Tabelle und nach den übrigen hier nicht mitgeteilten 
Beobachtungen reagieren alle untersuchten 60 Tiere mit Ausnahme 
nur des Meerschweinchens und der Schildkröte auf den Unterschied 
zwischen hell und dunkel und auch auf kleinere Helligkeitsunterschiede; 








Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 499 


die Reaktionsstärke wächst dabei mit der Größe des Unterschiedes, 
eine Uebereinstimmung in der Helligkeitsempfindung bei verschiedenen 
Arten ist indess nieht vorhanden. 

Besonders beachtenswert gestalten sich die Resultate für ver- 
schiedene Helligkeitsstufen bei Anwendung farbigen Lichtes. Die 
nachstehende Tabelle gibt über dieselben Auskunft; sie enthält in 
jeder ersten senkreehten Spalte das Verhältnis Hell: Wenigerhell und 
in der zweiten dasjenige der Besucher. 










































































weiß | blau | rot 
Verhältnis der Verhältnis der Verhältnis der 
| ee Besucher ns Besucher Ds Besucher 
RR RER | 1 1 
& cnweın 3 0,5 — — b) 
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Das Schwein zieht danach bei weißem Licht das Hell, bei rotem 
Licht das Dunkel vor. 

Der Stieglitz meidet das Dunkel im Blau nur 3!/, mal mehr als 
das im Rot, trotzdem jenes 11 mal dunkler ist als dieses. 

Der dunkelliebende Molch zieht das Dunkel bei weißem Licht 
stärker vor als bei rotem, trotzdem jenes 75 mal dunkler ist als 
dieses. 

Bei gleichem Intensitätsverhältnis zieht der hellliebende Seestern 
das Hell im Weiß mehr vor als im Blau und gar nicht im Rot, ebenso 
die dunkelliebende Schabe (Blatta germ.) das Dunkel im Weiß mehr 
als im Blau und in diesem mehr als im Rot. 

Die Sehmerle und der Goldkäfer reagieren auf große Helligkeits- 
differenzen im Weiß sehr deutlich, auf solche im Rot gar nicht. 

Die Helligkeitsempfindung zeigt sich mithin auch abhängig von 
der Qualität der Vergleichslichter und zwar bei verschiedenen Tieren 
in verschiedener Weise. 


DEE? 
[9 74) 


500 Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 


Ebenso deutlich reagieren fast alle untersuchten Tiere auf Dif- 
ferenzen in der Farbe; gar keine Reaktion zeigten nur einige Hunde, 
die Katze, das Meerschweinchen, das Kaninchen, die Taube, das Huhn, 
der Papagei, die Schildkröte und der Flohkrebs. Die Farbenempfind- 
lichkeit ist bei verschiedenen Tieren ebenfalls sehr verschieden; stark 
reagieren auf rot | gelb: Stieglitz, Biene, Mückenlarve; 

gelb | grün: Ameise; 
grün | blau: Schwein, Molch, Libellenlarve, Schabe, Gold- 
käfer, Stieglitz, Sperling, Heckenweißling. 


Mit Ausnahme der angeführten Ausnahmen zeigt sich überall eine 
Vorliebe für eine gewisse Farbe!), jedoch wiederum keine Ueberein- 
stimmung. Blauliebend sind z. B. der Hund, der Stieglitz, die Biene, 
die Mückenlarve, der Heckenweißling; rotliebend: die Libellenlarve, 
die Schabe, die Ameise, der Goldkäfer; grünliebend (gegenüber rot 
und gelb): die Mückenlarve. Das Schwein zeigt keinen entschiedenen 
Farbengeschmack, derselbe ändert sich mit der Zusammenstellung der 
Lichter. Bei einer Art ist die Vorliebe nach dem Lebensabsehnitt 
variabel: die Libelle ist im Larvenzustande rot-, im ausgebildeten 
blauliebend. 

Im allgemeinen ist die Größe der Vorliebe für eine gewisse Farbe 
nach der Qualität der mit ihr verglichenen sehr verschieden, der 
Molch z. B. zieht das Rot dem Blau gegenüber 8 mal stärker vor als 
dem Gelb gegenüber. Berechnet man im Durchschnitt, wieviel mal 
eine Farbe im Vergleich zu einer andern vorgezogen oder gemieden 
wird, so ergeben sich folgende Zahlen, die freilich nur auf ungefähre 
Genauigkeit Anspruch machen können: 


rot | gelb: 1,70; rot | grün; 1,65; rot| blau mit, 


selb |, erün.:- 1,20: zelb? hlau: 73 ; ultray. 2 
blau ohne | blau mit grün | blau mit 
ultraviolett nn ultrav. 2,84; 


so dass das Maximum der Reaktion bei der Kombination rot | blau mit 
ultraviolett auftritt und man das Gesetz aussprechen darf: die unter- 
suchten farbenempfindlichen Tiere unterscheiden Farben 
um so deutlicher, je weiter dieselben im Spektrum aus- 
einander liegen. 

Auf die Farbenwahl übt aber die Helligkeit einen bedeutenden 
Einfluss aus. Nimmt man bei der hell- und blauliebenden Mückenlarve in 
der Zusammenstellung Hellrot | Dunkelblau das letztere5, 260, 240. 000 mal 
schwächer, so erhält man 12 bezw. 8, und 3 mal mehr Besucher im 
Blau als im Rot, es wird also die Blauvorliebe durch die Helligkeits- 





1) Strenggenommen darf man nur von einer Bevorzugung einer Farbe 
sprechen, da uns über die subjektiven Empfindungen der Tiere kein Urteil 
zusteht. 








Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 501 


vorliebe mehr und mehr gemindert. Der dunkelliebende Molch zieht 
von den 3 Farben Rot, Gelb und Grün stets die dunklere vor; der 
dunkelliebende Regenwurm helles Rot dem dunklen Blau oder Grün 
und helles Grün dem dunklen Blau, der hell- und blauliebende See- 
stern das Blau allen hellern Farben. Ein allgemeines Gesetz ergibt 
sich danach nieht, einige Tiere scheinen ein schwaches Farbengefühl 
bei starkem Helligkeitsgefühl zu haben und umgekehrt. Dagegen 
können wir die auffallende Thatsache konstatieren, dass alle hell- 
liebenden Tiere zugleich blau, alle dunkelliebenden rot besonders be- 
vorzugen. Unter 40 Tieren machen von dieser Regel nur der Gimpel 
und die grüne Zirpe eine Ausnahme. 

Hervorgehoben muss schließlich noch werden, dass das Ultraviolett 
von allen hierauf untersuchten Tieren (25) deutlich empfunden, z. B. 
vom Schwein, vom Stieglitz, von der Biene und den Schmetterlingen 
gesucht, von dem Molch, der Schabe und dem Goldkäfer gemieden 
wird. Dass dabei von einer Liehtwirkung die Rede sein muss und 
nicht von einer chemischen, ergibt uns der Anblick der Intensitäts- 
kurve der chemischen Strahlen eines Spektrums; dieselbe ist vom Gelb 
bis zur sichtbaren Grenze des Violett im wesentlichen ebenso gestaltet 
als im Ultraviolett und hat im Anfang des letztern das kleinere, im 
Anfang des Violett das größere Maximum. 

Versuche mit Ultrarot haben stets negative Resultate ergeben. 

So interessant und bedeutsam auch die erlangten Ergebnisse 
sind, so geben sie doch leider direkt keine Antwort auf die Frage, 
wie die Tiere im freien Naturleben Farben empfinden; immerhin ge- 
statten sie die Vermutung, dass Tiere, welche bei totaler Beleuchtung 
auf Helligkeits- und Farbenunterschiede reagieren, dieselben im freien 
bei partieller Beleuchtung ihres Gesichtsfeldes wahrscheinlich ebenso, 
wenn auch in geringerem Grade empfinden, dass die Empfindung aber 
durch andere Einflüsse sehr beeinträchtigt, selbst ganz unterdrückt wer- 
den kann. Darum wird die früher von Hermann Müller aufgestellte 
Behauptung, dass die Bienen blaue Blumen allen andern vorzögen, 
in den Graber’schen Beobachtungen nur eine schwache Stütze finden, 
ebenso auch die andern früher erwähnten darwinistischen Ansichten. 
Die Gründe für die Verschiedenheit des Farbengeschmacks bei den 
verschiedenen Tieren müssen wir selbstverständlich in einer Verschie- 
denheit der Organisation suchen und diese nach den heute herrschen- 
den Anschauungen in Beziehung zum Leben setzen. Man könnte an 
einen Zusammenhang mit der Nahrung oder an eine sexuelle Bedeu- 
tung denken; beide Vermutungen treffen aber nicht zu: der Hund, der 
Stieglitz, die Libelle, die Schmetterlingsraupen nehmen keine blaue 
Nahrung zu sich, der Hund, der Stieglitz, der Weißling, die Biene 
haben keine blaue Färbung an sich. So ist uns die Bedeutung der 
Farbenempfindlichkeit für das Leben der Tiere vorläufig noch ver- 
schlossen ; vielleicht gelangen wir einst zu einer genügenden Erklärung 


502 Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 


beim weitern Verfolg der auffallenden Thatsache, dass die meisten 
der blauliebenden Tiere fliegen und Heuschrecken und Zirpen ( Tetti- 
gonia viridis) eine Vorliebe für Grün zeigen; man könnte vermuten, 
dass jedesmal die Farbe von den Tieren bevorzugt wird, welche sie 
am meisten sehen. Indess ist das eben auch nur Vermutung und 
nicht ohne jeden Einwand. 

Von besonderem Interesse und darum einer besondern Erwähnung 
wert sind die Untersuchungen, welche Graber mit mehrern 
augenlosen und geblendeten Tieren inbetreffihresHellig- 
keits- und Farbensinns angestellt hat. Durch Strasburger 
(1878) und Engelmann ist schon früher bei gewissen niedersten 
Organismen (Schwärmsporen, Myxomyceten, Diatomeen und Infusorien) 
eine deutliche Lichtempfindlichkeit nachgewiesen worden, und Hoff- 
meister (1845) und Darwin (1881) haben eine solche auch beim 
Regenwurm gefunden und vermutet, dass das Vorderende der Träger 
dieser Empfindung sei. Graber hat nun (1883) festgestellt, dass die 
Regenwürmer nicht nur auf grelle, sondern auch auf relativ geringe 
Helligkeits- und auf Farbenunterschiede selbst dann noch reagieren, 
wenn ihnen das Vorderende abgeschnitten ist (vergl. Tabelle I S. 497), 
dass also ihre Lichtempfindlichkeit auf die ganze Haut, wenn auch 
nicht gleichmäßig verteilt ist. 

Ein ähnliches Resultat ergab sich bei der Untersuchung von 
Molchen und Schaben, denen die Augen herausgenommen und die 
Augenhöhlen mit schwarzem Wachs ausgefüllt waren. Auch bei diesen 
Tieren erfolgten die Reaktionen in geblendetem Zustand überein- 
stimmend mit derjenigen in ungeblendetem; auch zeigten sich dieselben 
unabhängig von dem Einfluss der strahlenden Wärme. Beim roten 
Seestern (Asteracanthion rubens) dagegen zeigte sich kein Erfolg, als 
ihm die Augen abgeschnitten wurden; es schien dadurch ein zu tiefer 
Eingriff in die ganze Organisation geschehen zu sein. 

Diese allerdings noch vereinzelten Beobachtungen gewinnen an 
Bedeutung, wenn man sie mit der von Graber gemachten Entdeckung 
zusammenstellt, dass manche Tiere mit der Haut hören oder mit 
ihr oder andern Sinnesorganen riechen. Die orientalische Schabe 
Periplaneta!) reagiert auch nach Entfernung ihres Kopfteiles auf 
Schall- und Riechreize, auf manche der letztern (konzentriertes Aceton 
und konz. Karbolsäure ) sogar energischer als mit dem Kopf; der Regen- 
wurm, der Blutegel, einige Landschneeken empfinden Geruchsreize 
mit der Haut, ob freilich als Geruch oder nur als Schmerz, lässt sich 
nicht feststellen. Eidechsen und Schwalben reagieren mit dem Auge 
schneller und energischer auf starke Gerüche als mit der Nase, und 





4) Die chordotonalen Sinnesorgane und das Gehör der Insekten. Archiv 
für mikrosk. Anatomie, XX. u. XXI. Band. 





Wilekens, Geschlechtsverhältnis und Geschlechtsbildung bei Haustieren. 503 


der Moleh mit dem Schwanz fast ebenso gut als mit dem eigentlichen 
Geruchsorgan !). 

Aufgrund dieser Beobachtungen kommen wir zu dem 
hochbedeutsamen Schluss, dass bei einzelnen Tieren die 
Sinnesempfindung nicht an spezifische Sinnesorgane ge- 
bunden ist und auch die Haut Liceht-, Gehör- und Riech- 
reize wahrnehmen kann. 

Es stimmt dies mit der der Entwieklungsgeschichte entnommenen 
Ansicht überein, welche in der Haut das ursprüngliche und universale 
Sinnesorgan erblickt. 

Zum Schluss wollen wir die durch die exakten Forschungen 
namentlich Prof. Graber’s gewonnenen Resultate zusammenfassen: 

Mit wenigen Ausnahmen reagieren alle bei Anwen- 
dung der totalen Beleuchtung untersuchten Tiere auf 
Helligkeits- und Farbenunterschiede sehr deutlich, und 
zwar um so deutlicher, je größer die Differenzen sind. 
Bei den verschiedenen Arten ist die Empfindlichkeit und 
die Vorliebe für bestimmte Helligkeiten oder Farben sehr 
verschieden, und diejenige für Farben iistin verschiedener 
Weise mitbedingt durch die Helligkeit und umgekehrt. 
Alle hierauf untersuchten Tiere zeigen sich empfind- 
lich gegen das uns unsichtbare Ultraviolett, reagieren 
dagegen nicht auf Ultrarot. 

Diese Resultate behalten ihre Giltigkeit auch für 
einige augenlose und geblendete Tiere, welche demnach 
Lieht und Farben mit der Haut zu empfinden vermögen. 

Die Beobachtungen gestatten vorläufig Schlüsse für 
das Naturleben der Tiere nicht. 


Untersuchung über das Geschlechtsverhältnis und die Ur- 
sachen der Geschlechtsbildung bei Haustieren. 


Von Prof. Dr. M. Wilckens in Wien. 
(Landw. Jahrbücher, Berlin 1886, Bd. XV. S. 607—651.) 


Die Untersuchung erstreckt sich auf die Geburten von 
16091 Fohlen, 
4900 Kälbern, 
6751 Lämmern, 
2357 Ferkeln, 
zusammen 30099 Haustieren. 


1) Vergleichende Grundversuche über die Wirkung und die Aufnahme- 
stellen chemischer Reize bei den Tieren. Biologisches Centralblatt, V. Band, 
Nr. 13, 15, 16 8. 385—398, 449—459, 483—489, 1885. 





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Wilekens, Geschlechtsverhältnis und Geschlechtsbildung bei Haustieren. 505 


Aus der Uebersichts- Tabelle über das gesamte Untersuchungs- 
Material ergibt sich, dass im ganzen Durchschnitt bei Pferden und 
Schafen die weiblichen Jungen, bei Rindern und Schweinen aber die 
männlichen Jungen das Uebergewicht haben über das entgegenge- 
setzte Geschlecht. Bei Pferden, Rindern und Schweinen zeigen die 
von Erstlingsmüttern gebornen männlichen Jungen ein niedri- 
geres Geschlechtsverhältnis (zu 100 weiblichen Jungen) als die von 
mehrgebärenden Müttern gebornen; bei Schafen dagegen ist das durch- 
schnittliche Geschlechtsverhältnis der von Erstlingsmüttern gebornen 
männlichen Jungen höher als das der von mehrgebärenden Müttern 
gebornen. In der warmen Jahreszeit (von April bis August) werden 
bei Pferden durchschnittlich etwas weniger männliche Junge erzeugt 
als in kalter Jahreszeit (von September bis März). Dagegen ist bei 
Rindern, Schafen und Schweinen das Geschlechtsverhältnis der in 
warmer Jahreszeit erzeugten männlichen Jungen beträchtlich höher 
als das der in kalter Jahreszeit erzeugten. 

Die höher und in einem rauhern Klima gelegenen Gestüte!), 
wie Fogaras in Siebenbürgen, Lippiza im Karstgebirge bei Triest 
und Kladrub in Böhmen haben ein höheres Geschlechtsverhältnis als 
die einem mildern Klima angehörenden Gestüte. 

Der Einfluss der Rasse auf das Geschlechtsverhältnis bei Pfer- 
den ist zweifelhaft; verschiedene Rassen zeigen zwar in demselben 
Gestüte ein verschiedenes Geschlechtsverhältnis, aber das Gleiche ist 
der Fall bei gleichnamigen Rassen in verschiedenen Gestüten. Sehr 
merkwürdig ist, dass in dem ungarischen Staatsgestüte Kisber die 
Fohlen von englisch Vollblut ein Geschlechtsverhältnis von 108,6 
zeigten, während sie in den österreichisch - ungarischen Privatgestüten 
ein Geschlechtsverhältnis von 97,0 hatten. 

Die Tabellen, welche die Fohlen einerseits nach ihren Vätern, 
anderseits nach ihren Müttern geordnet zeigen, lassen erkennen, dass 
die Stuten einen größern Einfluss haben auf das Geschlechtsverhältnis 
ihrer Nachkommen als die Hengste. 

Der Einfluss des absoluten Alters macht sich bei den Stuten 
in der Weise geltend, dass in 6964 Geburtsfällen die Stuten im mittlern 
Lebensalter (vom 9. bis 14. Lebensjahr) verhältnismäßig am meisten 
weibliche, im höhern Lebensalter (über dem 14. Lebensjahr) verhält- 
nismäßig am meisten männliche Fohlen gebaren; im mittlern Lebens- 
alter war das Geschlechtsverhältnis 92,6, im höhern Lebensalter 107,7, 
durchschnittlich aber 96,3. Die Hengste zeugten verhältuismäßig 
am wenigsten männliche Junge (91,0 : 100) im frühen Lebensalter 
(bis zum 8. Lebensjahr), verhältnismäßig am meisten männliche Junge 





1) Die Untersuchung bezieht sich auf sämtliche Hof- und Staatsgestüte, 
auf die englisch Vollblut züchtenden Privatgestüte in Oesterreich - Ungarn, 
sowie auf die Kgl. Württembergischen Privatgestüte Weil und Scharnhausen. 


506  Wilckens, Geschlechtsverhältnis und Geschlechtsbildung bei Haustieren. 


(103,9 : 100) im mittlern Lebensalter (vom 9. bis 14. Lebensjahr). 
Das durehschnittliche Geschlechtsverhältnis von 3682 nach den Alters- 
jahren ihrer Väter geordneten Fohlengeburten war 96,0. 

Inbetreff des relativen Alters der Eltern ergibt sich aus 4982 
Fohlengeburten von englischem Voll- und Halbblut und arabischem 
Voll- und Halbblut, dass, wenn Hengst und Stute beide in der 
zweiten Altersgruppe (von 9—14 Jahren) standen, sie am wenigsten, 
wenn beide in der dritten Altersgruppe (über 14 Jahre) standen, sie 
am meisten männliche Fohlen zeugten. Bis Sjährige Hengste zeugten 
mit Stuten der gleichen (ersten) Altersgruppe am wenigsten männ- 
liche Fohlen, mit Stuten der dritten Altersgruppe am meisten. Hengste 
von 9—14 Jahren zeugten mit Stuten der gleichen (zweiten) Alters- 
gruppe am wenigsten männliche Fohlen, mit Stuten der dritten Al- 
tersgruppe am meisten. Hengste über 14 Jahre zeugten mit Stuten 
der ersten Altersgruppe am wenigsten männliche Fohlen, mit Stuten 
der gleichen (dritten) Altersgruppe am meisten. 

Aus diesen an 4982 Fohlengeburten festgestellten Thatsachen er- 
gibt sich: dass männliche Fohlen in verhältnismäßig größerer Zahl 
erzeugt werden von Stuten der dritten Altersgruppe mit Hengsten 
aller Altersgruppen, und zwar in überwiegender Zahl (mit einem 
Geschlechtsverhältnis von 110,3) mit Hengsten der ersten Altersgruppe; 
dass ferner weibliche Fohlen in verhältnismäßig größerer Zahl (mit 
einem Geschleehtsverhältnis von 85,6) erzeugt werden von Stuten der 
ersten Altersgruppe mit Hengsten der dritten Altersgruppe, und dem- 
nächst von Stuten der zweiten Altersgruppe (Geschlechtsverhältnis 
86,3) mit Hengsten der dritten Altersgruppe. Im großen Durchschnitt 
ergibt sich daraus die Regel: Alte Stuten sind mit jungen Hengsten 
zu paaren, wenn man verhältnismäßig mehr männliche Fohlen haben 
will, junge Stuten aber mit alten Hengsten, wenn mehr weibliche 
Fohlen geboren werden sollen. 

Im Gegensatze zu Herrn Düsing — nach dessen Theorie die 
stärkere geschlechtliehe Beanspruchung des männlichen Erzeugers die 
Erzeugung männlicher Nachkommen begünstigen soll — fand ich in 
den österreichischen Hofgestüten Kladrub und Lippiza, dass die dort 
übliche sehr sparsame geschlechtliche Beanspruchung der Hengste ein 
für Pferde sehr hohes Geschlechtsverhältnis (108,5 bei 1770 Fohlen) 
zur Folge gehabt hat. 

Der Einfluss des Alters, der meines Erachtens nur auf seiten 
der Mutter in Frage kommt, steht in nächster Beziehung zum Er- 
nährungszustande derselben. In der Regel ermöglicht das frühere 
Alter der Mutter eine reichlichere Ernährung der Frucht, als das spä- 
tere Alter derselben. Aus den mitgeteilten Thatsachen ergibt sich, 
dass der bessere Ernährungszustand der Stute die Bildung einer weib- 
lichen Frucht begünstigt. Dieser Einfluss wird auch durch die 
Thatsachen bestätigt, dass in den Jahren, welche dem Güstbleiben 





Wilckens, Geschlechtsverhältnis und Geschlechtsbildung bei Haustieren. 507 


der Stuten folgen — wegen besserer Ernährung der Frucht nach 
einem unfruchtbaren Jahre —- die weiblichen Geburten vorwiegen; 


dagegen überwiegen bei Zwillingsgeburten die männlichen Früchte, 
weil zwei Früchte unvollkommener ernährt werden als nur eine. 

Bei Rindern ist das Geschlechtsverhältnis der neugebornen 
Kälber im allgemeinen wie 100 : 107,3, von Erstlingskälbern insbe- 
sondere wie 100 : 106,1. Von Erstlingskühen werden also verhältnis- 
mälig mehr weibliche Kälber geboren, was sich dadurch erklären 
lässt, dass Erstlingskühe ihre Frucht besser ernähren als mehrge- 
bärende Kühe, welche während ihrer Trächtigkeit noch Milch geben. 

Die Kühe, welche zur Zeit der Geschleehtsbildung ihrer Frucht 
(gegen Ende des ersten Drittels ihrer Tragezeit) reichlich Milch ge- 
ben, bringen vorwiegend männliche Kälber, weil eine gute Milchkuh 
ihre Frucht schlechter ernährt als eine schlechte Milchkuh. Aus den 
vorgeführten Thatsachen ergibt sich als Regel, dass die Kühe, deren 
Milchertrag über dem Jahres -Durchschnitte des Stalles stand, mehr 
Stierkälber, die Milchkühe aber, deren Milchertrag den Jahres-Durch- 
schnitt des Stalles nicht erreichte, mehr Kuhkälber gebracht hatten. 

Von den Rassen der 13 Rindviehherden, welche das Unter- 
suchungsmaterial geliefert hatten, zeigten die Niederungsrassen 
(umfassend die Angeler, Holländer, Ostfriesen und Danziger) ein Ge- 
schlechtsverhältnis von 100 : 114, die Gebirgsrassen (Algäuer, 
Berner und Pinzgauer - Berner-Kreuzung) ein Geschlechtsverhältnis 
von 100 : 101,2 und die Kreuzungen (Berner-Holländer, Berner-Land- 
vieh, Berner - Oldenburger, Shorthorn - Landvieh, Holländer - Kreuzung) 
ein Geschlechtsverhältnis von 100 : 96. Unter diesen drei Rassen- 
gruppen sind die Niederungsrassen die milchreiehsten; deshalb 
ernähren sie ihre Frucht schlecht, und sie erzeugen verhältnismäßig 
am meisten männliche Kälber; dazu kommt, dass die größere Zahl 
ihrer Kälber in warmer Jahreszeit erzeugt wird, welche im allge- 
meinen wegen der verminderten Fresslust die Ernährung herabsetzt 
und dadurch die männliche Geschlechtsbildung begünstigt. 

Das Geschlechtsverhältnis der Gebirgsrassen entspricht un- 
gefähr dem mittlern bei Sommerstallfütterung. Bei ihnen ist der 
Unterschied im Geschlechtsverhältnis der in warmer und in kalter 
Jahreszeit erzeugten Kälber noch größer als bei den Niederungs- 
rassen, wahrscheinlich deshalb, weil die in ihrer Heimat an Weide- 
nahrung gewöhnten Gebirgsrassen sich an die Sommerstallfütterung 
schwer auzupassen vermögen und darum sich und ihre Frucht 
schlechter nähren, was in dem hohen Geschlechtsverhältnis von 114,9 
zum Ausdruck kommt. Dagegen fallen die Gebirgsrassen bei Winter- 
stallfütterung im Milchertrage im allgemeinen stärker ab als die Nie- 
derungsrassen; bei geringerer Milchgabe aber ernähren sich die Ge- 
birgskühe selbst und ihre Frucht besser, woraus sich das auffallend 
niedrige Geschlechtsverhältnis von 88,5 erklären lässt. 


508  Wilekens, Geschlechtsverhältnis und Geschlechtsbildung bei Haustieren. 


Die Kreuzungen zeigen in dem Geschlechtsverhältnis von 
100 : 96 ein auffallendes Ueberwiegen der neugebornen weiblichen 
Kälber. Unter den Kreuzungsherden steht die Berner- Oldenburger 
zu Prieborn in preuß. Schlesien mit dem niedrigsten Geschlechtsver- 
hältnis von 61,4 obenan. Diese Herde ist mir bekannt durch ihre 
ungewöhnlich reiche Fütterung. Das auffallend niedrige Geschlechts- 
verhältnis der Prieborner Heerde (in den Jahren 1879—1885) erklärt 
sich übrigens auch dadurch, dass im Jahre 1884 fast die Hälfte der 
Kühe verkalbt hatte, infolge dessen diese im Jahre 1885 sehr wenig 
Milch gaben. Wir haben also auch hier wieder: geringern Milch- 
ertrag, bessere Ernährung der Frucht, Begünstigung der weiblichen 
Geschlechtsbildung. 

Bei Schafen ergaben die Geschlechtsverhältnisse von 6751 Läm- 
mergeburten kein ganz klares Bild bezüglich der geschlechtsbedingen- 
den Ursachen. Nicht zu verkennen ist aber, dass das Geschlechts- 
verhältnis der neugebornen Lämmer bei zwei Tuchwollherden höher 
war, als bei einer Herde von Hamshiredowns und einer von Kamm- 
woll-Merinos. Da im großen Durchschnitt der Ernährungszustand 
von Tuchwoll -Merinos ein minderer ist, als der von englischen Fleisch- 
schafen und von Kammwoll-Merinos, so erklärt es sich, dass jene 
verhältnismäßig mehr männliche Lämmer geboren hatten als diese. 

Der Einfluss der Jahreszeit auf die Geschlechtsbildung zeigte 
sich der Regel entsprechend: in warmer Jahreszeit sind verhältnis- 
mäßig mehr männliche Lämmer erzeugt, in kalter Jahreszeit verhält- 
nismäßig mehr weibliche. 5 

Der Einfluss des Alters der Böcke auf die Geschlechtsbildung 
der Frucht war ebenso wenig zu erkennen, wie bei den Hengsten. 
Auch die größere oder geringere geschlechtliche Beanspruchung der 
Böcke zeigte keinen Einfluss auf die Geschlechtsbildung der Frucht. 

Bei Schweinen hatten die neugebornen Ferkel mehrgebärender 
Sauen ein Geschlechtsverhältnis von 100 : 115, die von erstgebären- 
den Sauen ein Geschlechtsverhältnis von 100: 94,2. Die erstgebären- 
den Sauen werfen also verhältnismäßig viel weniger männliche Ferkel 
als die mehrgebärenden. Diese Thatsache lässt sich vielleicht bei 
keinem andern Haustiere in so überzeugender Weise durch den Ein- 
fluss der Ernährung begründen wie bei Schweinen. In der Regel 
ferkelt eine Zuchtsau zweimal im Jahre, und sie säugt ihre beiden 
Ferkelwürfe zusammen 8 bis 12 Wochen. Eine mehrgebärende Sau 
befindet sich demnach durchschnittlich in einem schlechtern Er- 
nährungszustande als eine Sau, welche zum erstenmal trächtig ge- 
worden ist. Dazu kommt noch, dass die mehrgebärenden Sauen 
durchschnittlich bei jeder Geburt 8 Ferkel, die erstgebärenden Sauen 
aber nur 7 Ferkel werfen; diese können also die kleinere Zahl ihrer 
Früchte im Mutterleibe besser ernähren, als die ohnehin in schlech- 








Wilckens, Geschlechtsverhältnis und Geschlechtsbildung bei Haustieren. 509 


terem Ernährungszustande befindlichen mehrgebärenden Sauen die 
größere Zahl ihrer Ferkel. 

Aus den vorgeführten Thatsachen ergibt sich ferner, dass das 
Geschlechtsverhältnis, bezw. die Verhältniszahl der männnlichen Ge- 
burten vollkommen parallel geht mit der Zahl der Ferkel, die auf 
eine Geburt entfallen. Die höchste Zahl von Ferkeln auf eine Ge- 
burt, nämlich 8,42, entsprach einem Geschlechtsverhältnis von 136,7, 
die niedrigste Zahl von Ferkeln auf eine Geburt, nämlich 7,88, ent- 
sprach einem Geschlechtsverhältnis von 100,3. 

Auch das durchschnittlich hohe Geschlechtsverhältnis der in 
warmer Jahreszeit erzeugten Ferkel (115,0 gegen 109,3 der in kalter 
Jahreszeit erzeugten) spricht für den großen Einfluss der Ernährung 
auf die Geschlechtsbildung bei Schweinen. 

Aus vorliegender Untersuchung ergeben sich folgende Schluss- 
folgerungen: 

1. Die Oertlichkeit (Boden und Klima) hat einen Einfluss auf 
das Geschlechtsverhältnis und die Geschlechtsbildung bei Haustieren, 
aber wahrscheinlich nur durch Vermittlung der Ernährung der Frucht 
im Mutterleibe. 


2. Das Geschlechtsverhältnis und die Geschlechtsbildung der 
Haustiere ist abhängig von ihrer Rasse, aber nur insofern diese in 
Beziehung steht zu einer bestimmten Oertlichkeit und zu dem durch- 
schnittlichen Ernährungszustande der ihr angehörenden Tiere. 


3. Die Jahreszeiten, in denen die Haustiere erzeugt werden, 
haben einen Einfluss auf deren Geschlechtsverhältnis und Geschlechts- 
bildung. Die warme Jahreszeit begünstigt die männliche Geschlechts- 
bildung, die kalte Jahreszeit die weibliche; jene, weil sie im allge- 
meinen die Fresslust und Ernährung der Haustiere herabsetzt, während 
die kalte Jahreszeit sie steigert. 


4. Das Alter der männlichen Erzeuger hat keinen Ein- 
fluss auf das Geschlechtsverhältnis und die Geschlechtsbildung ihrer 
Nachkommen. 

5. Die geschlechtliche Energie, bezw. die geschlecht- 
liche Beanspruchung der männlichen Erzeuger haben kei- 
nen Einfluss auf das Geschlechtsverhältnis und die Geschlechtsbil- 
dung ihrer Nachkommen. Auch das Alter des Samens hat keinen 
Einfluss auf die Geschlechtsbildung. 


6. Das Alter der weiblichen Erzeuger beeinflusst das Ge- 
schleehtsverhältnis und die Geschlechtsbildung ihrer Frucht in der 
Weise, dass im allgemeinen Erstlings- und junge Mütter verhältnis- 
mäßig mehr weibliche Früchte, alte Mütter verhältnismäßig mehr 
männliche Früchte erzeugen. Dieser Einfluss des Alters lässt sich 
darauf zurückführen, dass im allgemeinen junge Mütter ihre Früchte 
besser ernähren als alte. 


510 Müllenhoff, Apistische Mitteilungen. 


7. Die Ernährung der Frucht im Mutterleibe beeinflusst die 
Geschlechtsbildung derselben im allgemeinen in der Weise: dass 
die bessere Ernährung der Frucht die Entstehung des 
weiblichen Geschlechts begünstigt, die schlechtere Er- 
nährungaber die Entstehung desmännlichen Geschlechts. 


8. Neben dem Einflusse der Ernährung auf die Geschlechtsbil- 
dung der Frucht müssen sich aber noch andere, bisher nicht er- 
forschte Einflüsse geltend machen, weil ein und derselbe weibliche 
Erzeuger im gleichen Ernährungszustande nicht immer das gleiche 
Geschlecht erzeugt. 


9. Wegen dieser noch unbekannten Einflüsse ist die bestimmte 
Voraussage des Geschlechts, bezw. die willkürliche Erzeugung 
der Geschleehter unmöglich. Nur mit Wahrscheinlich- 
keit lässt sieh voraussagen, dass junge und gut genährte Mütter 
verhältnismäßig mehr weibliche Junge, alte und schlecht genährte 
Mütter verhältnismäßig mehr männliche Junge gebären werden. 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 
Physiologische Gesellschaft zu Berlin. 
Sitzungen vom 15. Januar und 12. Februar 1886. 


Herr Müllenhoff hält zwei Vorträge: Apistische Mitteilungen. 

Bekanntlich haben die Bienenwaben schon frühzeitig die Aufmerksamkeit 
der Naturforscher auf sich gelenkt. Vor nicht weniger als 1500 Jahren war 
es der Alexandriner Pappus, welcher herausfand, dass die Bienen die beste 
aller denkbaren Formen für ihre Waben zu finden wüßten. Dies aber bezog sich 
nur auf die sechsseitige Säule; der Boden der Wabe wurde auf seine Form hin 
erst später untersucht und letztere in 1739 auf Veranlassung Reaumur’s vom 
Mathematiker König festgestellt. Die von letzterem angestellte Berechnung 
ergab, dass der Boden einer jeden Zelle eine dreiseitige Pyramide sein müsse, 
gebildet aus drei Rhomben, die an der Spitze einen Winkel von 109° 28° haben 
(1712 auch bereits von Maraldi gemessen), und das ist insofern die zweck- 
mäßigste Form, als sie bezüglich des Wachsverbrauches die sparsamste ist. 

Ueber die Länge der Zelle stellte zuerst der Vortragende theoretische Betrach- 
tungen an. Diese ergaben auf dem Wege der Berechnung, dass für die zwei- 
schichtige Wabe der Biene die zweckmäßigste Zellenlänge diejenige ist, bei 
welcher die lange Kante der sechsseitigen Säule 2,44 mal so lang ist als der 
Radius des um den Säulenquerschnitt beschriebenen Kreises. Für die einschich- 
tigen Waben der Wespen nnd Hornissen dagegen müssten die Zellen bedeutend 
länger gebaut werden, um den Anforderungen der Zweckmäßigkeit zu ent- 
sprechen. In der That aber entsprechen die Verhältnisse zwischen Länge 
und Breite der verschiedenen Zellen der Bienen und Wespen diesen An- 
forderungen. 








Müllenhoff, Apistische Mitteilungen. 511 


Es taucht die Frage auf: aus welchen Ursachen wird diese höchste 
Zweckmäßigkeit erreicht? 

Den ersten Versuch einer mechanischen Erklärung der Form der Bienen- 
zellen gab Buffon in seiner „Histoire naturelle* und dann auch in seinem 
„Discours sur la nature des animaux“. Er sagt nämlich, tausende von gleich 
großen und mit gleichen Kräften ausgestatteten Wesen bringen notwendig ein 
regelmäßiges Werk zustande, wenn sie in einem beschränkten Raume einander 
ausweichen müssen. Dieses sei bei den Bienen der Fall. Sie stellen dabei 
Zellen her von derselben Form, wie man sie erhält, wenn man in eine mit 
Wasser gefüllte Flasche möglichst viele gleich große Erbsen thut, die Flasche 
dann durchaus fest verschließt und in kochendes Wasser stellt. Indem jedes 
Korn beim Aufquellen einen möglichst großen Raum einzunehmen sucht, wer- 
den alle Erbsen allein durch den Druck, also auf völlig mechanischem Wege 
sechseckig. Ebenso wollte es Buffon bei den Bienenzellen; auch diese würden 
sechseckig durch den gegenseitig auf einander ausgeübten Druck. 

Buffon hatte im allgemeinen richtig, aber nicht vollständig beobachtet. 
Denn nur die Erbsen, welche an der Wand liegen, haben die wirkliche Form 
der Bienenzellen, und zwar der gewöhnlichen, während diejenigen, welche der 
Berührungslinie des Flaschenbodens mit den senkrechten Wänden anliegen, die 
Form der Heftzellen haben. Der französische Forscher hatte das wirkende 
Prinzip richtig als ein rein mechanisches erkannt, aber es war ihm nicht 
gelungen, die wirkenden Ursachen im einzelnen herauszufinden. Dies gelang 
später auch Darwin nicht, der zugleich von der mechanischen Erklärungsweise 
sich wieder entfernte. Es kam hierbei auf eine Berücksichtigung der Eigenart 
des Baustoffes, des Wachses, an und ferner auf das Verfahren der Tiere beim 
Zellenbau; drittens galt es zu ermitteln, welchen Anteil etwa rein mecha- 
nische Kräfte an der Bildung der Zellform haben, und es mussten diese Kräfte 
auf ihre Wirkungsart untersucht werden. Der Vortragende gibt darüber fol- 
gende Erklärungen, die zum Teil schon früher veröffentlicht wurden }). 

Das Wachs ist in der Kälte und in großen Massen spröde und schwer 
zu formen. In der Bienenstockwärme (27 bis 37°C.) wird es weich und bieg- 
sam, lässt sich leicht in jede Form pressen und schnellt, sich selbst über- 
lassen, in ähnlicher Weise zusammen wie Kautschuk. Die ganze Reihe der 
Vorgänge, die bei dem Wabenbau sich abspielen, teilt der Vortragende in 
drei Hauptphasen ein: 1) Die Entstehung der Maraldi’schen Pyramiden und 
kurzen Prismenseiten. 2) Die Vergrößerung der Prismenseiten zu ihrer vollen 
Länge. 3) Die Füllung und Deckelung der Zellen. 

Die erste Anlage ist eine grade Wachsleiste, von den Bienen an der 
Decke ihrer Wohnung durch Aneinanderkleben von Wachsklümpchen ange- 
bracht. Wenn diese vorläufig dicke und rauhe Wachsleiste eben begonnen ist, 
so drängen sich von beiden Seiten die Bienen mit ihren Kiefern dagegen und 
drücken und beißen in dieselbe rundliche Vertiefungen. Das abgebissene 
Wachs wird mit neu hinzukommendem teils auf die Zwischenräume zwischen 
den Vertiefungen aufgetragen, teils zur Verlängerung der Leiste benützt. 
Durch die Verdünnung und die von beiden Seiten erfolgende Erwärmung wird 
die Wachsleiste allmählich weicher und immer weicher, und schließlich, wenn 
die Dicke der Wachsleiste nur noch etwa 0,1 mm beträgt, erreicht die Be- 
weglichkeit des Baustoffes den höchsten Grad. Die Tiere halten mit der Ver- 





4) Du Bois-Reymond’s Archiv 1883. 


512 Müllenhoff, Apistische Mitteilungen. 


dünnung der Wand inne, da letztere bei der Thätigkeit der Kiefer nachgibt. 
Dann aber erfolgt durch die bloße Kontraktilität der Masse die Anordnung 
des Wachses zu Häutchen von gleicher Stärke, ferner die vollkommene Ebnung 
der Wände und die Bildung der Flächenwinkel von 120° Das eigentlich 
Formbestimmende ist nach M. (gegen Dönhoff) nicht der Druck 
der einander entgegen arbeitenden Tiere, sondern dieKontrak- 
tilität des Materials. 

Später erfolgt die Verlängerung der Prismenseiten, im ganzen genommen 
auf gleiche Weise. Hat die Zelle die Länge der Arbeitsbiene erreicht, so 
wird sie mit einem Ei belegt. Die aus dem Ei schlüpfende Larve wächst in 
ihr heran, verpuppt sich, und die Zelle wird mit einem Deckel versehen. 
Letzteres bewirken die Arbeitsbienen durch Zusammenlegen der Zellränder. 

Die Maraldi’schen Pyramiden sind Plateau’sche Gleichge- 
wichtsfiguren, Figuren mit kleinster Oberfläche bei gegebener Umgren- 
zung; die ganzen Zellen sind isoperimetrische Figuren, Figuren 
mit kleinster Oberfläche bei gegebenem Inhalt. Wie gering die Leistungs- 
fähigkeit der Biene selbst ist, wenn sie ohne die Hilfe der mechanischen Wir- 
kungen arbeitet, erkennt man, wenn man den Bau der Weiselwiegen beo- 
bachtet. Für diese Zelle der Königin tragen erst die Bienen einen 5 bis 
10 mm dieken Wachsklumpen an der Seite der Wabe zusammen. In diesen 
beißt eine Biene eine flache Vertiefung, auf den Rand derselben wird neues 
Wachs gehäuft, bis dann schließlich durch immer neues Anhäufen und Ab- 
beißen von innen her eine durchaus nicht formvoliendete Röhre entstan- 
den ist. — 

Ganz merkwürdig ist die Anpassungsfähigkeit der Honigbiene an 
alle möglichen Blumeneinrichtungen zum Zwecke der Gewinnung des 
Pollens. Sie setzt das Hebelwerk der Salvia- Arten, die Nudelpresse von 
Lotus, Ononis, Lupinus, den Schleudermechanismus von Sarothamnus und Ge- 
nista, die Pollenbürste von Lathyrus und Vieia, die Streuvorrichtung von 
Cerinthe, Erica und Calluna mit derselben Sicherheit in Bewegung, mit welcher 
sie unter Sehlundklappen (Boragineen), in engen Blumenkronenröhren 
(Labiaten, Lyeium), oder in Hohlspornen verborgenen Honig (Viola, Li- 
naria) nach kurzer Umschau aufzuspüren vermag. Und noch bemerkenswerter 
ist, dass die Bienen niemals Pollen verschiedener Pflanzen mi- 
schen; sie befliegen stets eine und dieselbe Pflanzenart so lange, bis sie 
eine Ladung voll haben, wie dies zuerst A v. Planta'!) mit vollkommener 
Sicherheit nachgewiesen hat. 

Man beobachtet bei den Bienen, welche auf den gefüllten Waben auf- und 
absteigen, vielfach, dass sie ihren Giftstachel vorstrecken. Das geschieht 
auch dann, wenn die Bienen seitens des Menschen vollkommen ungestört sind. 
Bei gutem Licht wird man klar darüber: am Ende des vorgedrückten Gift- 
stachels hängt ein Tröpfchen Bienengift, und dieses Tröpfehen wird am Rande 
der Waben in die mit Honig gefüllten Zellen abgestreift. Zweck dieser Hand- 
lung ist, den Honig durch Zusatz von der antiseptisch wirkenden Ameisen- 
säure haltbar zu machen, und Ameisensäure übertrifft in dieser Wirkung, 
soweit Zuckerlösungen in betracht kommen, selbst Salizylsäure und Phenol 
bedeutend. 





4) Eichstätter Bienenzeitung 1834, S. 206. 











Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. 





Biologisches Uentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 





24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 

















VI. Band. 1. November 1886. Nr. 17. 

Inhalt: Ludwig, Einige neue Beispiele langer Lebensfähigkeit von Samen und Rhi- 
zomen. — Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. — Kowalevsky und 
Sehulgin, Zur Entwicklungsgeschichte des Skorpions. — Jhering, Ueber 
„Generationswechsel“ bei Säugetieren. — Aus den Verhandlungen gelehrter 
Gesellsehaften. 59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu 
Berlin. 





Einige neue Beispiele langer Lebensfähigkeit von Samen 
und Rhizomen. 


Die folgenden brieflichen Mitteilungen von Dr. Fritz Müller 
(Blumenau in Brasilien) über die Entwicklung von Samen und 
Rhizomen, die jahrelang in der Erde gelegen haben, scheinen mir, 
soviel derartige Beobachtungen auch bereits publiziert sein mögen, 
einer weitern Verbreitung wert zu sein. Sie mögen daher hier zum 
Abdruck gelangen. F. Müller schreibt mir (D. 31, VII, 1886): 

„1854 kaufte ich am Ufer des Itajahy ein seit etwa 12 Jahren 
verlassenes Stück Land, auf dem inzwischen wieder stattlicher Wald 
(besonders Inga semialata) aufgewachsen war; als ich den Wald ge- 
fällt und gebrannt, sprosste am Flussufer wie gesät Bieinus auf von 
einer Varietät, die weiter oben am Flusse nieht gebaut wurde; die 
Samen hatten seit der frühern Ansiedlung in der Erde geruht. Ebenso 
erschienen einzelne Sämlinge von Mandioc. Merkwürdiger noch war 
mir das massenhafte Auftreten eines Caladium („Mangarito*), das 
seiner wohlschmeckenden Knollen wegen gebaut wird; beim Wald- 
hauen war es nicht da; es wäre der ansehnlichen Blätter wegen nicht 
zu übersehen gewesen; nach dem Fällen und Brennen des Waldes 
erschien es in soleher Menge, dass ich ein großes Feld damit be- 
pflanzen konnte. Die Rhizome mussten im Schatten des jungen Waldes 
auch jahrelang geruht haben. Ebenso kam eine Dioscoree („Carä 
mimosa“) zum Vorschein, die nirgends in der Nachbarschaft gebaut 


wurde, und deren Knollen von der frühern Ansiedlung her sieh er- 
N. 33 


514 Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 


halten haben mussten. — Einen ähnlichen Fall erlebte ich später mit 
Gloriosa superba; ich erhielt, als ich von Desterro hierher zurück- 
gekehrt war, von meinem Freunde Dr. Blumenau eine Knolle dieser 
Pflanze und pflanzte sie an einen Posogueria-Stamm, wo sie im ersten 
Jahre einen kräftigen Stengel trieb, ohne zu blühen. Das Land um 
die Posoqueria vergraste inzwischen, die Gloriosa kam im nächsten 
Jahre nicht wieder. Etwa 8 Jahre später — die Posogueria war 
längst abgehauen — legte meine Frau an dieser Stelle einen Gemüse- 
garten an, das Unkraut wurde ausgerissen, der Boden für Luft und 
Licht zugänglich gemacht, und zwischen den Kohlköpfen kam auf 
einmal nach 7—8jähriger Ruhe ein kräftiger und reichlich blühender 
Gloriosa-Schoss hervor. — Im Schatten des Waldes werden hier in 
sehr geringer Tiefe Wärme und Feuchtigkeit des Bodens nur sehr 
langsam und innerhalb ziemlich enger Grenzen wechseln, und es scheint, 
dass unter so gleichförmigen Bedingungen viele Samen unglaublich 
lange liegen können, ohne ihre Keimkraft zu verlieren. Nach dem 
Fällen des Urwaldes bedeckt sich bald der Boden mit jungen Pflanzen, 
nach denen man ringsum vergeblich sich umsieht; ich entsinne mich 
z.B. eines solchen von mir gefällten Urwaldstückes, auf dem in zahl- 
loser Menge Schizolobium aufkeimte, dessen Samen auch der stärkste 
Wind kaum über hundert Sehritt weit fortführen kann, und der nach 
Beschaffenheit des Waldes hier seit Menschengedenken kaum ge- 
standen haben konnte“. F. Ludwig (Greiz). 


Die Urform der Heteroplastiden. 


Von Prof. W. Salensky in Odessa. 


Zur Entscheidung der Frage über Entstehung des einfachsten 
heteroplastiden Organismus — also einer Stammform der Metazoen — 
wurden bekanntlich mehrere Hypothesen aufgestellt. Zu diesen ge- 
hören namentlich die Gastraea-Theorie von Häckel, Planula-Theorie 
vonRay-Lankester, Parenchymula- resp. Phagocytella-Theorie von 
Mecznikoff und Plakula-Theorie von Bütschli. Durch diese ver- 
schiedenen Namen: Gastraea, Planula, Parenchymula und Plakula be- 
zeichnet man eine Urform der Metazoen, welche je nach den ver- 
schiedenen Ansichten der Begründer dieser Theorien in verschiedener 
Weise entstehen und verschieden gebaut sein sollte. Im vorliegenden 
kurzen Aufsatze lassen sich indess diese verschiedenen Theorien nicht 
näher besprechen, und ich behalte mir solches bis auf weiteres vor. 
Die meisten von diesen Hypothesen stimmen darin überein, dass 
sie für den Ausgangspunkt eines primitiven heteroplastiden Or- 
ganismus eine homoplastide Kolonie annehmen. Dieses Prinzip ist 
entschieden das glücklichste, und lässt man sich davon leiten, so 





Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 515 


findet man eben in der Entwicklungsgeschichte der kolonialen Fla- 
gellaten eine Reihe Anknüpfungspunkte an die Entwicklung der Me- 
tazoen, welche die Kluft zwisehen homoplastiden Protozoen und den 
mehrzelligen, heteroplastiden Metazoen am besten auszufüllen ver- 
sprechen. Der Zweck dieses Aufsatzes ist nun, diese Entwicklungs- 
erscheinungen ins rechte Lieht zu rücken und darauf fußend die 
Grundform der Heteroplastiden resp. Metazoen zu ermitteln. 

Es ist grade in der letzten Zeit und namentlich von seiten Götte’s!) 
ein Versuch gemacht worden, die Fortpflanzungserscheinungen der 
Volvocinen mit den ersten Entwicklungsvorgängen der Metazoen näher 
in Einklang zu bringen. Die Grundsätze der Götte’schen Ansicht 
sind deutlich in seinen folgenden drei Thesen ausgesprochen: 1) „Die 
ältesten polyplastiden Vorfahren der Sehwämme sind wahrschemlich 
blasenförmige, mit Geißeln bedeekte Homoplastiden gewesen.“ 2) „Die 
homoplastiden Vorfahren der Schwämme verwandeln sich dadurch, 
dass ihre ins Innere eingewanderten Keimzellen ihre Entwicklung 
verzögerten, in einfachste Heteroplastiden mit einem äußern Geißel- 
epithel (Ektoderm) und einer innern unreifen Keimmasse, welche sich 
weiterhin in verschiedene Gewebszellen mit der bloßen Fähigkeit zur 
Keimbildung sondert (Entoderm)“ und 3) „alle uns bekannten Poly- 
plastiden (Heteroplastiden) lassen sich auf eine gemeinsame Stamm- 
form vom Bau einer Sterrogastrula mit einem geißeltragenden Ekto- 
derm und einem parenchymatösen, aus Keimzellen hervorgegangenen 
Entoderm zurückführen, welche demnach dem sekundären Strahltypus 
angehörte.“ Die Ansieht Götte’s stimmt am meisten mit der Meezni- 
koff’schen Phagoeytella-Theorie überein. Beiden Ansichten nach soll 
die Verwandlung einer homoplastiden Kolonie in einen heteroplastiden 
Organismus durch die Einwanderung der Zellen ins Innere der Ko- 
lonie stattfinden. Die ursprüngliche Bedeutung dieser Wanderzellen 
ist dennoch nach den beiderlei Ansichten eine grundverschiedene. 
Während Meeznik off in ihnen von vorn herein die „Nährzellen“ sehen 
will, sollen sie nach der Ansicht Götte’s den Volvox analog — ur- 
sprünglich die Keimzellen bilden, welche erst später in die „Nähr- 
zellen“ resp. Entoderm sich verwandeln. Diese Korrektion der Meezni- 
koff’schen Phagocytella- Theorie vermag die Einwürfe nicht zu wider- 
legen, die von seiten Bütschli’s?) ihr entgegengestellt werden. 
Nimmt man die Einwanderung der Zellen einer Flagellaten-Kolonie — 
seien es Keimzellen oder einfache amöboide Zellen — aus der Bla- 
senwand in eine geschlossene Höhle an, so bleiben die Motive 
ihrer Verwandlung in die Nährzellen vollständig unklar, denn es 
scheint mir, in Uebereinstimmung mit der Ansicht Bütsehli’s, dass 
die Verwandlung der Keimzellen in die Nährzellen ohne gleichzeitige 





4) Götte, Abhandl. zur Entwickl. der Tiere. 3. Heft. 
2) Bütschli, Bemerkungen zur Gastraea-Theorie (Morphol. Jahrb. Bd. 9) 
33% 


516 Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 


Bildung der Mundöffnung genau in derselben Weise unvorteilhaft ge- 
wesen sein kann, wie die Einwanderung der amöboiden Zellen. 

Die Hauptidee der Götte’schen Auffassung, die Entstehung des 
Entoderms aus den Keimzellen, erscheint mir um so mehr plausibel, 
als ich selbst unabhängig von Götte und vor dem Erscheinen seines 
Werkes genau zu derselben Anschauung gekommen bin. Ich be- 
strebte mich aber, die Verwandlung der Keimzellen in Nährzellen mir 
so vorzustellen, dass dieselbe als natürliche Folge der vorteilhaften 
Abänderungen der primitiven homoplastiden Kolonie auftrete. Diese 
Aufgabe löst sich am besten, führt man nur eine möglichst genaue 
Analogie zwischen den ersten Entwicklungsstadien der Metazoen und 
denen der kolonialen Flagellaten und zwar vorzugsweise Volvocinen 
durch. Es können dabei mehrere Fragen entschieden werden, die 
meistenteils noch sehr wenig berührt worden, deren Wichtigkeit aber 
für die genealogische Beurteilung der Metazoen außer Zweifel steht, 
und deren Entscheidung, meiner Meinung nach, sich durchaus der 
Mühe verlohnt. Ich stelle nur einige derselben auf: Wie kommt in 
der Entwicklung der Metazoen der Blastopor zu stande? Wie lässt 
sich dessen Schließung erklären? Wie kann man die durch Delami- 
nation und Invagination entstandenen Darmhöhlen, von denen erstere 
aus Blastocöl, die zweite als eine Neubildung von außen sich ein- 
stülpt, in Zusammenhang bringen? Eine Beantwortung dieser Fragen, 
welche man in den bisherigen Theorien nicht findet, kann indess 
gegeben werden, wenn wir unserer polyplastiden homoplastischen 
Urform der Metazoen dieselben Entwicklungserscheinungen zuschrei- 
ben, durch welche die noch jetzt lebenden Volvox sich auszeichnen. 

Nehmen wir an, dass die Urform der Heteroplastiden eine blasen- 
förmige homoplastide Flagellaten-Kolonie darstelle, welche nach Art 
des Volvox sich entwickelte und zunächst das Stadium einer platten- 
förmigen Kolonie (Gonium-Stadium) durchlief. Dieselbe krümmte sich 
blasenförmig ein und verwandelte sich in eine kugelförmige Kolonie, 
welche im stande gewesen, nach Art des Volvox durch ungeschlecht- 
liche Keimzellen — Parthenogonidien — sich fortzupflanzen. Einer 
solehen hypothetischen Urform müssen wir indess demnach eine vege- 
tative Ernährungsweise versagen: die Zooiden derselben sollten sich 
durch eine amöboidenartige, indifferente und, man muss sagen, primi- 
tive Ernährungsart auszeichnen. Diese Vorstellung ist um so mehr 
plausibel, als man 1) unter den gegenwärtig lebenden kolonialen Fla- 
gellaten z. B. bei Protospongia solche Ernährungsart in der That an- 
trifft und 2) als man sich leichter vorstellen muss, dass die vegeta- 
tive Ernährungsart aus der amöboiden entstünde und nicht umgekehrt. 
Die Fortpflanzung unserer hypothetischen Form konnte ebenfalls der- 
jenigen des Volvox analog werden; die Parthenogonidien bilden sich 
aus den Zooiden und dringen in die Höhle der Blase — Keimhöhle 
oder Genitocöl, wie man dieselbe bezeichnen könnte — hinein. Das 














Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 517 


Reifen derselben ging erst nach der Schließung der Blase vor sich, 
da eben die Schließung dann erst Sinn hat, wenn wir annehmen, dass 
dieselbe zum Schutz der in der Höhle sich entwickelnden Brut sich 
vollzieht. 

Die Verwandlung einer solchen, nur aus Keim- und lokomo- 
torisch-nutritiven Zellen bestehenden Flagellaten- Kolonie in eine 
Gastrula kann man sich ebenfalls aufgrund der bekannten Fortpflan- 
zungserscheinungen des Volvox leicht vorstellen. Es muss dabei nur 
angenommen werden, dass einige jetzt als individuelle Abänderungen 
der Entwicklung des Volvox auftretende Erscheinungen in der Onto- 
genie der Urform ebenfalls Platz hatten und in der weitern Entwick- 
lung der letztern als vorteilhaft benutzt werden konnten. Aus den 
Untersuchungen Bütschli’s und Kirchner’s weiß man, dass die 
Schließung der Blase bei den Tochterkolonien des Volvox sowie die 
Entstehung der Parthenogonidien bei denselben nicht immer in eine 
und dieselbe Entwicklungsperiode fällt. Bütschli!) sagt darüber: 
„Die untere Oeffnung der Kugel erhält sich jedoch bis zum Ende der 
Entwicklung und schließt sich erst kurz vor der Bildung der Cilien; 
ja bei der Entwicklung des Volvox aus dem Ei sah Kirchner zu- 
weilen die Oeffnung noch an jungen frei gewordenen Individuen 
nicht gänzlich geschlossen“ ..... und weiter: „Schon zuvor (vor der 
Befreiung der Tochterkolonie) haben sich die Parthenogonidien dif- 
ferenziert, indem gewisse Zellen stark hervorwuchsen. Es lassen sich 
dieselben daher schon vor der Geburt deutlich erkennen.“ Denken 
wir uns, dass bei der volvoxähnlichen Urform der Metazoen einige 
Tochterkolonien in Form von ungeschlossenen Blasen mit den ange- 
legten, noch nicht scharf differenzierten amöboiden Parthenogonidien 
aus der Mutterkolonie herauswanderten. Natürlich werden solche 
Kolonien in anderer Art Bedingungen für die Ernährung stellen, als 
diejenigen, welche in Form einer geschlossenen Blase aus der Mutter- 
blase herausschlüpfen. Man kann auch leicht ersehen, dass diese 
Abänderung für die Ernährung der Kolonie eine sehr vorteilhafte sein 
könne. Die Keimzellen, welche sich noch nicht in Ruhezustand ver- 
setzt haben, sind selbständiger Nahrungsaufnahme fähig, stehen mit 
der Außenwelt mittels einer Höhle, in der sie liegen, in stetem Kontakt 
und sind im stande, die allerverschiedensten Nahrungsstoffe, welche 
in die Keimhöhle dringen, zu fressen. Infolge dessen werden die Kräfte 
der äußern Zellenschicht, der lokomotorisch -nutritiven Zellen er- 
spart, und die letztern können sich besser in ihrer Funktion speziali- 
sieren, als es bei ihren geschlossenen Vorfahrenformen der Fall gewesen. 
Anderseits, infolge der bessern Ernährungsbedingungen der Keim- 
zellen, muss auch ihre Fortpflanzungsthätigkeit in nicht unbedeutender 
Weise steigen, was selbstverständlich für das Fortbestehen der Ko- 
lonie sowohl wie für Erhaltung der Species sehr vorteilhaft wird. 


4) Bütschli, Protozoa; in Klass. u. Ordn. des Tierreichs. S. 777. 





518 Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 


Anstatt einer beschränkten Zahl der Keimzellen, wie wir dieselbe bei 
dem jetzt lebenden Volvox antreffen, soll ihre Quantität eine viel 
größere sein und proportionell der Nahrungsmenge sowie der Dauer 
des geöffneten Stadiums sich vermehren. Soweit aber alle Keimzellen 
nur als solche funktionieren und die Entwicklung der Tochterkolo- 
nien im Innern der mütterlichen sich ereignet, sollte die Anzahl des 
neuen Koloniebestandes durch den Raum der Blase, das Genitocöl, 
bestimmt werden. Da aber die Zahl der Keimzellen infolge ihrer 
bessern Ernährungsbedingungen bedeutend gestiegen ist, kann nur 
ein Teil derselben in Tochterblasen sich verwandeln; die übrigen 
Zellen, welehe nach dem Schließen der Blase sich in Tochterblasen 
nieht verwandelten, verharren in ihrem amöboiden Zustand, bis sie 
wieder in günstigere Bedingungen für ihre Ernährung gelangen. Solche 
Bedingungen können erst nach dem Ausschlüpfen der Tochterblasen 
wiederkehren. Die Schließung der Blase bleibt für die Kolonie vor- 
teilhaft bis zur Zeit, wo innerhalb derselben die Entwicklung der 
jungen Brut vor sich geht. Ist dieselbe ausgewandert, so sind in 
der Mutterblase alle Bedingungen da, um fortan offen zu stehen. Im 
Innern der Mutterblase sind einige Zellen geblieben, welche in der 
geschlossenen Blase funktionslos geblieben, in einer offenen hingegen 
ihre Lebensfähigkeit in vollständiger Weise entfalten können. Es ist 
also für die Kolonie vorteilhafter, nach Ausschlüpfen der Brut weiter 
offen zu bleiben, da sie in diesem Zustande nicht nur ihr eignes 
Dasein dauernd zu erhalten, sondern auch neue Generationen der Toch- 
terblasen zu erzeugen vermag. 

Aus den eben erörterten kleinen Abänderungen der Entwicklungs- 
geschichte einer volvoxähnlichen Flagellatenkolonie kommen wir all- 
mählieh zu einer vollständigen Aenderung ihres Baues wie ihrer Ent- 
wicklung. Letztere umfasst nun drei Zustände, von denen zwei offene 
und der dritte ein geschlossener sind. Die Keimzellen werden in zweierlei 
Zellen differenziert: die echten Keimzellen und die Nährzellen, zu- 
sammen eine Schicht bildend, welche wir als Phagogenitoblast 
bezeichnen können. 

Infolge des Vorteils, welchen die eben beschriebenen Abän- 
derungen der Entwieklung für das individuelle Leben sowie für die 
Erhaltung der Art bieten, ließe sich vermuten, dass dieselben in einer 
Reihe von Generationen sich dürften vererbt haben. Diejenigen Ko- 
lonien, welche in Form einer geöffneten Blase ausschlüpften, erwiesen 
sich aueh im Kampf ums Dasein weit stärker als die geschlossenen, 
vor denen sie den Vorzug besserer Ernährung und günstigerer Fort- 
pflanzung besaßen. Da nämlich der Zustand einer geöffneten Blase 
eine wichtige Lebensperiode darstellte, müsste derselbe eine von mal 
zu mal anhaltendere sein. Ja wir dürfen annehmen, dass am Ende 
einer Reihe von Generationen die so angepassten Kolonien den größten 
Teil ihres Lebens im Zustande einer geöffneten Blase bleiben müssten 








Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 519 


und erst zur Zeit der Fortpflanzungsperiode sich schlössen. Daraufhin 
tritt das geöffnete Stadium im Leben einer solchen Kolonie in den 
Vordergrund, während ihr geschlossener Zustand nur als eine Art 
von Brutzustand erscheint. Als Endresultat der eben auseinanderge- 
setzten hypothetischen Abänderungen einer volvoxähnlichen Kolonie 
tritt nun eine einfachste Heteroplastide, zweischichtige gastrulaähn- 
liche Urform der Metazoen auf, die aber von der Gastrula im Sinne 
Häckel’s sich dadurch unterscheidet, dass ihre innere Schicht nicht 
ausschließlich aus Nährzellen, sondern aus diesen und Keimzellen be- 
steht. Man könnte diese Gastrula mit dem Namen „Genitogastrula“ 
bezeichnen. Außer den eben hervorgehobenen anatomischen Unter- 
schieden zeichnet sie sich auch durch ihre Entwicklungsgeschichte 
sowie dadurch aus, dass sie in einer gewissen Periode ihres Lebens 
(Fortpflanzungsperiode) eine geschlossene Blase darstellen soll. Die 
Häute und Höhlen dieser Urform will ich ihrer Funktion entsprechend 
darum auch anders bezeichnen, als dies seitens Häckel’s geschehen. 
Die untere Schicht kann als Phagogenitoblast, die von ihm 
begrenzte Höhle, die ursprüngliche Höhle der volvoxähnlichen Ko- 
lonie, als Phagogenitocöl, die obere Schicht als Kynoblast 
bezeichnet werden. Für den Blastoporus kann sein Name beibehalten 
werden. 

Indem ich nun zur Beurteilung der Stadien der Keimblätterbil- 
dung der Metazoen vom Standpunkte der eben erörterten Ansicht 
übergehe, will ich dabei hauptsächlich die oben aufgestellten Fragen 
ins Auge fassen. 

Die Entwicklungsstadien der Keimblätter der meisten Metazoen 
scheinen, wie es von vorn herein zu vermuten war, durch eönogene- 
tische Erscheinungen mehr oder minder verdunkelt. Die Cöno- 
genesis äußert sich hauptsächlich entweder in einer Beschleunigung 
oder in einer Verzögerung der Differenzierungsvorgänge der Keim- 
blätter, was auch nichts Erstaunliches an sich hat, behält man im 
Auge, dass 1) die ähnlichen Entwicklungsprozesse selbst bei den Vol- 
vocinen (Bildung der Keimzellen) einige Unregelmäßigkeiten in der 
Zeit ihres Auftretens aufweisen, und 2) dass man oft in den übrigen 
Entwicklungsstadien der Metazoen bedeutende Abkürzungen beobachtet. 
Trotzdem stimmt das Wesentlichste in den Bildungsprozessen der 
Keimblätter der Metazoen mit den Entwicklungsvorgängen des Volvox 
so überein, nämlich, dass man die erstern als eine Kopie der letztern 
betrachten und sie von diesem Standpunkte aus am besten erklären 


kann. Die Umwachsung der Makromeren durch Mikromeren — die 
sogenannte Epibolie — sowie die Invagination, welche letztere von 


der erstern sich nicht wesentlich unterscheidet, erhalten eine weit 
bessere Erklärung, wenn man sie mit der Zusammenkrümmung des 
plattenförmigen Goniumstadiums der Volvocinen vergleicht, als wenn 
man sie mit Hilfe irgend einer andern hypothetischen Vorstellung zu 


520 Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 


erklären versucht. Sie erscheinen dann als natürliche Folgen von 
Vererbung derjenigen Vorgänge, welche die Entwicklung der Vorfahren 
der Metazoen bekunden. Die Deutung und Phylogenie des Blasto- 
porus, sowie dessen bisher vollkommen unaufgeklärte Natur werden 
ebenfalls laut eben erwähnter Vergleichungsmethode zu bestimmen 
sein. Ganz ebenso verhält es sich mit der Frage über die Ursachen 
der Blastoporschließung. 

Die neuere Embryologie beschäftigt sich umständlich mit der 
Blastoporfrage. Die Form des Blastopors, Beziehungen seiner Axe 
zu den Axen des Embryonalkörpers, das weitere Schicksal desselben, 
seine Verwandlung in die definitive Mund- resp. Afteröffnung, sind 
eben Fragen, über welche grade in letzterer Zeit vielfach diskutiert 
worden. Die Ursachen der Blastoporschließung wurden bis jetzt so 
gut wie gar nieht berücksichtigt. Woher finden wir das Blastopor 
bei denjenigen Entwicklungsformen, welche zu der epibolischen oder 
endobolischen Gastrula führen, und vermissen es im Gegenteil bei 
den Delaminations- resp. Immigrationsformen (Planula und Phago- 
eytella) der übrigen Metazoen, woselbst die definitive Mundöffnung sich 
auf einmal bildet? Hat der Blastopor ehemals bei Vorfahren der 
Metazoen als Mund funktioniert, warum muss er bei den jetzt leben- 
den Metazoen sich schließen, um durch eine andere Oeffnung 
(Mund oder Anus), welche manchmal sogar an Stelle des geschlos- 
senen Blastopors sich bildet, ersetzt zu werden? Man findet keine 
Gründe, um diese bei den Metazoen so allgemein verbreitete Er- 
scheinung von dem physiologischen Standpunkte zu erklären; im Ge- 
genteil trifft man sie in der Genealogie der Metazoen an, wenn man 
namentlich annimmt, dass die Epibolie und Endobolie der Metazoen 
der Zusammenkrümmung des Goniumstadiums des Vo/vox entsprechen. 
Steht man auf dem Prinzip solcher Homologie fest, so bedarf es keiner 
weiteren Erörterung, um die Ueberzeugung zu gewinnen: 1) dass das 
Blastopor der Oeflnung der jungen, ungeschlossenen Volvoxkolonie 
homolog ist und 2) dass die Blastoporschließung nichts Anderes als 
die genealogische Folge der Schließung der Volvoxöffnung darstellt. 

Die oben auseinandergesetzten Entwicklungsvorgänge der hypo- 
thetischen Urform der Heteroplastiden veranlassen uns, nicht nur die 
Bildung, Homologie und Schließung des Blastopors phylogenetisch zu 
erklären, sondern auch die Phylogenie der später auftretenden Mund- 
resp. Afteröffnung uns vorzustellen. Oben haben wir namentlich ge- 
sehen, dass nach der Schließung der primitiven Oeffnung bei der vol- 
voxähnlichen Urform der Metazoen eine andere, zur Ausführung der 
Jungen Brut dienende Oeffnung sich herausbilden sollte. Bei dem noch 
Jetzt lebenden Volvox geschieht der Austritt der jungen Tochterkolonien 
durch eine Oeffnung, welche nach Will sogar immer auf einer be- 
stimmten Stelle der Blase auftritt. Man sieht daraus, dass die An- 
nahme einer solchen Oeffnung bei den volvoxähnlichen Vorfahren der 








Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 521 


Metazoen in keinem Widerspruch mit den Lebensverhältnissen des 
gegenwärtig existierenden Vo/vox steht. Oben habe ich ebenfalls 
hervorgehoben, dass diese Oefinung außer den andern Funktionen 
auch die Rolle eines Mundes spielen sollte, vorausgesetzt, dass in der 
Höhle der volvoxähnlichen Vorfahren noch die amöboiden Nährzellen 
zurückgeblieben sind. Vergleicht man die Bildungsverhältnisse dieser 
Oefinung mit denen der Mundöffnung der Metazoen, so tritt die Ho- 
mologie zwischen beiden unverkennbar hervor. Dieselbe lässt sich am 
besten aus der Aufeinanderfolge der Bildung beiderlei Oeffnungen 
erkennen, welche letztere in folgender Weise dargestellt werden kann: 


Volvox und wahrscheinlich volvox- Metazoen: 

ähnliche Vorfahren der Metazoen: 

1. Primitive Oeffnung des zusam- 1. Blastopor. 
mengekrümmten Gonium - Sta- 


diums. 

2. Schließung dieser Oeffnung. 2. Schließung des Blastopors. 

3. Bildung der sekundären (geni- 3. Bildung der definitiven Mund- 
talen) Oeffnung. resp. Afteröffnung. 


Daraus können wir den Schluss ziehen, dass die definitive Mund- 
resp. Afteröffnung der Metazoen als homolog der sekundären (geni- 
talen) Oeffnung der volvoxähnlichen Vorfahren der Metazoen zu be- 
trachten ist. 

Wir kommen nun zu der Frage: woher bei den Delaminations- resp. 
Immigrationsformen der Entwicklung des Entoderms der definitive 
Mund ohne vorhergegangenen Blastopor sich bildet? Um diese Frage 
zu entscheiden, müssen wir verschiedene Blastulaformen der Metazoen 
mit einander vergleichen. Trotzdem dass dieselben auf den ersten 
Blick eine ziemliche Uebereinstimmung zeigen, bieten sie bei genauer 
Vergleichung bedeutende Unterschiede dar. Wenn wir eine Delami- 
nationsblastula mit irgend einer durch Epibolie oder Endobolie in die 
Gastrula sich verwandelnden Blastula vergleichen und die spätern 
Differenzierungsvorgänge derselben weiter verfolgen, so erweisen sich 
die beiden Blastulaformen trotz aller Aehnlichkeit dennoch nicht voll- 
kommen homolog. Die Wand der Delaminationsblastula besteht aus 
gleichartigen Zellen; die Blastula ist homoplastid und verwandelt sich 
in eine heteroplastide Form durch Teilung oder durch Einwanderung 
ihrer Zellen ins Innere der Höhle, wobei letztere, welche man auch 
hier schlechthin als Blastocöl bezeichnet, späterhin zur Nahrungshöhle 
wird. Anders verhält es sich mit den sogenannten Amphi- und Archi- 
blastulae, welche durch Umwachsung resp. Invagination in die Gastrula 
sich verwandeln. Dort muss man von vorn herein in der Blastula- 
wand ein Vorhandensein von zweierlei Zellenarten — den ektodermalen 
und entodermalen — annehmen. Die Blastulahöhle resp. das Blasto- 
cöl verwandelt sich bei keiner von diesen Formen in die Darmhöhle 


592 Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 


und wird später mehr oder weniger verdrängt. Es geht also die 
Bildung der Darmhöhle in beiden Fällen in zwei vollkommen ver- 
schiedenen Weisen vor sich. Bei einigen Tieren (mit der Delamina- 
tionsblastula) entsteht dieselbe aus dem Blastocöl, bei den meisten 
andern weist dieselbe eine Neubildung auf. Will man die beiden so 
kontrovers aussehenden Thatsachen zu erklären und die Homologie 
der Darmhöhlen zu bestimmen versuchen, so kann man aus den oben 
angeführten Entwieklungsformen derselben zweierlei Schlüsse ziehen: 
entweder sind die Darmhöhlen der Delamination und Invaginations- 
formen nicht homolog, da sie in verschiedener Weise entstehen, oder 
es muss die Homologie zwischen den Blastocöl beiderlei Blastulae (De- 
laminations- und Invaginationsblastula) bezweifelt werden. Eine Wahl 
zwischen den beiden Sehlüssen wird nicht schwierig. Und namentlich 
fällt es leichter sich vorzustellen, dass die beiden Blastocöle ver- 
schiedenen Ursprungs und nicht homolog sind, als einen solchen 
Schluss inbezug auf die Darmhöhlen zu ziehen. Dieser Schluss ist 
um so mehr gerechtfertigt, als man bei weiterer Entwicklung der 
Delaminationsblastulae ebenfalls zwei Höhlen unterscheidet, von denen 
die eine die Darmhöble bildet, die andere dem Blastocöl entspricht. 
Letztere wird späterhin von Gallertsubstanz angefüllt. Bei den epi- 
bolischen und endobolischen Blastulae ist die Aufeinanderfolge beider 
Höhlen eine ganz umgekehrte, indem hier das Blastocöl früher, bei 
den Delaminationsblastulae später als die Urdarmhöhle sieh bildet. 
Die eben erörterten Abweichungen der Blastulaformen können zum 
Unterscheiden von zweierlei Gruppen der Blastulae dienen: a) solche, 
bei denen das Entoderm durch Delamination oder Immigration der 
Zellen entsteht. Wir dürfen dieselben mit dem Namen Schizo- 
blastulae bezeichnen, und zwar kann die Delaminationsblastula den 
Namen der Gruppe behalten, während die Immigrationsblastula als 
Poreioblastula genannt wird, und b) solche, bei denen das Blasto- 
cöl und das Entoderm vor der Schließung der Blase entsteht und 
entweder invaginiert oder umwachsen wird. Dieselben lassen sich 
Gastroblastulae benennen. Es bleibt uns nun übrig, die Beziehungen 
dieser beiden Gruppen an der Urform näher zu bestimmen. 

Wie ich oben bereits bemerkt, sind die beiden Blastulaformen 
mehr oder weniger eönogenetisch verändert, und die Cönogenesis 
derselben kann entweder zu einer Verzögerung oder zu einer Be- 
schleunigung der Differenzierung der Entodermzellen zurückgeführt 
werden. 

Die Schizoblastulae stellen bekanntlich eine homoplastide 
Blase dar, welche dureh Einwanderung der Zellen ins Innere der 
Blase zur heteroplastiden wird. Da dieselben schon vor der Ento- 
dermbildung als geschlossene Blasen auftreten, so kann bei ihnen vom 
Blastopor kaum die Rede sein. Die Mündung, welche sich später 
bildet, ist die definitive Mund-Afteröffnung. Die Höhle der Blastula 








Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 523 


Ä 


ist derjenigen der volvoxähnlichen kolonialen Flagellaten homolog, 
sie stellt das Phagogenocöl dar, welches sich später zur Darmhöhle 
verwandelt. Aus allem, was wir über die weitern Entwieklungs- 
vorgänge der Schizoblastulae kennen, geht hervor, dass die Wand 
der Schizoblastulae jener der homoplastiden Zellenwand der volvox- 
ähnlichen Kolonie, die Höhle der Höhle derselben und die ein- 
wandernden Zellen den Parthenogonidien entsprechen. Hieraus 
folgert man, dass die Schizoblastulae demjenigen Fall der Entwick- 
lungsgeschichte des Volvox entsprechen, bei welchem die Bildung der 
Parthenogoniden nach Schluss des Blastoporus sich vollzieht. Ob 
man in den Furchungsstadien derjenigen Tiere, welche das Schizo- 
blastulastadium durchlaufen, den Rest vom Blastopor erkennen kann, 
ist zur Zeit schwer zu entscheiden. Bütschli will denselben in 
einem von Fol abgebildeten Stadium der Entwicklungsgeschichte der 
Geryoniden finden, Mecznikoff stellt das Vorkommen einer solchen 
Oeffnung in Abrede. Dieselbe kann vielleicht infolge der Cönogenese 
so weit verdeckt werden, dass sie bei den jetzt lebenden Formen 
nicht mehr aufzufinden ist. Jedenfalls weisen die eben erörterten 
Homologien der Schizoblastula und der geschlossenen Volvoxblase 
darauf hin, dass die Differenzierungsvorgänge bei dieser Blastulaform 
auf eine Verzögerung der Keimzellenbildung bei ihren Vorfahren 
zurückgeführt werden kann. Die Beziehungen der Schizoblastula 
resp. Delaminationsblastula zur Poreioblastula sind von Meeznikoff 
sehr genau bestimmt; die beiden sind auch einander so nahe ver- 
wandt, dass man sie mit vollem Rechte zu einer Gruppe verbinden 
und dieselbe der Gruppe der Gastroblastulae gegenüberstellen kann. 

Obgleich die Formen der Gastroblastulae viel mannigfaltiger 
als diejenigen der Schizoblastulae sind, lassen sich dabei dennoch 
zweierlei Hauptformen und zwar: Amphiblastulae und Archiblastulae 
unterscheiden; die beiden andern von Häckel mit den Namen Peri- 
blastula und Discoblastula bezeichneten Formen können zu den ersten 
zurückgeführt werden. Wenn wir alle diese Formen mit einander 
und mit den Schizoblastulae vergleichen, so sehen wir, dass bei den- 
selben eine frühzeitige Ausbildung des Blastocöls und des Entoderms 
als unverkennbare und charakteristische Merkmale im Gegensatz zur 
erst beschriebenen Gruppe auftreten. Bei allen Gastroblastulae bildet 
sich das Blastocöl viel früher als das Archenteron, erscheint ent- 
weder in Form einer schmalen Spalte (Ampbiblastula) oder als eine 
geräumige Höhle zwischen Ekto- und Entoderm und wird später durch 
die wachsenden embryonalen Zellenelemente mehr oder weniger ver- 
drängt. Die frühzeitige Differenzierung des Entoderms bietet eben- 
falls ein wichtiges Merkmal der Gastroblastulae, welches das Ver- 
hältnis dieser Formen zur Urform am besten zu erklären vermag. 
Dieselbe ist bei der Amphiblastula weit bestimmter ausgesprochen, 
als bei der Archiblastula, woraufhin bei der erstern auch die weitere 


524 Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 


Entwicklungserscheinung — als z. B. Umwachsung — viel leichter 
aus der Entwicklung der Urform abzuleiten ist, als bei der letztern. 

Bei der Amphiblastula von Würmern und Mollusken, welche man 
als eine typische Amphiblastula betrachten kann, tritt die Differen- 
zierung zwischen den Zellen schon in den ersten Furchungsstadien 
zutage. Die Epibolie ist aufgrund eben erörterter Motive als ein 
der Krümmung plattenförmiger Embryonen des Volvox analoger Prozess 
zu betrachten; die morphologische Deutung des Blastopors wurde 
bereits oben besprochen. Wir können also die Bildung der Amphi- 
blastula resp. Amphigastrula im Wege einer beschleunigten Differen- 
zirung der Urform erklären. 

Man hat bereits vielfach die Bildung der Amphiblastulae mit der 
der Archiblastulae verglichen und war zu dem Schluss gekommen, 
dass die beiden Formen mit einander verwandt sind, und dass die 
Unterschiede zwischen Epibolie und Endobolie hauptsächlich durch 
die mechanischen Ursachen z. B. durch die Anhäufung des Nahrungs- 
dotters im Innern der Entodermzellen erläutert werden können. Außer 
diesen unstreitig sehr wichtigen Ursachen muss man indess meiner 
Ansicht nach einige andere und zwar zunächst die Teilungsrichtung 
der Entodermzellen berücksichtigen. Es kommen namentlich einige 
Blastulaformen vor, bei denen die Entodermzellen an Nahrungsdotter 
sehr ergiebig sind und die nichtsdestoweniger sich einstülpen, z. B. 
die Blastula von Natien (Bobretzky’s Studien über die embryon. 
Entwickl. der Gastropoden im Arch. f. mikr. Anatomie Bd. 13). 
Wenn wir die Teilung der Entodermzellen bei diesen Formen näher 
betrachten, so bemerken wir sofort, dass dieselbe stets Längsteilung 
ist, während bei den nächstverwandten Mollusken, welche sich in die 
Amphigastrula verwandeln, die Teilungsebenen in verschiedenen Rich- 
tungen vorkommen. Vergleichen wir nun diesen Fall mit der echten 
Archigastrula, so kommen wir zu der Ueberzeugung, dass bei diesen die 
Längsteilung der Entodermzellen als Regel auftritt. Diese oder jene 
Teilungsriehtung bedingt nun selbstverständlich die Verwandlung des 
Entoderms entweder in eine kompakte Masse, welche zur Einstül- 
pung nicht fähig ist, oder ein blattförmiges Gebilde (wie bei der Archi- 
gastrula), die leicht invaginiert werden kann. Sobald die Invagination 
oder Umwachsung nur mechanisch modifizierte Varietäten eines und 
desselben Typus darstellen, so haben die Unterschiede zwischen der 
Amphi- und Archigastrula untergeordnete Bedeutung, und man kann 
die Bildung der Archigastrula ebenfalls im Wege beschleunigter Dif- 
ferenzierung aus der Urform Genitogastrula ableiten. 

Schließlich lässt sich die eben erörterte Darstellung der Urform 
der Heteroplastiden resp. Metazoen sowohl wie das Verhalten der- 
selben zu den Entwicklungsstadien der letztern in folgende Sätze 
auffassen: 

1) Als Urform der Heteroplastiden kann man eine animalisch 








Kowalevsky und Schulgin, Entwicklungsgeschichte des Skorpions. 525 


sich ernährende volvoxähnliche, blasenförmige Flagellatenkolonie an- 
nehmen, welche nach Art des Volvox sich fortpflanzte und in ihrer 
Entwicklung einige individuelle Abweichungen, diesem entsprechend, 
aufwies. 

2) Aus der blasenförmigen Urform entstand infolge frühzeitigen 
Ausschlüpfens in einer Reihe von Generationen eine Gastrulaform, 
deren Keimzellen teils zu Entoderm sich verwandelt haben, teils als 
Keimzellen verblieben, deren Genitocöl in ein Phagogenoecöl über- 
gegangen ist und welche mit einer Oeffnung versehen war — die 
Genitogastrula. 

3) Die Darmhöhle der Metazoen ist der Bruthöhle (Genitoecöl) 
der Urform homolog. Das Blastocöl der Metazoen stellt eine Neu- 
bildung dar, welche erst bei den Metazoen ihre vollkommene Ent- 
faltung bekommen hat. 

4) Das Blastopor ist der primitiven Oeffnung der Volvoxkolonie 
homolog. Seine Schließung ist nichts als Reminiszenz ans Schließen 
der Volvoxöffnung. 

5) Verschiedene Blastulaformen sind einander nicht homolog. 
Schizoblastulae kommen der Urform am meisten nahe, Gastroblastulae 
sind aus der Urform infolge der Beschleunigung des Differenzierungs- 
prozesses abzuleiten. 


Zur Entwicklungsgeschichte des Skorpions (Androctonus 
ornatus). 
Von A. Kowalevsky und M. Schulgin in Odessa. 


Das Untersuchungsmaterial, welches uns zur Verfügung stand, 
stammte zum Teil aus Südfrankreich und Italien (Schulgin), zum 
andern Teil aus Turkestan und dem Kaukasus (Kowalevsky). 

Anfangs Juni sind in der Umgebung von Baku bei den Skorpionen 
die Eier im vollsten Gange der Entwicklung zu finden. Das Gleiche 
gilt für italienische Skorpione. Bemerkenswert ist die Erscheinung, 
dass bei den trächtigen Weibchen, die einen Winter über in Gefangen- 
schaft gehalten wurden, die Embryonen bis zum nächsten Frühjahr 
in dem gleichen Stadium der Entwicklung blieben. Die Männchen 
fingen sehon im Winter an zu sterben, die meisten Weibchen erst am 
Anfange des Aprils, und zwar ohne die Embryonen zu gebären. Doch 
die italienischen Weibchen, welche stets an der Sonne gestanden 
hatten und in jungen Stadien der Embryonalentwicklung waren, haben 
eine große Menge Junge geboren. 


1) Ausbildung der Keimblätter. 
Das jüngste von uns beobachtete Stadium stellte ein Ei mit einem 
vollständig ausgebildeten Blastoderm dar, das auf einem Pole des 


526 Kowalevsky und Schulgin, Entwicklungsgeschiehte des Skorpions. 


Eies lag und aus einer Zellenschicht bestand. So lange die Eier im 
Ovarium liegen d. h. in der Kapsel, die am Uterus hangt, sind sie 
noch nicht befruchtet; ihre Segmentation geht erst im Uterus vor sich. 

Während der Ausbildung des Blastoderms sind weder Kerne noch 
Zellen im Dotter zu sehen; sie finden sich ausschließlich an einem 
Pole des Eies. Diese Erscheinung wird dadurch erklärt, dass am 
reifen Eie die Kerne mit ihrem Protoplasma, d. h. der Bildungsdotter, 
nur auf einer Seite des Eies zu finden sind. 

Die ersten Spuren der Ausbildung der Keimblätter werden da- 
durch angezeigt, dass in der Mitte der untern Seite des Blastoderms 
ein Hügelehen nach und nach sich ausbildet. Nicht selten kann man 
konstatieren, dass mehrere Zellen von der obern Schicht nach innen 
getreten sind. Diese, wie man zu sagen pflegt, ausgekeilten Zellen 
können betrachtet werden als Entoderm. In der ganzen Masse der 
Zellen lagen die karyokinetischen Figuren der obern Zellen parallel 
dem Blastoderm, während die der untern Zellen unregelmäßig ange- 
ordnet waren, woraus folgt, dass die obern Zellen sich auf der Ober- 
fläche des Eies vermehren und durch Einsinken die untere Schicht 
bilden. Diese aus zwei Schichten bestehende Keimscheibe besitzt 
ganz runde Form. 

Die ersten Zeichen in der Veränderung der Keimscheibe bestehen 
in der Bildung der embryonalen Hüllen. Auf der Oberfläche der Keim- 
scheibe bildet sich eine runde Rinne, welche die zentrale Masse in 
Form eines Hügelchens abgrenzt. 

In dieser Rinne sammelt sieh eine Eiweißflüssigkeit, die sich in 
dem Maße vermehrt, als der äußere Rand der Rinne heraufwächst. 

Infolge des Wachstums des Randes bildet sich eine Falte, die 
nur eine einfache Duplikatur des obern Blattes darstellt. In die 
Duplikatur reichen aber hie und da die Zellen des untern Blattes 
hinein. Sie liegt unmittelbar auf der Dotterhaut und legt sich über 
die Keimscheibe, ganz ebenso, wie es bei Insekten und Wirbeltieren 
stattfindet. Die innern Ränder der Hülle treffen endlich zusammen 
und verwachsen bald vollständig miteinander. 

Die innere Sehieht der Embryonalhülle, deren Zellen mit kleinen 
Kernen versehen sind, geht direkt in das Entoderm über, während 
die obere Schicht mit großen Zellkernen in die Teile des obern Blattes 
übergeht, welehe den Dotter außerhalb der Keimscheibe bedecken. Von 
diesen zwei Schichten ist die innere das eigentliche Amnion, die 
obere ist seröse Hülle. Zwischen den zwei Schichten kann man 
wenige mesodermale Zellen wahrnehmen. Nach der Ausbildung der 
Hüllen verlängert sich die Keimscheibe, welche bis jetzt rund war, 
etwas, und von der Zeit an fängt ein Unterschied zwischen ihren 
beiden Polen an bemerkbar zu sein. Ein Pol wird dieker und länger, 
der andere bleibt dünn aber breit. Der erste ist das künftige Post- 
abdomen, der zweite der zukünftige Kopf. 








Kowalevsky und Schulgin, Entwicklungsgeschichte des Skorpions. 527 


Während der ganzen Zeit der Ausbildung der Embryonalhüllen 
teilen sich von dem untern mehrschichtigen Blatte mehrere Zellen ab 
und vertiefen sich in den Dotter hinein. Anfangs sind diese Zellen 
nicht in großer Menge vorhanden, aber mit der Zeit vermehrt sich 
ihre Zahl bedeutend. Sie sind immer zerstreut, hauptsächlich in der 
Nähe der Peripherie des Dotters. Der Kern dieser Zellen ist körnig, 
rund, groß; sie besitzen die Fähigkeit amöboide Bewegung auszuführen. 
In der Tiefe des Dotters verschwinden die scharfen Umrisse dieser 
Zellen. Sie umfließen die Dotterkugel, um sie in ihrem Plasma zu 
lösen. Wir nennen diese Zellen „Dotterzellen“, weil sie keinen 
Anteil an der Ausbildung der Gewebe nehmen, trotzdem dass sie aus 
der Keimscheibe entstehen. 

Am Ende dieser Vorbereitungsperiode, die der Ausbildung des 
eigentlichen Embryos vorausgeht, besteht das Keimblatt aus einer 
obern oder ektodermalen, einer untern oder entomesodermalen Schicht 
und endlich breitet sich unter der letztern ein Komplex von zerstreu- 
ten Zellen aus, die schon Zeit genug hatten, um eine beträchtliche 
Menge von Dottermasse unter der Keimscheibe zu verflüssigen. 


2) Ausbildung des Verdauungsapparates. 


Das Verdauungsorgan wird gewöhnlich seiner morphologischen 
und physiologischen Bedeutung nach in drei Teile geteilt. Der vordere 
Teil (Mund und Schlund) stellt eine einfache Einstülpung der ekto- 
dermischen Schieht dar, wie es schon von Mecznikoff erkannt 
wurde. Diese Einstiülpung zieht sich zwischen beiden Hirnlappen 
durch, hinter welchen sie mit dem mittlern Teile des Verdauungs- 
apparates zusammenfließt. Die Muskelschichte dieser Abteilung wie 
der andern Teile des Darmes entsteht aus dem Mesoderm. Der 
Hintererdarm bildet sich analog durch Einstülpung des Ektoderms 
und zwar des vorletzten postabdominalen Ringes aus. Der übrige 
Teil des Verdauungstraktus bleibt für den Mitteldarm übrig. 

Die Hauptrolle beim Baue des Verdauungsapparates spielt die 
Ausbildung des Entoderms, als desjenigen Elementes, von welchem 
der Mitteldarm gebildet wird. Nach Herausbildung der Keimscheibe 
trennt sich von der entomesodermischen Schicht eine dichte Reihe 
von Zellen ab, die dicht an den Dotter sich anlegen. Diese Schicht ist 
das eigentliche Entoderm. Seine Zellen besitzen ein glasartiges 
Aussehen, wahrscheinlich deswegen, weil sie etwas von der Dotter- 
flüssigkeit in ihrem Protoplasma aufgenommen haben. Erst jetzt sind 
alle Schichten des Embryonalkörpers zur Ausbildung gekommen und 
umwachsen nun den Dotter mit verschiedener Geschwindigkeit. Die 
seröse Hülle wächst am schnellsten, nach dieser folgen das Ektoderm 
und zuletzt das Darmdrüsenblatt. Unter dem Einfluss des letztern 
verändert sich die peripherische Schieht des Dotters, wodurch eine 


525 Kowalevsky und Schulgin, Entwicklungsgeschichte des Skorpions. 


rindenartige Schicht zu stande kommt. Bei näherer Betrachtung der 
rindenartigen Schicht sehen wir, dass die entodermalen Zellen sich 
mit verflüssigtem Dotter anfüllen und eine lange zylindrische Form 
annehmen, deren Kerne in benachbarten Zellen auf verschiedener Höhe 
liegen, wie wir es immer im Zylinderepithel finden. 

Diese Zellen wachsen schnell und bilden eine dieke Schicht um 
den Dotter; aber es sinken keine in den letztern hinein. Sogleich 
nachdem der Dotter, der keine Zellen enthält, vollständig von dem 
Entoderm umwachsen ist, fängt das Postabdomen an in Form eines 
Hügels sich auszubilden, der aus allen drei Blättern besteht. Die 
röhrenförmige Einstülpung des Entoderms zieht sich über das ganze 
Postabdomen bis zum vorletzten Segmente hin, wo sie mit der von 
außen eingestülpten Grube als Anfang des Afters zusammenstößt. 

Der anfangs einfache Mitteldarm differenziert sich verhältnismäßig 
spät in eine röhrenförmige Abteilung, oder den eigentlichen Mittel- 
darm, und in die Lappen der Leber. Der Mitteldarm wird zuerst 
vorn und hinten fertig ausgebildet. In seinem mittlern Teile ent- 
wickelt sich dann zuerst der Boden, später die seitlichen und obern 
Wände. Der ganze Dotter wird von Leberzellen umwachsen, deren 
Komplex in mehrere Lappen geteilt ist. 


3) Mesoderm und Gefäßsystem. 


Das Mesoderm kann erst dann als vollständig ausgebildet be- 
trachtet werden, wenn vom untern entomesodermalen Blatte das Ento- 
derm sich abgetrennt hat. Das Mesoderm verbleibt länger als die 
andern Blätter unter der Keimscheibe und wächst am spätesten über 
den Rücken des Embryos. Die Zahl der mesodermalen Segmente 
entspricht derjenigen des Körpers, und dabei existiert ein präorales 
Segment, das eine Kavität enthält, wie die andern mesodermalen 
Segmente des Körpers. Das äußere Blatt eines jeden mesodermalen 
Segmentes, das somatische oder Muskelblatt, ist bedeutend dicker als 
das splanchnische, das Darmfaserblatt. Diese beiden Blätter gehen 
auf der Peripherie des Segmentes ineinander über und verbreiten sich 
weiter auf die Ränder des Körpers als ein kompaktes Blatt, das 
noch nicht in Schichten gespalten ist. 

In der Zeit, wo das Darmdrüsenblatt sich zusammenschließt, 
wachsen die Seitenränder des Mesoderms zwischen Ento- und Ekto- 
derm auf den Rücken hinauf. Diese Schieht der peripherischen 
Zellen ist noch nieht in zwei Blättehen gespalten und bietet in 
manchen Beziehungen besonderes Interesse. Die Randzellen der ein- 
fachen Schicht trennen sich von der übrigen Schicht ab, die näher 
am Rücken liegenden werden mehr rund, saftig, endlich kugelrund 
und durchsichtig, mit einem Kern versehen, kurz, sie erinnern an 








Kowalevsky und Schulgin, Entwicklungsgeschichte des Skorpions. 529 


junge Eier. Wir meinen behaupten zu dürfen, dass die genannten 
Zellen dadurch aus mesodermalen Zellen entstanden sind, dass die 
letztern mit dem Vorrücken zwischen zwei Schichten Eiweiß ver- 
schlucken, welches inzwischen von entodermalen Zellen verflüssigt 
ist. Diese Zellen streben sich gegen die Rückenseite zu bewegen 
und werden als primäre Blutkörperchen betrachtet. Die genannten 
Zellen, die eigentlich weder zum obern (Hautmuskel-), noch zum 
untern (Darmfaser-) Blatte gehören, verbreiten sich auf der Rücken- 
seite des Embryos, wo die Blätter noch nicht miteinander in Berühr- 
ung gekommen sind. Hier erfüllen sie eine lange breite Spalte längs 
des Rückens des Embryos, die vorn und hinten etwas enger als in 
der Mitte ist. Diese Spalte, wie gesagt zwischen Ento- und Ektoderm 
liegend, verbreitert sich, deswegen kann sie verglichen werden mit der 
Furchungshöhle der Tiere, deren Eier vollständige Furchung erleiden. 
Der Raum, in welchem die primären Blutkörperchen liegen, erleidet 
eine Verengerung infolge der Ausdehnung der seitlichen mesodermalen 
Blättehen. Diese Blättchen nähern sich dann weiter einander und 
wachsen endlich zusammen, und zwar zuerst auf der Rückenseite, 
während sie gegen das Entoderm noch lange offen bleiben. Nach 
der Verwachsung wird ein paariges Blättchen gebildet, das die Rolle 
des Mesokardiums spielt, des jetzt schon ausgebildeten Herzens, das 
noch mit dem mesodermalen Blättchen zusammenhängt. 

Das fertige Herz besteht jetzt aus zwei Schichten: die innere 
oder das Endothel, und die äußere oder die Muskelschicht, die beide 
aber ausschließlich vom Mesoderm ibren Ursprung nehmen. Noch 
vor dem Zusammentreten der beiden mesodermalen Blättchen behufs 
Ausbildung des Herzens kann man die zarten flachen Zellen, die 
später das Endothel des Herzens bilden, unterscheiden von den mehr 
saftigen Zellen, welche die Anlage der Muskelscheide des Herzens 
sind. Während der Ausbildung des letztern bilden sich auch die 
Herzspalten, durch welche das Lumen des Herzens mit dem umgebenden 
Raum in Verbindung steht. Die Flügelmuskeln des Herzens entstehen 
ebenfalls aus dem Mesoderm. Das Wenige, das wir über das Peri- 
kardium beobachtet haben, besteht darin, dass um das fertige Herz, 
besonders auf seiner Rückenseite, eine Anhäufung von großen, oft 
zweikernigen Zellen stattfindet. Diese Anhäufung hat das Aussehen 
von blasigem Bindegewebe, aus welchem um das Herz eine Membran 
sieh bildet, die das ganze Herz mit den Muskeln zusammen in ihren 
Raum aufnimmt. 


4) Ausbildung des Nervensystems. 


Die ersten Spuren des Nervensystems erscheinen in der Zeit, wo 
die Kopfglieder anfangen bemerkbar zu sein. Das Nervensystem er- 
scheint als eine Verdiekung des Ektoderms, die in der Mitte der 

VI. 4 


530  Kowalevsky und Schulgin, Entwicklungsgeschichte des Skorpions. 


Bauchseite vom Kopfe aus nach unten sich hinzieht. Entsprechend 
der Teilung des Körpers in Segmente wird auch der Nervenstrang 
geteilt. An jedem Ring beobachten wir zwei Erhebungen, von welchen 
eine peripherisch liegt, die andere der Mittellinie sich nähert. Jene 
bildet sich später zu Gliedmaßen aus, letztere zu einem Segment des 
Nervenstranges. Aus solchen Erhebungen auf den Segmenten setzt 
sich das ganze Nervensystem zusammen. 

Anfangs ist das Nervensystem nichts Anderes als eine einfache 
Anhäufung der ektodermalen Zellen, aber in der Zeit, wo die ersten 
Spuren von Kopfgliedern deutlich werden, beginnt eine schnelle Ver- 
mehrung der ektodermalen Zellen, zuerst auf den Kopfsegmenten, 
später auf den andern. Die Vermehrung geschieht dadurch, dass in 
jedem Segmente eine Wucherung der ektodermalen Zellen eintritt, 
und zwar auf jedem Körpersegmente an 10 bis 12, auf dem Kopf- 
segmente an 15 bis 20 gesonderten Stellen, welche das Aussehen von 
Gruben haben. Auf dem Querschnitte erscheinen diese Gruben als 
einfache hohle Räume, die bald verschwinden wegen des Zusammen- 
wachsens der sie auskleidenden Zellen, welche letztere bald so hoch 
anwachsen, dass sie die ganze Dicke des Stranges bilden. Es liegt 
auf der Hand, dass eine solehe Art der Vermehrung der Zellen einen 
großen Vorzug hat gegenüber einer einfachen Ausbreitung der Zellen 
auf der Oberfläche. Denn grade dureh diese Gruben vergrößert sich 
die Masse des Nervenstranges in demselber Verhältnis, wie es z. B. 
bei Vermehrung der Zellen im Dünndarme stattfindet. Diese Art des 
Wachstums des Nervensystems bei Skorpionen wurde schon von Herrn 
Korotneff bemerkt und uns von ihm mitgeteilt. Nachdem dann der 
Nervenstrang einigermaßen ausgebildet ist, fängt auch die Faser- 
substanz sich auszubilden an, und erst jetzt trennen sich die Ganglien 
von dem Ektoderm los. 

Die Entwicklung des Kopfhirnes unterscheidet sich von der Ent- 
wieklung der übrigen Teile dadurch, dass an seinem Entwicklungs- 
gange eine accessorische Falte Anteil nimmt. Diese Falte wurde 
schon von Meeznikoff für die Skorpione und von Balfour für die 
Spinnen angegeben. Sie bildet sich unabhängig von den genannten 
Gruben, die für das ganze System eigentümlich sind, dadurch, dass 
die nervöse Kopfplatte eine paarige halbkreisförmige Einsenkung be- 
kommt, welche letztere die ganze vordere Peripherie der Kopflappen 
vertieft. Die Einsenkung wird bald von einer Erhebung eingerahmt, 
und zwar so, dass deren vordere Wand eine über die Einsenkung 
gegen den Mund hin wachsende Falte gibt. Die eingesunkenen Teile 
der Kopflappen bilden zwei Hirnblasen — eine linke und eine rechte — 
die mit der Peripherie durch je eine Spalte in Verbindung stehen. 
Die Spalten sind von den Falten bedeckt, welche aber bald mit dem 
Rande der eingesunkenen Teile zusammenwachsen, und dann sehen 
wir die beiden Blasen vollständig bedeckt; ihre obern Wände sind 


Kowalevsky und Schulgin, Entwicklungsgeschichte des Skorpions. 551 


von den genannten Falten gebildet. Nach der Verwachsung der Falten 
mit den Rändern der Blasen verschwinden erstere nicht, sondern am 
Platze der Verwachsung bildet sich eine Erhebung, deren Wachstum 
mehr und mehr vorschreitet. Daraus entsteht eine neue Falte über 
dem schon vollständig ausgebildeten Hiru. In solcher Weise werden 
zwei Taschen gebildet, die gegen die Mundöffnung, d. h. in der Rich- 
tung der Extremitäten, geöffnet sind. Diese Falten oder, besser zu 
sagen, diese Taschen bestehen aus der obern Wand und dem Boden. 
Der Boden ist gebildet von einer dünnen Schicht des Ektoderms, von 
welcher das nervöse Kopfblatt schon abgetrennt ist. Die obere Wand 
oder die Decke dieser Seitentaschen, also die eigentliche Falte, be- 
steht, wie es auf dem Längsschnitte scheint, aus einer einfachen Falte 
des Ektoderms, deren untere Wand der Tasche zugekehrt ist; letz- 
tere ist diek und besteht aus der gleichen Verdickung des Ektoderms, 
wie die Kopflappen selbst; die obere Schicht der Falte ist dasselbe 
Ektoderm wie auf dem ganzen Kopflappen. Diese Taschen sind die 
ersten Spuren der Mittelaugen des Skorpions, auf deren weitere Ent- 
wieklung wir zurückkommen, nachdem wir die Beschreibung der Aus- 
bildung des zentralen Nervensystems beendet haben werden. 

Das Kopfganglion bildet sich, wie gesagt, durch Einsenkung der 
Nervenplatte, wobei zu bemerken ist, dass im vertieften Teile gleiche 
grubenähnliche Vertiefungen wie auf der ganzen Oberfläche der andern 
Segmente sich finden. Die Fasersubstanz bildet sich etwas später 
und wie es scheint, ist eben in dem Raume der Blasen der Platz, 
von welchem dieselbe ihren Ursprung .nimmt. 

Die Ganglien der Maxillen fließen, wie schon Meceznikoff ge- 
sehen hat, mit den Kopfganglien zusammen. 

Was die Augen betrifft, so geht die Ausbildung der Mittelaugen 
ganz anders vor sich, als die der Seitenaugen. Die Mittelaugen 
werden von der gleichen Falte gebildet, welche am Baue der Kopf- 
lappen Anteil nimmt, nur mit dem Unterschiede, dass für den Bau 
des Hirns die tiefen Teile der Falte verwendet werden, während die 
Augen Derivate der peripherischen Teile derselben Falte sind. Wir 
haben diese Falten entstehen sehen als zwei Seitentaschen auf dem 
Kopfe. Auf der Mitte des Kopfes nähern sich die zwei Falten ein- 
ander über der obern Lippe und verwachsen mit der Zeit vollständig 
miteinander. Die eigentlichen Augen bilden sich erst dann, wenn die 
Falten zusammengewachsen sind, dadurch, dass auf jeder Hälfte der 
Falte auf deren innerer Seite eine runde Platte sich abhebt, auf deren 
unterem verdicktem Teile Pigment aufgelagert wird. 

Die Seitenaugen entwickeln sich unabhängig von den Mittelaugen, 
und bei ihrer Ausbildung nimmt die Vertiefung der obern Schicht der 
Kopfplatte Anteil. Die Einzelheiten dieses Vorganges sind von uns 
noch nicht bearbeitet. 

Der Verschiedenheit in der Ausbildung der Augen entspricht der 

34* 


532 Jhering, Generationswechsel bei Säugetieren. 


Bau der fertigen Augen, wie Ray-Lankester gefunden hat. Wie 
aus der Beschreibung der Entwicklung folgt, haben die Mittelaugen 
ihren Ursprung aus der gleichen Primitivplatte, wie das Kopfhirn. 
Für die andern Organe des Embryos müssen erwähnt werden die An- 
wesenheit der Coxaldrüsen und Ausführungsgänge der Genitaldrüsen. 
Die erste Stufe, in welcher die Coxaldrüse von uns gefunden wurde, 
fällt in die Zeit, in welcher die Bauchkette des Nervensystems schon 
vom Ektoderm abgeschieden war. Da erschien sie als paariges Rohr, 
dessen Ausmündung an der Basis des zweiten Paares (?) der Füße 
sich befindet, und dessen inneres Ende schon bis an den vordern 
Leberlappen heranreichte. Bei spätern Stadien werden die Windungen 
sehr zahlreich und bilden eine Masse Schleifen. 

Die Ausführungsgänge werden von zwei Ausgangsstellen aus ge- 
bildet. Ein Teil, das innere Rohr, scheint vom Splanehnoblatt seinen 
Ursprung zu nehmen in Form eines Trichters, der mit seiner breiten 
Öeffnung in die Körperhöhle sich öffnet und mit dem engen Ende 
gegen die Peripherie gerichtet ist. Hier nähert sich die früher schon 
erscheinende Einstülpung der äußern Haut, welche den äußern Teil 
der Genitalgänge bildet. Dem innern Rohr legen sich die Zellpolster 
auf, die wahrscheinlich die ersten Spuren der Genitaldrüsen vorstellen. 

Die Ausbildung der Lungensäcke wurde zuerst ziemlich spät 
beobachtet, als einfache Einstülpung in einen an Blutelementen reichen 
Raum. 


Ueber „Generationswechsel“ bei Säugetieren. 
Von Dr. Hermann von Jhering. '‘) 


Der in Brasilien reisende, oder mehr noch der daselbst ansässige 
Naturforscher wird gar häufig überrascht durch die Summe guter 
naturhistorischer Beobachtungen und Erfahrungen, welche man bei 
der ländlichen Bevölkerung antrefien kann. Mit der Prüfung der- 
selben ergeht es dann dem Zoologen nicht selten wie mit manchen 
der feinen Beobachtungen des Aristoteles, welche erst unser Jahr- 
hundert wieder zu Ehren zu bringen berufen war. Ein schlagender 
Fall der Art ist der folgende auf die Fortpflanzung der Gürteltiere 
sich beziehende. 

Schon im vorigen Jahrhundert teilte Azara mit, dass von dem 
in Paraguay und Argentinien lebenden Gürteltiere Praopus hybridus 
Desm. die einheimische Bevölkerung behaupte, dasselbe bringe bei 
Jedem Wurfe stets nur Junge eines Geschlechts zur Welt. Auch Bur- 
meister (Description physique de la Republique Argentine. Vol. II. 
1879. p. 433) erwähnt diese Sage, aber weder er noch andere Zoo- 





1) Sitzungsb. d. Berliner Akademie, 1885, 2. Halbbd. S. 1031, und DuBois- 
Reymond’s Archiv für Physiologie, 1886, 5. und 6. Heft S. 443. 








Jhering, Generationswechsel bei Säugetieren. 533 


logen haben sich selbständig mit der Frage befasst. Da auch mir 
die gleiche Behauptung hier begegnete und die Mulita, eben der 
Praopus hybridus, hier nicht selten ist, so nahm ich mir vor die An- 
gelegenheit zu studieren, und es war mir möglich, zweimal kräftige 
Weibchen zu erhalten. In beiden Fällen traf ich acht Föten im 
Uterus, welche jedesmal nicht nur alle auf absolut gleicher Entwick- 
lungsstufe standen, sondern auch alle das gleiche Geschlecht 
hatten. Es waren in beiden Fällen männliche Embryonen, deren 
Penis auch in dem ersten, ein erheblich jüngeres Entwieklungssta- 
dium repräsentierenden Falle schon die typische, am Ende etwas 
dreilappige Form, welche für diese Art charakteristisch ist, aufwies. 
Bei dem zweiten Tiere war der Penis des Fötus schon fertig ent- 
wickelt, das Orificium urethrae offen, ein Irrtum in der Bestimmung 
des Geschlechts daher unmöglich. Was aber mehr als der positive 
Befund der Uebereinstimmung des Geschlechts aller Jungen mein 
Interesse in Anspruch nahm, war das Verhalten der Eihäute, welches 
zugleich die Erklärung für die Verhältnisse lieferte. Es zeigte sich 
nämlich, dass zwar jede Frucht ihr eignes Amnios besaß, alle zu- 
sammen aber nur ein einziges gemeinsames Chorion !). Das letztere 
ist glatt und liegt lose der Uteruswand an, aber im obern Teil des 
Uterus nahe dessen Fundus besteht ringförmig eine Verwachsung der 
Uterusschleimhaut mit der hier ins Chorion eingeschalteten Placenta. 
Es besteht hier eine ringförmige Placenta, die aber mit der gleich- 
namigen der Raubtiere nichts gemein hat, indem sie eine Placenta 
annularis composita ist. Jede der acht scheibenförmigen Placenten 
stößt mit den Rändern der zwei nächsten zusammen, alle gemeinsam 
bilden dann den zur Längsaxe des Uterus senkrecht stehenden Ring. 
Im jüngern Stadium (Chorionblase 7O mm Durchmesser) war die Ver- 
wachsung eine sehr innige, im spätern eine lockere, und ich glaube 
nach dem Befunde annehmen zu müssen, dass die Deeidua schon 
lange vor der Geburt sich von der übrigen Uterusschleimhaut abson- 
dert und in fester Verbindung mit der Placenta foetalis bleibt, wie 
das nach meinen allerdings erst wenig umfassenden Erfahrungen 
(Felis, Mephitis — mit nicht ringförmiger Placenta, da ein eirea !/, 
des Ringes einnehmender Teil nur braun pigmentierte freie Zotten 
trägt, aber nicht zur Placenta entwickelt ist) auch bei den Raubtieren 
der Fall zu sein scheint. Die sidamerikanischen Edentaten dürften 
daher wohl alle zur Gruppe der Deciduaten gehören. Noch bemerkt 
sei, dass außer den mit Amnios versehenen acht Föten im ersten 
Falle noch vier linsen- bis bohnengroße Keimblasen im Chorionsack 





1) Es liegen also hier dieselben Verhältnisse vor, wie sie Kölliker be- 
züglich der Eihäute von Dasypus (Praopus) novemeinctus beschrieben hat. 
(Entwieklungsgeschichte II. Aufl. S. 362.) Ueber das Geschlecht der Föten 
findet sich daselbst keine Angabe. [Anmerkung von Hrn. Waldeyer in den 
Sitzungsberichten.] 


534 Jhering, Generationswechsel bei Säugetieren. 


eingeschlossen waren, von denen die größte einen verkümmerten Em- 
bryo enthielt. Drei derselben waren kettenförmig aneinander gereiht. 

Näher auf Einzelheiten einzugehen liegt mir in dieser ersten vor- 
läufigen Mitteilung fern, nur noch auf eine mir auffällige Beobachtung 
aus der Embryologie der Edentaten möchte ich hinweisen. Die langen 
zum Teil enormen Krallen, welche die Gürteltiere und Ameisenbären 
auszeichnen, entstehen nämlich nicht wie diejenigen der Raubtiere als 
äußerlich freie über die Spitze der Endphalange hervorragende Teile, 
sondern werden im Innern einer völlig anders gebauten, breiten fö- 
talen Endphalange angelegt, wie ich das an Föten von Myrmeko- 
phaga tetradactyla wie von Praopus hybridus beobachten konnte. Bei 
weit entwickelten Föten der letztern Art mit bereits geöffneten Augen, 
aber durch eine zarte Membran verschlossenen Nasenlöchern, ist das 
Ende der Finger und Zehen breit, etwas dreilappig und plump, so 
dass man eher meinen möchte, es mit dem Fötus eines Huf- 
tieres zu thun zu haben als mit dem eines Tatü. Durch die End- 
phalange sieht man die im Innern bereits angelegte Kralle durch- 
schimmern, deren morphologische Bedeutung erst eingehendere Stu- 
dien erweisen können. Jedenfalls aber liegt hier ein interessanter 
Fall von Atavismus vor, für dessen Erklärung darauf hingewiesen 
sei, dass die Endphalangen der fossilen Vorläufer unserer Tatüs, der 
Glyptodonten, nicht sichelförmig, sondern breit, kurz und plump, und, 
wie ich vermuten möchte, von einer klauen- oder hufförmigen Horn- 
scheide im Leben überzogen waren. Gleichviel ob diese Annahme 
zutreffe oder jene Burmeister’s von einem „eallo terminal“, sicher 
lag die Endphalange im Innern eines breiten Zehengliedes, wie schon 
ihre zahlreichen Gefäßöffnungen beweisen. Zu dem völlig abweichen- 
den Verhalten der mit mächtiger Sichelkralle versehenen lebenden 
Gürteltiere schlägt nun die fötale Ausbildung des Praopus-Fußes die 
Brücke. So viel mir bekannt, liegen über diese sonderbare Meta- 
morphose des Armadillfußes bisher keine Angaben vor. 

Für das Verständnis der eigenartigen hier mitgeteilten Fort- 
pflanzungsverhältnisse von Praopus auch bei Praopus novemeinctus 
sollen alle Jungen eines Wurfes einerlei Geschlechts sein — ist es 
nötig an die vom Menschen bekannten Entwicklungsanomalien anzu- 
knüpfen. Wenn das menschliche Weib Zwillinge zur Welt bringt, 
sind bekanntlich zwei verschiedene Fälle auseinander zu halten: 

1. Jede Frucht hat ihr eignes Chorion, das Geschlecht der Zwil- 
linge ist bald übereinstimmend, bald verschieden, was sich aus dem 
Umstande erklärt, dass jedes der beiden Kinder einem besondern 
Eierstocksei entstammt. 

2. Beide Früchte besitzen nur ein einziges gemeinsames Chorion, 
und die aus ein und demselben Eierstocksei herorgegangenen Zwil- 
linge sind unabänderlich gleichen Geschlechts. 

An letztern Fall knüpft nun die hier mitgeteilte Thatsache un- 





Jhering, Generationswechsel bei Säugetieren. 535 


mittelbar an. Da wir gegenwärtig wissen, dass das Geschlecht des 
Embryos durch die Befruchtung des Eies entschieden wird, so ist es 
auch selbstverständlich, dass wenn aus einem befruchteten Eie mehrere 
Embryonen sich entwickeln, alle einerlei Geschlechts sein müssen. 
Was beim Menschen nur als Abnormität auftritt, ist bei Praopus die 
Regel, nur geht die Spaltung des Keimes sehr viel weiter. Bei 
Praopus novemeinctus bilden 4 bis 5 oder 6 Junge die Regel, bei 
Praopus hybridus 8 bis 11. In einem Falle konnte ich auch nach- 
weisen, dass einige der zahlreichen Spaltungsprodukte des primitiven 
Bies verkümmerten, wie das ja auch bei andern Tiergruppen z. B. 
vielen Schnecken beobachtet ist. Wie aber beim menschlichen Weibe 
die mehrfache Geburt nicht nur Ausnahme ist, sondern auch seiner 
Organisation nicht entspricht, so ist das in noch höherem Grade hier 
der Fall. Um dies zu ermessen, muss man in betracht ziehen, dass 
bei Praopus nur zwei Paar Zitzen existieren. Im allgemeinen besteht 
Ja bei den Säugetieren eine Korrelation zwischen der Zahl der Zitzen 
und jener der Jungen eines Wurfes, so zwar, dass, wie Milne Ed- 
wards!) sich ausdrückt, im allgemeinen auf jedes Junge eine Zitze 
entfällt. Schon bei Praopus novemeinctus muss die Ernährung der 
Jungen leiden, wenn ihrer 5 bis 6 geboren werden, wie viel mehr 
erst bei Praopus hybridus, wo 8 bis 11 Junge oder selbst 12 auf 
einmal geworfen werden, und doch nur 4 Brustdrüsen existieren. 
Kein Wunder daher, wenn, wie wir von Burmeister?) erfahren, 
die Hälfte dieser allzu reichlichen Schar von Nachkommen meist bald 
nach der Geburt stirbt. Dieses unzweckmäßige Verhältnis sei jenen 
zur Beachtung empfohlen, welche noch im naiven Glauben vergangener 
Zeiten befangen, wähnen, die Weisheit des Schöpfers habe alles in 
der Natur aufs beste und zweckmäßigste geordnet; nicht minder aber 
dürfte es auch die Aufmerksamkeit jener Naturforscher verdienen, 
welche noch auf dem Standpunkte Darwin’s stehend in der natür- 
lichen Zuchtwahl das treibende Moment für die Umbildung der Arten 
aufgedeckt glauben. In Wahrheit aber ist weder die Auslese im 
Kampfe ums Dasein, wie die Theorie sie fordert (außer in verein- 
zelten Fällen wie Mimiery u. s. w.), im stande, die Verwandlung des 
gesamten Organismus mit Einschluss unbedeutender anatomischer und 
morphologischer Details zu erklären, noch auch ist die Variabilität 
des Organismus eine allseitige, wie ja eben dieser Fall demonstriert. 
So wird man sich begnügen müssen, die ihren Ursachen nach meist 
oder fast durchweg unerklärliche Variabilität als Thatsache hinzu- 
nehmen, an welche direkt die Neubildung der Arten anknüpft. Es 
sei mir gestattet, hier auf den vor Jahren von mir entwickelten Er- 
klärungsversuch hinzuweisen. 





1) H. Milne Edwards, Lecons sur la physiologie et l’anatomie com- 
paree. Paris 1870. t. IX. p. 129. 
2) Burmeister, Description physique ete. 1. e. p. 429. 


536 Jhering, Generationswechsel bei Säugetieren. 


In der Einleitung zu meinem Buche über das peripherische Ner- 
vensystem der Wirbeltiere (Leipzig 1878 S. IX) wies ich auf die Un- 
möglichkeit hin, die Vermehrung der Zahl der Halswirbel der Faul- 
tiere durch die natürliche Zuchtwahl zu erklären. Dass ein mit 
acht Halswirbeln versehenes Individuum vor den mit sieben ausge- 
statteten einen so entschiedenen Vorzug besitze, dass es im Kampfe 
ums Dasein bessere Chancen habe durchzukommen, dürfte wohl kaum 
jemand behaupten mögen. Die natürliche Zuchtwahl kann hier nicht 
herangezogen werden, um so weniger als dieselbe ja überhaupt nur 
die vorhandenen Varietäten verwerten, nicht aber deren häufigeres 
Erscheinen veranlassen kann. In extrem seltenen Fällen treten auch 
bei andern Säugetieren acht Halswirbel auf, aber von diesen verein- 
zelten Fällen kann keine Artenbildung ausgehen. Die Vermehrung 
der Halswirbelanzahl bei den Faultieren kann ihren Grund nur darin 
haben, dass diese Varietät häufiger als bei andern Gattungen auf- 
getreten ist, dass sie statt etwa in 0,001 Prozent in 10, 20 Prozent 
und mehr auftrat. Kann sich aber die Häufigkeit des Erscheinens 
einer neuen Varietät bedeutend steigern, so kann sie durch weitere 
Steigerung auf 60, SO Prozent und mehr schließlich auch ohne alles 
Zuthun der Selektion zur Regel werden. Entweder die Varietät tritt 
nur ganz selten auf, und dann ist sie für die natürliche Zuchtwahl 
gegenstandslos, oder sie erscheint immer häufiger und dann kann sie 
auch direkt zum Ueberwiegen kommen. Auf diesem Wege nun, 
dureh progressive Zunahme der Häufigkeit einer zuerst 
nur ausnahmsweise erscheinenden Varietät glaube ich, 
dass in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Artenbildung 
vor sich gegangen sein wird. Es würde zu weit führen hier die 
mancherlei von mir in Brasilien gemachten neuen Beobachtungen mit- 
zuteilen, welche mich in dieser Auffassung bestärkt haben. 

Noch in anderer Richtung ist die hier mitgeteilte Entdeckung 
geeignet allgemeineres Interesse zu beanspruchen. Derartige Fälle, 
in denen durch Teilung eines einzigen Eies oder Keimes regelmäßig 
eine größere Anzahl von Nachkommen entstehen, sind jedenfalls bisher 
noch nicht sehr zahlreich bekannt. Ich kenne nur als Pendant die 
Beobachtung Kleinenberg’s!) an Lumbricus trapezoides, wo regel- 
mäßig aus einem Ei zwei anfangs durch eine Brücke verbundene 
Embryonen hervorgehen. Es existiert aber ein allgemeiner Grund 
vorauszusetzen, dass das Hervorgehen von nur einem Individuum aus 
dem Eie im Tierreiche ein vorgerückteres später erworbenes Stadium 
repräsentiere, denn bei den meisten Gruppen der Metazoen entwickelt 
sich nur ein Teil des Eies zum Embryo, indess ein anderer durch 
die erste Zellteilung abgetrennter Teil desselben, der oder die soge- 
nannten Richtungskörper, höchstens einen Anlauf zur Entwicklung 





1) N. Kleinenberg, Sullo sviluppo del Lumbricus trapezoides. Napoli 1878. 





Jhering, Generationswechsel bei Säugetieren. 937 


nimmt, aber über die ersten Furchungsstadien nicht hinausgelangt 
und bald zugrunde geht. Die Riehtungskörper sind morpho- 
logisch nichts anderes als abortive Keime, mögen sie da- 
neben immerhin, wie Weismann!) betont, für das Ei auch m phy- 
siologischer Beziehung nicht bedeutungslos sein. Die Vermehrung 
durch Teilung, die älteste in der organischen Welt, ist auch in den 
höhern Tiergruppen nicht völlig beseitigt. In jedem Ei liegt poten- 
tiell die Fähigkeit, zahlreiche Embryonen aus sich hervorgehen zu 
lassen, und diese, bald zur Erzeugung mehrerer Embryonen aus einem 
Eie, bald nur zur Anlage von Doppelbildungen und ähnlichen Monstro- 
sitäten führende, bald mit der ersten Furchung, bald erst in weiter 
vorgerückten Stadien der Entwicklung hervortretende Tendenz ist 
durch das ganze Tierreich mit Einschluss des Menschen erhalten. 
Die Theorie hat diesem wichtigen Verhältnis bisher nicht die ge- 
bührende Aufmerksamkeit geschenkt. Man hat sich daran gewöhnt, 
wenn auch unbewusst, das Hervorgehen eines einzigen Embryo aus 
dem Eie als das normale und auch ursprüngliche Verhältnis anzu- 
sehen, während in Wahrheit das Entstehen mehrfacher Embryonen 
aus einem Eie das ursprüngliche Verhältnis gewesen sein muss, auf 
das nicht nur die Riehtungskörper, sondern auch die in allen Tier- 
klassen gelegentlich vorkommenden mehrfachen aus einem Ei ent- 
stehenden Nachkommen oder Doppelbildungen hinweisen, so dass im 
Gegenteile das Hervorgehen nur eines Embryo aus einem Eie den 
sekundären und wohl zwecekmäßigern Anpassungsvorgang repräsentiert. 

