a De DI, 2 Zar 2 Bed EZ Zu
un
EA Dane nV Preeee A il
Mir nn EEE Na ie
x o
De ne nn ee nn SEO net een em ne Shmhn nennen en ann nn a nnn ee x
[5
[= =
je ]
[2
=
[= =
[=]
[==]
==r
Pe |
ui
zZ
Ss
[I»)
[= ]
—_
=>
oa
Li
==
(==
=.
=
|
|
Received
Accession No.
by
Given
Place.,.....
*,*No book or pamphlet is to be removed from the hab-
oratory without the permission of the Trustees,
ie”
Bi
IE # 6, x A
E R BR ETER I
ER 2 L A
Pr ER
hi . k x y
‘
F
DER SE N:
RN
Ara
At
Biologisches Öentralblatt.
Unter Mitwirkung
von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Professor der Botanik Professor der Zoologie
herausgegeben
von
Dr. J. Rosenthal
Professor der Physiologie in Erlangen.
Sechster Band.
1586—1887.
Mit 3 Abbildungen.
Erlangen.
Veozra sung hBrdiwsarz di B’eis 0.1,
1887.
Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
! te
Inhaltsübersicht des sechsten Bandes.
A. Sachliche Inhaltsübersicht nach der Reihenfolge der Artikel.
I. Botanik.
Seite
Ludwig, neue Fälle von Farbenwechsel in verschiedenen Blüten-
ständen. Nr. 1
Ludwig, Ueber ERROR wAseklune der nächlichen la.
Eigentümlichkeiten bei nächstverwandten Pflanzenformen. Nr. 1. 3
Errera, Ueber das Vorkommen von‘'Glykogen in der Bierhefe. — Der-
selbe, die Reservestoffe der Pilze aus der Klasse der Kohlehydrate.
IE N Ar Ei en raue PERS SR SF SER LE 2 Ba N N
Wittrock, Ueber die Geschlechterverteilung bei Acer A L. und
einigen andern Acer- Arten. Nr. 2 . 64
Pringsheim, Ueber die Sauerstoffabgabe der Phänzeii im Rohe
Nr. Sa A the: 4.2.69, 10SESN
Volkens, Zur Flora der Erich irabiachen Wüste, En 3 71
Müller, Feijoa, ein Baum, der Vögeln seine Blumenblätter als Lock-
speise bietet. Nr. 6 5 191
Schütt, Einiges über Bau und Teln aer Diane Nr. 257
Jordan, Die Stellung ST a und der EN
in den Blumen. Nr. . 298
Ludwig, Ueber durch es Beine Keimfähigkeit ‘der Samen
einiger Wasserpflanzen. Nr. 10 299
Bonnier, Ueber die Wärmemengen, welche von an PHanden angehen
ündwautzenommen: werden!) N) Hann a 1. EOS R N ER 389
Costantin, Studien über die Blätter der Wasserpflanzen. Nr. 13 388
Wiesner, Untersuchungen über die Organisation der en Zell-
Hansi Nr. 1A 7 a 417
Schröder, Die Austrorkiiungaihigkeit. der Piläriden! Nr. 14 423
Klebs, Einige kritische Bemerkungen zu der Arbeit von Wiesner,
„Untersuchungen über die Organisation der vegetabilischen Zellhaut“.
Nr..15 Se De EL NEN 2 DES ERE LTR AUEFNE SR S IHR TER ER FED ET
Ludwig, Neuere Beobachtungen über Bestäubungseinrichtungen der
Pflanzen. Nr. 16 481
IV Inhaltsübersicht.
Seite
Ludwig, Zwei neue karnivore Pflanzen der deutschen Flora. Nr. 16 . 481
Ludwig, Einige neue Beispiele langer Lebensfähigkeit von Samen und
Rihrzomener NIAssly er . 513
Kirchner und Blochmann, Die ih rogkpiache Pidizenwelt der Süß-
MaRsern.t Nr. 19H ar A 608
Imhof, Poren an Diattmsceonschalen nnd Aussreten Han Piienlasman
anıdıe Oberlläche: Nr. 237°... % er 719
Ludwig, Ein neuer Fall verschiedener Blitlenfornen a Pflanzen alas
nämlichen Art und ein neues mutmaßliches Kriterium der Schmetter-
ner und. Hummelblumen > ENT:0a ua u ee 9 19
II. Zoologie.
Gruber, Die Frage nach dem Bestehen verschiedener Plasmaschichten
im Weichkörper der Rhizopoden. Nr. 1 . . . i er: >
Marshall, Ein neues Süßwasser - Cölenterat von Nordamerika INTER 8
Wr1ll, Das Geschmaeksorgan der Insekten. Nr. 1. . 0.7. 0 20. 917210
Yves Delage, Entwicklung der Sacceulina. Nr.1 . .». 2.2... 14
Spengel, Pioanus redivivus. Nr.1. ... a N nr ee Ad)
Möbius, Ein Zusatz zu der Spengel’schen Mitteilung: Phoenieurus
neniwmwus. Nr. 3... el. Ä BE RS Ne ID
Müller, Neue Beobachtungen Anen een ir De ARTE el
Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. Nr. 6,7 . . 181, 193
Forel, Fauna der Schweizer Seen. Nr. 7... : e 201
Zacharias, Können die Rotatorien und Merlieraden nach. llerandrsar
Aeerocknung wieder aufleben oder nicht? Nr.8, . 2 2. 27.222.230
Ritzema Bos, Einige Bemerkungen über Pleuronektiden. Nr. 9 . . . 270
Iubiborek, Hebensdauer der Ameisen, Nr 97 288
Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands. Nr. 10 . .. . 2... ....300
Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. Nr. 12 . 363
Dogiel, Ueber den Bau des Geruchsorgans bei Fischen und Amphibien.
NEeS1A ya i 2234 428
Oerley, Die Rhabditiden el ihre aaa) Bee Ro var 433
Piccone, Vögel als Pflanzenvertreter. Nr. 15 . .. . Re el)
Nassonow, Welche Insektenorgane dürfen homolog den ee anen
der Würmer zu halten sein? Nr. 15 . .. SEN ER IE H0\6)
Leydig, Die Hautsinnesorgane der Arthropoden. A is u har: . 462
Asper und Heuscher, Eine neue Zusammensetzung der „polnische
TEBNSMERWelke ENT. DL re angaeneee N . 478
List, Ueber die Entstehung der Dotter- und Eizellen bei Or eher ia a
phracta Shaw. Nr. 16 .... : 3 eur: AD
Zacharias, Das Vorkommen der Orihena ae Shan im Riesen?
gehirge. uNT. Ab" oo .r. ER haar. Walale)
Tiebe, Ueber den Helligkeite- nal Eorkenainn ner Miere. „N7>16°., 0807459
ed Die Urformider Heteroplastiden Nr 17a os nt 2 le
Blochmann, Ueber die Eireifung bei Insekten. Nr. 18... ... 554
Blochmann, Die mikroskopische Tierwelt. Nr. 19 . 2. 2 2 2.22.2608
Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie. Nr. 21 641
Baur, her das Quadratum der Säugetiere. Nr. 21 BE mc
Inhaltsübersicht. V
III. Anatomie, Anthropologie, Histologie, Entwick-
lungsgeschichte.
Seite
Adamkiewiez, Die Nervenkörperchen. Nr. I ... DONE FRE 3 2ER
Kowalevsky, Zur embryonalen Entwicklung der ketilgn N PEN CS)
Kowalevsky, Zum Verhalten des Rückengefäßes und des guirlanden-
förmigen Zellenstrangs der Museiden. Nr.3 .... Ba
Albrecht, Zur Odontologie der Kieferspaite bei der Eee (Mit
Abbildung), .Ner3 . ... Se N Re ac ERNEN GE
Pansch, Grundriss der one En Taenechen. Nrwarms aus a9)
Virchow, Deszendenz und Pathologie. Nr. 4,5,6 . -: . . . 97, 129, 161
Albrecht, Ueber den morphologischen Sitz der Hasenschartenkiefer-
spalte. (Nachtrag zum Artikel S. 79.) Nr. n ET EN En ON
Just, Zur Histologie des Flimmerepithels. Nr. 4 . . . rs 123
Kölliker, Stiftechenzellen in der Epidermis von es ehiaeven No
Alb ar Ueber die morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi-
BndeHiypospadie.saNTreszn, Se 204
Fraisse, Die Regeneration von Gew Slam rc Oessucn Ya aa Wirbel-
tieren, besonders Amphibien und Reptilien. Nr.S . 2. 2 2.2.2...225
Roux, Beiträge zur Entwicklungsmechanik des Embryo. Nr. 9 . . . 274
Klein, Grundzüge der Histologie. Nr. 10. . . . Se)
Baur, Ueber die Morphogenie der Wirbelsäule der Antoreh. Nr. 1. 2 332,898
Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies. Nr. 13... 397
Albrecht, Ueber die im Laufe der phylogenetischen Entw ee Rn
standene angeborne Spalte des Brustbeinhandgriffes der Brüllaffen. Nr.13 405
Omer Van der Stricht, Untersuchungen über Hyalinknorpel. Nr. 14 431
Kowalevsky und Schulgin, Zur Entwicklungsgeschiehte des Skor-
PIOORT ENTER Wer EUER SA, er
Jhering, Ueber ea ee an nedsieren, N Baal wma
Locy, Embryologie der Spinnen. Nr. 18 . ... 59
Madrid-Moreno, Ueber die morphologische Be deannne a on
in der Riechschleimhaut der Knochenfische. Nr. 19. . . . . 589
Barfurth, Experimentelle Untersuchungen über die Verwandlung a
Kroschlarven. Ne. 20°... . ERBE: FRERDERNITERN URL O0.)
Tafani, Beziehungen zwischen Mukter indl Fötus. Nr. 207 RM Ar oe
“ Morin, Zur Entwicklungsgeschichte der Spimen. Nr. 1. 2. 2.2... 658
Nusbaum, Zur Embryologie der Schizopoden. Nr. 21. . 2» .2..2...2...68
Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. Nr. 24... . 749
IV. Physiologie.
Plateau, Die Palpen der nagenden Insekten. Nr. 1 12
Pawlow, Wie die Muschel ihre Schale öffnet. Nr.1 .... ...2.22
Meissl, Untersuchungen über den Stoffwechsel des Schweins. Nr. 1 . 26
Zuntz und Geppert, Ueber die Natur der normalen Atemreize und den
Ortuihren); Wirkung.) Nr. 2,1%»: a:
Paneth, Ueber die Erregbarkeit der Eiintinde en Handar Nr 207456
Just, Zur Physiologie und Histologie des Flimmerepithels. Nr. 4 . . 125
VI Inhaltsübersicht.
Seite
Exner, Ueber eine neue Urteilstäuschung im Gebiete des Gesichtsinnes. Nr.4 126
Baginsky, Ueber den Ursprung und Verlauf des Nervus acustieus des
Kanmnchens.. Nt..D- 222% a 102
Langendorff, Die chemische Bbakhon) Has“ grauen ann Nr.i6.... ‚188
Simon und Susanna Phelps Gage, Wasseratmung bei weichschaligen
Schildkröten, ein Beitrag zur Physiologie der Atmung bei Wirbel-
tieren. NT, Ze. 0a 213
Ehrlich, Ueber die Methylenblänskaktien len en Nr. 7 214
Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. Nr. 8 235
Voit, Lehmann und Rubner, Ueber die Fettbildung im Tierkörper. Nr 5 243
Mislaws sky, Zur Lehre vom A an grinmihnn Neopren weh
Gudden, Ueber die Frage der Lokalisation der Funktionen der Ben
hienundeseNne Als: 3 a Net!
Knoll, Beiträge zur Lehre von der rl esten Ne. 1022 22.207304
Kowalevsky, Beobachtungen über die Blutzirkulation in der Haut. Nr. 10 312
Sternberg, Zur Lehre von den Vorstellungen über die Lage unserer
Glreder.aoNT- li 22 0.0: I ee EN a ee anna 1
Langendorff, Beiträge zur end des Cheyne-Stoke’schen Phä-
nomens., .Nr..12 . ...,. e BÜEH : a)
Fick, Einige Bemerkungen Kyar ion heran der arme Ne 13 404
;3rieger, Ueber basische Produkte der Miesmuscheln. Nr. 13 . . . . 406
Seegen, Ueber das Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. Nr. 15 464
Bayliss und Bradford, Elektrische Erscheinungen bei Drüsensekrc-
BIOnES ENTE un. 2 ee De 27 Rn ee en AS
Wooldridse, Intravaskulare Gerimnung. Nr. 15... » © 5. 2..2.0..0449
Hitzig, Ueber Funktionen des Großhirns. Nr. = na en
List, Ueber Strukturen von Drüsenzellen. Nr. A 992
Rosenthal, Ueber das elektrische Leitungsvermögen ner Bee
Te ee 2 ch : . 396
Knoll, Ueber die a in der ale url
die wechselnde Blutfülle des zentralen Nervensystems. Nr. 20. . 618
Plateau, Die Palpen bei den Myriopoden und aaniden. Nn,22 2.0206
Steiner, Ueber das Großhirn der Knochenfische. Nr. 22. . . ur KO
Steiner, Die gegenseitige Verknüpfung der Zentren des Herne
kok E22 0. 02.2 i ae a 6 AR
Frenzel, Verdauung lebenden hs a Bebeive in NE 2206
Brieger, Untersuchungen über Ptomaine Nr. 22, 23, 24 . . 685, 726, 739
Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in nicht geschlossener oder in ge-
Schiossaner Stzomhahne, Nr; 23. m ee, erran
V. Verschiedenes.
Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Nr. 1. ...%9
Verhandlungen der Societ& de Biologie. Nr. 1,1. . 2... . Su Be!
Weismann, Zur Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften. Nr.? 33
Aus den Verhandlungen der physikalisch- medizinischen Societät zu Er-
Una Ne 72,13 REINE re Re N ES el Ba
Pasteur und seine Methode gegen die Ansteckung der Tollwut. Nr, 3 82
Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Nr, 3, 16, 21,22 88,
510, 671, 704
Inhaltsübersicht. vi
Seite
Verhandlungen der physikalischen Gesellschaft zu Berlin. Nr. 3, 4 . 93, 156
Kongress für innere Medizin. Nr.3.... - k 96
Annalen des K. K. RE SEITEN zu Wien Nr. 4 128
Ein in tiergeographischer Hinsicht interessanter Fund. Nr. 6 192
Dewitz, Anleitung zur Anfertigung und Aufbewahrung zootomischer
Präparate. Nr. 6 a aan er a Ten DR) eu REED OPERA 1
58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg. (Sek-
bon tür. Botanik.) Nr. 8, 97 2.2... 42498 266
Jhering, Zur Kenntnis der brasilianischen Mäuse und Näweplagen Nr.8 256
Professor Dr. v. Gudden +}. Nr. 10. 289
98. ln deutscher Naturforscher und Nessie zu anne) (Sek-
tion für Anatomie und Anthropologie.) Nr. 10, 11 . . . .... 844, 345
Verhandlungen der Gesellschaft der Aerzte in Zürich. Nr. 11 . . .. .. 352
Karsch, Vademecum botanicum. Nr. 11 5 352
58. er menlune deutscher Naturforscher und Aerzte. (Sektion für Ehre
Diese NESTON IH, 2 a At
59. Versammlung deutscher Nahıftfordehen und. erne N7413 415
Bunge, Der Vegetarianismus. Nr. 14 Eee tern
Gruber, Körösi’s „relative Intensität der Todesursachen“ und der Ein-
fluss der Wohlhabenheit und der Kellerwohnungen auf die Sterblich-
keit? Nr. 0.9 0%. , e 438
Verhandlungen der Academie des Be % ans Ne 15 { A AT
Wilckens, Untersuchung über das Geschlechtsverhältnis und die ak
der Geschlechtsbildung bei Haustieren. Nr. 6... a DU
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Benin Ne,
190192021027 23, 24, are 2 5395 520, 1997,,1638,,.60754692, 9 734191
Entwicklung der zoologischen Station zu Neapel und das wachsende Be-
dürfnis nach wissenschaftlichen Zentralanstalten. Nr 18. 545
Engelmann, Zur Technik und Kritik der Bakterienmethode. Nr. 19 DR%
Pasteur, Ueber die Prophylaxe der Tollwut. Nr. 20 621
Fol, Bacillus der Hundswut. Nr. 20 AN: 629
Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Beapkie, Nr223 705
Gierke, Färberei zu mikroskopischen Zwecken. Nr. 24 746
B. Inhaltsübersicht, alphabetisch geordnet nach den Namen
der Verfasser der einzelnen Artikel,
Albrecht, P., Ueber den morphologischen Sitz der Hasenschartenkiefer-
spalte. A inıNr. 3.) , 3
Albrecht, P., Nachtrag zum Aufsatz: ea Ss et Sitz
der ale, (Nr. 4%) N
Albrecht, P., Auszug einer Rede über yasulesndie Kasbhrose:
Fans, Epi- und Hypospadie“. (Nr. . nn
Albrecht, P., Verläuft der Nervenstrom in re Sanehiessener oder in
ann dener Strombahn? (Originalmitteilung in Nr. 23.)
Baginsky, B. Ueber den Ursprung und den zentralen Verlauf ar
Nervus mals des Kaninchens. (Essay in Nr. 5.)
Barfurth, D. Vortrag über experimentelle en neen über Ke
Verwandlung der Froschlarven. (Nr. 20.)
vi Inhaltsübersicht.
Seite
Baur, G., Ueber die Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. (Original-
mitteilung in Nr. 11, 12)... . . » s F Ba 03324858
Baur, &, Ueber das Quadratum der Sen (Originalmitteilung in
a
Biedermann, Referat über Pawlow, Joh: Wie die Muschel ihre
Schalerofmmets. (Nr) Da Re Le Le 727
Blochmann, F, Ueber die Eireifung Ber kan (Originalmitteilung
it Nager a ae ee, Vase ES ZELL SR ae 554
Bonnier, Gaston, Ueber die Wärmemengen, welche von den Pflanzen
abgegeben und aufgenommen werden. (Essay in Nr. 13.) 0.» 389
Brieger, L., Ueber basische Produkte in der Miesmuschel. (Autoreferat
in Nr. 13.) RE 406
Dogiel, Alex., Ueber dan Pan er Gomichkorganis bat Aischen il
Amphibien. (Essay in Nr. 14) . . . 428
Ehrlich, P., Ueber die an lenblazene on Hs Tapenden Never
stanz. (Autoreferat in. Nr. 7.) . - - . ee. 92.\:
Emery, C., en Bericht über Yves welare: Entwieklung der
Sacculina. (Nr. Re 14
Emery, C., Bericht u Jose Mn dr ik Mens Die allssrdhe
Bene der Endknospen in der Riechschleimhaut der Knochen-
hsches .(NT.1g0)n were : 589
Engelmann, Th. W., Zur echnik nd Kritik er Bakteriermerhedet
(Originalmitteilung in Nr. 19.) . RT: 005 De,
Exner, $., Ueber eine neue Urteilstäuschung im @epiete des Gosichest
SINTE SE (ESSay kann Ash URL ar a EN ET
Fisch, C., Referat - Volkens, &.: Zur Flora der ägyptisch-arabischen
Wüste (NEBEN Ale: I AR NE A IE er
Fisch, C., Eh (Nr. a Ä
Frenzel, J., Verdauung lebenden Gewebes und Solbsinerdannn (Essay
INENERZIE Me R n ir Anh 681
Gruber, A., Die Frage en dem Bestehen erschiedener Plasmaschich
ten im Weichkörper der Rhizopoden. (Essay in Nr. 1.) 5 D
Gruber, M., Kritische Besprechung von Körösi’s relative Intensität
der ern und der Einfluss der Kellerwohnungen auf die
Sterblichkeit. (Nr. 14.) > ö ; AS
Gudden, v., RE per die Frage der okalikation dar Banktion der
Großhirnrinde. (Nr. 10, 11.) .: Br le ern BIN
Haacke, W., Der Nordpol Rennen der oarikieunum, (Original-
eng DUNMIL2.) ER nr Va SR A en. Sinn
Haacke, W, ee erchaksiten. Tiefseefauna und Paläontologie.
VERBAND ZI) Wer re ee a
Haacke, W., Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. (Essay in
N a er 3
Hermanr, F., Referat über Adamkiewicz: Die Nervenkörperchen.
F. H., Notiz über Pansch, Ad.: Grundriss der Anatomie des Menschen.
(Nr. 5 5) er a RE en) E10)
His, Vortrag über die Eisen den olaekren Sean in Neapel
und das wachsende Bedürfnis nach wissenschaftlichen Zentralanstal-
ten. (Nr. 18.) % SE RER BAR RR 02:10
: 2
Inhaltsübersicht.
Hitzig, Vortrag über Funktionen des Großhirns. (Nr. 18.) . . .
Jdn., Anzeige von Annalen des k. k. naturhistorischen Hofmuseums zu
Wien, redigiert v. Franz Ritter von Hauer. (Nr. 4) ...
Jdn., Kritik über Dewitz, H.: Anleitung zur Anfertigung und An
bewahrung zootomischer Präparate. (Nr 6) I
Jdn.,, Referat über Forel, A: Fauna der Schweizer Seen. (Nr. 7.)
Jdn., Besprechung von Kirchner, O. und Blochmann, F.: Die mikro-
skopische Pflanzen- und Tierwelt des Süßwassers. (Nr. 19.)
Jhering, H. von, Ueber Generationswechsel bei Säugetieren. (Original-
mitteilung in Nr. 17.)
Imhof, Othm. Em, Notiz über a an Diatone len nd) Ale:
treten des Prem an die Oberfläche. (Nr. 23.) . .
Just, A., Zur Histologie und Physiologie des Flimmerepithels. (Ol
REED ST ee Nr a ed
Kellermann, Referat über Leo Errera: Ueber das Vorkommen von
Glykogen in der Bierhefe. — Leo Errera: Die Reservestoffe der
Pilze aus der Klasse der Kohlehydrate (Nr. 1.) Be
Klebs, G., Einige kritische Bemerkungen zu der Arbeit von Wider
„Untersuchungen über die Organisation der vegetabilischen Zellhaut“.
(Nr.715.) ER ee LE, DER
Knoll, Ph., Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation (Nr. 10)
Knoll, Ph., Ueber die Druckschwankungen in der Cerebrospinalfiüssig-
keit und die wechselnde Blutfülle des zentralen Nervensystems.
(Essay in Nr. 20.) n ARNETESTaN
Kölliker, A., Stiftehenzellen in der er Ghre ohlarven (Oeena
nn 6) SRESTENE SEE EA LANG
Kowalevsky, A., Zur embryonalen Entwicklung der Me (Original-
mitteilung in Nr. 2.) . 5
Kowalevsky, A., Zum Verhalten Bas Rückengefäßes Da des en
förmigen Zellenstrangs der Musciden während der a
(Originalmitteilung in Nr. 3.)
Kowalevsky, N., Beobachtungen über Eve Blutziekhlakton in 6: Haut.
(Originalmitteilung in Nr. 30.) . a
Kowalevsky, A. und Schulgin, M., Zur Enbwieklangsgosoltchte GE
Skorpions (Originalmitteilung in Nr. 17.) ; \ are
Krause, W, Referat über Tafani, Alessandro: Borichungen zwi-
schen Mutter und Fötus. (Nr. 20.) .
Krause, W,, Kritische Besprechung von ee er ein Ei,
ana der Sinnesorgane. (Nr. 24.) .
Langendorff, O., Die chemische Reaktion der grauen Substanz. (Essay
m"Nn:6.) 3°. AR:
Langendorff, O, Böitzäge, zur Kenntnis de Aheynes 'Stoke’ schen
Phänomens. (Originalmitteilung in Nr. 12.) 4 ;
Leod, Jules Mac, Referat über Omer van der Strieht: Inter
se über Hyalinknorpel. (Nr. 14.) ;
Leydig, F., Die Hautsinnesorgane der Arthropoden. (a in "Nr. 15.)
List, J. H., Ueber die Entstehung der Dotter- und Eizellen bei Orthezia
cataphracta Shaw. (Originalmitteilung in Nr. 16.)
List, J. H., Vortrag über Strukturen von Drüsenzellen. (Nr. 19)
]
IX
Seite
562
128
192
201
608
938
Tal)
123
X Inhaltsübersicht.
List, J. H., Kritische Besprechung von Gierke, H.: Färberei zu mikro-
skopischen Zwecken. (Nr. 24.) :
Ludwig, F, Einige neue Fälle von F Srlrenw ochedll: in N reablihenden Blüten-
ständen. (Originalmitteilung in Nr. 1.) 5
Ludwig, F., Ueber ungleichzeitige Entwicklung der örlichen biolden
schen Eigentümlichkeiten bei nächstverwandten Pflänzenformen. (Essay
TREE IE er ae de SER RER. ER IRENGEIT NR ee
Ludwig, F., Referat über Wittrock, V.B: Ueber die Geschlechter-
verteilung bei Acer platanoides und einigen andern Acer-Arten. (Nr. 2.)
Ludwig, F., Notiz über Müller, F.: Neue on über eh
wespen. (Nr. 4.) .
Ludwig, F., Notiz über Miller, F.: one ein Also. a Vögeln seine
Blumenblätter als Lockspeise bietet. (Nr. 6.) .
Ludwig, F., Referat über Jordan, K. F.: Die Stellimg. der Honighehäl
ter und der Befruchtungswerkzeuge in den Blumen. (Nr. 10.)
Ludwig, F., Ueber durch Austrocknen bedingte Keimfähigkeit der Samen
einiger ikerunfenken (Essay in Nr, 10.2 7.2 ange BE
Ludwig, F., Neuere Beobachtungen über Bestäubungaehe en der
Pilanzen. „(Essay in Nr. 16.).. . .. .» a 4.00 eöle
Ludwig, F., Notiz über zwei neue karmivore Pflanzen der estschen
Blora- ENE 216) 2 0er ee
Ludwig, F., Notiz über einige neue Bepele aner Deren ähiekeit
von Samen und Rhizomen. (Nr. 17.) . . . . 808
Ludwig, F. Ein neuer Fall verschiedener Bitikenfonmen bei Pädnzen
der nämlichen Art und ein neues mutmaßliches Kriterium der Schmet-
terlings- und Hummelblumen. (Essay in Nr. 24.) EN RE.
Man, J. G. de, Referat über Oerley, Ladislaus: Die Rhabditiden
und ihre Medinkche Bedeutung. (Nr. 14.) wee u
Marshall, W., Ein neues Süßwassereölenterat von Nordamernen a
in’ Nr. 41.)
Marshall, W., Referat über Will, Fr.: Das Geschmaecksorgan der In-
sekten. (Nr. 1.) . 2 ANNE VE RE ER EEE:
Minot, Ch. S., Referat über on w. A.: Embryologie der Spinnen.
(Nr. 18.) . N her 3.0 e
Moewes, F., en über Plateau, F.: Die Palpen der nagenden In-
sekten. A Bande .
Moebius, Ei a zu der en Sehen Mitteilung: anlanan
redivivus. (Nr. 3.) u en A A rer
Moewes, F,, Karat über Cosi J.: Etudes sur les feuilles des
plantes aquatiques. (Nr. 13.) a 6 '6
Moewes, F., Referat über Schröder: Die Austrocknungsfähigkeit der
nn (Nr. 14.) ; a er ken ano. cc
Moewes, F., Referat über Pieconi, A.: Vögel als Pflanzenverbreiter.
BL A N ne Se er TE N a
Moewes, F., Besprechung von Plateau, F.: Die Palpen bei den Myrio-
Biden und Arachniden. (Nr. 22.) 5 N REN SC TARHRRIEERE
Morin, J., Zur Entwicklungsgeschichte der Spinnen, (Originalmitteilune
inıNr. 21.) 2
Nasse, O., Fettzersetzung ne F ertadhäntuneh im Hierischen Körper. (Essay,
in Nr. 8)
Inhaltsübersicht.
Nassonow, Welche Insektenorgane dürften homolog den Segmental-
organen der Würmer zu halten sein? (Essay in Nr. 15.)
Nusbaum, Jözef, Zur Embryologie der Schizopoden (Essay in Nr. 21.)
Paneth, J., Ueber die Erregbarkeit der Hirnrinde en Hunde.
(Essaypin Nr3 2er:
Pringsheim, N, Ueber die Sauerstoflahabe Br Pilanzeri im Milrespek‘
trum. (Antoreferat in Nr. 3, 45.) . - BR Mo SHlüls);
Rabl-Rückhard, Referat über Roux, W.: Beiträge zur Entwicklungs-
mechanik des Embryo. (Nr. 9.) }
Ritzema Bos, J., Einige Bemerkungen ic Pleurondehiden, (Nr. a
Rosenthal, J., Referat über Simon, H. und Susanna Phelps Gage:
Wasseratmung bei weichschaligen Schildkröten. (Nr. 7.) . 3
Rosenthal, J., Referat über Albrecht, P.: Ueber die im Laufe der
phylogenetischen Entwicklung entstandene, angeborne Spalte des Brust-
beinhandgriffes der Brüllaffen. (Nr. 13.) .
Rosenthal, J., Referat über Fick, A.: Einige Berieckunken über vn
Mechanismus der Atmung. (Nr. 13.)
Rosenthal, J, Referat über Bayliss und Br Jandedl Blektrische Er-
scheinungen bei Drüsensekretion. (Nr. 15.) .. ;
Rosenthal, J, Referat über Wooldri 5 ge: Intr ankslaee anne
(Nr. 15.)
Reith als), Ueber a elakmrcche Hoiinnervermägen krankeher ee
webe. (Essay IUMNLEIg.R RE
Rosenthal, J., Kritische a men von E. Ken Grundzüge ir
Histologie. (Nr. 10.) ROTEN EETE TER RER VAN SR
Rosenthal, Notiz über Karsc $ Re Vademecum botanieum. (Nr. 11.)
ee W., Die Urform der Heteroplastiden. (Originalmitteilung in
BEN) SR are ns
en dt- till a at Ehe Bene 6 : Der Vegetarianismus.
(Nr. 14.)
Schulz, O,, Baypnschanee von ee L.; interstehungen über Be
mame ss (N 222.29,.243, 022.0 £ 2 0200.:.20689,8026;
Sehütt, F., Einiges über Bau und eh der Dieneen! (Essay in Nr. 9.)
Seegen, J, Ueber das Material, aus welchem die Leber Zucker bildet.
(Originalmitteilung in Nr. 15.) .
Spengel, J. W., Phoenicurus redivivus in N 1)
Steiner, J., Die gegenseitige Verknüpfung der Zentren des orlängeren
Markes. (Antoreferat in Nr. 22.)
Steiner, J., Ueber das Großhirn der ae ne tanzt os 22.)
Sternberg, M, Zur Lehre von den Vorstellungen über die Lage unserer
Glieder. (Essay ua Ne. 11), eh Ara
Stuhlmann, F., Die Reifung des Reeopodeneiee, referat in Nr. 13.)
Tiebe, Ueber en Helligkeits- und er der Tiere, N
nach den Untersuchungen V. Graber’s 2165)
Virchow, R, Referat über dessen Artikel im En f. path Nodtdinie:
Deszendenz und Pathologie. (Nr. 4, 5,6.) . -» : 2 2.2... 97, 129,
Voit, €. v, Mitteilung von Untersuchungen über 5 a im Tier-
körper“. (Nr. 8)
Vosmaer, G.C.J., Kritische Benesee Er neuerer ee per
Schw nme SL ER ER Er EB 15)
XI
Seite
458
663
56
193
XI Inhaltsübersicht.
Weismann, A., Zur Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaf-
180-7 (Onginalkmittellung nENT.. 2)u2% nass er Kost
Wilekens, M, Referat über Meissl, E.: Untersuchungen über den
Stoffwechsel des Schweins. (Nr. 1.)
Wilekens, M., Untersuchung le das Geschleehtsyerkältue aha ae
Drsachen der Geschlechtsbildung bei Haustieren. (Originalmitteilung
IBUNTAAO,), u ee ee ee lee Me EEE
Wilhelm, K., Referat über Wiesner, J.: Dntersuehuusen über die
Organisation der vegetabilischen Zellhaut. (Nr. 14.)
Zacharias, O0. Besprechung von Fraisse, P.: Die Regeneration von
Geweben und ne bei den Wirbeltieren, besonders Amphibien
undcReptilien? SUNT.: 8 usrs UN. u slle BR
Zacharias, 0. Können die Rotktorien und Tardigraden nach ollatrnz
diger Austrocknung wieder aufleben oder nicht? (Originalmitteilung
ENT OIEN. ere n. I LE SIR APIS IE
Zacharias, O0. Besprechung von Bee n, M.: Die rhabdocölen Turbel-
larien Tirlanda (N8..10.) 2. 220 228 8708 ee
Zacharias, O., Notiz über das Vorkommen von Orthezia cataphracta
Shaw. im Riesengebirge. (Nr. 16.) .....72.0,%
Zuntz, N. und Geppert, J., Ueber die Natur der oralen Alemalire
und der Ort ihrer Wirkung. (Originalmitteilung in Nr. 2.) . . ..»
300
488
54
Biologisches Öentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
1. März 1886. Nr. 1.
VI. Band.
Inhalt: Ludwig, Einige neue Fälle von Farbenwechsel in verschiedenen Blütenständen. --
Ludwig, Ueber ungleichzeitige Entwicklung der nämlichen biologischen Eigen-
tümlichkeiten bei nächstverwandten Pflanzenformen. — Errera, Ueber das
Vorkommen von Glykogen in der Bierhefe. Ders., Die Reservestoffe der
Pilze aus der Klasse der Kohlehydrate. — Gruber, Die Frage nach dem
Bestehen verschiedener Plasmaschichten im Weichkörper der Rhizopoden. ---
Marshall, Ein neues Süßwasser- Cölenterat von Nordamerika. — Will, Das
Geschmacksorgan der Insekten. — Piateau, Die Palpen der nagenden Insek-
ten. — Yves Delage, Entwicklung der Sacculina. — Spengel, Phoenicurus
redivivuss. — Adamkiewiez, Die Nervenkörperchen. — Pawlow, Wie die
Muschel ihre Schale öffnet. — Meissi, Untersuchungen über den Stoffwechsel
des Schwein. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften:
Physiologische Gesellschaft zu Berlin. — Societ@ de Biologie.
Einige neue Fälle von Farbenwechsel in verblühenden
Blütenständen.
Von Dr. F. Ludwig.
Den bekannten Fällen farbenwechselnder Blumen !), wie sie in
dieser Zeitschrift öfter erörtert wurden, dürfte sich zunächst ein
eigenartiger Farbenwechsel anschließen, den ich kürzlich bei Vero-
nica Sandersoni, einem Strauche mit lederartigen immergrünen Blättern
beobachtete. Die in diehter Blütenähre stehenden sehr proterandri-
schen Blüten dieser Pflanze haben zuerst lebhaft rote Corollen und
rote Staubfäden. Die Griffel haben in ihnen eine Länge von eirca
7 mm. Sobald jedoch die Griffel nahezu die Länge der eirca 13 mm
langen Staubfäden erreicht haben, werden Corollen und Staubfäden
schneeweiß. Die Griffel nehmen gleichfalls die Verfärbung an, aber
erst nach dem Ausfall der Blüte. Wie in den bekannten Fällen, z. B.
bei Pulmonaria, Ribes aureum ete., wird auch hier einmal die Augen-
fälligkeit des Blütenstandes gehoben, und es werden weiter die Aus-
beute versprechenden Blüten einsichtigen Bestäubungsvermittlern unter
1) Vergl. Biol. Centralbl. Bd. IV. 1884. Nr. 7. S. 196: Die biologische Be-
deutung des Farbenwechsels.
nt
2 Ludwig, Farbenwechsel in verschiedenen Blütenständen.
den Insekten gekennzeichnet, während die wenig einsichtigen Be-
sucher auf die auffälligeren verblühenden Blüten abgelenkt werden.
Kaum eine andere Bedeutung dürfte der Farbenwechsel bei man-
chen Kompositen mit kleineren zahlreichen Blütenköpfehen von wenig
auffälliger Färbung haben, wie bei Aster parviflorus und Aster sa-
lignus!), bei denen die Scheibenblüten der älteren Köpfchen eine
lebhafte rote Färbung annehmen. Bei den bereits auffälligen Aster-
arten mit blauem Strahl unterbleibt die Verfärbung der Scheiben-
blüten.
Nach einer neuern Arbeit von Fritz Müller ?), welche außer-
dem bezüglich der Verbreitungsmittel der Marantaceen (Ütenanthe,
Stromanthe Tonckat\, von Campelia und Streptochaeta neue sehr
interessante Beobachtungen enthält, dürften das prächtigste Beispiel
solcher farbenwechselnden Blumen einige baumartige Melastomeen
(Pleroma) bieten, deren große anfangs rein weiße Blumen später tief
purpurrot werden, so Pleroma Sellowianum, das der Genannte im Mai
1868 auf dem Wege von Desterro (in Brasilien) nach Lages in Blüte
sah, und der Jaguatiräo, der im Norden der Provinz Santa Catharina
häufig ist. Letzterer bedeckt bei S. Franeisco und Joinville ganze
Hügel, die gegen Weihnachten in weiß und purpur prangen, und
heißt bei den Deutschen Weinachtsblume.
Einen Fall, in dem die Verfärbung ihren Sitz in dem Frucht-
knoten hat, habe ich selbst zuerst an Spiraea opulifolia konstatiert ?),
wo die frischen weißen Blüten grüngelbe, die älteren lebhaft rot ge-
färbte Stempel besitzen. Hier konstatierte ich auch die Vorliebe ge-
witzigterer Bestäubungsvermittler für die ersteren Blüten. Das Auf-
fälligste war bei dieser Pflanze, dass die Verfärbung fortdauert
und am intensivsten an den trocknen Samenkapseln wird,
dass also auch die reifenden Fruchtkapseln noch zur Erhöhung der
Auffälligkeit der Blütenstände beitragen.
Einen Fall, der dem letztern analog sein dürfte, hat Fritz Mül-
ler (l.e.) bei einer Verwandten der bekannten Tradescantia virginica,
bei Campelia aufgefunden. Hier entwiekeln sich die Kelche des dicht
gedrängten Blütenstandes nach dem Verblühen in saftigen, anfangs
violetten, später schwarz glänzenden Beeren, auch dann, wenn — was
häufig der Fall ist — die Blumeu unbestäubt, die Früchte also sa-
menlos bleiben. „Es gibt nichts Hübscheres als einen solehen Blüten-
stand, der in der Mitte schon reife, glänzend-schwarze Beeren trägt,
denen nach beiden Seiten immer hellere folgen, während an beiden
Enden noch weiße Blumen sich entfalten.“ Die biologische Bedeu-
tung dieser Verfärbung dürfte jedoch zwiefacher Art sein, insofern
sie auch den samenhaltigen Früchten zugute kommt und die Blüten
1) Vergl. Botan. Centralbl. XXI. S. 44 Anm.
2) Kosmos 1885. II. Bd. Heft 6. S. 438 ff.
3) Kosmos 1884. II. Bd. S. 203.
re
Ludwig, Ungleichzeitige Entwicklung biologischer Eigentümlichkeiten. 3
dann den Früchten den gleichen Dienst erweisen bei Anlockung sa-
menverbreitender Tiere, wie diese jenen bei Anlockung der Bestäu-
bungsvermittler. Wir erwähnen zum Schluss noch einen von Fritz
Müller beschriebenen Fall, bei welchem eine ähnliche biologische
Verfärbung, wie wir sie eben für Blüten und Blütengenossenschaften
besprochen, bei Früchten vorkomme. Die Früchte von Stromanthe
Tonckat bestehen aus anfangs schwärzlichen, später roten Früchten,
die, sich nicht ganz öffnend, einen glänzend schwarzen durch einen
schneeweißen Mantel in der Frucht zurück gehaltenen Samen hervor-
treten lassen. Nachdem die Samen (durch Vögel) aus dem Gehäuse
herausgeholt sind, schließen sich die fleischigen Fruchtklappen wieder
und nehmen, indem sie sich intensiver rot färben, das Aussehen
noch reifender Früchte an.
Ueber ungleichzeitige Entwicklung der nämlichen biolo-
gischen Eigentümlichkeiten bei nächstverwandten Pflanzen-
formen.
Wie sich gewisse biologische auf die Bestäubung bezügliche
Charaktere einer Pflanze öfter in ungleichem Grade in verschiedenen
Gegenden entwickelt haben, so kommt es vor, dass die nämlichen
biologischen Eigenschaften bei 2 nächstverwandten For-
men (Varietäten, Unterarten ete.) völlig ungleichzeitigerworben
werden, dass Blüh- und Blütenumwandlungen, die bei der
einen Form schon völlig beendet und ausgeprägt erscheinen,
bei der andern noch gegenwärtig im vollem Gange sind.
Ein neues Beispiel hierfür hat A. Schulz in Halle!) neuerlich auf-
gefunden. Derselbe hat nämlich konstatiert, dass der Gynodimor-
phismus, welcher bei dem gemeinen Thymian den Biologen schon
lange bekannt ist, nur bei der einen phytographischen Form dessel-
ben, dem von neueren Systematikern als Art betrachteten Thymus
chamaedrys Fries völlig ausgeprägt ist, während er bei der andern
Form: Thymus angustifolius noch in Bildung begriffen ist, während
es scheint, dass sich bei diesem erst jetzt die Trennung in eine $
und eine 2 Form vollzieht. Bei Thymus Chamaedrys kommen ge-
trennt auf verschiedenen Stöcken neben großen proterandrischen
% Blüten kleine ausgeprägte Q@ Blüten vor. Bei 7A. angustifolius
stehen dagegen die $ und ebenfalls kleineren 2 Blüten bald in ein
und demselben Blütenstande, bald auf demselben Stocke in getrennten
Infloreszenzen, bald auf verschiedenen Stücken. Auch sind bei dieser
Form die $ sowohl als auch die 2 Blüten bei weitem nicht so aus-
geprägt als bei Th. Chamaedrys. Es gibt hier Blüten, in denen alle
1) Die biol. Eigenschaften von Thymus Chamaedrys Fr. und Th. angusti-
folius Pers. Deutsche bot. Monatschrift, 1885, S 152-156.
4 Errera, Glykogen in der Bierhefe.
Staubgefäße verkümmert sind, während in anderen nur die 2 kurzen
oder die 2 kurzen und 1 langes Staubgefäß ausgebildet sind. Auch
die Länge der vollständig entwickelten Staubgefäße variiert hier viel
mehr als bei Th. Chamaedrys Fr. —
Einen ähnlichen Unterschied bezüglich der Ausprägung einer be-
sonders auffälligen durch besondere Blütenzeichnung und Blühge-
wohnheiten gekennzeichneten Insektenform hatte ich früher!) für die
beiden phytographischen Formen des gemeinen Reiherschnabels, Ero-
dium eicutarium L’Her. und E. eicutarium b. pimpinellifolium Willd.
nachgewiesen. Auch hier sind die biologischen Charaktere des E.
pimpinellifolium Willd. (wie auch die des E. pimpinellifolium Sibth.)
bei E. eicutarium L’H&r. noch in voller Bildung begriffen. Für diese
beiden in biologischer Hinsicht so verschiedenen Formen hat sich
übrigens neuerlich durch Registrierung der zu ihnen gehörigen Bo-
denunterlagen (namentlich von seiten des kartierenden Geologen
Dr. Ernst H. Zimmermann) als ein weiterer interessanter Unter-
schied ergeben ?), dass E. pimpinellifolium Willd. mit Vorliebe sili-
cicol, E. cicutarium ealeicol ist, dass sich also beide wie die Formen
der gleichfalls teils silicolen teils caleicolen Falcaria sioides oder wie
Anthemis Cotula und A. arvensis etc. verhalten, die sich da, wo sie
zusammen vorkommen, in den Boden teilen, so dass die erstere die
Kalk-, letztere die Kieselregion bezieht. Bei den beiden Erodium-
Formen komplizieren sich die Verhältnisse dadurch besonders, dass
zu diesem Kampf um den Boden noch die Konkurrenz um die Be-
stäubungsvermittler und, was praktisch besonders zu berücksichtigen
sein dürfte, die Konkurrenz der xenogamisch entstandenen Descen-
denten von E. pimpinellifolium und der meist autogamisch entstan-
denen Descendenten von E. circutarium hinzukommt.
F. Ludwig (Greiz).
Leo Errera, Ueber das Vorkommen von Glykogen in der
Bierhefe. — Derselbe, Die Reservestoffe der Pilze aus der
Klasse der Kohlehydrate.
Separatabdruck aus Comptes rendus. 7 Seiten.
In einer großen Zahl von Pilzen findet sich Glykogen. So oft
man in einer Zelle eine halbflüssige, weißliche, opalisierende, stark
lichtbrechende Masse beobachtet, welche, wenn man das Präparat
zerzupft, sich leicht in Wasser löst, durch Jod eine braunrote, bei
50—60° verschwindende, bei Abkühlung wieder auftretende Färbung
1) Vgl. Biol. Centralbl.. 1884, IV, Nr. 8, S. 229.
2) Ludwig, Zur geogr. Verbreitung und Bodenadaption von Erodium
cicutarium L’H&r. und E. cicutarium bei E. pimpinellifolium Willd. Mitteil.
d. geogr. Ges. f. Thür., 1885, Bd. IV Heft 3 8. 81-84.
Gruber, Plasmaschichten im Weichkörper der Rhizopoden. 5
annimmt, kann man zuverlässig auf die Anwesenheit von Glykogen
schließen. Es ist kein anderer Stoff bekannt, welchem diese charak-
teristischen Reaktionen in ihrer Gesamtheit zukommen; auch gelingt
es auf dem gewöhnlichen Wege aus Pilzen eine mit dem Glykogen
der Leber identische Substanz zu isolieren. Dies ist z. B. der Fall
bei Peziza vesiculosa, Tuber melanospermum, Tuber aestivum, Phyco-
myces nitens, Clitocybe nebularis, Phallus impudieus.
Bierhefe, welche in einer auf 30° erwärmten, mit Kalium- und
Caleiumphosphat, Magnesiumsulfat und Ammoniumtartrat versetzten
Zuckerlösung lebhaft vegetierte, enthielt reichliche Mengen von Gly-
kogen. Dasselbe bildete in vielen Zellen eine halbmondförmige, stark
liehtbrechende Anhäufung, andere waren ganz davon erfüllt.
Das Glykogen spielt bei der Ernährung der Pilze die nämliche
Rolle, welche bei den höheren Pflanzen der Stärke zukommt.
Das Studium der Sklerotien der Pilze führt zu dem bemerkens-
werten Resultate, dass bald Oel, bald Glykogen, bald Pilzcellulose
als Reservestoff auftritt. Bei der Keimung der Sklerotien wandert
das Glykogen in die jungen Pilze. Oelhaltige Sklerotien, wie Olavi-
ceps purpurea, bilden bei der Keimung „Wanderglykogen“, welches zu
den Verbrauchsorten strömt und schließlich verschwindet. Die Sporen
vieler Pilze enthalten Oel, welches sich auf kosten von Glykogen ge-
bildet hatte, und welches sich bei der Keimung wieder in Glykogen
umwandelt.
Kellermann (Wunsiedel.)
Die Frage nach dem Bestehen verschiedener Plasmaschichten
im Weichkörper der Rhizopoden.
Von Dr. A. Gruber,
Professor der Zoologie in Freiburg i. B.
Eine schon zu öfteren Malen besprochene Frage ist die nach
dem Vorhandensein besonderer Plasmaschichten in dem Weichkörper
der Rhizopoden und dem dadurch bedingten kompliziertern Bau dieser
niederen Protozoen. Es ist die Entscheidung dieser Frage deshalb
von Interesse, weil bei den Rhizopoden wohl der Ausgangspunkt zu
den höher entwickelten Protozoen zu suchen ist und weil damit ent-
schieden würde, ob ein einzelliger Organismus zur Ausübung der
wichtigsten physiologischen Funktionen auch dann befähigt sei, wenn
sein Protoplasma noch eine vollkommen einheitliche, nicht in differente
Regionen geschiedene Masse darstellt, oder ob dies nicht der Fall sei.
Es kommt mir hier darauf an, es mit Bestimmtheit auszusprechen,
dass eine Sonderung des Rhizopodenkörpers in morphologisch und
physiologisch scharf geschiedene Zonen nicht vorkommt, und dass die
6 Gruber, Plasmaschichten im Weichkörper der Rhizopoden.
Deutungen, die in diesem Sinne gemacht worden sind, entschieden
auf Täuschung beruhen.
Ich will hier nur zwei Autoren erwähnen, welche in diesem
Punkte am weitesten gegangen sind, und zwar zunächst Maggi, der
nieht nur ein Ekto- und Endoplasma, sondern auch ein Mesoplasma
unterscheidet!), in welehem die Exkretionsorgane der Rhizopoden,
nämlich die kontraktilen Vakuolen, ihren Sitz haben, während das
Ektoplasma der Lokomotion, das Endoplasma der Verdauung vorzu-
stehen hat. Aus ersterem entstehen also die Pseudopodien, in letz-
terem liegen die aufgenommenen Nahrungsbestandteile und ist zu-
gleich auch der Kern eingeschlossen.
Noch weiter geht Brass?), der im Rhizopodenkörper, wie in
dem der Infusorien und der tierischen Zelle überhaupt vier Plasma-
arten unterscheidet und zwar von innen nach außen gehend das Er-
nährungsplasma, das Nahrungsplasma, das Atmungsplasma und das
Bewegungsplasma. Die Brass’schen Angaben sind kürzlich schon
von Bütschli?) in scharfer Weise widerlegt worden, und ich kann
mich deshalb hier begnügen, auf diesen Aufsatz hinzuweisen, wenn
er sieh auch hauptsächlich auf Infusorien bezieht. Bütschli’s Vor-
würfe treffen nämlich meiner Ansicht nach mit gleichem Recht den
Teil der Brass’schen Arbeit, der von den Rhizopoden handelt.
Wer sich längere Zeit mit dem Studium der Rhizopoden beschäftigt
hat, weiß, wie viele Arten, hauptsächlich unter den Amöben, es gibt, wo
im Leben keinerlei Scheidung in getrennte Zonen stattfindet, wo
sämtliche Inhaltskörper sowohl wie auch Kerne und Vakuolen regellos
umhergestrudelt werden, so dass z. B. der Kern oder die Kerne ein-
mal bis zur äußersten Peripherie vorgedrängt werden können, einmal
wieder in das Zentrum des Körpers zurückfließen. Tritt nun bei
solchen Rhizopoden nach Anwendung irgendwelcher Reagentien doch
eine scheinbare Scheidung in differente Plasmalagen ein, so kann
man dies nach der am Leben gewonnenen Ueberzeugung mit Be-
stimmtheit als Kunstprodukt auffassen. Doch auch im Leben ist bei
manchen Arten, hauptsächlich den zähflüssigen, oftmals eine schein-
bare Trennung, wenigstens in zwei Schichten, zu bemerken; dieselbe
ist aber wie gesagt nur scheinbar und beruht darauf, dass die Körn-
chen und Vakuolen des Plasmas sich vorzugsweise in der Körper-
mitte gruppieren und nicht so leieht in die austretenden Fortsätze
hereinstürzen; in Wirklichkeit besteht auch hier nur eine einheitliche
Plasmamasse und die scheinbare Schichtung kann sich jederzeit ver-
innominata. Atti della Soe. Ital. di Scienze naturali. Vol. XIX fase. IV.
2) Brass: „Die Organisation der tierischen Zelle“, I u. I.
3) Bütschli: Bemerkungen über die Schrift desHerrn Arnold Brass etc.
Morphol. Jahrb. Bd. 11.
Gruber, Plasmaschichten im Weichkörper der Rhizopoden. 7
eine Regionenbildung zustande und zwar dadurch, dass die Körnchen
und Nahrungsbestandteile den vordern oder auch nur den mittlern
Teil des Körpers einnehmen und die übrigen Teile dann als hyaline
Zonen hervortreten; aber auch da ist von einer eigentlichen Schiech-
tung nicht die Rede, denn bei der Teilung wird, wie ich dies gezeigt
habe !), das gesamte Plasma beider Teilhälften vollkommen durch-
einandergerührt.
Ich bemerke ausdrücklich, dass diese Auffassung des Rhizopo-
denkörpers durchaus nicht bloß auf meiner persönlichen Ueber-
zeugung beruht, sondern dieselbe wurde unter anderen schon vor
langer Zeit von einem englischen Protozoenforscher, Wallich 2),
ausgesprochen und neuerdings von der kompetentesten Autorität auf
diesem Gebiete, von Bütschli®), in Bronn’s Klassen und ÖOrd-
nungen des Tierreichs mit Bestimmtheit dargethan. Bütschli be-
hauptet mit Recht, dass bei allen marinen Rhizopoden, den Perfo-
raten und einem großen Teil der Imperforaten, der gesamte Weich-
körper von durchaus gleichmäßiger Plasmamasse gebildet wird und
dass bei den vorhin von mir erwähnten Amöben und Monothalamien
eine scharfe Grenze zwischen dem hyalinen Ekto- und dem körnigen
Endoplasma nicht existiere, „wie auch schon daraus hervorgeht, dass
bei gewissen Amöben und auch Pelomyxa, wo für gewöhnlich ein
Ektoplasma sich nicht unterscheiden lässt, unter gewissen Verhält-
nissen eine solche hyaline, äußere Plasmalage auftritt, die sich dem-
nach hier in gleicher Weise aus dem körnigen Plasma hervorgebildet
haben muss, wie sich, lokal begrenzt, ein hyalines Pseudopodium aus
einem aus körnigem Plasma bestehendem Rhizopodenkörper ent-
wickelt.“
Ich glaube hiermit über diesen Punkt genug gesagt zu haben,
zumal ich in einer ausführliehern Arbeit über Amöben näher darauf
eingegangen bin *), und möchte hier nur noch auf eines aufmerksam
machen, nämlich auf die äußere Umgrenzung des Rhizopodenkörpers.
Derselbe ist bekanntlich nackt, also von keiner Cuticula umgeben,
dagegen scheint durch die Berührung mit dem Wasser eine Erstarrung
des Plasmas an der Peripherie einzutreten, welche das Zerfließen des-
selben verhindert und auch bei einer künstlichen Zerteilung einen
unmittelbaren Verschluss der Schnittstelle herbeiführt. Wo das Pro-
toplasma in breitem Fortsatz oder in Gestalt von Pseudopodien her-
vortritt, löst sich die festere Umgrenzung in dem andrängenden
Plasma auf, um sich im selben Moment wieder zu bilden. Gewöhn-
1) „Der Teilungsvorgang bei Euglypha alveolata“ und „Die Teilung der
monothalamen Rhizopoden“. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 35 u. 36.
2) Ann. and mag. of nat. hist. Vol. 11, 12 (1863) und 12.
3) Bronn’s Kl. u. Ordg. d. Protozoen, S. 98 u. 99.
4) Studien über Amöben. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 41.
Ss Marshall, Ein neues Süßwasser -Cölenterat von Nordamerika.
lich ist diese Hülle auch bei den stärksten Vergrößerungen nicht
siehtbar, bei einigen Amöben mit besonders zähem, träg fließendem
Plasma dagegen erreicht sie manchmal eine darstellbare Dicke. Auch
diese Ansicht habe ich in früheren Arbeiten genauer ausgeführt und
komme hier hauptsächlich deshalb darauf zurück, weil ich in meiner
ersten diesen Punkt betreffenden Arbeit übersehen!) und in der
zweiten zwar erwähnt ?), aber nicht genügend hervorgeboben habe,
dass schon lange vor mir Wallich?) ganz dieselbe Theorie aufge-
stellt und genauer begründet hat; seine Ansicht stimmt mit der
meinen vollkommen überein, und er hat außerdem noch eine Er-
klärung für das Zustandekommen der Nahrungsvakuolen gegeben,
indem er annimmt, dass mit dem Nahrungskörper auch ein Tropfen
Wasser mitgerissen wird, welcher dann auf die den Körper umge-
benden Plasmateile die bekannte erstarrende Wirkung ausübt, so
dass dadurch jede Nahrungsvakuole mit einer „Ektosarkschieht“ aus-
gekleidet erscheint. Ich glaube, es kann als eine kräftige Stütze für
die hier ausgesprochene Ansicht angesehen werden, dass der eng-
lische Forscher und ich ganz unabhängig von einander zu dem voll-
kommen gleichen Resultat gekommen sind.
Ein neues Süßwasser- Cölenterat von Nordamerika.
John A. Ryder in Amer. Naturalist, Extra, December 1885. p. 1232 — 1236.
Edward Potts von Philadelphia entdeckte im süßen Wasser
der Umgegend dieser Stadt einen neuen Süßwasser-Polypen, den er
(Science, Vol. V. 1885, Nr. 123) als Microhydra Ryderi kurz beschrieb,
und welcher jetzt von dem Forscher, nach dem er benannt wurde, selbst
genauer untersucht ist
Das winzige Wesen ist 0,5 mm lang, hat eine nahezu zylindrische
Gestalt, sein Durchmesser beträgt an der Basis 0,15 und am obern
Ende 0,175 mm. Der Mund des viel weniger als Hydra kontraktions-
fähigen Tieres ist klein, aber deutlich, und stellt am obern Ende
einen unregelmäßigen Spalt dar. Die Magenhöhle ist gleichfalls klein
und scheint nur in ihrem obern Abschnitte wirklich zu verdauen; im
ganzen ist sie nicht viel höher differenziert als bei Larven anderer
Cölenteraten (etwa Eucope) im Planulastadium. Ja, wenn eine Planula
dieser Form sich festheftete, ihre Cilien verlöre und einen Mund be-
käme, so würde sie vollkommen einer Microhydra gleichen. Diese
I) Beitr. zur Kenntn. d. Amöben. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 36, 1882.
2) Studien iiber Amöben. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 41, S. 190.
3) 1. e. Wallich macht mir in einer kürzlich erschienenen Kritik meiner
Arbeit mit Recht Vorwürfe über diese Unterlassungssünde. Ann. and mag.
of nat. hist. Vol. 16. Nr. 93, Sept. 1885.
Marshall, Ein neues Süßwasser - Cölenterat in Nordamerika. 9)
ist mithin nicht allein der einfachste Hydroidpolyp, sondern das ein-
fachste Cölenterat überhaupt; dabei ist ihr fixiertes Körperende
nicht, wie bei Aydra und Protohydra, scheibenartig verbreitert, und
um den Mund herum finden sich, so wenig wie bei letzterer, Tentakeln.
Auch betrefis des mikroskopischen Baues zeigt die neue Form Unter-
schiede von jenen beiden, bislang einfachsten Cölenteraten: es findet
sich ein dünnes Ektoderm mit Nesselkapseln, die in der Nähe des
Mundes dicht stehen, während ihrer auf der übrigen Körperoberfläche
nur wenige sich nachweisen lassen. Unter diesem Ektoderm ist
eine kaum wahrnehmbare Schicht, welche höchst wahrscheinlich aus
kontraktilen Fortsätzen der äußeren Zellen besteht. Das Endoderm
hat um die Mundöffnung herum und in deren Rande selbst solide
Zellen; unterhalb dieser schmalen Zone aber und ungefähr auf ein
Drittel der ganzen Länge des Tieres werden seine Zellen groß und
haben, wie bei Hydra, ansehnliche Vakuolen, aber ihre exzentrisch
gelegenen Kerne sind absolut und relativ weit kleiner als bei dieser.
Geschlechtsreife Exemplare dieses interessanten Tieres wurden
noch nicht gefunden, aber Potts konnte eine ungeschlechtliche Ver-
mehrung genau studieren und durch mehrere Generationen verfolgen.
Dieselbe ist von den analogen Vorgängen bei Hydra ebenfalls recht
sehr verschieden: während bei dieser bekanntlich eine zunächst
birnförmige Knospe sich anlegt, deren Leibesraum später am verbrei-
terten, freien Ende als Mund sich öffnet und am hintern mit dem
mütterlichen Leibesraum und senkrecht zu seiner Längsaxe im Zu-
sammenhange bleibt, ist der Schlauch der Microhydra-Knospe keine
senkrecht von der mütterlichen Verdauungshöhle abgehende Aus-
stülpung, sie bildet sich vielmehr eher durch eine Art von Längs-
abspaltung: wobei Mutter und Knospe Seite an Seite liegen, die
Knospe, indem ihre beiden Enden sich abheben, wurst- oder bohnen-
förmig wird und am obern Ende einen Mund erhält. Wenn die seit-
liche Loslösung durchgeführt ist, fällt das Junge zu Boden, bleibt
eine Zeit lang regungslos liegen, um sich dann mit dem aboralen Pol
festzuheften und ein selbständiges Leben zu beginnen. So stellt die
Microhydra in gewissem Sinne eine bleibende Gastrula dar, die sich
durch seitliche Längsknospung fortpflanzt. Versuche über die künst-
liche Teilbarkeit dieser neuen Süßwasser - Cölenteraten haben weder
Potts noch Ryder gemacht, aber es ist zu erwarten, dass der letz-
tere, der eine ausführlichere Arbeit über sein Patenkind in Aussicht
stellt, diesen hochwichtigen Experimenten seine Aufmerksamkeit im
vollsten Maße schenken wird.