Das Verhältnis, welches ich für Praopus entdeckte, fällt nach 
den zur Zeit herrschenden Anschauungen unter den Begriff des Ge- 
nerationswechsels. Häckel, welchem das Verdienst gebührt, die 
theoretische Durcharbeitung dieses Gebietes zuerst in gründlicher 
dem Stande der modernen Entwieklungslehre entsprechender Weise 
versucht zu haben, unterscheidet für die geschlechtliche Zeugung 
(Amphigonie) zwei Hauptgruppen, je nachdem die Produkte des Bies 
ein einziges physiologisches Individuum oder Biont ist (Hypogenesis) 
oder aus mehrern Bionten besteht (Metagenesis oder Generations- 
wechsel). Nach dieser im wesentlichen noch geltenden Einteilung 
fällt die Praopus-Fortpflanzung unter den Begriff des Generations- 
wechsels, wobei die proliferierende Eizelle oder Keimblase als Amme 
zu gelten hätte. Eine solche Auffassung fügt sich nicht ohne wei- 
teres in das bestehende Schema, ist aber logisch berechtigt, da die 
Organisationshöhe der Amme für den Begriff des Generationswechsels 
irrelevant ist. Wenn es für die Auffassung des Vorganges gleich- 
giltig bleibt, ob die Amme die Form der Insekten-Imago oder einer 
Salpe erreicht, oder diejenige der Redie oder Sporozyste oder der 
Echinokokkusblase, so kann nach dieser Richtung keine Grenze ge- 





1) A. Weismann, die Kontinuität des Keimplasmas. Jena 1855. 


538 Jhering, Generationswechsel bei Säugetieren. 


zogen werden, und es muss die Amme als solehe anerkannt werden, 
wenn sie auch nur das Stadium der Gastrula, der Keimblase oder 
der Eizelle erreicht. 

Anderseits führt eine derartige Auffassung zu der paradoxen 
Folgerung, dass die fraglichen Gürteltiere nicht Kinder, sondern 
Enkel zur Welt bringen, und dass das menschliche Weib, wenn es 
aus einem einzigen Eie entstammenden Zwillingen das Leben gibt, 
dadurch nicht Mutter, sondern Großmutter wird. Solche aus den be- 
stehenden Begriffen logisch deduzierbare, aber trotzdem widersinnige 
Folgerungen weisen darauf hin, dass die bestehenden Begriffe nicht 
ausreichen, bezw. der Erweiterung oder Aenderung bedürfen. Seit 
dem Erscheinen von Häckel’s „Genereller Morphologie“ sind in der 
That viele wesentliche Aenderungen der Auffassung eingetreten. Von 
der durch Fr. E. Schulze wieder beseitigten Alloiogenesis abge- 
sehen ist namentlich betreffs der Parthogenesis viel Neues und die 
Anschauungen Aenderndes hinzugekommen. Indem die ungeschlecht- 
liche Fortpflanzung der Aphiden auf Parthenogenesis zurückgeführt 
wurde, ist die Grenze zwischen Generationswechsel und Heterogonie 
verwischt, und das, wie Claus nachweist, um so mehr, als durch 
den Begriff der Larvenfortpflanzung oder Paidogonesis die Beziehungen 
noch inniger gestaltet werden. Die Paidogonie der Ceeidomyien 
führt in der That zu jener der Trematodenlarven, und der Begriff 
des Generationswechsels wird aufgelöst in die Gruppe der durch 
Parthenogenesis und Paidogenesis verständlichen Entwicklungszyklen 
und in die Gruppe jener Fortpflanzungserscheinungen, in welchen die 
ungeschlechtliche Vermehrung der Ammen auf Knospensprossung, 
Calycogenesis beruht. Hiermit ist jedoch die Summe der Modi- 
fikationen nicht erschöpft, es bedarf eines weitern Begriffes für die- 
jenigen Fälle, in denen wie bei Praopus aus einem Ei zahlreiche 
sogleich zur Form der Eltern zurückkehrende Nachkommen hervor- 
gehen, und ich möchte für diesen auf Teilungsvorgängen an einem Ei 
bezw. an dem daraus entstandenen Keime beruhenden Fortpflanzungs- 
modus den Namen der Temnogenesis vorschlagen. Letzterer Fall 
reiht sich insofern den zuvor besprochenen an, als auch bei ihm aus 
dem Ei nicht ein einziges Biont entsteht, sondern eine Anzahl solcher. 
Zur Unterscheidung beider Hauptgruppen schlage ich vor, alle Fort- 
pflanzungsmodi, bei denen direkt oder mit Metamorphose aus dem 
Ei ein einziges Individuum hervorgeht, als hologene zu bezeichnen, 
weil die ganze Masse des Eies zur Erzeugung eines Bionten ver- 
wendet wird, im Gegensatze zur merogenen Fortpflanzung, bei 
welcher nur Teile des Eies zur Erzeugung je eines Individuums Ver- 
wendung finden, indem aus dem befruchteten Eie eine ganze Reihe 
unter sich gleichartiger oder in Bau und Fortpflanzung ungleichartiger 
und dann periodisch alternierender Organismen entsteht. 

Danach ergibt sich folgendes System: 


> 


Möbius, Wimperorgane heterotricher nnd hypotricher Infusorien. 539 


I. Hologene Generation. 


Aus dem befruchteten Eie entsteht nur ein einziges Individuum, 
mit oder ohne Metamorphose. (Hypogenesis nach Häckel). 


ll. Merogene Generation. 


Aus dem befruchteten Ei entstehen zwei oder mehr Individuen, 
welche 

A. direkt zur Form und Fortpflanzungsweise der Eltern zurück- 
kehren: Temnogenesis, 

B. einen Gegensatz von verschiedenartig sich fortpflanzenden 
Individuen oder Generationen aufweisen (Generations- 
wechsel, Metagenesis). 

a. Calycogenesis (Salpen, Medusen). 

b. Paidogenesis (Ceeidomyien). 

c. Heterogenesis, wobei entweder beide Generationen ge- 
schlechtlich entwickelt sind, oder eine oder einige sich 
parthenogenetisch vermehren. 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin. 
Sektion für Zoologie. 


1. Sitzung. Prof. K. Möbius (Kiel) spricht über den Bau der adoralen 
Wimperorgane heterotricher und hypotricher Infusorien der 
Kieler Bucht und über die Fortpflanzung von Freia ampulla. Nach Fr. 
Stein besteht das adorale Wimperorgan der heterotrichen und hypotrichen 
Infusorien aus großen Wimpern, welche sich in Rinnen legen, wenn sie ruhen. 
Nach Sterki sind diese vermeintlichen Rinnen die Insertionen von Membra- 
nellen oder Hautplättchen, deren freier Rand sägeartige Spitzen hat (Zeit- 
schrift f. wiss. Zoologie, 31, 1878). Maupas (Arch. de Zool. exper., 2. Ser., 
I, 1883) und G&za Entz (Infus. Golf. Neap., 1884) schließen sich dieser An- 
sicht an. Bei drei Arten heterotricher und 9 Arten hypotricher Infusorien der 
Kieler Bucht, welche ich genauer untersuchen konnte, besteht das adorale 
Wimperorgan nicht aus Membranellen, sondern aus Wimperkämmehen oder 
Pektinellen, welche aus sehr vielen feinen Wimpern zusammengesetzt sind, 
deren zusammenstoßende Basen die Querleisten des adoralen Wimperorgans 
bilden. Dieser Bau der Pektinellen wird erst wahrnehmbar, wenn man Euplotes 
harpa Ste., Epiclintes auricularius Clap. Lach., Oxytricha rubra Ehb., 
Stichotricha marina Ste., Condylostoma patens Müll., Stentor auricula Kt., 
Freia ampulla Müll. oder andere Hypotricha und Heterotricha der Kieler 
Bucht durch Osmiumsäuredämpfe soweit lähmt, dass die Wimperkämmchen nur 
noch langsam schlagen und bald darauf still stehen. Die dieken Bauchwimpern 


540 Pringsheim, Zerlegung der Kohlensäure durch Chlorophyll. 


der Hypotricha sind aus ebenso feinen Wimpern zusammengesetzt, wie die 
Pektinellen. Ueber die Fortpflanzung der Freia ampulla Müll. haben 
frühere Untersucher dieses schönen großen marinen heterotrichen Infusoriums 
nichts bekannt gemacht. Ich habe eine ungleichhälftige Längsteilung 
beobachtet. Der Hinterteil des Körpers, der unter der Schlundregion beginnt, 
gibt durch Längsteilung ein überall gleichmäßig bewimpertes Junges ab, welches 
die Hülse der Mutter verlässt und fortschwimmt. Am Vorderende desselben 
entsteht durch Einkerbung und eine allmählich tiefer gehende Gabelung das 
adorale Wimperorgan. Bevor dieses vollkommen ausgebildet ist, beginnt die 
Ausscheidung der Hülse am hintern Ende des Körpers. — M. Nussbaum 
(Bonn) hat gelegentlich seiner Untersuchungen an Gastrotricha vorax dieselbe 
Beobachtung wie der Herr Vorredner gemacht inbetreff der Zusammensetzung 
der „Pektinellen“ aus Finzeleilien und gibt der angenehmen Befriedigung Aus- 
druck, dass diese Struktur durch Prof. Möbius als ein weit verbreitetes 
typisches Vorkommen erkannt wurde. — Prof. F. E. Schulze bemerkt: Es 
erinnert diese Zusammensetzung der Bewegungsapparate der eiliaten Infusorien 
an die Zusammensetzung mancher Sinneshaare, wie der sogenannten Pinsel- 
zellen der Mollusken und der Hörhaare der Wirbeltiere. 





Sektion für Botanik. 


1. Sitzung. Herr Pringsheim (Berlin) sprach über die neuern Ver- 
suche, die Kohlensäure außerhalb der Pflanze durch Chloro- 
phyll zu zerlegen. Der Vortragende legte die Resultate einer Reihe von 
Versuchen dar, die er unternommen hatte, um den Versuch von Regnard zu 
prüfen, nach welchem es gelingen soll, die Kohlensäure außerhalb der Pflanze 
durch Papierstreifen, die mit einem Ueberzug von Chlorophyll versehen sind, 
zu zerlegen. Er wies nach, dass hier ein Missverständnis und eine irrige Deu- 
tung der beobachteten Erscheinungen von seiten Regnard’s vorliegt. Die 
von Regnard bemerkte Reaktion, die er als einen Beweis der Kohlensäure- 
zersetzung durch das Chlorophyll betrachtet, rührt nachweislich gar nicht vom 
Chlorophyll- Ueberzug der Papierstreifen her und ist für die Frage nach der 
Chlorophylifunktion daher ohne jede Bedeutung. — Weiter besprach P. noch 
den sich hieran anschließenden, neuerdings veröffentlichten Versuch von Timi- 
riareff, wonach man mittels Reduktion durch Wasserstoff in statu nascenti 
aus dem Chlorophyll einen Körper gewinnen soll, der unter Zerlegung von 
Kohlensäure wieder grün wird. Die zur Nachprüfung des Versuches nötigen 
genauern Angaben stehen allerdings noch aus, und ein abschließendes Urteil 
ist daher noch nicht möglich; allein es darf schon jetzt daran erinnert werden, 
dass ein ähnlicher Versuch schon von Berzelius erwähnt wird, der aber 
bisher noch immer keine Bestätigung erfahren hat. Ferner aber weist P. 
darauf hin, dass, wenn die Angabe von Timiriareff sich bestätigen sollte, 
und wenn etwa, wie dieser anzunehmen geneigt scheint, der Reduktionsvorgang 
der Kohlensäure auch innerhalb der Pflanze auf einem gleichen Vorgange be- 
ruhen sollte, dass dann in diesem Versuche ein Beweis gegen alle bisher von 
Timiriareff mit so großer Entschiedenheit verfochtenen Ansichten liegen 
würde. Es wäre nämlich grade hierdurch wieder einmal erwiesen, dass es 
nicht der Chlorophyllfarbstoff ist, welcher die Kohlensäure zersetzt, sondern 
ein Körper, der erst bei der Reduktion der Kohlensäure zu Chlorophyll wird. 





Wollheim, Chemische Untersuchungen über den Chlorophylifarbstoff. 541 


Dies würde an die ältern Vorstellungen erinnern, dass das Chlorophyll als 
Nebenprodukt bei der Kohlensäurezerlegung entsteht. Endlich läge in dem 
Versuche von Timiriareff, immer unter der Annahme, dass die Thatsache 
und ihre Deutung richtig sind, ebenfalls ein entschiedener Beweis dafür, dass 
der Absorptionsstreifen der Chlorophylle im Rot zwischen B und Ü keine 
wesentliche Beziehung zur Zersetzung der Kohlensäure hat, da ja der Körper, 
welcher nach Timiriareff die Kohlensäure zersetzen soll, diesen Streifen 
nach dessen eigner Angabe nicht besitzt, sondern ihn erst infolge der Kohlen- 
säurezersetzung erhält. Der Versuch von Timiriareff würde daheı seine 
frühern Versuche und Angaben über die Koinzidenz des Maximums der Sauer- 
stoffabgabe mit dem Absorptionsstreifen im Rot direkt widerlegen und nur 
zur Stütze der Angaben von Pringsheim über die Bedeutung der Absorp- 
tionsstreifen im Chlorophyll beitragen, welche Timiriareff bisher so eifrig 
bekämpft hat. 


2. Sitzung. Herr J. Wollheim (Berlin) sprach über chemische Unter- 
suchungen über den Chlorophyllfarbstoff. So genau wir jetzt über 
die spektralanalytischen Eigenschaften der Chlorophyligruppe orientiert sind, 
so haben doch die zahlreichen chemischen Arbeiten über das Chlorophyll meist 
ungenügende und zweifelhafte Ergebnisse gehabt. Es ist nicht einmal gelungen, 
bei einem der dargestellten Präparate dessen chemische Individualität zu er- 
weisen. Redner hat einige derselben experimentell geprüft. Das Hansen’sche 
„Reincehlorophyll“ ist unreines Alkalichlorophyli, wie er, Redner, aus der 
Konstanz des nicht entfernbaren Aschengehalts (kohlensaures Natron), sowie 
durch Vorlegung der in verschiedenen Stadien der Arbeit aufgenommenen Ab- 
sorptionsspektrallinien in Bestätigung der Angaben Tschirch’s nachzuweisen 
in der Lage sei. Ebenso hat die Vorschrift von Sachs zu einem nur etwas 
weniger zersetzten Natriumchlorophyll geführt Einen konstanten, nicht 
entfernbaren Aschenrückstand an ZnO habe auch das von Tschirch aus 
Chlorophyllan und Zinkstaub dargestellte Präparat. Man erhält dasselbe 
übrigens auch bei Anwendung von Zinkoxyd. In Erkenntnis der zeitigen Un- 
möglichkeit, auf direktem Wege zum isolierten Farbstoff zu gelangen, habe er, 
Redner, es für das Ersprießlichste gehalten, an die Arbeiten von Tschirch 
anknüpfend, die Erlangung eines Derivats des Farbstoffes in reinem Zustande 
zu versuchen. Von diesem sollte dann womöglich zu Körpern gelangt werden, 
die das gleiche Spektrum wie das Blatt gaben. Uebrigens habe er, Redner, 
mittels Ammoniakalkohol einen Chlorophyllauszug erhalten, der ein solches 
Reinchlorophylispektrum gebe. Das Hoppe-Seyler’sche Chlorophyllan sei 
nicht einwandfrei inbezug auf Reinheit und chemische Individualität. Auch 
die von Tschirch vorgeschlagene Baryumverbindung hat sich wegen schwie- 
riger Reindarstellung als für den vorliegenden Zweck ungeeignet erwiesen, 
ebenso die von demselben Forscher dargestellten Phyllopurpurinverbindungen. 
Eine der letztern hat Redner in einen roten und einen violetten Farbstoff ge- 
spalten. Er habe bei diesen Arbeiten, namentlich bei Darstellung einer Caleium- 
chlorophyliverbindung, Gelegenheit gehabt zu konstatieren, dass Eisen nicht 
notwendiger Bestandteil der Körper der Chlorophyligruppe sei. Er stelle über 
diese Frage jetzt noch besondere Versuche an. Redner teilt nun mit, dass es _ 
ihm gelungen sei, die Phyllocyaninsäure, das durch Behandeln des Chloro- 
phyllans mit Salzsäure und nachheriges Ausfällen entstehende Chlorophyll- 
derivat, unter Modifikation der von Tschirch gegebenen Darstellungsweise 


542 His, Entstehung und Ausbreitungsweise der Nervenfasern. 


absolut rein zu gewinnen. Die Darstellungsweise bürge für Abwesen- 
heit aller die Chlorophyllkörper sonst begleitenden Substanzen. 
Gelegentlich habe er auch ein Oxydationsprodukt des Körpers, einen schönen 
roten, der Phyllocyaninsäure spektroskopisch und chemisch sehr nahe stehenden 
Farbstoff gefunden. Die erhaltene Phylloeyaninsäure enthält ab- 
solut kein Eisen und ist aschenfrei. Mit Zinkoxyd gibt der Körper 
die entsprechende Zinkoxydverbindung. Die Elementaranalyse gab für beide 
Körper die relativ gleichen Resultate. Danach enthält die Phylloeyanin- 
Saune: & — 6440, H 78,60, N 7,60, 0, 19,49%,. Die, Zunkoxyd- 
asche betrug 13,8°%,. Hieraus hat Redner die empirische Formel der Phyllo- 
eyaninsäure bestimmt mit C,,H,,N,0,. Ganz besonders macht Vortragender 
darauf aufmerksam, dass von den von ihm vorgelegten Absorptionsspektral- 
zeichnungen einerseits sich das Spektrum der reinen Phyllocyaninsäure 
identisch erweise mit dem des Chlorophyllans, anderseits auch die salzsaure 
Lösung des reinen Phyllocyanins ein identisches Spektrum zeige mit der 
alkoholischen Lösung 1) seines Zinkphylloeyanins (B-Chlorophyll 
Tscehirceh’s), 2) des Zinkchlorophyllans und — das Wichtigste — die Ver- 
schiebung gegen Rot bei dem letzterın abgerechnet — dem Blattspektrum. 
Vortragender hofft in einer ausführlichen Publikation demnächst weitere Mit- 
teilungen über den Gegenstand machen zu können. — Herr Tschirch (Berlin) 
legt vor und bespricht Chlorophylikörper, deren Lösungen fluoreszenzfrei 
sind. Dieselben wurden stets erhalten, wenn mit großen Massen gearbeitet 
wurde. Näheres über diese merkwürdigste Erscheinung soll demnächst mit- 
geteilt werden. — Herr Franz Schwarz (Breslau) weist im Anschluss an 
Herın Tschirch darauf hin, dass es Chlorophyll-Lösungen ohne Fluoreszenz 
gibt; es sind dies viele Lösungen des Chlorophylis in Oel. Die Fluoreszenz 
ist also kein wesentliches Merkmal. — Herr Wollheim (Berlin) teilt seine 
Beobachtung mit, dass salzsaures Phyllocyanin in konzentrierter Lösung wenig 
„Fluoreszenz zeige, in verdünnter Lösung jedoch sehr stark fluoresziere. 


Sektion für Anatomie und physische Anthropologie. 


2, Sitzung. Herr His (Leipzig) spricht über die Entstehung und 
Ausbreitungsweise der Nervenfasern. Nachdem das Rückenmarksrohr 
sich geschlossen hat, macht sich ein Gegensatz geltend zwischen dichten, ge- 
lagerten, innern und etwas lockerer liegenden äußern Zellen (Innenplatte 
und Mantelschicht). Von Zellen der Innenplatte ausgehend, bildet sich ein 
Gerüst (Myelospongium), welches mit seinem äußern Teil die kernhaltigen 
Zellentuben überragt und damit das Lager zur Bildung weißer Rückenmarks- 
stränge liefert. Die Bildung von Nervenfasern geschieht beim menschlichen 
Embryo vom Beginn der 4. Woche ab. Die Zellen der Mantelschicht entwickeln 
je einen Axenzylinderfortsatz, der mit konischem Ursprungsstück beginnt und 
von früh ab eine fibrillare Streifung zeigt. Die aus der vordern Hälfte der 
Mantelschicht entstehenden Fasern verlassen das Rückenmark als motorische 
Wurzeln. Die weiter hinten entstehenden Fasern treten in sagittaler Richtung 

®=bezw. in bogenförmigem Verlaufe nach vorn (Formatio arcuta). Ein Teil dieser 
Fasern geht in die Commissura anterior über, die anfangs nur aus wenigen 
Fasern besteht. Zugleich mit den letztern erscheinen auch sparsamer Längs- 
faseın als Beginn der Vorderstränge. Verzweigte Ausläufer bilden sich 





His, Entstehung und Ausbreitungsweise der Nervenfasern. 543 


an den Zellen der Mantelschicht, bezw. an den motorischen Vorderhornzellen, 
später als die Axenzylinderfortsätze. Die Ganglienanlagen sind nach erfolgter 
Abgliederung vom Rückenmark durchaus geschieden. Ihre Zellen strecken sich 
und entwickeln 2 Ausläufer, von denen einer als hintere Wurzel in das 
Rückenmark eintritt, der andere peripheriewärts sich entwickelt. Der Kern 
der spinalen Ganglienzellen rückt exzentrisch zur Seite, und damit leitet sich 
die Bildung T-förmiger Fasern ein. Die Formen sind beim 4—5 wöchentlichen 
Embryo deshalb leicht erkennbar, weil bei ihm die Zellen noch keine Endothel- 
scheiden besitzen. Die in das Rückenmark dringenden Wurzelfasern sammeln 
sich in einem im Anfang sehr dünnen, späterhin stärker werdenden Längsbündel 
(ovales Hinterstrangbündel), später eindringende Fasern können dies 
Bündel durchsetzen und zwischen die Zellen gelangen. Mögen die Nervenfasern 
zentralwärts oder peripheriewärts auswachsen, so geschieht ihre Ausbreitung 
nur mit einer gewissen Langsamkeit; in den Extremitäten kann man das sue- 
cessive Verschieben der Stämme leicht verfolgen, und es zeigt sich z. B., dass 
noch am Schlusse des 2. Monats die Finger und Zehenspitzen nervenfrei sind. 
Die peripherisch auswachsenden Stämme bahnen sich ihren Weg in der lockern 
Bindesubstanz der Teile, und sie sind anfangs von relativ enormer Mächtigkeit. 
Die zentralen Fasern finden ihre Bahn in den Maschen des Myelospongiums 
vorgezeichnet. Aus dem Prinzip des Auswachsens ergeben sich sowohl in 
Hinsicht der peripherischen als der zentralen Endigungsweise gewisse Folge- 
rungen, welche hier nur angedeutet werden können. Das primäre Verhalten 
ist jedenfalls immer ein freies Auslaufen der ungeteilten oder geteilten Fasern. 
Inwieweit sekundäre Verbindungen mit Zellen eintreten können, das ist sowohl 
im Zentrum als an der Peripherie als eine offene Frage zu betrachten. — In 
der Diskussion bemerkt Herr Merkel (Göttingen): Er glaube, dass die termi- 
nalen Zellen des sensibeln Nervensystemes unter allen Umständen ihre physio- 
logische Bedeutung behalten, sei es, dass sie, wie er selbst meint, mit den 
herantretenden Axenzylindern verwachsen, sei es, dass sie vielleicht nur in 
innigstem Kontakt mit denselben verlötet sind. — Herr W. Wolff erinnert 
daran, er habe vor Jahren mitgeteilt, dass die Nerven des Froschlarvenschwanzes 
vom Zentrum nach der Peripherie hinwachsen und unter dem Epithel enden. — 
Die Stützfasern, die die Auskleidung der Hirnrückenmarkshöhle und eine starke 
Limitans bilden, habe er auf Schnitten aus Hirn und Rückenmark von Säuge- 
tierembryonen auch gesehen und betrachte sie wie der Vortragende als Anfänge 
der Neuroglia.a — Weiter bemerkt Herr His auf eine Anfrage des Herrn 
Waldeyer, die Beziehung der Innenplatte und Umgebung des Zentralkanals 
betreffend, und der Herren Wiedersheim und Waldeyer, die Beziehung 
der Spinalganglien zur Neuralcrista und der letztern zum Rückenmark betreffend, 
folgendes: Die Innenplatte werde nicht gänzlich für das Epithel des Zentral- 
kanals verbraucht, um so weniger, da grade hier die Zellenvermehrung statt- 
finde; vielmehr sei ein Teil auch ihrer Zellen faserbildend. Die Spinalganglien 
stammen nicht ab von der Rückenmarksanlage, sondern von einer neben der- 
selben gelegenen Anlage, welche neben der Medullarrinne im Ektoderm zu 
suchen ist (Zwischenrinne, nach seiner ehemaligen Bezeichnungsweise). Nach 
Schluss der Medullarrinne gehe daraus ein an der dorsalen Seite des Medullar- 
rohrs zwischen diesem und dem Ektoderm gelegener Strang hervor, welcher 
sich weiterhin in Form zweier Stränge neben das Medullarrohr legt und 
durch Abgliederung die Spinalganglien liefert. Selbst bei Plagiostomen 
sei die Abstammung dieses Zwischenstranges von der Medullaranlage nur eine 


54 Berichtigungen. 


scheinbare, indem beim Schlusse der Medullarrinne die genannte Anlage in 
den dorsalen Ausschnitt desselben hineingezogen werde. 


Berichtigungen. 

Infolge des auf der Post erfolgten Verlustes der vom Verfasser revidierten 
Korrektur sind eine Anzahl Druckfehler in der Arbeit „Kritische Bemerkungen 
zu der Arbeit von Wiesner Untersuchungen etc * stehen geblieben. 

S. 449 2.1 v. u. zwischen die alten statt den alten 

S. 451 Z 24 v. o. und ohne statt und noch weniger 

S. 451 Z. 31—32 v. o. muss der Satz heißen: Mit diesen spärlichen An- 
gaben ist aber doch eine Organisation der Körper- 
chen nicht nachgewiesen, noch — 

S. 452 Z. 24 v. o. somit Eiweißkörper führt statt somit Eiweißkörper 
bildet 

S. 452 Z. S—10 v. u. muss der Satz heißen: d. h. grade denjenigen (Fall), 
bei welchem anderseits ihm der Nachweis der Der- 
matosomen, d. h. der nach ihm wesentlich- 
sten Elemente, nie gelungen ist. 

S. 453 Z.1—2 v. 0. welchem, wenn man ihn nur auf Eiweiß um- 
rechnet, statt welchem, nur auf Eiweiß bezogen, 

S. 453 Z. 17 v. 0. Wie und wo ist nun aber das Kriterium, dieses Proto- 
plasma statt Kriterium dieses Protoplasmas. 

S. 454 Anmerkung Z. 5 v. o. den Körnchen des Protoplasmas, den Mikro- 
somen, statt den Körnchen des Protoplasmas der 
Mikrosomen. 


In dem Artikel von J. H. List in voriger Nummer soll es heißen auf 


Seite 486 Zeile 21 v. u. E 1 Ker l l 
eve le Verschmelzung statt Kernschmelzung. 


Seite 487 2.3 u. 2 v. u. soll es heißen „wird nun das Eichen“ statt „wird 
das nun fertige Eichen“ 
und in der folgenden Zeile soll es heißen „gebildet“ statt „abgesondert*. 
Am Schlusse des Artikels, Anfang des vorletzten Absatzes S. 488, fällt 
der Satz „Das Eifach fungiert nun auch als Uterus“ fort. Dafür soll der Ab- 
satz anfangen: „Das im Eifach liegende fertige Ei gelangt u. s. w.“ 





Verlag von Eduard Besold in Erlangen. 
Soeben wurde vollständig und ist in allen Buchhandlungen vorrätig: 


Lehrbuch 


der 


Anatomie der Sinnesorgane 


von 


Dr. Gustav Schwalbe, 


o Professor der Anatomie an der Universität Straßburg. 
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Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. 








Biologisches CGentralblatt 


unter Mitwirkung von 
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 








24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


v1. Band. 


Inhalt: His, Die Entwicklung der Zoologische ı Station zu Neapel und das wachsende 
Bedürfnis nach wissenschaftlichen Zentralanstalten. — Blochmann, Ueber die 
Eireifung bei Insekten. — Loey, Embryologie der spinnen. — Hitzig, Ueber 
Funktionen des Großhirns.. — Aus den Verhandlungen gelehrter Geseli- 
Schaften. 59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin. 





IS Enovemberisse. Nr. 18. 

















Die Entwicklung der zoologischen Station in Neapel und 
das wachsende Bedürfnis nach wissenschaftlichen Zentral- 
anstalten. 


Vortrag, gehalten von Prof. His aus Leipzig 


in der zweiten allgemeinen Sitzung der 59. Versammlung deutscher Natur- 
forscher und Aerzte zu Berlin, am 22. September 1886. 


Die zoologische Station in Neapel vollendet in diesen Tagen das 
13. Jahr ihrer Existenz. Von Herrn Prof. Dohrn ist diese großartig 
angelegte Anstalt aus eigner Initiative mit anfangs fast ausschließlich 
eignen Mitteln von Grund auf geschaffen worden, und nach dem 
ursprünglichen Plane ihres Begründers ist sie bestimmt, den zahl- 
reichen auf Meeresstudien angewiesenen Forschern eine mit den Vor- 
teilen gnt eingerichteter Laboratorien ausgerüstete Arbeitsstätte und 
damit die denkbar günstigsten Bedingungen zu ausgiebigen Unter- 
suchungen an der See zu gewähren. 

Schwere Hemmnisse jeglicher Art hat Herr Dohrn in zäher Ver- 
folgung seiner Ideen siegreich überwunden. Gegen 370 Forscher ver- 
schiedenster Richtung haben in diesen 13 Jahren an der Anstalt 
gearbeitet, und durch öftere Wiederkehr haben manche derselben be- 
wiesen, dass sie sich daselbst wohl befunden haben. Die Zahl der 
Arbeiten, zu welchen die zoologische Station Material und Anregung 
geboten hat, ist schwer zu übersehen. Zu den in den Zeitschriften 
verschiedener Länder zerstreuten Aufsätzen kommen die großen von 
der Station selbst herausgegebenen Publikationen, die prachtvolle 

VI, 35 


546 His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten. 


unter dem Titel „Fauna und Flora des Golfes von Neapel“ heraus- 
gegebene Monographiensammlung und die bis jetzt 6 Bände umfassen- 
den „Mitteilungen aus der zoologischen Station“. 

An Darstellungen über das Leben und die Entwicklung der Station 
fehlt es zur Zeit nieht. Unter diesen Umständen würde ich der hoch- 
verehrten Versammlung kaum etwas Neues bieten, wollte ich auf eine 
eigentliche Beschreibung der Station und ihre Einrichtungen eingehen, 
es mag mir dafür erlaubt sein, in mehr zusammenfassender Weise 
die persönlichen Eindrücke wiederzugeben, die ich bei einem frühern 
und bei einem diesjährigen Besuche der Anstalt empfangen habe. 
Daran wünsche ich die Diskussion von Gedanken zu knüpfen, welche 
eine besondere Entwicklungsrichtung wissenschaftlicher Anstalten be- 
treffen. 

Mein erster Besuch in Neapel ist in die Osterferien 1876 gefallen. 
Die Anstalt hatte damals ein 2!/, jähriges Bestehen hinter sich. Be- 
deutende Arbeiten waren von ihr bereits ausgegangen, unter denen 
ich nur Balfour’s bahnbrechende Untersuchung über die Haifisch- 
entwieklung nenne. Grade in jenen Zeiten sind indess Stimmen laut 
geworden, welche die Station für ein völlig verfehltes Unternehmen 
erklärt haben. Die also erhobenen Vorwürfe habe ich damals ver- 
sucht, möglichst unparteiisch zu prüfen, wobei sich ergab, dass sie 
zum Teil auf Uebertreibung beruhten, zum Teil aber auf solche 
Uebelstände sich bezogen, welche in der Jugend des Instituts und in 
der Neuheit seines Personales ihren Grund hatten. Mit noch mehr 
Anerkennung hat sich in jener Zeit mein Arbeitsgenosse, Herr Prof. 
Hensen, über die Station ausgesprochen, und derselbe hat grade in 
den weitgesteckten Zielen derselben ihren Hauptwert erkannt. Immer- 
hin waren vor 10 Jahren auch für die wohlwollendsten Freunde Fort- 
dauer und Gedeihen der jungen Anstalt Gegenstand der Besorgnis 
und des Zweifels. Von Jahr zu Jahr hat sich seitdem die zoologische 
Station lebenskräftiger erwiesen. Die überwältigende Kraft eigner 
innerer Ueberzeugung hat Herrn Dohrn befähigt, auch andern die 
Dringlichkeit und die Durchführbarkeit der verfolgten Ziele zum Be- 
wusstsein zu bringen. Mit den verschiedenen Fortschritten der Station 
nicht unbekannt, bin ich gleichwohl bei meinem diesjährigen Besuche 
(1886) überrascht worden von der Großartigkeit und dem Umfang der 
eingeschlagenen Entwicklung. Noch habe ich denselben Palast vor- 
gefunden und dieselben Arbeitsräume mit wenig verändertem Aus- 
sehen, aber wie sehr viel reicher ist das Leben darin geworden, und 
wie viel fester gegliedert die. gesamte Führung dieses Lebens. Ein 
Generalstab von vorzüglichen Assistenten und tüchtig eingeschulten 
Gehilfen steht dem Direktor thätig zur Seite. Von den Assistenten 
ist ein jeder einem besondern Departement vorgesetzt und für dessen 
Führung verantwortlich. Mit voller Sachkenntnis und zugleich mit 
liebenswürdigster Zuvorkommenheit gehen alle diese Herren dem Gaste 





His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten. 547 


in der Station an die Hand, ihn allenthalben mit Rat und mit That 
unterstützend. Für den Fremdling in Neapel erstreckt sich die Für- 
sorge auch auf die Regelung der Lebensverhältnisse und vor allem 
auf die hygieinische Beratung, und es liegt jedenfalls nicht am Mangel 
an Belehrung, wenn der eine oder der andere Stationsbesucher den 
Tücken der südlichen Großstadt seinen Tribut zu entrichten hat. 

Die Einrichtungen sind alle darauf angelegt, den Bedürfnissen der 
Arbeitenden wirksam entgegenzukommen. Eine glänzende Bibliothek, 
gut geordnet und mit sehr einfachem Ausleihmechanismus, steht den- 
selben zu freier Verfügung, eine Sammlung der im Golf lebenden 
Tiere ermöglicht die nötige zoologische Orientierung, Chemikalien zur 
Härtung und zur Konservierung des Materials sind in reicher Aus- 
wahl vorhanden, und es bedarf nur eines ausgesprochenen Wunsches, 
um sie in jeder beliebigen Kombination abgemessen und gemischt zu 
erhalten. 

Die Kunst der Materialkonservierung und Behandlung hat aber 
im verflossenen Jahrzehnt grade in der zoologischen Station ausneh- 
mende Fortschritte gemacht. Nicht allein weiß die Künstlerhand des 
Signor Lo Bianco die zartesten und durchsichtigsten Organismen in 
Form und in Farbe auf das zierliehste zu erhalten, sondern es hat 
durch die vereinten Bemühungen der Beamten der Anstalt und der in 
dieser arbeitenden Forscher die mikroskopische Technik einen sehr 
hohen Grad von Vollkommenheit erreicht. Auch der erfahrenste 
Mikroskopiker verlässt die Anstalt nicht, ohne nach der einen oder 
andern Richtung hin neue Hilfsmittel der Forschung kennen gelernt 
zu haben. Darin liegt ein unschätzbarer Vorteil einer solchen An- 
stalt, dass Forscher von völlig verschiedener Ausbildung und Richtung 
durch sie hindurchgehen und mit ihr eine Zeit lang im Wechsel- 
verkehr stehen, wobei sie derselben die Quintessenz eigner Erfahrung 
übergeben und die Ausbeute fremder Erfahrungen mit sich von dannen 
nehmen. 

Die Herbeischaffung eines möglichst reichen und mannigfaltigen 
Materials bleibt stets die Hauptaufgabe der Station, allein sie bietet 
Schwierigkeiten, deren Ueberwindung auch der allerthätigsten Ver- 
‚waltung nicht immer leicht fallen wird. Die Verwaltung der Station 
arbeitet mit allen Kräften auf eine Beherrschung der Materialzufuhr 
hin. War sie vor 10 Jahren großenteils von fremden Fischern ab- 
hängig, so steht sie jetzt auf festen eignen Füßen. Im Besitze zweier 
Dampfer betreibt sie in regelmäßiger Weise die Fischerei. Dredsch, 
feines Netz und Tauchapparat werden je nach Bedarf zur Verwendung 
gezogen, und indem der Golf und seine Umgebung systematisch durch- 
sucht werden, gewinnt man eine sehr genaue Kenntnis aller Fund- 
stätten und ihrer Ergiebigkeit. Ueber die Ergebnisse der Fischerei 
wird in einem besondern Anstaltsdepartement sorgfältig Buch geführt, 
und auf eigens angelegten Karten wird die Ausbreitung der marinen 

398 


548 His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten. 


Fauna eingetragen. Ergänzend gesellen sich dazu die Erfahrungen, 
welche die Beobachtung der im Aquarium gehaltenen Tiere über deren 
Lebensgewohnheiten und gegenseitiges Verhalten gewährt. Bei wei- 
terer Verfolgung musste man aber über dieses Ziel weit hinausgeführt 
werden. Mit den praktischen Gesichtspunkten musste sich bald die 
wissenschaftliche Forderung verknüpfen, den Golf und weiterhin das 
gesamte Mittelmeer biologisch zu durchforschen und dabei die Gesetze 
zu ermitteln, von welchen die Verteilung der Meeresfauna und Flora 
beherrscht wird. Die von der Station publizierten großen Monographien 
sind der erste Schritt auf der Bahn dieses weitaussehenden Unter- 
nehmens. 

Es ist von nicht geringem Interesse, an der Hand der von Herrn 
Dohrn veröffentlichten Jahresberichte zu verfolgen, wie die Auf- 
gaben, die er sich bei Gründung der Anstalt gestellt hatte, mit zu- 
nehmender Entwicklung immer weiter und umfassender geworden 
sind. Unter den neuesten Konzeptionen desselben hebe ich zwei als 
besonders wichtig hervor, die einer schwimmenden Station und 
die einer pbysiologischen Abteilung. Als schwimmende Station 
wünscht Herr Dohrn einen größern seetüchtigen Dampfer zu erbauen, 
der auf das sorgfältigste mit allen Arbeitseinrichtungen versehen 
werden soll. Dadurch kann eine gewisse Anzahl von Naturforschern 
befähigt werden, an beliebig gewählten Küsten oder auch in freiem 
Meere frisches Material ungehemmt zu bearbeiten. Dieser vielver- 
sprechende Plan harrt derzeit noch der nötigen Geldmittel zu seiner 
Verwirklichung, wogegen, dank dem Entgegenkommen der Königl. 
italienischen Regierung, der Gedanke einer physiologischen Abteilung 
der Station rasch seiner Ausführung entgegengeht. Bereits ist zu 
dem Zwecke ein stattlicher Flügel dem bisherigen Palaste angebaut 
worden, und derselbe wird wohl in nicht allzu langer Zeit dem Ge- 
brauch übergeben werden. Der leitende Gesichtspunkt bei Ausdeh- 
nung der Station nach dieser Richtung hin ist folgender gewesen: 
An Mannigfaltigkeit und zugleich an Massenentwicklung ist das Leben 
der Tierwelt im Meere so unermesslich reich, dass dasselbe zahllose 
Angriffspunkte für das Studium allgemeiner und besonderer auf Zu- 
standekommen und Bestand des Lebens bezughabender Fragen dar- 
bietet. Es ist die Tragweite physiologischer Forschungen am Meere 
kaum zu übersehen, sicherlich verspricht dieselbe eine außerordentlich 
große zu werden. 

Noch bleibt von neuern Seiten der Stationsthätigkeit mancherlei 
zu erwähnen: Die Materiallieferungen der Station an die verschie- 
densten Sammlungen und Gelehrten, die Bedeutung, welche sie für 
das Fischereiwesen zu gewinnen sich anschickt, ihr Einfluss auf die 
wissenschaftlichen Bestrebungen von Marineoffizieren und die erfreu- 
lichen Früchte, welche hiervon bei der Weltumsegelung der kgl. ital. 
Korvette „Vettor Pisano“ und den Fahrten des k. ital. Aviso „Vedetta“ 





His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten. 549 


in den schönen Arbeiten der Herren Chierchia und Orsini zutage 
getreten sind. Das Mitgeteilte mag indess genügen, um zu erläutern, 
wie die unter so schwerer Anfängen entstandene Anstalt binnen kurzer 
Zeit zu einem wissenschaftlichen Mittelpunkt sich emporgearbeitet 
hat, dem auf gleichem Gebiete kein anderer an Einfluss und an Be- 
deutung ebenbürtig ist. In erster Linie verdanken wir dies der 
schöpferischen Organisationskraft des Herrn Dohrn und der hin- 
sebenden Teilnahme seiner Genossen. Wir verdanken es aber nicht 
minder der edeln Freigebigkeit von Privaten, sowie der einsichtsvollen 
Teilnahme, welche die wissenschaftlichen Korporationen und die Re- 
sierungen verschiedener Staaten Europas dem Unternehmen entgegen- 
gebracht haben. Mit einem seltenen Vertrauen und zu unbeschränkter 
Verfügung sind dem einen Manne von den verschiedenen Seiten her 
reiche Mittel zur Realisierung seiner Gedanken dargeboten worden, 
nachdem derselbe durch den Erfolg seiner Bemühungen gezeigt hatte, 
dass er nicht allein die Phantasie zum Ausdenken von Plänen, son- 
dern auch die Thatkraft zu deren Ausführung besitze. 

So wie die zoologische Station heute dasteht, ist sie zu einer 
wissenschaftlichen Notwendigkeit geworden, und die Versammlung 
deutscher Naturforscher hat vollen Grund, an ihrem Gedeihen den 
lebhaftesten Anteil zu nehmen. 

Die zoologische Station in Neapel gibt ein Beispiel davon, was 
eine Anstalt, welche außerhalb eines Universitätsverbandes steht und 
die jeder Lehrverpflichtung ihres Personales enthoben ist, für die 
Förderung wissenschaftlichen Lebens zu leisten vermag. In ihrer 
gegenwärtigen Organisation bildet sie eine Art von freier Akademie 
für Forscher und für Lehrer, eine Zentralstelle des Wissensaustausches 
wie der Beobachtung, an welcher jeder zu schöpfen vermag, was ihm 
grade not thut. Derartige freistehende Institutionen sind, wie ich 
glaube, berufen, im wissenschaftlichen Leben kommender Perioden 
eine hervorragende Rolle zu spielen, und es mag mir vergönnt sein, 
meine Ansicht hierüber in möglichst übersichtlicher Weise darzulegen. 

Uns allen ist der mächtige Aufschwung gegenwärtig, welchen an 
unsern Hochschulen während des verflossenen Menschenalters die 
wissenschaftlichen Anstalten genommen haben. Eine Hochschule nach 
der andern, erst in Deutschland, späterhin auch im Auslande, ist mit 
einem Kranz wohl eingerichteter, vielfach sogar luxuriös ausgestatteter 
Institute geschmückt worden. An die Erbauung naturwissenschaft- 
licher und medizinischer Gebäudekomplexe hat sich die Einriehtung 
historischer und philologischer, theologischer und juristischer Semi- 
narien angeschlossen. Ein völlig neuer Geist des Unterrichts ist dabei 
zum Durchbruch gelangt, indem gegen früherhin allenthalben weit 
mehr die persönliche Schulung der Studierenden zu eigner Anschau- 
ung und zu eigner Thätigkeit in den Vordergrund getreten ist. Alle 
diese Anstalten verfolgen aber hinwiederum neben dem Lehrzwecke 


550 His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten. 


die Aufgabe, durch Arbeiten ihrer Lehrer, ihrer Assistenten und ihrer 
Sehüler fördernd in den Gang der Wissenschaft einzugreifen, und so 
erscheint ein jedes gut geführte Institut als ein sprudelnder Quell 
stetigen Fortschrittes. 

Die Forderung nach einem weitern System von Institutionen, von 
Zentralanstalten, wie sie kurzweg heißen mögen, liegt einesteils in 
den Ansprüchen der wissenschaftlichen Arbeit selbst, andernteils in 
den Bedürfnissen der Hochschulen und ihrer Lehrer. 

Die wissenschaftliche Arbeit ist auf manchen Gebieten der 
Forschung dahin gelangt, dass sie zwar über sichere Methoden 
disponiert, mit Hilfe dieser Methoden aber Arbeitssummen zu bewäl- 
tigen hat, welche nach ihrem Umfang die Kräfte eines Einzelnen weit 
überschreiten. Auch ist zur Ausübung mancher notwendiger Opera- 
tionen eine technische Schulung notwendig, zu welchen die Gelehrten 
keineswegs immer am besten qualifiziert sind. Messen, rechnen, 
zeichnen, photograpbieren u. s. w. sind Thätigkeiten, welche, falls 
es sich um Massenarbeit handelt, am sichersten von solchen ausge- 
tührt werden, die darin ihren eigentlichen Beruf suchen. Dazu kommt. 
hinzu, dass bei allen auf größerer Basis sich aufbauenden Arbeiten 
eine Gleichmäßigkeit und eine Stetigkeit der Arbeitsweise erfordert 
wird, wie sie Universitätsanstalten mit ihrem häufigen Personen- und 
Systemwechsel nicht zu leisten im stande sind. 

Eine Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten, deren Ausführung 
von allgemein anerkanntem Nutzen ist, ist seit langem besondern 
staatlichen Anstalten zugewiesen. Die topographischen und die sta- 
tistischen Büreaus, die geologischen Reichsanstalten, die meteorologi- 
sehen Institute, die Seewarte u. a. mehr sind durchweg mit der Aus- 
führung von ihrer Natur nach wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt, 
und als neue Schöpfung dieser Art begrüßen wir die unter hoch- 
herziger Mitwirkung eines Privatmannes in Aussicht gestellte physi- 
kalisch-technische Reichsanstalt. 

Die Macht derartiger Anstalten liegt in der einheitlichen Organi- 
sation ihrer Arbeit, in der Stetigkeit der verfolgten Richtung und in 
der besondern technischen Schulung ihres Personales. Unter unsern 
Universitätsinstituten kommen die Sternwarten und die botanischen 
Gärten in Einriehtung und Arbeitsweise den oben aufgeführten An- 
stalten am nächsten, und bei deren Ausstattung pflegt ja auch das 
reine Unterriehtsbedürfnis viel weniger im Vordergrunde zu stehen, 
als das der sonstigen denselben gestellten Aufgaben. 

Die oben entwickelte Rolle zentraler Anstalten bezieht sich auf 
Erwerbung, Ordnung und Sicherung wissenschaftlichen Besitztums 
als eines festen Kapitalvermögens, dessen Zinsen sowohl der Wissen- 
schaft wie dem Leben zu gute kommen. — Nach einer ganz andern 
Seite hin lässt sieh aber die Wirksamkeit solcher Anstalten dahin 
entwickeln, dass dieselben der geistigen Weiterbildung von Gelehrten 





His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten. 551 


und von akademischen Lehrern dienstbar gemacht werden. Wie die 
Bibliotheken und wie die großen Museen einem jeden eröffnet sind, 
der in denselben Belehrung sucht, so sind Stätten errichtbar, an denen 
über diesen und über jenen Komplex von Fragen Orientierung ge- 
wonnen werden kann dadurch, dass man das bezügliche Material in 
geeigneter Form und Vorbereitung einem jeden berechtigten Besucher 
zugänglich macht. 

Alle unsere Universitätsdisziplinen sind, wie wir wissen, in einem 
Prozesse fortschreitender Spezialisierung begriffen. Ein Fach um das 
andere gliedert sich ab und beansprucht seine selbständige Stellung. 
Binnen weniger Jahrzehnte haben sich daher die Lehrkörper größerer 
Universitäten verdoppelt bis verdreifacht, und noch sind wir mitten 
in dem Spaltungsvorgang. Der Vorgang zunehmender Arbeitstei- 
lung ist ein allzu natürlicher, als dass man daran denken dürfte, 
denselben hemmen zu wollen. Dagegen verlohnt es sich allerdings 
zu prüfen, ob nicht die Schwierigkeiten kompensiert werden können, 
welche sich bei weiterschreitender Vervielfältigung der Lehrkräfte für 
den Zusammenhang der Wissenschaften und für die Entwicklung 
jüngerer Generationen ergeben. 

Die tiefern Bedingungen des Dissoziationsprozesses liegen weniger 
in der absoluten Zunahme wissenschaftlichen Stoffes, als in der zu- 
nehmenden Komplikation und Verfeinerung wissenschaftlicher Methodik. 
In geordneter Form vermag der menschliche Geist große Stoffmengen 
zu bewältigen, wogegen die Handhabung der Methoden, das eigent- 
liche technische Können, stets nur durch besondere Schulung und 
länger andauernde Uebung erworben wird. Ohne Kenntnis der Me- 
thoden gibt es aber keine wissenschaftliche Kritik, und derjenige, der 
in dieser Hinsicht lückenhaft geschult ist, wird es nicht zu einer 
sichern Beherrschung seines Gebietes bringen. Für den Lehrer aber, 
der ein größeres Gebiet vertreten soll, liegt die Hauptlast der Stellung 
in der Schwierigkeit, beim Fortschreiten seiner Wissenschaft überall 
genügend Eimblick in die Methoden und damit genügende Kritik des 
Materials zu bewahren. Für umfassendere Disziplinen ist eine völlige 
Hebung dieser Schwierigkeiten wohl kaum zu hoffen, wohl aber kann 
durch gnt organisierte Zentralanstalten vieles davon gemildert werden. 
Zu einer Arbeitsteilung muss es ja sicherlich kommen, allein dieselbe 
braucht nicht notwendig auf eine zunehmende Zersplitterung der Dis- 
ziplinen hinauslaufen, sie kann auch in der Weise geschehen, dass 
dem mit dem Lehramte Beauftragten bei Erwerbung des Wissens- 
vorrates, aus dem er schöpfen muss, Erleichterungen geboten werden. 
Es ist zur sichern Orientierung in einem bereits durchforschten Ge- 
biete durchaus nicht nötig, dass ein jeder alle die Winkel- und Seiten- 
wege wieder durchlaufe, durch welche die vorangegangenen Forscher 
auf ihrer Bahn zu guten Methoden und zu sichern Ergebnissen hin- 
durchgedrungen sind; in vielen Fällen genügt die einmalige Weisung 


552 His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten. 


des richtigen Weges. Um an ein naheliegendes Beispiel anzuknüpfen, 
so sind binnen weniger Jahre die Methoden präziser bakteriologischer 
Forschung ärztliches Gemeingut geworden, nachdem einige hervor- 
ragende Forscher Ordnung in das Wirrsal vorangegangener jahrzehnte- 
langer Bemühungen gebracht haben. 

Was ich als Aufgaben wissenschaftlicher Zentralanstalten aufge- 
stellt habe sind: 

1) Die Bewältigung von größern, über die Kräfte einzelner Forscher 
hinausgehenden Aufgaben, vor allem von solchen Aufgaben, welche 
ein nach einheitlichem Plane arbeitendes, technisch geschultes Personal 
verlangen. 

2) Die Sammlung und die Ordnung des Materials bestimmter 
Lehrgebiete zu dem Zweck, dass dasselbe nach Art einer Bibliothek 
oder eines Museums allen denen zugänglich gemacht wird, die des- 
selben zur Förderung ihrer Kenntnisse bedürfen. 

Die beiden also präzisierten Aufgaben decken sich, wie man sieht, 
nicht; aber sie können in vielen Fällen neben einander hergehend 
bewältigt werden; besondere Beispiele aus den mir zunächst liegenden 
Gebieten mögen dies illustrieren. 

Die genaue Kenntnis des innern Gehirnbaues ist ein Bedürfnis, 
gleich dringend für Anatomen und für Physiologen, für Pathologen 
und Chirurgen, für Psychiater und für Philosophen. Von verschiedenen 
Seiten her vorrückend hat man in der Erforschung des verwickelten 
Örganes seit 20 bis 30 Jahren erhebliche Fortschritte gemacht, die 
Pathologie, das Experiment und die anatomische Forschung haben 
sich wechselseitig fördernd entgegengearbeitet; aber das, was erreicht 
worden, ist noch verschwindend wenig gegen das, was erreicht wer- 
den muss, und die mit unendlicher Arbeit erworbenen Kenntnisse 
sind noch in hohem Grade fragmentarisch. Nun ist das, was vom 
innern Hirnbau erforscht ist, ungemein schwer zu lehren und zu 
lernen. Einer wirklichen Beherrschung des bereits durchforschten 
Stoffes darf sich zur Zeit wohl nur eine verhältnismäßig kleine Zahl 
von Spezialforschern rühmen. Die Technik an und für sich ist nicht 
schwer, aber sie ist sehr umständlich und zeitraubend. Ein Haupt- 
verdienst bei Ausbildung dieser und anderer auf das Gehirn bezüg- 
lichen Forschungsmethoden hat sich der durch seinen tragischen 
Opfertod uns allen in warmer Erinnerung stehende Gudden erworben, 
ein Mann, in dem wir ja den Gelehrten nicht minder als den Arzt 
und Menschenfreund betrauern. Durch eigne Bemühungen und durch 
diejenigen seiner Assistenten hat Gudden in München eine Samm- 
lung von tausenden von Schnitten angelegt, wahrscheinlich weitaus die 
größte unter den bestehenden, neben der an andern Orten vereinzelt 
noch einige Privatsammlungen existieren. Eine zugängliche öffent- 
liche Sammlung von Hirnschnitten gibt es meines Wissens nirgends 
in der Welt, Allein wenn auch eine solche Sammlung bestände, so 








His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten. 553 


wäre damit nur ein kleiner Teil des zu Erstrebenden erreicht. Wohl 
‚suchen wir uns aus dem vergleichenden Studium der sich folgenden 
Schnitte eine plastische Vorstellung von dem Aufbau des zerlegten 
Organs zu machen, allein eine solche Vorstellung wird nur dann 
sicher und klar sein, wenn sie auf präzisen Messungen und hekon- 
struktionen sich aufbant. 

Um eine Reihe von Gehirnschnitten wirklich erschöpfend dureh- 
zuarbeiten, erscheint es nötig, die Schnitte in vergrößertem Maßstabe 
zu Papier zu bringen, sie zu zeichnen oder zu pliotographieren. Als- 
dann sind sie sorgfältig auszumessen, und aus den Flächenbildern der 
einzelnen Schnitte sind durch synthetische Konstruktionen wieder 
plastische Gesamtbilder zu schaffen, die dann verschiedentlich kom- 
biniert als Modelle aufzubauen sind. Die Aufgabe liegt klar vor, die 
Methoden sind im ganzen sicher ausgebildet, aber die zu leistende 
Arbeitssumme ist eine so außerordentlich große, dass der Einzelne, 
und wäre er auch der Vorsteher eines bedeutenden Universitäts- 
institutes, vor derselben den Mut fallen lässt. Gleich wie zur topo- 
graphischen Durchforschung eines Landes, so bedarf es zur topo- 
graphischen Durchforschung des Gehirns, falls sie anders zu einem 
abschließenden Ergebnisse führen soll, eines unter wissenschaftlicher 
Direktion stehenden Büreaus von Zeichnern, Photographen und Mo- 
delleuren, und dieselben Grundsätze der Präzision, welche die Geodäsie 
zu einem so hohen Grade der Entwicklung geführt haben, werden 
auch da zur Anwendung kommen müssen. 

Und nun die Benutzung eines solchen Institutes: schon die große 
Arbeitsmenge, welche zur Erreichung des Grundmateriales, der Schnitte 
nötig ist, wird demjenigen, der dazu weder Zeit noch Fähigkeit hat, 
erspart, wenn er Gelegenheit findet, gleich wie in einer Bibliothek 
in der betreffenden Anstalt die Schnittreihen einzusehen und zu 
studieren. Außerdem muss aber dem die Anstalt besuchenden Ge- 
lehrten oder Lehrer durch instruktiv ausgeführte und aufgestellte 
Zeichnungen und Modelle sowie durch die vom Personal bereitwillig 
zu erteilenden Erläuterungen Gelegenheit geboten werden, sich in den 
Gegenstand einzuarbeiten. Mit solehen Hilfsmitteln ist es sicherlich 
erreichbar, dass derselbe nach 3—4 an der Anstalt zugebrachten 
Ferienwochen eine sehr viel reichhaltigere und klarere Kenntnis des 
Organes, über das er lehren soll, sich verschafft hat, als wenn er 
ihm in besonderer Arbeit 3—4 Jahre seines Lebens gewidmet hätte. 

Was ich soeben über die Vorteile einer Zentralanstalt für das 
Gehirnstudium entwickelt habe, findet seine Anwendung nicht minder 
auf das Studium der Entwieklungsgeschichte. Diese Disziplin, welche 
durch die Breite ihrer Basis und durch die Allgemeinheit ihrer Ge- 
sichtspunkte von der fundamentalsten Bedeutung für unser gesamtes 
biologisches Wissen geworden ist, hat es auch ihrerseits, wie die 
Gehirnlehre, mit dem Verständnis komplizierter körperlicher Formen 


554 Blochmann, Eireifung bei Insekten. 


zu thun. Sie verfolgt das Werden der Körperformen belebter Wesen 
von deren frühesten Anfängen ab bis zur definitiven Gestaltung hin, 
und sie hat das Hervorgehen der spätern Formen aus den frühern 
nach Verlauf und nach Bedingungen genau festzustellen. 

Unter diesen Umständen ist jeder gründlich arbeitende Forscher 
genötigt, sein Untersuchungsgebiet verhältnismäßig eng zu umgrenzen, 
und doch ist grade das entwicklungsgeschichtliche Studium ein solches, 
welches in großem Stile geführt sein will, und bei welchem, wie bei 
keinem andern, ein möglichst allseitiger Ueberblick über den Gesamt- 
bestand an thatsächlichen Verhältnissen erfordert wird. Bildet nun 
schon die erwähnte Zerklüftung des Forschungsgebietes ein Hemmnis 
durcehgreifender wissenschaftlicher Vereinbarung, so kommt dazu noch 
der Kampf mit der Sprache. Den wechselnden Fluss körperlicher 
Formen in Worten klar auszudrücken, das bildet selbst bei größter 
Sprachgewandtheit und bei Zuhilfenahme von Zeichnungen eine Auf- 
gabe von ausnehmender Schwierigkeit. Auch befinden wir uns heute 
hinsichtlich der Entwicklungsgeschichte in der eigentümlichen Lage, 
dass bei rasch wachsender Fülle von Detailbeobachtungen die Summe 
gemeinsamer Anschauungen eine immer geringere wird. Die Disziplin, 
die berufen ist, weitere Gebiete nach einheitlichen Prinzipien zusammen- 
zufassen und zu beherrschen, fällt anscheinend einer zunehmenden 
Zersplitterung und Verwirrung anheim. Eine feste Organisation der 
Arbeit thut hier dringend not und zugleich eine Einrichtung, welche 
es dem Einzelnen erlaubt, seinen Auschauungskreis weit über das 
eigne Forschungsgebiet hinaus auszudehnen. 

Den Grundgedanken von der zweiten Hälfte meines Vortrages 
nochmals zusammenfassend, glaube ich, dass dureh Errichtung ge- 
eigneter Zentralanstalten die Wissenschaft in wirksamster Weise ge- 
fördert und die akademischen Lehrer in ihrem Leistungsvermögen 
erheblich gesteigert werden können. Die Aufgabe des Lehrers, einen 
reichen Stoff seinen Schülern in gediegener geistiger Verarbeitung zu 
übermitteln, wird ihm erleichtert, wenn ihm ein Teil des Stoffes in 
technisch bereits vorbereiteter Form dargeboten und er dadurch von 
solchen Arbeiten entlastet wird, welche andere in vielen Fällen besser 
denn er auszuführen vermögen. Es handelt sich darum, bei allen 
verwickelten Wissensgebieten, und so insbesondere bei den biologischen 
Wissenschaften, zu einer straffern Organisation der wissenschaftlichen 
Arbeit, zu einem festern Ineinandergreifen der dabei wirksamen Kräfte 
zu gelangen. 


Ueber die Eireifung bei Insekten. 
Von Dr. F. Blochmann. 


In den nachstehenden Zeilen möchte ich kurz über die wichtigsten 
Resultate meiner besonders bei Ameisen und Wespen über die Ei- 





Blochmann, Eireifung bei Insekten. 555 


reifung angestellten Untersuchungen berichten. Die ausführliche und 
von Abbildungen begleitete Arbeit findet sich in der vom natur- 
historisch - medizinischen Verein zu Heidelberg zur Feier des 500jähri- 
gen Bestehens der Ruperto-Carola herausgegebenen Festschrift !) und 
dürfte darum vielleicht weniger zugänglich sein, als es im Interess 
der Sache wünschenswert erscheint. 

Die Entstehung und Reifung des Eies bei den Insekten ist in der 
letzten Zeit vielfach untersucht worden. Die Ansichten der verschie- 
denen Forscher sind jedoch in mancher Beziehung so widersprechend, 
dass es unmöglich ist dieselben mit einander in Einklang zu bringen. 

Die Entstehung des Eies bei den Insekten ist zuletzt von Kor- 
schelt?) ausführlich behandelt worden. Korschelt hat die von 
Will?) über diesen Punkt aufgestellten Ansichten einer eingehenden 
Kritik unterzogen und sie als irrig zu erweisen gesucht. Ich selbst 
habe keine speziell auf diese Punkte gerichteten Untersuchungen an- 
gestellt, kann aber doch behaupten, dass alles, was ich gelegentlich 
beobachtete, mit den Will’schen Resultaten unvereinbar ist; beson- 
ders habe ich bei keinem der von mir geprüften Objekte eine An- 
deutung der eigentümlichen von ihm beschriebenen Kernvermehrungs- 
vorgänge finden können. 

Wo im Folgenden nicht besonders auf eine andere Art hinge- 
wiesen ist, beziehen sich die Angaben auf Camponotus ligniperda Latr. 
Wesentliche Unterschiede haben sich jedoch bei keiner bisher unter- 
suchten Ameisenart ergeben; ebenso stimmen die Befunde bei Vespa 
vulgaris L. in allen wichtigern Punkten mit denen von Camponotus 
überein. 

Das junge Ei, das eben als solches erkennbar ist, stellt eine 
Zelle mit ziemlich großem, an färbbarer Substanz jedoch armem Kern 
dar. Wenn sich das Ei vergrößert, treten in dem Eiplasma rings um 
den Kern, dicht an der Oberfläche desselben, eine Anzahl äußerst 
kleiner Vakuolen auf, in denen bald ein kleines mit Pikrokarmin 
sich färbendes Körnchen bemerkbar wird Die Vakuolen wachsen 
allmählich heran und haben dann dureh ihre Struktur und ihre Tin- 
gierbarkeit eine große Aehnliehkeit mit echten Kernen; ieh habe sie 
vorläufig als „Nebenkerne“ bezeichnet. Es entstehen allmählich immer 


1) F. Blochmann, Ueber die Reifung der Eier bei Ameisen und Wespen. 
Festschrift d. naturhist.-med. Vers. zu Heidelberg zur Feier des 500 jährigen 
Bestehens d. Ruperto -Carola. Heidelberg 1886, Naturhist. T. S. 141—172. 

2) E. Korschelt, Ueber die Entstehung und Bedeutung der verschiedenen 
Zellenelemente des Insektenovariums. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. XLIU 
S. 538—720, 1886. 

3) L. Will, Bildungsgeschichte und morphologischer Wert des Eies bei 
Nepa cinerea und Notonecta glauca. Zeitschr. f. w. Zool., Bd. XLI, 8. 311—364, 
1885. — Ders., Die Entstehung des Eies von Colymbetes fuscus L. Dies. Zeit- 
schrift, Bd. XLIII, S. 329—368, 1886. 


556 Blochmann, Eireifung bei Insekten. 


mehr solehe Nebenkerne, während der Hauptkern immer kleiner wird, 
sich jedoch leicht durch sein größeres Tinktionsvermögen von den 
Nebenkernen unterscheidet. 

Zugleich tritt in dem Eiplasma, das bei den jüngsten Eiern ein- 
fach körnig erscheint, eine eigentümliche Struktur auf, die sich am 
besten mit dem Aussehen eines vielfach durcheinander geschlungenen 
Fadenbündels vergleichen lässt. Diese Struktur erhält sich, bis der 
Dotter aufzutreten beginnt. Sie wird bedingt durch regelmäßig in 
Züge angeordnete stäbehenförmige Körperchen von 10—12 w Länge !), 
die eine große Aehnlichkeit mit Bakterien haben und sich auch durch 
Teilung vermehren. Zu der Zeit, wo das Plasma des Eies noch keine 
Stäbehen enthält, finden sich solche in den das Ei umgebenden Epi- 
thelzellen, die jedoch später keine Spur mehr davon enthalten. Mög- 
licherweise gehen also die Stäbehen aus den Epithelzellen in das Ei 
über. Gegen die Bakteriennatur der Stäbehen spricht, dass sie durch 
5%, Sodalösung aufgelöst werden, ferner das Fehlschlagen von Kul- 
turversuchen und endlich ihr Verhalten beim Reifen und bei der Ent- 
wicklung des Eies. Mit Beginn der Dotterbildung ziehen sich die 
Stäbehen an den hintern Eipol zurück, wo sie unter der äußern von 
Dotter freien Protoplasmaschicht, dem sogenannten Keimhautblastem, 
eine kontinuierliche Lage bilden. Wenn sich nun der Embryo ent- 
wickelt, so gehen die Stäbehen in gewisse am hintern Pol entstehende 
Zellen über. Ich konnte sie bei Formica fusca wieder im Ovarium 
des Embryos und der Larve und außerdem noch in zwei in der Nähe 
liegenden Zellgruppen nachweisen; bei Camponotus fand ich sie bei 
der Larve in eigentümlichen Zellen in der Darmwand wieder. Ueber 
die Bedeutung dieser eigentümlichen Stäbchen enthielt ich mich in 
meiner zitierten Arbeit noch eines Urteils. Inzwischen wurde ich 
durch meinen Freund, Herrn Dr. L. Klein in Freiburg i/B., darauf 
aufmerksam gemacht, dass sich die von mir in den Ameiseneiern 
gefundenen Stäbehen möglicherweise mit ähnlichen bei Pflanzen sieh 
findenden Gebilden vergleichen ließen und zwar speziell mit den in 
den Knöllchen der Leguminosenwurzeln vorkommenden sogenannten 
Bakteroiden. Der neueste Untersucher derselben, Brunchorst?), hat 
nachgewiesen, dass sie, entgegen der frühern Auffassung, Keine para- 
sitischen Bakterien sind, welehe die Bildung der Knöllchen veran- 
lassen, sondern dass die Knöllehen normale Organe der betreffenden 
Pflanzen sind, und dass in gewissen Zellen derselben die Bakteroiden 
aus dem Plasma sich differenzieren, dass sie also von der normalen 

1) Außer bei ©. ligniperda fanden sich solche Stäbchen noch bei Formeca 
fusca L., wo sie jedoch nur 4-5 u lang sind. Bei keinem andern Insekt ist 
bis jetzt etwas Aehnliches bekannt geworden. Vergl. jedoch meine Arbeit, 
S. 160, Anm. 

3) F. Brunchorst, Ueber die Knöllchen an den Leguminosenwurzeln. 
Ber. d. deutschen bot. Ges., Bd. III, S. 241— 257. 1886. 





Blochmann, Eireifung bei Insekten. 557 
Pflanze erzeugte, geformte Eiweißkörper sind. Welche Rolle sie im 
Haushalt der Pflanze spielen, ist noch nicht festgestellt. Zur Zeit 
der Fruchtbildung verschwinden sie aus den Knöllchen, jedenfalls 
durch Auflösung. Es wäre zu wünschen, dass die von Brunchorst 
in Aussicht gestellte ausführliche Arbeit einigen Aufschluss über ihre 
Funktion bringen möchte, da ja die Pflanze dem Experiment viel zu- 
gänglicher ist als das tierische Ei. Nach dem Gesagten wird es wohl 
vorderhand annehmbar erscheinen, die stäbehenförmigen Körperchen 
in den Eiern der Ameisen ebenfalls für geformte Eiweißkörper zu 
halten. Für die pflanzlichen Bakteroiden gibt Brunehorst ebenfalls 
die Vermehrung durch Teilung an, was ja mit meinen Befunden bei 
den Ameisen übereinstimmt. 

Den Eikern haben wir auf dem Stadium verlassen, wo er von 
einer ganzen Schicht der sogenannten Nebenkerne umgeben ist. In 
der Zeit, wo der Dotter im Ei aufzutreten beginnt, zerstreuen sich die 
Nebenkerne über die ganze Oberfläche des Eies, wo sie noch lange 
zwischen den Dotterbläschen nachweisbar sind, bis sie allmählich 
(dureh Auflösung?) verschwinden, denn in reifen Eiern konnte ich bis 
jetzt keine Spur derselben mehr auffinden. Die beschriebenen Vor- 
gänge stehen bis jetzt ziemlich isoliert da, denn es hat, soweit ich 
sehe, nur Korschelt (l. ce.) gelegentlich bei den Eiern von Musca vomi- 
toria L. derartiges beobachtet, ich selbst habe an einigen Schnitten 
durch Ovarien desselben Tieres mit Sicherheit noch nichts Aehnliches be- 
merkt. Ob eine Beziehung zu den von Stuhlmann') bei einer An- 
zahl von Insekten beschriebenen Reifungsballen, die vom Eikerne 
abstammen sollen, besteht, kann ich bis jetzt noch nicht entscheiden; 
ich habe jedoch angefangen diese Verhältnisse selbst zu untersuchen 
und behalte mir eine Aeußerung darüber auf später vor. 

Hervorheben will ich hier noch, dass die sogenannten Nebenkerne 
in keiner Beziehung zu der Bildung des Follikelepithels stehen. 

Die Dotterbildung wurde aufs genaueste verfolgt und dabei nach- 
gewiesen, dass der Dotter zuerst in den dem Follikelepithel anliegen- 
den Partien des Eies auftritt. Es erscheinen hier im Protoplasma des 
Eies kleine Bläschen, in denen zuerst einige Körnchen und später 
ein Netzwerk von fester, mit Bleu de Lyon intensiv färbbarer Substanz 
auftritt. Diese Dotterbläschen wachsen allmählich heran und rücken 
in das Innere des Eies, während an der Oberfläche immer noch neue 
entstehen, bis allmählich das ganze Ei von Dotter erfüllt ist. 

Der Dotter wird also vom Ei selbst gebildet und zwar aus flüs- 
sigen Stoffen, die wohl hauptsächlich vom Follikelepithel geliefert 
werden. Jedenfalls spielen jedoch die sogenannten Nährzellen auch 
eine gewisse Rolle bei der Vergrößerung des Eikörpers, da das Ei 
einen Fortsatz zwischen sie hinein sendet, und da sie in demselben 





1) Stuhlmann F, Die Reifung des Arthropodeneies. Ber. d. naturforsch. 
Ges. zu Freiburg i/B., Bd. I, S. 1—128, 1886. — Biol. Centralbl., Bd. VI, Nr. 13. 


558 Blochmann, Eireifung bei Insekten. 


Maße an Volumen abnehmen, als das Ei zunimmt, und da sie schließ- 
lich vollständig zu grunde gehen. 

Sicher auszuschließen ist eine Aufnahme von geformten, festen 
Dotterpartikeln aus dem Epithel ins Ei, da in dem letztern niemals 
eine Spur von solchen nachzuweisen ist. Erwähnen möchte ich hier 
noch, dass ich bei den von mir untersuchten Hymenopteren im hin- 
tern Teil der reifern Eier einen eigentlichen Dotterkern beobachtet 
habe, wie ihn Stuhlmann ebenfalls für eine Anzahl von Arten 
(Anomalon, Ophion ete.) beschrieb. Ausdrücklich muss ich jedoch 
hervorheben, dass ich eine Beziehung der Nebenkerne zu diesem 
Dotterkern bis jetzt nicht habe konstatieren können. 

Wiehtig ist nun noch das Verhalten des eigentlichen Eikernes, 
Derselbe behält seine Lage am vordern Pole des Eies bei, und man 
findet ihn in den reifen Eiern zu einer Kernspindel umgewandelt, 
welche auch in den frisch abgelegten Eiern noch zu beobachten ist. 
Ob durch diese Kernteilung eine Bildung von eigentlichen Richtungs- 
körperchen veranlasst wird, konnte bis jetzt noch nicht mit Sicherheit 
entschieden werden. Es wurde in mehrern Fälien bei Eiern, die schon 
eine größere Zahl von Furchungszellen enthielten, am vordern Pol im 
Keimhautblastem eine Körnchengruppe beobachtet, welche genau so 
aussah wie die eine Hälfte der Kernplatte, und die alse wohl dem 
Kern eines Richtungsbläschens entsprechen dürfte; ob vielleicht dieser 
Kern unter Abschnürung einer Plasmapartie austritt, oder ob er im 
Eiplasma resorbiert wird, konnte bis jetzt noch nicht entschieden 
werden. 

Während ich nun bei Ameisen und Wespen allgemein diese Um- 
wandlung des Kernes nachweisen konnte und kein Stadium in der 
Reifung der Eier fand, wo ein Kern entweder in der normalen Gestalt 
oder in Teilung nicht nachweisbar gewesen wäre, wird in der schon 
angeführten Arbeit von Stuhlmann für eine große Anzahl von In- 
sekten angegeben, dass der Kern im reifen Ei verschwunden sei, 
d. h. dass er wenigstens mit unsern Färbemitteln nieht mehr nach- 
zuweisen sei. Ich war dadurch genötigt, diese Verhältnisse auch 
bei Insekten aus andern Abteilungen zu untersuchen. Die Unter- 
suchung bestätigte vollständig meine bereits in der Nachschrift zu 
meiner zitierten Arbeit ausgesprochene Vermutung, dass auch bei 
andern Insekten im reifen Ei der Kern vorhanden sei. Zunächst 
untersuchte ich Pieris brassicae L. und fand hier gleich bei den ersten 
Präparaten in allen reifen Eiern meist genau am obern Pole eine 
äußerst deutliche Kernspindel, genau so wie ich es für Formica 
fusca in Fig. 11 abgebildet hatte; in einzelnen Eiern lag sie mehr 
seitlich. Als zweites Objekt wählte ich Musca vomitoria L., bei der 
Stuhlmann trotz der sorgfältigsten Untersuchung in den reifen Eiern 
den Kern nicht finden konnte. Auch hier ließ er sich an einfachen 
Boraxkarminpräparaten nachweisen und zwar genau an der Stelle, 





Locey, Embryologie der Spinnen. 559 


wo ihn Stuhlmann Fig. 96 und 98 abbildet, und wo er dann an- 
geblich verschwinden soll, also an der Seite des Eies, etwas hinter 
dem vordern Pol. Merkwürdigerweise ist bei Musca in den reifen !) 
Ovarialeiern, die ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, das Keim- 
bläschen nicht in eine Spindel umgewandelt, sondern erscheint als 
rundliches oder etwas längliches, sehr intensiv sich färbendes Kör- 
perchen, das nahe unter der Oberfläche des Eies in feinkörnigem 
Plasma liegt. Auch in sofort nach dem Ablegen getöteten Eiern habe 
ich dasselbe beobachtet. Sollte vielleicht erst ein Spermatozoon in 
das Ei eindringen müssen, um den Eikern zur Teilung zu veranlassen, 
wie dies ja auch in andern Fällen schon gefunden wurde? 

Jedenfalls ist bei beiden zuletzt untersuchten Tieren ebenso wie 
bei Ameisen und Wespen im reifen Ei stets ein Kern nach- 
weisbar. Da nun für Vertreter von drei verschiedenen Klassen der 
Insekten dieser Nachweis geführt ist, so erhält die schon ausge- 
sprochene Vermutung, dass dies bei den Insekten allgemein der 
Fall sein wird, eine weitere kräftige Stütze. 

Ich kann hier noch hinzufügen, dass es mir gelungen ist, für 
Musca vomitoria den Nachweis zu führen, dass Richtungskörper 
gebildet werden, und zwar prinzipiell in derselben Weise wie bei den 
andern Tieren, wo man sie bisher gefunden hat; dass also eine zwei- 
malige Teilung des Eikernes stattfindet. Die drei den Richtungs- 
bläschen entsprechenden Kerne verschmelzen, soviel ich bis jetzt ge- 
sehen habe, zu einer Masse, um dann zu der Zeit, in der sich das 
Blastoderm bildet, wahrscheinlich ausgestoßen zu werden. Ich werde 
in Bälde darüber ausführlichere Mitteilung machen. 

Ueberhaupt scheint alles, was bis jetzt über diese, allerdings 
schwer zu untersuchenden Verhältnisse bei Insekten bekannt gewor- 
den ist, darauf hinzuweisen, dass die Reifungserscheinungen bei In- 
sekteneiern im wesentlichen mit den bei den Eiern anderer Tiere auf- 
tretenden Veränderungen übereinstimmen. 


W. A. Locy, Embryologie der Spinnen. 


Eine recht hübsche Arbeit über die Entwicklung von Agelena 
naevia von Locy?) kommt uns aus dem Laboratorium von Professor 
Mark zu; dieselbe enthält mehrere Angaben, die ein allgemeineres 
Interesse zu erwecken geeignet sind. 

Das Ei besteht aus einer Protoplasmamasse, die ein weitmaschiges, 
die Dotterkugeln umschließendes Netzwerk, eine zentrale den Kern 

1) Ich verschaffte mir die Gewissheit, reife Eier zu erhalten, dadurch, dass 
ich die Ovarien von Fliegen, die ich bei der Eiablage beobachtete, zur Unter- 
suchung benützte. 

2) Bull. Mus. Comp. Zool. XII. 63—103. Pl. I-XIl. 


560 Loey, Embryologie der Spinnen. 


haltende Ansammlung und eine oberflächliche Blastemaschicht bildet. 
Das Ei ist umhüllt von einer dünnen Dotterhaut und einem äußern 
diekern körnchentragenden Chorion. Die Eier werden im Herbste 
abgelegt; wenige Stunden nach der Ablage erscheint der Dotter schon 
kontrahiert, und es lässt sich im Innern desselben der Furchungskern 
nachweisen. Zu dieser Zeit geht die sehr auffallende Erscheinung 
der falschen Furchung vor sich, indem das Blastem (die verhältnis- 
mäßig dieke oberflächliche Protoplasmaschicht) in sechseckige Felder 
zerfällt, die auf den ersten Blick ganz wie echte Zellen aussehen. 
Ueber das merkwürdige Phänomen ist schon von frühern Beobachtern 
berichtet worden. Rathke, Claparede und Emerton haben es 
wohl gesehen, aber fälschlicherweise in Verbindung mit der Blasto- 
dermbildung gebracht. Balbiani') war der erste, welcher richtige 
Beobachtungen über das zerklüftete Blastem lieferte, und seine Be- 
schreibung ist von Sabatier?) im wesentlichen bestätigt worden. 
Ludwig) dagegen begeht den Irrtum, die Entstehung der Felder 
auf das Chorion zu beziehen. Locy macht darauf aufmerksam, dass 
die Felder vorübergehende Bildungen sind, und dass sie bei der Ent- 
stehung des wahren Blastoderms verschwinden. Sie werden bedingt 
durch die großen oberflächlich gelegenen Dotterkugeln, deren jede bei 
der Zusammenziehung des Dotters eine entsprechende Hervorwölbung 
des sie bedeckenden Teiles des sogenannten Blastemas verursacht. 
In der That findet man eine große Kugel im Dotter unmittelbar 
unterhalb der Blastemaschicht jedes einzelnen Feldes. 

Die wahre Segmentierung fängt mit einer inwendigen Vermehrung 
der Kerne an, die erst später in das Blastem einwandern, um hier 
die auch bei der äußerlichen Betrachtung sichtbare Furchung der 
plasmatischen Rindenschieht hervorzurufen. Loey findet die Lud- 
wig’schen radiären Dottersäulen auf den Schnitten wieder. 

Vier vortreffliche Tafeln stellen die Formen des werdenden Em- 
bryos dar, und im Texte befinden sich die entsprechenden Beschrei- 
bungen. Zur Zeit der Erscheinung des siebenten und nachfolgenden 
Somiten wachsen schon die dauernden Gliedmaßen hervor, und ihnen 
folgen bald die vier Paare der „provisional links“ Balfour 
(Quart. Journ. Mierose. Sei. XX, 183) schrieb in 1880: „The four 
rudimentary appendages have disappeared, unless, which seems to 
me in the highest degree improbable, they remain as the spinning 
mammillae.“ Loey dagegen teilt uns in einer Anmerkung (S. 82) 
mit, dass er die direkte Umwandlung von zwei Paaren zu den Mam- 
millen verfolgt habe; daher seien die Mammillen Anhänge der ab- 
dominalen Somiten und homodynam mit den wahren Beinen; und 
folglich seien sechs Somiten in dem kleinen Raum zwischen den hin- 

4) Balbiani, Ann. Sei. Nat. Zool. XVII, 1873. Art. Nr. 1. 


2) Sabatier, Comp. Rendus. XCH, 200, 1881. 
3) Ludwig, Zeit. wiss. Zool. XXVI, 470, 1876. 


EIERN ar 





Loey, Embryologie der Spinnen. 561 


tern Mammillen und dem After miteinander verschmolzen; auf der 
dorsalen Seite lassen sich noch längere Zeit die Muskulaturen der 
sechs Somiten unterscheiden. Diese Beobachtung darf eine hohe Be- 
deutung für die Morphologie resp. Phylogenie der Spinnen bean- 
spruchen. Die Cheliceren, trotzdem dass ihre Basen in spätern Sta- 
dien vor dem Munde zusammenstoßen, sind nicht präoral, sondern 
postoral, indem die Mundeinstülpung vor den Cheliceren entsteht. 
Der Saugmagen entwickelt sich aus dem Vorderdarm; der Hinter- 
darm entsteht etwas später und dient der „Sterkoraltasche“ zum Ur- 
sprung. Definitive Angaben über die Entwicklung des Mitteldarms 
fehlen noch. Wir wollen aber nicht auf die Einzelheiten eingehen, 
sondern, indem wir bezüglich dieser auf das Original verweisen, nur 
noch die Entwicklung der Lungen und Augen berücksichtigen. 

Die Lungen entstehen als zwei ausgedehnte ektodermale Ein- 
stülpungen, und zwar ungefähr gleichzeitig mit dem Hinterdarm. Die 
Atmungsblätter entstehen ausschließlich aus dem Ektoderm; jede La- 
melle hat zwei Ektodermschichten, deren freie Flächen allmählich 
eine bedeckende Cuticula entwickeln. Die Zellen der zwei Schichten 
ordnen sich so, dass je zwei Zellen sich verbinden; diese Verbin- 
dungen stellen zweizellige Säulen dar, die von der Cuticula der einen 
Seite der Lamella senkrecht zur Cutieula der andern Seite laufen; 
die Säulen rücken weit auseinander, wodurch ein Netz von Hohl- 
räumen gebildet wird, worin, da sie mit den Räumen des Körpers 
kommunizieren, das Blut freie Bahn findet. In der That bemerkt 
man in den Lamellen Blutkörperchen und geronnenes Blutplasma sehr 
oft bei der Untersuchung von Schnitten. Unsere Anschauungen über 
den wesentlichen Bau des Epithels haben in letzter Zeit eine gründ- 
liche Umwandlung erfahren, indem wir das Epithel jetzt nicht als 
kompaktes, sondern als durchdringbares Gewebe betrachten, dessen 
zellige Elemente Spalten zwischen sich lassen. Es kann uns also 
nicht befremdend vorkommen, wie es wohl vor wenigen Jahren noch 
der Fall gewesen wäre, dass ein Epithel gefunden wird, dessen 
Spalten stark vergrößert sind, um dem Kreislaufsystem beizutreten. 
Ich erinnere hierbei an den Bau der Lumbrieidenepidermis. Es hat 
die Entdeckung Locy’s um so größeres Interesse, als sie sich den 
zahlreichen, ich hätte fast gesagt zahllosen, Thatsachen zugesellt, die 
uns lehren, dass der Gegensatz zwischen Epithel und Bindegewebe 
kein scharfer ist. Eigentlich besteht er gar nicht, sondern es findet 
sich ein allmählicher Uebergang, wie ich schon an anderer Stelle!) aus- 
einandergesetzt habe. Das embryonale Bindegewebe (Mesenchym) 
lässt sich als ein mehrschichtiges Epithel mit hypertrophierten Inter- 
zellularbrücken auffassen. Ich stehe nicht an, den von den Gebrü- 


4) Minot, Wood’s Reference Handbook of the Medical Sciences. Vol. III, 
Art. Foetus. 
VI: 36 


562 Hitzig, Funktionen des Großhirns. 


dern Hertwig verteidigten prinzipiellen Unterschied zwischen 
Epithel und Mesenchym zu leugnen. 

Auffallenderweise ist die Entwieklung der Sinnesorgane bei den 
Spinnen von frühern Forschern kaum berührt worden. Grade die 
Entwicklung der Augen hat ein hohes Interesse, weil von allen bisher 
untersuchten Augen der Wirbellosen diejenigen der Spinnen dem Wir- 
beltiertypus ontogenetisch am nächsten stehen. Die erste Anlage des 
Spinnenauges ist eine nach innen vorspringende Verdickung des Ekto- 
derms; es folgt bald dieser Stufe eine schräge Einstülpung, die die 
erwähnte Verdiekung mitgreift. Die Einstülpung nimmt eine gedrückte 
Form an; man kann alsdann zwei Blätter an ihr unterscheiden, ein 
äußeres diekes, die Retina bildendes, und ein inneres viel dünneres. 
In dem nächstfolgenden Stadium liegt die Augenblase dicht unterhalb 
des Ektoderms, das an der betreffenden Stelle merklich verdickt wird, 
um später dureh Verstärkung der äußern Cuticula die Linse des Er- 
wachsenen zu liefern. Die zwischen der Linse und der dicht anbei 
liegenden Augenblase gelegenen Epidermiszellen stellen den soge- 
nannten Glaskörper dar. Das äußere Blatt der Augenblase nimmt an 
Durchmesser sehr zu und wandelt siek durch allmählich fortschrei- 
tende Differenzierung in die Retina um. Dabei verlängern sich die 
Zellen; die Kerne begeben sich nach der einen Fläche des Blattes, 
und die Stäbehen entwickeln sich aus den zegenüberliegenden kern- 
losen Hälften der Zellen. Doch sind bei allen Augen die Verhältnisse 
nicht gleich, indem bei den vordern mittlern Augen die Stäbchen der 
Linse zugekehrt, bei den drei übrigen Augenpaaren aber von der 
Linse abgekehrt sind. Das Schicksal des hintern Augenblattes wurde 
nicht festgestellt; der Verfasser hält es für wahrscheinlich, dass es 
die Pigmentschieht bildet. Da Loecey sich weiterer morphologischer 
Spekulationen enthält, wollen wir uns auch nicht in solche verlieren, 
zumal die Spinnen unter den Wirbellosen sich dadurch auszeichnen, 
dass sie bisher noch von niemand als Vorfahren der Wirbeltiere an- 
gesprochen wurden. 

S Charles S. Minot (Boston). 


Ueber Funktionen des Großhirns. 
Vorgetragen in der physiologischen Sektion der 59. Versammlung deutscher 
Naturforscher und Aerzte zu Berlin am 20. Sept. 1886 
von Prof. Dr. Hitzig in Halle. 


Die ungeheure Menge des über die Lokalisationsfrage zusammen- 
getragenen Materials, die Kompliziertheit des Gegenstandes und der 
breite Raum, weleher hier mehr als bei andern Experimental - Unter- 
suchungen der Subjektivität des Forschers gelassen ist, machen die 
mündliche Behandlung dieses Gegenstandes außerordentlich schwierig. 





Hitzig, Funktionen des Großhirns. 563 


Namentlich erscheint es fast unmöglich Missverständnisse zu vermeiden, 
soll anders die übliche Zeitdauer eines Vortrags auch nur annähernd 
eingehalten werden. 

Wenn ich mich ungeachtet dieser und anderer Bedenken ent- 
schlossen habe, das Wort in dieser Sache zu ergreifen, so wollen Sie 
das vornehmlich aus den Angriffen erklären, die mein verewigter 
Freund von Gudden in seiner letzten Publikation auch gegen meiner 
Ansicht nach feststehende Thatsachen gerichtet hat. Konnte ein 
Forscher von dem Range Gudden’s noch jetzt zu einem solchen 
Standpunkte gelangen, so musste mir eine erneuerte mündliche Dis- 
kussion dieser Thatsachen wünschenswert erscheinen. 

Die heut zu beantwortenden Fragen lassen sich dahin formulieren: 
Gibt es motorische Zentren in der Hirnrinde, zunächst 
des Hundes, und welches ist ihre Bedeutung? 

Die erste Frage hätte noch vor einigen Jahren weiter gefasst 
werden müssen. Damals suchte Herr Goltz, unser eifrigster Gegner, 
jene Zentren im Kleinhirn und erklärte die nach Eingriffen in das 
Großhirn zu beobachtenden Störungen durch traumatische Hemmung 
der Kleinhirnthätigkeit. Da Herr Goltz diese Theorie inzwischen 
hat fallen lassen und sogar gegenwärtig motorische Störungen durch 
Eingriffe in den zuerst von Herrn Fritsch und mir als motorisch 
bezeichneten Teil des Großhirns, den vordern Teil desselben entstehen 
lässt, so dürfen wir uns alsbald mit der Rinde dieses letztern be- 
schäftigen. 

Mit Unrecht haben die Herren Schiff, Goltz und ihre Anhänger 
die Ergebnisse der Reizversuche als nichts beweisend beiseite 
geschoben. Allerdings hatten wir seiner Zeit aus ihnen allein nicht 
die Existenz von Rindenzentren beweisen wollen oder können, ja wir 
hatten nicht einmal die Erregbarkeit des gangliösen Teils der Rinde, 
sondern nur die Erregbarkeit der in dieselbe einstrahlenden Mark- 
faserung behauptet. 

Dagegen hatten wir die Fernewirkung von Stromschleifen 
allerdings ausschließen können, wie wohl niemand, der vorurteilslos 
die Reizeffekte vorsichtig angewendeter galvanischer Ströme beobachtet 
hat, dem nach dieser Richtung erhobenen Einwande eine Bedeutung 
zumessen wird. Es ist bisher auch keinem unserer Gegner gelungen, 
den Ort ausfindig zu machen, wo die supponierten Stromschleifen 
angreifen möchten. Inzwischen hat diese Seite der Frage durch die 
Reizversuche der Herren Bubnoff und Heidenhain, sowie Frank 
und Pitres ein neues Gesicht gewonnen. Wenn nach diesen Ver- 
suchen die Reaktionszeit bei elektrischer Reizung der unverletzten 
Oberfläche des Gehirns wesentlich länger als bei Reizung der sub- 
kortikalen weißen Substanz ist, wenn die Zuckungskurve nach Ab- 
tragung der Rinde einen total veränderten Verlauf zeigt, wenn end- 
lich die durch Morphiumvergiftung eingeführten Veränderungen der 

3b 


564 Hitzig, Funktionen des Großhirns. 


elektrischen Reaktion gleichfalls nach Abtragung der Rinde ver- 
schwinden, so ist hiermit der unanfechtbare Beweis für die selbständige 
Erregbarkeit der Rinde beigebracht. Und weiter lässt sich schließen, 
dass die durch organische Reize ausgelöste Funktion der Rinde im 
Prinzip die gleiche sein wird, wie die durch den elektrischen 
Reizversuch demonstrierte, d. h. die Vermittlung von Bewegungsvor- 
gängen in quergestreiften Muskeln. 

Herr Schiff hat neuerdings seine alte Behauptung, der Reizeffekt 
sei ein Reflexvorgang, durch eine überaus komplizierte Beweis- 
führung zu stützen versucht. Zu diesem Zwecke konstruiert er ein 
irgendwo, nur nicht in der Rinde gelegenes Zentrum, das er — ich 
weiß nicht aus welehem Grunde — in bisquitförmiger Gestalt zeichnet. 
Er lässt zu diesem hypothetischen Zentrum Tastnerven aus den Hinter- 
strängen des Rückenmarks auf einem vollkommen unmotivierten Um- 
wege, der unter der Hinrinde entlang führt, aufsteigen und wiederum 
kinesodische Bahnen aus diesem Zentrum auf dem gleichen unmoti- 
vierten Umwege in die Seitenstränge des Rückenmarks hinabgelangen. 
Der aufsteigende, nicht der absteigende Schenkel dieses Reflexbogens 
sei der den Reiz aufnehmende, die Bewegung auslösende Teil. 

Herr Schiff braucht diese Lehre freilich zur Rettung seiner 
kinesodischen Substanz. Auch sie wird jedoch durch die eben ange- 
führten Versuche, insofern durch dieselben die selbständige Erreg- 
barkeit der Rinde erwiesen ist, beseitigt. Ueberdies hat sie, ganz 
abgesehen von andern Mängeln, den fundamentalen Fehler, dass sie 
in sich unmöglich ist. Denn wenn man — Schiff folgend — solche 
Schnitte durch die Windungen legt, welche den Effekt von auf die 
Sehnittfläche angebrachten Reizen nicht aufheben sollen, dann hat man 
beide Schenkel des Reflexbogens durchschnitten, und die Reizeffekte 
müssten folgerecht verschwinden, was der Schiff’schen Prämisse 
zuwider und in Wirklichkeit nicht der Fall ist. 

Es scheint mir, meine Herren, dass durch den Nachweis von 
Rindenterritorien, welche die geschilderte besondere und nur ihnen 
zukomme::de elektrische Reaktion besitzen, die Existenz von motorischen 
Zentren in der Rinde bereits im höchsten Grade wahrscheinlich 
gemacht wird. 

In gleicher Weise wie die Resultate der Reizversuche sind von 
allen unsern Gegnern die Ergebnisse kleiner Eingriffe, lokalisier- 
ter Lähmungsversuche, vernachlässigt worden. Wenn ich an- 
führte, dass nur ein ganz bestimmter Teil der Hirnoberfläche 
auf solche, also kleine Läsionen, mit Störungen der Muskelbewegung 
und, was von andern, zuerst von Herrn Schiff festgestellt ist, auch 
der Empfindung antwortet, so hat Herr Goltz gegen die Beweiskraft 
dieser Thatsache allerdings zwei Einwände erhoben. Der eine von 
diesen ist der vorerwähnten Herbeiziehung von Stromschleifen parallel 
zu setzen. Er behauptet die Möglichkeit der mechanischen Beleidigung 





Hitzig, Funktionen des Großhirns. 565 


fernliegender Teile. Meines Erachtens würde es dem Gegner obliegen, 
uns die von ihm gemeinten Teile zu zeigen. Indess habe ich durch 
den direkten Versuch diesen Einwand entkräftet. Ich wies nach, dass 
seichte Stiche und Einsehnitte, welche lediglich die Rinde verletzen 
und Fernwirkungen unmöglich zur Folge haben können, der Art, 
wenn auch nicht dem Grade nach, den gleichen Erfolg haben wie 
größere Exstirpationen. 

Der zweite Einwand, welcher übrigens, auch wenn er begründet 
wäre, nicht zutreffend sein würde, behauptet, es sei unmöglich, durch 
Rindenverletzungen die Bewegungen eines einzelnen 
Gliedes zu alterieren; bei Angriffen auf das Zentrum für das 
Vorderbein müsse man die Parese des Hinterbeins mit in den Kauf 
nehmen und umgekehrt. Herr Goltz irrt sieh hierin, wie ich durch 
neue Versuche festgestellt habe. Ich eröffne die Dura in möglichst 
geringer Ausdehnung und verletze die Rinde alsdann durch einen 
Schnitt oder Stich mit einem halbstumpfen Instrument an der Grenze 
eines der sogenannten Centra. Man wählt also, um das Vorderbein 
zu trefien, das laterale Viertel des vordern Schenkels des Gyrus 
sigmoides, und, um das Hinterbein zu treffen, das mediale Ende des 
hintern Schenkels dieses Gyrus. 

Man beobachtet dann, dass der Hund das betreffende Bein mit 
dem Dorsum aufsetzen, über den Tischrand dislozieren und herab- 
hängen lässt. Mir ist es auch gelungen, diese Symptome am Hinter- 
bein auf die Dauer von 8 Tagen zu verfolgen, ohne dass das Vorder- 
bein jemals im geringsten affiziert gewesen wäre. 

Ich wünsche nun aber nicht, etwa dahin missverstanden zu wer- 
den, dass ich mit diesem Nachweis die Ansicht eines isolierten 
Nebeneinanderbestehens oder nur einer weitgehenden Differen- 
zierung der motorischen Centra für die beiden Extremitäten zu ver- 
fechten beabsichtige. Vielmehr halte ich ein ähnliches Ineinander- 
greifen der einzelnen Innervationsfelder, wie Herr Paneth dies 
neuerdings demonstriert hat, für sehr wahrscheinlich. Außerdem weiß 
ich sehr wohl, dass man durch tiefe Eingrifte in das Vorderhirn die 
mannigfaltigsten Kombinationen von Erscheinungen hervorbringen 
kann. Dagegen halte ich den Nachweis der Existenz von motori- 
schen Zentren in der Rinde durch die Gesamtsumme dieser Erfah- 
rungen, sowie durch die von gleichen Resultaten gefolgten oberfläch- 
lichen Anätzungen der Rinde für hinreichend erbracht. Meine Auf- 
fassung dürfte sich mit der des Herrn Exner, der ja auch wohl 
Herrn Paneth inspiriert hat, ungefähr deeken. — 

Bei weitem schwieriger und komplizierter ist die Lösung der 
zweiten Frage, der Frage nach der Bedeutung dieser Zen- 
tren. Freilich ist bei ihrer Bearbeitung von auf die Rinde isolierten 
Angriffen schon lange nicht mehr die Rede gewesen. Die Hauptrolle 
in der Diskussion spielt hier die Restitution, die Erfahrung, dass 


566 Hitzig, Funktionen des Großhirns. 


Funktionen, welche nach Exstirpationsversuchen verloren gegangen 
waren, sich wieder einstellen. Man wird ja den Gegnern, denen sich 
hierin auch von Gudden angeschlossen hat, selbstverständlich insoweit 
recht geben können und müssen, dass durch die Wiederkehr einer 
temporär verloren gegangenen Funktion die fernere Existenz eines 
einer solchen Funktion fähigen Organs bewiesen wird. Nicht bewiesen 
wird aber damit, dass die entfernte Hirnpartie nicht ursprünglich zum 
Teil oder ganz das zur Ausübung jener Funktion bestimmte Organ 
war. Thatsächlich kommt es nun aber niemals zu voller 
Restitution der nach großen Zerstörungen der motori- 
schen Zone verloren gegangenen Funktionen. Freilich geht 
Herr Munk viel zu weit, wenn er sagt: „die völlige Zerstörung der 
Fühlsphäre eines Körperteils muss dem bleibenden Verlust aller Ge- 
fühle und Gefühlsvorstellungen des Körperteils — Rindenlähmung 
(Rindenbewegungs- und Rindengefühlslosigkeit) des Körperteils zur 
Folge haben“. Die völlige Zerstörung einer solchen Sphäre hebt näm- 
lich niemals die sämtlichen Gefühle und Gefühlsvorstellungen des 
zugehörigen Körperteils dauernd auf; aber im Prinzip lassen sich 
alle Störungen, welche ursprünglich vorhanden gewesen sind, noch 
nach beliebiger Zeit, und ich habe solche Hunde absichtlich deswegen 
mehrere Jahre lang am Leben erhalten, nachweisen. Die Hunde 
bringen die betreffende Extremität in ungewöhnliche Stellungen, sie 
lassen mit ihr allerhand Dinge vornehmen, die sie mit der kontra- 
lateralen nicht vornehmen lassen, und sie zeigen sogar auch eine 
persistente Alteration des Tastsinnes. 

Vor allem aber sind sie derjenigen Bewegungungsformen verlustig 
gegangen, welche — wie Herr Schiff sich ausdrückt — einem be- 
sonders auf sie gerichteten Willensakt ihre Entstehung ver- 
danken. Herr Goltz war es selbst, der das erste schlagende hierher- 
gehörige Beispiel bekanntgab, indem er fand, dass abgerichtete 
Hunde die Pfote nicht mehr geben konnten. Ich rechne die neuer- 
dings von ihm gefundene Thatsache, dass der Hund mit doppelseitiger 
Verstümmelung des Vorderhirns den Kopf nicht mehr willkürlich an 
die Nahrung heranzubringen vermag, gleichfalls hierher. Die Herren 
Munk und Schiff haben die Zahl dieser Beispiele seither weiter 
vermehrt. Namentlich ist ein von dem letztern Forscher erzähltes 
Beispiel sehr drastisch. Ein Affe, der seine Extremitäten zum laufen 
und klettern vortrefflich zu gebrauchen verstand, konnte Hand und 
Arm ungeachtet aller Mühe, die er sich offenbar gab, behufs Ergrei- 
fung einer Frucht nicht in Bewegung setzen. 

Auch ich kann die Zahl dieser Beobachtungen um eine, wie mir 
scheint, sehr überzeugende vermehren. Bereits in meinen ersten 
Publikationen hatte ich auf verschiedene Anomalien aufmerksam ge- 
macht, die sich an operierten Hunden beobachten lassen, die man in 
der Schwebe hält. Seitdem ist diese überaus fruchtbare Untersuchungs- 








Hitzig, Funktionen des Großhirns. 567 


methode nun von mehrern andern Forschern, namentlich von den 
Herren Schiff, Bianehi und Lueiani angewendet worden, ohne 
dass ich jetzt näher auf alles hierher gehörige eingehen könnte?). 
Ich muss mich damit begnügen, eine früher bereits von mir an- 
geführte Thatsache in ihrem Umfange und ihrer Bedeutung zu erwei- 
tern. Ich gab damals an, dass schwebende Hunde, denen man den 
linken Gyrus sigmoides genommen hat, auf Berührung der Sohlen 
zwar die linke, aber niemals die rechte Vorderpfote fortziehen. Wenn 
man nun den Versuch in der Art abändert, dass man eine lange 
Nadel einer Pfote nach der andern nähert, als ob man stechen wollte, 
so sieht man, nachdem man den Hund einmal gestochen hat, folgen- 
des: sobald man die Nadel der linken Pfote nähert, zieht das Tier 
dieselbe an den Leib, nähert man sie aber der rechten Pfote, so bleibt 
diese, obwohl der Hund der Bewegung der Nadel aufmerksam mit 
den Augen folgt, in gestreckter Stellung herabhängen. Ob man die 
Nadel nun vor dem linken oder dem rechten Auge vorbeiführt, das 
ist ganz gleichgiltig. Wiederholt man den Versuch, so fängt der 
Hund an zu winseln, zu bellen oder wohl gar nach der Nadel zu 
beißen, aber niemals setzt er die rechte Pfote isoliert in Bewegung. 
Dagegen fängt er nach einiger Zeit regelmäßig an, mit allen vier 
Extremitäten Schwimm- oder Laufbewegungen in der Luft zu machen. 
Selbstverständlich eignet sich nicht jeder Hund gleichmäßig zu diesem 
Versuche, da einzelne überhaupt sich apathisch verhalten, andere da- 
gegen von vornherein Schwimmbewegungen machen. Dagegen habe 
ich niemals einen Hund beobachtet, der die isolierte Fluchtbewegung 


1) Es ist in mancher Beziehung nicht gleichgiltig, ob man Hunde, wie ich 
dies bei meinen frühern Versuchen that, mit 2 Händen an der Rückenhaut 
gefasst in der Schwebe hält, oder ob man sie, wie dies für andere Versuche 
erforderlich ist, in einem Apparat aufhängt. Letzteres kann man derart 
machen, dass man in ein Stück Sackleinwand 4 Löcher für die Extremitäten 
schneidet, die Leinwand über dem Rücken des Hundes zusammenschlägt, sie 
mit einigen spitzen Doppelhaken durchbohrt und letztere an einem Längs- 
balken aufhängt. — Die anlässlich der Naturforscherversammlung von mehrern 
Herren demonstrierten Sehprüfungen veranlassen mich, nebst dieser Methode 
auch die Art anzuführen, deren ich mich zur Untersuchung von Sehstörungen 
bediene. 1) Dem Hunde, welchem ein Auge verbunden ist, werden ganz kleine 
Stückchen Fleisch mit einer Pinzette von hinten her, also über den Kopf weg 
zuerst zwischen Nase und Auge gezeigt. Auf diese Weise wird das ganze Ge- 
sichtsfeld erst des einen, dann des andern Auges abgesucht. 2) ®& den ein- 
zelnen Teilen des Gesichtsfeldes werden nahe dem Auge die Branchen einer 
Pinzette schnell und wiederholt geöffnet und geschlossen. Wo der Hund sieht, 
folgt in der Regel synchronisches Blinzeln; wo er nicht sieht, bleibt dies 
aus. — Die Anwendung der Schwebe empfiehlt sich für diese Methoden, weil 
die Hunde in derselben die Beobachtung nicht durch massenhafte Bewegungen 
zu stören pflegen, wie dies bei allen Versuchen, die in Berlin gezeigt wurden, 
der Fall war. 


568 Hitzig, Funktionen des Großhirns. 


mit der rechten Pfote wieder gelernt hätte, wenn ihm wirklich der 
ganze Gyrus sigmoides genommen war, obwohl ich, wie ich das aus- 
drücklich wiederhole, einzelne Hunde über 2 Jahre lang am Leben 
erhielt. 

Ich hatte die mangelnde Reaktion bei Berührung der Sohle seiner- 
zeit auf eine fortbestehende Alteration des Tastsinnes bezogen, und 
eine solche ist auch aus andern Gründen nicht auszuschließen. Da- 
gegen kann die Bewegungslosigkeit bei Annäherung der Nadel nicht 
auf eine Störung des Tastsinns bezogen werden, sie ist vielmehr, 
grade wie die vorhin angeführten Beispiele, auf eine Lähmung der 
isolierten intentionellen Bewegung zurückzuführen. Ebenso 
wenig wie die Fähigkeit, die bedrohte Pfote zurückziehen, habe ich 
jemals die Fähigkeit, die Pfote zu geben, wiederkehren oder die 
andern vorher geschilderten Anomalien verschwinden sehen, wenn 
wirklich der ganze Gyrus sigmoides ausgeschaltet war. 
Oft haben kleinere Verletzungen den gleichen dauernden Erfolg gehabt, 
was ja natürlich von Zufälligkeiten abhängig ist; wenn die fraglichen 
Störungen sich aber gänzlich ausglichen, dann fand sich jedesmal 
eine beträchtliche Portion jenes Gyrus erhalten. Ich will hiermit die 
Möglichkeit der Restitution der isolierten intentionellen Innervation 
des Vorderbeines durch Eintritt der gleichnamigen Hemisphäre, oder 
der Nachbarschaft des verletzten Gyrus sigmoides nicht bestreiten. 
In meinen Versuchen hat sich aber die Notwendigkeit, diese Erklä- 
rung heranzuziehen, noch nicht gezeigt. 

Herr Goltz argumentiert nun bekanntlich seit längerer Zeit mit 
einzelnen Fällen, bei denen sich ungeachtet gänzlicher Fortnahme 
des Gyrus sigmoides und größerer Partien des Vorderhirns einer 
Seite alle Störungen vollkommnen verloren haben sollen und 
von Gudden hat sich ihm angeschlossen. Hätten sie recht, so wäre 
damit die Richtigkeit der Lehre von der gesetzmäßigen Folge von 
Ursache und Wirkung, und damit der Boden, auf dem wir alle arbeiten, 
erschüttert. Ich glaube deshalb vorläufig noch, dass bei den fraglichen 
Versuchen, irgend ein Fehler mit untergelaufen ist. 

Jedenfalls sind wir ja gegenwärtig insofern mit Herrn Goltz 
einig, als nach dessen neuesten Angaben die Hunde bei doppel- 
seitiger tiefer Verletzung des Vorderhirns „die Fähigkeit ver- 
lieren, bestimmte Gruppen von Muskelfasern — wie er 
sich ausdrückt — zweckentsprechend bei gewissen Hand- 
lungen spielen zu lassen“ Mir scheint, die Definition, wenn 
auch weniger scharf gefasst, deckt sich ebenso sehr mit der von 
Schiff formulierten und von mir vorher angeführten, wie sich die 
ihr zu grunde liegende Thatsache, dass die Hunde Knochen nicht 
mehr mit den Pfoten zu erfassen vermögen, mit den vorher angeführ- 
ten Thatsachen deckt. Es kommt auf das Gleiche hinaus, ob nun 
der Hund die Pfote nicht reicht, oder sie vor der drohenden Nadel 


Hitzig, Funktionen des Großhirns. 569 


nicht zurückzieht, oder den Knochen nicht erfasst, oder ob der Affe 
die begehrte Feige mit der rechten Hand nicht zu ergreifen vermag. 
So groß, wie es den Anschein hat, sind die bestehenden Differenzen 
also gegenwärtig nicht mehr. — 

Die nach Eingriffen in die motorische Zone entstehenden Krank- 
heitserscheinungen habe ich — in zwei Arbeiten aus den Jahren 1873 
und 1876 — insoweit sie damals bekannt waren, als Ausdruck 
von Störungen der Vorstellungsthätigkeit betrachtet. Der 
Hund bewegt seine Glieder nicht oder unvollkommen, weil er sich 
keine oder nur unvollkommene Vorstellungen mit bezug auf diese 
Glieder zu bilden vermag. Ich brauche Ihre Zeit für die Wieder- 
holung dieser Auseinandersetzungen um so weniger in Anspruch zu 
nehmen, als Herr Munk ja, wenn auch erst seit dem Jahre 1878, 
der gleichen nur wenig modifizierten Lehre zu größerer Publizität 
verholfen hat. 

Es versteht sich von selbst, dass keines von diesen Tieren, auch 
wenn ihm die größten Verletzungen beigebracht worden sind, so dass 
seine Vorstellungsthätigkeit aufs äußerste beschränkt ist, deshalb 
Lähmungen im Sinne absoluter Bewegungslosigkeit zeigen 
muss. Wenn Kaninchen, denen das ganze Großhirn genommen ist, 
noch laufen können, so ist nicht einzusehen, aus welchem Grunde 
Hunde, denen nur ein Teil desselben fehlt, nicht laufen oder sich 
sonst bewegen sollten. Niemand, auch nicht Herr Munk, hat etwas 
Derartiges behauptet. Die bezüglichen Angriffe des Herrn Goltz, 
denen v. Gudden sekundierte, sind deshalb gegenstandslos. Ich bin 
sogar der Ansicht, dass die nach ganz großen Zerstörungen in den 
ersten Tagen beobachteten Hemiplegien nur Shok-Erscheinungen sind. 
Sie verlieren sich sehr bald, und es besteht dann zunächst die hoch- 
gradigste Regellosigkeit der gesamten Muskelinnervation, bis auch 
diese sich, wie bekannt, allmählich bis zu einem gewissen Grade 
wieder ausgleicht. Mir scheint die Erklärung für dieses Verhalten 
darin zu liegen, dass die niedern Bewegungszentren auf ein bestimmtes 
Maß und eine bestimmte Verteilung der zu ihnen gelangenden zerebralen 
Reize eingeübt sind und im übrigen für die feinere Regulierung der 
Bewegungen der steten Kontrole des Bewegungserfolges durch die 
zerebralen Zentren bedürfen. Unzweifelhaft stehen die Reize, welche 
bald nach dem Eingriffe zu jenen Zentren — und ich meine vornehm- 
lich das Rückenmark — gelangen, in dem größten Missverhältnisse zu 
dem Spiele der gewohnten Uebung. Allmählich werden diese Mecha- 
nismen aber auf die veränderten Umstände eingeübt kraft des An- 
passungsvermögens, das wir diesen Organen ja allgemein zuschreiben, 
und damit verschwindet dieser Teil der Störungen. Derjenige 
Teil derselben, welcher von dem Ausfall der Kontrole durch die Be- 
wegungsvorstellungen abhängt, verschwindet aber nur nach Maßgabe 
des Fortbestandes der den Bewegungsvorstellungen dienenden Organe, 


570 Nussbaum, Umstülpung der Polypen. 


mögen sich diese nun in der verletzten oder der unverletzten Hemi- 
sphäre befinden. 

Es ist sofort klar, dass durch diese Art der Erklärung das Ver- 
ständnis für die Thatsache eröffnet wird, dass das Maß der Restitution 
in dem Grade unvollkommen ausfällt, in welchem das geschädigte 
Gehirn der einzelnen Tierspecies mehr zu isolierter intentioneller Be- 
wegung befähigte Organisationen besitzt. Und aus diesem Grunde 
mögen sich die Abweichungen in dem Verhalten der Motilität, welche 
man infolge von Läsionen des Affen- und namentlich des Menschen- 
gehirns findet, wenigstens zum Teil erklären. Ein anderer Teil der 
bei hemiplegischen Menschen zu beobachtenden Abweichungen ist 
aber nur scheinbar ein Produkt der Lähmung, erwächst in Wirklich- 
keit aber aus einem Reizungssymptom, der durch die absteigende 
Degeneration bedingten, auf Irritationszuständen der grauen Substanz 
des Rückenmarks beruhenden Kontraktur. Auch der hemiplegische 
Mensch vermag in der Regel, wie der Hund, die einfache Lokomotion 
relativ gut zu vollziehen, nur dass sich dabei die fatale, das Bein in 
eine Stelze verwandelnde Extensionskontraktur einstellt. — 

Meine Herren, ungeachtet der großen in den letzten 16 Jahren 
auf das Studium der Funktionen des Großhirns verwendeten Arbeits- 
kraft sind unsere Kenntnisse von denselben noch höchst rudimentär. 
Das gilt auch von dem Thema, das ich heute aus dem Gesamtstoff 
— ich möchte sagen — herausgerissen habe. Und gleichwohl bin 
ich mir der Unvollkommenheit, welche meine Schilderung dieses Rudi- 
mentes an sich trägt, voll bewusst. Um so bereitwilliger erkenne ich 
aber die Förderung an, welche unserer Erkenntnis im Kampfe grade 
von den Gegnern zuteil geworden ist. 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin. 
Sektion für Zoologie. 

1. Sitzung. Herr M. Nussbaum hält den angekündigten Vortrag: „Ueber 
die Umstülpung der Polypen“ und demonstriert im Anschluss daran 
eine Reihe bezüglicher Präparate. An Polypen hat Trembley zuerst experi- 
mentiert. Seine Beobachtungen und die Art der Beschreibung sind auch heute 
noch wahre Muster trefflicher Detailforschung. Trotzdem hat es, und zwar 
mit der Entfernung wachsend, nicht an Stimmen gefehlt, die einige der Trem- 
bley’schen Versuche in Zweifel ziehen. Das gilt hauptsächlich von der Um- 
stülpung. Erfolgreich bei seinen eignen Bemühungen glaubte Trembley, der 
an der Rückkehr zur natürlichen Lagerung seiner Leibesschichten gehinderte 
Polyp wandle sein nach außen verlagertes inneres Blatt zum Ektoderm um, 
und dieselbe Umänderung vollziehe sich an dem durch die Umstülpung nach 
einwärts gekehrten Ektoderm das sich zur innern Hautschicht umbilde. Nach 
unsern heutigen Kenntnissen besteht der Leib der Süßwasserpolypen aus zwei 
Zellschichten, getrennt dureh eine in ibrer Dicke ungleichmäßige Stützlamelle. 
In der äußern Schicht finden sich Muskelzellen, verschiedene Formen von 


Nussbaum, Umstülpung der Polypen. ayal 


Nesselorganen und im Bereich des Rumpfes, nicht an den Tentakeln, vermeh- 
rungsfähige Zellen, die ein Keimlager für die Neubildung abgängiger Elemente, 
namentlich der Nesselorgane darstellen und zugleich die Bildungsstätte der 
Geschlechtsprodukte abgeben. Die Vermehrung dieser Zellenkomplexe ge- 
schieht auf dem Wege der Mitose. Die innere Leibesschicht besteht in den 
Tentakeln aus resorbierenden Zellen, im Rumpfteil sind sezernierende Zellen 
beigesellt. Das Entoderm flimmert. Die Muskelfasern des Ektoderms sind der 
Länge, die des Entoderm der Quere nach geordnet. Der Fuß der Süßwasser- 
polypen ist, wie schon Trembley angegeben hatte, durchbohrt. Er wird 
außen von Drüsenzellen bekleidet, die aber, meiner Meinung nach, im Ektoderm 
auch an allen andern Stellen sich finden; nur ist die Ausbildung der sekreto- 
rischen Zone in den Zellen nicht so groß, als am Fußteil. Es stimmen aber 
die Granula in den Muskelzellen mit den Körnern in den Drüsenzellen des 
Fußes überein. In diesem Falle, wie in vielen andern, häufen sich also die 
Funktionen der Zellen. Die Muskelzellen scheiden durch Umwandlung der 
Granula die Cutieula ab; die Fußzellen ein weicheres Sekret, wie dies bei 
Würmern von den Zellen der Hypodermis bekannt ist. Die verästigten Zellen, 
welche Jickeli im Ektodeım aufgefunden und als Ganglienzellen gedeutet 
hat, finden sich auch im Entoderm. Durch die Färbung lassen sich bei Hydra 
fusca und Hydra viridis Ektoderm und Entoderm mit der Lupe gut unter- 
scheiden, so dass die Erfolge der Umstülpung schon mit geringen optischen 
Hilfsmitteln zu studieren sind. Wie Trembley angegeben, liegt nun in der 
That beim umgestülpten und dann festgehefteten Polypen nach einiger Zeit an 
der Außenfläche das charakteristische Ektoderm; die Magenhöhle wird wiederum 
vom Entoderm ausgekleidet. Eine Umwandlung hat aber nicht stattgefunden, 
sondern eine Umlagerung, indem das Ektoderm namentlich von der Durch- 
bohrungsstelle und den Tentakeln aus über das nach außen gestülpte Entoderm 
hinüberkriecht. Ist die Umwachsung vollzogen, und entfernt man den Polypen 
von dem Fixierungsmittel, so lebt der Polyp fort, als ob er keinen Eingriff 
erlitten hätte. Wenn ich noch hinzufüge, dass es mir gleich Trembley nur 
gelungen ist, aus Teilstücken des Polypenleibes ganze Polypen wieder heran- 
zuzüchten, aus abgeschnittenen Tentakeln aber nicht, so glaube ich die Er- 
klärung für diese Erscheinung in dem Mangel von Bildungszellen an den Ten- 
takeln finden zu müssen. Inbetreff einer ausführlichen theoretischen Erörterung, 
die sich an diese Versuche anschließen würde, sei auf eine demnächst erschei- 
nende Arbeit verwiesen und hier nur folgendes hervorgehoben: 

1) Die Konstanz der Gewebe ist dieselbe wie die der Arten. Aus Elemen- 
ten des Ektoderms kann durch künstliche Bedingungen kein Entoderm gebildet 
werden; ebenso wenig findet das Umgekehrte statt. 

2) Während bei den einzelligen Individuen zur Restitution des Ganzen ein 
Bruchteil von Kern und Protoplasma genügt, ist zum Wiederaufbau eines aus 
differenten Zellen zusammengesetzteu Organismus mindestens ein Bruchteil von 
Zellen der verschiedenen Leibesschichten erforderlich, und nur mit bezug auf 
die Restitution durch die Geschlechtsprodukte gilt die für Protozoen maß- 
gebende Norm. 

3) Die künstliche Teilung der Protozoen und Polypen, sowie die Umstülpung 
der Hydren, sind gewichtige Argumente zu gunsten der von mir begründeten 
Iheorie von der Vererbung, die in ähnlicher Form auch Weismann vertritt 
und mit dem Namen der Lehre von der Kontinuität des Keimplasmas belegt 
hat. — Herr Eimer (Tübingen) bemerkt, dass in seinem Laboratorium seit 
längerer Zeit Versuche über die Umstülpung von Hydra ausgeführt worden 


572 Tacke, Spaltpilze und Stickstoff im tierischen Stoffwechsel. 


sind und zwar mit dem Erfolg, dass die Tiere nachher in derselben Weise wie 
vorher weiter lebten. Indess war es zu dem Gelingen des Versuchs notwendig, 
dass die Hydren vorher tüchtig gefüttert worden waren; andernfalls gelangen 
dieselben nicht. — Herr M. Nussbaum erwidert, die künstliche Fütterung 
durch Befreiung des Polypen von seinem fesselnden Draht nach gelungenem 
Versuch umgangen zu haben. — Herr Haacke (Adelaide) fragt, wie es sich 
mit der Angabe von Engelmann verhalte, welcher behauptet, aus ganz 
klelnen Tentakelstücken fünfarmige Polypen erzogen zu haben. — Herr M. 
Nussbaum entgegnet, mit dem Wortlaut der Engelmann’schen Mitteilung 
zur Zeit nicht vertraut genug zu sein, um eine definitive Entscheidung treffen 
zu können betreffend die Erfolge dieses Biologen bei der Züchtung von ganzen 
Polypen aus abgeschnittenen T'entakeln. Der Vortragende beruft sich auf die 
Divergenz der Meinungen, die schon im vorigen Jahrhundert über diesen Punkt 
bestanden hat, verweist auf Trembley, Rösel von Rosenhof und wieder- 
holt die von ihm selbst versuchte Erklärung für die negativen Erfolge Trem- 
bley’s und seiner selbst. — Herr K. Möbius (Kiel) bemerkt, dass nach 
Untersuchungen von A. Meyer (die im Tageblatt der Naturforscher-Versamm- 
lung zu Hannover veröffentlicht sind) bei Zucernaria octoradiata nur Teil- 
stücke des Rumpfes sich zu ganzen Tieren ergänzen. Teilstücken von 
Tentakeln fehlt dieses Vermögen. — Herr M. Nussbaum begrüßt diesen 
weitern Beleg für die Schwierigkeit der Aburteilung in dieser Frage ohne 
genaue Kontrole der betreffenden Versuche. 


Sektion für landwirtschaftliches Versuchswesen. 


1. Sitzung. Nach den Vorträgen der Herren Landolt und Hellriegel 
sprach Herr Tacke über die Bildung von gasförmigem Stickstoff 
im tierischen Stoffwechsel unter dem Einflusse von Spaltpilzen. 
Ref. hat vor längerer Zeit Respirationsversuche über die Ausscheidung gas- 
förmigen Stickstoffs angestellt. Die durch Trachealfistel mit dem Respirations- 
apparate verbundenen Tiere waren unter Wasser versenkt, alle Verschlüsse 
durch Glas und Quecksilber gedichtet. Der Sauerstoff wurde unmittelbar aus 
der Retorte in den Respirationsapparat geleitet, außerdem durch Analysen 
von Gasproben, zu verschiedenen Zeiten des Versuches entnommen, über den 
regelmäßigen Verlauf desselben Gewissheit gewonnen. 

Es ergab sich, dass Kaninchen meist eine geringe Menge Stickstoff aus- 
atmeten, die jedoch die Grenze der Versuchsfehler überschritt. Größer wurden 
die Stickstoffmengen, wenn lebhafte Fermentationsprozesse im Darme der Ver- 
suchstiere verliefen, so dass dieselben am Ende des Versuches Meteorismus 
zeigten. Dieses trat aber namentlich nach Fütterung mit schon in Zersetzung 
übergegangenem Futter, Abfallblättern, Kohl ete. ein. Sodann wurde bei einer 
Anzahl von Versuchen den Tieren durch eine Schlundfistel salpetersaures und 
salpetrigsaures Ammoniak beigebracht, nachdem vorher mehrere Stunden die 
Stickstoffausscheidung gemessen war. Nach der Einführung des Nitrates bezw. 
Nitrites stieg die Stickstoffausscheidung um ein Bedeutendes. Die Fermenta- 
tionsprozesse im Darmkanale sind offenbar der Grund dieser Erscheinung, indem 
sie die eingeführten Salze zerlegen. 

Um für diese Ansicht einen thatsächlichen Anhalt zu gewinnen und zu 
dem über die Entwicklung von gasförmigem Stiekstoff durch Gärung, welche 
in manchen Punkten noch zweifelhaft nnd unsicher ist, Aufschluss zu erlangen, 
hat Ref. eine Reihe von Gärungs- bezw. Fäulnisversuchen angestellt. 





Taeke, Spaltpilze und Stickstoff im tierischen Stoffwechsel. A173 


Es liegt bei der großen Wichtigkeit, welche diese Frage hat, eine Reihe 
von Untersuchungen vor, welche beweisen, dass in stickstoffhaltigen Substanzen 
durch Fäulnis ein bedeutender Stickstoffverlust eintreten kann, selbst wenn 
ein Entweichen von Ammoniak durch die Versuchsanordnung unmöglich ge- 
macht war. Hieraus hat man geschlossen, dass der Stickstoff als solcher gas- 
förmig oder in einer nicht durch Säuren bezw. Alkali absorbierbaren Verbin- 
dung entweichen müsse. Die vorhandenen Versuche zeigen im einzelnen manches 
Widersprechende. Versuche, bei denen der freigewordene Stickstoff direkt 
bestimmt wurde, liegen in geringerer Anzahl vor und sind, weil die Möglich- 
keit einer Diffussion mit der Atmosphäre nicht ausgeschlossen war, nicht un- 
bedingt beweisend. 

Dietzell fand in faulenden Substanzen freie salpetrige Säure und führt 
das Auftreten derselben auf eine Oxydation und die Stickstoffverluste auf die 
Einwirkung der salpetrigen Säure auf Ammoniak oder amidartige Substanzen, 
wie sie sich bei der Fäulnis bilden, zurück. Meusel beobachtete das Ent- 
stehen von Nitraten aus Nitriten bei Gegenwart faulender Eiweißstoffe. Ref. 
stellte eine Reihe von Fäulnisversuchen in durch Glas und Quecksilber voll- 
ständig abgeschlossenen Räumen an. Als Gärmaterial dienten Mehl, Fleisch, 
Klee, Rüben u. dergl., als Infektionsmasse Darminhalt von Kaninchen, Erde 
aus Abfallgruben, Kloakenschlamm, fauler Käse. Es kam ihm zunächst nicht 
darauf an, die nähern Bedingungen der Stickstoffentwicklung kennen zu lernen 
und zu untersuchen, ob vielleicht dieselbe nur durch bestimmte Organismen 
verursacht werde, sondern es sollte das Vorhandensein derselben überhaupt 
sichergestellt werden; deshalb verwendete er zur Erregung der Fäulnis mög- 
lichst bakterienreiche Materialien, mit welchen die verschiedenen Substanzen 
bald in schwach alkalischer, bald in schwach saurer Lösung versetzt wurden. 
Die Gärräume wurden bei den einzelnen Versuchen entweder luftleer gepumpt, 
oder mit Sauerstoff, Wasserstoff, Kohlensäure bis zum vollständigen Freisein 
von Stickstoff ausgespült. Die gärenden Gemische wurden durch Wasserbäder 
auf Temperaturen zwischen 35—40° C gehalten. Die der Fäulnis unterworfenen 
Mengen waren, um nicht zu große Apparate zu benötigen und nicht zu große 
Gasmengen bewältigen zu müssen, relativ klein (5 —25 g). 

Es gelang in keinem der besprochenen Fälle, größere Stickstoffmengen 

nachzuweisen; dieselben schwankten zwischen 1—4°/, des kohlensäurefreien 
Gases, so dass die absoluten Mengen des entwickelten Stickstoffs gegenüber 
den von andern beobachteten Stickstoffverlusten sehr klein waren. Salpetrige 
Säure war in den faulenden Gemischen zu Ende der Versuche nicht nach- 
weisbar. 
Wurden dagegen nitrithaltige Substanzen der Fäulnis unterworfen, so 
stellten sich die Ergebnisse anders. Geschabte Rüben lieferten in einem Falle 
ein Gas mit 28,49 °/, Stickstoff. In einem andern Versuche wurde eine Fäulnis 
(5 g Fleisch) mit faulendem Käse unter Zusatz von kleinen Mengen Salpeter 
in Gang gebracht, der Apparat wurde luftleer gemacht und nach 8 Tagen die 
erste Gasprobe entnommen. Dieselbe war schwefelwasserstoffhaltig und ent- 
hielt 83,3°/, Kohlensäure, das kohlensäurefreie Restgas 15,69 °/, Stickstoff neben 
83,09°%/, Wasserstoff und geringen Mengen Kohlenwasserstoff. 

Die Gesamtmenge des entnommenen Gases betrug etwa 120 cem; die ab- 
solute Menge des kohlensäurefreien Restgases 19,07 cem, die absolute Menge 
des darin vorhandenen Stickstoffs 2,99 eem reduziert. Die Gärung kam da- 
durch, dass beim Auspumpen durch ein Versehen etwas Quecksilber in das 
Gärgefäß gelangte, zum Stillstand. 


574 Fürstner, Experimentelle Untersuchungen des zentralen Nervensystems. 


Wenngleich die absolute Menge des entwickelten Stickstoffs auch hier 
noch sehr gering ist, so ist doch der Unterschied gegenüber den frühern Ver- 
suchen auffallend genug und gab Veranlassung, die Fäulnis bei Gegenwart von 
salpetersauern Salzen weiter zu untersuchen, um damit zugleich auch über die 
im Tierkörper verlaufenden Prozesse Aufschluss zu gewinnen. Es handelt sich 
hier offenbar um eine Reduktion, bei welcher der durch Gärung gebildete 
Wasserstoff als im Status nascens die Nitrate ebenso wie die schwefelsauren 
Salze reduziert. 

Wurden Klee, Fleisch, Mehl und Gemische dieser Substanzen der Fäulnis 
bei Luftzutritt unterworfen, so war nach kürzerer oder längerer Zeit keine 
salpetrige Säure nachweisbar. Wenn dem gärenden Gemische dann eine ver- 
dünnte Salpeterlösung zugesetzt wurde, ließ sich nach einiger Zeit (4 —8 St.) 
salpetrige Säure in reichlicher Menge nachweisen. Nach mehrern Tagen waren, 
wenn die einer energisch verlaufenden Gärung zugesetzte Menge Salpeter nicht 
mehr als 0,1—0,2 g auf 6—10 g gärenden Materials betrug, Nitrat und Nitrit 
bis auf zweifelhafte Spuren verschwunden. Es handelt sich hierbei also um 
eine energische Reduktion, welche die Salpetersäure zu salpetriger Säure und 
diese unter Umständen zu Ammoniak bezw. freiem Stickstoff reduziert. Die 
Endreaktion der gärenden Gemische war stets schwach sauer. 

Da Ammoniak reichlich darin enthalten war, so ist hier außerdem die 
Möglichkeit der Entwicklung von gasförmigem Stickstoff in größerer Menge 
durch Einwirkung der salpetrigen Säure auf Ammoniak ete. gegeben. Inwieweit 
dieses in Lösungen eintritt — beim eintrocknen derartiger faulender Gemische 
wird die Entwicklung von gasförmigem Stickstoff durch Zersetzung des salpetrig- 
sauern Ammoniaks sicher eintreten — und inwieweit noch niedrigere Oxyda- 
tionsprodukte des Stickstoffs entstehen, hat Ref. noch nicht untersuchen 
können. 

Geschabte Runkelrüben wurden in Gefäßen, welche mittels der Wasser- 
strahlpumpe nahezu luftleer gemacht worden waren, der Fänlnis überlassen. 
Nach 8 Tagen wurde Luft zugelassen, und es zeigte sich in dem Gärungsgefäße 
eine intensive rote Färbung durch Oxydation von Stickoxyd zu Untersalpeter- 
säure bezw. salpetriger Säure. Nach nochmaligem Auspumpen und &tägigem 
Stehenlasseu war bei Zutritt von Luft die Rotfärbung weniger deutlich, durch 
Jodkaliumstärkepapier ließ sich jedoch in der Luft des Gärungsgefäßes das 
reichliche Vorhandensein von salpetriger Säure nachweisen. Diese Bildung 
von Stickoxyd durch Reduktion vorhandener Salpetersäure, wenn auch nicht 
in so reichlicher Menge, wurde schon früher bei Gärung von Melasse bezw. 
Zuckersäften nachgewiesen. Die vollständige Reduktion der Salpetersäure und 
die Umsetzung der salpetrigen Säure, sowie die Energie, mit welcher die Re- 
duktion verläuft, geben für die oft sehr großen Stickstoffverluste eine Erklä- 
rung. Die Befunde stützen zudem die Ansicht über die Ausscheidung von 
Stickstoff aus dem Tierkörper, besonders nach der Einfuhr von Nitraten, zumal, 
da die Versuchstiere dann vorzugsweise große Mengen Wasserstoff neben 
geringen Mengen Kohlenwasserstoff ausatmeten, und machen das Verschwinden 
großer Mengen eingeführter Salpetersäure, wie es die Versuche von Weyl 
und Kossel darthun, erklärlich. 


Sektion für Neurologie und Psychiatrie. 


1. Sitzung. Herr Fürstner: Ueber experimentelle Untersncehungen 
im Bereich des zentralen Nervensystems. Herr Fürstner rekapi- 
tuliert zunächst die Drehversuche, die Mendel und Hack anstellten, wobei 


Fürstner, Experimentelle Untersuchungen des zentralen Nervensystems. 575 


noch 14 Tage klinische Erscheinungen und Symptome, wie Mendel glaubte, 
der Paralyse entsprachen. Die zu grunde gegangenen Tiere boten einen älın- 
lichen anatomischen Befund wie Paralytiker. Fürstner hat nun Hunde mit dem 
Kopf nach der Peripherie auf einer Drehscheibe befestigt, gedreht und zwar 
rechts, oder nach links, und zwar in möglichst geringer Itensität 1—2 Minuten 
des Tags, dann öfter 60—80 Drehungen in der Minute. Fürstner erzielte 
auf diese Weise bei Tieren, die 5/, Jahre, 9 Monate gedreht waren, doppel- 
seitige Degeneration der Seitenstränge, außerdem Degeneration eines bestimm- 
ten Abschnittes der Hinterstränge, bei andern war nur ersteres erkrankt. Die 
Degeneration ist eine primäre; bei nach rechts gedrehten Tieren ist sie links 
stärker und umgekehrt geht auch durch die Medulla weiße und graue Substanz, 
im übrigen intakt. Fürstner fand ferner Veränderungen des Augenhinter- 
grundes, in einem Fall beginnende atrophische Prozesse im Opticus Im Hirn 
fand Fürstner ähnliche Veränderungen wie Mendel beim Hunde. Klinisch 
hebt Fürstner hervor das leichtere Benommenwerden der Tiere, welche 
längere Zeit gedreht, vermehrte Speichelsekretion, Durst, paralytische Anfälle; 
später nach Monaten treten klinische Erscheinungen in Extremitäten auf, die 
als spinal bedingt anzusehen sind. Es gelingt also ohne direkte Verletzung 
der Nervensubstanz mit dieser Methode zu erreichen eine Degeneration der 
Pyramiden- und partiell der Hinterstränge, vielleicht atrophische Prozesse im 
Optieus. Fürstner hebt ausdrücklich hervor, dass alle diese Fragen noch ge- 
nauen Studiums bedürften, er habe nur die Anregung zu erneuten Versuchen auf 
diesem Gebiete geben wollen. — Herr Mendel bemerkt, dass seine bisherigen 
Publikationen nur den Ckarakter einer vorläufigen Mitteilung hatten. Er freue 
sich im übrigen, dass im wesentlichen seine Beobachtungen und Befunde an 
den gedrehten Hunden durch Fürstner bestätigt worden sind. Einzelne Ab- 
weichungen ergaben sich aus den nicht ganz gleichen Methoden. Dass Störungen 
im Bellen und Urinlassen eintraten, was Fürstner nicht beobachtete, hat 
an seinen Hunden Professor Munk bestätigt. Was den pathologisch - anatomi- 
schen Befund anbetrifft, so werde er hoffentlich noch im Laufe der Sektions- 
sitzungen Gelegenheit haben, zu demonstrieren, dass GHefäßneubildungen wie 
Degeneration der Ganglienzellen in der Hirnrinde stattfinden. Was speziell 
die von Fürstner angezweifelte Degeneration der Ganglienzellen bei der 
Paralyse betreffe, so ist dieselbe auf der irrenärztlichen Versammlung in Leipzig 
vor zwei Jahren ohne Widerspruch von ihm demonstriert worden. Speziell 
habe der verstorbene Gudden ausdrücklich erklärt, dass dieselben noch viel 
intensiver und häufiger seien nach seinen neuern Untersuchungen, als Herr 
Mendel angegeben. Augenspiegeluntersuchungen sind auch bei seinen Hunden 
von Herrn Professor Hirschberg mit ganz negativem Befunde gemacht wor- 
den. Im übrigen bemerkt er, dass ein Zustand von diffuser Hirnerkrankung 
mit dem psychischen Charakter des Blödsinns und Lähmungssymptomen, wie 
er bei Hunden nach jenen Versuchen eintritt, dem paralytischen Blödsinne 
beim Menscheu verglichen werden müsse. Einzelne Abweichungen von dem 
Bilde wären ebenso erklärlich, wie z. B. auch die Tuberkulose beim Hunde 
einen andern Verlauf nehme, als die beim Menschen. — Herr Heimann: 
Herr M. hat durch Drehung der Hunde in erster Linie Hyperämie des Gehirns 
erzeugt und diese als erstes und ursächliches Moment zur Entstehung der wei- 
tern Entartungen des Gehirns angesehen. Wenn nun Herr F,. seine Versuchs- 
tiere in gleicher Lage wie Herr M. gedreht hat, so muss demnach hier Anämie 
des Rückenmarks entstanden sein. Da ich nun selbst im Jahre 1884 ähnliche 
Drehungsversuche angestellt habe, bei denen ich grade infolge anderer Lage 


576 Fürstner, Experimentelle Untersuchungen des zentralen Nervensystems. 


der Tiere auf der Drehscheibe partielle Anämie des Gehirns erzeugte, und 
ebenfalls Lähmungen erhielt, so gestatte ich mir die Frage, welches ätiologische 
Moment zur Entstehung der Rückenmarkserkrankung der betreffenden Versuchs- 
tiere Herr F. annimmt? — Herr Adamkiewicz: Die Erscheinungen der 
Paralyse in akutester Form lassen sich bei Tieren auch durch Injektionen 
differenter Flüssigkeiten in die Hirngefäße erzielen, wie Redner in seinen 
Arbeiten über „Hirndruck* gezeigt hat. — Herr Mendel bemerkt dagegen, 
dass es sich in den Adamkiewiez’schen Untersuchungen um akute vorüber- 
gehende Zustände gehandelt habe, die mit den von ihm erzeugten chronischen 
nicht direkt verglichen werden können. — Herr Fürstner erwidert Herrn 
Heimann, dass er mit Begriffen Anämie und Hyperämie nicht rechnen könne, 
er beschränke sich auf die Thatsachen, ohne vorläufig eine Erklärung geben 
zu können. 





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v1. Band. 1. Dezember 1886. Nr. 19. 











Inhalt: Engelmann, Zur Technik und Kritik der Bakterienmethode. — Madrid- 
Moreno, Ueber die morphologische Bedeutung der Endknospen in der Riech- 
schleimhaut der Knochenfische. — List, Ueber Strukturen der Drüsenzellen. — 
Rosenthal, Ueber das elektrische Leitungsvermögen tierischer Gewebe. — Aus 
den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften ; 59. Versammlung deutscher 
Naturforscher und Aerzte zu Berlin. -—— Kirchner und Blochmann, Die 
mikroskopische Pflanzen- und Tierwelt des Süßwassers. 





Zur Technik und Kritik der Bakterienmethode. 
Von Th. W. Engelmann'). 


Das am Schlusse meiner Untersuchungen über die quantitativen 
Beziehungen zwischen Absorption des Lichtes und Assimilation in 
Pflanzenzellen [Onderz. (3) IX S. 25] gegebene Versprechen einer aus- 
führlichen Darstellung meiner bisherigen auf Bakterienmethode und 
Assimilation bezüglichen Untersuchungen habe ich aus gesundheit- 
lichen Gründen leider noch nicht einlösen können. Auch jetzt bin 
ich zu meinem Bedauern noch nicht im stande, die beabsichtigte zu- 
sammenfassende Darstellung für die nächste Zeit in Aussicht zu 
stellen. Doch veranlasst mich der Aufsatz von Pringsheim 
„Ueber die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum“ (Be- 
richte d. d. bot. Ges., 1885, II, Heft II, und Pflüger’s Archiv, 
Bd. XXXVIIL, S. 142) wenigstens einige Punkte schon jetzt ausführ- 
licher zu besprechen, welche für die Beurteilung und Anwendung des 
von mir eingeführten Verfahrens von besonderem Gewicht sind. Er- 
sehe ich doch aus den thatsächlichen Angaben wie aus den kritischen 
Bemerkungen des ausgezeichneten Berliner Botanikers, dass das Ver- 
ständnis und die Technik der Methode größern Schwierigkeiten be- 
gegnen, als ich voraussetzen zu dürfen glaubte. Indem ich diese 
Schwierigkeiten zu beseitigen versuche, hoffe ich damit nicht nur 


1) Onderzoekingen, gedaan in het Physiologisch Laboratorium der Utrechtsche 
Hoogeschool. X, 1. Utrecht, 1886. 
VI. 37 


578 Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode. 


weitere Nachuntersuchungen wesentlich zu erleichtern, sondern auch 
einer weitläufigern Polemik vorzubeugen, mit welcher der Sache wenig 
genützt sein möchte. 

Pringsheim kommt unter Anwendung der Bakterienmethode zu 
dem Resultat, dass die von mir behauptete „Koinzidenz der Maxima 
der Sauerstoffabgabe grüner Organismen im Mikrospektrum mit den 
Maximis der Lishtabsorption im Chlorophyll“ nicht stattfinde. Wie 
aus den von ihm angeführten Thatsachen hervorgeht, stützt sich 
dieser Ausspruch wesentlich, wo nicht ausschließlich, auf Beobach- 
tungen nach der von mir so genannten Methode der simultanen 
Beobachtung [Onderzoek. (3) VII S. 193]. 

Ich muss nun zunächst betonen, dass ich diese Methode zur 
strengen Entscheidung jener fundamentalen Frage nie für hin- 
reichend gehalten, noch zu den hierfür erforderlichen quantitativen 
Bestimmungen benutzt oder empfohlen habe, aus dem einfachen Grunde, 
weil sie mit einigen unvermeidlichen Fehlerquellen behaftet ist, welche 
das Gesetz der Abhängigkeit zwischen Wellenlänge und Sauerstoff- 
ausscheidung nicht rein zutage treten lassen. Diese Fehlerquellen 
schienen mir so offen darzuliegen, dass ich sie in meinen bisherigen, 
möglichst kurz gehaltenen Mitteilungen nicht hervorhob. 

Den Hauptwert des Verfahrens erblicke ich darin, dass es auf 
höchst einfachem Wege, mit einem Blick, ein annähernd richtiges, 
sehr anschauliches Bild von der relativen assimilatorischen Wirkung 
der verschiedenen Spektralregionen zu erhalten gestattet. 

Der Hauptgrund, weshalb dies Bild im allgemeinen kein völlig 
richtiger Ausdruck der Beziehungen zwischen Wellenlänge und Assi- 
milation sein kann, ist offenbar der, dass die Größe der Sauerstoff- 
spannung an jedem Punkte der Oberfläche des Objektes nicht nur 
von der an diesem Punkte stattfindenden Sauerstoffausscheidung, son- 
dern auch von der Sauerstoffentwicklung entfernterer und zwar in 
erster Linie der zur Seite gelegenen, von andern Wellenlängen 
getroffenen Stellen abhängt. Wechseln, wie thatsächlich der 
Fall — hierüber herrscht ja Einstimmigkeit — Stellen stärkerer mit 
Stellen schwächerer Sauerstoffabgabe längs des Spektrums mit ein- 
ander ab, so muss infolge dieser seitlichen Superposition der 
Sauerstoffspannungen die Wirksamkeit der schwächer assimi- 
lierenden Stellen zu groß erscheinen und umgekehrt. 

Dies ist beispielsweise die Ursache, weshalb — auch bei sehr 
engem Spalt, genügende Lichtstärke vorausgesetzt — Bakterienanhäu- 
fung und -bewegung bis ins Ultrarot hineinreichen, obschon doch 
letzteres — wiederum nach den übereinstimmenden Erfahrungen aller 
Untersucher — gar keine assimilatorische Wirksamkeit besitzt. Ebenso 
ist, da die assimilatorische Wirkung von Rot nach Orange und Gelb 
hin sehr viel weniger steil als nach dem Ultrarot hin sinkt, es 
hieraus leicht begreiflich, wenn das Maximum der Anhäufung und 











Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode. 579 


die größte Energie der Bewegung häufig nicht an der Stelle der 
stärksten Absorption im Rot, zwischen B und C, sondern mehr nach 
dem Orange hin fällt. Letztere von Pringsheim mit Unrecht für 
besonders wichtig gehaltene Thatsache habe ich, wie die vorige, schen 
in meiner oben zitierten Mitteilung bemerkt, indem ich sagte, dass bei 
von Null an wachsender Lichtstärke die Bewegung gewöhnlich zwischen 
B und C oder nahe bei € beginne. Mit „nahe bei C“ ist natürlich, 
wie aus dem Gegensatz „zwischen B und ©“ hervorgeht, jenseits €, 
von B an gerechnet, gemeint. 

Dieser verschiebende Einfluss der seitlichen Superposition der 
Sauerstoffspannungen wird bis zu einer gewissen Grenze mit der 
Dieke und dem Chlorophyligehalt des Objektes wachsen müssen. 
Letztere beiden Umstände kommen aber auch insofern noch besonders 
in betracht, als von ihnen eine vertikale Superposition von 
Sauerstoffspannungen abhängt. 

Diese nun unterstützt insofern die von der seitlichen Superposition 
abhängige Verschiebung der Maxima und Minima, als mit der Dicke 
der farbigen, assimilierenden Schicht sich der Betrag der Liehtabsorp- 
tion und damit des assimilatorischen Effektes für verschiedene Wellen- 
längen in verschiedenem Grade, und zwar, wie ich schon am Schluss 
meines erwähnten Aufsatzes hervorhob, zu gunsten der schwächer 
absorbierten, weniger wirksamen Strahlengattungen ändert. 

Hierbei ist aber noch weiter der Umstand zu beachten, dass die 
Sauerstoff entwickelnden Chromophyliteilchen zur Steigerung der Sauer- 
stoffspannung an der Oberfläche der Zelle cet. par. umsoweniger bei- 
tragen, je weiter sie von derselben entfernt sind. Im allgemeinen 
wird ihr Anteil für jeden Punkt proportional dem Quadrat ihrer Ent- 
fernung von diesem Punkte abnehmen. Nur dann würde dieser Um- 
stand bedeutungslos sein, wenn die Differenzen des Abstandes der zur 
Wirkung kommenden assimilierenden Teilchen von der Stelle an der 
Zellenoberfläche, an welcher die Bakterienreaktion angestellt wird, 
gegen diesen Abstand selbst vernachlässigt werden dürften. Dies ist 
aber im allgemeinen nicht erlaubt. 

Dieser Einfluss ungleicher Entfernung wird sich nun in verschie- 
dener Weise mit dem von der Aenderung der relativen Absorptions- 
größe mit der Dicke herrührenden Einfluss kombinieren. Er wird ihm 
entgegenwirken, wenn die Reaktion an der untern, dem Lichte zuge- 
wandten Fläche der Zelle angestellt wird, ihn unterstützen, wenn man 
auf die über der Zelle angesammelten Bakterien einstellt. Wie außer- 
ordentlich die Verschiebung im letztern Falle werden kann, lässt 
sich aus dem von mir (a. a. O. S. 198) angeführten Beispiel einer 
Cladophora-Zelle von 0,028 mm Dieke entnehmen, wo das Maximum 
der Assimilationsenergie über der Zelle im Gelbgrün zwischen D 
und E, unter der Zelle im Rot zwischen B und C gefunden 
wurde. 

31 * 


580 Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode 


Schon die bisher angeführten Umstände genügen, wie ich glaube, 
völlig, um zu erklären, weshalb das Maximum bei der simultanen 
Beobachtung grüner Zellen nicht immer an der nämlichen Stelle, 
speziell nicht an der Stelle des Absorptionsbandes I, sondern meist 
mehr oder weniger weit nach © hin oder selbst jenseits © beobachtet 
wird. Es gibt aber noch verschiedene andere Umstände, welche ver- 
schiebend auf die Lage der Maxima und Minima wirken können. 
Beispielsweise — es gibt aber noch mehr — Ungleichheit in der 
Verteilung des Chlorophylis (ursprünglich vorhandene oder während 
des Versuchs entstandene), Unterschiede in der spezifischen Färbung 
(bei grünen Zellen vermutlich auf Mischung des grünen und gelben 
Farbstoffs in verschiedenen Verhältnissen beruhend), partielles Ab- 
sterben der Zelle, verschiedene Durchsichtigkeit der Zellmembran an 
der dem Lichte zugekehrten Seite (durch aufsitzende Organismen, 
Ablagerungen von farbigen oder farblosen Stoffen und dergl.). Aus 
einigen dieser Umstände wird auch das Vorkommen von Verände- 
rungen in der Lage der Maxima beim nämlichen Objekt begreif- 
lich, eine Erscheinung, die mir übrigens (abgesehen natürlich von 
den durch Aenderung der Spaltweite, der Lichtstärke und der Ein- 
stellungsebene bedingten) nur ganz ausnahmsweise vorgekommen ist 
und dann stets aus einem jener Umstände genügend erklärt werden 
konnte. 

Ich muss nach alledem behaupten, dass die Angaben von Prings- 
heim, soweit sie die Erscheinungen im roten bis grünen Teil des 
Mikrospektrums bei grünen Zellen betreffen, nicht das Geringste gegen 
die von mir behauptete Koinzidenz beweisen, noch auch nur, wie 
Pringsheim meint, mit meinen thatsächlichen Angaben irgendwie 
in Streit sind. 

Dasselbe gilt aus denselben Gründen bezüglich der allerdings sehr 
kurz gehaltenen Bemerkungen Pringsheim’s über braune und rote 
Algen. 

Was dagegen das Verhalten grüner Zellen im blauen Teil des 
Spektrums angeht, so muss ich mich in der That wundern, dass 
Pringsheim, auch wenn er nur nach der Methode der simultanen 
Beobachtung arbeitete, das von mir beschriebene zweite Maximum, im 
Blau bei F, nicht zu Gesicht bekommen zu haben scheint. Es tritt 
allerdings, wie ich sogleich in meiner ersten Mitteilung (a. a. O. S. 194) 
hervorgehoben, im prismatischen Spektrum nur bei Anwendung von 
Sonnenlicht, nicht in dem von Gaslicht in die Erscheinung und ist 
— schon wegen der bei Anwendung meines Apparates bei F' fast 
dreimal größern Dispersion — immer viel weniger auffällig als das 
im Rot. Vermisst habe ich es aber auch bei Anwendung der simul- 
tanen Beobachtungsmethode bei sorgfältiger Anstellung des Versuchs 
niemals und will es gern jederzeit bei günstigem Licht demonstrieren, 
wie ich es denn auch verschiedenen Forschern schon zeigte. Gewiss 








Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode. 981 


werden sich auch leicht überzeugende photographische Aufnahmen 
gewinnen lassen, für die mir leider bisher die Vorrichtungen fehlten. 

Ich verfahre in der Regel so, dass ich erst bei maximaler Spalt- 
weite und genügender Lichtstärke eine sehr starke Bakterienansamm- 
lung in der ganzen Länge des Spektrums sich ausbilden lasse. Dann 
verengere ich allmählich den Spalt — nicht zu langsam, damit die 
Bakterien nicht Zeit haben, nach dem Rot hin zu wandern — bis die 
Bewegung im Grün grade verlöscht: fast ausnahmslos ist sie dann 
am Anfang der starken „Endabsorption“ im Blau, bei F, noch äußerst 
deutlich und erhält sich auch hier lange Zeit, wenn nicht weiter ver- 
dunkelt wird. Auch kehrt sie, falls der Spalt zu weit zugedreht war, 
beim Erweitern hier meist merklich früher zurück als im anstoßenden 
Grün und Gelbgrün. 

Es kommt hier begreiflicherweise viel auf vorsichtige Handhabung 
des Spaltes an, damit man den entscheidenden Punkt nicht verpasse. 
Auch darf das Spektrum bei nur einigermaßen beträchtlicher Dicke 
des Objekts ja nicht zu klein sein, weil sonst die Bakterien auch bei 
schnellem Verengern des Spaltes sich leicht noch vom Blau hinüber 
ins Rot begeben. Objektiv € von Zeiss ist deshalb als Projektions- 
system im allgemeinen nicht anzuraten. Bei Anwendung von System 
B oder A ist aber der vom Grün eingenommene Raum so breit, dass 
er nicht leicht von den im Blau befindlichen Bakterien in der Rich- 
tung nach Rot hin überschritten wird, wenn der Spalt einmal so weit 
zugedreht ist, dass die Wirkung im Grün unmerklich wird. 

Nicht minder entscheidende Resultate gibt hinsichtlich dieses 
Punktes die Methode der successiven Beobachtung, welche 
vor der der simultanen als wichtigsten Vorzug den voraus hat, dass 
der störende Einfluss der seitlichen Superposition der Sauerstoff- 
spannungen bei ihr in Wegfall gebracht werden kann. In richtiger 
Weise angewandt, gestattet sie außerdem brauchbare Zahlenwerte für 
die relative Größe der Sauerstoffausscheidung in den verschiedenen 
Regionen des Spektrums zu erhalten. Alle meine numerischen An- 
gaben über diese Größe sind nach dieser Methode gewonnen. Wenn 
Pringsheim der Bakterienmethode die Brauchbarkeit zu genauen 
quantitativen Bestimmungen abstreitet, so ist mir dies nur daraus er- 
klärlich, dass er die Methode der successiven Beobachtung nicht in 
der richtigen Weise handhabte. Es kommen bei derselben sehr viele 
Umstände in betracht. Eine hinreichend genaue Beschreibung des 
Verfahrens ist deshalb nicht kurz zu geben. Aus diesem Grunde be- 
schränkte ich mich in meinen vorläufigen Mitteilungen darauf, einen 
Maßstab zur Beurteilung der Zuverlässigkeit der Methode zu gewähren 
durch Mitteilung mehrerer Zahlenbeispiele und der objektiven Beweise, 
welche in den aufgrund dieser Methode erhaltenen photometrischen 
Vergleiehungen von Sonnen- und Gaslicht zufällig zutage traten. Mir 
scheint auch jetzt noch, dass dies für den beabsichtigten Zweck voll- 


582 Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode. 


ständig genügte, und ich bin auf den Versuch, diese Belege zu ent- 
kräften, in der That gespannt. Um jedoch für die Zukunft eine 
genaue Nachprüfung meiner Ergebnisse zu ermöglichen, will ich mein 
Versuchsverfahren hier genauer, immerhin in möglichster Kürze be- 
schreiben. 


Die wesentlichsten Punkte, auf deren Beachtung es ankommt, 
sind folgende: 


Der Tropfen soll nur eine einzige Art von Bakterien enthalten, 
also einer Reinkultur entstammen. Namentlich dürfen nicht Formen 
von sehr verschiedenem Sauerstoffbedürfnis, also beispielsweise nicht 
neben Bacterium termo noch gewöhnliche Spirillen vorhanden sein. 
Die Gründe sind aus meinem Aufsatz „Zur Biologie der Schizomyceten“ 
[Onderzoekingen (3) VII S. 110] leicht zu entnehmen. Stammt das 
zu prüfende Objekt wie gewöhnlich aus einer nicht bakterienfreien 
Flüssigkeit, so muss es vorher durch wiederholtes Abspülen mit bak- 
terienfreiem Wasser oder mit einer genügenden Menge der die Ver- 
suchsbakterien enthaltenden Flüssigkeit gründlich gereinigt werden. 

Am besten nimmt man im allgemeinen Bakterien von ziemlich 
hohem Sauerstoffbedürfnis. Die Reaktion tritt dann ceteris paribus 
bei größern Spaltweiten, also bei größerer Helligkeit ein, was für die 
Schärfe der Beobachtung nicht gleichgiltig ist. Nur bei sehr kleinen 
oder wenig Chromophyll enthaltenden Zellen können empfindlichere 
Bakterien unter Umständen den Vorzug verdienen. 

Die Bakterien sollen weder zu groß noch zu klein sein. Kokken 
von 1—2 u Durchmesser, oder Stäbchen von 2—3 u Länge und gegen 
1 « Breite entsprechen den Anforderungen in der Regel am besten. 
Kleinere werden bei der sehr geringen Helligkeit, bei der oft noch 
wahrgenommen werden muss, leicht nicht mehr deutlich genug ge- 
sehen, um eine scharfe Bestimmung des Momentes, worin die Be- 
wegung aufhört, zu gestatten, namentlich nieht wenn die Messung im 
Rot geschehen muss. Zu große Bakterien reagieren meist nicht schnell 
und gleichmäßig genug. 

Die Individuenzahl der Bakterien muss in jedem Falle so .groß 
sein, dass sich rasch mächtige Ansammlungen um die Sauerstoffquellen 
ausbilden können. Der Tropfen darf dementsprechend bei Betrach- 
tung mit bloßem Auge schwach getrübt erscheinen. 

Durch sorgfältige Verkittung der Ränder des Deekglases mit 
Paraffin oder Vaselin muss Verdunstung während der Versuchsdauer 
völlig ausgeschlossen sein. Obschon hiermit auch der Sauerstoffzutritt 
von außen in der Regel genügend aufgehoben ist, empfiehlt es sich 
doch, das zu prüfende Objekt möglichst weit vom Rande des Deck- 
glases zu lagern. Auch soll es sich dem Boden des Tropfens so nahe 
wie möglich befinden, am besten denselben berühren. Liegt es zu 
hoch, so sinken die Bakterien, wenn sie infolge der Sauerstoffabnahme 








u nn u _ _ 





Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode. 583 


ihre Bewegungen einstellen, in die Tiefe und sammeln sieh dann bei 
Erweiterung des Spaltes nicht schnell genug wieder um das Objekt an. 

Sorgfältig ist ferner aus leicht ersichtlichem Grunde darauf zu 
achten, dass das Objekt so weit isoliert liege, dass bei seiner Ver- 
schiebung längs des Spektrums in keinem Falle ein anderer, der 
Sauerstoffausscheidung im Lichte fähiger Organismus ins Bereich des 
Mikrospektrums komme. Es dürfen aus demselben Grunde auch keine 
frei umherschwimmenden grünen Sporen, Flagellaten u. s. w. im Tropfen 
vorhanden sein. 

Um das Objekt schnell und sicher in immer gleicher Lage an 
jeden beliebigen Ort des Spektrums einstellen zu können, muss es 
durchaus unbeweglich im Tropfen liegen und muss der Objektträger 
mittels einer Schraube bewegt werden. Ich benutze zu dem Zweck 
den von Zeiss konstruierten, im Preisverzeichnis von 1885 unter 
Nr.56 erwähnten kleinen Apparat. Er wird durch Klemmen auf dem 
Tisch des Mikroskops festgehalten und auf ihm der Objektträger 
durch etwas Fett oder Vaselin fixiert. Die Verschiebung muss genau 
senkrecht zur Richtung der Spaltränder erfolgen, da wegen der un- 
vermeidlichen kleinen Unregelmäßigkeiten an den Schneiden (Staub- 
partikelchen u. dergl.) die Lichtstärke auf verschiedenen Punkten der 
Höhe des Spektrums bei der nämlichen Wellenlänge ungleich ist, wie 
besonders anschaulich die kurz vor dem völligen Schluss jedes Spaltes 
auftretenden bekannten Längsstreifen und Längsbänder zeigen. Der 
Einfluss dieser Fehlerquelle ist natürlich um so größer, je enger der 
Spalt beim Eintritt der Reaktion ist, also am größten bei den wirk- 
samsten Wellenlängen. Hier könnte er, wenn das assimilierende Objekt 
sehr klein ist, auch bei größtmöglicher Sauberkeit der Schneiden eine 
sehr merkliche Gröäe erreichen. 

Welche Eigenschaften das Objekt selbst haben soll, um scharfe 
und möglichst weit theoretisch verwertbare Messungen zu gestatten, 
ergibt sich zum Teil schon aus dem früher Gesagten. Damit der 
Einfluss der seitlichen Superposition der Sauerstoffspannungen unmerk- 
lich werde, muss es wenigstens in der Richtung senkrecht zu den 
Fraunhofer’schen Streifen sehr schmal sein, um so schmäler natür- 
lich, ein je kleineres Mikrospektrum man verwendet, mit andern 
Worten, je stärker das zur Projektion benutzte Objektivsystem ist. Die 
Größe des Abstandes der Streifen B und C zu überschreiten dürfte 
nicht ratsam sein, falls man sich nicht auf Messungen im stark brech- 
baren Teil des Spektrums beschränkt. — Ist das Objekt zylindrisch 
oder doch länglich, so muss es selbstverständlich mit der Längsaxe 
genau horizontal und parallel den Spalträndern gelagert werden. 

Auch sein vertikaler Durchmesser soll möglichst gering sein, 
damit der oben bei der Methode der simultanen Beobachtung bereits 
besprochene Einfluss ungleicher Entfernung der assimilierenden Teilchen 
von den reagierenden Bakterien sich möglichst wenig geltend mache. 


584 Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode. 


Dabei ist es wünschenswert, dass die Färbung intensiv, der Ge- 
halt an Chromophyll also möglichst groß sei. Es gelingt sonst nicht 
leicht, eine zur Anstellung scharfer Reaktion genügende Menge von 
Bakterien um die Zelle zu versammeln. Da schon ein einziges Chloro- 
phylikorn im Lichte sehr merkliche Wirkungen äußert, braucht die 
Dicke der wirksamen Schicht einige Tausendstelmillimeter nicht zu 
überschreiten. 

Dass die Liehtquelle während der Versuchsdauer in jeder Beziehung 
konstant sein müsse, bedarf nicht besonderer Hervorhebung. Ebenso- 
wenig, dass das Spektrum möglichst scharf, genau in der horizontalen 
Durchschnittsebene des Objekts entworfen werden soll. Weniger 
überflüssig dürfte eine die absoiute Stärke der Lichtquelle betreffende 
Bemerkung sein. Diese ist so zu wählen, dass die Spaltweiten, bei 
welchen die Reaktion eintritt, weder außerordentlich gering, noch sehr 
groß ausfallen. In nächster Nähe des Nullpunktes — dessen Lage 
immer vorher genau zu kontrolieren ist — haben schon sehr kleine 
Fehler großes Gewicht, gleichviel ob sie von unrichtiger Einstellung, 
Irrtümern beim Ablesen oder falscher Lage des Nullpunktes herrühren. 
Auch können, bei Anwendung von Sonnenlicht, die Fraunhofer’schen 
wie die dazu senkrechten, von Ungleichmäßigkeiten der Spaltränder 
herrührenden Streifen und Bänder stören. Zu große Spaltweiten sind 
anderseits wegen des unten noch zu besprechenden Einflusses der 
Superposition verschieden brechbarer Strahlengattungen zu vermeiden. 
Sonnenlicht muss in jedem Fall vorher abgeschwächt werden. Ich 
schalte zu dem Zwecke zwischen Heliostat und Spiegel des Mikroskops 
unmittelbar vor letzterem eine oder zwei Scheiben von rein weißem 
mattem Glase ein. 

Um alles etwa von unten her neben dem Objektiv des Mikro- 
spektralapparates einfallende Licht auszuschließen, wird unmittelbar 
unter dem Objekttisch ein nur mit einer zentralen Durchbohrung für 
das projizierende System versehener undurchsichtiger Schirm angebracht. 

Durchaus nötig ist weiter, dass die Beobachtungen in der Duukel- 
kammer und außerdem im Dunkelkasten vorgenommen werden. Es 
wird dann nicht nur eine Störung durch seitlich von oben auf das 
Objekt fallendes Licht ausgeschlossen, sondern namentlich auch die 
Empfindlichkeit des Auges so bedeutend gesteigert, dass noch bei 
viel geringerer Spaltweite als sonst deutliches Unterscheiden mög- 
lich ist. 

Aus letzterem Grunde kann es wünschenswert sein, das Spektrum, 
mit Ausnahme des schmalen Bezirks, in dem grade beobachtet wird, 
abzublenden. Zu dem Zweck habe ich im Okular, unmittelbar unter 
dem die Mikrometerteilung tragenden Diaphragma, eine passende 
Schiebervorrichtung anbringen lassen. 

Noch ein anderer Punkt kommt hier in betracht. Der Eintritt 
der Reaktion ist im allgemeinen um so schwieriger scharf zu beobach- 





Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode. 585 


ten, je geringer im entscheidenden Augenblicke die physiologische 
Helligkeit der entsprechenden Spektralpartie. Bei sehr geringer Hellig- 
keit kann deshalb die Bewegung früher aufzuhören scheinen, als in 
der That der Fall ist. Sehr auffällig zeigt sich dieser Einfluss, wenn 
man durch ein zwischen Auge des Beobachters und Okular einge- 
schaltetes farbiges oder Rauchglas das Bild plötzlich verdunkelt. Es 
entsteht dann der Eindruck, als ob die Bakterienbewegung plötzlich 
abnehme. Umgekehrt wird beim Wegziehen eine Beschleunigung der 
Bewegung vorgetäuscht. Hierzu kommt noch, dass bei geringer, aber 
übrigens gleicher Helligkeit die Schärfe der Unterscheidung merklich 
von der Farbe abhängig, im Rot beispielsweise geringer als im Grün 
ist. Es erwächst hieraus einige Gefahr, für die dunklern, namentlich 
die roten Partien des Spektrums zu große Spaltweiten einzustellen. 

Um zu prüfen, inwieweit etwa hierdurch die Ergebnisse beein- 
flusst werden könnten, habe ich die Helligkeiten möglichst gleich zu 
machen gesucht, indem ich für die Messungen im Gelb und Grün blau 
bezw. rot gefärbte Gläser zwischen Auge und Okular einschaltete und 
speziell abwechselnd mit und ohne Glas an den nämlichen Stellen 
des Spektrums beim gleichen Objekte Messungen anstellte. Bei einiger- 
maßen scharfem Beobachten der Bakterien zeigte sich jedoch kein 
deutlicher Einfluss, wie ich durch viele Zahlenbeispiele belegen könnte. 

Wenn nun alles für den Versuch gehörig vorbereitet ist, schreitet 
man zu den Messungen. Hierbei verfahre ich folgendermaßen. 

Das Objekt wird zunächst bei maximal erweitertem Spalt im 
Orange oder Gelb, gewöhnlich bei D, eingestellt und hier so lange 
stehen gelassen, bis sich eine sehr starke Ansammlung schwärmender 
Bakterien um dasselbe ausgebildet hat. Hierzu genügen meist wenige 
Minuten. Man wartet nun weitere 5— 10 Minuten, um sich zu über- 
zeugen, ob der Schwarm sich in unveränderter Mächtigkeit und unge- 
schwächter Bewegung erhält. Ist dies, wie bei gesunden Zellen ge- 
wöhnlich, der Fall, so wird der Spalt im Lauf von 1—1!|, Minute erst 
schnell, dann immer langsamer zugedreht, bis die Bewegung an den 
Rändern des Objekts völlig aufgehört hat. Jetzt wird rasch der Stand 
der Mikrometerschraube (Spaltweite) abgeiesen, der Spalt sofort wie- 
der maximal erweitert und gewartet, bis sich der frühere Zustand 
maximaler Anhäufung und Bewegung wieder hergestellt hat, wozu es 
meist nur 1—2 Minuten bedarf. Dann wird das Objekt nach einer 
andern Stelle des Spektrums verschoben, der Spalt in derselben Weise 
allmählich verengert, bis Stillstand eingetreten, schnell abgelesen, der 
Spalt sofort wieder maximal erweitert, das Objekt in die Anfangs- 
stellung (bei D) zurückgebracht, aufs neue gewartet, bis der stationäre 
Zustand maximaler Anhäufung sich ausgebildet hat u. s. f. Jedesmal 
wird also vor Beginn der Versuche ein stationärer Zustand abgewartet 
und zwischen je zwei Messungen derselbe wieder hergestellt. Hierauf 
ist das allergrößte Gewicht zu legen. 


586 Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode. 


Verfährt man in der hier beschriebenen Weise, so wird man nach 
einiger Uebung sich leicht von der Brauchbarkeit der Methode zu 
quantitativen Bestimmungen überzeugen. Man findet dann häufig selbst 
bei stundenlang am nämlichen Objekt fortgesetzten Messungen die 
Spaltweite, bei welcher die Bewegung aufhört — die kritische Spalt- 
weite — für jede geprüfte Stelle des Spektrums konstant, die Ab- 
weichungen vom Mittel wenigstens so gering, dass sie gegen die von 
der Wellenlänge abhängigen Unterschiede im allgemeinen nicht in 
betracht kommen. 

Diese Konstanz beweist, dass in solchem Falle die Reaktion an 
allen untersuchten Stellen des Spektrums dann eintritt, wenn die 
Sauerstoffspannung auf den nämlichen absoluten Wert herabgesunken 
ist. Da die Sauerstoffspannung am Orte der Reaktion, bei Erfüllung 
der oben mit Rücksicht auf den Einfluss des Abstandes der assimi- 
lierenden Teilchen von den Bakterien gestellten Bedingung, in jedem 
Falle der gesamten vom Objekt gelieferten Sauerstoffmenge direkt 
proportional ist, darf der relative assimilatorische Effekt der Licht- 
arten verschiedener Wellenlänge, die von mir mit A bezeichnete Größe, 
dann im allgemeinen den Spaltweiten umgekehrt proportional gesetzt 
werden, bei welchen für die betreffenden Wellenlängen die gleiche, 
also in unserem Falle diejenige Sauerstoffspannung erzeugt wird, bei 
welcher die Bakterienbewegung eben aufhört. Es ist dies jedoch nur 
erlaubt, weil die Erweiterung des Spaltes symmetrisch geschieht, und 
weil die absoluten Werte der kritischen Spaltweiten im allgemeinen 
so niedrige sind, dass die von der Uebereinanderlagerung verschie- 
dener und deshalb verschieden wirksamer Wellenlängen herrührende 
Störung vernachlässigt werden darf. Letzteres gilt streng nur für die 
Gegenden des Spektrums, an denen die auf die Wellenlängen als 
Abszisse bezogene Kurve der Assimilationsgröße einen gradlinigen 
Verlauf zeigt. Bei hinreichend geringer Breite des Objekts dürfte 
der Fehler aher auch an den Stellen stärkster Krümmung der Kurve 
unmerklich werden. 

Im besondern gilt dies bei Anwendung von Sonnenlicht. Hier 
liegen die Werte der kritischen Spaltweiten für meine Versuche durch- 
schnittlich zwischen 0,01 und 0,15 mm. Für Gaslicht rücken die 
Grenzen natürlich weiter auseinander, schon wegen der größern Dif- 
ferenzen der aktuellen Energie in den verschiedenen Teilen des sicht- 
baren Spektrums, speziell wegen des viel steilern Sinkens der lebendigen 
Kraft des Lichtes nach dem stärker breehbaren Ende hin. Die untere 
Grenze lag hier durchschnittlich bei 0,015, während die obere (für 
grüne Zellen) im Blau bei F, im Mittel bei 0,38, im Violett bei noch 
erheblich größern Werten erreicht ward. Im Blau und Violett sind 
jedoch wegen der größern Dispersion Störungen weniger zu fürchten. 

Wenn es nicht darauf ankommt, Zahlenwerte zu gewinnen, sondern 
nur auf Entscheidung der Frage, ob die assimilatorische Wirkung an 


ve 








Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode. 587 


einer bestimmten Stelle des Spektrums stärker als an einer andern 
sei, so ist eine Modifikation der Methode der successiven Beobach- 
tung ausreichend und zugleich sehr anschaulich, welche ich das Ver- 
fahren der alternierenden Beobachtung nenne. 

Man wolle beispielsweise entscheiden, ob die Wirkung des Blau 
bei F' stärker als die des Grün bei E sei. Zu dem Ende wird — 
immer nach vorhergehender Entwicklung eines stationären Zustandes 
maximaler Bakterienanhäufung — das Objekt auf E eingestellt und 
nun der Spalt langsam zugedreht, bis die Bewegung eben erlöscht. 
Alsbald wird das Objekt nach F' hin verschoben, wobei man dann, 
falls mit Sonnenlicht und an einer chlorophyligrünen Zelle gearbeitet 
wird, sofort einen Wiederbeginn der Bewegungen beobachtet. Beim 
Zurückschrauben nach # tritt Stillstand ein, wieder nach F' gebracht, 
erwachen die Bakterien aufs neue. Die Erscheinung ist in der Regel 
so auffällig, dass ein Gedanke an Täuschung gar nicht aufkommen kann. 

In derselben Weise überzeugt man sich leicht, dass bei grünen 
Zellen das Maximum der Wirkung im Rot stets an der Stelle des 
Absorptionsbandes I, niemals nach dem Orange hin liegt u. s. w. 

Es ist jedoch nicht meine Absicht, hier auf spezielle Fragen und 
Versuchsresultate näher einzugehen. Ich würde auch wesentlich nur 
früher Mitgeteiltes zu wiederholen, bezüglich viele neue Zahlenbeispiele 
beizubringen haben. Dazu aber dürfte diese Zeitschrift nicht der ge- 
eignete Ort und überdies um so weniger Grund vorhanden sein, als 
die bereits in frühern Aufsätzen von mir publizierten Zahlen, wie ich 
glaube, völlig genügen, um das fundamentale Gesetz der, wenigstens 
höchst annähernden, Proportionalität zwischen Absorption und assimi- 
latorischer Wirkung des Lichtes streng zu beweisen, und zwar nicht 
nur für chlorophyligrüne, sondern für alle wie immer gefärbte 
chromophyllhaltige Zellen und, wie ich auch andern neuern 
Autoren gegenüber hervorheben muss, für alle Strahlengattungen 
des sichtbaren Spektrums. Am allerwenigsten kann dies auf zahl- 
reiche genaue Messungen der Assimilationsgröße und der Liehtabsorp- 
tion in lebenden Zellen gegründete Ergebnis durch auf bloßer Schätzung 
nach dem Augenschein beruhende Angaben, wie sie Pringsheim 
gibt, widerlegt werden. 

Es wird auch die Giltigkeit dieses Grundgesetzes nicht dadurch 
aufgehoben, dass — wie ich leider Pringsheim zugeben muss — 
die Formel nicht richtig ist, welche ich in meinem letzten Aufsatz 
[Onderzoekingen ete. (3) IX 8. 17] als Ausdruck der Beziehungen 
zwischen aktueller Energie (E), assimilatorischer Wirkung (A) und 
Absorptionsgröße (n) des Lichtes in der Voraussetzung aufgestellt 
habe, dass unter den bei Anwendung der Bakterienmethode zur Mes- 
sung von A realisierten Bedingungen die gesamte absorbierte Energie 
des Lichtes zu Assimilationsarbeit benutzt werde. Ich muss für die 
bei der Ableitung dieser Formel begangenen, mir heute schwer be- 


588 Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode. 


greiflichen Versehen, unter Hinweisung auf den im Eingang ange- 
deuteten persönlichen Umstand um Entschuldigung bitten. Den rich- 
tigen Ausdruck für jene Beziehungen und seine Begründung gab ich 
am Schlusse meines Aufsatzes „Farbe und Assimilation“ |Onderzoek. 
(3) VIL S. 231]. Hiernach ist für jede Wellenlänge 


N == & und nicht # = ri. 
n n 


Wie aus der Vergleichung der beiden Formeln unmittelbar er- 
sichtlich, müssen jetzt die Differenzen größer werden, welche einerseits 
zwischen den aus meinen Versuchen an verschiedenfarbigen Zellen 
berechneten zusammengehörigen Werten von E unter sich, wie ander- 
seits zwischen diesen und den auf rein physikalischem Weg mittels 
Thermosäule und Bolometer gefundenen bestehen. Die wesentlichste 
Uebereinstimmung bleibt jedoch erhalten: denn in allen Fällen erreicht 
die Energie ihren Maximalwert sehr nahe bei Fraunhofer’s Streif 
D und sinkt von hier nach beiden Enden des Spektrums hin allmäh- 
lich ab. 

Ich stelle hier die nach der verbesserten Formel aus der Gesamt- 
zahl meiner Versuche für # berechneten Werte mit denen zusammen, 
welche sich aus den Versuchen von Lamansky und Langley er- 
geben haben: 














we 680 | 622 | 600 | 589 | 573 558 | 522 | 486 | 431 
Lamansky ss | 99 , 100 |99,5| 98 | 96,5: 90 | 77 | 66 
LaneleyI . . . . 89,5! 96,5| 98 |99,5| 100, 96 | 89 | 78 | 48 

„1 .....86 |98,5| 100| 99 |98,5197,5| 92.| 73 147,5 
































Enselmann: .,.,. 69 | 95 | 99. |100 | 95 | 90 | 71 | 56 | 29 


Für die mittlern, hellern Partien des Spektrums, vom Orange bis 
ins Gelbgrün ist, wie man sieht, die Uebereinstimmung noch immer 
eine nahezu vollkommene. Die größern Abweichungen, welche sich 
gegen die Enden hin zeigen, möchten schon in anbetracht der größern 
Schwierigkeiten, welche sich hier der scharfen Bestimmung von A 
und » in den Weg stellen, kaum genügen, um die Voraussetzung 
direkter Proportionalität zwischen absorbierter Energie und Assimila- 
tionsarbeit auch nur für diese Spektralregionen unhaltbar erscheinen 
zu lassen. 


Nachschrift. 


Vorstehende Zeilen waren gedruckt, als mir Pringsheim’s aus- 
führliche Mitteilung „über die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikro- 


2 er 











Madrid-Moreno, Endknospen in der Riechschleimhaut der Knochenfische. 589 


spektrum“ (Sitzungsberichte der k. preuß. Akademie der Wissensch. 
zu Berlin, 4. Februar 1886; Biologisches Centralbl., VI, Nr. 3—5) 
zuging. Dieselbe bestätigt meine Befürchtung, dass der verehrte Ver- 
fasser die wichtigsten Fehlerquellen nicht erkannte und deshalb nicht 
vermied, welche einer Verwertung der Bakterienmethode zur Ermitt- 
lung des Zusammenhangs zwischen Lichtabsorption und Sauerstoff- 
ausscheidung im Wege stehen. Dem, wie oben gezeigt, nur unter 
ganz bestimmten Bedingungen, mit starken Einschränkungen brauch- 
baren Verfahren der simultanen Beobachtung wird ein fast blindes 
Vertrauen geschenkt, die Methode der successiven Beobachtung in 
einer, der meinigen wesentlich entgegengesetzten, zu quantitativen 
Bestimmungen, wie ich bestätigen kann, durchaus unbrauchbaren 
Weise angewendet und dementsprechend verurteilt. Neue thatsäch- 
liche Bemerkungen, die weitere Entgegnung an dieser Stelle erforder- 
ten, finden sich nicht. Alle Differenzen erledigen sich, soweit ich 
sehe, durch den Inhalt meiner vorstehenden Mitteilung. Hervorhebung 
möchte verdienen, dass Pringsheim das von mir gefundene zweite 
Maximum der Sauerstoffausscheidung im Blau doch auch „hin und 
wieder“ bei simultaner Beobachtung grüner Zellen im Sonnenspektrum 
gesehen hat. 


Jose Madrid-Moreno, Ueber die morphologische Bedeu- 
tung der Endknospen in der Riechschleimhaut der Knochen- 
fische. 


Bericht von ©. Emery (Bologna). 


In folgenden Zeilen gebe ich im Auszug eine in meinem Labora- 
torium ausgeführte Arbeit wieder, welche bald in spanischer Sprache 
ausführlich veröffentlicht werden soll. 

Eine vor kurzem erschienene Abhandlung von J. Blaue (Archiv 
f. Anat. u. Phys., Anat. Abt. 1884. S. 231—309, Taf. 12—14) behan- 
delt die Struktur der Nasenschleimhaut der Knochenfische sehr aus- 
führlich. Schon früher hatte Sofie Pereyaslawzeff in der 
Nase einiger Fische Gebilde beschrieben, welche mit Nervenknospen 
die größte Aehnlichkeit haben. Derartige Riechknospen fand Blaue 
mehrfach in verschiedenen Gattungen. Besonders interessant ist der 
Befund bei Belone, wo das Riechorgan des erwachsenen Tieres noch 
die embryonale Gestalt als offene Grube bewährt: die Nasenschleim- 
haut dieses Fisches wird von einem wimperlosen Pflasterepithel über- 
zogen, in welchem die Riechknospen eingebettet erscheinen, so dass 
sie auf Flächenansichten nur durch kleine kreisrunde Löcher sichtbar 
bleiben. Bei Trigla ist das Riechorgan nach gewöhnlichem Per- 
coiden-Typus gebaut; seine Schleimhaut hat aber ungefähr die gleiche 
Struktur wie bei Belone. Bei vielen andern Fischen sind die Riech- 


590 Madrid-Moreno, Endknospen in der Riechschleimhaut der Knochenfische. 


knospen durch das Pflasterepithel nur unvollständig getrennt, oder 
sie hängen auf größern Flächen mit einander zusammen; oder die 
Schleimhaut bietet gar keine Andeutung von Endknospen, da die 
Sinneszellen im Epithel gleichmäßig verteilt erscheinen. Aus seinen 
Untersuchungen schließt Blaue, dass das Riechorgan einer Anhäufung 
von Endknospen entspricht, und dass die Struktur der Riechschleim- 
haut, wie sie bei Belone und Trigla auftritt, als die primäre zu be- 
trachten ist; dass andere Formen, wo die Knospen minder abge- 
schlossen oder gar nicht nachweisbar sind, durch Zusammenfließen 
von ursprünglich diskreten Knospen entstanden gedacht werden sollen. 
ÖOntogenetische Untersuchungen konnte Blaue an Knochenfischen 
wegen Mangel an Material nicht anstellen: es standen ihm nur wenige 
zu Junge Stadien von der Forelle zur Verfügung. 

Falls die Blaue’sche Ansicht richtig wäre, so sollten in der 
ÖOntogenie solcher Fische, welche im erwachsenen Zustand keine 
Riechknospen haben, solche Knospen, oder doch Spuren davon während 
der Jugend auftreten. Bei den Arten, welche Riechknospen besitzen, 
sollten sie sehr frühzeitig erscheinen. Die Frage, deren Lösung ich 
Herrn Madrid anvertraute, war also eine Prüfung der Blaue’schen 
Ansichten aufgrund der Ontogenie. Das zu bearbeitende Material 
bestand aus ziemlich vollständigen Reihen von Belone acus, Trigla 
hirundo und Carassius auratus, die beiden erstern Fische im er- 
wachsenen Zustand mit höchst differenzierten Riechknospen, letzterer 
mit gleichmäßiger Riechschleimhaut. Außerdem standen verschiedene 
Stadien von Zoarces viviparus und Cyprinodon calaritanus zur Ver- 
fügung. 

Die Resultate der Untersuchung waren nun den Voraussetzungen 
Blaue’s durchaus nicht güustig. In der Entwicklung des Riech- 
organs von Carassius war in keinem Stadium irgendwelche Spur von 
einer Knospenbildung oder Knospendifferenzierung zu bemerken. Die 
Differenzierung der Riechknospen konnte dagegen bei Belone und 
Trigla Schritt für Schritt verfolgt werden. 

Die Riechgrube von Belone besitzt ursprünglich in ihrem Grunde 
eine gleichmäßige Sinnesepithelscheibe, die Riechschleimhaut. Bald 
entsteht in der Mitte dieser Scheibe eine kleine etwas erhabene Insel 
von Pflasterepithel; dieselbe entspricht einer später auftretenden Falte. 
Andere Inseln entstehen ferner zerstreut auf der Schleimhaut, dringen 
in die Tiefe des Epithels ein, dehnen sich aus und fließen endlich 
mit einander zusammen, so dass sie das Riechepithel in mehrere dis- 
krete Felder teilen, welche durch Pflasterepithelwülste gegen einander 
abgegrenzt sind. Diese Teilung wird fortgesetzt, und die einzelnen 
Felder, die wir „Riechfelder“ nennen können, werden immer kleiner 
und zahlreicher, bleiben aber noch sehr lange flach und offen, und 
die sie zusammensetzenden Stütz- und Sinneszellen stehen einander pa- 
rallel, zur Basalfläche senkrecht. Erst in beinahe erwachsenen Exem- 


ass In AN 


u A nen 








Madrid-Moreno, Endknospen in der Riechschleimhaut der Knochenfische. 594 


plaren bekommen diese Zellen die charakteristische an den Enden 
konvergierende Knospenstellung und werden dann vom Pflasterepithel 
derart umgeben und bedekt, dass sie nur noch je durch ein enges Loch 
mit der Außenwelt in Verbindung stehen. Diese Differenzierungen 
beginnen immer in der Mitte der Riechschleimhaut und sind daselbst 
immer weiter vorgeschritten als am Rande, was wohl nicht der Fall 
sein dürfte, falls nach Blaue’s Ansicht die Knospenbildung der 
Teilung einer wachsenden Urknospe entspräche. Bei Trigla geht die 
Entwieklung der Endknospen in gleicher Weise vor sich: die Schleim- 
haut bildet zahlreiche Falten, wovon einige schon in den jüngsten 
zur Untersuchung gekommenen Stadien vorhanden waren. Die Firsten 
dieser Falten wurden mit Pflasterepithel bedeckt getroffen, während 
die dazwischen liegenden Thäler mit gleichmäßigem Riechepithel über- 
zogen waren. Nach und nach entstanden neue Falten, über welche 
das Epithel pavimentös wurde. Dann erstreckte sich das Pflaster- 
epithel nach und nach in die Thäler, das Riechepithel in einzelne 
Felder teilend, welche auf dem Grunde der Thäler immer größer waren 
als auf den steilen Wänden der Falten. Ganz wie bei Delone wur- 
den erst im beinahe erwachsenen Tier die Riechfelder zu wirklichen 
Endknospen. 

Zoarces hat selbst im erwachsenen Zustand keine Riechknospen, aber 
die Schleimhaut bietet Falten, deren Firste mit Pflasterepithel bedeckt 
ist. — Bei Cyprinodon hat die Nasenschleimhaut nur wenige Falten 
und wird dureh Pflasterepithelleisten in einzelne Riechfelder geteilt, 
ganz wie bei der jungen Belone. — Diese beiden Fische wiederholen 
im erwachsenen Zustande ontogenetische Stadien von Belone und 
Trigla. — Im der Nasenhöhle von Cyprinodon wurde mehrmals eine 
kleine parasitische Copepode gefunden. Dieser Schmarotzer verur- 
sacht eine pathologische Veränderung der Schleimhaut, indem er das 
Riechepithel zum größten Teil zum Schwunde bringt, während das 
Pflasterepithel eine ungewöhnliche Verbreitung bekommt. 

Letztere Thatsache sowie der Umstand, dass die normale Bildung 
des Pflasterepithels immer auf den erhabenen Falten der Schleimhaut 
beginnt, d. i. an den Stellen, welche der Reibung oder sonst mecha- 
nischen Insulten am meisten ausgesetzt sind, werfen einiges Licht 
auf die Bedeutung jener Veränderungen des Epithels. — Wir können 
annehmen, dass das Pflasterepithel als Schutzvorrichtung für die 
zarten Sinneshärchen entwickelt wurde und zuerst infolge patholo- 
gischer Reaktion auf mechanische Reize entstand. Es sei aber diese 
Erklärung richtig oder nicht, so deutet die erst spät auftretende 
Differenzierung der Riechknospen der Knochenfische darauf hin, dass 
dieselben kein uraltes Erbstück sind, sondern erst spät durch An- 
passung an besondere Verhältnisse gebildet wurden. Die Aehnlich- 
keit, welche zwischen Endknospen der Haut von Fischen und Am- 
phibien, Riechknospen einiger Knochenfische und Geschmacksknospen 


599 List, Strukturen von Drüsenzellen. 


der Säugetiere besteht, ist gewiss nicht durch Vererbung aus primi- 
tiven indifferenten Knospenformen, sondern durch konvergente An- 
passung zu erklären. In allen diesen Sinnesorganen bildet das um- 
gebende Pflasterepithel eine Schutzvorriehtung für die in der Knospe 
konzentrierten Sinneszellen. 

Durch die Resultate Madrid’s wird die Ansicht Beard’s, dass 
das Riechorgan der Reihe der „branchialen“ Sinnesorgane gehöre, 
weder bekräftigt noch erschüttert. Es steht nichts gegen die An- 
nahme, dass sich das Riechorgan durch höhere Ausbildung eines in- 
differenten Sinneshügels entwickelt haben möge. Bei primitiven For- 
men des Amphibienstammes mag sogar dieser Sinneshügel sich durch 
Randknospung vermehrt haben, wie die ontogenetischen Beobachtungen 
Blaue’s für Urodelen zeigen. Die Riechknospenbildung der Knochen- 
fische darf aber nicht auf diese Zustände zurückgeführt werden. 


Ueber Strukturen von Drüsenzellen. 
Von Dr. Joseph Heinrich List. 


Nach einem auf der 59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu 
Berlin in der anatomischen Sektion gehaltenen Vortrage. 


Wenn ich zum Thema meines heutigen Vortrages den feinern 
Bau von Drüsenzellen gewählt habe, so kann es nicht meine Absicht 
sein, diesen schwierigen Gegenstand umfassend zu erörtern. Was ich 
bezwecken will, ist, Ihnen eine Darstellung des Baues von schleim- 
bereitenden Drüsenzellen — Zellen der Schleimdrüsen sowohl als 
‚auch der sogenannten Becherzellen — zu geben, um im Anschlusse 
daran einiges über den Sekretionsprozess mitzuteilen. 

Die allgemeinen Formverhältnisse der betreffenden Drüsenzellen 
setze ich wohl als bekannt voraus, um nicht weiter bei ihnen ver- 
weilen zu müssen. N 

Dass in den mukösen Drüsenepithelien und den Becherzellen ein 
Teil der Zellsubstanz in Form eines Gerüstwerkes angeordnet ist, wer 
wollte dies nach unsern heutigen Erfahrungen bezweifeln? Heiden- 
hain’s, Klein’s, Schiefferdeceker’s und zum Teil auch meine 
bescheidenen Arbeiten haben in den in Rede stehenden Gebilden 
Bauverhältnisse kennen gelehrt, denen zufolge ein Teil der Zellsub- 
stanz, die Filarmasse, in der Drüsenzelle in Form eines aus homogen 
erscheinenden Strängen bestehenden Maschenwerkes angeordnet ist, 
während der größte Teil der Zellsubstanz, die Interfilarmasse, 
zwischen den Maschen zu liegen kommt. 

Die Filarmasse erscheint nun bei allen Schleim sezernierenden 
Gebilden (Zellen der echten Schleimdrüsen, Becherzellen und einzelligen 








List, Strukturen von Drüsenzellen. 593 


Drüsen der Mollusken) aus im frischen Zustande homogenen und 
stärker das Licht breehenden dünnen Strängen gebildet, welche sich 
zu einem aus mehr rundlichen oder polygonalen Maschen bestehenden 
Gerüstwerke zusammensetzen. 

Die einzelnen die Maschen bildenden Stränge zeigen verschiedene 
Länge und auch Dicke und bilden an den Maschenecken gewöhnlich 
knotige Anschwellungen, von welchen nach allen Richtungen des 
Raumes Stränge abgehen. Die Stränge selbst sind häufig grade, ge- 
bogen, oder auch geknickt. Auf diese Weise wird ein Gerüstwerk 
gebildet, welches sich aus den mannigfachsten Polyedern zusammen- 
setzt, und welches die ganze innere Fläche der Drüsenzellenmembran 
umstrickt. 

Wenn sieh nun diese Anordnung der Filarmasse bei allen aus- 
gebildeten Schleim sezernierenden Drüsenzellen konstatieren lässt, so 
finden sich doch, abgesehen von den Formverhältnissen, typische Unter- 
schiede vor. 

Während man in den Becherzellen sehr häufig am Grunde der 
Theca eine dichte Ansammlung von Filarmasse findet, so zwar, dass 
die einzelnen Stränge, dicht beisammen liegend, sich nach oben hin 
mit einer Ausbauchung abgrenzen und sich rings an der Theeawand 
emporziehen, gelang es mir nicht, in den Zellen der echten Schleim- 
drüsen dies Verhältnis zu beobachten. 

Auch die großen einzelligen, Schleim sezernierenden Drüsen der 
Mollusken (im Fuß von Tethys z. B.) zeigen, was Anordnung der 
Filarmasse betrifft, analoge Verhältnisse wie die Becherzellen. 

Die Filarmasse erscheint als eine zähe, ziemlich konsistente Masse, 
welche, namentlich nach Behandlung mit verschiedenen Härtungs- 
mitteln, gewisse Farbstoffe, besonders Anilinfarben, wie Bismarckbraun, 
salpetersaures Rosanilin ete. sehr begierig aufnimmt und in diesem 
Sinne gewissermaßen als chromoleptische Substanz der Drüsenzelle be- 
zeichnet werden kann. 

Das ganze Gerüstwerk der Filarmasse ist als eine einzige zu- 
sammenhängende, organische Masse zu betrachten. 

Die Interfilarmasse, welche den weitaus größten Teil der Zell- 
substanz bildet, erscheint als eine homogene zähflüssige Masse, in 
welcher das Gerüstwerk der Filarmasse eingebettet ist. 

Dieselbe nimmt Farbstoffe weit weniger begierig auf als die 
Filarmasse und erleichtert infolgedessen das Studium der letztern an 
tingierten Objekten bedeutend. 

An tingierten Präparaten kann man häufig bemerken, dass die 
Interfilarmasse in einzelnen Maschen dunkler gefärbt ist, ein Verhal- 
ten, welches bei Becherzellen besonders in der Nähe des Kerns zu 
beobachten ist. Dies weist offenbar darauf hin, dass sich in einzelnen 
Teilen der Interfilarmasse: chemische Veränderungen vollziehen, die 
uns zur Zeit noch völlig unbekannt sind. 

VI. 38 


594 List, Strukturen von Drüsenzellen. 


Ein Verhältnis möchte ich noch besprechen und zwar das Ver- 
halten des Kerns gegenüber der Filarmasse. Klein behauptete auf 
grund seiner Untersuchungen (Magenepithelzellen von Triton, die er 
für Becherzellen anspricht), dass die Filarmasse der Zelle (intercellular 
network) in direkter Verbindung mit dem Reticulum des Kerns 
(internuclear network) stünde. 

Nach meinen Erfahrungen findet dies in keiner Drüsenzelle statt; 
man kann häufig die Stränge der Filarmasse bis an den Nucleus 
ziehen und daselbst mit einer Anschwellung enden sehen. Für die 
Selbständigkeit des Maschenwerkes der Filarmasse in den Becher- 
zellen habe ich schon früher einmal den Befund mitgeteilt, dass es 
mir an Schnitten (Kloakenepithel von Plagiostomen) gelang, das Ge- 
rüstwerk von Membran und Kern getrennt zu beobachten. 

Was nun den Kern der Drüsenzelle betrifft, so ist schon die Lage 
desselben für die Zelle selbst charakteristisch; er liegt sowohl bei 
Becherzellen als auch den Zellen der Schleimdrüsen in der Regel am 
Grunde der Membran entweder dicht an, oder derselben genähert. 
An mit Stoma versehenen Zellen liegt er demselben gegenüber oder 
ist etwas zur Seite gelagert. An den Becherzellen ist derselbe oft so 
abgeplattet, dass er an Isolationspräparaten als eine glänzende, halb- 
mondförmige Masse erscheint, eine Form, welche allerdings auch- 
manchmal in den Schleimdrüsenzellen beobachtet werden kann. 

Auch ein Retieulum kann man in dem Nucleus bemerken, welches 
allerdings in den oft sehr abgeplatteten Kernformen der Becherzellen, 
namentlich an Isolationspräparaten, sehr undeutlich zu sehen ist. Es 
ist mir nicht unwahrscheinlich, dass mit forschreitender Sekretion in 
dem Kerne sich wesentliche Veränderungen vollziehen, welche viel- 
leicht als Degenerationsprozesse zu deuten sind. 

Ich habe bis nun Bauverhältnisse von Drüsenzellen besprochen, 
welche man in der ausgebildeten und bereits in Funktion stehenden 
Zelle beobachten kann. 

Etwas anders verhält es sich mit noch unentwickelten und noch 
nicht fanktionierenden Zellen. 

Geschichtete Pflasterepithelien, ir, welchen Becherzellen vorkommen, 
sind höchst geeignete Objekte, um über dies Verhältnis einigermaßen 
zur Klarheit zu kommen. In vielen in den tiefsten Schichten gelegenen 
Becherzellen kann man nun häufig an gut tingierten Präparaten kein 
so ausgebildetes Gerüstwerk beobachten, wie an den bereits an die 
Oberfläche gerückten. 

Viele Maschen erscheinen in solchen Zellen nicht geschlossen, 
und an der innern Oberfläche der Theca bemerkt man knotige Ver- 
diekungen, die Ansatzpunkte der sich erst zu bildenden Stränge der 
Filarmasse. Je höher die Becherzelle hinaufrückt und sich der Ober- 
fläche nähert, desto ausgebildeter wird das Maschenwerk, um vor 
Auftritt des Stomas den Höhepunkt in der Ausbildung zu erreichen. 











List, Strukturen von Drüsenzellen. 595 


Eigentümlicherweise gibt es aber auch Becherzellen, welche 
sezernieren, ohne die beschriebenen Bauverhältnisse zu zeigen. In 
der Oberhaut von Forellenembryonen kommen Becherzellen vor, welche 
zeitlebens kein ausgebildetes Gerüstwerk der Filarmasse besitzen, 
sondern einen eigentümlich granulierten Inhalt führen. Diese Becher- 
zellen befinden sich konstant in einem Entwicklungsstadium, wie 
man dasselbe bei den in den tiefsten Schichten von Pflasterepithelien 
vorfindlichen Zellen finden kann. 

Nach Besprechung der allgemeinen Bauverhältnisse der in Rede 
stehenden Drüsenzellen möge es mir gestattet sein, zu erörtern, welche 
von den beiden Substanzen in der Drüsenzelle das Hauptagens beim 
Sekretionsprozesse ist. 

Schon vor einiger Zeit habe ich die Beobachtung mitgeteilt, dass 
man in der lebenden Becherzelle eine eigentümliche aber äußerst 
schwierig zu verfolgende Bewegung der Filarmasse bemerken kann; 
die einzelnen Knotenpunkte des Gerüstwerkes scheinen sich langsam 
zu nähern und dann wieder zu entfernen. Dies kann man bereits in 
geschlossenen, also noch nicht zur Funktion gekommenen Becherzellen 
beobachten. 

Nun war es Rindfleisch, welcher vor Jahren die Hypothese 
aufstellte, dass man die Bewegungsvorgänge der lebenden Substanz 
in der Zelle zurückführen könne auf Funktionen geänderter Adhäsion 
zwischen den beiden chemisch differenten Substanzen. Ich muss ge- 
stehen, dass mir diese Ansicht für die Drüsenzellen äußerst plausibel 
erscheint. Dass man die Bewegungen der Filarmasse beobachten kann, 
wäre dann auf das Uebermaß der vorhandenen Interfilarmasse zurück- 
zuführen, und die Attraktionszentren wären in den Knotenpunkten des 
Gerüstwerkes der Filarmasse gelegen. Thatsächlich kann es demnach 
in der Drüsenzelle auch kein Ruhestadium geben, wie auch jüngst 
Merk mit Recht betont hat. 

So dunkel uns noch diese Vorgänge in der Drüsenzelle sind, einen 
Schritt, glaube ich, sind wir doch näher gerückt bei Beurteilung der 
beiden Substanzen, wenn wir die Mechanik des Sekretionsprozesses 
ins Auge fassen. 

Ich muss hier wieder bei den Becherzellen anknüpfen, an ein 
Objekt, welches geeignet ist, über manche Fragen in der Biologie 
der Drüsenzelle Bescheid zu geben und bisher leider viel zu wenig 
gewürdigt worden ist. 

Betrachten wir eine geöffnete und in Sekretion gestandene Becher- 
zelle an einem mit Chromsäure fixierten und sodann tingierten Objekte, 
so sieht man gewöhnlich über dem Stoma einen Pfropf, das ausge- 
stossene Sekret, der sehr verschiedene Größe zeigt und häufig die 
umliegenden Epithelzellen bedeckt. Das Innere der Theea erscheint 
in der Weise verändert, dass die Stränge der Filarmasse gegen das 
Stoma zu konvergieren, während die queren Verbindungsstränge zum 

3a 


596 Rosenthal, Leitungsvermögen tierischer Gewebe. 


großen Teile gerissen sind. Im Pfropfe selbst kann man nun die 
ausgestossenen und gezerrten Maschen der Filarmasse bemerken, 
allein es überwiegt die Interfilarmasse bedeutender als in der Theca. 
Ich nehme deshalb an, dass die Volumenzunahme der Interfilar- 
masse das Hauptagens beim Sekretionsprozesse ist, während die Filar- 
masse anscheinend eine mehr passive Rolle spielt. 

Ein Verhältnis möchte ich noch erörtern und zwar das der Zell- 
substanz zu den Sekretmassen. Wenn, wie es mir höchst wahrschein- 
lich ist, die Becherzellen sich aus gewöhnlichen Epithelzellen hervor- 
bilden, so sollte man in der gebildeten Becherzelle doch noch 
ursprüngliche Zellsubstanz finden. Allein mir ist es nicht gelungen 
einer solchen Becherzelle ansichtig zu werden. Was ich früher für 
ursprüngliche Zellsubstanz zu halten geneigt war, hat sich als dichte 
Ansammlung von Filarmasse herausgestellt. Es scheint demnach schon 
in den frühesten Stadien eine vollständige Umwandlung der Zell- 
substanz in Sekretmasse stattzufinden — in der ausgebildeten Drüsen- 
zelle kann man nur mehr letztere finden. 

Soweit unsere Erfahrungen reichen, finden sich ähnliche Bau- 
verhältnisse wie bei den Schleim bereitenden Drüsenzellen auch in 
andern Drüsen vor. So ist in den mukösen Speicheldrüsen und der 
Parotis schon lange eine retikulierte Struktur beschrieben, ebenso wie 
in den Speicheldrüsen verschiedener Insekten. Leider sind aber noch 
viel zu wenig Objekte daraufhin untersucht, um Generalisierungen 
aufzustellen, und es wird Sache künftiger Forschung sein, mit Hilfe 
der modernen Technik, die uns bereits zu so wertvollen Entdeckungen 
geführt, nachzuweisen, inwieweit die besprochenen Bauverhältnisse 
für die verschiedensten Drüsenzellen Geltung besitzen. 


Ueber das elektrische Leitungsvermögen tierischer Gewebe. 
Von Prof. Dr. J. Rosenthal. 


Die „Untersuchung des Leitungsvermögens tierischer Gewebe ge- 
winnt ein bedeutendes physiologisches Interesse, wenn sich Unter- 
schiede zwischen lebendem und totem Gewebe nachweisen lassen, 
wie dies Joh. Ranke für den Muskel angibt, oder Unterschiede je 
nach der Richtung des Stromes zu der Gewebestruktur, wie sie 
L. Hermann beim Muskel auffand. In den Untersuchungen dieser 
beiden Forscher stellte aber die Polarisation der exakten Wider- 
standsbestimmung große Schwierigkeiten entgegen. Diese lassen 
sich überwinden, wenn man über genügend empfindliche Gal- 
vanoskope verfügt, so dass man bei Anwendung der Wheat- 
stone’schen Brücke mit kurzdauernden und möglichst schwachen 
Strömen arbeiten kann. Auf solche Art habe ich mit dem von 
mir konstruierten sogenannten Mikrogalvanometer neue Versuche 











Kny, Aufnahme tropfbar- flüssigen Wassers durch Pflanzen. 597 


an Muskeln und Nerven angestellt und bin zu dem Schlusse ge- 
kommen, dass die von meinen Vorgängern gefundenen Unterschiede 
nicht existieren. Das Leitungsvermögen lebender und toter Muskeln 
ist vollkommen gleich; wenn J. Ranke Unterschiede fand, so können 
diese nur durch eine größere Polarisierbarkeit des lebenden Muskels 
bedingt ein. Ebenso fand ich keine oder doch nur sehr geringe Un- 
terschiede im Leitungsvermögen der Muskeln und Nerven in der Längs- 
und Querrichtung. Schon Hermann hatte die von ihm gefundenen 
Unterschiede auf eine größere Polarisierbarkeit der Muskeln in der 
Querrichtung geschoben, und es kann daher nicht wundernehmen, 
dass ich solehe Unterschiede nicht fand, da ich die Polarisation aus- 
schloss. Ich muss jedoch bemerken, dass in meinen Versuchen auch 
bei dauerndem Schluss des Stromes die Polarisation sowohl in der 
Richtung der Muskelfaser, als auch in der darauf senkrechten Rich- 
tung nur eine geringe war, was natürlich nicht ausschließt, dass bei 
Anwendung stärkerer Ströme die Polarisation viel beträchtlicher aus- 
fallen und den von Hermann beobachteten scheinbaren Unterschied 
des Leitungsvermögens verursachen kann. Ich. will aber auf die 
Frage der Polarisation hier nicht weiter eingehen, da über diesen 
Gegenstand von anderer Seite neue Untersuchungen angekündigt wor- 
den sind. 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin. 
Sektion für Botanik. 

2. Sitzung. Herr L. Kny (Berlin) spricht über die Anpassung der 
Pflanzen gemäßigter Klimate an die Aufnahme tropfbar-flüs- 
sigen Wassers durch oberirdische Organe. Nachdem durch den 
Fundamentalversuch von Mariotte erwiesen war, dass gewisse landbewohnende 
Blütenpflanzen befähigt sind, Wasser in tropfbar-flüssiger Form durch beblätterte 
Sprosse aufzunehmen und den Verdunstungsverlust nicht benetzter, mit ihnen 
in Verbindung stehender oberirdischer Teile desselben Stockes hierdurch bis 
zu einem gewissen Maße zu decken, hat sich die Forschung einerseits bemüht, 
die Mengen des aufgenommenen Wassers nach Gewicht und Volumen genauer 
zu bestimmen; anderseits musste die Frage entstehen, ob und wieweit etwa 
gewisse Pflanzen infolge der klimatischen Verhältnisse ihrer Heimat oder in- 
folge eigeuartiger Lebensweise auf die Wasseraufnahme durch oberflächliche 
Internodien oder Blätter angewiesen seien. Eine entschiedene Anpassung 
an diese Form der Wasseraufnahme besteht nach den Untersuchungen von 
Duchartre, Cailletet und A. F. W. Schimper bei den epiphytischen 
Bromeliaceen, nach Wiesner bei Sarracenia, nach Volkens bei einer Anzahl 
von Küchenpflanzen, nach E. Gregory bei mehrern durch Bekleidung mit 
Filzhaaren ausgezeichneten Bewohnern des Kaps der guten Hoffnung und der 
Mittelmeerländer. Auch bei einer größern Zahl von Pflanzen dieses Klimas 
war von verschiedenen Seiten, in weitestgehender Weise von Lundström, 


598 Kny, Aufnahme tropfbar-flüssigen Wassers durch Pflanzen. 


auf Einrichtungen hingewiesen worden, welche in erster Linie der leichtern 
Zufuhr, dem Festhalten und der Aufnahme von Regenwasser und Tau durch 
oberirdische Organe dienen sollten. Bei gewissen Pflanzen, wie den Arten von 
Dipsacus und Silphium, wird Regenwasser in Behältern gesammelt, welche 
durch Vereinigung benachbarter Laubblätter desselben Knotens zu stande kom- 
men; oder es wird solches zwischen den untersten Fiederblättchen (Hydro- 
phyllum virginicum) oder zwischen Nebenblättern (Thalctrum simplex, Rabus 
chamaemorus) festgehalten. In andern Fällen dienen Grübchen (untere Blatt- 
seite von Vaccinium Vitis Idaea) der Ansammlung beziehungsweise Leitung 
des Wassers. Ganz besonders groß ist nach Lundström die Rolle, 
welche Haarbekleidungen in Form von Rändern und Büscheln in dieser Be- 
ziehung spielen. Die Untersuchungen Lundström’s geben meist nicht 
über die Deutung des anatomischen und morphologischen Befundes hinaus. 
Die von ihm angestellten Versuche sind sehr gering an Zahl und entbehren 
der Genauigkeit. Da es a priori nicht grade wahrscheinlich ist, dass so zahl- 
reiche und weitgehende Anpassungen an die Aufnahme von Regenwasser durch 
oberirdische Organe innerhalb einer Flora sich ausgebildet haben sollten, deren 
Pflanzen durch ihr normal ausgebildetes Wassersystem der Regel nach Wasser 
in genügender Menge zugeführt erhalten und, wie aus dem Mariotti’schen 
Versuche und seinen Wiederholungen hervorgeht, zum großen Teile auch ohne 
solche Einrichtungen befähigt sind, geringe Mengen von Regen und Tau durch 
Internodien der Blätter aufzunehmen, nahm ich im letzten Sommer einige schon 
in frühern Jahren begonnene Versuchsreihen wieder auf. Betreffs der Methode 
muss wegen Beschränktheit des hier zur Verfügung stehenden Raumes auf die 
an anderer Stelle demnächst erscheinende ausführlichere Veröffentlichung ver- 
wiesen werden. Als Versuchspflanzen dienten: Stellaria media, Leonorus Üar- 
diaca, Ballota nigra, Fraxinus excelsior, Fr. oxycarpa, Alchemilla vulgaris, 
Trifolium repens, Silphlum ternatum, 8. perfoliatum, Dipsacus Follonum, D. 
laciniatus. Als Resultat hat sich ergeben, dass unter den gewonnenen Arten 
allein bei Dipsacus laciniatus und D. Fullonum von einer besondern Anpassung 
der oberirdischen Organe an die Aufnahme tropfbar-flüssigen Wassers die Rede 
sein kann. Von beiden Dipsacus-Arten tritt, soweit die durch das Material 
bedingte geringe Zahl von Versuchen (im ganzen 7 mit je 4 Pflanzen) ein 
Urteil gestattet, diese Anpassung deutlicher bei Dipsacus Fullonum als bei 
D. laciniatus und bei beiden deutlicher an jungen, noch in Entwicklung der 
Terminalknospe begriffenen als an erwachsenen, mit Blütenköpfen ausgestatteten 
Pflanzen hervor. Das geringe Quantum des aus den Blatt-Trögen aufgenommenen 
Wassers kommt zum kleinsten Teile den erwachsenen Blättern, weit mehr dem 
obern Teile des Stengels und durch diesen den Blättern der Terminalknospe 
und den Blütenköpfen zugute. Bei einem Teile der von ihm angestellten Ver- 
suche hatte Vortragender sich der Unterstützung des Herrn Dr. Wieler zu er- 
freuen. — Herr Johow (Bonn) teilt mit, dass er in West-Indien an Bignonia- 
ceen und Capparideen wasseraufsaugende Triehome beobachtet habe; 
er weist ferner auf die in Neu-Seeland epiphytisch lebenden Astelieen hin 
und empfiehlt dieselben als Untersuchungsobjekte. — Herr Warming (Kopen- 
hagen): könnte auch die Richtigkeit der Lundström’schen Untersuchungen 
nicht bestätigen, soweit er Gelegenheit gehabt, sie nachzuuntersuchen. Er 
habe zuerst die (von Lundström nicht erwähnten) Rhododendron lapponicum 
und Cassiope tetragona experimentell untersucht, weil bei diesen, jedenfalls bei 
derselben Art, Haare vorkommen, die mit denen der Bromeliaceen große Ueber- 
einstimmung haben; das Resultat war absolut negativ, was Wasseraufnahme 


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EERBET TE NEE. 


EZ ee er 





Kräpelin, Süßwasserbryozoen. 599 


betrifft. Später habe er Alchemilla vulgaris genauer nachuntersucht, habe aber 
die Angaben von Lundström unzuverlässig oder unbewiesen gefunden. Die 
Form des Blattes könne natürlich nicht als eine Anpassung an Regen be- 
trachtet werden, weil selbst bei submersen Wasserpflanzen etwas Aehnliches zu 
finden ist. Die Haarbüschel, die unten die Spreite abschließen sollen, fehlen 
sehr oft, z.B. unter 45 Pflanzen bei 16, welche ganz glatt waren. Die Drüsen- 
haare sind sehr sparsam und können kaum die angegebene Bedeutung haben. 
Dass das Sekret, welches Lundström erwähnt, von der Pflanze stammt, ist 
nicht bewiesen und nicht wahrscheinlich; dass es hygroskopisch sei, ist auch 
gar nicht bewiesen; durch das Anhauchen wird es wahrscheinlich ganz einfach 
von dem verdichteten Wassergas aufgelöst. Dass das Sekret weiter als Schutz 
gegen Transpiration dient, ist ebenso unbewiesen wie unwahrscheinlich. — 
Herr Tschirch (Berlin) bemerkt, dass auch Dr. Wille zu andern Resultaten 
als Lundström gekommen sei. Die Resultate werden demnächst publiziert. — 
Herr Volkens (Berlin) glaubt behaupten zu können, dass Safthaare, solche, 
die in allen ihren Zellen plasmaerfüllt sind, ganz im allgemeinen niemals der 
Wasseraufnahme dienen. Absorptionshaare sind nach seinen Erfahrungen ana- 
tomisch immer dadurch charakterisiert, dass sie in ihren Endgliedern Luft 
führen oder durchaus solid sind, an ihrer Basis besondere, meist durch Dünn- 
wandigkeit ausgezeichnete „Saugzellen* aufweisen. 


Sektion für Zoologie. 


1. Sitzung. Herr Kräpelin (Hamburg) spricht über die Phylogenie 
und Ontogenie der Süßwasserbryozoen. Redner, der seit mehrern 
Jahren die Bryozoenfauna Deutschlands zum Gegenstand seiner Studien ge- 
macht, bespricht zunächst die Mannigfaltigkeit der Formen und deren phylo- 
genetische Entwicklung. Er kommt zu dem Schlusse, dass die Ahnen der 
heutigen Phylactolämen unter den Ötenostomen zu suchen sind, und zwar unter 
Formen, die wie die jetzt lebenden Gattungen Arachnidium nnd Viectorella 
kriechende Ausläufer mit knollenförmigen Verdickungen besessen haben. Aus 
solchen entwickelten sich zunächst die Paludicellen (Pal. erecta Potts, 
Pal. Ehrenbergii), deren Hibernacula oder Winterknospen wahrscheinlich mit 
jenen knollenförmigen Anschwellungen der Wurzelfäden in Parallele zu stellen 
sind. Die Hibernacula, welche sowohl an den auf der Unterlage kriechenden, 
wie an den aufrechten Zweigen zur Entwicklung kommen, sind echte Knospen, 
deren Embryo aus Entoderm und Ektoderm der Cystidwand gebildet wird; sie 
entsprechen daher völlig den Statoblasten der Phylactolämen, und zwar zu- 
nächst denen der F'redericella, welch letztere nicht mehr wie Paludicella Ehren- 
bergiüi gegenwärtig verzweigt ist, sondern an Stelle des einen Seiten- 
zweiges im Innern der Cystidröhre je einen schwimmringlosen, später 
gleich den.Hibernacula am Orte seiner Entstehung mit zweiklappiger 
Schale sich öffnenden Statoblasten entwickelt hat. Wie bei Paludicella 
die Winterknospen in solche, die der Unterlage anhaften, und solche, die an 
den aufreehten Röhren sitzen, unterschieden werden können, so sehen wir auch 
die Statoblasten der Frredericella in sitzende, der kriechenden Cystidwand und 
somit der Unterlage angeleimte und in freie, in den aufrechten Röhren steckende 
sich differenzieren. Die Scheidewände der Fredericella sind wie die der Palu- 
dicella wohl entwickelt, an Stelle der 16 Tentakel der letztern sind 24 ge- 


600 Kräpelin, Süßwasserbryozoen. 


treten, und diese sind, zur Vergrößerung der Fläche, nicht mehr im Kreise, 
sondern in schwach ausgeschweiftem Hufeisen angeordnet. Die F'redericella 
sultana ist daher nicht, wie Jullien neuerdings behauptethat, eine „monstruosite“ 
der Plumatella, sondern eine höchst wichtige Uebergangsform, welche allein 
uns den Zusammenhang der übrigen Phylactolämen mit den Ctenostomen ver- 
ständlich macht. Die weitere Entwicklung aus der Fredericella ist leicht zu 
verfolgen und lässt sich lediglich auf größere oder geringere Festigkeit (scil. 
Wassergehalt) des Chitins der Ektocyste wie auf Vermehrung der Tentakel- 
zahl zurückführen. Letztere muss natürlich eine weitere Ausbildung des Lopho- 
phors zur Folge haben. Es entstehen Formen mit 40, 50, ja 60 Tentakeln, die 
nun weit besser für die Ernährung des Tieres sorgen können. Die Einzeltiere 
werden größer, die Produktion von überschüssigem Material zur Nachkommen- 
bildung wird gestattet. So entsteht in jedem Zweigabschnitt nicht, wie bei 
Fredericella, nur ein Statoblast, sondern eine ganze Summe derselben, die nun 
nicht mehr an Ort und Stelle zur Entwicklung gelangen können, sondern aus 
den Röhren herausfallen und mittels eines Schwimmringes geeignete Stellen 
zur Gründung einer neuen Kolonie aufsuchen. Daneben wird die Erhaltung der 
Form an der einmal als günstig befundenen Oertlichkeit durch die schwimm- 
ringlosen, basalen, sitzenden Statoblasten gewährleistet. Solchen Stadien 
der Entwicklung entsprechen etwa die Plumatellen, die aber augenschein- 
lich nach zwei verschiedenen Richtungen sich weiter differenzierten, ohne dass 
es bis jetzt nach der einen Richtung zu scharfer Abgrenzung von Arten ge- 
kommen wäre. Steigert sich nämlich die Festigkeit der chitinösen Ektoeyste, 
so wird die Ausbildung vertikaler Cystidröhren in den Vordergrund treten; 
aus den hirschgeweihartigen Plumatellen unserer Seerosenblätter werden die 
Alcyonella-Formen, die aus gewaltigen Massen dicht aneinander gelagerter 
vertikaler Oystidröhren auf kurzen, gedrungenen Kriecheystiden bestehen, und 
bei welchen die Verschiedenheit von sitzenden und Schwimmringstatoblasten 
ihre höchste Stufe erreicht hat (z. B. Alec. Benedeni auf Paludina vivipara). 
Wird jedoch das Chitin der Ektoeyste wassereicher, flüssiger, so schwindet die 
Möglichkeit vertikaler Cystide ; es entstehen jene hyalinen Kriechformen, die 
neuerdings Jullien ungerechtfertigterweise als „Dyalonella* genetisch ab- 
gegrenzt hat und die im weitern Verlauf zu den sogenannten Gallertformen, 
den Lophopus, Peetinatellen und endlich den Cristatellen geführt haben. 
Die sitzenden Statoblasten, welche an der weichen, leicht zersetzbaren Cystid- 
wand keinen genügenden Halt mehr fanden, sind verschwunden; dagegen wurde 
die Behauptung der einmal okkupierten Lokalität durch Hinzufügung von Ankern 
(Dornen) an die Schwimmringstatoblasten gewährleistet. Mit dieser Weiter- 
entwicklung ist abermals eine Vergrößerung der Individuen, der Tentakelzahl 
(bis 100), der Statoblasten ete. Hand in Hand gegangen. -- Redner teilt sodann 
noch kurz einige Resultate seiner ontogenetischen Untersuchungen mit. 
In bezug auf die geschlechtliche Fortpflanzung ist hervorzuheben, dass die 
Spermatozoen direkt aus membranlosen Spermatiden sich entwickeln, 
die sich als gewöhnliche Zellen des „Entoderms“ darstellen. Die Entwicklung 
des Spermakopfes aus dem Kern der Spermatide wurde auf das bestimmteste 
beobachtet. Beim Schluss der Entwicklung bleibt ein „Restkörper* übrig. — 
Die Eier, ebenfalls Derivate der „Entodermzellen“, aber nicht des Funieulus, 
sondern der Cystidwand, sind von einem „Entodermepithel* überkleidet und 
bilden so als Hauf ein Ovarium einfachster Art. Sie gelangen nicht in die 
Leibeshöhle, sondern werden im Ovarium befruchtet. Die Annahme Meczni- 
koff’s und Nitsche’s von der Aufnahme des Eies durch eine Polypidknospe 





EBEN TER 


ee 








Kräpelin, Süßwasserbryozoen. 601 


ist unrichtig. Das befruchtete Ei wird vielmehr nur vom stark wuchernden 
Eierstockepithel umkleidet. Die Furchung scheint zunächst eine Summe gleich- 
artiger Zellen zu liefern; bald aber differenzieren sich diese in zwei Gruppen, 
deren eine allein den künftigen Embryo liefert, während die andere der Wan- 
dung der maternalen Embryonalhülle sich anlagert und allmählich rückgebildet 
wird. Der zum Embryo sich entwickelnde Zellhauf bildet zunächst eine ein- 
schichtige Blastula mit weiter Zentralhöhle. Durch eine noch nicht ganz klar 
erkannte Form von Embolie wird sie zweischichtig, so dass der Embryo nun- 
mehr eine durch eine Art Placenta mit der mütterlichen Embryonalhülle ver- 
bundene „Gastrula“ mit weiter Höhlung darstellt. Diese so gebildete „Gastral- 
höhle“ ist die spätere Leibeshöhle, seine Schichten sind das „Ektoderm“ und 
„Entoderm* des „Cystids“. Durch Einstülpung am vordern Pol entstehen dann 
in derselben Weise die Polypide, wie am erwachsenen Cystid. Das „Ektoderm“ 
wird hierbei, wie schon Nitsche beobachtete, zum Darmepithel, aus dem sich 
durch Abspaltung das Ganglion bildet. Der Darmkanal ist in seiner ganzen 
Länge eine einfache Einstülpung der Cystidwand und somit dem 
Munddarm der Cölenteraten an die Seite zu stellen. Sein Durchbruch 
in die Tentakelscheide (d. h. eigentlich in sich selbst zurück) wird durch Auf- 
wärtskrümmung vorbereitet, mit welcher die Bildung dreier dorsaler Ein- 
stülpungen in den Hohlraum der zweischichtigen Polypidknospe parallel geht, 
von denen zwei seitliche den Lophophor erzeugen, während eine mediane eben 
jene Knickung des Enddarms gegen den Oesophagus darstellt. — Die Auf- 
fassung der Leibeshöhle als Archenteron, des Darmepithels als Ektoderm 
erscheint so lange unanfechtbar, als man das Hypoblast der zweischichtigen 
Gastrula lediglich als Homologon des Entoderms anspricht. Weit klarer 
aber und den Entwicklungsformen der höhern Tiere sich anschließend erscheinen 
die Verhältnisse, wenn man die Zellen des Hypoblast als eine der Entoderm- 
anlage voraufgehende Mesodermbildung auffasst. Alsdann wäre das ver- 
meintliche Archenteron ein Enterocöl gleich dem der höhern Tiere, das 
Darmepithel der Polypidknospe hingegen echtes durch Gastrulation entstandenes 
Entoderm. Die Theorie von der Doppelnatur des Bryozoenkörpers (Cystid, 
Polypid) wäre alsdann endgiltig widerlegt; gleichzeitig würden sich die Bryozoen 
mit ihrem in sich selbst zurückkehrenden Darm als ein willkommenes Binde- 
glied zwischen Cölenteraten und Enterocölien darstellen. —- Der flimmernde 
Embryo verlässt die Leibeshöhle durch die Mündung des benachbarten in- 
zwischen abgestorbenen Polypids durch einen „Prolapsus uteri“. — Die Ent- 
wicklung der Statoblasten verläuft im wesentlichen so, wie Nitsche sie 
geschildert. Hervorzuheben nur ist, dass auch sie aus den beiden Schichten 
des Funieulus (und somit indirekt der Leibeswandung) angelegt werden, und 
dass ein Teil des hierzu verwandten „Ektoderm“ die Chitinschale, ein anderer 
direkt die äußere Schicht der Leibeswand der Statoblastenembryonen bildet, 
in welehem dann die Knospung der Polypide ganz ähnlich wie beim erwach- 
senen Stock verläuft. Die Entwicklung der sitzenden Statoblasten ist derjenigen 
der Schwimmringstatoblasten völlig konform, unter rudimentärer Ausbildung 
des Schwimmringes und Anlegung der Bildungsschicht der Schale an die Endo- 
cyste der Cystidwand, worauf auch diese den Statoblasten festleimende Chitin- 
massen ausscheidet. — Schließlich bittet der Vortragende um Zusendung von 
Material, um die geographische Verbreitung der Formen und die so schwierige 
Frage nach der Begrenzung der Arten weiter verfolgen zu können. — Herr 
Hatschek (Prag) erwähnt, dass er durch neuere Beobachtungen in der An 
sicht bestärkt ist, dass die Bryozoenknospe nicht an beliebiger Stelle entstehen 


602 Albrecht, Brustbeinhandgriff der Brüllaffen. 


könne, sondern nur dort, wo embryonales Material zurückgeblieben ist, dessen 
Schichten in anderer Weise aufgefasst werden, als dies vom Herrn Vorredner 
geschieht. — Herr Kräpelin (Hamburg) betont dagegen, dass die Bildung 
der Muskellage erst später erfolge, und dass seine Präparate die Knospen- 
bildung aus zwei durchaus von einander verschiedenen Zelllagen auf das deut- 
lichste erkennen lassen. 


Sektion für Anatomie. 


5. Sitzung. Nach Schluss der Sitzung demonstriert Herr Albrecht (Ham- 
burg) zunächst und zwar hauptsächlich an Präparaten des vergleichend - anato- 
mischen Museums zu Berlin die im Laufe der phylogenetischen Ent- 
wicklung entstandene angeborne, sei es partielle, sei es totale 
Spalte desBrustbeinhandgriffes der Brüllaffen. Er glaubt, dass 
die Sternoschisis praemanubrii bezw. manubrii dieser Tiere der 
erste positive Beweis für die Anpassungs- und Vererbungs- 
theorie Darwin’s ist. 

Es gibt nämlich 1) Brüllaffen, welche ein ungespaltenes Manubrium sterni 
wie alle übrigen Säugetiere besitzen, es gibt 2) Brüllaffen, welche zwar ein 
gespaltenes Praemanubrium, aber ein noch ungespaltenes Postmanubrium!) auf- 
weisen, und es gibt 3) Brüllaffen, bei denen bereits das ganze Manubrium in 
ein rechtes und ein linkes Hemimanubrium gespalten vorliegt. 

Der 2. Fall ist der bei den heutigeu Brüllaffen bei weitem am häufigsten 
vorkommende Zustand, der 1. und 3. sind heutzutage selten. A. bezeichnet 
daher den 2. Fall, also den der Praemanubrioschisis, als den derzeitig normalen 
oder besser als den aktuellen Zustand des Manubrium sterni der Brüllaffen. 
Da aber die Brüllaffen offenbar ursprünglich von Säugetieren abstammen, welche 
ein ungespaltenes Manubrium besaßen, so bezeichnet A. denjenigen seltenen 
Zustand, in welchem die Brüllaffen noch heutzutage ein ungespaltenes Manu- 
brium aufweisen, als den atavistischen, hingegen denjenigen andern sel- 
tenen Zustand, in welchem bereits heutzutage bei diesem oder jenem Exem- 
plare ein total gespaltenes Manubrium sterni vorliegt, als epigonen Zustand 
des Brustbeinhandgriffes der Brüllaffen. Die Sternoschisis praemanubrii und 
die Sternoschisis manubrii der Brüllaffen kann nur in der Weise erklärt wer- 
den, dass durch die bereits in der ca. 7. Embryonalwoche dieser Tiere vor- 
liegende kolossale Entwicklung ihres Zungenbeinkörpers und Schildknorpels 
deren Hemipraemanubrien resp. Hemimanubrien sich nicht zu dieser Zeit des 
Embryonallebens in der Mittellinie vereinigen konnten. Eine solche Ver- 
größerung des Brüllapparates kann aber nicht durch die Embryonen selbst 
erworben, sondern lediglich durch Vererbung von seiten ihrer Vorfahren, die 
sich den kolossalen Brüllapparat im Laufe ihrer postembryonalen Entwick- 
lung anbrüllten, auf sie übertragen sein. Die Sternoschisis praemanubrii resp. 





1) Das Postmanubrium der Primaten ist nach A. ein diossischer Komplex, 
bestehend aus der jederseitigen Copula zwischen der jederseitigen 1. und 2. 
Rippe; das Praemanubrium hingegen ein oktossischer Komplex bestehend aus 
dem jederseitigen Hemipostomosternum, der Copula 0, d.h. der Copula zwischen 
dem ventralen Ende der 7. Halsrippe und dem der 1. Brustrippe, dem Praepara- 
sternale und dem Parasternale. 


ERETRR 


LE 


Albrecht, Morphologischer Wert der Wirbelgelenke. 603 


manubrii der hiermit behafteten Brüllaffen ist ein klassisches Beispiel für eine 
— sit venia verbo — normale teratologische Spalte; es ist nämlich klar, 
dass die normale Spalte des Brustbeinhandgriffes der Brüllaffen an demselben 
morphologischen Orte liegt, wo bei den übrigen Säugetieren sich nur terato- 
logisch die Sternoschisis manubrii vorfindet. Ferner ist die Spalte des Brust- 
beinhandgriffes der Brüllaffen aus dem Grunde von großer Wichtigkeit, weil 
wir hier im stande sind, den epigonen Zustand eines Skeletstückes bei einem 
bestimmten Tiergenus mit beinahe absoluter Gewissheit vorauszusagen. Denn, 
da die Brüllaffen offenbar von Säugetieren mit postembryonal ungespaltenem 
Manubrium sterni abstammen, der aktuell häufigste Zustand ihres Manubriums 
der der Sternoschisis praemanubrii ist, hin und wieder aber, sei es ein unge- 
spaltenes Manubrium, sei es ein total gespaltenes Manubrium bei ihnen vor- 
kommt, so ist es wohl sicher, dass durch die immer noch zunehmende Ver- 
größerung des Brüllapparates in zukünftigen Zeiten eine Sternoschisis manu- 
brii totalis bei den Brüllaffen zur Norm werden wird !). 


Herr Albrecht (Hamburg) spricht ferner über den morphologi- 
schen Wert der Wirbelgelenke. Nach A. gibt es zweierlei Arten von 
Wirbelgelenken, nämlich 1) Axialgelenke, welche ventral von den Spinalnerven 
und 2) Zygalgelenke, welche dorsal von den Spinalnerven liegen. Die Axial- 
gelenke werden von den Wirbelkörpern, die Zygalgelenke von den Processus 
obliqui gebildet. 

Was zunächst die Axialgelenke anbetrifft, so ist ein jedes Axialgelenk 
zusammengesetzt zu denken aus einem Zentralgelenk und aus einem jeder- 
seitigen Zentroidalgelenk. Die Zentralgelenke werden gebildet von den Wir- 
belzentren, die jederseitigen Zentroidalgelenke von den jederseitigen Zentroid- 
stücken. 

Zwischen fast allen Wirbeln sind die Axialgelenke syntektisch, das 
heißt das eine Zentralgelenk bildet mit dem jederseitigen Zentroidalgelenk ein 
einziges kontinuierliches Gelenk. Anders hingegen ist dies zwischen Epistro- 
pheus und Atlas sowie zwischen Atlas und Oceipitale. Hier lösen sich die 
Axialgelenke in je ihre ursprünglichen 5 Bestandteile auf. 

Zwischen Epistropheus und Atlas nämlich geht das Zentralgelenk durch 
Synostose des Epistropheuszentrum mit dem Atlaszentrum zu grunde, während 
die Zentroidalgelenke unabhängig von einander weiter bestehen. Es sind dies 
eben die ventral von dem 2. Halsnerven gelegenen, von den Superfieies arti- 
eulares superiores des Epistropheus und den Superficies articulares inferiores 
des Atlas gebildeten Gelenke. 

Zwischen Atlas und Oceipitale verödet das Zentralgelenk, während die 
Zentroidalgelenke die ventral von den ersten Halsnerven gelegenen, von den 
Superficies articulares superiores des Atlas und den Kondylen des Hinter- 
hauptes gebildeten Gelenke sind. 





1) Die Einzelheiten der vorstehenden Untersuchung sind veröffentlicht in 
P. Albrecht: Ueber die im Laufe der phylogenetischen Entwicklung ent- 
standene, angeborne Spalte des Brustbeinhandgriffes der Brüllaffen. Sitzungs- 
berichte der königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1885, 
S. 337 u. ff. Wegen der morphologischen Konstituenten des Manubrium sterni 
vergleiche auch P. Albrecht: Sur les &l&ments morphologiques du manu- 
brium du sternum chez les mammiferes. Avec 19 gravures intercalees dans 
le texte. Brüssel, Manceaux, 1884. 


604 Albrecht, Abschnitte des Canalis Fallopiae. 


Die Zygalgelenke beginnen beim Menschen zwischen dem Epistropheus 
und dem 3. Halswirbel und enden zwischen dem 5. Sakralwirbel und 1. Steißwirbel. 
Vor dem Epistropheus gibt es bei Säugetieren (mit Ausnahme einiger Ceta- 
ceen, welche ein wahres dorsal vom Nervus cervicalis II gelegenes Zygal- 
gelenk zwischen Epistropheus und Atlas besitzen) kein Zygalgelenk, hinter 
dem 1. Steißwirbel beim Menschen (bei den meisten übrigen Säugetieren gehen 
die Zygalgelenke erheblich weiter) ebenfalls keines. Alle Zygalgelenke ohne 
Ausnahme aller Fische, Amphibien, Reptilien und Vögel sindinder Weise gerichtet, 
dass durch das rechte und das linke Zygalgelenk gleicher Höhe gelegte Axen 
sich ventralwärts schneiden. A. bezeichnet diese Richtung als katatrop. 
Bei allen Säugetieren (mit Ausnahme der Cetaceen, die ebenfalls nur kata- 
trope Zygalgelenke besitzen) kommt jedoch mehr oder weniger weit ausge- 
dehnt in der Brustwirbelregion eine Strecke vor, in der die Gelenkfortsätze 
derart gerichtet sind, dass durch sie gelegte Axen sich dorsalwärts schnei- 
den. A. bezeichnet dieselben als anatrope Zygalgelenke. 

A. sucht nun nachzuweisen, dass diese anatropen Gelenkfortsätze den 
katatropen Gelenkfortsätzen nicht homolog sind, dass sie lediglich den 
Säugetieren mit Ausnahme der Cetaceen zukommen und durch Anpassung er- 
worbene ihnen eigentümliche Gebilde sind. 

Als letzte Reste der katatropen Gelenkfortsätze in der anatropen Region 
der Säugetierwirbelsäule spricht A. die in dieser Region mehr oder weniger 
ausgedehnt noch vorkommenden, keine Gelenkflächen mehr tragenden Pro- 
cessus mammillares an. 

Die anatropen Gelenkfortsätze der Säugetiere sind also nicht den kata- 
tropen Gelenkfortsätzen der Fische, Amphibien und Amnioten homolog. Sie sind, 
nach A., Pseudozygalfortsätze, während die letztern Euzygalfortsätze sind. 
Man muss daher nach A. die Zygalgelenke der Säugetiere (mit Ausnahme der 
Cetaceen, welche nur Euzygalgelenke besitzen), in Eu- und Pseudozygalge- 
lenke unterscheiden. 


Herr Albrecht (Hamburg) spricht ferner über den morphologischen 
Wert der einzelnen Abschnitte des Canalis Fallopiae der Säuge- 
tiere. Zu diesem Zwecke macht A. zunächst darauf aufmerksam, dass es an 
der Wirbelsäule der WirbeltierekeineForaminaintervertebralia 
gibt. Die Spinalnerven jeder Seite verlassen den Wirbelkanal nicht, wie man 
überall in-den Lehrbüchern findet, zwischen 2 Wirbeln, sondern sie durchbohren 
den jederseitigen dorsalen Bogen d. h. die jederseitige Neurapophyse eines 
Wirbels. Dies ist besonders gut an den Wirbeln von Fischen sowie an den 
Brustwirbeln von Wiederkäuern zu sehen. Eine jede Neurapophyse entspringt 
also mit einer vordern (kranialen) und hintern (kaudalen) Wurzel, welche 
den austretenden Spinalnerven zwischen sich fassen. Und zwar durchbohrt 
nach Albrecht bei den Anamnien der n., bei den Amnioten der n + 
1. Spinalnerv die Neurapophyse des n. Wirbels.. Es kommt häufig in der 
Reihe der Wirbeltiere, z. B. beim Menschen, vor, dass lediglich die vor- 
dere Wurzel der Neurapophyse ossifiziert, die hintere dagegen chondroliga- 
mentös bleibt. Dies ändert selbstredend an dem morphologischen Wert 
dieses Gebildes als hinterer Wurzel der Neurapophyse nichts. Bei der Maze- 
ration fault aber diese chondroligamentös gebliebene hintere Wurzel der Neura- 
pophyse weg, und so ist der Aberglaube entstanden, die Spinalnerven hätten 
einen intervertebralen Austritt aus dem Wirbelkanale. Da man nun in dieser 
Weise glaubte, dass die Spinalnerven intervertebral den Wirbelkanal verlassen, 
so schloss man hieraus, dass auch am Schädel die Spinalnerven oder Spinal- 








Albrecht, Abschnitte des Canalis Fallopiae. 605 


nervenkomplexen entsprechenden Gehirnnerven immer nur „zwischen 2 Knochen“ 
den Schädel, intervertebral oder interbranchial gelegen, verließen. An dieser 
unglücklichen Ansicht kranken nach A. alle augenblicklich be- 
stehenden Wirbeltheorien des Schädels. Nein; grade wie an der 
Wirbelsäule die Spinalnerven so durchbohren auch am Schädel die Gehirnnerven 
nach A. die Neurapophysen; ja der Schädel ist noch bedeutend konservativer 
als die Wirbelsäule, indem weit seltener am Schädel als an der Wirbelsäule 
Neurapophysenwurzeln ehondroligamentös bleiben und auf diese Weise weit 
seltener ein interossischer Austritt der Gehirnnerven vorgetäuscht wird. Die 
Art und Weise, wie der Nervus hypoglossus an einer oder mehrern Stellen 
das Exoceipitale durchbohrt, hätte allein schon die Anatomen auf den intra- 
ossischen Durchtritt der Gehirnnerven bringen müssen! — 

Der Trigeminus tritt bei den nicht-mammalen Wirbeltieren, wie man sich 
ausdrückt, entweder durch das Prooticum, oder er verlässt von dem Prooticum 
kaudal begrenzt den Schädel. Dies kommt nach A. auf dasselbe heraus, denn 
das letztere Verhalten ist ebenfalls wiederum nur ein scheinbares, der Nervus 
trigeminus durchbohrt auch in diesem Falle in Wirklichkeit das Prooticum, mit 
dem alleinigen Unterschied, dass die vordere Wurzel des Prooticum nicht mehr 
zur Verknöcherung gelangt, sondern chondroligamentös geblieben ist. Für die 
Säugetiere nahm man bisher an, dass die Spinallöcher des Trigeminus die 
Fissura orbitalis superior, das Foramen rotundum und das Foramen ovale seien. 
A. behauptet, dass dies Pseudospinallöcher sind; der wirkliche Austritt des 
Nervus trigeminus liegt nach A. auch noch bei Säugetieren im Prooticum, nur 
gelangt die vordere Wurzel des Prooticum bei vielen Säugetieren nicht mehr 
zur Verknöcherung, sondern bleibt chondroligamentös. Verknöchert sie hin- 
gegen, so stellt sie dasjenige Gebilde dar, das man als Vagina ossea nervi 
trigemini bezeichnet hat. Dass die Fissura orbitalis superior, das Foramen 
rotundum und ovale keine wirklichen Spinallöcher, sondern Pseudospinallöcher 
sind, beweist A. dadurch, dass nach seiner Ansicht der große Keilbeinflügel 
überhaupt kein Schädelknochen, sondern ein Gesichtsknochen, nämlich das 
Ektopterygoid der Fische, und der ganze zwischen Dura mater einerseits, der 
vorderen Fläche des Felsenbeins, der dorsalen Fläche des Alisphenoides und 
der hinteren Kante des Orbitosphenoides andererseits gelegene Raum, d.h. 
das Cavum Meckelii, ein extracranialer, in specie ein facialer Raum ist. 
Dass der große Keilbeinflügel nicht von wirklichen Spinallöchern durchbohrt 
wird, und ein dem spondylen Schädel fremdes Element ist, geht nach A. eben- 
falls daraus hervor, dass er in der absteigenden Reihe der Säugetiere immer 
einfacher wird, bis er schließlich eine von keinem Canale mehr durchbohrte 
einfache Knochenplatte darstellt. 

Was schließlich den Canalis Fallopiae anbetrifft, so teilt A. denselben in 
2 Abschnitte, einen ersten oder den eishiatischen Abschnitt, welcher vom 
Grunde des Meatus auditorius internus bis zum Hiatus reicht, einen 2. oder 
den transhiatischen Abschnitt, der sich vom Hiatus bis zum Foramen stylo- 
mastoides erstreckt. Der cishiatische Abschnitt ist nach A. das Foramen 
spinale des Nervus facialis, während der transhiatische ein außerhalb des 
Schädels liegender Raum ist, der lediglich in Anpassung an das dem Ge- 
sichte angehörende Mittelohr sich von diesem abgesetzt hat. Während der 
cishiatische Abschnitt des Canalis Fallopiae, also das Foramen spinale des 
Nervus facialis, gewöhnlich vorne wie hinten knöchern begrenzt ist, kann da- 
durch, dass die vordere Begrenzung nicht mehr zur Verknöcherung gelangt, 
auch dieses Foramen spinale eine vordere chondroligamentöse Begrenzung er- 


606 Albrecht, Vorderes Ende der Chorda dorsalis. 


halten, das dann bei der Mazeration fortfällt. So erklärt sich die von A. ge 
fundene Thatsache, dass am mazerierten Schädel der meisten Pinnipedier und 
am mazerierten Schädel menschlicher Hemicephalen der cishiatische Abschnitt 
des Canalis Fallopiae uns nicht als Tunnel, sondern als Rinne entgegentritt'!). 


Herr Albrecht (Hamburg) spricht ferner über das vordere Ende 
der Chorda dorsalis. Nach den bisherigen Anschauungen liegt das vordere 
oder kraniale Ende der Chorda dorsalis am Dorsum sellae, nach A. hingegen 
am eranialen Ende des spheno-ethmo-rhinoidalen Theiles der Schädelbasis. 
Dies geht auf das Unumstößlichste aus der Figur 308 der 2. Auflage der 
v. Kölliker’schen Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höhern 
Tiere hervor. Die Hauptfrage, um welche es sich bei der Analyse dieser 
vortrefflichen Figur handelt, ist folgende: v.Kölliker behauptet, ms sei der 
Ort der primitiven, ch der Ort der definitiven Sattellehne; A. hingegen be- 
hauptet, ms sei sowohl der Ort der primitiven wie der definitiven Sattellehne. 
Dass ms auch der Ort der definitiven Sattellehne ist, beweist A. dadurch, 
dass ms an derselben morphologischen Stelle liegt, wo noch beim Erwachsenen 
die definitive Sattellehne sich befindet, nämlich zwischen Mittelhirn und 
Zwischenhirn. Ist aber ms auch der Ort der definitiven Sattellehne, dann 
ist die Strecke zwischen ms und ch in der Figur 308 der spheno-ethmo- 
rhinoidale Abchnitt der Schädelbasis, und da in der Figur 308 die Chorda 
bei ch am Ektoderme endet, so ist dieses ihr vorderes Ende eben am vor- 
deren oder eranialen Ende des spheno - ethmo - rhinoidalen Abschnittes der 
Schädelbasis gelegen. Was geht aber hieraus hervor? Dass Chorda 
und Zentralnervensystem ursprünglich nicht nur bis an das 
kaudale, sondern auch bis an das kraniale Ende der Wirbelsäule 
reichen. Chorda und Zentralnervensystem reichen also ursprünglich von der 
Spitze des Schwanzes bis zur Spitze des Nasenseptums!?) Und das alles lehrt 
uns eine Analyse der von Kölliker’schen Figur 308! 


Herr Albrecht (Hamburg) bringt schließlich den Nachweis, dass von 
einem vordern und hintern Zwischenkiefer im Sinne Biondi’s 
nicht dieRede seinkann. Biondi hat das Endognathion als hintern, 
das Mesognathion als vordern Zwischenkiefer bezeichnet, A. hingegen das 
Endognathion als vordern, das Mesognathion als hintern Zwischenkiefer ange- 
sprochen). Ein Blick auf den Pferdeschädel, in welchem A. die 4 Zwischen- 
kiefer fand, genügt, um dies zu beweisen. Das Endognathion ist in der Thas 
der vordere, das Mesognathion der hintere Zwischenkiefer. Auch musste dies 
so sein, da der vordere Zwischenkiefer von einem weiter kranialwärts liegenden 
Nerven, dem Nervus ophthalmicus, der hintere Zwischenkiefer von einem wei- 
ter kaudalwärts liegenden Nerven, dem Nervus supramaxillaris, versorgt wird. 





4) Die vorstehenden Ansichten, mit Ausnahme derer über den Canalis 
Fallopiae, sind veröffentlicht in: P. Albrecht, Sur les spondylocentres Epipitui- 
taires du eräne, la non-existence de la poche de Rathke et la prösence de la 
chorde dorsale et de spondylocentres dans le cartilage da la cloison du nez 
des vertebres. Bruxelles, Manceaus, 1884. 

2) In der genannten v. Kölliker’schen Figur bei ch gelegen. 

3) Endognathion — Praeintermaxillare A.; Mesognathion — Postinter- 
maxillare A. Siehe Compte rendu de la section d’anatomie du eongres inter- 
nationale periodique des sciences m&dicales. Copenhagen, 1884, p. 64. 

















Gad, Bisher unbeachtete Eigenschaft des Lungengewebes. 607 


Beide Nerven hält A. für wahre Spinalnerven bezw. Spinalnervenkomplexe, 
nicht aber, wie Gegenbaur dies thut, den Nervus ophthalmieus für den Ramus 
dorsalis des Nervus supramaxillaris. 


Sektion für Physiologie. 


2. Sitzung. Herr Biedermann (Prag) macht die angekündigte Mitteilung 
zur Histologie und Physiologie der Schleimsekretion. Bei 
Untersuchung im frischen Zustande besteht eine auffallende Aehnlichkeit 
zwischen einzelnen Zellen der frisch untersuchten Nickhautdrüsen und solchen 
der Zungendrüsen des Frosches. Beide Zellformen sind in einem gewissen 
Entwicklungszustande durch eine dunkelkörnige Innenzone und einen hyalinen 
Basalteil ausgezeichnet, und daher liegt die Annahme einer funktionellen 
Gleichwertigkeit nahe. Unter dieser Voraussetzung waren auch gleichartige 
morphologische Veränderungen bei lang anhaltender Thätigkeit zu erwarten. 
Die direkte elektrische Reizung der ausgeschnittenen Nickhaut ergab in dieser 
Beziehung keine ganz überzeugenden Resultate; dagegen gelang der Nachweis 
einerseits durch Pilokarpinvergiftung, anderseits durch vergleichende Unter- 
suchung anderer schleimbereitender Zellen im frischen Zustande in verschie- 
denen Stadien der Thätigkeit. Es stellte sich dabei eine vollkommene Ueber 
einstimmung der nur sehr allmählich sich entwickelnden morphologischen 
Veränderungen der Zellen der Nickhaut und Zungendrüsen einerseits, der 
Becherzellen und Epithelien der Zungenpapillen anderseits heraus. Immer 
treten zunächst im Vorderteil der Zellen dunkle Körnchen auf, die später unter 
mehr oder weniger reichlicher Bildung durchsichtiger vakuolenähnlicher Tropfen 
und deutlicher Quellungserscheinungen in Mucin umgewandelt werden. Aktive 
Gestaltsveränderungen der Zellen sind niemals nachweisbar. Die erwähnte 
Vakuolenbildung wird durch Einwirkung von Pilokarpin (sowohl vom Blute 
aus, wie auch bei direkter Einwirkung auf ausgeschnittene überlebende Organe) 
enorm gesteigert, wie sich besonders schön an dem Epithel der Zungenpapillen 
des Frosches zeigen lässt. — Herr Heidenhain bemerkt hierzu, dass Herr 
Biedermann in der Auffassung der die Zellen erfüllenden Tropfen ohne 
Zweifel recht habe. Man könne solche Schleimtropfen in dem entleerten Sekret 
der Submaxillaris in großer Menge antreffen, wenn man zuerst lange den Sym- 
pathieus und dann die Chorda reizt. Unter dem Einfluss des Sympathicus 
werde im Sekret Sehleim in Tropfen gebildet, die durch den Erguss reich- 
licher wässeriger Flüssigkeit bei der Chordareizung auseinander gespült und 
dadurch sichtbar werden. Ist eine geringe Menge wässerigen Chordasekrets 
abgeflossen, so verschwinden jene Schleimtropfen, weil der Schleim mit dem 
Wasser sich gleichmäßig mischt. — Herr Knoll erwähnt, dass er die von 
Biedermann beschriebenen Vakuolen auch in den Blutkörperchen von nicht 
vergifteten Fröschen und in farblosen Rundzellen des menschlichen Harn- 
sediments beobachtet hat. 


Herr Gad spricht über eine bisher unbeachtete Eigenschaft des 
Lungengewebes. Wenn man die Lunge frisch getöteter Tiere so in einen 
von festen Wänden abgegrenzten Raum hängt, dass die Alveolenluft durch 
die Trachea mit einem Druckschreiber, der Luftraum zwischen Lunge und 
Wand mit einem Volumenschreiber in Verbindung steht, nachdem vorher die 
Lunge mit Kohlensäure ausgewaschen war, so kann man die Druckänderungen, 


608 Kirchner und Blochmann, Mikroskopische Pflanzen- und Tierwelt. 


welche die allmähliche Herstellung der Atelektase begleiten, verfolgen. Um 
die Absorption der CO, zu beschleunigen, gibt man in den Raum, in dem die 
Lunge hängt, einige angefeuchtete Stücke kaustischen Kalis. Der negative 
Druck, der zu beobachten ist, so lange noch das Volumen der Lunge abnimmt, 
mag mit Wahrscheinlichkeit auf einen elastischen Widerstand bezogen werden, 
den die Alveolenwände der Verkleinerung der Alveolen über den Zustand bei 
Herausnahme aus dem Thorax hinaus entgegensetzen. Die negativen Druck- 
werte, die bei fortgesetzter Verkleinerung des Lungenvolums beobachtet wer- 
den, sind (absolut genommen) nicht kleiner als die Werte, die bei demselben 
Tier der Donders’sche Druck zeigte. Der Versuch gibt dasselbe Resultat 
wie an der ganz frisch herausgenommenen Lunge, auch einen Tag später, wenn 
etwaige Todesstarre sich gelöst haben möchte. 


O.Kirchner und F. Blochmann, Die mikroskopische Pflanzen- 
und Tierwelt des Süßwassers. Teil II: Blochmann, Die 
mikroskopische Tierwelt. 

Mit 7 Tafeln. Braunschweig, Gebr. Häring. 1886. 


Weil das Werk zu weitläufig geworden wäre, wenn Verfasser die ganze 
mikroskopische Tierwelt des Süßwassers systematisch bearbeitet hätte, so hat 
er sich auf die Protozoen und Rotatorien beschränkt als diejenigen Abteilungen, 
welche den größten Teil der mikroskopischen Süßwassertiere umfassen. Es 
ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die noch fehlenden Abteilungen, beson- 
ders die Entomostraken, in einem Sonderheft behandelt werden. 