In einer Schlussnote wird auf die Aehnliehkeit von Mierohydra
mit dem von Al. Gibbes Bourne beschriebenen, wahrscheinlichen
Hydroidstadium von Limnocodium hingewiesen, aber zugleich darauf
aufmerksam gemacht, wie sie doch wieder so verschieden von diesem
sei, dass, wenn sie Quallen produzieren sollte, dieselben sicher ein
10 Will, Das Geschmacksorgan der Insekten.
von Limnocodium verschiedenes Genus (das der Sicherheit halber und
aus Dankbarkeit gleich Pottsia benamset wird!) bilden würden.
W. Marshall (Leipzig).
Fr. Will, Das Geschmacksorgan der Insekten.
Fr. Will hat in dem 42. Bande der Zeitschrift für wissenschaft-
liche Zoologie eine mit einer Tafel ausgestattete Abhandlung über
den Geschmackssinn und das Geschmacksorgan der Insekten und
zwar hauptsächlich der gemeinen Wespe (Vespa vulgaris) veröffent-
licht, in der eine Reihe interessanter Beobachtungen und Befunde
enthalten sind.
Dass den Insekten ein und zwar unter Umständen hoch ent-
wickelter Geschmackssinn zukommt, ist bekannt und wird von nie-
mand bezweifelt, aber doch bietet die ganze große Insektenliteratur
einschlagende experimentelle Untersuchungen nur eines Forschers,
nämlich Forel’s, der dieselben bei Ameisen machte. Es ist auch
nicht leicht, derartige Experimente anzustellen, da das betreffende
Versuchstier aktiv dabei beteiligt sein muss, was nicht nötig ist, wenn
man andere Sinne untersuchen will, und außerdem kann man sich ja
von den Grenzen der Wahrnehmungsfähigkeit eines andern Geschöpfes
meist keine Vorstellung machen, deren Richtigkeit nach allen Seiten
hin unanfechtbar wäre. Soviel aber scheint gewiss, dass für den
Geschmackssinn der Insekten, wie für die meisten ihrer Sinne, die
Grenzen der deutlichen Wahrnehmung sehr eng gezogen sind, dass
aber innerhalb dieser Grenzen das Unterscheidungsvermögen ein außer-
ordentlich feines ist. Auch geht aus den Experimenten hervor, dass
die Dauer des Geschmackseindrucks ein ziemlich langer ist, denn die
Reinigung des perzipierenden Endapparats geht nur allmählich vor
sich. Oft brauchen Hymenopteren, die mit Honig, dem Salz, doppel-
kohlensaures Natron oder Chinin beigemischt war, angeführt worden
waren, eine Minute und mehr, ihre Mundteile und ihre Zunge von
der übelschmeckenden Kost zu reinigen.
Ueber den Bau und den Sitz des Geschmacksorgans der Glieder-
tiere gehen die Ansichten der zahlreichen Forscher sehr auseinander,
wenn auch alle darin übereinstimmen, dass dasselbe am Eingang zum
Verdauungsrohr, irgendwo, also in der Mundhöhle bezw. an den Fress-
werkzeugen naturgemäß zu suchen sei. Will hat den Nachweis ge-
liefert, dass wirklich, wie schon Forel, z. T. in Uebereinstimmung
mit Meinert, von den Ameisen annahm, die Unterteile der Maxillen,
die Basis und die Spitze der Zunge, aber außerdem noch die Spitzen
der Nebenzungen, wo solehe vorhanden sind, als Geschmacksorgane
differenziert sind. An diesen Stellen findet man besonders entwickelte
Chitinbildungen mit Drüsen und mit nervösen Endapparten in einer
derartigen Verbindung, wie sie nur für ein Geschmacksorgan Bedeu-
Will, Das Geschmacksorgan der Insekten. (Bil
tung hat. Auf der Basis der Zunge und an der Unterseite der Maxillen
zeigen sich Grübchen und Becher, in denen Nervenenden frei an die
Oberfläche treten und sonach direktem chemischem Reize zugänglich
sind, und es können die betreffenden Stellen mit Speichel übergossen
werden. Auf der Oberseite der Zungenspitze findet sich ein Doppelkranz
von Borsten; der vordere zeigt deren 12—16, der hintere 8; sie sind
kurzstumpf, am basalen Ende in den obern Teil eines champagner-
pfropfenförmigen Chitinröhrehens eingelenkt, zeigen im Innern einen
Hohlraum oder eine Rinne und werden überragt von besondern Schutz-
haaren. Gleich viele und gleich beschaffene Borsten befinden sich auch
an der Spitze jeder Paraglosse. An dem champagnerpfropfenförmigen
Basalteil einer jeden solchen Borste findet sich ein langgestrecktes
im untern Teile angeschwollenes Gebilde, das nach oben allmählich
in den Stiel der Borste, nach unten in den großen Zungennerven
übergeht. In diesem Schlauch liegt ein zweiter, innerer, der in seiner
Anschwellung 5-7, wahrscheinlich bipolare Sinneszellen einschließt,
im proximalen Ende sich zu einer zarten Nervenfaser verdünnt, den
äußern Schlauch durchbricht und sich in einem der großen Zungen-
nerven verliert, am distalen oder apikalen Ende aber lang ausge-
zogen ist, allmählich an Dieke abnimmt und endlich als feiner Faden
mit seiner abgerundeten Spitze ein wenig über eine obere Oeffnung
am pfropfenförmigen Basalteile der terminalen Borste, die mithin eine
Sinnesborste ist, hervorragt. Der vordere Teil dieser Borste ist mit
einer tiefen Rinne versehen, so dass die Endspitze des Nervenschlauchs
frei und äußeren Einflüssen zugänglich ist. Aus dem Bau dieser Or-
gane und daraus, dass sie durch einen dichten Wald von Schutz-
haaren überragt sind, ergibt sich, dass die kleinen Borsten keine
Tastorgane, sondern Sinnesborsten und zwar geschmacksvermittelnde
sind. Eine wesentliche Stütze für die Annahme, in den Spitzen der
Zungen der betreffenden Insekten den Sitz von Geschmacksorganen
suchen zu dürfen, ergibt sich nach Will auch noch aus einer genauen
Beobachtung der Einzelheiten in der Funktion der Zungen beim Be-
ginn der Nahrungsaufnahme. Wenn die Spitze der Zunge mit der
Nahrung in Berührung gebracht worden ist, so tritt eine lebhafte
Kontraktion des Abdomens ein, der dann die rhythmischen Saugbe-
wegungen folgen, und dadurch ist der Zeitpunkt des Beginnes der
Nahrungsaufnahme genau festzustellen. Wenn in der Nahrung übel-
schmeckende Substanzen vorherrschen, so verlässt sie das Insekt so-
fort, bevor die geringste Saugbewegung ausgeführt wurde — es muss
also die Zungenspitze der Sitz eines Geschmacksorgans sein. Einen
-weitern Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht dürfte sich auch
noch aus der Beschaffenheit der Zungenspitze der Ameisen ergeben:
an ihr finden sich nämlich keine mit Nervenendigungen verbundenen
Sinnesborsten, sondern Becherchen, die denen auch hier an der Zungen-
basis befindlichen vollkommen in ihrem Baue gleich sind. Endlich
12
Plateav, Die Palpen der nagenden Insekten.
finden sich nirgends weiter in der Mundhöhle der Hymenopteren als
an der Unterseite der Maxillen, der Basis und der Spitze der Zungen
Nervenendapparate, die überhaupt als Geschmacksorgan gedeutet
werden könnten.
Der Fortsetzung dieser interessanten Untersuchungen, die Ver-
fasser auch auf andere Insektenordnungen auszudehnen verspricht,
darf man mit Spannung entgegensehen.
W. Marshall (Leipzig).
F. Plateau, Die Palpen der nagenden Insekten.
Bull. Soc. Zool., 1885, 2 Et., 5 Pie.
Ein historischer Ueberblick, mit dem Verfasser die vorliegende
Schrift einleitet, zeigt, wie sehr die Ansichten der Entomologen be-
züglich der physiologischen Bedeutung der Palpen differieren.
Straus-Dürkheim nimmt an, dass die Taster der Sitz eines
besondern unbekannten Sinnes seien, der weder der Geschmack noch
der Geruch ist. Nach Knoch dienen die Lippentaster, nach Leon
Dufour und Packard die Taster im allgemeinen zur Wahrnehmung
des Geschmacks. Lyonnet, Bonsdorff, Knoch (ÜUnterkiefer-
Taster), Marcel de Serres, Lamarck, Newport, Driesch,
Perris und Cornalia zählen die Taster zu den Geruchsorganen.
Sie nehmen entweder an, dass nur diese Anhänge zur Wahrnehmung
der Gerüche dienen, oder sie glauben, wie die beiden letztgenannten,
dass außerdem die Fühler die Funktion von Geruchsorganen haben.
Geoffroy, Comparetti, Cuvier, A. M. C. Dumeril, Bur-
meister, Brulle, Lacordaire, Dug&s, C. G. Carus, Owen,
Frey, Leuckart, v. Siebold, Th. Rymer Jones, Snellen
van Vollenhoven, Em. Blanchard, P. Harting, Schmarda,
Maurice Girard, Milne Edwards, Gegenbaur, Graber!),
J. Chatin, Künckel d’Hereulais, Claus nehmen alle an, dass
die Palpen Tastorgane seien, welehe die Nahrungsstoffe durch Be-
rührung kontrolieren. Geoffroy, der erste auf der Liste, vergleicht
sie mit den Händen, Graber, einer der letzten, findet eine Analogie
zwischen ihnen und sehr beweglichen Fingern. Die meisten dieser
Autoren lassen die Palpen von den Insekten dazu benutzt werden,
um die Bissen zu dirigieren, oder um diejenigen Stückehen, welche
fallen könnten, in die Thätigkeitssphäre der Kiefer zurückzubringen.
Das Verfahren, welches Plateau bei seinen neuen Versuchen
benutzte, ist folgendes:
1) Das in einem Glase befindliche Insekt wird mit Hilfe einer
Lupe beim Fressen beobachtet.
1) Vgl. jedoch des Genannten neuere Arbeiten, veröffentlicht im Biol.
Centralbl. Bd. V.
Plateau, Die Palpen der nagenden Insekten. 15
2) Die Unterkiefertaster oder die Lippentaster oder beide Paare
zugleich werden so vollständig wie möglich entfernt. Nach einigen
Tagen, nachdem die Tiere sich wieder beruhigt haben, reicht man
ihnen Futter, welches sie, hungrig wie sie sind, sogleich angehen.
Man kann dann leicht beobachten, ob die Palpen beim Fressen not-
wendig sind.
3) Nachdem das Insekt gefressen hat, wird es mit Chloroform
getötet und man überzeugt sich von dem Inhalt des Verdauungs-
kanals.
4) Imprägnierung der Nahrungsstoffe mit Karmin, um ein leichtes
Wiedererkennen zu ermöglichen.
Schon 1872 hatte Plateau bei einem Versuche mit Carabus
auratus folgendes beobachtet. Wenn das Tier frisst, so wechseln die
Bewegungen der Ober- und Unterkiefer regelmäßig ab. Während die
Mandibeln einander sich nähern, um ein Stück Fleisch abzuschneiden,
gehen die Maxillen auseinander. Wenn die Mandibeln darauf aus-
einander gehen, nähern sich die Maxillen nnd schieben den Bissen
in die Mundhöhle. Die Palpen haben keinen Anteil an dem
Ergreifen der Nahrung, sondern man sieht sie, während das
Tier frisst, zu beiden Seiten des Kopfes nach hinten gerichtet, nur
passiv an den Bewegungen desselben teilnehmen.
Im Jahre 1883 angestellte Beobachtungen hatten ganz dasselbe
Ergebnis.
Seine neuen Untersuchungen begann nun Plateau damit, dass
er einem Carabus die Taster abschnitt und ihm nach Verlauf von
24 Stunden Futter gab. Die Sektion des getöteten Tieres ergab, dass
der Magen mit zahlreichen kleinen Fleischbissen gefüllt war.
Entsprechende Resultate wurden erhalten mit Omaseus melanurus,
Nebria brevicollis und besonders Cicindela hybrida. Unbestimmter
stellte sich anfangs die Sache mit Dytiscus marginalis; doch stellte
sich auch hier heraus, dass die Tiere, wenn sie nur lange genug
(10 Tage) gehungert hatten, gefräßig die Nahrung verschlangen, trotz-
dem dass die Palpen entfernt waren.
Weitere Untersuchungsobjekte bildeten Colymbetes fuscus und
Stuphylinus olens. Ein verstümmeltes Exemplar des letztern, welches
in Freiheit gesetzt worden war, wurde später im Garten zufällig wie-
der gefangen, wobei sich herausstellte, dass die Palpen wieder zu
wachsen begonnen hatten, wiewohl sie noch völlig rudimentär waren.
Der tasterlose Staphylinus hatte sich während der inzwischen ver-
gangenen 8 Wochen augenscheinlich gut ernährt, denn er war sehr
munter.
Geotrupes vernalis reagierte auf Gerüche (z. B. von Kaninchen-
exkrementen) und fraß trotz der Entfernung der Taster. Auch zeigten
die Versuche mit Periplaneta orientalis, dass der Geruchssinn durch
die Amputation nicht beeinträchtigt wird, da die Tiere bei Annäherung
14 Yves Delage, Entwicklung der Sacculina.
eines mit Terpentin oder Chloroform benetzten Stäbehens die Fühler
unruhig hin und her bewegten und dem Geruch zu entgehen suchten.
Die Acridier sind zu den Versuchen ungeeignet, da sie nach
Entfernung der Palpen schnell sterben. Doch wurden bei einem
Stetheophyma grossum (Mecosthetus grossus Fieb.) die Versuche von
Erfolg gekrönt, desgleichen bei Dectieus verrucivorus.
Plateau zieht aus diesen Beobachtungen folgende Schlüsse:
1) Während des Kauens bleiben die Lippen- und Unterkiefer-
taster der Insekten unthätig.
2) Die Entfernung der Unterkiefertaster verhindert die Insekten
nieht, in gewohnter Weise Nahrung zu sich zu nehmen.
3) Dasselbe gilt für die Entfernung der Lippentaster.
4) Die Entfernung der vier Taster beeinträchtigt nicht den Geruch.
5) Die Entfernung der vier Taster verhindert niemals die Insek-
ten, ihre Nahrung zu erkennen und zu ergreifen.
6) Die Insekten fressen trotz der Entfernung der vier Taster auf
vollkommen normale Weise.
F. Moewes (Berlin).
Yves Delage, Evolution de la Sacculine (Sacculina Carcini
Thomps.). Crustace parasite de l’ordre nouveau des Ken-
trogonides.
Archives de Zoologie exper. ete. 2. Ser. Tome IL. p. 447—738. Pl. XXII- XXX.
Die sonderbare Gruppe der auf Dekapoden-Krebsen schmarotzen-
den, sich durch verzweigte Wurzeln pflanzenartig ernährenden Sac-
euliniden hat die Aufmerksamkeit der Naturforscher mehrfach
erregt und im Laufe eines Jahrhunderts zu grundverschiedenen An-
schauungen über ihre Organisation und systematische Bedeutung Ge-
legenheit gegeben.
Cavolini, der zuerst (1787) diese Tiere erwähnte, hielt den
Leib des Schmarotzers für eine pathologische Geschwulst und die
darin befindliche Nauplius-Brut für dieselbe erzeugende parasitische
Einaugen. J. V. Thompson erkannte später sogar die Verwandt-
schaft der von ihm Sacculina genannten Form mit den Cirripe-
dien. Diese Beobachtungen wurden aber bald vergessen, und später
verglich Rathke diese Organismen sogar mit Aetinien und Diesing
klassifizierte sie unter den Trematoden als eine abweichende Gruppe.
Nach und nach wurde, besonders durch die Beobachtungen von
Leuekart, Steenstrup, Lilljeborg, Fr. Müller das Richtige
erkannt und für Saceulina und verwandte Formen unter den Cirri-
pedien die Abteilung der Suctoria oder Rhizocephala (Wurzel-
krebse) aufgestellt.
Yves Delage, Entwicklung der Saceulina. 45
Die Organisation dieser Tiere ist schr einfach und wurde von
den neueren Autoren ziemlich gut erkannt. Delage hat die auf
Carcinus moenas häufige Sacculina carceini mit Hilfe der modernen
Methoden eingehend untersucht. Wir werden die Resultate seiner
Arbeit kurz resumieren.
Der äußerlich sichtbare Teil des Tieres hängt von der ventralen
Fläche des Abdomens des Carcinus mittels eines das Tegument
durchsetzenden Stieles, welcher sich durch die alle Organe des Wirtes
umspinnenden und sich bis in die Endglieder der Beine erstreckenden
Wurzeln fortsetzt. Jener äußere Teil der Saceulina ist etwas flach-
gedrückt-sackförmig, mit einer einzigen endständigen Oeffnung, der
Kloake, welche in die weite Mantelhöhle führt. In dieser Höhle
hängt der von D. als Visceralmasse, vielleicht richtiger als Ein-
geweidesack (Ref.) zu bezeichnende Teil, welcher die Geschlechts-
organe und das Nervensystem des Tieres einschließt. Auf der der
rechten Seite des Wirtes entsprechenden Seite ist die Visceralmasse
mit dem Mantel durch das sogenannte Mesenterium verbunden. Der
Ansatz des Mesenteriums bestimmt die Hauptebene des Tieres, welche
den Körper in zwei symmetrische Hälften teilt. Alle paarigen Or-
gane sind beiderseits dieser Ebenen verteilt. Die Mesenterium -Seite
betrachtet D. der gewöhnlich verbreiteten Anschauung gegenüber als
die ventrale: rechts und links in der Sacculine entsprechen also dem
vorn und hinten (resp. sternal und abdominal) der Krabbe. Der
Mantel besteht aus einer doppelten Ektodermschicht, welche von einer
Chitineutieula überzogen wird: die Zellen der äußern Ektodermschicht
senden nach innen Fortsätze, durch welche sie sich mit den Zellen
der inneren Mantelfläche verbinden: zwischen beiden Schichten be-
findet sich ein Netz quergestreifter Muskelfasern. Die von allen die-
sen Elementen begrenzten Lakunen werden von endothelartigen Zellen
überzogen. — Die Visceralmasse besitzt eine ähnliche Ektodermschicht
an der Oberfläche: die darin und darunter liegende Muskulatur besteht
aber nicht allein aus Fasern, welehe der Oberfläche parallel sind, sondern
sie sendet auch Stränge ab, welehe die ganze Masse durchziehen und
die gegenüber liegende Fläche erreichen; durch ihre Kontraktion
werden sämtliche Organe zusammengedrückt; sie scheinen haupt-
sächlich bei der Eierentleerung wirksam zu sein. — Die Ovarien,
welche den Hauptteil der Viseeralmasse bilden, sind mehrfach gelappt
oder verzweigt, paarig, aber durch einen unpaaren Abschnitt mit
einander verbunden. Ein jedes mündet durch eine Art Trichter in
ein Atrium, welches die Oeffnung der aus verzweigten Röhren zu-
sammengesetzten Kittdrüse aufnimmt; jedes Atrium mündet direkt
durch eine Vulva nach außen. Vor der Eierablage gibt die Kittdrüse
von ihrer innern Fläche eine Chitinmembran ab, welche einen voll-
kommenen Abguss ihrer Höhle darstellt, also ein System von ver-
zweigten Röhren bildet. Dieses Produkt hängt mit der cehitinösen
16 Yves Delage, Entwicklung der Saecculina.
Cutieula des Atriums zusammen und wird unmittelbar vor der Eier-
ablage durch die Vulva derart hervorgestülpt, dass die durch die
Kontraktion der visceralen Muskulatur hinausgepressten Eier in die
Chitinschläuche getrieben werden, welche derart die verzweigten
Eiersäcke bilden. Der Vorgang wurde einmal direkt beobachtet.
Bis zum Ausschlüpfen der Nauplien bleiben die Eiersäcke in der
Mantelhöhle, wo sie durch die Kontraktionen der Mantelmuskulatur
beständig von frischem Wasser bespült werden; zum Festheften der
Schläuche dienen zahlreiche kleine mit feinsten Widerhaken besetzte
Fortsätze der Cutieula der Mantelhöhle, welche von D. Retinaecula
genannt werden. — Weiter nach dem Stiel zu enthält die Visceral-
masse die paarigen und paarig ausmündenden Hoden, deren sperma-
bildender Teil mit dem umgebenden Mesoderm ohne erkennbare
Grenze sich fortsetzt. — In der Nähe des Mesenteriums und ungefähr
auf der Höhe der Vulvae liegt das unpaare nervöse Ganglion, woraus
vier gabelig sich teilende Stränge nach den Muskeln des Mantels und
der Visceralmasse abgehen. Andere Organe enthält der äußere Teil
der Saceulina nicht. — Die Wurzeln sind hauptsächlich und vielleicht
sogar ausschließlich eetodermale Gebilde, wie auch aus der Ontogenie er-
hellt; sie entspringen von einer membranösen Ausbreitung der sog. Basi-
larmembran, welche mit dem Stiel direkt verbunden ist und deren
Hohlräume die Lakunen der Wurzeln mit jenen des äußern Körpers
verbinden. Jedes Wurzelzweiglein besitzt an seiner Spitze eine kleine
Oeffnung, die in eine längliche Höhlung führt; D. betrachtet diese
Gebilde als Exkretionsorgane.
Nach dieser Uebersicht des anatomischen Baues der erwachsenen
Saceuline wollen wir uns nun zur Entwicklungsgeschichte des son-
derbaren Parasiten wenden, welche den ganz originalen Teil der
besprochenen Arbeit bildet. Die Ontogenie der Saceuline bietet
äußerst merkwürdige Erscheinungen, welche von den bis jetzt ver-
muteten Vorgängen gründlich verschieden sind und zum Teil sogar
unter anderen Tieren keine Analoga finden.
Der Sacculina-Nauplius ist darmlos und lebt bis zum Cypris-
Stadium ausschließlich auf Kosten des Nahrungsdotters. Da er sich
während dieser Metamorphose viermal häuten soll und dadurch Sub-
stanz verliert, wird er dabei allmählich etwas kleiner. Die Cypris
ist wie der Nauplius darmlos und besitzt keine paarigen Augen, son-
dern nur ein unpaares. Drei Tage nach der letzten Häutung heftet
sich die Cypris mittels einer Antenne an der Basis eines Haares einer
Jungen 4—8 mm im größten Durchmesser messenden Krabbe. Die
Festsetzung geschieht in der Nacht (oder in finster gehaltenen
Aquarien auch am Tage) an jeder beliebigen behaarten Stelle des
Careinus; niemals beobachtete sie D. am Sitz der erwachsenen Sac-
culina, d. i. an der ventralen Fläche des Abdomens. — Es beginnt
nun eime höchst sonderbare Metamorphose: der ganze Thorax mit
Yves Delage, Entwicklung der Saceulina. AT
den Schwimmfüßen, das Auge, die Reste des Dotters und anderer
degenerierter Teile und bald darauf auch die Schale werden in toto
abgestoßen. Das Ektoderm des Kopfes und eine Zellenmasse, welche
schon im Kopfe des Nauplius fertig erscheint und das Ovarium der
Saceuline bilden soll, bleiben einzig bestehen und sind von einer
Chitineutieula umgeben, welche, nach D.’s Bildern zu urteilen, mit
der fixierten Antenne zusammenzuhängen scheint. Innerhalb dieses
sackförmigen Organismus entwickelt sich das von D. als kentro-
gone Larve bezeichnete Stadium.
Letztere bleibt in der sackförmigen Larvenhaut des vorhergehen-
den Stadiums eingeschlossen, besitzt aber ihre eigene Uutieula; sie
besitzt ebenso die Form eines länglichen Sackes, welcher nach vorn
in einen hohlen, an der Spitze durehbohrten Stachel endigt. Dieser
Stachel ist ein Fortsatz der chitinösen, vom Ektoderm abgesonderten
Cutieula und wird im eingestülpten Zustand angelegt, stülpt sich
später allmählich aus und dringt in die Höhlung der fixierten Oypris-
Antenne ein. Auf diesem Wege gelangt der Stachel an die dünne
Haut, welche die Basis des Carcinus-Haares umgibt; diese Haut wird
perforiert und der durch Teilung seiner Zellenelemente flüssiger ge-
wordene Inhalt der kentrogonen Larve gelangt durch den Stachel
hindurch in das Innere des Wirtes. Diese Einwanderung oder, wie
sich D. ausspricht, Inokulation der Sacculina wurde nicht direkt
beobachtet, kann aber als ganz sicher festgestellt gelten.
Hier besteht eine nieht unbedeutende Lücke in den sorgfältigen
Beobachtungen von D. Wahrscheinlich geschehen die auf die Ein-
wanderung unmittelbar folgenden Veränderungen sehr rasch, was die
Untersuchung sehr bedeutend erschwert. — Das nächste beobachtete
Stadium wurde bei Krabben von 5—10 mm Querdurchmesser ge-
funden. Im Innern des Tieres, gewöhnlich am Darm, sieht man eine
fast durchsichtige Membran (die Basalmembran), von weleher schon
sehr lange weit verzweigte Wurzeln ausstrahlen; in dieser Membran
erscheint ein winzig kleiner, wenige hundertstel Millimeter messender
Knoten. Die Wurzeln sowie die Basalmembran und die äußere Schieht
des Knotens entsprechen dem Ektoderm der Cypris-Larve; im Innern
des Knotens befindet sich die zur Bildung des Ovariums bestimmte
und von D. als Ovarium bezeichnete Zellmasse, sowie einige Elemente,
welche wahrscheinlich aus dem Mesoderm der Cypris abstammen;
aus letzteren entwiekeln sich später die Hoden, die Muskulatur und
die endotheliale Auskleidung des Lakunensystems des Körpers.
Der junge Parasit scheint nun langsam nach dem abdominalen
Abschnitt des Darmes zu wandern, indem er zugleich wächst und die
definitiven Organe sich allmählich differenzieren. Die nunmehr fer-
tige innere Sacculina drängt sich gegen die Haut, indem die zwi-
schen ihr und dem Chitinpanzer befindlichen Teile durch den Druck
zum Schwinden gebracht werden und endlich das Chitin selbst
2
18 Yves Delage, Entwicklung der Sacculina.
usuriert wird; es wird also ein Loch gebildet, durch welches die
innere Sacculina sehr rasch nach außen durchbricht.
Die Differenzierung der innern Sacculina ist von D. an Schnitt-
präparaten sehr genau verfolgt worden. Wir werden nur das Haupt-
sächlichste referieren. — Das Ovarium bleibt lange unverändert.
Indess bildet sich im Ektoderm zuerst eine Art Einstülpung, welche
zur Bildung einer den ganzen Organismus umgebenden Spalte führt:
es ist dies die perisomatische Höhle, eine provisorische Vor-
richtung, deren Einstülpungsöffnung bald schwindet. Das Ovarium
ist zuerst von der perisomatischen Höhle durch eine einzige Zellen-
schicht getrennt; später vermehren sich die Zellen, und es bildet sich
in ihr durch Abblätterung eine neue Spalte, die spätere Mantelhöhle.
Zugleich entsteht als solide Wucherung von der perisomatischen
Höhle aus das Ganglion. Erst später wird die kloakale Oefinung
gebildet. Das Atrium der Ovarien sowie die Kittdrüse entspringen
vom Ektoderm der Mantelhöhle. Die Hoden werden erst später an-
gelegt. Mit der histologischen Differenzierung des Ektoderms und
der Muskulatur verändert sich die ursprünglich kuglige Gestalt des
Ovariums zur definitiven Form. — Die Wand der perisomatischen
Höhle bekommt dann eine lange Spalte, durch welche die nunmehr
ausgebildete Sacculina ausgestülpt wird. Der Parasit ist nun zum
Durchbruch nach außen fertig. — Nach dem Durchbruch, der ge-
wöhnlich im Frühling stattfindet, wächst die Sacculina rasch weiter
und ist schon im Herbst fähig, ihre erste Brut hervorzubringen.
Nach D. dauert die Entwicklung der Sacculina bis zum Durch-
bruch 20—22 Monate. Während der Zeit hat die Krabbe den Quer-
durchmesser von 4—5 em erreicht. Nach dem Durchbruch lebt der
Parasit noch fast 1'/, Jahre; er braucht aber dann für seinen raschen
Wachstum und für die zu erzeugenden Bruten so viel Nahrung, dass
die Größenzunahme des Wirtes vollkommen sistiert wird. Die Krabbe
wächst und häutet sich nicht mehr, so lange sie eine Sacculina trägt.
Erst nach dem Tode der Sacculina findet die nächste Häutung statt
und beginnt das normale Wachstum wieder.
Wir wollen nun die Sacculina mit normalen Cirripedien näher
vergleichen. Die Entwicklungsgeschichte beweist, dass der ganze
Leib der Saceulina aus dem Kopfe der eyprisartigen Larve ent-
stammt. Die ganze Sacculina entspricht also dem Kopfe eines Cirri-
pedien, also bzw. dem Stiele einer Lepadide. Der Mantel einer
Sacculina ist also dem Cirripedien-Mantel nicht homolog, sondern als
Neubildung zu betrachten. Stellen wir das Ganglion als dem untern
Schlundganglion gleichwertig, so ergibt sich, dass, wie D. annimmt,
die mesenteriale Seite der Saeculine als ventral aufzufassen ist. —
Die späte Entwicklung des Hodens bedeutet nach D., dass der Her-
maphroditismus ein sekundär erworbener Zustand ist. Die Stamm-
formen der Cirripedien und Saceulinen waren ohne Zweifel getrennt
Spengel, Phoenieurus redivivus. 19
geschlechtlich, und erst später wurden die Männchen atrophisch und
schwanden endlich sogar, indem sich beim Weibchen Hoden bildeten.
Es sollten darum die Cirripedien- Männchen nicht als supplemen-
täre, sondern als primordiale bezeichnet werden. Dagegen sind
die Hoden der Weibehen in der That supplementäre Gebilde, indem
sie als Ersatz für die im Schwund begriffenen oder bereits geschwun-
denen Männchen entstanden sind.
Es kommen auch bei Saceulina Individuen vor, welche nach D.
als primordiale Männchen zu deuten sind. Dieselben entwickeln sich
nicht weiter als bis zum Cypris- Stadium und wurden bereits von
F. Müller an erwachsenen Saceulinen haftend gefunden. D. fand
sie ganz konstant, aber nur im Frühling an jüngsten ausgebrochenen
Saceulinen, deren Mantelöffnung noch durch eine Chitinmembran ver-
stopft war. Dieselben wurden bis jetzt nur tot gefunden: die Existenz
eines wirklichen Sperma erzeugenden Hodens konnte in diesen Tier-
chen nicht nachgewiesen werden. Es bleibt also zweifelhaft, ob die-
selben noch als Männchen fungieren, oder ob sie nur eine dem
Schwund nahe stehende, einem rudimentären Organ vergleichbare
ganz funktionslose Individuenform darstellen.
Aufgrund der von normalen Cirripedien so abweichenden Or-
ganisation und Entwicklungsgeschichte glaubt D. die Suctorien-Gruppe
unter dem Namen von Kentrogoniden zu einer neuen Ordnung er-
heben zu dürfen, erkennt aber selbst, dass dieselbe aus den Cirri-
pedien entstanden sein soll.
C. Emery (Bologna).
Phoenieurus redivivus.
Es ist eine ziemlich allgemein bekannte Thatsache, dass viele
unserer verehrten Fachgenossen jenseits des Rheines sich ungern der
Mühe unterziehen, gründliche Literaturstudien zu betreiben, ehe sie
zur Veröffentlichung der Resultate ihrer eignen Untersuchung schrei-
ten, und es ist nicht grade unerhört, dass in französischen Abhand-
lungen die ältere Literatur, soweit sie nicht in französischer Sprache
erschienen ist, vollständig ignoriert wird. Wie schwer sich eine
solehe Unterlassung rächen kann, zeigt ein Aufsatz, den einer der
trefflichsten Zoologen nicht nur seines Landes, sondern unserer Zeit,
H. de Laeaze-Duthiers, vor kurzem herausgegeben hat. Derselbe
findet sich unter dem Titel „Sur le Phoenieurus“ in der ersten Nummer
des Bandes 101 der „Comptes Rendus de l’Academie des Sciences“,
p- 31—35. Der Verfasser erklärt darin, das von ihm untersuchte
Geschöpf, ein angeblicher Parasit der merkwürdigen Nacktschnecke
Tethys, sei bis jetzt nur der Gegenstand sehr ungenügender Beobach-
tungen von Rudolphi, Cuvier und Delle Chiaje gewesen und
20 Spengel, Phoenieurus redivivus.
eine genauere Erforschung seines Baues daher ein dringendes Be-
dürfnis. Da Laeaze-Duthiers sich mit der Anatomie der Tethys
eingehender beschäftigt hat — er hat über das Zentralnervensystem
derselben (C. R. t. 101. Nr. 2. p. 135) Beobachtungen von der größten
Wichtigkeit angestellt! — so sollten ihm füglich die früheren Publi-
kationen über den gleichen Gegenstand bekannt sein, besonders
Bergh’s Beschreibung („Malacologische Untersuchungen“ in: Sem-
per, Reisen im Archipel der Philippinen“ Bd. 2. S. 345—362. Wies-
baden 1875) und die Abhandlung von H. von Ihering („Tethys; ein
Beitrag zur Phylogenie der Gastropoden“ in: Morpholog. Jahrb.
Bd. 2. 1876. S. 27—62). Die Kenntnis dieser Arbeiten hätte den Ver-
fasser davor bewahren können, seine kostbare Zeit an eine Unter-
suchung zu verschwenden, welche absolut wertlos ist und sein
muss. Denn es ist längst überzeugend nachgewiesen, dass die Phoe-
nicuren gar keine Schmarotzer der Tethys sind, sondern normale
Körperanhänge dieser Schnecke. Es ist überflüssig, die Geschichte
der Phoenieurus-Frage, die längst erledigt ist, von deren einstiger
Existenz Lacaze-Duthiers aber gar keine Ahnung zu haben scheint,
noch einmal zu wiederholen, da v. Ihering in seiner oben ange-
führten Abhandlung sie ausführlich dargestellt hat. Ich will nur in
historischer Reihenfolge die Namen derjenigen Autoren aufführen,
welche sich über die „Phoenieuren“ geäußert haben, um zu zeigen,
wie begründet mein obiger, gegen Lacaze-Duthiers erbobener
Vorwurf ist: Renier (1807. Parasiten: Hydatula varia); J. F.
Meckel (1808. Fortsätze); Cavolini (? nach Bergh: Kiemen);
Rudolphi (1819. Parasiten: Phoenicurus varius); Delle Chiaje
(1823. Parasiten: Planaria ocellata); Otto (1823. Parasiten: Vertum-
nus thetidicola); Macri (1825. Rückenanhänge); J. F. Meckel
(1832. Parasiten); Verany (1840 [1842]. Rückenanhänge; Krohn
(1842. Rückenanhänge); Lacaze-Duthiers (1874; Parasiten: Phoe-
nicurus); Bergh (1875. Papillen); v. Ihering (1876. Papillen);
Bergh (1877. Papillen). Ferner sind verschiedene Publikationen
über die mit Tethys nahe verwandte Gattung Melibe Rang, welche
ähnliche Papillen besitzt, unberücksichtigt geblieben. Ich nenne nur
neben Bergh’s oben zitierten „Malacologischen Untersuchungen“
(5. 362—376) desselben Verfassers „Beitrag zur Kenntnis der Gat-
tung Melibe Rang“ (in: Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 41. S. 142).
Was nun die wahre Natur der angeblichen „Phoenieuren“ betrifft,
so kann ich mich darüber sehr kurz fassen. Es unterliegt nach
Bergh’s Untersuchungen nicht dem allergeringsten Zweifel mehr,
dass die vermeintlichen Schmarotzer normale Rückenanhänge der
Tethys darstellen, welche sich nur dadurch auszeichnen, dass sie sich
sehr leicht vom Tiere ablösen. In jede dieser „Papillen“ tritt einer
der schlauchförmigen Fortsätze der Leber ein und verästelt sich
darin: dies ist der „Darmkanal“ des „Phoenicurus“. Und ebenso
Adamkiewiez, Die Nervenkörperchen. 94
sind die Nerven- und Ganglienzellen, in deren regellosen Variationen
Lacaze-Duthiers sich vergebens abgemüht hat eine Ordnung zu
erkennen, kein Zentralnervensystem, sondern peripherische Aeste.
Das den Körper ausfüllende „tissu cellulaire fibrillaire offrant des
noyaux nombreux“ ist typisches Gastropoden- Bindegewebe. Eine
spezielle Vergleichung der Gewebe mit denen des übrigen Tethys-
Körpers wird ohne Zweifel eine vollständige Uebereinstimmung er-
geben. Dass keine Geschlechtsorgane aufzufinden sind, ist unter den
obwaltenden Umständen gewiss nicht überraschend. Einer sorgfäl-
tigen Untersuchung des natürlichen Zusammenhanges der Papillen mit
dem Rücken stehen übrigens gegenwärtig nur geringe Schwierigkeiten
im Wege, da es den geschickten Präparatoren der zoologischen Sta-
tion in Neapel gelungen ist, die Tethys mit ihren sämtlichen „Phoeni-
euren“ in voller Pracht zu Konservieren.
J. W. Spengel (Bremen).
Adamkiewicz, Die Nervenkörperchen.
Sitzungsb. d. k. Akad. d. Wiss. zu Wien, Bd. XCI. III. Abt., Märzheft, 1885.
Unter diesem Namen beschreibt A. einen vollständig neuen Be-
standteil der markhaltigen Nervenfaser des Menschen. Verf. kam zu
seinen Resultaten unter Anwendung seiner schon früher bekannt-
gegebenen Färbungsmethode der in Müller’sche Lösung gehärteten
Nerven mittels Safranin. Nach Einwirkung dieses Tinktionsmittels
bekommt man an Querschnitten eines Nervenstammes folgendes Bild.
Zu äußerst sieht man das leicht violett gefärbte, streifige, mit läng-
lichen tief violetten Kernen versehene Perineurium, von dem Septa
vollkommen gleicher Beschaffenheit hineingreifen zwischen die Nerven-
bündel. Die Lücken zwischen den einzelnen Nervenfasern werden
erfüllt von dem gleichfalls violettgefärbten Endoneurium, das sich
durch den Mangel an Streifung, sowie durch den Besitz großer runder
Kerne von dem Perineurium unterscheidet. Die Nervenfasern selbst
präsentieren sich als ein Mosaik gelblichgefärbter Kreise, in deren
Innerem der Querschnitt des ungefärbten Axenzylinders sichtbar ist,
und welche umgeben sind von einem violetten Ringe der quergeschnit-
tenen Schwann’schen Scheide, welche ihrerseits mit violetten runden
Kernen besetzt ist. Vor allem aber fallen scharf gezeichnete, orange-
gefärbte und mit violettem Kern versehene Halbmonde in die Augen,
eben die sogenannten Nervenkörperchen. Diese sitzen unter der
Schwann’schen Scheide, also zwischen ihr nnd der an solchen
Stellen meist etwas eingebuchteten Markscheide, oder auch in manchen
Fällen in die Substanz der Markscheide selbst eingebettet. Auf dem
Längsschnitte nehmen diese Nervenkörperchen Spindelform an, ihre
Gesamtform stellt sich demnach als die einer an beiden Enden zu®
gespitzten, flachen Mulde dar, deren Konvexität sich der Schwänti
I Pawlow, Wie die Muschel ihre Schale öffnet.
u
schen Seheide anlegt, während sie die Konkavität der Markscheide
zukehrt.
Das relative Zahlenverhältnis der Nervenkörperchen zu den Kernen
der Schwann’schen Scheide gibt Verf. an, wie 1:5; eine Berech-
nung, in welchen Abständen die Nervenkörperchen längs der Nerven-
fasern aufeinander folgen, ergab, dass auf 1 mm Nerv 2—3 Nerven-
körperchen kommen.
Auch außer dem Vorkommen von solchen Nervenkörperchen finden
sich in der kleinen Abhandlung des Verf. merkwürdige Punkte, die
sich mit den bislang bekannten Thatsachen nicht recht in Einklang
bringen lassen. In dem Axenzylinder lässt Verf. Kerne vorkommen,
deren Kernnatur auch nach der beigegebenen Abbildung recht pro-
blematisch erscheint, und vor allem fällt auf, dass Verf. der Schwann’-
schen Scheide einen bei weitem größern Reichtum an Kernen zu-
schreibt, als dies von allen anderen Forschern, z. B. Ranvier,
Axel Key ete., geschieht. So zeigt die Tafel eine Figur, auf der
sich — vorausgesetzt, dass die Verhältnisse in der Abbildung richtig
gegeben sind — auf einer Strecke einer Nervenfaser, die etwa 0,2 mm
beträgt, nieht weniger als 5 Kerne der Schwann’schen Scheide be-
finden, und man sieht einen solchen auch einer Ranvier’schen Ein-
schnürungsstelle aufsitzen, Verhältnisse, die ja den geltenden Ansichten
durchaus widersprechen. Auch das Vorhandensein der beschriebenen
Nervenkörperchen scheint mir nicht über allen Zweifel erhaben; man
betrachte z. B. eine Abbildung einer Nervenfaser von Axel Key,
man sehe, wie dort die Kerne der Schwann’schen Scheide zwi-
schen dieser und der Markscheide angelagert erscheinen, wie sie
umgeben sind von spindelförmigen Anhäufungen von Protoplasma,
und es ist wohl nicht so schwer, an eine Identität dieser Neurilemm-
kerne mit den Nervenkörperchen zu denken. Und wenn man auch
nur in anbetracht der beigegebenen Abbildungen nicht berechtigt ist,
eine mögliche Verwechslung von Endoneurium- und Neurilemmkernen
zu vermuten, so wird es doch noch einer genauen Kontrole bedürfen,
um den Nervenkörperchen von Adamkiewicz einen Platz unter
den typischen Konstituentien einer markhaltigen Nervenfaser zu sichern.
F. Hermann (Erlangen.)
Joh. Pawlow, Wie die Muschel ihre Schale öffnet.
(Versuche und Fragen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie.)
Pflüger’s Archiv, Bd. XXXVII, 1885.
Fast alle unsere Kenntnisse auf dem Gebiete der allgemeinen
Nerven - und Muskelphysiologie verdanken wir Untersuchungen an
den markhaltigen Nerven und quergestreiften Muskeln der Wirbeltiere.
Nur in wenigen Fällen schenkte man auch den marklosen Nerven und
Pawlow, Wie die Muschel ihre Schale öffnet. 23
u
glatten Muskeln einige Aufmerksamkeit. Es findet dies seine Be-
gründung hauptsächlich in dem Umstande, dass geeignete Untersu-
chungsobjekte, die man vor allem der Reihe der wirbellosen Tiere
wird entnehmen müssen, im Binnenlande nur sehr spärlich zugebote
stehen. Reiche Ausbeute steht hier sicher zu erhoffen, wenn erst
physiologische Arbeiten an der Meeresküste allgemeiner sein werden,
als es derzeit noch der Fall ist. Hierfür bietet neuerdings die in-
teressante Arbeit von Pawlow Gewähr, welche, obschon nur auf
unsere Süßwassermuscheln sich beschränkend und vielfach unfertig,
doch zahlreiche Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen bietet.
Die aus glatten Spindelzellen zusammengesetzten Schließmuskel
von Anodonta mit den zugehörigen Nerven, welche Pawlow be-
nützte, waren schon mehrfach Gegenstand physiologischer Unter-
suchung. Bernstein!), Fick?) und vor kurzem erst Referent?)
beschäftigten sich in ziemlich eingehender Weise mit den Folgeer-
scheinungen der direkten elektrischen Reizung des hintern Schließ-
muskels, und Fick machte auch bereits einige Angaben über dessen
indirekte Erregung vom Nerven aus. P. untersuchte nun insbeson-
dere die letztere, und zwar sowohl mit Rücksicht auf den hintern,
wie auch auf den vordern Schließmuskel. Dabei ist vor allem zu
beachten, dass die der Reizung zugänglichen Nervenstränge „inter-
zentrale“ sind, d.i. nicht direkt, sondern unter Vermittlung von Gang-
lien mit den beiden Muskeln in Verbindung stehen, und zwar einer-
seits der vorn gelegenen oberen Schlundganglien und anderseits des
hintern Kiemen- oder Eingeweideganglions. Letzteres, auf der Bauch-
seite des hintern Schließmuskels gelegen, steht mit jedem der beiden
vorderen Ganglien durch einen mehrere Centimeter langen unver-
zweigten Nervenstrang in Verbindung. Beide Nerven liegen in der
Medianlinie an der Schlossseite des Tieres nahe bei einander, ein-
gebettet in das sogenannte Bojanus’sche Organ, wo sie leicht frei-
präpariert werden können.
Um die außerordentlich starke und anhaltende „tonische“ Ver-
kürzung der Muskel auszuschließen, welche regelmäßig nach der Prä-
paration beobachtet wird und Reizversuche wesentlich behindert, be-
diente sich P. mit Erfolg der Morphiumvergiftung des unversehrten
Tieres. Stellt man dann ein Präparat her, welches aus dem hintern
Schließmuskel mit den zugehörigen Stücken der beiden Schalen und
des Schlossbandes, dem hintern Ganglion mit den Verbindungsnerven
und einem Stück des Mantels besteht, welcher vom Ganglion aus
sensible Nervenfasern erhält, und reizt man mit Kettenströmen, so
erfolgt bei der Schließung gewöhnlich eine Verkürzung des Muskels,
1) De animalium evertebratorum museulis nonnulla. Diss. inaug. Berolini 1862.
2) Beitr. z. vergl. Physiol. d. irretablen Substanzen. 1863.
3) Wiener akadem. Sitzungsber., XCI. Bd. III. Abt., 1885.
24 Pawlow, Wie die Muschel ihre Schale öffnet.
an welche sieh nicht immer eine Wiederverlängerung anschließt, die
aber in anderen Fällen schnell eintritt und dann unter Umständen
beträchtlicher ausfällt, als die vorhergehende Verkürzung. Ob das
eine oder andere geschieht, hängt vom Zustande des Präparates, so-
wie von der Stärke und Dauer des Stromes ab. Im allgemeinen lässt
sich sagen, dass bei kurzer Schließung eines wirksamen Stromes
Verkürzung des Muskels mit bleibender Verstärkung des Tonus, bei
einmaliger längerer Schließung bisweilen auch sekundäre Erschlaf-
fung beobachtet wird. Diese letztere tritt aber am leichtesten ein
bei wiederholten nicht zu rasch aufeinanderfolgenden Strom-
schließungen (etwa jede Minute eine sekundenlange Schließung).
Aehnlich wirken auch chemische Reize (NaCl, Glyzerin ete.), und es
tritt hier bisweilen primäre Erschlaffung des Muskels ohne vorher-
gehende Verkürzung ein. Durch geeignete (rhythmische) Reizung mit
dem Kettenstrome gelingt es auch, den starken Tonus frischer Prä-
parate gänzlich zu beseitigen und maximale Oeffnung der Schalen
herbeizuführen, worauf in der Regel eine langsame, bisweilen durch
spontane Kontraktionen unterbrochene Wiederzusammenziehung des
Muskels erfolgt.
Solche periodische Kontraktionen des hintern Schließmuskels
gehören überhaupt zu den gewöhnlichen Erscheinungen, falls die
Muschel vor Anfertigung des Präparates mit Morphium vergiftet
wurde. Sie bleiben nach Exstirpation des hintern, als automatisches
und Reflexzentrum fungierenden Ganglions aus.
Der unvergiftete hintere Schließmuskel hält dagegen die Schale
dauernd geschlossen, so lange das Ganglion erhalten ist. Im Gegen-
satze zu dem hintern lässt der vordere Schließmuskel dieselbe sich
zeitweise öffnen, wie man leicht an einem Präparate sieht, das in
analoger Weise, wie es oben von dem hintern Muskel beschrieben
wurde, vorbereitet wird.
Pawlow neigt der Ansicht zu, dass das hintere Ganglion auf
seinen Muskel nur im Sinne der Zusammenziehung, die vorderen
Ganglien aber auf beide Muskeln nicht nur im Sinne der Kontraktion,
sondern auch im Sinne der Erschlaffung zu wirken vermögen. Er
nimmt demgemäß innerhalb der von den vorderen Ganglien zu dem
entsprechenden Muskel gehenden Nervenstämmehen sowie innerhalb
der Verbindungsnerven zweierlei funktionell verschiedene Fasern an,
solche, welche die Muskeln zur Verkürzung anregen, und solche,
welche sie zur Erschlaffung veranlassen (erregende und hemmende)
und führt unter anderem als Stütze dieser Anschauung die Thatsache
an, dass Gestalt und Verlauf der spontanen, rhythmischen Kontrak-
tionen des hintern Schließmuskels vor und nach Durchschneidung der
Verbindungsnerven wesentlich verschieden ausfällt, indem erstern-
falls nach jeder Verkürzung rasche und stärkere Wiederverlängerung,
andernfalls aber dauernde Zunahme des Tonus eintritt. P. bezieht
Pawlow, Wie die Muschel ihre Schale öffnet. 35
2
auch die wechselnden Erscheinungen bei elektrischer Reizung der
Verbindungsnerven auf die gleichzeitige Erregung von zwei verschie-
denen Faserklassen und fasst insbesondere die „Reizerschlaffung“ als
eine Folge der direkten Erregung hemmender Nervenfasern auf. Ohne
diese Annahme durch die vorliegenden Thatsachen für sicher be-
wiesen zu halten, wird man doch den Gründen zustimmen müssen,
welche P. dafür beibringt, dass es sich hier nicht um eine Ermü-
dungserscheinung des Muskels handelt. Dagegen spricht schon der
Umstand, dass sich selbst überlassene Präparate Tage lang im Zu-
stande maximaler, tonischer Verkürzung verharren können; auch lässt
sich durch Reizung des Mantels reflektorisch Zusammenziehung des
Muskels erzielen, an welche sich niemals eine sekundäre Erschlaffung
anschließt.
Da die Verbindungsnerven nicht direkt, sondern nur unter Ver-
mittlung gangliöser Elemente mit dem hintern Muskel in Verbindung
stehen, so erhebt sich vor allem die Frage, ob die „Reizerschlaffung“
durch eine unmittelbare Hemmung der Thätigkeit des Muskels oder
zunächst nur des zugehörigen nervösen Zentrums bedingt ist, etwa
in der Weise, wie man sich noch immer vielfach das Zustandekommen
der Gefäßerweiterung bei Reizung vasodilatatorischer Nerven vorstellt.
Während man aber hier die peripheren, „tonisierenden“ Zentren nicht
mit Sicherheit nachzuweisen vermochte, bietet sich das Ganglion des
hintern Schließmuskels unmittelbar dem Experimente dar. Offenbar
müsste, wenn die „detonisierenden“ Fasern der Verbindungsnerven
dadurch Erschlaffung des hintern Muskels herbeiführen, dass sie das
motorische Ganglion desselben außer Thätigkeit setzen, auch schnelle
Erschlaffung eintreten, wenn das Ganglion exstirpiert wird. Dies ist
jedoch nicht der Fall. Es scheint hieraus hervorzugehen, dass die
betreffenden Nervenfasern direkt auf den Muskel einwirken, „indem
sie durch ihre Thätigkeit in demselben einen Vorgang einleiten, der
zu schneller Abnahme des Tonus führt“. Um diese Annahme zu
prüfen, reizte P. auch die kurzen, zwischen Ganglion und Muskel ge-
legenen Nervenfädchen sowohl am hintern wie auch, wo es leichter
ausführbar, am vordern Muskel. Dabei wurden beiderseits dieselben
Erscheinungen beobachtet, wie bei Reizung der Verbindungsnerven.
Auch chemische Reize zeigten sich bier wie dort in gleicher Weise
wirksam, und dann trat oft Erschlaffung der Muskeln primär ohne
vorhergehende Verkürzung ein.
P. fasst schließlich seine Anschauungen bezüglich der verwickelten
Innervationsverhältnisse der beiden Schließmuskeln von Anodonta in
folgenden Sätzen zusammen: „Zu den Schließmuskeln gehen 2 Klassen
von Nervenfasern, die einen motorische, welche Verkürzung, die
anderen, wie man heute wohl sagen würde, hemmende, welche den
verkürzten Zustand des Muskels aufheben und Erschlaffung desselben
herbeiführen. Die motorischen Nerven entspringen für jeden der
26 Meissl, Untersuchungen über den Stoffwechsel des Schweins.
beiden Muskeln aus dem zunächst gelegenen Ganglion; die hemmen-
den oder erschlaffenden Fasern gehen insgesamt aus den vorderen
Ganglien hervor. Sie werden dem vordern Schließmuskel durch die
kurzen, ihm von den vorderen Ganglien zugesandten Nervenstämmehen,
dem hintern Muskel durch die Verbindungsnerven zugeführt. Das
hintere Ganglion fungiert für den hintern Schließmuskel als motori-
sches Zentrum, die vorderen Ganglien spielen dieselbe Rolle gegen-
über dem vordern Schließmuskel. Die motorischen Zellen der beider-
seitigen Ganglien können sowohl von peripherischen Nervenfasern
(des Mantels, der Kiemen) als durch gewisse Fasern der Verbindungs-
nerven in Thätigkeit versetzt werden. Die vorderen Ganglien sind
überdies im stande, in beiden Schließmuskeln Erschlaffung herbeizu-
führen“.
Biedermann (Prag).
E. Meissl (unter Mitwirkung von F. Strohmer und N. v.
Lorenz), Untersuchungen über den Stoffwechsel des
Schweins.
Zeitschrift f. Biologie, Bd. XII, S. 63—160.
Diese mit dem Pettenkofer’schen Respirationsapparat ausge-
führten Stoffwechselversuche haben den unmittelbaren Beweis geliefert,
dass das Schwein einen großen Teil seines Körperfettes aus den
Kohlehydraten der Nahrung zu bilden vermag.
Zu den Versuchen dienten verschnittene männliche Schweine, teils
der großen Yorkshire-Rasse, teils der ungarischen Esseger -Rasse,
von denen je zwei Tiere gewöhnlich gleichartig gefüttert wurden;
das eine wurde zur Ausführung des Bilanzversuches verwendet, das
andere zur Vergleichung der Lebendgewichtszunahme mit dem ersten
benutzt. Als Futtermittel wurden nur möglichst einfache (Reis, Gerste,
Fleischmehl, Molke) benutzt, deren Zusammensetzung sich leicht und
zweifellos ermitteln ließ. Zur Zeit der Bilanzversuche standen die
Schweine im Alter von 14 bis 18 Monaten. Jedem Bilanzversuche
ging eine längere Vorfütterung voraus.
Während des ersten siebentägigen Bilanzversuches nahm ein
l4monatliches Yorkshireschwein von 140 kg Lebendgewicht täglich
zu sich: 2 kg Karolina- Reis, 10 1 Quellwasser und 15 g Kochsalz.
Die Lebendgewicht- Zunahme betrug 3,5 kg oder 0,5 kg täglich.
Dem zweiten, ebenfalls siebentägigen Bilanzversuche diente
ein 16monatliches Ungarschwein von 68,8 kg Lebendgewicht, das
täglich verzehrte: 2 kg indischen Reis, 10 1 Brunnenwasser und 108
Kochsalz und dabei an Lebendgewicht zunahm 4 kg oder 0.57 kg
täglich.
Zu dem dritten fünftägigen Bilanzversuche diente das York-
shireschwein des ersten Reisversuches von 124,1 kg Lebendgewicht;
Meissl, Untersuchungen über den Stoffwechsel des Schweins.
27
es verzehrte täglich 1900 & Gerste, 10 1 Wasser und 15 g Kochsalz,
wobei es während des fünftägigen Versuches an Lebendgewicht zu-
nahm 1,8 ke.
Der vierte Bilanzversuch geschah mit dem Ungarschwein des
2. Reisversuches. Das nunmehr 18 monatliche Tier wog bei Beginn
des siebentägigen Bilanzversuches 102 kg, nahm während desselben
um 3,ökg an Lebendgewicht zu und verzehrte täglich 150 g italieni-
schen Reis, 400 g amerikanisches Fleischmehl und 8 kg Molke.
Außerdem wurden zwei Versuche angestellt bei Entziehung der
Nahrung, einmal ein dreitägiger mit eintägiger Benutzung des Re-
spirationsapparates, das andermal ein fünftägiger mit zweimal 24 stün-
digen Respirationsversuchen, von denen der eine vom Morgen bis zum
andern Morgen, der andere vom Abend bis zum andern Abend dauerte
und den Zweck hatte die Kohlensäure - Ausscheidung je bei Tag und
bei Nacht festzustellen.
Die durchschnittlich täglichen Einnahmen und Ausgaben betrugen
in den vier Fütterungsversuchen in Grammen:
Kohlenstoff Stickstoff Asche Kochsalz
{eb} i N © i ie o© h ie 1.70 A 1
Bea? 5822188 je: #2 88[25 22 88|a5 32388
as «al33 [BE <H:2Pp5 <an52faT <arz2
4. Reisversuch 765,37 476,15 289,22 18,67112,59| 6,08] 9,65 7,48 2,17114,43113 56 0,57
2. Reisversuch 785,80]446,62 339,2 |21,80113,98| 7,82|10,23) 8,05| 2,18] 9,62) 9,20) 0,42
Versuch mit Gerste [725,41 574,31.151,10 29,0123,56 5,45 42,83,39, 78| 3,0514 43113, 94 0,49
Versuch mit Reis, |
Fleischmehl, Molkej672, 49) 455,51/216,98[69,94.62,72! 7,22]45,40 luı.aa) 3,97110,88110,34, 0,54
Das im Körper angesetzte Fett ergibt sich aus dem im Körper
zurückgebliebenen Kohlenstoff nach Abzug des im Eiweiß angesetzten,
da wenigstens zum weitaus überwiegenden Teile keine andere kohlen-
stoffreiche Verbindung außer Eiweiß und Fett im Körper vorkommt.
Die gewöhnlich angenommene Zusammensetzung des Eiweißes mit
16°/, N und 53°], C und der mittlere Kohlenstoffgehalt des Schweine-
fettes mit 76,5°/, zu Grunde gelegt, berechnen sich folgende, täglich
angesetzte Fettmengen:
SS TEE Sn || F= = - =
Sand ELENA SO EN E
Versuche E & ss | 2 8 >87 E 8 BE
Az 1 Ba| 3 sQ 3 A
1. Reisversuch 38,00 [20,10 8289.22 8269,12 g 351,8 g1 : 9,3
2. Reisversuch 48,88 125,91 1339,20 1313,29 409,5 12:7854
Versuch mit Gerste 34,06 118,05 1151,10 1133,05 1173,9 1: 5,1
Versuch mit Reis, Fleisch-
mehl, Molke 45,13 123,92 1216,98 [193,06 1252,4 11:56
Denkt man sich das Eiweiß unter Wasseraufnahme und Harn-
stoffabspaltung zerfallend, so können sich nach Henneberg aus
28 Meissl, Untersuchungen über den Stoffwechsel des Schweins.
100 g Eiweiß höchstens bilden 51,39 g Fett neben 33,45 g Harnstoff
und 27,4 g Kohlensäure. Wenn unter dieser Annahme, das aus dem
Eiweiß entstandene und das verdaute Nahrungsfett nicht hinreichen,
um das im Körper angesetzte zu decken, so müssen dann noch die
Kohlehydrate als Fettbildner herangezogen werden, da nur noch diese
in größerer Menge in der Nahrung vorkommen und zugleich die zur
Fettbildung notwendigen Elemente enthalten.