Wie in dem botanischen Teil des Gesamtwerkes nichts Neues geboten 
wird, so geschieht dies auch hier nicht. Das aber soll auch eben nicht sein. 
Zweck des Buches ist, zum „eingehenden Studium der mikroskopischen Fauna 
unserer Süßwässer anzuregen“, und diesen Zweck wird es voll und ganz er- 
füllen. Mit eingehender Sachkenntnis behandelt und in trefflich übersichtlicher 
Form gehalten bringt es neben systematischer Aufzählung und Bestimmungs- 
schlüsseln einleitende allgemeine Abschnitte über Bau uud Entwicklung der 
besprochenen Tiere und ermöglicht somit dem Anfänger oder Liebhaber, welcher 
das Buch benützt, auch einen gewissen Grad zoologisch - wissenschaftlicher 
Kenntnis zu erwerben. Die Abbildungen, dicht gedrängt auf 7 Tafeln (in 
Quart) gegeben, sind vorzüglich — dieselben wurden hergestellt in der 
lithographischen Anstalt von Werner und Winter in Frankfurt a. M. Wenn 
auch manche Einzeldinge daran etwas schärfer auf der Abbildung hervor- 
gehoben sind, als man dieselben meist in Wirklichkeit beobachten kann, so 
wird dies zur Erleichterung des Verständnisses nur vorteilhaft sein. Wir 
wissen nicht, ob diese Art der Zeichnung mit Absicht geschah. Auch dem 
ältern Naturwissenschaftler wird das Werk als Nachschlagebuch nützlich 
sein können, und nicht minder als Unterrichtsmittel. iin. 





Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün- 
schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an- 
zugeben. 

Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man 
an die „Redaktion, Erlangen, phy siologisches Institut“ ZU richten. 








Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. 


Bioloegisches Gentralblatt 


unter Mitwirkung von 
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 





94 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 














v1. Band. 15. Dezember 1886. Nr. 20. 
Inhalt: Barfurth, Experimentelle Untersuchungen über die Verwandlung der Frosch- 
larven. — Tafani, Beziehungen zwischen Mutter und Fötus. — Knoll, Ueber 
die Druckschwankungen in der Cerebrospinalflüssigkeit und die wechselnde 
Blutfülle des zentralen Nervensystems. — Pasteur, Ueber die Prophylaxe 
der Tollwut. — Fol, Bacillus der Hundwut. — Aus den Verhandlungen 


gelehrter Gesellschaften: 59. Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte zu Berlin. 





Experimentelle Untersuchungen über die Verwandlung der 
Froschlarven. 


Von Dr. phil. et med. D. Barfurth, 
Privatdozent und Assistent am anatomischen Institut in Bonn. 


Vortrag, gehalten in der anat. Sektion der 59. Versammlung deutscher Natur- 
forscher und Aerzte zu Berlin. 


Im Sommer 1885 hatte ich eine Anzahl kräftiger Quappen der 
Rana fusca in einem Zylinderglase isoliert und zum Zwecke von 
Glykogenstudien längere Zeit hungern lassen. Nach einiger Zeit 
waren bei den meisten Quappen die Hinterbeine und bald darauf bei 
allen auch die Vorderglieder entwickelt, während gleich große Ge- 
nossen, die in einem andern Behälter gefüttert wurden, wie mir schien, 
in der Entwicklung weniger weit vorgeschritten waren. 

Da ein erheblicher Temperaturunterschied des Wassers in beiden 
Gefäßen nicht vorausgesetzt werden konnte, so lag hier ein physio- 
logisches Paradoxon vor, welches ich durch sorgfältiger anzustellende 
Versuche aufzuklären unternahm. 

Als Versuchstiere dienten fast ausschließlich die Quappen des 
braunen Grasfrosches; nur einigemal habe ich auch die von Bufo 
vulgaris und von Rana esculenta verwandt. 

Als Behälter für die Tiere benutzte ich Glaskufen, oder weit 
häufiger den außerordentlich zweckmäßigen von la Valette’schen 
Fischbrutapparat. 

VI, 39 


610 Barfurth, Verwandlung der Froschlarven. 


Derselbe ist deshalb so bequem, weil sich der siebartige Einsatz 
aus dem Untersatz herausnehmen und in einen andern mit frischem, 
durchwärmtem Wasser gefüllten wieder einsetzen lässt; auf diese 
Weise kann man einen Wasserwechsel bewerkstelligen, ohne dass ein 
Temperaturwechsel stattfindet. 

Zur Herstellung einer möglichst gleichen Temperatur, auf die bei 
diesen Versuchen alles ankommt, habe ich besondere Einrichtungen 
getroffen, auf die ich hier nicht eingehe; die Temperatur des Wassers 
in den Gefäßen wurde morgens und sehr oft abends mit einem in 
Fünzigstelgrade eingeteilten Thermometer gemessen. 


Bei diesen vergleichenden Zuchtversuchen war es ferner ein Haupt- 
erfordernis, Tiere von gleicher Entwicklung zu verwenden. Das sicherste 
Merkmal dafür liefert nicht die Größe, sondern die mehr oder weniger 
fortgeschrittene Entwicklung der Hintergliedmaßen. 


Ich habe die Tiere einzeln mit einer Glasröhre herausgehebert, 
genau gleichmäßig verteilt und durch das Los entschieden, welche 
Abteilung z. B. zum Hungern und welche zur Fütterung bestimmt sein 
sollte. Zur Fütterung wurde Froschfleisch verwandt. 


Die Ergebnisse der Versuche waren folgende: 


1) Die schon bekannte Thatsache, dass niedrige Temperatur die 
Verwandlung verlangsamt, wurde durch einen einzigen Versuch er- 
härtet. 150 R. fusca wurden in 3 Partien geteilt; von zwei bei ca. 
20°C. gehaltenen Partien war nach 14 Tagen die Mehrzahl der Tiere 
verwandelt, von der dritten bei ea. 13° gehaltenen hatte kein einziges 
Tier auch nur die Hinterfüße entwickelt. 


2) Die Pflüger’sche Beobachtung, dass die Verwandlung ver- 
zögert wird, wenn die Tiere durch mechanische Erschütterungen be- 
unruhigt werden, dass also Ruhe die Verwandlung begünstigt, wurde 
ebenfalls durch einen Versuch bestätigt. Von 36 R. fusca wurde eine 
Hälfte in Zylindergläsern isoliert und mit diesen Gläsern in die 
größern Behälter gesetzt, in denen die übrigen Tiere vereinigt lebten. 
Von den isolierten Tieren waren nach 6 Tagen 17, von den vereinig- 
ten nur 10 verwandelt. 


3) Die eingangs mitgeteilte Beobachtung wurde durch 12 Ver- 
suche dahin bestätigt, dass die letzten Stadien der Verwand- 
lung durch Hunger in der That abgekürzt wurden. Diese 
Versuche lehrten folgendes. 


Sind die Versuchstiere zwar groß und kräftig, aber noch ohne 
Spur von Hintergliedmaßen, so sind in den ersten 3 Tagen nach 
Beginn der Verwandlung die Hungertiere, nachher die gefütterten im 
Vorteil. 


Dr 


Barfurth, Verwandlung der Froschlarven. 611 


Am Ende des 3 Tages: 
Hunger Futter 
14 6 


Am Ende des Versuchs: 
Hunger Futter 
53 76 


2 Versuche mit 360 Tieren 


Sind bei den eingesetzten Versuchstieren die Füße und Unter- 
schenkel der Hinterglieder vorhanden, so haben in den drei ersten 
Tagen die Hungertiere einen Vorsprung, am Ende des Versuchs steht 
die Partie gleich. 

Verwandelt am 3. Tage: 
Hunger Futter 


9 3 
2 Versuche mit 154 Tieren 


Am Ende des Versuchs: 
Hunger Futter 
sl 31 


Sind bei den Versuchstieren die Hinterglieder vollständig vor- 
handen, so haben die Hungertiere vor den gefütterten nicht nur wäh- 
rend der ersten Tage, sondern während des ganzen Versuchs den 
Vorteil schnellerer Verwandlung. 


Verwandelt am 3. Tage: 
Hunger Futter 


56 4 
8 Versuche mit 482 Tieren 


Am Ende des Versuchs: 
Hunger Futter 
119 79 


4) Abschneiden des Schwanzes bleibt ohne Einfluss auf die Ver- 
wandlung, oder verlangsamt sie. In zwei mit Hunger- und Futter- 
tieren angestellten Versuchen blieb die Zahl der Verwandelten bei den 
Unverletzten gleich der bei den Verstümmelten, denen die Hälfte des 
Schwanzes weggeschnitten war. Bei einem dritten Versuch waren 
die Unverletzten im Vorteil. Merkwürdigerweise aber regenerierten 
sämtliche Tiere den Schwanz, falls sie nicht schon am 1. oder 
2. Tage verwandelt waren. Es ist dies ein Analogon zu den vergeb- 
lichen Versuchen, durch welche man künstliche Verstümmelungen zu 
vererben gesucht hat. Da diese Verstümmelung nicht einmal die Ent- 
wicklung des Individivums beeinflusst, kann sie auch auf die Art 
keine Einwirkung haben. 

Unter den verwandelten Tieren wurde stets eine große Zahl von 


solehen gefunden, bei denen nur das rechte oder das linke Vorder- 
39> 


612 Barfurth, Verwandlung der Froschlarven. 


bein entwickelt oder vielmehr durchgebrochen war, während z. B. 
Kollmann bei Pelodates fuscus nie eine dreibeinige Larve beobachtet 
hat. Merkwürdigerweise überwiegen bei R. fusca und wahrscheinlich 
auch bei R. esculenta die Rechtser ganz außerordentlich. Ich habe 
von den letzten Versuchen in diesem Sommer 81 Rechtser und nur 
19 Linkser gesammelt, also 4:1. 

Nach dem Ergebnis der Versuche über den Einfluss des Hungers 
glaubte ich zuerst, dass hierbei eine Auslese nach dem Prinzip der 
natürlichen Züchtung geschähe; weitere Beobachtungen, namentlich 
die anatomische Untersuchung aber haben mich zu einer andern, 
einfachern Lösung des hier vorliegenden physiologischen Rätsels ge- 
führt. Diese Lösung liegt darin, dass bei den Hungertieren 
die Vorderglieder deshalb schneller zum Vorschein ge- 
langen, weil der sie bedeckende Hautlappen der Kiemen- 
höhle beim Hungern schneller resorbiert wird, als beim 
Füttern. (Bekanntlich liegen die Vorderbeine längst fertig gebildet 
unter der Haut, bevor man außen eine Spur von ihnen sieht.) 

Für diese Erklärung spricht 1) die allgemein physiologische Er- 
wägung, dass bei den Hungertieren in den letzten Stadien der Meta- 
morphose alle überflüssigen Teile: Kiemen, gewisse Teile des Darmes, 
Schwanz, Haut über den Kiemenhöhlen u. s. w. schneller resorbiert 
werden müssen, als bei den gefütterten. 2) Die Thatsache, dass bei 
den Hungertieren verhältnismäßig noch viel mehr Rechtser vorkommen, 
als bei den gefütterten, denn auch von den Kiemen geben frühere 
Autoren, z. B. Leydig an, dass dieselben rechts früher resorbiert 
werden, als links. 3) Die anatomische Beobachtung, dass bei Hunger- 
tieren die Haut über den Vordergliedern dünner ist, als bei gefütterten 
desselben Stadiums. 

Das Ergebnis meiner Versuche wird in eigentümlicher Weise be- 
leuchtet durch die weitere Beobachtung, dass auch die gefütterten 
Tiere während der Verwandlung weniger fressen, als vorher, wie 
denn auch Marie von Chauvin von den Urodelen angibt, dass sie 
während der Metamorphose normaler Weise fasten. Ich habe also 
durch meine Versuche den natürlichen Vorgang nur gesteigert und 
dadurch seinen tiefern Grund aufgedeckt. 

Das freiwillige oder erzwungene Fasten zwingt die Larven zu 
schnellerer Resorption solcher Körperteile und Gewebe, die für das 
verwandelte Tier überflüssig und schädlich sind, befördert also die 
Verwandlung, das heißt die Ueberführung in den vollkommenen Zu- 
stand. 

Ein freiwilliges oder erzwungenes Fasten zum Zweck der Resorp- 
tion und Umbildung kommt auch sonst in der Natur vor. Ich erinnere 
hier ganz kurz an das Puppenstadium der Insekten und an den 
Wintersalm, der große Mengen Fett und Eiweiß seines Körpers resor- 
biert, aus diesem Material die Ausbildung der Geschlechtsstoffe be- 














Tafani, Beziehungen zwischen Mutter und Fötus. 613 


streitet und dabei während seines ganzen Aufenthaltes im Rhein, d.h. 
8—15 Monate lang, keine Nahrung zu sich nimmt. 

In diesen Thatsachen liegt eine etwas freie aber sehr schöne 
Anwendung des Pflüger’schen „allgemeinen Prinzips der Selbst- 
steuerung der lebendigen Natur“. Der Hunger ist die Ursache des 
Bedürfnisses nach dem fertigen Zustande der Verwandlung und Um- 
bildung und zugleich die Ursache der Befriedigung des Bedürfnisses. 
So versteht die Natur also selbst den Hunger als förderndes Prinzip 
zu verwerten. 


Alessandro Tafani, Sulle condizioni uteroplacentari della 
vita fetale. Nuove indagini embriologiche comparate. 


Estratto dei publicazioni del R. Istituto di studi superiori pratici e di per- 
fezionamento in Firenze. 8°. XVII. 152 p. Con 8 Tavole chromolitografate. 
Firenze, Con tipi dei successori Le Monnier. 1886. 

Nach einer Vorrede und Darstellung der Untersuchungs- und 
Injektionsmethoden handelt der Verfasser in sechs Kapiteln von den 
Beziehungen zwischen Mutter und Fötus. Man weiß, dass die Neu- 
zeit die scharfen schematischen Unterschiede zwischen verschiedenen 
Arten und Klassen zu verwischen strebt. Schon ist bei den Selachiern 
eine rudimentäre Placenta aufgefunden, noch im vorigen Jahre hat 
Duval kleine Zotten an der häutigen Umhüllung des Vogeleies als 
homolog einer rudimentären Placenta gedeutet. Am wichtigsten aber 
ist die Uterinmilch, über deren Herkunft und Bedeutung verschiedene 
Ansichten existieren. 

Das I. Kapitel (S. 1—4) enthält eine kurze historische Uebersicht 
über die in der Monographie abgehandelten Fragen. Die Lehre, wo- 
nach direkte Kommunikationen zwischen dem mütterlichen und dem 
fötalen Blutgefäßsystem stattfinden, ist verlassen, man erkennt meistens 
nur den Austausch flüssiger Bestandteile auf endosmotischem Wege 
an. Es kommt aber die Uterinmilch in Frage, sei letztere nur ein 
Produkt der Gl. utrieulares oder von einem besondern drüsigen Organ 
gebildet. Colin und Werth hielten jene Milch für eine Leichen- 
erscheinung, Ercolani und Hoffmann leiteten sie vom Zerfall 
(disfacimento) der Deeiduazellen ab, und Bonnet behauptete, sie 
entstehe aus fettig degenerierten Wanderzellen. Es soll das befruchtete 
Ei sich grade so ernähren, wie das Eierstocksei, nämlich durch Auf- 
nahme von Leukocyten. 

Anscheinend ist die Differenz bedeutend, welche die Säuger von 
den übrigen Vertebraten trennt, insofern bei letzteren die das Ei er- 
nährenden Substanzen erst nach und nach vom Uterus geliefert werden. 
Dennoch existiert gleichsam ein verbindender Ring zwischen den 
beiden anscheinend so verschiedenen Einrichtungen; denn in der 


614 Tafani, Beziehungen zwischen Mutter und Fötus. 


kurzen Zeit, während welcher die Selachier ihre Embryonen bei sich 
in der Bruttasche tragen, bildet sich mittels Faltenbildung seitens 
deren Wandung, sowie seitens des Embryos eine besondere, echte, 
wenn auch rudimentäre Placenta. Die Placenta der Vögel wurde oben 
schon erwähnt; unter den Mammalien bieten die Marsupialien die 
einfachste Form, indem eine kleine absorbierende fötale Placenta, 
welche nur den Gefäßen der Vesicula umbilicalis entspricht, einer 
großen mütterlichen, aus der fettig degenerierenden Uterinschleimhaut 
gebildeten Partie gegenübersteht; die letztere hat nutritive Funktionen. 
Von dieser einfachen Anordnung kommt man zur Placenta diffusa, 
wobei das Chorion mit Zotten besetzt ist, die sich in kleine Follikel 
oder Krypten der Uteruswandung hineinsenken. Wenn die Zotten 
ästig werden, sich an bestimmte Stellen konzentrieren und in verästelte 
Follikel hineinsenken, haben wir die verschiedenen Formen der Pla- 
centa cotylodenata; hierbei können die Cotyledonen ringförmig ange- 
ordnet sein und zusammenfließen: Placenta zonata. Endlich die 
Placenta discoidea ist gegeben, wenn die Zotten auf einen kreis- 
förmigen Raum des Chorions sich beschränken, dabei stark verästelt 
sind, und wenn zugleich mehrfache Einbiegungen der Uterus -Innen- 
wand stattfinden. i 

Die Arbeiten von Ercolani und Turner haben gezeigt, dass 
die Placenta discoidea des Menschen durch ganz allmähliche Ueber- 
gänge aus der Placenta diffusa hervorgeht. 

Das II. Kapitel (S. 5—28) handelt von der Placenta diffusa. 
Sie findet sich beim Schwein, Pferd, Esel, Dromedar, HAyenmoschus 
aquaticus, Orca gladiator und einigen frugivoren Edentaten. Speziell 
beschrieben wird nach eignen Untersuchungen die Placenta von Sus 
scrofa domesticus und verglichen mit denjenigen von Hiöppopotamus, 
Hyenmoschus aquaticus, Orca gladiator, Equus caballus und Tragalus 
Stanleyanus. Was die erstere anlangt, so verbreitet sie sich fast über 
die ganze innere Oberfläche jeder Abteilung des trächtigen Uterus, 
welche einen Fötus enthält. In den Abteilungen ist eine zentrale 
Partie zu unterscheiden, die einigermaßen von den seitlichen differiert. 

Ferner werden die Areolen von Eschricht und die Mündungen 
der Uterindrüsen, die Krypten von Turner und die Lage der Kapil- 
laren in den Furchen des Epithels, welches sie bedeckt, beschrieben. 
Die Areolen scheinen besonders für die Ernährung des Fötus, die 
Krypten für dessen Respiration geeignet zu sein. An den Enden 
jeder Abteilung des Uterus ändert sich allmählich der Bau der mütter- 
lichen Placenta. Dieselbe verliert die Charaktere, welche den Gas- 
austausch begünstigen würden, und nimmt diejenigen eines sezernieren- 
den Organes an. Analoge Modifikationen finden sich in der fötalen 
Placenta, so dass eine gegenseitige Anpassung des Chorions und der 
mütterlichen Placenta stattfindet. Die Zotten der Eschricht’schen 
Areolen, die dem Fötus angehören, sind ähnlich denjenigen des Dünn- 





Tafani, Beziehungen zwischen Mutter und Fötus. 615 


darmes; jedoch senkt sich beim erstern das Kapillarnetz in Furchen, 
welche in ihrem Epithel-Ueberzug speziell ausgehöhlt sind. Entsprechend 
den verschiedenen Stadien der Trächtigkeit zeigt die Placenta Diffe- 
renzen im Vergleich mit ihrem Bau bei vollkommener Ausbildung. 
Behandelt man Durchschnitte der Placenta mit Ueberosmiumsäure 
und Kaliumbichromat, oder mit Jodserum oder mit jodiertem Glyzerin, 
so erkennt man Glykogen nur in den Epithelien der fötalen Placenta. 
In der zentralen Form ist dasselbe auf die Zottenbasis beschränkt, 
an den Enden jeder Uterusabteilung aber findet sich dasselbe überall 
in den Epithelzellen, auch in solchen der tiefern Schicht. Die Zone 
rings um den Kern bleibt frei davon. Außerdem sind Fetttröpfehen 
in den Zellen vorhanden, welche an Durchmesser dem Kern gleich- 
kommen können. Neu und wichtig aber ist die Beobachtung — nicht 
nur beim Schwein, sondern auch beim Schaf, bei der Kuh, der Hündin 
und bei allen Nagern — von einer Auflösung des Zellenkernes. Letz- 
terer erscheint ganz homogen, färbt sich lebhaft und gleichmäßig mit 
nucleinophilen Farbstoffen, das Kernfadenwerk wird unkenntlich, 
manchmal zeigen sich die durch Flemming von Kernen der Mem- 
brana granulosa am Eierstocksei beschriebenen Veränderungen. 

Die Zellen, deren Kern so verändert ist, fallen dann ab, auch 
lösen sich die Kerne auf, die Substanz der ganzen Zellen wird 
dabei safranophil. Offenbar tragen sie zur Bildung der Uterinmilch 
bei, was aber bei Wiederkäuern leichter zu erkennen ist. Der Ersatz 
für diese Zellen erfolgt auf dem Wege der Teilung nach Karyomitosis. 

Placenta eotyledonata. Von Wiederkäuern werden im III. Ka- 
pitel (S. 23—47) das Rind und Schaf näher besprochen. Die Placenta 
der Cervus mexicanus ist teilweise diffus, teilweise eine cotyledonata; 
letztere ist bestimmter ausgesprochen bei der Giraffe. Das Rind steht 
zwischen dieser und dem mit einer entschiedenen Placenta cotyledo- 
nata versehenen Schaf in der Mitte. Während letzteres und das Rind 
mütterliche Cotyledonen im nicht-schwangern Uterus besitzen, fehlen 
solche bei den Cervus-Arten. Abgehandelt werden die nicht mit 
Cotyledonen versehenen Teile der Placenta und die mütterlichen Coty- 
ledonen in den verschiedenen Perioden der Trächtigkeit, die Krypten 
oder zusammengesetzten Follikel, das sehr reiche Kapillarnetz, welches 
bis unmittelbar an die Epithelialzellen reicht, die fötalen Cotyledonen 
in jenen verschiedenen Perioden, die Zotten und ihre Anpassung an 
die mütterlichen Follikel, die Beziehungen zwischen mütterlichen und 
fötalen Kapillaren, das Aussehen und der Bau der Uterusinnenfläche, 
sowie das Chorion in den intercotyledonalen Zwischenräumen, endlich 
das Epithel und das Kapillarnetz unter dem letztern. 

Was die Uterinmilch des Schafes und Rindes anbetrifft, so wird 
sie von den Uterindrüsen abgesondert, befindet sich zwischen der 
mütterlichen und fötalen Placenta und enthält drei Arten von Form- 
elementen. Die einen sind rundliche Zellen, welche mehr oder weniger 


616 Tafani, Beziehungen zwischen Mutter und Fötus. 


der Fettkörnchen entbehren; andere Gebilde sind Zellendetritus oder 
auch ganze Zellen, die aber in ihrem Aussehen sich sehr verändert 
haben. Jene Fragmente enthalten durch Safranin oder Karmin leicht 
tingierbare, homogene Nukleinsubstanz. Diese, die ganzen Zellen, 
sind abgelöste Epithelien der Mutter, ebenfalls homogen und mit 
diffuser chromatophiler Substanz in ihrem Zentrum gefüllt. Umgekehrt 
zeigen sich die Elemente der dritten Art etwa wie mikroskopische 
Eiformen, glänzend, sehr verschieden gefärbt, bald gelbgrünlich, bald 
leicht oder intensiv rötlich, sie enthalten also größere oder kleinere 
Mengen von rotliebendem Nuklein, welches in ihrem Zentrum mehr 
oder weniger diffus verteilt ist. Andere eiförmige Massen bieten in 
ihrem Zentrum kleine, intensiv gefärbte Kugeln. Alle diese eiähnlichen 
Formen entstehen durch Zusammenballung und Zerfall mehrerer (müt- 
terlicher) Epithelzellen. Glykogen ließ sich nirgends, auch nicht im 
Uterus und Chorion auffinden. 

Das IV. Kapitel (S. 49—75) ist der Placenta zonata des 
Hundes und der Katze gewidmet. Es gibt zwischen dieser und der 
Placenta diffusa, sowie der Placenta eotyledonata Uebergänge. Hierher 
ist Elaphus indicus zu rechnen; ferner werden die Placenten von 
Lutra vulgaris, Mustela vulgaris, Phoca bicolor und Halicverus griphus 
kurz erörtert. Die Placenta der Katze zeigt nahe der Oberfläche die 
Charaktere eines besonders gefäßreichen Organes, während in der 
Tiefe mehr diejenigen einer sezernierenden Drüse hervortreten. Die 
Zottenepithelien lassen verschiedene Modifikationen nach den verschie- 
denen Epochen der Schwangerschaft erkennen. In den placentafreien 
Uterusabschnitten sind ebensolche zu bemerken, sowie an dem Chorion, 
wo sich das letztere an der Placentabildung nicht beteiligt. Die 
Uterinmilch enthält wie bei andern Tieren koagulierbare Eiweiß- 
substanzen und viele, zum Teil fettig degenerierende, zum Teil mit 
homogenem, intensiv chromatophilem Kern versehene Zellen. 

Entgegengesetzt der gewöhnlichen Meinung differiert die Placenta 
des Hundes erheblich von derjenigen der Katze. Erstere ist zarter, 
schwieriger in ihrer Lage zu konservieren, insbesondere aber finden sich 
daran zwei hervorragende, abgerundete, dunkelgrüne Säume, deren 
Farbe von einer besondern, teils vom Uterus, teils vom Fötus her 
abgesonderten Substanz abhängt. An diesen Rändern taucht eine 
Anzahl fötaler Zotten in eine bräunliche weiche Substanz (potiglia) 
ein, ähnlich derjenigen, welche sich an den kraterförmigen Oeffnungen 
der Cotyledonen des Schafes beobachten lässt. Die Uterinmilch wird 
in der Weise gebildet, dass die Epithelzellen sich in die Länge 
strecken, homogen werden, während ihr Kern seine chromatophile 
Substanz verliert, ebenfalls homogen wird und sich mit dem Zellen- 
körper vermischt; schließlich fallen die Zellen ab und verschmelzen 
auch unter einander. 

Die Vesieula umbilicalis des Hundes und der Katze konserviert, 








Tafani, Beziehungen zwischen Mutter und Fötus. 617 


wie schon Needham angab, ihre Charaktere als große, längliche, in 
der Längsrichtung jeder Uterinabteilung sich ersteckende Blase, ob- 
gleich sie schließlich ein wenig an Größe abnimmt, und wenn ihr 
Inhalt resorbiert ist, gleicht sie der Tuniea chorioidea cerebri. 

Im V. Kapitel (S. 76—108) werden die Placentae discoideae 
von Mus decumanus, M. musculus, Cavia cobaya, Lepus cuniculus, Lepus 
timidus, Vesperugo Kuhlüi, Vespertilio murinus, Miniopterus Schreibersti 
und endlich die menschliche Placenta beschrieben. Differenzen zeigen 
sich in der Ausbildung der Vesieula umbilicalis. Bei den Nagern er- 
scheint die Dotterblase als bestimmtes Organ, auch wird eine sehr 
beschränkte periplaeentare Zone beim Kaninchen von den Allantois- 
gefäßen versorgt. Mit den Nagern stimmen die Phylostomidae unter 
den Fledermäusen überein. Bei den übrigen Chiropteren erlangt die 
Dotterblase eine verhältnismäßig beträchtliche Entwicklung, nur bei 
den Primaten bleibt sie rudimentär. Die Uterinmilch entsteht bei 
den Nagern in der gewöhnlichen Weise, sehr deutlich ist dabei die 
Auflösung der Kerne unter Verteilung ihrer chromatophilen Substanz 
in den gequollenen Zellenkörpern. 

Sodann werden die Placenten der oben genannten Species einzeln 
geschildert. Diejenige von Cavia cobaya erscheint ausschließlich durch 
Blutgefäße der Allantois vaskularisiert. 

Am meisten Interesse erweckt naturgemäß die Erörterung der 
menschlichen Placenta. Trotz der großen scheinbaren Differenzen 
gelingt es dem Verfasser, eine vollständige Homologie mit den Ver- 
hältnissen bei den übrigen Säugetieren, namentlich unter Berücksich- 
tigung der Wiederkäuer und Murinen, herzustellen. Der placentare 
Kuchen setzt sich aus Cotyledonen zusammen, deren Grenzen freilich 
nur durch eine gute Anzahl von Furchen oder Gruben angedeutet 
sind. Die regelmäßige Anordnung der fötalen Blutgefäße, welche in 
Abständen in jene Cotyledonen eintreten, ist damit in Uebereinstim- 
mung. Charakteristisch ist nun ferner für die menschliche Placenta 
eine enorme Erweiterung der mütterlichen Bluträume, die einem Kavernen- 
system entsprechen, während die Chorionzotten sich stark verästeln, mit 
den Wänden des letztgenannten Systems sich berühren und damit ver- 
schmelzen. Grade wie bei den Murinen fehlt die anderswo konstatierte 
epitheliale Bekleidung der Zotten, und diejenige der Uteruswandung 
ist auf ein Minimum reduziert. Es ist klar, dass diese Einrichtungen 
den Stoff-Austausch zwischen mütterlichem und fötalem Blut begünstigen. 
Jedoch ist die Mausplacenta monocotyledon, die menschliche aus vielen 
Cotyledonen zusammengesetzt. 

Auch die Uterinmilch fehlt der menschlichen Placenta nicht, nur 
ist sie nicht an dem Orte, nämlich in der Serotina, zu suchen, wo sie 
Hoffmann durch Aspiration mit einer Pravaz’schen Spritze erhal- 
ten zu haben glaubte. Im Gegenteil liegen, wenigstens beim 6monat- 
lichen Fötus (die Italiener rechnen nach Sonnenmonaten, Ref.), in 


618 Knoll, Druckschwankungen in der Cerebrospinalflüssigkeit. 


den Maschen der Decidua vera ganz dieselben, wenngleich sparsamern 
Formelemente, die oben von verschiedenen Tieren, besonders bei den 
Wiederkäuern beschrieben wurden: wie bei diesen modifiziert sich das 
Epithel der Uterindrüsen auf dem Wege der Chromatolitosis. 
Das VII. Kapitel (S. 109—128) gibt einen Epilog und ein Resume. 
Die Abstufungen in der Ausbildung der verschiedenen Placenten wur- 
den bereits erwähnt; dann folgen Betrachtungen über die spezielle 
Verteilung und die Anpassung der mütterlichen und fötalen Kapillaren, 
den Charakter und die Entstehungsweise der Uterinmilch, sowie Hypo- 
thesen über die Ernährungsverhältnisse des Embryos und Fötus. Was 
die Glykogenbildung anlangt, so findet sich letzteres in dem fötalen 
Teile beim Schwein, in den Zellen der Caruncole amniotiche bei den 
Wiederkäuern, es fehlt bei den Feliden, Chiropteren u. s. w. Bei den 
Mäusen und dem Meerschweinchen ist es sparsam vorhanden, in 
größerer Menge im Genus Lepus. — Den Schluss des Werkes bildet 
ein bibliographisches Verzeichnis, welches sieben Seiten einnimmt, mit 
Aristoteles beginnt und bis auf Lombardini (1886) hinabreicht. 
Die chromolithographierten Tafeln sind sehr schön ausgeführt 
und instruktiv, die letzte bezieht sich auf die Bildung der Uterinmilch. 
Abgesehen von der ersten sichern Nachweisung des Entstehens der- 
selben auch beim Menschen bringt die Monographie durch Hervor- 
hebung des phylogenetischen Zusammenhanges der verschiedenen 
Placenten unter einander einen wesentlichen Fortschritt unserer Kennt- 
nisse und bildet auch sonst eine Zierde der italienischen Literatur. 
W. Krause (Göttingen). 


Ueber die Druckschwankungen in der Cerebrospinalflüssig- 
keit und die wechselnde Blutfülle des zentralen Nerven- 
systems. 

Von Ph. Knoll.') 

Die Atem- und Pulsbewegungen des bloßgelegten Gehirns haben 
bekanntlich schon in alter Zeit die Aufmerksamkeit der Aerzte auf 
sich gezogen, und in den letzten Jahrzehnten wurden von mehrern 
Seiten Methoden zu einer genauern Beobachtung dieser Erscheinung, 
insbesondere mittels graphischer Hilfsmittel angegeben. Als einfachste 
dieser Methoden erscheint die zuerst von Magendie in Anwendung 
gezogene Befestigung einer Kanüle in der Membrana atlanto - oceipi- 
talis, die vor mehrern Jahren von Bochefontaine zu allerdings 
ganz fehlerhaften Versuchen benützt wurde, die mit den Atem- und 
Pulsbewegungen wechselnden Druckhöhen in der Cerebrospinal- 
flüssigkeit mittels eines Quecksilbermanometers zu bestimmen. 





1) Nach dem in der Sektion für allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie der 59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin 
gehaltenen Vortrag. 





Knoll, Drucksehwankungen in der Cerebrospinalflüssigkeit. 619 


Sehr leicht anwendbar ist diese Methode, wenn man die bloßge- 
legte Membrana atlanto- oceipitalis mittels einer konisch geformten, 
an dem einen Ende stark nach der Fläche gekrümmten und abge- 
platteten in ein Stilett auslaufenden Kanüle, die an der Konvexität 
mit einer Oeffnung versehen ist, quer durchsticht und diese Kanüle 
mit einer sehr empfindlichen Marey’schen Schreibtrommel durch 
einen Kautschukschlauch verbindet. Wenn man durch Neigen des 
Kopfes des Versuchstieres die Membrana atlanto- oeeipitalis etwas 
straffer gespannt hat, so sitzt die Kanüle fest und schließt die Stich- 
öffnungen genügend ab, und man kann selbst bei Kaninchen, nament- 
lieh aber bei Hunden eine sehr anschauliche Darstellung der in der 
Cerebrospinalflüssigkeit sich vollziehenden Druckschwankungen ge- 
winnen. Behufs Bestimmung der Druck werte selbst müssten natür- 
lich statt der Marey’schen Schreibtrommel besondere manometrische 
Vorrichtungen mit der in der Membrana atlanto -oceipitalis stecken- 
den Kanüle verbunden werden. 

An dem mittels der Marey’schen Schreibtrommel gewonnenen 
Bilde prägen sich alle durch die wechselnde Blutfülle des zentralen 
Nervensystems bedingten Veränderungen des in der Cerebrospinal- 
flüssigkeit herrschenden Druckes sehr deutlich aus. Die beträcht- 
lichen Schwankungen, welche dieser Druck unter dem Einflusse der 
Atembewegungen erfährt, bestehen nach Verschluss der Kopfschlag- 
adern unverändert fort ‚und sind daher vorzugsweise venösen Ur- 
sprunges. Man sieht denn auch selbst bei seltenen Atemzügen ge- 
wöhnlich während der ganzen Dauer der Einatmung den Druck in 
der Cerebrospinalflüssigkeit sinken und während der ganzen Aus- 
atmung steigen. Nur wenn die Einatmung zu starker Beschleuni- 
gung des Herzschlages und folgeweise zu erheblicher Steigerung des 
Blutdruckes in den Arterien führt, erhöht sich der Druck in der 
Cerebrospinalflüssigkeit noch während der Einatmung. Im allge- 
meinen aber spiegeln sich die intrathorakalen Druckschwankungen in 
jenen der Cerebrospinalflüssigkeit getreulich ab, und dem entsprechend 
kommt es auch bei aktiven Exspirationen, so beispielsweise beim 
Husten und Schreien, zur intensivsten Steigerung des letztern Druckes, 
eine Beobachtung, die uns einen Ausblick in den Einfluss eröffnet, 
welchen gehäufte aktive Exspirationen auf die Blutfülle und damit 
auch auf die Ernährung des zentralen Nervensystems nehmen können. 
Auch bei Nachahmung der Wirkungen der Bauchpresse durch Druck 
von außen kommt es zu einem starken Ansteigen des Druckes in 
der Cerebrospinalflüssigkeit, was gleichfalls vorzugsweise durch stär- 
kere Füllung der Venen in der Schädelrückgratshöhle bedingt ist, 
wie besondere Versuche lehren. Man kann denn auch bei Verschluss 
der Vena cava superior trotz Sinkens des arteriellen Blutdruckes ein 
allmähliches, unter Umständen sehr beträcbtliches Ansteigen des 
Druckes in der Cerebrospinalflüssigkeit wahrnehmen, und selbst bei 


620 Knoll, Druckschwankungen in der Cerebrospinalflüssigkeit. 


Reizung der Hemmungsnervenfasern des Herzens prägt sich das allmäh- 
liche Anwachsen der Füllung der Venen in der Schädelrückgratskapsel 
durch ein beträchtliches Ansteigen des Druckes in der Cerebrospinal- 
flüssigkeit während des Anhaltens der Vaguspulse und des sehr nie- 
drigen Standes des arteriellen Blutdruckes aus. 

Anderseits macht sich aber auch der große Einfluss der arteriellen 
Blutfülle in der Schädelrückgratskapsel auf den Druck in der Cerebro- 
spinalflüssigkeit in dem starken Absinken der letztern zu Beginn der 
Reizung des Herzvagus und bei Verschluss der das zentrale Nerven- 
system versorgenden Arterien geltend. Am wirksamsten ist dies- 
bezüglich aus naheliegenden Gründen der Verschluss der Kopfschlag- 
adern; bei Beseitigung dieses Verschlusses steigt aber der Druck in 
der Cerebrospinalflüssigkeit nicht bloß auf die ursprüngliche Höhe 
wieder an, sondern über diese, und zwar oft weit hinaus. Letztere 
Erscheinung erklärt sich aus dem Umstande, dass, wie besondere 
Versuche und die unmittelbare Beobachtung der Arterien des zen- 
tralen Nervensystems lehren, eine selbst ganz kurz dauernde 
Anämisierung der Arterien eine Erschlaffung derselben beim Wieder- 
einströmen des Blutes bedingt, wenn dieses unter genügendem Drucke 
erfolgt, eine Thatsache, die sich auch an andern Arteriengebieten 
experimentell feststellen lässt und keineswegs auf eine eingetretene 
Ernährungsstörung der Gefäßwand bezogen werden kann. Inwieweit 
die auf diese Weise zu stande kommende postanämische Hyperämie 
des zentralen Nervensystems an der Auslösung der beim Wiederein- 
strömen des Blutes in die vorher verschlossenen Kopfschlagadern 
auftretenden nervösen Reizerscheinungen beteiligt ist, muss dahin- 
gestellt bleiben. 

Sehr bemerkenswert ist ferner die Thatsache, dass die auf reflek- 
torischem Wege oder durch Dyspnoe herbeigeführte Verengerung der 
kleinen Arterien zu einem unter Umständen sehr beträchtlichen An- 
steigen des Druckes in der Cerebrospinalflüssigkeit führt. Nähere 
Erwägung der einschlägigen Verhältnisse und die unmittelbare Beob- 
achtung der Arterien des zentralen Nervensystems, wozu sich die 
isoliert verlaufende Arteria spinalis posterior besonders eignet, er- 
geben, dass jene Thatsache darauf zurückzuführen ist, dass die Ar- 
terien des zentralen Nervensystems an der Verengerung der übrigen 
Arterien sich nicht beteiligen, und bei letzterer daher stärker mit 
Blut gefüllt werden, also in den Zustand der collateralen Hyperämie 
geraten. Die schon von Donders und Ackermann beobachtete 
Hyperämie des zentralen Nervensystems bei der Erstickung ist dem- 
nach zum Teil wenigstens eine arterielle, collaterale, und es fragt 
sich, ob derselben mit Rücksicht auf das Sauerstoffbedürfnis der 
Oblongata nicht ein regulatorischer Einfluss zuzuschreiben ist. Bei 
plötzlichen großen Blutverlusten wird sich eine derartige regula- 
torische Wirkung der eintretenden Erregung des vasomotorischen 


Pasteur, Prophylaxe der Tollwut. 21 


Zentrums und dadurch bedingten Verengerung der außerhalb der 
Schädelrückgratshöhle verlaufenden kleinen Arterien gar nicht be- 
zweifeln lassen, während anderseits die Thatsache, dass reflektorische 
Erregung der Vasomotoren nicht zu Anämie, sondern zu Hyperämie 
des zentralen Nervensystems führt, der Erklärung schwerer nervöser 
Anfälle aus einer reflektorisch erregten Hirnanämie jede Berechtigung 
raubt. 

Einer allzu beträchtlichen Erhöhung des Druckes in der Schädel- 
rückgratskapsel infolge eingetretener Hyperämie aber wird allem 
Anscheine nach durch ein Uebertreten von Cerebrospinalflüssigkeit in 
die Lymphscheiden der Hirnrückenmarksnerven vorgebeugt. Wie ein 
leichter Druck auf den Bulbus, ja selbst ein kräftiger spontaner Lid- 
schlag, durch Uebertritt von Lymphe aus der Opticus-Scheide in die 
Hirnrückenmarkshöhlen nachweislich ein Ansteigen des Druckes in 
der Cerebrospinalflüssigkeit bedingt, wird umgekehrt auch eine Zu- 
nahme des Druckes in letzterer Flüssigkeit zu einem Abströmen der- 
selben nach den Lymphscheiden der Hirnrückenmarksnerven führen 
müssen, und es wird auf diese Weise, ähnlich wie durch die Wirkung 
eines Sicherheitsventils, innerhalb gewisser Grenzen ein allzu starkes 
Anwachsen des Druckes in der Schädelrückgratskapsel verhütet wer- 
den können. 


Ueber die Prophylaxe der Tollwut. 


Mitteilung des Herrn Pasteur an die Academie des sciences 
am 2. November 1886. 


Dieser Bericht umfasst drei Abteilungen. Die erste enthält die 
statistischen Resultate, welche während eines Jahres aus der An- 
wendung der prophylaktischen Behandlung der Tollwut sich ergaben; 
die zweite enthält gewisse Veränderungen der Methode; die dritte 
bringt neue Versuche an Tieren zur Kenntnis. 

14 

Vor einem Jahr, am 26. Oktober 1885, habe ich eine Methode 
veröffentlicht, die Hundswut nach dem Biss prophylaktisch zu be- 
handeln !). Zahlreiche Versuche an Hunden gaben mir die Be- 
rechtigung, sie auch am Menschen anzuwenden. Seit dem 1. März 
waren in meinem Laboratorium von Prof. Grancher 350 Personen 
behandelt worden, welche zum größten Teil von ausgemacht tollen 
Hunden, einige von der Tollwut verdächtigen Hunden gebissen wor- 
den waren. Angesichts der glücklichen Resultate, die wir erhalten 
hatten, schien mir die Errichtung einer Impfanstalt gegen Tollwut 
notwendig. Bis heute den 31. Oktober 1886 sind 2490 Personen nach 
Paris gekommen, um sich der Impfung zu unterziehen. Die Behand- 





4) Vgl. Biol. Centralbl. V, 18 u. 19, ferner VI, 3. 


622 Pasteur, Prophylaxe der Tollwut. 


lung war im Anfang bei dem größten Teil der Gebissenen die gleiche, 
trotz der großen Verschiedenheiten in bezug auf Alter und Geschlecht, 
Zahl der Bisse, Lage und Tiefe derselben und die Zeit, die zwischen 
dem Biss und dem Beginn der Behandlung lag. Diese Gleichmäfßig- 
keit war in dem ersten Beobachtungsjahr gewissermaßen geboten. 
Die Behandlung umfasste zehn Tage: die gebissene Person erhielt 
täglich eine Einspritzung von Kaninchenmark; man begann mit Mark 
vom vierzehnten Tag und endigte mit Mark vom fünften Tag. 

Die 2490 Personen gehören folgenden Nationalitäten an: 

England 80, Oesterreich- Ungarn 52, Deutschland 9, Belgien 57, 
Spanien 107, Griechenland 10, Holland 14, Italien 165, Portugal 25, 
Russland 191, Vorderindien 2, Rumänien 22, Türkei 7, Schweiz 2, 
Vereinigte Staaten von Amerika 18, Brasilien 3, Frankreich und 
Algier 1726. 

Da die Totalsumme der Franzosen aus Frankreich und Algerien 
eine bedeutende ist und bis zu diesem Augenblick mehr als 1700 Fälle 
umfasst, so können wir uns begnügen die Wirkung der Methode nur 
an auf diese Kategorie von Gebissenen bezüglichen Fällen zu prüfen. 

Unter diesen 1700 Behandelten waren es 10, an denen die Be- 
handlung wirkungslos blieb. 

Diese sind: Die Kinder Lagut, Peytel, Clediere, Moulis, Astier, 
Videau. Die Frau Leduc (70 Jahre alt), Marius Bouvier (30 Jahre 
alt), Cherjot (30 Jahre alt), Magneron, Norbert (18 Jahre alt). 

Ich reehne zwei andere Personen nicht mit, deren Tod der zu 
späten Ankunft im Laboratorium zugeschrieben werden muss: Louise 
Pelletier 36 Tage und Moermann 43 Tage nach dem Biss. 

10 Tote auf 1700, 1 auf 170, das ist für Frankreich und Algier 
das Resultat der Methode im ersten Jahre ihrer Anwendung. 

Im ganzen genommen beweist diese Statistik die Wirksamkeit 
der Methode, die Wirksamkeit wird aber auch durch den verhältnis- 
mäßig- häufigen Tod zahlreicher gebissener nicht geimpfter Personen 
bewiesen. Man kann sicherlich behaupten, dass von den im Jahre 
1885—1886 gebissenen Franzosen sehr wenige nicht ins Laboratorium 
der Ecole normale gekommen sind. Nun von dieser geringen Min- 
derheit sind siebzehn Fälle von Hundswut mit nachfolgendem Tod 
zu meiner Kenntnis gelangt. 

Zu allen diesen Thatsachen unserer Statistik kommt noch nach- 
folgender Beleg. 

Die Zahl der Personen, welche in Paris in den Spitälern an 
Hundswut sterben, ist aufs genaueste gekannt, besonders seit fünf 
Jahren. 

Auf Anordnung des Polizeipräfekten werden alle Fälle von Hunds- 
wut, welehe in Pariser Spitälern vorkommen, von den Leitern der- 
selben unverzüglich Herrn M. Dujardin-Beaumetz, Mitglied des 
Gesundheitsrats der Seine gemeldet, dessen Amt es ist, einen Bericht 





Pasteur, Prophylaxe der Tollwut. 623 


darüber an diesen Rat zu erstatten. Daher weiß man mit aller 
Sicherheit, dass in den letzten 5 Jahren 60 Personen in den Pariser 
Krankenhäusern an Hundswut gestorben sind: das macht im Mittel 
zwölf im Jahre. Kein Jahr verlief, das nicht mehr oder weniger 
zahlreiche Tote aufzuweisen hatte. Im letzten Jahre waren es 21. 
Seit dem 1. November 1885 jedoch, d. h. seitdem die Impfmethode 
gegen Hundswut in meinem Laboratorium eingeführt ist, sind nur 
2 Personen in den Pariser Spitälern an Wut gestorben, die nicht 
geimpft waren, und eine dritte, die geimpft war, aber nicht auf die 
intensive mehrfache Weise, von der ich später sprechen werde. 

Wenn man die vorhergehenden Thatsachen betrachtet, wird man 
finden, dass die größere Anzahl derjenigen, welche trotz der Behand- 
lung unterlagen, Kinder sind, welche im Gesicht gebissen worden 
waren. Diese Kinder waren der einfachen Behandlung unterworfen 
gewesen. Nun habe ich die Ueberzeugung gewonnen, dass die Be- 
handlung, besonders bei Bissen dieser Art, ungenügend sein kann. 
Unglücklicherweise konnte diese Ueberzeugung nur langsam Platz 
greifen, da wegen der bei einzelnen Fällen ausnahmsweise langen 
Inkubationszeit auch lange Zeit erforderlich war, um Schlüsse zu 
ziehen. 

Die Geschichte der Smolensker Russen war eine erste Lehre. 

Als wir im Hötel Dieu drei dieser von einem tollen Wolf ge- 
bissenen Russen sterben sahen, von denen einer noch in voller Be- 
handlung war, während die beiden andern kurz zuvor aus der Be- 
handlung entlassen waren, wurden wir, Herr Grancher und ich, 
sehr beunruhigt. Werden die andern sechzehn auch der Krankheit 
erliegen? Ist die Methode angesichts der durch Wölfe übertragenen 
Hundswut ohnmächtig? Da erinnerten wir uns, dass alle mit Erfolg 
geimpften Hunde mit dem Extrakt eines ganz frischen Marks von 
demselben Tage geimpft waren, und dass beim ersten Geimpften, 
Josef Meister, die Behandlung mit dem Extrakt eines Marks vom 
vorhergehenden Tage beendigt wurde; so unterwarfen wir denn die 
16 Russen einer zweiten und dritten Kur und gingen allmählich zum 
frischesten Mark über, zu solchem von vier, von drei und zwei Tagen. 
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Heilung der 16 Russen der wie- 
derholten Impfung zuzuschreiben ist. Ein heut morgen vom Bürger- 
meister von Beloi erhaltenes Telegramm meldet, dass sie sich noch 
immer wohl befinden. 

1: 

Durch diese Resultate und durch neue Experimente, die ich so- 
gleich näher besprechen werde, ermutigt, habe ich die Behandlungs- 
weise abgeändert, indem ich sie zugleich schneller und wirkungs- 
voller für alle Fälle machte und noch schneller und energischer für 
die Bisse im Gesicht oder für die tiefen komplizierten Bisse auf frei- 
liegenden Teilen. 


624 Pasteur, Prophylaxe der Tollwut. 


Uebersicht der 6 unter 1700 behandelten Franzosen ge- 
Tag | Zeit der 











Namen Alter Bisse und ihre Lage 4 es Bisses | Behandlung 
Videau 3 Jahre | Rechtes Handgelenk, | 24. Febr. | 27. Februar 
rechter Augenbrauen- bis 7. März 

bogen 
Lagut 11 Jahre Unterlippe 18. Mai 24. Mai bis 


2. Juni 


Clediere 21 Monate | Handteller und zwei 47. Juni 4. Juni bis 


Finger der rechten 30. Juni 
Hand 
Peytel 6 Jahre | Ringfinger und Mittel- | 98, Juni 30. Juni bis 
finger der rechten 9. Juli 





Hand. Zwei Bisse am 
Lippenband. Biss an 
der Unterlippe, an dem 
linken Augenlid und 
der linken Wange 





Moulis 6 Jahre | Drei Bisse am Vorder- | 34, Juli 6. bis 19. 
arm. Großer Substanz- August 

verlust 
Astier 2 Jahre | Beide Wangen unter | 4. August 5. bis 21. 
den Angen. Sechs August 


Bisse an den Lippen 
und Kratzwunden an 
den Händen 


Pasteur, Prophylaxe der Tollwut. 


storbenen Kinder im ersten Jahr (1885 — 86). 





Impfung. 








Mark von 14 bis 6 Tagen 
(Eine Lymphe im Tag) 


Mark von 14 bis 5 Tagen 


Mark von 14 bis 5 Tagen 
(Einmal im Tag) 


Mark von 14 bis Tagen 
dann von 10 bis 5 Tagen 
(Einmal im Tag) 


Mark von 14 bis 4 Tagen 
(Einmal im Tag) 


Mark von 12 bis 5 Tagen 
dann von 8 bis 3 Tagen 
dann von 8 bis 3 Tagen 
dann von 3 und 2 Tagen 
(Einmal im Tag) 


VI 





Todestag 


24. Sept. 1886 


17. Juni 


17. August 


17. Juli 


8. September 


16. September 


] 
| 
1 








Bemerkungen 


Die Behandlung war un- 


genügend und hatte nur 
einen unvollkommenen 


Sehutz bewirkt 


Desgl]. 


Desgl. 


Man hätte sollen drei Kuren 
in den ersten 10 Tagen 
machen, indem man bis zu 
Mark vom zweiten und 
selbst vom ersten Tage 


vorging 


Ungenügende Behandlung 


Angesichts der schweren 
und zahlreichen Bisse hätte 
die erste Behandlung nur 
1 oder 2 Tage dauern 
dürfen und hätte mehrere 
mal auf intensive Weise 
wiederholt werden 


müssen. 


40 











626 Pasteur, Prophylaxe der Tollwut. 
Uebersicht der 10 Kinder, welche im Gesicht und am Kopf gebissen wur- 
| 5 : : Tag 
Namen | Alter Bisse und deren Lage Rees 
Degoul 2'!/, Jahre | Starke Bisse am Kopf | 29. August 


Baillet (Elise) 


® 
Cuningham 


Tattersall 


Sykes 


Champion 


Masson 


- 


Berthelot 


Lesceure 


Dubarry 





3'/, Jahre 


7 Jahre 


40 Jahre 


11 Jahre 


91, Jahre 


42 Jahre 


144 Jahre 


8 Jahre 


21/, Jahre 








! 








und an den Schenkeln. 
24 Bisse und Kratzer 


Bisse unterhalb des 
linken Auges 


Bisse am linken Arm 
und linken Ohr 


Starker Biss auf der 
Wange unter demlinken 
Auge 


Ausgedehnte Wunde auf | 


der linken Wange 


Bisse unter dem linken 


Auge und an der Ober- | 


lippe 


Biss am mittlern Teil 
der Oberlippe 


Biss an der rechten 
Seite der Nasen- 
scheidewand 


Biss am äußern Winkel 
der rechten Augenbraue 


Biss in Oberlippe und 
Schleimhaut 





20. August 


23. August 


7. August 


22. August 


30. August 


26. August 


25. August 


13. August 


20. August 





Pasteur, Prophylaxe der Tollwut. 627 


den, und welche der intensiven wiederholten Behandlung unterworfen wurden. 
= oe N ERBR ENDET NEN 1 ENEEPTIE PERRPIERBERN VERTNES 2 GEBR ERTER TER RN BA RPRERSERN 


Zeit der Be- 
_ handlung 








30. Aug. bis 
2. Oktober 


22. Aug. bis 
4. Oktober 


26. Aug. bis 
23. September 


12. Aug. bis 
13.September 


30. Aug. bis 
2. Oktober 


1. Septbr. bis 
2. Oktober 


1. Septbr. bis 
3. Oktober 


2. Septbr. bis 
22.September 


24. Aug. bis 
23. September 


25. Aug. bis 
1. Oktober 








Impfung 


Mark von 10 bis 3 Tagen 
verabreicht in 3 Tagen 
Mark von 8 bis 2 Tagen 

= „’ 8 bis 1 Tagen 
3 »„ 6 bis 1 Tagen 
Mark von 14 bis 2 Tagen 
verabreicht in 3 Tagen 
Mark von 8 bis 1 Tagen 
% »„..,6 bis,.d Tagen 
Mark von 14 bis 2 Tagen 
R „. 8 bis 2 Tagen 
a „ 8 bis 1 Tagen 
Mark von 14 bis 3 Tagen 
n » 8bis 2 Tagen 
R. 1 "8x6bis)2 
a „ 8 bis 2 Tagen 
Mark von 14 bis 2 Tagen 
verabreicht in 3 Tagen 
Mark von 8 bis 2 Tagen 
R « 8Sbis 1 Tagen 
B »aNı6 bis llTagen 
Mark von 12 bis 2 Tagen 
verabreicht in 3 Tagen 
Mark von 8 bis 1 Tagen 
» „ 6 bis 1 Tagen 
a „ 6 bis 1 Tagen 
Mark von 10 bis 2 Tagen 
verabreicht in 3 Tagen 
Mark von 8 bis 2 Tagen 
n „br bis. 1 Tagen 
4 »„ 3 bis 1 Tagen 
Mark von 12 bis 2 Tagen 
verabreicht in 3 Tagen 
Mark von 8 bis 2 Tagen 
- „ 5 bis 1 Tagen 
= „ 4 bis 1 Tagen 
Mark von 12 bis 2 Tagen 
verabreicht in 3 Tagen 
Mark von 10 bis 2 Tagen 
3 »„  S bis 3 Tagen 
h „ 4 bis 1 Tagen 
Mark von 14 bis 2 Tagen 
verabreicht in 3 Tagen 
Mark von 8 bis 2 Tagen 
M »„ 6 bis 1 Tagen 
4 „bis 1 Tagen 





Bemerkungen 


Bis 1. November waren 


63 Tage seit dem Biss 
verstrichen 


Ebenso 72 Tage 


% 69 Tage 
& 35 Tage 
n 70 Tage 


5 62 Tage 


5 66 Tage 


N ‘9 Tage 


70 Tage 


40% 


628 Pasteur, Prophylaxe der Tollwut. 


Heute lassen wir die Impfungen .bei Gesichts- und Kopfwun- 
den und bei tiefen Wunden an den Gliedmaßen sehr schnell auf- 
einanderfolgen, um rasch zum frischesten Mark zu gelangen. 

Am ersten Tag z. B. impfen wir mit zwölf, zehn und acht Tage 
altem Mark um 11, um 4 und um 9 Uhr; am zweiten Tage mit 
sechs, vier und zwei Tage altem Mark zu den gleichen Stunden; am 
dritten Tage mit einen Tag altem Mark. Dann wird die Behandlung 
von neuem angefangen: am vierten Tage mit acht, sechs und vier 
Tage altem Mark. Am fünften Tage mit drei und zwei Tage altem 
Mark. Am sechsten Tage mit einen Tag altem Mark. Am siebenten 
Tage mit vier Tage altem Mark. Am achten Tage mit drei Tage 
altem Mark. Am neunten Tage mit zwei Tage altem Mark. Am 
zehnten Tage mit einen Tag altem Mark. 

Man macht somit drei Kuren in zehn Tagen und führt jede bis 
zum frischesten Mark fort. 

Wenn die Bisse nicht verheilt oder wenn die Gebissenen sehr 
spät zur Behandlung gekommen sind, kommt es vor, dass wir 
nach einer Ruhepause von zwei und mehr Tagen von neuem die 
Behandlung aufnehmen und sie über vier und fünf Wochen aus- 
dehnen, welche Zeit für die im Gesicht gebissenen Kinder die ge- 
fährlichste ist '). 

Diese Art der Impfung wird für die schwer Gebissenen seit zwei 
Monaten angewandt, und die Resultate sind bisher sehr günstig. Um 
den Beweis dafür zu geben, genügt es, die Umstände einander 
gegenüber zu stellen, die einerseits beim Biss und bei der Impfung der 
sechs Kinder gewaltet haben, die bei der einfachen Behandlung nicht 
erhalten worden sind; und anderseits diejenigen, welche bei zehn 
Kindern stattfanden, die ebenso schwer im letzten Monat August 
gebissen worden sind und der intensiven Behandlung unterzogen 
wurden. (Liste der 6 Kinder siehe S. 624.) 

Da es selten ist, dass die gefährliche Periode für im Gesicht und 
am Kopf gebissene Kinder die Zeit von vier bis sechs Wochen über- 
steigt, so habe ich das Vertrauen, dass diese zehn Kinder jetzt nicht 
mehr von der Wut befallen werden können. (Liste der 10 Kinder 
siehe S. 626.) 

Diese neue Behandlungsweise hat eine größere Anzahl behan- 
delnder Aerzte erfordert. Die Herren Dr. Terrillon, Dozent bei 
der medizinischen Fakultät, Dr. Roux, zweiter Direktor an meinem 
Laboratorium, Dr. Chanternesse, Hospitalarzt und Dr. Charrin 





4) In denjenigen Fällen, wo die Bisse kompliziert und sehr schwer sind, 
könnte die erste Behandlung an einem einzigen Tage erfolgen und müsste an 
den folgenden Tagen wiederholt werden. Versuche an Hunden rechtfertigen 
diese Praxis. In Russland kommen solche Bisswunden sowohl durch Wölfe 
als durch Hunde vor. 








Fol, Bacillus der Hundswut. 629 


haben Herrn Dr. Graneher und mir ihre aufopferndste Hilfe zuteil 


werden lassen. 
IIR 


Zum Schluss habe ich der Akademie noch die Resultate der 
neuen Versuche an Hunden vorzulegen. Man konnte dem üblichen 
Verfahren der Impfung am Menschen nach dem Biss, welche auf 
die Impfung der Hunde vor dem Biss gegründet war, den Vorwurf 
machen, dass die Immunität der Tiere nicht genügend nachgewiesen 
war nach ihrer sichern Infektion durch das Wutgift. Um diesem 
Einwand zu begegnen, genügt es, den Zustand der rasenden Wut 
zu erzeugen durch Trepanation und Inokulation des Straßenwutgifts 
in den Schädel. Die Trepanation ist die sicherste Art der Infektion 
und ihre Wirkung ist die konstanteste. 

Meine ersten Versuche über diesen Punkt wurden im August 1885 
unternommen. Der Erfolg war ein teilweiser. Im Lauf der letzten 
Monate habe ich die Versuche wieder aufgenommen, sobald ich die 
Zeit neben der Behandlung der Erkrankten dazu fand. Folgende 
Bedingungen sind zum Erfolg notwendig: die Impfung muss kurze 
Zeit nach der Inokulation gleich vom folgenden Tage an vor sich 
gehen, und man muss schnell damit fortfahren, indem man die ein- 
zelnen Gaben des den Schutz bewirkenden Marks innerhalb vierund- 
zwanzig Stunden und selbst noch in kürzerem Zeitraum verabreicht; 
dann wiederholt man die Behandlung von zwei zu zwei Stunden ein 
oder zweimal. 

Wenn Dr. v. Frisch in Wien mit Versuchen dieser Art keinen 
Erfolg hatte, so ist dieser Misserfolg der langsamen Methode, deren 
er sich bedient, zuzuschreiben. Um ans Ziel zu gelangen, muss man, 
ich wiederhole es, schnell verfahren, in wenigen Stunden müssen die 
Tiere geimpft werden und von neuem geimpft werden. Man könnte 
die Bedingungen des Erfolgs oder Misserfolgs aus diesen Versuchen 
folgendermaßen formulieren: der Erfolg der Impfung der Tiere nach 
ihrer Infektion durch Trepanation hängt von der Schnelligkeit und 
Intensität der Impfung ab. 

Die unter solchen Bedingungen verliehene Immunität ist der beste 
Beweis für die Vorzüglichkeit der Methode. 


Hermann Fol, Der Bacillus der Hundswut. 
Nach einer Mitteilung an die Schweizerische naturforschende Gesellschaft. 
Obwohl es bis jetzt für fast sicher galt, dass die Hundswut eine 
parasitische Krankheit ist, so war es bisher noch niemand ge- 
lungen, auf experimentellem Wege die Art der Bacillen festzustellen, 
welchen wir die Uebertragungsfähigkeit zuschreiben müssen. 
Herr Fol hat sehon in einer frühern Veröffentlichung die Me- 
thode angegeben, die er anwendet, um im Gehirn eines wutkranken 


630 Fol, Bacillus der Hundswut. 


Tieres den Bacillus zu färben: sie ist eine Modifikation der Wei- 
gert’schen Methode. Entgegen den Behauptungen der Herren Cornil 
und Babes und nach wiederholten Versuchen hält Herr Fol daran 
fest, dass diese Methode bis jetzt die beste ist, und dass diejenige 
von Gramm keine ausschließliche, ja nicht einmal eine charak- 
teristische Färbung des in Rede stehenden Baecillus hervorbringt. 

Die Impfungsversuche haben 169 Tieren das Leben gekostet. 
Das Gift war mehrern Hunden entnommen, von denen vier wirk- 
lich als wutkrank sich erwiesen haben. Die Kulturen waren mit 
einer Flüssigkeit hergestellt, die man erhält, indem man die zerrie- 
benen Gehirne und Speicheldrüsen von Tieren auspresst, nachdem sie 
einige Stunden mit kohlensaurem und phosphorsaurem Kali mazeriert 
worden sind. Dieser Saft wurde durch Filtration und nicht durch 
Kochen sterilisiert und als Flüssigkeit oder im Agar-Agar eingerührt 
verwendet. 

Von acht mit ersten Kulturen geimpften Tieren sind fünf mit 
sehr ausgesprochenen Wutsymptomen krepiert. Von acht andern, 
welche mit zweiten Kulturen geimpft worden waren, sind vier, 
worunter ein Hund, an Hundswut verendet. Die Impfungen wurden 
immer am Gehirn vorgenommen, bei den Ratten durch Perforation 
der Augenhöhle, bei Kaninchen und Hunden durch Trepanation. Die 
mit Erfolg geimpften Kulturen enthielten einen nach Aussehen und 
Färbung ähnlichen Bacillus wie derjenige ist, den man im Gehirn 
wutkranker Tiere findet. 

Dennoch blieb die letzte Kulturenreihe ohne Erfolg; sie enthielt 
einen Mikrokokkus von denselben Dimensionen wie die andere, der 
aber viel leichter die Anilinfarben aufnahm. Die mit diesen Kulturen 
von Herrn Fol geimpften Tiere blieben gesund, und Herr Pasteur, 
der die Güte hatte mit dieser Kultur Versuche anzustellen, hat die 
gleichen negativen Erfolge gehabt, während er mit einer frühern 
Sendung positive Resultate erzielt hatte. 

Es gibt also einen Baeillus, der dem Wutbaeillus sehr ähnlich, 
aber unschuldig ist, und man muss sich hüten die beiden zu ver- 
wechseln. 

Indem Herr Fol darauf von der Präventivbehandlung Herrn 
Pasteur’s spricht, nimmt er sich dieser Methode gegen die seiner 
Meinung nach ungerechten Angriffe an. Es ist leicht mit den Zahlen 
in der Hand zu beweisen, dass diese Behandlung schon mehr als 
hundert Personen das Leben gerettet hat, und dass die dadurch er- 
zeugte Immunität vollständiger ist, als bei den Impfungen gegen 
Pocken und Milzbrand. 

Herr Fol hat sich bemüht ein flüssiges Antisepticum aufzufin- 
den, das weniger schmerzhaft für den Kranken und unüberwindlicher 
für den Bacillus ist als das Glüheisen. 

Aus seinen Versuchen folgt: 1) dass Wasserstoffsuperoxyd selbst 











Frank, Mikroorganismen des Erdbodens. 651 


im konzentrierten Zustand keine Wirkung auf das Wutgift ausübt; 
2) dass Quecksilberchlorid von Y/g99 nicht genügt, um Wutmark zu 
desinfizieren und dass die Lösung von !/,.. noch keine sichere Wir- 
kung hat. Man müsste also so starke Lösungen anwenden, dass die 
Behandlung unausführbar würde; 3) dass Terpentinöl schon bei 
ungemein schwacher Dosis wirkt. Wasser, das einfach mit einigen 
Tropfen davon geschüttelt worden ist, wirkt sicherer als Sublimat- 
lösung von !/,o; dieses Terpentinwasser hat ausgereicht, um Mark 
in sechs Fällen von sieben zu desinfizieren. 

Das Terpentinöl empfiehlt sich nach Herrn Fol durch seine 
Unschädlichkeit und die Leichtigkeit, mit der es überall zu haben 
ist, ganz besonders der Beachtung der Aerzte für die Behandlung 
tiefer Bisse am Kopfe. 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin. 


Sektion für Botanik. 

Letzte Sitzung. Herr Frank (Berlin) spricht über die Mikroorganis- 
men des Erdbodens. Die Frage, welche niedern Pilzformen im natürlichen 
Erdboden vorhanden sind, wurde beantwortet, indem minimale durch Zerklei- 
nerung und Sieben des Bodens gewonnene Teilchen desselben in nach den 
gebräuchlichen Methoden hergestellte Pilzkulturen, nämlich in sterilisierte Nähr- 
gelatine oder in Pflaumendekokt im hängenden Tropfen auf den Mikroskop- 
Objektträger gebracht wurden. Zur Verwendung kamen: 1) ein humusreicher 
Kalkboden, der Jahrhunderte lang Buchenwald trägt, 2) ein humöser Sandboden 
mit nachweislich wenigstens zwei Jahrhunderte lang fortgesetzter Kiefern- 
kultur, 3) ein Wiesenmoorboden, 4) ein Lehmboden des Marschlandes der Unter- 
elbe, 5) Boden vom Gipfel der Schneekoppe. Es wurden gefunden in wech- 
selndem, nicht regelmäßigem Auftreten verschiedene Hyphomyeceten, 
nämlich ein Oidium, ein Cephalosponium, eine Torula, eine kleine einfache 
Botrytis-Form, in einem Boden eine Mucorinee. Konstant in allen Böden 
aber zeigte sich ungefähr am zweiten Tage der Kultur ein Spaltpilz, bei allen 
Böden ein und derselbe. Zuerst erscheint er in Form langer ungegliederter 
Leptothrixfäden. Sehr bald tritt in denselben Gliederung ein, wodurch 
sie oft ziekzackförmig brechen in längere oder kürzere Fadenstücke, die 
Bacillusform. Dann folgt noch weitere Teilung in kurze zylindrische oder 
ovale Zylinder, die Bakterienform. Nach mehrern Tagen schließt regel- 
mäßig die Entwicklung ab mit der Sporenbildung unter allmählicher Ver- 
gallertung der Membran der Fäden oder Stäbchen. An den Sporen wurde in 
Objektträgerkultur wiederum Auskeimung in kurze Stäbchen beobachtet, die 
vor der Teilung entweder grade bleiben oder auch sich krümmen und so die 
Form des Kommabacillus annehmen. Der Entwicklungscyklus liegt also 
vollständig vor. Innerhalb desselben zeigten sich noch folgende Variationen: 
4) Inbezug auf Beweglichkeit, indem Fäden, Bacillen und Bakterien entweder 
starr bleiben können oder flexil werden, nicht selten auch lebhaft durch ein- 
ander wimmelnde Bewegung annehmen; 2) inbezug auf die Dicke der Individuen, 
indem dieselben bei der üppigen Ernährung im Beginn der Kultur 1,2—1,8 u 


632 Zäslein, Dauerformen des Koch’schen Kommabaeillus. 


stark sind, bei fortgesetzter Vermehrung oft dünner werden bis zu 0,8 und 
selbst 0,6 « Durchmesser. Uebergänge der verschiedenen Diekegrade in dem- 
selben Faden sind konstatiert. Damit ist eine neue Bestätigung der von Zopf 
gegenüber den herrschenden Meinungen der Bakteriologen vertretenen Ansicht 
gegeben, dass die morphologischen Merkmale der Spaltpilze, nach denen man 
bisher Gattungen nnd Arten nnterschied, hierzu unbrauchbar sind, vielmehr 
nur Entwicklungsstadien eines und desselben Pilzes darstellen können. Natur- 
historisch müsste man den Bodenspaltpilz daher als Leptothrix terrigena, 
Bacillus terrigenus, Bacterium terrigenum bezeichnen, je nachdem er in diesem 
oder jenem Entwicklungszustande sich befindet. Vortragender geht nun auf 
die chemischen Prozesse im Erdboden über, die man bisher hypothetisch der 
Thätigkeit von Mikroorganismen zugeschrieben hat, und zwar auf die zuerst 
von Schlösing und Müntz vermutete Nitrifikation von Ammoniakverbin- 
dungen. In sterilisierte Lösungen von 0,008 g Chlorammonium auf 100 cem 
Wasser nebst etwas Pilznährstoff wurden die durch Reinzüchtung gewonnenen 
Pilzformen eingeimpft und dann nach dem Auftreten von Salpetersäure (geprüft 
mit Diphenylamin) und nach dem Verschwinden des Ammoniaksalzes (geprüft 
mittels des Nessler’schen Reagens) die Fähigkeit oder Unfähigkeit, Nitrifi- 
kation zu bewirken, ermittelt. Die Kontrolversuche mit frischem unsterilisiertem 
Boden ergaben nach 4 Wochen starke Abnahme des Chlorammoniums, nach 
8 Wochen nur noch eine Spur, nach 10 Wochen vollständiges Verschwunden- 
sein desselben. Dagegen trat in den mit den verschiedenen Bodenpilzen be- 
säten Lösungen in keinem Falle Nitrifikation ein. Weiter ergab sich, dass 
auch der sterilisierte, ja sogar der geglühte Erdboden bei der gleichen Ver- 
suchsanstellung Ammoniaksalz in Nitrat oder Nitrit umwandelt. Es folgt 
daraus, dass die im Erdboden lebenden Pilze nicht im stande sind, Ammoniak- 
salze zu nitrifizieren, dass dieser Prozess im Boden vielmehr ein anorganischer 
ist, der an die Nitrifikation durch Platinmoor oder durch Ozon erinnert. 


Sektion für innere Medizin. 


2. Sitzung. Herr Zäslein (Genua) spricht über die Dauerformen des 
Koch’schen Kommabaecillus und gibt einige Notizen über sein 
Wachstum im 3. Jahre seines Imports in Europa. Es wurden Kul- 
turen in sehr verdünnten Nährmedien gemacht, welche in folgender Reihe zeit- 
lich geschieden die verschiedenen Formen zur Entwicklung kommen ließen: 
Komma und bloße Kugeln, Bacillenketten; diese Formen sterben nach 2—5 Mi- 
nuten dauernder Austrocknung. Später treten Spirillen und an denselben die von 
Hüppe beschriebenen Arthrosporen auf; sie übertreffen den Spirillus an Breite 
wenig, sind rund, stark glänzend und werden zuerst endständig, dann frei; 
sie widerstehen der Austrocknung bis 3 Stunden und 20 Minuten. Sowohl die 
Bildung als das Auskeimen derselben wurde öfters direkt beobachtet. Erst 
später treten die degenerativen Formen, welche teils als Sporen beschrieben 
wurden, auf; solche Kulturen widerstehen der Austrocknung nicht länger als 
die frühern. Es wird somit die Hüppe’sche Spore, da sie länger als der 
Kommabaeillus der Austrocknung widersteht, und entsprechend ihrer botani- 
schen Stellung als eine Dauerspore aufzufassen sein, wenn auch nicht gleich- 
zeitig mit einer endogenen. Es wird noch bemerkt, dass in diesem Jahre der 
Koch’sche Baecillus unregelmäßiger gewachsen ist und sich öfter rascher, doch 
nie so rasch wie der Finkler’sche entwickelt hat. — Herr Paul Guttmann 
(Berlin) teilt mit, dass nach Untersuchungen im Laboratorium des städtischen 





Emmerich, Heilung von Infektionskrankheiten. 633 


Krankenhauses Moabit sich aus mehrere Monate alten Choleragelatinekulturen, 
die bei wiederholten mikroskopischen Untersuchungen keine Cholerabaeillen 
enthielten, bei Ueberimpfung auf Gelatine wieder Cholerabacillen entwickelten. 
Wenn hingegen alte Cholerakultur auf die Deckgläser gestrichen, 24 Stunden der 
Brutschranktemperatur ausgesetzt und hierauf in die Nährgelatine oder Bouillon 
gebracht wurde, so trat keine Kulturentwicklung ein. Die erstgenannte Be- 
obachtung scheint dafür zu sprechen, dass Dauerformen der Cholerabaeillen 
existieren. — Herr Finkler: Vor 2 Jahren haben wir zuerst diese Beobach- 
tungen beschrieben, dass in alten Kulturen nur noch Kömer zu finden sind, 
welche in der That wieder zu Kommabacillen auswachsen. Wir haben die 
Resistenz des Materials aus alten Kulturen gegen Erwärmen, gegen Austrocknen 
hervorgehoben und dieses Material als bestehend aus der Dauerform des Komma- 
bacillus bezeichnet. Ob man dieselbe als echte Sporen auffasst oder als den 
Rückstand der lebensfähigen Materie, die sich am Baeillus gruppiert, wird 
jetzt ja weiter diskutiert werden, auf alle Fälle existiert Dauerform. Ich weiß 
aus bestimmten Beobachtungen, dass die Dauer der Erhaltung der Lebens- 
fähigkeit noch länger ist, als hier gesagt wurde, und finde die Dauerform 
ebensowohl bei Koch’s Bacillus als bei dem von mir und Prior gefundenen 
Vibrio, der sich als regelmäßiges Vorkommnis bei Cholera nostras auch jetzt 
wieder in Bonn erwiesen hat. 


Sektion für allgemeine Pathologie und pathologische 
Anatomie. 


1. Sitzung. Herr Emmerich (München) spricht über Heilung von In- 
fektionskrankheiten (Vernichtung von Milzbrandbacillen im Organismus). 
Redner machte zufällig die Beobachtung, dass man Meerschweinchen, welche mit 
Erysipelkokken-Reinkulturen infiziert worden waren, pathogene Bakterien ver- 
schiedener Art injizieren kann, ohne dass die Tiere zu grunde gehen. Werden 
die Meerschweinchen nach der Infektion getötet, so findet man nur Erysipel- 
kokken in den Organen, während von den nachträglich injizierten Bakterien 
nichts vorhanden sei. In großer Zahl wurden Versuche mit Milzbrandbacillen 
ausgeführt und zwar 1) Vorimpfungen mit Erysipelkokken und nachträgliche 
Injektion von Milzbrandbaeillen. 2) Gleichzeitige subkutane Injektion von 
Erysipelkokken und Milzbrandbacillen. 3) Injektion von Milzbrandbaeillen und 
nachträgliche subkutane und intravenöse Injektion von Erysipelkokken. Bei 
jedem Versuch wurde eine gleiche Zahl von Tieren zur Kontrole nur mit 
Milzbrandbaeillen infiziert. Diese Kontroltiere hatten das gleiche oder ein 
höheres Körpergewicht als die mit Erysipel behandelten Tiere, und die Zahl 
der zur Milzbrandinfektion verwendeten Bacillen war die gleiche. Von 9 mit 
Erysipelkokken vorgeimpften Kaninchen starben nur 2 (an Erysipel), während 
7 am Leben blieben und sämtliche 9 Milzbrandkontroltiere der Injektion er- 
lagen. Ungünstigere Resultate ergaben die Versuche, die ausgebrochene Milz- 
brandinfektion durch subkutane Erysipelkokken-Injektion zu heilen, während 
durch intravenöse Injektion günstige Erfolge erzielt wurden. Von 10 mit 
intravenösen Injektionen behandelten Tieren starben nur 4, und 6 wurden ge- 
heilt. Die Vernichtung der Milzbrandbacillen im Körpergewebe kommt nicht 
durch die Erysipelkokken selbst zu stande, sondern durch die unter dem Ein- 
fluss der Erysipelkokkeninvasion hochgradig irritierten (entzündeten) Körper- 
zellen, so dass Hoffnung vorhanden ist, dass auf dem gleichen Wege die Hei- 
lung anderer Infektionskrankheiten gelingen wird. 


634 Schrön, Tuberkelbacillen und Tuberkelspore. 


Herr von Schrön (Neapel): Ueber Tuberkelbacillen und 
Tuberkelspore. 1) Der Tuberkelbacillus ist in seinem Jugendzustand 
eine Torulakette. 2) Mit fortschreitendem Wachstum des Bacillus entfernen 
sich die Körnchen der Kette und sind durch ein Band verbunden. 3) Die 
Intercellularsubstanz des Bacillus ist ein Sekretionsprodukt dieser Körnchen, 
welche durch Apposition sich bildet. 4) Bei der regressiven (schleimigen) 
Metamorphose des Bacillus werden die Körnchen der Torulakette als Baecillen- 
sporen frei. 5) Diese freigewordenen Sporen werden durch successive Ver- 
größerung zu Muttersporen, welche eine Kapsel und Inhalt besitzen. 6) Der 
feinkörnige Inhalt der Mutterspore wird zu Tochtersporen. 7) Die Tochter- 
sporen sprengen die kontraktile Kapsel und treten entweder einzeln oder als 
Torulakette (junger Bacillus) aus der Mutterspore. — Im Anschluss und zur 
Bekräftigung des Demonstrierten zieht v. S. eine Reihe von Analogien an aus 
seinem Studium von 34 Arten von Mikroorganismen, unter denen er einige 
gefunden hat, deren Entwicklung mit jener des Tuberkelbacillus Aehnlichkeit 
hat. Er spricht namentlich von seinen Kulturen in hängenden Tropfen, an 
denen er die successive Umbildung verschiedener Bacillen durch vierzehn 
Monate hindurch verfolgt hat; ferner konstatiert er den schon bekannten dop- 
pelten Modus der kontinuierlichen Entwicklung des Bacillus im Gegensatz zu 
der aus der Spore, von ihm in allen Stadien der Entstehung verfolgt. Zum 
Schluss berichtet er über einen im Choleradarm vorkommenden Bacillus, 
dessen verschiedene Entwicklungsphasen der Redner schon seit 2 Jahren im 
Gewebe des Darms mit besondern Färbungsmethoden verfolgt und welchen er 
in lebenden Kulturen dargestellt hat. Er konstatierte endlich die Umbildung 
des ganzen Baecillus in ein schlauchartiges Gebilde, von Kokken und ganz 
kleinen Baeillen (je nach dem Stadium) erfüllt, die sofort die lebhafteste Be- 
wegung annehmen, wenn man sie in Kontakt mit der Luft bringt nnd ihnen 
eine dem Blutserum ähnliche Flüssigkeit zusetzt, woraufhin die kontraktilen 
Schläuche ihren wirbelartig sich bewegenden Inhalt auspressen. — Herr Ko- 
walsky (Wien) erkennt auf grund eigner Erfahrungen dem Tuberkelbacillus 
nur eine beschränkte Wachstumsvariabilität zu. Der Bacillus zeigt eine_ ge- 
wisse Länge, eine Hülle, innerhalb dieser regelmäßig angeordnete Glieder mit 
5—9 Sporen, welche jedoch durch starke Färbung leicht verdeckt werden. 
K. hält die kleinsten Glieder zugleich auch für die jüngsten und glaubt, dass 
sie sich durch Teilung vermehren. Zur Erläuterung werden selbstgefertigte 
Photogramme sporenhaltiger Bacillen demonstriert. 


In der folgenden Sitzung teilt Herr v. Schrön im Anschluss an seinen 
ersten Vortsag und zur Erläuterung seiner vorliegenden mikroskopischen Prä- 
parate über seine Cholerabrutkapseln mit, dass der von ihm im Choleradarm 
beobachtete Bacillus in einigen Punkten Aehnlichkeit mit dem Kommabacillus 
von Koch hat. Redner betont, dass der von ihm demonstrierte Bacillus der 
während des Choleraprozesses im Darm verbreitetste ist. Schon vor 2 Jahren 
hat Ref. alle Phasen der Entwicklung dieses Bacillus an gehärteten und ge- 
färbten Darmschnitten beobachtet. Erst in diesem Jahre (1836) ist es ihm ge- 
lungen, im hangenden geschlossenen Gelatinetropfen die eigentümlichen Kokken- 
und Bacillenschläuche, die dieser Bacillus bildet (nicht aus einer Spore) dar- 
zustellen und in allen Stadien der Entwicklung zu verfolgen. Wichtig erscheint 
ihm der Umstand, dass der betr. Mikroorganismus zu seiner Entwicklung das 
Bindegewebe (eine kollagene Substanz) aufsucht, sowie seine unter dem Mikro- 
skop darstellbare Belebung in den charakteristischen Schlösschen durch eine 





a LT, 


ni 





Ribbert, Untergang pathologischer Schimmelpilze im Organismus. 635 


Flüssigkeit, die dem Bintserum näher steht als Gelatine (z. B. Koch’sche 
Fleischbrühe). Redner knüpft hieran Schlussfolgerungen, die die allgemeine 
Infektion des Körpers durch die Brut des Bacillus betreffen. Die weitgehende 
Verbreitung von Kokken, die mit dem aus den Utrikeln austretenden die 
größte Aehnlichkeit haben, und das massenhafte Auftreten derselben in den 
perivasalen Lymphränmen des Zentralnervensystems, sowie im Gewebe der 
Nieren, der Leber und der Lungen machen die Zusammengehörigkeit dieser 
Elemente mit dem demonstrierten Bacillus wahrscheinlich, sowie sie die Mög- 
lichkeit nicht ausschließen, dass die gefürchteten Ptomaine am Aufenthaltsorte 
der Kokken d.h. in den Geweben selbst gebildet werden. Letzteres ist selbst- 
verständlirh hypothetisch, da für die genannten Kokken bis jetzt weder eine 
spezifische Färbungsmethode existiert, noch mit absoluter Gewissheit nach- 
gewiesen werden kann, dass dieselben in genetischer Beziehung zum Cholera- 
prozess stehen. 


2. Sitzung. Herr Ribbert (Bonn) spricht über den Untergang patho- 
gener Schimmelpilze im Organismus: Bei Injektion geringer Sporen- 
menge stirbt das Kaninchen nicht, sondern wird gesund. Die Untersuchung 
der Organe in verschiedenen Intervallen nach der Injektion ergibt, dass in 
solehen Fällen eine regelmäßige Keimung der Sporen nicht eintritt. Man findet 
sie schon 6 Stunden nachher von Leukocyten umgeben, besonders deutlich in 
der Leber. Die Ansammlung weißer Blutkörperchen, zwischen denen die Sporen 
im Verlauf von Tagen zu grunde gehen, führt zur Bildung kleiner Knötchen, 
Dilatation der Kapillaren und Kompression der Leberzellen. Mit dem Ab- 
sterben der Pilze zerfallen und verschwinden die Leukoeyten, die kompri- 
mierten Leberzellen ıegenerieren sich vielfach unter Bildung von Riesenzellen, 
welche häufig Sporenreste enthalten. Auch aus der Lunge werden Riesenzellen 
aus den desquamierten Epithelien gebildet und nehmen gleichfalls zum Teil 
die Pilze auf. In beiden Organen bringen es die Sporen nur zu einer unvoll- 
kommenen Keimung in Gestalt einer allseitigen feinen Umstrahlung. Die 
regelmäßige Enfwicklung wird eben durch die protoplasmatische Einhüllung, 
in erster Linie durch die Leukoeyten verhindert. 


Letzte Sitzung. Herr Schottelius (Freiburg) berichtet über eine Reihe 
von Uebertragungsversuchen, welche derselbe in Gemeinschaft mit Herm 
Bäumler über Lepra-Impfung vorgenommen hat. Das Resultat dieser Ver- 
suche ist deshalb von allgemeinerem Interesse, weil die Uebertragungen unter 
den denkbar günstigsten äußern Bedingungen stattfanden, und weil der Infek- 
tionsmodus von dem bisher angewandten abweicht. Die Versuche wurden an- 
gestellt an Affen und an einer großen Zahl anderer Tiere. Das Impfmaterial 
wurde zwei Kranken mit hochgradiger Lepra tuberosa entnommen, von 
denen der eine in Brasilien, der andere in Java die Krankheit sich zugezogen 
hatte. Die Exzision etwa 6 cm langer und 3 cm breiter lepröser Hautstücke 
nahm Herr Kraske in Freiburg vor; das herausgeschnittene Material wurde 
sofort in 40° warmer Bouillon und in 40° warmem Blutserum aufgefangen, 
unter gleichmäßiger Erhaltung dieser Temperatur zu einer Emulsion verrieben 
und unmittelbar darauf zur Infektion der Tiere verendet. Die Impfungen 
wurden in der Weise vorgenommen, dass mit einer Spritze an zahlreichen 
Stellen in und unter die Haut den Tieren die (ganz enorme Massen von Lepra- 
bacillen enthaltende) Flüssigkeit eingespritzt wurde. Das Resultat dieser Ver- 


636 Cantani, Giftigkeit des Cholerapilzes. 


suche war ein durchweg negatives; der letzte Affe, dem am 20. Juli außer 
den subkutanen Injektionen in eine Hautvene des rechten Armes eine ganze 
Pravaz’sche Spritze voll Lepra-Emulsion eingebracht und unter die Haut des 
linken Oberarms ein bohnengroßes Stück lebenswarmen Lepragewebes einge- 
näht wurde, ist noch jetzt am Leben und völlig gesund. Die angestellten 
Kulturversuche fielen gleichfalls negativ aus. Gelegentlich dieser Versuche 
wurden auch einige Beobachtungen über die Einwirkung der Licht- und Wärme- 
strahlen auf die Bewegung der Bacillen angestellt: Licht- und Wärmestrahlen 
bewirken bei den sonst bewegungslosen Leprabaeillen nicht nur eine Oseillation, 
sondern auch eine auf physikalischem Wege zu erklärende Bewegung im Sinne der 
Lokomotion. Bei dem zur histologischen Untersuchung reservierten Teil der 
ausgeschnittenen Hautstücke fanden sich die durchschnittlich in Zellen liegen- 
den Baecillen regelmäßig — wenn auch nur in einzelnen Exemplaren oder in 
kleinen Gruppen — im Epithel. — Diskussion: Herr Arning bestätigt, dass 
es ihm ebenfalls nicht gelungen sei, irgendwelches Versuchstier mit Lepra zu 
impfen, weder von der Augenkammer noch von der Bauchhöhle, noch von den 
Venen aus. Selbst an einem Menschen gelang ihm die Impfung nicht, bei 
diesem aber ist das Experiment noch nicht abgelaufen, da nach 14 Monaten 
noch Bacillen an der Stelle der Impfung gefunden wurden. Reinkulturen sind 
ihm ebenfalls nicht gelungen, dagegen wuchsen die Baeillen in fauligen Sub- 
stanzen. — Herr Schottelius verdankt einer Mitteilung des Herrn Prof. 
M. Gavarry in Leyden die Nachricht, dass ihm auf Java von einem spon- 
tanen Vorkommen der Lepra oder einer der Lepra ähnlichen Krankheit nichts 
bekannt ist. 


Herr A. Cantani (Neapel) spricht über die Giftigkeit der Cholera- 
bacillen. Woher kommt die Choleragefahr? Die Bluteindiekung reicht nicht 
hin, dieselbe zu erklären, man muss bei Leuten, die an Cholera siecca oder mit 
raschestem Kollaps zu grunde gehen und in der Leiche nicht zu dickes Blut 
zeigen, eine Vergiftung annehmen. Das Gift kann von Ptomainen, von Sekre- 
tion der Koch’schen Baeillen, von Giftigkeit der Baecillen selbst kommen. 
Experimente an Hunden ergaben, dass die größte Wahrscheinlichkeit für letz- 
tere existiert: Reinkulturen von Cholerabacillen in Peptonfleischbrühe, welche 
durch Erhitzung auf 100° sterilisiert wurde und somit nur tote Bacillen ent- 
hielt, brachte, ins Peritoneum injiziert, die Symptome einer Choleravergiftung 
hervor, während einfache (sterile) Fleischbrühe bei Kontrolversuchen die Tiere 
ganz munter ließ und während auch die Injektion der Fleischbrühe mit leben- 
den Bacillen nicht immer choleraartige Symptome hervorbrachte. Dies lässt 
als wahrscheinlich erscheinen, dass die toten Cholerabaecillen, resorbiert, den 
Körper vergiften, wie dies genossene giftige Schwämme thun. Wie immer 
aber das Choleragift zu stande kommt, gewiss muss man annehmen, dass je 
mehr Cholerabaeillen da sind, desto mehr Gift erzeugt wird und in das Blut 
gelangt. Die therapeutischen Indikationen werden daher sein: 1) Beschränkung 
der Vermehrung der Cholerabacillen im Darmkanal; 2) Förderung der Aus- 
scheidung des aufgenommenen Giftes. Der ersten Indikation entspricht die 
(heiße) gerbsaure Enteroklyse besser als andere bisher versuchte Mittel, um 
so mehr als Experimente über die Einwirkung der Gerbsäure auf die Kulturen 
der Cholerabaeillen bei 37° ergaben, dass 1/,—1 °, Gerbsäure hinreicht, die 
Bacillenvermehrung zu unterdrücken und die bereits vorgeschrittenen Kulturen 
steril zu machen für das Uebertragen in andern geeigneten Nährboden. Der 
zweiten Indikation entspricht die Hypodermoklyse, welche, wenn sie nicht die 





Soyka, Grundwasserschwankungen von Berlin und München. 637 


auf die Annahme der Gefahr durch Bluteindickung gestützten großartigen Er- 
folge gab, doch die Mortalität der schweren Cholerafälle auf die Hälfte 
herabsetzte, indem sie eine Mortalität von 40°], gegen 60°/, Genese bei den 
allerschwersten Fällen ergab. Uebrigens auch die gerbsaure heiße Enteroklyse, 
da sie wieder urinieren macht, dient dieser Medikation und kann bis zu einem 
gewissen Grade die Hypodermoklyse substituieren. 


Sektion für Hygieine. 


2. Sitzung. Herr Prof. Soyka (Prag): Die Grundwasserschwan- 
kungen von Berlin und München, nach ihren klimatischen und 
epidemiologischen Beziehungen. S$. geht zunächst von der Thatsache 
aus, dass wir in den Grundwasserschwankungen einen Maßstab für die Schwan- 
kungen der Bodenfeuchtigkeit, besonders der oberflächlichen Bodenschicht, zu 
suchen haben; da nun alles Wasser im Boden schließlich den atmosphärischen 
Niederschlägen entstamme, so muss doch ein Zusammenhang zwischen diesen 
und dem Grundwasserstande bestehen. Die direkte Beobachtung lässt diesen 
Zusammenhang vielfach vermissen, besonders z. B. in Berlin, wo Minimum des 
Niederschlags und Maximum des Grundwassers koinzidieren. Aehnlich auch in 
Bremen. Eine Untersuchung dieser Verhältnisse, wie sie an verschiedenen 
Orten bestehen, zeigt nun, dass sich doch gewisse gesetzmäßige Beziehungen 
zwischen den meteorischen Faktoren und dem Grundwasser ableiten lassen. 
S. schlägt hierbei folgenden Weg ein. Er fasst eine längere Beobachtungs- 
periode zusammen, in Berlin 16 Jahre (1870— 1885), in München 28 Jahre 
(1856 — 1883), stellt für diese Jahre die Mittelwerte für die einzelnen Werte 
und konstruiert auf diese Weise die Jahresperiode. An der Hand von graphi- 
schen Darstellungen wurden dann diese Verhältnisse demonstriert. InMünchen 
ergibt sich bei dieser Betrachtung eine innige Beziehung zwischen der Periode 
des Grundwassers und der des Niederschlags, besonders was die Maxima an- 
belangt, welche bei beiden in die Monate Juni bis August fallen. Das Minimum 
des Grundwassers eilt jedoch dem Minimum des Niederschlags voraus; es tritt 
bereits im November ein, und von da beginnt wieder ein Ansteigen des Grund- 
wassers, während das Minimum des Niederschlags erst im Februar eintritt. 
S. erklärt dies aus der geringen Verdunstung, die in den Monaten November- 
Februar herrscht, wodurch die relativ immer noch hohen Niederschlagsmengen 
den Verlust des Grundwassers reichlich überkompensieren und "also ein An- 
steigen des Grundwassers veranlassen. In Berlin nun ist zwischen Nieder- 
schlag und Grundwasser gar keine direkte Uebereinstimmung zu erkennen, das 
Maximum des Grundwassers koindiziert mit dem Minimum der Niederschläge 
(April), und das Maximum der Niederschläge (Juli) bewirkt keinen Stillstand 
in dem starken Absinken des Grundwassers. 8. erklärt dies mit der viel ge- 
ringern Niederschlagsmenge Berlins (um 29°), weniger als in München) und 
mit der unregelmäßigen, unrhythmischen Verteilung. Während in München 
eine Regenperiode scharf ausgeprägt ist und dem entsprechend die Amplitude 
der Niederschlagsschwankung 82,3 mm beträgt, fehlt diese typische Gestaltung 
der Berliner Kurve, die Amplitude beträgt nur 34,1 mm, also noch nicht einmal 
die Hälfte der Münchener. Als dominierend für die Grundwasserschwankungen 
in Berlin tritt dagegen ein anderer Faktor in die Erscheinung, der wieder in 
München nicht zur Geltung kommt, das sogenannte Sättigungsdefizit bezw. die 
in ihm sich aussprechende Trockenheit der Luft und Verdunstung. Die Kurve 


638 Hüppe, Ueber Wildseuche. 


des Sättigungsdefizits und die des Grundwassers sind in Berlin in vollständiger 
Uebereinstimmung, nur geht die erstere der letztern voran, da die Resultate 
der Verdunstung sich nur allmählich und verspätet im Grundwasser äußern 
können. In München dagegen tritt die sekundäre Erscheinung auf, dass das 
Maximum des Grundwasserstandes mit dem Sättigungsdefizit, also der Trocken- 
heit, koinzidiert. Es erklärt sich dieses wieder durch die relativen Verhält- 
nisse von München und Berlin. In Berlin ist ein sehr hohes Sättigungsdefizit, 
eine große Trockenheit der Luft, die im Mittel um ca. 75°, höher ist als in 
München, ebenso ist auch die Amplitude der Schwankung in Berlin 1,5 mal so 
groß als in München. Dagegen treten grade in der Zeit des Minimums des 
Sättigungsdefizits in München (Juni— August) die starken Niederschläge mit 
ihrem Maximum ein und überkompensieren so den Einfluss des Sättigungs- 
defizits in B. Auch in der Beziehung zwischen Grundwasser- und Flusswasser- 
stand sprechen sich die geographischen und klimatischen Unterschiede von 
Berlin und München aus. In Berlin ist hier ein vollständiger Parallelismus zu 
konstatieren, sowohl der Zeit als auch der Intensität nach; die Spree geht nur 
(um einen Monat) voraus. In München sind dagegen die Schwankungen der 
Isar Dmal so groß als die des Grundwassers, infolge des mächtigen oberfläch- 
lichen Zuflusses aus dem Gebirge. Soyka zeigt ferner, dass diese Verhält- 
nisse von Berlin und München in einem gewissen Sinne als typisch angesehen 
werden können, und weist dies an zwei andern Städten, Salzburg und Bremen, 
nach, von denen Salzburg genau mit München, Bremen genau mit Berlin über- 
einstimmt. Soyka geht nun weiter auf die Beziehungen zwischen Grund- 
wasserschwankung und Typhusfrequenz ein. Indem er den Typhus nach seiner 
prozentualen Verteilung auf die einzelnen Monate untersucht, konstatiert er, 
dass sowohl in München als auch in Berlin die höchste Typhusfrequenz mit 
dem niedrigsten Grundwasserstand und umgekehrt koinzidiert; dem entsprechend 
ist in Berlin die höchste Typhusfrequenz in den Monaten August, September, 
Oktober — in München, wo die Typhuskurve der des Grundwassers etwas nach- 
geht, in den Monaten, Dezember, Januar, Februar. Als besonders beachtens- 
wert hebt Soyka hervor, dass entsprechend der größern Amplitude der 
Grundwasserschwankung in Berlin (2,2 mal so hoch als in München) auch die 
Amplitude der Typhuskurve eine viel höhere ist (1,6 mal so hoch als in 
München). Bremen, das in seinen Grundwasser- und meteorologischen Verhält- 
nissen mit Berlin so vollständig übereinstimmt, zeigte diese Uebereinstimmung 
auch in seinem Typhusrhythmus. Die Zeiten der Maxima und Minima sind 
genau dieselben wie in Berlin, und entsprechend der größern Amplitude der 
Grundwasserschwankung ist auch die Amplitude der Schwankung an der 
Typhusfrequenz eine noch größere. 


3. Sitzung. Herr Hüppe (Wiesbaden) spricht über Wildseuche. Die 
Wildseuche, Septihaemia haemorrhagica, kommt in epidemischer Ausbreitung 
unter Rot- und Schwarzwild vor und im Anschlusse an derartige Epizootien, 
aber auch ohne Vorausgehen derselben, unter den Haustieren. Sie befällt 
Pferde, Rinder, Schweine spontan und ist experimentell übertragbar auf meh- 
rere andere Tierarten, besonders auf Kaninchen. Bei spontanem Vorkommen 
sind 3 Formen auseinanderzuhalten: eine rein septikämische bei kutaner Infek- 
tion, eine pneumonische durch Einatmung und eine als Intestinalmykose sich 
äußernde bei Aufnahme des Virus bei der Fütterung. Diese Formen lassen 
sich experimentell ineinander überführen und kombinieren sich in verschiedener 
Weise. Das Virus ist eine Kokkoceenart, welche bei Zimmer- und Blut- 





Fischer, Drehungsgesetze beim Wachstum tierischer Organismen. 639 


temperatur leicht kultiviert werden kann auf Gelatine, Agar, Blutserum, Kar- 
toffeln. Bei Zimmertemperatur vermehrt es sich auch in schlechtem Wasser 
und in gewachsenem Boden bei mittlerem Feuchtigkeitsgehalt. Die Bakterien 
gehören zu den Arthrosporenarten und sind fakultative Parasiten. Sie werden 
durch Sublimat, Karbolsäure, Aseptol und siedendes Wasser sicher vernichtet 
und sind beim Austrocknen nicht sehr resistent. Die Wildseuche ist eine aus- 
gesprochen miasmatische kontagiöse Krankheit im ältern Sinne des Wortes. 
Experimentell lässt sich zeigen, dass über die Form des Auftretens, ob mias- 
matisch oder kontagiös, nur der Modus der Infektion entscheidet. Und zwar 
ist das miasmatische Moment, die Abhängigkeit von örtlich-zeitlichen Umständen, 
bedingt durch die Aufnahme des Virus durch Atmung und Fütterung und nur 
abhängig von der allgemeinen individuellen Disposition, welche nach den Arten 
der befallenen Tiere schwankt. Das kontagiöse Moment erfordert neben dieser 
allgemeinen Disposition der Arten und Rassen noch eine besondere durch 
vorausgegange Verwundung (bezw. Insektenstiche) uud tritt deshalb bei den 
Epizootien gegen das miasmatische zurück. Im Gegensatze zum Milzbrand ist 
die Intestinalform nicht an eine besonders resistente Dauerform gebunden, 
sondern erfolgt schon durch die einfachen Bakterien. Der Gegensatz im Ver- 
halten der Milzbrandbaecillen und der Wildseuchekokken lehrt, dass das, was 
die Epidemiologie als miasmatisch-kontagiös oder ektogen auffast, biologisch 
in ganz verschiedener Weise erreicht werden kann. Das Hineininterpretieren 
eines ganz bestimmten Schemas in die Biologie der Parasiten der miasmatisch- 
kontagiösen Infektionskrankheiten ist deshalb als voreilig und zum Teil un- 
richtig von der Hand zu weisen und für jede derartige Krankheit (z. B. auch 
für Typhoid und Cholera) das Verhalten gesondert zu ermitteln. — Herr 
Rubinsohn (Grätz) fragt, ob Erkrankungen nach dem Genusse von Schweinen 
die an Rotlauf zu grunde gingen, vorgekommen sind. — Herr Köttnitz 
(Greiz) führt aus, dass er Magen- und Darmkatarrhe beobachtet hat, die zwar 
nicht tödlich verliefen, aber von langer Dauer waren. — Herr Löffler (Berlin) 
frägt den Vortragenden, wie der Organismus der Wildseuche, welcher inbezug 
auf sein Verhalten zur Nährgelatine und Blutserum durchaus mit dem Organis- 
mus der Schweineseuche übereinstimmt, Meerschweinchen gegenüber sich ver- 
halte, namentlich ob sich bei den subkutanen Impfungen von Meerschweinchen 
das für den Organismus der Schweineseuche so charakteristische blutige OQedem 
der Unterhaut entwickle. — Herr Hüppe: Die Meerschweinchen zeigten die 
angegebene lokale Affektion. Die Mortalität derselben ist aber gering. 


Sektion für Anatomie und physische Anthropologie. 


1. Sitzung. Herr E. Fischer (Straßburg) sprach über die Drehungs- 
gesetze beim Wachstum tierischer Organismen. Die Hauptsätze, 
welche derselbe aufstellt, lauten: 1) Axendrehung ist eine Funktion der leben- 
digen Zelle; 2) das Wachstum der Organismen findet unter beständigen spira- 
ligen Axendrehungen statt; 3) die bilateral-symmetrischen Organismen besitzen 
auf der rechten Körperhälfte linksspiralige, auf der linken rechtspiralige Wachs- 
tumsdrehungen. Als allgemeine Erkennungszeichen spiraliger Beschaffenheit 
gelten die äußern Knochenformen (Knochenkrümmungen), die spiralige Drehung 
der Knochenkanten und -flächen, der spiralige Verlauf der längsleistigen oder 
Knochenfasern auf der Knochenoberfläche, die spiralige Beschaffenheit der 
Balkensysteme der Spongiosa, die Spaltbarkeit der Knochen, die Form und 


640 Hase, Besondere Schuppenbildungen bei Schmetterlingen. 


Richtung der Gefäß- und Nervenöffnungen der Knochenoberfläche, die konzen- 
trische Anordnung der Knochenfasern besonders bei platten Knochen, der 
schräge Verlauf der Balkensysteme zwischen den Endflächen platter Knochen, 
und schließlich die spiralige Drehung der Säulchen der Knorpelkörperchen bei 
den sogenannten Richtungsphänomenen derselben. F. demonstriert eine große 
Anzahl von Zeichnungen und Versuchspräparaten, welche die obigen Sätze 
erweisen sollen. — Herr Albrecht bemerkt hierzu, dass ihm das Vorgetragene 
gänzlich unbegreiflich erscheint. Nach seiner Ansicht ist es z. B. gradezu 
unmöglich zu behaupten, dass die rechte Seite eines Wirbelkörpers links, die 
linke rechts gewunden ist. F. könne überhaupt nicht aussagen, dass ein 
Knochen rechts oder links gewunden sei, da derselbe in einem Sinne betrachtet 
rechts, im andern links spiralig erscheint. Es gibt überall Pseudospiralen am 
Skelette (auch am Humerus), die lediglich durch schräge Lage von Muskel- 
ansatzleisten vorgetäuscht werden. — Herr Bardeleben (Jena) macht darauf 
aufmerksam, dass er schon 1874 für die Wirbel und 1878 für Arterien und 
Venen die spiralige Drehung nachgewiesen habe. Bei letztern ist sie an Ab- 


gangsstellen der Aeste erkennbar. — Herr Joseph (Breslau) macht auf die 
spiraligen Drehungen aufmerksam, welche sich sehr klar'und deutlich bei der 
Trochella der Insekten undLarven wahrnehmen lassen. — Herr Fischer (Straß- 


burg) verweist anf seine Schrift über das Drehungsgesetz beim Wachstum der 
Organismen, Straßburg 1886, bei welcher die einschlägige Literatur (und auch 
die Arbeit von Bardeleben) erwähnt seien. 


Sektion für Entomologie. 


2. Sitzung. Herr Erich Hase: Ueber besondere Schuppenbil- 
dungen bei Schmetterlingen. Vortragender bespricht von solchen be- 
sondern epidermoidalen Bildungen zuerst den Schienensporn, dessen Entwick- 
lung, wie Vortragender 1835 nachwies, im Verhältnis steht zu der gegenseitigen 
Annäherungs-Möglichkeit beider Geschlechter. So fehlt er bei besonders aus- 
gebildeten Fühlern der Männchen, während er den flügellosen plumpen Weibchen 
der Spanner fehlt und bei beiden Geschlechtern der Heteroceren nur dann 
vorkommt, wenn dieselben beide flugtüchtig sind und zu gleicher Tageszeit 
fliegen; bei wenigen Hepialiden besitzen ihn nur die Weibchen. Eine im Sporn 
gelegene Drüse scheint die in die Fühler eingesenkten Geruchsorgane zu be- 
feuchten. Weitere besondere Schuppenbildungen sind die Männchenschuppen, 
welche, wenn sie verborgen sind und von einem riechenden Sekret benetzt 
werden, als Duftschuppen eine Reizwirkung auf das erworbene Weibchen aus- 
zuüben scheinen. Ihre größere Entwicklung bewirkt oft eine besondere Form der 
Flügel, so bei den Männchen von Ornithoptera und vielen Papilionen. Das Duft- 
sekret wird entweder durch lange, willkürlich bewegliche Büschel von Strahl- 
schuppenhaaren zerstreut oder (Huplaea) durch sogenannte Reibeflecke verrieben. 
Andere harte Schuppenbildungen scheinen bei der indischen Gattung Hypsa bei 
beiden Geschlechtern znr Erzeugung eines Schrillgeräusches zu dienen, während 
sonst solche Geräusche als sexuelle Charaktere nur bei den Männchen von Theco- 
phore fovea vonRogenhofer, und bei denen der indischen Corista membranacea 
jetzt vom Vortragenden nachgewiesen wurden. 








Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. 





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Biologisches Centralblatt 


unter Mitwirkung von 
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 
herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 








24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark 
Zu beziehen dureh alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


vl. Band. 1. Januar 1887. Nr. 21. 











Inhalt: Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie. — Baur, Ueber 
das Quadratum der Säugetiere. — Morin, Zur Entwicklungsgeschichte der 
Spinnen. — Nusbaum, Zur Embryologie der Schizopoden. — Verhandlungen 
gelehrter Gesellschaften: 59. Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte zu Berlin. — Physiologische Gesellschaft zu Berlin. 





Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie. 


Von Wilhelm Haacke. 


1% 

In St. Vincent’s Golf, auf den zur Ebbezeit auch für den waten- 
den Sammler zugänglichen, teilweise mit Seegras und Tang be- 
wachsenen Sandbänken in unmittelbarer Nähe des einsamen Miniatur- 
hafenortes Port Vincent auf York’s Peninsula lebt eine Seeigelart, 
die durch ihre eiförmige Gestalt, ihre dünnen kurzen Stacheln und 
ihre hellgrünlich-lehmgelbe Grundfarbe bei violetter Färbung der den 
Ambulakralfüßchen zunächst stehenden Stachelreihen ausgezeichnet ist. 
Sie gehört der australischen Gattung Amdlypneustes an und führt den 
Namen A. ovum. Man findet ihre Vertreter eben unterhalb der Grenze 
des niedrigsten Ebbestandes. Eine andere Art, der A. formosus, lebt 
einige Faden tiefer. Er besitzt eine dunkel grünlichgraue Grund- 
farbe, welche sich auch auf sämtliche Stacheln erstreckt, dunkel 
braunrote, nicht hellgelbe, Ambulakralfüßchen und weniger eiförmige, 
mehr gedrückte Schalenform sowie gedrungenere Stacheln als A. ovum. 
Beide Formen habe ich, die erstere mit der Hand, die andere mit 
dem Schleppnetze, häufig erbeutet. Uebergänge zwischen beiden habe 
ich, obwohl tausende von Exemplaren durch meine Hände gegangen 
sind, und trotzdem dass die horizontalen und vertikalen Verbreitungs- 
bezirke beider Arten unmittelbar aneinander stoßen, nie gefunden. 

Die Verschiedenheit in der Form und Färbung der beiden Amdly- 
pneustes- Arten lassen sich auf Anpassung an verschiedene Aufent- 


haltsorte zurückführen. Nur in Tanghainen findet man A. formosus; 
v1. 41 


642 Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie. 


nur auf Seegraswiesen A. ovum. Von letzterer Art will ich vorzugs- 
weise sprechen. 

Dem grünlichgelben Lichte der Seegraswiesen, die für ihre Be- 
wohner das sind, was für uns etwa ein Bambushain ist, ist A. ovum 
vortrefllich angepasst durch seine Färbung. Ganz besonders interes- 
sierten mich diese Seeigel aber durch ihre Gewohnheit, im dichten 
kurzen Seegrase senkrecht in die Höhe zu klettern, wie der Schorn- 
steinfeger im Schornsteine. Die bald nach dem Mundpole, bald nach 
dem Scheitelpole hin parabolisch verjüngte Schalenform unseres See- 
igels ist hierzu vortrefflich geeignet; wie ein eiförmiger Keil rückt er, 
sich allseitig mit dem Saugfüßchen an den Seegrasblättern festhal- 
tend, allmählich in die Höhe. Da er aber bald herauf, bald herab 
steigt, so schwankt seine Schalenform zwischen zwei Extremen. 

Frei auf dem Sande liegend sind die Vertreter beider Ambly- 
pneustes-Arten gänzlich hilflos, und ich habe sie außerhalb der Seegras- 
wiesen und Tanghaine nur an solehen Orten gefunden, wohin sie mit 
der Brandung geraten sein konnten; die von mir unbeholfen auf 
unbewachsenem Grunde liegend angetroffenen lebenden Exemplare 
waren immer mehr oder weniger verletzt und würden wahrscheinlich 
über kurz oder lang zugrunde gegangen Sein. 

Die vorstehend mitgeteilten Beobachtungen, die bei unsern überaus 
spärlichen Kenntnissen von den Lebensgewohnheiten der Seeigel immer- 
hin einen schon berechenbaren Beitrag zu diesen Kenntnissen hinzu- 
fügen, sind schon an und für sich interessant und sollten zu ausge- 
dehntern Beobachtungen Anlass geben; sie haben aber noch eine 
weitere, bei der Beurteilung der Tiefseetiere und Fossilien in betracht 
kommende Bedeutung. 


IE 


Dass die Lebensgewohnheiten der Seeigel, die wir doch nur an 
den das seichte Küstenwasser bewohnenden Arten in befriedigender 
Weise studieren können, etwas mit der Tiefseefauna und gar mit der 
Paläontologie zu thun haben sollen, dürfte manchem gesucht er- 
scheinen; gleichwohl kann ich versichern, dass sich mir die nach- 
folgenden Betrachtungen, welche an jene gelegentlich gemachten 
kleinen Beobachtungen anknüpfen, ganz ohne mein Zuthun aufge- 
drängt haben. Durch ihre Mitteilungen will ich nichts weiter be- 
zwecken als einen Hinweis auf die vielen meiner zoologischen Fach- 
genossen noch nicht ganz klare Notwendigkeit, von Zeit zu Zeit Mi- 
kroskop und Reagenskasten, Mikrotom und Präpariermesser, Zellen- 
theorie und Systematik sich selber zu überlassen und sich dafür mit 
Fernrohr und Flinte, Angelrute und Kätscher, Waidmannskunst und 
Fischergewerbe zu befassen. 

Zu welchen Ungereimtheiten die von vielen Fachzoologen nicht 
nur geübte, sondern wohl gar im stillen gerühmte Vernachlässigung 





Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie. 643 


des Studiums der sich selbst überlassenen Natur führt, werde ich 
aus den nachfolgenden Zeilen ersichtlich zu machen suchen. Wer 
aber gelernt hat, stets auch die Lebensgewohnheiten der Tiere mit in 
Rechnung zu ziehen, bleibt vor manchen Irrtümern bewahrt, findet 
aber auch, dass sich die meisten wissenschaftlichen Probleme nicht 
kurzer Hand lösen lassen. 

Als durch die Tiefseeuntersuchungen der Neuzeit eine Reihe an 
Fossilien erinnernder oder gar mit solchen identischer Tierformen in 
die Museen gelangten, aber auch schon vorher, da hieß es: Natürlich! 
Denn durch die gleichmäßigen Existenzbedingungen in den Meeres- 
tiefen mussten viele Zeitgenossen früherer Erdepochen in nahezu 
unveränderter Form erhalten werden! — Nun mache man sich es 
einmal klar, welche Unverträglichkeiten in einer solchen Ansicht ent- 
halten sind. 

Jede Tiefseetierart lebt in manchen Beziehungen unter denselben 
Lebensbedingungen wie jede andere Tiefseetierart; die hierbei in 
betracht kommenden Verhältnisse sind sehr einfach. Jede Tierart 
des seiehten Wassers oder des Landes lebt dagegen unter andern 
Bedingungen, als jede andere dorthin gehörige Tierart; die Land- 
und Seichtwasserfauna weisen also sehr komplizierte Verhältnisse auf. 
Dieser Unterschied zwischen der Tiefseefauna einer- und der Land- 
und Seichtwasserfauna anderseits gestattet nur den einen Schluss, 
dass die Arten der Tiefsee manche Analogien aufweisen werden, die 
wir bei den Arten des seichten Wassers und des Landes vermissen. 
Solche Analogien sind nun in der That vorhanden; ich erinnere an 
die Haftnäpfe der Tiefseemedusen, an die rote Farbe der Tiefsee- 
krabben, an die Tast- und Fühlorgane einer großen Anzahl von Tief- 
seetieren. 

Statt zu diesem Resultate kam man aber, wie wir gesehen haben, 
zu einem ganz andern. Man verwechselte die gleichmäßigen Lebens- 
bedingungen der lieht-, wärme- und pflanzenlosen Tiefsee mit einem 
Zustande unveränderter Fortdauer der Lebensbedingungen früherer 
Erdepochen und zog dann den immerhin gerechtfertigten Schluss, 
dass jene Fortdauer ein teilweises Ueberleben auch der Fauna dieser 
alten Erdepochen verursacht habe. Hiernach müsste man doch folge- 
richtig annehmen, dass die gleichmäßigen und eigentümlichen Lebens- 
bedingungen der heutigen Tiefsee, die vielleicht erst während der 
Silurzeit entstanden ist, zu dieser Zeit auch im seichten Küstenwasser 
geherrscht hätten. Diese Annahme ist aber ganz unhaltbar. Wir 
wissen jetzt, dass es zur Silurzeit schon Skorpione, somit eine Land- 
fauna und jedenfalls auch eine reich entwickelte Land- und Meeres- 
flora gab, und es wird im seichten Küstenwasser der Silurzeit kaum 
anders gewesen sein als in der Gegenwart mit ihren Seegraswiesen, 
Tangwäldern, Austerbänken und Korallenriffen. Wollte man aber 
annehmen, dass die Seichtwassertiere der Silurzeit und der darauf- 

Al 


644 Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie. 


folgenden Erdperioden in die Tiefe gewandert seien, um uns ihr Ab- 
bild in ziemlich unveränderten Nachkommen aufzubewahren, so würde 
man dadurch nur in große Verlegenheit geraten. Ueberall sonst, wo 
verschiedene und verschiedenen Existenzbedingungen angepasste Tiere 
gemeinschaftlichen Existenzbedingungen sich unterziehen, sehen wir 
die betroffenen Tierarten in hochgradiger Weise und gewöhnlich nach 
derselben Richtung hin verändert. Ich erinnere nur an die Parasiten. 
In den Echinokokken, Entokonchen und Sakkulinen wird man doch 
wohl kaum Vertreter uralter Tierformen erblicken wollen. Dann 
durfte man dieses auch nicht in den Bewohnern der Tiefsee; viel- 
mehr bilden diese, wie wir gesehen haben, keine Ausnahme von der 
Regel. 

Hier komme ich nun wieder auf unsern die Seegraswiesen von 
Port Vincent bewohnenden Amblypneustes ovum zurück. Wie wir 
wissen, stimmt seine eiförmige Gestalt aufs beste zu seiner Gewohn- 
heit, im dichten Seegrase in die Höhe zu klettern, und man wird mir 
nicht widersprechen, wenn ich behaupte, dass er an die Seegrasregion 
gebunden ist. In der That sind sämtliche Arten der Gattung Ambly- 
pneustes Bewohner des seichten Wassers, und von den nächstver- 
wandten Gattungen gilt dasselbe. Neumayr hat, um die übrigens 
schon vorher ziemlich hinfällige Ansicht vom altertümlichen Charakter 
der Tiefseefauna zu zerstören, darauf aufmerksam gemacht, dass die 
phylogenetisch alten regulären Seeigel, wozu Amblypneustes gehört, 
in der Nähe der Küsten weit besser vertreten sind, als in der Tiefsee. 
Erinnert man sich an unsern Amblypneustes, so hat man die wahr- 
scheinlichste Erklärung gefunden. Wahrscheinlich üben viele Seeigel 
des seichten Wassers die Kunst des Kletterns zwischen Seegras und 
Tangen; für solehe Seeigel ist aber die reguläre Form die beste. 
Da nun Pflanzen in der Tiefsee fehlen, so kann uns die beschränkte 
Anzahl regulärer Tiefseeigel nicht wundern. Die Echinoiden der 
Tiefsee sind ebenso ihrem Aufenthaltsorte angepasst, wie diejenigen 
des seichten Wassers. Wer sich hiervon überzeugen will, braucht 
nur die Abbildungen in Agassiz’ schöner Monographie der Challen- 
ger-Echinoiden durchzusehen; er wird finden, dass die Tiefseeigel 
der Lokomotion auf Flächen angepasst sind. Die Seeigel lehren uns 
also, dass die alten Formen vorwiegend im seichten Wasser, die 
jüngern dagegen auch in der Tiefe gefunden werden müssen, und 
dass diese Art der bathymetrischen Verbreitung durch die verschie- 
denen äußern Verhältnisse bedingt ist, zu welcher Annahme nur das 
vergleichende Studium der Gestalt und der Lebensweise der Seeigel 
führt. 


II. 


Bedeutende zeitgenössische Naturforscher, Vertreter verschiedener 
Disziplinen, stimmen heute darin überein, dass die Konfiguration der 





Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie. 645 


Kontinente in den ältesten Erdepochen im wesentlichen dieselbe war 
wie heute. Wenn aber dieses der Fall ist, so gelangen wir zu einigen 
lehrreichen auf meinen Gegenstand bezüglichen Schlussfolgerungen, 
welche zeigen, mit welcher Umsicht man bei Beurteilung der Tief- 
seefauna verfahren muss. Um diese Schlussfolgerungen klar zu 
stellen, müssen wir, was vorher nicht geschehen, nicht bloß zwischen 
Seichtwasser und Tiefsee mit ihren entsprechenden Faunen, sondern 
zwischen der Litoral-, der Kontinental- und der Abyssischen Zone 
unterscheiden. In der letztern, also in den von 900 bis 1000 Meter 
Wasser überlagerten Meereschichten leben die eigentlichen Tiefsee- 
tiere, in der Litoralzone die Bewohner der Küsten; zwischen beiden 
finden wir die Bewohner der Kontinentalzone. 

Wenn nun die Kontinente relativ beständig sind, so kann es 
keinem Zweifel unterliegen, dass uns fosstlienführende in der Abyssal- 
zone früherer Erdepochen gebildete Ablagerungen überhaupt nicht 
bekannt sind. Dieselben sind wie ehedem so noch heute in den Tiefen 
des Ozeans begraben. Einem Vergleiche der heutigen abyssischen 
Fauna mit der Fauna der Versteinerungen führenden Erdschichten ist 
aber jeder Grund und Boden entzogen, denn wir dürfen nur Tiefsee- 
tiere mit Tiefseetieren vergleichen. Inbezug auf die abyssische Fauna 
der Jetztwelt und der Vorwelt haben wir nur eine Seite der Gleichung 
vor uns; die andere ist gleich x. 

Aehnlich ist es mit der Litoralfauna. Obwohl wir sicher eine 
Reihe fossiler Litoraltiere kennen, so sind doch die Bedingungen für 
fossile Erhaltung, welche die Litoralzone ihren Bewohnern gewährt, 
verhältnismäßig ungünstige. Ebbe, Flut und Brandung in Verbin- 
dung mit den Oscillationen der Küste lassen eine ausgedehnte Schich- 
tenbildung hier nieht aufkommen, und dasselbe gilt für die obersten 
Schichten der Kontinentalzone. Inbezug auf Seeigel möchte ich hier 
einige einschlägige Beobachtungen anführen. Stirbt aus irgend welchen 
Ursachen ein Seeigel des seichten Wassers, so entwickeln seine ein- 
gekapselten Weichteile Fäulnisgase, welche das spezifische Gewicht 
der Leiche um ein bedeutendes vermindern, so dass sie vom Wasser 
in die Höhe getrieben wird. Die Seeigel werden nun, ehe sie durch 
das Entweichen der Fäulnisgase wieder zum Untersinken gebracht 
werden, von Wind und Wogen ans nahe Ufer gespült. Bei den Amdly- 
pneustes von Port Vincent lassen sich dieses bestätigende Beobach- 
tungen leicht machen, wie ich es oft gethan habe. Das Ufer bietet 
aber meistens wenig Gelegenheit für fossile Aufbewahrung. Die san- 
digen Buchten von Port Vincent sind zwar mit Amblypneustes-Schalen 
besät, aber diese Schalen sind dem vollständigen Zerfall geweiht. 
Gräbt man im Sande nach solchen Schalen, so sucht man vergebens. 
Natürlich können die Leichen von Seichtwasser-Seeigeln auch ins 
Meer hinausgetrieben werden, wo sie nach Entweichen der Fäulnis- 
gase untersinken können; indess viele derselben, wenn nicht die 


646 Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie. 


meisten, werden ans Ufer verschlagen. In der Nähe des Ufers habe 
ich nicht selten treibende Seeigelleichen gefunden; nicht so in wei- 
terer Entfernung vom Ufer, geschweige denn auf hoher See. Meine 
Reisen haben mich zu Schiffe von Hamburg nach Tristan d’Acunha 
und Neuseeland, von Neuseeland nach Tasmanien und Melbourne, 
von Sydney nach Neu-Guinea und zurück und fünfmal die Linie 
Adelaide - Melbourne entlang geführt, immer habe ich fleißige Ausschau 
nach treibenden Tangen und pelagischen Tieren gehalten, aber ich 
erinnere mich nicht, jemals einen treibenden Seeigel oder irgend eine 
andere Tierleiche gesehen zu haben. Uebrigens haben die toten See- 
igel des tiefern Wassers schon deshalb mehr Aussicht auf fossile 
Erhaltung, weil sich wegen der in größern Tiefen herrschenden ge- 
ringern Wärme bei ihnen keine Fäulnisgase entwickeln können. Wie 
bei den Seeigeln, so ist es aber auch bei den meisten andern Tieren 
des seichten Wassers; ihre Aussichten auf fossile Erhaltung sind be- 
deutend geringer als diejenigen der Tiefwassertiere. Hieraus folgt, 
dass die Anzahl uns fossil überkommener Bewohner der Litoralzone 
und der obern Kontinentalzone früherer Erdepochen verhältnismäßig 
gering sein muss, wodurch ein Vergleich zwischen den lebenden und 
ausgestorbenen Bewohnern derselben auf sehr schwache Füße gestellt 
wird. 

Ein solcher Vergleich ist viel eher möglich bei der untern 
Kontinentalzone. Für Aufspeicherung von Fossilien bietet sie die 
günstigsten Aussichten, und viele der in der untern Kontinentalzone 
in frühern Erdepochen abgelagerten Gesteinsschichten sind uns heute 
zugänglich. Die meisten Fossilien, welche wir kennen, sind hier ein- 
gebettet worden. Bis vor kurzem nun kannten wir viele lebende Be- 
wohner dieser Zone noch nicht. Sie sind uns erst durch die Tiefsee- 
untersuchungen der Neuzeit bekannt geworden und brachten uns 
allerdings eine Reihe „lebender Fossilien“. Sie mussten es; denn da 
die meisten der uns bekannten ausgestorbenen Tiere Bewohner der 
untern Schichten der Kontinentalzone waren, so sind lebende und 
wenig veränderte Nachkommen derselben vorzugsweise an diese Zone 
gebunden. Für die Seeigel ist dieses durch Neumayr bestätigt 
worden. 

Ganz allgemein können wir für das Aufsuchen „lebender Fossilien“ 
den Satz aufstellen, dass die teilweise Fortdauer der Zustände 
früherer Erdepochen allerdings die Ueberlieferung alter Formen be- 
günstigt hat, dass eine solche Fortdauer aber nicht ausschließlich in 
den tiefsten Tiefen des Ozeans, sondern für Landtiere auf dem Lande, 
für Süßwassertiere in ihrem Medium, für Litoraltiere in der Litoral- 
zone, für die Bewohner der Kontinentalzone in dieser, und nur für 
eigentliche Tiefseetiere in der abyssischen Region stattfindet. Als die 
Tiefsee-Expeditionen uns mit einer Reihe bis dahin unzugänglicher und 
unbekannter lebender Vertreter phylogenetisch alter Tierformen be- 








nr De et 


Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie. 647 


kannt machten, da hätten wir nur gleich fragen sollen, ob dieselben 
nicht vermöge ihres Baues von jeher an tieferes Wasser gebunden 
waren, uns also früher, wenn überhaupt, nur als Fossilien bekannt 
sein konnten. 


Will man, wozu ich hier die Anregung geben möchte, über die 
geologische und bathymetrische Verbreitung lebender und ausgestor- 
bener Seetiere Tabellen aufstellen, welche die Lebensweise und die 
auf sie bezughabende Gestalt der Seichtwassertiere, die über die Le- 
bensweise aufklärenden Gestaltungsverhältnisse der Tiefseetiere und 
der Fossilien sowie die Verwandtschaftsverhältnisse aller in betracht 
kommenden Formen berücksichtigen, so wird man, glaube ich, 
manches interessante Resultat erhalten. Die Zusammenstellung solcher 
Tabellen hat aber mit Umsicht zu geschehen, wie die folgende Be- 
trachtung lehren mag. Wie wir wissen, haben die meisten Tiere der 
Litoralzone verhältnismäßig wenig Aussicht auf fossile Erhaltung. 
Es kann demnach der Fall eintreten, dass ihre in die für fossile 
Aufbewahrung günstige Kontinentalzone eingewanderten und durch 
die verschiedenen Lebensbedingungen abgeänderten Nachkommen 
schon fossil abgelagert sind, während jene noch unverändert in der 
Litoralzone fortleben. Wird es den litoralen Stammeltern nun durch 
veränderte Meeresströmungen oder andere Umstände ermöglicht, ihre 
Leichen im Bodensatze der Kontinentalzone zu begraben, so ent- 
stehen Schichten, von denen paradoxerweise die ältern die Epi- 
gonenform, die jüngern die Ahnenform bergen. Diese Ahnenform 
würde sich durch ihren Bau als litorales Tier dokumentieren 
müssen. 

Erwägungen wie die eben gemachte, überhaupt aber alles vor- 
stehend nur in den gröbsten und absichtlich kühnen Zügen Erörterte, 
wobei ich nicht auf Einzelheiten und etwaige mir wohl möglich schei- 
nende Einwände eingehen konnte, dürften geeignet sein, uns die 
Schwierigkeiten phylogenetischer Untersuchungen und die Notwendig- 
keit großer Umsicht vor Augen zu führen, was gleichmäßig für Freunde 
und Feinde solcher Untersuchungen gilt. Ganz besonders werden wir 
aber darauf geführt, die Wechselbeziehungen zwischen Wohnort, Le- 
bensweise und Gestalt eines Tieres zu berücksichtigen. Wer dieses 
thut, wird sich nieht mehr wundern, dass die Tiefsee nicht, wie viele 
erwarteten, lebende Fossilien in großer Menge birgt. Sie ist Jünger 
als das seichte Wasser und hat vermöge ihrer Eigentümlichkeiten die 
meisten alten Lebeformen, die aus dem letztern in sie einwanderten, 
teils aussterben lassen, teils in hochgradiger Weise umgestaltet. 


648 Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere. 


Ueber das Quadratum der Säugetiere'). 
Von Dr. G. Baur in New-Haven, Conn. 


In welchem Skeletstück der Mammalia ist das Quadratum der 
Sauropsiden und Ichthyopsiden zu suchen? ist eine Frage, welche die 
verschiedensten Beantwortungen nach sich gezogen hat. 

In neuerer Zeit nun sind einige Arbeiten erschienen, welche diese 
Frage gelöst, und zwar auf eine neue Weise gelöst wissen wollen. 
Es sind einige Arbeiten von Albrecht?) und eine solche von Dollo?). 

Ich wende mich nun zuerst zu einer kurzen Besprechung der 
Albrecht’schen Arbeiten. 

Albrecht bringt die verschiedenen Anschauungen über die Arti- 
kulation des Unterkiefers der Vertebraten vor, und stellt dieselben 
auf folgender Tabelle zusammen. 











Unterkieferartikulation der Vertebra- Unterkieferartikulation der Säuge- 
ten mit Ausschluss der Säugetiere tiere 
Artieulatio quadrato -artieularis Artie. squamoso-artieularis (Huxley) 


Artic. squamoso - dentalis (Gegen- 
baur, Kölliker, Wieders- 
heim) 

Während also Huxley annimmt, der Unterkiefer der niedern 
Wirbeltiere sei homolog dem Unterkiefer der Säugetiere, sehen Gegen- 
baur, Kölliker und Wiedersheim im Unterkiefer der Säugetiere 
nur das Dentale des Unterkiefers der übrigen Wirbeltiere. 








1) Ber. d. Ges. f. Morph. u. Phys. zu München. 

2) Albrecht P., Sur la valeur morphologique de Vartieulation mandibu- 
laire, du cartilage de Meckel et des osselets de l’ouie avec essai de prouver 
que l’ecaille du Temporal des mammiferes est composse primitivement d’un 
squamosal et d’un quadratum. Bruxelles 1883. 

Ders., Sur le erane remarquable d’une idiote de 21 ans. Bruxelles 1883. 

Ders., Sur la valeur morphologique de la trompe d’Eustache et les deriv6s 
de Vare palatin, de are mandibulaire et de l’are hyoidien des vertebres. 
Bruxelles 1884. 

Auszüge dieser Arbeiten sind zu finden in: 

Albrecht P., Ueber den morphologischen Wert der Gehörknöchelehen 
und des Unterkiefergelenkes der Wirbeltiere. Vortrag, gehalten in der anato- 
mischen Sektion der zu Freiburg i. Br. abgehaltenen 56. Versammlung deutscher 
Naturforscher und Aerzte. Amtlicher Bericht dieser Versammlung. Freiburg 
1884 8. 143. 

Ders., Ueber den morphologischen Wert des Unterkiefergelenkes, der 
Gehörknöchelehen und des mittlern und äußern Ohres der Säugetiere. Bericht 
über den dritten internationalen otologischen Kongress in Basel vom J. 1884, 
Basel 1855, 8 Seiten. 

3) Dollo L., On the malleus of the Lacertilia and the malar and quadrate 
bones of Mammalia. Quart. Journ. Microse. Se. Oct. 1883. 











any 


Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere, 649 


In der nächsten Tabelle stellt Albrecht die verschiedenen An- 
schauungen über die Entwicklung der Gehörknöchelehen bei den 
Säugetieren zusammen. 














I. Kiemenbogen II. Kiemenbogen Gehörkapsel 
Reichert Hammer, Ambos Steigbügel 
Günther Hammer, Ambos 
Steigbügel 
Gegenbaur | Hammer = Articulare Os lenticulare (Sym- 
Ambos = Quadratum | pleeticum) Steigbügel— 
Hyomandibulare 
Huxley Hammer = Quadratum | Ambos = Hyomandibu- 
lare, Os lenticulare, 
Steigbügel 
Parker id. id. 
Parker und id. Ambos —= Hyomandibu- | Steigbügel 
Bettany lare 
Salensky | Hammer, Ambos, Steig- 
I. Theorie bügel Steigbügel !) 
Salensky Hammer, Ambos | 


II. Theorie 


Kölliker Hammer = Articulare 








teigbügel 
Ambos = Quadratum Steigbüge 
Wieders- id. 
heim 
Fraser Hammer Ambos, Os lentieulare |Steigbügel !) 


Eine vollständigere Zusammenstellung findet sich bei Fraser?). 

Gegenbaur, Kölliker, Wiedersheim halten also den Ham- 
mer für das Articulare, den Ambos für das Quadratum, Huxley, 
Parker und Bettany den Hammer für das Quadratum, den Ambos 
für das Hyomandibulare. Für die erstern ist also die inkudo-mallear- 
Artikulation eine quadrato-artikular-Artikulation, für die letztern eine 
hyomandibulo - quadrat - Artikulation. 

Albrecht kann sich weder mit der einen, noch mit der andern 
Anschauung befreunden und kommt auf berechnendem Wege zum 
Resultat, dass bei allen Wirbeltieren die Unterkiefer-Artikulation die- 
selbe ist, nämlich eine Quadrato-Artikularartikulation. Er geht sodann 





1) Aus dem periarteriellen Gewebe. 
2) Fraser A., On the development of the ossieula auditus of the higher 
Mammalia. Philos. Trans. vol. 173 Part. III. London 1883. 


650 Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere. 


wieder zu den Gehörknöchelchen über. Bei den Sauropsiden, Cöcilien 
und Urodelen findet man die Columella. Sie beginnt an der Membrana 
tympani und endet an der Membrana ovalis, (so nennt Albrecht 
die Membran, welche die Fenestra ovalis schließt). Bei den Anuren 
finden sich in derselben Lagerung vier mehr oder weniger verknöcherte 
Knorpelstückchen. Diese vier Knorpelstückchen sind homolog der 
Columella. Bei den Säugetieren berührt der Hammer die Membrana 
tympani, der Steigbügel erreicht die Fenestra ovalis; folglich schließt 
Albrecht: Die Columella ist homolog der Reihe der Ge- 
hörknöchelehen der Säugetiere. Sicher bildet die Columella 
das Suspensorium des Unterkiefers. Der Hammer der Säugetiere ge- 
hört dem extramandibularen Teil des Meckel’schen Knorpels an, 
dieser Teil aber ist homolog dem Ligamentum symplectico-articulare 
der Teleostea, dem columello -articular- Ligament der Amphibien und 
Sauropsiden, folglich ist das Suspensorium des Unterkiefers bei allen 
Wirbeltieren dasselbe. 

Wenn nun die Unterkieferartikulation der Säugetiere homolog ist 
jener der übrigen Wirbeltiere, wo sie eine quadrato - artikular- Artiku- 
lation darstellt, so muss an dem Teil des Säugetierschädels, mit 
welchem der Unterkiefer artikuliert, das Quadratum zu suchen sein. 
Dieser Teil ist bei den Säugetieren das Schläfenbein, folglich 
muss im Schläfenbein das Quadratum der Sauropsiden 
und Ichthyopsiden enthalten sein. 

Albrecht findet nun wirklich bei einem neugebornen Kinde, 
welehes mit doppelter Hasenscharte und doppeltem Wolfsrachen be- 
haftet ist, dass das Schläfenbein in zwei Teile getrennt ist, und zwar 
in den Processus zygomaticus und die eigentliche Schuppe. Im 
Processus zygomaticus findet Albrecht das Quadratum 
der übrigen Vertebraten. Dasselbe Verhalten findet Albrecht 
bei einem neugebornen Pferd und bei einer einundzwanzigjährigen 
Idiotin am rechten Schläfenbein. 

Dol'lo behandelt denselben Gegenstand, rekapituliert zuerst 
Albrecht’s Befunde und geht dann zu seinen eignen Untersuchungen 
über. Er wirft sich die Frage auf: Ist es möglich, dass das Qua- 
dratum einen Teil der interfenestralen Kette der Gehörknöchelchen 
bilden kann? Wenn es uns gelingt, ein Wirbeltier zu finden, dessen 
Unterkiefer aus den sechs normalen Elementen bestände, bei welchem 
aber zugleich ein wahres Quadratum und ein Hammer vorhanden 
wäre, so ist es unmöglich, dass das Quadratum irgend einem der 
Gehörknöchelehen homolog sein kann. Denn es kann 

1) nicht mit dem Hammer verglichen werden, da ein solcher schon 
vorhanden ist, 

2) wäre es noch unmöglicher, dasselbe mit einem der übrigen 
Gehörknöchelehen zu identifizieren, da es ja außerhalb des Hammers 
liegen und keines der übrigen Gehörknöchelchen berühren würde. 


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Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere. 651 


Es hängt also davon ab, einen Hammer aufzufinden, der die ge- 
nannten Bedingungen erfüllen würde. Dollo will nun bei einigen 
Lacertiliern, Leiolepsis, Uromastix und Verwandten ein Skeletstück 
gefunden haben, welches den morphologischen Wert eines Hammers 
haben soll. 


Dollo’s Beweise hiefür sind: 


1) Das Stück hat die Form eines Hammers, und es lassen sich 
an demselben alle charakteristischen Teile eines solchen unterscheiden. 

2) Das Stück hat dieselben Verbindungen. Es ist der Membrana 
tympani in der Art angeheftet, dass das Manubrium parallel der 
Membran ist. Seitlich ist es, und zwar in der Gegend des Cervix, 
knorplig mit dem Rest der Gehörknöchelehen verbunden. Mit dem 
Quadratbein steht es in derselben Verbindung, wie der Hammer der 
Säugetiere mit Albrecht’s „Quadratbein“. 

3) Mit dem Artikulare des Unterkiefers ist es durch ein malleo- 
artikular-Ligament, Albreeht’s extramandibularen Teil des Meckel’- 
schen Knorpels verbunden. 

4) Es ist kaum daran zu zweifeln, dass dieser Hammer mit dem 
von Peters bei Krokodilen beschriebenen identisch ist. 

5) Der Hammer der Säugetiere dient dem Tensor tympani zur 
Insertion, dasselbe soll nach Parker beim „Malleus“ der Lacertilien 
der Fall sein. 


Dies sind Dollo’s Argumente. Er schließt nun folgendermaßen: 


So glaube ich denn bei Lacertilien einen wahren Hammer ent- 
deckt zu haben, welcher dem Hammer der Säugetiere homolog ist, 
eine Stütze für Albrecht’s Theorie. Die Columella der Sauropsiden 
würde also nicht, wie Albrecht meint,. homolog sein dem malleus 
—+- ineus — os lentieulare —- stapes, sondern nur den drei letzten 
Stücken. — Albrecht bezeichnet später das Homologon dieser 
3 Stücke mit dem Namen Columellina. 

Unterziehen wir nun zuerst Albrecht’s Arbeiten einer kleinen 
Prüfung. Vor allem ist da zu bemerken, dass seine Ansicht: Das 
Quadratum der Sauropsiden ist homolog dem Processus zygomatieus 
der Säugetiere, absolut nicht neu ist. 

Schon 1810 sagt Tiedemann in seinem bekannten Werk: 
„Anatomie und Naturgeschichte der Vögel“, Bd. I, S. 191: „Die bei- 
den Quadratknochen (der Vögel) sind dem Gelenkteil des Schläfen- 
beins des Menschen und bei den Säugetieren analog, nämlich der 
Gelenkgrube, der Gelenkerhabenheit und dem Jochfortsatz des Schläfen- 
beins, die sich als ein besonderer Knochen vom Schläfenbein los- 
gerissen haben“. Ferner hat Platner!) diese Anschauung aufs 
entschiedenste vertreten. 





4) Platner F., Bemerkungen über das Quadratbein und die Paukenhöhle 
der Vögel. Dresden und Leipzig 1839. 


652 Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere. 


Auch Köstlin!) ist dieser Ansicht. 

Aber auch das Getrenntsein des Processus zygomaticus von der 
Schläfenschuppe ist schon vor Albrecht gesehen worden. Duver- 
noy führt in der zweiten Ausgabe von Cuvier’s lecons d’anatomie 
comparee einen derartigen Fall an. Bd. IV, 1, p. 98: „Nous sommes 
porte & comparer l’os carre & cette portion du temporal, qui fournis 
la fossette glenoidale, et nous nous fondons sur ce que cette portion 
du temporal est separce du rocher et de la caisse, ainsi que de la 
portion Eeailleuse du temporal dans une tete de cabiai (Hydrochoerus), 
que nous avons sous les yeux“. 

Also Duvernoy ist schon vor über vierzig Jahren, zum 
Teil aus denselben Gründen wie Albrecht zu demselben 
Resultaten gekommen wie dieser. 

Ich gehe nun zu Dollo’s Untersuchungen über. Er sagt: Es ist 
mir gelungen, bei Uromastix und Verwandten einen Hammer zu 
entdecken, welcher dem der Säugetiere homolog ist. Leider kann 
ich Herrn Dollo das Recht, dies zuerst entdeckt zu haben, nicht zu- 
gestehen. Dieses gehört Peters. Dieser Forscher hat schon vor 
10 Jahren genau dasselbe und zwar grade bei Uromastix sehr 
deutlich gefunden). 

Nachdem Peters nachgewiesen, dass bei Sphenodon (Hatteria) 
ein wahrer Hammer vorhanden ist, welchen Huxley (Proc. zoolog. 
soec. London 1869: „On the malleus and meus.... .“) als äußern 
Stapes-Knorpel gedeutet hatte, fährt er fort S. 43—44: 

„Bei Gelegenheit dieser Untersuchung habe ich zur Vergleichung 
ein Exemplar von Uromastix spinipes aus Aegypten benutzt, bei 
welchem die Beziehungen des von mir als Hammer bezeichneten 
Knorpels zu dem Unterkiefer oder dem Meckel’schen Knorpel fast 
ohne Präparation so klar liegen, dass jeder an dieser sehr gemeinen 
Art, welche kaum in irgend einer Sammlung fehlen dürfte, sich leicht 
dureh eigne Anschauung ein Urteil über die in Rede stehende Frage 
wird bilden können. Wenn man den Kopf losgelöst hat, sieht man 
sogleich den Steigbügel in ähnlicher Weise, wie bei Sphenodon neben 
dem Os oceipitale externum bloß liegen. Er liegt aber bei Uromastix 
diesem Knochen nicht so nahe, wie bei Sphenodon und entfernt sich 
namentlich mit seinem äußern Ende mehr von demselben, um unter 
dem innern Rande des Quadratbeins sich durch eine Gelenkgrube mit 
dem Gelenkkopf des knorpligen Hammers zu verbinden. Der Körper 
des Hammers bildet einen zylindrischen Stiel, welcher sich nach dem 
Trommelfell hin festsetzt und hier in eine schmale Platte ausgeht, 





Wirbeltiere. Stuttgart, 1884, S. 212—213. 

3) Peters W., Ueber die Gehörknöchelchen und ihre Verhältnisse zu dem 
ersten Zungenbeinbogen bei Siphenodon punctatus. Monatsber. d. k. preuß. 
Akad. d. Wiss. Berlin 1874. S. 40. 











Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere. 653 


deren längere Hälfte nach vorn gerichtet ist, während das kürzere 
Ende sich dem Rande des Os mastoideum nähert. An der Stelle aber, 
wo sich der Hammer mit dem Stapes verbindet, geht von ihm in 
einem rechten Winkel nach vorn und unten ein langer Fortsatz 
(Processus longus mallei) ab, welcher an der innern Seite des Qua- 
dratbeins herabsteigt, um sich dann zwischen dem Quadratbein und 
dem hintersten Ende des Os pterygoideum hindurchdrängend sehnig 
geworden vor dem innern Rande der Gelenkgrube des Unterkiefers 
in diesen hineinzusenken“. 

Peters gibt Abbildungen dieser Verhältnisse. Dass diese wich- 
tige Arbeit Peters’ Dollo entgangen ist, ist um so auffallender, da 
Balfour in seinem Handbuch der vergleichenden Embryologie, Bd. II, 
S. 523 dieselbe zitiert, da Hoffmann in seinen Reptilien (Bronn’s 
Klassen und Ordnungen des Tierreichs) S. 605 Peters’ Mittheilung 
wörtlich wieder gibt, ja sogar die Figuren kopiert. 

Doch dies ist nicht die einzige Arbeit Peters’, in welcher die 
Anschauung, dass die Sauropsiden einen Hammer, homolog dem der 
Mammalia besitzen, vertreten wird. Schon in der von Dollo!) zitierten 
Arbeit spricht sich Peters ganz entschieden hierüber aus. Er konnte 
bei einem jungen Alligator von 13 em Kopflänge einen in einer häu- 
tigen Scheide liegenden Knorpelfaden, welcher vom Meckel’schen 
Knorpel des Unterkiefers ausging, durch die Oeffnung, welche sich 
auf dem hintern innern Teile der obern Fläche des Quadratum be- 
findet, nicht allein bis zum hintern Rande der Membrana tympani 
verfolgen, sondern sich auch noch davon überzeugen, dass er im Zu- 
sammenhang mit einer Knorpelplatte steht, welche mit ihrer schmalen 
Mitte nach innen gegen die Columella gebogen war, deren äußerstes 
Ende mit derselben in Gelenkverbindung stand. Diese Knorpelplatte, 
fährt Peters fort, ist nichts Anderes, wie der Hammer, wie er schon 
von Breschet als solcher bei den Vögeln gedeutet wurde. Noch 
viel klarer konnte Peters diese Verhältnisse an einem 70 mm langen 
Embryo vom Krokodil sehen. Auch bei einem Straußembryo war 
die Sachlage dieselbe. S. 595 spricht sich Peters ganz entschieden 
und deutlich aus: „Es dürfte den mitgeteilten Thatsachen gegenüber 
nun auch die Ansicht, nach welcher das Gelenkstück des Unterkiefers 
und das Quadratbein der Amphibien dem Hammer und Ambos der 
Säugetiere homolog sein sollen, jede Basis verlieren“. 

In einer weitern Mitteilung: „Ueber die Gehörknöchelchen der 
Schildkröten, Eidechsen und Schlangen“, Monatsber. d. Berl. Akad, 
1369, Jan., teilt Peters mit, dass bei einem Embryo von Hemidactylus 
der vom Hammer ausgehende Knorpelfaden sich dicht an das Qua- 


1) Peters W., Ueber die Gehörknöchelehen und den Meckel’schen 
Knorpel bei den Krokodilen. Monatsber. d. k. preuß. Akad. d. Wiss., Novbr., 
1868, S. 592. 


654 Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere. 


dratum anschmiege und sich dann in den Unterkiefer einsenke. 
Peters hat demnach lange vor Dollo den Hammer der Sauropsi- 
den erkannt. 

Ich gehe nun zu meinen eignen Untersuchungen über. 

Bekanntlich ist heute beinahe allgemein, namentlich in England, 
die Ansicht verbreitet, dass die Columella „und ihre Anhänge“ Modi- 
fikationen des zweiten und nicht des ersten Kiemenbogens seien. So 
sagt Parker!) noch in neuester Zeit: „After long years of labour 
and much vacillation of mind on the matter, I am now quite satisfied 
that the stapes, or little stirrup-bone of the ear-drum, is the uppermost 
element of the second, or hyoid arch“. 

Zu dieser Anschauung haben namentlich Huxley’s?) Unter- 
suchungen über den Stapes von Sphenodon beigetragen. 

Nach Huxley steigt der Zungenbeinknorpel hinter dem Quadra- 
tum in die Höhe, bis er fast den Schädel erreicht hat, und scheint 
dann plötzlich in Form einer kleinen Rolle mit binterer Konkavität 
gebogen zu sein. Diese Rolle wird durch die Verbreiterung des 
Zungenbeinhorns bedingt, welche eine knorplige Platte bildet. Nach 
innen setzt sich diese Platte in den Stamm des Stapes fort und 
ossifiziert bald. Es ist also nach Huxley der obere Stapesknorpel 
nichts Anderes, als das innere Ende des Zungenbeinbogens. Der Stapes 
und seine Anhänge stehen ausschließlich zu diesem Bogen in Beziehung 
und haben mit dem Unterkieferbogen absolut nichts zu thun. 


Anders Peters: 

Nach ihm ist die Verbindung des Zungenbeinbogens mit dem 
Stapesknorpel (Malleus) nicht eine primäre, sondern eine sekundäre. 
Der Zungenbeinbogen legt sich nur an den Hammer an, ist mit ihm 
durch Bindegewebe verbunden, teilweise vielleicht auch an ihn an- 
gewachsen. Dieses Verhalten ist auch aus der verschiedenen Be- 
schaffenheit der Knorpel zu erkennen. Die Fasern des Zungenbein- 
bogens sind weicher und haben eine andere Richtung als die des 
Stapesknorpels (Hammers), dessen härtere Fasern sich mit denen des 
Zungenbeinbogens kreuzen. Die Anschwellung des Zungenbeinbogens 
an der Stelle, wo er dem äußersten Teile des Hammers anliegt, ist 
nur eine scheinbar vorhandene, nicht von dem Knorpel, sondern von 
dem Bindegewebe herrührende. Mit dem innern Fortsatz des Hammers 
verbindet sich der Zungenbeinbogen nach Peters gar nicht, sondern 
er geht über denselben hinweg, ohne ihm angeheftet zu sein, so dass 
auch der Ausschnitt zwischen dem äußern und innern Hammer nicht, 
wie Huxley meint, durch die Vereinigung in ein Foramen umge- 
wandelt wird. Mit diesem innern beilförmigen Fortsatz des Hammers 





4) Parker W.K., On mammalian descent. London 1885. p. 43. 
2) Huxley T. H., On the representative of Malleus and Incus of the 
Mammalia on the other vertebrates. Proc. Zool. Soe., London, p. 391, 1869. 





Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere. 655 


hing nach ihm ohne Zweifel früher der Meckel’sche Knorpel durch 
einen an der innern Seite des Quadratums herabsteigenden Faden 
zusammen. 

Nach Peters entsteht also der Stapesknorpel d.h. der 
Hammer von Sphenodon aus dem ersten Kiemenbogen. 

Man sieht, dass die Ansichten über diesen sehr wichtigen Punkt 
sehr verschieden sind. Sonderbar ist, dass auch Parker in seinen 
vielen Arbeiten über die Entwicklung des Schädels der Wirbeltiere 
dieser Arbeit von Peters keine Erwähnung thut. Außer Hoffmann 
(l. e.) spricht sich auch noch Balfour über dieselbe aus; 1. e. S. 525 
sagt er: „Das stärkste Zeugnis zu gunsten der Ansicht von Huxley 
und Parker über die Natur der Columella ist die Verschmelzung 
des obern Endes des Hyoidbogens mit der Columella bei den aus- 
gewachsenen Sphenodon (Huxley). Nach genauer Prüfung eines 
Exemplars im Cambridge-Museum möchte ich aber fast vermuten, 
dass diese Verschmelzung sekundär sei; ich war jedoch nicht in der 
Lage, die Verbindung von Hyoid und Columella auf dem Querschnitt 
zu untersuchen.“ 

Balfour schließt sich also mehr der Peters’schen Ansicht an. 
Ich kann dasselbe thun. Peters hat in der That recht. Der 
Hammer (Stapesknorpel) entsteht nicht vom Hyoidbogen 
aus; die Verbindung mit demselben ist sekundär; der 
Hammer von Sphenodon und aller Sauropsiden ist ein 
Derivat des ersten Kiemenbogens. 

Mein Material bestand aus drei in Alkohol konservierten Exem- 
plaren von Sphenodon. Zwei, a. b. aus dem Yale College Museum, 
verdanke ich Herrn O. C. Marsch, ce. Herrn Prof. B. 6. Wilder 
in Ithaca. 

a misst (der Schwanz ist regeneriert) circa 360 mm, b 290 mm, 
e 210 mm. 

Von dem Exemplar a habe ich die betreffenden Teile auf beiden 
Seiten herauspräpariert, an b und e nur die rechte Seite. Unter der 
Lupe untersucht zeigte sich, dass der Zungenbeinbogen sich dicht an 
den knorplichen Teil des Stapes anlegte, ja zum Teil mit demselben 
verwachsen war. Um nun ganz sicher zu gehen, wurden von den 
Präparaten von a und b Schnittserien hergestellt. Es zeigte sich, 
dass der Zungenbeinbogen vom eigentlichen Hammer frei war, trotz- 
dem, dass er sich eng an den vordern Rand des Stapesknorpels an- 
legte. Die Verhältnisse sind hier allerdings auch an Schnitten nicht 
so deutlich, als ich erwartet hatte. Und die Untersuchung von Spheno- 
don allein hatte für mich eine Entscheidung der Sache unmöglich 
gemacht. Dass aber der Zungenbeinbogen in der That mit dem 
Stapes nichts zu thun hat, ist sehr deutlich bei Tarentola annularis 
(Ptatydactylus aegyptiacus) zu beobachten. Hier ist der Zungenbein- 
bogen grade so vollständig wie bei Sphenodon; nur tritt er nicht in 


656 Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere. 


so intime Verbindung mit demselben. Von dem Processus longus des 
Hammers (Infrastapedial Parker) aber geht ein dünner Faden nach 
unten, um sich in den Unterkiefer einzusenken, dies ist der epiman- 
dibulare Teil des Meckel’schen Knorpels (Ceratohyale Parker). 
Hier haben wir also genau dieselben Verhältnisse, wie sie Parker!) 
beim Krokodil abgebildet hat. 

Es unterliegt also nach dem soeben Mitgeteilten wohl keinem 
Zweifel mehr, dass auch der Hammer von Sphenodon und somit aller 
Sauropsiden nicht aus dem Zungenbeinbogen entsteht, sondern aus 
dem Mandibularbogen. Schon Albrecht?) hat aus logisch - theore- 
tischen Gründen behauptet, dass das fälschlich so genannte Hyo- 
mandibulare, Ceratohyale nichts Anderes als der dorsale Ab- 
schnitt des ersten Viszeralbogens, also des Meckel’schen Knorpels ist. 

Meine Untersuchungen an Sphenodon und namentlich an Gecko 
bestärken diese Ansicht. Bei beiden ist der Zungenbeinbogen voll- 
ständig, hat aber mit dem Hammer absolut nichts zu thun. Durch 
den Nachweis aber, dass das Hyomandibulare — dem Epimandi- 
bulare ist, wird die andere Hypothese von Albrecht, dass das 
Quadratum ursprünglich zum Palatirbogen und nicht zum Mandibular- 
bogen gehört, bestärkt. 

Ich komme nun auf das eigentliche Quadratum zu sprechen. 
Dass es nicht in einem der Gehörknöchelchen gesucht werden kann, 
liest nach dem Vorhergehenden auf der Hand. 

Nach Tiedemann, Platner, Köstlin, Duvernoy und 
Albrecht ist das Quadratbein der Säugetiere — dem Processus 
zygomaticus der Schläfengruppe. Ich schließe mich dieser Ansicht 
vollkommen an. Zu den von Albrecht und Duvernoy ge- 
gebenen Beispielen einer wirklichen Trennung kann ich ein weiteres 
hinzufügen. Bei einem totgebornen Tiger finde ich an dem rechten 
Schläfenbein genau dieselben Verhältnisse, wie sie Albrecht an 
dem Schädel eines neugebornen Kindes abgebildet hat. Der Pro- 
cessus zygomaticus ist durch eine „Sutur“, welche beinahe durch die 
ganze Schuppe verläuft, getrennt. Im obern Teil haben wir das 
eigentliche Squamosum, im untern das Quadratum zu erblicken. 

Alle diese Teilungen des „Squamosum“ müssen als atavistisch 
bezeichnet werden. Dass sie es zweifellos sind, geht aus Cope’s 
Untersuchungen über die Pelycosauria der Permformation hervor. 
Cope betrachtet diese Reptilien als die Ahnen der Säugetiere. (Ich 
habe an einem andern Ort (Morphologisches Jahrb.) nachzuweisen 
versucht, dass dieselben etwas zu spezialisiert sind, um diesen An- 
forderungen entsprechen zu können, dass sie aber zu den wirklichen 


4) Parker W.K., On the Structure and Development of the Skull in 
the Crocodilia. Trans. Zool. See. vol. XI. pars IX. 1883. Taf. 68. Fig. 19. 

2) Albrecht P., Sur la valeur morphol. de la trompe d’Eustache. Bru- 
xelles 1884, u. 8. w. 





Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere. 657 


Ahnen der Säugetiere in sehr nahen verwandtschaftlichen Beziehungen 
stehen.) Ich gebe Cope’s Bemerkungen über das Quadratum dieser 
interessanten Formen wörtlich wieder !). 

„Although the malar bone is out of place in the speceimen de- 
scribed, examination of the skull of the Clepsydrops natalis, 
where it is preserved in position, shows that this horizontal ramus 
of the quadrate is nothing more than the zygomatie process of the 
squamosal bone of the mammalia, forming with the malar bone the 
zygomatie arch.“ 

Für mich unterliegt es also keinem Zweifel mehr, dass im Pro- 
cessus zygomaticus der Säugetiere das Quadratum der andern Verte- 
braten enthalten ist. 

Nach Albrecht und Dollo (l. e.) ist im Malare (Jugale) das 
Quadratojugale enthalten; durch die Verhältnisse, welche ich an einem 
sehr jungen Schädel von Dasypus vorfand, ist mir die Richtigkeit 
dieser Behauptung zweifelhaft geworden. An diesem Schädel findet 
sich nämlich, und zwar auf beiden Seiten, am Processus zygoma- 
tieus eine senkrechte Spalte, welche die Gelenkfläche des Fortsatzes 
mit dem Jugale abzutrennen strebt; ich glaube, dass dieses halb- 
abgespaltene Stück das Quadratojugale der Sauropsiden repräsentiert; 
für mich ist es also wahrscheinlicher, dass das Quadratojugale im 
Quadratum als im Jugale enthalten ist. Eine Stütze erhält diese An- 
nahme durch die Verhältnisse bei Sphenodon. Hier verwächst im 
Alter das Quadratojugale mit dem Quadratum, während es bei jungen 
Tieren frei ist. 


Die Resultate dieser Mitteilungen fasse ich folgendermaßen zu- 
sammen: 


1) Die von Breschet und Peters aufgestellte, von 
Dollo wiederholte Behauptung, dass der knorplige 
distale Teil der Columella (Stapes) der Sauropsiden dem 
Hammer der Säugetiere homolog ist, ist richtig. 

2) Der Hammer entsteht bei Sauropsiden und Säu- 
gern aus dem ersten und nicht aus dem zweiten Viszeral- 
bogen, d. h. aus dem epimandibularen Teil des Meckel- 
schen Knorpels. 

3) Das sogenannte Hyomandibulare, Ceratohyale ist 
nichts Anderes wie der epimandibulare Teil des Meckel’- 
schen Knorpels. (Peters, Albrecht, Baur.) 

4) Der „Quadratknorpel“ gehört wahrscheinlich nicht 
zum Mandibularbogen, sondern zum Palatinbogen. 
(Albrecht behauptet dies sicher.) 





1) Cope, E. D., The Relations between the Theromorpheus Reptiles and 
the Monotreme Mammalia. Proc. Am. Assoc. Adv. Se. vol. 33. Philadelphia 
Meeting. Sept. 1884. Salem. Mass. 1885. p. 473. 

VI, 42 


658 Morin, Zur Entwicklungsgeschichte der Spinnen. 


5) Die von Tiedemann, Platner, Köstlin, Duvernoy, 
Albreeht und Cope behauptete Homologie des Quadra- 
tums der Sauropsiden mit dem Processus zygomaticus 
des Schläfenbeins ist richtig. 

6) Wahrscheinlich stellt das vordere Ende dieses 
Fortsatzes das Quadratojugale vor. 


Zur Entwiceklungsgeschichte der Spinnen. 


Von I. Morin in Odessa. 


Hiermit will ich in kurzem die Ergebnisse meiner Beobachtungen 
über Entwieklung der Spinnen mitteilen, welche ich im Laboratorium 
des hochgeehrten Herım Prof. Kowalevsky an der Odessa’er Uni- 
versität ausgeführt habe. Ich untersuchte in dieser Hinsicht Arten 
von Theridion, Pholeus, Drassus und Lycosa.. Am eingehendsten ist 
Theridion untersucht worden, und auch Pholeus gab mir wichtige 
Resultate; darauf folgen Drassus und Lycosa. Darum werde ich in 
meiner Mitteilung meistens von Theridion sprechen, die Abweichungen 
der andern Arten dabei erwähnend. 

Das bald nach dem Ablegen untersuchte Ei von Theridion be- 
sitzt zwei Eihüllen: das Chorion und die Dotterhaut. Der Ei-Inbalt 
besteht meistens aus Dotterschollen und Oeltröpfehen. Im Zentrum 
des Eies findet man das Keimbläschen, welches mit feinkörnigem 
nach allen Riehtungen in den Dotter strahlenartige Ausläufer senden- 
dem Protoplasma umgeben ist. Ein paar Stunden nach dem Ablegen 
teilt sich das Keimbläschen und die es umgebende Protoplasmamasse 
in zwei Teile. Die dadurch entstandenen zwei Segmente oder Zellen 
teilen sich weiter: wir bekommen vier und endlich acht Zellen oder 
Segmente. Soweit blieb der Nahrungsdotter des Eies unsegmentiert. 
Jetzt aber, nachdem der Bildungsdotter in acht Zellen sich geteilt 
hat, geschieht eine totale Furehung des Dotters, welcher auch in acht 
Furehungskugeln oder Pyramiden zerfällt: im Zentrum des Eies ent- 
steht eine Furchungshöhle. Die Dottersegmente sind rosettenartig, 
wie es bereits Ludwig bei Philodromus beobachtete. Jedes Segment 
besitzt in seiner Mitte einen Kern, welcher von feinkörnigem Proto- 
plasma umgeben ist. Die acht Segmente teilen sich nun weiter in 
sechszehn derartig, dass zuerst in jedem Segmente der Kern, darauf 
das ihn umgebende Protoplasma und dann erst die ganze Pyramide 
eine Zweiteilung eingeht. Die somit entstandenen sechszehn Segmente 
teilen sich weiter in 32, 64 u. s. w. Jedes Segment besitzt nur einen 
Kern, und niemals beobachtete ich „polynukleare“ Pyramiden, wie es 
Schimkewitsch behauptet!). Mit der Vermehrung der Segmente 





1) Zoolog. Anzeiger, Nr. 174, 1884. 








Morin, Zur Entwicklungsgeschichte der Spinnen. 659 


rücken ihre Kerne, zusammen mit dem sie umgebenden Protoplasma, 
immer näher an die Oberfläche des Eies; sie erreichen sie endlich 
bei Theridion, sobald die Zahl der Segmente 128 ist, und dann trennt 
sich in jedem Segmente sein Kern und das ihn umgebende Proto- 
plasma vom Dotter. Somit ist das Blastoderm schon ausgebildet, es 
besteht also aus einer Schicht sternartiger Zellen. Die übrigen Teile 
der Segmente bezw. die Pyramiden zerfallen wieder und fließen zu- 
sammen; im Innern des Eies bleiben also wieder nur Dotterschollen 
und Oeltröpfehen; von Zellen oder Kernen ist dort keine Spur mehr 
vorhanden. 

Nachdem das Blastoderm ausgebildet ist, versammeln sich die 
Blastodermzellen an der Bauchfläche des Eies bedeutend dichter als 
auf der Rückenfläche und bilden hier eine Blastodermverdickung, 
welche aus hohen zylindrischen Zellen besteht und die Anlage des 
ganzen Körpers des Embryos darstellt. Bald darauf trennen sich vom 
Zentrum der Blastodermverdickung einige Zellen, von denen einige 
unmittelbar unter derselben, zwischen der obern Zellschicht und dem 
Dotter bleiben, die andern aber weiter in den Dotter eindringen. Der 
Embryo besteht jetzt also aus dreierlei Zellen. Die äußere, das ganze 
Ei umziehende Zellschicht stellt das Ektoderm dar, die unmittelbar 
unter derselben liegenden Zellen das Mesoderm, die weiter in den 
Dotter eingedrungenen Zellen das Entoderm. 

Der zuerst von Claparede beschriebene „Cumulus primitif“, 
welchem Balfour und Schimkewitsch eine sehr wichtige Rolle 
in der Bildung der Keimblätter zuschrieben, entsteht nach meinen 
Beobachtungen erst, nachdem die drei Keimblätter gänzlich aus- 
gebildet sind; also beteiligt er sich an der Keimblätterbildung gar 
nicht. Außerdem ist er nicht bei allen Arten vorhanden. Bei Theri- 
dion konnte ich ihn nicht auffinden, obschon ich ihn sehr fleißig 
suchte. Von übersehen kann hier kaum die Rede sein; denn das 
Gebilde ist mir sehr gut bekannt, da ich den Cumulus vielfach und 
sehr leicht bei Pholcus und Drassus beobachtete. Bei Pholcus ist sehr 
leicht zu beobachten, wie von der Blastodermverdiekung auf der Ei- 
oberfläche ein birnartiger Anhang (Cumulus) auswächst, welcher das 
Blastoderm sehr stark erhebt. Wenn man diese Erscheinung auf 
Schnitten untersucht, überzeugt man sich, dass der birnartige Anhang 
(Cumulus) aus einem Klumpen von Mesodermzellen besteht, welche 
von der gesamten Masse des Mesoderms sich trennen. Die Mesoderm- 
zellen erheben das sie überziehende Ektoderm, welches hier also nur 
eine passive Rolle spielt. Zu Anfang ist der Cumulus mit der Haupt- 
masse des Mesoderms noch durch einen dünnen Strang von Meso- 
dermzellen verbunden, später sondert er sich gänzlich ab und rückt 
von der Blastodermverdickung immer weiter auf die Rückenfläche hin. 
Die den Cumulus bildenden Mesodermzellen werden bald größer und 


rund, und dasselbe geschieht auch mit ihren Kernen. Nachdem schon 
AD 
e 74 


660 Morin, Zur Entwicklungsgeschichte der Spinnen. 


die Anlagen der Körpersegmente und ihrer Anhänge ausgebildet sind, 
zerstreuen sich die den Cumulus bildenden Mesodermzellen, welcher 
dann schon auf die dorsale Seite des Embryos überwandert ist, 
zwischen Ektoderm und Dotter. Nach der Bildung des Herzens ver- 
wandeln sich diese Zellen in Blutkörperchen. Die nämlichen Zellen 
kann man auch bei Theridion beobachten, aber viel später als bei 
Pholeus — nach der Ausbildung der Leibeshöhle. Außerdem entstehen 
sie dort nieht vom Cumulus (der fehlt hier ganz), sondern auf eine 
ganz andere Weise. 

Nach der Bildung der Keimblätter bei Theridion ist eine starke 
Vermehrung der Zellen der Blastodermverdiekung bezw. des Keim- 
streifens zu beobachten. Die Zellen werden sehr hoch zylindrisch, 
außerdem wächst der Keimstreifen auch nach vorn aus. Er wird 
bald dreieckig mit abgerundeten Winkeln. Dann kann man schon 
zwei verschiedene Teile des Keimstreifens unterscheiden. Der Gipfel 
des Dreiecks besteht aus hohen zylindrischen Zellen und stellt die 
Anlage des Abdomens dar; er entspricht demjenigen Teile der Blasto- 
dermverdiekung, aus welchem das Mesoderm und das Entoderm sich 
trennten, und ich benenne ihn Hinterlappen. Der übrige Teil des 
Dreiecks, das heißt seine Basis besteht aus etwas weniger hohen 
Zellen; er stellt uns die Anlage des Cephalothorax dar, und ihn be- 
nenne ich Vorderlappen. 

Der Vorderlappen wächst weiter nach vorn, und nach und nach 
trennen sich von demselben mittels Querfurchen die Brustsegmente. 
Zuerst trennt sich das sechste Segment, darauf das fünfte, dann das 
vierte ete. Zuletzt teilt sich das erste die Mandibeln tragende Seg- 
ment ab. Der Rest des Vorderlappens kann jetzt Kopflappen 
genannt werden, da aus ihm das Gehirn und die Augen sich ent- 
wickeln. 

Auf ähnliche Art entstehen die Segmente des Abdomens vom 
Hinterlappen. Derselbe wächst hinterwärts, und zuerst trennen sich 
von ihm mittels Querfurchen das erste und das zweite abdominale 
Segment, darauf trennt sich das dritte, vierte ete. 

Entsprechend dieser äußern Segmentierung des Keimstreifens 
zerfällt auch das Mesoderm in eine Reihe von Segmenten. In jedem 
Segmente besteht das Mesoderm aus einer Schicht spindelförmiger Zellen. 

Die Segmentanhänge bilden sich, sobald die Brustsegmente aus- 
gebildet sind. Zuerst entwickeln sich die Anlagen der vier Paar 
Gangbeine als hügelartige Ausstülpungen des Ektoderms, in welche 
auch das Mesoderm eindringt. Dann erscheinen auf nämliche Art die 
Anlagen der Maxillen und zuletzt die Anlagen der Mandibeln. Von 
den Abdominalsegmenten tragen, wie es schon bekannt ist, nur die 
vier ersten Segmente knopfartige Anhänge. 

Die Ausbildung der Leibeshöhle beginnt mit dem Erscheinen der 
ersten Spuren der Extremitätanlagen. Unter den letztern geht dann 











Morin, Zur Entwicklungsgeschichte der Spinnen. 661 


eine starke Zellteilung des Mesoderms vor sich, und unter jeder Ek- 
todermausstülpung entsteht ein mehrschichtiger Haufen von Meso- 
dermzellen, in welchem bald eine Spalte sich bildet, die die Anlage 
der Leibeshöhle darstellt. Gleichzeitig zerfällt in jedem Segmente 
das Mesoderm in zwei symmetrische Hälften. Die Spalte vergrößert 
sich immer mehr, und wir bekommen endlich anstatt derselben eine 
bedeutende Höhle, welche von einer Schicht spindelförmiger Meso- 
dermzellen umgeben ist. 

Nachdem die Anlagen der Gliedmaßen schon ausgebildet sind, 
beobachtet man bei Theridion links und rechts vom Keimstreifen, 
zwischen Ektoderm und Dotter, in nächster Nachbarkeit mit den 
Mesodermsomiten große runde Zellen mit großen runden Kernen, 
welche mit den oben, bei Pholcus als vom Cumulus abstammenden 
erwähnten Zellen identisch sind, da solche sich später auch in Blut- 
körperchen verwandeln. Da ich sie in nächster Nachbarschaft mit den 
Mesodermsomiten auffand, vermute ich, dass sie von letztern ab- 
stammen, das heißt, dass sie sich von den Mesodermsomiten trennen. 
Ein nämlicher Prozess ist von Kowalevsky und Schulgin!) un- 
längst beim Skorpion beschrieben worden. 

Die ersten Spuren der Bauchganglien erscheinen, nachdem alle 
Extremitätanlagen schon sehr gut sichtbar sind, als paarige Ver- 
diekungen des Ektoderms. In den Kopflappen (Balfour’s proce- 
phalie lobes) entstehen später zwei semizirkulare Falten oder Rinnen, 
welche zuerst von Salensky beobachtet wurden. Die Ränder der 
Falte schließen sich später zusammen. Die Falte schnürt sich dann 
vom Ektoderm ab und vereinigt sich mit dem Gehirn. 

Der Embryo erfährt bald sehr wichtige äußere Veränderungen. 
Die beiden Hälften des Keimstreifens wachsen zur gleichen Zeit dor- 
salwärts, bis sie dort endlich zusammenstoßen und sich vereinigen. 
In diesem Wachstumsprozesse der Segmenthälften nehmen auch die 
Mesodermsomiten teil; sie treffen endlich auf dem Rücken zusammen 
und vereinigen sich dort auch. 

In engstem Zusammenhange mit dem Zusammenschließen der 
Mesodermsomiten auf dem Rücken des Embryos steht die Entwick- 
lung des Herzens. Während des Wachstums der Mesodermsomiten 
dorsalwärts versammeln sich die oben bes@hriebenen, zwischen Ekto- 
derm und Dotter zerstreuten und später ih Blutkörperchen sich ver- 
wandelnden Zellen meistens auf dem Rücken des Embryos. Sie ver- 
sammeln sich hauptsächlich in der abdominalen Abteilung des Em- 
bryos und bilden endlich in der Mittellinie des Rückens einen dichten 
Zellstrang, welcher das Zusammenschließen der Mesodermsomiten ver- 
hindert. Die letztern umwachsen den Zellstrang mit ihren dorsalen 
Enden ringsum auf solche Weise, wie z. B. bei den Anneliden die 





4) Abhandlungen der Neurussischen Naturforschergesellschaft. Bd. XI. 
Erste Lieferung, 1886 (russisch), und Biolog. Centralblatt Bd. VI, Nr. 17. 


662 Morin, Zur Entwicklungsgeschichte der Spinnen. 


Mesodermsomiten das Darmdrüsenblatt umwachsen, und vereinigen 
sich endlich über und unter ihm. Der Zellstrang erscheint jetzt also 
in einer aufs neue entstandenen Höhle liegend, deren Wandungen aus 
Mesodermzellen gebildet sind. Das ist die Höhle des Herzens, welche 
also hier einen Rest der Furchungshöhle darstellt. Auf solche Weise 
entwickelt sich das Herz auch beim Skorpione, wie es Kowalevsky 
und Schulgin beschrieben haben. 

Nach dem Zusammenschließen der Mesodermsomiten auf dem 
Rücken des Embryos bildet das Darmfaserblatt im Abdomen eine 
Reihe von Falten (Balfour’s Septae), welche tief in den Dotter ein- 
wachsen und denselben in viele Lappen teilen, die die Anlagen der 
Leberlappen darstellen. 

Das Stomodaeum entwickelt sich aus einer Ektodermeinstülpung, 
welche zwischen den Kopflappen zur Zeit, wo die Gliedmaßen gegen 
einander zu wachsen beginnen, erscheint. 

Die Entwieklung des Proktodaeums beginnt sehr spät, nach- 
dem das Herz schon ganz ausgebildet ist. Es entsteht dann auf dem 
letzten Postabdominalsegmente eine Ektodermeinstülpung, welche die 
Anlage des Proktodaeums darstellt. 

Die Entwicklung des Mitteldarms und der Leber beginnt noch 
später, ein paar Tage vor dem Ausschlüpfen der jungen Spinne. Die 
Entodermzellen, welche im Dotter zerstreut sind und sich stark ver- 
mehrt haben, trennen sieh von dem letztern in zwei Stellen, an den 
innern Enden des Stomodaeums und des Proktodaeums. Sie bilden 
dort zwei Röhren, welche mit ihren offenen Enden gegen einander 
wachsen. Von den Seiten gehen sie stufenweise in die Leberlappen- 
anlagen über, wo ein nämlicher Prozess vor sich geht. Die Entoderm- 
zellen trennen sich auch! dort vom Dotter und legen sich neben ein- 
ander auf die Wandungen der Einwüchse des Darmfaserblattes (Septae). 

Bei der erst ausgeschlüpften jungen Spinne sind der Mitteldarm 
und die Leber noch nicht völlig ausgebildet, und die Entwicklung 
dieser Organe geht ein paar Tage nach dem Ausschlüpfen vor sich. 
Darum nehmen die soeben ausgeschlüpften Spinnen einige Zeit keine 
Nahrung auf. 

Die Lungen entwickeln sich aus zwei ektodermalen Einstülpungen 
an der Basis des ersten Paars Abdominalanhänge, welche sich selbst 
in die äußern Decken der Lungen verwandeln. 

Das zweite Paar Abdominalanhänge verschwindet. 

Das dritte und das vierte Paar Abdominalanhänge verwandeln 
sich in Spinnwarzen, wie es schon von Salensky beobachtet wurde. 
In jeder Spinnwarzenanlage stülpt sich in ihrem Zentrum das Ekto- 
derm ein. Aus diesen Ektodermeinstülpungen entwickeln sich die 
Spinndrüsen. 

Die Malpighi’schen Röhren entwickeln sich aus zwei Ausstül- 
pungen der Wandungen des Proctodaeums. 








Nusbaum, Zur Embryologie der Schizopoden. 663 


Anhang. Nachdem ich schon diese Zeilen geschrieben hatte, 
erhielt ich die Arbeit von Herrn W. A. Locy — „Observations on 
the development of Agelena naevia“ (Bullet. of the Museum of Com- 
parative Zoology, Cambridge, 1886 — besprochen von Herrn Minot 
in Boston in Bd. VI Nr. 18 dieses Blattes). Auf seiner Fig. 39 
Taf. VI ist sehr gut sichtbar, wie das Meso- und Entoderm von einer 
Blastodermverdickung sich trennen, welche er aber „Cumulus primitif“ 
nennt. Wie ich schon oben mitgeteilt habe, sind dies (die Blastoderm- 
verdickung, aus welcher sich die Keimblätter differenzieren, und der 
Cumulus) zwei verschiedene Bildungen. Die äußern Veränderungen 
des Keimstreifens sind von ihm richtig beschrieben; die Verwandlung 
von zwei Paar Abdominalanhängen in Spinnwarzen ist auch von 
ihm beobachtet. 


Zur Embryologie der Schizopoden (Mysis Chameleo). 


Von Jözef Nusbaum in Warschau, 
Magister der Zoologie. 

Während meines Aufenthaltes an der zoologischen Station zu 
Roscoff (im vergangenen Sommer) hatte ich Gelegenheit, die Embryo- 
logie der Mysis Chameleo zu studieren. 

Eine ausführliche Arbeit mit Abbildungen werde ich darüber in 
den „Archives de Zoologie Experimentale“ veröffentlichen 
und gebe hier nur eine kurze Mitteilung über die ersten Entwicklungs- 
stadien dieses Schizopoden. 

In einem der Segmentation voraufgehenden Stadium enthält das 
Ei eine große Menge Nahrungsdotter, der aus homogenen Kügelchen 
und Körnchen besteht; auf dem Bildungspole des Eies finden wir 
eine Anhäufung feinkörnigen Plasmas mit einem großen runden Kerne 
in der Mitte. Auf der ganzen Außenfläche des Dotters ist eine sehr 
dünne Schicht des homogenen Plasmas zu bemerken, das ohne Zweifel 
einen gewissen Anteil an der Bildung des Blastoderms nimmt. 

Der Kern teilt sich in zwei Teile. Ein Teil desselben bleibt 
unter der Eimembran liegen, der andere vertieft sich nach innen mit 
einem Teile des Bildungsplasmas und vermehrt sich hier (siehe wei- 
ter unten). Aus den Produkten des peripherischen Kernes und des 
ihn umgebenden Plasmas entwickelt sich eine kleine Blastoderm- 
scheibe, aus zylindrisch-kubischen Zellen gebildet. 

In der Mitte dieser Scheibe finden wir einige Zellen, die viel 
größer als die benachbarten sind und durch eine tangentiale Teilung 
kleinere Zellen bilden, die sich unter der Scheibe anhäufen. Manche 
Zellen der Scheibe unterliegen einer radiären Teilung und vertiefen 
sich keilföürmig in den Dotter. Alle diese Zellen bilden unter der 
Blastodermscheibe eine Zellenanhäufung, die sich auf diese Weise auf 


664 Nusbaum, Zur Embryologie der Schizopoden. 


zweierlei Art gebildet hat: 1) aus den Produkten eines Teiles des 
Segmentationskernes (siehe oben) und des ihn umgebenden Plasmas, 
und 2) aus den Zellen der Blastodermscheibe, die sich tangential 
teilen oder keilförmig in den Dotter eindringen. Alle diese Zellen 
werde ich aus Gründen, die wir später ersehen werden, als „Vitello- 
phagen“ bezeichnen. 

Die Ränder der Blastodermscheibe umwachsen allmählich den 
ganzen Dotter als eine Schicht platter Blastodermzellen. Die verdickte 
Blastodermscheibe ist, wie gesagt, aus einer Schichte zylindrisch- 
kubischer Zellen gebildet und liegt auf der Bauchfläche des hintern 
Teiles des Eies. Die Scheibe erweitert sich und zerfällt in drei Teile: 
einen hintern unpaarigen Teil (s) und zwei seitliche, die sich dann 
nach vorn verlängern und den zwei verdickten, paarigen Hälften des 
Bauchstreifens (5) den Anfang geben (Fig. 1). Die zwei hinten fast 


Fig. 1. 


Fig. 1. Ein Mysis-Ei von der Oberfläche 
gesehen. 


o — Die Eimembrane. 
s — Die Schwanzscheibe. 


b,b — Die verdickten Ränder des Bauch- 
streifens. 


L,L — Die Kopflappen. 


d,d — Die Anlagen des Rückenorganes. 








zusammenstoßenden, nach vorn divergierenden Hälften des Bauch- 
streifens sind von zylindrisch-kubischen Zellen gebildet, gleich der 
hintern unpaarigen Schwanzscheibe, während der Teil des Blastoderms 
in der Mitte des Bauchstreifens, also zwischen den beiden verdicekten 
Rändern desselben wie der ganze Rest des Blastoderms von platten 
Zellen gebildet ist. 

Das Ento- und Mesoblast bilden sich folgendermaßen. An der 
hintern Schwanzscheibe erscheint eine seichte Invagination; die Zellen 
des Bodens des invaginierten Teiles unterliegen einer energischen 
Vermehrung und bilden eine solide Anhäufung der Entodermzellen. 
Ein Teil der Schwanzscheibe hinter dieser Invaginationsstelle bildet 
sehr früh eine Anlage des Abdomens [Schwanz der Larve] !). 

Das Mesoderm entsteht aus paarigen Anlagen längs der zwei ver- 
diekten Ränder des Bauchstreifens. Auf Querschnitten sieht man, dass 
die Zellen dieser Ränder sich tangential und radiär teilen, und in 


4) 8. v. Beneden: „Recherches sur l’Embryogenie des Crustaces“, Bull. 
de l’Acad. R. de Belgique, 1869. 








Nusbaum, Zur Embryologie der Schizopoden. 665 


diesem letzten Falle vertiefen sie sich keilförmig nach innen. Auf 
diese Weise entsteht unter jedem der beiden Ränder des Bauchstreifens 
eine solide Anhäufung der Mesodermzellen (Fig. 2). Diese paarigen 


Fig. 2. 





Fig. 2. Ein Teil eines Querschnittes durch das Mysis-Ei, auf demselben Ent- 
wicklungsstadium wie Fig. 1. (Der Querschnitt ist auf der Höhe der Linie m—n 
geführt.) 

d,b — Die verdiekten Ränder des Bauchstreifens. 
m — Die Mesodermzellen. 

v — Die Vitellophagen. 
d,d — Die Anlagen des Rückenorgans. 


Anhäufungen stellen zur Zeit der Erscheinung der Extremitätenanlagen 
drei solide den letztern entsprechende Verdiekungen vor. Etwas 
später, wenn die Mesodermzellen anfangen sich zu zerstreuen und in 
ein splanchnisches und ein somatisches Blatt sich zu differenzieren, 
reduzieren sich diese Segmente. Diese Mesodermsegmente der Mysiden 
entsprechen meiner Ansicht nach ganz genau den Mesodermsomiten 
anderer Enterocölier, obwohl sie hier nieht stark differenziert sind 
und keine distinkteHöhlen des künftigen Cöloms einschließen: man muss 
annehmen, dass hier die Bildung des Cöloms etwas später und nicht 
gleichzeitig mit der Bildung der eigentlichen Somiten hervortritt. 

Die „Vitellophagen“ dringen in den Dotter hinein. Zuerst sieht 
man sie nur auf der Bauchseite des Embryos, unter dem Bauch- 
streifen (Fig. 2 v), später auf der ganzen Oberfläche und im Innern 
des Dotters. Sie vertiefen sich allmählich in den Dotter, füllen sich 
mit Dotterkörnchen und bilden große und körnchenreiche, blasen- 
förmige runde Zellen. Auf diese Weise wird der Dotter mehr und 
mehr durch diese Zellen resorbiert. Die Kerne der Vitellophagen 
werden unkenntlich, die Zellen, sich allmählich vergrößernd, verlieren 
ihre Konturen, und das Innere des Eies füllt sich mit einer körnchen- 
reichen Dottermasse, in welcher hier und da, sehr spärlich, einzelne 
Kerne liegen bleiben, und in der unter Wirkung der Reagentien viele 
runde Höhlen entstehen. 


666 Nusbaum, Zur Embryologie der Schizopoden. 


Die oben beschriebene Entstehungsweise der Embryonalblätter 
der Mysis scheint mir sehr interessant zu sein, da sie sich innig an 
den Typus der Embryonalblätterbildung der Tracheaten knüpft. 

Bei den Insekten (Hydrophilus, Lepidopteren, Blatta) bildet sich 
in der Mitte des Bauchstreifens eine Rinne, die sich in einen Kanal 
schließt. Dieser Kanal wandelt sich dann zu einem soliden Mesoderm- 
streifen um, der in eine linke und rechte Hälfte zerfällt. 

Bei Mysis entsteht das Mesoderm auch aus dem Ektoblast und 
bildet zwei solide Anlagen. Wären die zwei verdiekten Ränder des 
Bauchstreifens der Mysis sehr nahe aneinander gelagert, dann 
müsste das Mesoderm von Anfang an einen anscheinend unpaarigen 
Streifen vorstellen. Der bei Mysis von mir beobachtete Entwicklungs- 
modus des Mesoderms entspricht genau der Entwicklung dieses Blattes 
bei Gryllotalpa nach Korotneff!), wo auch keine „Primitivrinne“ 
vorhanden ist, und das Mesoderm bildet sich aus dem Ektoderm „nur 
seitwärts von der Medianlinie, diese selbst entbehrt solcher“. 

Die zwei verdiekten Ränder des Bauchstreifens vereinigen sich, 
wie gesagt, an dem hintern Ende des Eies mit der unpaarigen Schwanz- 
scheibe, wo das Entoderm durch obenerwähnte seichte Invagination 
sich bildet. Wenn wir diese zwei verdickten Ränder des Blastoderms 
samt der sie vereinigenden, mittlern, hintern Scheibe als Gastrula- 
Lippen betrachten wollen, dann wird die Embryonalblätterbildung bei 
Mysis ganz genau derjenigen bei den Insekten entsprechen. Denn auch 
bei den letztern bildet nach Kowalevsky?) der mittlere Teil der 
sich schließenden Rinne der Gastrula das Entoderm, die lateralen 
Teile das Mesoderm; bei den Insekten erscheint das Entoderm an 
dem vordern und hintern Ende des Embryos, bei Mysis aber nur am 
hintern. 

Es bleibt noch eine wichtige Frage zu erörtern, und zwar die: 
was für eine morphologische Bedeutung sollen wir den Vitellophagen 
zuschreiben? Ich selbst konstatierte deren Vorhandensein auch bei 
Oniscus®), und nach Kowalevsky dienen die Dotterzellen der In- 
sekten und des Skorpions *; auch nur zur Auflösung des Dotters und 
spielen keine unmittelbare Rolle in der Bildung der Organe. 

Der einfachste und primitivste Typus der Entwicklung des Ento- 
derms bei den niedrigsten Metazoen (Spongien, Medusen) ist eine 
Auswanderung einzelner Zellen aus der Wand der Blastophäre. Bei 
höhern Metazoen, wo die Bildung des Ento- und Mesoderms lokalisiert 
ist, bleibt diese frühzeitige Bildung der Wanderzellen vielleicht als 
eine ererbte morphologische Eigenschaft, und diese behalten ihre pri- 





1) Zeitschrift f. wiss. Zoologie, 1885. 

2) Biologisches Centralblatt, Bd. VI, Nr. 2 u. 3. 

3) Zoologischer Anzeiger, Nr. 228, 1836. 

4) „Zapiski Novoroth. Obschez. Jestestwoispytatelj“ 1886 (russisch) und 
Biol. Centralbl., Bd. VI, Nr. 17. 








Zacharias, Zusammensetzung der pelagischen Fauna in den nordd. Seen. 667 


mitive Rolle der Phagocyten im Sinne Meeznikoff’s, indem sie sich 
von den Dotterkegeln ernähren und somit zur Auflösung derselben 
dienen. 

Aus dem Entoderm bilden sich die paarigen Anlagen der Wan- 
dungen der Leberschläuche, die den Dotter allmählich von unten 
nach oben umwachsen, und auch ein Teil des Mitteldarmes. Der 
ganze Rest des Verdauungskanales bildet sich aus Prokto- und Stoma- 
daeum. An beiden Seiten des Bauchstreifens entstehen sehr frühzeitig 
zwei symmetrische, scheibenförmige Verdickungen des Ektoderms, von 
zylindrischen Zellen gebildet. Diese Scheiben vertiefen sieh in der 
Mitte nach innen (Fig. 2, d) und schließen sich zu zwei symmetrischen, 
ovalen Schläuchen. Die Wandungen derselben werden dann von 
sehr hohen pyramidalen Zellen gebildet. Die innere Höhle wird von 
einer dichten homogenen Substanz erfüllt, und so bilden sich zwei 
solide, ansehnliche ektodermische Organe, die sehr innig mit der 
Haut zusammenhängen. Diese Organe schieben sich dann mehr nach 
oben zu, nähern sich der Mittellinie der Dorsalfläche des Embryos 
und sind nicht von bleibendem Bestand. Sie entsprechen den sattel- 
förmigen Organen des Oniscus, der Ligia oceanica, dem Rückenorgane 
des Asellus und Orchestia. 

Die Entwicklung einzelner Organe werde ich in meiner ausführ- 
lichen Arbeit beschreiben, wo ich auch die Einzelheiten über die ersten 
Entwicklungsstadien zufügen werde. 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 


59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin. 
Sektion für Zoologie. 


1. Sitzung. Dr. Otto Zacharias (Hirschberg i. Schl.) spricht über die 
Zusammensetzung der pelagischen Fauna in den norddeutschen 
Seen: Die Darlegungen des Vortragenden gründen sich auf die Ergebnisse 
einer achtwöchigen Forschungsreise in Ost-Holstein, Mecklenburg, Pommern 
und Westpreußen, deren Ausführung durch eine von der königl. Akademie zu 
Berlin gewährte Subvention und durch das freundliche Entgegenkommen des 
Herrn Direktor H. Conwentz (vom westpreußischen Provinzial- Museum) in 
hohem Grade gefördert wurde. Im ganzen wurden von Dr. Zacharias 46 große 
und 10 kleinere Wasserbecken inbezug auf ihre pelagische Fauna durchforscht. 
Das Resultat dieser Studien war ein sehr befriedigendes und allgemein interes- 
santes. Es stellte sich heraus, dass die Seen Norddeutschlands eine noch 
mannigfaltigere Zusammensetzung pelagischer Organismenwelt besitzen, als 
sie in den schweizerischen und oberitalischen Wasserbecken vorhanden ist. Zu 
den als „Seeformen“ bereits bekannten Cladoceren (Daphnia brachyura, 
D. Cederströmü, D. galeata, D. Kahlbergensis ete.) gesellte sich eine neue 
Species von (eriodaphnia, und eine der D. Cederströmii verwandte, aber bisher 
nicht bekannte Cladocere, welche demnächst unter dem Namen D. procurva 
beschrieben werden wird. Hierzu kommen 4 Species von Bosminiden, welche 


668 Zacharias, Zusammensetzung der pelagischen Fauna in den nordd. Seen. 


lediglich die Mitte der Seen bewohnen. Am häufigsten ist Bosmia longirostris ; 
dann folgt in beinahe ebenso großer Individuenzahl Bosmia Coregoni Baird. 
Dieses Krebschen ist für die deutsche Fauna neu. Es lebt übrigens nicht bloß 
in den norddeutschen Seen, sondern kommt auch im Kunitzer See bei Liegnitz 
vor. Außer diesen beiden Species wurden von Dr. Zacharias noch zwei 
völlig neue Arten vonBosminiden (B. elongata und B. Thersites) konstatiert, 
deren Verbreitung sich bis in die Havel- und Spree-Seen nach Süden hin ver- 
folgen lässt. Die zweitgenannte neue Bosmina ist merkwürdig wegen der 
riesenhaften buckelartigen Auftreibung ihres Rückens, in Vergleich zu welcher 
die ähnliche Hervorwölbung der Schödler’schen B. gibbera gar nicht er- 
wähnenswert erscheint. Schödler, der in den sechziger Jahren so eifrig in 
der Umgebung von Berlin fischte, scheint jene interessanten Formen übersehen 
zu haben. Dr. Zacharias zeigte Abbildungen derselben vor. Von ganz be- 
sonderem Interesse war es, dass in mehrern Seen auch die Anwesenheit von 
Dythotrephes longimanus, dieses Hauptrepräsentanten der pelagischen Fauna, 
nachgewiesen werden konnte. Leptodora hyalina fand sich in fast allen unter- 
suchten Seen vor. Ebenso zeigte sich an den flachen Ufern Polyphemus pediculus 
sehr häufig. Wie in den skandinavischen Seen, so ist auch in den größern 
norddeutschen Heterocope appendiculata zu finden, während Heterocope robusta 
fehlt. Der vorherrschende Diaptomus ist aber nicht D. castor, wie in der 
Schweiz, sondern D. gracilis. Auch in den Havel- und Spree-Seen ist der 
letztgenannte Diaptomus in ungemein großer Massenhaftigkeit vorhanden. Dass 
auch die Rotatorien ihre Vertretnng in der pelagischen Fauna haben, zeigte 
sich in der Anwesenheit von Conochilus volvox und zahlreicher Species der 
Gattung Anuraea. Die für die schweizerischen und oberitalienischen Seen 
konstatierten Formen (Anuraea longispina Kellicott, A. cochlearis Gosse und 
die schöne Asplanchna helvetica) — alles fand sich genau so in Norddeutsch- 
land vor. Auf pelagischen Entomostraken zeigte sich hier und da auch die 
leicht kenntliche Vorticelline Epistylis lacrustis Imhof — ganz wie in den 
großen Schweizer Seen. Eine spezielle Vergleichung zwischen der pelagischen 
Fauna der letztern und derjenigen der norddeutschen Seen gedenkt der Vor- 
tragende in einer demnächst erscheinenden Abhandlung vorzunehmen. Auf 
grund seiner Forschungen glaubt Dr. Zacharias die Behauptung aufstellen 
zu können, dass die Seen Norddeutschlands inbetreff ihrer pelagischen Orga- 
nismenwelt eine Mittelstellung zwischen den skandinavischen und heiveto- 
italischen Wasserbecken einnehmen. Vor den letztern scheinen sie sich aber 
durch eine größere Mannigfaltigkeit der Entomostraken-Fauna auszuzeichnen. 
Zum Schluss verlas der Vortragende das Verzeichnis der von ihm gesammelten 
Kruster Norddeutschlands; es enthält 24 verschiedene Formen. — Prof. F. E. 
Schulze: Nach den von mir gemachten Erfahrungen kommt Leptodora hyalina 
in großer Menge in mehrern Seen nahe bei Berlin vor, so z. B. im Tegeler 
See, im Schlachtensee und andern Havelseen. — Herr v. Martens berührt 
die Frage, ob die Erscheinung, dass eine Art in den norddeutschen Seen ober- 
flächlich und in den Schweizerseen in der Tiefe lebt, bei andern Arten sich 
wiederholen möge. — Dr. Zacharias bestätigt dies und fügt hinzu, dass 
nach seinen persönlichen Wahrnehmungen die Tages: oder Nachtzeit keinen 
Unterschied in der Massenhaftigkeit des Auftretens verursache. Redner könne 
die Angaben der Herren Forel und Weismann in dieser Beziehung nicht 
bestätigen. 





Biedermann, Einwirkung des Aethers auf Muskeln und Nerven. 669 


Sektion für Physiologie. 


2. Sitzung. W. Biedermann: Ueber die Einwirkung des Aethers 
auf einige elektromotorische Erscheinungen an Muskeln und 
Nerven. Versuche über die elektromotorischen Erscheinungen an marklosen 
Nerven hatten ergeben, dass in dieser Beziehung sehr wesentliche Unterschiede 
zwischen marklosen und markhaltigen Nerven bestehen, indem Elektrotonus 
in dem herkömmlichen Sinne, d. i. galvanische, durch eine eigenartige, physi- 
kalisch vermittelte Ausbreitung des Reizstromes bedingte Veränderungen der 
extrapolaren Strecken bei jenen ganz fehlt, während dagegen „physiologischer 
Elektrotonus“, d.i. elektromotorische Wirkungen, welche durch gegensätzliche 
von den Polen her sich fortpflanzende Veränderungen verursacht werden, auch 
hier vorhanden ist. Es legte dies die Vermutung nahe, dass auch die elektro- 
tonischen Erscheinungen an markhaltigen Nerven nur zum Teil physikalisch, 
andernteils aber physiologisch vermittelt, also doppelten Ursprunges sind, 
eine Ansicht, welche Prof. Hering seit lange vertritt. — Von diesem Gesichts- 
punkte aus stellte ich Versuche an, bei welchen ohne wesentliche Aenderung 
der Struktur der markhaltigen Nervenfasern dieselben vorübergehend leitungs- 
unfähig und unerregbar gemacht werden sollten, um dann die elektrotonischen 
Erscheinungen in diesem Zustande zu untersuchen. Dieses Ziel. ist leicht zu 
erreichen durch lokale Einwirkung von Aetherdämpfen. Um jedoch zunächst 
über die hier in betracht kommende Wirkungsweise des Aethers etwas Näheres 
zu erfahren, wurde zunächst der Einfluss der lokalen Narkose auf die Lebens- 
eigenschaften des quergestreiften Muskels geprüft. Es stellte sich daher vor 
allem heraus, dass die Spannungsdifferenz zwischen Längsschnitt 
und künstlichem Querschnitt (der Demarkationsstrom) zu einer 
Zeit, wo unter dem Einfluss der Aetherdämpfe alle sichtbaren 
Erregungserscheinungen fchlen, nicht in irgend erheblichem 
Grade vermindert erscheint, woraus geschlossen werden muss, dass die 
chemische Konstitution der Muskelsubstanz während der Narkose nicht wesent- 
lich gestört sein kann. Dafür sprieht auch die weitere Thatsache, dass unter 
dem Einfluss äußerer Reize an dem Aethermuskel nach wie vor galvano- 
metrisch nachweisbare Veränderungen eintreten, die sich vor allem durch 
Negativwerden der gereizten Stellen verraten. So bleibt insbesondere bei 
elektrischer Reizung die positiv-anodische Polarisation als galvanischer Aus- 
druck der Oeffnungserregung, sowie auch die negativ-kathodische Polarisation 
als Nachwirkung der Schließungserregung unverändert erhalten zu einer Zeit, 
wo der Aethermuskel auch nicht spurweise mit Kontraktion reagiert. Es 
gerät also der quergestreifte Muskel unter dem Einfluss der Aetherdämpfe in 
einen Zustand, in welchem er bei Reizung keinerlei direkt wahrnehmbare Ver- 
änderungen erkennen lässt, während dagegen an der Reizstelle galvano- 
metrisch nachweisbare Veränderungen in gleicher Stärke wie 
vor der Narkose als Ausdruck der Erregung hervortreten, die 
sich jedoch infolge des aufgehobenen Leitungsvermögens nur 
lokal zu äußern vermögen. — Nach diesen Erfahrungen schien es ein 
Leichtes, den markhaltigen Nerven, der sich dem Aether gegenüber ganz wie 
der Muskel verhält, vorübergehend ohne Störung seiner normalen Struktur 
derart zu verändern, dass infolge des aufgehobenen Leitungsvermögens bei 
erhaltener örtlicher Reaktionsfähigkeit alle jene Wirkungen der elektrischen 
Erregung, die auf einer Fortleitung örtlich bewirkter Veränderungen be- 


670 Biedermann, Einwirkung des Aethers auf Muskeln und Nerven. 


ruhen, vollkommen ausgeschlossen erscheinen. Damit ist aber auch sofort 
die Möglichkeit geboten, der oben berührten Frage bezüglich des doppelten 
Ursprungs der elektrotonischen Erscheinungen näher zu treten. Ohne an dieser 
Stelle näher darauf einzugehen, will ich vorher nur erwähnen, dass eine ganze 
Reihe von elektromotorischen Wirkungen, welche man insbesondere bei An- 
wendung schwächster Kettenströme in möglichster Entfernung von der durch- 
flossenen Strecke an markhaltigen Nerven zu beobachten Gelegenheit hat, sehr 
entschieden zu gunsten der vorerwähnten Anschauung spricht, indem sich dabei 
vor allem herausstellt, dass der physiologische Erregungsvorgang unter Um- 
ständen ganz wesentlich an dem Zustandekommen der katelektrotonischen 
Wirkungen mitbeteiligt ist; viel schwieriger ist es aber, Anhaltspunkte für 
eine Sonderung des physikalischen und physiologischen Anelektrotonus zu ge- 
winnen. Grade mit Rücksicht hierauf bieten nun die Versuche am ätherisierten 
Nerven Interesse. Es zeigt sich daher zunächst, dass alle sonst in größerer 
Entfernung von der polarisierten Strecke hervortretenden elektromotorischen 
Wirkungen (im Sinne des Kat- und Anelektrotonus) schon nach kurzer Ein- 
wirkung von Aetherdämpfen ausbleiben, während in der Nähe anfangs keinerlei 
Veränderungen des Elektrotonus bemerkbar wird. In der Folge gleicht sich 
jedoch dann allmählich der ursprünglich sehr bedeutende Größenunterschied 
der kat- und anelektrotonischen Ablenkungen mehr und mehr aus, und zwar 
derart, dass die letztern bei stets gleicher Reizung rasch an 
Größe abnehmen, während die Wirkungen des Katelektrotonus 
zunächst ganz unverändert bleiben oder sogar an Stärke zu- 
nehmen. Es werden daher schließlich die kat- und anelektrotonischen Ab- 
lenkungen vollkommen gleich und bleiben es auch bei jeder beliebigen Stromes- 
intensität. Bei Fortsetzung der Narkose nehmen dann beiderlei Wirkungen 
ganz gleichmäßig ab. Nach erreichter Gleichheit nehmen dagegen bei Er- 
holung des Präparates die anelektrotonischen Wirkungen bei Gleichbleiben der 
katelektrotonischen Ablenkungen rasch wieder zu. Bezüglich der Deutung 
dieses Verhaltens erscheint es als nächstliegende Annahme, dass der Anelektro- 
tonus markhaltiger Nerven das Resultat zweier gleichzeitig wirkender Ursachen 
darstellt: einerseits der physikalisch zu erklärenden Ausbreitung des Reiz- 
stromes, und anderseits gewisser von der Anode aus sich durch Leitung ver- 
breitender physiologischer Zustandsänderungen des Nerven. Nur diese letz- 
tern, durch deren gleichzeitiges Vorhandensein das Ueberwiegen des Anelektro- 
tonus über den Katelektrotonus unter normalen Verhältnissen bedingt erscheint, 
werden zunächst durch die Narkose beeinflusst, während der „physikalische 
Elektrotonus* so lange unverändert bleibt, als die normale Struktur des Nerven 
nicht wesentlich gestört ist. Dass endlich der Katelektrotonus markhaltiger 
Nerven durch die Aetherbehandlung nur wenig oder gar nicht beeinflusst wird, 
ist darauf zurückzuführen, dass die „physiologische Komponente“ desselben, 
d. i. die fortgeleitete Erregung bei seiner Entstehung in der Mehrzahl der 
Fälle nur eine geringe Rolle spielt, indem ein länger anhaltender Erregungs- 
zustand während der Schließungsdauer des Kettenstromes im ganzen doch nur 
ausnahmsweise vorhanden ist und auch dann nur einen geringen Einfluss auf 
die Erscheinungen des Katelektrotonus besitzen kann, wenn die Verhältnisse 
der Ausbreitung und des Abklingens ähnliche sind, wie bei dem marklosen 
Muschelnerven. Mit dieser Auffassung der Thatsachen steht der Umstand in 
guter Uebereinstimmung, dass bei Aetherisieren markloser Nerven sowohl die 
katelektrotonischen wie auch die anelektrotonischen Wirkungen gänzlich ver- 
schwinden, da beide hier rein physiologischen Ursprunges sind. 





Holmgren, Zur Bestimmung der Grundfarben. 671 


Physiologische Gesellschaft zu Berlin. 
Verhandl. d. Physiol. Ges., 1885—86, Nr. 17 und 18. 


Herr A. König verlas vor Eintritt in die Tagesordnung folgende ihm von 
Herm Frithiof Holmgren (in Upsala) unter Beziehung auf den Sitzungs- 
bericht des 8. internationalen medizinischen Kongresses [Kopenhagen, August 
1884] ') eingesandte Mitteilung: Da man bei allen bisherigen Versuchen zur 
Bestimmung der Grundfarben nur Objekte bezw. Retinabilder von solcher 
Größe benutzt hat, dass dabei gleichzeitig mehrere Netzhautelemente gereizt 
wurden und dass also unter Voraussetzung des Vorhandenseins spezifisch ver- 
schiedener Elemente im Sinne der Young-Helmholtz’schen Hypothese immer 
nur gemischte Empfindungen (Mischfarben) beobachtet wurden, erschien es mir 
nötig, um den einfachen elementaren Empfindungen auf die Spur zu kommen, 
womöglich die Elemente einzeln zu reizen. Hierzu waren zunächst Objekte 
von anderer Größenordnung als die bisher gebrauchten erforderlich, und zwar 
so kleine, dass ihre Retinabilder höchstens den Querschnitt eines Seh- 
elementes deckten. Diese in praktischer Beziehung schwierige Aufgabe wurde 
mit Hilfe des Fernrohres glücklich gelöst und zwar in verschiedener Weise. 
Die geeignetsten Objekte scheinen mir ganz kleine Löcher zu sein, welche mit 
Licht von beliebiger Farbe und passender Intensität beleuchtet werden können. 
Bei geeigneter Anordnung, auf welche hier nicht näher eingegangen werden 
soll, lassen sich Lichtpunkte für die Beobachtung herstellen, welche wohl als 
minimal bezeichnet werden können, und deren interessante Erscheinungsweise 
die Benennung „elementare“ Lichtempfindung wohl berechtigen möchte. Diese 
elementaren Punkte können im einzelnen Falle einfach oder mehrfach ange- 
wendet und mit weißem, homogenem oder beliebig gemischtem Lichte be- 
leuchtet werden. Hier soll zunächst der Kürze wegen nur von Spektralfarben 
die Rede sein. Ich stellte mir also die Aufgabe zu untersuchen, welche von 
den Spektralfarben einfach (Grundfarben) und welche zusammengesetzt (Misch- 
farben) sind. Die Lösung versuchte ich nach folgender Ueberlegung. Es müsste 
eine Spektralfarbe, welche als minimaler Punkt immer und überall, wo sie 
überhaupt als farbig gesehen wird, in demselben Farbenton erscheint und sich 
also nicht von den Retinaelementen weiter zerlegen lässt, eine einfache, also 
eine Grundfarbe sein. Dagegen müsste jede Spektralfarbe, welche unter den- 
selben Umständen mehr als eine elementare Farbenempfindung hervorrufen 
kann, demgemäß eine zusammengesetzte Farbe, also eine Mischfarbe sein. Es 
können natürlich bei diesen Versuchen alle Spektrallichter so sehr abgeschwächt 
bezw. in so großer Entfernung gesehen werden, dass sie nicht mehr farbig 
erscheinen, sondern nur einen farblosen, undefinierbaren Lichteindruck geben. 
Es lässt sich aber in jedem Falle eine Anordnung treffen, bei welcher die 
elementaren Farbenerscheinungen am deutlichsten hervortreten. Man darf sich 
aber doch weder vorstellen, dass die Empfindungen, um welche es sich hier 
handelt, sofort klar oder überhaupt sehr stark und deutlich sind, noch dass 
die Untersuchung selbst sehr leicht und bequem ist; im Gegenteil, es bewegt 
sich hier das Auge auf der äußersten Grenze seiner Leistung und zwar mit 
einer Anstrengung, welche auf die Dauer unangenehm wirkt. Trotzdem dart 
ich aber an der Richtigkeit der folgenden Resultate festhalten. Als einfache 
Farben, welche sich nicht weiter bei der elementaren Analyse spalten lassen 
und also als Grundfarben zu betrachten sind, haben sich bei meinen Unter- 
suchungen Rot, Grün und Violett (etwa Indigoviolett) bewährt, also grade 


-1) Ann. d’Oculistique, Tome 92 (13. Ser. T. 2), p. 134, 1884, 





672 Holmgren, Zur Bestimmung der Grundfarben. 


die von Thomas Young angegebenen Grundfarben. Der mit einer von diesen 
Spektralfarben erleuchtete elementare Punkt erscheint bei passender Anordnung 
an jeder Stelle der Fovea centralis immer, abgesehen von der überhaupt er- 
höhten Sättigung, worauf hier nicht näher eingegangen werden kann, in un- 
verändertem Farbenton. Hinsichtlich der übrigen Spektralfarben werde 
ich mich hier auf Gelb und Blau beschränken, welche Farben ja doch aus 
leicht ersichtlichen Gründen vor allen andern einer elementaren Analyse unter- 
worfen werden müssen. Das Resultat ist von größtem Interesse. Stellt man 
das elementare Pünktchen bei übrigens geeigneter Anordnung im Gelb des 
Spektrums ein, z. B. genau an der D-Linie, so sieht man dasselbe beim Orien- 
tieren im Gesichtsfelde um den Fixationspunkt herum an verschiedenen Orten 
entweder bald Rot, bald Grün oder farblos, niemals jedoch deutlich gelb. 
Es ist hier zu bemerken, dass sich bei diesem Versuche verschiedene Augen 
verschieden verhalten, nämlich in der Weise, dass bei der angegebenen Ein- 
stellung einige Personen das Pünktchen nur rot, andere Personen nur grün 
sehen können. Verschiebt man aber das Pünktchen etwas im Spektrum, und 
zwar im ersten Falle nach der grünen, im zweiten nach der roten Seite hin, 
so werden auch für diese Augen die beiden Farben deutlich. Es lässt 
sich also erstens Gelb in seine zwei Elemente auflösen, und es zeigt sich 
zweitens dabei, dass verschiedene sonst normale Augen eine ungleiche Em- 
pfindlichkeit für die betreffenden Farben besitzen. Wie man hieraus ersehen 
kann, und wie auch die Erfahrung mir vielfach gezeigt hat, lassen sich die 
elementaren Punkte ausgezeichnet praktisch verwerten. — Ich behalte mir eine 
Mitteilung über diesen Punkt für eine spätere Gelegenheit vor. — In analoger 
Weise wie Gelb lässt sich auch Blau in Grün und Violett zerlegen. Die hierauf 
bezügliche Beobachtung ist aus mehrern Gründen, welche ich hier übergehen 
muss, viel schwieriger als bei Gelb. Die obigen kurz dargelegten Ergebnisse 
scheinen zu der Vorstellung zu führen: 1) dass es in der That in Ueberein- 
stimmung mit der Young’schen Hypothese dreierlei spezifische Elemente in 
dem Sehnervenapparate gibt, welche den drei elementaren Grundempfindungen 
Rot, Grün und Violett entsprechen, und 2) dass die Endapparate dieser Ele- 
mente auf der Retina bei meiner Versuchsweise einzeln gereizt werden können. 
Um die Haltbarkeit dieses Schlusses näher zu prüfen, habe ich eine Art quanti- 
tativer Analyse zu der eben erwähnten qualitativen hinzugefügt. Ich habe 
nämlich zu bestimmen gesucht, wie viele Zapfen im einzelnen Falle von dem 
Lichte getroffen werden müssen, um diese oder jene Farbenempfindung zu 
veranlassen. Zu diesem Zwecke berechnete ich die Größe des Retinabildes 
nach den bekannten Formeln und verglich dieselbe mit dem angeblichen Quer- 
schnitte eines Zapfens. Das Resultat dieser Untersuchung war in kurzen 
Worten folgendes: Gelb kann als Rot und Grün gesehen werden, auch wenn 
das Retinabild beträchtlich viel kleiner ist als der Querschnitt eines Zapfens; 
um aber Gelb als deutliches Gelb zu sehen, ist es nötig ein Retinabild von 
solcher Größe zu haben, dass es wenigstens zwei oder drei Zapfenquerschnitte 
deckt. In ganz analoger Weise verhält es sich mit Blau und seinen Elementen 
Grün nnd Violett. Ich will hier noch bemerken, dass zur Erzeugung eines 
farbigen negativen Nachbildes ein Retinabild erforderlich ist, welches wenigstens 
12 bis 30 Zapfenquerschnitte deckt. Einzelheiten aller dieser Untersuchungen 
müssen einer ausführlichern Veröffentlichung vorbehalten bleiben. Es sei hier 
nur noch hervorgehoben, dass alles vorstehend Erwähnte sich zunächst auf die 
Erscheinungen in der Fovea centralis bezieht. 








Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. 


en Dei ln ee 










Biologisches Centralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 








24 Nummern von je > Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 





v1 Band. 15. en 188%. Nr. 22. 








Inhalt: Plateau, Die Palpen bei den Myriopoden und Arachniden. — Steiner, Ueber 
das Großhirn der Knochenfische. — Steiner, Die gegenwärtige Verknüpfung 
der Zentren des verlängerten Markes. — Frenzel, Verdauung lebenden Ge- 
webes und Selbstverdauung. — Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. — 
Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: 59. Versammlung deutscher 
Naturforscher und Aerzte zu Berlin. — Physiologische Gesellschaft zu Berlin. 





Felix Plateau, Experiences sur le Röle des Palpes chez 
les Arthropodes Maxilles. Palpes des Myriopodes et des 
Araneides. 

Bulletin de la Soc. Zool. de France 1886. 4e Partie pag. 512. 

In einer frühern Untersuchung (s. dieses Centralbl. Bd. VI S. 12) 
hatte Verf. den Beweis erbracht, dass die Palpen der kauenden In- 
sekten bei der Nahrungsgewinnung ganz unbeteiligt sind, d. h. dass 
sie weder bei der Auswahl der Nahrung noch bei der Einführung 
derselben in die Mundhöhle Verwendung finden. Verf. hat diese 
Versuche zunächst an Myriopoden und Arachniden fortgesetzt. Von 
erstern kommen hier nur die Chilopoden in betracht. Die Mund- 
anhänge der Chilopoden (Lithobius, Scolopendra ete.) sind verschieden 
gedeutet worden. Es finden sich hier bekanntlich zwei Paar Unter- 
kiefer, auf welche ein Paar zangenartiger, mit einer Giftdrüse ver- 
sehener Kieferfüße folgt. Während das erste Kieferpaar gewöhnlich 
tasterlos ist, hat das zweite dreigliedrige palpenartige Anhänge. 
Plateau nennt sie direkt Palpen, indem er das ganze Organ mit 
den Unterkiefern der Insekten vergleicht. 

Nach H. Milne-Edwards bedienen sich die Chilopoden der 
Palpen, um die Nährstoffe zwischen die Mandibeln zu bringen, und 
Pagenstecher betrachtet sie als Organe des Geschmacksinnes. 
Auch Ludwig Koch hält sie für bestimmt, die Bissen in die Mund- 
höhle zu schieben. 

Plateau hat dagegen die Art des Fressens bei den Chilopoden 
schon 1876 in der Weise geschildert, dass die Palpen nur dazu dienen, 

VI, 45 


674 Plateau, Palpen bei den Myriopoden und Arachniden. 


die mit den giftführenden Kieferfüßen ergriffene und festgehaltene 
Beute in der geeignetsten Weise hin und her zu wenden, damit die- 
selbe von den Mandibeln zerschnitten werden könnte. Die Rolle der 
Palpen würde also hier zwar immer noch sehr bescheiden, aber doch 
etwas wichtiger sein, als bei den Insekten. 

Die neuen Versuche, welche Plateau anstellte, drehten sich zu- 
nächst um die Frage, ob die Chilopoden ohne Schaden die Palpen 
beim Fressen entbehren könnten. 

Er schnitt einigen Lithobien die Palpen ab, setzte sie in ein Glas, 
das mit einer Schicht feuchten Sandes sowie einigen als Versteck- 
plätze dienenden Schieferstücken versehen war, und ließ sie vier Tage 
hungern. Dann gab er ihnen lebende Fliegen, die er der Flügel und 
Tarsen beraubt und in deren Hinterleib er Karminpulver eingeführt 
hatte. Dies wurde einige Tage fortgesetzt. Nachdem sodann noch 
durch Annäherung von Terpentinöl an die Tiere festgestellt war, 
dass der Geruchssinn durch die Entfernung der Palpen nicht beein- 
trächtigt war, wurden die Lithobien seziert, und es ergab sich, dass 
bei allen das Blut rosa und der Darminhalt durch das Karmin rot 
gefärbt war. Bei frisch gefangenen Lithobien besaß dagegen die 
Flüssigkeit der allgemeinen Körperhöhle eine bräunliche oder vivlette 
Färbung, während der Darminbalt braun war. 

Die Palpen sind also für die Ernährung unnötig. 

Dagegen benutzen die Chilopoden ihre Palpen als 
Bürsten zur Reinigung der Fühler. Man kann nämlich häufig 
beobachten, wie sie ihre Fühler nach einander unter das Maul zurück- 
legen und sie langsam zwischen den Tasterenden hindurchziehen. 
Zuweilen reinigen sie auch ihre Füße auf dieselbe Weise. 

Die sogenannten Kiefertaster !) der eigentlichen Spinnen haben 
bekanntlich bei den Männchen die Funktion, den Samen zu über- 
tragen. Ueber ihre physiologische Aufgabe bei den Weibchen weiß 
man wenig. V. Andouin sah in ihnen sehr empfindliche Tastorgane. 
J. Blackwall und Emil Blanchard glauben, dass sie mehr oder 
minder dem Ergreifen und Festhalten der Beute dienen. Claus in 
seinem Lehrbuch lässt sie bei der Herstellung des Netzes eine Rolle 
spielen. F. Dahl hat „Hörhaare“ an den Palpen und Füßen be- 
schrieben, sowie auf Sinnesorgane an den Füßen aufmerksam ge- 
macht, welche sich durch Chitinfalten bemerkbar machen. Schim- 
kewitsch hat dieselben näher beschrieben. Da sie sich, wie der- 
selbe gezeigt hat, an den meisten Gliedern der Füße und Taster 
finden, so können sie den letztern keine besondere Bedeutung ver- 


leihen und daher für die vorliegende Untersuchung nicht in betracht 
kommen. 





1) Beiläufig sei bemerkt, dass Verf. die „Kieferfühler* den Oberkiefern, 
die Kiefertaster den Unterkiefern der Insekten homolog setzt. 





Plateau, Palpen bei den Myriopoden und Arachniden. 675 


Plateau’s Aufgabe beschränkte sich also darauf, festzustellen, 
ob Spinnenweibchen, welche der Palpen beraubt wurden, noch ein 
normales Netz weben, und ob sie die Insekten wie sonst ergreifen 
und verzehren. 

Die sehr langwierigen und viel Geduld erfordernden Versuche 
erstreckten sich auf folgende fünf Arten: Tegenaria domestica, Amau- 
robius ferox, Agelena labyrinthica, Epeira diadema und Meta seg- 
mentata. 

Die Tegenarien wurden nach der Amputation in ein großes Glas 
gebracht, welches auf dem Boden eine Schicht feuchten Sandes ent- 
hielt und mit einer im rechten Winkel gefalteten und aufrecht ge- 
stellten Platte von Furnierholz versehen war, an der sie ihr Netz 
befestigen konnten. In ähnlicher Weise wurden auch die andern 
Spinnen unter Verhältnissen beobachtet, die möglichst ihren natür- 
lichen Lebensbedingungen entsprachen. 

Das Ergebnis war, dass die tasterlosen Spinnen normale 
Gewebe machen und die Insekten ergreifen und aussau- 
gen, ganz wie die unversehrten Tiere. Zwei Amaurobien 
wurden so 77 beziehentlich 99 Tage am Leben erhalten. Dahingegen 
hatten die mit Phalangiden und Skorpionen (Phalangium Opilio und 
Androctonus occitanus) angestellten Versuche ein negatives Resultat. 
Die Tiere nahmen keine Nahrung zu sich. 

Plateau schließt aus seinen Untersuchungen, dass die Palpen 
sowohl bei den nagenden Insekten, wie bei den weiblichen Arachniden 
und bei den Myriopoden in die Kategorie der nutzlos gewor- 
denen Organe gehören. 

Da die Annahme, dass die kauenden Arthropoden von den sau- 
genden abstammen, durch die paläontologischen Befunde widerlegt 
wird, welche beweisen, dass die Sauger viel später auftreten, als die 
Nager, so bleibt nach Plateau nur noch folgende Erklärung: Die 
noch unbekannten Urformen, von welchen die unserer Forschung zu- 
gänglichen fossilen und lebenden Gliedertiere abstammen, entfernten 
sich nur wenig von einem embryonalen Typus und hatten demzufolge 
einen gänzlich in identische Segmente oder Metameren geteilten und 
mit entsprechenden gleichartigen, vielgliedrigen Fußpaaren versehenen 
Körper. Bei den Nachkommen haben sich später einige der ersten 
postoralen Segmente modifiziert; die Basalglieder der dazugehörigen 
Gliedmaßen wurden zu Kiefern, während die Endglieder, die nun 
nicht mehr als Lokomotionsorgane fungierten, mit der Zeit jede Be- 
deutung verloren. In einzelnen Fällen, wie bei den männlichen Spinnen, 
den Skorpionen ete. haben sich diese Organe neuen Funktionen an- 
gepasst. 

F. Moewes (Berlin). 


43% 


676 Steiner, Großhirn der Knochenfische. 


J. Steiner, Ueber das Großhirn der Knochenfische. 


Sitzungsberichte der königl. Akademie der Wissenschaften in Berlin. Sitzung 
vom 7. Januar 1886. 


Nachdem ich für den Frosch den allgemeinen Plan entworfen 
hatte, nach welchem das Zentralnervensystem funktioniert (Unter- 
suchungen über die Physiologie des Froschhirns. Braunschweig 1885), 
ging ich darauf aus, dasselbe für die Fische zu leisten, bei welchen 
das Zentralnervensystem voraussichtlich nach noch einfachern Gesetzen 
funktionieren könnte. Indess sollte es sich vorläufig nur um das 
Studium der Funktionen des Groß- oder Vorderhirns handeln, als 
welches die Autoren denjenigen Abschnitt des Gehirns bezeichnen, 
der vor den sogenannten Lobi optiei liegt (dieser Abschnitt umfasst 
auch die experimentell vom Großhirn nicht zu trennenden Riechlappen). 

Bei der Ausführung von Operationen im Gehirn der Fische treten 
uns aber wesentliche Schwierigkeiten dadurch in den Weg, dass die 
einmal eröffnete Schädelhöhle mit ihrem Inhalte dem Einflusse des 
umspülenden Wassers, in welches man ja die Fische nach der Opera- 
tion wieder bringen muss, ausgesetzt bleibt, wodurch die Resultate 
sehr beeinträchtigt erscheinen müssen. Denn die Tiere überleben 
diese Operation nur um wenig Zeit, innerhalb welcher ein Ausheilen 
der Wunde ganz unmöglich ist. In der That lebten operierte Fische 
nur wenig mehr als einen Tag mit Ausnahme jener von Baudelot, 
welcher das freigelegte Gehirn mit einem Tropfen warmen Fettes 
bedeckt hatte. 

Eine hier neu zu schaffende Methode musste gestatten, die Hirn- 
höhle nach geschehener Operation wieder so zu verschließen, dass 
kein Wasser in dieselbe eindringen konnte und die operierten Tiere 
so lange am Leben erhalten werden, bis eine völlige Ausheilung er- 
möglicht war, damit die etwaigen Ausfallserscheinungen rein zutage 
treten könnten. Diese Methode ist die folgende: Mit einer Knochen- 
zange hebt man die Schädeldecke in einem viereckigen Stücke heraus, 
lässt dasselbe aber rückwärts durch die Haut mit dem Körper in 
Verbindung, klappt den Knochenlappen nach hinten über, macht mit 
passendem Instrumente die Abtragung, legt den Deckel in sein altes 
Lager wieder zurück und befestigt ihn vorn durch eine Naht. Darauf 
wird die Wunde mit feinem Fließpapier getrocknet, die Schnittkanäle 
mit einer warmen Gelatinelösung ausgegossen und diese Gelatine- 
kappe mit konzentrierter Tanninlösung bepinseit, um sie gegen das 
Wasser resistent zu machen. Die ganze Prozedur geschieht natürlich 
außerhalb des Wassers, aber unter künstlicher Respiration, durch 
welche der Fisch in völliger Ruhe erhalten wird. Die künstliche 
Respiration wird ausgeführt, indem man einen Gummischlauch einer- 
seits an dem Hahn der Wasserleitung ansetzt, während das andere 





OH Eee 





Steiner, Großhirn der Knochenfische. 577 


Ende in das Maul des Fisches geschoben und dort von dem 
Assistenten gehalten wird, der zugleich den Fisch selbst hält. 

Wenn die Operation beendet ist, so bringt man den Fisch schon 
in gutem Zustande ins Wasser. Zwar fällt die Gelatinekappe etwa 
nach 2 Tagen infolge der Kopfbewegungen ab, indess ohne Scha- 
den, denn mittlerweile haben sich schon die Schnittkanäle mit fester 
Masse gefüllt und sind undurchdringlich geworden. 

Wenn man den Fisch, selbst gleich nach der Operation, be- 
trachtet, so &ieht man, dass er sich vollkommen frei bewegt und nicht 
die geringste Störung zeigt. Bald schwimmt er ohne äußere Anregung 
umher, bald steht er auf dem Grunde oder schwebt in irgend welcher 
Höhe im Wasser, dem Spiele seiner Flossen überlassen, d. h. er ent- 
spricht in keiner Weise den bisher gemachten Voraussetzungen oder 
Beobachtungen, entweder völliger Bewegungslosigkeit oder einer 
maschinenförmigen Bewegung, welche bis zur Ermüdung, als Folge 
des peripheren Reizes, fortgesetzt werden sollte (Vulpian, Ferrier). 
Indem man den des Großhirns beraubten Fisch in beliebigem Wechsel 
von Ruhe und Bewegung sieht, folgt daraus, dass bei demselben der 
Wille erhalten ist, wodurch sich der Fisch von allen über ihm 
stehenden Wirbeltieren unterscheidet, welche nach Entfernung ihres 
Großhirns ewiger Thatenlosigkeit verfallen. 

Dass solche Fische sehen, ist schon früher von Vulpian und 
Baudelot angegeben worden und ist leicht zu bestätigen. 

Wirft man unserem Fische 3 Tage nach der Operation einen 
Regenwurm hin, so schießt er auf denselben zu, erfasstihn 
mit dem Maule und verschlingt ihn, ein Experiment, das man 
öfter wiederholen kann. Wirft man ihm ein Stück eines Bindfadens 
von gleichen Dimensionen hin, so schießt er ebenfalls auf denselben 
zu, dreht aber kurz vor demselben um, oder erfasst ihn mit dem 
Maule, um ihn bald wieder fallen zu lassen. Diese Versuche gelingen 
etwa zwei und selbst einen Tag nach der Operation; als notwendige _ 
Bedingung bleibt aber ein Bassin mit fließendem Wasser. 

Daraus folgt, dass unser Fisch spontan seine Nahrung zu suchen 
im stande bleibt und unbeschränkt fortleben könnte, wie in der That 
diese Fische mehrere Monate am Leben blieben und nur durch ele- 
mentare Unglücksfälle zu grunde gingen. Alle über den Fischen 
stehenden Wirbeltiere sterben ohne Großhirn mitten unter reichlichster 
Nahrung den Hungertod. 

Der Fisch, an welchem diese Beobachtungen gemacht wurden, 
ist Squalius cephalus (Siebold), ein in den Flüssen Mitteleuropas 
sehr häufiger Cyprinoide. Somit fehlen dem Großhirn der Fische 
jene kardinalen Funktionen, welche man bisher bei allen über den 
Fischen stehenden Wirbeltieren als dem Großhirn eigentümlich be- 
trachtet hatte. 

Diese Versuche sind einige Monate darauf durch Herrn Vulpian 


678 Steiner, Verknüpfung der Zentren des verlängerten Markes. 


in Paris an Karpfen vollständig bestätigt worden (Sur la persistance 
des mouvements ete. Compt. rend. Sitzung vom 28. Juni 1886). 


Betrachtet man die Funktionen des Großhirns in der gesamten 
Wirbeltierreihe, so findet man nunmehr folgendes: 


1) Bei den Fischen sind willkürliche Bewegung und die Fähig- 
keit, selbständig Nahrung zu suchen, an das Mittelhirn bezw. an hinter 
dem Großhirn gelegene Abschnitte des Gehirns gebunden. 


2) Bei den Amphibien sind jene Funktionen an das Großhirn 
geknüpft, während „Sehen“ bezw. zweckmäßige Verwertung der Ge- 
sichtseindrücke dem Mittelhirn verbleiben. 


3) Bei den Vögeln ist die Funktion des Sehens schon an das 
Großhirn geknüpft, während das Zentrum für die Sinnesempfindungen 
der Haut noch im Mittelhirn liegt. 


4) Bei den Säugetieren sind auch die Sinnesempfindungen der 
Haut teilweise an das Großhirn gebunden. 


Daraus folgt der allgemeine Satz: „es wandern in der Wirbel- 
tierreihe Funktionen des Mittelhirns in das morphologisch definierte 
Großhirn, oder die phylogenetische Entwicklung des Großhirns beruht 
auf einer Anhäufung von Funktionen, welehe dorthin aus dem Mittel- 
hirn nach und nach eingewandert sind“. 

J. Steiner (Heidelberg). 


Die gegenseitige Verknüpfung der Zentren des verlängerten 
Markes. 
Teilweise nach „Schluck- und Atemzentrum“ von J. Steiner in Du Bois- 
Reymond’s Archiv f. Physiologie, 1883. 

Man nennt den Teil des Zentralnervensystems, welcher sich 
zwischen dem Rückenmark und dem Gehirn befindet, das verlängerte 
Mark. Die hervorragende Bedeutung dieses Zentralteiles folgte schon 
aus anatomischen Untersuchungen, welche zeigten, dass eine große 
Anzahl von Nerven, welche zu lebenswiechtigen Organen verlaufen, 
daselbst ihren Ursprung haben. Entweder ist es ein einzelner Nerv 
oder es sind deren mehrere, welche aus dem Punkte entspringen, in 
welchem eine Anhäufung von Ganglienzellen, d. h. der spezifischen 
Elemente des Nervensystems vorhanden ist. Soweit konnte die Ana- 
tomie vordringen; erst das physiologische Experiment aber lehrte, 
dass in der That von jenen Punkten im allgemeinen Einflüsse aus- 
gehen, welche Funktionen beherrschen, die für den Bestand des Lebens 
unerlässlich sind. Solehe Punkte wurden in der Folge „Zentren“ ge- 
nannt und ihre Leistung dahin definiert, dass in ihnen eine Vielheit 
organischer Kräfte zu bestimmten komplizierten Funktionen zusammen- 
gefasst werden. Die Zerstörung gewisser unter diesen Zentren pflegt 





Steiner, Verknüpfung der Zentren des verlängerten Markes. 679 


im allgemeinen in kürzerer oder längerer Zeit den Tod des Indivi- 
duums zur Folge zu haben. Solche Zentren sind das Atmungszentrum 
(Zusammenfluss der Atemnerven), das Gefäßnervenzentrum, das Schluck- 
zentrum, das Kauzentrum u. a. 

So wichtig das verlängerte Mark ist, so kompliziert erscheint sein 
Bau, und es ist der anatomischen Untersuchung unmöglich mit Sicher- 
heit anzugeben, ob die dort vorhandenen Zentren mit einander in 
Verbindung stehen, und welches die Art und Weise ihrer Verknüpfung 
etwa sein könnte. Das ist eine Aufgabe, deren Lösung naturgemäß 
auch wieder der Experimentalphysiologie zufallen musste. Aber auch 
ihre Mittel sind zur Zeit noch beschränkt, so dass die Kenntnis der 
Verhältnisse immerhin noch eine geringe ist. 

Was im allgemeinen die Art und Weise betrifft, in welcher diese 
Zentren zur Thätigkeit angeregt werden, so können einige von ihnen 
zeitweise durch den Willen beeinflusst werden, andere sind automa- 
tisch thätig, aber alle können auf reflektorischem Wege d. h. durch 
von der Peripherie her einwirkende Reize angesprochen werden. Da 
diese Art der Erregung für das Studium der hier zu betrachtenden 
Erscheinungen die sicherste und bequemste ist, so wird auch regel- 
mäßig von derselben Gebrauch gemacht. 

Wenn auf diese Weise ein Zentrum erregt wird, so kann sich 
die Erregung durch eine sogenannte interzentrale Verbindung nicht 
selten auf ein benachbartes Zentrum übertragen, und von diesen Vor- 
gängen, welche man als assoziierte Bewegungen oder als sekundäre 
Reflexbewegungen bezeichnen kann, wollen wir hier reden. 

Am längsten bekannt scheint die Verbindung zu sein, welche 
zwischen dem Atmungs- und Gefäßzentrum besteht und auf welche 
Traube zuerst aufmerksam gemacht hat: wenn man bei einem 
kurarisierten und künstlich respirierten Hunde, dessen Blutdruck man 
mittels des Wellenzeichners aufschreiben lässt, die Atmung unterbricht, 
so bleiben in der Blutdruckkurve nicht allein die kleinen Wellen be- 
stehen, welche von der Herzthätigkeit herrühren, sondern auch die 
großen Wellen, welche man dem Einflusse der Atembewegungen zu- 
schreibt. Daraus folgt, dass vom Atmungszentrum periodische An- 
regungen auf das Gefäßzentrum übergehen müssen. Deshalb nannte 
Hering diese Erscheinung die Atembewegungen des Gefäßsystems. 
Eine ebenso innige Verbindung scheint zwischen dem Gefäß- und 
Speichelzentrum zu bestehen, denn die Reizung des zentralen Stumpfs 
des Hüftnerven macht nicht allein den Blutdruck steigen, sondern regt 
auch die Speichelabsonderung an. Eine weitere Verknüpfung scheint 
zwischen dem Gefäßzentrum und dem regulatorischen Herznerven- 
zentrum zu bestehen, denn die Reizung des zentralen Stumpfes des 
N. depressor cordis verursacht nicht allein ein Sinken des Blutdruckes, 
sondern auch eine Verlangsamung des Herzschlages. Da nach Vagus- 
durchschneidung der Blutdruck ebenfalls sinkt, ohne dass der Puls 


680 Steiner, Verknüpfung der Zentren des verlängerten Markes. 


sich verlangsamt, so kann es sich um eine gleichzeitige reflektorische 
Erregung beider Zentren handeln, doch ist nicht mit Sicherheit aus- 
zuschließen, dass nicht in diesem Falle vom N. depressor zwei ge- 
sonderte Verbindungen zu den beiden Zentren hinführen. 

Genau verfolgt konnte das Verhältnis werden, in welchem 
Atmungs- und Schluckzentrum zu einander stehen. Wenn man näm- 
lich den obern Kehlkopfnerven reizt, welcher exspiratorischen Atmungs- 
stillstand erzeugt, so sieht man auf der Kymographientrommel diesen 
Stillstand von kleinern Kurven unterbrochen, welche periodisch wieder- 
kehren und je einem Atemzuge entsprechen würden. Bidder, welcher 
diese Erscheinung zuerst sah, bezog sie richtig auf die Schluck- 
bewegungen, welche durch denselben Nerven gleichzeitig ausgelöst 
werden. Aber er verfiel in einen Irrtum, als er jene Kurven nach 
querer Durchschneidung des Kehlkopfes und des Oesophagus fortfallen 
sah. Dieselbe Erscheinung ist später von Kronecker und Meltzer, 
ferner von Knoll gesehen, sowie sehr ausführlich von mir studiert 
worden. Insbesondere konnte ich durch vielfache Versuche nach- 
weisen, dass nach vollkommener Trennung des Atmungs- von dem 
Digestionsapparate die Schluckatembewegungen bleiben und erst ver- 
schwinden, wenn man die Zwerchfellnerven durchschneidet. Daraus 
aber folgt, dass vom Schluckzentrum auf interzentraler Bahn eine 
Erregung des Atmungszentrums stattfindet. Welche Bedeutung diese 
Schluckatembewegung im Mechanismus des Schluckaktes hat, konnte 
nicht eruiert werden. Neuerdings wird in einer sehr ausgedehnten 
unter Kronecker’s Leitung von M. Marckwald gemachten Unter- 
suchung über die Innervation der Atembewegungen beim Kaninchen 
mit Bezug auf die Schluckatembewegung bemerkt (Zeitschrift f. Bio- 
logie 1886 Bd. 23. S. 244): „so ist es beinahe sicher, dass es sich 
bei den sogenannten Schluckatmungen um keine eigentliche Atmung 
handelt, sondern nur um eine passive Bewegung des Zwerchfelles, 
bedingt durch die im Oesophagus infolge des Schluckens ablaufende 
Kontraktionswelle, welche das Zwerchfell mit nach unten zieht“. 
Ob der Verf. den sich notwendig anschließenden Versuch der Durch- 
schneidung des Oesophagus gemacht hat, hat er unterlassen uns mit- 
zuteilen, so dass wir, abgesehen von der Unsicherheit, welche in dem 
Ausdrucke „beinahe sicher“ liegt, auf unserer durch viele Versuche 
mit Durchschneidung des Oesophagus gewonnenen Ansicht auch künftig 
werden stehen bleiben müssen, die sogenannten Schluckatmungen als 
aktive Erscheinung anzusprechen. 

Ich will zum Schluss noch bemerken, dass man die Schluck- 
atmung als aktiven Vorgang nachweisen kann auch ohne quere 
Durcehschneidung des Oesophagus, und zwar mit Hilfe einer That- 
sache, welche von Kronecker und Meltzer selbst gefunden wor- 
den ist. Dieselbe lehrt, dass, wenn man eine Anzahl’ von Schluck- 
bewegungen in rascher Folge hinter einander auslöst, der Schluck- 








Frenzel, Verdauung lebenden Gewebes und Selbstverdauung. 681 


vorgang auf den Oesophagus nur nach der letzten Schluckbewegung 
übergeht. Wenn das richtig ist, so müssten die Schluckatembe- 
wegungen auf Reizung des obern Kehlkopfnerven nur einmal und 
zwar am Schlusse der Reizung auftreten, was thatsächlich gar nicht 
der Fall ist, vielmehr entspricht, wie schon Bidder gefunden hatte, 
jeder einzelnen Schluckbewegung auch eine Schluckatemkurve, wie 
rasch auf einander jene sich folgen mögen. 
J. Steiner (Heidelberg). 


Verdauung lebenden Gewebes und Selbstverdauung. 
Von Dr. Johannes Frenzel. 


Man findet nicht selten an Leichen, welche erst einige Zeit nach 
Eintritt des Todes geöffnet werden, dass die Verdauungsorgane, be- 
sonders aber der Magen, aufgelöst oder sonstwie verändert sind, 
während die andern Organe noch in normalerem Zustande verharren. 
Hieraus hat man den Schluss gezogen, dass diese „Magenerweichung“, 
wie man sie nannte, die Begleiterscheinung einer postmortalen 
Selbstverdauung sei. Das Gleiche lässt sich auch im gesamten 
Tierreiche feststellen, so z. B., wie ich mich häufig überzeugen konnte, 
an gewissen Darmabschnitten der Insekten, ferner an den als kräftige 
Verdauungsorgane wirkenden Mitteldarmdrüsen, den sogenannten 
Lebern der Crustaceen und Mollusken !); ja es ist wohl nicht unwahr- 
scheinlich, dass so manche Amöbe und so manches Infusor dadurch 
besonders schnell ihrer Auflösung und völligen Zerstörung anheim- 
fallen, dass sie sich noch nach ihrem Tode mittels der während des 
Lebens produzierten Enzyme selbst verdauen. Allerdings pflegt man 
immer allgemeiner die Fäulnisbakterien als das zerstörende Prinzip 
zu betrachten. Eine Beobachtung jedoch, welche ich beim Essig- 
älchen (Anguillula aceti) machte, wird uns eine gewisse Vorsicht auf- 
erlegen müssen. Bei diesen Tierchen, die in sehr starkem sogenanntem 
Spritessig lebten, in welchem ich keine Mikroben bemerken konnte, 
sah ich nämlich nach dem Tode einen sehr schnellen Verfall der Ge- 
webe mit Ausnahme der kutikularen Abscheidungen, wobei besonders 
die Muskelsubstanz in Fett überführt wurde, und ich bin der Ansicht, 
dass hierbei zum Teil wenigstens die Sekrete der Verdauungsdrüsen 
eine Rolle spielten. 

Wie bekannt, warf schon John Hunter im vorigen Jahrhundert 
die naheliegende Frage auf, warum eine solehe Selbstverdauung sich 
nicht schon im lebenden Organismus vollziehe. Meist mochte 
man sich damals aber wohl mit der Erklärung zufrieden geben, dass 





1) Vergl. die Untersuchungen Hoppe-Seyler’s, Frederieg’s, Kruken- 
berg’s, Max Weber’s, Barfurth’s und die meinigen. 


682 Frenzel, Verdauung lebenden Gewebes und Selbstverdauung. 


lebendes Gewebe als solches überhaupt nicht verdaut werde, sondern 
dass es sich vermöge der ihm innewohnenden Lebenskraft gegen 
derartige Angriffe zu schützen wisse. Allein Claude Bernard und 
Pavy suchten die Hinfälligkeit dieser Lehre darzuthun, ersterer, 
indem er den Schenkel eines lebenden Frosches, letzterer, indem er 
das Ohr eines lebenden Kaninchens in eine Magenfistel brachte. Beide 
sahen nun eine „teilweise“ ') Auflösung der dem Magensafte aus- 
gesetzten Teile, und sie schlossen daraus, dass hier in der That 
lebendes Gewebe verdaut werde. 

Immerhin kann man aber diese Versuchsanordnung nicht als eine 
ganz vollkommene bezeichnen, da es einerseits an einem entsprechen- 
den Kontrolversuche mangelte und ferner mit der Auflösung der 
Eiweißsubstanzen noch nicht eine Verdauung d. h. eine Umwand- 
lung in Pepton bewiesen ist. In schwacher Salzsäure (2 pro mille) 
quillt bekanntlich Eiereiweiß, Blutfibrin ete. stark auf, Milchkasein 
und dergleichen wird sogar gelöst. Anderseits lässt sich dann noch 
zeigen, dass das oben genannte Resultat nur ein halbes war, da nicht 
nur eine teilweise, sondern sogar eine völlige Auflösung eintreten 
kann, womit eine weiter unten noch zu besprechende Ansicht Pavy’s 
als irrtümlich verlassen werden muss. 

Zu einem ganz unzweideutigen Resultate gelangt man nämlich, 
wenn man die Verdauung des lebenden Gewebes, wie es ja nahe 
liegt, in künstlicher Weise bewerkstelligt. Ich befestigte zu diesem 
Zwecke einen Frosch auf einem gabelförmigen Brette so, dass je ein 
Hinterbein auf einer Zinke desselben lag, und steckte das eine Bein 
in ein Gefäß, welches Pepsin ?) und Chlorwasserstoffsäure (2 pro mille) 
enthielt, während das andere Bein nur mit solcher Säure in Berührung 
kam. An dem erstern traten nun schon nach kurzer Zeit bei 38° C. 
deutliche Veränderungen ein; die Oberhaut löste sich in Fetzen los 
und das Muskelfleisch schwand mehr und mehr, namentlich dort, wo 
vorher die Epidermis entfernt worden war. An diesen Stellen waren 
schon nach etwa 1!/, Stunden die Knochen völlig blosgelegt. Im 
weitern Verlaufe wurden auch sie durchgefressen und zerstört. Nicht 
anders erging es gleichzeitig den Blutgefäßen: ihre Wandungen 
barsten und das Blut floss heraus, worauf es sofort gerann, um dann 
als dunkelbraune Masse wieder gelöst zu werden. Als schließlich 
nach Beendigung des Versuches die Flüssigkeit geprüft wurde, ergab 
sich eine deutliche Peptonreaktion, womit also aufs schlagendste be- 
wiesen ist, dass lebendes Gewebe verdaut werden kann. Es sei noch 
hinzugefügt, dass der andere in Salzsäure getauchte Schenkel keine 
wesentliche Veränderung zeigte, außer dass die obersten Schichten 
der Epidermis ein wenig aufquollen. Dagegen trat an einer freige- 





1) efr. Lehrbuch der Physiologie des Menschen etc. von Prof. L. Landois. 
2. Auflage. S. 314. 
2) Pepsinum absolutum von Finzelberg’s Nachfolg., Andernach a/Rh. 





ee 


Frenzel, Verdauung lebenden Gewebes und Selbstverdauung. 683 


legten Stelle eine Quellung des Muskelgewebes nicht ein, wie auch 
in der Verdauungsflüssigkeit eine solche Erscheinung nieht statthatte. 
Sehen wir somit, dass sich die Salzsäure allein völlig indifferent ver- 
hält, so werden wir das Gleiche finden, wenn wir an ihrer Stelle 
eine neutrale Pepsinlösung anwenden, wie weiter unten noch zu 
erwähnen sein wird. 

Wenn in obigem der Ausdruck „lebendes Gewebe“ gebraucht 
wurde, so soll damit nicht behauptet sein, dass dies Gewebe auch 
noch während der Verdauung lebe, denn sonst könnte jemand 
vielleicht auf den Einfall geraten, dass aus lebendem Eiweiß bei 
diesem Vorgange nun auch lebendes Pepton gebildet werden 
müsse. Man kann sich aber den ganzen Prozess so vorstellen, dass 
zunächst das Gewebe abgetötet, d. h. dass das Protoplasma in 
koaguliertes Eiweiß übergeführt werde und nun erst die eigentliche 
Verdauung vor sich gehe. Es fragt sich aber, welchem von den bei- 
den Bestandteilen man die abtötende Rolle zuschreiben soll. Das 
Pepsin für sich allein besitzt diese Kraft nicht; denn wurde eine 
Froschlarve in eine (neutrale) Lösung dieser Substanz versetzt, so 
lebte sie darin tagelang ungestört weiter. Von der Verdauungssäure 
hingegen wird behauptet, dass sie durch Herbeiführung eines starken 
Aufquellens die Verdauung vorbereite und einleite. Schon oben aber 
zeigte sich, dass am lebenden Froschsehenkel eine solche Quellung 
gar nieht eintritt. Auch lässt sich hier jener bekannte Vorlesungs- 
versuch nicht ausführen, welcher darin besteht, dass man etwas Eier- 
eiweiß erst in Salzsäure aufquellen lässt, um es sodann in einer neu- 
tralen Pepsinflüssigkeit verdauen zu lassen. Der Froschschenkel 
nimmt überhaupt auch bei mehrstündiger Einwirkung kaum eine Spur 
von Salzsäure auf, was man daran erkennt, dass er völlig unverän- 
dert bleibt, wenn man ihn nachträglich mit neutralem Pepsin be- 
handelt. Mir erscheint demnach kein Schluss berechtigter als der, dass 
erst durch das Zusammenwirken jener zwei Substanzen, des Pepsins 
und der Salzsäure, die Verdauungsprozesse in Gang gesetzt werden. 

Kann demnach lebendes Gewebe durch Salzsäure-Pepsin abge- 
tötet und peptonisiert werden, so wäre hiermit die Möglichkeit einer 
vitalen Selbstverdauung gegeben. Dass dieselbe nun normaler- 
weise nicht stattfindet, sollte in zwei Gründen liegen. Erstens glaubten 
Pavy und Virchow, was ja auch allgemein angenommen ist, dass 
in der Magenwandung die Alkaleszenz des Blutes abstumpfend auf 
die Säure des Magensaftes wirke und ihm daher seine verdauende 
Eigenschaft benehme. Fand doch auch Pavy nach Unterbindung der 
Magengefäße eine „Erweichung“ des Magens! Gegen diese Erklärung 
müssen nun aber der eigne Versuch Pavy’s, sowie der Claude 
Bernard’s und der oben vom Froschschenkel mitgeteilte sprechen, 
da doch auch hier alkalisches Blut in Menge vorhanden ist, ohne die 
Verdauung auch nur im mindesten zu stören. Allerdings wäre noch 


684 Frenzel, Verdauung lebenden Gewebes und Selbstverdauung. 


ein Ausweg denkbar. Man könnte nämlich behaupten, die Säure sei 
in diesem Falle in einem so großen Ueberschusse vorhanden, dass 
sie hinreiche, um das gesamte Blut des Froschkörpers zunächst zu 
neutralisieren, um dann erst in Gemeinschaft mit dem Pepsin in Thä- 
tigkeit zu treten. Dagegen spricht aber schon die fast momentane 
Wirkung der Verdauungsflüssigkeit, von welcher man sich noch besser 
überzeugt, wenn man eine Froschlarve hineinwirft. Diese wird schon 
bei gewöhnlicher Temperatur sofort getötet und rapide gelöst. Ferner 
genügt schon eine so geringe Menge von Säure, um die Verdauung 
einzuleiten, dass dieselbe in gar keinem Verhältnis zur Gesamtblut- 
menge steht. Denn betupft man bei angemessener Temperatur (im 
Wärmeschrank) eine bloßgelegte Stelle des Froschschenkels mit nur 
einigen Tropfen der Verdauungsflüssigkeit, so kann man auch hier 
schon die Verdauung eintreten sehen. Schließlich sei denn noch 
darauf hingewiesen, dass sich in dem mitgeteilten Froschschenkel- 
versuche die Blutgefäße und ihr Inhalt nicht im geringsten resistenter 
verhielten, als die übrigen vielleicht nicht so alkalischen Gewebe. 
Immerhin mag ja das Blut die Verdauung etwas verlangsamen können; 
wir werden aber mit vollem Rechte schließen müssen, dass es nicht 
im stande sei, dieselbe zu verhindern. Wenn nun bei Unterbindung 
oder Verstopfung (R. Virchow) der Gefäße eine Selbstverdauung 
eintritt, so wird sich diese als eine sekundäre Erscheinung recht 
wohl begreifen lassen, wie an einer andern Stelle weiter ausgeführt 
werden soll. 