Stellt man unter den erwähnten Annahmen die Fettbildung für
die vier Fütterungsversuche auf, wobei als Erzeugung das im Kör-
per angesetzte und das im Kot ausgeschiedene Feit gegenüber ge-
stellt wird der Aufnahme aus dem Nahrungsfett, dem Eiweiß (in
höchstmöglicher Menge) und dem Kohlehydraten, so erhält man:
Aufnahme Erzeugung
aus der | aus aus Koble-| im im Körper
Yeraueht Nahrung | Eiweiß | hydrat Kot angesetzt
R absol.| °/, |absol.| °/, absol.| °/. labsol.| 9, labsol.| %,
1. Reisversuch 7,94 2,3 33,60, 9,51312,38|88,2] 2,12] 0,6 351,899,4
2. Reisversuch 16,40) 3,9| 33,00| 7,81363,79|88,3| 3,69] 0,9) 409,5/99,1
Versuch mit Gerste 15,17 7,3) 45,22,21,61148,35 71,1] 34,84|16,7| 173,9/83,3
Versuch mit Reis, Fleisch- |
mehl, Molke 48,56/18,91196,13 76,5] 11,65] 4,6] 3,94) 1,6| 252,4|98,4
Hieraus ergibt sich, dass selbst unter den ungünstigsten Annahmen
in den drei ersten Fällen die weitaus überwiegende Menge des neu-
gebildeten Fettes (71—88°/,) aus den Kohlehydraten entstanden sein
muss. Das Kohlehydrat, aus dem das Fett erzeugt wurde, war in
den beiden ersten Versuchen bloß Stärkemehl, da der Reis kein anderes
Kohlehydrat enthält; bei der Gerstenfütterung im wesentlichen eben-
falls Stärkemehl und der diesem gleich zusammengesetzte Anteil der
verdauten Rohfaser. Da sich im Reiskot keine und im Gerstenkot
nur Spuren von Stärkemehl nachweisen ließen, so muss das ganze
Stärkemehl als verdaut betrachtet werden. Nimmt man nun an, dass
in der Gerste die übrige stiekstofffreie Substanz gleichwertig mit
Stärke ist, und dass sich der unverdaute Teil dieser Substanz mit
dem verdauten Teil der Rohfaser ausgleicht, so kommen als Material
für die Fettbildung die Gesamtmengen der verzehrten stiekstofffreien
Substanzen mit der Zusammensetzung des Stärkemehls inbetracht.
Aus dem Vergleich der Menge der verzehrten Kohlehydrate mit der
des daraus erzeugten Fettes ergibt sich nun, wie viel Fett aus 100 g
Kohlehydrate von der Zusammensetzung des Stärkemehls mindestens
entstanden sein musste.
Stärke Daraus Fett aus
verzehrt. Fett erzeugt. 100 g Stärke.
1. Reisversuch 1592,3 312,4 19,6
2. " 1575,2 363,8 23,1
Gerstenversuch 1250,6 148,4 11,9.
H. Virchow, Zonula und Petit’scher Kanal. 29
Denkt man sich das Stärkemehl im Tierkörper, ähnlich wie das
Eiweiß, in sich selbst zu Fett, Kohlensäure und Wasser zerfallend,
so können 100 g Stärkemehl (oder 111,1 g Zucker) höchstens liefern:
41,1 g Fett, 47,5 g CO, und 11,4g (bezw. 22,5 g) H,O. Nimmt man
an, dass dieser Zerfall wirklich vor sich gegangen ist, so sind bei
der Reisfütterung mehr als die Hälfte, bei der Gerstenfütterung mehr
als ein Viertel des theoretisch möglichen Fettes thatsächlich aus dem
Stärkemehl hervorgegangen; in Wirklichkeit wahrscheinlich sogar noch
mehr, da aus dem Eiweiß gewiss eher weniger als die oben ange-
nommene Menge Fett gebildet wurde, und deshalb noch mehr als
berechnet aus den Kohlehydraten erzeugt worden sein musste.
Aber auch bei dem Fleischmehlversuche — selbst unter
der Annahme, dass aus dem Eiweiß die höchstmögliche Fettmenge
entstanden sei — reicht letztere im Verein mit dem Nahrungsfett
nieht hin, um den Fettansatz zu decken, sondern es muss immer noch
eine Kleinigkeit Fett (11,65 g) als aus Kohlehydraten entstanden ge-
dacht werden. Da es aber sehr unwahrscheinlich ist, dass die Spal-
tung von Eiweiß in Harnstoff, Fett und Kohlensäure glatt ohne Bil-
dung von Nebenprodukten vor sich gelit, so dürfte der höchstmögliche
Fettanteil (51,4 °/,) bei der Spaltung von Eiweiß wohl nicht erreicht
worden sein. Es wäre auch, nachdem einmal die Bildung einer be-
trächtlichen Menge von Fett aus Kohlehydraten im Organismus des
Schweines nachgewiesen ist, gänzlich ungerechtfertigt anzunehmen,
dass bei der Fleischmehlfütterung gar kein Fett aus Kohlehydraten
entstände, dafür aber aus Eiweiß die denkbar höchste Menge.
Die Ergebnisse der Stoffwechselversuche wurden vollkommen be-
stätigt durch die Schlachtung von drei Yorkshireschweinen, welche
zum Vergleiche mit Reis (dasselbe Tier das dem ersten Reisversuche
gedient hatte), mit Gerste und Fleischmehl gefüttert wurden. Das
Reisschwein war das fetteste und sein Fett das festeste, hierauf folgte
das Gerstenschwein und schließlich als magerstes das Fleischmehl-
schwein.
Die Ergebnisse der Hungerversuche können hier übergangen wer-
den, da sie die Frage der Fettbildung aus Kohlehydraten nicht be-
rühren. M. Wilekens (Wien).
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften,
Physiologische Gesellschaft zu Berlin.
Sitzung vom 16. Januar 1885.
Herr Hans Virchow sprach „über den Bau der Zonula
und des Petit’schen Kanales“.
Der Glaskörper ist gegen den Petit’schen Raum durch eine Haut
abgeschlossen. (Das Genauere über diese Bildung lässt sich am besten
30 H. Virchow, Zonula und Petit’scher Kanal.
in Verbindung mit dem Glaskörper besprechen. Es handelt sich aller-
dings nicht um eine einfache Haut, sondern um ein eigentümliches
diehtes Gewebe, welches jedoch immerhin den Namen einer Haut zu
tragen verdient.) Der Petit’sche Raum ist mit Fasern, der soge-
nannten Zonula, erfüllt, und gegen die hintere Augenkammer nicht
durch eine Haut abgeschlossen. Zwischen dieser Fasermasse und der
Oberfläche des Glaskörpers ist ein Spalt, allerdings größtenteils nur
ideeller Natur, vorhanden. Die beiden sich widersprechenden in der
Literatur vorhandenen Anschauungen, nach deren einer der Petit’sche
Raum von Fasern frei und die Zonula die vordere, durch eine Mem-
bran oder durch Fasern gebildete Wand dieses Kanales, nach deren
anderer der Petit’sche Raum von Fasern durchsetzt ist, erklären
sich aus der Verschiedenheit des Untersuchungsverfahrens. Die erste
Anschauung wird nämlich gewonnen, wenn man durch Entfernung
der Iris und der Ciliarfortsätze die Zonula von vorn her frei legt und
Luft oder Flüssigkeit hinter dieselbe treibt; die andere, wenn man
radiäre Schnitte anfertigt. Im ersten Falle wird der hinter der
Zonula gelegene Spalt ausgedehnt und bietet das zwar sehr sinnfällige
aber auch sehr unnatürliche Bild eines weiten Kanales, im andern
Falle erhält man von dem Spalt gar keine oder doch nur eine sehr
wenig auffallende Ansicht, erbliekt dagegen die Fasermasse in ihrer
ganzen Dicke. Das Verhältnis kann noch eindringlicher vorgestellt
werden, wenn man sich einen Augenblick auf den Standpunkt Han-
nover’s stellt: Dieser zeichnete von den Spitzen der Falten je eine
Membran an die vordere und an die hintere Fläche der Linse, welche
zwischen sich einen Raum fassten (den von der Fasermasse erfüllten
Raum), welchen Hannover für den Petit’schen Kanal nahm; außer-
dem aber einen Spalt, der von der Glaskörperhaut hinten und von
den Ciliarfortsätzen und der hintern Wand des Petit’schen Raumes
(im Sinne Hannover’s) vorn begrenzt war. Den letzterwähnten Spalt
nannte in der Folge Finkbeiner den Hannover’schen Kanal.
Diese Anschauung hat insofern einen klärenden Wert, als in ihr
zwei häume vorhanden sind, von denen der eine mit dem Petit’schen
Raume der Injektionen, der andere mit dem der radiären Schnitte
annähernd identisch ist. Man kann sich leicht von dieser allerdings
schematischen Hannover-Finkbeiner’schen Darstellung zu dem
wahren Sachverhalt erheben, wenn man nur berücksichtigt, dass weder
die Zonula gegen die hintere Augenkammer, noch der prävitreale
bezw. postzonale Spalt gegen die Zonula durch eine Membran abge-
schlossen, und dass besonders an der hintern Fläche die Begrenzung
der Zonula keine scharfe ist, indem hier die Fasern lockerer liegen
und dünner sind. Die dieksten Fasern findet man (wenigstens ist
das bei der Ziege in ausgesprochenem Maße der Fall) an der vordern
Seite, unmittelbar hinter den Falten in dichter Lage. Uebrigens muss
ausdrücklich betont werden, dass zum Studium dieses Verhältnisses
Dupuy, Erster Atemzug beim Fötus. Sl
neben den radiären Schnitten auch Querschnitte durch die Zonula
unerlässlich sind, denn auf den ersteren erscheinen diese Fasern unter
dem Bilde eines homogenen Streifens; welcher ebenso gut der Ausdruck
einer quergeschnittenen Membran sein könnte; auf Querschnitten da-
gegen ist leicht festzustellen, dass es sich um Fasern handelt, die
allerdings sehr dicht liegen, sich zum Teil berühren und gewiss auch
mitunter verbunden sind. Die Fasern der Zonula werden sodann in
der Nähe des Linsenäquators durch sehr reiche Teilung, die beson-
ders beim Hunde überaus schön ist, ganz fein und ihre Anhäufung
in demselben Maße sehr dicht, so dass bei der Ziege unmittelbar an
der Linse das Bild einer granulierten Substanz entsteht, in welcher
die einzelnen Fasern nicht mehr zu erkennen sind. Die Fasern gehen
nicht nur an die vordere und hintere Fläche der Linsenkapsel, son-
dern auch an den dazwischengelegenen Abschnitt, welcher dem Linsen-
äquator angehört, und heften sich hier unter zunehmenden Winkeln,
in der Mitte rechtwinklig (Hund) an. Die Frage, ob die Fasern frei
durch Flüssigkeit hindurchgespannt seien, oder ob eine Kittsubstanz
sie verbinde, konnte nicht sicher entschieden werden, indem die Bilder
bald mehr für das eine, bald mehr für das andere sprachen. Ver-
bindungen zwischen der Zonula und der Glaskörperoberfläche wurden
in ausgesprochener, charakteristischer Form nur im Bereiche des
Orbieulus eiliaris (Orang, Kaninchen) gefunden.
Societe de Biologie.
Sitzung vom 16. Januar 1886.
Herr Eugene Dupuy sprach „über die Ursache des ersten
Atemzuges beim Fötus“.
Die Physiologen sind nicht unter einander einig über die Ursache,
welche den ersten Atemzug des Fötus bewirkt, noch über den Zu-
stand, in welchem dieser sich befindet im Augenblicke der Geburt.
Ich sah in diesen Tagen an einer trächtigen Hündin kurz vor
der Wurfzeit, nachdem der Uterus aufgeschnitten war, so dass man
die Jungen innerhalb des Amniossacks sehen konnte, jedesmal wenn
eine Ligatur um die Trachea der Mutter gelegt wurde, einige Minuten
darauf heftige Atembewegungen der beiden Jungen auftreten. Man
sah dabei die Amniosflüssigkeit im Strahl aus den Nasenlöchern der
Jungen herauskommen. Ließ man die Mutter frei atmen, so hörten
innerhalb 7 Minuten die Atembewegungen der Jungen auf. Man
konnte den Versuch mit dem nämlichen Erfolg mehrmals wiederholen.
Die Umgebungstemperatur, 26° C., schien mir keinen Einfluss auf
die Erscheinung auszuüben.
Ich eröffnete Bauchhöhle und Uterus bei drei trächtigen Meer-
schweinchen in einem Wasserbade von 29°. Die unvermeidlichen
39 Wertheimer, Atmungscentra des Rückenmarks.
ns
Zerrungen waren offenbar die Ursache von Atembewegungen, welche
anfangs beobachtet wurden; doch hörten diese binnen kurzem auf,
nachdem die Teile so gelagert waren, dass die Bluizirkulation unge-
hindert vor sich ging. Auch nachdem die Jungen innerhalb des
Amnios der umgebenden Luft ausgesetzt wurden, indem man das
Wasser aus dem Gefäße, in welchem sie mit der untern Körperhälfte
ihrer Mutter lagen, ausfließen ließ, machten sie keine Atembewegungen.
Sobald ich aber die Gefäße, welche ihnen das mütterliche Blut zu-
führen, zwischen die Finger nahm, machten sie nach Verlauf von
2 Minuten sehr heftige Ein- und Ausatmungsbewegungen. Wenn ich
während der Zusammendrückung der Gefäße thermische oder mecha-
nische Reize auf die Kleinen einwirken ließ, so waren diese anfangs
wirkungslos, später aber, nach Verlauf von 2 Minuten, riefen sie deut-
liche Atembewegungen hervor. Es geht also aus allen meinen Beob-
achtungen hervor, dass Atembewegungen beim Fötus nur auftreten,
wenn sich Kohlensäure in einer gewissen Menge in ihrem Blut an-
gesammelt hat, und dass auch mechanische oder thermische Reize
nur in dieser Periode Atembewegungen auslösen können. Woraus
folgt, dass die eigentliche Ursache des ersten Atemzuges die Anwesen-
heit von Kohlensäure in einer das Normale übersteigenden Menge in
dem die Gefäße der Medulla oblongata durehströmenden Blute sein muss.
Sitzung vom 30. Januar 1886.
Herr E. Wertheimer sprach „über die Atmungscentra
des Rückenmarkes“.
Wie P.Rokitanski und Langendorff konnte auch W. Atem-
bewegungen an Säugetieren nach Abtrennung der Medulla oblongata
beobachten, nicht bloß an jungen, sondern auch an ausgewachsenen
Tieren, mit oder auch ohne Anwendung von Strychnin, wenn die
künstliche Atmung nach stundenlanger Unterhaltung ausgesetzt wurde.
Er glaubt sich zu dem Schluss berechtigt, dass das Rückenmark nicht
bloß das anatomische Zentrum der Atemnerven sei, sondern auch ein
Zentrum im physiologischen Sinne, ein Zentrum, von welchem selb-
ständig rhythmisehe Bewegungen der Atemmuskeln veranlasst werden.
Dieses Zentrum könnte ohne Reflex nur durch die Beschaffenheit des
in ihm zirkulierenden Bluts in Erregung geraten !).
1) Anm. d. Red.: Vgl. Rosenthal, Altes und Neues über Atembewegungen.
B101..Chl2 Bd. I.Nr: 2,3, 4, 6.0.7:
Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün-
schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an-
zugeben.
Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man
an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘‘ zu richten.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
Biologisches Oentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
VL Band.
15. März 1886. Nr. 2.
Inhalt: Weismann, Zur Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften. —
Kowalevsky, Zur embryonalen Entwicklung der Museiden. — Zuntz und
Geppert, Ueber die Natur der normalen Atemreize und den Ort ihrer Wir-
kung. — Paneth, Ueber die Erregbarkeit der Hirnrinde neugeborner Hunde. —
Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Physikalisch - medizinische So-
zietät in Erlangen. — Wittrock, Ueber die Geschlechter-Verteilung bei Acer
platanoides L. und einigen andern Acer- Arten.
Zur Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften.
Von Dr. August Weismann,
Professor in Freiburg i. Br.
In Bd. V Nr. 22 dieser Blätter hat Herr Prof. Kollmann ein
Referat oder vielmehr eine Kritik meiner kürzlich erschienenen Schrift
„Ueber die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die
Selektionstheorie“!) gegeben. So angenehm es mir sein muss,
dass meine Arbeiten hier besprochen werden, so kann es mir doch
auch anderseits nicht gleichgiltig sein, wenn meine Ansichten in viel-
fach missverstandener Form einem großen Leserkreis vorgeführt
werden. Mein Kritiker aber hat mich in der That in so wesentlichen
Punkten missverstanden, dass ich fast an meiner Fähigkeit, mich
klar auszudrücken, irre werden könnte. Ich mache ihm daraus keinen
Vorwurf, denn man kann gewiss ein vortrefflicher Anatom und An-
thropolog sein und doch nieht vollständig eingearbeitet in die Ge-
dankenkreise der Deszendenzlehre; für mich aber möchte ich daraus
das Recht ableiten, meine Sache hier noch einmal selbst führen zu
dürfen.
Zunächst einige Worte zur Rechtfertigung des eben Gesagten!
1) Vortrag in der ersten allgemeinen Sitzung der Naturforscherversamm-
lung zu Straßburg. Abgedruckt zuerst im Tageblatt der 58. Versammlung,
S. 42 u. fg., 1885; in veränderter und mit Zusätzen versehener Form im Buch-
handel erschienen bei Gustav Fischer, Jena, 1886.
N: 3
34 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften.
Wenn über Selektion gesprochen werden soll, so ist es wohl
unerlässlich, dass man klar darüber sei, was darunter verstanden
wird. Dieser Forderung kommt mein verehrter Freund nicht so voll-
ständig nach, als es zu wünschen wäre.
Bekanntlich ist das Selektionsprinzip das einzige, welches die
Zweckmäßigkeiten der Organismen auf naturwissenschaftlichem Wege
erklärt, man könnte auch sagen: auf natürlichem Wege, denn
wenn man das Selektionsprinzip nicht annehmen könnte, bliebe zur
Erklärung der organischen Zweckmäßigkeiten nur die Annahme eines
zweckthätigen Prinzips, d. h. des Wunders. Die Fähigkeit der Or-
ganismen, sich den Lebensbedingungen anzuschmiegen, sich so zu
gestalten, wie es den wechselnden Lebensbedingungen gegenüber am
zweckmäßigsten ist, nennt man bekanntlich ihre Anpassungsfähig-
keit, die zweckmäßigen Einrichtungen selbst aber bezeichnet man
als Anpassungen und erklärt sie durch Häufung der nützlichen
individuellen Variationen durch wiederholtes Ueberleben ihrer Träger
im Kampf ums Dasein. Nach Kollmann versteht man aber „nach
allgemeiner Anschauung unter Anpassung nichts Anderes, als die Er-
werbung einer bestimmten Eigenschaft während des individuel-
len Lebens unter dem Druck äußerer Agentien“. „Individuen
sind es, die sich anpassen, deren Organismus sich entsprechend um-
ändert, eine neue Eigenschaft ‘erwirbt. Nur so wird ein neuer
Charakter erworben, so denkt sich der Darwinismus die
Anpassung.“
Hier liegt eine unglückliche Verwechslung vor, die auf dem ver-
schiedenen Sinn beruht, in welchem das Wort Anpassung gebraucht
wird. Anpassungen im Sinne der Darwin’schen Selektionstheorie
werden eben grade nicht im Einzelleben gewonnen, sondern nur
im Artleben, d. h. in einer Reihe von Generationen, und durch Aus-
wahl der besten aus einer großen Zahl von Individuen. Das Er-
klärende des Selektionsprinzips liegt eben grade darin, dass die
nützlichen Abänderungen nicht schon von vornherein bei ein-
zelnen Individuen als gegeben angenommen werden müssen, SOn-
dern dass sie sich erst zusammensetzen im Laufe der Generationen
aus den kleinen individuellen Abweichungen, welche man that-
sächlich beobachtet. Individuen passen sich nicht an nach
der Selektionstheorie, sondern sie werden nur ausgewählt, die bes-
seren zur Nachzucht, die schlechteren zum Untergang, und die Rolle
des Züchters spielt der Kampf ums Dasein. Das ist die einzige Art
der Anpassung, welche Darwin gekannt hat, die einzige, aus wel-
cher er die Artumwandlung zum großen Teil herzuleiten suchte.
Da das Biologische Centralblatt einmal meine Schrift eines Re-
ferates wert gehalten hat, so wird es vielleicht nicht unerwünscht
sein, wenn ich einige der wesentlichsten Punkte meiner Ansichten
richtig zu stellen versuche.
Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 35
Der Gedankengang meiner Schrift ist der folgende. Die Grund-
lagen oder die Voraussetzungen von Selektionsvorgängen sind: Ver-
erbung, Variabilität und Kampf ums Dasein. Letzterer kommt hier
nicht in betracht, wohl aber die beiden andern Faktoren. Durch
frühere Untersuchungen war ich zu der Ueberzeugung geführt wor-
den, dass die Vererbung darin ihren Grund habe, dass die Keim-
substanz, aus welcher das Kind entsteht, nichts Anderes ist, als ein
Rest der Keimsubstanz, aus welcher auch der „Aelter“t) sich seinerzeit
entwickelt hatte. Dieses Verhältnis bezeichnete ich als „Konti-
nuität des Keimplasmas“, indem ich unter Keimplasma jene
minimale Substanz begriff, von deren molekülarer und chemischer
Zusammensetzung es abhängt, dass das Ei sich zu einem Tier von
bestimmten Eigenschaften entwickelt, zu einem Affen, oder einer
Gans, zu einem Neger, oder Kaukasier, zu einem Holländer oder
Deutschen, zu einem Müller oder Schulze. Das Biologische Central-
blatt hat über die beiden Schriften ?), in welchen diese Theorie dar-
gelegt wurde, bisher kein Referat gebracht, so dass seinen Lesern
vielleicht damit gedient ist, wenn ich hier einiges darüber einflechte.
Ohnehin ist die Kenntnis der dort ausgesprochenen Ansichten uner-
lässlich zum Verständnis der jetzt von Kollmann besprochenen
Schrift.
Ich stelle mir vor, dass von der wirksamen Substanz des Keimes,
dem Keimplasma, stets ein Minimum unverändert bleibt, wenn
sich der Keim zum Organismus entwickelt, und dass dieser Rest des
Keimplasmas dazu dient, die Grundlage der Keimzellen des neuen
Organismus zu bilden. Diese Vorstellung lässt sich heute weder
direkt noch indirekt gradezu erweisen, aber sie lässt sich wenigstens
besser durch Thatsachen stützen, als die bisherige Anschauung von
der Neuerzeugung des Keimstoffes im Organismus, und sie bietet eine
Handhabe zum Verständnis des Vorgangs der Vererbung, indem sie
ihn auf einfaches Wachstum zurückführt. Sie parallelisiert ihn mit
der Fortpflanzung der Einzelligen, bei welchen auch dieselbe Substanz
fort und fort wächst und neue Individuen nur dadurch entstehen,
dass sie sich von Zeit zu Zeit teilt. Der Unterschied zwischen Ein-
zelligen und Vielzelligen bestünde sonach nur darin, dass bei den
letzteren jeder Teilung der „Keimsubstanz“ ein Entwicklungsprozess
nachfolgt, der zur Bildung eines vielzelligen Individuums führt. Dies
überwiegt dann zwar an Masse ganz unendlich über den unverbraucht
zurückbleibenden Rest des Keimplasmas, aber in genetischer Be-
ziehung ist es doch nur ein Nebenprodukt der ewigen Keimsubstanz,
1) Dieser Singularis von „Aeltern“ rührt von Nägeli her und verdient, wie
mir scheint, angenommen zu werden.
2) Weismann, „Ueber die Vererbung“ Jena 1883 und „Ueber die Konti-
nuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der Vererbung“ Jena 1885.
3#
36 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften.
ist dem Tod verfallen, muss sterben nach einiger Zeit, während die
Keimsubstanz unter dem Schutze und der Ernährung des vielzelligen
Körpers (Soma) weiter wächst, sich an Masse vermehrt und neue
Keimzellen liefert, die die Fähigkeit besitzen, eine folgende Genera-
tion von Körpern (Somata) hervorzubringen, in welchen sich derselbe
Prozess von neuem abspielt. Man kann sich also das Keimplasma
unter dem Bilde einer lang dahinkriechenden Wurzel vorstellen, von
welcher sich von Strecke zu Strecke einzelne Pflänzchen erheben: die
Individuen der aufeinanderfolgenden Generationen. Hugo Spitzer!)
drückt meine Anschauung in seinem ausgezeichneten kürzlich er-
schienenen Buch in sehr schöner und treffender Weise folgender-
maßen aus. Er meint, nach meiner Anschauung wäre „die Keimzelle
das eigentlich schöpferische Gebilde in der organischen Welt, welches
die mannigfachen Formen der Organisation nicht bloß erhält und
überträgt, sondern auch ursprünglich ausprägt, so dass jede Beharrung
wie jede Veränderung der Typen auf die Schicksale des Zeugungs-
elementes gegründet erschiene. Der ganze übrige Organismus stellte
sich gewissermaßen als ein Appendix an der Keimzelle dar und bliebe
daher unverändert, so lange die molekülare Konstitution der Keim-
zellen keine Veränderung erfährt, während jede Störung dieses Ge-
füges auch eine entsprechende Umwandlung des Gesamtorganismus
zur Folge haben würde.“
Mit diesem Zitat habe ich der Entwicklung meiner Ansichten
vorgegriffen, denn Spitzer behandelt in ihm nicht bloß das Gleich-
bleiben der Generationen, sondern auch ihre unter Umständen ein-
tretende Veränderung, also nicht nur die Erscheinung der Ver-
erbung, sondern auch die der Variation. Beides muss nach
meiner Theorie auf dem gleichen Grunde beruhen, nämlich auf der
Kontinuität des Keimplasmas; nur wenn das Keimplasma sich än-
dert, kann und muss auch eine dauernde Aenderung an dem Körper
der folgenden Generation eintreten.
Aus der Kontinuität des Keimplasmas folgt keineswegs — wie
Kollmann meint — eine auf alle Zeiten hinaus reichende Unver-
änderlichkeit der Arten (siehe a. a. ©. 8.677 oben). „Es folgt daraus
nicht einmal, dass die Generationen sich vollständig gleich bleiben
müssen, so lange das Keimplasma vollständig gleich bleibt.“ „Erwor-
bene“ Eigenschaften können sehr wohl neu auftreten bloß durch
Einwirkung neuer Einflüsse auf den Körper (Soma) einer Genera-
tion im Gegensatz zu den Keimzellen. Ich meine, in meiner letzten
Schrift den Unterschied von erworbenen und ererbten Eigenschaften
scharf hingestellt zu haben; es werden dort die Versuche von Nägeli
mit SupenD Dane aresitun, die im Gartenland sich fast bis zur Un-
1) Hugo nie: „Beiträge zur Deszendenztheorie und zur Methodologie
der Naturwissenschaft*. Leipzig 1886.
Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 37
kenntlichkeit der Species veränderten, aber dabei Samen lieferten,
die auf magerem Boden wieder zur ursprünglichen alpinen Form er-
wuchsen, somit bewiesen, dass die im Gartenland angenommenen
Charaktere mit keiner Veränderung des Keimplasmas verknüpft waren.
Seit langer Zeit schon versteht man unter „erworbenen“ Eigenschaften
solche, die infolge äußerer Einwirkungen auf den Organismus ent-
stehen, im Gegensatz zu solchen Eigenschaften, welche aus der Be-
schaffenheit des Keimes selbst hervorgehen. In diesem Sinne wird
der Ausdruck bei Darwin gebraucht, in diesem Sinne bei Hensen,
bei His, du Bois-Reymond, Götte, Spitzer, kurz bei allen
denen, die selbst über Deszendenzlehre gedacht und geschrieben haben.
Ich habe diese im Laufe eines Einzellebens erworbenen Charaktere
auch als passante bezeichnet, weil sie meiner Ansicht nach nicht
vererbt werden können, denn es ist offenbar eine Konsequenz der
Theorie von der Kontinuität des Keimplasmas, dass Charaktere nur
insoweit vererbt werden können, als ihre Anlage im Keimplasma
schon gegeben war, dass aber Veränderungen, welche an dem bereits
gebildeten Körper infolge äußerer Einwirkungen auftreten, auf den
Organismus beschränkt bleiben müssen, in dem sie entstanden sind.
So muss es sich mit Verstüämmelungen verhalten, so mit den Resul-
taten der Uebung oder des Nichtgebrauchs eines Körperteils.
Wenn dies nun richtig ist, so fällt damit nicht nur der ganze
Lamarckismus, d. h. jene Ansicht, welche die Umwandlung der Arten
vom direkten Einfluss der Lebensbedingungen, hauptsächlich vom
gesteigerten oder geminderten Gebrauch einzelner Teile ableitet, son-
dern es erhebt sich auch die Forderung einer neuen Begründung des
einen Faktors der Selektion, der Variabilität. Denn die Variabilität
leitete man bisher eben von den wechselnden Einflüssen her, welche
jeden Organismus unausgesetzt treffen. Wenn aber alle die Einflüsse,
welche den Körper individuell verschieden machen können, nur
passante, nicht vererbbare sind, so entsteht auf diese Weise also
nicht das Material an individuellen Variationen, mit welchem Selek-
tion arbeiten kann.
Hier setzt nun der von Kollmann kritisierte Vortrag ein und
sucht die Quelle der erblichen individuellen Variationen in der
geschlechtlichen Fortpflanzung nachzuweisen. Dies ist das eigentliche
Thema der Abhandlung, alles Uebrige ist nur Einleitung dazu. Da
das Kollmann’sche Referat einiges aus diesem Hauptteil bringt, so
will ich darauf nicht näher eintreten; ohnehin würden Leser, die wirk-
lich in die Sache eindringen wollen, sich doch wohl zur ausführlichen
Darstellung wenden. Einen Punkt nur möchte ich hier hervorheben,
den ich dort nur gestreift habe. Ich denke mir die erbliche indivi-
duelle Variabilität bei niedersten Einzelligen durch direkten Einfluss
verschiedenartiger äußerer Einwirkungen entstanden und leite dann
aus dieser einmal gegebenen erblichen individuellen Variabilität die
38 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften.
der Metazoen und Metaphyten ab, und zwar so, dass dieselbe durch
die inzwischen allgemein gewordene geschleehtliche Fortpflanzung
verewigt, gesteigert und immer wieder neu kombiniert wurde. Wenn
ich es nun aber auch für wahrscheinlich halte, dass diese individuelle
Variabilität nicht auf einer direkten Wirkung äußerer Einflüsse auf
die Keimzellen und das in ihnen enthaltene Keimplasma beruhen kann,
da — wie aus gewissen Thatsachen hervorgeht — die Molekülar-
struktur des Keimplasmas sehr schwer veränderbar sein muss, so
sollte damit doch keineswegs gesagt werden, dass es nicht vielleicht
doch durch sehr lange andauernde Einflüsse derselben Art ver-
ändert werden könne. So seheint mir die Möglichkeit nicht abzu-
weisen, dass lange, d. h. durch Generationen hindurch andauernde
Einflüsse, wie Temperatur, Ernährungsmodus u. s. w., „die die Keim-
zellen so gut, wie jeden andern Teil des Organismus treffen“ können,
Veränderungen in der Konstitution des Keimplasmas hervorrufen
können. Aber solehe Einflüsse würden dann keine individuellen
Variationen hervorrufen, sondern sie müssten alle Individuen der Art,
welche auf einem bestimmten Gebiet wohnen, in der gleichen Weise
verändern. Es ist möglich, wenn auch zur Zeit nicht zu erweisen,
dass manche „klimatische“ Varietäten auf diese Weise entstanden
sind; vielleicht müssen noch andere Erscheinungen von Variation auf
eine Veränderung in der Struktur des Keimplasmas bezogen werden,
die durch äußere Einwirkungen direkt hervorgerufen wurde; wir
können heute darüber noch nicht viel sagen, aber so viel darf wohl
behauptet werden, dass Einflüsse, welche „meist wechselnder Natur
sind, bald in dieser, bald in jener Richtung erfolgen“, schwerlich eine
Veränderung in der Struktur des Keimplasmas hervorbringen, und
dies ist der Grund, warum man die Ursache der individuellen
erbliehen Unterschiede anderswo suchen muss, als in diesen wech-
selnden Einflüssen.
Ich glaube sie in der sexuellen Fortpflanzung gefunden zu
haben, ja diese Art der Fortpflanzung scheint mir wesentlich nur die
Aufgabe zu haben, die von den Einzelligen her ererbte individuelle
Variabilität zu erhalten, zu steigern, in immer neuen Kombinationen
zu mischen und dadurch die Möglichkeit zu bieten, durch Selektions-
prozesse die Arten neuen Lebensbedingungen anzupassen.
Kollmann missversteht mich, wenn er meint, die „Vererbungs-
tendenzen“, von welchen ich sage, dass sie sich bei der Befruchtung
vermischen, „glichen der innern Bewirkung Nägeli’s wie ein Ei dem
andern“ und „es handle sich nur um einen Wechsel des Ausdrucks
und eine Verschiebung des geheimnisvollen Prozesses in das Innere
der Keimzelle“. Ich glaube, die Anschauung Nägeli’s und die mei-
nige stehen sich diametral entgegen. Bei mir handelt es sich um
nichts Geheimnisvolles, sondern um die einfache Thatsache, dass bei
der Befruchtung die Vererbungstendenzen, welche in der Eizelle und
Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 39
in der Samenzelle schlummern, sich mischen, und dass daraus ein
neuer Organismus mit einem bisher noch nicht dagewesenen Gemenge
individueller erblicher Charaktere hervorgeht. Das.ist eine
Thatsache, mögen auch ihre tieferen Ursachen noch so dicht ver-
schleiert sein. Die Umwandlung der Arten beziehe ich nach Darwin’s
Vorgang auf Selektionsprozesse, die aufgrund dieses Materials an
individuellen Unterschieden stattfinden können. Nägeli dagegen
leitet die Umwandlung der Arten von innern, in der Substanz der
Organismen gelegenen Ursachen ab, die es mit sich bringen, dass
von Zeit zu Zeit Umwandlungen eintreten. Die Struktur seines „Idio-
plasmas“ bringt es mit sich, dass sie sich während ihres säkularen
Wachstums verändert. Grade gegen dieses innere Entwicklungs-
prinzip Nägeli’s kämpfe ich ja schon im Eingang meiner Abhand-
lung an, da es mir zuerst oblag, zu zeigen, dass die Selektionstheorie
trotz Nägeli’s scharfsinnigen und phantasiereichen Ausführungen
doch nicht entbehrt werden kann, ja dass ihr Wirkungsgebiet wahr-
scheinlich weit größer ist, als wir bisher angenommen hatten. Um
es recht anschaulich zu machen, wie keineswegs bloß einzelne und
untergeordnete Charaktere auf sie bezogen werden müssen, sondern
die gesamte Organisation einer großen Tiergruppe, soweit sie
sich überhaupt von den verwandten Gruppen unterscheidet, wählte
ich ein bestimmtes Beispiel, die Ordnung der Wale, und zeigte an
ihnen, dass alles, was Charakteristisches an ihnen ist, auf Anpassung
an das Wasserleben beruht, auf Anpassung im selektionstheoretischen,
nicht im physiologischen Sinn. „Wenn aber alles das, was sie zu
Walen macht, durch Anpassung entstanden ist, dann hat also die
innere Entwicklungskraft Nägeli’s keinen Anteil an der Entstehung
dieser Gruppe von Tieren“, ja dann „dürfen wir kühn behaupten:
eine solche Kraft existiert überhaupt nicht“.
Kollmann druckt diese ganze Ausführung auf zwei Seiten seines
Referates ab und meint dann, der „wichtigste Faktor bei der Er-
schaffung der Wale“ müsse aber doch „die innere Entwicklungskraft“
gewesen sein! Gründe für diese merkwürdige Folgerung werden nicht
angeführt. Dagegen wirft er mir die Frage entgegen, „was denn,
wenn die Anpassung allein die Wale zustande gebracht hätte, dann
dem Keimplasma noch zu thun übrig geblieben wäre?“ Als ob nicht
eben die erblichen individuellen Variationen, welche das Keimplasma
potentia in sich birgt, das Material darstellten, aus welchem Selek-
tion die Anpassungen zusammenstellt!! — Man sieht: wir verstehen
uns nicht.
Leider ist dies auch der Fall inbezug auf den Begriff der „er-
worbenen Eigenschaften“. Kollmann denkt sich darunter „die
Veränderung, welche das Keimplasma während des individuellen
Lebens erfährt“. Wie oben aber bereits gesagt wurde, begreifen wir
unter „erworbenen Eigenschaften“ eben grade nicht die Verände-
40 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften.
rungen, welche vom Keim ausgehen, sondern solche, die an dem
bereits vorhandenen Organismus entstehen und zwar infolge
äußerer Einwirkungen.
Es handelt sich hier in der That um eine schwerwiegende und
weittragende Frage, und es lohnt sich wohl, den Sinn, den das Wort
„erworben“ hier haben soll, bestimmt und klar zu fassen.
Man kann ja anderer Ansicht sein, als ich, und erworbene Eigen-
schaften mit Lamarck, Darwin und fast allen Andern für vererb-
bar halten. Aber ehe darüber hin und hergekämpft wird, ist es
nötig, zu wissen, was denn eigentlich unter „erworbenen Eigenschaf-
ten“ zu verstehen sei. Der Ausdruck ist wohl früher besonders in
medizinischen Kreisen in einem sehr allgemeinen Sinn genommen
worden, nämlich in dem von neu auftretenden Eigenschaften über-
haupt, mag ihre Wurzel liegen, wo sie wolle. Das war ja zu seiner
Zeit ganz berechtigt, und wer bisher den zoologisch - botanischen Ge-
dankenkreisen fern gestanden hat, war gewiss entschuldigt, wenn er
das Wort zunächst in dem alten Sinn auffasste, als ich in vorigem
Herbst mir erlaubte, die Frage von der Nichtvererbung erworbener
Eigenschaften auf der Naturforscherversammlung zu Straßburg bei-
läufig zu berühren.
Den Biologen im speziellern Sinn war die Frage damals gar
nicht mehr neu, da sie schon in jenen beiden oben erwähnten Schrif-
ten von mir gestellt und durchgearbeitet worden war. Virchow!)
trat mir darauf in der folgenden allgemeinen Sitzung bei Gelegenheit
seines Vortrags über „Akklimatisation“ entgegen und machte geltend,
dass in der Pathologie zahlreiche Beispiele bekannt seien, in welchen
Missbildungen einzelner Teile, überhaupt „pathologische Merkmale“
sich durch Generationen hindurch vererbt hätten, so z. B. Deformität
des Arms oder der Finger, ein weißes Haarbüschel auf einer gewissen
Stelle des Kopfes u. s. w. Er meinte damit meine Behauptung von
der Nichtvererbung erworbener Eigenschaften widerlegt zu haben, ja
er war dessen so sicher, dass er sich darüber zu beklagen berechtigt
hielt, dass wir Erforscher des „normalen Lebens“ „die Pathologie als
eine Art Nebenfach betrachteten“, das uns „eigentlich nichts anginge“.
Wir verlangten, dass die Pathologen unsere „Schriften lesen“, unsere
„Journale kennen, aber wir hielten uns nicht für verpflichtet, die
Schriften oder Journale der Pathologen zu lesen“. Wenn damit ge-
sagt sein sollte, dass uns die Vererbung von Missbildungen u. Ss. w.
nicht bekannt sei, so war das wohl kein zutreffender Vorwurf. Nicht
nur in Darwin’s Schriften, sondern auch in meinen eignen ist darauf
bezug genommen, aber die „kongenitalen“ Missbildungen haben eben
mit dem nichts zu thun, was wir „erworbene Eigenschaften“ nennen,
sie sind gewissermaßen das Gegenteil davon, und ich konnte mich
1) Tageblatt der 58. Versammlung deutscher Naturforscher ete. S. 542.
Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 41
somit in meiner mündlichen Antwort an Virchow darauf beschränken,
dieses Missverständnis einfach zu konstatieren und aufzuklären. Ich
hielt damit diesen Zwischenfall für erledigt, so sehr, dass ich des-
selben in der im Anfange dieses Jahres im Buchhandel erschienenen
Ausgabe meiner Rede mit keinem Worte gedachte.
Es scheint aber, dass ich damit meinen Gegner doch nicht über-
zeugt habe, da seither im Archiv für pathologische Anatomie ein
Artikel desselben erschienen ist, in welchem er fortfährt auf Grund-
lage eines völlig andern Begriffs der „erworbenen“ Eigenschaften
gegen mich anzukämpfen. Wenn. ich jetzt auch wohl kaum mehr
hoffen darf, Herrn Virchow zu überzeugen, und natürlich auch voll-
ständig darauf verzichte, einen Kampf aufzunehmen, der nur schein-
bar gegen meine Ansichten, in Wahrheit aber gegen Phantome ge-
richtet ist, die aus meinen missverstandenen Ansichten herausgelesen
werden, so dient es doch wohl zur allgemeinen Klärung der be-
treffenden Fragen, wenn ich hier noch einiges darüber folgen lasse.
Die von Virchow geltend gemachten pathologischen Fälle sind
mir schon lange und recht genau bekannt, wie sie überhaupt wohl
kaum irgend einem Biologen unbekannt geblieben sein dürften. Ich
erkenne ihre Bedeutung vollkommen an und stimme Virchow bei,
wenn er hervorhebt, dass es „keine eigentliche Grenze gibt zwischen
pathologischen und physiologischen Prozessen“, folglich auch nicht
zwischen pathologischen und physiologischen Abänderungen !). Ich
habe schon öfters grade die erblichen Missbildungen inbezug auf eine
andere Seite der Deszendenzlehre ins Auge gefasst, allein für die von
mir aufgestellte Ansicht von der Nichtvererbung erworbener Charak-
tere haben diese Fälle in der That keine Bedeutung.
Die große und für die ganze Deszendenzlehre wichtige Frage ist
nicht die, ob irgendwelche neu auftretende Eigenschaften vererbt
werden können — wenn das nicht möglich wäre, so gäbe es eben
einfach keine Artumwandlung — sondern die Frage ist die, ob solche
neue Eigenschaften, welche nicht schon im Keim als Anlagen
enthalten waren, sondern sich erst infolge äußerer Ein-
wirkungen im Laufe des Lebens bildeten, vererbt werden
können oder nicht. Die außerordentliche Bedeutung dieser Frage
leuchtet ein, sobald man weiß, dass es von ihrer Beantwortung ab-
hängt, ob wir berechtigt sind, die direkte Einwirkung äußerer Ur-
sachen auf den Körper (Soma) zur Erklärung der Artumwandlungen
herbeizuziehen, oder nicht. Bekanntlich wollte Lamarck allein
aus diesem Prinzip die gesamte Entwicklung der Organismenwelt er-
klären, und die Deszendenztheorie hat wohl mit infolge dieses unge-
nügenden Erklärungsprinzips, das dieser geniale Denker ihr damals
allein mitgeben konnte, bei ihrem ersten Auftreten so kläglich Schiff-
1) Archiv f. path. Anatomie Bd. 103 S. 1—14, 205—215 u. 413—436. 1886.
42 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften.
bruch gelitten. Denn es bedarf keines tiefen Eindringens, um einzu-
sehen, dass man damit allein nicht ausreicht. Nachdem aber durch
Darwin ein zweites Prinzip, das der Selektion hinzugekommen war,
schien es, als ob doch auch das erste beibehalten werden müsse, als
ob man ohne dasselbe nicht auskommen könne. Man wusste, dass
Uebung (häufiger Gebrauch) ein Organ im Verlauf des Einzellebens
kräftigt, Vernachlässigung (Nichtgebrauch) dasselbe schwächt, und
es schien so selbstverständlich, die immer vollkommnere Ausbildung
eines Organs im Verlauf der Artenbildung auf diesen Faktor
zu beziehen und anzunehmen, dass die geringe Kräftigung, die ein
Organ durch Uebung im Einzelleben erfährt, sich auf die nächste
Generation vererbt, in dieser durch abermalige Uebung eine weitere
Steigerung erfährt, und so im Laufe der Generationen und Arten zum
Maximum der Entwicklung des betreffenden Organs führt. Wie leicht
schien sich auf diese Weise z. B. die enorme Entwicklung der Flug-
muskeln bei Zugvögeln, Raubvögeln u. s. w. zu erklären, wie leicht
die Steigerung des Intellekts bei den höheren Tieren, oder die Stei-
gerung in Festigkeit und Volumen von Skeletteilen unter dem Ein-
fluss eines sich steigernden Muskelzugs u. s. w. Und wie künstlich
und gewaltsam erscheint dagegen auf den ersten Blick die Erklärung
aller dieser Erscheinungen durch Selektion, durch stete Auswahl der
Individuen nach der Güte des betreffenden Organs! Und was für die
Steigerung der Organe durch Uebung gilt, das gilt ebenso auch für
das Verkümmern der Organe durch Niehtgebrauch. Das Verschwinden
von Teilen spielt aber bei dem Entwicklungsprozess der Arten eine
beinahe eben so wichtige Rolle, als die Bildung von neuen Teilen,
und eine Deszendenztheorie, die kein Erklärungsprinzip für diesen
Teil der Vorgänge hätte, wäre keiner ernsten Beachtung wert. Des-
halb ist es auch sehr erklärlich, dass sowohl Darwin als Häckel,
als überhaupt Alle, die auf diesem Gebiete arbeiteten, die Vererbung
erworbener Eigenschaften nicht entbehren zu können meinten, auch
wenn ihnen vielleicht Zweifel an der Richtigkeit dieser Voraussetzung
aufgestiegen wären. Auch ich selbst war lange Jahre dieser Meinung
und bin erst im Laufe des letzten Lustrums allmählich zu der Ueber-
zeugung gekommen, dass die Voraussetzung nicht richtig ist, dass
eine Vererbung der Resultate der Uebung oder des Nichtgebrauchs
nicht möglich ist, und dass wir somit nach einer andern Erklärung
der Erscheinungen suchen müssen.
Mag man nun mit mir einverstanden sein, oder nicht, jedenfalls
können wir nur dann um etwas streiten, wenn wir das Gleiche meinen.
Ob der Ausdruck „erworbene Eigenschaften“ gut oder schlecht ist,
kommt dabei nicht in betracht, wohl aber dieses, dass man nicht
ganz etwas Anderes bekämpft, als was behauptet wird. Niemand hat
bezweifelt, dass es eine Menge kongenitaler Missbildungen, Mutter-
mäler und sonstiger individueller Merkmale gibt, die vererbt werden.
Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 43
Aber das sind eben keine erworbenen Eigenschaften in dem obigen
Sinn. Gewiss müssen sie auch einmal zuerst aufgetreten sein, aber
wir können nicht genau sagen, aus welcher Ursache, wir wissen nur,
dass mindestens ein großer Teil von ihnen vom Keim selbst ausgeht,
somit also auf Abänderung der Keimsubstanz selbst beruhen
muß. Jede Veränderung der Keimsubstanz selbst aber, mag sie ent-
standen sein, wie sie wolle, muß auch nach meiner Ansicht und
zwar eben durch die Kontinuität des Keimplasmas auf die folgende
Generation übertragen, und somit auch die Veränderungen des Soma,
welche aus ihr hervorgehen, auf die folgende Generation vererbt
werden. Es trifft desbalb nicht zu, wenn Virchow mir entgegenhält,
jene vererbbaren Deformitäten oder überhaupt irgend welche erblichen
Variationen müßten doch „irgend einmal durch eine Causa externa,
durch eine Veränderung der Lebensbedingungen entstanden sein.“
Dem würde Nägeli allerdings nicht zustimmen, da er die Verände-
rungen, welche eintreten, aus der Struktur seines selbstveränderlichen
Idioplasmas herleitet, ich aber habe nichts dagegen einzuwenden,
vorausgesetzt, dass man diese „causae externae“ im allerweitesten
Sinn nimmt, inklusive das Aufeinanderwirken der bei der Befruchtung
vereinigten beiden älterlichen Keimplasmen. Ich kann auch niemand
verhindern, von „erworbenen“, anstatt bloß von „entstandenen“
Abänderungen des Keimplasmas zu reden, aber ich bin allerdings
der Meinung, dass dadurch die Frage nach der Vererbung erworbener
Eigenschaften nicht gefördert, sondern verwirrt wird, denn es ist eben
nicht „unerheblich für diese allgemeine Erörterung, — wie Virchow
meint — ob die Einwirkung der Causa externa auf das Ei oder auf
das wachsende oder auf das ausgewachsene Individuum statt-
gefunden hat“, sondern die zu entscheidende Frage ist eben grade
die, ob dies einerlei ist oder nicht. Damit dass man Eigen-
schaften, die aus einer Keimesänderung hervorgehen, auch als „er-
worbene“ bezeichnet, schafft man die Frage nicht aus der Welt, ob
die Resultate des Gebrauchs und Nichtgebrauchs vererbt werden oder
nicht. Wenn Virchow zeigen könnte, dass auch nur eine jener
erblichen Deformitäten zuerst durch Einwirkung einer äußern Ursache
auf den bereits vorhandenen Körper (Soma) des Individuums, also
nicht auf die Keimzelle entstanden wäre, dann wäre die Vererbung
erworbener Eigenschaften bewiesen. Dies hat aber bis jetzt noch von
niemand bewiesen werden können, so oft es auch schon behauptet
worden ist.
Ich sagte in meinem Straßburger Vortrag, es sei bis jetzt noch
keine Thatsache bekannt, welche wirklich bewiese, dass erworbene
Eigenschaften vererbt werden können — „Vererbung künstlich
erzeugter Krankheiten sei nicht beweisend.“ Virchow
bemerkt dazu, es sei „nicht recht verständlich“, warum ich „nur die
Vererbung künstlich vererbter Krankheiten zugestehe.“ Meine Worte
44 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften.
bezogen sich auf die einzigen Versuche, welche meines Wissens bis
jetzt für die Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften angeführt werden
konnten, auf die Epilepsie-Versuche von Brown-Sequard an Meer-
schweinchen. Dieselben sind so bekannt und so oft besprochen
worden, dass ich mich in dem mündlichen Vortrag auf diese bloße
vielleicht allzu kurze Anspielung beschränken zu dürfen glaubte. In
der erweiterten im Buchhandel erschienenen Ausgabe meines Vortrags
ist indess ein besonderer Abschnitt (der vierte Zusatz) diesen
interessanten Ergebnissen gewidmet, und darin der Versuch gemacht,
die Beweiskraft derselben zu widerlegen. Wenn ich nicht sehr irre,
beruht das nicht abzuleugnende Vorkommen von Uebertragung er-
worbener Epilepsie auf die folgende Generation nicht auf Vererbung,
sondern auf Ansteckung des Keims, auf Uebertragung leben-
diger Krankheitserreger. Jedenfalls ist es ein durchaus zweifel-
hafter Fall, wie dort im nähern nachgewiesen ist. Wenn man nun
auch dieser meiner Deutung der Brown-Se&quard’schen Versuche
nicht beistimmen will, so muß man doch zugeben, dass ein sicherer
Beweis für die Vererbung erworbener Charaktere nicht in ihnen
gesehen werden darf, und dann liegt die Sache genau so, wie ich sie
bezeichnete: es ist bis jetzt kein Fall bekannt, der wirklich beweisend
wäre, und „so lange dies nicht der Fall ist, haben wir kein Recht,
diese Annahme zu machen, es sei denn, dass wir dazu gezwungen
würden durch die Unmöglichkeit, die Artumwandlung ohne diese An-
nahme zu begreifen.“ Wenn wir nicht imstande wären, die Steigerung
eines Organs, wie sie mit dem vermehrten Gebrauch desselben in der
Phylogenese zusammentrifft, auf andere Ursachen zurückzuführen, oder
wenn wir kein anderes Erklärungsprinzip für das Rudimentärwerden
von Organen hätten, wie es mit dem Ueberflüssigwerden und dem
Niehtgebrauch desselben in der Phylogenese eintritt, so wäre das für
mich ein weit schwerer wiegender Grund, die unbewiesene Annahme
der Vererbung erworbener Charaktere zu machen, als alle die Ge-
schichtehen von Vererbung von Wundmalen, Verstiümmelungen und
sonstigen künstlichen Deformitäten, von denen die Vererbungsliteratur
wimmelt und von denen doch keine einzige der Kritik Stich hält.
Nun liegt aber die Sache nicht so; wir bedürfen dieser An-
nahme nicht zur Erklärung der Erscheinungen. Schon 1883
habe ich versucht, die betreffenden Erscheinungen in anderer Weise
dem Verständnis zugänglich zu machen. Auf den ersten Blick scheint
es Ja sehr gesucht und künstlich, wenn man das Verkümmern der
Augen bei Höhlentieren nicht auf Rechnung der direkten Wirkung
des Nichtgebrauchs setzt, da wir ja im allgemeinen wissen, dass
Nichtgebrauch eines Organs dessen „funktionelle Atrophie“ (Roux) im
Individuum einleitet. Allein nicht jedes „post hoc“ ist auch ein
„propter hoe“, und das Parallelgehen der Verkümmerung des Auges
mit seinem Nichtgebrauch bei der Art ist noch kein Beweis eines
Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 45
direkten Kausalzusammenhangs zwischen beiden. Ja, wenn nur
diese eine Erklärung möglich wäre! allein Panmixie, oder Nachlaß
der Naturzüchtung erklärt die Sache mindestens ebenso gut. Soweit
also wären die beiden Erklärungsweisen gleich berechtigt, und wir
wüßten nicht, welcher wir den Vorzug geben, welche wir als die
richtige betrachten sollen. Nun gibt es aber Fälle, in denen die erste
Erklärung nicht ausreicht, und da diese Fälle in ihrer ganzen Er-
scheinung den übrigen völlig gleich sind, welche sich scheinbar durch
sie erklären lassen, so fragt es sich, ob das erste Erklärungsprinzip
überhaupt als wirkend angenommen werden darf. Auf diese bewei-
senden ja gradezu zwingenden Fälle habe ich ebenfalls schon früher
hingewiesen, auf die Instinkthandlungen, welche nur einmal im
Leben ausgeführt werden, demnach also nicht durch Vererbung der
Uebungsresultate des Einzellebens entstanden und in der Art fixiert
worden sein können u. s. w. Ich will hier kurz auf einige der präg-
nantesten Fälle zurückkommen, wie ich sie in einem kürzlich hier in
Freiburg gehaltenen Vortrag darlegte.
Zunächst giebt es zahlreiche Fälle, in welchen ein Organ durch
oder bei Nichtgebrauch verkümmert ist, obgleich es unveränder-
bar ist im Individuum! Dahin gehört die Verkümmerung, oder
der gänzliche Schwund von Flügeln bei den Insekten. Diese Tiere be-
sitzen bekanntlich nur imsogenannten Imago-Zustand Flügel. Siemachen
nun während dieser Periode ihres Lebens keine Häutung mehr durch
und können infolge dessen weder wachsen, noch an Umfang ab-
nehmen, da ihr hartes Hautskelet dies nicht erlaubt. Ihre Flügel
bleiben sich also völlig gleich, mögen sie gebraucht
oder nicht gebraucht werden; sie werden höchstens durch den
Gebrauch abgenutzt, zerfetzt, wie man an lange schon umherfliegenden
Schmetterlingen oft sehen kaun. Trotzdem haben viele Insekten,
Schmetterlinge, Käfer, Orthopteren, Wanzen die Flügel mehr oder
weniger eingebüßt — durch Nichtgebrauch, sagt man, ich sage: durch
Wegfall der Naturzüchtung, denn ein überflüssiges Organ unterliegt
derselben nicht mehr und muß deshalb notwendig im Laufe der
Generationen von seiner Höhe herabsinken.
Die zweite Reihe von Fällen betrifft diejenigen Organe, welche
rudimentär geworden sind, obwohl sie eine eigentliche, d. h. ak-
tive Funktion gar nicht besitzen, folglich dureh Nichtgebrauch in
keinem, noch so geringen Grad verkümmern können. Es ist für den
Staubbeutel einer Blume ganz gleichgiltig, ob die in ihm entstandenen
Pollenkörner auf die Narbe einer andern Blume gelangen, oder nicht,
fast immer geht die unendliche Majorität von ihnen nutzlos verloren
und nur ganz wenige erreichen ihr Ziel. Nichtsdestoweniger sind die
Staubbeutel in manchen, früher zwittrigen Blumen heute rudimentär
geworden und bringen keinen Pollen mehr hervor; die Art hat sich
zur Diöcie umgewandelt. In diesem Fall ist es nicht Panmixie, durch
46 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften.
welche die Verkiimmerung eintrat, sondern vermutlich positive Selektion.
Diejenigen Pflanzen waren im Vorteil, deren Blumen nur das
eine Geschlecht in voller Entwieklung hervorbrachten. Jedenfalls
kann von einer Verkümmerung durch Niehtgebrauch hier nicht die
Rede sein.
Manche Tiergruppen haben die Gewohnheit angenommen, ihren
Hinterleib in schützende Hüllen zu stecken, und in allen diesen Fällen
finden wir die Haut des Hinterleibs ohne den harten Chitinpanzer,
der die exponierten Körperteile sonst schützt. Es kann aber das
Hautskelet nieht berühren, ob es dem Tier notwendig ist, oder nicht.
Seine einzige Funktion besteht in seinem Dasein, und man sieht nicht
ein, wie das einmal abgesonderte Chitinskelet das nächste Mal da-
durch dünner ausfallen sollte, dass es inzwischen dem Tier keinen
Nutzen gebracht hat, oder dass es von einer weitern Hülle bedeckt
war. Ich erinnere an den weichen Hinterleib der Einsiedlerkrebse,
die denselben in Schneckenschalen bergen, an den weichen Hinterleib
der Köcherfliegen-Larven und der Raupen der Psychiden, die ihn
mit einem selbstverfertigten Gehäuse umgeben. In allen diesen Fällen
ist Verkümmerung durch Nichtgebrauch ausgeschlossen, aber auch
positive Selektion und nur Panmixie oder Ausfallen der Selektion in-
bezug auf die betreffenden Stellen der Haut bietet uns eine Erklärung
der Thatsache.
Die dritte Kategorie von Fällen ist wohl die schlagendste von
allen, überzeugend auch für solehe, denen die eben erwähnten Bei-
spiele nicht ganz geläufig und deshalb auch nicht ganz durchsichtig sind.
Die sogenannten Geschlechtslosen der staatenbildenden Insekten
zeigen mannigfache Abänderungen gegenüber den Geschlechtstieren,
darunter auch Verkümmerungen einzelner Teile. So haben die Ar-
beiter der Ameisen bekanntlich die Flügel vollständig eingebüßt. Dass
ihre Vorfahren sie besessen haben, bedürfte zwar eigentlich keines
besondern Beweises, indess hat Dewitz denselben geliefert, indem
er zeigte, dass bei den Arbeitern ganz ebenso wie bei den eigentlichen
Weibchen im Laufe des Larvenlebens die Flügel angelegt werden,
um aber dann vollständig zu verkümmern. Dies kann nun unmög-
lich direkte Wirkung des Nicehtgebrauchs sein, weil die
Tiere sich nicht fortpflanzen. Wenn also auch der Nicht-
gebrauch der Flügel irgend einen Grad der Verkümmernng im ein-
zelnen Individuum hervorbrächte, so könnte derselbe sich doch nicht
durch Vererbung steigern, wie es der Fall sein müßte, wenn das voll-
ständige Schwinden des Organs auf diesem Wege erklärt werden sollte.
Panmixie ist auch hier, wie mir scheint, die einzig mögliche Erklärung,
womit ich übrigens nicht in Abrede stellen will, dass möglicherweise
auch positive Selektion mit hineingespielt hat. Natürlich müssen bei
diesen fortpflanzungsunfähigen Arbeiterinnen alle Umgestaltungen von
den Aeltern ausgehen, d. h. Selektionsprozesse sowohl, als auch die
Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften. 47
Folgen der Panmixie laufen nicht direkt an den Arbeiterinnen ab,
sondern an den Männchen und Weibchen, welche sie erzeugen. Nicht
die Arbeiterinnen selbst werden selektiert, sondern die Aeltern, je nach-
dem sie bessere oder schlechtere Arbeiterinnen hervorbringen. Das
hat schon Darwin, betont, und das gilt natürlich nicht nur für die
von ihm allein berücksichtigte positive Selektion, sondern auch für
negative, d. h. für den Wegfall der Selektion oder die von mir als
Panmixie bezeichnete Folge dieses Wegfalls.
Da es nun sicher ist, dass in allen den angeführten Kategorien
von Fällen die Rückbildungen nicht auf Rechnung der direkten Wir-
kung des Nichtgebrauchs, oder, um mit Roux zu reden, auf funktio-
nelle Atrophie gesetzt werden können, und da ferner Panmixie die
einzige und zwar eine ausreichende Erklärung dafür bietet, so wird
dadurch die Annahme der Panmixie als eines wirklich
existierenden Prozesses als erwiesen zu betrachten sein.
Wir werden schließen dürfen, dass überall, wo ein Organ nutzlos
wird, d. h. bedeutungslos für die Existenz der Art, dasselbe im Laufe
der Generationen von der Höhe seiner Ausbildung herabsinken muß,
bis es zuletzt dem völligen Verschwinden verfällt. Es ist nicht denk-
bar, dass dieser Prozess der stetigen Verschlechterung eines der Na-
turzüchtung nicht mehr unterworfenen Organs bloß in dem einen oder
andern Fall eintrete, weil die Bedingungen zu seinem Eintritt in
Jedem Falle vorhanden sind. Jedes Organ besitzt die gewöhnliche
individuelle Variabilität, d. h. es kommen bessere und schlechtere Or-
gane vor. Sobald nun Naturzüchtung aufhört, die Individuen mit
schlechterer Ausrüstung auszumerzen, tritt Panmixie ein, d.h. Kreuzung
von Individuen mit allen möglichen Gütegraden des betreffenden Or-
gans, daraus aber muß mit Notwendigkeit eine progressive Ver-
schlechterung des Organs hervorgehen, da sich der mittlere Gütegrad,
um den herum die individuellen Variationen schwanken, mit jeder
neuen Generation um ein Minimum nach abwärts bewegt.
Wenn nun aber — so schließe ich weiter — mit dem Aufhören
der Selektion stets Panmixie eintreten muß, und wenn ferner diese
allein nachweislich in zahlreichen Fällen die Rückbildung eines Teils
zustande gebracht hat, so haben wir auch in allen andern Fällen
keinen Grund, nach einem fernern Erklärungsprinzip für die Rück-
bildung bei Nichtgebrauch zu suchen. Es wäre begreiflicherweise
möglich, dass zwei oder mehrere Ursachen zusammenwirkten, um die
Wirkung der Rückbildung zu erzielen. Wüssten wir z. B. sicher, dass
erworbene Eigenschaften vererbt werden können, so müssten wir für
die größte Zahl von Rückbildungsfällen ein Zusammenwirken von
Panmixie und funktioneller Atrophie annehmen, da wir aber bis
Jetzt eines jeden Beweises dafür entbehren, so haben wir
kein Recht zu einer solehen Annahme. Am allerwenigsten aber
können wir umgekehrt aus der Thatsache, dass Rückbildung von Organen
48 Weismann, Vererbung erworbener Eigenschaften.
ihrem Nichtgebrauch ungefähr parallel läuft, eine Stütze für die Vor-
stellung entnehmen, dass erworbene Eigenschaften vererbt werden
können.
Zu gunsten dieser Hypothese läßt sich nichts weiter anführen,
als die vermeintlichen direkt beobachteten Fälle, deren oben schon
gedacht wurde, und welche Kant bereits als „Wahn und Erdichtung“,
His als „eine Hand voll Anekdoten“ bezeichnete. Es ist ja trotzdem
möglich, dass ich irre, dass einzelne dieser Fälle doch mehr sind als
Anekdoten, und dass die Zukunft neue Thatsachen kennen lehrt, die
den Beweis für die Vererbung erworbener Charaktere wirklich er-
bringen. Denn bloß daraus, dass uns die Vererbung unverständlich
bleibt, wenn wir diese Annahme als begründet anerkennen müssten,
können wir keinen zureichenden Grund zu ihrer Ableugnung hernehmen.
Auf der andern Seite aber ist die Aussicht, auf Grundlage der Theorie
von der „Kontinuität des Keimplasmas“ zu einem Verständnis der
bisher so völlig dunkeln Vererbungsfrage zu gelangen, eine so ver-
lockende und aussichtsreiche, dass — wie ich schon früher einmal
sagte — „diese Theorie, selbst wenn sie später wieder verlassen werden
müsste, doch als ein notwendiger Durchgangspunkt unserer Erkennt-
nis“ aufgefasst werden darf. „Sie musste aufgestellt und sie muss
durchgearbeitet werden, mag die Zukunft sie als richtig oder als
falsch erweisen“.
Es ist gewiss nur mit Freude zu begrüßen, wenn Anatomen und
Pathologen ihre frühere Zurückhaltung der Deszendenztheorie gegen-
über aufgeben und an der allgemeinen Gedankenarbeit der Zoologen
und Botaniker Anteil nehmen; dazu ist es aber doch wohl unerläss-
lich, dass sie sich zunächst mit den Vorstellungen näher vertraut
machen, in denen wir uns nun schon über zwanzig Jahre hindurch
bewegen mit dem Bestreben, sie nach allen Richtungen hin zu durch-
dringen und zu klären und so allmählich in der Erkenntnis voranzu-
schreiten. Sonst kann an ein ersprießliches Zusammenwirken nicht
gedacht werden.
Der „eigentümliche Widerstreit“, von welchem Virchow an-
nimmt, dass er auf der letzten Versammlung der Naturforscher und
Aerzte in Straßburg „zu Tage trat“, beruhte meiner Ansicht nach
keineswegs darauf, dass „seit der Abspaltung des größten Teiles der
Naturwissenschaften von der Medizin die Mehrzahl der Normal-Biologen
von den Erfahrungen der Pathologen wenig oder gar keine Kenntnis
nimmt“, sondern umgekehrt darauf, dass mindestens ein Teil der
Pathologen den Fortschritten der Biologie nur unvollkommen gefolgt
ist. Das kommt freilich sachlich auf eins heraus: wir verstehen
uns nicht; inbezug auf die so wünschenswerte Heilung dieses Uebels
ist es aber nicht gleichgiltig zu wissen, wo nachgeholfen werden
muss.
Kowalevsky, Entwicklung der Museiden. 49
Zur embryonalen Entwicklung der Museiden.
Von A. Kowalevsky,
Professor in Odessa.
Seit den klassischen Untersuchungen von Weismann!) über die
Entwicklung der Musceiden sind über diesen Gegenstand keine ein-
gehenden Studien publiziert worden. Ich kenne nur eine Angabe von
Graber?), welcher die Sache aber nur nebenbei berührt. — Schon
vor vielen Jahren stellte ich Untersuchungen an über die ersten Vor-
gänge im Musca-Ei und habe schon im Jahre 1873 die Teilung des
Kernes in zwei, vier und mehrere Kerne beobachtet. Diese Präparate
wurden auch damals meinen Zuhörern und Freunden demonstriert;
Jetzt, während meiner Forschungen über das Wesen der Meta-
morphose, ging ich auch an die Untersuchung der embryonalen
Entwicklung, und die hier vorgelegten Resultate waren schon im
Laufe des Jahres 1884 gewonnen.
Ungefähr eine Stunde, nachdem das Ei gelegt ist, beobachtet
man die Teilung des Kernes in zwei, wobei die beiden neugebildeten
Kerne noch ziemlich nahe am vordern zugespitzten Ende des Eies
liegen. Bei den weiteren Teilungen rücken die Kerne immer mehr
nach der Mitte des Eies, und wenn man dann ungefähr 8 Kerne zählt,
so liegen dieselben ganz nahe um das Zentrum des Eies herum.
Jeder Kern besitzt ein kleines Kernkörperchen und ist von außen von
einem breiten Hofe reinen dotterfreien Protoplasmas umgeben. Wenn
die Zahl dieser Kerne oder, genauer gesprochen, Zellen bedeutend
gewachsen ist, begeben sich dieselben an die Peripherie des Eies, auf
welcher während dieser Zeit eine ziemlich dieke Schicht der Keim-
hautblasten sich gebildet hat. Dieselbe entsteht, wie es Weismann
besprochen hat, anfangs am vordern, später am hintern Pol des Eies,
um später von beiden Polen auf die gesamte Dotterfläche sich auszu-
breiten. Die nach außen sich richtenden Zellen erreichen zuerst die
Peripherie des Eies am hintern Pol; hier treten dieselben in die Keim-
hautblastenschicht, durchsetzen dieselbe und treten in den freien Raum
hervor, welcher zwischen dem Ei und der Dotterhaut zu der Zeit be-
steht; ob zu diesen austretenden Zellen ein Teil der Keimhautblasten
sich gesellt, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.
Nach der Bildung der Polzellen erreichen die andern im Innern
des Dotters gelegenen Zellen auch die Peripherie des Eies, wobei
dieselben anfangs am vordern Pol und später auf der gesamten Ober-
fläche des Eies hervortreten. Untersucht man diesen Vorgang an
Längsschnitten, so sieht man, dass die Zellen, bevor sie die Keim-
1) Die Entwicklung der Dipteren im Ei und die Entwicklung von Musca
vomitoria im Ei. Zeitschr. f. wiss. Zool,, Bd. 13, 1863, S. 159.
2) Die Insekten. München, 1879.
v1, 4
50 Kowalevsky, Entwicklung der Museiden.
hautblasten erreichen, den Typus sehr deutlicher kolbenförmiger Zellen
haben, welche mit dem breiten abgerundeten Ende nach der Peripherie
und mit dem ausgezogenen zugespitzten Ende nach innen gerichtet
sind. Während dieser Wanderung geht ein reger Teilungsprozess vor,
wobei man solche kolbenförmige Zellen in verschiedenen Stadien der
Teilung sieht. Wenn dieselben die Keimhautblasten erreicht haben,
verschmilzt das den Zellkörper bildende Plasma mit dem der Sub-
stanz bezw. auch dem Plasma der Keimhautblasten. Es entstehen
in dieser Weise die Blastodermzellen, deren Plasma von zwei ver-
schiedenen Teilen des Eies stammt. Ein Teil im Innern des Dotters
sammelt sich um die Kerne, ein anderer Teil wird aus Keimhaut-
blasten genommen. Ein Teil der Kerne mit Plasma bleibt im Dotter
zurück und bildet die so oft erwähnten Dotterzellen. Nachdem die
Keimhaut angelegt ist, wachsen ihre Zellen in die Länge durch die
Bildung der innern Keimhautblastenschicht, wie es schon genau
von Weismann beschrieben ist. — Damit ist die Keimhaut ferüg,
und es beginnt die Bildung der Rinne.
Die Rinne bildet sich anfangs auf der Bauchseite des Eies, von
seinem vordern Pol aus, zieht sich bis zum hintern Pol, überschreitet
denselben, um noch auf ein Drittteil der Rückenfläche sich fortzusetzen.
Wo die Längsrinne sich früher gebildet hat, da beginnt sie sich auch
früher zu schließen; die Schließung geht also vom vordersten Ende
nach hinten zu, bezw. auch auf die Rückenseite. Die geschlossene
Rinne bildet bekanntlich bei den meisten Insekten die Anlage des
untern Blattes, aus welchem Meso- und Entoderm entstehen.
Mit der Schließung der Rinne ist auch die Bildung der Embryonal-
hüllen verbunden, welche in Form von zwei Falten, wie auch bei
den andern Insekten, entstehen. Nur in einer Beziehung machen diese
Embryonalhüllen der Museiden einen Unterschied von denen der andern
Insekten, dass dieselben nur einen kleinen Teil des Keimstreifens be-
decken, und namentlich nur denjenigen, welcher auf der Rückenseite
liegt; der Teil des Keimstreifens, welcher auf der Bauchseite des
Eies liegt, ist nie von Embryonalhüllen überzogen. Schon Graber!)
hat dies richtig gesehen und in der Fig. 118 seines Werkes „Die
Insekten“ auch abgebildet, aber er hat die Sache nicht eingehender
gewürdigt.
Beim Zusammenziehen des Keimstreifens auf die Bauchseite, in
den späteren Stadien der Entwicklung, wird diese Embryonalhüllen-
falte ausgezogen, und die äußere Lamelle wird unmittelbar zur Haut
der Rückenseite. Die Embryonalhüllen der Museiden sind also sehr
wenig ausgebildet, sie bedecken nur einen kleinen Teil des Keim-
streifens bezw. des Embryos, und gehen unmittelbar in die Haut der
Larve über.
1) Graber, Die Insekten. Zweiter Teil, S. 403, Fig. 118. München 1879.
Kowalevsky, Entwicklung der Museiden. 51
Abgesehen von den Embryonalhüllen besteht also der Keimstreifen
in der 5.—6. Stunde der Entwicklung aus zwei Embryonalblättern:
nämlich dem äußern, dem Ektoderm — und dem innern, dem Meso-
Entoderm, welches letztere aus den Zellen derzusammengefallenen Wände
der geschlossenen Rinne sich gebildet hat. — Im Innern, im Dotter,
sind noch mehrere Kerne eingelagert, welche auch öfters den Dotter
in gewisse Zellenterritorien teilen; diese Zellen aber, welche mancher-
seits für das Entoderm angesehen werden, haben mit diesem nichts
zu schaffen, wie wir später sehen werden.
Die erste Erscheinung nach der Schließung der Rinne und deren
Zerfall in eine gemeinschaftliche Anlage des Ento-Mesoderms ist
die Spaltung dieser beiden Blätter. Diese Spaltung oder Teilung
geht in folgender Weise vor sich. Am Kopfteil des Keimstreifens,
nieht weit vom vordern Ende des Körpers, bildet sich eine Einstülpung
des Ektoderms, welche die Anlage des Vorderdarms darstellt. Diese
Einstülpung, soweit dieselbe nach innen wächst, verdrängt den vordern
Teil des innern Blattes, welcher aufgehoben wird und in Form eines
Uhrglases in den vordern Teil des Dotters eindringt. Dieser uhrglas-
förmige Teil des untern Blattes (Ento-Mesoderms), indem er von dem
sich einsenkenden Vorderdarm aufgehoben wird, teilt sich vom primi-
tiven untern Blatte und stellt jetzt eine selbständige Anlage, näm-
lich die vordere Hälfte des Entoderms dar. Ein ganz ähnlicher Vor-
gang vollzieht sich auch auf dem hintern Ende des Keimstreifens.
Dort nämlich senkt sich auch der Hinterdarm ein und drängt einen
Teil des primitiven untern Blattes vor. Diese vorgedrängte Partie
teilt sich beim weitern Vordringen auch vom primitiven untern
Blatte ab und bildet die hintere Anlage des Entoderms. — Das Ento-
derm besteht also zu dieser Zeit aus zwei uhrglasförmigen Anlagen,
eine am vordern, die andere am hintern Ende des Keimstreifens.
Mit ihren ausgewölbten Teilen sind diese Anlagen nach den respek-
tiven Enden des Keimstreifens gerichtet und mit deren Rändern gegen
einander. Von vorn und hinten umgeben dieselben den Dotter und
wachsen gegenseitig einander zu, bis sie einander begegnen, ver-
schmelzen und den Dotter vollständig einschließen. — Das gegensei-
tige Wachstum der uhrglasförmigen Anlagen des Entoderms geschieht
aber nicht ganz gleichmäßig auf den Rändern der Anlage, sondern
wie von vorn so auch von hinten treten von jeder Anlage zwei Aus-
wüchse hervor, welche, dem Rande des Kernstreifens folgend, schneller
wachsen und sich früher begegnen als die andern Teile des Ento-
derms !). — Die in den Dotter eingeschlossenen Zellen bleiben in
I) Diese Zellenstränge sind von mir in meinen Studien über Hydrophilus
als erste Anlage des Entoderms beschrieben worden. Alle neueren Forscher
haben dieselben gesehen, leiteten sie aber von den Dotterzellen ab (Hertwig,
Cölomtheorie, Taf. II, Fig. 4 u. 5 En).
4*
52 Kowalevsky, Entwicklung der Museiden.
demselben liegen und dienen wahrscheinlich dazu, den Dotter aufzu-
lösen und zu verflüssigen. Auch nachdem der Dotter ganz von dem
Entoderm umgeben ist, findet man noch die Dotterzellen darin liegen
und selbst zu größeren Gruppen sich zusammenzudrängen. — Bei
dieser Umwachsung des Dotters durch das Entoderm ist noch ein
Punkt zu beachten, dass nämlich die Einstülpung des Vorder- und
Hinterdarms nieht unmittelbar an den Eipolen vorgeht, sondern in
gewisser Entfernung von denselben, so dass also der eingestülpte Teil
des primitiven untern Blattes nicht den äußersten vordern und den
äußersten hintern Teil des Dotters umschließt, sondern in den Dot-
ter sich einsenkt und eine Partie desselben (äußerster vorderer
und äußerster hinterer Teil des Dotters) von der zentralen Masse des
Dotters trennt. — Dieser, wenn auch kleine Teil des Dotters, wird
also nicht von dem Entoderm umschlossen, und kommt demnach zwischen
Darm und Körperwand zu liegen. Diese kleinen Partien des Dotters
werden von den hineinwachsenden Zellen des Mesoderms dicht durch-
setzt und verschmelzen vollständig mit den Mesodermzellen.
Der ganze übrige Teil des primitiven untern Blattes bezw. sein
ganzer mittlerer Teil liefert das Mesoderm. Dieses zerfällt dabei
in zwei Teile: erstens in zwei Stränge von Zellen, welche längs der
wachsenden Ausläufer des Entoderms liegen und das Darmmuskelblatt
liefern; der übrige bei weitem umfangreichere Teil des Mesoderms zwei-
tens liefert alle andern vom Mesoderm stammenden Gebilde des Körpers.
Wenn wir jetzt versuchen, diese Bildung des Ento- und Mesoderms
bei den Museciden mit der Bildung dieser Blätter bei andern
Tieren zu vergleichen, so sehen wir erstens, dass hier auch eine
Art sehr in die Länge ausgezogener Gastrula entsteht, und dass aus
dem eingestülpten Teil das Ento- und Mesoderm sich bildet. Also in
diesen allgemeinen Zügen finden wir eine Uebereinstimmung. Es
scheint mir aber, dass die Parallele noch weiter gezogen werden
kann. Namentlich wenn wir der Bildung des Ento-Mesoderms bei
Sagitta uns erinnern, so finden wir bei derselben, dass der eingestülpte
Teil des Blastoderms in drei parallele Säcke zerfällt, von denen der
mittlere das Entoderm liefert, die seitlichen aber das Mesoderm.
ei den Museiden entsteht auch eine solche Einstülpung wie bei
Sagitta, und auch der mittlere Teil — allerdings nur an beiden Enden
vorhanden — liefert das Entoderm, die seitlichen Teile liefern das
Mesoderm: also ähnlich dem, was wir bei der Sagitta beobachten. —
Um die Aehnlichkeit weiter zu führen, kann vorausgesetzt werden,
dass bei der so in die Länge gezogenen Gastrula der Insekten der
mittlere, das Entoderm liefernde Sack so ausgezogen ist, dass er in
der Mitte ganz verschwindet und nur an seinem vordern und hintern
Ende bestehen bleibt. Bei dieser Auffassung wird es von selbst
schon folgen, dass die sich schließende Rinne fast auf ihrer ganzen
Länge nur das Mesoderm liefert.
Kowalevsky, Entwicklung der Musciden. 53
Jetzt bleibt noch die Frage übrig: wie verhalten sich die Flächen
der Gastrula zu den Flächen des sich bildenden Entoderms. Bei der
Sagitta wird die äußere Oberfläche der Blastula nach der Einstülpung
zur innern Oberfläche des Darmkanals, d. h. die Seiten der Zellen,
welche bei der Blastula nach außen gerichtet waren, werden im Darm-
kanal nach seinem Lumen gerichtet. Bei den Insekten kann dasselbe
auch vorausgesetzt werden. Wenn wir uns die eingestülpte Rinne
vorstellen, so sind deren Oberflächen ganz ähnlich gelagert wie bei
der Gastrula; wenn wir weiter die Bildung der beiden Entoderm-
anlagen dem mittlern Sacke der Sagitta vergleichen, so bleibt die
Lagerung der Zellenflächen noch ganz dieselbe. Wenn wir dann vor-
aussetzen, dass der mittlere Sack durch die weite Ausbreitung und
durch das Eindringen der Masse des Dotters gewissermaßen in seinen
vordern und hintern Teil zersprengt ist, so kommt der Dotter ins
Innere des hypothetischen Sackes, und die Zellen, die den Dotter be-
decken, werden zu dem Dotter in derselben Beziehung stehen, wie
bei der Sagıtta zu der eingestülpten Fläche. — Dass das auch wahr-
scheinlich so ist, beweist die Bildung der Gastrula bei dem Fluss-
krebse und bei andern Dekapoden. Es entsteht bei denselben, wenn
wir die Untersuchungen von Bobretsxy!) zugrunde legen, eine
wahre Archigastrula; durch die Entodermzellen dieser Gastrula wird
der Dotter gewissermaßen filtriert und kommt von außen, . also aus
dem Blastocöl, in das Lumen des Darmkanales. — Bei den Insekten
entsteht anstatt dieses Filtrierens bezw. Absorbierens und der darauf-
folgenden Ausscheidung des Dotters ein breiter Riss oder Zersprengung
des mittlern Sackes, und der Dotter kommt in dieselbe Lage und
Beziehung zu den eingestülpten Zellen wie bei den Dekapoden. —
Man kann sich dabei allerdings verschiedene Möglichkeiten denken;
ohne den Riss des mittlern Sackes kann ein einfaches Absorbieren
des Dotters von den Zellen angenommen werden; das Wesentliche
ist, dass die Bildung des Entoderms der Insekten auf dieselbe Art
vorgeht wie bei den höheren Crustaceen bezw. Dekapoden und also
auf eine einfache Gastrulabildung zurückgeführt werden kann.
Auch von andern Seiten besitzen wir Angaben, dass das Ento-
derm von einer Gruppe von Zellen abstammt, welche gar nichts mit
den Dotterzellen zu schaffen haben. Hatschek?) in seinen Bei-
trägen zur Entwicklung der Lepidopteren, Seite 7, sagt folgendes:
„Der Keinstreifen ist aus drei Keimblättern zusammengesetzt, von
denen das Entoderm, als eine Zellmasse von ganz geringer Ausdeh-
nung, auf den vordersten Teil des Keimstreifens beschränkt ist“. Seine
1) Zur Entwicklung des Flusskrebses (Russisch), in den Schriften der
Naturforscher - Gesellschaft zu Kieff 1872.
2) Hatschek, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Lepidopteren.
Inauguraldissertation. Naumburg 1877.
54 Zuntz und Geppert, Natur der normalen Atemreize.
Abbildung Fig. 4 Taf. 1 erläutert das eben Gesagte. — Meine An-
gaben differieren nur insoweit von denen Hatschek’s, dass ich zwei
Entodermplatten finde, die vordere und die hintere, und deren Ab-
stammung von den vorderen und hinteren Enden der geschlossenen
Rinne ableite.
Die Brüder Hertwig!) in ihrer „Cölomtheorie“* versuchen auch
die Vorgänge der Insektenentwicklung auf die Entwicklung der Sagitta
zurückzuführen, machen aber dabei einen großen Fehler, indem sie
die Dotterzellen mit den Entodermzellen identifizieren, die Rinne, also
die Gastrula-Einstülpung, als aus einer solider Zellenplatte bestehend
annehmen. „Die Gastrula-Einstülpung ist nämlich solid“ sagen die
Brüder Hertwig (8. 70). Diese Angabe ist aber für viele Insekten ganz
unrichtig; beim Hydrophilus, den meisten Käfern, der Fliege führt
die Einstülpung zur Bildung eines regelmäßigen und ganz geschlos-
senen Rohres, welches seine selbständigen Wandungen hat, ganz unab-
hängig von den Dotterzellen.
Die Entwicklung des Kopfganglions hat in der Beziehung ein
gewisses Interesse, dass hier zwei Einstülpungen des verdickten Ekto-
derms entstehen, welehe die beiden Hälften des Kopfganglions liefern.
Diese Beobachtung wurde auch von Hatschek in seinem oben
zitierten Werke gemacht, und ganz unrichtig von andern Forschern
geleugnet.
Der Entstehung der Imaginalscheiben widmete ieh auch
meine Aufmerksamkeit, konnte aber die Sache nicht ganz aufklären.
Ich gelangte indess zu dem Resultate, dass dieselben nicht aus der
Zellwand der Tracheen entstehen, sondern dass die schon gebildeten
jungen Imaginalscheibehen mit den Tracheen und Nerven verschmelzen.
Ueber die Natur der normalen Atemreize und den Ort ihrer
Wirkung.
Von N. Zuntz und J. Geppert.
Man betrachtet heute allgemein den Gasgehalt des arteriellen
Blutes als den Regulator der Atembewegungen, und es bestehen nur
noch insofern Kontroversen, als die einen Autoren dem wechselnden
Sauerstoffgehalt, die andern den Schwankungen der Kohlensäure den
srößern Einfluss zuschreiben. Auch darüber herrscht kaum ein Zweifel,
dass die Blutgase die nervösen Zentralapparate der Atmung direkt
erregen. Ein einfacher Versuch zeigt, dass diese Erklärung nicht
genügt. Wenn man einem auf Ziehen dressierten Hunde unter Aus-
schluss jeglicher sensibler Erregung arterielles Blut, das eine Mal
4) Ose. und Rich. Hertwig, Die Cölomtheorie, S. 70.
Zuntz und Geppert, Natur der normalen Atemreize. 55
während der Arbeit, das andere Mal bei Ruhe entnimmt, findet man
es im erstern Falle reicher an Sauerstoff und ärmer an Kohlensäure.
Die während der Arbeit eintretende enorme Verstärkung der Atmung
hat also den. vermehrten Sauerstoffverbrauch und die gesteigerte
Kohlensäurebildung überkompensiert. Die Atemsteigerung ist dem-
nach aus dem Gasgehalt des in die nervösen Zentren eintretenden
arteriellen Blutes nicht zu erklären.
Es blieben nun folgende Möglichkeiten, welche der experimen-
tellen Prüfung zu unterwerfen waren: 1) Die Muskelarbeit liefert dem
Blute bisher unbekannte Substanzen, welche die Atemzentren erregen.
2) Es wäre denkbar, dass in der Muskelsubstanz selbst zentripetal
leitende Nerven endigen, deren Erregung das Atemzentrum zu ge-
steigerter Thätigkeit veranlasst, und es wäre dann die Annahme be-
rechtigt, dass diese Nerven durch die bei der Muskelkontraktion sich
abspielenden Vorgänge gereizt werden. Diese früher von Volk-
mann namentlich verfochtene Anschauung erscheint uns durch Ro-
senthal’s Experimente nicht vollkommen widerlegt. 3) Durch die
Willensimpulse werden gleichzeitig die Muskeln in Thätigkeit gesetzt
und die Atemzentren unwillkürlich miterregt. Die zweite und dritte
Möglichkeit konnten gleichzeitig geprüft werden, indem wir in Mus-
keln, welche dem Einflusse des Willens entzogen und der Sensibilität
beraubt waren, durch künstliche Reizung Kontraktion hervorbrachten
und deren Effekt auf die Atmung und die Blutgase beobachteten.
Jede nervöse Verbindung zwischen den thätigen Muskeln und den
Atemzentren wurde durch Trennung des Rückenmarks zwischen dem
achten und zwölften Brustwirbel zerstört. Nach dieser Operation
konnte durch elektrische Reizung der Hüftnerven ein andauernder
kräftiger Tetanus der hintern Extremitäten erzeugt werden, ohne
dass das Tier irgend eine Empfindung davon hatte. Der Effekt auf
die Atmung war nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ der-
selbe wie bei willkürlicher Arbeit. Auch die arteriellen Blutgase
waren in demselben Sinne verändert wie bei der willkürlichen Mus-
kelthätigkeit. 4) Es bleibt eine letzte wiewohl wenig wahrschein-
liche Möglichkeit, die Erscheinung doch noch aus der Wirkung der
Blutgase zu erklären: das bei der Muskelthätigkeit venöser in die
Lungen eintretende Blut konnte hier auf Nervenendigungen wirken,
deren Erregung reflektorisch die verstärkte Atmung vermittelt. Auch
diese Möglichkeit war ausgeschlossen, als die Wirkung des Tetanus
unverändert blieb, nachdem alle Nervenbahnen zwischen Lunge und
Atemzentrum getrennt waren, d. h. nachdem das Rückenmark am
siebenten Halswirbel und alle Nerven des Halses mit Ausnahme der
Phreniei im Niveau der obern Brustapertur durchschnitten waren. —
Unsere Versuche führen zu folgenden Schlüssen: 1) Die Regulation
der Atmung wird im wesentlichen durch die Beschaffenheit (und
Menge) des in die betreffenden nervösen Zentren eintretenden Blutes
56 Paneth, Hirnrinde neugeborner Hunde.
vermittelt. 2) Außer dem Sauerstoff- und Kohlensäuregehalt des
Blutes wirkt noch ein unbekannter, namentlich durch die Muskel-
thätigkeit in größeren Mengen sich bildender Stoff, welcher auch bei
Gegenwart überschüssigen Sauerstoffs eine Zeit lang wirksam bleibt.
Ueber die Erregbarkeit der Hirnrinde neugeborner Hunde.
Von Dr. Joseph Paneth.
Die Frage, ob der Effekt der elektrischen Reizung bestimmter
Stellen der Hirnrinde, wie ihn Hitzig und Fritsch beschrieben
haben, auch bei neugebornen Tieren, respektive schon in den ersten
Tagen des Extrauterinlebens, wahrzunehmen sei, wird von verschie-
denen Autoren und für verschiedene Tiere nicht übereinstimmend be-
antwortet. Soltmann!), der sie sich zuerst vorlegte und durch
eine große Zahl von Experimenten zu beantworten suchte, kam zu
dem Resultate, dass erst nach dem 10. Tage die Hirnrinde erregbar
werde, und zwar nicht für alle in Frage kommenden Muskeln gleich-
zeitig, sondern zuerst für das gekreuzte Vorderbein. Die erregbare
Partie fand er anfänglich größer als später. Seine Versuchstiere
waren hauptsächlich Hunde (außerdem Kaninchen); er narkotisierte
den größten Teil seiner Objekte, wie es scheint, und fand, dass das
Morphin dabei bessere Dienste leiste als Chloroform und Aether; er
wendete von ersterem relativ große Dosen (0,04—0,06 g) an. Die
elektrische Reizung wurde mit verschieden starken konstanten Strömen
vorgenommen. Die Ursache der Unerregbarkeit suchte er in dem
Fehlen der Markscheide, welche bei der Fortleitung des Reizes die
Rolle eines Isolators spiele; so gerate der Reiz auf Abwege.
Das Resultat der Soltmann’schen Untersuehung, dessen Glaub-
würdigkeit durch manche theoretische Erwägungen erhöht wurde, ist
auch in Gesamtdarstellungen der Lehre vom Gehirn übergegangen und
scheint — wenigstens in Deutschland und Oesterreich — als bewiesene
Thatsache angesehen worden zu sein.
Bald nachher erschien eine Arbeit von Tarehanoff?) über das-
selbe Thema. Tarchanoff, der nicht einfach von der Erregbarkeit
der Hirnrinde, sondern von der Existenz und Entwieklung psycho-
motorischer Uentra spricht, suchte dieselben zunächst bei Tieren, die
entwickelter zur Welt kommen, als Kaninchen und Hunde: bei Meer-
schweinchen. Er konnte bei diesen nicht nur nach der Geburt, son-
1) Soltmann, Experimentelle Studien über die Funktion des Großhirns
bei Neugeborenen. Archiv für Kinderheilkunde, IX, 1876.
2) Tarchanoff, Sur les centres psychomoteurs des animaux nouveaunes
et leur d&veloppement dans diff&rentes conditions. Revue mensuelle de mede-
eine et de chirurgie, 1878, p. 721 et 826.
Paneth, Hirnrinde neugeborner Hnnde. 57
dern sogar schon gegen das Ende der Tragzeit in utero vom Hirn
aus Kaubewegungen, Zuckungen der gekreuzten Vorder- und Hinter-
pfote erzeugen. Er fand das Gehirn dieser Tiere makroskopisch und
mikroskopisch entwickelter als das von Kaninchen; es zeigt nämlich
Windungen, die letzterem fehlen und enthält Pyramidenzellen und
markhaltige Nervenfasern, die beim Kaninchen noch nicht vorhanden
sind. Auch die chemische Untersuchung bestätigte das; denn das
Gehirn des Meerschweinchens zeigte gegenüber dem des Kaninchens
eine Annäherung an die beim erwachsenen Tier stattfindenden Ver-
hältnisse durch seinen größern Gehalt an festen Bestandteilen und
Phosphor. Bei Kaninchen konnte er das Resultat der Soltmann’schen
Untersuchung bestätigen, auch für den Fall, dass die Tiere vor Ab-
kühlung geschützt wurden. Erst am 11.—13. Tage post partum fand
er die psychomotorischen Zentren. Er schließt aus alle dem, dass
verschiedene Tierspecies verschieden entwickelt zur Welt kommen.
Die Entwicklung der psychomotorischen Zentren (sowie des Nerven-
systems überhaupt) konnte er bei Hunden und Kaninchen beschleu-
nigen, durch kleine Dosen Phosphor, oder dadurch, dass er die
Tierchen täglich 1—2 Stunden lang mit dem Kopf nach unten auf-
hing und ihnen so Hirnhyperämie erzeugte; oder auch verzögern,
durch kleine Dosen Alkohol. Doch wurde die Untersuchung an 4 bis
6 Wochen alten Tieren angestellt; und dieser Teil der Tarchanoff’-
schen Abhandlung interessiert uns für diesmal nicht.
Tarehanoff erwähnt ferner, dass Rouget in einem vor der
Societe de biologie in Paris gehaltenen Vortrage die Unerregbarkeit
des Gehirns neugeborner Tiere, sogar etwas früher als Soltmann,
behauptet habe.
Marcacci') hat an Hunden, die unmittelbar vor dem natür-
lichen Ende der Schwangerschaft durch Sectio eaesarea zur Welt be-
fördert worden waren, im chloroformierten Zustand nur dadurch ge-
kreuzte Bewegungen hervorrufen können, dass er die Elektroden
1—2 mm tief in die Hirnrinde einsenkte. Bei 2 Tage alten Hunden
und Katzen dagegen war er im stande, schon durch bloße Berührung
der Hirnrinde — appoggiando leggiermente — wohl charakterisierte
— distintissimi — gekreuzte Zuekungen hervorzurufen.
Ich entnehme ferner Marcacei (a. a. O.) die Notiz, dass Le-
moine (dessen Abhandlung mir im Original leider nieht zugänglich
war), im Laboratorium von B&elard an neugebornen Hunden und
Katzen gleichfalls von der Hirnrinde aus Bewegungen der gekreuzten
Extremitäten hervorrufen konnte, und zwar leichter der vordern als
der hintern, sowie, dass auf Lemoine’s Veranlassung Duval das
Gehirn dieser Tiere mikroskopisch untersuchte und die Abwesenheit
1) Marcacei, Centri motori corticali. Estratto dal giornale della R.
Aceademia di Torino. Torino 1882, p. 91.
58 Paneth, Hirnrinde neugeborner Hunde.
der charakteristischen Pyramidenzellen konstatierte, die in der Hirn-
rinde erwachsener Hunde nicht fehlen. An ihrer Stelle fanden sich
nur Rundzellen, manchmal mit einer kleinen Verlängerung.
Dagegen konnte sich Crosnier de Varigny'), der im Labora-
torium von Vulpian seine Versuche anstellte, bei zwei Hunden von
1—2 Tagen weder in der Chloralhydratnarkose, noch im wachen Zu-
stande von der elektrischen Erregbarkeit der Hirnrinde überzeugen.
Somit ist diese bei neugebornen Tieren weder streng bewiesen
in dem Sinne, dass für die positiven Erfolge elektrischer Reizung
derselben die Möglichkeit, dass sie auf Stromschleifen in die Tiefe
beruht haben könnten, ausgeschlossen erschiene, noch kann sie, an-
gesichts mehrfacher positiver Angaben, als widerlegt gelten. Ich be-
nutzte daher die sich mir wiederholt darbietende Gelegenheit, um über
diese Frage womöglich ins klare zu kommen. Herrn Prof. Exner
danke ich herzlichst für seine Mitwirkung an diesen Experimenten.
Es wurde stets an nicht narkotisierten Tieren experimentiert. Die
große Empfindlichkeit sehr junger Menschen gegen Narkotica, insbe-
sondere gegen Morphin, ist eine allbekannte Thatsache ?). Ich selbst
habe wiederholt gesehen, dass die Hirnrinde von jungen Hunden, die
mit Morphin narkotisiert waren, unerregbar war. Aus diesem Grunde
habe ich im allgemeinen Narkose vermieden und nur in zwei Fällen
versucht, durch Vorhalten eines mit Chloroform getränkten Schwam-
mes die spontanen Bewegungen der Tierchen zu besänftigen; diese
Experimente gaben das eine einen negativen, das andere bloß einen
wahrscheinlichen Erfolg. Die Tiere wurden sorgfältig, eventuell durch
Einpacken in Watte, vor Abkühlung geschützt. Die Reizung wurde
durch momentanes Aufsetzen von Platinelektroden bewirkt, die mit
der sekundären Rolle eines du Bois’schen Schlittenapparats in Ver-
bindung standen. Derselbe wurde durch ein Chromsäure-Element in
Thätigkeit versetzt. Die Rollendistanz war verschieden groß und
betrug meistens 6—12 em. Es ist selbstverständlich, dass zur Reizung
stets Momente benutzt wurden, in denen die Tiere rubig waren.
Uebrigens unterscheiden sich die Bewegungen nach Reizung der Hirn-
rinde außer durch ihr zeitliches Zusammentreffen mit dem Moment
des Reizes auch durch ihren Charakter von den spontanen Bewegungen
des Tierchens. Sie sind nämlich viel brüsker, und manche von ihnen,
z. B. die Spreizung der Zehen, scheint sonst überhaupt nicht vorzu-
kommen. Sie betreffen zumeist die gekreuzte vordere Extremität in
allen ihren Teilen; manchmal, aber sehwächer, auch die gleichnamige
4) Crosnier de Varigny, Recherches exp6rimentales sur l’exeitabilite
des eirconvolutions c&er&brales, Paris 1884.
2) Vgl. Nothnagel und Rossbach, Handbuch der Arzneimittellehre,
3. Aufl, S. 611; ferner Ziemssen, Handb. der spez. Pathologie u. Therapie,
Intoxikationen, 8. 525.
Paneth, Hirnrinde neugeborner Hunde. 59
vordere, seltener die gekreuzte hintere Extremität. In einem Falle
konnten auch Zuckungen im Bereich der Pars respiratoria des N. fa-
cialis erzeugt werden.
Das Hirn wurde immer möglichst rasch und in größerer Ausdeh-
nung freigelegt. Es hat nämlich bei neugebornen Hunden sehr große
Neigung zu prolabieren und wird dann durch die Ränder der Lücke
in den Schädeldecken eingeschnürt und verletzt, was sich durch aus-
giebige Eröffnung des Schädels vermeiden lässt. Außerdem war es
auf diese Weise möglich, die Hirnoberfläche abzutasten und zu eruieren,
ob die Bewegungen von allen Stellen auszulösen waren oder nicht.
Es wurde dann noch durch Um- und Unterschneidung der Stelle, die
sich als erregbar gezeigt hatte, oder durch Unterschneidung allein
und nachfolgende Reizung mit viel stärkeren Strömen als zuvor der
Beweis intendiert, dass der Effekt nicht darauf beruht habe, dass
tiefer gelegene Hirnanteile, deren Erregbarkeit schon Soltmann
konstatierte und auch ich wiederholt sah, von Stromschleifen getroffen
wurden. Selbstverständlich durfte nach Unterschneidung kein Effekt
mehr auftreten, wenn das Experiment Beweiskraft haben sollte.
Im Vorstehenden sind schon größtenteils die Kriterien angegeben,
nach denen entschieden wurde, ob ein Versuch „positives“, „negatives“,
oder ein „wahrscheinliches“ Resultat ergeben habe. Um das erstge-
nannte anzunehmen, verlangte ich:
1) Zeitliches Zusammentreffen der Bewegung mit dem in einem
Moment der Ruhe des Tieres applizierten Reize,
2) Brüsken, schleudernden Charakter der Bewegungen und Be-
schränkung derselben auf Extremitäten-, ohne Beteiligung der Rumpf-
muskeln.
3) Beschränkung der erregbaren Stelle auf ein bestimmtes Areal
der Hirnrinde. Die Reizung an andern Orten musste erfolglos sein,
ebenso die Applikation der Elektroden an den Knochenrand.
4) Nach Um- und Unterschneidung, oder nach letzterer allein,
musste der Effekt vollständig aufhören, auch für viel stärkere Ströme,
als die zuvor angewendeten.
In mehreren Fällen wurde konstatiert, dass die Unterschneidung,
die höchstens 0,5 em tief war, die Stammganglien nicht herührte.
Fehlte eines von den sub 1—4 angeführten Kriterien,
so ist, auch wenn alle übrigen zutrafen, der betreffende
Versuch nur als „wahrscheinlich“ gerechnet.
Folgende Tiere standen mir zugebote:
2 von höchstens 18 Stunden extrauterinen Lebensalters.
1 ” ” 24 ” ” ”
2 n I] 3 6 ” ” ”
4 » ” 48 ” ” N
An 4 von diesen wurden beide Hemisphären zum Versuche be-
nutzt. Diese Experimente sind doppelt gerechnet. Es ergaben acht
60 Paneth, Hirnrinde neugeborner Hunde.
Versuche ein positves, vier ein wahrscheinliches, einer ein negatives
Resultat.
Es scheint mir hiermit bewiesen zu sein, dass schon in den ersten
extrauterinen Lebenstagen die Hirnrinde der Hunde erregbar ist.
Hiervou abweichende Resultate können durch den Einfluss der
Narkose, durch zu langsames Operieren, Abkühlung der Tiere, über-
mäßigen Blutverlust bewirkt sein. Belehrend nach dieser Richtung
waren zwei Experimente an 18 Stunden alten Tieren. An der zuerst
freigelegten Hemisphäre fiel der Versuch bei beiden „positiv“ aus.
Die Bewegungen persistierten nach Umsehneidung der erregbaren
Partie, hörten nach Unterschneidung vollständig auf. Bei Reizung
der andern Hemisphäre traten in beiden Fällen anfangs gekreuzte
Zuckungen auf, ganz so, wie auf der andern Seite; aber die Erreg-
barkeit sank zusehends, alsbald konnte auch mit den stärksten Strö-
men nichts mehr erreicht werden, und der Versuch ergab nur ein
„wahrscheinliches“ Resultat. Das scheint mir deutlich zu zeigen, wie
der traumatische Eingriff allein unter Umständen hinreichen kann,
die Erregbarkeit der Hirnrinde bei so zarten Organismen zu ver-
nichten.
Die erregbare Stelle von 1—2 em Fläche lag immer in der Gegend
des Suleus erueiatus; dieser selbst war in einigen Fällen deutlich zu
erkennen, in andern nur angedeutet. Die übrige Hirnoberfläche war
unerregbar.
Das erregbare Stück wurde in zwei Fällen exzidiert und nach
der von Exner!) angegebenen Osmiummethode auf die Anwesenheit
markhaltiger Fasern untersucht. Dieselben fehlten vollständig.
Nachträglich durch die Güte des Herrn Prof. Obersteiner in
den Besitz der Lemoine’schen Arbeit?) gelangt, entnehme ich der-
selben noch, dass er bei neugebornen Hunden (2) und Katzen (3)
„den Erfolg der Reizung der Hirnrinde ganz ebenso wie beim Er-
wachsenen“ gesehen hat. Während aber Mareacei und Lemoine
aus ihren Resultaten, zusammen mit dem histologisch unvollkommenen
Bau der Hirnrinde neugeborner Tiere den Schluss ziehen, dass die
Erregung auch bei Erwachsenen eigentlich nielit in ihr, sondern in
tiefern Partien stattfinde, nötigt mich schon der Umstand, dass die
Unterschneidung den Effekt der Reizung aufhebt, die Hirnrinde als
das Erregbare anzusehen — von allen andern Gründen, die hierfür
beim Erwachsenen sprechen, abgesehen.
Angesichts der thatsächlichen Uebereinstimmung zwischen Le-
moine, Mareaceci und mir, kann die eingangs erwähnte Behaup-
tung Soltmann’s wohl nicht mehr als richtig gelten.
1) S. Exner, Zur Kenntnis vom feinern Bau der Großhirnrinde. Sitzungs-
berichte der k. Akad. d. Wissensch , III. Abt., Februar-Heft, 1881.
2) A. Lemoine, Contribution A la determination et A l’&tude experimen-
tale des localisations fonctionelles enc&phaliques. These. Paris 1880, p. 46.
Fischer und Penzoldt, Ueber die Empfindlichkeit des Geruchssinnes. 61
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
Physikalisch-medizinische Sozietät zu Erlangen.
Emil Fischer und Franz Penzoldt, „Ueber die Empfind-
lichkeit des Geruehssinnes“.
Zuverlässige Bestimmungen der Gewichtsmengen riechender Sub-
stanzen, welche nötig sind, um Geruchsempfindung hervorzurufen,
sind unseres Wissens nur von Valentin!) ausgeführt worden. Der-
selbe fand mittels einer ziemlich umständlichen Methode, dass ein
Luftstrom, der im Kubikeentimeter !/y, 000 mg Brom, oder "sooo Mg
Schwefelwasserstoff, oder !yoo0.000 mg Rosenöl enthielt, noch deut-
lich den Geruch dieser Stoffe erkennen ließ.
Da er die Luftmenge, welche die geruchsperzipierenden Abschnitte
der Nasenhöhle passieren muss, um eine Empfindung hervorzurufen,
auf 50—100 Kubikceentimeter schätzte, so berechnet er die durch den
Geruch erkennbaren Mengen auf ’/oo mg für Brom, oo mg für
Schwefelwasserstoff, und !/,yo0o0 Mg für Rosenöl.
Gelegentlich einer zu andern Zwecken unternommenen Unter-
suchung über den Geruchssinn, welche bald durch äußere Umstände
unterbrochen wurde, haben wir ähnliche Versuche mit andern stärker
riechenden Stoffen angestellt und sind dabei zu sehr viel kleineren
Werten gelangt.
Die von uns benutzte Methode war folgende: Als Versuchsraum
diente ein leerer Saal von 230 Kubikmeter Inhalt mit getünchten
Wänden und Steinboden. Von der zu untersuchenden Substanz wurde
1 g genau abgewogen, in 1 Liter reinem Alkohol gelöst und von
dieser Lösung 5 ebem abermals mit Alkohol in bestimmtem Verhältnis
verdünnt. Von der letzten Mischung wurden 1—3 ebem in eine kleine
Flasche abgemessen, welche ähnlich den Waschapparaten für Gase
einen doppelt durchbohrten mit 2 gebogenen Glasröhren versehenen
Kork trug.
Das Abwägen, Verdünnen und Abmessen der riechenden Sub-
stanz, sowie das Reinigen der äußern Wände der Flasche geschah
durch eine beim Versuch selbst nicht beteiligte Person im chemischen
Laboratorium weit entfernt von dem benutzten Saale.
Für den Versuch selbst wurde der Inhalt der Flasche von dem
Einen von uns (F.) in dem allseitig geschlossenen Saale mit einem
kleinen Handgebläse nach allen Richtungen verdampft, was 5—10 Mi-
nuten dauerte und hierauf die Luft des Raumes mit einer großen
Fahne etwa 10 Minuten lang sehr sorgfältig gemischt.
Auf ein gegebenes Zeichen trat der Andere (P.) ein, um den
Geruch zu prüfen.
Wir versäumten übrigens nicht, das Resultat durch eine unbe-
fangene, gebildete dritte Person kontrolieren zu lassen.
1) Valentin, Lehrb. d. Physiol, 1848, II, 2, 8. 279 ft.
62 Fischer und Penzoldt, Ueber die Empfindlichkeit des Geruchssinnes.
In der angegebenen Weise wurden nach einer orientierenden Aus-
wahl unter verschiedenen Riechstoffen das Mercaptan und Chlor-
phenol genauer geprüft.
Mercaptan.
1. Versuch. 2 mg Mercaptan verdampft:
Ueberall äußerst starker anhaltender Gestank, welcher selbst
durch Oeffnen von 4 Fenstern und 2 Thüren und Herstellung eines
lebhaften Luftzugs nicht beseitigt wurde und noch !/, Stunde später,
nachdem die Fenster wieder geschlossen waren, recht deutlich war.
Bei einer Verdünnung von 2 mg Mercaptan in 230 cbm kommt
auf den Cbem Luft 15000000 Mg, was ungefähr einem Volumver-
hältnis von Mercaptan zur Luft = 1:300000000 entspricht.
Das eklatante Resultat dieses Versuchs bewog uns mit der zu
prüfenden Quantität rasch herunterzugehen.
2. Versuch. 0,01 mg Mercaptan verdampft.
P. hatte schwache, aber deutliche Geruchsempfindung, ebenso die
kontrolierende Person, während F., wahrscheinlich durch die Ge-
wöhnung an den Geruch während des Verdampfens und Mischens
unempfindlich gemacht, nichts wahrnahm.
Es war somit wohl die Grenze erreicht.
Verdünnung in 1 cbem Luft Y/, 3000000 mg Mercaptan.
Volumverhältnis von Mercaptan zur Luft abgerundet:
1: 60. 000. 000 000.
Chlorphenol.
3. Versuch. 1 mg Chlorphenol verdampft.
Der Geruch war für P., sowie für die kontrolierende Person un-
zweifelhaft sehr deutlich.
Verdünnung: 1 ebem Luft enthielt "/a30 000 o0oo mg Chlorphenol.
Volumsverhältnis von Chlorphenol zur Luft —= 1:1320000000.
Um aus diesen Zahlen die absolute durch die Nase noch wahr-
nehmbare Gewichtsmenge jener Stoffe zu berechnen, war es nötig die
Luftmenge zu bestimmen, welche die Nase bezw. die Regio olfaetoria
während einer Geruchsempfindung passieren muss.
Am günstigsten für das Riechen sind die Bedingungen beim
Schnüffen d. h. bei kurzen Inspirationen durch die Nase, bei welchen
durch eine Verengerung der Naseneingänge eine starke wirbelförmige
Bewegung der einströmenden Luft hervergerufen wird.
Dieses Schnüffeln konnte nun P. in der gleichen Weise, wie es
bei den oben geschilderten Versuchen geschehen, nach einer tiefen
Exspiration 20 mal wiederholen, bis sich seine Lungen mit Luft ge-
füllt d. h. 5000 ebem eingeatmet hatten. Es passierten also beim ein-
maligen Schnüffeln ungefähr 550 ebem die gesamte Nasenhöhle.
Nach den Angaben über die Ausbreitung des Riechnerven |Henle]')
1) Henle, Handbuch der Anatomie, 1873, IL, $ 855, 861.
Fischer und Penzoldt, Ueber die Empfindlichkeit des Geruchssinnes. 63
kann man den Kubikinhalt des der Regio olfactoria entsprechenden
Teils des Cavum nasi im Verhältnis zum übrigen Hohlraum gut ge-
rechnet höchstens wie 1:5 taxieren. Wir kamen auf diese Weise
darauf, dass 50 ebem Luft zu einer Geruchsperzeption notwendig sind,
also etwa zu demselben Resultat wie Valentin. Bedenkt man aber,
dass auf dem direktesten Wege in den weiten untern Nasengängen
wahrscheinlich im Verhältnis viel mehr Luft nach den Lungen strömt,
als auf dem Umwege durch die enge Regio olfactoria, so erscheint
selbst die Quantität von 50 cbem als zu hoch. Legen wir aber diese
Zahl, um a fortiori zu beweisen, unserer Berechnung zu grunde, so
ergibt sich, dass für eine Geruchswahrnehmung ausreichen:
1 re
600000 8 Chlorphenol
1 A
460.000 000 8 Mercaptan.
Das Mercaptan ist also im stande in außerordentlich viel kleineren
Mengen, als es irgend eine der von Valentin geprüften chemischen
Substanzen gethan hat, den Riechnerven zu erregen.
Es scheit uns nicht überflüssig diese Zahl zu vergleichen mit den
Gewichtsmengen nancher Metalle, welche durch die schärfste aller
chemischen Methoden, die Spektralanalyse, erkannt werden können.
Kirchhoff und Bunsen!) fanden, dass nach dem Verpuffen von
3 mg cehlorsaurem Natron in einem Zimmer von 60 ebm Inhalt die
Natriumlinie 10 Minuten lang sichtbar war. Da während der Beob-
achtungszeit etwa 50 ebem Luft die Flamme passierten, so schätzen sie
die für das Auge leicht erkennbaren Mengen des Natronsalzes auf
weniger als mei) awas mg Natrium entspre-
1
300 000
chen würde. Bei unserem Versuche war der Mercaptangehalt der
Luft (0,01 mg auf 230 em) ungefähr 250 mal geringer als der Na-
triumgehalt bei dem Versuche von K. u. B.
Diese außerordentliche Empfindlichkeit der Nase gegen Mercaptan
legt den Gedanken nahe, dasselbe zu benutzen bei Versuchen über
Luftströmungen, Diffusion von Gasen, bei der Prüfung von Ventila-
tionsvorrichtungen oder bei geologischen und bergmännischen Studien
über Spalten, Gänge und Wasserläufe im Gebirge.
Der Preis des Präparates (100 g 27 Mark), welches bis jetzt
nur als Curiosum in den chemischen Sammlungen figurierte, würde
sich bei größerem Bedarf sehr erheblich vermindern, und in den
meisten Fällen wird auch eine kleine Quantität für den Versuch ge-
1) Poggendorff’s Annalen, Band 110, S. 168.
2) In der Abhandlung ist irrtümlich, wohl in Folge eines Druckfehlers
1
3000. 000 mg angegeben.
64 Wittrock, Geschlechterverteilung b. Acer platanoides u. andern Acer-Arten.
nügen; denn 1g des Stoffes reicht aus, um zum mindesten 500000 ebm
Luft so stark zu infizieren, dass selbst eine wenig scharfe und ganz
ungeübte Nase den Geruch erkennen muss.
V. B. Wittrock, Ueber die Geschlechterverteilung bei Acer
plalanoides L. und einigen andern Acer- Arten.
Bot. Centralbl, XXV, 8. 55 -68.
Die Verteilung der Geschlechter bei den Ahornarten ist merkwürdiger-
weise bisher einer gründlichern Untersuchung nicht unterzogen worden. Verf.
hat diese Untersuchung zunächst für Acer platanoides L. an zwei in klimati-
scher Hinsicht ete. sehr verschiedenen Orten, Stockholm und Budapest, vor-
genommen. Die Blüten dieses Baumes sind entweder männlich, oder sie ent-
halten außer den Stempeln nicht funktionierende Staubblätter, sind also nur
scheinbar hermaphrodit, in Wirklichkeit weiblich. Die Inflorescenz ist nach
der Auffassung FEichler’s, der sich Verf. anschließt, eine mit Gipfelblüte
versehene Doldentraube und besteht aus einer Hauptaxe und Nebenaxen von
2—4 Ordnungen und 3—5 Blütengenerationen (von denen die Blüte der Haupt-
axe die erste Generation darstellt).
Es kommen nun bei Acer platanoides L. fünf verschiedene Arten von
Inflorescenzen vor, von denen jede auf einen besondern Baum beschränkt ist,
nur ausnahmsweise zwei oder drei auf ein und demselben Baum vorkommen,
und welche von dem einzelnen Baum alljährlich in der gleichen Weise erzeugt
werden:
1) solehe, welche auschließlich aus weiblichen Blüten bestehen;
2) solche, bei denen die zuerst entwickelten Blüten weiblich, die später
entwickelten männlich sind;
3) solche, bei denen die zuerst entwickelte Blüte (die Gipfelblüte) männ-
lich ist, die folgenden Blüten aber teils männlich, teils weiblich, sowie
die zuletzt auftretenden meistenteils männlich sind;
4) solche, bei denen die zuerst entwickelten Blüten männlich, die später
entwickelten weiblich sind, sowie
5) solche, wo alle Blüten männlich sind.
Die am allgemeinsten vorkommenden Inflorescenztypen sind Nr. 2 (be-
obachtet bei ca. 40°), der untersuchten Bäume) und Nr. 4 (bei ca. 22°/,), s0
dass also eine Heterodichogamie (vgl. Bot. Jahresbericht, 1878, 8. 310) vorzu-
herrschen scheint, wie sie bei Juglans regia und andern Monöeisten bekannt
und wahrscheinlich weiter verbreitet ist [Ref.].
Ausschließlich weibliche Inflorescenzen wurden bei nicht ganz 1"/,, männ-
liche bei ca. 12°, und gemischte vom Typus Nr. 3 bei ca. 3°, der unter-
suchten Bäume gefunden.
Acer campestre L. scheint dem Verf. im wesentlichen mit A. platanoides L.
übereinzustimmen, während bei Acer Pseudoplatanus L nur die Inflorescenz-
typen Nr. 2 und 4 und 3 beobachtet wurden. Es scheint also auch hier die
Heterodichogamie (gleichzeitiges Vorkommen proteraudischer und proterogyni-
scher Stöcke) bereits ausgeprägt zu sein. Dagegen ist Acer Negundo bEranitE
lich diöeisch. Für diese Art fand Verf. von 300 blütenden Bäumen 143 2,
157 S', so dass auf 100 2 109,8 d kamen. (für Mereurialis annua hat bekannt
lich Heyer aus der großen Zahl das Verhältnis von 100 2 zu 105,86 abge-
leitet, bei Cannabis ist es 100: 86.) FE. Ludwig (Greiz).
Verlag vi von Eduard Besold i in Erlangen. . — _ Druck von "Junge & Sohn i in Erlangen.
Biologisches Centralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
v1 Band. 1. April 1886. Nr. 3,
Inhalt: Pringsheim, Ueber die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. —
Volkens, Zur Flora der ägyptisch -arabischen Wüste. — Kowalevsky, Zum
Verhalten des Rückengefäßes und des guirlandenförmigen Zellenstrangs der
Museiden. — Albreeht, Zur Odontologie der Kieferspalte bei der Hasen-
scharte. (Mit Abbildung.) — Pasteur und seine Methode gegen die Ansteckung
der Tollwut. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
Physiologische und Physikalische Gesellschaft zu Berlin. — Möbius, Phoeni-
eurus redivivu. — Pansch, Grundriss der Anatomie des Menschen. —
Kongress für innere Medizin.
Ueber die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
Von N. Pringsheim ').
Die Kontroverse über den Gang der Sauerstoffabgabe assimilieren-
der Gewebe ist noch keineswegs abgeschlossen. Für mieh und die
Aufgabe, die ich bei meiner Untersuchung im Auge habe, liegt das
Interesse an derselben wesentlich in dem Aufschlusse, den der Ver-
lauf der Sauerstoffabgabe im Spektrum über die Beziehungen zu
geben vermag, die zwischen den Lichtabsorptionen in der Pflanze
und dem Gaswechsel derselben bestehen. Nun habe ich bereits an
anderer Stelle gezeigt, dass sich aus der relativen Lage der Maxima
von Absorption und Sauerstoffabgabe im Spektrum Folgerungen hier-
über ableiten lassen, die offenbar geeignet sind, das sonst unverständ-
liche Absorptionsspektrum der Chlorophylistoffe begreiflich zu machen
und zu einem biologischen Verständnis der gemeinsamen Farbe aller
assimilierenden Pflanzen führen können. Aber diesen Folgerungen
stehen bis jetzt noch, zum Teil wenigstens, Schwierigkeiten im Wege,
welche die Unsicherheit der Beobachtungen im Makrospektrum
über die relative Lage der Maxima von Absorption und Sauer-
stoffabgabe geschaffen hat.
1) Der folgende Artikel ist ein nur wenig gekürzter Abdruck aus den
Sitzungsberichten der k. preuß. Akademie der Wissenschaften, 1886, VI.
VI. 5
6b Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
Es behaupten bekanntlich einige Beobachter der Erscheinung im
Makrospektrum noch immer die genaue Koinzidenz dieser Maxima,
während andere sie mit voller Bestimmtheit in Abrede stellen. Noch
andere endlich geben zwar zu, dass die Koinzidenz in der blau-
violetten Hälfte des Spektrums fehlt, halten dieselbe aber für die
minder brechbare Hälfte aufrecht und behaupten — wenigstens
für die grünen Pflanzen, auf welche sich die Untersuchungen im
Makrospektrum bisher allein beschränkt haben — dass zum mindesten
hier das Minimum der Sauerstoffabgabe mit dem Maximum der Ab-
sorption im Rot zwischen B und © Fraunhofer genau und konstant
zusammenfällt.
Diese letztere Behauptung, die übrigens die vorliegende theore-
tische Frage nach der Funktion der Farbstoffe für sich allein gar
nicht entscheidet, ist nun in letzterer Zeit vornehmlich zum eigent-
lichen Angelpunkt in der Kontroverse über die Kurve der Sauerstoff-
abgabe im Spektrum geworden.
Bei der großen Divergenz, die hiernach in den Befunden im
Makrospektrum noch besteht, war es daher von besonderem Wert,
dass Engelmann mit der von ihm eingeführten Bakterien - Methode
im Mikrospektrum einen eigentümlichen, neuen und ingeniösen Weg
zur Entscheidung der Frage eingeschlagen hat, der, wie man schon
auf den ersten Blick sieht, viele Vorteile vor der Methode im Makro-
spektrum voraus hat.