Gehen wir nun zum Dünndarm über, so liegen hier die Ver- 
hältnisse so, dass die auf den Magen angewendete Erklärungsweise 
ihre Giltigkeit verliert, indem ja sowohl Pankreas- wie auch Darm- 
saft alkalisch sind, nicht also durch die Blutflüssigkeit neutralisiert 
werden können. Claude Bernard half sich daher mit der zweiten 
Erklärungsweise, nämlich dass er die Schleimschicht als Schutz- 
decke für die Schleimhaut ansah. Doch auch diese Aushilfe scheint 
mir nicht stichhaltig zu sein, und dass sie eben nur ein Notbehelf 
ist, kann man schon daraus erkennen, dass man sich ihrer inbetreff 
des Magens nicht bediente, wo man eine bessere zu haben glaubte. 
Auch die Schleimhaut des Magens ist von einer solehen Schleimschicht 
überzogen. Ferner liegt doch kein Grund vor, warum nicht der Ma- 
gensaft sowohl wie der Pankreassaft durch diese Schicht hindurch 
diffundieren könnte. Und durchlässig muss dieselbe doch sein, da ja 
durch sie hindurch die Resorption des Peptons u. s. w. in das Darm- 
epithel hinein stattfinden soll. Betrachtet man ferner diese Verhält- 
nisse von einem allgemeinern Standpunkte, ich möchte sagen vom 
vergleichend-physiologischen, wenn es solch ein Ding heute gäbe, so 
findet man beispielsweise im Darm der Insekten !) keine solche Schleim- 





1) ef. Einiges über den Mitteldarm der Insekten ete. von Johannes 
Frenzel, Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. XXVI S. 229 ff. 








Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 685 


schicht, keine neutralisierende Blutflüssigkeit, und dennoch tritt auch 
hier keine Selbstverdauung ein! Sollten hier wieder andere Verhält- 
nisse maßgebend sein, oder sollte nicht etwa eine so allgemeine 
Frage auch eine allgemeine Beantwortung erheischen? Pavy und 
Claude Bernard würden doch in die größte Verlegenheit geraten, 
wenn man sie früge, warum sich ein Infusor oder ein Cölenterat 
nicht schon bei lebendigem Leibe verdaue. Welches nun zwar der 
eigentliche Grund sei, dass dies nicht eintrete, werden wir freilich 
nicht so ohne weiteres beantworten können. Vielleicht aber werden 
wir einmal auf dem Wege der vergleichenden Forschung dazu 
gelangen, in diese Frage mehr Licht zu bringen. 


L. Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 


L. Brieger, Ueber Ptomaine. Berlin 1885. 
5 H ‚ Weitere Untersuchungen über Ptomaine. Berlin 1885. 
u B ‚ Untersuchungen über Ptomaine. Dritter Teil. Berlin 1886. 


Bekanntlich nehmen eiweißhaltige Substanzen sowohl tierischen 
wie pflanzlichen Ursprungs unter dem Einfluss von Fäulnis und Ver- 
wesung toxische Eigenschaften an. Wenn, wie wir durch die Unter- 
suchungen Schwann’s wissen, als Erreger und Begleiter jedes 
Gärungs- und Fäulnisprozesses Mikroorganismen anzusehen sind, so 
lag es nahe, auch die durch putride Infektion hervorgerufenen Krank- 
heitserscheinungen einer direkten Einwirkung von Bakterien zuzu- 
schreiben. Diese Vermutung wurde indess von Panum!) experimentell 
widerlegt, welcher nachwies, dass der Symptomenkomplex der Ver- 
giftung durch Faulflüssigkeit nicht durch Mikroorganismen, sondern 
durch ein chemisches Gift bedingt sei. Dieses chemische Gift Pa- 
num’s zeigte sich als ein ziemlich resistenter, durch Kochen nicht 
zersetzlicher, in Wasser löslicher, in Alkohol unlöslicher Körper, dessen 
toxische Wirkungen an diejenigen des Kurare- und des Schlangen- 
giftes erinnerten. Zu demselben höchst bemerkenswerten Resultat 
d. h. zu der Erkenntnis der chemischen Natur der Fäulnisgifte ge- 
langten nach Panum bald eine Reihe anderer Autoren, und damit 
fiel die Aufgabe der Erforschung der Zusammensetzung und der 
Eigenschaften dieser Gifte der Chemie anheim. Neben dieser Frage 
war und ist noch eine zweite zu lösen, die Frage nach der Entstehung 
jener Substanzen, und hierbei muss die Chemie die Hilfe der Bak- 
teriologie in Anspruch nehmen. Ohne Zweifel ist die Bildung der 
Fäulnisgifte durch die Einwirkung niederer Organismen bedingt, etwa 
in der Weise, dass durch die Vegetation der Bakterien aus den 
komplexen Molekülen der Eiweißkörper direkt jene Gifte abgespalten, 





4) Jahrb. d. ges. Medizin, 101, $S. 123; Panum, die putride Infektion in 
Virchow’s Arch., 60, 8. 301. 


686 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 


oder dass chemische Prozesse angeregt werden, welche zur Synthese 
jener Gifte führen. Es wird fernerhin von besonderem Interesse sein, 
festzustellen, ob diese Spaltungen oder synthetischen Prozesse in 
ihrem Verlauf unabhängig sind von der Art der sie einleitenden Bak- 
terien, oder ob eine bestimmte Bakterienspeeies immer nur ein bezw. 
mehrere spezifische Fäulnisgifte hervorzubringen vermag. 

Es würde an dieser Stelle zu weit führen, auf die Arbeiten aller 
nach Panum mit dem Studium der ehemischen Produkte putrider 
Zersetzungen beschäftigten Forscher einzugehen; die bezügliche Litera- 
tur ist außerordentlich umfangreich. Vortreffliche historische Ueber- 
sichten sind von Husemann!) und Kobert?) gegeben worden, auf 
die hier verwiesen sein mag. Der Gegenstand hatte in kurzer Zeit 
um so größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als die Fäulnisgifte 
sowohl in ihren chemischen Reaktionen wie in ihren physiologischen 
Wirkungen eine überraschende Aehnlichkeit mit gewissen Pflanzen- 
alkaloiden zeigten, ein Umstand, welcher für den bei forensischen 
Untersuchungen als Sachverständiger fungierenden Chemiker höchst 
bedeutungsvoll sein musste, und der thatsächlich in mehrern Kriminal- 
fällen für das Urteil des Gerichtshofes von tragischer Bedeutung ge- 
wesen ist. Diese Aehnlichkeit, zufolge welcher die Fäulnisgifte auch 
als Fäulnis- oder Kadaver-Alkaloide bezeichnet worden sind, hat nament- 
lich in einigen Giftmordprozessen in Italien eine hervorragende Rolle 
gespielt, bei denen die erstinstanzlichen Experten den Nachweis von 
Delphinin, Morphin und Strychnin in Leichenteilen geführt zu haben 
glaubten, während in jedem Falle von Selmi gezeigt wurde, dass 
nur Kadaver-Alkaloide vorlagen. Für letztere hat Selmi die seither 
allgemein adoptierte Bezeichnung Ptomaine (von raue — das gefallene 
Tier) eingeführt. 

So große Verdienste der genannte italienische Gelehrte sich um 
die Erforschung der Fäulnisvorgänge und ihrer Produkte erworben hat, 
und soweit gleichzeitig mit ihm und direkt oder indirekt von ihm 
angeregt andere Forscher auf diesem Gebiete gearbeitet haben, von 
einer methodischen Abscheidung chemischer Individuen unter den 
Ptomainen und deren scharfer Charakterisierung war man bis vor 
wenigen Jahren weit entfernt. Man pflegte Faulflüssigkeiten, gefaulte 
tierische oder menschliche Organe oder Nahrungsstoffe mit irgend 
einem Extraktionsmittel — Aethylalkohol, Aether, Benzol, Chloroform, 
Amylalkohol — zu erschöpfen, aus dem Extrakt das Lösungsmittel 
zu verjagen und den syrupösen Rückstand auf sein Verhalten gegen 
Alkaloidreagentien und auf seine physiologischen Effekte zu prüfen. 
Versuche, die extrahierten Verbindungen zu reinigen, durch Anwendung 


4) Husemann, Ann. d. Pharm., Bd. XXI, Heft 6, 1883. 
2) Kobert, Jahrb. d. ges. Med., Bd. 186 S. 123; Bd. 189 S. 219; Bd. 191 
S» 3: Bd..195. 8: 3:.Bd. 19628.°0:,Bd., 20178. 3: 





Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 687 


verschiedener Lösungsmittel die einen von den andern zu trennen, 
wurden allerdings unternommen, fast niemals aber so weit fortgesetzt, 
bis ein wohl zu kennzeichnender, chemisch einheitlicher Körper ge- 
wonnen war. 

In ihren allgemeinen Eigenschaften!) haben sich die Ptomaine 
sehr verschieden gezeigt: gleich den Pflanzenalkaloiden von mehr 
oder minder ausgesprochen basischer Natur, sind die einen in hohem 
Grade giftig, die andern ungiftig; die einen flüssig und leicht flüchtig, 
die andern flüssig und nicht flüchtig; andere endlich fest, auch wohl 
krystallinisch. Sie haben scharfen, bisweilen bittern Geschmack. 
Ihrer Löslichkeit nach verhalten sie sich durchaus ungleich; Selmi 
glaubte sie folgendermaßen einteilen zu können: 

1) Ptomaine, die aus saurer Lösung in Aether übergehen 


2) 5 » » Alkalischer a N h 
3) ” „ ” „ ” „ Chloroform „ 
4) » a. 2... Amylalkohol „ 
5) „ die von Seen ee Lösungsmittel aufgenommen werden. 


Von den genannnten Flüssigkeiten vermag Amylalkohol am meisten 
Ptomaine zu lösen. Für die Analyse von Fäulniskörpern ist die Ein- 
teilung Selmi’s nur von bedingtem Werte. 

Fast alle Ptomaime wirken stark reduzierend; z. B. verwandeln 
sie rotes Blutlaugensalz sehr schnell in gelbes Blutlaugensalz, was 
sich bei gleichzeitigem Zusatz eines Ferrisalzes an der Bildung von 
Berlinerblau zu erkennen gibt. Von Boutmy und Brouardel?), 
welche besonders die im menschlichen Kadaver vorkommenden Fäul- 
nisbasen untersucht haben, ist diese Reaktion als ein Characteristieum 
der Ptomaine hingestellt worden: mit Unrecht, da einerseits zahlreiche 
Pflanzenalkaloide in derselben Weise reagieren, anderseits, wie 
Brieger dargethan hat, gewisse Ptomaine im Zustande chemischer 
Reinheit die in Rede stehende Blaufärbung nicht geben. Ebensowenig 
haben sich eine Reihe anderer für den Nachweis von Ptomainen em- 
pfohlener Reagentien — Jodjodwasserstoff, Jodsäure, Nitroprussid- 
natrium und Palladiumnitrat — als sichere Erkennungsmittel bewährt. 

Das Verdienst, zuerst eine chemisch reine Fäulnisbase isoliert 
und ihre Zusammensetzung analytisch festgestellt zu haben, gebührt 
Nencki?). Derselbe gewann im Jahre 1876 aus Gelatine, welche er 
5 Tage lang mit Ochsenpankreas hatten faulen lassen, eine ölige Base 
von nicht unangenehmem aromatischen Geruch, die an der Luft stark 
Kohlensäure absorbierte und schließlich in ein blättrig krystallinisches 
Karbonat überging, ein gut krystallisierendes Chlorhydrat und Chloro- 
platinat lieferte und der Formel C,H,,N entsprach d. h. mit Collidin 





1) efr. Otto, Ausmittelung der Gifte, S. 38 u. 89. Braunschweig 1884. 

2) Annales d’hygiene publique et de med. legale [3]. 4. pag. 335. 

3) M. Nencki, Ueber die Zersetzung der Gelatine und des Eiweißes bei 
der Fäulnis mit Pankreas. Bern 1876. 


688 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 


isomer war. Nencki vermutete, dass die Base als Isophenyläthyl- 
amin C,H, — CH 
nahm er!) später noch einmal Veranlassung zurückzukommen, nach- 
dem Gautier und Etard?) zwei Ptomaine aus gefaulten Makrelen 
dargestellt hatten, Parvolin C,H,;N und Hydrocollidin C,H,,N, und 
sprach sich für die Identität dieses Hydrocollidins mit der von ihm 
aus Gelatine gewonnenen Base aus. 

Es mag noch angeführt sein, dass E. und H. Salkowski?°) aus 
sefaultem Fleisch und Fibrin eine Verbindung von der Formel C,H,,NO, 
extrahiert haben, die nicht merklich alkalisch reagierte und auf Ka- 
ninchen und Meerschweinchen nicht toxisch wirkte. Die Autoren 
glauben daher eine Amidosäure in Händen gehabt zu haben. 

Die in den letzten 3 Jahren ausgeführten Untersuchungen L. Brie- 
ger’s brachten unserer Kenntnis der Fäulnisbasen eine wesentliche 
Bereicherung. Durch sorgfältige Verarbeitung der Extrakte gefaulter 
Massen: Befolgung geeigneter analytischer Methoden und Fernhaltung 
zersetzender Einflüsse gelang es Br., eine Reihe gut charakterisierter, 
teils neuer, teils wohlbekannter chemischer Verbindungen zu isolieren, 
von denen einige exquisit toxisch wirken und wahrscheinlich als Er- 
reger gewisser bei putriden Infektionen in Szene tretender Vergif. 
tungserscheinungen anzusehen sind. Es liegt auf der Hand, dass die 
Reindarstellung der Ptomaine sogleich einem praktischen Interesse 
begegnen muss; denn nur wenn experimentell die Eigenschaften und 
Wirkungen der Fäulnisgifte erforscht sind, vermag die Therapie 
die Mittel zu finden, welche den. von jenen bedrohten menschlichen 
Organismus schützen. 

Abgesehen von Autorreferaten über Einzelresultate hat Br. die 
Ergebnisse seiner Versuche in den am Eingange genannten Mono- 
graphien niedergelegt. 


auszusprechen sei. Auf diese Untersuchung 


Die erste Monographie berichtet nach einer historischen Ueber- 
sicht über die bisherigen Ptomain - Untersuchungen über 
a) Ptomaine bei der Fibrinverdauung 


b) „ aus faulem Fleisch 
c) „ bei der Fischfäulnis 
d) " aus Käse 

e) „ aus faulem Leim 

f) " aus fauler Hefe. 


Hieran reihen sich zum Schluss theoretische Betrachtungen über 
Genese und allgemeine Eigenschaften der Ptomaine. 





4) Journ. f. prakt. Chemie, 26, S. 47, (1882). 
2) Comptes rendus, 94, pag. 1601. 
3) Ber. d. deutsch. chem. Ges., XVI, S. 1191 u. 1798. 








Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 689 


Wie bereits von andern Forschern beobachtet, hat auch Br. ge- 
funden, dass giftige Basen nur im ersten Stadium der Fäulnis ent- 
stehen; nach 8—10tägiger Fäulnis konnte er derartige Produkte nie 
mehr nachweisen. 


a) Ptomaine bei der Fibrinverdauung. 

Die mehrfach konstatierte Thatsache, dass Pepton, das erste 
Umwandlungsprodukt des Eiweißes, toxisch wirke, veranlasste Br. 
nach dem giftigen Prinzip des Peptons zu suchen. Durch Magensaft 
peptonisiertes Fibrin wurde mit Alkohol gekocht und nach dem Ver- 
jagen des Alkohols mit Amylalkohol erschöpft. Aus dem durch 
mehrere chemische Operationen gereinigten Auszug schied sich schließ- 
lich eine schwer kıystallisierende, sehr resistente Substanz ab, die 
Frösche und Kaninchen schon in sehr geringen Dosen tötete. Br. 
nennt die Substanz Peptotoxin. Analysiert wurde dieselbe nicht; es 
bleibt also unentschieden, ob ein oder mehrere Gifte vorliegen. Daraus, 
dass das Peptotoxin mit Millon’schem Reagens einen beim Kochen 
sich rötenden Niederschlag gibt, kann auf ein amidiertes oder hydro- 
xyliertes Benzolderivat geschlossen werden. Bei längerer (Stägiger) 
Fäulnis tritt Zersetzung des Giftes ein. Nicht allein aus Fibrin, auch 
aus andern Eiweißkörpern wie Kasein, Gehirnsubstanz lässt sich 
Peptotoxin gewinnen. 

Troeknes Witte’sches Pepton, von dem Br. hervorhebt, dass es 
selbst ungiftig sei, lieferte nach Digerieren mit Magensaft ebenfalls 
Peptotoxin. 

b) Ptomaine aus faulem Fleisch. 


Zerhacktes Pferdefleisch, Rindfleisch oder menschliches Muskel- 
fleisch wurde 5—6 Tage bei Brüttemperatur der Fäulnis überlassen, 
die breiige Masse aufgekocht, filtriert und das Filtrat mit Quecksilber- 
chlorid gefällt. Aus dem mit Schwefelwasserstoff zerlegten Nieder- 
schlage erhielt Br. das in langen Nadeln krystallisierende (dem Harn- 
stoff ähnlich) salzsaure Salz einer neuen Base. Die Analysen dieses 
Salzes sowie des in platten Nadeln krystallisierenden Platinats lieferten 
übereinstimmend Zahlen, welche der empirischen Formel C,H,;,No 
entsprachen. Br. nennt den neuen Körper Neuridin, da derselbe dem 
Neurin nahe zu stehen scheint. Das Neuridin ist das erste aus 
tierischen Geweben gewonnene Diamin; es verdient um so mehr Beach- 
tung, als es weiter verbreitet (im frischen Gehirn, in den Eiern) zu 
sein und für den Haushalt des Tierkörpers eine gewisse Rolle zu 
spielen scheint. 

Das nur in Wasser leicht lösliche salzsaure Salz gibt mit einigen 
Alkaloidreagentien charakteristische Niederschläge; im Zustande der 
Reinheit ist es ungiftig'; beim Kochen mit Natronlauge zerfällt es in 
Di- und Trimethylamin. Die freie Base riecht ähnlich dem mensch- 
lichen Sperma, krystallisiert nicht und zersetzt sich leicht. 

v1. 44 


690 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 


In den vom Neuridin befreiten Laugen findet sich als zweites 
Ptomain der Fleischfäulnis das äußerst giftige Neurin C,H,,NO 
(Trimethylvinylammoniumhydroxyd). Behufs Abscheidung desselben 
werden die Laugen durch mehrfache Fällungen gereinigt, eingedampft, 
die syrupösen Rückstände mit absolutem Alkohol ausgezogen und aus 
der alkoholischen Lösung die Base mittels Platinchlorid gefällt. Durch 
analytische Belege — Analyse des Platinats und des Aurats, welche 
beide gut krystallisieren, jenes in wohl ausgebildeten Oktaädern, dieses 
in flachen Prismen — und genaue Vergleiche der physikalischen 
Eigenschaften, Reaktionen und physiologischen Wirkungen hat Br. 
die Identität dieses Neurins mit der in dem gleichnamigen Präparat 
des Handels vorliegenden Base nachgewiesen. 

Bemerkenswert ist die große Virulenz des Neurins. Frösche ver- 
fallen wenige Minuten nach Einverleibung des Giftes in einen läh- 
mungsartigen Zustand und gehen, wenn 2 mg des salzsauren Salzes 
injiziert wurden, stets zu grunde. Bei Säugetieren — Br. experimen- 
tierte an Mäusen, Kaninchen, Meerschweinchen und Katzen — werden 
Erscheinungen hervorgerufen, die an Muskarinvergiftung erinnern; 
doch ist die Empfindlichkeit der genannten Tierklassen gegen das 
Neurin ungleich: so bleiben Meerschweinchen indifferent gegen Dosen, 
welche auf Katzen eklatant wirken. Tödlich für ein Kaninchen von 
1 kg Gewicht ist eine Gabe von 0,04 g. Die Vergiftung kennzeichnet 
sich stets durch profuse Speichelsekretion und Dyspnoe, daneben tritt 
bisweilen Pupillenverengerung ein, welch letztere nach Einträufelung 
des Giftes im das Auge nie ausbleibt. Als ausgezeichnetes Antidot 
erwies sich Atropin. 


c) Ptomaine bei der Fisch fäulnis. 


Der Brei zerkleinerter und ohne jeden Zusatz 5 Tage lang der 
Fäulnis überlassener Dorsche wurde mit verdünnter Salzsäure erwärmt 
und filtriert. Aus dem Filtrat isolierte Br. durch Fällung mit Queck- 
silberchlorid und demnächst wiederholte Fällungen mit Platinchlorid 
nach einander fünf verschiedene Ptomaine, von denen das erste aus 
Mangel an Material chemisch nicht näher charakterisiert werden 
konnte. 

Die zweite Base wurde als Neuridin rekognosziert. 

Der dritten, einer toxischen Substanz, welche mit Alkaloidreagen- 
tien bezeichnende Niederschläge lieferte, gut krystallisierende Salze 
bildete und unzersetzt destillierte, war die Formel C,H,N, zuzuschreiben. 
Da diese Substanz nach Zusammensetzung und Eigenschaften dem 
Aethylendiamin u überraschend glich, so hielt sie Br. zuerst 

2 
mit letzterer Verbindung für identisch, bis ein späterer kontrolierender 
Vergleich mit reinem synthetischem Aethylendiamin jener Annahme 
widersprach. Vielleicht liegt hier ein Aethylidendiamin vor, 





Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 691 


Die toxische Wirkung der Verbindung C,H,N, auf Kaninchen 
besteht wesentlich in heftiger Dyspnoe und in Pupillenerweiterung. 

Das vierte Ptomain erkannte Br. als Muskarin C,H,,NO, sowohl 
durch Analyse des Platinsalzes als auch durch Tierversuch. Minimale 
Dosen verursachten bei Fröschen totale Paralyse und diastolischen 
Herzstillstand; Kaninchen boten nach Aufnahme des Giftes das be- 
kannte Bild der Muskarinvergiftung. 

Eine fünfte Base, von Br. Gadinin genannt (Gadus callarias, 
Dorsch), deren Platinat sich nach Ausfällung des Muskarins in gold- 
gelben Blättechen abschied, differiert in der Zusammensetzung nicht 
wesentlich von der Amidoönanthsäure, der nächsthomologen des 
Leueins: 

C;H,,NO, C,H,,NO, 
Gadinin. Amidoönanthsäure. 

Das Gadinin scheint nicht giftig zu sein. 

Nach Abtrennung dieser Base erhielt Br. aus den letzten Filtraten 
bei der Destillation mit Kali Triäthylamin (C,H,);N. Es bleibt dahin- 
gestellt, ob dies Amin sich als Ptomain aus den faulenden Dorschen 
gebildet hatte, oder erst durch die Destillation aus einer komplexern 
Verbindung abgespalten war. 


d) Ptomaine aus Käse. 

Weicher käuflicher Kuhkäse blieb, mit wenig Wasser und Schlemm- 
kreide verrührt, 6 Wochen bei Sommertemperatur stehen, bis totale 
Zersetzung eingetreten war. Die Masse wurde schwach angesäuert 
und filtriert. Im Filtrat fanden sich zwei Fäulnisbasen: Neuridin und 
Trimethylamin. 


e) Ptomaine aus faulem Leim. 


Von Ref. ist oben erwähnt worden, dass Nencki aus Gelatine, 
die er 5 Tage lang bei 40° mit Ochsenpankreas faulen ließ, eine mit 
Collidin isomere Verbindung C,H,,N erhalten hatte. Br. wiederholte 
diesen Versuch mit der Abänderung, dass eine mit Schlemmkreide ver- 
setzte Lösung von Tischlerleim nach Infizierung mit gefaultem Eiweiß 
10 Tage lang einer Temperatur von 35° überlassen wurde. Aus dieser 
Faulflüssigkeit konnte Br. jedoch die Nencki’sche Base nicht ge- 
winnen. Es resultierten dagegen Neuridin, Dimethylamin und in 
geringer Menge eine muskarinähnliche Substanz. 


F) Ptomaine aus fauler Hefe. 


Die mit Wasser und etwas Schlemmkreide angesetzte und mit 
faulem Eiweiß infizierte Hefe unterlag 4 Wochen lang der Einwirkung 
der Sommertemperatur. Alsdann wurde angesäuert und filtriert. Die 
Verarbeitung des Filtrats lieferte nur eine Base: Dimethylamin. 


Die vorbeschriebenen Versuche Br.’s haben ergeben, dass bei 
42® 


692 Ludwig, Alkoholgärung lebender Eichbäume. 


der Fäulnis eiweißhaltiger Substanzen folgende Verbindungen als 
Ptomaine auftreten können: 

Peptotoxin (?), Neuridin C,H, ,N,, Neurin C,H,,NO, die Base C,H,N,, 
Muskarin C,H, ,NO,, Gadinin C,H,-NO,, Triäthylamin C,H, ‚N, Trimethyl]- 
amin C,H,N, Dimethylamin C,H-N. 

Von diesen sind das Neurin, die Base C,H,N, und das Muskarin 
heftige Gifte. 

Am häufigsten wurde Neuridin unter den Fäulnisprodukten ge- 
funden. Diese Thatsache gewinnt noch dadurch an Bedeutung, dass 
das Neuridin, wie Br. konstatieren konnte, auch im frischen mensch- 
lichen Gehirn und im Eigelb vorkommt, im letztern freilich nur in 
geringer Menge. Im frischen Fleisch ist es nicht angetroffen worden; 
doch darf man annehmen, dass es in demselben in einer dem Leeithin 
ähnlichen Verbindung vorhanden ist, aus welcher es durch den Fäul- 
nisprozess in Freiheit gesetzt wird. 

Auch Neurin hat Br. im frischen Gehirn nachgewiesen, als er 
zur Darstellung von Cholin größere Mengen menschlicher Gehirne mit 
Baryt kochte Wurden dagegen die Gehirne mit verdünnter Salz- 
säure digeriert, so enthielt der Säureauszug kein Neurin. Hieraus 
darf man schließen, dass ein Teil des Cholins durch Kochen mit 
Baryt in Neurin übergeführt wird, während Salzsäure das Cholin 
intakt lässt. Zudem lehrt ein Blick auf die Formeln des Cholins und 
Neurins, dass letzteres nur um ein Minus von H,O von ersterem ver- 
schieden ist: 

Cholin C,H,,NO, 

Neurin C,H,,NO; eine Abspaltung von Wasser aus dem 
Cholin könnte daher zum Neurin führen. Künstlich d. h. durch che- 
mische Operation lässt sich diese Abspaltung von Wasser, also die 
Umwandlung des Cholins in Neurin in der That erreichen. Es liegt 
daher, was die Genese anderes des Neurins bei der Fleischfäulnis betrifft, 
nichts näher als die Auffassung, dass durch die lebhaften chemischen 
Vorgänge des Fäulnisprozesses das Cholin in Neurin übergeführt 
werde. Somit erscheint auch dieses Ptomain als ein Abkömmling 
des Leeithins, dessen eine Komponente ja das Cholin ist. 


(Fortsetzung folgt.) 
Oskar Schulz (Berlin). 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin. 
Sektion für Botanik. 

1. Sitzung. Herr Ludwig (Greiz) spricht über Alkoholgärung und 
Schleimfluss lebender Eichbäume etc., verursacht durch eine neue 


Species der Exoascus-Gruppe und einen Zeuconostoc: An zahlreichen Eichen 
um Greiz, Langenwelzendorf, Ebersdorf, Gottliebsthal, Gera, Schmölln ete., 








Ludwig, Alkoholgärung lebender Eichbäume. 695 


seltener an Pappeln, Birken u. s. w., tritt eine alkoholische Gärung mit nach- 
folgendem Schleimflusse auf, die die Rinde und zuweilen auch das Holz ver- 
nichten und die Eichenkultur nicht unwesentlich beeinträchtigen. Der nach 
Bier riechende Schaum enthält der Hauptsache nach einen Fadenpilz und dessen 
Zergliederungsprodukte, die die Gärung einleiten und auch in gärungsfähigen 
Substanzen lebhafte Alkoholgärung hervorrufen, der Schleim daneben Saccharo- 
myces-Formen und Leuconostoc. Diese drei Elemente: Fadenpilz, Saccharomyces- 
Form, Zeuconostoc, sind allenthalben (ersteres besonders im Anfang der Gärung) 
an den erkrankten Bäumen vorhanden. Der Fadenpilz zeichnet sich aus durch 
eine sympodiale, meist einseitige Verzweigung: die Hyphenenden verschmälern 
sich in ihrer Fortsetzung und werden später durch sekundäre Aussprossungen 
von größerem Durchmesser zur Seite gedrängt, letztere setzen die Hauptaxe 
fort. Die ungeschlechtliche Fortpflanzung findet einmal und regelmäßig statt 
durch eine basipetale Gonidienbildung (Oidiumgeneration) oder durchgehende 
Querzergliederung des Myceliums, dann durch innere Gemmenbildung und 
Bildung verdickter Zellen („Knospen“ Grawitz). Die Zergliederungsstücke 
rufen durch lebhafte Sprossung eine alkoholische Gärung hervor, die allem 
Anschein nach später unterstützt wird durch die Saccharomyces-Formen. Auf 
die Bildung dieser Hefezellen, die wahrscheinlich gleichfalls von dem Faden- 
pilz abstammen, soll hier nicht näher eingegangen werden. Nur sei bemerkt, 
dass sie, wie Prof. Magnus und Dr. G. v. Lagerheim zuerst an Gelatine- 
kulturen fanden, ich an dem vertrockneten Eichenschleime anfangs August 
beobachtete, Endosporen bilden (meist vier, von denen öfter je zwei mit ein- 
ander verbunden bleiben). Die geschlechtliche Fortpflanzung, der allem An- 
schein nach eine geschlechtliche Befruchtung vorangeht, geschieht durch freie, 
am Ende kürzerer oder längerer Aeste, meist aber mehr oder weniger dicht 
stehende, verkehrt eiförmige Asci mit je 4 eigentümlich gestalteten, hut- bezw. 
mützenförmigen Sporen. Die Asci verschleimen zuletzt, und es bleiben dann die 
gelbbraunen reifen Sporen in dem Schleime liegen. Es gehört der Fadenpilz 
zu den Exoasci und zwar zur Gattung Endomyces. Ich habe ihn Endomyces 
Magnusii benannt. Derselbe scheint mir berufen, eine wichtige Rolle in der 
Mykologie zu spielen, abgesehen von seiner Fähigkeit, die Alkoholgärung zu 
erregen, und seinen zerstörenden Wirkungen bei lebenden Bäumen. Einmal 
gleicht seine ungeschlechtliche Entwieklung derjenigen der gefürchteten Krank- 
heitserreger, des Favus- und Soorpilzes, deren Zugehörigkeit bisher unbe- 
kannt blieb, derart, dass die Entdeckung seiner vollen Entwieklungsgeschichte die 
jener Pilze bereits vermuten lässt und wohl bald folgen lassen wird. Zweitens 
aber scheint er mir berufen, die Frage nach dem Ursprung und der Zugehörigkeit 
echter Hefen (Saccharomyces Reess) zu entscheiden. Der Pilz des Schleim- 
flusses, der schleimigen Gärung, ist ein Zeuconostoe — nieht wie bei der von 
F. v. Thümen u. a. beobachteten Cellulosegärung Bacillus amylobacter. Die 
kettenartig an einander gereihten Kokken, die Herr Dr. G. v. Lagerheim 
zuerst bemerkte, besitzen ähnliche gallertige Hüllen, nur von geringerer Kon- 
sistenz wie der Froschlaichpilz der Zuckerrüben. Dieselben scheinen zunächst 
an den Endomyces-Fäden aufzutreten und deren Zellwände zu zerstören. Auch 
die Entwicklung des lebenden Endomyces scheint der Leuconostoc in verschie- 
dener Weise zu beeinflussen. (Auffällige Verdünnung der Sprosse, sehr weit- 
gehende Querzergliederung, ob auch bezüglich der Hefesprossung?) Ich habe 
den Pilz, dessen Entwicklung gleichfalls noch näher zu studieren ist, Leuco- 
nostoc Lagerheimii benannt. Die „bierbrauenden“ Bäume ziehen zahlreiche 
Gäste herbei: Schmetterlinge, Hirschkäfer (die sich in optima forma bezechen), 


694 Wittmack, Ueber unsere jetzige Kenntnis vorgeschichtlicher Samen. 


Cetonien ete. und vor allen Hornissen. (An einer Eiche, die ich wohl 30 mal 
besuchte, fand ich z. B. stets an dem Gärflecke 2 Hormissen saugend.) Die 
Verbreitung des Pilzschleimes und damit die Uebertragung der Baumkrankheit 
geschieht durch Insekten, welche die Pilze an frischen Verletzungen der Rinde 
(Risse, Bohrlöcher, Astbrüche) übertragen. Letztere wuchern subkortikal wei- 
ter nnd können mehrere Jahre lang an demselben Baume zerstörend wirken. 


2. Sitzung. Herr Wittmack (Berlin): Ueber unsere jetzige Kennt- 
nis vorgeschichtlicher Samen. Dieselbe ist neuerdings bedeutend ge- 
fördert worden und zwar extensiv durch Entdeckung neuer Fundstellen, intensiv 
durch Verbesserung der Untersuchungsmethoden, durch Schärfung der Kritik. 
Dadurch aber sind wieder ganz neue Gesichtspunkte über die Heimat mancher 
Gewächse gewonnen. Die wichtigste Quelle ist noch immer Aegypten, über 
dessen neu aufgefundene Schätze Schweinfurth (Sitzungsberichte der 
deutschen botanischen Gesellschaft 1885) eingehend gesprochen, nachdem 
früher bereits Al. Braun viele Pflanzenreste kritisch beleuchtet hatte, eine 
Arbeit, die Ascherson und Magnus nach seinem Tode herausgaben. Hinzu- 
gekommen sind im Orient Troja (Hissarlik) durch die Ausgrabungen von 
Schliemann und Virchow, Tiryns (Schliemann), Kreta (Schliemann). 
Referent, dem die betreffenden Funde zur Bestimmung übergeben, fand, dass 
die Samen aus Troja Weizen, Erbsen und Saubohnen, die aus Tyrins Wein- 
traubenkerne, die aus Herakleia auf Kreta Linsen und Saubohnen sind. Die 
Pfahlbauten, die Ringwälle und Gräberfelder haben in den letzten Jahren zwar 
mancherlei, aber wenig Neues geliefert, nur scheint das Vorkommen der Sau- 
bohne in norddeutschen Gräbern ete. beachtenswert. Von der neuen Welt sind 
besonders die Funde in den altperuanischen Gräbern beachtenswert. Sie um- 
fassen ca. 60 Arten, von denen einzelne aber wohl zweifelhaft, während in 
Aegypten ca. 50 gefunden sind. Das Alter der peruanischen Gräber ist aber 
bei weitem nicht so hoch als das der ägyptischen, höchstens 500 Jahre. Von 
besonderer Bedeutung erscheinen die Funde von Gartenbohnen und Kürbis- 
kernen, aus denen zu schließen, dass Phaseolus vulgaris, die (artenbohne, 
Cucubisa mazxima und ©. moschata, zwei Kürbisarten, in Amerika einheimisch 
sind. Auch Asa Gray und Hamond Trumbull nehmen als Vaterland 
mancher Kürbisse sowie der Gartenbohne Amerika an und beweisen das auf 
historischem und linguistischem Wege. 


Herr Klebs (Tübingen): UTeber das Wachstum plasmolysierter 
Zellen. Zygnemen- und Oedogonienzellen, welche in 10°), Glykose plasmo- 
lysiert worden sind, bleiben in diesem Zustande lange lebend und zeigen 
Wachstumserscheinungen. Die stark kontrahierten Protoplasten umgeben sich 
in der Zuckerlösung mit neuen, stark geschichteten Zellhäuten, nehmen bei 
lebhaftem Längenwachstum die mannigfaltigsten, abnormsten Gestalten an und 
teilen sich in gewohnter Weise. Die Vedogonien bilden in 10°], Glykose 
ebenfalls neue geschichtete Membranen, wachsen kaum in die Länge, teilen 
sich nach Art von Cladophora, nicht nach dem gewöhnlichen Typus. Diese 
Erscheinungen treten nur an Rohr-, Trauben-, Milch-Zucker und Manmnit ein. 
Notwendig ist ferner das Licht. Zygnema in 10°, Glykose im dunkeln bildet 
keine neue Zellhaut, wächst auch nicht in die Länge; sie erhalten sich jedoch 
viele Wochen lebend, bis sie allmählich verhungern. Bei der Plasmolyse lang 
gestreckter Zygnema-Zellen zerreißt das Protoplast in zwei Hälften, von denen 
die eine den einzigen Kern enthält, die andere kernlos ist. Nur die kernhal- 





a 2 er 


Korschelt, Bildung des Chitins bei Ranatra. 695 


tigen Teilstücke der Zellen bilden Membran, wachsen in die Länge und 
regenerieren die ganzen Zellen. Die kernlosen Hälften sind nicht fähig, Zell- 
haut zu bilden, noch in der Lage, zu wachsen; dagegen erhalten sie sich lange 
lebend, nehmen gleichmäßig an Volumen zu und bilden Stärke. — Herr 
Magnus (Berlin) erinnerte an die interessanten Erscheinungen, die Famintzin 
als Wirkung anorganischer Salze auf Confervaceen etc. kennen gelehrt hat. 
Die dadurch hervorgerufenen Palmellazustände mit reichlicher, geschichteter 
Membranbildung scheinen einige Analogie mit den von Dr. Klebs geschilder- 
ten Erscheinungen zu bieten. Hier sind weit geringere Prozente, als bei Gly- 
kose angewendet; auch treten diese palmellaartigen Zustände bei Kulturen in 
verdunstenden Gefäßen leicht ein, z. B. bei ötigeoclonum, Chaetophora etc., 
so dass diese Modifizierung der Vegetatoren der Algen bei sehr geringer 
Steigerung des Salzgehaltes sich bereits vollzieht. — Herr Pfeffer (Tübingen): 
Algen wachsen in Salzlösungen nur, wenn keine Plasmolyse eintritt. Dagegen 
können sich Pflanzen, z. B. Pilze, in der Weise akkomodieren, dass in Salz- 
lösungen die Zellen weniger leicht kontrahierbar sind. 


Sektion für Zoologie. 


Herr E. Korschelt (Freiburg i. B.): Ueber eine abweichende Bil- 
dungsweise des Chitins bei Ranatra. Die Bildung des Chitins erfolgt 
in den meisten Fällen in Form einer kutikularen Abscheidung an der Ober- 
fläche einer Epithelschicht. So bilden sich z. B. der Hautpanzer und die Ei- 
schale der Insekten. Erhabenheiten und Anhänge, welche die Oberfläche des 
Chitins mannigfach bedecken, nehmen dadurch ihren Ursprung, dass die Ab- 
scheidung von Chitin an verschiedenen Stellen der Zelloberfläche eine ver- 
schieden starke ist, oder dass von den Zellen Fortsätze ausgesendet werden, 
welche in ihrer Umgebung Chitin absondern. Es ist diese Art der Chitin- 
bildung also ebenfalls eine kutikulare. Nicht alle Anhänge des Chitins ent- 
stehen aber nach diesem typischen Bildungsmodus. Die umfangreichen Anhänge 
z. B., welche sich an den Eiern einiger Wasserwanzen, bei Ranatra und Nepa, 
finden, entstehen nicht in Form einer kutikularen Abscheidung an der Ober- 
fläche von Zellen, sondern sie bilden sich vielmehr im Innern eigentümlich 
modifizierter Epithelzellen. — Die erwähnten Anhänge der Eier der beiden 
Wasserwanzen stehen als lange fadenförmige Fortsätze an dem obern Pole des 
Eies. Sie dienen demselben so zu sagen als Atemröhren, da das Ei bei der 
Ablage in das fleischige Gewebe von abgestorbenen Pflanzenstengeln versenkt 
wird. Nur die Atemröhren ragen noch aus dem Gewebe hervor. An ihrem 
obern Ende luftdurchlässig, führen sie in ihrem pneumatischen Innern dem 
ebenfalls pneumatischen Chorion Luft zu. Das Ei ist infolge dieser Einrich- 
tung immer mit einer Luftschicht umgeben. Während sich das Chorion der 
beiden Wasserwanzen auf die gewöhnliche Art als kutikulares Abscheidungs- 
produkt der Epithelzellen des Follikels bildet, entstehen die Strahlen im Innern 
eigentümlich modifizierter Epithelzellen. Bei Ranatra ist der Vorgang folgen- 
der: es bildet sich eine Verdieckung der obern Eikammerwandung, die anfangs 
aus gleichartigen Zellen besteht. Später vergrößert sich eine Anzahl der hier 
liegenden Kerne. Von ihnen wachsen besonders vier sehr enorm. Zwischen 
je zwei dieser Kerne, in deren Umgebung sich ein distinkter Plasmahof (Doppel- 
zelle) abgegrenzt hat, bildet sich dann das Chitin der Strahlen. Es entsteht 
durch direkte Umwandlung des Zellplasmas, in dem zuerst kleine, stark licht- 
brechende Chitinkörnchen auftreten, bis der Strahl in seiner ganzen Kontinuität 


696 Der gegenwärtige Stand der Gasträafrage. 


gebildet ist. Dabei nehmen die Kerne der Doppelzellen ein ganz eigentüm- 
liches, rhizopodoides Aussehen an, indem sie feinere und stärkere Fortsätze 
aussenden. Diese Fortsätze sind nach dem Ort der Chitinbildung hin gerichtet 
und bleiben so lange erhalten, bis die Chitinbildung zu Ende geführt ist. 
Diese Erscheinung steht jedenfalls in engem Zusammenhang mit der Chitin- 
bildung, und es kommt durch sie der direkte Einfluss zum Ausdruck, welchen 
hier der Kern auf die Thätigkeit der Zelle ausübt. Bei Nepa sind nicht, wie 
bei Ranatra, nur 2, sondern 7 Eistrahlen vorhanden, die hier im Innern von 
7 Doppelzellen ihren Ursprung nehmen. Diese entstehen bei Nepa durch Zu- 
sammentreten von 14 vergrößerten, einfachen Zellen des Eikammerepithels. 
Die Eigentümlichkeiten der Kernveränderung und Chitinabscheidung treten auch 
hier in ähnlicher Weise auf, wie bei Ranatra. — Herr Karsch (Berlin) 
bemerkt, dass nach Untersuchungen von Tichomirow im physiologischen 
Institute der Universität Berlin das Chorion der Insekteneier nicht aus Chitin, 
sondern einem sich chemisch anders verhaltenden Stoffe bestehen soll. Diese 
Untersuchungen möchten noch nicht veröffentlicht sein. — Herr Korschelt 
entgegnet, dass die Abweichung der Substanz, welche die Eischale der Insekten 
bildet, von der Zusammensetzung dessen, was man unter Chitin versteht, wohl 
keine sehr bedeutende sein würde, obwohl er darüber keine Versuche ange- 
stellt hat. Geringe chemische Verschiedenheiten mögen wohl bestehen. Die 
Bildung und äußere Beschaffenheit beider Substanzen ist jedenfalls eine sehr 
ähnliche. Bisher hat man beide gleicherweise unter dem Namen von Chitin 
zusammengefasst, wie man auch vieles Andere als „chitinöse Substanz“ be- 
zeichnet. — Herr Prof. F. E. Schulze macht auf die großen Veränderungen 
aufmerksam, welche bei der Chitinbildung die Zellkerne nach der Darstellung 
des Herrn Dr. Korschelt erfahren, woraus auf eine intensive Beteiligung auch 
der Kerne bei diesem Prozesse zu schließen ist. Herr Korschelt erwähnt 
noch kurz, dass eine ähnliche Anteilnahme der Kerne an der Thätigkeit der 
Zelle auch bei den Nährzellen der Insekten zu bemerken sei, indem auch diese 
Kerne während der Funktionierung der Nährzelle Fortsätze aussenden und eine 
rhizopodoide Gestalt annehmen. 


Sektion für Anatomie. 


2. Sitzung. Herr Waldeyer eröffnet die Sitzung, an welcher auch die 
zoologische Sektion teilnimmt, mit einem einleitenden Vortrage über den gegen- 
wärtigen Stand der Gasträafrage, namentlich mit bezug auf die mesoblasti- 
schen Wirbeltiere. Nach einem kurzen geschichtlichen Ueberblicke werden 
namentlich die Ansichten von Häckel, Götte, Balfour, Rauber, Kupffer, 
Kollmann, Sarasin, E. van Beneden, Selenka, Rückert undM. von 
Kowalevsky besprochen und deren Differenzen hervorgehoben. Der Vor- 
tragende erinnert daran, dass es vor allem nötig sei, um zu einer einheitlichen 
Auffassung zu gelangen, genau das zu umgrenzen, was man „Gastrula“ nennen 
wolle. — Der Vorsitzende spricht Herrn Waldeyer den Dank der Versamm- 
lung für seinen lichtvollen Vortrag aus und eröffnet die Diskussion über die 
Gasträafrage. 


Herr Selenka (Erlangen) sprieht über die Gastrulation der Knochenfische 
und der Amnioten. Bei Makropoden (Goldfischeier) strömt das gesamte Proto- 
plasma des Eies unmittelbar nach dem Eindringen des Spermatozoon an der 
Stelle zusammen, wo dies geschehen ist. Der Keim furcht sich in der Weise, 





Der gegenwärtige Stand der Gasträafrage. 697 


dass die Blastula bald aus zwei Zelllagen, die eine flache Furchungshöhle 
zwischen sich lassen, besteht. Am hintern Ende der Keimscheibe bildet sich 
eine Einstülpung, die nicht, wie Kupffer will, die Allantois, sondern die 
Mesentoblasthöhle darstellt (Primitivrinne). Von ihr nach vorn entstehen die 
Chorda und zwei seitliche Cölomlappen. Am Boden der Höhle bildet sich der 
Darmentoblast. Genau dasselbe Schema ist auf den Keim des Vogeleies an- 
wendbar. 


Herr Rückert (München) legt Präparate über die Gastrulation der Selachier 
vor und entwickelt an derselben die in seiner Arbeit: „Ueber die Keimblatt- 
bildung bei Selachiern“ (Sitzungsberichte der morphol.-physiol. Gesellschaft, 
München 1835) veröffentlichten Resultate über die Entstehung der beiden pri- 
mären Keimblätter. Am mesoblastischen Ei tritt nach Furchung der Keim- 
scheibe eine Blastulahöhle auf zwischen der Morula des Keims und dem sie 
umgebenden Nahrungsdotter. — Der letztere enthält noch unverbrauchtes Zellen- 
material in Form von amöboiden, mit großen Kernen versehenen Zellen (Meso- 
eyten), welche als Homologa der dotterreichen vegetativen Blastomeren 
holoblastischer Eier angesehen werden müssen. Aus ihnen sprossen echte 
Embryonalzellen hervor, und diese bilden durch eine Modifikation des Invagi- 
nationsprozesses den Entoblast. Der Urmundrand muss in der gesamten Peri- 
pherie der Keimscheibe gesucht werden; je weiter nach vorn, um so rudimentärer 
erscheint er, und um so mehr verliert er den ursprünglichen Charakter eines 
Umschlagsrandes. Die Entstehung des mittlern Keimblattes, über die R. neue 
Mitteilungen macht, geht wie die der untern gleichfalls vom Urmundrande aus 
in einer Form, welche als eine Arbeit der Cölombildung aufzufassen ist. Es 
findet zunächst eine lebhafte Zellenwucherung am Umschlagsrande statt. Die 
hier entstehenden Zellen dringen als erste Anlage des mittlern Keimblattes 
zwischen die beiden primären Blätter zentripetal vor, dabei werden die Ento- 
blastzellen im Bereich der Wucherungszone zur Bildung des Mesoblast teil- 
weise aufgebraucht, und so entsteht hier ein Zellendefekt, welcher die bei der 
typischen Cölombildung stattfindende Einstülpung repräsentierte. Von der 
echten Cölombildung unterscheidet sich dieser Vorgang nur insoweit, als der 
Charakter eines einheitlichen epithelialen Zellenblattes verloren geht, und die 
Zellen die Gestalt von Mesenchymzellen annehmen. Dieser Ursprung des mitt- 
lern Keimblattes erstreckt sich zu beiden Seiten der Mittellinie, woselbst 
sich weiterhin die Chorda aus dem Entoblast bildet, nach vorn über den ge- 
samten Rand der Keimscheibe, indem er je weiter nach vorn um so rudimen- 
tärer erscheint. Das mesoblastische Selachierei schließt sich also auch inbezug 
auf die Bildung des mittlern Keimblattes direkt an den Typus des holoblasti- 
schen Wirbeltieres (Amphioxus) an, insofern vom Grunde des, allerdings hier 
noch weiter, Blastoporus und Cölomsäcke zwischen die beiden primären Blätter 
eindringen. Was den Verschluss des Blastoporus anlangt, so wird nur die 
hintere Hälfte in den Bereich des Embryo eingezogen, und zwar in der Weise, 
dass das am Rande befindliche Zellmaterial von beiden Seiten her gegen die 
Mittellinie hin verschoben wird. Am Mesoblast des Hinterrandes lässt sich 
dies direkt erweisen, insofern an demselben die ersten Spuren einer Gliederung 
in eine Anzahl seitlich neben einander stehender Metameren kenntlich sind. 
Nachdem dieser Abschnitt in die axiale Embryonalanlage aufgenommen ist, 
bleibt nur noch ein schmaler Bezirk des Hinterrandes als letzter Rest des 
Umschlagrandes bestehen und schließt sich zum Canalis neurenterieus. Der 
übrige Rand der Keimscheibe stellt einen entogenetisch modifizierten Urmund- 


695 Cohn, Helligkeit für Arbeitsplätze. 


rand dar, er führt die Umwachsung des Nahrungsdotters von vorn und von 
den Seiten her aus und kommt schließlich auf der Rückseite des Eies hinter 
dem Embryo zum Verschluss. 


Im weitern Fortgang macht Herr Hatschek (Prag) folgende thatsäch- 
liche Mitteilung zur Entwicklung des Amphioxus: Bei Amphioxus krümmt sich 
das Hinterende des Medullarrohrs um das Chordaende ventralwärts herum und 
hängt anfangs mit dem Darmrohr zusammen. Dieser Zusammenhang wird zu 
Ende der Embryonalzeit aufgehoben; die Bildung selbst aber bleibt während 
des ganzen Larvenlebens erhalten und bildet das Material für das Fortwachsen 
des Medullarrohrs bei der fortgesetzten Vermehrung der Metameren. Erst 
nachdem das letzte Metamer gebildet ist, grenzt sich der Neurointestinalkanal 
vom Medullarrohr ab und degeneriert. 


Herr Kollmann betont, dass nach allen Erfahrungen bei den Wirbellosen 
und bei den Vertebraten mit holoblastischen Eiern, namentlich aber bei dem 
Amphioxus, das Grundprinzip bei der Gastrulation in der Herstellung des Ento- 
blasts besteht. Die einfache Gastrula des Amphioxus gibt die Anhaltspunkte 
für die Beurteilung der gleichwertigen Stufen bei der Entwicklung der Verte- 
braten mit mesoblastischen Eiern; der Rand der Gastrula ist Urmund und 
existiert als sogenannter Umschlagsrand der Keimscheibe bei Selachiern, Rep- 
tilien und Vögeln. — Herr Waldeyer fragt, was Herr Selenka beim Ei der 
Knochenfische als Prostoma auffasse. Herr Selenka entgegnet, dass die Ein- 
stülpungsstelle ein Teil des Prostoma sei, dass dieses aber selbst sich am Ei 
der Makropoden nicht abgrenzen lasse. — Herr Hasse (Breslau) fragt, wie 
die bisherigen Vortragenden sich die mechanischen Ursachen der Gastrulation 
vorstellen. — Herr Häckel (Jena) entgegnet, dass die Gasträa phylogenetisch 
aus der Blastulaform durch Arbeitsteilung entstanden sei, indem die einschich- 
tige Blase in eine Gasträa sich umwandelte mit einem deckenden äußern und 
einem resorbierenden innern Blatte Für ihn seien durch die in der heutigen 
Sitzung gemachten Mitteilungen die Schwierigkeiten beseitigt, welche einer 
einheitlichen Auffassung der Gastrulation der Wirbeltiere bisher noch im 
Wege gestanden hätter. 


Sektion für Hygieine. 


1. Sitzung. Herr Hermann Cohn (Breslau): „Veber die für die 
Arbeitsplätze notwendige Helligkeit“. Bei der Berechnung der für 
Arbeitsplätze nötigen Helligkeit handelt es sich nicht darum, bei wie schwacher 
Beleuchtung man noch allenfalls im stande ist zu lesen oder zu schreiben, 
sondern bei welchem Lichtquantum man leicht und ohne Anstrengung lesen 
kann. Der Vortragende stellte daher fest, wie rasch man bei verschiedenen 
Beleuchtungsgraden eine Tafel lesen könne, auf welcher 36 Haken mit Oefl- 
nungen nach rechts, links, oben und unten vorhanden sind. (Diese Tafel ist 
von Priebatsch’s Buchhandlung verlegt.) Die Helligkeit der Tafel wurde nach 
Meterkerzen mittels Weber’s vorzüglichem Photometer bestimmt. (Dieses ist 
von Schmidt & Hänsch zu beziehen.) Mit 1 MK (Meterkerze) bezeichnet 
Weber die Helligkeit eines Papiers, welches 1 m gegenüber von 1 Normal- 
kerze aufgestellt wird. Der Vortragende fand nun bei der Prüfung einer An- 
zahl von Aerzten, dass von den 36 Haken gelesen wurden bei 





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4 
i 


Landolt, Kleine Organismen im Boden. 699 


1 MK: 0—12 Haken in 40—60 Sek. mit sehr vielen Fehlern, 


Se 364, „48—73 „ mit vielen Fehlern, 

10 sus Söeh „ 30—60 „ mit einzelnen Fehlern, 

ROSE, a „ 22—26 „ richtig, 

aD 5 36,1 „ 17—25 ,„ richtig, wie bei gutem Tageslicht. 


Wünschenswert sind also für Arbeitsplätze 50 MK; als Minimum verlangt der 
Vortragende 10 MK. Es existiert eine innige Beziehung zwischen der Tages- 
beleuchtung eines Platzes und dem Raumwinkel, welchen man mit einem 
sinnreichen Instrumente von Weber messen kann. Zum leichtern Verständ- 
nisse der etwas schwierigen stereometrischen Verhältnisse, um die es sich 
beim Raumwinkel handelt, konstruierte der Vortragende zwei Modelle, welche 
er vorlegt. Man misst den Raumwinkel in Quadratgraden. Aus Hunderten 
von Messungen des Raumwinkels und des Tageslichtes kam der Vortragende 
zu dem Schluss, dass man an Plätzen, welche weniger als 50 Quadratgrade 
Raumwinkel haben, an trüben Tagen weniger als 10 MK Helligkeit zu erwarten 
hat. Man braucht also in einer Klasse, einem Arbeitssaal, einer Werkstatt ete. 
nur mit dem Raumwinkelmesser zu prüfen, welche Plätze noch 50 Quadratgrade 
geben, und kann so in wenigen Minuten bestimmen, welche Plätze zur Arbeit 
noch zu gestatten sind. Für künstliches Licht müssen ebenfalls 10 MK als 
Minimum gefordert werden. Die Messungen des Vortragenden haben aber er- 
geben, dass bei den gebräuchlichen Gas-, Petroleum- und Glühlampen selbst 
die besten Glocken das Papier nur so beleuchten, dass es nur in einer Ent- 
fernung von !/, Meter von der Flamme noch eben 10 MK hat. Darauf 
ist also bei der Abendarbeit sorgsam Rücksicht zunehmen. Mehr Licht schadet 
gewiss nicht. Natürlich bleibt es sich gleich, ob Gas, Petroleum oder elek- 
trisches Licht verwendet wird, wenn es nur nicht zuckt und nicht zu heiß ist. 
Das neue Auer’sche Gasglühlicht, welches vorgezeigt wird, teilt mit 
dem elektrischen die Kühle, übertrifft es aber dadurch, dass es nicht zuckt. 
Allerdings hat es bei den jetzigen Bunsen-Brennern, die allerdings auch be- 
deutend weniger Gas brauchen, noch eine geringere Lichtintensität als die 
modernen Albert-Brenner. In jedem Falle achte man darauf, dass kein 
Arbeitsplatz weniger als 10 MK Helligkeit habe. 


Sektion für landwirtschaftliches Versuchswesen. 


1. Sitzung. Herr Landolt (Berlin): Ueber die chemischen Um- 
setzungen im Boden unter dem Einflusse kleiner Organismen. 
Redner betont die chemische Seite. Derselbe teilt die Resultate einiger 
Versuche betreffs der Frage mit, ob Bildung von Nitriten und Nitraten bei 
Einwirkung von Ammoniak und Luft auf Alkalien auch ohne Gegenwart von 
Organismen stattfinden kann, wie dies nach frühern Angaben von Dumas der 
Fall zu sein schien. Es ergab sich, dass bei vollständiger Sterilisierung aller 
Materialien niemals Salpeter entsteht. Von fein zerteilten Körpern wirkt allein 
das Platinschwarz nitratbildend. Ackererde verursacht im sterilisierten Zu- 
stande die Oxydation des Ammoniaks nicht, im gewöhnlichen dagegen sowohl 
im Dunkeln wie im Lichte. — Korreferent Herr Frank (Berlin) hat durch die 
in der Mykologie üblichen Kulturmethoden die im Erdboden lebenden Organismen- 
formen und deren Entwicklung zu ermitteln gesucht. Geprüft wurden Natur- 
böden und zwar ein humusreicher Kalkboden, humoser Sandboden, Lehmboden 
(Marsch-), Wiesenmoor, Boden von der Schneekoppe. Außer wechselnden 


700 Hellriegel, Stickstoffquellen der Pflanze. 


Hyphomyceten findet sich konstant ein und derselbe Spaltpilz in folgenden 
nacheinander auftretenden Zuständen: Leptothrix, Bacillus, Bacterium, bisweilen 
auch Zoogloea-Bildung; zuletzt regelmäßige Sporen, die dann wieder zu neuen 
Bacillen oder Bakterien auskeimen. Uebergangszustände zwischen den Dicke- 
graden 0,6—1,3 « sind konstatiert. Ref. sieht darin eine neue Bestätigung 
der morphologischen Wandelbarkeit der Spaltpilzformen. Die Frage, ob die 
im Erdboden stattfindende Nitrifikation des Ammoniaks durch die Thätigkeit 
dieser Organismen erfolgt, ist in der Weise untersucht worden, dass in reine 
sterilisierte Chlorammoniumlösung mit den nötigen Pilznährstofflösungen etwas 
von reingezüchtetem Material von Bodenpilzen eingeimpft wurde; das Resultat 
war allgemein negativ. Auch wenn sterilisiertes Kalkkarbonat zugesetzt war, 
nitrifizierten die Bodenpilze nieht. Wenn in die mit dem Pilze infizierte Chlor- 
ammoniumlösung Erdboden gebracht wurde, so fand allerdings Nitrifikation statt, 
aber derselbe Boden zeigte auch im sterilisierten Zustande, und selbst, nach- 
dem er geglüht war, ohne Zusatz des Pilzes Salpetersäurebildung. In allen 
Fällen war also der Erdboden, und nicht seine Mikroorganismen, das 'T'hätige 
bei der Nitrifikation. 


Herr Hellriegel: Welche Stickstoffquellen stehen der Pflanze 
zugebote? Die Gramineen sind mit Bezug auf ihre Stickstoffnahrung auf 
den Boden allein angewiesen. Die einzige Form, in der sie den Stickstoff auf- 
nehmen, ist die der salpetersauren Salze. In dieser Form ist der Stickstoff 
für die Gramineen direkt assimilierbar und seine Wirkung quantitativ, d.h. 
die Produktion steht immer in gradem Verhältnisse zur gegebenen Menge 
Salpeterstickstoff. Die Uruciferen, Chenopodiaceen und Polyponeen verhalten 
sich den Gramineen gleich (näher geprüft der weiße Senf, Rübsam, Zucker- 
rüben und gemeiner Buchweizen). Die Papilionaceen sind mit dem Bezug der 
Stickstoffnahrung nicht auf den Boden angewiesen. Die Stickstoffquellen, 
welche die Atmosphäre bietet, können allein schon genügen, dieselben zu einer 
normalen, ja üppigen Entwicklung zu bringen. Es sind nicht die in der Luft 
vorhandenen geringen Mengen gebundenen Stickstoffs, welche die Ernährung 
der Papilionaceen bewirken, sondern der elementare Stickstoff der Atmosphäre 
tritt hierbei in Mitwirkung; und zwar stehen mit der Assimilation desselben 
die sogenannten Leguminosenknöllchen in direkter Beziehung. Leguminosen- 
knöllchen und Wachstum der Papilionaceen in stickstofffreiem Boden lassen 
sich willkürlich hervorrufen durch Zusatz von geringen Mengen Kulturboden 
und verhindern durch Ausschluss von Mikroorganismen. Bei verschiedenen 
Papilionaceenarten wirkt nur der Zusatz von gewissen Bodenarten Knöllchen 
bildend und Wachstum fördernd. Salpetersaure Salze werden zwar auch von 
den Papilionaceen assimiliert, ob aber eine ganz normale Entwicklung der 
Pflanzen allein mit Hilfe derselben möglich ist, erscheint noch fraglich. (Diese 
Sätze werden durch Vorlage von Zahlen und Beweispflanzen erläutert, welche 
Missverständnisse, die aus den kurzen Sätzen entstehen könnten, vermeiden, 
leider aber des geringen gebotenen Raumes wegen nicht hier Platz finden 
können.) — Korref. Herr Franck gibt eine historische Entwicklung der bis- 
her vorhandenen Resultate bezüglich der Stickstoffaufnahme der Pflanzen. — 
Herr E. von Wolff bestätigt unter Mitteilung eigner Versuche im wesent- 
lichen an Hafer, Sanderbsen, Rotklee, Ackerbohnen und Kartoffeln die von 
Hellriegel gefundenen Resultate. 





Biedert, Eiweißkörper der Menschen- und Kuhmilch. 701 


Sektion für Pädiatrie. 


2. Sitzung. Herr Biedert (Hagenau): Mitteilungen über die Eiweiß- 
körper der Menschen- und Kuhmilch (insbesondere nach von Dr. Schrö- 
ter am Hagenauer Bürgerspital angestellten Untersuchungen). Durch einen von 
Hoppe-Seyler begonnenen Streit über Fällung der Menschenmilch durch 
Magnesiumsulphat angeregt, haben die Untersuchungen Ergebnisse von wei- 
terem Interesse gehabt, weshalb sie mitgeteilt werden. Redner weist die be- 
deutenden Unterschiede in dem Verhalten von Menschen- und Kuhmilch ein- 
gehend nach. Speziell bilde sich damit nur höchst geringe Ausscheidung ge- 
wisser Stoffe Nr. I, nachher noch Nr II = Paraglobulin (mit Essigsäure), 
Nr. IT = Laktalbumin durch Kochen, Nr. IV = vielleicht Pepton (mit Tannin). 
Bei einer quantitativen Bestimmung der einzelnen Stoffe stellt sich die Unbrauch- 
barkeit des von Tolmatscheff angegebenen Verfahrens heraus. Als wich- 
tiger Befund aber ergibt sich, dass in der Menschenmilch die durch Magnesium- 
sulphat nicht fällbaren Stoffe Nr. II, III und IV merklich erheblicher sind, als 
in der Kuhmilch, und ebenso die durch Magnesia fällbaren Stoffe Nr. I über- 
treffen, während umgekehrt in der Kuhmilch Nr. I sogar das Fünffache von 
Nr. I, II und IV zusammen beträgt. Unter allen Umständen zeigt demnach 
diese außerordentliche Verschiedenheit des Mengenverhältnisses der einzelnen 
Stoffe in der Menschen- und Kuhmilch eine wesentliche Verschiedenheit des 
Gesamteiweißkörpers beider Milcharten an. Dies ist der wesentliche, von 
Biedert schon lange als Grund der verschiedenen Verdaulichkeit beider 
Milcharten nachgewiesene Pnnkt, der sich auch bei allen frühern Autoren mit 
ununterbrochener Regelmäßigkeit ergeben. Dogiel hat versäumt, die Mengen- 
verhältnisse des von ihm mit Säure gewonnenen Körpers zu untersuchen; dass 
aber durch Säurebehandlung das Menscheneiweiß dem der Kuhmilch sehr ähn- 
lich wird, hat Biedert früher schon gefunden. Die Anschauung Dogiel’s, 
dass es nur auf den Salzgehalt ankomme, wird durch sein eignes Ergebnis 
widerlegt, dass nach entsprechender Salzausgleichung in der Menschenmilch 
zwar gröbere Koagulationen entstehen, aber doch nur die bei erhöhter Tem- 
peraturfüllung möglich ist, nach E. Pfeiffer, wie in der unversetzten Menschen- 
milch. Ausgezeichnet wird die unbedingte Verschiedenheit des Menschen- und 
Kuhmilcheiweißes erwiesen durch die beträchtlich verschiedenen Resultate der 
Verdauungsversuche Dogiel’s zu ungunsten der letzten. Aus allen von 
1869—1885 gleichlautenden Untersuchungsresultaten geht demnach die Zweifel- 
losigkeit des von Biedert aufgestellten Satzes über die Verschiedenheit von 
Menschen- und Kuhmilch-Eiweiß hervor. — Herr Pfeiffer (Wiesbaden): Die 
Fällung durch Magnesia sulfuriea ist für die praktische Analyse nicht zu ver- 
wenden, da sie zu unsicher ist. Praktisch ist es am besten, die Ritthausen’- 
sche Methode anzuwenden. — Herr Soltmann (Breslau) kann Pfeiffer’s 
Untersuchungen vollauf bestätigen. Das B-Kasein der Kuhmilch, identisch 
mit dem Muttermilchalbumin, ist kein Albumin, wie man leicht beweisen kann. 
Aber die Darstellung des B-Kaseins kann vielleicht auch auf mechanischem 
Wege hergestellt werden aus Kuhmilch und diese dann leichter verdaulich 
machen. Inbezug auf die Gerinnbarkeit wenigstens wissen wir, dass Kochen 
inSoltmann’s Apparat das Kasein wesentlich leichtflockiger und dünnflockiger 
gerinnen macht und damit auch verdaulicher. S. fragt, ob darüber Erfahrungen 
vorliegen. — Herr Biedert (Hagenau) bestätigt noch aufgrund der mit- 


702 Biedert, Eiweißkörper der Menschen- und Kuhmilch. 


geteilten Untersuchungen, dass Albumin nieht oder höchst geringfügig in der 
Milch nachweisbar ist, insbesondere in der Kulhmilch. Herrn Soltmann 
gegenüber weist er auf eigne und andere Versuche hin, welche die Schwer- 
verdaulichkeit auch der feinkoagulierten Kuhmilch beweisen. (Eine wirklich 
wirksame Feingerinnung wird nur durch die Untermischung von feinemulgiertem 
Fett des Rahmes erreicht.) — Herr Happe (Hamburg): Das halbstündliche 
Kochen der Kuhmileh macht dieselbe verdaulicher; dabei muss die Wasser- 
menge berechnet werden, die verkocht wird und zur Verdünnung notwendig 
ist. Dann muss man von demselben Quantum Milch, welches täglich verbraucht 
wird, ebenso viel Milch dazu abrahmen, um eine leicht verdauliche Milch zu 
bekommen. — Herr Thomas (Freiburg i. B.) macht auf die Soxhlet’schen 
Mitteilungen aufmerksam, die darin gipfeln, dass Kuhmilch stets stark ver- 
unreinigt, Muttermilch rein in den Magen des Kindes kommt. Der Wert des 
Kochens beruht auf der Zerstörung der Keime, wenigstens eines größern Teiles 
der Keime. — Herr Biedert: Die Soxhlet’sche Annahme von der alleinigen 
Bedeutung der Pilzverunreinigung der Milch ist schon einmal dagewesen bei 
Hessling u. a. und abgethan worden. Auch trinken am Euter von Ziegen, 
deren Milch auf die Kuhmilch herauskommt (nicht Eselinnen), ist trotz dieser 
Analogie mit der Brusternährung missglückt. — Herr Raudnitz (Prag) ver- 
tritt die Anschauungen Soxhlet’s. — Herr Heubner (Leipzig): Ich möchte 
doch davor warnen, ein allzu großes Gewicht auf die sogenannte Gerinnbarkeit 
in großen Flocken als Ursache der schlechten Verdaulichkeit der Kuhmilch 
anzusehen. Die allervornehmlichste Ursache der so sehr mangelhaften Verdau- 
lichkeit beruht doch wohl auf der Verunreinigung der Kuhmilch durch die 
vielen Manipulationen, die mit ihr vorgenommen werden, nachdem sie das Euter 
verlassen. Der Hauptnutzen der sogenannten Trockenfütterungsmilch in den 
großen Städten scheint mir der zu sein, dass die Milch, ohne umgeschüttet zu 
werden, in das für das Kind bestimmte Kochgefäß kommt. Die grobe Koagu- 
lation der Milch kommt auch bei Ernährung mit Muttermilch vor, wie man an 
den Entleerungen konstatieren kann. Trotzdem gedeihen solche Kinder ge- 
wöhnlich ganz gut. — Herr Bernheim (Würzburg): Die hier debattierte 
Frage: „Worin liegt die Ueberlegenheit der natürlichen Ernährung gegenüber 
der künstlichen?“ ist nach Soxhlet’s schönen Arbeiten vielmehr so zu fassen: 
„Würde die Frauenmilch der Kuhmilch gegenüber diese Ueberlegenheit zeigen, 
wenn sie unter denselben Infektionsbedingungen wie die Kuhmilch in den 
Handel käme?“. Dies ist zu verneinen. — Als sprechendes Beispiel für das 
Unwichtige des stofflichen Unterschiedes diene als allbekanntes Beispiel aus 
der landwirtschaftlichen Praxis: Kälber, welche künstlich mit Kuhmilch auf- 
gezogen werden, erkranken grade so häufig an gefährlichen Diarrhöen wie 
Kinder, welche künstlich genährt werden. Die beste Therapie dagegen ist das 
Anlegen an das Euter, grade wie bei Kindern das Anlegen an die Brust. — 
Herr Henoch (Berlin) macht auf die Fälle von gemischter Ernährung auf- 
merksam, in denen gar keine Dyspepsie eintritt, eine Thatsache, welche auch 
gegen die große Bedeutung der chemischen Unterschiede spricht. — Herr 
Thomas erinnert an die Pariser Beobachtungen bei hereditär-syphilitischen 
Kindern, welche ja sonst bei der gewöhnlichen künstlichen Ernährung sehr 
große Mortalität aufweisen, aber gedeihen, wenn sie direkt an die Euter von 
Kaschmirziegen (Zuruf: Eselinnen!) regelmäßig angelegt wurden. — Herr Dorn- 
blüth (Rostock) hat beobachtet, dass ein Kind, welches gewöhnlich gekochte 
Milch nicht vertrug, pasteurisierte gut verdaute und dabei gedieh, und dass 
Wechsel in dieser Behandlung der Milch wiederholt die gleichen Folgen hatte. — 





Krause, Veränderungen der Nerven und des Rückenmarks. 703 


Herr Biedert (Hagenau): Sämtliche Reden von Herrn Heubner ab, die für 
Erhitzung der Milch gegen mich zu sprechen glauben, sprechen nach falscher 
Richtung. Ich habe mich heute programmmäßig auf die chemische Seite be- 
schränkt. Niemand in Deutschland schätzt höher das Intakthalten der Kuh- 
milch. Aber auch wo dies tadellos geschieht, machen sich praktisch die Unter- 
schiede von der Muttermilch geltend. Nicht Zersetzung oder chemische Ver- 
schiedenheit beeinträchtigen die Kuhmilch, sondern Zersetzung und chemische 
Verschiedenheit. 


Sektion für Otiatrie. 


1. Sitzung. Herr Jos. Gruber (Wien): Zur Anatomie des Hör- 
organs. Redner bespricht die anatomischen Verhältnisse in der Gegend des 
runden Fensters der Schnecke. Er weist nach, dass die bisherigen Anschau- 
ungen, wonach der Labyrinthraum am mazerierten Schläfenbeine mit der 
Trommelhöhle einzig und allein durch das runde Fenster kommuniziere, un- 
richtig ist. Es zeigt sich nämlich, dass auch der Vorhof und die obere Treppe 
der Schnecke durch einen am Boden der Trommelhöhle befindlichen Spalt auf 
dem Wege der Nische des runden Fensters mit der Trommelhöhle kommuni- 
ziere. Im frischen Zustande wird dieser Spalt durch den Anfangsteil des 
Duetus cochlearis, welcher nach unten von der Auskleidungsmembran der 
Nische des runden Fensters überzogen ist, ausgefüllt. Eine schwache Schweins- 
borste kann im Normalen mit größter Leichtigkeit von der Nische des runden 
Fensters aus in den Vorsaal geführt werden, wo man sie dann nach Wegnahme 
des Steigbügels wiederfindet. Gruber weist auf die Wichtigkeit dieser Ver- 
hältnisse, welche an getrockneten und frischen Präparaten demonstriert werden, 
in physiologischer, pathologischer und therapeutischer Beziehung hin und be- 
tont ganz besonders, dass man in klinischer Beziehung der Nische des runden 
Fensters die größte Aufmerksamkeit zuwenden möge. 


Sektion für Chirurgie. 


1. Sitzung. Herr F. Krause (Halle): Ueber Veränderungen der 
Nerven und des Rückenmarks nach Amputationen. Nach Ampu- 
tationen atrophieren nur sensible Nervenfasern in den Nerven der Stumpfe. 
Die Atrophie besteht darin, dass das Mark seine normalen Beschaffenheiten 
und Reaktionen verliert und erheblich im Durchmesser verringert wird. Auch 
der Axenzylinder atrophiert, bleibt aber selbst nach 10 Jahren noch nachzu- 
weisen. Diese qualitative Veränderung geht bis zum Spinalganglion, oberhalb 
desselben ist nur eine quantitative Veränderung vorhanden und zwar eine Ver- 
schmälerung der Hinterstränge (nach Amputation einer Unterextremität im 
Lenden- und Brustmark, nach Armamputation im Halsmark). Ferner nehmen 
die Ganglienzellen in den Clarke’schen Säulen nach Beinamputationen an 
Zahl ab, ebenso die Ganglienzellen in der hintern lateralen Gruppe des Vorder- 
horns der Lendenanschwellung. Nach Armamputation ist die Verschmälerung 
des Hinterstrangs im ganzen Halsmarke sehr deutlich. 


704 Zuntz, Alkohol und Stoffwechsel. 


Physiologische Gesellschaft zu Berlin. 
Sitzung vom 10. Dez. 1886. 


Herr N. Zuntz hält den angekündigten Vortrag: Ueber die Einwir- 
kung des Alkohols auf den Stoffwechsel des Menschen (nach 
Versuchen mit Dr. Berdez aus Lausanne). Der Widerspruch, welchen Bod- 
länder (Zeitschrift f. klin. Medizin, XI, H. 5—6) gegen die von Wolfers im 
Laboratorium des Referenten gefundene Steigerung des O-Verbrauches nach 
Alkoholzufuhr erhoben hat, gab Anlass zu einer neuen Untersuchung der Frage. 
Es sollten die frühern Tierversuche ergänzt und kontroliert werden durch 
Versuche am Menschen. Das Arrangement der letztern basierte auf einem 
vom Vortragenden im Verein mit Herrn Dr. Geppert ausgearbeiteten Ver- 
fahren. Das Volum der Luft, welche der durch ein Mundstück und passende 
Ventile atmende Experimentator exspiriert, ward durch eine Gasuhr gemessen 
und ihr Gehalt an Sauerstoff und Kohlensäure durch genaue Analyse einer 
Durchschnittsprobe festgestellt. Es wurde sorgfältig darauf geachtet, dass 
während des Versuchs keine Muskelthätigkeit stattfinde. Das Ergebnis war 
im Einklang mit den Befunden von Wolfers eine Zunahme des Volums der 
Atemluft um 9°/,, des Sauerstoffverbrauchs und der Kohlensäure-Ausscheidung 
um 3,5%, unter der Einwirkung von 20—30 cc Alkohol. Diese Steigerung dürfte 
geringer sein, als die, welche man nach Aufnahme einer größern Menge fester 
Nahrung beobachtet (vgl. Henrijean, Bullet. de l’Acad. belg., 1883), so dass 
sie nur bei Vergleich der Respiration nach Alkoholzufuhr mit der im nüch- 
ternen Zustande bemerkbar wird, während der Alkoholisierte, verglichen mit 
dem Zustande der Verdauung nach Aufnahme einer reichlichen Mahlzeit, viel- 
leicht geringern Sauerstoffverbrauch zeigt. 





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Anthropologie 


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Biologisches Gentralblatt 


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Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 


Prof. der Physiologie in Erlangen. 





24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 
VL Band. Nr. 23. 








hnehruar 1asd 








Inhalt: Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. — Imhof, Poren an 
Diatomaceenschalen und Austreten des Protoplasmas an die Oberfläche. — 
Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in nicht geschlossener oder geschlossener 
Strombahn? — Brieger, Untersuchungen über Ptomaine (Fortsetzung). — 
Aus den Verhandlungen gelehrter %esellschaften: 59. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin. 





Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 
Von Wilhelm Haacke in Adelaide. 


In nieht allzu ferner Zeit gedenke ich unter dem Titel „Biöko- 
graphie, Museenpflege und Kolonialtierkunde“* ein Werkchen heraus- 
zugeben, welches drei Zwecke verfolgt. Es will erstens auf die hohe 
Bedeutung der Biökographie oder der Wissenschaft von den Wechsel- 
beziehungen der Tiere zu Tieren, der Pflanzen zu Pflanzen, der Tiere 
zu Pflanzen und der Organismen zu Anorganen hinweisen, eine Wis- 
senschaft, welche noch ziemlich unangebaut daliegt; es will zu zeigen 
versuchen, von welcher hohen Bedeutung diese Disziplin nicht nur 
für die Gesamtwissenschaft, sondern auch für Staatsbürgererziehung 
und Pädagogik ist. Zweitens aber will mein Werkchen darauf hin- 
weisen, dass die Biökographie zweckmäßigerweise besonders durch 
die naturkundlichen Museen zu pflegen ist, wie denn überhaupt die 
Aufgaben der Museen, ihre zweckentsprechende Einrichtung und die 
Organisation des Museumwesens in Verbindung mit Reformvorschlägen 
besprochen werden sollen. Endlich will ich die Notwendigkeit her- 
vorheben, dass die von Deutschland, England und Frankreich neuer- 
dings erworbenen jungfräulichen Länder von vornherein einem sorg- 
fältig ausgearbeiteten Erforschungsplane entsprechend aufzuschließen 
sind für alle Wissenschaften und nach jeder Richtung hin. Wie dies 
insbesondere für die Zoologie, eine Wissenschaft, die von ihr fern 
Stehenden nur zu leicht unberücksichtigt gelassen wird, zu geschehen 
hat, werde ich einer speziellen Besprechung unterziehen. 

VI. 45 


706 Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 


Zum Zwecke der Begriffsbestimmung und Gebietsabgrenzung der 
Biökographie erschien es mir notwendig, das Verhältnis der Biologie 
zu andern Wissenschaften und ihrer Teile zu einander zu erörtern, 
eine Aufgabe, welche mir überhaupt eines erneuten Lösungsversuches 
zu bedürfen scheint. Ich bin dabei zu einigen unvorhergesehenen 
Resultaten gekommen, die mir auch für weitere Kreise einiges Interesse 
darzubieten scheinen. Deshalb glaube ich im Biologischen Central- 
blatte die Veröffentlichung der folgenden Blätter, die ursprünglich 
die Einleitung zu meiner geplanten Abhandlung über Biökographie 
bilden sollten, mir jetzt aber für diesen Zweck einer Umarbeitung zu 
bedürfen scheinen, wagen zu dürfen. Ich habe nur die unerläss- 
liehsten Aenderungen vorgenommen; eine Reihe von Fragen, die sich 
dem Leser vielleicht aufdrängen werden, wird er später in meinem 
Werkchen selbst beantwortet finden. 


Die Biökographie ist ein Teil der Biographie. Diese Wissen- 
schaft kann sowohl als ein Zweig der Biologie wie der Geographie 
betrachtet werden. Mit Biologie bezeichnen wir die Gesamtwissen- 
schaft von den Lebewesen, den Pflanzen und Tieren; wollen wir aber 
den Gegenstand der Geographie mit wenigen Worten angeben, so 
befinden wir uns sofort in beträchtlicher Verlegenheit. Das Gleiche 
widerfährt uns, wenn wir die Biökographie einem der gegenwärtig 
gewöhnlich unterschiedenen beiden Hauptzweige der Biologie zuweisen 
wollen. Wir wissen nicht von vornherein, ob wir sie als Teil der 
Morphologie, der Wissenschaft von den Gestaltungsverhältnissen der 
Organismen, oder der Physiologie, der Wissenschaft von ihren 
Lebensthätigkeiten, zuweisen sollen. Vielleicht möchten beide die 
Biökographie mit Beschlag belegen, vielleicht auch will keine mit ihr 
etwas zu thun haben. Inbezug auf Unsicherheit ihrer Zugehörigkeit 
hat aber die Biökographie eine Schicksalsgenossin an der Ontogenie, 
der Wissenschaft von den Gestaltungen, welche der sich entwiekelnde 
Tier- und Pflanzenkörper vom Ei bis zur Reife durchläuft. In dieser 
Wissenschaft haben die Morphologen bis jetzt die Hauptarbeit ge- 
than, wofür ihnen von einigen Physiologen dadurch gedankt wird, 
dass man ihnen Imkompetenz vorwirft. Da sich auch mit der Biöko- 
graphie besonders die Morphologen beschäftigt haben, so wird der- 
selbe Vorwurf vielleicht noch einmal wiederholt werden. Und wie 
stellt sich zu unserer Wissenschaft die Geographie, von der viele 
nicht wissen, ob sie zur Geologie oder zur „Weltgeschichte“ gehört, 
und die es außerdem noch mit Astrographie, Hydrographie und Aero- 
graphie, wie Botanik, Zoologie und Anthropologie zu thun hat? 

Neuere Versuche, das Verhältnis der Morphologie zur Physiologie 
und beider zur Ontogenie festzustellen, haben zu keinem befriedigen- 
den Ergebnisse geführt. Es befinden sich diese Wissenschaften immer 
noch in einem unerquicklichen Zustande ungenügender gegenseitiger 





Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 707 


Abgrenzung, und dasselbe gilt von der Geographie, deren Gebiet von 
einer Reihe anderer Wissenschaften für sich in Anspruch genommen 
wird. Haben auch die berufenen Vertreter der Geographie ihre Auf- 
gabe voll und ganz erkannt, so ist es doch, wie mir scheint, noch 
keinem gelungen, eine bündige Begriffsbestimmung seiner Wissenschaft 
zu liefern. Fragen wir endlich, was Physik und Chemie über unsere 
und andere Wissenschaften zu sagen haben, so müssen wir uns 
vielleicht auf ein mitleidiges Achselzucken gefasst machen. Nicht 
alle Wissenschaften können, wie Chemie und Physik, mit Maß und 
Zahl arbeiten, und viele Vertreter der letztern wollen nur ihre Methode 
als wissenschaftlich gelten lassen. Wollen wir also unsern Bestre- 
bungen zugunsten der Biökographie Berücksichtigung erkämpfen, 
so müssen wir nachweisen, dass sie ein integrierender Zweig einer 
allumfassenden Weltkunde ist. Wir dürfen, wollen wir zur Klarheit 
gelangen, den Versuch nicht scheuen, das ganze Gebiet menschlicher 
Wissenschaft mit einem Blicke zu umfassen. Zu diesem Zwecke hat 
sich mir ein neuer Weg empfohlen: ich will zunächst eine Reihe von 
Wissenschaften mit einer umfassenden Maschinenkunde vergleichen. 
Um eine spezielle Maschine, etwa eine Lokomotive, vollständig 
zu verstehen, müssen wir zuvörderst ihre Bewegungen durch die Ge- 
setze der Physik und Chemie zu erklären suchen. Sind uns die in 
betracht kommenden Gesetze unbekannt, so haben wir zunächst da- 
nach zu streben, sie uns zu eigen zu machen. Aber wenn uns dieses 
auch vollständig gelungen ist, so fehlt uns noch fast alles zum voll- 
ständigen Verständnisse unserer Maschine. Die Gesetze der physi- 
kalisch- chemischen Mechanik gelten für alle Maschinen. Unsere Ma- 
schine ist aber vielleicht von allen andern verschieden. Es gilt daher, 
ihren Bau zu erkunden, ihre einzelnen Teile und die Gruppierung 
derselben kennen zu lernen. Indess, wie der Stab nur dann ein 
Hebel ist, wenn durch ihn eine Kraft auf eine Last einwirkt, so 
existiert die Maschine nur dann, wenn sie Arbeit leistet, wenn sie 
sich bewegt. Bei der Bewegung verschieben sich aber die einzelnen 
Teile der Maschine gegen einander, sie durchlaufen eine zusammen- 
hängende Reihe von verschiedenen Gruppierungsmodifikationen, deren 
letzte von einer der ersten gleichen gefolgt wird. Wir fordern den 
Nachweis, dass jedes Glied dieser Reihe durch das vorhergehende 
bedingt ist und das nachfolgende bedingt. Erst wenn dieser Nach- 
weis erbracht ist, ist uns die Maschine kein Fremdling mehr. Wenn 
wir aber auch danach forschen müssen, welche Naturgesetze bei 
unserer Maschine in betracht kommen, so bleibt sie uns doch unver- 
ständlich, so lange wir nieht die immer wiederkehrende Reihe von 
Bewegungskomplexen kennen, welche die Maschine uns vorführt. 
Wir wollen eben die vor uns stehende Maschine, nicht nur die Gesetze 
der Physik und Chemie kennen lernen, und so dankbar wir dem 
Lehrer auch sind, der uns die letztern kennen lehrt, so darf doch 
45* 


08 Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 


darum unsere Dankbarkeit gegen den Mann, der uns einen Einblick 
in das verwickelte Getriebe der Maschine gestattet, keine geringere 
sein; nötig haben wir beide, oder vielmehr einerseits eine Maschinen- 
gesetzeskunde, die auf alle Maschinen ihre Anwendung findet, ander- 
seits eine Maschinenbeschreibung, die für jede Art von Maschinen 
eine andere ist. Mit andern Worten, wir müssen eine generelle und 
eine spezielle Maschinenkunde unterscheiden. Physiker und Chemiker 
können nur die erstere, Maschinenkundige müssen nur die letztere 
liefern. Aber während jene nicht verschieden von der Physik und 
Chemie überhaupt sein kann, da uns, wollen wir nicht häufig in Ver- 
legenheit geraten, eine vollständige Kenntnis der elementaren Natur- 
gesetze nötig ist, so darf diese uns nicht bloß Augenblicksbilder der 
verschiedenen Maschinen liefern, vielmehr muss uns eine erschöpfende 
Maschinenbeschreibung sämtliche Phasen eines jeden Bewegungs- 
systems, das wir Maschine nennen, vor Augen führen und in Kausal- 
nexus bringen. 

Mit der Kenntnis der Naturgesetze und einer Beschreibung der 
fertigen Maschinen ist es aber noch nicht genug. Wir wollen wissen, 
wie die Maschine hergestellt wird. Zu diesem Zwecke begeben wir 
uns in die Werkstätten der Maschinenbauer und betrachten die Reihen 
von Umformungen, welche das Rohmaterial zu durchlaufen hat, bevor 
es sich zur Maschine zusammenfügt. Wir gewinnen eine Beschreibung 
des verwickelten Ganges dieser Prozesse und ziehen Chemie und 
Physik zur Erklärung heran. 

Haben wir so das Werden der Maschinen aus dem Rohstoffe 
verfolgt, wie wir früher das Werden der einen Bewegungsphase der 
Maschine aus der vorhergehenden verfolgten, haben wir in allen 
beobachteten Prozessen das Naturgesetz erkannt, so könnte unsere 
Aufgabe damit als beendet erscheinen. Gleichwohl ist sie es nicht. 

Wohl wissen wir, wie eine Maschine entsteht und arbeitet; wollen 
wir aber die hohe Vollendung verstehen, zu der viele Maschinen ge- 
langt sind, so müssen wir an der Hand der Geschichte die vollen- 
deten Maschinen unserer Tage mit ihren weniger vollendeten Vor- 
läufern und den primitiven Erstlingsversuchen der Maschinenbauer 
vergleichen. Keine noch so sorgfältige Beschreibung der heutigen 
Maschinen, keine noch so tief gehende Kenntnis der Mechanik lehrt 
uns die Maschinen ganz verstehen, die historische Forschung muss 
hinzukommen. Auf Grundlage der Kulturgeschichte lernen wir erst 


verstehen, warum heute solche und keine andern Maschinen — denn 
die Zahl der denkbaren Maschinen ist ja unendlich — gebaut 
werden. 


Eine umfassende Maschinenkunde hat also zu der Kenntnis von 
den Gesetzen und der eingehenden Beschreibung der Maschinen und 
ihrer Herstellung noch eine Geschichte des Maschinenwesens hinzu- 
zufügen. 





Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 709 


Vergleichen wir jetzt mit einer solchen Maschinenkunde zunächst 
die Biologie. Der Organismus des Tieres oder der Pflanze ist mit 
einer Maschine vergleichbar. Wie bei der Maschine, so suchen wir 
auch beim Organismus alle Erscheinungen auf physikalische und 
chemische Gesetze zurückzuführen. Wie die an der Maschine sich 
offenbarenden Gesetze ein Gegenstand der Chemie und Physik sind, 
so sind es nicht minder die Gesetze, welche den Organismus be- 
herrschen. Einer Maschinengesetzeskunde können wir also eine Lehre 
von den Gesetzen, auf die sich alle Erscheinungen zurückführen lassen, 
gegenüberstellen. Diese Lehre, die wir Bionomie nennen wollen, 
ist aber nur eine physikalisch -chemische Disziplin. 

Der Maschinenbeschreibung steht die Beschreibung der Organismen 
gegenüber. Der Organismus bietet, wie die Maschine, eine Reihe von 
periodischen Bewegungserscheinungen dar, und eine erschöpfende Be- 
schreibung hat die ganze Reihe zu berücksichtigen und ihre einzelnen 
Phasen kausal mit einander zu verknüpfen. Freilich ist die Ent- 
wicklungsgeschichte des Organismus gar sehr von derjenigen der 
Maschine verschieden, nicht wesentlich aber für unsern Vergleich. 
Besitzen wir eine erschöpfende Kenntnis vom Baumateriale des Or- 
ganismus und eine nicht minder genügende der in betracht kommen- 
den Umstände und physikalisch-chemischen Gesetze, so können wir 
uns die Entwicklung des Organismus aus dem Ei und die Bildung 
dieses letztern durch den Elternorganismus durchaus ebenso befrie- 
digend erklären, wie wir uns die Fabrikation der Maschine aus dem 
Rohmaterial erklären können. Der Umstand, dass wir heute noch 
nicht dazu im stande sind, ändert nichts an der Stichhaltigkeit unseres 
Vergleiches. In der That gehört die Entwicklung des Organismus 
zu den an den Organismen beobachteten periodischen Bewegungs- 
erscheinungen; sie ist ein Gegenstand der Organismenbeschreibung, 
der Biographie. 

Aber die sorgfältigste Beschreibung sämtlicher am Organismus 
verlaufenden Bewegungserscheinungen und die genaueste Bekannt- 
schaft mit den zur Erklärung heranzuziehenden physikalischen und 
chemischen Gesetzen vermag uns keine Antwort zu geben auf die 
Frage, warum wir auf unserem Planeten in der Gegenwart hier diese, 
dort jene, aber eben solehe und keine andern Organismen finden. 
Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir die lebenden Tier- und 
Pflanzenarten mit den ausgestorbenen, die gegenwärtige Verbreitung 
der Organismen mit der frühern vergleichen und überhaupt die ganze 
Erdgeschichte in betracht ziehen. So erst entsteht eine Geschichte 
des Organismenreiches, eine Biogenie. 

Die hier vorgeschlagene Einteilung der Biologie in Bionomie, 
Biographie und Biogenie ist neu; durch einen Vergleich mit den 
ältern werde ich sie zu rechtfertigen suchen. 

Nach bisherigem Gebrauche teilte man die Biologie ein in Mor- 


710 Haacke, Biologie, Kesamtwissenschaft und Geographie. 


phologie und Physiologie, in die Wissenschaft von den Formen und 
in die Wissenschaft von den Lebensthätigkeiten der Organismen. 
Man bezeichnete die Morphologie als Statik, die Physiologie als Dy- 
namik der Organismen. Erstere, sagte man, habe es mit den Gleich- 
gewichtszuständen, letztere mit den Bewegungszuständen im Orga- 
nismenreiche zu thun. Aber beide Wissenschaften wollten die am 
Lebewesen beobachteten Erscheinungen auf physikalische und che- 
mische Gesetze zurückführen. 

Dieser Einteilung der Biologie in Statik und Dynamik hat nun 
aber von jeher der Umstand Schwierigkeiten in den Weg gelegt, 
dass der Organismus sich entwickelt. Die Entwieklung des Tieres 
oder der Pflanze führt uns ganz ebenso wie die Organthätigkeit eine 
Reihe verschiedener Zustände des Organismus vor Augen, macht uns 
mit Bewegungsprozessen bekannt. Danach also würde sie Gegenstand 
der Physiologie sein. Nun hat sich aber sehr bald fast ausschließlich 
die Morphologie der Entwicklungsgeschichte angenommen und be- 
hauptet, dass die Entwicklung der Formen von ihr erforscht werden 
müsse, während allerdings die Entwicklung der Funktionen der Or- 
gane von der Physiologie zu studieren sei. Man hat aber hierbei 
vergessen, dass die Funktionen der Organe durchaus an ihre Form 
gebunden sind, und dass eine Entwicklungsgeschichte der Formen 
notwendigerweise die zeitliche Reihenfolge der Funktionen ergibt. 
Die Funktionen können nicht unabhängig von den Formen bestehen; 
kein Muskel kann sich znsammenziehen, kein Auge kann Licht, kein 
Ohr Schall empfinden, wenn ihre Struktur nicht eine ganz bestimmte 
ist; eine Aenderung der Funktion eines Organs ist in allen Fällen 
durch die Aenderung seiner Form bedingt. Es kann aber ebenso 
wenig von einer Entwicklung der Funktionen die Rede sein wie 
etwa von einer Entwicklung der Gravitation, der Elektrizität, der 
chemischen Wahlverwandtschaft. Wohl kann und soll die Physio- 
logie den Stoffwechsel, die Muskel-, Nerven- und Sinnesthätigkeit 
des unentwickelten Organismus zum Gegenstande ihrer Forschungen 
machen, aber eine Entwicklung der Funktionen existiert für sie ebenso 
wenig wie für irgend eine andere Wissenschaft. 

Demnach wäre aber in der That die Entwiecklungsgeschichte ein 
Teil der Formenwissenschaft, der Morphologie. Gewiss kann es sich 
einzig und allein nur um die Entwicklung der Form handeln; aber 
die Entwicklung führt uns die organische Materie nicht im Zustarde 
des Gleichgewichtes, sondern in steter Bewegung vor Augen, sie ist 
also nicht Gegenstand der Statik, sondern vielmehr ein Objekt der 
Dynamik der Organismen und muss also doch vor das Forum der 
Physiologie verwiesen werden. Auf welche Art wir uns dieser Ver- 
legenheit auch zu entledigen suchen, es wird uns nie gelingen, so 
lange wir an der bisherigen Einteilung der Biologie in Morphologie 
und Physiologie, in Statik und Dynamik festhalten. 





Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. all 


Bei allen Untersuchungen über Organismen, die darauf hinaus- 
gehen, im Lebensprozesse die physikalischen und chemischen Gesetze 
der anorganischen Natur wiederzuerkennen, kommt die Statik ebenso 
häufig in betracht wie die Dynamik. Bei dem Studium der Funktion 
der Knochen und Muskeln, des Nervensystems und der Sinnesorgane, 
des Darmsystems und der Kreislaufsorgane stoßen wir ebenso oft 
auf Gleiehgewichts- wie auf Bewegungszustände; nicht minder auch 
bei der Entwicklung des Embryos und beim Inhalt der Zelle. Die 
Statik ist ja nur ein Teil der Mechanik, das Gleichgewicht nur ein 
spezieller Fall unter allen jenen Fällen, wo Kräfte aufeinander ein- 
wirken, und wo es sich um die Erforschung von Naturgesetzen han- 
delt. Statik und Dynamik sind also zusammengehörige und unzer- 
trennliche Teile der Mechanik, in der Biologie nicht minder wie in 
der Maschinenlehre, in der Hydraulik, in der Pneumatik. Deshalb 
wollen wir eine Mechanik der Lebenserscheinungen, die Bionomie, 
unterscheiden, die ebenso sehr die Gesetze des Gleichgewichtes wie 
jene der Bewegung ins Auge zu fassen hat. Sie soll die im Orga- 
nismenreiche beobachteten Vorgänge als physikalische und chemische 
nachweisen. 

Doch wir wissen schon, dass die Bionomie allein uns nicht ge- 
nügen kann. Die Gesetze, welche sie uns kennen lehrt, sind die- 
selben für alle Organismen. Wir aber wollen mit jeder einzelnen 
Organismenart bekannt sein, wir wollen bei jeder jeden unterscheid- 
baren Sonderzustand kennen lernen und mit andern Zuständen sowie 
mit den jeweiligen Zuständen der umgebenden Natur kausal verknüpft 
sehen. Diese Aufgabe fällt der Biographie zu, die also nicht sowohl 
ihr gutdünkende Momentanzustände herauszugreifen und zu fixieren, 
als vielmehr sämtliche Bilder, welche uns das Organismenreich un- 
serer Erde im Wechsel der Jahreszeiten darbietet, uns vor Augen zu 
führen und durch den Nachweis zu erklären hat, dass jedes derselben 
im Verein mit der übrigen Natur das nachfolgende bedingt, durch 
das vorhergehende bedingt wird. Die Biographie soll uns klar 
machen, dass sämtliche auf unserer Erde verlaufenden Lebensprozesse 
Glieder periodisch sich ändernder Reihen sind, dass die einzelnen 
Perioden jeder Reihe einander gleichen, und dass, wenn man alle 
verschiedenen Reihen sich der Länge nach aneinander gelegt denkt, 
man gleichwohl ein Bündel erhält, dessen Querschnitte periodisch 
wiederkehrende Konfigurationen sind, alle miteinander ursächlich 
verbunden. 

Die Biographie fasst also, wie die Bionomie, Aufgaben zusammen, 
welche man früher teils der Morphologie, teils der Physiologie zu- 
wies. Sie ist wohl eine beschreibende, aber ebenso sehr eine er- 
klärende Disziplin, sie beschreibt und erklärt die periodischen Er- 
scheinungen des Lebens. 

Indess der Organismus ist ebenso wenig unveränderlich wie die 


742 Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 


mw 


Erde. Keine Periode der Erde ist der darauffolgenden oder der 
vorhergehenden absolut gleich. Da aber die Unterschiede bei nahe 
gelegenen Perioden kaum merklich sind, so hat die Biographie von 
diesen Unterschieden abzusehen; wie die Bionomie die Gesamtheit 
des Lebens auf der Erde als ein Konglomerat von Einzelprozessen 
auffasst, in deren jedem das Naturgesetz zu erkennen ist, so fasst 
die Biographie dieselbe als eine Kette sich gleichbleibender Perioden 
auf; eine Rücksichtnahme auf die kleinen Unterschiede derselben 
würde sie nur verwirren und ist ihrem Wesen fremd. Hier setzt nun 
die Biogenie ein. Sie fasst die Gesamtheit der Lebewesen als sich 
stetig ändernd auf und weist nach, dass das, was ist, noch nicht da 
war, und das, was war, bis jetzt noch nicht wiedergekehrt ist, kurzum, 
dass der jeweilige Gesamtzustand der Organismenwelt in rgend einem 
andern Moment der Erdgeschichte seines gleichen nicht hat. Von der 
Periodizität aller Lebenserscheinungen sieht sie ab; sie hat es mit 
einer Reihe von Erscheinungskomplexen zu thun, die sich stetig 
ändert, so zwar, dass das zweite Glied dieser Reihe mehr als das 
erste dem letzten ähnlich ist, das vorletzte mehr als das letzte dem 
ersten gleicht. Zur Erklärung dieser stetig fortschreitenden Verän- 
derung zieht auch sie alle Umstände in betracht und physikalische 
und chemische, statische und dynamische Gesetze heran. 

Bei unparteiischer Würdigung meiner Einteilung der Biologie 
wird man mir zugestehen müssen, dass sie dem Wesen dieser Wissen- 
schaft besser entspricht als die bisherige Einteilung in Morphologie 
und Physiologie, und dass unter den drei Zweigen, die sie unter- 
scheiden, Kompetenzstreitigkeiten nieht wohl vorkommen können, dass 
alle drei gleich wichtig sind und gleich hoch stehen. 

Indess liegt mir die Absicht fern, an der thatsächlichen Ver- 
teilung des biologischen Arbeitsmateriales rütteln oder sie auch nur 
tadeln zu wollen. Die akademische Unterscheidung z. B. der „Zoo- 
logie“, „Anatomie“ und „Physiologie“ hat sich historisch entwickelt 
und ist aus praktischen Gründen gerechtfertigt. Nur wollte ich zei- 
gen, dass die Inhaber der verschiedenen akademischen Lehrstühle 
keinen Grund haben, sich gegenseitig herabzusetzen. Bei wissen- 
schaftlichen Problemen kommt die theoretisch zu rechtfertigende Un- 
terscheidung der verschiedenen Disziplinen in betracht, nicht die Art 
und Weise, wie Stücke derselben auf verschiedene Lehrstühle verteilt 
sind. Dass aber die theoretische Einteilung eine mehr und mehr 
gesicherte und unanfechtbare werde, muss jeder wünschen, dem der 
Fortschritt der Wissenschaft am Herzen liegt. 

Ich verspreche mir von meiner am Beispiel der Maschinenkunde 
sewonnenen Einteilung der Biologie umsomehr Bestand, als ich glaube 
nachweisen zu können, dass auch Astrologie und Geologie, Stereo- 
logie, Hydrologie und Aerologie sich demselben Einteilungsprinzipe 
fügen. 


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Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 18 


Bei der Anordnung und Bewegung der Gestirne gilt es, zunächst 
die Gesetze aufzufinden, die jene Anordnung erhalten, diese Bewegung 
regeln, die Gesetze, welche das Getriebe der Himmelsmaschine be- 
herrschen, welche dem Licht- und Wärmestrahl seine Bahn weisen, 
nach welchen die Arbeiten in dem chemischen Laboratorium, das 
jede Sonne darstellt, ausgeführt werden. Diese Gesetze sind wie- 
derum keine andern als die, welche uns Physik und Chemie auch 
sonst kennen lehren, und unsere Aufgabe ist es, im Weltenraum nach 
Bestätigung dessen zu suchen, was wir aus unsern Experimenten 
glauben erkannt zu haben. Die Wissenschaft, welcher wir dadurch 
dienen, ist der erste Teil der Astrologie, die Astronomie. 

Die Astrographie dagegen, wie die Biographie, hat es mit 
der Reihe der periodisch wiederkehrenden Erscheinungsgruppen zu 
thun. Indem sie alle Konstellationen einer Periode ursächlich mit 
einander verknüpft, gestattet sie uns einen Einblick in den Kreislauf 
derselben. 

Doch die Bahnen der Gestirne bleiben nicht immer dieselben; 
nicht alle Himmelskörper haben zu allen Zeiten eine gesonderte 
Existenz geführt, nicht alle werden in Zukunft eine solche führen. 
Kometen erscheinen, um nicht wiederzukehren, andere sind als Fremd- 
linge gekommen, um dauernd an unser Sonnensystem gefesselt zu 
werden. Sonnen leuchten auf und erlöschen; kurz, die so zuverlässige 
Periodizität der siderischen Erscheinungen, die beispiellose Pünkt- 
lichkeit der Himmelskörper, die uns als bester Wegweiser auf unserer 
Erde dient, ist keine absolute. Wie das Leben auf der Erde, so ist 
auch die Bewegung der Gestirne einem steten Wechsel unterworfen; 
auch hier, wie überall, gelten Göthe’s Worte: „Was da ist, war noch 
nie; was war, kommt nicht wieder“. Dieser ewige Wechsel ist der 
Gegenstand der Astrogenie, die ihn uns kennen und verstehen 
lehrt. 

Wie am Himmel, so auf der Erde; ist ja doch die Erde nur ein 
Teil des Himmels. Hier wie dort herrschen dieselben Gesetze; freilich 
verborgen in mancherlei Gestalt. Sie uns kennen zu lehren ist die 
Aufgabe der Geonomie. 

Die Periodizität der Himmelserscheinungen verursacht den regel- 
mäßigen Kreislauf, den die Erscheinungen auf der Erde darbieten. 
Diesen Kreislauf bis in seine Einzelheiten kennen und verstehen zu 
lehren fällt der Geographie zu. 

Mit ihr werden wir uns weiter unten noch einen Augenblick auf- 
halten müssen; vorerst wollen wir bemerken, dass wir hier unter 
Geologie die Gesamtwissenschaft von der Erde verstehen, und dass 
das, was man sonst unter Geologie versteht, sich im großen und 
ganzen mit unserer Geogenie deckt. Die Geogenie lehrt uns, dass 
die Erde heute anders ist, als ehedem, dass auch sie eine Entwick- 
lung durchgemacht hat, und dass sie trotz des Neuerwachens der 


714 Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 


Natur im nächsten Frühling seit dem letzten Lenze um ein Jahr 
gealtert sein wird. 

Wie wir in der Astrologie neben der oben gegebenen Einteilung 
auch etwa die in Heliologie, Planetologie und Kometologie vornehmen 
müssen, so ist es zweckmäßig, in der Planetologie der Erde, in der 
Geologie, nieht nur Geonomie, Geographie und Geogenie zu unter- 
scheiden, sondern auch noch Stereologie, Hydrologie, Aero- 
logie und Biologie. Die erstere Einteilung ist durch die Ver- 
schiedenartigkeit der drei möglichen Betrachtungsweisen, die letztere 
durch die Verschiedenartigkeit des Gegenstandes, hier aber des 
Aggregatzustandes, bedingt. Praktische Gründe machen die letztere 
Einteilung ebenso notwendig, wie theoretische die erstere, die ihrer- 
seits wieder auf jede der vier Wissenschaften, die wir nach der Ver- 
schiedenartigkeit des Aggregatzustandes unterscheiden können, An- 
wendung findet. Von der Biologie, die die Erscheinungen des fest- 
schleimigen, quellbaren oder plasmatischen Aggregatzustandes zum 
Objekte hat, ist dieser schon gezeigt worden; weniger leicht ist es, 
den Nachweis auch für Aerologie, Hydrologie und Stereologie zu 
liefern; doch wir werden zu zeigen versuchen, dass es möglich ist. 

Dass es sich in der Aerologie, die die Zusammensetzung der 
Erdatmosphäre und die in ihr stattfindenden Bewegungen zum Gegen- 
stande hat, zunächst um die Wiederauffindung der Naturgesetze, 
weiterhin aber um die Erkenntnis von periodischen Erscheinungen 
handelt, dass es demnach eine Aeronomie und eine Aerographie 
geben muss, ist leicht verständlich. Ganz das Gleiche gilt von der 
Hydrologie. Auch hier können wir eine Hydronomie und eine 
Hydrographie unterscheiden. Sowohl die Bewegungen in der 
Atmosphäre wie in der Hydrosphäre werden durch den Wechsel von 
Sommer und Winter, von Vollmond und Neumond, von Tag und Nacht 
zu periodischen; eben dieser Wechsel bedingt, dass jene Bewegungen 
rhythmische sind. Daher sind sie Gegenstand einer Aerographie und 
einer Hydrographie. 

Ob es aber auch eine Aerogenie und eine Hydrogenie gibt, 
diese Frage lässt sich nicht so leicht beantworten. Zwar wissen wir, 
dass die Bewegungen im Luft- und Wasserreiche abhängig sind von 
der Gestalt und Verteilung der Kontinente und Ozeane, der Ebenen 
und Gebirge, und dass diese nicht immer so waren wie sie heute 
sind, dass demnach die Bahnen der Luft- und Wasserströmungen 
früher anders waren als gegenwärtig; wir brauchen nur daran zu 
denken, dass die Hochgebirge erst in der Tertiärzeit entstanden sind, 
dass in der Urzeit die Atmosphäre viel reicher an Wasserdampf und 
vielleicht auch an Kohlensäure war als heute. Atmosphäre und 
Hydrosphäre haben also allerdings eine Geschichte, und der Versuch 
ist in vieler Beziehung lehrreich, sich ihren Zustand in verschiedenen 
Abschnitten der Erdgeschichte vorzustellen; gleichwohl ist damit die 





TEE. DS 














Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 15 


Frage nach der Existenzberechtigung der Wissenschaften der Aero- 
genie und Hydrogenie nicht entschieden, denn die einstigen Wasser- 
und Luftbahnen wurden wie die heutigen durch das Relief der Erd- 
feste bedingt, ihre Aenderung ging Hand in Hand mit der Aenderung 
des Erdskeletes. 

Wenn das alles nun auch der Fall ist, so ist trotzdem die Frage 
nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten, ob die Strömungen im Wasser 
und in der Luft sich simultan mit den Veränderungen der Erdkruste 
von Grund aus geändert haben, oder nicht. Kurzes Nachdenken über 
die verschiedene Natur des Festen, Flüssigen und Luftförmigen muss 
uns überzeugen, dass diese Frage zu verneinen ist. Das Gesetz der 
Beharrlichkeit zwingt uns zu der Anerkennung, dass im Reiche der 
Luft und des Wassers die Nachwirkungen früherer Zustände noch 
heute sich fühlbar machen; ob freilich durch menschliche Beobach- 
tung nachweisbar, diese Frage müssen wir dahingestellt sein lassen. 
Aber wie das Meer während der Windstille nach einem heftigen 
Orkane noch lange auf und nieder wogt, wie der Staub in einem 
Zimmer, durch dessen momentan geöffnetes Fenster eben ein kalter 
Luftzug gedrungen ist, auch nach Schließung der Fenster noch lange 
durcheinander wirbelt, so müssen auch die Luft- und Wasserströmungen 
verflossener Erdepochen für eine mächtigere Wissenschaft als die 
unserige noch jetzt nachweisbar sein; noch heute müssen sich für 
eine solche Wissenschaft in Luft und Wasser Bewegungen wahrnehmen 
lassen, die nicht durch Jahres-, Mondes- und Stundenwechsel erklär- 
bar sind und somit einer Aerogenie und Hydrogenie zu ihrer Er- 
klärung bedürfen. 

Werden sich vielleicht nun auch diese beiden Wissenschaften für 
immer einer exakten Behandlung entziehen, so muss der Philosoph 
doch die Anerkennnng prinzipieller Berechtigung der Forderung nach 
ihnen verlangen, und wir Biologen möchten an Aerologen und Hydro- 
logen die Bitte richten, die hypothetische Rekonstruktion der Bilder, 
welche Luft und Wasserströmungen in frühern Erdabschnitten dar- 
boten, zu wagen. Möglich, ja wahrscheinlich, dass uns dieselben einen 
Schlüssel des Verständnisses liefern für manche Verhältnisse in der 
gegenwärtigen Verbreitung der Organismen, deren Erforschung der 
Biogenie zufällt. Die Biogenie bedarf einer Aerogenie und Hydro- 
genie eben mehr wie einer Entwicklungsgeschichte der festen Erd- 
rinde. 

Von dieser letztern handelt die Stereogenie; ein Blick auf die 
verschiedenen Schichten der Erdrinde ergibt ihre Berechtigung. Nicht 
minder berechtigt ist die Stereonomie, die Lehre von den physika- 
lischen und chemischen, statischen und dynamischen Gesetzen, welche 
die Gestaltung und Zersetzung der Mineralien und Gesteine, die 
Hebungen und Senkungen, die Ruhe und die gewaltsamen Erschütte- 
rungen der Erdrinde beherrschen. Aber wie uns vermöge der Natur 


16 Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft nnd Geographie. 


des Luftförmigen und Tropfbar-Flüssigen in der Aerologie und Hydro- 
logie die Berechtigung einer Aerogenie und Hydrogenie zweifelhaft 
erschien, so in der Stereologie, vermöge der Natur des Festen, eine 
Stereographie, eine Wissenschaft, welche von den rhythmischen Be- 
wegungen der festen Erdrinde zu handeln hätte. 

Die Existenzberechtigung dieser Wissenschaft kommt aber wirk- 
lich nur scheinbar in Frage. Ein unzweifelhafter Nachweis von rhyth- 
mischen Bewegungen der Erdrinde fehlt zwar, aber die Beschreibung 
der Erdrinde und ihrer Teile und Baustoffe, auch wenn dieselben 
keine periodischen Bewegungen ausführen, ist ja ohnehin eine Auf- 
gabe eben der Stereographie, und der Parallelismus dieser Wissen- 
schaft mit der Aerographie, Hydrographie und Biographie würde 
gleichwohl bestehen. Denkt man sich z. B. den Kreislauf des Was- 
sers auf der Erde symbolisch dargestellt durch eine Wellenlinie mit 
einander gleichen Abszissen und positiven und negativen Ordinaten, so 
zwar, dass die Ördinaten 1, 5, 9, 13... gleich + 0, die Ordinaten 3, 
7,11, 15... beziehungsweise gleich m, —m m, —m..,, 
und die Ordinaten 2, 4, 6, 8, 10, 12... beziehungsweise gleich + n, 
+1,—n1,-—-n,-+2n,-+n...sind, und lässt man dann sämt- 
liche Ordinaten sich allmählich auf + O reduzieren, aber so, dass 
das gegenseitige Größenverhältnis der Ordinaten dasselbe bleibt, so 
geht unsere Wellenlinie stetig in eine grade Linie über; die allgemeine 
analytisch-geometrische Gleichung für eine Wellenlinie vom Charakter 
der unserigen und diejenige für eine grade Linie sind identisch. Wie 
wir aber die grade Linie als eine Wellenlinie mit gleichen positiven 
und negativen Abszissen auffassen können, so können wir auch die 
Erscheinungen der Erdfeste als einen periodischen Prozess auffassen, 
unbekümmert darum, dass wir ihn vielleicht nur durch eine grade 
Linie symbolisch darstellen können. Uebrigens ist aber unter anderem 
die Periodizität der Erdbeben behauptet worden; bei der Frage nach 
derselben haben wir es zu thun mit einem stereographischen Problem. 

So sehen wir, wie Astrologie und Geologie, Stereologie und Hydro- 
logie, Aerologie und Biologie sich alle der Einteilung in eine gesetzes- 
kundliche, beschreibende und geschichtliche Disziplin fügen. Mögen 
wir die Himmelskörper, mögen wir die Erdfeste, die Wasserteile oder 
die Atmosphäre der Erde, mögen wir endlich Pflanzen- und Tierwelt 
zum Gegenstand unserer Beleuchtung machen, sie alle lehren nur, 
dass die beschreibenden Disziplinen so nötig sind und so hoch da- 
stehen wie diejenigen, welche sich mit der Erforschung der einzelnen 
Naturgesetze befassen, und dass die Gruppe der geschichtlichen Dis- 
ziplinen nicht minder wichtig ist als die beiden andern. 

Fassen wir nun aber schließlich die Welt nur als ein System von 
Atomen auf, so kommen wir nach kurzem Nachdenken zu demselben 
Ergebnis. Physik und Chemie lehren uns wohl die Gesetze der 
Atomenmechanik kennen; aber bei bloßer Kenntnis der Gesetze bleibt 








Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 747 


uns ewig der unleugbare Rhythmus des Weltprozesses, bleibt uns für 
immer das stetige Auftreten neuer, noch nie dagewesener und nie 
wiederkehrender Formen der Gesamtkonstellationen der Atome ver- 
schlossen. Kosmonomie, Kosmographie und Kosmogenie 
sind gleich nötige und gleich wichtige Zweige einer allumfassenden 
Kosmologie. 

Für keine auf Universitäten und anderswo gepflegte und gelehrte 
Wissenschaften scheinen mir schon jetzt die obigen Erörterungen von 
solcher Wichtigkeit zu sein, wie für die Geographie. Bekannt ist 
es, wie sich die Vertreter dieser Wissenschaft bemüht haben, sie gegen 
andere hin abzugrenzen. Aber mir wenigstens ist es nicht bekannt, 
dass ein einziger Versuch vollständig gelungen wäre. Aufgrund aber 
unseres Wissenschaftssystemes ist die Abgrenzung eine leichte und 
ihr Resultat ein durchaus befriedigendes, das uns einen vortrefflichen 
Einblick in das Wesen der Geographie gewährt. Ich wenigstens sehe 
auf einmal ganz klar, wohin alle jene Bemühungen gezielt haben. 

Verstehen wir unter Geologie im Gegensatze zu der landläufigen 
Auffassung eine allumfassende Erdwissenschaft, so ist die Geographie 
derjenige Teil derselben, welcher Stereographie, Hydrographie, Aero- 
graphie und Biographie umfasst. Die Biographie, beispielsweise, ist 
nicht nur ein Teil der Biologie, sondern auch der Geographie; sind 
doch sowohl Biologie wie Geographie Teile einer umfassenden Erd- 
kunde. 

Die Geographie ist aber, wie ihr Name sagt, eine erschöpfende 
Erdbeschreibung; sie hat alle diejenigen Erscheinungen des Erd- 
prozesses zum Gegenstande, welche den Rhythmus, die Periodizität 
derselben ausmachen oder, wenn sie nicht daran teilnehmen, sich 
stetig gleichbleiben, wie dieser Rhythmus selbst. 

Aber wie in allen andern Wissenschaften, so müssen wir auch 
in der Geographie zwischen Synoptikern und Spezialisten unterschei- 
den; es darf uns indess nicht beirren, dass beispielsweise der Biograph 
zu gleicher Zeit ein Spezialist für die Synoptik sowohl der Geographie 
wie der Biologie ist. 

Das einheitliche Wesen der Geographie erkennen wir an dem 
Umstande, dass Hydrographie und Aerographie auf einander Rück- 
sicht nehmen müssen, wie beide auf die Stereographie und auf alle 
die Biographie. Sei es, dass wir den Kreislauf des Wassers, oder 
der Luft, oder des Lebens zum Brennpunkte unserer Untersuchungen 
machen, die Untersuchungen führen zu nichts, wenn wir nicht stets 
dessen eingedenk sind, dass alle auf unserem Planeten sich befind- 
lichen Sonderexistenzen Teile eines und desselben Individuums, Glieder 
unserer Mutter Erde sind. 

Zweckmäßig aber ist es, überall das Ganze und seine Teile, oder, 
besser gesagt, Individualitäten höherer und niederer Wertigkeit zu 
unterscheiden. 


18 Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 


Nicht minder ist eine Sonderung der Individuen nach Arten, 
Familien, Klassen vorzunelimen, und endlich ist überall zwischen dem 
gegebenen konkreten Individuum und demjenigen Teile seiner Eigen- 
schaften zu unterscheiden, den es mit allen andern Individuen seiner 
Kategorie gemeinsam hat. 

So unterscheiden wir in der Hydrographie eine Ozeanographie, 
eine Potamographie, die Hydrographie der Nordsee, des Rheines; in 
der Biographie eine Zellen-, Organ- und Personenbeschreibung, die 
Biographie der Wirbeltiere, der Säuger, der Menschen, des Waldes 
und der Steppe, der Kontinente und der Inseln, Afrikas und Neusee- 
lands. 

Betrachtungen wie die obigen schützen den Forscher vor Ein- 
seitigkeit und die Wissenschaft vor Zerfahrenheit. Viel versprechend 
machen sie die Beschäftigung mit der Biökographie, auf welche ich 
an dieser Stelle jedoch nicht näher eingehen kann. Als teilweise 
Rekapitulation des Gesagten mag aber noch eine Uebersicht der 
geologischen Wissenschaften folgen. 











| | | & 

Geologie | Geonomie | Geographie | Geogenie x 

oder Panodologie oder Monodologie oder Periodologie | oder Epiodologie 
der Erde. | der Erde. der Erde. der Erde. 


Gesamtwissenschaft Wissenschaft von Wissenschaft von |, Wissenschaft von 
von der Gaea. | den Weltgesetzen dem Rhytlımus der der Geschichte der 
in den  Erderscheinungen. _ Erderscheinungen. 

' Erderscheinungen. | 5 


| 








Die Stereologie | 
erforscht die | Stereonomie Stereographie Stereogenie. 
Stereogaea. | 





Die Biologie | 
erforscht die | Bionomie Biographie Biogenie. 
Biogaea. 











Die Hydrologie | 
erforscht die Hydronomie Hydrographie Hydrogenie. 
Hydrogaea. 








Die Aerologie | 
erforscht die Aeronomie ' Aerographie Aerogenie. 
Aerogaea. | 

















Imhof, Poren an Diatomaceenschalen. 119 


Poren an Diatomaceenschalen und Austreten des Protoplasmas 
an die Oberfläche. 


Von Dr. Othm. Em. Imhof. 


In der hochinteressanten Abhandlung von Max Schultze!) „Die 
Bewegung der Diatomeen“ finden wir am Eingange folgenden Passus: 
Die Ursache der gleitenden oder kriechenden Bewegungen, welche 
die zahlreichen Arten der schiffehenförmigen Diatomeen, welche süßes 
wie salziges Wasser bevölkern, im Leben darbieten, ist bekanntlich 
noch gänzlich in Dunkel gehüllt. Wie viele Beobachter dieser zu 
den Lieblingen der Mikroskopiker gehörenden Organismen werden, 
wenn sie das schnelle Vor- und Rückwärtskriechen, das plötzliche 
Anhalten und das wie zögernde Wiederbeginnen der Bewegung, den 
öftern Wechsel in der Lage von der breiten auf die schmale Seite, 
das Aufrichten auf eine Spitze und die auf dieser ausgeführten 
drehenden Bewegungen aufmerksam verfolgten, mit der festen Ueber- 
zeugung das Mikroskop verlassen haben, hier müsse irgend ein äußeres 
Bewegungsorgan vorhanden sein. Bekanntlich sind alle Versuche, ein 
solches aufzufinden, vollständig gescheitert. 

Auf S. 381 der genannten Abhandlung heißt es: Die schnellen 
Bewegungen, welche sie (Pleurosigma angulatum und P. balticum) wie 
alle Navikularien des Meerwassers ausführen und welche kaum von 
denen des süßen Wassers erreicht werden, verbunden mit ihrer ansehn- 
lichen Größe, veranlassten mich zunächst wieder nach äußern Be- 
wegungsorganen zu suchen. Die Mühe war aber, trotzdem ich mich 
ausgezeichneter Linsensysteme bediente, auf direktem Wege eine 
vergebliche. 

Da O. Kirchner in seinem 1885 erschienenen Werke: „Die 
mikroskopische Pflanzenwelt des Süßwassers“, auf S. 25 sagt: Die 
freilebenden Baeillariaceen zeigen beständig oder zeitweise eine eigen- 
tümliche gleitende Bewegung, indem sie an der Oberfläche anderer 
Gegenstände hinkriechen; Bewegungsorgane unbekannt, so darf ich 
vielleicht annehmen, dass ein positiver Nachweis von Oefinungen an 
Diatomaceenschalen und das Hervortreten von Protoplasma an die 
Oberfläche der Schalen — somit direkt mit dem Wasser in Berührung 
gelangend, wie die ausgezeichneten Beobachtungen von Max Schultze 
mit höchster Wahrscheinlichkeit vermuten ließen — bisher noch nicht 
erbracht worden ist. 

Bei meinen Untersuchungen über die mikroskopische Organismen- 
welt der hochalpinen Seen fand ich in dem hochgelegenen Cavlocciosee 
(1908 m ü. M.) im Ober-Engadin bedeutende Mengen von Diatoma- 
ceen. Unter denselben zeigten sich einige durch ihre Größe auffallende 
Surirella- Arten und eine Campylodiscus - Species. 





1) Archiv für mikroskopische Anatomie, Bd. I, S. 376—402, 


720 Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in geschlossener Strombahn ? 


Zuerst an der größten Form des Genus Surirella (Länge bis zu 
0,272 mm), dann auch bei den kleinern, wo auch die Flügel nicht so 
stark ausgebildet sind, gelang es mir bei günstiger Stellung der leeren 
Schalen, auf der Längenkante der Flügel eine Reihe von sehr kleinen 
elliptischen Oeffnungen zu konstatieren. Nur wenn die Flügel senk- 
recht gegen das Deckgläschen gerichtet sind, können diese Poren mit 
Sicherheit erkannt werden. Diese verlangte Stellung erreicht man 
ziemlich leicht, wenn man die Schalen in Glyzerin-Gelatine einschließt 
und beim Erstarren der Einschlussmasse durch Verschieben des Deck- 

gläschens bei Kontrolierung unter dem Mikroskop die Schalen richtet. 
Aber nicht nur dieses Verhältnis kam zu direkter Beobachtung, 
sondern auch das Hervortreten des Protoplasmas. Der genauere Sach- 
verhalt ist folgender: die vier Flügel besitzen eine große Zahl feiner 
konischer Kanälchen, zu den bekannten Zeichnungen auf der Seite 
der Flügel in einem bestimmten Verhältnis stehend. Diese Kanälchen 
münden wie eben erwähnt auf der Kante der Flügel aus. Ueber die 
Kante hinweg läuft ferner eine Rinne von geringer Tiefe. Das Proto- 
plasma der Zelle entsendet nun durch die Röhrchen je einen Fortsatz, 
der bis in die Rinne des Flügels reicht. Alle diese Ausläufer sind 
dann noch durch einen in der ganzen Länge der Rinne sich hinziehen- 
den Protoplasmastrang miteinander in Verbindung. Dieser Nachweis 
des Heraustretens des Protoplasmas war durch dessen Färbung er- 
leichtert, es war hier namentlich bei der großen Surirella- Art mit 
einem grünen Ton behaftet. An Dauerpräparaten gelang es mir stellen- 
weise das ausgetretene Protoplasma zu konservieren. 