Engelmann gelangt hierbei aber zu dem Ergebnis, dass trotz
der anscheinenden Abweichungen der Sauerstoffkurve vom Absorp-
tionsspektrum dennoch die Maxima beider vollkommen zusammenfallen
und sucht ferner aus seinen Beobachtungen im Mikrospektrum noch
den Beweis herzuleiten, dass in jeder Region des Spektrums eine
direkte und genaue Proportionalität zwischen der Größe der Assimi-
lation und der Größe der gesamten, bei der Absorption in der
Pflanze verschwindenden Lichtenergie, besteht.
Diese Behauptungen schienen mir wenig wahrscheinlich. Sie
standen mit den Anschauungen, die ich aus andern Erfahrungen
über das Verhältnis zwischen Liehtabsorption und Lichtwirkung in
der Pflanze gewonnen hatte, nicht im Einklange, und widersprachen
außerdem ältern thatsächliehen Befunden. Hieraus nahm ich die
Veranlassung zur eignen Aufnahme und Wiederholung der Engel-
mann’schen Versuche im Mikrospektrum, und zu einer Prüfung seiner
Methode auf ihre Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit, die mir schon
deshalb geboten schien, weil bisher noch niemand Engelmann auf
dem von ihm eingeschlagenen Wege gefolgt war.
Engelmann hat seine Methode in zweierlei Formen angewandt,
die er als simultane und sucecedane Beobachtungsweise unter-
scheidet. Grade die simultane Beobachtungsweise eignet sich ganz
vorzugsweise für die Erkenntnis der relativen Lage der Maxima von
ur
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 67
Absorption und Sauerstoffabgabe im Versuche. Sie soll hier zunächst
ihre Besprechung finden.
Bei derselben wird bekanntlich ein nach Form, Inhalt und Farbe
möglichst gleichartiges Objekt — z. B. ein geeigneter zylindrischer
Konfervenfaden — in einem auf das Gesichtsfeld des Mikroskops
projizierten Spektrum senkrecht gegen die Fraunhofer’schen Linien
orientiert. Das beobachtete Objekt durchschneidet somit das kleine
im Mikroskop sichtbare Spektrum, und wird von demselben erleuchtet.
Sind nun in dem Tropfen, in welchem das Objekt liegt, gegen Sauer-
stoff empfindliche Bakterien in genügender Anzahl enthalten, so lässt
sich vermöge der größern Ansammlung derselben an den bevorzugten
Stellen im Spektrum in günstigen Fällen sofort übersehen, in welchen
Regionen desselben die Sauerstoffausscheidung ergibiger, in welchen
sie geringer ist. Zugleich aber gelangen hier im Objekt auch die
Liehtabsorptionen desselben zur Anschauung, und auch hier treten die
Stellen größerer und geringerer Absorption mit für unsere Zwecke
genügender Schärfe und Genauigkeit hervor, so dass die Beziehung
der Sauerstoffabgabe zu den Absorptionen im Objekte, namentlich
soweit es nur die Maxima beider betrifft, sich in zahlreichen Ver-
suchen mit einem Blick übersehen lassen.
Der eigentümliche Wert der Engelmann’schen Methode, den
außer ihr keine andere besitzt, und sie selbst auch nur in dieser
Form simultaner Beobachtungsweise, besteht unfraglich in dieser
Gleichzeitigkeit der Beobachtung der Absorption und der Sauer-
stoffabgabe im ganzen sichtbaren Spektrum. Indem beide Ver-
hältnisse, deren Beziehung gesucht wird, in demselben Versuche
und, was noch wesentlicher ist, an demselben Objekte im ganzen
Spektrum gleichzeitig vor Augen liegen, gewinnt die Beurteilung und
der Vergleich ihrer Größenverhältnisse in den verschiedenen Regionen,
obgleich hier nur approximative Schätzungen möglich sind, doch einen
hohen Grad von Sicherheit. Da nun die Lage der Maxima in vielen
und günstigen Fällen hierbei deutlich zum Ausdruck gelangt, so
stehe ich keinen Augenblick an, anzuerkennen, dass die Engel-
mann’sche Methode in der bezeichneten Begrenzung, so lange eben
nicht exakte Zahlengrößen verlangt, sondern nur die relativen Lagen
der Maxima gesucht werden, jede andere Methode, namentlich auch
die im objektiven Makrospektrum, an überzeugender Beweiskraft
weitaus übertrifft.
Allerdings muss ich hier gleich hinzufügen, dass man auch bei
der Bakterien-Methode durchaus nicht sicher ist, in jedem einzelnen
Versuche sogleich ein bestimmtes und entscheidendes Resultat zu er-
halten. In manchen Versuchen ist der Eindruck der Bewegung der
Bakterien, den man erhält, so unbestimmt, dass die Stelle des Maxi-
mums derselben nicht mit voller Sicherheit festzustellen ist, und in
andern Fällen wieder kommt die Bewegung so undeutlich zustande,
5#
68 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
dass sie gar keinen Schluss von der Bewegung der Bakterien auf
die Größe der Sauerstoffabgabe in den Spektralbezirken zu gestatten
scheint. Allein obgleich diese Fälle, die noch bei der Darstellung
im einzelnen ihre genauere Besprechung finden werden, durch ihre
negativen Befunde die Untersuchung insofern erschweren, als sie dazu
zwingen, die Versuchsreihen über eine weit größere Anzahl von Fällen
auszudehnen, so stören sie doch keineswegs das positive Ergebnis
der zahlreichen Fälle, in welchen die Entscheidung über die Lage
der Maxima eine leichte und sichere wird; sie begrenzen vielmehr
nur genauer den Umfang der Schlüsse, die man aus den Beobach-
tungen im Spektrum ziehen darf.
Dies vorausgeschickt gehe ich nun zur Darstellung meiner Ergeb-
nisse mit der Engelmann’schen Bakterien-Methode über. Ich werde
hierbei den Gang befolgen, zuerst meine Resultate mit der simul-
tanen Beobachtungsweise an chlorophyllgrünen Pflanzen mit-
zuteilen; dann sollen die Kritik der successiven Beobachtungsweise
und meine Erfahrungen mit derselben folgen; zuletzt meine Ergebnisse
an andersfarbigen, nicht cehlorophyligrünen Gewächsen und die
Schlüsse, die sich aus den Untersuchungen im Mikrospektrum für die
Frage nach der Wirkungsweise der Lichtabsorptionen in der Pflanze
ergeben.
I. Die Absorptionserscheinungen chlorophyllgrüner Ob-
jekte im Mikrospektrum.
Entsprechend der ganz begrenzten Aufgabe, die ich bei diesen
Untersuchungen im Auge habe, nur die relative Lage der Maxima
von Absorption und Sauerstoffabgabe festzustellen, kann ich auch
hier bei der Darstellung der Absorptionserscheinungen der untersuch-
ten Objekte von jeder numerischen Bestimmung der Absorptions-
größen in den Spektralbezirken absehen, und mich allein an die Be-
stimmung der Lage der Absorptionsbänder halten, die schon bei der
unmittelbaren Beobachtung genügend scharf hervortreten und über
den Ort der Maxima der Absorption in den Objekten keinen Zweifel
lassen.
In den dünnen mikroskopischen Objekten, die bei der Unter-
suchung im Mikrospektrum allein in Frage kommen können — ein-
zelne grüne Zellen oder dünne konfervenartige Fäden, auch Moos-
blätter, Farnprothallien, dünne Blattdurchschnitte u. s. w. — gelangen
von den bekannten, dem Chlorophyllfarbstoff angehörigen Absorptions-
bändern nur Chlorophyliband I im Rot, zwischen B und C Fraun-
hofer, und die sogenannte Endabsorption im Blau-Violett — Chloro-
phylibänder V, VI, VII umfassend — zur Wahrnehmung. Die Chloro-
phylibänder in dem mittlern Teile des sichtbaren Spektrums —
Chlorophylibänder II, III und IV — fehlen hier ganz, d. h. sie kom-
men nicht zur Anschauung, weil diese dünnen Objekte inbezug auf
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 69
ihre Absorptionsgröße — soweit diese vom Chlorophylifarbstoff, den
sie führen, abhängt — nur schwachen Chlorophylllösungen vergleich-
bar sind, denen die Bänder II, III, IV gleichfalls noch fehlen. Sie
sind in Rücksicht hierauf etwa mit derjenigen Absorptionsstufe einer
normalen Chlorophylllösung zu identifizieren, die ich in meiner ersten
Chlorophyll- Abhandlung unter d, Fig. 1 verzeichnet habe !).
Der auffallendste Unterschied, der in den Absorptionen zwischen
den ehlorophyligrünen mikroskopischen Objekten und ihnen gleich-
wertigen schwachen Chlorophylllösungen hervortritt, ist der bekannte
der Verschiebung der Absorptionsbänder nach dem roten Ende des
Spektrums hin. Chlorophyliband I, wenn es noch nicht breit ist,
nimmt bei den mikroskopischen Objekten den Raum von etwa B bis
B !, C ein; während es bei den entsprechenden Chlorophylllösungen
den Raum von etwa 5 '/, C bis C einnehmen würde. Ebenso fängt
die Endabsorption in den mikroskopischen Objekten etwa gleich hin-
ter d, — deutlich und sicher schon bei 5!/;, F — in den entsprechen-
den Chlorophylllösungen erst hinter 5 !/, Fan.
Außerdem ist aber bezüglich der Absorptionen in den mikro-
skopischen Objekten noch ein Punkt zur Erledigung zu bringen, der
für die Folgerungen über die Funktion der Liehtabsorptionen in der
Pflanze von maßgebender Bedeutung ist. Er betrifft die Breite des
Chlorophylibandes I und den Ort, wo noch innerhalb dieser Breite
das eigentliche Maximum der Absorption hinfällt oder zu verlegen ist.
Das Letztere kann selbstverständlich durch den unmittelbaren Augen-
schein nicht bestimmt werden. Doch sind für unsern Zweck hier
photometrische Messungen der Absorptionskoeffizienten gar nicht nötig.
Es genügt die Beachtung der allmählichen Verbreitung des Bandes I
bei farbstoffreichern Fäden, um sich in den Grenzen unseres Bedürf-
nisses über die Stelle, wo das eigentliche Maximum im Rot liegt, mit
genügender Genauigkeit zu orientieren.
Bei dünnen oder an Farbstoff armen Objekten — zartern Clado-
phora-, Ulothrix-, Draparnaldia-, Zygnema-Fäden u. s. w. — beginnt
das Chlorophyliband fast genau bei B Fraunhofer, eigentlich noch
eine Spur vor BD, und reicht in seiner Breite niemals bis ©, sondern
hört schon etwa in der Mitte zwischen B und C auf. Erst bei diekern
und farbstoffreichern Zellen und Fäden reicht dasselbe weiter nach
C hin, oder nimmt den ganzen Raum zwischen B und C ein und kann
selbst in sehr dieken Objekten etwas über C hinaus reichen. Dieses
Verhaiten entspricht genay der allmählichen Verbreiterung der Ab-
sorptionsstreifen in Lösungen des Farbstoffes von der Stelle der
stärksten Absorption aus, und es folgt hieraus mit Notwendigkeit,
dass das eigentliche Maximum der Absorption im Rot in den
mikroskopischen Objekten, die der Untersuchung im Mikrospektrum
1) Monatsberichte d. Akademie d. Wissenschaften in Berlin. Oktober 1874.
70 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
unterliegen, niemals auf © oder gar hinter C und selbst nicht in
der Nähe von (, oder in der Mitte zwischen B und © liegen
kann, sondern viel näher an B, eigentlich auf B selbst, jedenfalls
aber in der ersten Hälfte zwischen B und © zu suchen ist.
Auf diesen Umstand ist bei den Untersuchungen über die Sauer-
stoffabgabe genau zu achten, und ich hebe dies deshalb hier besonders
hervor. Hierdurch sind die beiden Maxima der Absorption in den
chlorophyligrünen Objekten ihrer Lage nach genügend scharf be-
stimmt. Es bedarf aber wohl kaum der Erwähnung, dass außerdem
in den Objekten noch Absorptionen der andern Spektralregionen
stattfinden. Die grünen Zellen lassen eben keinen Teil des sichtbaren
Spektrums ungeschwächt durch, auch nicht den Teil im Anfangsrot
vor B, allein die Absorptionen sind hier überall bedeutend schwächer,
als die bezeichneten im Blau-Violett und im Rot, und kommen daher
bezüglich der Frage der Maxima der Absorption nicht in betracht.
Da es aber von physiologischem Interesse ist, auch die Absorptionen,
die nieht vom Chlorophyllfarbstoffe herrühren, in der Pflanze be-
stimmter zu kennzeichnen, so will ich hier noch kurz darauf hin-
weisen, dass schon bei der Untersuchung der dünnen Objekte im
Mikrospektrum — leichter bei den diekern, und bei weniger inten-
siver Beleuchtung, z. B. im Gaslicht — Verdunkelungen im Anfangsrot
vor B und unmittelbar hinter dem Bande I siehtbar werden, die bei
Chlorophylllösungen von entsprechender optischer Konzentration nicht
vorhanden sind. In diesen erscheinen bekanntlich die betreffenden
Stellen, namentlich die Stelle vor B, im Kontrast zum Chlorophylil-
band I ausnehmend hell. Es werden hierdurch in den grünen Objek-
ten schon im Mikrospektrum Absorptionen wahrnehmbar, die dem
Chloropbylifarbstoff nicht angehören, und die vornehmlich die ganze
Region im Rot bis etwa zum Anfang des Gelb betreffen. Die Absorp-
tionsspektra der grünen Objekte sind daher in keinem Falle identisch
mit denen der aus ihnen gewonnenen Chlorophylllösungen und der
sogenannten künstlich dargestellten Rein-Chlorophylle. Doch denke
ich diese Verhältnisse, die eine eingehendere Behandlung verlangen,
an dieser Stelle nicht weiter auszuführen, zumal die Schlüsse und
Deutungen, die ich an die hier vorliegenden Untersuchungen anknüpfen
will, ausschließlich den Wert jener stärksten Absorptionen der Objekte
im Blau-Violett und im Rot betreffen, die vorzugsweise den optischen
Charakter der Chlorophylifarbstoffe kennzeichnen und die grüne Farbe
der assimilierenden Pflanzen bestimmen.
(Fortsetzung folgt.)
Volkens, Flora der ägyptisch-arabischen Wüste. rl
G. Volkens, Zur Flora der ägyptisch-arabischen Wüste.
Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wissensch. zu Berlin vom 8. Januar 1886.
Die äußerst interessante kleine Abhandlung, das Resultat eines
einjährigen Aufenthalts in Aegypten, ist gewissermaßen der Vorläufer
einer größern Arbeit, einer „Flora der ägyptisch-arabischen Wüste“,
die nach einem wesentlich andern Prinzipe, als die gewöhnlichen
Floren hergestellt werden soll. Während die bisherige Floristik, ab-
gesehen von ihren Beziehungen zur Pflanzengeographie, ganz in den
Dienst der Systematik sich stellt, will Verf. in dieser Flora neben der
vergleichend-morphologischen Betrachtungsweise auch der anatomisch-
physiologischen Raum gewähren. Er spricht sich darüber folgender-
maßen aus: „Die Flora eines bestimmten Gebietes, wie sie mir vor-
schwebt, wird, von den einzelnen Pflanzenformen als etwas Gege-
benem ausgehend, zuvörderst die Faktoren zu prüfen haben, welche
nach unsern bisherigen Erfahrungen gestaltend auf einen vegetativen
Organismus einwirken. Hat ein genaues Studium der klimatischen
und Bodenverhältnisse diese Vorbedingung erfüllt, so geht sie dazu
über, die vorhandenen Beziehungen zwischen ihnen und dem Ent-
wieklungsgange der einzelnen Formen, ihren morphologischen und
anatomischen Merkmalen aufzudecken. Ein Schlusskapitel, in dem
Blüte und Frucht am naturgemäßesten zu ihrem Recht kommen, hat
die Anpassung der Florenvertreter an die Lebewelt zum Gegenstand
der Darstellung zu nehmen. — Bei einer solchen Auffassung vom
Wesen einer „Flora“ verlieren die bisherigen Floren nichts von ihrer
Bedeutung, ihr Wert bleibt, da sie die Vokabeln liefern, welche zu
einem Erlernen und Verstehen der Sprache der Natur unerlässlich
sind.“
Was den Charakter der Wüste anbelangt, so ist sie durchaus
nicht der gewöhnlichen Vorstellung entsprechend ein endloses Sand-
meer, sondern terrassenartig vom Nilthal ansteigend ein chaotisches
Gewirr von Bergen und Felsmassen, tiefen Schluchten und Thälern,
die sich vielfältig durchschneiden und verzweigen und dadurch den
Charakter einer wilden Zerrissenheit hervorbringen. Die Vegetation
ist auf die Sohle der Thäler beschränkt, hier einen schmalen grünen
Saum bildend. Indess bilden die Pflanzen nie wie bei uns einen
gleichmäßigen Teppich; einzeln erheben sie sich, von einander durch
mehr oder weniger große Zwischenräume getrennt, nur selten eine
Art Hecke erzeugend, die sich dann aber in endlosem Wechsel aus
den mannigfaltigsten Pflanzenformen zusammensetzt. Nitraria-Büsche
wechseln mit Lyeium; Panicum, Pennisetum flechten sich hinein, De-
verra, Astragalus, Zilla und andere bilden größere Haufwerke. „Mit
demselben Blicke überschaut man hier eine Farsetia, dort ein Gymno-
carpum, umstellt von Reaumuria, Iphiena, Echinops und Zygophyllum.“
Trotz dieser großen Variabilität auf engem Raume weichen indess
12 Volkens, Flora der ägyptisch -arabischen Wüste.
die einzelnen größern Thäler oft erheblich von einander ab; durch
besonders massenhaftes Auftreten einer bestimmten Form wird nicht
selten dem ganzen Landschaftsbilde ein ganz besonderer Charakter
aufgeprägt, ganze Thäler haben nach der herrschenden Pflanzenspecies
ihre Namen erhalten.“
Der Wechsel der Jahreszeiten macht sich für die Pflanzenwelt
der Wüste im großen und ganzen nur durch einen Gegensatz zwischen
der Regenzeit, die zumeist in den Februar und März fällt, und der
ganzen übrigen trocknen Periode des Jahres bemerklich. Wenige
Keimpflanzen und hin und wieder ein frischer Trieb oder eine Blüte,
die der oft sehr erhebliche Nachttau während des Winters und
Herbstes hervorlockt, verändern das Bild der Vegetation während des
größten Teils des Jahres nicht. Wenn Ende Januar die Regenzeit
beginnt, entwickelt sich mit unglaublicher Schnelligkeit eine Blätter-
und Blütenpracht, die auch die sandigsten und kahlsten Stellen mit
einem grünen Schimmer überzieht. Schon anfangs Mai verschwindet
der frische Eindruck, die Einjährigen verdorren bei der sich steigern-
den Hitze und Trockenheit des Bodens allmählich, die Keimlinge der
Mehrjährigen vermögen nur an besonders günstigen Lokalitäten diesen
Einflüssen zu widerstehen. „Die Höhen und Abhänge erscheinen jetzt
wieder in ihrem starren schmutzigen Braun, ein Chamsin erfolgt und
auch das Grün der Thäler wird matter und matter, immer mehr
Gewächse von denen, welche den Sommer zu überdauern bestimmt
sind, verwandeln sich nach dem Vertrocknen ihrer Blätter und Zweig-
spitzen in dürre holzige, meist dornige Büsche, oder gewinnen durch
Wachs- und Haarbedeckung ein totes bleigraues Ansehen.“
Viele Arten zeigen darin eine zum Klima in direkter Beziehung
stehende Eigentümlichkeit, dass sie sich nicht scharf in ein- und
zweijährige gliedern lassen. Oft sterben die meisten Exemplare einer
Art ab, und nur wenige, deren Wurzeln tief genug in den Boden ein-
gedrungen sind, vermögen zu überdauern, meist indem sie bis auf
den Wurzelhals absterben und an diesem Ruheknospen bilden. Solche
Pflanzen sind Heliotropium undulatum, Centaurea-, Tribulus-, Gypso-
phila- Arten und andere.
Von den drei Elementen der Wüste, wie Schweinfurth sagt,
Salz, Hitze und Wassermangel, betrachtet Verf. nur die beiden letz-
tern in bezug auf ihren Einfluss auf die Organisation der Wüsten-
pflanzen. Natürlich wird ein solcher bei denjenigen Arten, die nur
während der Regenzeit vegetieren, vollständig vermisst; Beispiele
hierfür anzuführen dürfte überflüssig sein. Mit einigen Einschrän-
kungen möchte Verf. diesen Formen auch die wenigen in der Wüste
vorkommenden Zwiebelgewächse anschließen.
Sowohl diejenigen einjährigen Pflanzen, die zur Reifung der
Samen längerer Zeit benötigen, sowie die, welche zu übersommern
vermögen, bedürfen besonderer Mittel, um einerseits des Wassers
Volkens, Flora der ägyptisch - arabischen Wüste. 13
überhaupt habhaft zu werden, dann aber auch, um es in der richtigen
Weise zu verwenden. Die wasserundurchlässigen Schichten liegen
ziemlich tief, so dass die Pflanzen gezwungen sind sehr lange Wur-
zeln zu machen, um der ausdörrenden Hitze der obern (oft 50—60° C)
zu widerstehen. „Keimpflanzen von Monsonia nivea, einer meist ein-
jährigen Art, die indess bis in den Juli hinein auszudauern ver-
mag, hatten schon Ende Januar, wo sie aus einer kaum nagelgroßen
Rosette von drei bis vier Blättchen bestanden, Wurzeln von über
ein halbes Meter Länge.“ Aehnliche Beispiele ließen sich noch in
sroßer Menge aufzählen. Interessaut ist das Verhalten mancher Ero-
dien, die an ihren Wurzeln streckenweise kuglige oder spindelförmige
Anschwellungen zeigen, aus einem lockern Parenchym bestehend, von
einem dieken Korkmantel geschützt. Es sind das Speicherorgane für
Wasser, die zwischen den absorbierenden und transpirierenden Teilen
der Pflanze eingeschaltet sind.
Eine äußerst merkwürdige Erscheinung bietet die Gattung Reau-
muria (R. hirtella). Es ist das ein 2—3 Fuß hoher Strauch, der in
Felsspalten und Löchern wächst, an Orten also, wo es sehr unwahr-
scheinlich ist, dass den Wurzeln während des ganzen Jahres das nötige
Wasser zur Verfügung steht. Die Hauptsprosse der Pflanze verdorren
im Sommer, es entstehen dafür Nebensprosse mit kleinern Blättern.
Was nun der Pflanze die Möglichkeit gibt, die lange Periode abso-
luten Regenmangels zu überdauern, ist die Ausscheidung eines stark
hygroskopischen Salzes, das sich am Tage als weißliche die ganze
Pflanze inkrustierende Masse darstellt und von besondern Drüsen
auf den Blättern abgesondert wird. Während der Nacht ziehen diese
Salzmassen aus der Atmosphäre Wasser an, das dann, wie Verfasser
durch Versuche nachwies, von der Pflanze aufgenommen wird. Ein
wasserspeicherndes Gewebe findet sich im Stamm in Gestalt der zu
einem solehen umgewandelten primären Rinde vor. Aehnliches Verhal-
ten zeigen Tamarix-Arten. Andere Pflanzen wie Diplotawis, Plantago,
Heliotropium nehmen durch besonders gebaute Haare den Tau
direkt auf. Demselben Zweck dienen feine Wurzelfasern, die nach
jedem Regenschauer am Wurzelhals mit immenser Schnelligkeit her-
vorsprossen, um bald wieder zu vertrocknen.
Sehutzmittel gegen übermäßige Respiration ist zunächst die Re-
duzierung der Verdunstungsfläche: Blattabwerfen, Einrollen, Aus-
scheidung einer Wachsschicht und Verdiekung der Außenwand der
Epidermiszellen. Verf. fand bei einigen Pflanzen eine Erfüllung der
Epidermiszellen mit einem Celluloseschleim, der das Wasser mit
großer Kraft festhielt. Bei andern fand er an dessen Stelle Gerb-
stoff. Von Haaren kommen als Schutzmittel nur die toten, mit Luft
gefüllten in betracht, die am Tage die Transpiration verhindern,
während der Nacht aber wie ein Filz geeignet sind kleine Mengen
Wasser aufzusaugen und festzuhalten. Häufig ist mit der Bildung
74 Kowalevsky, Rückengefäß der Museiden.
von Haaren diejenige von ätherischen Oelen verbunden, und interes-
sant ist es, wie Verf. aufgrund Tyndall’scher Untersuchungen nach-
zuweisen sucht, dass die mit ätherischem Oeldunst geschwängerte
Luft, welche solehe Pflanzen umgibt, die strahlende Wärme in viel
geringerem Grade durchlässt als reine Luft. — Hier anzuführen ist
auch noch die Herabdrückung der Spaltöffnungen ins Blattgewebe,
oder ihre Lagerung in tiefen Furchen.
Als Speicherorgan für Wasser tritt in vielen Fällen einfach die
Epidermis auf. Am instruktivsten ist der bekannte Fall von Mesem-
bryanthemum erystallinum. Bei Atriplex besorgen mehrere Schichten
von wassererfüllten blasenartigen Haaren dies Geschäft. Für Gra-
mineen sind die bekannten Gelenkzellen anzuführen; noch bei an-
dern Formen finden sich die Wasserreservoire in verschiedener Ge-
stalt im Innern der Organe. Da hier nur ausführliche Details infor-
mieren können, muss auf ein näheres Eingehen verzichtet werden.
C. Fisch (Erlangen).
Zum Verhalten des Rückengefäßes und des guirlanden-
förmigen Zellenstrangs der Musciden während der
Metamorphose.
Von A. Kowalevsky,
Professor in Odessa.
Wir haben bis jetzt keine positiven Angaben über den Zustand
des Rückengefäßes der Museiden während der Puppenperiode.
Weismann!) meinte, das Rückengefäß „unterliegt einem ähnlichen
Prozesse“, wie er ihn für den Darmkanal beschreibt, d. h. eine Art
Histolyse. — Diese Angabe wurde aber von keinem neuern Forscher
bestätigt, die meisten neigten sich der Ansicht zu, dass das Herz
bestehen bleibe und das Rückengefäß der Larve unmittelbar in das
Imago überginge. Ich habe mieh auch in diesem Sinne ausgesprochen,
obgleich meine Beweise ziemlich schwach waren. — In der aller-
letzten Zeit ist dieser Gegenstand von Herrn J. Künckel?) studiert
worden, welcher die Bewegungen des Herzens bei der Eristalys-Puppe
bis zum achten-neunten Tage verfolgt, dann einen Ruhezustand von
einem bis zu zwei Tagen gefunden und vom zehnten Tage schon
wieder die Pulsationen des Herzens beobachtet hat. — Dieser Ruhe-
zustand von ein bis zwei Tagen ist allerdings gar nieht genügend,
4) Die nachembryonale Entwicklung der Museiden. Zeitschrift f. wissen-
schaftliche Zoologie, Bd. XIV, S. 308.
2) J. Künekel, Des mouvements du eoeur chez les insectes pendant la
metamorphose.
Kowalevsky, Rückengefäß der Museiden. 7
um eine Histolyse des Herzens anzunehmen; er kann nur von neben-
sächlichen Umständen abhängen, einer gewissen Anpassuug der Wan-
dungen und Muskeln des Rückengefäßes an die neue Lage, welches
es im Vergleich zur Larve im Imago einnimmt.
Meine Untersuchungen sind auf mehrere histologische Beobach-
tungen gegründet, welche auch beweisen, dass das Herz der Larve
auch im Imago bleibt, wenn auch nieht seiner ganzen Länge nach. —
Auf die Untersuchung der Herzmetamorphosen wurde ich durch einen
Versuch geführt, welcher den Zweck hatte, die Rolle der Mittel-
darmzellen der Larve bei der Verdauung zu bestimmen. Ich fütterte
die Musciden-Larven mit verschiedenen Farbstoffen und Salzen, um
das Eindringen der gefärbten Fetttröpfehen in die Zellen des Mittel-
darmes zu untersuchen. Die Versuche sind nicht gelungen, aber ich
beobachtete eine höchst interessante Erscheinung, dass nämlich die
Zellen, die das Herz umgeben, und die Zellen des von Weismann!)
so genannten „guirlandenförmigen Zellenstrangs“ sich sehr intensiv mit
den Farbstoffen färben und verschiedene Salze aufnehmen. Besonders
schöne Resultate gab die Fütterung mit Cochenille und Silbersalzen. —
Zu beiden Seiten des hintern Teiles des Herzens der Museidenlarve,
wie es schon sehr schön Weismann?) angegeben hat, vom 11. bis
9. Segment an, liegen 13 Paare von großen Zellen, von 0,096— 0,11 mm
Durehmesser. Diese Zellen sind von den zerspaltenen Muskeln um-
geben, in Form einer spinnwebeartigen Haut. Der mittlere Teil des
Rückengefäßes reicht vom neunten Segment bis an den hintern Rand
des fünften, und zeichnet sich durch bandartige zellige Massen aus,
welche ihn an den Seiten begleiten. Sie sind offenbar die Analoga
der großen Zellen im hintern Abschnitt des Rückengefäßes. Der vordere
Abschnitt des Rückengefäßes ist nackt.
Wenn man die jungen oder auch etwas ausgewachsenen Larven
mit Fleisch zu füttern beginnt, welchem Cochenillepulver beigemengt
ist, so bemerkt man schon am zweiten Tage, dass die 13 Paare der
großen Zellen, welche das hintere Ende des Herzens umgeben, sich
zu färben beginnen und schon von außen leicht sichtbar werden als
zwei Reihen von kleinen roten Punkten. Bald nach denselben färben
sich in derselben Weise auch die bandartigen zelligen Massen, welche
den mittlern Teil des Herzens umgeben. Macht man die Larve auf,
so findet man auch die Zellen des guirlandenförmigen Zellenstranges
rot gefärbt.
Wenn die Larven von ihrem Austritte aus dem Ei sogleich mit
gefärbtem Fleisch gefüttert werden, so wird die Färbung aller dieser
Zellen sehr intensiv, so dass selbst der rote guirlandenförmige Zellen-
strang sehr deutlich an der lebenden Larve zu sehen ist. Ganz die-
A)1. c. 8. 218.
2) 1. c. 8. 209.
76 Kowalevsky, Rückengefäß der Musciden.
selben Erscheinungen treten hervor bei der Fütterung mit Silbersalzen,
nur dass dann die Zellen bräunlich und selbst schwärzlich werden.
Die Fütterung mit Methylenblau gibt eine intensivblaue Färbung
aller dieser Gebilde.
Ich hatte anfangs die Absicht, das Durchtreten der gefärbten
Teile durch die Wandungen des Darmkanales zu beobachten, konnte
aber dabei gar nichts beobachten. Die Zellen der Darmwandungen
färbten sich nieht, sie bildeten einen hellen Saum um den tiefgefärb-
ten Inhalt des Darmes. Das Blutplasma blieb auch ganz klar, und
doch, ungeachtet dessen, wurden die angegebenen Zellengruppen ge-
färbt. Dabei ist vorauszusetzen entweder, dass die Färbung des Blutes
so schwach war, dass sie nicht zur Beobachtung gelangte, oder die
Färbungsmittel gingen in eine ungefärbte Zusammensetzung über;
wir werden später sehen, dass das Letzte wirklich möglich ist. In
dem einen oder andern Falle ist doch so viel sicher, dass die färben-
den Elemente im Blute erhalten sind; bei dem Zutritt des Blutes zum
Herzen werden sie von demselben abgeschieden, das Blut wird ge-
wissermaßen gereinigt und legt den Farbstoff in die Zellen ab. In
den hintern Teilen des Körpers spielen die Rolle dieser blutreinigen-
den Organe die Zellen, die das Herz umgeben, im vordern Teil der
guirlandenförmige Zellenstrang. — Schon Weismann hat vermutet,
dass diese Zellenstränge den „Blutgefäßdrüsen“ ') der Wirbeltiere zu
parallelisieren sind, und meine Beobachtung liefern einen Beweis dazu.
Jetzt kommt die Frage an die Reihe, in welchen Teilen der Zellen
der Farbstoff oder das Silbersalz abgesetzt werden. — Es kommt
immer in das Plasma der Zellen, in Form eines halbmondförmigen
Ringes um den Kern; der Kern wird nie gefärbt, auch bei den inten-
sivsten Färbungen der Zellen bleibt der Kern immer weiß und klar. —
Diese Färbung der Zellen rührt wahrscheinlich von der Bildung eines
komplizierten Eiweiß-Stoffes her, in den die abzulagernden Stoffe,
Farben oder Metallsalze, eingehen. — Ich schließe dies daraus, dass
z. B. die Cochenille sehr leicht löslich in Wasser und Spiritus ist,
dass dagegen die Zeilen des guirlandenförmigen Stranges oder die-
Jenigen, die um das Herz liegen, so intensiv sie auch gefärbt sein
mögen, nicht ihre Farbe an das Wasser oder an den Spiritus abgeben,
sondern bis zum gänzlichen Zerfallen immer rot gefärbt bleiben. —
Hier entsteht also eine unlösliche Eiweißstoffverbindung mit den Farb-
stoffen oder Salzen, welehe dem Organismus unnützlich oder schäd-
lich sind. — Als ich diese Organe intensiv rot, blau oder braun ge-
färbt hatte, konnte ich schon leicht ihr Schieksal in der Puppe ver-
folgen. Ihre Färbung gab mir das Mittel, dieselben leicht zwischen
den zerfallenden Organen und Fettkörpern der Puppe zu unterscheiden.
Beginnen wir mit dem „guirlandenförmigen Zellenstrang“. — In
1) 8. 219.
Kowalevsky, Rückengefäß der Museiden. Zi
den zwei ersten Tagen nach der Verpuppung bleibt er unverändert,
dann aber bemerkt man, dass in mehreren Zellen desselben eine
Fragmentierung der Zellenkerne beginnt, in denen schon von anfangs
an immer zwei Kerne waren. — Bei der Larve fand ich immer zwei
Kerne in jeder Zelle; am zweiten und dritten Tage fanden sich, be-
sonders in den mittlern Zellen, öfters mehrere Kerne vor, und zwar
6 bis 8, die aber keine Teilung der Zellen zur Folge hatten. Diese
mittlern Zellen wurden auch immer früher von den Fagozyten bezw.
Körnchenkugeln angegriffen. Die Körnchenkugeln traten am dritten
Tage des Puppenzustandes in die Zellen des Stranges ein, isolierten
dieselben zum Teil von einander, und verspeisten dieselben samt ihren
Kernen. Die gefärbten Stücke dieser Zellen waren noch lange in
den herumgruppierten Körnchenkugeln zu sehen, endlich aber ging
die Färbung verloren. Ich erkläre mir diese Erscheinung in dem
Sinne, dass bei Verdauung der gefärbten Stücke dieselben ihre Fär-
bung ganz in der Art verlieren wie die gefärbten Nahrungsstücke
die Farbe beim Durchtritt durch die Darmwandungen bezw. bei der
Resorption oder Verdauung verlieren. — Die Verspeisung des guir-
landenförmigen Stranges geht bei weitem früher vor sich als die Auf-
lösung der Speicheldrüsen; die letztern bleiben noch einige Tage be-
stehen. Der guirlandenförmige Strang ist also eine echte embryonale
oder Larvendrüse, welche in die Fliege nicht übergeht.
Wenden wir uns jetzt zu den andern gefärbten Zellen der Larve,
so sind es erstens die 13 Paar großen Zellen, welche am hintern
Ende des Herzens liegen und die bandartigen zelligen Massen, welche
den mittlern Teil des Herzen umgeben. — Bis zum dritten Tage nach
der Metamorphose beobachtet man am hückengefäß noch keine be-
sondern Veränderungen; es pulsiert noch wie bei der Larve, später
aber, wenn die dasselbe umgebenden Muskeln der Histolyse unterfallen,
wird das Pulsieren unregelmäßiger, und bei Behandlung des Rücken-
gefäßes mit Osmiumsäure findet man, dass die Grenzen der Zellen,
welche das Herz zusammensetzen, deutlich werden, dagegen die Quer-
streifung der Muskeln schwächer. Das Auftreten der Zellengrenzen
|Bekanntlich besteht das Herz aus Paaren aufeinanderfolgender Zellen,
deren Territorien aber gar nicht sichtbar sind. Während der Meta-
morphose aber treten dieselben deutlich auf.| und die Erfüllung des
Herzens mit den Körnehenkugeln dachte ich anfangs als einen Zerfall
des Herzens deuten zu müssen; doch erwies sich diese Annahme
als unrichtig. Der vordere und mittlere Teil des Herzens bleiben voll-
ständig bestehen während der ganzen Puppenperiode, und gehen in
die Imago über. Die den mittlern Teil an den Seiten begleitenden
gefärbten zelligen Massen bleiben auch während der ganzen Puppen-
periode bestehen und gehen in die Imago über, in dem gefärbten Zu-
stande, welchen dieselbe bei der ausgewachsenen Larve hatten. Dabei
besteht nur eine gewisse Veränderung in der Lagerung dieser Drüsen-
718 Kowalevsky, Rückengefäß der Museiden.
zellen. Erstens, wegen des Auffressens der Muskelfasern, die zwischen
diesen Zellenmassen an das Herz sich inserierten, werden diese Zel-
len etwas lockerer, scheinen vom Rückengefäß sich abzutrennen, und
bei der Bildung des Abdomens der Imago legen sich die vordern
Hälften dieser Zellenmassen dieht an die innern Wandungen des
Abdomens. Sie bilden hier eine breite Zellenmasse, welche die ganze
vordere Wandung des Abdomens von innen in Form eines dichten
Netzes auskleidet. — Das Rückengefäß ist hier sehr breit und nach
unten gebogen, um von hier aus, durch den dünnen Stiel, der das
Abdomen mit dem Thorax verbindet, in den letztern einzudringen.
Die gefärbten Zellenmassen, die das Herz umgeben, dringen nicht in
den Thorax ein und bleiben allein im Abdomen. Bei der geschlechts-
reifen Imago, also 10— 15 Tage nach dem Ausschlüpfen aus der
Puppenhaut, habe ich diese Zellenmassen immer gefärbt gefunden. —
Daraus ist also zu schließen, dass diese blutreinigenden Drüsenzellen
während des ganzen Lebens der Musca bestehen und funktionieren. —
Bei der eben erst aus dem Ei ausgekrochenen Larve, bei der ich
nur das Herz auspräparieren konnte, fand ich immer zu beiden Seiten
desselben die erwähnten Zellenstränge in Form von sehr kleinen, dicht
gedrängten und ganz hellen Zellen, die dieht an das Rückengefäß
angelegt waren. Beim Wachstum der Larve wurden die Zellen größer
und gewissermaßen lockerer, sie bildeten schon nicht mehr eine ein-
fache epitheliale Platte, sondern eine diehte Lage von rundlichen
Zellen, die bei ihren Wachstum sich auch zu färben beginnen. — Die
Färbung bezw. Abscheidung der letzten fremden Flemente aus dem
Blute dauert das ganze Leben. — Ich habe auch die Fliegen mit
durch Cochenille gefärbtem Zuckerwasser gefüttert; auch dabei färb-
ten sich die das Herz umgebenden Zellen, und dies bewies, dass sie
auch bei der Imago dieselbe Rolle spielen wie bei der Larve.
Damit bleibt also bewiesen, dass der mittlere Teil des Herzens
und die ihn umgebenden Zellenmassen von der jüngsten Larve aus
bis zur Geschlechtsreife der Imago bestehen und immerwährend in
einem Sinne funktionieren.
Der hintere Teil des Herzens der ausgewachsenen Larve ist, wie
gesagt, von 13 Paaren von großen Zellen umgeben; die Imago der
Fliege hat nur sieben Paare von solehen Zellen, und der ganze hin-
tere Abschnitt des Herzens der reifen Fliege ist bedeutend kürzer. —
Die 6 Paare hintere Zellen werden schon am 3. und 4. Tage nach
der Verpuppung von den Körnchenkugeln angegriffen, und dabei be-
merkt man, dass die Konturen der großen, oft tief rot gefärbten Zellen
unregelmäßig werden, dann gelappt und endlich in kleinere Stücke
zerteilt werden. Diese Veränderung der Zellen wird durch die Körnchen-
kugeln hervorgerufen, welche dieselben von außen zerren und endlich
in Stücke zerreißen und in sich aufnehmen. Solche mit roten Stücken
versehene Körnchenkugeln traten auch öfters ins Lumen des Herzens
Albrecht, Kieferspalte bei der Hasenscharte. 79
ein und sind da leicht zu beobachten. Alle 6 hintern Paare der
großen Zellen werden so von den Körnchenkugeln aufgenommen, und
es bleiben nur 7 vordere Paare, welche bleiben und im Imagozustand
gefunden werden. — Was mit dem Teile des Herzens wird, welcher
zwischen den hintern 6 Paaren der großen Zellen lag, kann ich
nicht mit voller Bestimmtbeit sagen. Mir schien es aber, dass dieser
Teil sowie auch die danebenliegenden Muskeln von den Körnchen-
kugeln aufgenommen werden. Als allgemeine Erscheinung des Zu-
standes des Herzens während der Metamorphose muss seine Bewegung
von den tiefern Schichten des Körpers zu den äußern erwähnt
werden. Bei der Larve liegt das Herz tief im Körper zwischen den
Tracheenstämmen und ist an dieselben befestigt; bei der Metamor-
phose, bei welcher die großen Larventracheenstämme zugrunde gehen,
bewegt sich das Herz noch, aber unmittelbar unter den Hautbedeckungen
des Rückens und liegt dicht unter der äußern Epithelschicht des
Körpers. — In den 11 und 12 Tagen der Metamorphose wird die
Querstreifung des Herzens wieder deutlicher, und das Herz beginnt
regelmäßig zu pulsieren.
Ueber den morphologischen Sitz der Hasenschartenkiefer-
spalte.
Nachweis, dass die von Herrn Dr. Theodor Kölliker auf S. 372
des 5. Bandes des Biologischen Centralblattes abgebildete, linksseitige
Kieferspalte nicht, wie derselbe behauptet, eine inzisiv-maxillare,
sondern eine intra-inzisive Kieferspalte ist.
Von Prof. Dr. Paul Albrecht.
Durch die Verlegung meines Wohnsitzes von Brüssel nach Ham-
burg im Rückstande, ist es mir zu meinem Bedauern erst heute mög-
lich, in diesem Blatte kundzuthun, was ich bereits am 21. Sept. 1885
in der anatomischen Sektion der in Straßburg abgehaltenen 58. Ver-
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte ausgesprochen habe,
dass nämlich die von Herrn Th. Kölliker in der Nummer dieses
Blattes vom 15. August 1885 veröffentlichte linksseitige Kieferspalte')
nicht im entferntesten eine inzisiv-maxillare, wie derselbe behauptet,
sondern im Gegenteil, wie alle übrigen bisher von mir beobachteten
Hasenschartenkieferspalten, eine intra-inzisive, das heißt, eine zwischen
dem innern und dem äußern Zwischenkiefer derselben Körperseite
liegende Kieferspalte, ist.
Es ist nämlich über jedem Zweifel erhaben, dass in der von
Herrn Th. Kölliker gegebenen Abbildung das die mit Jm und Jl
1) Th. Kölliker, Zur Odontologie der Kieferspalte bei der Hasenscharte.
Biol. Centralblatt vom 15. August 1885, Band V, 8. 371—5373.
s0 Albrecht, Kieferspalte bei der Hasenscharte.
bezeichneten Zähne tragende Knochenstück nicht der linksseitige Ge-
samtzwischenkiefer, wie Herr Kölliker behauptet, sondern der links-
seitige innere Zwischenkiefer, das Endognathion sinistrum ist.
Fig. 1: Vordere Ansicht eines Teils des Obergesichtes eines mit rechtsseitiger
intra-inzisiver Hasenschartenkiefergaumenspalte behafteten erwachsenen Mannes.
(Präparat des königl. anatomischen Institutes zu Kiel.)
A rechtsseitiger innerer Zwischenkiefer (Endognathion dextrum).
B rechtsseitiger äußerer Zwischenkiefer + rechtsseitiger Oberkiefer (Me-
sognathion dextrum + Exognathion dextrum).
1 Alveole des Parasymphysius sinister.
2 H „ Praecaninus A
3 > „ Caninus &
4 Praemolaris 1! 3
Daun II ® |
6 Molaris I < |
ar; II n |
1‘ Alveole des Parasymphysius dexter.
2 5 „ Praecaninus a |
3 5 „ Caninus n |
4‘ Praemolaris I 4
Da ı, II :
6° Molaris I 3
on I :
Wäre nämlich dieses Knochenstück, wie Herr Kölliker will, der
linksseitige Gesamtzwischenkiefer, so müsste er auch den zu diesem
gehörenden, die Apertura pyriformis links bis zum Nasenbeine hinauf
umziehenden Processus nasalis desselben tragen. Dies ist aber nicht
Albrecht, Kieferspalte bei der Hasenscharte. S1
der Fall, der Processus nasalis, das heißt mit einem Wort der links-
seitige äußere Zwischenkiefer oder das Mesognathion, befindet sich
nach außen vor der Spalte und ist mit dem Oberkiefer synostotisch
verbunden. Das den von Herrn Kölliker mit © bezeichneten Zahn
und die auf diesen folgenden unbezeichnet gelassenen Zähne bezw.
Zahnreste tragende Knochenstück ist also nicht, wie Herr Kölliker
behauptet, der linksseitige Oberkiefer, sondern linksseitiger äußerer
Zwischenkiefer + linksseitiger Oberkiefer (Mesognathion sinistrum
—+ Exognathion sinistrum).
Der von Herrn Kölliker publizierte Fall gleicht inbezug auf
die Knochen völlig dem mir zur Zeit vorliegenden, in der vorstehen-
den Fig. 1 abgebildeten Präparate, welches ich der Güte des Herrn
Professor Flemming verdanke, nur dass der Kölliker’sche Fall
eine linksseitige, der meinige eine rechtsseitige Hasenschartenkiefer-
spalte aufweist.
A ist in dieser Figur nicht der rechtsseitige Gesamtzwischen-
kiefer, sondern nur der rechtsseitige innere Zwischenkiefer; denn es
fehlt ihm der die Apertura pyriformis bis zum rechtsseitigen Nasen-
beine hinauf umziehende Processus nasalis.
B ist nicht der rechtsseitige Oberkiefer, sondern der rechtsseitige
äußere Zwischenkiefer — rechtsseitiger Oberkiefer, denn die ganze
bis zum rechten Nasenbeine hinaufziehende, die Apertura pyriformis
rechtsseitig begrenzende Knochenkante ist ja, wie ein Blick auf
einen beliebigen Affenschädel zeigt, die vordere Kante des äußern
Zwischenkiefers, der bei unserem Präparate synostotisch mit dem
rechtsseitigen Oberkiefer verschmolzen ist.
Ich erlaube mir noch ein Wort über die Zähne des von Kölliker
abgebildeten Gipsabgusses hinzuzufügen!), obgleich ich weiß, wie
schwer es schon an und für sich ist, über Formen, die man ledig-
lich durch einen Gipsabguss kennt, zu urteilen, und mir nicht einmal
dieser Gipsabguss selbst, sondern nur die Köllikersche Abbildung
desselben zur Beurteilung vorliegt.
Ich glaube nämlich, dass Kölliker sich sogar darin irrt, dass an
seinem Präparate nur 4 Schneidezähne vorliegen; ich glaube, es hat 6!
Jm der Kölliker’schen Figur ist nach meiner Ansicht der In-
eisivus parasymphysius sinister,
J! der Ineisivus proparasymphysius sinister,
C der Ineisivus praecaninus sinister,
der auf © folgende, von Kölliker unbezeichnet gelassene Zahn
der Caninus sinister, der schließlich nach der Zahnlücke folgende
Zahn der Molaris II sinister.
1) Auf nachträglich geäußerten Wunsch des Herrn Professor Albrecht
bringen wir in der nächsten Nummer nochmals zum Vergleich die Abbildung
von Kölliker mit Albrecht’scher Analyse. Red. d. Biol. Ctbl.
VI 6
S2 Pasteur und seine Methode gegen die Tollwut.
Auf der rechten Seite hingegen finden sich zunächst ebenfalls
3 Schneidezähne, der Parasymphysius, der Proparasymphysius und
der Praecaninus dexter, dann folgt der Caninus dexter, dann der
Praemolaris I dexter, dann die Lücke für den ausgefallenen Prae-
molaris II dexter, dann der Molaris I dexter, dann der Molaris II
dexter und schließlich der Platz für den noch nicht hervorgebrochenen
Molaris III dexter.
Unter solehen Umständen hätte also das Kölliker’sche Prä-
parat ein hexaprotodontes Gebiss, und die linksseitige Kieferspalte
ginge auch hier zwischen Schneidezähnen und zwar zwischen Pro-
parasymphysius sinister und Praecaninus sinister hindurch.
Wie dem nun aber auch sei, die in Rede stehende von Th. Köl-
liker als incisivo-maxillare veröffentlichte Hasenschartenkieferspalte
hat sich als intra-inzisive Hasenschartenkieferspalte unumstößlich
erwiesen.
Pasteur und seine Methode gegen die Ansteckung der
Tollwut.
Herr Pasteur teilte der Akademie zu Paris am 1. März dieses
Jahres folgendes mit:
Am vergangenen 26. Oktober machte ich der Akademie der Wis-
senschaften Mitteilung von einer Methode, den Ausbruch der Toll-
wut nach erfolgtem Biss tollwutkranker Hunde zu verhüten, und
ferner von den Einzelheiten ihrer Anwendung bei der Be-
handlung des elsässischen Knaben Josef Meister, welcher am
voraufgegangenen 4. Juli arg gebissen worden war. Der betreffende
Hund war nachweislich tollwutkrank, die Gesundheit des Knaben ist
bis heute völlig ungestört; der Zeitpunkt des Bisses aber liegt nun-
mehr um etwa acht Monate zurück. Zur Zeit meines damaligen Vor-
trages, am 26. Oktober, hatte ich den jungen Schäfer Jupille in
Behandlung, der am 14. Oktober ebenso schwer, vielleicht noch
schwerer gebissen worden war, als der kleine Meister. Die Gesund-
heit desselben lässt ebenfalls nichts zu wünschen übrig bis heute
(1. März), nachdem 4!/, Monate seit seinem Biss verflossen.
Kaum waren diese ersten beiden glücklichen Versuche bekannt
geworden, als eine große Anzahl von Leuten, von tollen Hunden ge-
bissen, zu derselben Behandlung sich meldete, welche auf Meister
und Jupille angewendet worden war, und heute — es ist der 25. Fe-
bruar, wo ich dies schreibe — haben wir, Dr. Grancher und ich,
die Einspritzungen bei dem 350. Kranken begonnen. Obwohl nun
mein Laboratorium, seit fünf Jahren dem Studium der Wutkrankheit
gewidmet, ein Mittelpunkt war für alle Mitteilungen, welche diese
betrafen, so habe ich doch, ich gestehe es, das allgemeine Erstaunen
darüber geteilt, dass die Zahl der von tollen Hunden gebissenen
Personen eine solche Höhe erreiche.
Pasteur und seine Methode gegen die Tollwut. 83
Die Unkenntnis dieser Thatsache hing von mehr als einer Ur-
sache ab.
So lange die Tollwut für unheilbar angesehen wurde, war man
bemüht, von dem Geiste der Kranken selbst den Namen der Krank-
heit fern zu halten. Wurde jemand gebissen, so sagte ihm jeder-
mann, dass dies durch einen nicht tollwütigen Hund geschehen sei,
obwohl Tierarzt und Mediziner das Gegenteil versicherten, und das
strengste Stillschweigen wurde über den Fall beobachtet. Zu dem
Wunsche, die gefährdete Person nicht zu erschrecken, gesellte sich
auch die Furcht, derselben durch Mitteilungen über den Fall unmittel-
bar zu schaden. Denn ist man nicht bisweilen so weit gegangen,
einem Arbeiter jede Arbeit zu verweigern, wenn man wusste, dass
er von einem tollen Hund gebissen worden war? Man redete sich
leicht ein, dass ein gebissener Mensch plötzlich selbst gefährlich
werden könne, ein Umstand, der indess glücklicherweise nicht ein-
tritt. Der tollwutkranke Mensch ist vielmehr nur zu fürchten in den
letzten Stadien der Krankheit.
Um nun etwaigen vorgefassten Meinungen zu begegnen und auch
gegnerische Stimmen zu überzeugen, habe ich die Vorsicht gebraucht,
sehr strenge Statistik zu führen. Ich habe Sorge getragen, dass
Zeugnisse verlangt wurden, welche von Tierärzten oder von Medi-
zinern ausgestellt waren, und welche die Wutkrankheit des Hundes
feststellten. Nur in einigen vereinzelten Fällen konnte ich mich nicht
der Verpflichtung entziehen, auch Leute zu behandeln, welche von
wutverdächtigen, aber hinterher abhanden gekommenen Hunden ge-
bissen worden waren, weil diese Leute, abgesehen von der ja doch
möglichen Gefährlichkeit ihrer Bisswunden, unter der Furcht litten,
sie könnten krank werden, wenn wir ihnen unsere Behandlung ver-
weigert hätten. Gebissene Personen, deren Kleidung nicht siehtbar
von den Hundezähnen durchlöchert oder aufgerissen war, habe ich
nicht in Behandlung genommen; denn es ist klar, dass in einem
solchen Fall keine Gefahr zu befürchten ist, weil das Virus nicht in
das Fleisch eindringen konnte, auch dann nicht, wenn der Biss durch
den Druck der Zähne eine selbst blutige Wunde zur Folge hatte.
Bei einer Reihe von erst zweifelhaften Fällen wurde das Vorhanden-
sein der Tollwut bei dem fraglichen Hunde in meinem Laboratorium
selbst festgestellt, und zwar durch Impfungen an Kaninchen oder
Meerschweinchen, vorgenommen mit Nervenmaterie aus dem Kadaver
des Hundes.
So weit Pasteur. Aus den von ihm der Pariser Akademie am
1. März mitgeteilten Fällen — er beschreibt 23 von seinen sämtlichen
350, und zwar haben diese 23 innerhalb eines Zeitraums von zehn
Tagen bei ihm sich eingefunden — heben wir hier folgende hervor.
Etienne Roumier, 48 Jahre alt, aus der Gemeinde Ourou£re
(Nievre), gebissen an beiden Händen, und zwar am 4. November von
84 Pasteur und seine Methode gegen die Tollwut.
einem durch den Tierarzt Moreau als wutkrank erkannten Hund. Die
Bisswunde war die ersten 24 Stunden vollkommen sich selbst über-
lassen geblieben.
Francois Saint-Martin, aus Tarbes, zehn Jahre alt, gebissen
am rechten Daumen, und zwar am 7. November 1885. Bisswunde
von einem Apotheker mit Ammoniak gewaschen. Hund als wutkrank
erkannt von Herrn Dupont, Chef der Viehseuchen - Kommission.
Marguerite Luzier, aus Fongrave (Haute-Garonne), 13 Jahre
alt, am 11. November 1885 ins Bein gebissen von einer wutkranken
Katze. Aetzung der Wunde mit Karbolsäure. Die Schwere der Biss-
wunden veranlasste uns das Kind in das Hospital des Enfants-Mala-
des zu bringen, um ihm dort die nötige chirurgische Behandlung an-
gedeihen zu lassen.
Corbillon, 27 Jahre alt, aus Neuville bei Clermont (Oise), ge-
bissen am 12. November 1885. Hund als wutkrank erkannt von
Herrn Chantareu, Tierarzt in Olermont. Mit dem Glüheisen ge-
brannt acht Stunden nach dem Biss.
Plantin, Einwohner in Etrung (Nord), gebissen im Anfang des
Monats November an der rechten Hand. Gebrannt 40 Stunden nach
dem Biss. Hund als wutkrank bezeichnet von Herrn Eloire, Tier-
arzt in la Capelle (Aisne).
Frau Achard aus Saint-Etienne, am 9. November 1885 am
rechten Fuß gebissen und am 12. November an der rechten Hand von
demselben Hund, als wutkrank erkannt von Herrn Charloy, Tier-
arzt in Saint-Etienne. Nicht gebrannt.
Dr. John Hughes aus Oswestry in England, gebissen am
13. November 1885. Zwei starke Bisswunden an der Unterlippe.
Keine Aetzung. Hund als wutkrank erkannt von dem genannten
Arzte selbst.
Witwe Faure, aus dem Dorfe Alma in Algier, ins Bein gebissen
am 1. September 1885. Von demselben Hunde gebissen 4 Kinder,
von denen eines im Mustapha-Hospital in Algier zwei Monate nach
erhaltenem Biss gestorben ist. Sorgfältige Beschreibung der Wut-
symptome bei diesem Kinde durch Dr. Moreau in Algier. Die an-
dern drei Kinder wurden Mitte November in Behandlung genommen.
Voisenet aus Semur (Cöte d’Or), 50 Jahre, gebissen am 16. No-
vember in beide Beine von einem Hunde, den der Tierarzt Herr
Colas als wutkrank erkannt. Brand mit dem Glüheisen nur 4 Stun-
den nach dem Biss. Von demselben Hund gebissen wurde der folgende:
Calmeau, aus Vassy-lez-Avallon, und zwar in der Nacht vom
15. zum 16. November am Bauch, in den Steiß, ins Knie. Kleider
und Hemd in Fetzen gerissen. Wunden ganz sich selbst überlassen.
Hund als wutkrank erkannt von Herrn Colas, Tierarzt in Semur.
Pasteur und seine Methode gegen die Tollwut. S5
Jean Lorda, 36 Jahre alt, heimisch in Lasse (Basses-Pyrenees).
Dieser Fall gehört zu den interessantesten.
Herr Pasteur teilt weiter folgendes über diesen Fall mit: Ge-
bissen am 25. Oktober 1885 kamL. erst am 21. November in mein In-
stitut, also am 27. Tage nach erfolgtem Biss. An demselben Tage
und von demselben Hund wie er wurden auch gebissen sieben
Schweine und zwei Kühe, und zwar sind diese neun Tiere alle an
der Wutkrankheit gestorben, die Schweine nach einer kurzen Inku-
bationszeit von vierzehn Tagen bis zu drei Wochen. Erst durch den
infolge der Wutkrankheit erfolgten Tod der Schweine erschreckt ging
Lorda nach Paris. Die eine der gebissenen Kühe starb vierunddreißig,
die andere zweiundfünfzig Tage nach erhaltenem Biss. Ich verdanke
diese Einzelheiten Herrn Inda, Tierarzt in Saint- Palais. Besondere
Beachtung verdient dabei folgender Umstand: alsbald nach erhal-
tenem Bisse wurden die beiden Kühe gründlich mit dem Glüheisen
gebrannt, eine Thatsache, die von Herrn Inda unterstrichen
worden. Ich habe genügend zahlreiche Beweise für die Wirkungs-
losigkeit des Brennens mit dem Glüheisen, auch wenn dies unver-
züglich angewendet wird. Die Gesundheit Lorda’s aber ist unge-
trübt; seine Behandlung wurde am vergangenen 28. November beendet.
Ich führe nun nur noch einen Fall an, und zwar besonders
darum, weil er mir lebhafte Sorge machte. Er bezieht sich auf einen
acht Jahre alten Knaben namens Jullion aus Charonne, der am
30. November gebissen wurde. Als das Kind den Hund auf sich zu-
kommen sah, fing es an zu schreien, und in diesem Augenblick drang
der Unterkiefer des Hundes in den offnen Mund desselben ein. Ein
Zahn des Hundes zerreißt die Oberlippe des Kindes und dringt tief
in den Gaumen ein, während ein Zahn des Oberkiefers, welcher letz-
tere außerhalb der Mundöffnung des Kindes geblieben, zwischen dem
rechten Auge und der Nase des letztern eindringt. Brennen war über-
haupt nicht möglich. Der Hund aber, welcher Jullion biss, wurde
als wutkrank erkannt von Herrn Guillemard, Tierarzt in Paris.
Bei einer einzigen Person blieb die Behandlung ohne Erfolg; sie
unterlag der Wutkrankheit, nachdem sie die Behandlung durchgemacht.
Es war die kleine 10 Jahre alte Louise Pelletier aus la Vannere-
Saint-Hilaire, welche am 3. Oktober 1885 von einem großen Hunde
gebissen und mir am 9. November, am 37. Tage nach ihrer Verwun-
dung, zugeführt worden war. Sie hatte tiefe Wunden in der Achsel-
höhle und am Kopfe. Die Kopfwunde war so schwer und so bedeu-
tend, dass sie noch am 9. November trotz fortgesetzter ärztlicher
Behandlung blutete und eiterte. Die Anfangssymptome der Hydro-
phobie zeigten sich am 27. November, elf Tage nach beendeter Be-
handlung, und wurden deutlicher am Morgen des 1. Dezember. Der
Tod erfolgte unter den ausgesprochensten Zeichen der Wutkrankheit
am Abend des 3. Dezember.
Pasteur und seine Methode gegen die Tollwut.
(0,2)
{op}
Hierbei handelt es sieh um eine wichtige Frage: welches Wut-
Virus hatte den Tod herbeigeführt, dasjenige des Bisses, oder das
dem Kinde durch die Einspritzungen zugeführte? Es war mir leicht
dies zu entscheiden. 24 Stunden nach dem Tode der Louise Pelletier
wurde mit Erlaubnis ihrer Eltern und des Polizeipräfekten der Schädel
in der Gegend der Bisswunde trepaniert, eine kleine Menge der Hirn-
masse herausgenommen und darauf zwei Kaninchen mittels Trepana-
tions-Methode eingeimpft. Beide Kaninchen wurden zehn Tage darauf,
und zwar gleichzeitig, von der Wutkrankheit ergriffen. Nach ihrem
Tode wurden von ihrem Rückenmark neue Kaninchen geimpft, bei
denen die Krankheit nach einer Inkubationszeit von 15 Tagen aus-
brach, und diese Versuchs- Ergebnisse genügen um zu zeigen, dass
das Virus, an dem die kleine Pelletier starb, dasjenige des Hundes
war, welcher sie gebissen hatte. Wäre ihr Tod erfolgt auf die
Impfungen bin, so würde die Inkubationszeit bei den Kaninchen nach
der zweiten Uebertragung höchstens 7 Tage betragen haben, wie aus
meinen frühern Mitteilungen hervorgeht (Biol. Centralblatt, Bd. V,
Nr. 18 und 19).
Wenn nun meine Behandlungsweise niemals in 350 Fällen üble
Folgen nach sich zog, weder Phlegmone, noch Abszesse, noch auch
nur ödematöse Erscheinungen, kann man dann sagen, dass sie in
der That die Wirkung hatte, den Ausbruch der Tollwut nach dem
Bisse kranker Tiere zu verhüten? Für eine sehr große Zahl der be-
reits behandelten Personen, die eine, Josef Meister, vor acht und die
andere, Jean-Baptiste Jupille, vor mehr als vier Monaten behandelt,
und für die meisten der 350 andern kann man versichern, dass diese
neue Methode begründet ist. Ihre Wirksamkeit ergibt sich besonders
aus den Durchschnittszahlen der Tollwut-Fälle nach wutgiftigem Biss.
Die medizinischen und tierärztlichen Werke liefern in dieser Beziehung
wenig übereinstimmende Angaben, was leicht zu verstehen ist, wenn
man an das soeben von mir Gesagte denkt von dem Stillschweigen,
das sehr oft von Familien und von Aerzten über die durch wutkranke
Hunde erfolgten Bisse und selbst über die Natur des darauf erfolgen-
den Todes beobachtet wird; mitunter wissentlich wird das mit dem
Namen Meningitis bezeichnet, was man ganz wohl als von der
Wutkrankheit herrührend kennt.
Noch besser wird man die Schwierigkeit, zuverlässige Statistiken
aufzustellen, durch folgende Thatsache kennen lernen. Am 14. Juli 1885
wurden nacheinander fünf Personen auf der Route de Pantin von
einem tollwutkranken Hunde gebissen. Alle diese Personen starben
an der Wutkrankheit. Dr. Dujardin-Beaumetz zeigte auf die
Weisung des Herrn Polizeipräfekten hin die Namen der Personen
dem Conseil de salubrit& de la Seine an, ebenso die Umstände, unter
denen die Bisse erfolgten, und den Tod der fünf Personen. Wenn
eine solehe Reihe von Fällen in eine Statistik hineinkommt, so wird
Pasteur und seine Methode gegen die Tollwut. 87
das Verhältnis der Todesfälle zu den Bissfällen steigen. Es würde
sinken durch eine gleich große Reihe, wo im Gegenteil auf fünf
gebissene Personen kein einziger Todesfall käme. Mehr Vertrauen
hätte ich zu folgenden statistischen Angaben: Herr Leblance, ein
unterrichteter Tierarzt, Mitglied der Acad&mie de medeeine, welcher
lange Zeit dem Sanitätsdienst der Polizeipräfektur der Seine vorstand,
war so freundlich mir ein wichtiges Dokument zu überlassen über
den von mir besprochenen Gegenstand. Das ist ein amtliches, von
ihm selbst angelegtes Verzeichnis über die Berichte der Polizeikom-
missare, oder zufolge der Aufzeichnungen von Veterinären, welche
Hundespitälern vorstanden. Dieses Verzeichnis umfasst sechs Jahr-
gänge und ergibt folgende Zahlen: Im Departement der Seine kamen
im Jahre 1878 auf 103 gebissene Personen 24 Todesfälle an Tollwut,
1879 auf 76 Gebissene 12 Todesfälle, 1880 auf 68 Gebissene 5 Todes-
fälle, 1881 auf 156 Gebissene 23 Todesfälle, 1882 auf 67 Gebissene
11 Todesfälle, endlich 1883 auf 45 Gebissene 6 Todesfälle. Diese
Zahlen ergeben im Mittel 1 Todesfall auf 6 Gebissene.
Um indess die Bedeutung der Methode der Tollwut-Prophylaxis
richtig zu beurteilen, bleibt noch eine zweite Frage, nicht minder
wichtig als diejenige der Durchschnittszahlen der Todesfälle infolge
von Wutkrankheit nach wutgiftigen Bissen. Das ist die Frage zu
wissen, ob wir der Zeit nach schon weit genug entfernt sind von dem
Augenblick des bei den bereits behandelten Personen erfolgten Bisses,
um nicht mehr bei ihnen den Ausbruch der Krankheit befürchten zu
brauchen. Mit andern Worten: in welcher Zeit nach erfolgtem Biss
kommt die Wutkrankheit zum Ausbruch ?
Die statistischen Aufzeichnungen besagen, dass dies vornehmlich
innerhalb von zwei Monaten geschieht, also während der ersten vierzig
bis sechzig Tage nach dem Biss. Nun sind von den nach der neuen
Methode behandelten Personen jeden Alters und Geschlechts hundert
vor dem 15. Dezember 1885 gebissen worden, das heißt vor mehr als
2'/, Monaten. Bei dem zweiten Hundert sind sechs Wochen bis zwei
Monate seit dem Zeitpunkte des erfolgten Bisses vergangen, und für
die hundertundfünfzig Andern, welehe behandelt sind oder noch in
Behandlung sich befinden [alles vom 1. März ab gerechnet], vollzieht
sich bis jetzt alles ebenso, wie bei den zweihundert ersten.
Man erkennt daraus, so schloss Herr Pasteur seinen Vortrag,
wie viele der behandelten Personen durch die neue Methode bereits
dem Tode entrissen wurden.
S8 König, Ueber Farbensehen und Farbenblindheit.
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
Physiologische Gesellschaft zu Berlin.
Sitzung vom 14. November 1884.
Herr Arthur König (a. G.) sprach „über Farbensehen
und Farbenblindheit“.
Der Vortragende gab eine zusammenfassende Darstellung der
bisher zum Teil von ihm allein, zum andern Teil in Gemeinschaft
mit Herrn ©. Dieteriei ausgeführten Untersuchungen auf dem Ge-
biete der normalen und anormalen Farbenempfindungen.
Hier soll nur ein kurzer Ueberblick über den Inhalt des Vortrages
gegeben werden:
Den Ausgangspunkt meiner physiologisch-optischen Untersuchungen
bildete die Beschäftigung mit dem von Herrn v. Helmholtz kon-
struierten Leukoskope. Das Prinzip, auf dem die Theorie dieses
Instrumentes beruht, lässt sich in folgender Weise darstellen. Wenn
man einen polarisierten Strahl weißen, d. h. alle Wellenlängen ent-
haltenden Lichtes durch eine Quarzplatte und darauf durch ein Nicol’-
sches Prisma gehen lässt, so erscheint er im allgemeinen nicht weiß,
sondern farbig, und seine Farbe ist sowohl abhängig von der Dicke
jener Qnarzplatte als auch von dem Winkel, den die Polarisations-
ebene des ursprünglichen Strahles mit der Polarisationsebene des
Niecol’schen Prismas bildet. Sind zwei solche Winkel um 90° ver-
schieden, die Quarzplatten aber gleich dick, was z. B. der Fall ist,
wenn zwei senkrecht zu einander polarisierte weiße Strahlen dureh
dieselbe Quarzplatte und darauf durch dasselbe Nicol’sche Prisma
gehen, so erscheinen sie komplementär gefärbt.
Eine spektroskopische Zerlegung eines solchen Strahles liefert
uns ein Spektrum, welches von dunklen Bändern durchzogen ist, die
zwischen sich, allmählich darin übergehend, Streifen von unvermin-
derter Helligkeit einschließen. Bei der spektroskopischen Zerlegung
eines komplementär gefärbten Strahles zeigt sich, dass hier im Spek-
trum die Intensitätsmaxima liegen, wo sich dort die Minima befinden,
und umgekehrt. Die Zahl dieser dunklen Streifen wächst mit zu-
nehmender Dicke der Quarzplatte und sie werden alle durch Drehen
des Nicol’schen Prismas seitlich verschoben.
Ermöglicht man nun auch noch eine Aenderung des Intensitäts-
verhältnisses zwischen den beiden ursprünglichen senkrecht zu einander
polarisierten Strahlen, so hat man drei Variable, über die man be-
liebig verfügen kann, und da das normale Farbensystem ein System
dreifacher Mannigfaltigkeit ist, so sollte man glauben, jede beliebige
Nüancierung der aus jenem optischen Systeme austretenden Strahlen
nunmehr erzielen, u. a. auch den Fall zu realisieren zu können, dass
König, Ueber Farbensehen und Farbenblindheit. 89
beide austretende Strahlen weiß erscheinen und die gleiche Intensität
besitzen, indem in dem einen Gelb und Blau, in dem andern Rot,
Grün und Violett ausgelöscht ist. Die Erfahrung hat nun aber ge-
lehrt, dass dieses im allgemeinen nieht möglich ist, d. h. dass eine
noch unbekannte Beziehung zwischen den drei scheinbar unabhängigen
Variablen bestehen muss.
Nicht minder unerklärlich waren die Einstellungen, welche soge-
nannte „Rothblinde“ und „Grünblinde“ mit dem Leukoskop machten.
Sie können nämlich bei jeder 2 mm übersteigenden Quarzdicke und
bei gleicher Intensität der zwei senkrecht zu einander polarisierten
Lichtstrahlen dem Nicol’schen Prisma eine solche Stellung geben,
dass ihnen die beiden austretenden Strahlen weiß erscheinen und
gleiche Intensität besitzen. Das eine zweifache Mannigfaltigkeit re-
präsentierende Farbensystem dieser Individuen musste theoretisch das
Vorhandensein von zwei Variablen zur Einstellung auf Gleichheit er-
fordern. Die erwähnte Erfahrungsthatsache lehrt aber, dass hier nur
eine Variable notwendig ist.
Einstellungen von etwa 50 solcher farbenverwechselnden Individuen
ergaben, dass man hier scharf zwei Gruppen unterscheiden konnte.
Die Individuen der einen Gruppe machten solche Einstellungen, wo
für uns das Rot unzweifelhaft heller war, als das damit für gleich-
farbig erklärte Grün, die Individuen der andern Gruppe erklärten
ein dunkles Rot für gleiehfarbig mit einem hellern Grün. Eine solche
scharfe Trennung in zwei Klassen ist nun aufgrund anderer Unter-
suchungsmethoden vielfach behauptet, aber auch wiederum geleugnet
worden. Hält man die Berechtigung zu einer solehen Trennung für
erwiesen, so könnte man die erste Gruppe auf grund der Young-
Helmholtz’schen Farbentheorie für „rotblind“, die zweite für „grün-
blind“ erklären und bei ihnen das Fehlen der einen oder der andern
Grundempfindungen vermuten.
Er erschien mir nun in höchstem Grade wünschenswert, an einem
Teil der von mir mit dem Leukoskope untersuchten Personen auch
andere Untersuchungsmethoden anzuwenden und zu sehen, ob hier
eine eventuelle Teilung in zwei Gruppen mit der oben erwähnten
zusammenfallen würde.
Proben mit Pigmentfarben oder farbigen Schatten waren natür-
lich hierzu viel zu ungenau, und es blieb somit nur die Bestimmung
der Spektrumsgrenzen und des „neutralen Punktes im Spektrum“.
Wenige Versuche lehrten mich, dass die erste Methode nicht in be-
tracht kommen konnte. Die Angaben hängen so sehr von der Inten-
sität der benutzten Lichtquelle, von dem Adaptionszustand der Netz-
haut an die grade vorhandene Intensität, von der Intelligenz des
Untersuchten u. s. w. ab, dass auf diesem Wege sicherlich keine
Resultate zu gewinnen waren, die man als die Grundlage zu weitern
Schlussfolgerungen verwenden durfte. Ich benutzte daher die zweite
90 König, Ueber Farbensehen und Farbenblindheit.
Methode, mit der es mir gelang unter Anwendung des von Maxwell
zuerst vorgeschlagenen Verfahrens zur Herstellung eines homogen
gefärbten Feldes sehr genaue Bestimmung über die Wellenlänge des
„neutralen Punktes“ an 13 „Rotgrünverwechslern“ zu machen. Unter
dem „neutralen Punkte“ versteht man bekanntlich denjenigen Punkt
im Spektrum, der den untersuchten Individuen, je nach der Intensität
grau bezw. weiß erscheint. Die Genauigkeit der Messungen ermög-
lichte es mir auch die von Herrn Preyer zuerst aufgefundene Ab-
hängigkeit der Wellenlänge des „neutralen Punktes“ von der Intensität
des Spektrums messend zu verfolgen.
In der nachstehenden Tabelle gebe ich die Wellenlänge An (in
Milliontel Millimeter) für den „neutralen Punkt“ von 13 „Rotgrün-
verwechslern“ bei einer für alle Untersuchten gleichen Intensität und
füge zugleich den aus 8 Einzeleinstellungen sich ergebenden wahr-
scheinlichen Fehler hinzu.
1) Hr. Dr. W 49170 + 0:09
2), 4 Dr. Re 1092,02 210.08
3). DrivBauk sen kennst 102: 057,019
4) „ Dr. 8 493.08 + 013
6)". Dre iso
O) nunmal
2), De BR a Aanle 09
Bun 90
49737 + 0.48
Den nee
10). RS oe
11) 50, We 049g 92
12) Wr oT
13) 1: LP. lan ea
Hierin sind die Individuen nach zunehmender Wellenlänge ihres
neutralen Punktes geordnet, und ich erwähne nun, dass 1), 3), 4),
5), 9) und 10) „Rotblinde“, die übrigen „Grünblinde“ waren. Es geht
daraus hervor, dass eine scharfe Trennung dieser beiden
Klassen aus der Lage des neutralen Punktes nicht zu
folgern ist, vielmehr das Gegenteil. Eine Lösung dieses
Widerspruches wird sich erst ergeben, wenn es gelungen sein wird,
bei einer großen Anzahl Rotgrünverwechsler beider Klassen die Inten-
1) Mehrere Tage später als die erste Messung gemacht.
König, Ueber Farbensehen und Farbenblindheit. 91
sitätskurve für die Grundempfindungen (nach Young-Helmholtz’-
scher Theorie) genau zu bestimmen.
Die überraschend große Sicherheit, welche sich in den eben be-
sprochenen Versuchen bei der Einstellung auf den neutralen Punkt
zeigten, veranlasste mich nun der Frage näher zu treten, ob die
Sicherheit, mit der normale, d.h. mit einem trichromatischen Farben-
system begabte Augen die Gleichfarbigkeit zweier homogen gefärbter
Felder zu beurteilen im stande sind, von derselben Größenordnung sei.
Ueber diesen Gegenstand lagen zwar schon einzelne Messungen
von den Herren Mandelstamm, Dobrowolsky und Peirce vor,
aber die Untersuchungsmethoden ließen doch manches zu wünschen
übrig. Daher unternahm ich es gemeinsam mit Herrn C. Dieterici,
die vorliegende Frage einer nochmaligen genauen Prüfung zu unter-
ziehen, in der (sich nachher auch bestätigenden) Hoffnung, dass wir
beide, obgleich nach genau derselben Methode arbeitend, doch zu
verschiedenen Resultaten gelangen würden, was dann einen Nachweis
dafür gab, dass auch innerhalb der trichromatischen Farbensysteme
nicht geringe individuelle Verschiedenheiten vorhanden sind.
Wir bestimmten die Empfindlichkeit gegen Wellenlängenunter-
schiede für zwei verschiedene Intensitäten durch den mittlern (aus
50 Einstellungen gewonnenen) Fehler einer Einstellung auf Nüancen-
gleichheit zweier homogen gefärbten Felder. Die Resultate sind in
folgender Tabelle angegeben, welche sowohl die Wellenlängen als
auch die mittlern Fehler in Milliontel Millimeter angibt.
. Mittlerer Fehler einer Einstellung für
Wellenlänge beide Intensitäten.
K D
630 105 1-47
620 0:68 1:00
590 | 0:26 0-40
ee 0:27 | 0:36
SUR 0:29 0:31
560 | 0,40 0:32
550 | 0:65 0-51
530 | 0:65 0-62
520 | 0-59 0-51
92 König, Ueber Farbensehen und Farbenblindheit.
—————————————————————————————
Für hohe Intensität. Für geringe Intensität.
RK | D K | D
510.3). 213% 0:54, ,%..070:38292 004.040 0:38
500: 1... 0413 Tu | O2 003 0:28
490 12: :0:36.33 +1222.:0:25 20:16 0.23
480 21.0133, wu ae 026
470 IE 10:43, 41 0:38 0240,46 0-41
460 130: 20:04: yo 0 >> | 0.54 0:57
450 0825, RO: DT I A AN
AAO Jr 0:62, 10° 7.0:50 Marla ERO.GB 0-45
430 0:692 22 4 0:50, Ban E08 056
Die Ergebnisse lassen sich in folgendem zusammenfassen.
1) Die Empfindlichkeit ist für eine größere Wellenlänge als
510 Milliontel Millimeter unabhängig von der Intensität.
2) Das Maximum der Empfindlichkeit im Gelben liegt für beide
Beobachter an verschiedenen Stellen des Spektrums.
3) Die beiden andern Maxima (im Blaugrünen und am Ueber-
gang von Indigo in Violett) liegen bei derselben Intensität für beide
Beobachter an derselben Stelle.
4) Sie wandern aber (ebenso wie der ungefähr in der Gegend
des ersten dieser beiden Maxima liegende neutrale Punkt der Rot-
grünverwechsler) mit steigender Intensität nach dem violetten Ende
des Spektrums hin.
Hinsichtlich der Einzelheiten sowohl der im Vorstehenden erwähn-
ten Untersuchungsmethoden wie der erlangten Resultate verweise ich
auf die speziellen Abhandlungen. Dieselben finden sich:
Wiedemann’s Annalen, Bd. 17, S. 990, 1882; Bd. 22, S. 567
u. 579, 1884.
Gräfe’s Archiv, Bd. 30, Abt. 2, 8.155 m. 171,.188£
Verhandlungen der physikalischen Gesellschaft zu Berlin, Jahr-
gang 1882, Nr. 2 u. 12; Jahrgang 1883, Nr. 4, 14 u. 16;
Jahrgang 1884, Nr. 3, 4 u. 11.
Zeitschrift für Instrumentenkunde, Bd. 3, S. 20, 1883.
Hirschberg’s Centralblatt für praktische Augenheilkunde,
Jahrgang 1884, Dezemberheft.
‘
König, Ueber einen Fall von pathologisch entstandener Violettblindheit. 95
Physikalische Gesellschaft zu Berlin.
Sitzung vom 6. November 1885.
Herr A. König sprach „über einen Fall von pathologisch
entstandener Violettblindheit“.
Bei den bisher aufgefundenen wenigen Individuen, deren Farben-
system man durch Annahme eines Fehlens der Violettempfindung
(nach Young-Helmholtz) oder der Blau-Gelbempfindung (nach
Hering) erklären zu können glaubte, sind meines Wissens keinerlei
genaue spektroskopische Bestimmungen gemacht worden. Man hat
sich mit der Angabe von einigen Verwechslungsfarben und mit einer
Beschreibung des Eindruckes, den die verschiedenen Teile des Spek-
trums in solchen Augen hervorrufen, begnügen lassen.
Vor etwa einem Jahre war ich durch die liebenswürdige Gefällig-
keit des Herrn W. Uhthoff in der Lage, selbst Beobachtungen an
einem jungen Manne anstellen zu können, der ebenso wie jene als
violettblind, resp. blaugelbblind bezeichneten Individuen angab, in der
uns gelb und gelbgrün erscheinenden Gegend des Spektrums ein
breites graues Band zu erblieken, an welches sich nach dem lang-
welligen Ende hin eine rote und nach der andern Seite hin eine grüne
oder grünlich-blaue Region anschließen sollte, welche sich beide an-
nähernd bis zu den für normale Farbensysteme gegebenen Grenzen
des Spektrums hin erstreekten. Eine damals sofort angestellte und
seitdem mit verbesserter Methode wiederholte systematische Prüfung
dieses Farbensystems ergab nun aber, dass hier kein diechroma-
tisches System vorhanden war, sondern ein trichromatisches.
Festzustellen, worin die Abweichungen dieses trichromatischen Systems
von den die große Mehrzahl bildenden normalen trichromatischen
Farbensystemen bestehen, ist leider infolge der Unsicherheit der ge-
machten Einstellungen trotz wiederholten Versuches unmöglich ge-
blieben. Es liegt somit große Wahrscheinlichkeit, wenn nicht sogar
Gewissheit vor, dass die bisher als violettblind (resp. blaugelbblind)
bezeichneten Individuen ein zwar abnormales aber trichromati-
sches Farbensystem besessen haben.
Vor einigen Monaten wurde mir nun, ebenfalls wieder durch
Herrn W. Uhthoff, ein Patient der hiesigen Schöler’schen Augen-
klinik zugeführt, der auf dem rechten Auge in dem zentralen Teile
des Gesichtsfeldes eine abnormale Farbenempfindung besaß, und bei
welchem eine diesem Skotom genau entsprechende Retinitis vorhan-
den war. Die ophthalmoskopische Prüfung hatte eine leichte Trübung
der Papille ergeben. Gleichzeitig bestand eine grau-weißliche Trübung
der Retina in der Gegend der Macula lutea, welche sich nach oben
und unten weiter ausbreitete als nach den Seiten. Eine Untersuchung
am Perimeter ergab, dass das Farbenskotom ungefähr elliptische
94 König, Ueber einen Fall von pathologisch entstandener Violettblindheit.
Gestalt hatte; die Enden der großen Axe dieser Ellipse lagen von
dem Fixationspunkt 15° nach oben, 30° nach unten; die Enden der
kleinen Axe 5° medianwärts und 15° lateralwärts.
Die Aussagen des Patienten ließen Violettblindheit in diesem
Skotom vermuten. Innerhalb des Skotoms erschienen weiße
Gegenstände gelblich. Blaugrüne, blaue und violette Pigment-
farben wurden innerhalb des Skotoms fast immer verwechselt und
erschienen grün. Meine Vermutung, dass hier die Violettempfindung
zerstört sei, wurde nun durch eine spektroskopische Prüfung voll-
kommen bestätigt. Zunächst ergab sich das Vorhandensein eines
neutralen Punktes. Die Bestimmung der Wellenlänge desselben ge-
schah in derselben Weise, wie ich sie bei Rot- Grünverwechslern an-
gewendet habe !). Es ergab sich als Wellenlänge des neutralen
Punktes 560,4 uw mit einem wahrschemlichen Fehler von + 1,4 uw
für die Einzelbestimmung. (Von einem breiten grauen Streifen im
Spektrum, wie er bei den bisher als violettblind diagnostizierten In-
dividuen erwähnt wird, konnte also keine Rede sein, was auch mit
der Beschreibung des Spektrums seitens des Patienten übereinstimmte.)
Dieser neutrale Punkt muss dem Schnittpunkte der beiden Intensi-
tätskurven für die Rotempfindung und Grünempfindung (nach Young-
Helmholtz’scher Theorie) entsprechen. Früher habe ich, die von
Herrn v. Helmholtz ausgeführten Bestimmungen ?) der Komplemen-
tärfarben benutzend, die Wellenlänge dieses Punktes zu ungefähr
563 uw berechnet ?).
Da monochromatisches Licht von der Wellenlänge 560 uw inner-
halb und außerhalb des Skotoms denselben Eindruck machte, so
haben wir unter der Bezeichnung „gelblich“, wie sie von dem Pa-
tienten für den Eindruck von weißen Gegenständen innerhalb des
Farbenskotoms benutzt wurde, sicher ein grünliches Gelb zu ver-
stehen.
Wurde das weiße Papier nieht mit Sonnenlicht, sondern mit dem
Liehte eines Argand-Gasbrenners beleuchtet, so zeigte sich, dass
seiner Farbe monochromatisches Lieht von der Wellenlänge 590, — uw
entsprach. Der wahrscheinliche Fehler einer Einzeleinstellung betrug
hier + 2, — un. Inwiefern diese Beobachtung mit meiner theore-
tisch gemachten Bestimmung zusammenfällt, werde ich in einiger Zeit
gemeinsam mit Herın ©. Dieterici nachweisen.
Zwischen zwei monochromatisch erleuchteten Feldern von der
1) A. König, Graefe’s Archiv XXX. (2) 8. 155. 1884 und Wied, Ann.
XXII, 567. 1884
2) H. Helmholtz, Pogg. Ann. LXLIV, 4. 1885 u. Wissensch. Abhandl.
II, 45. Leipzig 1883.
3) A. König, Verhandl. der Physikal. Ges. zu Berlin vom 2. März 1883.
Nr. 4.
Pansch, Grundriss der Anatomie des Menschen. 95
Wellenlänge 515 uw und 477 uw bestand kein beträchtlicher Farbenun-
terschied. Das Intensitätsverhältnis war bei Benutzung des Argand-
Gaslichtes ungefähr 17 : 1.
Das langwellige Ende des Spektrums war unverkürzt, das kurz-
wellige endete hingegen im Indigo.
Zur Erklärung dieser anormalen Farbenempfindung könnten
vielleicht folgende drei Annahmen in betracht kommen:
1. Die Störung des Farbensystems besteht in einer Absorption
des violetten Endes des Spektrums durch die innern Schichten der
Retina. Das ist aber unvereinbar sowohl mit der ausdrücklich kon-
statierten völligen Gleichheit von weißem Licht und einem bestimm-
ten monochromatischen Licht, wie auch mit der Thatsache, dass von
dem neutralen Punkte an in dem kurzwelligen Teile des Spektrums
die Farben sich nur durch mehr oder minder große Beimischung von
Weiß unterschieden. Bei einer bloßen Absorption gewisser Teile des
Spektrums hätte der Farbenton der nicht absorbierten der normale
sein müssen.
2. Unter Voraussetzung der Richtigkeit der Hering’schen Far-
bentheorie mangelt die Blau-Gelbempfindung. Dann hätte aber mono-
chromatisches Licht von der Wellenlänge des neutralen Punktes
(560 uw) und weißes Sonnenlicht weiß und nicht gelblich erscheinen
müssen.
3. Es mangelt die Violett- Empfindung (nach Young-Helm-
holtz). Hiermit sind alle Beobachtungen und Aussagen des Patien-
ten im Einklang.
Ich stehe daher nicht an, in dem vorstehend Berichteten eine
unantastbare Stütze für die Richtigkeit der Young-Helmholtz’schen
Farbentheorie zu erblicken.
Zusatz zu der Spengel’schen Mitteilung: „Phoenicurus
redivivus“.
Außer den Autoren, welche Spengel in Nr. 1 S. 20 dieses Bandes des
Biol. Centralbl. anführt, hat auch noch E. Grube die Rückenanhänge von
Thetys fimbria Boh. richtig erkannt, gut beschrieben und nach dem Leben in
ihrer natürlichen Lage sehr hübsch abgebildet, in der Schrift: Ein Ausflug
nach Triest und dem Quarnero, Berlin 1861, S. 29, Taf. I, Fig. 12. Das
von Grube beobachtete Individuum phosphoreszierte lebhaft, wenn es berührt
wurde.
K. Möbius (Kiel).
Ad. Pansch, Grundriss der Anatomie des Menschen.
Berlin. 1886. Verlag von Robert Oppenheim.
Unter den verschiedenen kleinern Lehrbüchern der Anatomie, welche für
den Gebrauch der Studierenden berechnet sind, nimmt dasjenige von Pansch,
dessen 2. Auflage uns vorliegt, gewiss einen hervorragenden Platz ein. Was
es vor allem auszeichnet, ist die Kürze, verbunden mit einer außerordentlichen
Klarheit und Vollständigkeit. Es ist ja das Pansch’sche Buch nicht dazu
95 Kongress für innere Medizin.
bestimmt, den Gebrauch eines größern Handbuches oder die anatomische Vor-
lesung zu ersetzen, sondern es soll erstens den Lernenden vorbereiten auf die
Benutzung größerer Lehrbücher und zweitens bei einer Repetition in aller
Kürze ein klares und vollständiges Bild der anatomischen Verhältnisse geben.
Und dieser Aufgabe wird es sicher gerecht und wird sich deswegen gewiss
viele Freunde sichern. Namentlich die Kapitel über die Bewegungsorgane und
über das Gehirn sind trefflich bearbeitet und werden unterstützt von einer
Reihe sehr guter Illustrationen, die, in der neuen Ausgabe zweifarbig gedruckt,
dem Buche nicht nur zur Zierde gereichen, sondern ein lebendigeres Bild geben
und so wesentlich zu einem leichtern Verständnis beitragen. Die Kapitel der
Neurologie und Angiologie scheinen sowohl in Text als Illustration viel-
leicht etwas zu gekürzt und zu schematisch gehalten, doch ist dies eine An-
sicht, für und gegen die sich immerhin manches vorbringen lässt. Aeußerst
praktisch erscheint aber eine tabellarische Uebersicht aller „benannten Teile
in ihrer gegenseitigen Beziehung“, der als Beilage eine Reihe von Tafeln
beigegeben ist; es wird dadurch sicher eine kurze Repetition wesentlich er-
leichtert. So verdient denn der Grundriss der Anatomie von Pansch allent-
halben bestens empfohlen zu werden. Noch mag schließlich die hübsche Aus-
stattung des Buches lobend erwähnt werden.
F. H.
Kongress für innere Medizin.
Vom 14. bis 17. April d. J. findet zu Wiesbaden der fünfte Kongress für
innere Medizin statt. Aus dem bisher festgestellten Programm heben wir
hervor:
1) Referate und Diskussionen, an den Vormittagen des 14,,
15. und 16. April:
Ueber die Pathologie und Therapie des Diabetes mellitus. Referenten: Herr
Stokvis (Amsterdam) und Herr Hoffmann (Dorpat). — Ueber operative Be-
handlung der Pleuraexsudate. Referenten: Herr O. Fräntzel (Berlin) und
Herr Weber (Halle). — Ueber die Therapie der Syphilis. Referenten: Herr
Kaposi (Wien) und Herr Neisser (Breslau).
2) Bisher angemeldete Vorträge, an den Nachmittagen der-
selben Tage:
Herr Thomas (Freiburg): Ueber Körperwägungen. — Herr Rieß (Berlin):
Aus dem Gebiete der Antipyrese. — Herr Brieger (Berlin): Ueber Ptomaine. —
Herr Ziegler (Tübingen): Ueber die Vererbung erworbener pathologischer Eigen-
schaften. — Herr Fick (Würzburg): Ueber die Blutdruckschwankungen im
Herzventrikel bei Morphiumnarkose. — Herr Rumpf (Bonn): Ueber syphilitische
Erkrankungen des Gefässsystemes. — Herr Cursehmann (Hamburg): Demer-
kungen über das Verhalten des Zentralnervensystems bei akuten Infektions-
krankheiten. — Herr Knoll (Prag): Ueber Atmungs-Innervation. — Herr Stein
(Frankfurt a. M.): Ueber die physikalische und physiologische Einwirkung der
allgemeinen Elektrisation (Galwanisation, Faradisation und Franklinisation) auf
den menschlichen Körper. — Herr Unna (Hamburg): Therapie der Lepra. —
Herr Pfeiffer, Emil (Wiesbaden): Zur Aetiologie und Therapie der harn-
sauren Steine. — Herr v. Basch (Wien-Marienbad): Zur Lehre von der Venen-
stauung. — Herr Heubner (Leipzig): Ueber Scharlachdiphtherie und deren
Biologisches Üentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
VL Band. 15. April 1886. Nr. 4.
Inhalt: Virchow, Deszendenz und Pathologie. — Pringsheim, Ueber die Sauerstoff-
abgabe der Pflanzen im Mikrospektrum (Fortsetzung). — Fritz Müller, Neue
Beobachtungen über Feigenwespen. — Albrecht, Ueber den morphologischen Sitz
der Hasenschartenkieferspalte (Nachtrag). — Just, Zur Histologie und Physiologie
des Flimmerepithels. — Exner, Ueber eine neue Urteils-Täuschung im Gebiete
des Gesichts-Sinnes. — Annalen des K. K. naturhistorischen Hofmuseums zu
Wien.
Rud. Virchow, Deszendenz und Pathologie '!).
In seinem „Archiv für pathologische Anatomie“ (Band 103) ver-
breitet sich Rud. Virchow noch einmal ausführlich über die zwischen
ihm und Weismann auf der letzten Versammlung der Naturforscher
und Aerzte in Straßburg erörterten Fragen in drei Artikeln, auf welche
Herrn Weismann’s Erwiderung in diesem Blatte ?) sich bezog. Um
nun unsern Lesern das ganze Material vorzulegen und die Gründe
der Meinungsverschiedenheiten aufzuklären, welche zwischen Virchow
und Weismann auf jener Versammlung zutage traten, ehe die Art
derselben besprochen werde, so geben wir hier noch den Artikel
des Herrn Virchow in seinen wesentlichen Teilen mit dessen eignen
Worten wieder, indem auch wir glauben, es liege im Interesse der
Wissenschaft, den Grund dieser Differenz aufzuklären.
Nach Virchow ist dieser Grund kein anderer als der, dass seit
der Abspaltung des größten Teiles der Naturwissenschaften von der
Medizin die Mehrzahl der Normal-Biologen — um statt des sonst
vielleicht mehr zutreffenden Ausdruckes der Physiologen einen nicht
misszuverstehenden Namen zu gebrauchen — von den Erfahrungen
der Pathologen wenig oder gar keine Kenntnis nimmt.
4) Mit besonderer Erlaubnis des Herrn Verfassers hier auszugsweise als
Referat wiedergegeben. Red. d. Biol. Ctbl.
2) Biol. Centralbl., Bd. VI, Nr. 2.
VI,
1
98 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
Nirgends tritt — so führt Virchow in dem ersten der drei Ar-
tikel aus — dies so scharf hervor, als in den Erörterungen über
Deszendenz. Freilich muss ich Darwin selbst insofern ausnehmen,
als in allen seinen Schriften das Bestreben, auch den pathologischen
Erscheinungen ihr Reeht widerfahren zu lassen, erkennbar ist. Sagt
er doch gleich im ersten Kapitel seines berühmten Buches (On the
origin of species. London 1859. p. 8): Monstrosities cannot be se-
parated by any clear line of distinetion fom mere variations. Aber
er selbst war kein Pathologe: er verdankte seine Kenntnisse auf die-
sem Gebiete teils literarischen Studien, teils Mitteilungen einzelner
Aerzte, und daher ist es ihm auch nicht gelungen, die einschlagenden
Fragen so zu vertiefen, dass für seine Nachfolger eine genügende
Klärung herbeigeführt worden wäre.
Herr Weismann geht in seinem Widerspruch gegen die Patho-
logie so weit, dass er gradezu die Vererbbarkeit erworbener Charak-
tere leugnet. Er behauptet kurzweg: „Bis jetzt liegt noch keine
Thatsache vor, welehe wirklich bewiese, dass erworbene Eigenschaften
vererbt werden können“ (Tageblatt der 58. Versammlung deutscher
Naturf. u. Aerzte. 1885. S. 47). Er fügt hinzu: „Vererbung künstlich
erzeuster Krankheiten ist nieht beweisend, und so lange dies nicht
der Fall ist, hat man kein Recht, diese Annahme (von der Vererbung
erworbener Eigenschaften) zu machen, es sei denn, dass wir dazu
gezwungen würden durch die Unmöglichkeit, die Artumwandlung
ohne diese Annahme zu beweisen.“
Warum Herr Weismann nur die Vererbung künstlich er-
zeugter Krankheiten zugesteht, ist nicht recht verständlich, denn die
Zahl der künstlich erzeugten erblichen Krankheiten ist gegenüber der
Zahl der natürlich entstandenen und doch erblichen Krank-
heiten eine verschwindend kleine. Ja, ich möchte behaupten, Herr
Weismann würde die meisten Aerzte in große Verlegenheit bringen,
wenn er von ihnen die Angabe künstlich erzeugter, erblicher Krank-
heiten verlangte, während ihm gewiss jeder Arzt eine Reihe natürlich
entstandener Krankheiten aufführen würde, welche sich erblich über-
tragen. Denn der Herr straft die Sünden der Väter an ihren Söhnen
bis in das dritte und vierte Glied. Aber, was noch viel mehr über-
rascht, das ist der Gegensatz, in welchen sich Herr Weismann
gegen Darwin selbst stellt. Grade der Hauptteil der Gründe, welche
der große Naturforscher für die Variabilität der Arten und damit für
die Deszendenz gesammelt hat, und zugleich derjenige, welcher ihm
besonders eigentümlich ist und seine Stärke ausmacht, ist den Er-
fahrungen der Domestikation entnommen. Die Domestikation aber
hatte in seinen Betrachtungen den Wert, dass durch sie die Vererbung
erworbener Eigenschaften in unzweifelhafter Weise dargethan wer-
den könne. Am Schlusse seines ersten Kapitels (S. 43), wo er seine
Ansichten über die Domestikation zusammenfasst, sagt er: I believe
Virchow, Deszendenz und Pathologie. 99
that the conditions of life, from their action on the reproductive
system, are so far of the highest importance as eausing variability. —
Variability is governed by many unknown laws, more especially by
that of correlation of growth. Something may be attributed to the
direet action of the conditions of life. Something must be attributed
to use and disuse. — Konnte es also schon damals nicht zweifelhaft
sein, dass Darwin der Entstehung von Varietäten durch Erwerbung
neuer Eigenschaften einen großen Wert beilegte, so hat er sich über
die Vererbung erworbener Eigenschaften in seinem Werke über das
Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation
(deutsch von V. Carus. Stuttg. 1868. II. S. 36, 106 u. a.) auf das
bestimmteste ausgesprochen. Freilich lag es in seinem Gedanken-
gange, der eben durch die Erfahrungen über die Züchtung von Pflan-
zen und Tieren bestimmt war, dass er als die, sowohl für künstliche,
als für natürliche Variation entscheidende Methode die Zuchtwahl
(selection) aufstellte, und dass er darüber die Frage nach der ersten
Entstehung der Variation in den Hintergrund drängte. Es ent-
ging ihm nicht, dass die Zuchtwahl nur die Fixierung einer neu ent-
standenen Variation beabsichtigen kann, aber die Thatsache bleibt
doch stehen, dass er die Frage dieser Neuentstehung sehr nebensäch-
lich behandelt hat.
Herr Weismann glaubt diesen Mangel dadurch ergänzen zu
können, dass er sagt: „Es beruht alles auf Anpassung“. Aber was
heißt denn Anpassung? Er selbst gibt eine Art von Erklärung dafür:
„Es gibt keinen Teil des Körpers, und sei es der kleinste und unbe-
deutendste, überhaupt kein Strukturverhältnis, das nicht entstanden
wäre unter dem Einflusse der Lebensbedingungen, sei es bei der be-
treffenden Art selbst, sei es bei ihren Vorfahren; keines, das nicht
diesen Lebensbedingungen entspräche, wie das Flussbett dem in ihm
strömenden Fluss.“ Da haben wir also wieder die conditions of life
von Darwin. Aber was sind denn diese Lebensbedingungen? Ich
wüsste nicht, was es anders sein kann, als in erster Linie die Ein-
flüsse der äußern Dinge, der Umgebungen, der Medien. Dass ein
lebendiges Wesen, welches unter veränderte Lebensbedingungen ver-
setzt wird, andere Thätigkeiten ausüben, andere Funktionen in Ge-
brauch nehmen, andere Gewohnheiten ausbilden muss, wenn es nicht
sterben oder verkümmern will, das ist selbstverständlich. Darwin’s
use and disuse entspricht der alten Lehre von der Gewöhnung und
Uebung. Aber sieht denn Herr Weismann nicht, dass der Grund
für diese Veränderung des Lebens eben in den Medien, in den äußern
Verhältnissen liegt? und ist ihm wirklich unbekannt, dass eine Ver-
änderung, welche „unter dem Einflusse der (veränderten) Lebensbe-
dingungen entstanden ist“, nach einem alten Sprachgebrauche der
Pathologie eine erworbene genannt wird? Ob sie an der betref-
fenden Art selbst oder auch nur an gewissen Individuen derselben
win
‘
100 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
„entsteht“, oder ob sie schon bei deren Vorfahren „entstanden“ war
und sich nachher erblich fortgepflanzt hat, das ändert nichts an der
Thatsache, dass sie von demjenigen Individuum oder derjenigen Art,
wo sie entsteht, erworben wird. Sie ist eben eine mutatio ac-
quisita, und wenn sie sich auf die Nachkommenschaft überträgt, so
ist das ein Fall von Vererbung erworbener Eigenschaften.
In Straßburg war ich der nächste Redner nach Herrn Weis-
mann. Mein Thema war die Akklimatisation. Darunter versteht
man bekanntlich die Anpassung an die durch ein fremdes Klima ver-
änderten Lebensbedingungen eines Individuums, d. h. die Erwerbung
von neuen Eigenschaften, vermöge welcher es möglich ist, ein ge-
sundes Leben auch unter den veränderten Verhältnissen zu führen.
Gibt es keine Vererbung dieser Eigenschaften, so ist die Besiedelung
eines fremden Landes durch eine eingewanderte Rasse unmöglich.
Ich musste also notgedrungen zu der durch Herrn Weismann auf-
gestellten These Stellung nehmen. Meine Ueberzeugung, der ich Aus-
druck gab, geht dahin, dass es allerdings eine Akklimatisation
gibt, aber eine beschränkte, dass gewisse Rassen mehr, an-
dere weniger zu der Akklimatisation befähigt sind, und dass die we-
niger befähigten, welche ich die vulnerablen nannte, für die Be-
siedelung tropischer Gegenden sich überhaupt nicht eignen.
Nur beiläufig will ich erwähnen, dass Herr Weismann in seiner
Gegenrede die Akklimatisation in der Weise erklärte, dass „die
sünstigsten individuellen Variationen, welche sich innerhalb + einer
menschlichen Kolonie darboten, erhalten blieben, sich fortpflanzten
und somit ihre eignen günstigen Eigenschaften auf die Nachkommen-
schaft übertrugen“. Das Beispiel, welches er zur Erläuterung dieses
Satzes beibrachte, war nicht sehr glücklich gewählt. „Ein junger,
blühender Mann, vollkommen in der Kraft der Jugend, wurde inner-
halb 8 Tagen vom gelben Fieber in Vera Cruz dahingerafft; ihn be-
gleitete zum Grabe ein anderer Deutscher, ein kleiner dürrer Mann
von fahler Gesichtsfarbe, der hat das gelbe Fieber nicht bekommen.
Wäre dieser Mann — er ist jetzt auch zurückgekehrt — dort ge-
blieben und hätte sich dort fortgepflanzt, so würde er vielleicht im
Laufe der Zeit Anlass gegeben haben zu einer kleinen europäischen
Kolonie, die dem gelben Fieber Widerstand zu leisten im stande
wäre.“ Obwohl der stenographische Bericht hinter dieser Stelle ein
Bravo verzeichnet, so wage ich doch zu behaupten, dass die moderne
Medizin eine derartige „Ilustration“ als eine wissenschaftlich zu-
lässige nirgends anerkennen wird. Denn der Umstand, dass der
kleine dürre Mann das gelbe Fieber nicht bekam, würde ihm für
eine neue Epidemie ebenso wenig Sicherheit gewährt haben, als das
Verschontbleiben einzelner Individuen in einer Epidemie von Cholera
oder Pocken ihnen Schutz für eine folgende Epidemie gewährt. Durch
eine Rückkehr hat er sich dieser Probe entzogen und darum ist der
Fall gänzlich wertlos.
Virchow, Deszendenz und Pathologie. 101
Indess, wie gut oder schlecht das Beispiel war, Herr Weismann
blieb wenigstens konsequent: er leugnet eben die Akklimatisation,
d. h. die Erwerbung neuer Eigenschaften, und verweist dieselbe ganz
und gar auf das Gebiet der Variation, und zwar einer schon vorher,
d. h. vor der Einwanderung in das fremde Klima vorhan-
denen Variation. Wie schon angeführt, erkenne auch ich die
Bedeutung präexistenter Eigenschaften, d. h. der bestehenden Varia-
tion voll an, und ich will besonders hinzufügen, nicht bloß die Be-
deutung der Rassen-, sondern auch die der individuellen Eigen-
schaften. Aber damit ist die Frage der Akklimatisation selbst nicht
gelöst: mit einer einfachen Negation wird man sie nicht aus der
Welt schaffen. Wer auch nur das einfachste Gebiet der Akklima-
tisationserscheinungen, das der exotischen Pflanzen, überbliekt, wird
sich sehr bald überzeugen, dass es eine Akklimatisation gibt und
dass die akklimatisierten Pflanzen nicht nur Veränderungen in ihren
Lebensverrichtungen, sondern auch in ihrer anatomischen Einrichtung
zeigen.
Herr Weismann erklärte aber zugleich, dass er unter erwor-
benen Eigenschaften „bloß solche Eigentümlichkeiten verstehe, welche
im Laufe des Lebens entstanden sind durch äußere Einwirkung,
nicht durch innere“. Damit führt er uns auf das Gebiet der Aetio-
logie, auf die Frage der Causae externae und der Causae internae.
Wie es mir scheint, verbindet Herr Weismann mit diesem letztern
Begriff eine etwas mystische Vorstellung. Es ist richtig, dass wir
Pathologen zu den Causae internae s. praedisponentes auch das ganze
Bereich der erblichen Anlagen (Dispositiones hereditariae) rechnen,
und ich will dies in keiner Weise beschränken. Aber ich habe schon
oben darauf aufmerksam gemacht, dass eine erbliche Variation
irgend einmal durch eine Causa externa, durch eine Veränderung der
Lebensbedingungen entstanden sein muss. Ob die Einwirkung der
Causa externa auf das Ei oder auf das wachsende oder auf das aus-
gewachsene Individuum stattgefunden hat, das ist für diese allge-
meine Erörterung unerheblich. Wer aber leugnet, dass eine Variation
durch äußere Einwirkung überhaupt erworben werden kann, der
muss es eben machen, wie Herr Weismann mit der Akklimatisa-
tion: er muss die Möglichkeit einer Variation schlechthin in Abrede
stellen.
Das thut aber Herr Weismann keineswegs. Im Gegenteil, er
stützt darauf sein ganzes Gebäude. Um dieses überraschende Re-
sultat zu stande zu bringen, erklärt er, der Grund der Variation liege
in der sexuellen oder — wie er mit Häckel sagt — amphigonen
Fortpflanzung. Die Vermischung der beiderlei Geschlechtsprodukte
sei die Ursache der erblichen individuellen Charaktere; sie habe das
Material von individuellen Unterschieden zu schaffen, mittels dessen
Selektion neue Arten hervorbringe. Bei der ungeschlechtlichen, mo-
102 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
nogonen Fortpflanzung sei Selektion unmöglich. Dagegen könne der
Körper der niedersten, einzelligen Organismen „im Laufe seines Le-
bens durch irgend einen äußern Einfluss verändert werden,
irgend ein individuelles Merkmal bekommen“, und dieses werde dann
auf seine beiden Teilsprösslinge übergehen. Er macht weiterhin aus-
drücklich das Zugeständnis, von dem ich gern Akt nehme: „So läge
denn die Wurzel der erbliehen individuellen Unterschiede wieder in
den äußern Einflüssen, welche den Organismus direkt verän-
dern, aber nieht auf jeder Organisationshöhe — wie man bisher zu
glauben geneigt war — kann auf diese Weise erbliche Variabilität
entstehen, vielmehr nur auf der niedersten, bei den einzelligen Wesen.“
Ich füge noch hinzu, dass der Uebergang von der monogonen zur
amphigonen Fortpflanzung nach Ansicht des Herrn Weismann durch
die Konjugation einzelliger Wesen herbeigeführt worden ist.
Das ist gewiss ein sehr geistreicher Gedanke und ich werde mich
freuen, wenn er sich bestätigt. Aber ich bin außer stande zu ver-
stehen, warum das, was für die einzelligen Wesen gilt, nämlich ihre
Variation durch äußere Einflüsse, nicht auch von den mehr- und viel-
zelligen gelten soll. Herr Weismann schiebt hier die Anpassung
ein. Aber woran soll das amphigone Wesen sich anpassen? Doch
nur an die äußern Einflüsse. Eine Anpassung wäre aber gänzlich
überflüssig, wenn das Wesen durch die äußern Einflüsse nicht ver-
ändert würde. Nehmen wir das Beispiel, welches Herr Weismann
voranstellt, das der Wale. Sie waren ursprünglich Landsäugetiere,
welche zur Sekundärzeit durch „Anpassung an das Wasserleben“ ihre
neuen Formen erlangten. Sagen wir bloß Wasser statt Wasserleben,
so liegt der äußere Einfluss, das äußere Agens, die Causa externa
ebenso klar vor, als wenn Fräulein Chauvin die Axolotl durch Ge-
wöhnung an die Luft dahin brachte, sich aus Wassertieren zu Land-
tieren umzugestalten. Die Geschichte der Tiere mit rudimentären
Organen, welche so viele und vorzügliche Beispiele darbietet, läuft
überall darauf hinaus, den Einfluss der äußern Ursachen in zweifel-
loser Weise zu zeigen. Wenn ein Liehttier durch dauernden Aus-
schluss des Lichtes in ein Dunkeltier mit erblichen Eigenschaften
verwandelt wird, so möchte ich wohl die Logik hören, welche uns
die Causa externa wegdisputieren wollte.
Ich will hier aber auf eine gewisse Schwierigkeit der Sprache
aufmerksam machen, welche leicht zu logischen Irrtümern führen
kann. Wenn man nur das äußere Einflüsse nennt, was durch Agen-
tien erzeugt wird, welche von außen auf den Organismus einwirken,
so wird der Begriff der Causae internae ganz verschoben. Ein mehr-
oder vielzelliger Organismus, wie der menschliche Körper oder auch
der Körper der meisten Tiere, pflegt bei der Variation nicht in allen
seinen Zellen verändert zu werden; gewöhnlich wird nur ein Bruch-
teil der Zellen Sitz der Veränderung. Auf diesen Bruchteil oder,
Virchow, Deszendenz und Pathologie. 105
besser ausgedrückt, auf jede der beteiligten Zellen können
auch die übrigen, nicht beteiligten Zellen äußere Einwirkungen aus-
üben, und umgekehrt können die ursprünglich nicht beteiligten Zellen
dureh die beteiligten, wie durch äußere Dinge, beeinflusst werden.
Der Begriff der Causa externa gilt also nicht bloß für diejenigen
Agentien, welehe den Organismus von außen her beeinflussen, son-
dern auch für diejenigen, welche die einzelne Zelle, sei es an der
Oberfläche, sei es im Innern des Körpers, von andern Zellen oder
innern Teilen aus treffen. Nur die sind wahrhaft innere Ursachen,
welche wirklich in der Einrichtung der Zellen selbst gegeben sind.
Diese Unterscheidung ist in unserer Terminologie nicht scharf aus-
gedrückt, aber sie darf deshalb nicht übersehen werden. Wenn ein
infekter Stoff an einer Stelle des Organismus erzeugt wird und auf
eine andere Stelle einwirkt, so ist er für diese ebenso gut eine Causa
externa, wie wenn er außerhalb des Organismus erzeugt und von
außen in denselben eingeführt worden wäre.
Auf die Vorgänge bei der amphigonen Befruchtung sind die-
selben Betrachtungen anzuwenden. Die weibliche Eizelle wird durch
die männlichen Sexualprodukte, wie durch eine Causa externa, be-
einflusst. Das liegt ja offen zu Tage. Dadurch, dass ein Spermato-
zoid in die Eizelle eindringt, wird es ebenso wenig zu einer Causa
interna, wie etwa das Gift, welches in eine Zelle gelangt. Ihre be-
sondere Prädisposition oder Anlage hat die Eizelle schon vor der
Befruchtung, und diese Anlage ist die Causa interna für eine Menge
von Besonderheiten der spätern Organisation, welche nicht erst durch
das Spermatozoid hervorgebracht, sondern nur in Bewegung gebracht
werden. Daher wirkt der Same desselben Mannes auf verschiedene
Eizellen scheinbar verschieden, insofern die verschiedene Prädisposi-
tion der einzelnen Eizellen der beginnenden Bewegung besondere
Richtungen vorzeichnet. Immerhin bleibt die Befruchtung eine „äußere
Einwirkung“ und in strengerem Sinne kann sie selbst als eine er-
worbene Veränderung der Eizelle bezeichnet werden. Die Vererbung
von der Mutter her ergibt die Causa interna, die vom Vater die Causa
externa für die spätere Entwicklung.
Jede Einwirkung einer Causa externa verursacht zunächst an
dem betroffenen Teil eine Veränderung. Die Pathologie bezeichnet
diese Veränderung als Störung (laesio), im Falle, dass dieselbe
Veranlassung zu einer Thätigkeit wird, als Reiz, oder genauer Reiz-
zustand (irritamentum). Diese Bezeichnungen haben an sich keine
pathologische, sondern eine ganz allgemein biologische Bedeutung.
Obwohl sie von den Pathologen aufgestellt und schärfer ausgebildet
worden sind, so sollten sie doch in die Sprache aller Biologen über-
gchen. Denn auch die Krankheitsvorgänge sind vitale Vorgänge, und
eine eigentliche Grenze gibt es zwischen pathologischen und physio-
logischen Prozessen nicht. Eine durch äußern Einfluss erzeugte
104 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
Störung, welehe alsbald wieder ausgeglichen (reguliert) wird, oder
welche nur als ein „adäquater Lebensreiz“ wirkt, betrachtet man als
physiologisch. Eine analoge Störung, welche dauernd fortbesteht, ist
pathologisch.
Bevor ich diese Auseinandersetzung fortführe, muss ich aber be-
sonders hervorheben, dass nicht jeder pathologische Zustand eine
Krankheit bedingt, ja dass er nicht einmal immer zu einer Krankheit
in Beziehung steht. Ein Knochenbruch ist so wenig eine Krankheit,
als eine Schnürleber oder ein Buckel. Vielmehr sind das Uebel
(mala) oder Fehler (vitia) oder Leiden (passiones, rc). Die
Krankheit (morbus, vocos) beginnt erst, wenn durch einen patho-
logischen Zustand weitere Störungen der Lebensvorgänge herbeige-
führt werden, welche den Charakter der Gefahr an sich tragen. Ich
will das hier nicht weiter ausführen; wem das Gesagte nicht genügt,
möge meine Abhandlung über die allgemeinen Formen der Störung
und ihrer Ausgleichung (Handb. der speziellen Pathol. u. Therapie.
Erlangen 1854. I. insbesondere S. 6) nachlesen. Hier lag mir nur
daran, mich vor dem Missverständnis zu verwahren, dass das patho-
logische und das nosologische Gebiet sich decken: das letztere ist
viel enger als das erstere. Schon in meiner Straßburger Rede habe
ich daran erinnert, dass der alte Ringseis mit Recht ein Gebiet
der physiologischen Breitengrade innerhalb der Pathologie
unterschieden hat, welches mit der Nosologie nichts zu thun hat.
Wie verhält es sich nun mit dem Entstehen einer Varietät?
Zweifellos ist jede Varietät eine bleibende Störung der
Einrichtung eines Organismus und insofern patholo-
sisch. Denn sie stellt eine Abweichung von der typischen d. h.
physiologischen Einrichtung der Species dar. Sehr bezeichnend sagt
Darwin, wo er die aus einander hervorgehenden Varietäten und
Unter- Varietäten bespricht (Origin of species p. 12): The whole or-
ganization seems to have become plastie, and tends to depart in some
small degree from that of the parental type. In der Abweichung
von dem Typus der Eltern oder, allgemeiner ausgedrückt der Species
liegt das Pathologische des Herganges. Daher musste Darwin zu-
gestehen, dass eine scharfe Grenzlinie zwischen Varietät und Monstro-
sität nicht gezogen werden könne. Auch schon Johann Friedrich
Meckel (Handb. der pathol. Anatomie. Leipzig 1812. 8. 9) sagte:
„Die geringern Bildungsabweichungen belegt man mit dem Namen
von Naturspielen oder Varietäten. Zwischen diesen und den Monstrosi-
täten findet sich indess keine bestimmte Grenze, da sie nur grad-
weise von einander verschieden sind“.
Darwin fuhr an der eben zitierten Stelle fort: Any variation
which is not inherited is unimportant for us. Das soll, wie ich die
Stelle zu verstehen glaube, heißen, dass für die Untersuchung über
die Entstehung der Arten alle nicht vererbbaren Variationen uner-
Virchow, Deszendenz und Pathologie. 105
heblich sind. Zweifellos ist das richtig: für diese Untersuchung han-
delt es sich nicht so sehr um die individuelle, als vielmehr um die
erbliche Variation. Dabei darf man freilich nieht übersehen, dass
die individuelle Variation, auch im Sinne des Herrn Weismann,
die Grundlage der erblichen Variation ist, dass also die Art der Ent-
stehung der individuellen Variation von der Untersuchung nicht aus-
geschlossen werden darf. Eine neue Art kann nicht anders ent-
stehen, d. h. beginnen, als mit dem ersten Individuum, welches der
Variation verfällt. Mit der erblichen Uebertragung der Variation von
dem ersten auf das zweite Individuum, mit der Ueberführung der
erworbenen Abweichung vom Typus in eine erbliche beginnt der
zweite Akt der Bildung der neuen Spielart oder Art. Denn damit
wird ein neuer Typus festgestellt, der von dem ursprünglichen ver-
schieden ist. Man könnte nun sagen, mit der erblichen Uebertragung,
also in der zweiten Generation, sei die Störung ausgeglichen, der
Fehler gesühnt; mit der Fixierung des neuen Verhältnisses sei das-
selbe typisch und somit physiologisch, d. h. normal geworden. Aber
eine genauere Betrachtung lehrt, dass es so leicht nicht ist, ein Kri-
terium des Typischen oder Normalen zu finden.
Würde jede, durch erworbene Störung eingeleitete Veränderung
durch erbliche Uebertragung gewissermaßen legitimiert, so müssten
wir sofort aufhören, von erblichen Krankheiten zu sprechen. Selbst
die erblichen Missbildungen würden im zweiten Gliede nicht mehr als
Missbildungen betrachtet werden dürfen. Beispiele für derartige Ver-
erbungen sind oft geliefert; wer deren nachlesen will, wird bei Joh.
Fr. Meckel (a. a. ©. S.15) oder bei Darwin selbst (Das Variieren
der Tiere. II. S. 7) Beispiele genug finden. Ich habe daher niemals
Bedenken getragen, auch die Möglichkeit pathologischer Rassen
zuzugestehen. Sowohl der Bulldog als der Mops sind gute Beispiele
dafür. Indess das beste unter den Wirbeltieren ist wohl das soge-
nannte polnische oder Hollenhuhn. Darwin (Das Variieren. IH.
S. 440) kannte dasselbe recht gut, aber er beschränkte sich darauf,
die Schädelverhältnisse desselben vom Standpunkte der Korrelation
aus zu betrachten. Ich habe die Literatur dieser interessanten Hühner-
rasse, welche bis auf Blumenbach zurückreicht, in meiner Onko-
logie (Bd. III. S. 274) ausführlich gegeben: es handelt sich dabei
um eine hereditäre Encephalocele superior, deren Entstehung bis in
frühe Zeiten des Embryonallebens zurückreicht. Darwin hat dafür
eine sehr leichte Erklärung: für ihn entsteht das Loch im Schädel
infolge des verstärkten Wachstums der Federn an dieser Stelle.