Bei dem Genus Campylodiscus ist die Struktur der Flügel eine 
ganz ähnliche wie bei Surirella. Ich werde diese Organisationsverhält- 
nisse auch bei andern Diatomaceen noch verfolgen und gebe obige 
Notiz als vorläufige Mitteilung. 


Verläuft der Nervenstrom in nicht geschlossener, oder ge- 

schlossener Strombahn, und wie gelangt er, wenn letzteres 

der Fall ist, zum Sitze der elektromotorischen Kraft zurück ? 
Von Professor Dr. Paul Albrecht in Hamburg. 

Dass die Energie, welche uns im Nervenstrome entgegentritt, 
elektrische Energie ist, darüber kann, meiner Meinung nach, ange- 
siehts der bei Fischen auftretenden elektrischen Organe kein Zweifel 
obwalten. 

Ist aber die Energie, welehe uns im Nervenstrome entgegentritt, 
elektrische Energie, so kann die Nervenwirkung entweder auf elektro- 
statischen, oder auf elektrodynamischen Vorgängen beruhen!). 


i WEN Die Ausdrücke „elektrostatisch“ und „elektrodynamisch“ sollen hier im 
gewöhnlichen, physikalischen Sinne gebraucht werden, das heißt, ich nenne 








Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in geschlossener Strombahn ? 791 


Ist der Vorgang elektrostatisch, 

so befindet sich an einem oder mehreren Punkten der Nerven- 
bahn die Elektrizitätsquelle, und die Enden des Nerven 
sind ähnlich wie Kondensatorplatten die Ansammlungs- 
stellen der Elektrizität, wobei es qualitativ unwesentlich 
ist, ob das eine Ende des Nerven durch Ableitung zur 
Erde auf dem Potential 0 erhalten wird, oder nicht, 

so muss die Wirkung jedesmal eintreten, wenn das Potential 
der angesammelten Elektrizität geändert wird, 

so verläuft der ganze Vorgang in nicht geschlossener Strom- 
bahn. 

Ist der Vorgang hingegen elektrodynamisch, 

so befindet sich ebenfalls an einer oder mehreren Stellen der 
Strombahn die elektromotorische Kraft, 

so muss die Wirkung jedesmal eintreten, wenn die Stärke 
des in der Strombahn fließenden elektrischen Stromes ge- 
ändert wird, 

so verläuft der ganze Vorgang in geschlossener Strombahn. 

Da wir wohl unter allen Umständen während des Lebens perma- 
nent elektrische Ströme im Nerven besitzen!), so scheint mir nicht 
wahrscheinlich, dass die Nervenerregung in nieht geschlossener Bahn 
verläuft: ich nehme also an, dass die Nervenwirkung auf elektro- 
dynamischen Vorgängen beruht. 

Nach meiner Ansicht ist ferner ein essentieller Unterschied zwi- 
schen kinetischen ?) und ästhetischen ?) Nervenfasern überhaupt gar 
nicht vorhanden; für beide, kinetische wie ästhetische, Nervenfasern 
liegt, nach meiner Ansicht, der Sitz der elektromotorischen Kraft in 
der Ganglienzelle, von der sie ausgehen; in beiden, kinetischen wie 





„elektrostatisch“ diejenigen Wirkungen (Kondensatorwirkungen), welche von 
angesammelter, ruhender Elektrizität, „elektrodynamisch“ hingegen diejenigen 
Wirkungen, welche von strömender Elektrizität ausgeübt werden. 

1) Dies scheint mir, trotz aller hiergegen erhobenen gegenteiligen Behaup- 
tungen aus dem 'Tonus der animalischen Muskeln und aus dem Tonus des 
Dilatator pupillae, der Sphinkteren und Arterien hervorzugehen. Den Grund 
dafür, dass an den natürlichen Nervenfaserenden bis jetzt kein Strom mit 
Sicherheit nachgewiesen ist, sehe ich darin, dass man, meiner Ansicht nach, 
bei diesen Versuchen sowohl den zentrifugalen Hinstrom wie den zentripetalen 
Rückstrom, von dem weiter unten im Texte die Rede sein wird, zwischen die 
beiden Enden des stromanzeigenden Bussolenbogens gefasst hat. 

2) Kinetische Nervenfasern nenne ich die bisher mit dem direkt un- 
richtigen (denn das Leitungsvermögen aller Nervenfasern ist doppelsinnig) 
Namen der „zentrifugalleitenden Fasern“ belegten motorischen, elektrischen, 
sekretorischen und trophischen Nervenfasern. 

3) Aesthetische Nervenfasern nenne ich die bisher mit dem direkt 
unrichtigen Namen der „zentripetalleitenden Nervenfasern“ belegten sensibeln 
und exzitomotorischen Nervenfasern. 


VL 46 


122 


Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in geschlossener Strombahn ? 


ästhetischen, Nervenfasern läuft, nach meiner Ansicht, unaufhörlich 
ein zentrifugaler elektrischer Strom von eben dieser Ganglienzelle 
durch die periphere Leitung nach dem Endapparate hin und kehrt 
von diesem, 
sei es durch eine zweite Nervenfaser, 
sei es durch zentripetalleitende Fibrillen derselben Nerven- 
faser, welche für den zentrifugal laufenden Strom nicht 
benutzt wurden, 
sei es durch den tierischen Körper selbst, der hier wie die 
Erde zwischen den Kupferplatten einer Telegraphenleitung 
benutzt wird, 
zum Quellsitze der elektromotorischen Kraft in der Ganglienzelle 
wieder zurück. 

Wir hätten auf diese Weise kinetische wie ästhetische Strom- 
bahnen, welche in allem Wesentlichen durchaus gleichartig konstituiert 
wären, mit dem alleinigen, aber unwesentlichen Unterschiede, dass 
die Aenderung der Stromintensität oder, wie ich sie nennen will, die 
Metallaxis !) bei der kinetischen Nervenfaser von der Elektrizitäts- 
quelle, bei der ästhetischen Nervenfaser gemeiniglich von dem peri- 
pheren Endapparate, unter Umständen aber auch von irgend einem 
Punkte der peripheren Nervenbahn ausgeht. Man kann daher die 
kinetischen Strombahnen als zentrometallaktische Strombahnen, die 
ästhetischen Strombahnen als periphero- oder noch kürzer als peri- 
metallaktische Strombahnen bezeichnen. 

Wir wollen uns zunächst mit den ästhetischen oder perimetallak- 
tischen und hierauf mit den kinetischen oder zentrometallaktischen 
Strombahnen beschäftigen. 


1) Die ästhetischen oder perimetallaktischen Strom- 
bahnen. 


Wie soll man — frage ich — sich vorstellen, dass am peripheren 
Endapparate der ästhetischen Nervenbahn vorgehende Veränderungen 
eine Veränderung in der Intensität des ästhetischen Nervenstromes 
hervorbringen ? 

Antwort: Auf sehr einfache Weise; die ästhetischen Strombahnen 
sind — einerlei ob der Strom vom Endapparat durch eine zweite 
Nervenfaser, oder durch Fibrillen derselben Nervenfaser, oder durch 
den Körper selbst zum Sitze der elektromotorischen Kraft zurück- 
kehrt — nach meiner Ansicht, in allen wesentlichen Stücken genau 
so gebaut, wie eine Strombahn, in welche ein Edison ’sches Batterie- 
telephon eingeschaltet ist. 

Eine solche ist in der Weise konstituiert, dass zunächst in einer 
geschlossenen Strombahn unaufhörlich ein konstanter elektrischer 





1) 5 uerallafıs, die Aenderung. 


ES EEE 


ee a en 





ar 


Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in geschlossener Strombahn? 7923 


Strom von der zentralen Batterie durch die periphere Leitung zur 
zentralen Batterie zurückströmt. An einer Stelle der peripheren Lei- 
tung ist eine Kohlenplatte eingeschaltet, wodurch die ganze geschlos- 
sene Strombahn in 4 verschiedene Abschnitte, nämlich 

1) den Batterieabschnitt, 

2) den ziskarbonischen, 

3) den karbonischen und 

4) den transkarbonischen Absehnitt, wie ich sie nenne, zerfällt. 

Wird jetzt auf die Kohlenplatte, also den karbonischen Abschnitt 
der Strombahn, ein erhöhter Druck ausgeübt, so nimmt der Wider- 
stand der Kohle ab, wodurch die Stromstärke in der Strombahn 
wächst; wird umgekehrt der auf der Kohlenplatte lastende Druck 
vermindert, so nimmt der Widerstand der Kohle zu, wodurch die 
Stromstärke in der Strombahn abnimmt. 

In der Nervenstrombahn können, wie ich bereits ausgeführt habe, 
drei verschiedene Möglichkeiten inbezug auf die Rückleitung oder, 
wie ich dieselbe gleich vornweg hier nennen will, inbezug auf den 
transkarbonischen Strom vorliegen, nämlich 

a) der transkarbonische Abschnitt der ästhetischen Nervenbahn 
wird durch eine zweite Nervenfaser gebildet, 

5) der transkarbonische Abschnitt der ästhetischen Nervenbahn 

wird durch Fibrillen derselben Nervenfaser gebildet, 
y) der transkarbonische Abschnitt der ästhetischen Nervenbahn 
wird durch den tierischen Körper selbst gebildet. 

Diese 3 Fälle sind besonders zu betrachten. 


a@) Der transkarbonische Abschnitt der ästhetischen Nervenbahn wird 
durch eine zweite Nervenfaser gebildet. 


Betrachten wir die nachstehende Figur, und nehmen an, dass 
die Gehörnervenfaser a von einer Ganglienzelle A, die Gehörnerven- 
faser a’ von einer Ganglienzelle A’ im Gehirne herkäme, dass 
ferner A und A’ im Gehirne durch verästelte Fortsätze mit ein- 
ander verbunden sind und auf diese Weise eine dielementare Bat- 
terie bilden, welche ich X nennen will, so würde, nach meiner An- 
sicht, und in aller Kürze ausgedrückt, das feinste Fibrillennetz!) d 
das in der Strombahn A, a, 2, a‘, A sein, was die Kohle in derjenigen 
Strombahn, in welche ein Edison’sches Batterietelephon einge- 
schaltet ist. Ein konstanter Strom geht, nach meiner Ansicht, von U 





1) Es gibt, nach der von mir gewählten Nomenklatur, zwei verschiedene 
Arten von Nervenplexus, nämlich symperipatetische und syntektische. 
In den symperipatetischen (n ovunegınarmoıs, das gemeinsame Herum- 
gehen) Plexus treffen sich die Nervenfasern bezw. Nervenfibrillen und gehen 
längere oder kürzere Strecken mit einander, ohne mit einander zu verschmelzen, 
in den syntektischen (7 odvrn£ıs, die Verschmelzung) Plexus hingegen findet 
ein Zusammenfließen in Substantia statt. 

46 * 


724 Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in geschlossener Strombahn ? 


durch a, 6, « nach X zurück, jetzt wird d mechanisch erregt, hier- 
durch wird der Widerstand in dem Fibrillennetz 2, hierdurch die Strom- 
intensität in der Strombahn %, a, d, a‘, A verändert, und dies wird 
vom Sensorium — vermutlich mittels der hierdurch in einer Neben- 
schließung zwischen A und 4‘ hervorgerufenen Aenderung der Strom- 
intensität — bemerkt. 


Fig. 1. Akustische Endorgane des 
Gehörnerven in den Vorhofssäckchen 
nnd Ampullen der Bogengänge nach 


Rüdinger. 


aa‘ (sehörnervenfasern, bei 5b ein 
feinstes Fibrillarnetz bildend, von dem 


Fasern in die Hörzellen cc‘ eintreten. 





























dd‘ Hörstäbehen. 














(Kopiert mit teilweise veränderter 


Figurenbezeichnung nach J. Ranke, 





Der Mensch, Leipzig 1886, I. Band, 
S. 563.) 





Die Rückleitung des transkarbonischen Stromes durch eine zweite 
Nervenfaser könnte man für Auge, Ohr, Zunge, die Nerven der Kornea 
der Wirbeltiere und die Nase der Amphibien und Amnioten annehmen). 


ß) Der transkarbonische Abschnitt der ästhetischen Nervenbahn wird 
durch Fibrillen derselben Nerven faser gebildet. 


Bei dieser Anordnung würde der Nervenstrom durch eine Anzahl 


1) Bei allen den im Texte angeführten Organen handelt es sich um einen 
direkt diesseits der Endorgane gelegenen syntektischen Nervenplexus, in wel- 
chem ganz wie in der Figur 1 bei b mittels Erregung der Endorgane von 
seiten der Außenwelt die Stromänderung nach meiner Ansicht hervorgerufen 
wird. Beim Auge spreche ich hierfür das Nervennetz der beiden granulierten 
Schichten der Retina an, beim Ohre das subepitheliale Nervennetz der Maculae 
und Cristae acusticae nnd das subepitheliale Nervennetz, das spiralförmig die 
ganze Schnecke durchzieht, bei der Zunge das subepitheliale Nervennetz der 
Glossopharyngeusfibrillen, bei der Kornea das sub- und intraepitheliale Nerven- 
netz und bei der Nase der Amphibien und Amnioten das Exner’sche sub- 
epitheliale Nervennetz der Olfaktoriusfibrillen. Wenn auch die Syntexis einiger 
dieser Gebilde de facto noch nicht erwiesen ist, so scheint mir dieselbe doch 
theoretisch absolut vorausgesetzt werden zu müssen. 





Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in geschlossener Strombahn? 725 
von Fibrillen einer Nervenfaser bis zum peripheren Ende derselben 
gehen, der karbonische Abschnitt dieser Bahn würde durch das 
Medium, welches die ziskarbonischen Fibrillen mit den transkarboni- 
schen Fibrillen derselben Nervenfaser verbindet, gegeben sein, wäh- 
rend die Rückleitung des Nervenstromes zum Sitze der elektromotorischen 
Kraft eben dureh diese transkarbonischen Fibrillen derselben Nerven- 
faser stattfindet?). 

Die Rückleitung des transkarbonischen Stromes dnrch Fibrillen 
derselben Nervenfaser nehme ich für die von Max Schultze aus 
der Nasengrube des Hechtes ?) beschriebenen Nervenprimitivbündel an. 


y) Der transkarbonische Abschnitt der ästhetischen Nervenbahn wird 
durch den tierischen Körper selbst gebildet. 

Bei dieser Anordnung würde der ziskarbonische Nervenstrom von 
dem Sitze der elektromotorischen Kraft bis gegen den peripheren 
Endapparat der ästhetischen Nervenfaser hinziehen, dort wo die Mark- 
scheide vor dem Endapparate aufhört, ausbrechen, und auf dem 
nächsten Wege dureh den Körper selbst zu dem Sitze der elektro- 
motorischen Kraft zurückkehren. 

Die Rückleitung des transkarbonischen Stromes durch den Körper 
selbst nehme ich für die zu Terminalkörperchen gehenden ästhetischen 
Nervenfasern an. 


2) Die kinetischen oder zentrometallaktischen Strom- 
bahnen. 


Was die kinetischen oder zentrometallaktischen Strombahnen 
anbetrifft, so bin ich der Ansicht, dass, nachdem die Kontraktion 
einer Muskelfaser oder die Auslösung eines elektrischen Stroms oder 
die Sekretion einer Drüsenzelle mittels einer durch Steigerung der 
elektromotorischen Kraft in der Ganglienzelle hervorgerufenen Strom- 
verstärkung bewirkt worden ist, der Nervenstrom ebenfalls auf dem 
nächsten Wege durch den Körper zum Sitze der elektromotorischen 
Kraft zurückkehrt. 


Das Ergebnis des Vorstehenden ist: 
1) die Nervenwirkung beruht auf elektrodynamischen Vor- 
gängen; 





14) Es ist klar, dass unter solchen Umständen die beiderseitigen Fibrillen 
von Stellen der Ganglienzelle abgehen müssen, welche elektrisch einander 
entgegengesetzt sind; es ist somit nicht undenkbar, dass das Zellplasma dem 
Kernplasma entgegengesetzt elektrisch ist, und dass durch diesen Gegensatz 
überhaupt der ganze Nervenstrom in Erscheinung tritt; es ist ebenfalls nicht 
undenkbar, dass die einen Fibrillen aus dem Zellplasma, die andern aus dem 
Kernplasma ihren Ursprung nehmen. 

2) Siehe Schwalbe, Lehrbuch der Neurologie, Erlangen 1881, S. 298, 
Fig. 194. 


7126 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine, 


2) die Elektrizitätsquelle befindet sieh sowohl bei den kinetischen 
wie bei den ästhetischen Strombahnen in den als galvanische 
Elemente fungierenden Ganglienzellen; 

3) sowohl bei den kinetischen wie bei den ästhetischen Strom- 
bahnen bewegt sich von der Ganglienzelle aus ein zentri- 
fugaler Strom durch den peripheren Nerven hin, der entweder 
durch eine zweite Nervenfaser, oder durch Fibrillen derselben 
Nervenfaser, oder durch den tierischen Körper selbst zum 
Sitze der elektromotorischen Kraft in der Ganglienzelle zu- 
rückkehrt; 

4) die Funktion der kinetischen oder zentrometallaktischen Strom- 
bahnen beruht auf Aenderung der elektrischen Stromstärke 
infolge Veränderung der elektromotorischen Kraft in der 
Ganglienzelle, die Funktion der ästhetischen oder perimetal- 
laktischen Strombahnen auf Aenderung des Leitungswider- 
standes im peripheren Teil der Strombahn durch Einwirkung 
von seiten der Außenwelt. 


L. Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 
(Fortsetzung. 

Die Thatsache, dass bei dem natürlichen Verwesungsprozess 
menschlicher Leichen giftige Ptomaine gebildet werden, ist vielfach 
konstatiert worden. Boutmy und Brouardel!), Sonnenschein 
und Zülzer?), Schwanert?) u.a., namentlich aber Selmi*) haben 
das Vorkommen derartiger Kadaveralkaloide nachgewiesen. Indess 
blieb der Nachweis dieser Substanzen, wie Ref. bereits früher an- 
deutete, darauf beschränkt, dass nur die Eigenschaften syrupöser 
Extrakte von Leichenteilen, d. h. ihre physiologischen Wirkungen und 
ihre Fällbarkeit durch Alkaloidreagentien festgestellt wurden; die 
Isolierung chemisch reiner einheitlicher Verbindungen wurde entweder 
nicht versucht oder nicht erreicht. 

Eine genaue Kenntnis der Kadaveralkaloide wäre nicht allein für 
die forensische Chemie, sondern auch für die Pathologie von höchster 
Bedeutung; für letztere insofern, als eine erfolgreiche Untersuchung 
der durch die Thätigkeit pathogener Bakterien im menschlichen Or- 
ganismus gebildeten toxischen Substanzen, wie solche bei allen Infek- 
tionskrankheiten auftreten, erst dann möglich wird, wenn man die 
Produkte der natürlichen Verwesung erforscht und von jenen Sub- 
stanzen zu unterscheiden und zu trennen gelernt hat. 





1) Annales d’hygiene publique et de med. legale [3] IV 335. 
2) Berliner klin. Wochenschrift, 1869, 123. 

3) Ber. d. deutsch. chem. Ges., 1874, 1332. 

4) efr. Husemann, Arch. f. Pharm., Bd. 216-222. 


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REERZERTE 


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Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 7127 


Br. hat in einer größern Reihe von Versuchen, über welche er 
in der zweiten Monographie berichtet, die Natur der Kadaveralkaloide 
festzustellen gesucht. 

Er überließ zerkleinerte und in der Regel in lose bedeckten 
Fässern über einander geschichtete Leichenteile, denen durch Umrühren 
Luftsauerstoff zugeführt werden konnte, bei Zimmer- oder Keller- 
Temperatur kürzere oder längere Zeit der Fäulnis. Die gefaulten 
Massen wurden alsdann mit schwach salzsäurehaltigem Wasser auf- 
gekocht oder heiß extrahiert, die eingedampften Extrakte mit Alkohol 
erschöpft und die alkoholischen Auszüge mit Quecksilberchlorid ge- 
fällt. Bisweilen führte nun schon die verschiedene Löslichkeit der 
Quecksilberverbindungen der Kadaverbasen zu einer teilweisen Tren- 
nung; weiterhin wurde nach Eliminierung des Quecksilbers durch 
Schwefelwassersioff die Scheidung mit Hilfe von Platinchlorid, Gold- 
chlorid oder auch Pikrinsäure bewerkstelligt. Durch Umkrystallisieren 
und wiederholte Fällung gelang es Br., die isolierten Basen so weit 
zu reinigen, bis sich dieselben durch übereinstimmende analytische 
Zahlen als chemische Individuen erwiesen. Er konstatierte, dass bei 
der Leichenverwesung folgende — teils bekannte, teils neue — Ver- 
bindungen entstehen: 

Cholin C,H,;NO,, Neuridin C,H,,N;, Kadaverin C,H,,N,, Putresein 
C,H,>N;, Saprin C,H,,N;, Trimethylamin C,H,N, Mydalein —. 

Eine Uebersicht über die einzelnen Versuche gibt folgende Skizze: 


Versuch I. 


Die zerkleinerten innern Organe von frischen Leichen (24—48 Stun- 
den post mortem) wurden mit schwach salzsäurehaltigem Wasser ge- 
kocht. Das Filtrat enthielt von basischen Produkten nur Cholin und 
auch hiervon nur geringe Mengen. Ref. hat früher hervorgehoben, 
dass Br. aus Gehirnen durch Kochen mit 2°/, Salzsäure Cholin nicht 
gewinnen konnte. Daraus ergibt sich, dass das aus frischen Leichen 
erhaltene Cholin nicht etwa bei deren Verarbeitung erst durch die 
Behandlung mit Salzsäure entstanden, sondern in den Leichen prä- 
formiert vorhanden ist. 


Versuch I u. II. 

Därme, Lungen, Herzen, Leber, Milz und Nieren von 4 (Vers. II) 
und von 3 (Vers. III) Leichen, welche nach dreitägigem Liegen in 
mäßig warmen Räumen bereits ausgesprochenen Fäulnisgeruch zeigten, 
wurden zerkleinert und mit salzsäurehaltigem Wasser ausgezogen. In 
den Extrakten fand sich Neuridin und Cholin. 


Versuch IV. 


Dieselben Organe von 3 Leichen wurden zerhackt und in einem 
Fasse 3 Tage der Fäulnis überlassen. Im Extrakt fand sich Neuridin 
und eine geringe Menge von Cholin. 


128 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 


Versuch V. 


Der Extrakt von 5 Lebern und 5 Milzen, die 3 Tage gefault 
hatten, enthielt neben Cholin Trimethylamin, jedoch kein Neuridin. 


Versuch VI. 


Aus einer größern Quantität innerer Organe, die 3 Tage lang in 
einem Fasse bei Zimmertemperatur gefault hatten, wurde gewonnen 
Kadaverin in geringer Menge und Neuridin. 


Versuch VI. 

Sechs Lebern und sechs Milzen gelangten nach siebentägiger 
Fäulnis zur Verarbeitung. Im Extrakt fand sich Kadaverin und 
Trimethylamin. 

Versuch VII. 

Aus elf Lebern und sieben Milzen wurden nach elftägiger Fäulnis 

Kadaverin und Putresein erhalten. 


Versuch IX. 


Zwölf Lebern und elf Milzen blieben 14 Tage sich selbst über- 
lassen. Der Fäulnisbrei wurde täglich durchgerührt. Die Verarbeitung 
ergab reichliche Mengen von Kadaverin und Putresein. Die Mutter- 
laugen dieser Basen enthielten Spuren einer toxisch wirkenden Sub- 
stanz, welche mit Platinchlorid ein leicht lösliches Doppelsalz mit 
41.30°/, Pt. lieferte. 

Versuch X. 


Aus fünfzehn Lebern und zwölf Milzen, die 3 Wochen lang ge- 
fault hatten, wurden gewonnen Putresein, Kadaverin, eine mit dem 
Kadaverin isomere Verbindung und außerdem eine stark giftige Base, 
das Mydalein, dessen Zusammensetzung noch nicht festgestellt werden 
konnte. 

Das Ergebnis dieser Versuchsreihe lässt sich dahin zusammen- 
fassen, dass die verschiedenen Stadien der Verwesung menschlicher 
Kadaver von der Bildung verschiedener Ptomaine begleitet werden, 
dergestalt, dass die gleich nach dem Tode oder im Beginn der Fäulnis 
auftretenden Basen bei fortschreitender Zersetzung allmählich ver- 
schwinden, und dass andere Basen in gewisser Aufeinanderfolge an 
ihrer Stelle erscheinen. 

Vor Beginn merkbarer Fäulnis findet sich nur Cholin, die eine 
Komponente des Leeithins, dessen Zerfall mit dem Erlöschen des 
Lebens eingeleitet zu werden scheint. Nach kurzer Zeit tritt daneben 
Neuridin auf, dem sich, während das Cholin schwindet, Trimethylamin 
zugesellt. Bemerkenswert ist, dass, so lange Cholin noch vorhanden, 
ein giftiges Ptomain nicht gebildet wird; erst nach dem Verschwinden 
dieser Base lassen sich toxische Substanzen nachweisen. 

Wenn die Fäulnis schon etwas vorgeschritten ist — am vierten 
Tage — so begegnet man zuerst einem bisher unbekannten Ptomain, 





Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 129 


dem Kadaverin C,H,,N,. Sehr bald gestaltet sich die Ausbeute an 
dieser Verbindung so reichlich, dass sie unschwer isoliert werden 
kann. Die neue Base, ein Diamin, ist eine mit Wasserdämpfen flüch- 
tige, bei 115—120° siedende, wasserklare Flüssigkeit von unange- 
nehmem, an Koniin erinnerndem Geruch, die an der Luft Kohlensäure 
anzieht und sich dabei in ein krystallinisches Karbonat verwandelt; 
sie bildet wohl krystallisierende Salze mit Schwefelsäure und Salz- 
säure, mit Platinchlorid und Goldehlorid und wird durch gewisse 
Alkaloidreagentien gefällt. Ihrer Zusammensetzung nach unterscheidet 
sie sich vom Neuridin C,H,,N, durch den Mehrgehalt von 2 H; ein 
hydriertes Neuridin scheint sie indess nicht zu sein, da es nicht mög- 
lich ist, Neuridin durch Behandlung mit naszierendem Wasserstoff in 
Kadaverin überzuführen. 

Neben dem Kadaverin findet sich stets, in größerer Quantität 
allerdings erst vom elften Tage ab, ein zweites neues Ptomain, das 
Putresein C,H,,N,. Die Trennung beider Verbindungen gelingt am 
besten in der Weise, dass man den Quecksilberchloridniederschlag 
mit Schwefelwasserstoff zerlegt, das salzsaure Filtrat eindampft und 
den Rückstand mit Alkohol auszieht: dabei geht das salzsaure Ka- 
daverin in Lösung, während das Putreseinchlorhydrat zurückbleibt. 

Das freie Putresein ist eine wasserklare Flüssigkeit, welche sperma- 
ähnlich riecht, bei etwa 135° siedet und an der Luft unter Kohlen- 
säureabsorption zu einem Karbonat erstarrt. Mit Wasserdämpfen ist 
es wenig flüchtig. Es bildet ein in Alkohol schwer lösliches Chlor- 
hydrat und ein in Wasser schwer lösliches Platin- und Goldsalz, 
sämtlich gut krystallisierend. 

Bei dem Versuch X fand Br. eine mit dem Kadaverin isomere 
Base, welche er vorläufig Saprin nennt. Dieselbe unterscheidet sich 
vom Kadaverin dadurch, dass sie ein an der Luft beständiges Chlor- 
hydrat liefert und sich nieht mit Goldehlorid verbindet, während das 
Kadaverin ein an der Luft zerfließendes Chlorhydrat und ein in pracht- 
vollen Nadeln krystallisierendes Goldsalz bildet. 

Kadaverin, Putresein und Saprin sind ungiftig. Von toxischen 
Ptomainen konnte Br. aus faulen menschlichen Leichen nur zwei 
isolieren. Das erste trat nach vierzehntägiger Fäulnis auf; es wirkte 
anregend auf die Darmperistaltik, alterierte jedoch sonst den Or- 
ganismus nicht. Zur Feststellung seiner Zusammensetzung reichte 
die gewonnene Quantität nicht aus; die Platinverbindung enthielt 
430, Pt: 

Dem zweiten Gift begegnete Br. in dem Extrakt von Leichen- 
teilen, welche 3 Wochen gefault hatten. Dasselbe blieb bei der Queck- 
silberchloridfällung zum größten Teil in Lösung und konnte aus dem 
Filtrat nur mit Mühe abgeschieden werden, da seine Quecksilber- 
verbindung sich äußerst leicht löste und sein salzsaures Salz schwer 
krystallisierte. Die Analyse des Platinsalzes ergab 38,74°/, Pt. — 


150 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 


10,83 %/, © — 3,23°/, H, Zahlen, welche vorläufig die Aufstellung einer 
Formel nicht gestatten. 

Die physiologische Wirkung dieses von Br. Mydalein genannten 
Ptomains ist eklatant. Injiziert man Meerschweinchen etwa 0.5 cg 
des Giftes, so tritt nach kurzer Zeit reichliche Thränen- und Speichel- 
sekretion auf, die Pupillen erweitern sich und die Körpertemperatur 
steigt um 1—2°. Bald erfolgen profuse Diarrhöen, das Tier atmet 
heftig und keuchend, sinkt um und geht, indem die Körpertemperatur 
allmählich fällt und die Bewegungen aufhören, zu grunde. Im wesent- 
lichen dieselben Erscheinungen beobachtete Br. bei einer kleinen 
Katze, welcher er 5 mg des salzsauren Mydaleins eingespritzt hatte. 

Es kann befremden, dass außer diesen beiden toxischen Substanzen 
andere Leichengifte nicht erhalten worden sind. Anscheinend sind 
die giftigen Ptomaine sehr unbeständig und zerfallen während der 
Verarbeitung der Extrakte, die ja nach Br.’s Beobachtung allmählich 
an Giftigkeit verlieren. Ferner scheint der Zutritt von Sauerstoff zu 
den faulenden Massen, der die Ausbeute an Ptomainen außerordent- 
lich steigert, die Bildung ungiftiger Basen zu begünstigen. In neuern, 
später anzuführenden Versuchen hat Br. darauf bedachtgenommen, 
die Luftzufuhr erheblich zu vermindern. 

Wenn, wie die vorerwähnten Versuche zeigen, durch die Thätig- 
keit der Fäulnisbakterien eine größere Anzahl giftiger und ungiftiger 
Basen aus menschlichen Kadavern gebildet wird, so ist ein ähnlicher 
Effekt auch von der chemischen Energie der pathogenen Bakterien zu 
erwarten. Die durch diese Mikroorganismen hervorgerufenen chemi- 
schen Zersetzungen sind bisher nur wenig studiert. Man weiß, dass 
die pathogenen Bakterien Koch’sche Nährgelatine verflüssigen und 
eventuell stinkende Fäulnis erregen können. Br. selbst hat gezeigt, 
dass der nach Friedländer und Frobenius als Urheber der 
krupösen Pneumonie anzusehende Kokkus aus Kohlehydraten Ameisen- 
säure, Essigsäure und Aethylalkohol abspaltet und ferner, dass ein 
aus menschlichen Fäces gezüchteter, für Meerschweinchen sicher töd- 
licher Bacillus in Lösungen von Traubenzucker die Bildung von Propion- 
säure bewirkt. 

Zur weitern Aufklärung der chemischen Prozesse, welche die 
Erreger der Infektionskrankheiten hervorrufen können, stellte Br. zu- 
nächst einige Versuche mit dem Koch-Eberth’schen Typhusbaeillus 
an. Aus sterilisierten Lösungen von Traubenzucker und Stärke spaltet 
dieser Bacillus Aethylalkohol und Gärungsmilchsäure ab; auf Bouillon 
oder Fleischbrei ausgesät, bewirkt er die Bildung einer giftigen, in 
Gestalt eines schwer löslichen Goldsalzes rein darzustellenden Base, 
welche bei Meerschweinchen Speichelfluss, Beschleunigung der Atmung, 
Lähmunng der Extremitäten und Diarrhöen hervorruft und eventuell 
in 24 bis 48 Stunden zum Tode führt. 

Ein Versuch mit dem Staphylococcus pyogenes aureus Kosen- 





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EEE 5 ER 





Wiedersheim, Ueber das Gymnophionen-Gehirm. 131 
bach, mit welchem ein Brei von Rindfleisch infiziert wurde, ergab 
kein mit Quecksilberehlorid fällbares Ptomain. Dagegen enthielten 
die Laugen neben reichlichen Mengen Ammoniak eine Base, die als 
Platinverbindung — 32,93 %/, Pt. — abzutrennen war, jedoch kein 
Goldsalz lieferte. Diese Base schien ungiftig zu sein; nähere Charak- 
terisierung derselben musste spätern Experimenten überlassen bleiben. 

(Schluss folgt.) 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 


59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin. 
Sektion für Zoologie. 


2. Sitzung. Herr R. Wiedersheim (Freiburg i. Br.) spricht im Namen 
seines Schülers Dr. Waldschmidt über das Gymnophionen -Gehirn: Der 
Schwerpunkt der ganzen Hirnorganisation der Gymnophionen liegt in der 
außerordentlich starken Ausbildung des sekundären Vorderhirnes sowohl, 
wie anderseits in der starken Zusammenschiebung der einzelnen Hirnabschnitte. 
Von der Seite betrachtet zeigt das Gymnophionen-Gehirn bezüglich der Niveau- 
Verhältnisse der Medulla oblongata zu den weiter nach vorn gelegenen Hirn- 
partien Anklänge an das Ganoiden- und Dipnoer-Gehirn, ein speziellerer Ver- 
gleich lässt sich indess nicht durchführen. Bemerkenswert ist die starke Ent- 
wieklung der Riechlappen, welche wahezu ein Drittel der ganzen Hemi- 
sphären-Masse ausmachen, und die sich, entsprechend ihrer hohen physiologischen 
Aufgabe, durch einen großen Gefäß-Reichtum auszeichnen. Durch den hier 
allein in der ganzen Vertebraten-Reihe vierfach auftretenden Nervus 
olfaetorius, sowie durch die außerordentlich komplizierte Struktur der 
Nasenhöhle (die von Blaue für Fische und Urodelen festgestellt, auf ursprüng- 
liche Hautsinnesorgane zurückweisende histologische Struktur der Riechschleim- 
haut kann ich für die Gymnophionen in etwas modifizierter Weise bestätigen) 
erreicht das Riechorgan der Gymnophionen eine Ausbildung, welche es 
befähigt, für die nur kümmerlich entwickelten übrigen höhern Sinnesorgane 
(Gesicht und Gehör) ergänzend einzutreten. — Entgegen der frühern Wieders- 
heim’schen Anschauung, dass es sich bezüglich der Riechnerven bei den 
Gymnophionen um die Fortdauer eines ursprünglichen Verhaltens 
handele, derart, dass das dorsale Nervenpaar der hintern, das ventrale der 
vordern Wurzel eines Spinalnerven entspreche, scheint mir die ventrale 
Olfaktoriuswurzel die ursprüngliche, diejenige zu sein, welche den Riech- 
nerven aller übrigen Wirbeltiere homolog ist. Die dorsale Faser dagegen 
halte ich für ein sekundäres, erst später aufgetretenes Gebilde, welches in die 
Erscheinung trat, als das Riechorgan in Anpassung an die veränderte Lebens- 
weise das Uebergewicht über die übrigen Sinnesorgane gewann. Das Zwischen- 
hirn der Gymnophionen ist als scharf begrenzter Abschnitt kaum vorhanden 
und geht Hand in Hand mit dem rudimentären Charakter der Epiphyse. Es 
ist dieser letztere Umstand um so überraschender, weil die Wiedersheim’- 
schen Untersuchungen es mehr als wahrscheinlich gemacht hatten, dass in den 
Schleichenlurehen der letzte, allerdings stark modifizierte Rest der Stego- 
cephalen aus der Kohlenperiode zu erblicken ist. Nun besitzen aber bekannt- 


132 Fritsch, Corallobothrium solidum. 
lich alle Vertreter dieses alten Molchgeschlechtes auf der Schädeloberfläche 
ein wohl ausgeprägtes Foramen parietale, und letzteres berechtigt, wie 
dies in jüngster Zeit für zahlreiche rezente Saurier festgestellt ist, zur An- 
nahme eines wohl entwickelten Parietalauges. Hiervon ist bei den Gym- 
nophionen nicht nur keine Spur mehr nachzuweisen, sondern die Epiphyse 
befindet sich sogar in einem viel stärkern Grade der Rückbildung, als dies bei 
irgend einem andern heute lebenden Amphibium zu konstatieren ist. Alle 
Genera der Gymnophionen haben keine Andeutung dieses Scheitelbogens, son- 
dern vielmehr ein hermetisch geschlossenes Schädeldach. Aus alledem erhellt, 
dass dieser Amphibiengruppe das dritte Auge schon vor sehr langer Zeit 
verloren gegangen ist, und dass dabei das nächtliche Leben desselben eine 
wesentliche Rolle gespielt haben wird. — Herr F. E. Schulze fragt, ob wirk- 
lich der Hörnerv gut erhalten ist, während sein Endapparat fehle? — Herr 
Hasse (Breslau) bemerkt, dass das Labyrinth bei den Cöcilien vollkommen 
entwickelt ist. Es wäre demnach wunderbar, wenn der Nervus acustieus binde- 
gewebig umgewandelt wäre. Auffällig und wenig dafür sprechend erscheint 
der Umstand, dass das zentrale Ende des Hörnerven normal ausgebildet und 
nur das periphere Ende verändert erscheint. — Herr Wiedersheim erwidert, 
dass er sich diesen Einwand selbst gemacht habe. Er habe deshalb die Schnecke 
und die Bogengänge an Schnittserien studiert, aber nichts in denselben vor- 
gefunden. 


4. Sitzung. Herr Fritsch legt der Versammlung Präparate und Abbil- 
dungen einiger Parasiten vor, welche von ihm vor einiger Zeit in den Sitzungs- 
berichten der königl. Akademie der Wissenschaften (Sitzung v. 28. Jan. 1886) 
beschrieben wurden. Er wünscht, dass die dafür sich interessierenden Herren 
bezüglich der von ihm Corallobothrium solidum genannten Form eine Meinungs- 
äußerung dahin abgeben, ob sie die Anfügung dieser Form als novum genus 
an die Bothriocephalen als das Geeignetste erachten, wie es der Vor- 
tragende thut, oder vielleicht die Bildung einer besondern Familie, die zwischen 
Bothriocephalen und Täniaden zu stellen wäre, geeigneter hielten, oder 
endlich sie den Tänien anreihen möchten. Gleichzeitig macht er auf das 
Auftreten eingekapselter Nematoden in den Organen des Zitterwelses aufmerk- 
sam, die trotz der mächtigen elektrischen Funktion bis in die elektrischen 
Organe selbst eindringen. — Herr Hertwig (München) fragt, nach welchem 
Typus der weibliche Geschlechtsapparat gebaut sei, ob der Uterus eine be- 
sondere Ausmündung besitze, wie bei den Bothriocephaliden, oder nicht, wie 
bei den Tänien, ob die Eier zusammengesetzte sind, und ob eine Differenzierung 
von Keim - und Dotterstock vorliegt. Im allgemeinen scheine es, dass das 
Corallobothrium sich den Tänien anschließe. — Herr Schauinsland (München) 
sprieht die Ansicht aus, dass die Zusammensetzung der Eier ein Kriterium ab- 
geben würde, ob der fragliche Parasit zu den Tänien oder zu den Bothrio- 
cephalen zu stellen sei. Die Bothriocephalen besitzen zusammengesetzte 
Eier, bei denen die Dotterelemente meistens noch in Gestalt von intakten 
Zellen vorhanden sind und haben außerdem eine primäre meist gedeckelte 
Chitinschale. Bei den Tänieneieın dagegen ist der Dotter wohl nie mehr 
zellenhaltig, und ihre Chitinschale ist eine sekundäre. — Herr Eduard 
van Beneden (Lüttich) schließt sich der Ansicht nieht an, dass man auf die 
Zusammensetzung der Eier einen großen Wert legen darf. Bei Tänien existiert 











Joseph, Ueber das zentrale Nervensystem der Bandwürmer. 135 


um die Keimzelle herum eine flüssige Schicht, die nach seiner Meinung vom 
Dotterstock abstammt und die der Schicht Dotterzellen der Bothriocephaliden- 
Eier entspricht. Bei Trematoden findet man auch Formen, bei welchen die 
Elemente des Dotterstockes sich als Zellen um die Keimzellen legen, andere, 
wo diese zelligen Elemente nicht mehr zu erkennen sind. Aber er teilt die 
Meinung des Prof. Hertwig insofern, dass auch ihm aus dem Charakter des 
Kopfes und demjenigen des Geschlechtsapparates hervorzugehen scheine, dass 
Corallobothrium zu den Täniaden gehört. — Herr Fritsch erwidert, dass bei 
Corallobothrium die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane getrennt 
seien, und dass hinsichtlich der Organisation eine Annäherung an Triaenophorus 
zu erkennen sei. Im übrigen halte er die Entscheidung der Frage nach der 
Stellung von Corallobothrium offen und sei nach keiner Richtung präokkupiert. 


Herr Gustav Joseph (Breslau) spricht über das zentrale Nerven- 
system der Bandwürmer. Sein Vortrag gipfelte in folgenden Sätzen: 
1) Die beiden Hirnganglien der Tänien sind bei manchen Arten (Taenia trans- 
versalis des Murmeltieres, T. rophalocera des Hasen) nicht wie bei vielen Arten 
nur durch eine einzige, nämlich dorsale, Kommissur verbunden, sondern durch 
2 Kommissuren, eine dorsale und eine ventrale, die durch Grundsubstanz und 
Muskelausstrahlungen getrennt sind. Bei T. crassicollis ist die ventrale Kom- 
missur nahe an die dorsale geschoben, aber noch von derselben geschieden. 
Schon bei den Trematoden ist die ventrale Kommissur dünn. 2) Jedes der 
Hirnganglien ist aus 3 Ganglien, nämlich einem mittlern großen und je einem 
dorsalen und ventralen kleinern zusammengesetzt, die am deutlichsten bei 7. 
crassicollis, und zwar durch Muskelausstrahlungen von einander getrennt sind. 
Jeder der beiden Seitennervenstämme hat daher drei Wurzeln. Ersteres Moment 
erhellt aus Querschnitten dureh den Kopf der T. saginata var. triquetra; letz- 
teres aus Querschnitten durch den Hals der 7. crassicollis. 3) In dem Stadium 
der Finne, in welchem die Ausstülpung des Haftapparates noch nicht statt- 
gefunden hat, ist das zentrale Nervensystem in 6 äquatorial gestellten Ganglien- 
zellenhaufen (Ganglienzelle von 0,012 mm Durchmesser, Kern derselben 0,0046 mm 
Durchmesser) angelegt, die später durch Auswachsen bipolarer Fortsätze zu 
einem Nervenring mit 2 aus je 3 Ganglienhaufen bestehenden Verdickungen 
sich verbinden. 


Herr Lindner (Kassel) sprach über eine anscheinend noch nicht bekannte, 
jedoch wohl charakterisierte Gattung von Infusorien aus der Abteilung der 
Peritrichen, welche in der Gegend von Kassel sehr gemein ist und parasi- 
tische Eigenschaften besitzt. Er entdeckte dieselben zuerst vor etwa 2 Jahren 
(Juli 1884) in einem mit organischen Zersetzungsstoffen sehr verunreinigten 
Brunnenwasser dortiger Gegend, dessen Genuss bei 2 Personen nach ärztlichem 
Urteil eine typhöse Infektion bewirkt hatte. Bei weiterem Nachforschen fanden 
sich die nämlichen Ciliaten in und bei Kassel fast konstant in den Schmutz- 
und Abfallwässern aus menschlichen Haushaltungen und aus Viehställen, im 
Kanalwasser u. s. w., sehr oft in Gesellschaft von kleinern und größern Schrauben- 
Bakterien, vom Punctum saltans an bis zu den längern Spirillen und Spiro- 
chäten. Sie fanden sich ferner in dem Cökalinhalte von Schweinen (unter 
5 Fällen 2 mal), sowie in den Dejektionen von Typhuskranken (unter 6 auf 
Infusorien untersuchten Fällen 4 mal) und bei einem von diesen Kranken auch 


734 Beneden, Untersuchungen an den ersten Entwicklungsstadien von Säugetieren. 


im Urin. Die vollständig entwickelten Infusorien der qu. Gattung kamen 
übrigens sowohl in der freien Natur, wie in dem Darminhalte der genannten 
Tiere und der typhuskranken Menschen in der Regel noch nicht bei der ersten 
mikroskopischen Untersuchung, sondern gewöhnlich erst nach 5 bis Stägiger 
Beobachtung der betreffenden Nährsubstrate zum Vorschein, während in den 
ersten 2 Tagen meist nur eingekapselte Infusorien und demnächst lebende 
Monaden und Uvellen sichtbar waren. Die qu. Ciliaten gehören nach Mit- 
teilung des Herrn Prof. Bütschli, welcher die Güte hatte, dieselben vor 
einiger Zeit näher zu untersuchen, zu den freischwimmenden stiellosen Vorti- 
cellen, welche — wie es scheint — niemals einen Stiel bilden, jedoch mit 
ihrem hintern Wimperkranze gelegentlich sich hier und da festheften. Im 
übrigen besitzen sie denselben innern Bau, wie die gestielten Vorticellen und 
weichen nur in der äußern Form ein wenig davon ab. Sie schwimmen sehr 
behende mit dem hintern Körperende voran und drehen sich hierbei gern um 
ihre Längsaxe. Beim Austrocknen ihres Nährsubstrates oder beim Einwirken 
von andern ihre Existenz bedrohenden Einflüssen bilden sie Dauerkapseln, 
wobei sie sich zuerst abwechselnd kräftig kontrahieren und wieder ausdehnen, 
sodann ihre Cilien einziehen, sich meist kugelförmig abrunden und äußerlich 
eine feste, sehr widerstandsfähige Hülle abscheiden. Hierbei vereinigen sich 
gewöhnlich mehrere Individuen zu kleinern oder größern sareineartigen Gruppen, 
indem sie sich zwischen einander schieben und durch eine kittartige Schleim- 
substanz fest mit einander verbinden. Ihre Vermehrung erfolgt teils durch 
Längsteilung des ganzen Individuums, teils und hauptsächlich durch Kopulation 
mit nachfolgender mehrfacher Teilung des Nucleus. Ihre Nahrung besteht teils 
aus flüssigem Eiweißstoff, teils aus organischem Detritus und aus kleinsten 
Bakterien, von denen sie nicht bloß die indifferenten Fäulnispilze, wie Bac- 
terium termo, sondern auch virulente Spaltpilzarten ohne Nachteil für ihre 
Existenz zu verzehren scheinen. Sie gedeihen nämlich in den verschieden- 
artigsten, tierisches Eiweiß enthaltenden Flüssigkeiten, mögen dieselben frisch 
oder bereits in faulige Gärung übergegangen sein Ebenso lieben sie anima- 
lische Lymphe und flüssiges Blut, ja sie gedeihen sogar in allen eiweißhaltigen 
Se- und Exkretionen vom gesunden und vom kranken menschlichen Organismus, 
sowie in den verschiedenen Krankheitsprodukten, wenn dieselben nur nicht 
freie Säure enthalten. — In den bacillenhaltigen Dejektionen von Typhus- 
kranken gezüchtet, zeigten sie eine eminente Fruchtbarkeit, sowie sie über- 
haupt in geeigneten Nährsubstraten sich sehr rasch vermehren. Des Lichtes. 
bedürfen sie zu ihrem Gedeihen nicht. — Wegen ihrer vorwaltend schlauch- 
förmigen Gestalt dürfte der Name „Askoidien“ für diese Peritrichen-Gattung 
bezeichnend sein. Dieselben ‘gehören entschieden zu den am höchsten ent- 
wickelten Infusorien, welche wahrscheinlich auch weit verbreitet sind, da sie 
nach den wiederholt gemachten Beobachtungen des Vortragenden von den ge- 
stielten Vorticellen — namentlich von Vorticella mikrostoma — abzustammen 
scheinen, welche durch bloße Veränderung ihres Nährsubstrates allmählich 
ihren Stiel verlieren. 


Sektion für Anatomie. 


4. Sitzung. Herr E. van Beneden (Lüttich) berichtet über seine Unter- 
suchungen an den ersten Entwicklungsstadien von Säugetieren (Kaninchen, 
Maus, Vespertilio murinus). 1) Le canal cordal que Lieberkühn a decouvert 











Gottschau, Entwicklung der Säugetierlinse. 7135 


chez la Taupe (Talpa europaea) et le Cobaye (Cavia cobaya) se trouve remar- 
quablement d&velopp& chez V. murinns, mais n’existe que virtuellement, sauf 
en arriere, chez le Lapin. 2) La route du canal est form6e par une eouche 
de cellules eylindriques dispos&ees en une plaque adjacente et intimement unie 
a la plaque medullaire au fond du sillon dorsal („Rückenrinne“ sillon median 
de van Bambeke). C’est exclusivement au depens de cette plaque homologue 
au chorda-entoblast de 0.Hertwig que se forme la notocorde. 3) La plaque 
notocordale se continue A droite et A gauche, avec la couche externe du 
mesoblaste (somatopleure). 4) Le plancher du canal est form& par une masse 
cellulaire qui se continue sur les cötes avec la couche profonde du m&soblaste 
(splanchnopleure). Cette derniere se soud plus tard avec l’hypoblaste sous- 
Jacent, le long de la ligne mediane. 5) Le canal cordal s’ouvre ä l’exterieur, 
a l’extr&mit& anterieure de la ligne primitive chez le Lapin comme chez le 
Murin. En avant de cette ouverture la plaque medullaire s’inflöchit en dedans 
pour se continuer avec la plaque notocordale. Cette ouverture repond au 
futur canal neurenterique. 6) Le sillon primitif est delimit& & droite et & 
gauche par une levre suivant laquelle l’&piblaste epaissi se continue avec la 
couche externe du me&soblaste. 7) Le fond du sillon primitif est forme par 
une masse cellulaire qui & l’extremit6 anterieure de la ligne fait saillie au 
dehors. Elle se continue sur les cötes avec la couche profonde du me&soblaste 
qui constitue le plancher du canal cordal. Cette masse cellulaire est homo- 
logue au „Dotterpropf“ des Amphibiens. — Hieraus folgert Herr van Beneden, 
dass der Chordakanal der Gastrula-Einstülpung der Amphibien entspreche und 
„dass der Primitivstreifen dem Blastoporus gleichzusetzen sei“. Auch in der 
Bildung des Mesoblasts und des Cöloms bestehen bei Säugetieren Verhältnisse, 
die mit denen der Amphibien übereinstimmen. 


Letzte Sitzung. Herr Gottschau stimmt nach seinen Befunden in der 
Entwieklung der Säugetierlinse bei Kaninchen, Schaf, Rind, Schwein 
den Ansichten von Arnold und Michalkoviez bei, erblickt in den Zell- 
haufen im Grunde der noch offenen Linsenblase ein Produkt des äußern Teils 
des Ektoderms, welches während der Abschnürung der Linse eine transitorische 
Rolle spielt. Die Zellen dieses Haufens vergrößern sich bis zur Abschnürung 
und füllen den innern Raum der Linsenblase aus, gehen dann aber unmittelbar 
nach der Abschnürung sehr schnell zu grunde. 


Herr Fritsch spricht über die Elemente des Zentralnervensystems der 
elektrischen Fische und versucht den Nachweis, dass als Axenzylinder ver- 
laufende Fasern durch Verschmelzung von Protoplasmafortsätzen entstehen 
können. Der Ursprung des Axenzylinders aus der Zelle bildet zuerst einen 
kegelförmigen Vorsprung, der durch Verschmelzung breiter Fortsätze entstanden 
ist nnd von Gefäßen durchsetzt wird (Gymnotus, Lophius piscatorius, Malop- 
terurus electricus). Bei Ganglienzellen (Spinalganglien) von Lophius gehen 
außer dem Axenzylinder feine Fortsätze durch die Kapselwandung und ver- 
schmelzen außerhalb derselben. Danach ist man berechtigt, auch da eine 
Verschmelzung feiner Fortsätze der Nervenzellen zu Axenzylindern anzunehmen, 
wo die Feinheit derselben den Nachweis unmöglich macht. — Herr Waldeyer 
macht darauf aufmerksam, dass er in seiner Arbeit über den Ursprung des 
Axenzylinders eine Entstehung von Axenzylinderfortsätzen aus einer Ver- 


136 Kadyi, Blutgefäße des menschlichen Rückenmarks. 


schmelzung feiner Fortsätze beschrieben habe. — Herr Kollmann spricht 
seine Freude über die Entdeckung des Herrn Fritsch aus, möchte aber für 
die betr. Nervenfasern, namentlich im Hinweis auf Golgi’s Arbeiten, nicht 
als Axenzylinderfortsätze bezeichnen. — Herr Ehrlich unterscheidet an 
Ganglienzellen, die intra vitam mit Methylenblau tingiert wurden, 3 verschieden- 
artige Fortsätze: 1) Oberflächennetz, 2) grade Fortsätze, 3) Protoplasmafort- 
sätze. — Herr Rawitz bemerkt, dass bereits vor Jahren von Courvoisier 
und dann von ihm die bezüglichen Verhältnisse beschrieben worden seien. 


Herr Kadyi (Lemberg): Ueber die Blutgefäße des menschlichen 
Rückenmarks. Für das Rückenmark bestimmte Gefäße (Arteriae et venae 
radiales medullae spinalis anteriores et posteriores) sind an allen Nervenwurzeln 
angelegt, jedoch nicht überall ausgebildet. Die Art. vertebralis ist der Summe 
einer vordern und einer hintern Wurzelarterie des Rückenmarks gleichwertig. 
In der Pia mater bilden die Arterien Netze, unter welchen Längsketten her- 
vortreten. Die Venen des Rückenmarks sind hinsichtlich des Verlaufs und der 
Verbreitungsweise von den Arterien unabhängig. Die Arterien sind, soweit 
sie ins Rückenmark eintreten, Endarterien im Sinne Cohnheim’s. Dagegen 
kommen venöse Anastomosen im Innern des Markes zahlreich und stark vor. 
Die Kapillarnetze des Rückenmarks bilden ein einziges zusammenhängendes 
Ganze; nur die Diehtigkeit und Form der Maschen ist in verschiedenen Partien 
verschieden. Es gibt drei differenzielle Netzformen. Eine Unterscheidung von 


Stromgebieten auf dem Rückenmarksquerschnitt ist unmöglich. — Herr Al- 
brecht bemerkt, dass es keine interkostalen und intervertebralen Arterien 
gibt, dieselben sind kostal und interprotovertebral. — Herr Kadyi entgegnet, 


dass er ja den morphologischen Standpunkt gar nieht berührt habe. 


Herr Roux (Breslau) teilt mit, dass die erste Furche durch den Be- 
fruchtungsmeridian bestimmt werde, und dass das Ursächliche dabei 
nach dem gegenwärtigen Stande der Untersuchung wohl in der Kopulations- 
richtung des Spermakernes und des Eikernes zu suchen sei. — Derselbe teilt 
ferner mit, dass er Pilzkanäle in Knochen der Rhytina Slelleri gefun- 
den habe. 





Verlag von Paul Frohberg in Leipzig. 
Anatomische Untersuchungen 
über freilebende 


Nordsee-Nematoden 


von 
Dr. J. G. de Man. 
Mit dreizehn lithographierten Tafeln. 
10 Bogen, gr. Folio. 
Preis kartoniert M. 28. 








Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. 





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Biologisches Üentralblatt 


unter Mitwirkung von 


Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka 


Prof. der Botanik Prof. der Zoologie 


herausgegeben von 


Dr. J. Rosenthal 











Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


VI. Band. 15. Februar 1889. Nr. 24. 








Inhalt: Ludwig, Ein neuer Fall verschiedener Blütenformen bei Pflanzen der näm- 
lichen Art und ein neues mutmaßliches Kriterium der Schmetterlings- und 
Hummelblumen. — Brieger, Untersuchungen über Ptomaine (Schluss). — 
Gierke, Färberei zu mikroskopischen Zwecken. — Schwalbe, Lehrbuch der 
Anatomie der Sinnesorgane. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesell- 
sehaften: 59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin. 





Ein neuer Fall verschiedener Blütenformen bei Pflanzen der 
nämlichen Art!) und ein neues mutmaßliches Kriterium der 
Schmetterlings- und Hummelblumen. 


Der erste Fall der Dientomophilie, d.h. der Anpassung ein und 
derselben Blumenspecies an verschiedene Insekten, ist meines Wissens 
von Hermann Müller bei Iris Pseudacorus beschrieben worden, 
bei welcher eine der Bestäubungsvermittlung durch Hummeln und eine 
der Bestäubung durch Rhingia angepasste Blütenform, jede auf be- 
sonderem Stocke, existiert. Ein neuer Fall dürfte sich nach den 
Beobachtungen von C. Aurivillius?) bei Aconitum Lycoctonum finden, 
derselben Pflanze, welche in den Alpen nach den schönen Beobach- 
tungen von Dalla Torre u. a. durch die langrüsseligen Weibchen 
der heterotrophen?) Hummel Bombus Gerstäckeri bestäubt wird (wäh- 
rend die kurzrüsseligen Arbeiter und Männchen desselben Insektes nur 
die blauen Aconitum - Arten, besonders A. Napellus, besuchen). — 
Aurivillius fand in Jämtland im mittlern Schweden bei Aconitum 
Lyecoetonum zweierlei Stöcke, von denen die Blüten des einen einen 

4) Vgl. Biol. Centralbl., IV. Band $. 225—235, Bd. V 8. 561-568. 

2) Botaniska Säleskapet i. Stockholm 17. Febr. 1886; Bot. Centralblatt 
XXX S. 125. 

3) Biol. Centralbl. V S. 744 fi. In den Alpen findet sich diese Hummel 
nur an dem genannten Aconitum, und zu den Dimensionen der Blüte des A. 
Lycoctonum passen nur B. hortorum und B. Gerstäckeri Mor. der Rüssellänge 
nach. In der That wurden aber auch nur diese beiden Arten auf A. Lycoc- 
tonum bisher beobachtet. 


VI, 47 


738 Ludwig, Verschiedene Blütenformen bei Pflanzen der nämlichen Art. 


kurzen stärkern, fast graden stumpfern (Form «), die des andern 
einen engern gegen die Spitze verschmälerten nach aufwärts (zu- 
weilen fast im Halbzirkel) gebogenen Sporn haben (Form ß). 
Nach den Beobachtungen von Aurivillius scheint die Form $ eine 
engere Anpassung an Hummeln darzustellen und einen Ausschluss 
anderer langrüsseliger Insekten (Schmetterlinge), welchen die Form a 
zugänglich ist, zu bewirken. Derselbe fand nämlich, dass eine Hum- 
mel an Aconitum-Blüten, deren Spornspitzen abgeschnitten waren, die 
Spitze ihrer Saugzunge nach allen Richtungen bewegen und biegen 
konnte, und dass sie dieselbe folglich ohne Schwierigkeit in den frei- 
liegenden Nektarien der Spornspitze auch da einstecken konnte, wo 
der Sporn mehr oder weniger aufwärts gebogen war. Der Saugrüssel 
der Schmetterlinge dagegen kann zwar auch ausgestreckt werden bis 
er ganz grade wird, kann aber vom Schmetterlinge nicht nach 
oben gebogen werden. Aurivillius ist daher der Ansicht, dass 
bei der Form 8 von Aconitum Lycoctonum die Schmetterlinge durch 
die Biegung des Sporns und die Lage des Honigs von der Blüte ganz 
ausgeschlossen sind. Erweist sich diese Ansicht von der Beweglich- 
keit des Schmetterlingsrüssels als richtig, so kann die Richtung des 
Honigweges als ein wichtiges Kriterium einer wirklichen Schmetter- 
lings- (bezw. Hummel-) Blume betrachtet werden. 

Ob und in welcher Weise in der Form $ das spiralige Honig- 
gefäß in dem Sporn eine Aenderung erfahren hat, ist nicht angegeben. 

In Deutschland wurde als regelmäßiger Bestäuber der gelben 
Eisenhüte B. hortorum L., in den Alpen, wie bereits erwähnt, BD. 
Gerstäckeri Mor. ausschließlich angetroffen. In Jämtland beobach- 
tete Aurivillius gleichfalls als legale Befruchter nur B. hortorum L. 
und — noch häufiger — B. consobrinus Dahlb.!). Beide suchen die 
streng proterandrischen Blumen von den untersten (2) des Blüten- 
standes an aufwärts ab, so dass sie nur xenogamisch befruchten 
können. Die Zahl der im Laufe eines Tages, oder des Tages und der 
Nacht zusammen — denn die Hummeln befinden sich in diesen Gegenden 
auch einen guten Teil der lichten Sommernacht in Bewegung — einer 
einzigen Hummel besuchten Blumen ist eine sehr große, wenn auch 
schwankende. 





4) Einer brieflichen Mitteilung unseres besten Apidenkenners Dr. O. 
Schmiedeknecht zufolge ist Bombus consobrinus Dahlb. (Bombi Scand. 
49, 30) eine nordische Form des B. hortorum L., bei welchem die gelben 
Haare des Thoraxrückens die schwarzen ganz verdrängt haben. Thomson 
führt ihn als selbständige Art auf, ohne aber stichhaltige Unterschiede zu 
bringen und hält ihn möglicherweise mit B. Gerstäckeri Mor. für identisch, 
was aber nicht der Fall ist. — Dr. Schmiedeknecht hat häufig beobachtet, 
dass auch Bombus hortorum, der Aconitum und Delphinium mit Vorliebe be- 
sucht, diese Blumen nicht selten unten aufbeißt, also gleichfalls Einbruchdieb- 
stahl verübt. 


WERTE EEE Rn re 


Fre 








Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 7139 


Es machte BD. hortorum L. am 5. Juli in 5 Minuten 80 Besuche 
d. h. pro Stunde 960 Besuche, am 11. Juli in 2 Minuten 40 Besuche 
d. h. pro Stunde 1200 Besuche und B. consobrinus Dahlb. am 5. Juli 
in 1 Minute 24 Besuche d. h. pro Stunde 1340 Besuche, am 5. Juli 
in 7 Minuten 80 Besuche d. h. pro Stunde 685 Besuche. 

B. terrestris besuchte in Jämtland die Pflanze zwar gleichfalls 
häufig, verübt aber nur, wie in den Alpen B. mastrucatus, Einbruch- 
diebstahl (am 24. Juni fand A. bei 86 Blumen der Form « 33,7 9/,, 
am 4. Juli bei 668 Blüten der Form $# 3°/, am Sporn durchlöchert). 
Schließlich besucht noch B. schrimshiranus Dahlb. die Aconitum- 
Blüte, aber nur, um daselbst Pollen zu suchen, also nur die jungen 
noch nicht befruchtungsfähigen Blüten, so dass sie für die Befruchtung 
bedeutungslos ist. F. Ludwig (Greiz). 


L. Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 
(Schluss.) 


Im verflossenen Jahre, nicht lange vor dem Erscheinen der dritten 
Monographie Brieger’s, sind von A. Gautier!) Untersuchungen 
publiziert worden, welche die aus frischen tierischen Geweben zu 
gewinnenden alkaloidartigen Körper zum Gegenstand haben. 

Die Gautier’schen Basen, vom Darsteller wegen ihrer engen 
Beziehung zum Eiweiß Leukomaine genannt, beanspruchen bei der 
Frage nach der Entstehung der Ptomaine insofern einiges Interesse, 
als sie vielleicht das Material zu deren Bildung hergeben, sei es dass 
sie unter dem Einfluss der Fäulnisbakterien direkt in Ptomaine über- 
gehen, oder dass ein Teil ihrer Elemente zur Synthese solcher ver- 
wendet wird. 

Gautier erhielt die Leukomaine nach folgendem Verfahren: 
Frisches Rindfleisch und Liebig’sches Fleischextrakt wurden mit 
oxalsäurehaltigem Wasser erschöpft, die Auszüge in vacuo bei 50° 
eingedampft und die Rückstände mit Alkohol aufgenommen. In den 
alkoholischen Lösungen rief Aether eine syrupöse, zum Teil krystalli- 
sierende Fällung hervor. Aus diesem Niederschlage ließen sich durch 
umkrystallisieren aus Alkohol und Wasser sechs basische Verbin- 
dungen abtrennen: 


1) Xanthokreatinin C,H,,N,O ; schwefelgelbe Blättchen ; dem 
Kreatinin ähnlich; physiologische Wirkung äußert sich in 
Niedergeschlagenheit, hochgradiger Müdigkeit und wieder- 
holtem Erbrechen. 


1) Armand Gautier, sur les alcaloides deriv6s de la destruction bac- 
terienne ou physiologique des tissus animaux. Paris 1886. 
AUT 


740 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 


2) Crusokreatinin C,H,N,O; gelb; durch ein Plus von CNH vom 
Kreatinin verschieden. 

3) Amphikreatinin 0,H,,N,-0;- 

4) Pseudoxanthin C,H,N,O; dem Xanthin ähnlich. 

5) Die Base C,,H,.N,0;- 

6) Die Base 0,,H,,N,10;. 

Diese Basen scheinen ziemlich verbreitet zu sein; Gautier fand 
sie noch im Harn, im Speichel und im Blut. Br. ist denselben im 
Laufe seiner Untersuchungen nicht begegnet. 

Den Leukomainen können das Paraxanthin C,H,N,O, und das 
Heteroxanthin O;H,N,O,, welche G. Salomon!) aus menschlichem 
Harn isoliert hat, an die Seite gestellt werden. 

Bei vergleichender Betrachtung der Zusammensetzung der Gau- 
tier’schen Basen, des Kreatins, des Kreatinins und der Xanthin- 
körper muss es auffallen, wie häufig sich der Atomenkomplex CNH, 
das Molekül der Blausäure, als Differenz zweier Formeln oder Formel- 
kombinationen ergibt. Wenn aber dieser Atomkomplex bei einer 
solchen Reihe von Verbindungen, welche als erste Zersetzungsprodukte 
tierischer Gewebe anzusehen sind, immer wiederkehrt, so wird man 
vermuten dürfen, dass die Blausäure oder die Cyangruppe (CN) bei 
dem Aufbau des Tierleibes eine nicht untergeordnete Rolle spielt. 
Zu gunsten dieser Auffassung spricht auch die Thatsache, dass aus 
dem Nuklein des Zellkerns, wie Kossel?) ermittelt hat, eine Sub- 
stanz von derselben elementaren Zusammensetzung wie die Blausäure 
dargestellt werden kann, das Adenin C,H,N,. Diese nach den Unter- 
suchungen Kossel’s in allen zellenreichen Geweben, tierischen wie 
pflanzlichen, vorkommende Base verhält sich bei energisch eingreifen- 
den ehemischen Operationen derartig, dass auf ein Vorhandensein 
von Cyangruppen im Adeninmolekül notwendig geschlossen werden 
muss. 

Um neue Momente zur Beurteilung der Genese der Ptomaine zu 
gewinnen, hat Br. die Fäulnisversuche mit menschlichen Leichen- 
teilen und mit Pferdefleisch wiederholt mit der Modifikation, dass die 
zerkleinerten und in Tonnen aufgeschichteten Massen während der 
Wintermonate in einem allseitig abgeschlossenen Raum, dessen Tem- 
peratur zwischen — 9 und + 5° schwankte, der Fäulnis überlassen 
wurden. Der Verwesungsprozess schritt dabei außerordentlich lang- 
sam vor; die Sauerstoffzufuhr war auf ein Minimum beschränkt. 

Ferner wurde auf Br.’s Veranlassung das Studium der Fisch- 
fäulnis, welches Br. selbst mit der Untersuchung der in faulenden 
Dorsehen vorkommenden Basen begonnen hatte, von O. Bocklisch 
wieder aufgenommen. 


1) Salomon, Ber. d. deutsch. chem. Ges. XVI 195 u. XVII 3406. 
2) Kossel, Zeitschrift f. physiol. Chemie X 248. 


UT 








Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 741 


Die Verarbeitung auf Ptomaine geschah im wesentlichen nach 
der von Ref. bereits mitgeteilten Methode; nur wurde zur Entfernung 
einer in fast alle Lösungsmittel übertretenden, die Krystallisationen 
der Basen verunreinigenden eiweißartigen Substanz vor der Behand- 
lung mit Quecksilberchlorid mit alkoholischem neutralen Bleiacetat 
gefällt. Aus dem mit Schwefelwasserstoff entbleiten Filtrat konnte 
nun ein Teil der Ptomaine durch Quecksilberchlorid niedergeschlagen 
werden. Der Niederschlag wurde aus heißem Wasser umkrystallisiert 
oder von Quecksilber befreit und die salzsaure Lösung mit Platin- 
oder Goldehlorid behandelt. Es erwies sich weiterhin als zweckmäßig, 
die in dem Filtrat von der Quecksilberfällung enthaltenen Ptomaine 
nach Eliminierung des Quecksilbers an Phosphormolybdänsäure zu 
binden, diese Doppelverbindung in bekannter Weise mit neutralem 
Bleiacetat zu zerlegen und endlich die Trennung der einzelnen Pro- 
dukte durch fraktionierte Fällung mit Gold- oder Platinchlorid zu 
bewirken. 

Zwei Zentner innerer Organe vom Menschen wurden nach vier- 
monatlicher Fäulnis verarbeitet. Zunächst ließen sich beträchtliche 
Mengen Kadaverin und Putresein gewinnen. Außerdem resultierten 
zwei neue Basen, beide jedoch nur in geringen Quantitäten, Myda- 
toxin C,H,;NO,, ein schwaches Gift, und Mydin C,H,,NO, eine ungif- 
tige Verbindung. 

Das Mydin wirkt stark reduzierend; sein Pikrat krystallisiert in 
breiten, bei 195° schmelzenden Prismen. Die freie Base riecht am- 
moniakalisch; beim Destillieren zersetzt sie sich. 

Wider Erwarten konnte bei diesem Versuch ein heftiges Gift nicht 
erhalten werden. 

In dem Extrakt von einem Zentner Pferdefleisch, das ebenfalls 
vier Monate lang gefault hatte, fand sich neben Kadaverin und Putresein 
ein Körper von der Zusammensetzung C-H,-NO,, welcher schwach 
sauer reagierte, welcher mithin nicht den Ptomainen beigezählt wer- 
den darf, sofern Ptomain synonym ist mit Fäulnisbase. 

Der Körper C,H,-NO, ist keine Amidosäure; durch Eisenchlorid 
wird er weder gefärbt noch gefällt. Er ist giftig. Auf Frösche wirkt 
er kurareähnlich. Bei Meerschweinchen rufen Dosen von 0,05—0,3 g 
starke Pupillenerweiterung hervor; klonische Krämpfe treten auf; 
Körpertemperatur und Atemfrequenz sinkt; nach mehrern Stunden 
sterben die Tiere im Zustande völliger Kraftlosigkeit. 

Die Isolierung des Körpers C,.H,-NO, geschieht am besten in 
Gestalt seines in Blättchen krystallisierenden, in Wasser schwer lös- 
lichen Goldsalzes. Der Schmelzpunkt des reinen Salzes liegt bei 176°. 

Die von dieser eigenartigen Verbindung befreiten Laugen ent- 
hielten noch Mydatoxin, das sich nicht mit Goldcehlorid, wohl aber 
mit Platinchlorid paart. Das Platinat schmilzt bei 193°. Die Gift- 
wirkung des Mydatoxins gleicht derjenigen des Körpers 0,H,,NO;; 


742 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 


nur spielen sich die einzelnen Intoxikationserscheinungen viel lang- 
samer ab. 

Dem Quecksilberchloridfiltrat war schließlich nach Fortschaffung 
des Quecksilbers durch Phosphormolybdänsäure eine Base zu ent- 
ziehen, die durch Analyse und Vergleich mit einem künstlichen Prä- 
NH. CH, 
NE; 
Methylguanidin giftig ist, haben bereits Baumann und Gergens 
durch Experimente an Fröschen nachgewiesen. Bei einem Meer- 
schweinchen beobachtete Br. nach Injektion von 0,2 g der Base 
Pupillenerweiterung, reichlichen Stuhl- und Urinabgang, gewisse Läh- 
mung der Extremitäten, Dyspnoe und endlich allgemeine Krämpfe, 
unter welchen das Tier zu grunde ging. 

Bezüglich der Entstehung des Methylguanidins wird man annehmen 
müssen, dass es aus dem Kreatin hervorgegangen ist. Die Umwand- 
lung des letztern in jene Verbindung geht glatt von statten, aber 
nur durch Oxydation: 

NH: Gone CHR Us 200, NH CS En + C,0,H,; 
in vorliegendem Falle haben mithin die Fäulnisbakterien oxydierend 
gewirkt. 

Zum Beweise, dass die von ihm dargestellten neuen Ptomaine 
nicht etwa schon im ungefaulten Fleisch vorhanden sind, hat Br. 
frisches Pferde- und Rindfleisch auf diese Verbindungen geprüft. Er 
fand nur Xanthinkörper und Kreatinin. 

Die Untersuchung der bei der Fischfäulnis auftretenden Ptomaine 
ist von OÖ. Bocklisch weitergeführt worden. Den von Br. ange- 
gebenen Methoden folgend, verarbeitete Bo. größere Quantitäten ge- 
faulter Barsche, Häringe, Hechte und Dorsche. 

Der Extrakt von 15 kg Barsche, die im Hochsommer 6 Tage 
gefault hatten, enthielt Kadaverin, Neuridin, Dimethylamin und 
Trimethylamin. Die letzten Laugen wirkten noch exquisit toxisch, 
doch war das giftige Prinzip nicht zu fassen. 

Aus gefaulten frischen Häringen erhielt Bo. Kadaverin, Putresein, 
Methylamin, Trimethylamin und eine durch starkes Reduktionsvermögen 
sich auszeichnende Base. Das Platinsalz der letztern wurde analy- 
siert: 28,56°/, Pt. Zur nähern Charakterisierung reichte das Material 
nicht aus. In der Häringslake fand Bo. außer Methylamin und Tri- 
methylamin, deren Vorkommen in der Lake schon seit längerer Zeit 
bekannt ist, Dimethylamin und erhebliche Mengen von Cholin. 

Ein Versuch mit 50 kg Hechte, die nach sechstägiger Fäulnis im 
Sommer zur Verarbeitung gelangten, ergab Kadaverin, Putresein, 
Methylamin uud Diäthylamin. 

In gefaulten Dorschen hatte Br., wie von Ref. früher bereits 
angeführt, u. a. Muskarin, die Base C,H,(NH,), und Gadinin auf- 


parat als Methylguanidin NH:C erkannt wurde. Dass das 


A E 


ww: 


Bla 


er 








Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 143 


gefunden. Bei Wiederholung des Experiments wurden von Bo. jedoch 
nur Kadaverin, Putresein und Methylamin ermittelt. Der Grund für 
dieses abweichende Resultat liegt wohl darin, dass Bo. wegen der 
durch Wintertemperatur verursachten Verzögerung des Fäulnisprozesses 
den Fischbrei über 2 Monate sich selbst überlassen musste, während 
Br. in fünf Tagen ausgesprochene Fäulnis erzielt hatte. 

Hinsichtlich der Ausbeute an den einzelnen Ptomainen wiesen alle 
Versuche von Bo. gleichmäßig ein Ueberwiegen von Kadaverin und 
Putresein auf. Gleicherweise zeigte sich die Faulflüssigkeit von allen 
Fischgattungen stark giftig; aber niemals glückte es, des Giftes oder der 
Gifte habhaft zu werden. Diese Substanzen ließen sich weder durch 
Reagentien niederschlagen, noch durch Ausschütteln mit Extraktions- 
mitteln den Laugen entziehen; bei der Destillation mit Alkalien zer- 
setzten sie sich. Die heftigste Giftwirkung war den frischen Aus- 
zügen der gefaulten Massen eigen. Im Gang der chemischen Operationen 
schwächte sich dieselbe allmählich ab, und zwar anscheinend in 
gleichem Maße wie das Reduktionsvermögen der Laugen, so dass die 
Zerstörung der Gifte als das Werk einer stetigen Oxydation zu be- 
trachten war. 

Den vorerwähnten Untersuchungen hat Br. eine ausführliche Mit- 
teilung über die in der giftigen Miesmuschel auftretenden Basen an- 
geschlossen. Den äußern Anlass zur Aufnahme des Studiums des 
Muschelgiftes fand Br. in jener vielbesprochenen Massenvergiftung in 
Wilhelmshafen vom Oktober 1885. Ueber die Resultate seiner Unter- 
suchungen hat er früher in einem Vortrage Bericht erstattet, welcher 
auch im Biologischen Centralblatt zum Abdruck gelangt ist (Bd. VIN. 13). 

Die nach dem Genuss giftiger Miesmuscheln in Szene tretenden 
Intoxikationserscheinungen sind different: am häufigsten wurden dif- 
fuse, exsudative Erytheme oder über den ganzen Körper verbreitete 
Urtiearia, verbunden mit Angina und Dyspnoe, beobachtet; weniger 
häufig gastrische, choleraähnliche Beschwerden; endlich am seltensten 
schwere paralytische, meist zum Tode führende Erkrankungen. Letz- 
tern Charakter trugen die genannten Wilhelmshafener Fälle. 

Ueber die Entstehung des Giftes ist viel debattiert worden. Einige 
Autoren glauben, die Miesmuscheln nähmen während der in die Som- 
mermonate fallenden Befruchtungsperiode toxische Eigenschaften an, 
indem ihr Fleisch einer gewissen, von unangenehmem Geruch und Ge- 
sehmack noch nicht begleiteten Zersetzung verfalle. Nach andern wird 
die Giftigkeit dadurch verursacht, dass die Muscheln giftige Seesterne ver- 
zehren. Eine dritte Ansicht endlich stellte eine besondere Spezies giftiger 
Miesmuscheln auf, welche sich u. a. durch geringere Größe, mattere 
Färbung, langsameres Wachstum, kurz durch eine Reihe atrophisch- 
albinistischer Merkmale von den ungiftigen unterscheiden sollten. 
Dieser Auffassung neigte Virchow zu, während die Zoologen 
F. E. Sehulze, Möbius, v. Martens derselben entgegentraten. 


744 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 


Die Annahme, dass Fäulnisvorgänge an der Bildung des Giftes be- 
teiligt sind, wird durch die von Schmidtmann in Wilhelmshafen 
gemachten Beobachtungen gestützt. Nur in dem stagnierenden Wasser 
des Hafens und des Hafenkanals fanden sich giftige Muscheln ; die- 
selben büßten ihre Giftigkeit ein, sobald sie in frisches Wasser ver- 
pflanzt wurden, und nahmen, nach ihrem alten Standort zurückge- 
bracht, in vierzehn Tagen jene Eigenschaft wieder an. Auch Vir- 
chow stellte fest, dass giftige Muscheln in einem Seewasseraquarium 
innerhalb vier Wochen ungiftig werden. 

Die chemische Natur des Giftes hat zuerst H. Salkowski') 
aufzuklären gesucht. Nach seinen Erfahrungen ist das Gift mit 
Wasserdämpfen nicht flüchtig und wird durch Kochen mit kohlen- 
sauern Alkalien zersetzt, während es in saurer Lösung ohne Schaden 
zur Trockne eingedampft und sogar sieben Minuten lang auf 110° 
erhitzt werden kann. Die Reindarstellung des Mytilotoxin genannten 
Giftes ist Br. nach folgendem Verfahren gelungen: die zerquetschten 
Muscheln wurden mit salzsäurehaltigem Wasser ausgekocht, der fil- 
trierte Extrakt eingedampft und der Rückstand wiederholt mit Alkohol 
erschöpft. Der alkoholische Auszug wurde alsdann durch Versetzen 
mit Bleiacetat von störenden Verunreinigungen befreit, entbleit und 
mit alkoholischem Quecksilberchlorid gefällt, das Filtrat entqueck- 
silbert und eingedampft, der Rückstand in Wasser aufgenommen und 
nach Neutralisation mit Soda und Ansäuern mit Salpetersäure das 
Gift durch Phosphormolybdänsäure niedergeschlagen. Zerlegen der 
Doppelverbindung mit neutralem Bleiacetat, Eindampfen des entbleiten 
Filtrats nach geringem Zusatz von Salzsäure, Aufnehmen in abso- 
lutem Alkohol und Fällen mit absolut-alkoholischem Quecksilber- 
chlorid führte zu einer leicht löslichen Quecksilberverbindung des 
Mytilotoxins. Aus dieser durch Umkrystallisieren gereinigten Ver- 
bindung wurde das bei 182° schmelzende Goldsalz dargestellt und 
durch dessen Analysen die Formel C,H,,NO, für das Gift eruiert. 
Das freie Mytilotoxin riecht widerlich; an der Luft zersetzt es sich 
leicht. 

Aus der Masse der ungiftigen Basen isolierte Br. das Betain 
(Oxycholin) C,H,,NO,. Die Experimente, welche darauf abzielten, 
Mytilotoxin durch Faulenlassen gesunder Miesmuscheln zu erzeugen, 
blieben bisher ohne Erfolg; die Faulflüssigkeit enthielt Kadaverin, 
Putresein und Trimethylamin. 

Die Erforschung der Ptomaine pathogener Bakterien weiter ver- 
folgend, wiederholte Br. die Kulturversuche mit dem Staphylococeus 
pyogenes aureus Rosenbach, ohne jedoch neue Resultate zu ge- 
winnen. 

Auch der Streptococcus pyogenes Rosenbach bewirkte in diekem 





4) Virchow’s Archiv CH. 578. 





; 
h 
1 


Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 745 


Fleisehbrei, in Bouillon und in Blutserum nicht die Bildung eines 
Toxins, sondern nur von Ammoniak und Trimethylamin. 

Anders der Koch-Eberth’sche Typhusbaeillus, der zwar ebenso 
wie der Staphylococcus pyogenes Glykogen völlig intakt lässt, aber, 
auf Fleischbrei gezüchtet, eine stark giftige Base hervorbringt. Den 
Analysen des Goldsalzes zufolge — Sehmlzp. 176° — hat diese Base 
die Zusammensetzung C,H,-NO,; sie ist isomer, nicht identisch mit 
der in faulem Fleisch auftretenden Verbindung (s. o.). Br. nannte 
sie Typhotoxin. Ihre physiologischen Wirkungen konnten wegen der 
geringen Ausbeuten noch nicht genügend studiert werden. 

Um das als letzte Ursache des Tetanus anzuseheude chemische 
Gift zu fassen, stellte sich Br. aus Rindfleisch Massenkulturen von 
Tetanusbakterien, denen allerdings geringe Mengen anderer Mikroben 
beigemischt waren, her und verarbeitete den Fäulnisbrei nach 8 Tagen 
auf basische Produkte. In der That konnte er aus dem Quecksilber- 
cehloridfiltrat durch Platinchlorid eine Base isolieren, welche sich durch 
ihre Eigenschaften augenfällig als spezifisches Krampfgift dokumen- 
tierte. Das Platinsalz der neuen Tetanin genannten Verbindung löste 
sich äußerst leicht in Alkohol und musste durch Aether ausgefällt 
werden. Die Analysen ergaben für das Tetanin die Formel C,,H,,N50;- 
Die physiologische Wirkung des Giftes ist eklatant. Minimale Dosen 
bleiben allerdings ohne merkbaren Effekt; stärkere verursachen zu- 
nächst Abgeschlagenheit, dann aber heftigste Krämpfe, denen die Tiere 
meist erliegen. Der Symptomenkomplex gleicht dem durch die Te- 
tanusmikrobie hervorgerufenen. 

In einer kürzlich erschienenen Mitteilung!) berichtet Br., dass 
er das Tetanin auch in menschlichen Leichenteilen, welche monate- 
langer Fäulnis überlassen waren, gefunden habe, und ferner, dass in 
Tetanuskulturen neben diesem Gift ein zweites ähnlich wirkendes 
Ptomain auftrete. Die Trennung beider Basen wird am besten durch 
Destillation im Dampfstrom erreicht, wobei das zweite Ptomain über- 
geht, während Tetanin unverändert zurückbleibt. Die Zusammen- 
setzung jenes zweiten Krampfgiftes entspricht der Formel U,H,,N. 
Das leicht lösliche Goldsalz schmilzt bei 130° und das Chlorhydrat 
bei 205° Die freie Base ist flüchtig und siedet um 100°; mit Pi- 
peridin, das ja ebenfalls die Formel C,H,,N besitzt, ist sie nicht 
identisch. 

Im letzten Kapitel seiner dritten Monographie bespricht Br. die 
Konstitution der Ptomaine, deren Erforschung sich uns als unum- 
gänglich aufdrängt, wenn wir uns das Verständnis der durch die che- 
mische Energie der Bakterien angeregten synthetischen Prozesse er- 
schließen wollen. Erst die Kenntnis der Radikale im Molekül des 
Ptomains weist uns auf die Muttersubstanzen des letztern und deutet 


1) Ber. d. deutsch. chem. Ges. XIX 3119. 


746 Gierke, Färberei zu mikroskopischen Zwecken. 


die Spaltungen an, welche die komplexen Moleküle der Bestandteile 
des Organismus erlitten haben müssen. 

Die Konstitution einer Reihe von Ptomainen ist bereits bekannt; 
so die der einfachen Aminbasen, ferner des Cholins, Betains, Neurins 
und Methylguanidins; unbekannt war bis dahin u. a. diejenige des 
Kadaverins und des Putreseins. 

Ein genauer Vergleich des Kadaverins mit dem unlängst von 
Ladenburg synthetisch dargestellten Pentamethylendiamin hinsicht- 
lich ihrer Eigenschaften, Salze und Reaktionen ergab die zweifellose 
Identität beider Verbindungen. Ladenburg selbst hat durch Ueber- 
führung des Kadaverins in Piperidin, zu dessen Synthese er vom 
Pentamethylendiamin aus gelangt ist, diese Identität bestätigt. Die 
Konstitution des Kadaverins ist mithin: | 

NH, — CH, — CH, — CH, — CH, — CH, — NH;,. 

Für das Putresein lassen die mit demselben vorgenommenen 

chemischen Umwandlungen zwei aufgelöste Formeln zu: 

CH, -— NH — CH, _NH — C,H, 

ME und CH, _ ; 

CH, -— NH— CH, NH — CH, 
zwischen denen neu anzustellende Versuche zu entscheiden haben 
werden. 

Die Frage nach der Konstitution der von Br. entdeckten Toxine 
ist noch nicht berührt, auch eine Erörterung darüber, in welchen 
Organteilen die Quelle einzelner Fäulnisbasen zu suchen sei, nicht 
angestellt. Wir dürfen hoffen, dass auch nach diesen Richtungen hin 
den fortgesetzten Untersuchungen Br.’s, welche bisher wertvollste 
Aufsehlüsse über die Ptomaine gebracht und ein fruchtbares Studium 
dieser Körper dureh Ausbildung exakter Forschungsmethoden ermög- 
licht haben, der Erfolg nicht fehlen wird. 

Oskar Schulz (Berlin). 


Hans Gierke, Färberei zu mikroskopischen Zwecken. 
Braunschweig, Harald Bruhn. (Separatabdruck aus Zeitschrift für wissen- 
schaftliche Mikroskopie und für mikroskopische Technik Bd.1I, II (1884, 1385), 

nebst einem Nachtrage). 


Besprochen von Dr. Joseph Heinrich List. 


Seit Einführung der Anilinfarben in die Mikroskopie hat die 
Tinktionstechnik einen solehen Umfang angenommen, dass es selbst 
dem mitten in der histologischen Forschung Stehenden gradezu un- 
möglich ist, auf dem weiten Gebiete Umschau zu halten. Mit um so 
größerer Freude muss deshalb eine Arbeit, wohl die erste ihrer Art, 
eines leider allzu früh verstorbenen Forschers begrüßt werden, die 
sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur eine möglichst vollständige 
Uebersicht nebst Geschichte über die Verwendungsart der in der 


EEE Fe in ernennen 


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Gierke, Färberei zu mikroskopischen Zwecken. 747 


Mikroskopie gebräuchlichsten Farbstoffe zu geben, sondern auch den 
noch so wenig gekannten Vorgängen bei der Tinktion näher zu treten. 

Das vorliegende Werk, das zuerst in Form mehrerer Abhand- 
lungen in der Zeitschrift für wissenschaftliche Mikroskopie erschien, 
war ursprünglich nicht zur Herausgabe in Buchform bestimmt, wie 
der Verfasser im Vorwort mitteilt, und dies muss auch als Ent- 
schuldigung für die grade nicht sehr übersichtliche Anordnung des 
Inhalts gelten. 

Das erste Kapitel gibt eine historische Uebersicht über die Ent- 
wicklung der Tinktionstechnik. Die fließende, elegante, mit zahl- 
reichen trefflichen Bemerkungen gewürzte Darstellung behandelt nach 
einer Einleitung den wichtigsten Farbstoff, das Karmin. Die erste 
Verwendung desselben in der tierischen Histologie durch Gerlach 
wird ausführlich geschildert, und Gierke wird auch Hartig’s Ver- 
diensten um die Verwendung desselben Farbstoffes in der Pflanzen- 
histologie völlig gerecht. Nach ausführlicher Besprechung über die 
Bereitung von Karmin, die nicht allein für den Forscher interessant 
sein dürfte, wird die Verwendungsweise desselben als karmin- 
saurer Ammoniak und essigsaurer Karmin behandelt. 

Hierauf folgt eine Unterbrechung der historischen Darstellung, 
und in Tabellen findet sich die ganze Literatur über Tinktionen und 
Imprägnationen zusammengestellt. Dieselben dürften an Vollständig- 
keit wohl ihres gleichen suchen und werden den auf dem Gebiete 
der Färbetechnik Arbeitenden höchst willkommen sein. Der erstaun- 
liche Fleiß des Verfassers gibt sich hier am besten zu erkennen. 
Welche Mühe es kostet, die in den verschiedensten Fachzeitschriften 
zerstreuten Abhandlungen zusammenzusuchen, wird mancher aus 
eigner Erfahrung am besten zu beurteilen wissen! Auf S. 89 findet 
sich sodann die Fortsetzung der historischen Uebersicht. Es werden 
der Reihe nach salpetersaures Silberoxyd, Osmiumsäure, 
Goldehlorid, Palladiumehlorid und die Versuche mit verschie- 
denen Metallsalzen besprochen. Namentlich die Geschichte der drei 
ersten höchst wichtigen Reagentien wird ausführlich abgehandelt. 
Was die Versuche mit Metallsalzen anlangt, so wäre eine eingehen- 
dere Darstellung über die Verwendung des in neuerer Zeit immer 
mehr und mehr zu größerer Anerkennung gelangten Sublimats 
(Quecksilberchlorids) gewiss am Platze gewesen. 

Auf die ausführliche höchst interessant geschriebene Geschichte 
der Tinktion mit Anilinfarben folgt eine solehe über die verschiedenen 
Doppelfärbungen und eine Darstellung der Vervollständigung der 
Karmin- und Hämatoxylinfärbung. Als Schluss dieses Kapitels findet 
sich eine trefflich geschriebene, völlig zutreffende Kritik über den 
von M. Lavdowsky „warm empfohlenen“ Pflanzenfarbstoff, den 
sogenannten Myrtillus. 

Ein weiteres größeres Kapitel (S. 138) behandelt die Naturge- 


748 Gierke, Färberei zu mikroskopischen Zwecken. 


schichte und die Herstellungsweise der verschiedenen Farbstoffe (aus- 
genommen Karmin, das schon früher beschrieben worden). Neben 
den Pflanzenfarbstoffen (Campecheholz, Alcanna, Orseille, Lakmus, 
Indigkarmin) werden die Anilinfarben ausführlich behandelt. Hierauf 
folgt eine Tabelle über die Teerfarben, welche neben der populären 
Bezeichnung oder den Fabriksmarken die chemische Bezeichnung und 
Formel, Farbe, Form, Löslichkeitsverhältnisse und Reaktionen, Bil- 
dung und Bemerkungen über die Fabrikation enthält. 

Diese Tabelle wird namentlich jenen sehr willkommen sein, die 
sich näher über den gebrauchten Anilinfarbstoff orientieren wollen. 
An diese fügt sich eine Besprechung der Metalle Silber, Gold, Os- 
mium, Palladium und ihrer in der Histologie eine Rolle spielenden 
Salze. 

Das Schlusskapitel handelt eingehend von dem Wesen der 
Tinktion. Ich glaube, die Darstellung, die Gierke gibt, dürfte ein 
erhöhtes Interesse schon deshalb beanspruchen, weil sie zum großen 
Teil auf eingehenden eignen Versuchen des Verfassers beruht. Soviel 
wir heutzutage mit Farbstoffen hantieren, der Vorgang bei der Tinktion 
liegt noch sehr in Dunkel gehüllt. Gierke pflichtet mit Recht der 
Anschauung bei, dass wir es bei den Tinktionen wohl in der Mehrzahl 
der Fälle mit dem Prozess der Flächenattraktion zu thun haben, wo- 
bei zum Teil aber auch gleichzeitig chemische Vorgänge eine große 
Rolle spielen. Für das Nähere muss auf das Original selbst verwiesen 
werden. 

Als Anhang finden wir noch „Nachträge zur tabellarischen Ueber- 
sicht der Literatur und der Färbemethoden“ aus den Jahren 1883, 
1884 und 1885, von denen ich besonders die Tabellen über die in 
neuester Zeit sehr verwendeten Doppelfärbungen und die Tinktion 
der Bakterien erwähnen möchte. 

Eine Empfehlung des reichhaltigen Werkes dürfte nach dem 
Gesagten wohl überflüssig sein, wenn ich auch bekennen muss, dass 
eine praktischere Anordnung des Inbaltes dem Buche sehr zu statten 
gekommen wäre. Die Arbeit ist, wie bereits mehrfach erwähnt, in 
außerordentlich anziehender, fließender Sprache geschrieben. Die 
kleinen Abschweifungen, die dem Verfasser in der historischen Ueber- 
sicht unterlaufen, mögen gerne verziehen sein. Eine Anerkennung 
für die mühevolle Arbeit kann freilich dem in der Blüte seiner Jahre 
dahingegangenen trefflichen Histologen nieht mehr zuteil werden. 
Möge ihm die Mit- und Nachwelt ein um so dauernderes Andenken 
bewahren! 








Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. 749 


G. Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. 
8°. Zweite Lieferung. Erste Hälfte. 1885. S. 217—392. Mit 43 Holzschn. — 
Zweite Hälfte. 1886. 8. I—XI u. 393- 559. Mit 52 Holzschn. Erlangen bei 

E. Besold. 


Schwalbe hatte nach dem Tode Hoffmann’s die Vollendung 
der zweiten Auflage der deutschen Uebersetzung von Quain’s Ana- 
tomie des Menschen übernommen und die Nervenlehre bereits früher 
zu einem Lehrbuch der speziellen Neuroiogie (vgl. dieses Centralbl., 
1881, Bd. I, S. 56 u. 429; 1884, Bd. III, S. 750) umgestaltet. Inu 
analoger Weise ist nun die Lehre von den Sinnesorganen zu einem 
selbständigen, jetzt vollendeten, 559 Seiten umfassenden Lehrbuch 
geworden, während eine kürzere Darstellung als Abschluss der 
Quain-Hoffmann’schen Anatomie durch A. Rauber bearbeitet 
und in demselben Verlage erschienen ist. 

Die Abbildungen wurden zum Teil der frühern Auflage oder 
sonstigen Abhandlungen entlehnt, 106 von 199 im ganzen sind aber 
neue Originalzeicehnungen und sehr hübsch ausgeführt. Die Darstel- 
lung ist selbstverständlich durchaus umgeschrieben, und in der Vor- 
rede führt der Verf. als besonders durchgearbeitete Abschnitte die 
Beschreibung der Faseien der Orbita, der Augenmuskeln, der Lid- 
bewegungen, des knöchernen Labyrinths, des N. acusticus, der Oto- 
lithen, Cochlea und Paukenhöhle auf. Die Literaturverzeichnisse sind 
sehr vollständig, sie reichen bis 1884 resp. Mitte 1886; in der Dar- 
stellung ist auch den besondern Bedürfnissen von Spezialisten, näm- 
lich der Ophthalmologen und Öhrenärzte Rechnung getragen. Ref. 
beschränkt sich hier zunächst darauf, bei denjenigen Punkten, in 
welehen Kontroversen schweben, hervorzuheben, auf welche Seite der 
Verf. sich gestellt resp. durch neue Untersuchungen die Sachlage auf- 
geklärt hat. 

Auge. Der Hauptabfluss des Humor aqueus an der Grenze 
zwischen Cornea und Sklera findet durch den Fontana’schen Raum 
d. h. die Spalten des Lig. pectinatum und den Schlemm’schen Kanal 
s. Circulus venosus ciliaris in die Vv. eiliares anteriores statt. 
Auf dem Wege der Diffusion gelangen aus der vordern Augenkammer 
verschiedene Substanzen, namentlich gelbes Blutlaugensalz in das 
Gewebe der Cornea. Man schließt daraus (Leber), dass auf diesem 
Wege die Ernährung wenigstens der hintern Schichten der Hornhaut 
vermittelt wird. Einen Abflussweg des Kammerwassers aber hierin 
zu sehen ist ebenso wenig statthaft, als aus der Thatsache, dass vom 
Petit’schen Kanal (an dessen Existenz der Verf. festhält) aus zu- 
nächst die äquatorialen Bezirke der Linse von Ernährungsflüssigkeit 
durehtränkt werden, zu entnehmen, die Substanz der Linse sei ein 
Abflussweg intraokularer Flüssigkeit. Uebrigens sprach Pflüger (1882) 
dem Humor aqueus jede Bedeutung für die Ernährung der Cornea ab, 


750 Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. 


ebenso wie Denissenko (1882) dieselbe von den die letztere um- 
gebenden Blutgefäßen aus stattfinden lässt. 

Die Tenon’sche Fascie oder die Fascia bulbi verbindet (wie 
von alters her bekannt ist, vgl. Bonnet 1841; Pappenheim 1842) 
die Sehnen der graden Augenmuskeln durch Adminieula, wie Schwalbe 
diese Verbindungen aufführt, mit der Sklera. Die Abgrenzung des 
Fettes der Augenhöhle gegen die Augenlider nennt S. Fascia palpe- 
brarum oder Septum orbitale von Henle; letzteres grenzt aber keines- 
wegs die Conjunetiva gegen das erwähnte Orbitalfett ab, sondern 
vielmehr erstere gegen den M. orbieularis palpebrarum. Da der letz- 
tere Muskel vor der betreffenden Fascie, der Rand des äußern Orbital- 
fettes aber Zinter der Fascie liegt, so scheint dem Ref. der Wider- 
spruch mehr in den Worten zu existieren. 

Was die Augenmuskeln betrifft, so betont S., dass unterhalb 
des M. rectus medialis ein Teil der Fissura orbitalis superior außer- 
halb des Augenmuskelkegels gelegen sei und nach hinten gegen die 
Schädelhöhle seinen Abschluss durch die Dura mater finde. Der 
untere erweiterte Teil des medialen Bezirkes der genannten Fissur 
wird durch eine fibröse Brücke in zwei Gebiete zerlegt: ein kleineres 
oberes und ein geräumiges unteres. Diese Brücke ist ein Teil des 
sehnigen Ursprunges des M. rectus lateralis. Letzterer entspringt, 
vom lateralen Rande des Ursprungs des M. recetus inferior an, längs 
einer nahezu vertikal gestellten Linie, unten vom fibrösen Ursprungs- 
streifen des M. rectus inferior, weiter oben von der Ala magna des 
Keilbeines bis zur Spina orbitalis superior s. reetis lateralis hinauf, 
also in diesem Gebiete als eine kontinuierliche Platte. In der Gegend 
der genannten Spina zweigt sich ein an seiner innern Fläche ent- 
stehendes Sehnenbündel als ansehnlicher fibröser Streifen unter Ueber- 
brückung der Fissur zum Knochen-Isthmus zwischen letzterer und 
dem Canalis opticus ab (d. h. der M. rectus lateralis entspringt auch 
von der Wurzel des Processus elinoideus anterior oss. sphenoidei, Ref.). 
Dieser sehnige Streifen wird zu einem zweiten Kopfe des M. rectus 
lateralis dadurch, dass er wenigstens in seiner lateralen Hälfte Muskel- 
bündel entstehen lässt, die sich den übrigen kontinuierlich anschließen. 
Unter diesen Sehnenbogen des M. rectus lateralis treten in das Innere 
des Augenmuskelkegels die Nn. nasociliaris, oeulomotorius, abducens 
und die V. ophthalmicea superior, auch gelangt die mit dem N. optieus 
ankommende A. ophthalmica in diesen Raum hinein; oberhalb des 
Sehnenbogens betreten die Orbita, somit von vornherein außerhalb 
des Augenmuskelkegels gelegen: die Nn. supraorbitalis, laerymalis 
und trochlearis. — Die Kenntnis des zweiten innerhalb der Schädel- 
höhle entspringenden Kopfes des M. rectus lateralis, welche verloren 
gehen zu wollen schien (Ref.), dürfte damit gesichert sein; die Spina 
orbitalis superior, welche G. J. Schultz (1852, 1854) entdeckt hat, 
ist bekanntlich nieht konstant. 





Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. 151 


Die Trochlea des M. obliquus superior oculi besteht nach 8. 
(S. 233) aus hyalinem Knorpel, während Ref. nur Faserknorpel findet. 
Was die Bewegungen der Augenlider anlangt, so hält S. die Schwer- 
kraft nicht für ausreichend zur Erklärung der Senkung des untern 
Lides. Letzteres senkt sich nämlich stets nur beim Abwärtsblieken, 
also bei Thätigkeit des M. reetus inferior, dessen Fascienzipfel, d. h. 
das an der untern Fläche seiner Fascie beginnende und zum Tarsus 
des untern Augenlides verlaufende Bindegewebe inkl. des aus glatten 
Muskelfasern bestehende M. palpebralis inferior von H. Müller 
(M. tarsalis inferior des Ref.), das gleichzeitige Senken des untern 
Lides erklärt. Das einfache Oefinen der Lidspalte ohne Hebung der 
Blickebene besorgt der M. levator palpebrae superioris, wobei durch 
die laterale Verbindung des obern und untern Lides letzteres mit 
seinen lateralen Rande etwas in die Höhe gezogen wird. Beim Heben 
der Blickebene wird die Lidspalte noch weiter, indem nun die Ver- 
bindung des M. rectus superior mit dem obern Lide zur Geltung 
kommt; dieselbe wird durch einen mit den Fascien der Mm. levator 
palpebrae superioris und reetus superior zusammenhängenden, an den 
Tarsus des obern Lides hinter dem (glatten) M. palpebralis s. tarsalis 
superior sich anheftenden sog. Fascienzipfel hergestellt. 

Die Lympbhfollikel der menschlichen Conjunctiva, 
welche Ref. zuerst (die terminalen Körperchen der einfach sensiblen 
Nerven, 1860, S. 114) als normale Bildungen beschrieben hatte, hält 
S. ebenfalls für normale Vorkommnisse, die bei Tieren konstant sind, 
beim Menschen aber nur vereinzelt und nicht in allen Fällen gefunden 
werden (ebenso wie die Solitärfollikel des Darmkanales, Ref.). Die 
acinösen Drüsen der Conjuncetiva reichen (am obern Augen- 
lide, Ref.), bis zum Rande des Tarsus dringend, zwischen die obern 
Enden der Meibom’schen Drüsen hinein; Ref. hatte sie (1854) für 
wässerige Flüssigkeit absondernde accessorische Thränendrüsen erklärt 
und sie in der Caruneula lacrymalis sowie am Rande des obern Tarsus 
bis zur Anzahl von 42 nachgewiesen; von Klein (1872) und Wolf- 
ring (1872) wurde denselben (irrtümlich) ein tubulöser Bau zuge- 
schrieben. Jene Drüsen in der Caruneula laerymalis sind der Har- 
der’schen Drüse der Säugetiere homolog (S. 251), und zum wenigsten 
viermal unter 548 Fällen sah Giacomini (1878) ein 2 mm langes, 
hyalines, nach außen konvexes Knorpelplättchen, in der Plica semi- 
lunaris, wonach die von frühern Autoren auch dem Menschen zu- 
geschriebene Knorpelplatte als Varietät in 0,6—0,7°/, thatsächlich 
vorhanden ist. Was die Conjunetiva tarsi anlangt, so finden sich 
zahlreichere und längere Epitheleinsenkungen, Zubulöse Drüsen der 
Conjunetiva, wenn reichliche follikuläre Konzentrationen von retiku- 
lärem Bindegewebe, also Lymphfollikel (Ref.) sich vorfinden. Offenbar 
beschreiben nach dem Verf. verschiedene Autoren dieselben Dinge 
unter verschiedenen Namen; die Frage würde nur die sein, ob Epithel- 


752 Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. 


Einsenkungen in der Tiefe zwischen Schleimhautpapillen, mögen sie 
nun länger oder kürzer sich ausdehnen, als Drüsen aufgefasst werden 
können, wenn erstere sonst nichts Charakteristisches und nach Maß- 
gabe von Flächenschnitten nicht einmal eine zylindrische Form auf- 
zuweisen haben. 

Die Thränenkanälchen münden gesondert in den Thränen- 
sack, aber in eine kleine Erweiterung oder Ausbuchtung des letztern 
(sog. Sinus Maieri), woraus sich die über diesen Punkt schwebenden 
Kontroversen erklären. An der Grenze zwischen Thränensack und 
Thränenkanal liegt zuweilen die Valvula lacrymalis (inferior) oder 
Krause’sche Klappe (C. Krause 1836), sie wird auch B&raud’sche 
Klappe (1851) genannt. Im Epithel des Thränenkanales fand S. keine 
Flimmerzellen, wohl aber zerstreute Becherzellen bei einem Hingerich- 
teten, doch will S. das sporadische Vorkommen ersterer nicht in Ab- 
rede stellen. 

Gehörorgan. Das Trommelfell bildet sich an der primitiven 
Verschlussstelle der ersten Schlundspalte aus, woselbst die entoder- 
male Ausstülpung der ektodermalen Einstülpung entgegenwächst; ob 
jemals eine Vereinigung beider Einsenkungen, also eine Perforation 
der ursprünglich nur aus einer Ektoderm- und einer Entodermlage 
bestehenden Verschlussstelle erfolgt, ist zweifelhaft. — Das einzelne 
größere (0,5 mm) bekanntlich am lateralen Ende des Meatus auditorius 
internus befindliche Loch, durch welches der N. ampullaris inferior 
zur Macula cribrosa inferior gelangt, nennt der Verf. Foramen singu- 
lare. Der Nerv verläuft in einem Knochenkanälchen von ca. 4 mm 
Länge. — Die beiden Canales semieireulares laterales liegen 
fast genau in derselben Horizontalebene, diese letztere ist gegen die 
durch Vereinbarung festgestellte anthropologische Horizontalebene um 
ein Geringes nach unten und lateralwärts geneigt. Hieraus würde 
folgen (Ref.), dass die Ebenen der Kanäle der beiderseitigen Gehör- 
organe um das Doppelte von einander abweichen müssen. Die Länge 
der drei Canales semieireulares gibt S. nach Sappey auffallend hoch 
zu 12—15 -18 mm im Mittel an; es sind jedoch die Ampullen dabei 
mitgerechnet. (Auf S. 310 Z. 24 v. unten findet sich ein Druckfehler: 
„feinste“ statt „fernste“.) An der Einmündungsstelle der nicht mit 
einer Ampulle versehenen Enden des Canalis semiecireularis lateralis 
membranaceus in das Vestibulum findet sich in der Norm eine 
leichte Erweiterung, die nicht mit einer überzähligen Ampulle zu ver- 
wechseln ist. Die Macula cribrosa quarta von Reichert konnte 8. 
nicht finden; es scheint nach Middendorp eine Verwechslung des 
N. ampullaris inferior mit einem nach Reichert zum Septum zwi- 
schen den Saceuli gehenden Nerven vorzuliegen. 

In der Darstellung der Nervenendigung in den Maeculae 
acusticae folgt der Verf. Retzius, wonach an den Seiten der 
Haarzellen feine variköse Nervenfasern emporsteigen, welche auch 














Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. 53 


deren basales Ende kelehförmig umgeben. In den Otolithen ist ein 
kleines zentrales Kügelehen, vielleicht eine Vakuole vorhanden, welche 
der Abbildung nach nur etwa 0,0005 mm Durchmesser haben würde. 
Das Neuro-Epithel besteht nur aus Haarzellen und Fadenzellen oder 
Zylinderzellen, die letztern wurden von M. Schultze, Olenius, 
von Ebner, Rüdinger, die erstern von Hasse, von Grimm, 
Retzius, Schwalbe für terminale Ganglienzellen gehalten; früher 
ließ man die Nervenfasern in der Axe der Zellen verlaufen; in den 
Haarzellen nach v. Grimm (1870), in den Zylinderzellen nach Rü- 
dinger (1872), jetzt umfassen die Nervenfibrillen seitlich die Zellen- 
körper — wie oben gesagt, nach Retzius. Dass die Nervenendigung 
in den Maculae und Cristae acusticae nichts weniger als aufgeklärt 
ist, leuchtet hiernach von selbst ein, und es kommt noch hinzu, dass 
Ref. (1876) die Haarzellen mit einem gezähnelten Fuße der Basal- 
membran aufsitzen sah. Eine Cupula terminalis, die Lang, Kuhn, 
Retzius, P. Meyer als präexistierend ansehen, erklärt S. mit 
Hensen für ein Kunstprodukt. 

Cochlea. Die Stria vascularis hält Retzius für eine gefäß- 
haltige Epithelschieht, während Gottstein die tiefern Zellenlagen 
von eigentümlich modifizierten Bindegewebszellen herleitet; S. scheint 
mehr geneigt, der erstern Auffassung beizupflichten. Wahrscheinlich 
wird die Endolymphe von der Stria vaseularis abgesondert. 

Das osteogene Bindegewebe der Orista spiralis des Labium vesti- 
bulare, ebenso ihre Vorsprünge und Gehörzähne sind von Blutgefäßen 
frei; dagegen e&xistiert bei Säugetieren ein spiraliges Kapillargefäß 
in der periostalen Schicht des Labium vestibulare, welches Gefäß 
spiralige Schlingen zur Spitze des Labium vestibulare abgibt. Durch 
Retzius und Voltolini wurden auch beim Menschen Blutgefäße 
daselbst nachgewiesen. 

Die Lamina basilaris besteht aus fünf Schichten. Nach der Scala 
tympani hin liegt eine Bindegewebsschicht, dann folgt eine dünne 
homogene Schicht, auf welcher die radiären Fasern ruhen. Nach der 
Scala vestibuli hin sind letztere von einer dickern homogenen Schicht 
bedeckt, die man an Flächenschnitten nicht würde sehen können, und 
auf dieser ruht eine kutikulare Schicht oder ein kutikulares Häutchen, 
das die Radiärfasern von den Fußstücken der Außen- und Innenpfei- 
ler u. s. w. trennt. Letztere haben den Wert von je einer Epithel- 
zelle; allerdings zeigen sich im Kopf, sowohl der Außen- als 
der Innenpfeiler ellipsoidische homogene Einlagerungen, die aber 
nicht chromatophil sind wie Kerne. Eine Verschiebbarkeit in dem 
Gelenke zwischen beiden Pfeilern bestreitet S., weil eine durch Silber 
sich schwärzende Kittsubstanz sich darin befindet. Es würde dabei 
diese eigentümliche Gestaltung ganz unaufgeklärt bleiben (Ref.), wäh- 
rend von jener Kittsubstanz doch nicht behauptet werden kann, dass 
sie während des Lebens sich im festen Aggregatzustande befindet. 

VI, 45 


754 Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. 


Die innern Deckzellen betrachtet S. als Neurogliakerne, die zu 


den Nervenfasern gehören. — Die äußern Haarzellen enthalten den 
merkwürdigen Spiralkörper, welchen S. achromatophil fand, einen 
umwiekelnden Spiralfaden konnte Retzius nicht nachweisen. — Die 


äu/sern Deckzellen sind prismatisch, mit einem nach dem Lumen 
des Ductus eochlearis hin gerichteten Faden oder Phalangenfortsatz 
versehen. Der unterhalb des Kernes gelegene Teil des Zellenkörpers 
erscheint häufig schmal, was Ref. aus einer Abplattung desselben, 
S. aus einer Schrumpfung infolge seines Wasserreichtumes erklärte, 
wonach die äußern Deckzellen dann spindelförmig erscheinen. Im 
Innern verläuft durch die ganze Zelle ein Stützfaden, der als „innere 
Ausscheidung“ der betreffenden Zelle, analog der homogenen Substanz 
der Pfeiler gedeutet werden soll. 

In betreff der Membrana tectoria ist S. zweifelhaft, ob die Dicke 
ihrer mittlern Zone wirklich so beträchtlich ist, wie sie erscheint, 
zumal Middendorp derselben an allen Stellen nur 0,001 mm Dicke 
zugeschrieben hat. Indess entspricht an sehr feinen Radiärschnitten 
die Dicke der Membran keineswegs der Dicke des Schnittes: erstere 
bleibt beträchtlich größer, und so muss man die Verdiekung wohl für 
reell halten. Ref. würde mehr geneigt sein, an diehtgedrängte Radiär- 
falten zu denken, deren Längsschnitte den scheinbaren Diekendureh- 
messer vermehren könnten. — Wenigstens im embryonalen Zustande 
scheint die Membran an den äußersten Deckzellen befestigt zu sein. 

Beim Meerschweinchen enthält das Ganglion spirale cochleae zwei 
Sorten von Ganglienzellen: größere, helle, spindelförmige und kleinere, 
dunkle mehr kuglige; die Durchmesser sind 0,0285 resp. 0,0132 mm 
Breite auf 0,0475 resp. 0,0152 mm Länge. 

Aeußeres Ohr. $. schließt sieh der Ansicht Darwin’s an, 
wonach eine kleine Hervorragung am umgeschlagenen Rande der 
Helix, die Spina Darwinüi, eine atavistische Bildung ist; sie stellt 
entwicklungsgeschichtlich die eigentliche Ohrspitze dar, 
zu vergleichen den Enden der zugespitzten Ohren mancher Säugetiere. 
Den Ohrindex oder das Verhältnis der Breite zur Länge des Ohres 
fand S. bei Deutschen von 54—68,5 °/, varlierend. Ein breiteres Ohr 
würde sich dem Affenohr annähern. Lässt man das Öhrläppchen, 
dessen Länge von 9—20 mm schwankt, außer Rechnung, so wird 
jener Index = 74—94,8 |y. 

Interessanterweise behauptet S., dass die Ohrenschmalzdrüsen ihren 
Namen mit Unrecht tragen, dass sie eine mit den gelblichen oder 
bräunlichen Farbstoffkörnchen des Ohrenschmalzes versehene Flüssig- 
keit liefern, die sich dem von den Talgdrüsen gelieferten Fett bei- 
mischt. Dass das Talgdrüsensekret im Ohrenschmalz mitenthalten 
ist, hat Ref. (1876) bereits hervorgehoben, und es ist auch die ge- 
wöhnliche Vorstellung gewiss sehr irrtümlich, dass die Drüsen das 
Ohrenschmalz so absondern, wie es beim Lebenden aus dem Gehör- 


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Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. 755 


gange genommen werden kann. Vielmehr wird das Wasser dieser 
Emulsion schon in der trocknen Luft des Ganges verdunstet sein. — 
In der Haut des äußern Gehörganges der Vögel kommen Herb st’sche 
Körperchen vor, ob diese dem Ref. unbekannt gebliebene Angabe etwa 
von Moldenhauer herrührt, geht aus dem Text nicht hervor. 

Im Trommelfell fand S. dreimal unter 15 Fällen bei vorsich- 
tigem Sondieren mittels einer Borste ein Foramen Rivini und zwar in einer 
Stelle der Membrana flaceida, welche nach hinten und oben von der 
Prominentia mallei gelegen ist; da das betreffende Kanälchen schief 
über den Processus brevis nach unten und vorn verläuft, so erklärt 
sich, weshalb z. B. Injektionsmassen nicht von der Tuba Eustachii 
her in den äußern Gehörgang eindringen. 

Die Neigung des Trommelfelles gegen eine durch die Längsaxe 
des äußern Gehörgangs gelegte Ebene nennt S. die Deklination; sie 
beträgt 40°, aber die Partialdeklination der vordern Hälfte 85°, die 
der hintern Hälfte 155°. Als Inklination wird die Neigung gegen die 
Horizontalebene bezeichnet: das Trommelfell bildet mit letzterer einen 
lateralwärts offenen Winkel von 45—55°; dieser Winkel soll bei Mu- 
sikern besonders groß sein. Da die Beschäftigungsweise mit rhyth- 
mischen Schallwellen doch unmöglich einen anatomischen Winkel 
ändern kann, so müsste man in dessen Vergrößerung einen angebornen 
Vorzug des musikalischen Ohres sehen (Ref.). 

Durch Auftröpfeln von Ueberosmiumsäure kann man nachweisen, 
dass das Trommelfell mit einer dünnen, sich hierbei schwärzenden 
Fettschicht überzogen ist, die aus dem Ohrenschmalz stammt; rätsel- 
haft erscheint dabei nur, wie sie auf der äußern Oberfläche des 
Trommelfelles so gleichmäßig verteilt wird. (Dem Ref. scheint die 
Kapillar-Attraktion zur Erklärung ausreichend zu sein.) Kleine Tiere 
besitzen ein verhältnismäßig größeres Trommelfell, doch gilt dies nur 
im allgemeinen: so hat dasjenige von Vesperugo noctula 3,3 mm 
Durchmesser, dagegen fand sich nur 1,6 mm für die viel größere 
Vespertilio murinus (Hufeisennase). Das absolut größte Trommelfell 
besitzt, so viel bekannt, der Löwe (17 mm). 

Paukenhöhle. Die große Axe derselben bildet mit einer durch 
den obern Rand der Jochbogen gelegten Horizontalebene einen Winkel 
von 30°, nicht von 40° (C. Krause). Die Differenz beruht auf ver- 
schiedener Annahme der Horizontalebene (Ref.). Mit der Axe des 
äußern Gehörganges bildet die Axe der Tuba Eustachii in der Hori- 
zontalprojektion einen vorn offenen Winkel von 150°, die Tuben- 
Paukenhöhlenaxe mit der Medianebene einen Winkel von 45—50°. 
Die bei aufrechter Stellung am meisten abwärts befindliche Gegend 
der Paukenhöhle liegt 9 mm unter dem Niveau der Einmündung 
der Cellulae mastoideae oder des Recessus epitympanicus, dagegen 
4 mm unter dem Ostium tympanicum der Tube; folglich können 
sich Flüssigkeitsmengen im untern Teile der Paukenhöhle ansammeln. 

48* 


756 Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. 


Die Lückenbildungen im Tegmen tympani sind an macerierten Knochen 
häufiger, als an frisch untersuchten. 

Als Pelvis ovalis bezeichnet S. die elliptische Grube, welche oben 
durch den Facialiswulst, unten durch das Promontorium, vorn vom Pro- 
cessus cochlearis, hinten von der Eminentia papillaris und öfters der von 
dieser zum Promontorium hinüberziehenden Knochenspange, welche 8. 
Ponticeulus promontorii zu nennen vorschlägt, begrenzt wird. Die engste 
Stelle der Paukenhöhle, Angustia tympani, zwischen dem Promontorium 
und dem Umbo des Trommelfelles hat nur 1—2 mm Weite. Die Ein- 
pflanzungsstelle des Processes styloideus in die Paukenhöhle wird als 
Protuberantia styloidea bezeichnet. 

Der größere vordere Abschnitt der Membrana tympani secundaria 
hat eine Neigung nach hinten und lateralwärts, der hintere kleinere 
Teil nach unten und lateralwärts. Die Ebene der Membran steht also 
derjenigen des Trommelfelles durchaus nicht parallel, und die erstere 
scheint nicht einer direkten Fortleitung der Schallwellen durch die 
Luft der Paukenhöhle auf die Schnecke zu dienen, sondern es wird 
erstere indirekt vom Steigbügel in Bewegung gesetzt. Sie steht also 
in Abhängigkeit von den Bewegungen der Gehörknöchelchen, lässt 
sich von der Scala tympani aus stark gegen die Paukenhöhle vor- 
treiben, nicht aber umgekehrt gegen letztere eindrücken. 

Den M. fixator stapedis hat Ref., wie aus den betreffenden An- 
gaben hervorgeht, selbst untersucht und danach die Angaben Rü- 
dinger’s bestätigt Die Columella homologisiert S. mit Albrecht 
der ganzen Kette der Gehörknöchelehen, nicht den Steigbügel allein, 
beide aber dem Hyomandibulare und Sympleeticum. Sie scheinen 
nach Dohrn’s entwicklungsgeschichtlichen Ermittlungen einem Teile 
eines zwischen Unterkiefer- und Zungenbeinbogen eingeschalteten 
Kiemenbogens anzugehören. 

Der M. mallei (internus) wird vom R. tertius n. trigemini durch 
Vermittlung des Ganglion otieum innerviert. Ueber den M. mallei 
externus (Varietät) ist zu bemerken (Ref.), dass quergestreifte Muskel- 
fasern durch mikroskopische Untersuchung in demselben in einzelnen 
Fällen nachgewiesen sind. 

Die obere Trommelfelltasche nennt S. den Prussak’schen Raum 
und schließt sich Helmholtz an, insofern der Raum über dem Pro- 
cessus brevis hauptsächlich der hintern Trommelfelltasche zufällt. 
Außer den drei Taschen unterscheidet S. noch eine vordere Hammer- 
bucht vor dem Caput mallei, sowie eine obere und untere Ambos- 
bucht. 

Die Rückbildung der Schleimhaut der Paukenhöhle beim Neu- 
gebornen geht unabhängig von Inspirationen vor sich, und es erhellt 
hieraus, wie der Wert der sogenannten „Öhrenprobe“ in forensischer 
Beziehung zu taxieren ist. 

Die Tuba Eustachii stellt im Ruhezustande eine vertikale, ge- 











Schmitz, Fruchtbildung der Florideen. 757 


schlossene Spalte dar; bei ihrer Eröffnung unterstützt der M. levator 
veli palatini den M. tensor veli. 

Gerlach (1858) gelang es durch Injektion von den Aa. carotides 
internae aus, nach Unterbindung der beiden Aa. vertebrales, das 
Schleimhautnetz des Trommelfelles zu injizieren, vermöge der Anasto- 
mosen der A. auditiva interna mit Arterien der Paukenhöhle (R. pe- 
trosus superficialis; A. stylomastoidea). S. sucht die Erklärung der 
Thatsache in der Existenz von direkten Zweigen der A. carotis interna 
(R. earotieo-tympanieus, Ref.) zur Schleimhaut der Paukenhöhle. Bei 
den Gerlach’schen feinen Injektionen haben sich aber unzweifelhaft 
jene Kollateralbahnen ebenfalls gefüllt (Ref.). 

Der Raum gestattet nicht, auf die zahlreichen Erläuterungen ein- 
zugehen, welche die Schwalbe’sche Darstellung der Entwicklungs- 
geschichte entnommen hat, um die verwickelten Verhältnisse beim 
Erwachsenen durchsichtiger zu machen. Sehr wertvoll sind die aus- 
führlichen Beschreibungen, welehe den Neugebornen betreffen. Wenn 
das Lehrbuch, wie oben gesagt, beabsichtigte, den Anforderungen auch 
des Spezialisten, außer den gewöhnlichen des praktischen Arztes und 
pathologischen Anatomen zu genügen, so lässt sich darüber sagen, 
dass dies im vollsten Maße gelungen ist und ersteres auch in dieser 
Hinsicht warm empfohlen werden kann. Druck und Ausstattung sind 
vortrefflich. 

Vielleicht wird das Lehrbuch dazu beitragen, die auffallende 
Erscheinung zu beseitigen, dass die kleinen Handbücher der medi- 
zinischen Spezialwissenschafte: nicht etwa topographisch-anatomische 
oder physiologisch- anatomische Notizen, die dankbar aufzunehmen 
wären, sondern umfassende anatomische Beschreibungen des Baues 
der betreffenden Organe enthalten. Meist sind diese langatmigen 
Beschreibungen noch dazu ohne gründliche Kenntnis der anatomischen 
Literatur aus einigen Handbüchern und den neuesten Journalartikeln 
leichten Herzens zusammengestellt, was den Studierenden nur ver- 


wirren kann. 
W. Krause (Göttingen). 


Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. 
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin. 
Sektion für Botanik. 

Letzte Sitzung. Herr Schmitz (Greifswald) besprieht die verschiedenen 
Variationen, welche die Fruchtbildung bei den Florideen aufweist, indem er 
die Entwicklung der Frucht bei den fünf Ordnungen der Rottange (Nemalinen, 
Caulacanthinen, Sphärococeinen, Cryptoneminen und Rhodyme- 
ninen) näher darlegt. Er hebt dabei besonders das ganz eigenartige Auf- 
treten eines doppelten Befruchtungsaktes bei der Fruchtbildung zahlreicher 
Florideen hervor. — Herr Pringsheim (Berlin) bemerkt hierzu, dass es ihm 
scheine, als ob kein genügender Grund vorhanden sei, bei den Florideen einen 


158 Frank, Mikroorganismen des Erdbodens. 


zweiten Befruchtungsakt anzunehmen; er hält es für richtiger, den interes- 
santen Verschmelzungsakt, dessen Formen bei den Florideen der Vorredner 
darlegt, als einen Hilfsvorgang der Ernährung der entstehenden Spore zu be- 
zeichnen. — Herr Schmitz (Greifswald) erwidert darauf, dass alle einzelnen 
Thatsachen des sogenannten zweiten Befruchtungsaktes durchaus überein- 
stimmen mit anderweitig beobachteten Befruchtungsakten, so dass er glaubt, 
auch auf den vorliegenden Vorgang die Bezeichnung Befruchtungsakt anwenden 
zu müssen. 