Nach dieser Interpretation würden sich auch die Fälle leicht erklären,
wo beim Menschen an gewissen Stellen des Rückens vermehrte Haar-
bildung besteht und darunter eine Spina bifida oceulta liegt. (Man
vgl. meine Mitteilungen in der Zeitschr. f. Ethnol. 1875. Bd. VII.
S. 280. Taf. XVII. Fig. 2 und in der Berliner klinischen Wochenschr.
106 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
1884. Nr. 47. S. 747.) Aber ich habe geglaubt, sie anders erklären
zu müssen: nach meiner Auffassung ist sowohl die vermehrte Haar-
bildung, wie die Spina bifida Folge einer lokalen Reizung. Wenn
nun ein solcher Zustand bei einer Hühnervarietät erblich wird, so
muss diese Varietät eben als eine pathologische betrachtet werden.
Denn ein soleher Zustand des Schädels widerspricht dem Typus der
Schädelbildung bei Hühnern; müsste er als ein neuer Arttypus aner-
kannt werden, so könnte das Hollenhuhn nicht mehr zu der Gattung
Huhn gerechnet werden. Wir würden dann nicht eine neue Rasse,
auch nicht eine neue Art, sondern eine neue Gattung vor uns haben.
Ich denke, dieses Beispiel wird meine Vorstellungen von der
Existenz nicht nur pathologischer Spielarten und Rassen, sondern
auch pathologischer Species ziemlich klarlegen. Aber gibt es auch
pathologische Genera? Ich habe nicht den mindesten Zweifel daran.
Man sehe doch nur die verschiedenen Kruster mit rudimentärer Kör-
perentwicklung an. Es mag ja recht zweckmäßig sein, gewisse Or-
gane zugrunde gehen zu lassen, wenn ein freilebendes Tier sich in
ein parasitisches verwandelt, aber niemand wird behaupten können,
dass der parasitische Zustand ein vollkommenerer ist, als der freie,
oder dass das parasitische Genus dem Typus der Familie oder Klasse
voll entspricht. Jeder Zustand niederer oder unvollkommener Funk-
tion oder Organisation, der aus einem Zustande höherer oder voll-
kommener Funktion oder Organisation hervorgeht, wird auch als ein
Zustand von Störung und somit als ein pathologischer anerkannt
werden müssen.
Ob die Vererbung soleher Zustände auf dem Wege monogoner
oder amphigoner Zeugung zu stande kommt, ändert an der Betrach-
tung nichts. Man kann Herrn Weismann darin zustimmen, dass
die amphigone Zeugung, insofern sie zwei Individuen mit verschie-
dener Anlage in Wechselwirkung treten lässt, die Wahrscheinlichkeit
erblicher und progressiver Abweichungen steigert, aber in der prin-
zipiellen Beurteilung der ersten Entstehung der Abweichung ändert
das nichts. Es wird schwerlich jemals gelingen, den Grund für die
Entstehung der Möpse oder der Hollenhühner bis auf die Zeit der
monogonen Zeugung zurückzuverfolgen. Eine geisteskranke, d. h.
eine mit erblichen Störungen des Gehirns behaftete oder, wie man
jetzt sagt, belastete Familie lässt sich in ihrer Besonderheit nicht
einmal auf die Rasse zurückverfolgen. Auch darf ich wohl daran
erinnern, dass eine der besten Ausführungen Darwin’s gelehrt hat,
wie bei der Kreuzung verschiedener Varietäten, also grade solcher
Individuen, welche vermöge erblicher Uebertragung gewisse Ab-
weichungen von dem Typus der Art in besonderer Stärke zeigen,
sehr häufig keine Steigerung der Varietät, sondern im Gegenteil ein
Rückschlag auf die einfachern typischen Verhältnisse der Species
eintritt.
Virchow, Deszendenz und Pathologie. 107
Wo soll man nun die Grenze zwischen pathologischer und physio-
logischer Variation oder, wenn man es krass ausdrückt im Sinne
Meckel’s und Darwin’s, zwischen Monstrosität und Varietät setzen?
Herr Weismann verweist uns auf die Anpassung. Ich darf hier
einschieben, dass auch dieser Begriff für die Pathologie kei neuer ist.
Wir nennen das eine Ausgleichung oder Regulation der Störung,
und wir berühren damit ein Hauptkapitel der allgemeinen Therapie.
Gewiss trägt die Anpassung am meisten dazu bei, die Permanenz
einer vorhandenen Störung zu ermöglichen, indem sie an die Stelle
einer physiologischen Einrichtung eine neue Einrichtung setzt, welche
geeignet ist, das Leben und bis zu einem gewissen Grade die Gesund-
heit des betroffenen Individuums zu erhalten, beziehentlich wieder-
herzustellen. Ich verweise deswegen auf die Lehre von den vika-
riierenden Thätigkeiten, für welche die Pathologie so viele und so
ausgezeichnete Beispiele liefert. Grade die Lehre von der Akklimati-
sation beruht zu einem nicht geringen Teile auf derartigen Erfahrungen.
Aber mit der Anpassung ist an sieh kein Normalzustand geschaffen.
Sehr viele Organismen, welche ihre Defektzustände oder, um mit
Darwin zu sprechen, ihre rudimentären, atrophischen oder abortierten
Organe (Origin of speeies p. 450) durch kompensatorische Entwick-
lung anderer Teile ersetzen, bleiben deshalb doch in pathologischen
Zuständen, ihre Defektzustände bleiben trotz aller Vikariierung Fehler
oder Uebel, und der Arzt würde ein schlechter Diagnost und Prognost
sein, der über einer Sanatio ineompleta vergäße, dass sein Patient
doch nieht wieder ein gesunder Mensch geworden ist.
Darum muss man sagen, dass auf die Anpassung, so wichtig sie
ist, doch nieht alles ankommt. Mindestens muss zu der Anpassung
die Vererbung kommen; erst dadurch nimmt das neue Verhältnis den
Charakter eines neuen Typus an. Bei der Akklimatisation beruht
darauf jener wichtige Untersehied, den ich so scharf in den Vorder-
grund gerückt habe, zwischen der Akklimatisation des Individuums
und der Akklimatisation der Familie oder im weitern Sinne der
Rasse. Leider wissen wir bis jetzt über die Gründe der Vererbung
herzlich wenig. Warum die eine Abweichung sich vererbt, die andere
nicht, darüber ist eigentlich gar nichts bekannt; unsere Kenntnisse in
dieser Richtung sind rein empirische und kasuistische. Einiges lässt
sich durch Gewöhnung erklären, aber der Grund der Gewöhnung,
d. h. der veränderte Zustand der Organe, liegt fast überall außerhalb
der Erfahrung. In der neuesten Zeit sind manche Versuche gemacht
worden, die feinere histologische Einrichtung der variierenden Teile,
selbst der Zellen, zum Gegenstande der Erörterung zu machen, aber
nirgends ist man so weit vorgerückt, eine volle Theorie der Vererbung
herzustellen.
Soll eine solche Theorie gefunden werden, so wird es schwerlich
gelingen, ihre Grundlagen sicherzustellen, wenn man die Untersuchung
108 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
ins Ungemessene hinausdrängt und die Spekulation bis in jene Urzeiten
zurücktreibt, wo die amphigone Zeugung aus der monogonen hervor-
ging. Was Darwin erreicht hat, das hat er in der Hauptsache auf
dem bis dahin abseits gelegenen Gebiete der Domestikation erreicht.
In gleicher Weise wird nach meiner Auffassung auch der weitere
Fortschritt wesentlich geknüpft sein an die Ergründung aktueller Vor-
sänge. Und hier möchte ich glauben, dass die Wege der pathologi-
schen Forschung auch Richtung und Mittel der biologischen Gesamt-
forschung bestimmen müssen. Sollte es mir gelungen sein, das Ver-
ständnis dafür durch meine Ausführungen in etwas gefördert zu haben,
so wird die Frucht nicht ausbleiben.
(Fortsetzung folgt.)
Ueber die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
Von N. Pringsheim.
(Fortsetzung.)
II. Die relative Lage der Maxima von Absorption und
Sauerstoffabgabe chlorophylligrüner Objekte bei simul-
taner Beobachtungsweise im Mikrospektrum.
Engelmann, von dessen Angaben wir hier notwendig ausgehen
müssen, behauptet bekanntlich, zumal in seiner ersten Publikation,
dass die Maxima der Absorption und Sauerstoffexhalation im Spek-
trum in ihrer Lage übereinstimmen. Wörtlich sagt er dort!) aller-
dings: „Bei von Null anwachsender Lichtstärke beginnt die Bewegung
„der in unmittelbarer Nähe der grünen Zellen durch Sauerstoffmangel
„zur Ruhe gekommenen Bakterien im allgemeinen zuerst im Rot, ge-
„wöhnlich zwischen B und (© oder doch nahe bei (C*.
Ich will nun gleich an dieser Stelle konstatieren, dass, wie ich
im vorigen Abschnitte gezeigt habe, das Maximum der Absorption in
ehlorophyligrünen Objekten niemals nahe bei C liegt, und dass
somit, wenn man es genau nimmt, schon die eigne älteste Angabe
Engelmann’s über die Lage des Maximums der Sauerstoffabgabe
mit der allgemeinen Folgerung, die er über die Koinzidenz der Maxima
ziehen will, nicht übereinstimmt. Nach meinen eignen Erfahrungen
mit dieser Methode muss ich es aber überhaupt in Abrede stellen,
dass die Darstellung bei Engelmann ein getreues Bild der Er-
scheinung wiedergibt. Dies Bild der Ansammlung der Bakterien mit
einer so entschiedenen und sichern Bevorzugung der Stelle im
1) Bot. Zeit,, 1882, Nr. 26 und Pflüger’s Archiv f. Physiol., Bd. XXVII
Ss. 487.
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 109
Rot über 5 bis C Fraunhofer, wie es Engelmann gezeichnet hat,
wird man vielleicht niemals wiederfinden und nur selten Fälle, die
demselben ähnlich sehen.
Zunächst steht fest, dass der Eindruck, welchen der Beobachter
in verschiedenen Versuchen erhält, ein wechselnder ist, und nicht
einmal in ein und demselben Versuche sich unveränderlich gleich
erhält. Vermehrt man die Anzahl der Versuche genügend und variiert
man dieselben bezüglich der Dimensionen und Farbentönung der Ob-
jekte bei verschiedenen Intensitäten der Lichtquelle — wobei ja die
Lagen der Maxima der Absorption sich durchaus nicht ändern — so
wird es bald einleuchtend, dass der individuelle Charakter der Ver-
suchsobjekte, und die Bedingungen, unter denen die Versuche ange-
stellt sind, nicht ohne Einfluss auf die Lage des Maximums der
Sauerstoffexhalation bleiben. Wir sehen daher sofort, dass die Er-
scheinungen der Sauerstoffabgabe noch von Ursachen bestimmt werden,
die nicht in grader und direkter Proportionalität zur Größe der Ab-
sorptionen wirksam sind, und dass wir deshalb auch gar nicht er-
warten können, durch die Beobachtungen im Spektrum unmittelbar
zu einer positiven Einsicht in die Beziehungen zwischen Absorption
und Sauerstoffabgabe der Gewächse zu gelangen.
Hiermit ist gleich von vornherein der wesentliche Teil meiner
empirischen Befunde und ihre Abweichung von den Resultaten, die
Engelmann und auch die Beobachter im Makrospektrum erhalten
haben, bezeichnet. Das Gemeinsame und Uebereinstimmende in den
Versuchen geht nur so weit, dass bei den chlorophyligrünen Pflanzen
unter allen Verhältnissen im Mikrospektrum die Energie der Bewegung
der Bakterien und somit auch die Sauerstoffabgabe in der gesamten
minder brechbaren Hälfte des Spektrums bedeutend größer gefunden
wird, als in der brechbaren Hälfte. Diese geringere Sauerstoffabgabe
im Blau-Violett ist übrigens, wie hier gleich betont werden soll,
eine Thatsache, über welche alle Beobachter mit allen Methoden einig
sind, und die, was besondere Beachtung verdient, auch Reinke,
selbst nach Aufhebung der Dispersion im prismatischen Spek-
trum, wieder gefunden hat.
bei Anwendung von Gas- und Petroleumlicht sinkt die Bewegung
im Mikrospektrum im Blau auch bei weiter Spaltöffnung hinter F
bis fast auf Null herab. Bei direktem Sonnenlicht reicht sie zwar
noch über @ hinaus, bleibt aber hier bei engem Spalt stets deutlich
schwächer, als in der minder brechbaren Hälfte, nicht nur im Orange
und Gelb, sondern auch im anfang Grün.
In dieser minder brechbaren Hälfte, Rot, Orange und Gelb bis
kurz hinter D, ist die eigentliche Lage des Maximums, d. h. das
Zentrum der Bakterienbewegung, nicht im jedem einzelnen Falle mit
voller Sicherheit sofort und leicht festzustellen.
In manchen Fällen ist der Bakterienschwarm, der sich an das
410 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
Objekt herandrängt, zu unbestimmt verbreitet, oder die Orte der
stärkern Ansammlung und Bewegung, die bemerkbar werden, sind
doch zu wenig scharf ausgesprochen und die Bewegung zu unregel-
mäßig, um eine exakte Bestimmung zuzulassen.
So unterliegt z. B. bei lebhafter Sauerstoffausscheidung, und wenn
zahlreiche Bakterien im Versuchstropfen vorhanden sind, die Gestalt
und der Umriss des beweglichen Bakterienschwarms oft sichtlich einer
fortwährenden Veränderung, und es wechseln die Zentren der An-
sammlung in Rot und Orange hin und wieder schon während einer
und derselben Beobachtung ihre Lage. Es ist dann hier ebenso wenig
möglich etwa nach Intervallen von Wellenlängen die Stellen im Spek-
trum genau anzugeben, wo die Bewegung die größte Höhe erreicht,
als es z. B. bei einem Mückenschwarm in der Luft möglich wäre,
eine konstante und bestimmte Spitze desselben zu fixieren. Eine
numerische Bestimmung der Bewegungsgröße an verschiedenen
Stellen des Spektrums ist in solehen Fällen absolut ausgeschlossen.
Anderseits kann es für die Beurteilung ebenso störend sein, wenn
die Sauerstoffausscheidung des Versuchsobjektes nur gering ist, oder
wenn nur wenige und träge Bakterien in der Nähe desselben be-
findlich sind. Die geringe, mehr oder weniger ungleich über die
Regionen des Spektrums verbreitete Bewegung, die sich in solchen
Fällen einstellt, bringt dann gar keinen überzeugenden Eindruck von
der Bevorzugung einzelner, bestimmt fixierbarer Orte hervor.
Solche Umstände, die zu vielen Trugschlüssen Veranlassung geben
können, wenn man die Beobachtungen nieht mit großer Sorgfalt vor-
nimmt, und über eine große Anzahl von Versuchen ausdehnt, beein-
trächtigen leider die Brauchbarkeit der Methode, namentlich für
quantitative Zwecke, in hohem Grade. Allein es gibt anderseits Fälle
genug, wo jene störenden Bedingungen nicht vorwalten und ein be-
stimmteres Urteil über die Centra der Bakterien-Ansammlung möglich
wird. Dann unterliegt zum mindesten die Bestimmung der Lage
des Maximums keiner erhebliehen Schwierigkeit mehr. Oft ent-
scheidet hierüber schon der erste Blick. Man findet dann in der
großen Mehrzahl der Fälle, in welehen eine genügend sichere Bestim-
mung möglich ist, den Hauptsitz der Bewegung entschieden hinter ©
Fraunhofer, beim Uebergang des Rot ins Orange, oder in Orange
selbst, jedenfalls in dem Raume zwischen C und D Fraunhofer.
Das eigentliche Maximum, soweit es sich innerhalb dieser Region
noch genauer begrenzen lässt, scheint etwa in der Mitte zwischen C
und D zu liegen, doch ist auch dies Verhältnis, welches allerdings
in vielen Fällen ausgedrückt ist, nicht absolut konstant und unab-
änderlich; oft scheint es näher an C, oft näher an D zu rücken.
Aber auch solche Fälle sind mir vorgekommen, wo dasselbe ganz
nahe bei ©, auf © selbst oder noch ein klein wenig vor C im Rot
zu liegen schien. Anderseits aber sind mir auch bei ehlorophyligrünen
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 411
Objekten wiederum solche Fälle vorgekommen, in welchen das Maximum
sogar noch hinter D schon im anfang Grün lag.
Vergleicht man, worauf es für uns grade wesentlich ankommt,
die Bewegung in dem Teile des Rot, in welchem das Chlorophyli-
band I liegt, also die Bewegung in der Region bei B — oder auch
von B bis B !/, C — noch genauer mit der Bewegung in dem Raume,
der unmittelbar hinter © Fraunhofer liegt, so wird man in
Uebereinstimmung mit dem eben Gesagten sich gewöhnlich regelmäßig
und leicht überzeugen können, dass sie bei B bis B !/, C schwächer
ist, als unmittelbar hinter €.
In einigen Fällen mag es unentschieden bleiben, ob die Bewegung
im Rot unmittelbar vor C nicht ebenso stark, oder hin und wieder
sogar stärker sei, als hinter C. Es ist dies jedoch für unsere Frage
von wenig Gewicht, denn selbst in diesen zweifelhaften und unsichern
Fällen, die nach meinen Erfahrungen immer die große Minderzahl
bilden, liegt das Maximum doch noch immer in der Nähe von (,
fällt demnach keineswegs mit dem Maximum der Absorption in der
lebenden Pflanze zusammen, welches, wie wir im ersten Abschnitt
gesehen haben, immer und unwandelbar bei B, oder höchstens bei
Bl, € liegt.
Nur wenn man sich flüchtig dem allgemeinen Eindruck überlässt,
und den ganzen Raum bis C und über C hinaus, den bei dickern
Objekten das Chlorophyllband I einnehmen kann, fälschlich als Maxi-
mum der Absorption ansieht, kann man bei einzelnen Versuchen zu
dem Fehlschluss gelangen, dass das Maximum der Absorption und der
Sauerstoffexhalation zusammenfallen.
Von der Stelle, wo die Bewegung im Mikrospektrum am stärksten
ist, fällt sie allmählich und langsam, aber nicht immer stetig und
kontinuierlich, nach dem blauen Ende hin ab.
Hin und wieder scheinen in dieser vom Rot nach Blau hin ab-
fallenden Kurve einzelne Punkte am Objekte vorzugsweise von den
Bakterien aufgesucht zu werden. Man könnte geneigt sein, diese als
sekundäre Maxima aufzufassen und sie etwa — wie Engelmann
es versucht hat — zu den Chlorophylibändern II, III u. s. w. in Be-
ziehung setzen wollen, allein es herrscht auch hier gar keine erkenn-
bare Gesetzmäßigkeit und Konstanz in der Lage jener mittlern be-
vorzugten Stellen, und sie liegen außerdem keineswegs vorwiegend
genau an den Stellen, wo die betreffenden Chlorophylibänder, die man
Ja im Mikrospektrum nicht sieht, liegen müssten, wenn man die Ver-
hältnisse der Chlorophyli-Lösungen auf diese mikroskopischen Objekte
richtig überträgt.
Dies gilt auch, wie gleich hier bemerkt sein mag, noch für eine
Stelle geringster Ansammlung der Bakterien, die hin und wieder
bei Beobachtung in direkter Sonne im Grün etwa bei 5 Fraunhofer
zur Erscheinung kommt und hier ein Minimum der Sauerstoffabgabe
4492 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
anzeigt. Engelmann hat auf diese Depression und auf das Ansteigen
der Bewegung hinter derselben im Blau besondern Nachdruck gelegt.
Er sieht diese Erscheinung als den Ausdruck eines konstanten zwei-
ten Maximums im Blau an, entsprechend dem Maximum der Absorp-
tion, welches im Blau auftritt. Hierüber an dieser Stelle nur soviel.
Auch diese Andeutung eines Minimums in der mittlern Region
des Spektrums ist wiederum keineswegs eine konstante Erscheinung,
die unter allen Verhältnissen auftritt. Hin und wieder ist sie da,
meist fehlt sie. Dann aber fällt die Stelle bei 4, wo dies Minimum
liegt, wieder nicht genau mit dem Minimum der Absorption im Chloro-
phyll überein, welches ja hier in den mikroskopischen Objekten wegen
der Verschiebung der Bänder nach dem roten Ende hin weit vor E
liegen müsste, wenn es überhaupt bei diesen Objekten zur Anschau-
ung käme.
Endlich aber, und dies ist für unsere Frage hier von Bedeutung,
ist die Bakterienbewegung bei # und im ganzen Blau-Violett
— selbst in den Fällen, in welchen eine kleine Depression bei 5 be-
obachtet wird — doch immer und ohne Ausnahme noch entschieden
bedeutend schwächer, als an den andern Stellen im Gelb-Grün;
z. B. als an jeder beliebigen Stelle in der Region D bis E£ Fraun-
hofer.
Das unmittelbare, empirische Ergebnis meiner Untersuchungen an
chlorophyligrünen Pflanzen im Mikrospektrum (Oladophoren-, Oedogo-
nien-, Ulotricheen-, Spirogyren-, Mesocarpus-Arten u. 8. w.) wie sich
dasselbe erfahrungsmäßig ohne jede weitere theoretische Deutung
herausstellt, lässt sich demnach dahin zusammenfassen.
1) Eine konstante Koinzidenz der Maxima von Absorption und
Sauerstoffexhalation im Mikrospektrum findet weder im
Blau noch im Rot statt; weder bei künstlicher Beleuch-
tung, noch im diffusen Tageslicht, noch in direkter Sonne.
Wenn die Bewegung im Rot nahe bei ( auch häufig eine
große Energie zeigt, so liegt doch das Maximum derselben
vielleicht nie an der Stelle maximalster Absorption bei B!/, C,
sondern gewöhnlich deutlich hinter C und D Fraunhofer,
und seine Lage hier unterliegt ferner selbst bei Exemplaren
derselben Pflanze nicht unerheblichen Schwankungen.
In dem ganzen blau-violetten Ende des Spektrums ist
die Bewegung immer im Verhältnis zur Größe der hier statt-
findenden Absorption nur äußerst schwach.
Dies wäre nicht möglich, wenn es sich bei der Sauerstoffabgabe
in der Pflanze nur um ein einfaches Zersetzungsphänomen der Kohlen-
säure handelte, welches von den Absorptionen im Chlorophylifarbstoff
in direkter Proportionalität von ihrer Gröäe abhängig wäre.
Dieser Schluss ist ohne weiteres einleuchtend, wenn man sich
erinnert, dass das eine Maximum der Absorption in den grünen
2
——
o
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 113
mikroskopischen Objekten bei B liegt, und das zweite Maximum
das ganze blau-violette Ende des Spektrums von 5 !/, F an
einnimmt, und wenn man festhält, dass diese Absorptionsmaxima ihre
Lage unter allen Umständen bei allen chlorophyligrünen Objekten
festhalten. Dieser Schluss wäre ferner auch dann richtig, wenn selbst
hier und da — wie ich durchaus nicht absolut bestreiten will — das
Maximum entschieden und genau bei B gefunden würde. Denn der
Satz, dass eine direkte Proportionalität zwischen der Größe der Ab-
sorption im Chlorophylifarbstoffe und der Größe der Sauerstoffabgabe
der Pflanze besteht, welcher durch die Koinzidenz der Maxima beider
erwiesen werden soll, verlangt eben die konstante Uebereinstimmung
der Lage der Maxima, die aber jede nur einigermaßen ausgedehnte
Versuchsreihe im Mikrospektrum sofort zurückweisen wird.
II. Ergebnisse und Kritik der successiven Beobachtungs-
weiseim Mikrospektrum.
Die bisher mitgeteilten Resultate habe ich, wie angegeben, mit
der Bakterien-Methode in derjenigen Form ihrer Anwendung erhalten,
welche Engelmann als simultane Beobachtungsweise bezeichnet.
Engelmann will aber mit Hilfe seiner Methode unter Anwendung
derselben in einer zweiten Form, die er successive Beobachtungs-
weise nennt, numerisch genaue Resultate über das Verhältnis der
Sauerstoffabgabe in den verschiedenen Regionen des Spektrums er-
langt haben, die seine Anschauungen in exakter Weise rechnungs-
mäßig bestätigen sollen.
Die gewonnenen Zahlen legt er den von ihm gezeichneten, so-
genannten Assimilationskurven der Pflanzen zugrunde Da meine
eignen Befunde bei simultaner Beobachtungsweise hiermit im Gegen-
satze standen, so war ich genötigt, auch diese zweite Anwendungs-
weise der Methode einer Prüfung zu unterziehen. Sie fiel nicht günstig
aus. Bei dieser successiven Beobachtungsweise stellt Engelmann
das Objekt nicht mehr, wie bei der simultanen, senkrecht, sondern
parallel zu den Fraunhofern im Spektrum ein, und führt das-
selbe dann nach und nach, grade so wie dies bei den Versuchen im
objektiven Makrospektrum geschieht, über das kleine Spektrum im
Gesichtsfelde hinweg. Die Bestimmung der Größe der Sauerstoffabgabe
an jeder Stelle erfolgt durch die Bestimmung der Minimalweite
der Spaltöffnung des Lieht zuführenden Apparates, bei welcher die
Bewegung an der untersuchten Stelle beginnt, und die Größen der
Sauerstoffabgabe in den verschiedenen Farben stehen dann im um-
gekehrten Verhältnis der gefundenen Spaltweiten, die für die Bewegung
in ihnen nötig waren. Für jede Stelle im Spektrum muss demnach
eine besondere Messung der Spaltweite erfolgen.
Wie man sieht, ist dies Verfahren viel umständlicher, und das
VI, 8
114 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
Ergebnis nicht so übersichtlich und anschaulich, als bei der simultanen
Beobachtungsweise, und die Bakterien-Methode hätte in dieser Form
der Anwendung, selbst wenn sie zu quantitativen Messungen brauchbar
wäre, kaum einen Vorteil vor der Beobachtung im objektiven Makro-
spektrum voraus. Es fehlt hier die Gleichzeitigkeit der Beobachtung
und der unmittelbare Vergleich der Absorptions- und Exhalations-
größen im ganzen Spektrum, die den großen Vorzug der simultanen
Beobachtungsweise bilden. Allein die Möglichkeit genauer numerischer
Größenbestimmungen der Sauerstoffabgabe durch die Messung der
minimalsten Spaltweite ist überhaupt eine illusorische.
Gewiss darf man annehmen, dass die Größen der Sauerstoffabgabe
umgekehrt proportional der Spaltweite sind, durch welche das Licht
auf das Objekt einfällt. Allein die Methode, die Engelmann be-
folgt, setzt zugleich voraus, dass auch der Sauerstoffreiz, welcher die
erste Bewegung bei den Bakterien hervorruft, unter allen Umständen
stets von derselben kleinen Sauerstoffmenge ausgelöst wird, und dass
die Lebhaftigkeit der Bewegung der Sauerstoffmenge proportional bleibt.
Dies ist nicht der Fall. Das Eintreten der Bewegung an ruhenden
Bakterien erfolgt keineswegs in so notwendiger und alleiniger
Abhängigkeit von einer bestimmten kleinen Quantität vorhan-
denen Sauerstoffs, dass es erlaubt wäre, den Anfang der Bewegung
als Maßeinheit einer stets gleichen, minimalen Menge erzeugten
Sauerstoffes zu betrachten. Man kann die Bakterienbewegung nicht
einmal als ein vollgiltiges Reagens benutzen, wenn es sich darum
handelt nachzuweisen, dass Sauerstoff nicht zugegen ist. Tritt die
Bewegung ein, so ist sie allerdings innormalen Fällen!) ein Zeichen
4) Ich sage in normalen Fällen, weil es auch andere Reize gibt, die von
den Pflanzenzellen ausgehen und eine Bewegung der Bakterien hervorrufen
können. Auch an gesunden Zellen, die nicht grün sind, habe ich unter
Umständen eine sehr lebhafte Bewegung der Bakterien an lokalen Stellen
eintreten sehen, ohne dass es möglich war, die Ursache sicher festzustellen,
die jene Bewegung hervorrief. So in Präparaten, die in der Engelmann’schen
Weise hergestellt waren, in welchen aber anstatt grüner Konferven sich Sapro-
legnia-Schläuche befanden. In dem mit Vaselin verschlossenen Bakterienpräparat
trat nach mehreren Stunden, obgleich die Bewegung überall sonst im Tropfen
zur Ruhe gelangt war, unmittelbar am Saprolegnia-Schlauche an einer Stelle
ein lebhaftes Bakteriengewimmel auf, grade so wie sonst nur an einem be-
leuchteten grünen Objekte. Sichtlich ging hier der Reiz für die Bewegung
vom Saprolegnia-Schlauche aus, und die Bewegung blieb auch bei veränderter
Beleuchtung an jener Stelle bestehen, und erhielt sich dort auch bei Verdunk-
lung des Präparates. Dieselbe Erscheinung kann man übrigens auch an krank-
haft veränderten und toten grünen Zellen wahrnehmen. Auch von diesen kann
ohne Rücksicht auf Beleuchtung und Farbe hin und wieder von einzelnen Stellen
ein Bewegungsreiz auf die Bakterien ausgehen, der an lokalen Stellen ein
ähnliches Schwärmen und Wimmeln der Bakterien hervorrufen kann, wie sonst
die Sauerstoffexhalation im Lichte. Ich bemerke aber ausdrücklich, dass diese
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 415
für vorhandenen Sauerstoff; bleibt sie aus, so folgt aber daraus immer
noch nicht, dass Sauerstoff fehlt. Eine bestimmte minimale
Menge Sauerstoff muss eben nicht notwendig die Bewegung an den
Bakterien hervorrufen.
In diesem Umstande liegt nun das absolute Hindernis, den Be-
ginn der Bakterienbewegung, so wie es Engelmann will, quantitativ
analytisch im Spektrum zu verwerten. Man kann sich durch den
Versuch leicht und direkt überzeugen, dass es so ist.
Erstens sind schon die Spaltweiten, bei welchen die Bewegung
zuerst sichtbar wird, auch unter sonst gleichen Umständen für jede
Farbe nicht konstant, was doch sein müsste, wenn die minimalste
Spaltweite, bei welcher die Bewegung eintritt, als Maßeinheit für die
gleiche Menge gebildeten Sauerstoffs dienen soll. Man sieht in der-
selben Farbe die Bewegung bald bei geringerer, bald erst bei wei-
terer Oefinung eintreten. Wären ferner die Angaben von Engel-
mann richtig, so müssten sich die minimalen Spaltweiten, bei welchen
die Bewegung im Rot, Gelb, Grün, Blau eintritt, in jedem Ver-
suche zu einander verhalten, etwa wie:
1 230, 248:
Ich habe dies anders gefunden. Die allergeringste Spaltweite,
bei welcher in meinen Versuchen bei direkter Sonne die Bewegung
auch in den wirksamsten Farben — im Gelb, Rot und Grün — über-
haupt sichtbar wird, dürfte auf etwa 5 bis 6 w anzuschlagen sein.
Verringerte ich die Spaltweite noch mehr, so war überhaupt keine
brauchbare Beobachtung mehr auszuführen. Nun steht aber so viel
fest, dass ich die Bewegung bei 7 bis 8 u Spaltweite bei direkter
Sonne schon in allen Farben auch in der der schwächsten Wirkung
— im Blau — habe beobachten können. Unterschiede der minimalsten
Spaltweiten für die Bewegung in den verschiedenen Farben in der
Größe, wie sie Engelmann annimmt, sind daher gar nicht vorhan-
den, jedenfalls mit seiner Methode nicht nachweisbar.
Dasselbe, was für direkte Sonne gilt, gilt auch für Gaslicht. Bei
dem starken Gaslicht, mit welchem ich gearbeitet habe und dessen
Intensität stets gleich erhalten wurde, war die geringste Spaltweite,
bei welcher die Bewegung im Rot, Gelb, Grün — in welchen Farben
sie am leichtesten siehtbar wird — von mir schon bemerkt werden
konnte, etwa auf 0,025 mm anzuschlagen. Bei einer Spaltweite —
0,030 mm sah ich die Bewegung wiederum meist schon leicht in
allen Farben, auch im Blau, eintreten.
Die Inkonstanz und die Unbestimmtheit der minimalsten Spalt-
weite, die in den einzelnen Farben für die Bewegung der Bakterien
Erscheinungen zwar Vorsicht bei der Beurteilung der Vorgänge bedingen, aber
die Verwertung der Bakterienbewegung als Sauerstoffindikator kaum beein-
trächtigen.
116 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
nötig ist, lässt sich endlich noch in anderer Weise darthun. Es ist
gar nicht nötig, zu der immerhin misslichen Bestimmung der Größe
der Spaltweite zu greifen. Man erreicht dies leichter und noch ent-
scheidender, wenn man bei simultaner Beobachtungsweise den Ort
aufsucht, wo an einem Objekte, welches das ganze Spektrum durch-
zieht, die Bewegung der Bakterien zuerst auftritt. Ein vorwurfs-
freies Verfahren ist etwa das folgende.
Nachdem in einem vorschriftsmäßig angefertigten, verschlossenen
Bakterienpräparat das geeignete Objekt — z. B. ein gleichmäßig grüner
Olodophora-Ast, am besten nicht dicker als etwa 0,07 mm bis 0,11 mm
— senkrecht gegen die Fraunhofer eingestellt ist und bei irgend
einer beliebigen, geringen Spaltweite sich eine genügende Ansamm-
lung und lebhafte Bewegung der Bakterien längs des ganzen Fadens,
soweit er genügend beleuchtet ist, eingestellt hat, wird das Präparat,
ohne die Anordnung im Versuche zu ändern, allseitig ver-
finstert. Dies geschieht leicht durch passende Verdeckung des Objekt-
tisches und durch Vorschieben eines ausreichenden Schirmes vor den
Spiegel des Spektralapparates. Wird nun der Schirm nach kurzer
Zeit — etwa nach 10 bis 30 Minuten — entfernt, so erblickt man
das Objekt in seiner vorigen Lage im Spektrum, allein es herrscht
im ersten Augenblicke, sofern die Verfinsterung lange genug gedauert
hat, noch überall Ruhe, und es vergehen immerhin einige Sekunden,
bis man die Bewegung der ersten Bakterien eintreten sieht. Man
kann nun mit Sicherheit bestimmen, an welcher Stelle im Spektrum
dies in dem gegebenen Falle geschieht.
Wäre der Beginn der Bakterienbewegung ein unfehlbares
Zeichen für die ersten Spuren sich entwickelnden Sauerstoffes an
dem Orte, an dem sie erscheinen, und würde ihr Eintritt das Maß für
eine bestimmte minimale Menge desselben sein, so müsste man er-
warten, die Bewegung bei enger Spaltöffnung nach und nach in den
verschiedenen Farben auftreten zu sehen, in der Reihenfolge, in
welcher sie bezüglich ihrer Energie auf Sauerstoffentwicklung auf
einander folgen. Bei einer genügend engen Spaltöffnung — der
minimalsten für die wirksamste Farbe — müsste die Bewegung we-
nigstens im Anfange sogar nur an einer Stelle im Spektrum auf-
treten, dort, wo das Maximum der Sauerstoffausscheidung im Spektrum
liegt. Wenn daher die Zahlenangaben von Engelmann richtig wären,
und wenn es sich so verhielte, wie er und diejenigen annehmen, die
das Maximum des Vorganges unabänderlich im Rot zwischen B und
C finden wollen, so müsste offenbar die Bewegung in diesen Versuchen
entweder nur im Rot auftreten, oder doch jedesmal zuerst im Rot,
wie dies auch Engelmann an der früher schon angeführten Stelle
seines ersten Aufsatzes wirklich angibt, dann im Orange, Gelb,
Grün u. s. w.
Diese Versuche sind von mir unzählige mal angestellt und variiert
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. ıLıbrl
worden. Ich habe es nicht so gefunden, wie es dieser Vorstellung
entspricht. Sowohl bei den möglichst engsten Spaltweiten, welche
grade noch zur Beobachtung der Erscheinung bei verschiedenen Licht-
quellen und verschiedenen Lichtintensitäten ausreichen, als auch bei
weitern Oeffnungen der Spalte tritt die Bewegung, wenn sie über-
haupt zur Erscheinung kommt, an den ersten Bakterien ganz unbe-
stimmt, bald in der einen, bald in der andern Farbe zuerst auf;
das eine Mal im Orange, das andere Mal im Gelb oder Grün, oder
auch im Rot, ohne jede erkennbare bestimmte Regel; nur ist es stets
die minder brechbare Hälfte des Spektrums, in welcher sie bei sehr
engem Spalt zuerst zur Erscheinung kommt. Höchstens lässt sich
auch hier wieder mit einiger Bestimmtheit angeben, dass sie in der
größern Anzahl der Fälle zuerst im Orange bis Gelb — zwischen ©
und D — bemerkt wird, nicht selten tritt sie sogar hinter D im
Grün früher auf als vor C im Rot. Es ist schwer, direkt aus den
Beobachtungen von Engelmann die Unsicherheit seiner Zahlen-
angaben nachzuweisen; die besondern Versuchbedingungen entziehen
sich zu sehr der Kontrole; doch vermag ich wenigstens an einem
Beispiele aus den eignen Versuchsreihen von Engelmann noch direkt
zu zeigen, zu welch verschiedenen Zahlenwerten man bei der
Befolgung der quantitativen Methode im Mikrospektrum gelangt,
und dass es sich schließlich bei der Feststellung der Größen dann
gar nicht mehr um rein objektive Befunde, sondern um eine Aus-
wahl aus widersprechenden Befunden, und um die Deutung derselben
vom Gesichtspunkte theoretischer Anschauungen handelt.
In seiner ältesten Abhandlung!) hat Engelmann selbst zwei
von einander völlig abweichende Zahlenreihen für die
Sauerstofikurve einer und derselben Cladophora-Zelle gegeben. Da-
nach soll die relative Energie der Sauerstoffabgabe im Spektrum für
eine 0,028 mm dicke C/udophora verschieden sein, je nachdem man
die Messungen an der obern oder an der untern Fläche der Zelle
vornimmt. Sie soll betragen
für die Region BbisC; D; D',E; Ebsd; F; F'1,G.
an der untern
Fläche gemessen 100,0 48,5 37,0 24,0 36,5 10,0
an der obern
2 ).
a. a 36.5. 920 .%100,0° 520.0 22,0 120
Diese beiden Reihen führen zu ganz entgegengesetzten Schluss-
folgerungen über den Wert der Lichtabsorptionen im Gaswechsel der
Pflanze. Von ihnen harmoniert die zweite nahezu ganz mit meinen
Befunden und meinen eignen Anschauungen; die erste entspricht der
Vorstellung von Engelmann.
1) Bot. Zeit., 1882, Nr. 26.
118 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
Welche Reihe ist für den bestimmten Fall und den Vorgang die
maßgebende? Engelmann will nur die Messungen an der untern
Fläche der Zelle gelten lassen. Als Grund führt er an, dass die
Absorptionen zwischen B bis C in den obern Partien der Zellen nicht
mehr wirken, weil das Licht von der Wellenlänge B bis C vermöge
seiner starken Absorptionen schon in den untern Partien der Zelle, in
welche es zuerst eintritt, verschwindet, während das Licht der andern
Spektralregionen, z. B. das von C bis E Fraunhofer, da es nicht
so stark absorbiert wird, in den obern Partien noch zur Wirkung
gelangt. Deshalb, meint Engelmann, sei es auch erklärlich, wenn
die Messungen an der obern Fläche der Zelle im Mikrospektrum,
und die Untersuchungen von Blättern im Mikrospektrum, die Sauer-
stoffabgabe im Gelb ergiebiger zeigen als im Rot.
Die Begründung, welche Engelmann hier für seine Wahl der
an der untern Fläche der Zelle gefundenen Zahlen zu geben ver-
sucht, ist aber hinfällig; sie wäre nur denkbar und berechtigt, wenn
die Absorption des Lichtes von der Wellenlänge B bis C in einem
mikroskopischen Objekte von der Dicke einer Oladophora-Zelle schon
in den untern Partien der Zelle eine totale wäre. Dass dies
nicht der Fall ist, liegt auf der Hand. In einer einzelnen Zelle oder
in einem Konferven-Faden von der Dieke 0,0238 mm kann von einer
totalen Absorption überhaupt nicht, und an keiner Stelle des Spek-
trums die Rede sein. Eine solche findet bekanntlich auch im Rot und
Blau — wenn überhaupt — erst in äußerst dieken nnd farbstoffreichen
Chlorophylllösungen statt, während die mikroskopischen Objekte, die
hier in Frage kommen, worauf ich schon in dem Abschnitt über die
Absorptionserscheinungen hinwies, nur den sehr schwachen Chloro-
phylilösungen entsprechen, in denen noch nicht einmal Chlorophyli-
bänder I und II zur Erscheinung kommen.
Auch die eignen photometrischen Messungen der Absorption von
Engelmann widersprechen hierin seiner Anschauung und Behaup-
tung. Er selbst findet!), dass die gesamte Absorption des roten
Lichtes von der Wellenlänge B bis C in einem dieken Cladophora-
Faden, nachdem das Licht durch die ganze Dicke desselben hindurch-
gegangen ist, nur 81 Prozent des auffallenden Lichtes beträgt; vom
gelben Lichte bei D nur 47 Prozent; von dem Licht der Wellenlänge
D ‘/; E nur 40 Prozent u. s. w. Die den relativen Absorptionskoef-
fizienten der farbigen Strahlen entsprechenden Werte der Sauerstoff-
abgabe können daher erst an der obern Fläche des Fadens zum
Ausdruck gelangen, und erst die hier gefundenen Zahlen erlauben
einen Schluss auf das Verhältnis zwischen der Absorptionsgröße und
der Größe der Sauerstoffabgabe im Faden. Aus demselben Grunde
ist auch die von Engelmann versuchte Erklärung der Befunde im
4) Bot. Zeit., 1884.
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 119
Makrospektrum, welche die stärkste Sauerstoffabgabe im Gelb bis
Grün nachweisen, unhaltbar. Bei den jugendlichen Sprossspitzen, die
bei diesen Untersuchungen benutzt werden, kann gleichfalls von to-
taler Absorption nieht die Rede sein. Meines Wissens ist überhaupt
kein Blatt bekannt, welches bei durchfallendem Lichte in irgend einem
Teile des sichtbaren Spektrums absolut schwarz erscheint.
Die Befunde im Makrospektrum entsprechen daher, ebenso wie
die an der obern Fläche der Cladophora- Zelle, genau der Wirkung
der relativen Absorptionsgrößen der Farben in den untersuchten Ob-
jekten, und sprechen deutlich gegen die Vorstellung von der Propor-
tionalität zwischen der Exhalationsgröße und der Größe der gesam-
ten Absorption in den Pflanzen, welche Engelmann und die andern
unbedingten Anhänger der alten Chlorophylitheorie zu verteidigen suchen.
Für die Richtigkeit seiner Vorstellung, auf welche alle Zahlen-
angaben und Kurven seiner Abhandlungen bezüglich sind und hin-
führen sollen, sucht Engelmann endlich noch eine merkwürdige
Uebereinstimmung geltend zu machen, die sich zwischen den Resul-
taten seiner Beobachtungs-Ergebnisse im Mikrospektrum und den
Resultaten herausstellen soll, welehe die neuere Physik über die Ver-
teilung der Energie im Sonnenspektrum gewonnen hat; eine Ueberein-
stimmung, die aber gleichfalls als bestehend nicht anerkannt werden
kann, wenn man die Art, wie sie gewonnen ist, einer nähern Prüfung
unterzieht.
Engelmann legt hierbei nämlich die Vorstellung zu grunde,
dass die photochemische Wirkung in der Pflanze von der Schwingungs-
dauer des wirksamen Lichtes unabhängig ist, und stellt ferner die
Hypothese auf, dass bei der assimilatorischen Arbeit in der Pflanze,
welche zur Sauerstoffabgabe führt, die gesamte Lichtenergie ver-
braucht wird, welche während des Vorganges von jeder Strahlengat-
tung durch Absorption in der Pflanze verschwindet. Hiernach soll
sich dann die Energie (E) jeder Stelle im Spektrum leicht aus der
Größe der Assimilation (A) und der Größe der Absorption des Lich-
tes (n) an der betreffenden Stelle berechnen lassen. Es ist somit, wie
Engelmann meint, möglich, die Verbreitung der Energie des Sonnen-
spektrums ebenso gut, wie aus der Bestimmung der Wärmewirkung,
so auch aus der Bestimmung der Absorptionsgrößen (n) und Exhala-
tionsgrößen (A) einer Pflanze in den verschiedenen Spektralregionen
zu finden. Engelmann führt nun die Bestimmungen von A und u
nicht nur für grüne, sondern auch für blaugrüne und braune Pflanzen,
für welche die Werte von A und x selbstverständlich verschiedene
sein müssen, mit seiner Methode aus; erhält so drei von einander
ganz unabhängig gewonnene Zahlenreihen, und berechnet aus jeder
derselben besonders den Wert für die relative Energie in den Spek-
tralbezirken nach seinen Hypothesen über die Relation von A, » und
E in der Pflanze.
120 Fritz Müller, Neue Beobachtungen über Feigenwespen.
Er findet nun, dass die so gewonnenen Werte von E nicht nur
unter sich, sondern auch mit den Werten gut übereinstimmen, welche
man auf rein physikalischem Wege durch Messung der Wärmeeffekte
erhalten hat. Dem Vergleiche liegen bei ihm die von Lamansky
und Langley erhaltenen Zahlen für das Normalspektrum der Sonne
zu grunde. Aus dieser Uebereinstimmung schließt er alsdann zurück
auf die Richtigkeit seiner Zahlenwerte und die Brauchbarkeit und
Genauigkeit seiner Methode für die quantitative Feststellung der ein-
schlagenden Verhältnisse.
Dem entgegen bemerke ich nun, indem ich vorderhand von den
theoretischen Schwierigkeiten, die den Grundanschauungen Engel-
mann’s von vornherein entgegenstehen, und auf welche noch in den
Schlussfolgerungen aus den Untersuchungen im Mikrospektrum zurück-
zukommen sein wird, hier ganz absehe:
Erstens: Die Werte von A sind, wie ich oben ausführlich gezeigt
habe, in der That nieht nur inexakt, sondern auch unzuverlässig.
Zweitens: Eine Umreehnung derselben ins Normalspektrum der
Sonne, die Engelmann vornehmen musste — die Werte selbst waren
im prismatischen Gasspektrum gefunden worden — ist mit so großen
doppelten Fehlerquellen behaftet, dass sie die Genauigkeit, die hier
verlangt werden müsste, schon von vornherein ausschließt.
Drittens: Die Werte von n, über deren Genauigkeit ich mir aus
Mangel an Kontrole kein Urteil erlauben will, durften auf die Werte
von A nicht bezogen werden, weil sie nicht an denselben, sondern
an verschiedenen Pflanzen bestimmt waren. Auf diesen Umstand
macht übrigens Engelmann selbst aufmerksam. Auch diese Verhält-
nisse schließen schon die Möglichkeit der Richtigkeit des Resultates aus.
(Schluss folgt.)
Fritz Müller, Neue Beobachtungen über Feigenwespen.
Die interessanten Beobachtungen von Fritz Müller über die
Feigenwespen des Itajahy in Brasilien, über welche wir in Bd. V
Nr. 24 8. 745 ff. dieser Zeitschrift berichtet haben, sind inzwischen
durch neue wichtige Forschungsergebnisse desselben Biologen ver-
mehrt und zu einem gewissen Abschluss gebracht worden. Fritz
Müller teilt uns unter dem Datum des 7. Febr. d. J. das Folgende mit:
„Die Feigen und mehr noch ihre Bestäubungsvermittler und
sonstigen Insassen haben mich während der letzten Monate fast aus-
schließlich beschäftigt, und es haben schon die recht zeitraubenden
und langweiligen Untersuchungen der letztern einen über Erwarten
günstigen Erfolg gehabt. So hatte G. Mayr aus den Feigen eines
Baumes nicht weniger als 20 verschiedene Arten beschrieben, darunter
Albrecht, Kieferspalte bei der Hasenscharte. 121
9 SZ ohne 2 und 4 2 ohne Z'; dadurch, dass ich aus 40 Feigen
dieses Baumes die Wespen gesondert sammelte und die jeder Feige
gesondert untersuchte (es waren im ganzen über 2000 Wespen), ge-
lang es mir, fast für alle diese Fälle die zusammengehörigen 5 und
2 herauszufinden. Der Ueberschuss der J' erklärt sich daraus, dass
in mehrern Fällen dasselbe 2 zweierlei g hat: geflügelte,
die ihm sehr ähnlich sind, und ungeflügelte, die nicht
die geringste Aehnlichkeit mit ihm haben. So ist Physothorax
disciger das flügellose Z von Diomorus variabilis (2 5‘), Heterandrium
longipes das flügellose £ von Colyostichus longicaudis (2 d‘); Adpo-
cerus inflaticeps, von dem G. Mayr geflügelte und ungeflügelte 9 be-
schrieben, gehört zu A. emarginatus, von dem er nur 2 beschrieb
u. s. w. — Aus einer andern Feigenart hatte G. Mayr nach flügel-
losen Z' die Gattung Nannocerus aufgestellt; dazu gehört nun als 2
ein Diomorus (wie zu Physothorax diseiger). — Mit dem rein systema-
tischen Teile wäre ich somit nun ziemlich im klaren; aber es bleiben
noch die schwierigern biologischen Fragen: in welcher Beziehung
steht jede der zahlreichen Wespenarten zur Feige und zu den übrigen
Insassen der Feige? — Es scheint, dass für einige der von Blasto-
phaga brasiliensis bewohnten Feigen nicht diese der hauptsächlichste
Bestäubungsvermittler ist, sondern eine Art der Gattung Tetragonaspis
(wie G. M. die 2) oder Ganosoma (wie er die d' nannte). — Dann
gibt es in den Feigen mehrerer Urostigma-Arten große Gallen, die
gar nichts mit den Blüten der Feige zu thun zu haben scheinen, und
die in mehrern Arten von Diomorus erzeugt werden, als deren
Sehmarotzer dann Aöpocerus- Arten auftreten. — Aber für die Mehr-
zahl der zahlreichen Feigenwespen habe ich noch keine Ahnung, was
sie eigentlich in der Feige wollen und bedeuten“.
F. Ludwig (Greiz).
Ueber den morphologischen Sitz der Hasenschartenkiefer-
spalte.
Von Prof. Dr. Paul Albrecht.
Nachtrag zu dem in der vorigen Nummer dieses Blattes unter obigem Titel
erschienenen Aufsatze.
Fig. 2 Analyse der von Herrn Th. Kölliker auf S. 372 des 5. Bandes des
Biologischen Centralblattes gegebenen Abbildung einer von ihm als inzisiv-
maxillar, tetraprotodont und zwischen lateralem Schneidezahn und Caninus
hindurchlaufend erklärten linksseitigen Hasenschartenkieferspalte, welche nach
meiner Ansicht intrainzisiv und hexaprotodont ist und zwischen dem linken
proparasymphysischen und präcaninen Schneidezahn hindurchläuft.
4199 Albrecht, Kieferspalte bei der Hasenscharte.
7 RN
Ya) ) h, re
Ice "
N N N
A Linker innerer Zwischenkiefer (von Kölliker für den linken Gesamt-
zwischenkiefer erklärt).
B Linker äußerer Zwischenkiefer + linker Oberkiefer (von Kölliker für den
linken Oberkiefer erklärt)
s Linksseitige intrainzisive Kieferspalte (von Kölliker für inzisiv - maxillare
gehalten).
J1 Ineisivus parasymphysius sinister.
DE proparasymphysius „ (von Kölliker für den Ineisivus prae-
caninus sinister erklärt).
Ja praecaninus . (von Kölliker für den Caninus sinister
erklärt).
© Caninus sinister (von Kölliker für den Praemolaris I gehalten).
Pm1 Lücke des Praemolaris I sinister.
Pm2 ” ” ” II
M1 e „ Molaris I
M2 a „ Molaris II
M3 Platz für den noch nicht hervorgebrochenen Molaris III sinister.
”
„
”
i1 Ineisivus parasymphysius dexter.
12 5 proparasymphysius „
iö A praecaninus ei
ce Caninus dexter.
Just, Zur Histologie und Physiologie des Flimmerepithels. 123
78
pm1 Praemolaris I dexter,
pm2 Lücke des Praemolaris II dexter.
m1 Molaris I dexter.
m2 n I.»
m3 Platz für den noch nicht hervorgebrochenen Molaris III dexter.
Zur Histologie und Physiologie des Flimmerepithels.
Von Albert Just, Cand. med., Tübingen.
Da nach Untersuchungen von Grützner!) Schädigungen, welche
man auf einer ausgeschnittenen flimmernden Schleimhaut anbringt,
sich in ganz bestimmter Richtung ausbreiten, indem nur die unter-
halb der geschädigten Stelle (d. h. in der Richtung des wirksamen
Schlages) liegenden Abschnitte in ihrer Thätigkeit erlahmen und sie
am frühesten einstellen, so lag es nahe zu untersuchen, welche Ver-
änderungen diese durch eine Zerstörung benachbarter Zellen außer
Funktion gesetzten Zellen erleiden, wenn man sie im lebenden Or-
ganismus lässt. Ich machte mich daher auf Anregung des Herrn
Professor Grützner daran, diese Verhältnisse im Tübinger physio-
logischen Institute etwas genauer zu verfolgen. Zeit und Umstände
zwingen mich zu meinem Bedauern, diese Untersuchung, obwohl sie
noch nicht abgeschlossen ist, für einige Zeit zu unterbrechen, und
ich will deshalb im Folgenden nur eine kurze Uebersicht der bisher
festgestellten Thatsachen geben.
Das benutzte Objekt war vor allem die Rachen- und Speise-
röhrenschleimhaut von Rana esculenta. Die Schädigung wurde durch
Verbrennen vorgenommen. Zu diesem Zwecke steckte ich in den
Oesophagus eine 5 cm lange Glasröhre von 0,7 em innerem und 0,9 em
äußerem Durchmesser, die an einer Stelle, welehe sich in der Nähe
des in den Rachen des Tieres eingeführten Endes befand, ein Loch
hatte. An derselben Seite der Röhre, an welcher dieses Loch sich
befand, brach ich an dem aus dem Rachen herausragenden Ende ein
Stückchen heraus, um über die Lage des Loches in der Tiefe der
Speiseröhre stets orientiert zu sein. In diese Röhre führte ich einen
mäßig erwärmten Drat ein, der mit seinem vordern hakenförmigen
Ende durch jenes Loch hindurchdrang. Auf diese Weise konnte man
an verschiedenen Stellen des Oesophagus ziemlich bequem örtlich
beschränkte Schädigungen bezw. Zerstörungen vornehmen, weil die
benachbarten, sonst sich unmittelbar berührenden Teile durch das
Glas geschützt waren. Ich ließ dann die Tiere 4 bis 6 Tage lang
am Leben und fand nach dieser Zeit in der Regel die von Grütz-
ner?) beschriebenen Erscheinungen. Ich fand also den unterhalb der
4) Breslauer ärztliche Zeitschrift, 1882, Nr. 6.
2) Physiologische Studien: Zur Physiologie des Flimmerepithels. Leipzig
bei Vogel. 1883.
124 Just, Zur Histologie und Physiologie des Flimmerepithels.
geschädigten Stelle liegenden Abschnitt der Flimmerhaut in seiner
Thätigkeit geschwächt und allmählich erlahmend, was ich durch als
Signale aufgelegte Gewebsstückchen feststellte.
Die mikroskopische Untersuchung der Zellen nahm ich
zunächst im Aufblick auf die Haut mit mäßigen Vergrößerungen vor
(Hartnack Oe. III, Obj. 4). Ich fand die Haut stets ausreichend
durchsichtig, um — wenn ich sie sorgfältig hergerichtet — das wun-
derbare Spiel der Flimmerzellen in einer überaus schönen Weise auf
weite Streeken und unter nahezu normalen Bedingungen beobachten
zu können. Zu diesem Zwecke spannte ich dieselbe auf eine Kork-
platte aus, die vorher ziemlich im ganzen Umfange der aufgelegten
Schleimhaut durchbrochen war. Man sieht dann durch die ganze
Länge der Schleimhaut flimmernde Straßen ziehen, welche als schwarze
flimmernde Säume breite weiße Flächen zwischen sich fassen, in
denen man mit etwas stärkerer Vergrößerung (Hartnack Oe. II,
Obj. 7) die Zellgrenzen der Schleimzellen unterscheiden kann. Auf
diesen weißen Flächen findet ebenfalls ein Flimmern statt, aber in
höherem Niveau als in den Straßen. Dieselben fehlen im obern
Teile der Schleimhaut völlig und beginnen erst ungefähr in der Ge-
gend der Choanen. In der Mitte also, etwa dem Kehlkopf gegenüber,
sind sie am zahlreichsten und dichtesten, werden dann nach abwärts
immer seltener und lassen immer größere Entfernungen zwischen sich.
Häufig sieht man, wie zwei Straßen unter ganz spitzem Winkel sich
zu einer einzigen vereinigen. Wie mir nun Querschnitte durch vor-
sichtig gehärtete Sebleimhäute zeigten, sind jene Straßen, auf oder
in denen die regste Thätigkeit des Flimmerepithels stattfindet, weiter
nichts als lange Gräben, die der Länge nach in die Schleimhaut ein-
gegraben sind. Diese Gräben werden nun, je weiter abwärts man
kommt, immer seltener, aber immer tiefer, was ja nach der im Auf-
blick gesehenen häufigen Vereinigung zweier Straßen zu einer ein-
zigen vollkommen verständlich erscheint. Auf den Querschnitten
sehen jene Gräben oder Straßen, wie leicht begreiflich, wie Thäler
zwischen Papillen aus. Die Fortschaffung von Fremdkörpern ge-
schieht, wenn dieselben natürlich eine gewisse Größe nicht über-
schreiten, innerhalb der Straßen.
Direkt unterhalb einer geschädigten Stelle zeigte sich nun im
Aufblick keine Flimmerung; häufiger kommt man hinter der im völli
gen Stillstand befindlichen Stelle auf einen Abschnitt, in dem die
Flimmerung nicht mehr in normaler Weise gleichmäßig vor sich geht,
sondern ruckweise, gewissermaßen pulsatorisch, wie dies als Charak-
teristikum absterbender Zellen beriehtet wird. Die Straßen in dieser
ganzen Gegend sind nun viel weniger scharf konturiert als im nor-
malen Epithel und sämtlich in Ruhe, während man oberhalb bis
direkt an die geschädigte Stelle vollkommen normal sich verhaltende
Straßen herantreten sehen kann.
Just, Zur Histologie und Physiologie des Flimmerepithels. 125
Ferner zeigt sich die in Frage stehende Stelle auffallend trüb
und von schwach gelblicher Farbe. Sie hat häufig eine Länge von
1 Zentimeter und darüber, ist oben etwa so breit wie der geschädigte
Bezirk und wird nach unten immer schmäler.
Zu weiterer Behandlung wurde nun die Haut, wenn es sich um
Herstellung von Isolationspräparaten handelte, auf ihrem Rahmen
mindestens 24 Stunden lang in !/; Alkohol gelegt. Die isolierten
Zellen werden meist mit Pikrokarmin, bisweilen auch mit Bismarck-
braun gefärbt und in Glyzerin untersucht. Dabei zeigten sich nun
besonders auffallend verändert die Schleimzellen unterhalb der ge-
schädigten Stelle, denen man, wie mir scheint, bisher eine zu geringe
Bedeutung bei der Thätigkeit des Flimmerepithels zugemessen hat.
Dieselben sind mit ganz groben Körnern von mehr rundlicher oder
länglicher Gestalt angefüllt, die, wenn ich schätzen soll, mindestens
dreimal so groß sind als die Körner in normalen Schleimzellen. Ihre
Gestalt ist meist schmäler und länger als die gewöhnlicher Schleim-
zellen, und an ihrem obern Ende sieht man bisweilen eine viel klein-
körnigere Masse als der Inhalt hervorquellen. Die Veränderungen
der Flimmerzellen jener Gegend scheinen viel unwesentlicher zu sein.
Man findet häufig Zellen, denen die Flimmerhaare fehlen, und an-
dere, bei denen sie nicht von normalem Ansehen, sondern wie zu-
sammengeklebt erscheinen. Gestaltsveränderungen der Flimmerzellen
fand ich zu selten, um bisher zu einem sichern Resultate zu gelangen.