Herr Frank (Berlin) spricht über die Mikroorganismen des Erd- 
bodens. Die Frage, welche niedern Pilzformen im natürlichen Erdboden vor- 
handen sind, wurde beantwortet, indem minimale durch Zerkleinerung und 
Sieben des Bodens gewonnene Teilchen desselben in nach den gebräuchlichen 
Methoden hergestellte Pilzkulturen, nämlich in sterilisierte Nährgelatine oder 
in Pflaumendekokt im hängenden Tropfen auf den Mikroskop-Objektträger ge- 
bracht wurden. Zur Verwendung kamen: 1) ein humusreicher Kalkboden, der 
Jahrhunderte lang Buchenwald trägt, 2) ein humöser Sandboden mit nachweis- 
lich wenigstens zwei Jahrhunderte lang fortgesetzter Kiefernkultur, 3) ein 
Wiesenmoorboden, 4) ein Lehmboden des Marschlandes der Unterelbe, 5) Boden 
vom Gipfel der Schneekoppe. Es wurden gefunden in wechselndem, nicht 
regelmäßigem Auftreten verschiedene Hyphomyceten, nämlich ein Oidium, 
ein Cephalosponium, eine Torula, eine kleine einfache Botrytis-Form, in einem 
Boden eine Mucorinee. Konstant in allen Böden aber zeigte sich ungefähr 
am zweiten Tage der Kultur ein Spaltpilz, bei allen Böden ein und derselbe. 
Zuerst erscheint er in Form langer ungegliedeter Leptothrixfäden. Sehr 
bald tritt in denselben Gliederung ein, wodurch sie oft zickzackförmig brechen 
in längere oder kürzere Fadenstücke, die Bacillusform. Dann folgt noch 
weitere Teilung in kurze zylindrische oder ovale Zylinder, die Bakterien- 
form. Nach mehrern Tagen schließt regelmäßig die Entwicklung ab mit der 
Sporenbildung unter allmählicher Vergallertung der Membran der Fäden 
oder Stäbehen. An den Sporen wurde in Objektträgerkultur wiederum Aus- 
keimung in kurze Stäbchen beobachtet, die vor der Teilung entweder grade 
bleiben oder auch sich krümmen und so die Form des Kommabaecillus an- 
nehmen. Der Entwicklungscyklus liegt also vollständig vor. Innerhalb des- 
selben zeigten sich noch folgende Variationen: 1) Inbezug auf Beweglichkeit, 
indem Fäden, Bacillen und Bakterien entweder starr bleiben können oder flexil 
werden, nicht selten auch lebhaft durch einander wimmelnde Bewegung an- 
nehmen; 2) inbezug auf die Dicke der Individuen, indem dieselben bei der 
üppigen Ernährung im Beginn der Kultur 1,2—1,3 « stark sind, bei fortgesetz- 
ter Vermehrung oft dünner werden bis zu 0,8 und selbst 0,6 « Durchmesser. 
Uebergänge der verschiedenen Dickegrade in demselben Faden sind konstatiert. 
Damit ist eine neue Bestätigung der von Zopf gegenüber den herrschenden 
Meinungen der Bakteriologen vertretenen Ansicht gegeben, dass die morpho- 
logischen Merkmale der Spaltpilze, nach denen man bisher Gattungen und 
Arten unterschied, hierzu unbrauchbar sind, vielmehr nur Entwieklungsstadien 
eines und desselben Pilzes darstellen können. Naturhistorisch müsste man den 
Bodenspaltpilz daher als Leptothrix terrigena, Bacillus terrigenus, Bacterium 
terrigenum bezeichnen, je nachdem er in diesem oder jenem Entwicklungs- 
zustande sich befindet. Vortragender geht nun auf die chemischen Prozesse 
im Erdboden über, die man bisher hypothetisch der Thätigkeit von Mikro- 
organismen zugeschrieben hat, und zwar auf die zuerst von Schlösing und 





Erich Haase, Verwandtschaftsbeziehungen der Myriapoden. 759 


Müntz vermutete Nitrifikation von Ammoniakverbindungen. In sterilisierte 
Lösungen von 0,008 g Chlorammonium auf 100 eem Wasser nebst etwas Pilz- 
nährstoff wurden die durch Reinzüchtung gewonnenen Pilzformen eingeimpft 
und dann nach dem Auftreten von Salpetersäure (geprüft mit Diphenylamin) 
und nach dem Verschwinden des Ammoniaksalzes (geprüft mittels des Ness- 
ler’schen Reagens) die Fähigkeit oder Unfähigkeit, Nitrifikation zu bewirken, 
ermittelt. Die Kontrolversuche mit frischem unsterilisiertem Boden ergaben 
nach 4 Wochen starke Abnahme . des Chlorammoniums, nach 8 Wochen nur 
noch eine Spur, nach 10 Wochen vollständiges Verschwundensein desselben. 
Dagegen trat in den mit den verschiedenen Bodenpilzen besäten Lösungen 
in keinem Falle Nitrifikation ein. Weiter ergab sich, dass auch der sterilisierte, 
ja sogar der geglühte Erdboden bei der gleichen Versuchsanstellung Ammoniak- 
salz in Nitrat oder Nitrit umwandelt. Es folgt daraus, dass die im Erdboden 
lebenden Pilze nicht im stande sind, Ammoniaksalze zu nitrifizieren, dass dieser 
Prozess im Boden vielmehr ein anorganischer ist, der an die Nitrifikation durch 
Platinmoor oder durch Ozon erinnert. 


Herr Frank Schwarz (Breslau): Ueber die chemische Unter- 
suchung des Protoplasmas. Der morphologischen Differenzierung des 
Protoplasmas entspricht eine chemische Differenzierung. Durch die bisherigen 
Untersuchungen ist dies nicht nachzuweisen, wohl aber wenn man die Methode 
der partiellen Lösung anwendet. Es wurden hauptsächlich jene Substanzen als 
Reagentien verwendet, welche zur Unterscheidung der Eiweißstoffe gebraucht 
wurden, Wasser, Neutralsalze verschiedener Konzentration K, HPO, und Na, 
NPO, Kalkwasser, Kalilauge, Essigsäure und Salzsäure verschiedener Konzen- 
tration, ferner Pepsin und Trypsinverdauung und einige Metallsalze. Redner 
geht auf die einzelnen Resultate, welche sich daraus ergeben, näher ein und 
bespricht noch im speziellen die Eigenschaften des Chromatins, welches sich 
als der relativ leichtest lösliche Körper im Kern erwies mit Ausnahme im 
Verhalten gegen Säuren. 


Herr Sorauer (Proskau) legte Blüten von gefüllten Regionen vor, deren 
Füllung durch Umwandlung der Griffel in Blumenblätter entstanden. Die Blumen 
waren ihrer Stellung und Entwicklung nach männliche Blüten. Auf den in 
Blumenblätter umgewandelten Griffelästen saßen reichlich Ovula in verschie- 
denen Stadien der Verlaubung. Ferner waren Blumen von Cinerarien vorge- 
zeigt, bei denen die Füllung willkürlich sich durch Verschiebung der Vegeta- 
tionszeit hatte erzeugen lassen. 


Sektion für Zoologie. 


3. Sitzung. Herr Erich Haase (Dresden): Ueber Verwandtschafts- 
beziehungen der Myriapoden. Von den großen Ordnungen der Arthro- 
poden haben, wie Vortr. 1881 nachwies, Insekten und Myriapoden die innigsten 
Verwandtschaftsbeziehungen, sodass sich die Frage nach dem Zusammenhang 
beider dahin präzisieren lässt, welche von beiden als die ältere und Vorläuferin 
der andern Ordnung aufzufassen ist. Ausgehend von Scolopendrella, der ein- 
zigen Vertreterin der Myriapodenordnung der Symphylen, sucht Vort. die 
großen Ordnungen der Myriapoden sowie die der Apterygoten, der niedrigsten 
Insekten, von einem ‚Scolopendrella verwandten Typus abzuleiten, indem er 


160 Schulze, Mittel zur Lähmung von Tieren. 


hauptsächlich die Ventralanhänge, „Hüftspornen“ und „Hüftdrüsen“, als morpho- 
logische Merkmale herbeizieht. Erstere Endspornen homolog finden sich als 
einfache Epithelialbildungen und unbeweglich (bei Scolopendrella und vielen 
Chilopoden) an den meisten Beinen, manchmal in eigentümlich verschobener 
Lage (bei Machilis, Blatta an den 2 letzten Beinpaaren); den Hüftspornen ent- 
sprechende an den Abdominalsegmenten bei Machilis ete. besonders entwickelte 
Anhänge, meist als Parapodien bezeichnet, dienen zur Fortbewegung, während 
die echten Extremitäten selbst verkümmert sind; Hüftdrüsen, auch bei Peripatus 
nachgewiesen, finden sich außer bei Scolopendrella noch bei Machilis, Campo- 
dea ete., von den Diplopoden bei Oraspedosoma und Lysiopedalium ; bei Lithobius 
an den letzten 4 (selten 5) Segmenten oft in zahlreichen Reihen; bei den Ckil. 
epimorpha endlich, bei denen die Hüften reduziert werden, auf den Pleural- 
platten des letzten beintragenden Segments. Sie sondern einen klebrigen faden- 
ziehenden Saft aus und dienen zum Anhaften an glatten Flächen oder zum 
Befestigen der Spermatophoren (Geophilus) ete. So sind denn entgegen Brauer 
symphylenähnliche Myriapoden als die Stammeltern der Myriapoden und In- 
sekten aufzufassen, zumal besonders die epimorphe Campodea und Japyz auf 
engste Verwandtschaft mit hemimetabolen (anamorphen) Hexapoden hinweisen 
und von letztern durch vergleichende Uebersicht des eigentlichen Wesens 
der Verwandlung mittels der unvollkommnern Metamorphose gewisser Käfer- 
familien (Lampyriden, Phengodes) zu den holometabolen (metamorphen) Insekten 
ein Uebergang gefunden werden kann. 


Letzte Sitzung. Herr F. E. Schulze (Berlin): Ueber die Mittel, 
welche zur Lähmung von Tieren dienen können, um dieselben 
im erschlafften, ausgedehnten Zustande erhärten oder ander- 
weitig konservieren zu können. Dice Aufgabe, Tiere in möglichst natür- 
lichem ausgedehntem Zustande zu fixieren, ist gleich wichtig für die Forschung 
wie für die Darstellung. Ich hielt es daher für zweckmäßig, dieses, alle 
Zoologen der verschiedensten Richtung gleichmäßig interessierende Thema 
hier zur Diskussion zu stellen, in der Hoffnung, dass so ein nützlicher Aus- 
tausch von Erfahrungen und eine fruchtbare Vergleichung von Präparaten 
ermöglicht werden könnte, welche von verschiedenen Bearbeitern nach ver- 
schiedenen Methoden hergestellt sind. Freilich wird für die speziellen Zwecke 
des Forschers oder Präparators das in jedem einzelnen Falle anzuwendende 
Verfahren nicht immer das gleiche sein dürfen, und häufig genug wird der 
Zoologe in die Lage kommen, sich zur Lösung einer bestimmten Aufgabe eine 
brauchbare Methode erst selbst ausbilden oder ganz neu erfinden zu müssen. 
Im allgemeinen wird man die zur Fixierung der Tiere im ausgedehnten Zu- 
stande dienenden Methoden in zwei Gruppen bringen dürfen, nämlich erstens 
solche, welche darauf abzielen, in normaler Ausdehnung befindliche Tiere durch 
irgend welche Einwirkungen so plötzlich zu erhärten, dass sie gar keine Zeit 
haben, sich noch vor der Fixierung zusammenzuziehen, das sogenannte Ueber- 
raschungsverfahren, und zweitens solche Methoden, bei welchen durch 
die angewandten Mittel die Lähmung langsam eintritt und allmählich erst zu 
einer vollständigen Erschlaffung führt, nach welcher dann die Erhärtnng vor- 
genommen werden kann. Ueber die verschiedenen Ueberraschungsverfahren, 
wie das plötzliche Uebergießen mit Alkohol absolutus, Osmiumsäure, Sublimat- 
lösung, Chromsäure und anderer Mineralsäuren, welche Reagentien teils kalt, 
teils in erwärmtem Zustande oder selbst kochend anzuwenden sind, will ich 
hier nicht reden; doch möchte ich darauf hinweisen, dass in manchen Fällen 








Schulze, Mittel zur Lähmung von Tieren. 761 


vielleicht die Tötung mittels eines elektrischen Schlages zu versuchen wäre. 
Von den zahlreichen Methoden dagegen, welche auf allmähliche Einwirkung 
lähmender Mittel beruhen, mögen zuerst einige rein physikalisch wirkende Er- 
wähnung finden. Dahin gehört die langsame, bis zur Empfindungslosigkeit 
fortgesetzte Abkühlung, sowie anderseits das ganz langsame bis zum Ein- 
tritt der Wärmestarre oder bis zum Tote fortgesetzte Erwärmen. In einigen 
Fällen wird das vollständige Ausdehnen des Tieres auch einfach durch Er- 
sticken in ausgekochtem Wasser erzielt. Zahlreich sind die narkotisch 
wirkenden Substanzen, mittels deren man die Tiere langsam lähmt, um sie 
dann im ausgedehnten Zustande durch Härtungs- oder Konservierungsmittel zu 
fixieren. Dahin gehört der Alkohol, welchen man entweder in dünner Schicht 
auf dem die lebenden Tiere enthaltenden Wasser ausbreitet, oder direkt in 
verschieden starker Verdünnung anwendet, das Chloroform in sehr schwacher 
wässriger Lösung oder in Dampfform, Schwefeläther, Blausäure, Kohlensäure, 
Atropin, Nikotin oder Tabaksrauch, Strychnin, Chloralhydrat, Cocain und ähn- 
liche Mittel. In anderer Weise, aber mit ähnlichem Erfolge, wirken pyro- 
schwefligsaures Kali, Eisenchlorid und andere Metallsalze. Es scheint mir 
nun zweckmäßig, hier die in betracht kommenden Tiergruppen in der Weise 
durchzunehmen, dass ich für jede einzelne Gruppe die gebräuchlichsten oder 
mir näher bekannten Lähmungs- und Erhärtungsmittel nenne und darauf die 
geehrten Herren bitte, ihre eignen Erfahrungen mitzuteilen. 1) Rhizopoden. 
Ein brauchbares Verfahren zur Fixierung der ausgestreckten Pseudopodien be- 
steht in der Ueberraschung mittels Osmiumsäure und nachfolgender Behand- 
lung mit Pikrokarmin, ferner in der Ueberraschung mit Alcohol absolutus, 
Sublimat oder Chromsäure, welche eventuell warm anzuwenden sind. — Herr 
Hertwig (München) macht auf Chinin aufmerksam, da dasselbe das Proto- 
plasma schon in schwachen Lösungen lähme. Um zu verhüten, dass die Pseudo- 
podien der Rhizopoden, welche nach dem Abtöten den Turgor vitalis verlieren, 
sich durcheinander wirren, empfiehlt sich der Transport des Objekts von einem 
Reagens in das andere mittels Kapillarröhrchen. Die Osmiumschwärzung wird 
vielfach besser als durch ammoniakalische Karminlösungen durch chromsaure 
Salze verhindert; besonders möchte sich chromsaures Ammoniak empfehlen. 

2) Infusorien. Eine ganz befriedigende Methode, um weiche ciliate oder 
flagellate Infusorien bezw. Acineten in ausgedehntem Zustande so zu lähmen, 
dass sie gut gehärtet werden können, scheint noch nicht gefunden zu sein. 
Von Braun ist kohlensäurehaltiges Wasser (etwa Soda- oder Selterwasser) 
empfohlen. Zur Lähmung des Cilienschlages wandte Herr Stud. Verworrn 
im Berliner zoologischen Institute mit gutem Erfolge chloroformhaltiges Wasser 
an. Das bisher von mir und vielen andern vorwiegend geübte Verfahren zum 
Fixieren der Infusorien besteht in der Ueberraschungsmethode unter Anwen- 
dung der Osmiumsäure, Sublimat, Alcohol absolutus, Chloralhydrat. — Herr 
R. Hertwig (München) erwähnt, dass für die Untersuchung von Infusorien 
Kochsalzlösung zu empfehlen sei, in welcher die Tiere lebend sich erhalten, 
aber gelähmt werden; ferner empfehle sich die Quetschmethode, welche in 
der Weise anzuwenden sei, dass das Deckgläschen durch Wachsfüßchen unter- 
stützt werde und durch Abschmelzen der Wachsfüßchen mit erhitzten Nadeln 
eine leicht zu regulierende Kompression des Objektes erzielt werde. — Herr 
F. E. Schulze (Berlin) bemerkt, dass man durch Regulierung der unter dem 
Deckplättchen befindlichen Wassermasse eine systematische Kompression aus- 
üben könne, 


762 Schulze, Mittel zur Lähmung von Tieren. 


3) Spongien und Cnidaria. Von der Anwendung der Narcotica habe 
ich bei Spongien oder Spongienlarven bisher noch keine nennenswerten Erfolge 
zu berichten. Bei den Hydromedusen, Scyphomedusen und Ctenophoren hat 
sich die Osmiumsäure als Ueberraschungsmittel seit langer Zeit gut bewährt. 
Ich erlaube mir, Ihnen hier einige mit dieser Methode von mir schon 1869 
fixierte Medusen vorzulegen, welche die Befürchtung mancher Zoologen mit 
Erfolg widerlegen dürften, dass dieses neue Präparationsverfahren keine be- 
ständigen Präparate liefere. Glänzende Resultate sind bei den Siphonophoren 
mittels der der eigentlichen Erhärtung vorausgehenden Lähmung mittels Chloral- 
hydrat erzielt, einer Methode, welche zuerst an der zoologischen Station in 
Neapel ausgeübt und seither bis zu meisterhafter Vollendung ausgebildet ist. 
Die letztere Behandlung erzielt auch bei den Anthozoen vorzügliche Resultate, 
besonders da, wo sie mit dem prallen Anfüllen des Gastrovaskularsystems 
durch Injektion verbunden werden kann. Ob die zoologische Station in Neapel 
noch eigenartige Methoden der Art zur Herstellung ihrer schönen Präparate 
verwendet, ist mir nicht bekannt. — Herr Hertwig (München) ist der Ansicht, 
dass man bei der Konservierung der Anthozoen unterscheiden müsse, zu wel- 
chem Zweck die Tiere dienen sollen. Für Sammlungspräparate würde es sich 
empfehlen, die Tiere plötzlich mit energischen Reagentien abzutöten (Eis- 
essig etc.); für histologische Untersuchung würde wohl eine vorhergehende 
Lähmung nicht zu umgehen sein. Herr von Brunn (Hamburg) erwähnt, zur 
plötzlichen Abtötung von Polypen werde in Neapel mit bestem Erfolg eine 
kochende Mischung von Sublimat und Essigsäure zu gleichen Teilen ange- 
wandt. — Herr Pfeffer (Hamburg) teilt mit, dass bei Pennatuliden mit großen 
Polypen, z.B. Renilla, allmähliches Zusetzen von süßem Wasser bis zur völligen 
Aussüßung mit Vorteil anzuwenden sei, um dieselben in ausgestrecktem Zu- 
stande als Sammlungsexemplare zu konservieren. — Herr R. Hertwig hat die- 
selbe Methode bei Zucernaria mit Erfolg angewendet. — Herr Ed. v.Beneden 
(Lüttich) teilt die Resultate seines Schülers Föttinger über die Wirkung 
des Cocains und des Chlorals auf Hydroiden und Actinien mit. Die Lähmungs- 
mittel geben bei Hydroiden keine Resultate, insofern als ganz kleine Quanti- 
täten Cocain oder auch Chloral die Tiere zur Kontraktion bringen, worauf sie 
sich nicht mehr ausbreiten. Die Actinien deformieren sich sehr, sobald die 
Lähmungsmittel auf sie emwirken. — Herr Schneider (Breslau) bestätigt, 
dass die Quellungsmethode (längeres Liegen in süßem Wasser) gute Resultate 
gibt (bei Nematoden, Echinorhyrchen). 

4) Würmer. Bei den verschiedenen Gruppen der Würmer hat sich in 
vielen Fällen die Lähmung der im Wasser befindlichen Tiere mit einer Deck- 
schicht von Alkohol oder mittels chloroformhaltigen Wassers gut bewährt, 
während dieses Verfahren in andern Fällen nicht genügt, und man mit der 
Ueberraschungsmethode durch Anwendung von warmer Sublimatlösung oder 
Pikrinschwefelsäure weiter kommt. Ein besonders schwieriges Objekt für die 
Erhärtung im ausgedehnten Zustande bilden die Rädertiere. Im hiesigen 
zoologischen Institut sind einige ziemlich gut gelungene Versuche mit Chloral- 
hydrat, Cocain und nachfolgender Osmiumhärtung ausgeführt worden, deren 
Ergebnisse ich Ihnen hier vorlege. Bssser noch wirkt eine in Eis gekühlte 
Coeainlösung. — Herr Schneider (Breslau) erklärt, dass das kohlensäure- 
haltige Wasser für das Lähmen von Rädertiereren in ausgestrecktem Zustand 
vorzüglich zu verwenden sei. — Herr H. v. Brunn (Hamburg) bemerkt: 
Nermertinen dehnen sich so vollkommen wie möglich in Chloralhydrat aus, 
wobei sie den Rüssel oft in seiner vollen Länge ausstülpen. Für Trematoden 





ge u 


Schulze, Mittel zur Lähmung von Tieren. 7165 


empfiehlt es sich, das Tier in einem kleinen Tropfen Wasser unter dem Deck- 
glas etwas breit zu drücken und so ganz plötzlich über der Spiritusflamme zu 
erhitzen, oder dies in dem Augenblick vorzunehmen, wo sich das Tier selbst 
eben am vollkommensten ausgedehnt hat. Sehr gute Resultate liefert für 
Polychäten Diffusion mit Alkohol. Für die Lähmungsmethode ist es sehr 
wichtig, den besten Zeitpunkt der Tötung abzupassen, um einerseits Mazeration, 
anderseits Wiederzusammenziehung des Tieres zu verhüten. — Von großer 
Wichtigkeit würde eine systematische Ausprobierung verschiedenster Konzen- 
trationen der Lähmungsmittel auf die einzelnen Tiere sein, so ist z. B. die 
Wirkung von Chloralhydrat danach äußerst verschieden. 

5) Bryozoen. Auch die Bryozoen sind nicht leicht im ausgestreckten 
Zustande zu fixieren. Wir haben indess nach Chloral- oder Cocain - Lähmung 
und Erhärtung in Alkohol oder Osmiumsäure von der in unsern Seen häufigen 
Oristatella mucedo und auch bei Aleyonella fungosa ganz leidliche Präparate 
erhalten, von welchen ich Ihnen hier einige vorlege. — Herr Ed. v. Beneden 
(Lüttich) teilt mit, dass die Anwendung des Chlorals bei See-Bryozoen im 
allgemeinen keine guten Resultate gibt. Trotzdem hat Dr. Föttinger durch 
diese Lähmungsmittel bei einigen Seeformen, z. B. Laguncula repens und L. 
elongata, sehr schöne gut ausgestreckte Stöcke bekommen. 

6) Mollusken. Um Mollusken im ausgestreckten Zustande zu fixieren, 
kenne ich kein besseres Mittel, als sie in Wasser in einem geschlossenen Glase 
zu ersticken. — Herr v Brunn (Hamburg) teilt mit, zur Untersuchung von 
Phyllirhoe im lebenden, gelähmten Zustande sei Chloralhydrat zu empfehlen. — 
Herr v. Martens (Berlin) bemerkt, dass beim Ersticken in Wasser die Fühler 
unserer Landschnecken nur halb ausgestreckt bleiben, so dass die Augen nicht 
sichtbar sind, und dass für Nacktschnecken auch das Töten durch Tabaksqualm 
empfohlen worden ist. — Herr Pfeffer (Hamburg) bemerkt, Sublimat in Kon- 
zentration sei bei Schnecken, besonders für Limax, zur raschen Tötung ver- 
wendbar. Sochaczewer hat kriechende Schnecken mechanisch fixiert. 
Chromsäure ist durchaus zu verwerfen, da die mit Chromsäure konservierten 
Objekte brüchig werden und in Krümel zerfallen. Ein Abschneiden von Fühlern 
ist nicht zu empfehlen, da sich auch abgeschnittene Teile noch ganz stark 
kontrahieren. — Herr R. Hertwig (München) hat die gleichen schlechten Er- 
fahrungen an dem Chromsäure-Material der Challenger-Expedition gemacht. — 
Herr Weltner (Berlin) teilt mit, er habe Präparate von Prof. Carriere 
gesehen, die zum Studium des Auges an Helix pomatia angefertigt waren. 
Hier war der Fühler total ausgestreckt und das Auge lag an seiner Spitze. — 
Herr C. Hasse (Breslau) fragt, ob man Morphium zur Ueberwindung der Kon- 
traktionserscheinungen des Schneckenfühlers angewendet habe. — Herr Hert- 
wig (München) bemerkt, dass Protozoen gegen Morphium sehr unempfindlich 
seien; auch bei Actinien ist Morphium wirkungslos. Je weiter wir in der 
Tierreihe der Wirbellosen herabsteigen, um so weniger empfindlich finden wir 
sie für die bei den Wirbeltieren wirksamen spezifischen Nervengifte. 

7) Arthropoden und Wirbeltiere. Bei diesen Tiergruppen kann 
zwar die Lähmung, sowie sie durch Narcotica verschiedener Art sich erzielen 
lässt, häufig sehr nützlich werden, um Beobachtungen lebender Tiere (beson- 
ders an kleinen Krustern, Fischehen, Batrachier- und Tritonlarven ete.) anzu- 
stellen, doch dürfte hier eine Lähmung im ausgedehnten Zustande selten not- 
wendig werden. — Herr Wilhelm Müller (Greifswald) teilt mit, dass man 
Seesterne, welche beim Absterben ihre Arme abwerfen, daran verhindern 
könne, indem man sie in Sand eingräbt. — Herr Pfeffer (Hamburg): Für 


764 Röhmann, Milchsäurebildung bei der Thätigkeit des Froschmuskels. 


trockene Seesterne ist zur Erhaltung der Farbe kurze Behandlung (6 Stunden) 
mit Wickersheimer’scher Flüssigkeit zu empfehlen. — Herr Eduard v. 
Beneden (Lüttich) bemerkt bezüglich der Konservierung der Tunikaten, dass 
man, um sie im ausgestreckten Zustande zu erhalten, Glasrohre in die beiden 
Körperöffnungen bei großen Species (Phallusia mamillata o. P. mentula) ein- 
bringt und, nachdem die Tiere sich ausgebreitet haben, mittels eines Trichters 
Eisessig, Alkohol oder Kleinenberg’sche Flüssigkeit eingießt. Bei kleinen 
Species (Molguliden, Cynthiaden, sozialen oder zusammengesetzten Ascidien) 
bringt man eine Schicht Alkohol oder Alkohol und Kleinenberg’sche 
Flüssigkeit auf die Wasserfläche und tötet durch allmähliche Ausbreitung der- 
selben im Wasser die Tiere ab. — Herr Korschelt (Freiburg i. B.) möchte 
die Frage in Erwähnung bringen, ob durch die Konservierung kleinerer Gewebs- 
stücke (z. B. der Insektenovarien) mit Sublimat eine Missbildung der histo- 
logischen Verhältnisse hervorgebracht wird. Rühren die sonderbaren Bildungen 
des Chromatins im Innern der Kerne des Insektenovariums von der Einwirkung 
des Sublimats her, oder sind sie naturgemäß? Bei längerer Einwirkung ist 
ersteres wohl möglich, bei vorsichtiger Anwendung des Sublimats aber bleiben 
die histologischen Details sehr wohl erhalten, wie man durch Vergleichung 
mit frischen Objekten erkennt. — Herr Schneider (Breslau) bemerkt, dass 
die von dem Vorredner erwähnten und von Will beschriebenen Veränderungen 
der Kerne des Insektenovariums Alterserscheinungen sind, und nicht auf die 
Einwirkung des Reagens zurückzuführen seien. 


Sektion für Physiologie. 


4. Sitzung. Herr Kronecker berichtet über Ergebnisse von Versuchen 
der Herren Lamb und Lubarsch, betreffend die Verteilung und Bildung von 
Wärme im Darmkanale. Mittels Hautthermometer zeigt Herr Lamb, dass bei 
rückwärts aufgebundenen Kaninchen die Temperatur im Rectum viel schneller 
sinkt, als am Dünndarm oder Kolon, ja dass oft die Darmtemperatur etwas 
steigt. Alle Mittel (besonders aber Chloral), welche die Blutgefäße des 
Splanchnicussystems erweitern, steigern anfänglich die Darmtemperatur, 
mindern die Rectaltemperatur, worauf der Dünndarm sich abkühlt. Herr Lu- 
barsch fand, dass Reizung des Corp. striatum beim Kaninchen, sowie der 
Vorderhirnoberfläche bei der Katze die Darmtemperatur um mehrere Grade 
steigern kann. Achnlich wirken: Anämie der Gehirne durch Entleerung der 
Sinus ven., sowie auch durch Drehung des Tieres auf der Centrifuge mit 
peripher gelagertem Kopfe. Auch bloße Aufregung der Katzen (ohne wesent- 
liche Bewegung) steigerte beträchtlich die Darmtemperatur. Hierdurch sind 
Ausgangspunkte von Drüsennervenbahnen im Gehirn wahrscheinlich gemacht 
und die Ursachen der Erwärmung durch psychische Erregung in den Drüsen 
erwiesen. 


Herr v. Basch erinnert an Versuche, die in seinem Laboratorium von 
Herrn Bettelheim über das Antipyrin angestellt worden. Diese Versuche 
lehrten, dass die Hauttemperatur anstieg, während die des Reetums absank, 
was wohl darauf beruht, dass die die Haut durchströmenden Blutmengen an- 
wachsen. 


Herr Röhmann spricht über Milchsäurebildung bei der Thätig- 
keit des Froschmuskels. In ähnlicher Weise wie Böhm nachgewiesen 











Günther, Elliptische Lichtstreifen, 765 


hat, dass bei der Totenstarre sich Milchsäure bildet, ohne gleichzeitigen 
Schwund von Glykogen, lässt sich zeigen, dass bei der Thätigkeit ebenfalls 
Milchsäure entsteht, während das Glykogen abnimmt. Die im Muskel gebildete 
Milchsäure geht zu einem kleinen Teil, welcher durch die Vena renalis advehens 
der Niere direkt zugeführt wird, in den Froschharn über, der größere Teil 
gelangt zur Leber und wird dort zerstört. 


Herr Head: Ist Collaps der Lunge ein inspiratorischer Reiz? 
Die Untersuchungen sind mit der in dieser Sektion in Hamburg beschriebenen 
Methode gewonnen worden. Es ist aus folgenden Gründen wahrscheinlich, dass 
Collaps der Lunge einen wirklichen inspiratorischen Reiz hervorruft: a) Eine 
Verkleinerung des Lungenvolumens wirkt stärker als die reizlose Durchtrennung 
der Vagi. b) Wiederholte Verkleinerungen rufen ein Summieren der inspira- 
torischen Wirkungen hervor. c) Man lässt die linke Lunge vollständig kolla- 
bieren und durchschneidet den rechten Vagus — gesetztenfalls die Vagi nicht 
beträchtlich kreuzen. Eine Aufblasung ruft eine Stauung hervor, da eine 
starke Inspiration beim Oeffnen der Trachea folgt. Dieser starke inspirato- 
rische Tonus bleibt meistens aus, wenn man den linken Vagus während der 
Aufblasung reizlos durchtrennt, was man durch Durchfrieren oder lokale Be- 
handlung mit Aetherdampf zuwege bringen kann. 


Herr E. Grumach teilt die Resultate seiner Untersuchung über die 
Fortpfanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle in elastischen 
Röhren mit. Zu den Versuchen wurden einerseits Kautschukschläuche von 
verschiedener Qualität, anderseits Aorten des Pferdes benutzt. Als wesent- 
liches Ergebnis der Untersuchung fand Vortr., dass die Dehnungskurve der von 
ihm untersuchten Kautschukröhren sich durchaus entgegengesetzt zu der der 
Arterie verhält. Bei den erstern nahmen bei Drucksteigerung die Delnungs- 
werte zu, also der Elastizitätskoeffizient zugleich ab. Damit fand Abnahme 
der Pulsgeschwindigkeit statt. Bei den Arterien nahm bei Drucksteigerung 
der Elastizitätskoeffizient und zugleich damit die Pulsgeschwindigkeit zu. Der 
Einfluss des Durchmessers und der Wanddicke auf die Pulsgeschwindigkeit ist 
gegenüber dem des Elastizitätskoeffizienten nur als untergeordnet zu betrach- 
ten. Nach den an lebenden Arterien gemachten Beobachtungen sowie den 
heute mitgeteilten können wir wohl den Schluss ziehen, dass die Dehnungs- 
kurve der lebenden Arterie sich ebenso wie die der toten verhalten wird, dass 
also bei Drucksteigerung Zunahme des Elastizitätskoeffizienten und infolge 
davon auch Zunahme der Pulsgeschwindigkeit eintreten muss. 


Herr Günther lenkt die Aufmerksamkeit auf die von Purkinje bereits 
beschriebene subjektive Gesichtserscheinung der „elliptischen Licht- 
streifen“, welche man von einem im Dunkeln mit einem Auge fixierten leuch- 
tenden Körper nach der Schläfenseite hin ausgehend in dem bläulichen Eigen- 
lichte der Retina beobachtet. Diese Liehtbögen verlaufen stets in den blinden 
Fleck. Sie kommen durch eiuen unbekannten Vorgang innerhalb der nervösen 
Apparate der Retina zu stande, nicht durch katoptrische oder dioptrische Vor- 
gänge. Nur bestimmte Punkte der Retina, die schläfenwärts von dem Fixations- 
punkte liegen, lösen die Erscheinung aus. Herr Günther studierte die Er- 
scheinung mit Hilfe eines vertikal gestellten Platindrahtes, der durch den 
galvanischen Strom glühend gemacht wurde. Noch in 9 Winkelgraden Ent- 
fernung von dem Fixationspunkte auf der Retina schläfenwärts gerechnet, kam 


766 Zuntz, Gehalt des strömenden Blutes an geformten Bestandteilen. 


die Erscheinung zu stande, während zwischen dem Fixationspunkte und dem 
Sehnerveneintritt das Bild des leuchtenden Körpers die Bögen nicht mehr 
erscheinen lässt. 2 helle Spalte bringen 2 Bogensysteme zu stande. Vielleicht 
sind die die Erscheinung auslösenden Stellen der Retina als Umschlagsstellen 
der zur Fovea centralis verlaufenden Nervenfasern aufzufassen. An den Vor- 
trag schloss sich eine Demonstration. — Herr Exner weist auf das allgemein- 
physiologische Interesse hin, das sich an die besprochene Erscheinung knüpft, 
indem sie auf dem einzigen ihm bekannten Beispiel einer Ausnahme vom Ge- 
setze der isolierten Nervenleitung beruht. 


Letzte Sitzung. Herr N. Zuntz: Ueber die Ursache der Apnoe des 
Fötus — nach Versuchenmit Herrn Cohnstein.— Beidem durch Sectio caesarea 
bloßgelegten Schaffötus, dessen Plazentarzirkulation intakt ist, gelingt es durch 
Hautreize nicht, Atembewegungen auszulösen. Die widersprechenden Beobach- 
tungen Preyer’s erklären sich aus der bei Kaninchen, Meerschweinchen etc. 
der Eröffnung des Uterus folgenden Störung des Plazentarkreislaufs. Erstes 
Symptom dieser Störung ist scharlachrote Farbe des Nabelvenenblutes, welche 
jedesmal zu stande kommt, wenn eine kleine Blutmenge langsam die Placenta 
durchfließt und so Zeit zu vollkommener Sättigung findet. Dasselbe Blut, 
welches beim Fötus die Apnoe fortbestehen lässt, würde beim reifen Tiere 
schon vermehrte Atmung auslösen. Der Unterschied ist zum Teil in einer 
verminderten Erregbarkeit der Atemeentra beim Fötus, welche während der 
ersten Zeit post partum fortbesteht, begründet. Tiere in den ersten Lebens- 
tagen reagieren auf denselben Reiz (CO,) rascher als ältere. — Dazu kommt 
als weiteres Moment, welches die Atmung vor der Geburt erschwert, der 
hemmende Reflex bei Berührung der Nase mit Flüssigkeit, der jedesmal aus- 
gelöst wird, sobald der Fötus eine Atmung intendiert. 


Herr N. Zuntz spricht über den wechselnden Gehalt des strö- 
menden Blutes an geformten Bestandteilen und seine Ursachen 
— nach Versuchen mit Herrn Cohnstein. — Man ist vielfach geneigt, die 
im septischen Fieber und bei vielen andern Störungen bemerkbaren raschen 
Aenderungen der Blutkörperchenzahl auf massenhafte Zerstörung und Neu- 
bildung dieser Formelemente zu beziehen, weil man glaubt, dass die Momente, 
welche dem Blute Flüssigkeit zuführen bezw. entziehen, die Filtration, Resorp- 
tion und Diosmose zur Erklärung der beobachteten Aenderungen nicht aus- 
reichen. Die extremsten Schwankungen der Blutkörperchenzahl beobachtete 
man nun nach hoher Rückenmarksdurchschneidung, welche in wenigen Minuten 
eine Abnahme der roten Blutkörperchen von 5 auf 3 Millionen im cbmm be- 
wirken kann. Reizung des Rückenmarks bringt mit dem Blutdruck auch die 
Körperchenzahl wieder auf die alte Höhe. Hier an Zerstörung und rasche 
Regeneration der Blutkörperchen zu denken ist unmöglich. Aber auch die 
Filtration und Resorption sind, wie besondere Versuchsreihen lehrten, viel zu 
langsame Prozesse. Die mikroskopische Beobachtung durchsichtiger Teile lehrt, 
dass in der Norm viele Kapillaren sehr arm an Blutkörperchen sind; nach der 
Rückenmarkstrennung sind alle diese Kapillaren vollgepfropft, bei Reizung des 
Rückenmarks werden sie wieder so eng, dass sie wesentlich Plasma beher- 
bergen. Selbstverständlich entspricht einem Plus an Blutkörperchen in den 
Kapillaren ein Minus in den großen Gefäßen. — Zwischen größern Arterien 
und Venen besteht kein Unterschied der Blutkörperchenzahl. 








Liebreich, Reaktionserscheinung in Beziehung zur Zellenthätigkeit. 767 


Sektion für Chemie. 


Letzte Sitzung. Herr Liebreich: Ueber eine eigentümliche Reak- 
tionserscheinung in Beziehung zur Zellenthätigkeit. Das im 
Jahre 1832 von Liebig entdeckte Chloralhydrat wurde 1869 von dem Vor- 
tragenden als Heilmittel in die Medizin eingeführt, weil er die Wirkung des- 
selben aus seiner Reaktion zu Alkalien auch im lebenden Organismus vermutete. 
Es spaltet sich Chloralhydrat mit Alkalien zu Chloroform und ameisensaurem 
Natron. Diese Reaktion verläuft ebenfalls im Organismus, wofür von ihm und 
andern Beweise beigebracht worden sind. Unter gewissen Umständen als ab- 
norme Erscheinung oder in minimalen Quantitäten vielleicht normal, tritt im 
Harn eine vom Chloralhydrat sich ableitende Säure auf, welche von v. Meh- 
ring dargestellt wurde. Da der größte Teil des Chlorals als Salzsäure im 
Harn wiedergefunden wird, so ist, wie bei vielen andern Substanzen, das Auf- 
treten geringer Mengen Urochloralsäure nicht gegen die Chloroformtheorie 
sprechend, verdient aber immerhin Beachtung. Wie ist es möglich, dass eine 
mit Alkalien so leicht sich zerlegende Substanz wie das Chloralhydrat die 
alkalischen Säfte des tierischen Organismus unzerlegt passieren kann? Denn 
wir können die Flüssigkeiten des Organismus als alkalische Flüssigkeiten be- 
zeichnen, wenn auch, wie du Bois Reymond es gezeigt hat, eine saure 
Reaktion bei der Funktion der Muskeln eintreten muss. Ohne die Spaltungs- 
theorie des Chloralhydrates weiter zu behandeln, hat die Erforschung dieser 
Frage zu einer Entdeckung geführt, welche, wie es scheint, eine größere Trag- 
weite hat. Nach der ersten Einführung des Chloralhydrats in die Medizin 
wurde eine besondere Aufmerksamkeit in allen Kreisen durch den Hinweis 
A.W.Hofmann’s geweckt. Es folgten eine Reihe chemischer Untersuchungen 
durch A. v. Baeyer, Viktor Meyer und andere, als deren Resultat zu ver- 
zeichnen ist, dass die als Chloralhydrat bezeichnete Substanz nicht Triehloral- 
dehydhydrat, sondern wahrscheinlich Trichloräthylidenglykol ist. Alle diese 
Untersuchungen sind zu einer Zeit ausgeführt worden, als das Chloralhydrat 
nur in Platten gegossen bekannt war. Durch Benzol erleiden diese Platten 
eine eigentümliche Umlagerung in lose Kıystalle, welche von Martius in 
größerem Maßstabe früher, jetzt von Schering dargestellt werden. Diese 
beiden Substanzen, Platten und Krystalle, scheinen jedoch verschiedene Sub- 
stanzen zu sein. Die Platten lösen sich unter Kontraktion der Lösung, die 
Krystalle unter Ausdehnung der Lösung im Wasser. Durch Schmelzen werden 
die Krystalle in Platten übergeführt. Bei der Vermutung, dass Platten und 
Krystalle ein ungleiches Verhalten zu Alkalien zeigen, wurden Untersuchungen 
angestellt, welche ergaben, dass bei chemischen Reaktionen ein toter Raum 
entsteht, in welchem eine Reaktion nicht zu beobachten ist. Gleichgiltig, ob 
man Lösungen von Krystallen oder Platten von Chloralhydrat in Wasser an- 
wendet, mit Natriumkarbonat-Lösung entsteht je nach der Konzentration und 
Temperatur der Lösungen mehr oder weniger spät eine nebelartige Ausschei- 
dung des Chloroforms. Wendet man Röhren an, so begrenzt sich die Aus- 
scheidung unterhalb des Meniscus mit einer dem Meniscus entgegengesetzten 
Krümmungsfläche. Füllt man Kapillarröhren, welche horizontal gelagert werden, 
so tritt der tote Raum an beiden Enden ein; nimmt man in das Kapillarrohr 
nur so viel Flüssigkeit auf, dass die Länge der Säule kürzer ist, als die Längen 
der beiden toten Räume, so tritt überhaupt keine Reaktion ein. Für die 
Vorgänge in der Zelle musste es von Wichtigkeit sein, ob bei einem Verschluss 


768 Liebreich, Reaktionserscheinung in Beziehung zur Zellenthätigkeit. 


des vollständig gefüllten Rohres mit elastischen Membranen der tote Raum 
noch zu beobachten ist. Die Frage konnte im bejahenden Sinne entschieden 
werden. Zugleich wurde eine Verzögerung der Reaktion überhaupt in engen 
Röhren beobachtet. Denken wir eine Zelle als einen von einer elastischen 
Membran begrenzten Raum oder als eine bewegliche Masse selbst ohne Mem- 
bran, eine Zelle im abstrakten Sinne, wie Virchow sich ausdrückt, so würde 
bei manchen Mischungen chemischer Substanzen in diesem kleinen Raume ent- 
weder gar keine Reaktion oder nur eine solche im Zentrum vor sich gehen, 
und es ist nicht unschwer einzusehen, dass bei solcher Lage der Dinge eigen- 
tümliche Reaktionen zu stande kommen können, deren Eintritt sonst nicht zu 
beobachten sein würde. Auch für die Darstellung von Substanzen aus Zellen- 
gewebe ist die Beobachtung des toten Raumes bei chemischen Reaktionen von 
Bedeutung. Man denke sich kleine Glasperlen, ohne dass sie außen benetzt 
werden, mit einer Mischung von Chloralhydrat und Natriumkarbonat-Lösung 
gefüllt. So lange die Lösung in den kurzen Kapillarröhren der Perlen ver- 
weilt, wird keine Reaktion eintreten. Bei der Aufgabe, den Inhalt der Perlen 
zu untersuchen, wird man dieselben zerstoßen oder mit Wasser auslaugen. 
Bei dieser Untersuchung müsste die Bildung von Chloroform und ameisen- 
saurem Natron eintreten, und man würde als Chemiker angeben, der Inhalt der 
Perlen sei letztgenannte Substanzen, während in der That Chloralhydrat und 
Natriumkarbonat als Inhalt vorhanden war. Die Bildung des toten Raumes 
kann auch bei andern Substanzen gezeigt werden. Ich benutzte dann die von 
Herın Landolt zu seinen Untersuchungen verwertete Reaktion der Aus- 
scheidung von Jod beim Zusammenbringen von Jodsäure mit schwefliger Säure. 
Das Auftreten des Jod bei Gegenwart von Stärke ist durch die Blaufärbung 
ungemein scharf kenntlich. Es zeigt sich hier das plötzliche Eintreten nur bis 
zu einer bestimmten Stelle unter dem Meniskus der Flüssigkeit. Der tote 
Raum bleibt mehrere Sekunden klar und farblos. In Röhren zeigt sich die 
Reaktion als dünner Faden, und erst allmählich färbt sich das ganze Rohr. 
Auch bei der Chloroform-Reaktion kann man in langen Röhren den seitlichen 
toten Raum beobachten. Um zu klaren Bildern zu gelangen, müssen die 
Lösungen so gestellt werden, dass der Eintritt der Reaktion erst nach 5 bis 
25 Minuten zu beobachten ist. Eine Erklärung für die Entstehung des toten 
Raumes dürfte mit Sicherheit vorerst nicht gegeben werden können; aber die 
Versuche, welche bis jetzt vorliegen, führen zu der Annahme, dass der tote 
Raum bei chemischen Reaktionen auf Kohäsions-Erscheinungen zurückzuführen 
ist. Jedenfalls wird die chemische Reaktion in Kapillaren für Physiker, Che- 
miker und besonders für die physiologischen und pharmako-dynamischen Be- 
trachtungen von Bedeutung sein müssen. 





Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün- 
schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an- 
zugeben. 

Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man 
an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘ zu richten. 


Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. 
































Alphabetisches Namen -Register. 


Die Namen von Verfassern von Arbeiten, welche in diesem Bande enthalten 
sind, sind durch ein * ausgezeichnet. 


Abeles 465. 

Ackermann 620. 

Adamkiewiez 21—22, 576. 

Adams 258. 

Aeby 435. 

Agassiz, L., 213, 272, 334, 
644. 

* Albrecht, P., 79— 82, 
121 — 123, 204 — 212, 
720 — 726. 

Albrecht, P., 175, 177, 133, 
353, 355, 358, 403—404, 
602—607, 648—651. 

Andouin, V., 674. 

Anrep 308. 

Archer 257. 

Aristoteles 288, 532, 618. 

Arnold,(G.;€., 175: 

Ascherson 694. 

Asper 478. 

Astaschewsky 312. 

Aurivillius 737—738. 

Azara 532. 


Baelz 322. 

Baer 357. 

* Baginsky, B., 152—155. 

Baker 166. 

Balbiani 402, 560. 

Balfour 173, 182—176, 271, 
318, 530, 546, 560, 653, 
662, 696. 


Bardeleben, K., 177, 640. 

* Barfurth, D., 609—613. 

Barker 257. 

Bary, de, 279. 

Baudelot 677. 

Baumann 379—380, 742. 

* Baur, G., 332—342, 353 
— 363, 648—658. 

Bavay 434. 

Bayliss, W., 478—479. 

Beard 592. 

Beaume 176. 

Beelard 57. 

Bell, Chr., 342. 

Bell, Th., 175. 

Benecke 318. 

Beneden, E. van, 696. 

Benedict 342. 

Bennet 358. 

Bergh 20. 

Bernard, Cl., 236, 240, 
464—465, 682—685. 

Bernhardt 342. 

Bernheim 702. 

Bernstein 23, 342. 

Bernthsen 220— 221. 

Berthelot 385. 

Bert, P., 272, 492—493. 

Berzelius 540. 

Bettany 649. 

Bevan 2838. 

Bianchi 567. 

Bidder 228, 680—681. 


* Biedermann 21—26. 

Biedermann 304, 607—608, 
669—670. 

Biedert 701. 

Binschedler 222. 

Biot 378. 

Blackwall, J., 674. 

Blanchard, Em., 12, 674. 

Blaue 589—592. 

Bleile 465—471. 

Blix 383. 

* Blochmann, F., 554—559. 

Blochmann 402, 608. 

Blumenbach 105, 132—136, 
RL. 

Bobretzky 53, 524. 

Bochefontaine 618. 

Bocklisch 740. 

Bodlaender 704. 

Bois-Reymond du 37, 58, 
232: 

Bongers 377. 

Bonnet 167, 613, 750. 

* Bonnier, Gaston, 385 — 
388. 

Bonnier 493. 

Bonsdorff 12. 

Boocker 287, 310. 

Born 226. 

Borszow 257. 

Bourne, Al., 9. 

Boussingault 243. 

Boutmy 687, 726. 

49 


770 Alphabetisches Namenregister. 


Bradford, J., 478—479. 

Brass 6. 

Braun, A., 232, 300, 424, 
426, 694. 

Braun, M., 300 — 304. 

Brechet 653, 657. 


Brehm 271. 
* Brieger, L., 406—410. 
Brieger, L., 685 — 693, 


726 — 731, 739 — 746. 
Brockema, L., 273. 
Bronn 7, 186, 493, 197, 

199, 653. 

Brouardel 687, 726. 
Brown - Sequard 44. 
Brücke 417. 

Brull& 12. 

Brunhorst, B., 254 — 255, 

557. 

Brunton 319. 

Bubnoff 563. 

Buchner 414. 

Budge 432. 

Buffon 511. 

Bülow 226. 

Bumm 322. 

Bunge, G., 435—438. 

Bunsen 63. 

Burmeister 532—535. 

Bütschli 6, 7, 182—183, 
461, 514, 515, 513, 734. 


Cailletet 597. 

Canini- Gaul 180. 
Carus, © G., 12. 

Carus, V., 99. 

Cavolini 14, 20. 
Chaniewski 245, 247. 
Charpentier 351—352. 
Chatin, J., 12. 

Chauvin, Maria von, 612. 
Chauvin 102. 
Chiaje, Delle 19, 20. 
Chiercha 549. 

Christiani 287, 310, 311. 
Claus 12, 538. 

Cleve 257. 

Cohn, F., 232, 234, 448. 
Cohn, H., 698—699. 
Cohn, R., 372. 
Cohnheim 215. 


Colin 613. 

Comparetti 12. 

Conrad, Joh., 444. 

Cope 332—333, 339—341, 
353—363, 656. 

Cornalia 12. 

Costantin, J., 388-397. 

Couty 3 2. 

Cowper 212. 

Cox 258. 

Credner 332 — 333. 

Crosnier de Varigny 58. 

Cuningham, D. J., 358. 

Custor 435. 

Cuvier 12, 19, 359. 


Dahl, J., 674. 

Dalton 465. 

Danilewsky 346. 

Dareste, Ch, 165. 

Darwin 34, 37, 39—42, 47, 
98—108, 133—135, 162, 
167, 174, 230, 366, 490 
—491, 502, 511. 

Deby 257, 258. 

Decandolle 424. 

Deiter 154, 293. 

Delage, Yves, 14—19. 

Delpino 483. 

Dewitz 46, 192. 

Dieterici 88, 91. 

Dietzell 573. 

Dilg 173. 

* Dogiel, Alex., 4238—431. 

Dogiel 701. 

Dohrn 182, 545 —546. 

Döll 250. 

Dobrowolsky 91, 95. 

Dollo 333, 648— 657. 

Donders 620. 

Dönhoff 512. 

Dornblüth 702. 

Drasch 125. 

Driesch 12. 

Duchenne 342, 343. 

Düsing 506. 

Duchartre 597. 

Dufour, Leon, 12. 

Duges 12, 230. 

Dujardin - Beaumetz 623. 

Dumas 243. 


Dumtril, A. M. C., 12. 
Dupuy, E., 31—32. 
Duval 57, 613. 
Duvernoy 652, 856. 


Ebel, G., 281. 

Eberth 180. 

Ebner 753. 

Eckstein, K., 230. 

Edinger 189, 224. 

Edwards, Milne 535. 

Egerton 336, 341. 

* Ehrlich, P., 214—234. 

Eichler 64. 

Eimer 168, 285—286, 571 
—5I7. 

Emerton 560. 

* Emery, C., 14—19, 589 
—592. 

Emmerich 633. 

* Engelmann, W., 57 — 
589. 

Engelmann 66—68, 108— 
120, 137,145, 147,148, 
251,.502,.972% 

Engler 258. 

Entz, Geza, 539. 

Ereolani 613—614. 

Erb 342. 

Ermenghem, E. van, 258. 

Errera, L., 4—5. 

Eschtricht 614. 

Etard 688. 

Eulenburg 342, 383. 

* Exner, S., 126—128. 

Exner 58, 60, 290, 344, 
383—384, 430. 


Fabini 171. 

Fano 371, 377. 
Ferrier 342, 677. 
Fick 23, 404—405. 
Filehne 372, 375, 376. 
Finkbeiner 30. 
Finkler 632— 633. 

* Fisch, C.,, 71—74, 288. 
Fisch, C., 253— 254. 
Fischer, E., 61—64. 
Flechsig 330. 
Fleischer, M., 244. 





FE IENDT 





Alphabetisches Namenregister. 


Flemming 81, 153, 238, 
241, 615. 

Flotow, v., 232. 

* Fol, H., 629-631. 

Fol 523. 

Forel 10, 153, 201 — 204, 
462. 

Foster 319. 

Fraisse, P., 225—230. 

Francois-Frank 307, 308. 

Frank 254, 563, 631—632, 
699— 700. 

Franz 306. 

Fraser 649. 

Fraunhofer 66—69. 

* Frenzel, J., 681—685. 

Frerichs 241. 

Frey 12. 

Friedländer 730. 

Fries 3. 

Frisch, v., 629. 

Fritsch 56, 332, 339—341, 
353 — 363, 563, 732—733. 

Frobenius 730. 

Funke 342. 

Fürstner 574—576. 


Gad 306, 607. 

Gage, Susanna Phelps 213 
— 214. 

Galeh 136. 307. 

Gall 292. 

Ganin 401. 

Ganser 297—321. 

Garland 214. 

Gaudıy 332 — 333, 339— 
341, 

Gaule 345—356. 

Gautier 688, 739—740. 

Gegenbaur 12, 169, 173, 
207, 359, 649. 

Gensch 284. 

Geoffroy St. Hilaire 12, 
101. 

* Geppert, J., 54—56. 

Gergens 742. 

Gerlach, Leo, 165, 
163—169, 747. 

Gervais, P., 176, 178. 

Gierke, H., 286—2837, 746 
—748. 


167, 


Gilbert 244. 

Giovannini 229. 

Girard, M., 12. 

Godron 39%, 

Götte 37, 281—282, 360, 
515 —516, 696. 

Goldschneider 383. 

Goltz 326, 328, 411—413, 
563— 565. 

Gottstein 752. 

Graber 12, 49-50, 489— 
502, 493 — 501. 

Gräfe, v., 297—298. 

Gräfe 92, 342, 344. 

Graff, v., 302—304. 

Grancher 82, 621, 623. 

Graham 308, 309. 

Grashey 322. 

Grassmann 482. 

Gray, Asa, 694. 

Gregory, E., 597. 

Grenier 390. 

Griffini 125. 

Grimm 753 

Grobben 397. 

Grube, E., 9. 

* Gruber, A., 5—8. 

* Gruber, M., 438—448. 

Gruber, J., 703. 

Grunow 257, 258. 

Grünwald 171. 

Grützner 123, 126, 240. 

Gscheidlen 189. 

* Gudden, v., 152, 280— 
298, 321—332. 

Gudden, v., 563, 566, 569, 
575: 

Günther, A., 355. 

Guttmann, P., 632. 


Haab 352. 

* Haacke, W., 363—370, 
641—647, 705— 718. 

Haberlandt, 395. 

Häckel 42, 101, 401, 514, 
519,.523, 537, 538,698. 

Hallez, P., 234. 

Hamberger 404. 

Hannover 30. 

Hansen 541. 

Hanstein 257, 


a 


Happe 702. 
Harting, BJ.12 127%: 
Hase 640. 
Hasse 698, 753. 
Hatscheck 53—54, 698. 
Hauer, Ritter von, 128. 
Hauser 462. 
Head, Henry 413—414. 
Heckel 334, 336. 
Heidenhain 376, 563, 592, 
607. 
Heider, K., 181—186. 
Heimann 575, 576. 
Heine 332. 
Heineke 272. 
Helmholtz, v., 88—91, 94 
—95, 156, 332, 342, 756. 
Hellriegel 572, 700. 
Henle 62, 750. 
Henneberg 244, 248. 
Henneguy 316, 318. 
Henoch 702. 
Hensen 37, 162—163, 179 
—180, 258, 259, 315. 
Herbst 755. 
Hering 93, 95, 342, 679. 
* Hermann, F., 23i—22. 
Hermann, F., 414—415. 
Hermann, L., 596—597. 
Hertwig 53, 170, 562. 
Herzen, A., 381—383. 
Hessling 702. 
Heubner 702— 703. 
Heurck, van, 258. 
Heuscher 478. 
Heyd 343. 
Hieronymus 234. 
Hildebrandt 392. 
Hirschberg 92, 575. 
* His 545—557. 
His 37, 48, 317, 542-—543. 
* Hitzig 562—570. 
Hitzig 56, 342, 412. 
Hoeck 397. 
Hoffmann 617, 655. 
Hoffmeister 502. 
Hofmann, F., 239, 240. 
Hogsg, J., 258. 
Holtzendorff, v., 136. 
Hoppe -Seyler 152. 
Horst, R., 230. 
49* 


a2 Alphabetisches Namenregister. 








Hösslin, R. v., 242. Koestlin 652. Lebert 13. 

Hunter, J., 166, 172, 681. Kollmann 33—35, 176, 229, Lee, Bolles, 463. 
Hüppe 632, 638—639. 283, 314—319, 697. Legallois 287. 
Husemann 687. Korotneff 666, Lehmann, C., 243—249. 
Huxley 182%, 649, 652, Korschelt 485, 555, 557, Lemoine 57, 60. 

654—655. 695 —696. Lendenfeld, R. v., 181, 
Hyrtl 359. Koseritz, C. v., 256. 187, 199—201. 

*Iherne H Kossel 740. Lenhossek, v., 212. 

Ihering, H. v., 532—539. x Kowalevsky, A.,49—54, Leo, H., 241. 

RR Eh AN Ei 7179, 525—532. * Leod, Julius Me., 431— 
2 Tg * Kowalevsky, N. 312— 433. 

720. 314. Lepinay, de, 157160. 
Jaeger, G., 359, 490. Kowalevsky,N., 286—287, Leuckart 12, 14, 182, 282 
Jensen, Olav., 303. 461, 658, 666. — 283, 284, 302, 433. 
Jickeli 571. Kraepelin 462, 602. Leyden 342, 344, 376. 
Johnston 181. Kraske 635. * Leydig, F., 462—464. 
Jolly 322. Kratschmer 465. Leydig 180, 229, 612. 
Jones, Th., 12. * Krause, W., 613—618, Lewakoffski 393. 

Jordan, K. F., 298—299. 749— 756. Lewinski 342. 

Joseph 376, 733. Krause 490. Lieberkühn 224, 315. 

Julien 600. Krieger 251. Liebig 244. 

* Just, Alb, 123—126. Krohn 20. Liebreich 224. 
Kronecker 376, 680. Lilljeborg 14. 

Kandaracki 307. Kuhn 753. Lievin 443. 

Kant 48. Kühn, G., 244. Linnaeus 271. 

Karsch, A., 352, 696. Künckel, J., 74. * List, J. H., 485—488, 

Kaufmann 430—431. Künckel d’Hereulais 12. 5IR—596, 746—749. 

Kennel 397. Kupffer 317, 318, 696. List 488—489. 

* Kellermann 4—5. Kussmaul 306. Lister 272. 

Key, Axel 22, 207. Lombardini 618. 

Kielmeyer 132. Lacaze Duthiers, H. de, Lotze 342. 

Kirchner 517, 608, 719 19—21. Löw, E., 481—483. 

Kirchhoff 63. Lacerda, de, 310. Lubbock, John, 288, 492— 

* Klebs, G., 449- 455. Lachlan, Mm., 490. 494. 

Klein, E., 319—320. Lacordaire 12. Lucas 136, 388. 

Klein, L., 556, 592. Ladenburg, A., 257. Luchsinger 372, 375. 

Kleinenberg 536. Lagerheim, G. v., 693. Lueiani 370, 567. 

Knoch 12. Lamansky 120, 588. Ludwig 282, 428, 658, 7 

* Knoll, Ph., 304— 311, Lamarck 12, 40—41. 692 — 694 . 

618 — 621. Landolt 572, 699— 700. * Ludwig, F., 1—3, 3—4, 
Knoll 378, 607, 680. Lang 301, 753. 64, 120-121, 191--192, 
Kny, L., 597—599. Lange 257. 289—300, 481—184, 513 
Kobert 686. Langer 175. —514, 737—739. 

Koch, L., 673. * Langendorff, O., 188— Lueders 266. 

Koch 632, 634—635. —191, 370—379. Lundström 597—599. 

* Kölliker, A., 179—181. Langendorft, O., 224, 287, Lydekker, R., 355, 358. 
Kölliker, Th., 79—82, 121 308, 310. Lyonnet 12. 

—123, 238, 315, 533, 649. Langley 120. 

König, A ,88—92, 93—95, Lauth 220. Madrid-Moreno, J., 589— 

156—160, 510, 671—672. Lavdowsky 747. 592. 


Koeroesi 438—448. Lawes 244. Magendie 618. 


Alphabetisches Namenregister. 


Maggi 6. 

Magitot 174—175. 

Magnus 693, 694. 

Makri 20. 

* Man, de, 433—435. 

Man, de, 302—303. 

Mandelstamm 91. 

Maraldi 510. 

Marcacei 57, 60. 

Marck 559. 

Marey 618. 

Margö 182. 

Marilaun, v., 484. 

Markwald 376, 680. 

Marsch, ©. C., 655. 

* Marshall, W., 8—10, 
10 — 12. 

Marshall, W., 181—184. 

Martens, v., 668, 743. 

Martin, E., 164, 287, 310. 

Martinetti 173. 

Maupas, M., 477, 539. 

Maxwell 90. 

Mayr, G., 120—121. 

Meckel, J.F., 20, 104— 105, 
107, 131—135, 166, 170, 
172—173, 650, 651, 654 
—657. 

Meeznikoff 514, 515, 527, 
530, 600, 667. 

Meinert 10. 

Meissl, E., 26—29, 247. 

Meltzer 680. 

Mendel 575. 

Mereschkowsky 257, 493. 

Mering, v., 465—466. 

Meusel 573. 

Meyer, A., 572. 

Meyer, H. v., 332 — 337, 
341, 353— 363. 

Meyer, P., 753. 

Meynert 294, 330, 342, 
343. 

Middendorp 752. 

Miescher 349. 

Milne Edwards 12. 

* Minot, Ch. S., 559—562. 

* Mislawsky, N., 236—287. 

Mitschel 342, 344. 

Mivart 404. 

* Moebius, K., 95. 


Moebius, K., 256, 539, 572, 
743. 

Moeller 255 —256. 

* Moewes, F., 12—14, 
388—397, 423 —428, 455 
—458, 673 — 675. 

Monakow, v., 153—155, 
322, 330, 331. 

Montegazza 173. 

* Morin, J, 658—663. 

Mosso 171, 377. 

Müllenhof 510—512. 

Müller, 'F., 2,.3, 14,19, 
120 — 121, 191—192, 300, 
481—483, 513. 

Müller, H., 166, 191, 491. 

Müller, J., 167, 332, 335, 
336, 342, 359. 

Müller, O., 257, 258. 

Munk, J., 237, 291, 298, 
342—343, 411, 566, 569, 
579. 


Naegeli 38—39, 286, 417 
—418, 423, 439, 449, 450. 

Nasse, H., 237—238, 241. 

* Nasse, O., 235 — 243. 

Nasse, O., 469. 

* Nassonow 458—462. 

Needham 617. 

Nencki 237, 687, 691. 

Neumann 192. 

Neumayr 644, 646. 

Newport 12, 230. 

Nieati, W., 157—160. 

Nissl 293, 294. 

Nitsche 600—601. 

Noll 279. 

Normand 434. 

Nothnagel 58, 342. 

* Nusbaum, J., 663— 667. 

Nussbaum, M., 168, 540, 
570—572. 


Obersteiner 60. 
Oellacher 285, 317. 
Oerley, Lad., 433—435. 
Ohlmüller 414. 

Olenius 753. 
Onderdone 258. 
Onufrowiez 153. 


773 


Orsini 549. 

Otto 20. 

Owen 12, 337 —339, 359— 
360. 


Pagenstecher 283, 284, 673. 

* Paneth, J., 56—60. 

Paneth 565. 

Pansch, Ad., 95—96. 

Panum 165, 685. 

Pappenheim 750. 

Pappus 510. 

Paquard 12. 

Parker, W. K., 404, 649, 
654 —656. 

Pasteur 8&2—87, 621—629, 
630. 

Pavy, F. W., 464, 682-—-685. 

Pawlow, Joh., 22—26. 

Payen 244. 

Peacock 170. 

Peince 91. 

Penzoldt, F., 61—64. 

Pereyaslawzeff, Sofie, 589. 

Perls 242. 

Perris 12. 

Peters 651—657. 

Petit 30, 257, 258. 

Pettenkofer 26, 244, 247, 
248. 

Pfeffer 145, 417, 482, 695. 

Pfeiffer, E., 701. 

Pfitzer 255, 257, 258, 264. 

Pfitzner 179—180. 

Pflüger 169, 274, 342, 577, 
613. 

Pitre 563. 

Piceone, A., 455 —458. 

Plate, L., 231. 

Plateau, F., 12—14, 512, 
673—675. 

Platteretti 166. 

Platner 651, 656. 

Plauta, A. v., 512. 

Plieninger 334. 

Plöchl 380. 

Polejaeff, N., 181, 187— 
488, 193, 196—199. 

Potts, E., 8-9, 

Pouchet 231, 272, 273. 

Preyer 90. 


714 


* Pringsheim, N., 65—70, 

108—120, 137 — 152. 
Pringsheim, N., 258. 
Prinz, W., 258. 


* Rabl-Rückhard 274—276. 

Ranke, Joh., 595 — 597, 
724. 

Ranvier 22. 

Rathke 14, 335, 357, 560. 

Rauber 165, 315, 342, 696. 
749. 

Raudnitz 702. 

Ray -Lankester 532. 

Reaumur 510. 

Rechenberg, v., 239. 

Reck 443. 

Reess 251--252, 693. 

Regnard 540 

Reichert 257, 752. 

Reinhardt 257. 

Reinke 109, 145, 
492. 

Remak 180. 

Retzius 217, 753—755. 

Ribbert 635. 

Riley 483. 

Rindfleisch 59. 

* Ritzema- Bos, J., 270— 
273: 

Röhrig 238. 

Rokitansky, P., 32. 

Romberg 342. 

Rosenbach, O., 372, 730, 
744. 

Rosenberg, E., 357. 

* Rosenthal, J., 213— 214, 
403—405, 478—479, 596 
—597. 

Rosenthal, J., 55, 306, 310, 
343, 379. 

Rossbach 58. 

Rouget 57. 

Roux 168-169, 274—276. 

Rubner, M, 243—249. 

Rudolphi 19, 20. 

Rueckert 696—697. 

Ruedinger 724, 753. 

Russow 420. 

Ryder, John A., S—10. 

Rynault 386. 


151 — 


Sabatier 560. 

Sachs 342, 474. 

Sager, A., 213. 

* Salensky, W., 514 — 525. 

Salensky 661, 662. 

Salkowski 380, 406, 409, 
688, 744. 

Salomon, G., 740. 

Sanderson 319. 

Sandifort 175. 

Sappey 752. 

Sarasin 696. 

Schenk, H., 258, 388, 391, 
399. 

Schieferdecker 592. 

Schiel, A., 156. 

Schiff 342, 376, 563 — 567. 

Schiller 329. 

Schimkewitsch 658 — 659, 
674. 

Schimper, A. F. W., 597. 

Schliemann 694. 

Schlösing 632. 

Schmarda 12. 

Schmidt, M., 227. 

Schmidt, O., 181, 187, 194, 
195, 282. 

Schmidtmann 406, 409, 
410, 744. 

* Schmidt -Mülheim 435 — 
438. 

Schmitz 253, 
267, 450. 

Schoedler 698-701. 

Scehottelius 635. 

Schröder 423—428. 

Schrön, v., 634. 

Schröter 250. 

Schuchardt 189. 

* Schulz, O., 685—692, 
726—731, 739—746. 

Schulz, A., 3. 

* Schulgin, M., 525—532. 

Schulze, B., 245. 

Schulze, M., 429, 719, 725. 

Schulze, E., 245. 

Schulze, Fr. E., 180-181, 
196 —197, 538, 540, 696. 

* Schütt, F., 257—270. 

Schützenberger 240. 

Schwalbe, G., 749—757. 


257,258; 


Alphabetisches Namenregister. 


Schwanert 726. 

Schwann 21—22, 685. 

Schwarz, F., 542. 

Schweinfurth 694. 

Sedgwick 136, 397. 

* Seegen, J., 464— 477. 

Selenka 283—284, 696— 
698. 

Selmi 410, 688, 726. 

Semper 20, 231, 272. 

Serres, M. de, 12. 

Shaw 485—488. 

Sicard 394. 

Siebert 372. 

Siebold, v., 12, 166, 172, 
677. 

Simon, H., 213—214. 

Smith, H.L.,. 257. 


Snellen vanVollenhofen 12. 


Sokolow 372, 375. 
Sollas 182. 


Soltmann 56—57, 60, 701. 


Sonnenschein 726. 
Soxhlet 245. 

Soyka 637—638. 
Spallanzani 166, 230, 
Spencer, H., 363. 

* Spengel. J. W., 19—21. 
Spiess 342. 

Spitzer, H., 36, 37. 
Sprengel 491. 


Stahl 255—256, 39, 4832. 


Steenstrup 14, 271. 

Stein, Fr., 539. 

* Steiner 676—678, 678— 
681. 

* Sternberg, M., 342—34. 

Sterki 539. 

Stieda 153—155. 

Stilling 153. 

Stohmann 244. 

Strahl 318. 

Strasburger, E., 249— 250, 
258, 269, 279—281, 417 
—418, 423, 450, 481— 
482, 502. 

Straus-Dürkheim 12. 

Strieker 317, 342. 

Strohmer, F., 247. 

* Stuhlmann, F., 397— 
402. 





> 2.7 Kung 
; u ae El > ai Re 





SE 





Alphabetisches Namenregister, 


Tacke 572-574. 

Tafani 613—618 

Tangl 418. 

Tartschanoff 56 —57. 

Tenner 306. 

Thiel, H., 162. 

Thiolliere 336. 

Tiehomirow 461, 696. 

* Tiebe 489—502. 

Tiedemann 651, 656, 658. 

Timiriareff 540—541. 

Tizzoni 229. 

Thompson, J. V., 14. 

Thümen, F. v., 693. 

Tolmatscheff 701. 

Tomes 175. 

Tonge 173. 

Traube 306, 372, 376, 379, 
679. 

Trelease, W., 481—482. 

Trembley 166, 230, 570— 
572: 

Tscherwinsky 245, 246. 

Tschirch 541, 599. 

Turner 175, 614. 

Tyndall 74. 


Uhthoff, W., 93, 157. 


Valentin 61—63. 

Vareth 383—384. 

Vater 342. 

Velden, v. d., 380. 

Verani 20. 

Vetter 173, 271. 

Vierordt 342. 

Virchow, R., 41—43, 48, 
97, 108, 129—137, 161 
—178, 212, 406, 409, 
683—684, 694. 

Virchow, H., 29—31. 


Vogt, Carl 136. 

* Voit, C. v., 243—249. 

Voit, v., 469. 

Voit, E., 243—249. 

Volkens, G., 71—74, 597 
—599. 

* Vosmaer, G. C. J., 181 
—188, 193—201. 

Vulpian 58, 677. 


Waldeyer 533, 543, 696 — 
697: 

Wallace 490. 

Wallich 7—8. 

Warming 255. 

Weber 698. 

Weber, E. H., 342. 

Weigert 153, 293— 294. 

Weir 342, 344. 

Weiske 245. 

* Weismann, A., 33—48. 

Weismann 49, 50, 74—76, 
97—107, 134, 286, 397, 
401. 

Wejdowski 461. 

Wenkelbach 285. 

Wernicke 343. 

Werth 613. 

Wertheimer, E., 32, 351. 

Wettstein v. Westerheim 
484. 

Wheatstone 596. 

Wiedemann 92. 

Wiedersheim 543, 
731—732. 

Wiesner 417 — 423, 449 — 
445. 597. 

Widowiejski 485. 

* Wilckens, M., 26 — 29, 
503 — 510. 

Wilder, B. G., 356, 655. 

Wildt 245. 


649, 


779 


* Wilhelm, C., 417 — 423. 

Wilhelm 450. 

Will 10—12, 400, 402, 485, 
520, 555. 

Wille 599. 

Winslow 170. 

Wittelshöfer 438. 

Wittmach 271. 

Wittmack 694. 

Wittrock, V. B., 64. 

Wolff, E. v., 245, 700. 

Wolff, M., 406. 

Wolff, W., 543. 

Wolffberg, L., 158. 

Wollheim, J., 541—542. 

Wooldridge, L. C., 479. 

Wortmann, J., 276—279. 

Wundt 342, 344. 


Yarell 270. 
Young 89, 91, 94—95, 672. 


* Zacharias, O., 225—230, 
230— 235, 300—304, 488 
—489. 

Zacharias, O,, 
667 — 668: 

Zaeslein 632—633. 

Zeiss 581, 583. 

Ziegler, H. E., 284—285, 
317. 

Ziemssen 58. 

Zimmermann, E. H., 4, 277, 
231. 

Zopf 632. 

Zuckerkandl 176. 

Zülzer 726. 

* Zuntz, N., 54—56. 


192, 250, 


Alphabetisches Sachregister. 


A. 


Absorptionsspektrum der Chlorophyll- 
stoffe 65. 

Abstammung der Säugetiere 283 fg. 

Acanthoglossus 367. 

Accentor alpinus, A. modularis 456. 

Accipenser 336. 

Acer platanoides, A. campestris, A. Ne- 
gundo 64. 

Acheloma 341. 

Achimenes grandiflora 280. 

Acineten 477. 

Aconitum Lycoctonum 737 fg. 

Acridier 14. 

Actinien 14. 

Actinodon 339 fg. 

Acusticuskern 153 fg. 

Acustieuswurzel 154. 

Adorale Wimperorgane heterotricher 
und hypotricher Infusorien 539 fg. 

Aepocerus inflaticeps, emarginatus 121. 

Aepyornis 366. 

Aerologie, Aeronomie, Aerogenie 714. 

Aether, Einwirkung des Aethers auf 
Muskeln und Nerven 669 fg. 

Aetherschwefelsäuren des Harns 379g. 

Agapanthus umbellatus 280. 

Agelena labyrinthica 675. 

Alchemilla vulgaris 598 fg. 

Alcyonella Benedeni 600, A.fungosa 763. 

Alcyonium 183. 

Alisma plantago, A. graminifolia, A. 
natans 390 fg. 


Alkohol in Beziehung zum Stoffwechsel 
des Menschen 704. 

Alkoholgärung 692 fg. 

Allantonema mirabile 283, 434. 

Alligatoren, periodisches Atmen bei 
A837T. 

Alnus 254 fg. 

Alytes 180. 

Amaurobius ferox 675. 

Amblypneustes ovum, A. formosus 641 fg. 

Ambyteles 405. 

Ameisen 10. 

—, Lebensdauer der A. 288. 

—, Reaktion der A. auf Farben 493. 

Ameisensäure, antiseptische Wirkung 
der A.''512. 

Amidosäuren im Tierkörper 379 fg. 

Amnioten, Wirbelsäule der A. 332 fg. 

Amoeba guttula 232. 

Amphibien, Geruchsorgan der A. 428 fg. 

Amphiblastula 523. 

Amphioxus 401, 698. 

Amyda mutica 213. 

Anatomie, Grundriss der A, (von Ad. 
Pansch) 9 fg. 

— des Hörorgans 703. 

— der Sinnesorgane (vonG.Schwalbe) 
749 fg. 

Anchusa ochroleuca 484. 

Ancoriniden 195. 

Androctonus occitanus 675, A. ornatus 
525 fg. 

Angelena naevia 559. 

Angiostomum nigrovenosum 434. 








Sachregister. 


Anguis fragilis 225. 

Anisodexis 341. 

Anodonta 23, 192. 

Anomalon 402, 

Anpassungsfähigkeit der Honigbiene 
52 

Anthemis Cotula, A. arvensis 4. 

Anthropomorphe Affen 136. 

Anuraea longispina, A. cochlearis 668. 

Aphiden, vipipare 397 fg. 

Apistische Mitteilungen 510 fg. 

Aplysinidae 196 fg. 

Apnoe, Entstehung der A. 413 fg. 

— beim Fötus 766 fg. 

Apteryx 366. 

Arachniden 673 fg. 

Arbutus unedo 456. 

Archegosaurus 434 fg. 

Archentera 182, 694. 

Archipterygium 177. 

Arctocebus calabariensis 368. 

Arctomys marmota 436. 

Arnebia echiodes 483 fg. 

Arten, Entstehung von A. 282 fg. 

Arthropoden, Reifung des Eies der A. 
367 fg. 

—, Hautsinnesorgane der A. 462 fg. 

Askoidien 734. 

Asperula odorata 424. 

Aspidonectes spirifer 213. 

Asplanchna helvetica 668. 

Aster parviflorus, salignus 2. 

Asteracanthion rubens 502. 

Astragalus 71. 

Astronomie, Astrographie, Astrogenie 
Yas% 

Atavismus 130 fg. 

Atmung, Cheine-Stoke’sche 370 fg. 

—, Mechanismus der A. 404 fg 

—, Innervation der A. 304 fg. 

—, Zentrum der A. 286 fg. 

—, Natur der normalen Atemreize 
54 fg. 

—, Herabsetzung der Erregbarkeit des 
Atemzentrums 387 fg. 

—, Atmungscentra desRückenmarks 32. 

—, Atembewegungen, nach Abtrennung 
der Med. oblongata 351. 

Atriplex 75. 

Auer’sches Gasglühlicht 699. 

Aulena villosa 201. 


7 


Aurelia aurita 281 fg. 
Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen 
423 fg. 


B. 


Bacillus amylobacter 693. 

Bacillus der Hundswut 629 fg. 

Bacterium termo 582. 

Bärtierchen 232. 

Bäume, bierbrauende 693. 

Bakterienmethode, Technik und Kritik 
der B. 577 fg. 

— (von Engelmann) 66 fg. 

Balanus 493. 

Ballota nigra 598. 

Banchus 402. 

Bandwürmer, zentrales Nervensystem 
der-B: 733. 

Barbula muralis 425. 

Bartsia alpina 484. 

Basische Produkte in der Miesmuschel 
406 fg. 

Befruchtungsmeridian 736. 

Befruchtungswerkzeuge, Stellung der 
B. in den Blumen 298 fg. 
Belone 589 fg., B. acus 5%. 
Beobachtungsweise, simultane, suc- 
cedane (von Engelmann) 66 fg. 
Bestäubung, fremdartige B. der Pflanzen 
279 Tg. 

Bestäubungseinrichtungen der Pflanzen 
481 fg. 

Betonica grandiflora 483. 

Bienen, Reaktion derB. auf Farben 493. 

Bignoniaceen 598. 

Biologie, Gesamtwissenschaft und Geo- 
graphie 705 fg. 

Bionomie, Biographie, Biogenie 709. 

Blastodermieca 182. 

Blastophaga brasiliensis 121. 

Blütenformen, verschiedene Bl. bei 
Pflanzen nämlicher Art 737 fg. 

Blütenstände 1 fg. 

Blumen, Stellung der Honigbehälter und 
der Befruchtungswerkzeuge 298 fg. 

Blut, Gehalt an geformten Bestand- 
teilen 766. 

Blutfülle im zentralen Nervensystem 
618 fg. 

Blutgefäße des menschlichen Rücken- 
marks 736. 


718 


Blutkörperchen, Entstehen der Bl. bei 
Knochenfischembryonen 284 fg. 

Blutzirkulation in der Haut 312 fg. 

Boden, chemische Umsetzungen im B. 
699 fg. 

Bohnen 386. 

Bombus. Gerstäckeri, B. hortorum, B. 
consobrinus 738, B. terrestris, BD. 
mastrucatus, B. schrimshiranus 739. 

Bosmia longirostris, B. Cosegoni, B. 
elongata, B. Thersites, B. gibbera 668. 

Bosminiden 668. 

Bothromesostoma 301, B. Essenü, B. 
marginatum, B. lineatum 313. 

Bradypus tridactylus 211. 

Branchiale Sinnesorgane 592. 

Brasilianische Mäuse und Mäuseplagen 
256. 

Brüllaffen, angeborne Spalte des Brust- 
beinhandgriffs der Br. 403 fg. 

Bufo cinerea 126, 180, B. vulgaris 225, 
619. 

Bythotrephes longimanus 668. 


C. 


Cachexia montana 435. 

Cacospongia 197. 

Caladium 513. 

Calcarea 183. 

Calluna 512. 

Calycogenesis 538 fg 

Caminus osculosus, C. vulcani, 0. apia- 
rium 194, 281. 

Campelia 2. 

Campodea 760, C. staphylinus 459 fg. 

Campylodiscus 719. 

Canalis Fallopiae der Säugetiere 604 fg. 

Capparideen 598. 

Cara mimosa 513. 

Carabus, C. auratus 13, 398. 

Carcinus moenas 15. 

Cardamine pratensis 393. 

Carrassius auratus 590. 

Carteriospongia 197. 

Caryolopha sempervirens 484. 

Cassiope tetragona 598. 

Caulacanthinen 757. 

Oavia cobaya 617. 

Cecidomya 397 fg. 

Centaurea 712, C. nigra 490. 

Cephalobolus appendiculatus 434. 


Sachregister. 


Cephalopode Mollusken 272. 

Ceratina 187. 

Oeratium hirundinella 187. 

Ceratodus 177. 

Cercopithecus 436. 

Cerebrospinalflüssigkeit, Druckschwan- 
kungen in der C. 618 fg. 

Cerinthe 512. 

Cetochilus 397. 

Cetodrilus 399. 

Chaetodon arthriticus 178. 

Chalina limbata 187. 

Challenger - Echinoiden 644. 

Cheine -Stoke’sches Phänomen 570 fg. 

Cheliceren 561. 

Chelydosaurus 433 fg. 

Chelydra 213. 

Chemotaxis 482. 

Chemotropismus 482. 

Chilopoden 673 fg. 

Chimaera 336. 

Chiromys madagascariensis 367. 

Chitin bei Ranatra 695 fg. 

Chlamydococcus plwvialis 232, 300. 

Chlamydomonas obtusa, Ch. pulviscu- 
lus 425. 

Chlorogonium euchlorum 426. 

Chlorophyll, Zerlegung der Kohlen- 
säure durch Chl. 540 fg. 

Chlorophyllan 541. 

Chlorophylifarbstoff 541 fg. 

Chlorphenol, Empfindlichkeit gegen 
Chl 62 fg. 

Choanoflagellaten 132. 

Cholerabacillus 427. 

—, Giftigkeit des Ch. 636 fg. 

Chorda dorsalis, vorderes Ende der Ch. 
606. 

Chromatische Funktion 272. 

Chromatolitosis 618. 

Chromatophoren 772 fg. 

Chrysemis 213. 

Chrysochloriden 369. 

Cicindela hybrida 13. 

Ciliaten 477. 

Cireumnutation 277 fg. 

Cirripedien - Männchen, supplementäre, 
prämordiale 14, 19. 

Cladoceren 667. 

Cladophora 69, 117 fg. 

Cladophoren - Arten 112. 





Sachregister. 


Olaviceps purpurea 5. 

Clepsidrops 338. 

Clitocybe nebularis 5. 

Cocconema Üistula 266 fg. 

Coceottraustes vulgaris 456. 

Cochinchina - Diarrhöe 435. 

Coelenterat, ein neues Süßwasser-Üoel. 
von Nordamerika 8 fg. 

Collaps der Lunge 765. 

Columellina 651 fg. 

Colympytes fuscus 13. 

Colyosticus longicaudis 121. 

Componotus ligniperda 555 fg. 

Condylostoma patens 539. 

Conochilus volvox 668. 

Convallaria latifola 280. 

Corallobothrium solidum 732 fg. 

Corista membranacea 640. 

Cornacuspongiae 183. 

Cortiecium 194. 

Corvus frugilegis, C. corone, C. cornix 
457. 

Corydalis 424. 

Coscinoderma 196 fg. 

Costrada 301, C. acuta, ©. Hofmanni, 
C. chlorea, C. granea, O. pellucida 303. 

Cotylorhiza borbonica 2831 fg. 

Craspedosoma 760. 

Crataegus oxycantha 456. 

Cricotus 338 fg. 

Cristatellen 600. 

Oritogaster 482 fg., (. singularis, C. 
piliventris, C. nuda 483. 

Crocus 191. 

Cryptonemium 757. 

Otenanthe 2. 

Cucubisca maxima, Ü. moschata 694. 

Cumulus primitif 659 fg. 

COyprinodon calaritanus 590 fg. 

Cystococcus humicula 425. 

Cystopus 253. 

Cytozoen, Bedeutung der C. für die 
tierischen Zellen 345 fg. 


D. 


Daphnia brachyura, D. Üederströmii, 
D. galeata, D. Kahlbergensis 667. 

Darwinellidae 196 fg. 

Datura Stremonium 249. 

Deecidua vera 618. 

Dectieus verrucivorus 14. 


779 


Dekapoden -Krebse 14. 

Dendrilla 197. 

Dermatomosen 419, 449 fg. 

Derostoma 301, D. balticum 303. 

Desmaecidonidae 193. 

Deszendenz und Pathologie 97 fg. 

Deverra 71. 

Diaptomus castor, D. gracilis 668. 

Dias longiremis 493. 

Diatomaceenschalen 719 fg. 

Diatomeen, ihr Leben und Bau 257 fg. 

Didelphys virginiana, D. californica 367. 

Dinornis 366. 

Diomorus variabilis 121. 

Dioscoreen 513. 

Diplogaster 434. 

Diplotaxis 73. 

Diplovertebron 341. 

Diplozoon paradoxum 172. 

Dipsacus 484, D. Fullonum, D. lan- 
ciniatus 598. 

Distalchorda 463. 

Dochmius duodenalis 433 

Doppelbildungen 163 fg. 

Doppelmissbildung, eine menschliche 
D. 444 fg. 

Dotterkern, diffuser, eigentlicher 402. 

—, Entstehung des D. bei den Hyme- 
nopteren 401 fg. 

Dotterschollen 486. 

Draparnaldia 69. 

Drassus 658 fg. 

Drehungsgesetze beim Wachstum tieri- 
scher Organismen 639 fg. 

Dromaeus 366. 

Drüsensekretion 478. 

Drüsenzellen, Strukturen von Dr. 692g. 

Dytiscus 398, D. marginalis 13. 

E. 

Echidna 367. 

Echinops 1. 

Echium rosolatum 484. 

Eetosarkschicht 38. 

Eetyonidae 193. 

Ehrenpreis 491. 

Ei, der Arthropoden 397 fg. 

Eichhornia 300, E. cerassipes 428. 

Einfluss der Wohlhabenheit und der 
Kellerwohnungen auf die Sterblich- 
keit 438 fg. 


780 


Eireifung bei Insekten 554 fg. 

Eiweißkörper der Menschen- und Kuh- 
milch 701 fg. 

Ektoplasma 6. 

Elaegnaceen 254 fg. 

Elaphomyces granulatus 251 fg. 

Elaphus indicus 616. 

Elatine Alsinastrum 388. 

Elektrische Fische 735. 

— Erscheinungen bei Drüsensekretion 
478. 

Elektrisches Leitungsvermögen _ tieri- 
scher Gewebe 596 fg. 

Elektromotorische Erscheinungen an 
Muskeln und Nerven 669 fg. 

Elementarorganismen Brücke’s 417. 

Elliptische Lichtstreifen 765. 

Embryo, Entwicklungsmechanik des E. 
274 Tg.. 

Embryologie der Spinnen 559 fg. 

Enaliosauria 337. 

Endknospen in der Riechschleimhaut 
der Knochenfische 589 fg. 

Endomyces Magnusü 693. 

Endoplasma 6. 

Entomostraken 397. 

Entstehung der Dotter- und Eizellen 
bei Orthezia cataphracta 485 fg. 
Entwicklungsgeschichte des Skorpions 

525 fg. 
Epeira diadema 675. 
Ephialtes 402. 
Epibolie 519. 
Epiclinites auricularius 539. 
Epilobium hirsutum 395. 
Epispadie des Menschen 204 fg. 
Epistylis lacustris 668. 
Epithemia Zebra 267. 
Equisetum 255 fg. 259. 
Equus caballus 614. 
Erbsen 386. 
Eretmochelys imbricata 361. 
Erica 512. 
Erinaceus 360. 
Eriocaulon 231. 
Eristalys 74. 
Erodien 73. 
Erodium circutarium, E. pimpinelli- 

folium 4. 
—, Macrodenum, E. manescavi 483. 
Eryops 339 fg. 


Sachregister. 


Erythacus rubecula 456. 

Esox lucius 456. 

Euchirosaurus 339 fg. 

Eucope 8. 

Eupitheria absinthiata 49%. 

Euplotes patella 477, E. harpa 539. 
Euspongia 197 fg, E. cannaliculata 201. 


F. 


Färberei zu mikroskopischen Zwecken 
746 fg. 

Falcaria sicoides 4. 

Farbensehen und Farbenblindheit 88 fg. 

Farbensinn der Tiere 489 fg. 

Farbentheorie von Young-Helm- 
holtz 89 fg. 

Farbenwechsel, in verblühenden Blüten- 
ständen 1 fg. 

Farselia 71. 

Fauna, der Schweizer Seen 201. 

—, pelagische F. in den norddeutschen 
Seen 667 fg. 

Favuspilz 693. 

Feigenwespen 120 fg. 

Feijoa 191 fg. 

Felis 533. 

Fettbildung im Tierkörper 243 fg. 

Fettleber, physiologische 238 fg. 

Fettzersetzung, Fettanhäufung im tieri- 
schen Körper 235 fg. 

Fische, Geruchsorgan der F. 428 fg. 

Flagellaten 232. 

Flattermaki 367. 

Flimmerepithel 123 fg. 

Flora, Zur Fl. der ägyptisch-arabischen 
Wüste 71 fg. 

Florideen, Fruchtbildung bei den Fl, 
757 fg. 

Foetus, Ursache des ersten Atem- 
zuges des F. 31 fg. 

—, Beziehung des Fötus zur Mutter 
613 fg. 

Formica fusca 288, 556 fg. 

Fontinalis squamosa 302. 

Fortpflanzung, hologene, merogene 538. 

Fossilien, lebende 646. 

Fragaria vesca 456. 

Fraxinus excelsior F. oxycarpa 598. 

Fredericella sultana 599 fg. 

Fregilus gracilis 457. 





Sachregister. 


Freia ampulla 539. 
Fringilla coelebs 458. 
Froschlarven 179 fg., 

der F. 619 fg. 
Fruchtbildung bei den Florideen 757 fg. 
Fruchtknoten, Verfärbung im F. 2. 
Frustulia 267 fg. 


Verwandlung 


Gadinin 691. 

Gadus callarias 661. 

Galeopithecus volans 367. 

Galium uliginosum 39. 

Gallwespen 397 fg. 

Ganocephala 338 fg. 

Ganoiden 338 fg. 

Ganosoma 121. 

Garulus glandarius 4. 

Gastraea-Theorie von Häckel 514 fg. 

Gastrotricha vorax 540. 

Gastrulation der Knochenfische 696 fg. 

— der Selachier 697 fg. 

Gecko verticillatus (G. verus) 353. 

Gehirn, Reaktion der grauen Substanz 
188 fg. 

Gehirnverstümmelung an Hunden 411 fg. 

Generationswechsel bei Säugetieren 
532 fg. 

Genista 512. 

Genitocöl 516. 

Genitogastrula 525. 

Geocentrophora sphyrocephala 302. 

Geonomie, Geographie, Geogenie 713. 

Geophilus 402. 

Geotropismus 277 fg. 

Geotrupes vernalis 13. 

Gerinnung, intravaskulare 479. 

Geruchsorgan bei Fischen und Amphi- 
bien 428 fg. 

Geruchsinn, seine Empfindlichkeit 61 fg. 

Geschlechtsbildung der Haustiere 513fg. 

Geschlechtsleben der Haustiere 503 fg. 

Gesichtssinn der Zulukaffern 156 fg. 

—, Urteilstäuschung im G. 126 fg. 

Gespenstaffen 368. 

Gierke’sche Bündel 286 fg. 

Glomeris 399, 402. 

Gloriosa superba 483, 514. 

Glykogen, Vorkommen in der Bier- 
hefe 4 fg. 

— in der Leber 464 fg. 


781 


Goldmullen 369. 

Grantessa sacca 200. 

Graue Substanz, die chemische Reak- 
tion der g. S. 188 fg. 

Grimmia pulvinata 427. 

Großhirn, Funktionen des G. 562 fg. 

—, der Knochenflsche 676 fg. 

Großhirnrinde, Lokalisation der Funk- 
tionen der Gr. 290 fg. 

Grundfarben, Bestimmung der G. 671 fg. 

Grundwasserschwankungen von Berlin 
und München 637 fg. 

Gryllotalpa 666. 

Gymnocarpum 71. 

Gymnophionen - Gehirn 731 fg. 

Gymnotus 735. 

Gynodimorphismus 3. 

Gypsophila 72. 


H. 

Haematococcus pluvialis 232 fg. 

Halichondrina 193. 

Halicoerus griphus 616. 

Halme globosa 201. 

Hasenschartenkieferspalte, ihr morpho- 
logischer Sitz 79 fg. 

Hatteria 359. 

Haustiere, Untersuchung über das Ge- 
schlechtsleben und die Geschlechts- 
bildung der H. 503 fg. 

Haut, Blutzirkulation in der H. 312 fg. 

Hautsinnesorgane der Arthropoden 
462 fg. 

Hedera Helix 456. 

Heliotropium undulatum 72. 

Helix pomatia 763. 

Helligkeit der Arbeitsplätze 698 fg. 

Helligkeitssinn der Tiere 489 fg. 

Hemidactylus frenatus 228. 

Hesperomys 256. 

Heterandrium longipes 121. 

Heteranthera 300. 

Heterocope appendiculata, H. robusta 
668. 

Heteroplastiden, Urform der H. 514 fg. 

Heteroxanthin 740. 

Himantidium 363 fg. 

Hippalectryo 366. 

Hippoglossus maximus 271. 

Hippopotamus 614. 

Hippospongia 197. 


782 


Hippuris vulgaris 388 fg. 

Hircinidae 196. 

Hirnoberfläche des Hundes, motorische 
Rindenfelder in der H. 383 fg. 

Histologie, Grundzüge der H. (von 
Klein) 319 fg. 

Hörorgan, Anatomie 703. 

Homotype Keimstreifen 316. 

Honigbehälter, Stellung der H. in den 
Blumen 298 fg. 

Honigbiene, Anpassungsfähigkeit der 
H: 512. 

Hormidium parietinum 424. 

Hummelblumen 737 fg. 

Hunde, die Erregbarkeit der Hirnrinde 
neugeborner H. 56 fg. 

Hundswut, Bacillus der H. 629 fg. 

Hyalinknorpel 431 fg. 

Hyalonella 600. 

Hyalospongiae 194. 

Hydatula varia 20. 

Hydra fusca, H. viridis 571. 

Hydrodictyon 425. 

Hydroidpolyp 9. 

Hydrologie, Hydronomie, Hydrogenie 
714. 

Hydrophilus 54. 

Hydropyllum virginieum 598. 

Hwyenmoschus aquaticus 614. 

Hyla 180, H. arborea 225. 

Hylobius piei 434. 

Hylomys 369. 

Hymenopteren 10. 

Hyperodapedon 358. 

Hyperostose, lokale 178. 

Hyphomyceten 631. 

Hypocentrum der Wirbel 323 fg. 

Hypospadie des Menschen 204 fg. 


I. 


Ichneumoniden 397 fg. 

Ichthyoden 228. 

Ichthyosaurus 336. 

Imaginalscheiben 54. 

Infektionskrankheiten, Heilung von 1. 
633. 

Infusorien, Wimperorgane der I. 539 fg. 

—, Bewegungsorgane der ciliaten I. 540. 

Inokulation der Sacceulina 17. 

Insekten, Geschmacksorgan der 1.10 fg. 

—, Palpen der nagenden I. 12 fg 


Sachregister. 


Insekten, Eireifung der I. 554 tg. 
Insektenorgane 458 fg. 
Intercentrum der Wirbel 333 fg. 
Intravaskulare Gerinnung 479. 
Invagination 518 fg. 

Iphiena 71. 

Iris 386, I. pseudacorus 737. 
Ischiopagus tetrapus 414 fg. 
Ischioxiphopagus tetrapus 415. 
Isoetes setacea 424. 


J. 
Jaguatiräo 2. 
Janthella 196. 
Juga semialata 513. 
Juglans regia 64. 
Juniperus communis, J. nana 458. 


K. 


Kadaver - Alkaloide 686. 

Kältesinn 381 fg. 

Karbonisierung 418. 

Karnivore Pflanzen, zwei 
deutschen Flora 484. 

Keimplasma, Kontinuität des K. 55. 

Keimsubstanz 35 fg. 

Kentrogoniden 19. 

Kentrogene Larve der Sacculina 17. 

Keratosa 196 fg. 

Kichererbsen 386. 

Kieselschwämme 183. 

Kiwi 367. 

Knochenfische, Endknospen in der 
Riechschleimhäut der K. 589 fg. 

—, Großhirn der K. 676 fg. 

—, Embryonen der K. 284 fg. 

Knöllchen an den Wurzeln von Alnus 
und den Elaegnaceen 254 fg. 

Königskerze 491. 

Kohlehydrate, Reservestoffe der Pilze 
aus der Klasse der K. 4 fg. 

Kohlensäure, durch Chlorophyll zer- 
legt 540 fg. 

Kommabaeillus 631, Dauerformen des 
K. 632. 

Kompositen 2. 

Kosmographie, Kosmogenie, Kosmo- 
logie 717. 

Kresse 386. 

Kuhmilch 701 fg. 

Kynoblast 519. 


neue der 





Sachregister. 


L. 


Lacerta agilis, L 
L. muralis 228. 

Lähmung von Tieren 760. 

Laguncula repens, L. elongata 763. 

Lamium Orvala, L. garganicum 483. 

Lampronata 402. 

Landfauna, der Nordpol als Schöpfungs- 
zentrum der L. 363 fg. 

Lasius niger 288. 

Lathraea squammaria 484. 

Lathyrus 512, L. montanus 280. 

Lazertilier 651. 

Lebensfähigkeit von Samen und Rhi- 
zomen 513. 

Lebertia insignis 192. 

Leguminosen-Knollen 254. 

Leiolepsis 551. 

Lemuria 367. 

Leonorus Cardiaca 598. 

Leontiasis ossea 178. 

Lepidopteren 399. 

Lepra tuberosa 635. 

Leptodora hyalina 668. 

Leptothrix terrigena 632. 

Leptothrixfäden 631. 

Lepus cuniculus, L. timidus 617. 

Leucaltis Helena 201. 

Leucandra saccharata, L. meandrina 
200. 

Leucetta microraphis 201. 

Leucon 199. 

Leuconostoc 692 fg. 

Leukomaine 739. 

Lichtstreifen, elliptische 765. 

Ligia oceanica 667. 

Limax agrestis 169. 

Limnanthemum nymphaeoides 424. 

Limnocharis Humboldti 393. 

Limnocodium 9, 10. 

Lina populi 399. 

Linaria 512. 

Lithiistina 194. 

Lithobius 673, 766. 

Loligo 272. 

Lophantus rugosus 483. 

Lophius piscatorius 735. 

Lophogus 600. 

Lotus 512. 

Lucernaria octoradiata 572. 


ocellata 226 fg., 


Lufaria 196 fg. 
Lumbrieulus variegatus 226. 
Lumbrieus trapezoides 536. 
Lunge, Collaps der L. 765. 
Lungengewebe 607. 

Lupine 386. 

Lupinus 512. 

Lutra vulgaris 616. 
Lyeium 74, 512. 

Lycosa 658 fg. 

Lyrurus 658 fg. 
Lysimachia nummularia 389 fg. 
Lysiopedalium 760. 


M. 


Mackilis 760. 

Macroscelides 368. 

Macrostoma 300. 

Mactilis 558 fg. 

Mais 386. 

Malleus der Lacertilien 651. 

Mallopterurus electricus 755. 

Malva silvestris, M. rotundifolia 491. 

Mangarito 513. 

Maraldi’sche Pyramiden 512. 

Marantaceen 2. 

Marsilia quadrifolia 389 fg. 

Material, aus dem die Leber Zucker 
bildet 464 fg. 

Matricaria 490. 

Mayaca fluviatilis 300, 428. 

Mechanik des Windens der Pflanzen 
276 fg. 

Medicago minima 389. 

Mehrbildungen 163. 

Melastomeen 2. 

Melibe 20. 

Melosira 266 fg. 

Menschenmilch 701 fg. 

Mephitis 533. 

Mercaptan, Empfindlichkeit gegen M. 
62 fg. 

Mercurialis annua 64. 

Meroblastier 314 fg. 

Merulius lacrimans 253. 

Mesembryanthemum erystallinum 75. 

Mesocarpus- Arten 112. 

Mesostoma 300, M. platycephalum, 
M. rhynchotum, M. punctatum, M. 
nigrirostrum, M. raugeense, M. lan- 
ceola 303. 


784 Sachregister. 

Meta segmentata 675. 

Metazoa 182 fg. N. 
Methylenblaureaktion, der lebenden Nagetiere 369. 


Nervensubstanz 214 fg. 

Miesmuschel, basische Produkte in der 
M. 406 fg. 

Mikrogalvanometer von Rosenthal 
596. 

Mikrohydra Ryderi 8. 

Mikroorganismen des Erdbodens 631g, 
758. 

Milchsäurebildung 
764. 

Milzbrandbaeillus 427. 

Miniopterus Schreibersü 617. 

Moa 366. 

Moina 397 fg. 

Mollusken, Zeichnung der M. 285 fg. 

Monactillidae 187. 

Monotus relietus 303. 

Monsonia nivea 73. 

Monticola saxatilis 458. 

Morphogenie der Wirbelsäule der Am- 
nioten 332 fg. 

Morphologie, generelle M. Häckel’s 
538. 

Morus alba 458. 

Mucor mucedo 426. 

Müller’sche Lösung 21. 

Mund der Cölenteraten 184. 

Mus decumanus, M. musculus 617. 

Musca 399 fg., M. vomitoria 557 fg. 

Muschel, Schaleneröffnung der M. 221g. 

Musciden, embryonale Entwicklung der 
M. 49 fg. 

—, Verhalten während der Metamor- 
phose 74 fg. 

Mustela vulgaris 616. 

Mycetes ursinus 403 fg. 

Myelospongium 542. 

Myogale 369. 

Myozus avellanarius 377. 

Myriapoden, Verwandtschaftsbezieh- 
ungen der M. 759 fg. 

Myriophyllum vertieillatum 389 fg. 

Myriopoden 230, 673 fg. 

Myrmecophaga tetradactyla 534. 

Myrtus communis 456. 

Mysis Chameleo 663 fg. 

Mytilotoxin 409. 

Mytilus edulis 406. 


im Froschmuskel 


Nannocerus 121. 

Nasturtium officinale, N. amphibium 
389. 

Naturforscherversammlung , 
Berlin 415 fg. 

Nauplius - Brut, der Saceuliniden 14. 

Nebenkerne 555. 

Nebria brevicollis 13. 

Necrophorus 400. 

Nemalinen 757. 

Nematoden 234. 

Nepa 696. 

Nepata Mussini, N. melissaefolia, N, 
macrantha 483. 

Nervenfasern, Entstehung und Aus- 
breitungsweise der N. 542 fg. 

Nervenkörperchen 21 fg. 

Nervenstrom, seine Verlaufsweise 720f. 

Nervensubstanz, Methylenblaureaktion 
derselben 214 fg. 

Nervensystem, zentrales 574 fg. 

—, zentrales, der Bandwürmer 733. 

Nervus acusticus des Kaninchens 152 fg. 

Neuridin 691. 

Neurin 690. 

Neuroepithelien 429. 

Neutraler Punkt (beim Sehen) 90. 

Nitraria 71. 

Nitzschia 478. 

Nordpol, der N. als Schöpfungszentrum 
der Landfauna 363 fg. 

Nuphar luteum 389 fg. 

Nyceticebus 368. 


5Ite zu 


0 


Oedogonien - Arten 112. 
Oenanthe Phellandrium 389. 
Olea europaea 457. 
Öligochäten 461. 

Olynthus 19. 

Omaseus melanurus 13. 
Oniscus 666 fg. 

Ononis 512. 

Ooblasten 485. 

Opalina 401. 

Ophion 402. 

Opossum, Embryologie des O0. 283 fg. 
Opuntia 424. 


Sachregister. 


Orca gladiator 614. 

Orchestia 667. 

Orchis fusca, O0. Morio 280. 

Organisation der vegetabilischen Zell- 
haut 417 fg., 449 fg. 

Ornithorhynchus 367. 

Orthezia cataphracta 485 fg. 

— —, Vorkommen der O. im Riesen- 
gebirge 488 fg. 

Orthosira 266 fg. 

Öscarella 184. 

OÖsculina 195. 

Oxytricha rubra 539. 


P. 


Pachygaster tauinsignitus 192. 

Pachymatisma 194. 

Paidogenesis 538 fg. 

Paläontologie 641 fg. 

Palpen der nagenden Insekten 12. 

Palpen bei Myriopoden und Arach- 
niden 673 fg. 

Paludina vivipara 600. 

Paludicellen (Pal. erecta, P. Ehren- 
bergüi) 599. 

Panicum 71. 

Panmixie 45 fg. 

Papilioneen 640. 

Papillella 195. 

Paramecium caudatum 477. 

Paraxanthin 740. 

Parazoa 182 fg. 

Parenchymula - (Phagocytella-) Theorie 
von Mecznikoff 514 fg. 

Parietaria arborea 424. 

Parthenogonidien 516. 

Parus major 456. 

Passer italiae 458. 

Pectinellen 540. 

Pelagische Fauna in den norddeutschen 
Seen 667 fg. 

Pelagische Organismenwelt, die 478. 

Pelobates 180, P. fuscus 225. 

Pelomyxa 7. 

Pelycosauria 358. 

Penieillium glaucum 426. 

Penis des Menschen, sein morpholo- 
gischer Wert 209 fg. 

Penischisis des Menschen 204 fg. 

Penniscetum 71. 

Pepton, toxische Wirkung des P. 689. 


785 


Peripatus 397 fg., P. Edwarsü 399. 

Periplaneta 502, P. orientalis 13. 

Perisomatische Höhle 18. 

Peritrichen, neue Gattung der P. 733 fg. 

Perizonium 265. 

Perodictius potto 368. 

Petit’scher Kanal, sein Bau 29 fg. 

Petrodromys 368. 

Petromyzon 401. 

Peziza vesiculosa 5, P. baccarum 250. 

Pflanzen, zwei neue karnivore P. der 
deutschen Flora 484. 

— , Wärmemengen der Pf. 385 fg. 

— , Austrocknungsfähigkeit der Pf, 
423 fg. 

— , Bestäubungseinriehtungen der Pf. 
481 fg. 

— , Aufnahme von Wasser seitens der 
Pf. 597 fg. 

— , Stiekstofiquellen der Pf. 700. 

— , Pf. nämlicher Art mit verschie- 
denen Blütenformen 737 fg. 

Pflanzenverbreiter, Vögel als Pf. 455 fg. 

Pflanzenwelt, die mikroskopische, des 
Süßwassers 608. 

Phagogenitoblast 518 fg. 

Phagogenitocöl 519. 

Phalangium Opilio 675. 

Phallus impudieus 5. 

Phaseolus vulgaris 694. 

Philodina roseola, Ph. 
231. Te: 

Philodromus 658. 

Philomela Luscinia 456. 

Phlomis Russeliana 483. 

Phoca bicolor 616. 

Phoenicurus redivivus 19 fg. 

Pholcus 658 fg. 

Phycomyces nitens 5. 

Phyllirea angustifolia 457. 

Phylloeyaninsäure 541 fg. 

Phyllodactylus europaeus 228. 

Phyllum 182. 

Phylogenetische Entwicklung 403 fg. 

Physothorax disciger 121. 

Phytelephas 418. 

Phytolacca decandra 457. 

Pica caudata 456. 

Pilze, Reservestoffe der P. 5 fg. 

Pimpla 402. 

Pinselzellen der Mollusken 540. 

50 


cinnabarina 


786 


Pirrhocorax alpinus 456. 

Pirus Aria, P. Aucuparia 456. 

Pistia 300. 

Pithekoide Menschen 136. 

Placenta diffusa 614, P. zonata 616. 

Plagiostoma Lemani 303. 

Plagiostome 543. 

Plakinidae 194. 

Plakula- Theorie v. Bütschli 514 fg. 

Planaria ocellata 20. 

Plantago 73. 

Planula - Stadium 8. 

Planula- Theorie von Ray -Lankester 
514 fg. 

Plasmaschichten im Weichkörper der 
Rhizopoden 5 fg. 

Plasmodiophora Brassicae 254 fg. 

Plasmolysierte Zellen 694 fg. 

Platessa vulgaris, P. flesus, P. l- 
manda, P. microcephalus, P. liman- 
doides 271. 

Platydactylus facetanus 225, P. verus 
228. 

Plectranthus glaucocalyx 484. 

Pleroma Sellowianum 2. 

Pleuronectiden 270 fg. 

Pleurosigma angulatum, P. balticum 
K19. 

Plumatellen 600. 

Pollen, Gewinnung des P. 512. 

Polydaktylie 176. 

Polygonum amphibium 392 fg. 

Polymastia 195 fg. 

Polynukleare Pyramiden 658. 

Polypen, Süßwasser 8. 

—, Umstülpung der P. 570 fg. 

Polyphemus 397 fg., P. pediculus 668, 

Polyphyletische Deszendenzhypothesen 
363 fg. 

Polyporus fomentarius 421, 452. 

Polythelie 164. 

Poren an Diatomaceenschalen 719 fg. 

Posoqueria 514. 

Potamogaliden 369. 

Potamogeton lucens 389, P. rufescens 
392 fg., P. natans 393. 

Praeponderanz, männliche 286. 

Praopus hybridus 532 fg., P. novem- 
cinetus 534 fg. 

Primitivstreifen bei den Meroblastiern 
314 fg. 


Sachregister. 


Prodorus 482. 

Pronuba Yuccasella 482. 

Prorhynchus 300, P. curvistylus 302, 
P. stagnalis 302. 

Protoplasma, Austreten des Pr. 719g. 

—, chemische Untersuchung des P. 759. 

Protoplastica 182. 

Protohydra 9. 

Protozoen 5. 

Prunus avium, P. Cerasus 455. 

Psammascus 197. 

Psammoclema 196 fg. 

Psammopemma 496 fg. 

Pseudotetraxonina 194. 

Psidium pomiferum 191. 

Psilostemum orientale 484. 

Ptilocerus 369. 

Ptomaine 410, 685 fg. 

Pulmonaria 1. 

Pulswelle, Fortpflanzungsgeschwindig- 
keit 765. 

Pupillenreflex 352. 

Putrescin 728. 

Pyenanthemum pilosum, P. lanceola- 
tum 484. 

Pyramiden, polynukleare 658. 

Pyrophthalma melanocephala 456. 

Pyrrhula rubicilla 455. 

Pythium 455. 


Q. 


Quadratum der Säugetiere 648 fg. 


R. 


Raja clavata 204 fg. 

Rana esculenta 123, 180, 225, 346, 275. 

— temporaria 126, 225, 346. 

— fusca 180, 275, 619. 

Ranatra 695 fg. 

Ranunculus aquatilis 388 fg., R. lu- 
tarius 394. 

Reaumuria 71, 72. 

Regeneration von Geweben und Or- 
ganen bei den Wirbeltieren, beson- 
ders Amphibien und Reptilien 225g. 

Reifungsballen 399. 

Reinchlorophyll Hansen’s 541. 

Relative Intensität der Todesursachen 
438 fg. 

Rhabditiden 433 fg. 





Sachregister. 


Rhabditis aceti 234. 

Rhabdonema strongyloides 434 fg. 

Rhachitomus 338 fg. 

Rhamnus frangula 455. 

Rhea americana, R. Darvinii 366. 

Rhizocephala 14. 

Rhizome, Lebensfähigkeit der Rh. 513. 

Rhizopoden, Plasmaschichtenim Weich- 
körper der R. 5 fg. 

Rhizopoide Verdauungsorgane 
fangender Pflanzen 484. 

Rhizosolenia alata 264 fg. 

Rhododendron lapponicum 598. 

Rhodymeninen 757. 

Rhombus maximus, R. laevis, R. me- 
gastoma 271. 

Rhyneocyon 368 

Rhytina Stelleri 736. 

Ribes aureum 1, R. rubrum 456. 

Richardia 386. 

Rieinus 386, 513. 

Riechfelder 590. 

Riechschleimhaut 
589 fg. 

Riechzellen 428 fg. 

Richtungskörper 537. 

Robinia 386. 

Rotatorien, Austrocknung derselben 
230 fg. 

Rotifer vulgaris 235. 

Rubus chamaemorus 598. 

Rubus fructicosus 389. 

Rubus discolor, R. 
Idaeus 456. 

Rückengefäß der Musciden 74 fg. 

Rückenmark, Blutgefäße des mensch- 
lichen R. 736. 

Ruticilla phoenicura, R. thityis 456. 

Rynault’sches Kalorimeter 386. 


tier- 


der Knochenfische 


tomentosus, R. 


S. 
Saccharomyces 693. 
Sacculina, Entwicklung der &. 14 fg. 
Säugetiere, Abstammung der 8. 283 fg. 
—, Zeichnung der $. 285 fg. 
—, Generationswechsel der S. S.532 fg. 
—, Quadratum der $. 648 fg. 
Sagitta 388 fg. 
Sagittaria 388. 
Salamandra maculata 126, 227, 346. 
Salamandrine 228. 


787 


Salix fragilis 425. 

Salmo Salar 285. 

Salvia glutinosa 484. 

Sambucus nigra 456. 

Samen, Lebensfähigkeit von 8. 513. 

—, vorgeschichtliche 694. 

Saprolegnia-Schläuche 114. 

Sarothamnus 512. 

Sarracenia 597. 

Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikro- 
spektrum 65 fg. 

Sauropside 655 fg. 

Scenedesmus obtusus 425. 

Schildkröten, periodisches Atmen bei 
Sch. 377. 

Schimmelpilze, Untergang pathogener 
635. 

Schizoblastulae 522 fg. 

Schizolobium 514. 

Schizopoden, zur Embryologie der S. 
663 fg. 

Schleimfluss lebender Eichbäume 692 fg. 

Schleimsekretion, Histologie und Phy- 
siologie 607. 

Schleimzellen 428, 

Schmelzlose Rudimente der Zähne 176. 

Schmetterlinge, Schuppenbildung der 
Sch. 640. 

—, Zeichnung der Sch. 285 fg. 

Schmetterlingsblumen 737. 

Schuppenbildung bei Schmetterlingen 
640. 

Schwämme 181 fg. 

Schwann’sche Scheide 21 fg. 

Schwein, Stoffwechsel des Sch. 26 fg. 

Sceirpus lacustris 396. 

Sclerotien der Pilze 5. 

Seolopendra 673. 

Scolopendrella 759. 

Scyphistoma 281. 

Seeigelgewohnheiten 641 fg. 

Segmentalorgane der Würmer 458 fg. 

Sehschärfe 157 fg. 

Seidenraupe 461. 

Selbstdifferenzierung, formale, quali- 
tative 276. 

Selbstverdauung 681 fg. 

Selektion 34. 

Sempervivum caespitosum 424. 

Senecio Jacobaea 490. 

Silpha 398 fg. 


188 


Silphium perfoliatum 484, 598, $. ter- 
natum 598. 

Sinnesorgane, branchiale 592. 

Siredon 180, S. pisciformis 225 fg. 

Skorpion, Entwicklungsgeschichte des 
Skorpions 525 fg. 

Solea vulgaris 271. 

Solenodon 369. 

Soorpilz 693. 

Spaltpilze, Einfluss der Sp. auf den 
tierischen Stoffwechsel 572 fg. 

Sparagmites 341. 

Spermatiden, membranlose 600. 

Spermophilus eitillus 436. 

Spezifisches regulatorisches Nerven- 
system der Atmung 309. 

Sphaerococeinen 757. 

Siphaerularia bombi 282 fg. 

Siphargis 361. 

Siphenodon 433, 652 fg. 

Sphenosauridae 341. 

Sphenosaurus 336 fg. 

Sphinz, S. ligustri 398 fg. 

Spieulispongiae 194. 

Spinax acanthias 431 Tg. 

Spinnen, Entwicklung der S. 658 fg. 

—, Embryologie der S. 559 fg. 

Spiraea opulifolia 2. 

Spirogyren - Arten 112. 

Spongelia 197. 

Spongidae 196 fg. 

Spongillidae 193, 196 fg. 

Squalius cephalus 677. 

Staphylococcus pyogenesaureus 30. 

Staphylinus olens 13. 

Statoblasten 601. 

Stegocephali 340. 

Stellaria media 598. 

Stelospongia 197. 

Stenops 368. 

Stenostoma 300. 

Stephanosphaera pluwvialis 232 fg. 

Stereologie 714. 

Sterkoraltasche 561. 

Stentor auricula 539. 

Stetheophyma grossum 
grossus) 14. 

Stichotricha marina 539. 

Stickstoff, gasförmiger $. im tierischen 
Stoffwechsel 572 fg. 

Stickstoffquellen der Pflanzen 700. 


(Mecosthetos 


Sachregister. 


Stieta pulmonaria 427. 

Stiftehenzellen in der Epidermis von 
Froschlarven 179 fg. 

Stoffwechsel, Stickstoff im 8. 572 fg. 

Stratiotes 395, S. alvides 389. 

Streptochaeta 2. 

Stromanthe Tonckat 2, 3. 

Struthio camelus 366. 

Stützzellen, Verhältnis der St. zu den 
Neuroepithelien 428 fg. 

Stylonichia 235. 

Suberitidae 187. 

Suctoria 14. 

Süßwasserbryozoen, Phylogenie und 
Ontogenie der 8. 599 fg. 

Surirella 719. 

Suritella 478. 

Sus scropha domesticus 614. 

Sycandra arborea 199 fg., $. pila 200. 

S'ycon 186. 

Sylvia atricapilla 455 fg., S, cinerea 
456, S. conspieillata 456. 

Symphytum cordatum, S. grandiflorum, 
S. asperrimum, 8. offieinale 484 

Synedria 478. 

Syringia 386. 


al 


Tachyglossus 367. 

Taenia transversalis, T. rophalocera, 
T. crassicollis, T. sagittata 733. 

Tagschmetterlinge 483. 

Tamarix 73. 

Tardigraden, Austrocknung derselben 
230 fg. 

Tarentola annularıs 355, 655. 

Tarsius spectrum 368. 

Tecophore fovea 640. 

Tegenaria domestica 675. 

Temnogenesis 538. 

Temperatursinn, Spaltung des T. in 
zwei Sinne 381 fg. 

Tentorium 19. 

Teratologie 131. 

Tethya 182. 

Tetragonaspis 121. 

Tetrameres haemorrhous 283. 

Tetraxonina 194 

Thamnophilus 192. 

Theridion 658 fg. 

Theromorphie 131. 





Sachregister, 


Thetys 20. 

Throphotropismus 482. 

Thymus chamaedrys Fries 3 fg. 

— angustifolius 3. 

Tiefseefauna 641 fg. 

Tiere, Helligkeits- und Farbensinn der 
Tiere 489 fg. 

Tierische Gewebe, das elektrische Lei- 
tungsvermögen derselben 596 fg. 
Tierwelt, die mikroskopische, des Süß- 

wassers 608. 

Tilletia 253. 

Tollwut, Methode gegen die Ansteckung 
der T. (Pasteur) 82 fg. 

—, Prophylaxe der T. 621 fg. 

Tradescantia virginica 2. 

Tragalus Stanleyanus 614. 

Trapa natans 392. 

Trematoden 14. 

Tribulus 72. 

Trichaulus 482 fg. 

Trifolum repens 598. 

Trigla 589 fg., T. hirundo 590. 

Trimerorhachis insignis 338 fg. 

Triton taeniatus, Tr. eristatus, Tr. hel- 
veticus, Tr. marmoratus 225, 346. 

Trogus 402. 

Tuber melanospermum, T. aestivum 5. 

Tuberella 194 fg. 

Tuberkelbacillen 634. 

Tupaia 368. 

Turbellarien, die rhabdocölen T. Liv- 
lands 300 fg. 

Turdus merula, T. viscivorus 455 fg. 
T. torquatus, musicus, pilaris, iiacus 
456 fg. 

Tylenchus 282. 


Ulothrix 69. 

Ulotricheen- Arten 112. 

Urform der Heteroplastiden 514 fg. 
Urocystis 253. 

Urodelen 592. 

Uromastix 651 fg. 

Uroplates 355. 

Uroplatidae 358. 

Urostigma 121. 

Ustilago 253. 


189 


V, 

Vaccinium Myrtillus, V. Vitis Idaea, 
V. Oxycoccos, V. uliginosum 250 fg. 
457, 598. 

Vademecum botanicum von Karsch 
352. 

Vegetarianismus 435 fg. 

Velinea 197. 

Verdauung lebenden Gewebes 681 fg. 

Vererbung erworbener Eigenschaften 
33 fg. 

Vergoldungsmethode (Cohnheim) der 
peripheren Nervenendigungen 215. 

Verongia 196 fg. 

Veronica Sandersoni 1. 

Vertumnmus thetidicola 20. 

Verwandlung der Froschlarven 619 fg. 

Vespa vulgaris 10, 555. 

Vespertilio murinus 617. 

Vesperugo Kuhlü 617. 

Vespus A402. 

Viburnum Tinus A456. 

Vieia 512. 

Viola 512. 

Vitellophagen 664 fg. 

Violettblindheit, ein Fall von V. 93 fg. 

Vögel als Pflanzenverbreiter 455 fg. 

Volvocine, plattenförmiges Gonium- 
stadium der V. 519. 

Volvox 515 fg. 

Vorstellungen. über die Lage unserer 
Glieder 442 fg. 

Vortex 301, V. penicillus 303. 

Vorticella mierostoma 734. 

Vosmaeria gracilis 200. 


W. 


Wachs 511. 

Wachstum tierischer Organismen, Dreh- 
ungsgesetze beim W. 639 fg. 

Wärme im Darmkanale 764. 

Wärmemengen der Pflanzen 385 fg. 

Wärmesinn 387. 

Wanderglykogen 5. 


Wasseratmung bei weichschaligen 
Schildkröten 213 fg. 
Wasserpflanzen, Keimfähigkeit der 


Samen der W. 299 fg. 
—, Blätter der W. 388 fg. 


70 


Weberella 19. 
Weihnachtsblume 2. 
Weizen 386. 
Wildseuche 638 fg. 
Wimperorgane der Infusorien 539 fg. 
Winden der Pflanzen 276 fg. 
Wirbel, rhachitome 341. 
Wirbelgelenke, morphologischer Wert 
der W. 603 fg. 


Y. 


Yucca filamentosa 482. 


2. 


Zähne, Zahl der Z. 174 fg. 

Zatrachis 339 fg. 

Zeichnung der Säugetiere, Schmetter- 
linge und Mollusken 285 fg. 

Zellen, Bedeutung der Cytozoen für 
die Z. 345. 

Zellenthätigkeit 767. 


Sachregister. i 


Zellhaut, Organisation der vegetabili- 
schen Z. 417 fg. 449 fg. 

Zellkerne in fusionierenden Pilzzellen 
253 fg. 

Zentralanstalten, Bedürfnis nach wis- 
senschaftlichen Z 545 fg. 

Zentralnervensystem der elektrischen 
Fische 735. 

Zentrales Nervensystem, 
Blutfülle in ihm 618 fg. 

Zentren des verlängerten Markes 
678 fg. 

Zilla 71. 

Zoarkes viviparus 590. 

Zonula, Bau der Z. 29 fg. 

Zoologische Station in Neapel 545 fg. 

Zootomische Präparate, Anfertigung 
und Aufbewahrung 192. 

Zuckerbildung der Leber 464 fg. 

Zwischenkiefer 606. 

Zygaena 399 fg. 

Zygnema 69, 694. 

Zygophylium 74. 


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