Am auffallendsten sind die schon von Drasch!) „in der Umgegend“
geschädigter Stellen beschriebenen platten Zellen, an der einen Seite
mit einem Flimmersaum von merkwürdig kurzen Haaren versehen,
an der andern Seite etwas eingebuchtet. Doch fand ich auch diese
Zellen nur sehr selten. Zur Anfertigung von Querschnitten erhärtete
ich die Schleimhaut in der ersten Zeit direkt in Alkohol und färbte
mit Alaunkarmin. Weiterhin folgte Einschmelzen in Paraffın und
Zerlegung mittels des Mikrotoms in bekannter Weise. An den so
hergestellten Präparaten sieht man, dass jene Stelle ein viel niedri-
geres Epithel hat, das sich auch viel stärker färbt als das andere
normale Epithel. Ferner sind die Straßen viel flacher geworden, ja
sie fehlen bisweilen gänzlich. Die so veränderte Stelle wird nach
abwärts immer kleiner, so dass sie ungefähr die Gestalt eines spitzen
Dreiecks haben muss, wie Grützner dies schon auf seine Experi-
mente gestützt angenommen hat. Ich habe in meinen Präparaten
auch häufiger eine Vermehrung jener kleinen rundlichen Zellen ge-
funden, die man zerstreut bald in kleinen, bald in größern Mengen
fast überall in den tiefsten Lagen des Flimmerepithels findet, und von
denen Griffini?) die Regeneration des Epithels herleitet. Vielleicht
1) Wiener Sitzungsbericht, 1879, LXXX und 1881, III, 5.
2) Archives ital. de Biologie. Tome V, 1884.
496 Exner, Eine neue Urteils-Täuschung im Gebiete des Gesichts-Sinnes.
verdankt diese Stelle dem größern Reichtum an diesen Gebilden ihre
stärkere Färbung. Viel besser als durch die einfache Alkoholer-
härtung erhält sich das Epithel, wenn man die Schleimhaut zunächst
zwei Stunden in Ace. nitr. 3°/, einlegt, wobei die Befestigung auf dem
Korkrahmen mittels Igelnadeln geschah, und darauf in Alkohol über-
trägt. Diese Methode habe ich in der letzten Zeit angewandt und
mit ihr die früher gewonnenen Resultate bestätigt gefunden.
Die Untersuchung inbezug auf das Vorkommen von Straßen im
Epithel dehnte ich noch auf Rana temporaria, Bufo cinerea, Sala-
mandra maculata und auf die Luftröhre des Kaninchens aus und
fand bei allen diesen den oben beschriebenen ziemlich analoge Er-
scheinungen, wenn auch bei den einzelnen Tieren geringe Verschie-
denheiten im Aussehen der Straßen bestehen. So sind z. B. die Pa-
pillen, wie ich oben die die Straßen trennenden Stücke infolge ihres
Ansehens im Querschnitt nannte, bei Rana esculenta viel breiter als
bei Salamandra maculata, wo sie ziemlich spitz zulaufen, während
sie beim Kaninchen mehr einem völlig abgerundeten Kegel gleichen.
An der Rachenschleimhaut von Salamandra maculata fand ich außer-
dem noch, wie sich allerdings als nahezu gewiss vermuten ließ, dass
die Folgen einer Schädigung hier die gleichen sind, wie Grützner
sie beim Frosche konstatiert hat.
Zum Schlusse will ich noch bemerken, dass sich zu diesen Un-
tersuchungen nur ganz frisch eingefangene Frösche eignen, weil grade
die Rachenschleimhaut leicht Veränderungen unterliegt, die sich schon
dem bloßen Auge häufig als nadelstichgroße hämorrhagische Herde
repräsentieren. Wenn dieselben aber auch bei einem schon längere
Zeit eingefangenen Frosche nicht vorhanden sind, so begegnet es
einem doch leicht, dass sich um die zerstörte Stelle ein Entzündungs-
herd bildet, in dem man reichlich Rundzellen nachweisen kann. Bei
frisch eingefangenen Individuen ist mir das niemals passiert. Ich
hoffe, nach einiger Zeit diese Arbeit wieder aufnehmen und beendigen
zu können und werde mir dann erlauben, ausführlicher darüber zu
berichten.
Ueber eine neue Urteils-Täuschung im Gebiete des Gesichts-
sinnes.
Von Prof. Sigm. Exner in Wien.
Vor mehr als Jahresfrist machte ich zufällig folgende Beobach-
tung. Im Innern einer Almhütte neben dem offnen Herd liegend,
auf dem Feuer brannte, schien mir der durch ein kleines Fensterchen
sichtbare Nachthimmel fortwährend seine Helligkeit zu wechseln, so
dass ich glaubte, es wetterleuchte. Ich ging zur Thür und überzeugte
Exner, Eine neue Urteils-Täuschung im Gebiete des Gesichts-Sinnes. 127
mich, dass dem nicht so sei, vielmehr ein vollkommen ruhiger sternen-
heller Abend war. An meinen Platz zurückgekehrt, zeigte sich wieder
das scheinbare Aufleuchten des Himmels, und es war nicht schwer,
die Ursache desselben im Herdfeuer zu finden. In der That schien
mir das Innere der Hütte, das bloß von dem lebhaft flackernden
Feuer beleuchtet war, von immer gleicher Helligkeit, ja selbst nach-
dem ich meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt hatte, gelang es nur
unvollkommen, den Wechsel in der Intensität der Beleuchtung zu
bemerken; der Himmel aber flackerte, als wäre er von einem bläu-
lichen unstäten Lichte erleuchtet.
Das ohnehin schon gebräunte Innere der Hütte war vom Feuer
rötlich erhellt, der Himmel erschien in dem durch den Kontrast noch
erhöhten Blau eines sternenhellen Nachthimmels. Die beiden Farben,
das Braun der Hütte und das Blau des Himmels, erschienen von nähe-
rungsweise gleicher Helligkeit.
Es gelang leicht, der geschilderten Erscheinung die Form eines
Schulversuches zu geben. Auf einen Schirm, aus mehreren Lagen
paraffin-durchtränkten Papieres bestehend, klebte ich eine kreisrunde
Scheibe undurchsichtigen weißen Kartenpapiers von 2—3 mm Durch-
messer. Hinter dem Schirm wird eine durch einen Kautschukschlauch
gespeiste Gaslampe aufgestellt, welche denselben als gleichmäßiges .
weißes Feld erscheinen lässt, in deren Mitte sich dunkel die kleine
Kreisscheibe abhebt. Diese wird nun von vorn so weit erhellt, dass
sie näherungsweise mit dem Grunde gleiche Intensität hat. Hierzu
diente eine zweite vorn aufgestellte Gasflamme, die von einem un-
durchsichtigen Zylinder umgeben war, der die Flamme nur durch
eine kreisrunde Oeffnung (von einigen Zentimetern Durchmesser) sicht-
bar werden ließ. Mittels einer Konvexlinse wird das Bild dieser
Oefinung auf die Kreisscheibe aus Kartenpapier geworfen und beide
so vollkommen als möglich zur Deckung gebracht.
Blickt man nun aus einer Entfernung von 1—2 m durch eine
Röhre, welche nichts als den Schirm mit seinem Kreis sehen lässt,
nach letzterem und lässt die hinter dem Schirm befindliche Lampe
flackern, indem man ihren Kautschukschlauch zwischen den Fingern
rhythmisch drückt, so bemerkt man ein Flackern des weißen Kreises,
während thatsächlich der Grund flackert und der Kreis konstant er-
hellt ist.
Die Täuschung pflegt überaus frappant zu sein. Immer ist der
Intensitätswechsel im Kreise viel auffallender als im Grunde. Ob man
den Grund überhaupt flackern sieht, hängt von den Umständen ab;
Jedenfalls pflegt man sein Flackern erst zu bemerken, wenn man das
Augenmerk darauf richtet. Der Grad der Täuschung in dieser Be-
ziehung hängt von der Gleiehmäßigkeit ab, in welcher Grund und
Kreis beleuchtet sind, von der Größe der Helligkeitsschwankungen,
die man erzeugt u. dgl. m.
198 Annalen des K. K. naturhistorischen Hofmuseums zu Wien.
Hervorheben will ich noch, dass das scheinbare Flackern des
Kreises noch auffallender wird, wenn man ihn im indirekten Sehen
betrachtet. Es genügt, einen Punkt, der um 10 cm seitlich von ihm
liegt, zu fixieren. Man kann leicht durch Zuhilfenahme farbiger Gläser
die Erscheinung in Farben darstellen, hat dann aber auch für an-
nähernd gleiche subjektive Helligkeit zu sorgen.
Diese Sinnestäuschung zeigt, dass wir geneigt sind, diein
unserem Sehfeld dominierende Helligkeit für konstant
zu halten, und infolge dessen die wechselnde Differenz dieser mit
der Helligkeit eines beschränkten Feldes auf einen Helligkeitswechsel
des letztern zu beziehen.
Es findet dies seine Analogie in der bekannten Thatsache, dass
wir geneigt sind, die im Sehfeld dominierende Farbe für weiß zu
halten, und die Differenz zwischen dieser und der Farbe eines be-
schränkten Feldes als eine Abweichung der letztern von der wahren
Farbe des Feldes zu sehen, natürlich in der Richtung, welche durch
die Differenz gegeben ist. Ein in Wahrheit grauer Schatten auf röt-
lichem Grunde erscheint uns — bei korrekter Anstellung des Ver-
suches — als grüner Schatten auf grauem Grunde. Ebenso besteht
in unserem Falle die Täuschung darin, dass wir den Grund für gleich-
mäßig beleuchtet halten, die Differenz aber zwischen seiner Hellig-
keit und der des Kreises richtig beurteilen.
Annalen des K. K. Naturhistorischen Hofmuseums zu Wien.
Redigiert von Dr. Franz Ritter von Hauer.
Unter obigem Titel erscheint von jetzt ab in Alf. Hölder’s Verlag in
Wien in zwangsloser Folge eine Reihe von Heften, welche neben Berichten
über den Geschäftsgang des Museums Originalabhandlungen bringen sollen über
Arbeiten, welche in dem Museum ausgeführt werden. Erschienen ist bisher
das erste Heft des ersten Bandes, welches einen Jahresbericht des Hofmuseums
für das Jahr 1885 bringt. Das zweite Heft soll Anfang Mai erscheinen.
idn.
Verlag von August Hirschwald in Berlin.
Soeben erschien:
Klinik
der
Verdauungskrankheiten
von Prof. Dr. C. A. Ewald.
I. Die Lehre von der Verdauung.
Zweite neu bearbeitete Auflage.
Biologisches Gentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
YL. Band. 1. Mai 1886. Nr. 5
Inhalt: Virchow, Deszendenz und Pathologie (Fortsetzung). — Pringsheim, Ueber
die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum (Schluss). — Baginsky,
Ueber den Ursprung und den zentralen Verlauf des Nervus acustieus des
Kaninchen. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
Physikalische Gesellschaft zu Berlin.
Rud. Virchow, Deszendenz und Pathologie.
(Fortsetzung.)
In meinem ersten Artikel hatte ich zu zeigen gesucht, dass die
Entstehung einer Variation mit erblichem Charakter jedesmal eine
Abweichung von dem Typus, also ein pathologisches (wenn auch kei-
neswegs ein krankhaftes) Verhältnis des ersten Erzeugers voraussetze,
welches Verhältnis noch keineswegs durch die Anpassung, sondern
definitiv erst durch die Vererbung und zwar durch dauernde Ver-
erbung legitimiert werde. Eine eigentümliche Störung erleidet die
Vererbung aber durch den Atavismus, den Rückschlag auf den
ursprünglichen Typus, welcher unter sehr verschiedenen Formen zur
Erscheinung kommt. Denn zuweilen betrifft er nur ein einzelnes In-
dividuum, ohne dass die Nachkommen desselben in gleicher Weise
zurückschlagen; anderemal wird der neue Typus gänzlich vernichtet,
indem auch die Nachkommen die noch nieht genügend fixierten neuen
Merkmale verlieren und zu dem ursprünglichen Stammestypus zurück-
kehren. Beides ist von großer Wichtigkeit, insofern es einen der
stärksten Beweise für die Abstammung von der ursprünglichen Art
darstellt.
Aber zugleich entsteht daraus eine besondere Schwierigkeit für
die Erkenntnis des wahren Typus. Wären die Verwandtschafts- und
Abstammungsverhältnisse genau bekannt und erfahrungsgemäß fest-
gestellt, so würde es keine besondere Kunst erfordern, jedesmal zu
sagen, welche Unterbrechung der erblichen Variation als Atavismus
aufzufassen sei, und welche als pathologische Abweichung angesehen
VI, g
130 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
werden müsse. Aber leider ist die Zahl der Fälle, in welchen die
Deszendenz verschiedener Arten aus einer Urart empirisch nachge-
wiesen ist, ungemein klein, und wenn wir gar in das Gebiet der ver-
schiedenen Gattungen und Familien eintreten, so werden wir immer
mehr auf theoretische Spekulation, als auf wirkliche Erfahrung hin-
gedrängt. Nirgends ist dies so sehr sichtbar, als beim Menschen.
Alle die hochgehenden Hoffnungen, welche noch vor kurzem so viele
Köpfe erfüllten, es werde gelingen, das „fehlende Glied“ (missing
link) für die unmittelbare Ableitung des Menschen von bekannten
Tieren aufzufinden, sind gescheitert; der Proanthropos ist noch nicht
entdeckt, und, was noch schlimmer ist, nicht einmal die Abstammung
der einzelnen Menschenrassen von einander hat auch nur mit an-
nähernder Sicherheit festgestellt werden können.
Gewiss folgt daraus nichts weniger, als dass das Streben nach
einer wirklichen Erkenntnis des Stammbaumes der Menschen hoff-
nungslos oder gar tadelnswert sei. Aber das scheint mir daraus zu
folgen, dass es gegenwärtig, wo wir noch nichts darüber wissen, der
äußersten Vorsicht und Zurückhaltung bedarf, wenn es sich darum
handelt, Variationen der menschliehen Bildung auf Atavismus zurück-
zuführen. Es gibt menschliche Rassen mit höherer und solche mit
niederer Entwicklung, oder, wie man kurzweg zu sagen pflegt, höhere
und niedere Rassen, und der Gedanke liegt sehr nahe, dass die
höhern Rassen aus niedern entstanden sind. Aber wer kann sich
berühmen, entdeckt zu haben, welche der niedern Rassen die Urrasse
war, aus der sich die höhern Rassen entwickelt haben? Es ist noch
nicht lange her, da glaubte man in den Schädeln der Pfahlbauten,
der Gräber der Steinzeit, der Höhlen der Diluvialperiode zahlreiche
Zeugnisse für die einstmalige allgemeine Existenz niederster oder
wenigstens niederer Bildung bei den alten Menschen aufweisen zu
können, und jetzt — was ist von diesen Zeugnissen übrig geblieben ?
Eines nach dem andern hat bei genauer wissenschaftlicher Prüfung
versagt. Ich darf mir vielleicht das Verdienst zusprechen, grade die
wichtigsten Fälle zum Gegenstande einer eingehenden und vorurteils-
freien Untersuchung gemacht und ihre Unbrauchbarkeit für die Lehre
von der Deszendenz des Menschen überhaupt und, wenigstens vor-
läufig, auch der Deszendenz der einzelnen Menschenrassen nachge-
wiesen zu haben. Eine nicht geringe Zahl der allerältesten Schädel
lässt an Vortrefflichkeit der Ausbildung auch gegenüber den Schädeln
der heutigen Kulturrassen nichts zu wünschen übrig, und kaum ein
einziger von ihnen steht inbezug auf Kapazität und Gestalt auf einer
so niedrigen Stufe, als die Schädel mancher der niedersten noch jetzt
lebenden Rassen. Sicherlich wird aber niemand behaupten dürfen,
dass unter den lebenden Rassen eine einzige wäre, welche nicht als
eine vollmenschliche angesehen werden müsste, oder welche uns die
Beschaffenheit des gesuchten Proanthropos zur Anschauung brächte.
Virchow, Deszendenz und Pathologie. 131
Begreiflicherweise ist es unter diesen Umständen sehr schwierig
festzustellen, ob eine gegebene Abweichung vom mensch-
lichen Typus atavistisch oder pathologisch ist. Das wäre
aber grade die Hauptsache. Oft genug zeigen sich Abweichungen,
welche an tierische Bildung erinnern. Von der ältesten Zeit her hat
daher unsere Terminologie ihre Bezeichnungen zum Teil aus der ver-
gleichenden Betrachtung entnommen: von dem Karkinoma, der Ich-
thyosis, dem Molluscum, dem Polypen, der Scrofula bis auf die Pho-
komele, die Bucardie und das Katzenauge lässt sich eine Unzahl
pathologischer Bezeichnungen aufstellen, in denen, zuweilen im ganzen,
häufiger im einzelnen, bestimmte Tiere oder ganze Tierklassen zur
Vergleichung und Namengebung herangezogen wurden. Die Tier-
ähnlichkeit, Theromorphie, ist eben ein uralter pathologischer
Begriff. Aber die theromorphen Erscheinungen sind doch in ihrer
Mehrzahl als richtige pathologische Dinge angesehen worden. Nur
in der Fabel treten uns wirkliche theromorphe Familien oder Stämme
entgegen. Wenn die Geographen der römischen Kaiserzeit die Völker
des hohen Nordens oder des tropischen Südens schildern, so kommt
es ihnen nicht darauf an, alle möglichen Formen der Heteroplasie,
auch der theromorphen, zuzulassen. Und die bocksbeinigen, mit Zie-
genschwänzen und Ziegenklunkern behafteten Satyrn haben in der
Mythologie ihren Wert behalten, bis sie in den christlichen Aber-
glauben übergehen und als Teufel die geängstigte Phantasie schwacher
Seelen erfüllen konnten. Unsere Wissenschaft ist nur an einer Stelle
davon betroffen worden, an derjenigen, wo alle Erklärungsversuche
fehlschlugen, und wo man daher der Fabel ihr Recht so wenig streitig
machte, wie in der alten Geographie. Das war die Lehre von den
Monstrositäten, die neuerlich so genannte Teratologie. Abge-
sehen von den Missbildungen, welche durch Versehen der Mutter,
ungefähr nach Art der von manchen Zoologen unserer Tage ange-
nommenen Mimicry, zu stande kommen sollten, hatte man fast keine
andere Erklärung, als Vererbung und Einwirkung zauberhafter Kräfte.
Man sehe nur eines der zahlreichen Sammelwerke de monstris an,
um sich bewusst zu werden, wie wenige Jahrzehnte uns von der Zeit
des pathologischen Wunderglaubens trennen.
Sonderbar genug und höchst bezeichnend ist es, dass grade an
diesem Punkt die strenge genetische Methode der neuen Pathologie
ihren ersten großen Sieg errungen hat. Erst im zweiten Dezennium
dieses Jahrhunderts, genau genommen sogar erst im dritten, gelang
es Joh. Fr. Meckel, die Teratologie unter die Gesetze der physio-
logischen Embryologie zu beugen, lange bevor die physiologische
Methode eines der andern Gebiete der Pathologie in vollem Maße
erobern konnte. In Meckel’s Lehre nahm die Theromorphie eine
ganz besondere Gestalt an. Bei der großen Bedeutung seiner Aus-
führungen ist es erforderlich, dass ich die wichtige Stelle wörtlich
9*
132 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
wiedergebe. Sie lautet (Handb. der pathol. Anat. I. S. 10): „Alle
Missbildungen bieten zwar Abweichungen von der Regel dar, ent-
fernen sich aber nie in einem so hohen Grade von dem Normaltypus
des respektiven Organismus oder Organs, dass sie aus der Reihe
organischer Körper träten, in welche der Organismus, der sie her-
vorgebracht, gehört, und missgebildete Produkte von Tieren tragen
daher immer den Charakter der Tierheit, wenn sie auch in höchstem
Grade unvollkommen sind. Ebenso verleugnet auch ein einzelnes
missgebildetes Organ nie seinen Charakter so vollständig, dass nicht
durch die größte Entstellung hindurch das Wesen desselben erkannt
würde, sowie auch ein durch die mannigfaltigsten Missbildungen ent-
stellter Organismus nie selbst aus der Species ganz heraustritt, in
welche er durch den Organismus gehört, von welchem er abstammt.“
Diese vollkommen klassische Darstellung ist noch heute Wort für
Wort anzuerkennen. Selbst die äußerste Missbildung, wie sie bei den
Amorphi oder Anidei vorkommt, die einfache Mola (Mühlstein), hat
keinen Teil an sich, den man nicht als menschlich anerkennen müsste.
Meckel fährt nun fort: „Dagegen ist es auf der andern Seite keine
seltene Erscheinung, dass Bildungen, welche einer Tierklasse als nor-
male Zustände zukommen, in einer andern als regelwidrige wiederholt
werden; eine Bemerkung, welche dem Scharfsinn des berühmten
Blumenbach (Ueber den Bildungstrieb, S. 108) nicht entgangen ist,
der als eine Abweichung des Bildungstriebes vorzüglich diejenige an-
führt, „wo er bei Bildung der einen Art organischer Körper die für
eine andere Art derselben bestimmte Richtung annimmt“. „Der Grund
dieses Phänomens“, heißt es weiter bei Meckel, „ist unstreitig zu-
nächst in der Bedingung enthalten, dass, wie der scharfsinnige Kiel-
meyer bemerkt, alle Organisationen nur Abänderungen einer und
derselben (Organisation) sind, und namentlich erscheinen bei den
höhern Tieren die meisten Bildungen darum häufig als Bildungs-
abweichungen, weil die höhern Tiere in ihrer Entwicklung
die Perioden durchlaufen, welche in den niedern Tieren
fixiert erscheinen“.
Besonders ausführlich weist er dies an den Missbildungen des
Herzens nach, indem er als niedrigste Herzform das Insekten- und
Crustaceenherz beim Menschen wiederfindet (ebendas. S. 419), sodann
als zweite Form das Reptilienherz (S. 422) und zwar in zwei Unter-
abteilungen |1) niedrigstes Reptilien- oder Mollusken- und Fischherz,
2) höheres Reptilienherz] und endlich das Säugetierherz mit offen ge-
bliebenen Fötuswegen (S. 426) beschreibt. Er sagt dazu ($. 412):
„Das Gefäßsystem ist unter allen am meisten geeignet, sowohl eine
interessante Parallele zwischen den vorübergehenden Perioden des
Embryo des Menschen und den bleibenden Zuständen der unter ihm
stehenden Tiere darzustellen, als Belege zu der Behauptung zu liefern,
dass die meisten Missbildungen der Organe nur in einem
Virchow, Deszendenz und Pathologie. 1353
regelwidrigen Verweilen auf früher normalen Bildungs-
stufen begründet sind“. Und sehr treffend fügt er hinzu, dass
„aus der Zusammensetzung höherer und niedrigerer Formen, welche
durch das Vorauseilen eines Teils desselben (des Embryo) vor dem
andern entsteht, eine reichere Fülle von Gestalten hervorgeht“, als
in dem Tierreiche.
Man sieht, wie vollständig der alte Anatom schon die Gedanken
ausgebildet hat, welche durch und seit Darwin eine so weit gehende
Anwendung erfahren haben. Die Darstellung Meckel’s von der Not-
wendigkeit, dass das höhere Tier und der Mensch in ihrer embryonalen
Entwicklung alle die Phasen thatsächlich durehlaufen müssen, welche
„in den niedern Tieren fixiert erscheinen“, ist in dieser Formulierung
nicht ganz richtig, aber es kommt für unsere Erörterung nicht darauf
an, die Korrekturen vorzunehmen, welche den heutigen Erfahrungen
entsprechen. Richtig ist, dass sowohl das menschliche Ei, als der
menschliche Embryo eine Reihe auf einander folgender Stadien der
Entwicklung zu durchlaufen haben, welche einem für die ganze Wirbel-
tierklasse und noch darüber hinaus giltigen allgemeinen Ent-
wicklungsgesetz entsprechen. Und richtig ist ferner, dass thero-
morphe Bildungen dadurch entstehen, dass die weitere Entwicklung
an einer gewissen Stelle gehemmt und in der That fixiert wird,
gleichwie es richtig ist, dass, wenn die Entwicklung eines Teiles ge-
hemmt wird und die andern Teile sich gesetzmäßig weiter entwickeln,
dadurch eine Fülle neuer Gestaltungen bedingt wird, wie sie die Ent-
wicklungsgeschichte der dem Hemmungszustande parallelen tierischen
Bildungen nicht zeigt.
Ist nun eine solche theromorphe Entwicklungshemmung (monstro-
sitas per defeetum) jedesmal atavistisch? Zweifellos ist sie dies häufig,
ja man darf sagen, in der überwiegend großen Mehrzahl der Fälle
nicht. Denn wenn schon die normalen Entwicklungszustände
eines menschlichen Embryo tierähnlich sind, so bedarf es
keines Rückschlages, um erst ihre Hemmungszustände tieräbnlich zu
machen. Zu der Hemmung genügt ein pathologisches Ereignis, und
wenn wir z. B. bei den theromorphen Zuständen menschlicher Herzen
stehen bleiben, so können wir bei der Mehrzahl derselben nachweisen,
was dem alten Meckel unbekannt geblieben ist, dass mechanische
Störungen der Zirkulation infolge endokarditischer und endoarteriitischer
Vorgänge den Grund der Hemmung darstellen. Ganz abgesehen von
den fortschreitenden Abweichungen der Bildung, welche durch das
Weiterwachsen der nicht unmittelbar von der Entzündung getroffenen
Teile oder, wie Meckel sagte, durch das „Voreilen“ derselben ent-
stehen, ist die Hemmung an sich, der Defekt als solcher ein patho-
logischer, und ein solcher Defekt findet sich daher auch bei keinem
der Tiere, mit deren Herzen das missgebildete menschliche Herz eine
äußere Aehnlichkeit darbietet.
134 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
In der Aufsuchung von Parallelen für die theromorphen Hemmungs-
bildungen blieb Meckel ganz folgerichtig bei den dem Menschen
zunächst zu stellenden Säugetieren nicht stehen; er trug nicht einmal
Bedenken, über die Wirbeltiere hinaus bis auf Crustaceen, Insekten
und Mollusken zurückzugehen. Aber ebenso weit ging er auch in der
Aufstellung von Parallelen der gewöhnlichen Entwicklung des mensch-
lichen Eies und des menschlichen Embryo, und nur, insofern unter
pathologischen Verhältnissen gelegentlich einer dieser an sich gewöhn-
lichen und konstanten Zustände des Eies oder des Embryo durch
Hemmung fixiert wurde, erhielt er eine theromorphe Monstrosität.
Eine solche Hemmung könnte jedoch nur dann eine atavistische ge-
nannt werden, wenn sie nicht durch äußere Ursachen, welche das Ei
oder den Fötus treffen, sondern als Ausdruck eines innern, frühern
Generationen eigentümlichen Entwicklungsgesetzes oder, um mit Blu-
menbach zu reden, als eine bloße Abweichung des Bildungstriebes
in die frühere Richtung entstände. Denn das Wesen des Atavis-
mus liegt in der Spontaneität der Wirkung des Bildungs-
gesetzes. Dieses Gesetz bedarf keiner äußern Ursachen, um wirksam
zu werden, um gewissermaßen zu entstehen. Im Gegenteil, es ist
schon vorhanden, wenngleich latent; nur durch äußere Ursachen ist
es gehindert worden, beständig wirksam zu sein, und es bedarf daher
nur einer Entfernung dieser Ursachen, einer Befreiung seiner Kraft,
um sichtbar in die Erscheinung zu treten. Der neue Typus, dessen
sich die Art oder die Gattung erfreut, erscheint eben als ein Zwangs-
verhältnis, nach dessen Beseitigung der alte Typus sofort wieder
hervortritt. In diesem Sinne sagte Dar win (Origin of species p. 166),
that there is a Zendency in the young of each successive generation
to produce the long-lost character, and that this tendeney, from
unknown causes, sometimes preyails, und er nahm ausdrücklich an
(Das Variieren der Tiere und Pflanzen, II, S. 72), dass „in jeder
Generation alle die Charaktere latent vorhanden seien, welche durch
Rückschlag auftreten“.
Eine solche latente Fortpflanzung ließ Darwin auch für Krank-
heiten zu (ebend. S. 30, 45, 74). Ich will natürlich nieht gegen einen
Satz ankämpfen, der in der Pathologie so gut begründet ist. Die
Lehre von den erblichen Anlagen würde jedes Fundament ver-
lieren, wenn dieselben nicht latent von einer Generation auf die andere
übertragen werden könnten. Aber ich möchte, grade mit Rücksicht
auf einige der von Darwin vorgebrachten Beispiele, davor warnen,
das Gebiet der erbliehen Anlagen zu weit auszudehnen. So scheint
es mir, dass grade die von Herrn Weismann altein zugelassenen
„künstlichen“ Krankheiten oder, vielleicht besser gesagt, Uebel eine
zu günstige Beurteilung gefunden haben. Freilich erkennt Darwin
an, dass ähnliche Missbildungen, wie sie bei Kindern von Vätern mit
verstümmelten Teilen beschrieben sind, „nicht selten ganz von selbst
Virchow, Deszendenz und Pathologie. 135
erscheinen“, und dass „alle solche Fälle Folgen einer bloßen Koinzidenz
sein können“. Aber gegenüber Autoritäten, wie Lucas undSedgwick,
wird er doch weich, und er scheint z. B. dem letztern!) zu glauben,
dass es auf Vererbung beruhte, wenn die beiden Söhne eines Soldaten,
der 15 Jahre vor seiner Verheiratung sein linkes Auge durch eine
eitrige Entzündung verloren hatte, auf derselben Seite mikrophthal-
misch waren. Wäre festgestellt, dass das verlorne Auge vor der
eitrigen Entzündung mikrophthalmisch war, so würde mir die Ver-
erbung wahrscheinlich sein, denn einseitige Bildungsfehler vererben
sich an den Augen unzweifelhaft, aber wenn eine erworbene Phthisis
bulbi des Vaters bei den Söhnen Mikrophthalmie hervorrufen sollte,
so wäre das keine Vererbung, da Mikrophthalmie etwas ganz Anderes
ist, als Phthisis bulbi. Wie häufig ist übrigens Phthisis bulbi, und
wie wenig beweist ein einziger Fall der angeführten Art! Scheinbar
viel günstiger liegt das Verhältnis mit der Zirkumzision, von welcher
Darwin auf die Autorität Blumenbach’s mitteilt, dass in Deutsch-
land oft „beschnitten geborne“ Juden vorkämen. Wenn nur nicht die
andere Thatsache dagegen stände, dass in Deutschland auch recht
oft Kinder von Christen „beschnitten“, d. h. mit gespaltener oder zu
kleiner Vorhaut, geboren würden! Wenn man bedenkt, dass die Be-
schneidung bei den Juden seit beiläufig drei Jahrtausenden eingeführt
ist, so musste sich doch wohl durch Vererbung der defekte Zustand
des Präputium längst fixiert haben, wenn er überhaupt die Fähigkeit
besäße sich zu vererben. Aber, soweit ich sehe, ist der defekte Zu-
stand des Präputium in der Regel verbunden mit einer anomalen,
mehr nach hinten (oder unten) verlegten Stellung des Orificium cuta-
neum urethrae, d. h. mit dem geringsten Grade von Hypospadie; er
gehört demnach einem Störungskreise an, welcher nicht in erster
Linie das Präputium, sondern vielmehr die Urethra betrifft, also einen
Teil, der bei der Zirkumzision gar nicht beteiligt ist. Mir scheint
daher grade umgekehrt der negative Effekt der Zirkumzision inbezug
auf die erblichen Eigenschaften der Menschen ein vortreffliches Bei-
spiel dafür zu sein, dass ein einfacher Defekt künstlicher Art ohne
Wirkung auf die typischen Eigenschaften der Familie ist, und dass
die Beweise für Atavismus in der Reihe derjenigen Eigenschaften ge-
sucht werden müssen, welche unzweifelhaft in frühern Generationen
als Folgen fixierter und typisch gewordener Eigenschaften beobachtet
waren. Bei der großen Aehnlichkeit erworbener Störungen mit erb-
lichen ist jedoch die höchste Vorsicht in den Schlussfolgerungen
geboten.
Die zoologische oder, wenn man lieber will, die anatomische Aehn-
4) Die Beobachtung ist übrigens nicht von Sedgwick; letzterer (The
British and foreign med. chir. Review, London 1861, Nr. LIV, p. 484) zitiert
vielmehr Geschreifht in Brüssel (Ann. d’oeulistique, 1845, T. XII, p. 33).
156 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
lichkeit des Menschen mit den Affen ist von jeher anerkannt worden.
Seit Galen hat die Anatomie des Affen länger als ein Jahrtausend
als die Grundlage des anatomischen Wissens vom Menschen gegolten.
Auch nach dem Sturze des galenischen Systems hat sich die Neigung,
den Affen eine sehr nahe Stelle im System anzuweisen, immer erhal-
ten. Blumenbach (De generis humani varietate nativa liber. Goet-
ting, 1776, p. 31), nachdem er eine Reihe von Anatomen aufgeführt
hat, welche sich mit Untersuchung von Affen beschäftigt haben, sagt:
Legant hos, qui forte oran-vtan aliasue simias homini non adeo dissi-
miles putant, vt aut pro cospeciebus aut certe humano generi maxime
cognatis animalibus, haberi possint. Indess erst durch die Nachfolger
Darwin’s ist die Aftenfrage in den Vordergrund des Interesses ge-
rückt worden. Gegenüber den anthropomorphen Affen sind die pithe-
koiden Menschen teils im ganzen, teils inbezug auf einzelne Organe
erörtert worden. Ich beabsichtige nicht, an dieser Stelle die ganze
Streitfrage zu besprechen. In einem Vortrage über Menschen- und
Affenschädel (Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vor-
träge von Virchow und v. Holtzendorff, Berlin 1869 — 70,
IV. Heft 96) habe ich mich ausführlich darüber geäußert. Auf
Einzelheiten werde ich noch zurückkommen. Was ich an dieser Stelle
betonen möchte, ist, im Anschluss an das Mitgeteilte, der Unter-
schied zwischen pithekoidem Atavismus und pathologi-
schem Pithekismus.
Ein Mikrocephaler ist unzweifelhaft pithekoid, und in einem ge-
wissen Sinne kann man ihn ganz mit Recht einen Affenmenschen
nennen. Aber man muss nur nicht mit Herrn Carl Vogt den Zu-
stand eines solchen Affenmenschen als einen atavistischen betrachten.
Es gibt keine Affenart, mit welcher ein mikrocephaler Mensch ver-
wechselt werden könnte. Ganz abgesehen davon, dass sein Geistes-
leben nicht die mindeste Aehnlichkeit mit dem eines Affen hat, dass
ihm jeder ausgebildete Instinkt, jede Befähigung zu selbständiger
Existenz, meist sogar der Trieb zur Fortpflanzung seiner Art fehlt,
so ist auch der gesamte Körperbau verschieden, und die Aehnlichkeit
beschränkt sich ganz und gar auf ein paar Eigenschaften des Kopfes
und des Gehirns, welche jedoch nicht hindern, dass ein mäßig geübter
Beobachter sofort einen solchen Kopf oder Schädel oder ein solches
Gehirn als menschlich erkennen muss. Nichts ist übrigens daran vor-
handen, was auf erbliche Uebertragung hinwiese.
Partielle Abweichungen von affenartigem Charakter kommen auch
bei sonst ganz normalen Menschen vor. In einer Abhandlung über
einige Merkmale niederer Menschenrassen am Schädel (Abhandlungen
der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1875) habe ich
zwei solche Eigenschaften ausführlich besprochen: den Processus
frontalis squamae temporalis und die katarrhine Beschaffenheit der
Nasenbeine. Beide finden sich gelegentlich bei Leuten der verschie-
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 137
densten Rassen, jedoch in unverkennbarer Häufigkeit bei gewissen
wilden Rassen, die wir auch sonst als niedere zu bezeichnen pflegen.
Beide entsprechen kaum Zuständen der normalen Entwicklung: die
katarrhine Nase stellt einen Defektzustand dar, bedingt dureh mangel-
hafte Ausbildung der Nasenbeine; der Stirnfortsatz der Schläfenschuppe
dagegen ist ein positiver Auswuchs, der sich über Teile der Schläfen-
gegend erstreckt, wohin sonst die Schläfenschuppe gar nicht reicht.
Beide Zustände entsprechen ganz genau gewissen Zuständen des
Skelets bei anthropomorphen Affen; beide sind also zweifellos pithekoid.
Aber der Gedanke an eine pathologische Entstehung liegt bei der
katarrhinen Nase näher, bei dem Stirnfortsatz der Schläfenschuppe
sehr fern, denn die erstere ist eine Hemmungsbildung, der andere
dagegen eine progressive, außerhalb des menschlichen Typus liegende
Erscheinung'). Atavismus kann daher recht wohl zur Erklärung des
Stirnfortsatzes angerufen werden, während er zweifelhaft ist inbezug
auf die Katarrhinie.
(Schluss folgt.)
Ueber die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
Von N. Pringsheim.
(Schluss.)
IV. Relative Lage der Maxima von Absorption und Sauer-
stoffabgabe brauner und roter Pflanzen im
Mikrospektrum.
Die verschiedenfarbigen, nicht chlorophyligrünen Gewächse, welche
gleich diesen und unter denselben Umständen ‚ wie diese, Sauerstoff
ausscheiden, sind offenbar wegen ihrer abweichenden Absorptions-
verhältnisse geeignet, weitere Beiträge zu der Frage nach der Wirkung
der Lichtabsorptionen in den Farbstoffen, die bei der Assimilation
beteiligt sind, zu liefern. Engelmann hat auch bei ihnen die gleiche
Relation zwischen Absorption, Energie und Sauerstoffabgabe finden
wollen, die er für die cblorophyligrünen Gewächse in Anspruch nimmt.
Er behauptet, dass auch hier die gesamte Lichtabsorption zur Kohlen-
säurezersetzung benutzt wird, und dass dies bei der Beobachtung im
Mikrospektrum durch die Koinzidenz der Maxima von Absorption und
Sauerstoffabgabe zum Ausdruck gelangt.
Auch hier haben aber meine eignen Untersuchungen im Mikro-
spektrum ein abweichendes Ergebnis gebracht.
1) Man vergl. meine Abhandlungen über den Schädel des jungen Gorilla
(Monatsberichte der königl. Akademie d. Wissensch., 1880, S. 523. Sitzungs-
berichte 1882, 22. Juni).
138 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
Die Unproportionalität zwischen der Gesamtgröße der Licht-
absorption der Pflanze und der Größe ihrer Sauerstoffabgabe, die
nach meinen Erfahrungen und Anschauungen eine allgemeine Erschei-
nung der assimilierenden Pflanzen jeder Farbe bildet, tritt bei den
nicht chlorophyligrünen Pflanzen mindestens in ebenso großer Schärfe,
wie bei den chlorophyligrünen, hervor, und zudem kommen hier wegen
der abweichenden Absorptionsbedingungen Verhältnisse zur Anschau-
ung, welche deutlich nachweisen, dass die vorwiegende Bedeutung,
welche man in letzter Zeit wiederum den Absorptionen im Rot zwi-
schen B und © für die Kohlensäurezersetzung zuerkennen will, ihnen
nicht zukommt.
a) Die Absorptionserscheinungen bei Phaeosporeen, Fucaceen und Florideen.
Für die olivbraunen Pflanzen sollen mir hier die Sphacelarien,
namentlich Sph. olivacea als Beispiel dienen. Die Liehtabsorptionen
der andern Phaeosporeen und der Fucaceen, die ich untersucht habe,
schließen sich nach meinen bisherigen Erfahrungen ohne andere Unter-
schiede, als solche, die notwendig durch eine verschiedene Tiefe der
Färbung bedingt sind, denen der Sphacelarien, wie es scheint, genau
an, und ebenso scheint auch der Gang der Sauerstoffabgabe bei allen
hierher gehörigen braunen Pflanzen, soweit wenigstens die Frage der
Koinzidenz der Maxima und Minima von Absorption und Sauerstoff-
ausscheidung in betracht kommt, nicht wesentlich abzuweichen.
Tief braune Aeste und Stämme von Sphacelaria olivaceu zeigen
nun trotz der auffallenden Abweichung in der Farbe, die zwischen
ihnen und den eigentlich chlorophyligrünen Gewächsen besteht, dennoch
im Mikrospektrum ein Absorptionsbild, welches inbezug auf die Lage
der Maxima deutliche Chlorophylicharaktere an sich trägt. Ihr Spek-
trum erscheint deshalb dem einer grünen Konferve überaus ähnlich.
Chlorophyliband I und die Endabsorption treten ebenso und an der-
selben Stelle wie z. B. bei einer Oladophora auf. Von den Chlorophylil-
bändern II, III und IV im Orange und Grün ist bei den dünnen
mikroskopischen Objekten, die auch hier immer vorliegen, ebenso
wenig wie dort eine Andeutung vorhanden. Auch hier gelangt die
unbestimmtere Verdunkelung der Region im äußern Rot zwischen «a
und B Fraunhofer und hinter €, von der in manchen Fällen schon
bei grünen Zellen Spuren auftreten, zur Wahrnehmung, und zwar ge-
wöhnlich viel kräftiger und entschiedener als dort. Namentlich bei
weniger intensiver Beleuchtung — z. B. im Gaslicht — erscheint
hierdurch in diekern und dunkler gefärbten olivbraunen Zellen oft
der gesamte rote Anfang des Spektrums bis zur Linie C fast gleich-
mäßig verdunkelt. In dieser kontinuierlichen Verdunkelung zeichnet
sich die Stelle zwischen B und ©, wo das Chlorophyliband I liegt,
nicht immer durch auffallend tiefere Verdunkelung aus. Es ist daher
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 139
bei tief braunen Zellen mitunter schwer, die eigentliche Begrenzung
des Chlorophylibandes I festzustellen. Gleichwohlliegt hier das Maximum
der Absorption an derselben Stelle im Rot, und in den weitaus häu-
figsten Fällen und bei weniger tief gefärbten Objekten ist das Chloro-
phyliband I an seiner Stelle leicht und sicher nachzuweisen, so dass
ein Zweifel über seine Existenz und Identität mit dem Chlorophyll-
band I der grünen Pflanzen nicht möglich ist. Auch schon ohne
Messungen erkennt man daher, dass das eine Minimum der Absorp-
tion auch bei den braunen Pflanzen zwischen B und C im Rot liegt!).
Zu diesen Absorptionen im Rot und Blau- Violett, die mit denen
grüner Pflanzen übereinstimmen, tritt nun bei den braunen Pflanzen
als wesentlichster und eigentlich als einziger Unterschied von den rein
chlorophyligrünen eine verstärkte Absorption in der grünen Region
des Spektrums hinzu. Diese bestimmt eben die abweichende Farbe
dieser Pflanzen. Die erwähnte Verdunkelung im Grün beginnt oft
schon vor D !/, E, setzt sich je nach Dieke und Farbenkonzentration
der Objekte bald schwächer, bald stärker und mehr oder weniger
anwachsend über die ganze grüne Region des Spektrums fort und
geht dann ununterbrochen in die Endabsorption im Blau über. Bei
jJüngern und hellern Zweigen ist die Absorption im Grün oft äußerst
schwach, wodurch das Absorptionsspektrum dem der chlorophyll-
grünen Pflanzen noch ähnlicher wird. Man sieht dann wie bei einer
Cladophora nur Chlorophyliband I und die Endabsorption, die aber
immer schon weiter vor F beginnt, als dort.
Zwischen C, wo die starke Absorption im Rot aufhört, und DJ, E,
wo die stärkere Absorption im Grün wieder beginnt, liegt nun bei
den braunen Zellen die Stelle der schwächsten Absorption. Da dieser
Punkt für die Vergleichung mit der Sauerstoffexhalation der wichtigste
ist, so hebe ich noch ausdrücklich hervor, dass die braunen Pflanzen-
zellen, wie jede Beobachtung im Mikrospektrum zeigt, für diese Region
Obis D!/, E unbedingt und unter allen Umständen am durchlässigsten
sind, viel durchlässiger namentlich, als für die Stelle von B bis € im
Rot, und dass hierüber schon der bloße Vergleich der Helligkeit der
Objekte in den verschiedenen Regionen keinen Zweifel lässt.
Kurz zusammengefasst zeigt sich demnach, dass das ganze Blau-
Violett im Spektrum und ebenso das Rot zwischen B und © Fraun-
hofer auch von den braunen Zellen am stärksten absorbiert wird,
bedeutend schwächer dagegen schon das Grün und am schwächsten
das Orange und Gelb, von C an bis etwa D4, E.
Bei der vorliegenden Aufgabe, die nur den Wert der Liehtabsorp-
tion in der Pflanze im Auge hat, darf man, wie ich noch bemerken
1) Eine geringe Verschiebung des Bandes gegenüber seiner Lage bei grünen
Pflanzen ist auch hier so zu deuten, wie die Verschiebung derselben in grünen
Pflanzen gegenüber seiner Lage in Chlorophylllösungen.
140 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
will, von der sonstigen Beschaffenheit des braunen Farbstoffes der
Phaeosporeen und Fucaceen vorläufig ganz absehen. Es herrscht
hierüber, wie bekannt, eine Meinungsverschiedenheit. Die einen halten
denselben für eine Chlorophyllmodifikation, die andern für ein Ge-
misch von Chlorophyll und einem zweiten Farbstoffe. Das Absorp-
tionsspektrum der Pflanze gibt hierüber ebenso wenig nähere Aus-
kunft, wie die an sich mehrdeutigen Zerlegungs- und Trennungs-
versuche, durch welche man die Frage hat zur Entscheidung bringen
wollen. Die Lage der Absorptionsmaxima in der Pflanze aber, auf
die es hier ganz allein ankommt, wird von der Zusammensetzung und
Reinheit, oder Unreinheit der Farbstoffe gar nicht berührt. Sie wird
in jedem Falle von der Gesamtwirkung der in der Pflanze vorhan-
denen Absorptionen bestimmt, und hierbei ist es ohne Belang, ob
diese von einem oder von zwei Farbstoffen herrühren. Bemerkens-
wert für die physiologische Betrachtung ist dagegen, dass auch im
Absorptionsspektrum der braunen Pflanzen die nahe Beziehung ihrer
Farbe zum Chlorophyll zur Anschauung gelangt.
Man kann das Spektrum der braunen Pflanzen je nach der Vor-
stellung, der man über den braunen Farbstoff huldigt, als ein Chloro-
phylispektrum mit gesteigerten Absorptionen im Grün und im Rot
neben Chlorophyliband I ansprechen, oder auch als ein Chlorophyll-
spektrum, zu dem noch das Spektrum eines zweiten Farbstoffes hinzu-
tritt mit Absorptionen, die vornehmlich im Grün und Rot liegen.
Gehen wir nun zu den Absorptionserscheinungen der Florideen
über, so finden wir bei diesen dunkelschwarz-roten bis rein roten
Pflanzen analoge Erscheinungen wieder. Untersucht habe ich bezüg-
lich dieses Punktes namentlich einige Polysiphonien, dann Rhodomela
subfusca und Delesseria sanguinea. Trotz der großen Verschieden-
heiten, die hier wieder in der äußern Farbe zwischen den dunklern
Polysiphonien und der schön roten Delesseria bestehen, zeigen doch
auch hier, grade wie es bei den braunen Pflanzen der Fall war, ihre
Absorptionsspektren unter sich keine andern Verschiedenheiten, als
solche, die in der Tiefe der Färbung liegen. Das heißt, man darf
annehmen, dass es bei den verschiedensten Florideen sich immer nur
um denselben Farbstoff, oder dasselbe Farbstoffgemenge, nur in ver-
schiedener Konzentration, oder in relativ verschiedener Anhäufung
handelt. Auch das Absorptionsspektrum der Florideen lässt sich nun
kurz so auffassen oder darstellen, dass hier gleichfalls ein Chloro-
phylispektrum vorliegt, zu welchem, wie bei olivbraunen Zellen, noch
eine Absorption im Grün und Rot, und zwar eine noch viel stärkere
als bei den olivbraunen Zellen hinzutritt.
Im einzelnen ausgeführt nimmt man bei den Florideen folgende
Absorptionserscheinungen wahr.
Dünnere Polysiphonia- Aeste zeigen namentlich bei intensiver Be-
leuchtung — z.B. in direkter Sonne — wiederum das bekannte Chloro-
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum, 141
phyliband I beiderseitig mehr oder weniger scharf begrenzt an seiner
richtigen Stelle; ferner die Endabsorption im Blau- Violett, und jene
unbestimmtere Absorption im Rot vor B, durch welche auch hier bei
dunklern Objekten eine kontinuierliche Verdunkelung des ganzen
roten Anfangs im Spektrum bis zur Linie C — so wie bei manchen
Phaeosporeen — hervorgerufen wird. In dieser Verdunkelung wird
auch hier unter Umständen das Chlorophyliband I zwischen B und C
nur äußerst schwer, oder gar nicht als eine noch tiefer markierte
Absorptionsstelle erkennbar. Auch hier kommen dann die Chlorophyll-
bänder II, III nicht zur Wahrnehmung, und auch hier tritt dann
wieder, wie bei den braunen Pflanzen noch eine äußerst starke Ab-
sorption im Grün, die hier aber bedeutend stärker als bei braunen
Pflanzen ist, hinzu. Sie beginnt schon kurz hinter D, wo das Grün
im Spektrum seinen Anfang nimmt, und erstreckt sich an Stärke
rasch anwachsend ununterbrochen bis zur Endabsorption. So ist bei
den Florideen die Absorption im ganzen Blau und Violett, dann im
Grün, sowie auch im Rot zwischen B und C eine äußerst kräftige.
Ueber die relative Größe desselben lässt sich selbstverständlich ohne
photometrische Messungen nichts Bestimmtes aussagen, doch scheint,
soweit die relativen Helligkeiten ein Urteil gestatten, nicht nur das
ganze Blau-Violett, sondern sogar das dem Blau benachbarte Grün
bei den Florideen stärker absorbiert zu werden, als das Rot. Allein
dieser Umstand ist für die Betrachtung, die ich später daran knüpfen
will, weniger von Bedeutung. Wichtig für dieselbe ist dagegen nur,
dass die Stelle der geringsten Absorption bei den Florideen ungefähr
zwischen € und D liegt, etwa vom Ende des Rot bis zum Anfang
des Grün, und ausdrücklich erwähne ich noch besonders, dass die
Absorption zwischen B und C unbedingt weit stärker ist, als zwischen
C und D. Hierin findet demnach zwischen den braunen und roten
Pflanzen eine volle Uebereinstimmung statt.
b) Die Sauerstoffabgabe der Phaeosporeen und Florideen im Mikrospektrum.
Die Untersuchung der Sauerstoffexhalation im Mikrospektrum zeigt
auch bei den braunen und roten Pflanzen das Phänomen der Inkonstanz
der Lage des Maximums, auf welches ich schon bei den grünen Pflanzen
hingewiesen habe. Das Maximum schwankt in verschiedenen Versuchen
innerhalb nicht unbedeutender Grenzen, und seine Schwankungen sind
offenbar abhängig von Bedingungen, die man bei der Beobachtung im
Mikrospektrum gar nicht beherrscht. Auf diesen Umstand und seine
mögliche Deutung werde ich weiter unten zurückzukommen haben.
Abgesehen aber hiervon lässt sich seine Lage in der Mehrzahl
der Fälle mit genügender Sicherheit feststellen.
Zunächst für braune Pflanzen ist es sicher, dass dasselbe fast
regelmäßig in dem Raume zwischen C und D Fraunhofer liegt;
442 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
häufig nahe der Mitte zwischen C und D. Bei der Beobachtung im
Gaslicht ist der Abfall nach beiden Seiten vom Maximum stark aus-
gesprochen, weniger stark in direktem Sonnenlicht, wo der Abfall
namentlich nach Grün hin gewöhnlich viel unbedeutender ist. Aus-
nahmsweise kann die Bewegung auch im Rot und Grün fast so groß
werden als im Orange. Doch können diese Ausnahmen selbstverständ-
lich das Resultat nicht umstoßen, dass in der Mehrzahl der Fälle das
Maximum deutlich zwischen © und D liegt, und durch die verstärkte
Absorption der braunen Pflanzen im Grün tritt dann das Verhältnis,
dass Exhalations- und Absorptionsmaxima nicht zusammenfallen, hier
ungemein deutlich hervor. In den bezeichneten Fällen liegt bei den
braunen Pflanzen das Exhalationsmaximum sogar genau innerhalb der
Region der geringsten Absorption der Pflanze.
Was nun ferner die Sauerstoffexhalation der roten Pflanzen im
Mikrospektrum betrifft, so findet auch hier ein ähnliches Verhältnis
statt. Die Bewegung der Bakterien im Rot über B bis © erscheint
zwar auch hier in seltenern Fällen sehr lebhaft, fast so lebhaft, wie
im Orange hinter C, allein der gewöhnliche und regelmäßige Fall
ist auch hier der, dass die Bewegung vom Rot nach Orange ansteigt,
und dass ihr Maximum hier gradezu in den hellsten Teil der Pflanze,
in die Region der schwächsten Absorption im Spektrum zwischen C
und D oder kurz vor D fällt. Bei Anwendung von direktem Sonnen-
licht liegt dasselbe fast ohne Ausnahme grade auf D und nimmt
den Teil vor Beginn der starken Absorption im Grün ein. Von hier
aus fällt die Bewegung nach beiden Seiten zunächst nur schwach,
nach Rot hin aber stärker als nach Grün. Hier im Grün setzt sie
sich nicht selten nahezu in gleicher Stärke wie im Gelb eine längere
Strecke weit fort. Auch kann es vorkommen, dass die Bewegung im
Anfang Grün hinter D hin und wieder einmal noch stärker erscheint,
als um D. Jedenfalls erreicht aber in zahlreichen Fällen die Leb-
haftigxeit der Bewegung ihr Maximum schon bei D und kurz vor D,
also an einer Stelle, die wiederum sichtlich in der Region der
schwächsten Absorption der Florideen liegt. So schon bei der Beob-
achtung im Sonnenlicht; bei der Beobachtung im Gaslicht ist die Er-
scheinung, dass Absorptions- und Assimilationsgröße bei den Florideen
nicht gleichen Schritt halten, bei dem Vergleich zwischen der Be-
wegung im Rot, Blau und Grün mit der Bewegung in dem Raume
zwischen C und D noch ausgeprägter und noch entschiedener aus-
gesprochen.
V. Unproportionalität von Lichtabsorption und Sauer-
stoffabgabe im Spektrum und Folgerungen daraus.
Die hier mitgeteilten Ergebnisse fordern zunächst zu einem Ver-
gleiche mit den Resultaten heraus, die bei der Untersuchung im Makro-
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 143
spektrum erhalten worden sind, und verlangen außerdem eine Erörte-
rung der sich anschließenden Frage, welche Folgerungen sie zulassen
bezüglich des physiologischen Wertes, den die elektiven Lichtabsorp-
tionen im Gaswechsel der Pflanze besitzen. Es ist jedoch nicht meine
Absicht, hier mehr als einige Andeutungen inbetreff der beiden be-
rührten Punkte zu geben. Vor allem liegt es nicht in meiner Absicht,
die Untersuehungsmethode im Makrospektrum und die mit derselben
gewonnenen widerspruchsvollen Resultate hier einer ausführ-
lichen und eingehenden Kritik zu unterziehen. Dies ist oft genug
auch in letzter Zeit geschehen, ohne zu einer befriedigenden Erklä-
rung der vorhandenen sachlichen Widersprüche geführt zu haben.
Ich will vielmehr an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass sich
die scheinbaren Widersprüche in einfachster Weise lösen und mit
meinen Beobachtungen im Mikrospektrum vereinen lassen, wenn man,
wie es meine Beobachtungen nachweisen sollen, die Inkonstanz der
Lage des Maximums der Sauerstoffabgabe und des Verlaufes ihrer
Kurve anerkennt. Es liegt dann kein Widerspruch der Befunde mehr,
sondern nur die unberechtigte Verallgemeinerung derselben bei den
verschiedenen Beobachtern, die zu abweichenden Resultaten gelangt
sind, vor.
Die Annahme, dass die Sauerstoffkurve im Spektrum bei allen
chlorophyligrünen Pflanzen genau den gleichen Verlauf zeigen müsse,
schien allerdings geboten, so lange man, wie dies bis auf meine
Untersuchungen allgemein geschah, die Sauerstoffabgabe der Pflanzen
im Licht nur als das unmittelbare Resultat eines einfachen Reduk-
tionsvorganges der Kohlensäure betrachtete, der sich im Chlorophyll-
farbstoff abspielen sollte. Berücksichtigt man aber die verschiedenen,
von einander zum Teil unabhängigen Vorgänge der Oxydatiön und
Reduktion in der Pflanze, deren Gesamtendresultat die Größe der
Sauerstoffabgabe im Lichte darstellt, so erscheint die Annahme einer
Konstanz derselben unter veränderten Umständen von vornherein un-
denkbar.
Für die Auslegung der Versuche im Makrospektrum, die ich oben
gegeben habe, spricht auch der Umstand, dass es keinem der Beob-
achter gelungen ist, eine befriedigende Erklärung für die abweichen-
den Befunde der andern Beobachter zu geben, und die etwaigen
Irrtümer derselben überzeugend aufzudecken. Die Bemängelung be-
schränkte sich gewöhnlich auf Fehler in der Methode, die aber im
vorliegenden Falle als durchaus nebensächliche zu bezeichnen sind.
Dies gilt namentlich von den Ausstellungen, die inbetreff der Unrein-
heit und Dispersion der Spektren gemacht worden sind, und durch
welche man die Zuverlässigkeit der objektiven Befunde in den Ver-
suchen in Frage stellen wollte.
Was zunächst die Unreinheit der Spektren betrifft, so ist der
hieraus resultierende Fehler weit übertrieben worden.
144 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
Die Verschiebung der Lage des Maximums der Sauerstoff-
abgabe — auf die es ja hier ganz allein ankommt — durch eine
etwaige geringe Unreinheit des Spektrums kann bei nur einigermaßen
rationeller Ausführung der Versuche das wahre Verhältnis nur ganz
unwesentlich verändern, und kann unmöglich die enormen Wider-
sprüche, die in den Angaben der Beobachter hier vorliegen, erklären.
Der etwaige Fehler, der durch die Unreinheit des Spektrums hervor-
gerufen wird, lässt sich außerdem beim Resultate in Rechnung ziehen.
Der Grad der Unreinheit eines Spektrums wird durch die Breite
bestimmt, welche das monochromatische Licht, oder der homogene
Strahl in demselben einnimmt. Eine einfache Konstruktion durch die
Ueberlagerung der Farben in der entsprechenden Breite zeigt, dass
die Verschiebung der Lage des Maximums durch die Verbreite-
rung der farbigen Strahlen von größter Wirksamkeit im Assimilations-
vorgange nie mehr betragen kann, als die Hälfte der Breite, welche
der homogene Strahl in dem unreinen Spektrum einnimmt.
Soleh enorme Schwankungen in der Lage des Maximums, wie sie
nach den Angaben der verschiedenen Beobachter im Makrospektrum
vorhanden sind — die zwischen B im Rot und D im Gelb liegen —
können unmöglich aus einer Verschiebung der Lage derselben infolge
von Unreinheit des Spektrums erklärt werden. Wenn diejenigen im
Recht wären, welche behaupten, dass das Maximum konstant bei BD
liegt, so müsste die Unreinheit des Spektrums in jenen Fällen, in
welchen die Lage des Maximums bei D gefunden wurde, eine Ver-
schiebung desselben von B nach D hervorgerufen haben. Dies ist
ganz undenkbar. Bei einer Breite der homogenen Strahlen und einer
dementsprechenden Ueberlagerung der Farben, welche eine derartige
Verschiebung des Maximums ermöglichte, würde niemand mehr von
Versuchen über den Wirkungswert verschiedener Farben im Spektrum
reden; die Spektralfarben wären selbst dem Auge als solche nicht
mehr erkennbar. Bei den Beobachtungen im Mikrospektrum, dies sei
beiläufig bemerkt, fällt übrigens die ganze Frage der Unreinheit eben-
falls fort, da sich alle Beobachtungen bei Spaltweiten ausführen lassen,
bei denen die Fraunhofer noch sichtbar sind, die also einen absolut
genügenden Grad von Reinheit besitzen. Will man aber im Mikro-
spektrum mit größern Spaltweiten und im Gaslicht untersuchen, dann
ist es doch immer leicht möglich, durch die Bestimmung der Breite
des homogenen Strahles in jedem Versuche den Fehler, den die Un-
reinheit des Spektrums erzeugt, in Rechnung zu ziehen.
Noch weniger aber, als die Unreinheit, kommt bei der Beurtei-
lung derjenigen Befunde, nach welchen die Lage des Maximums bei
D liegen soll, die Dispersion des Spektrums und der Fehler, den
diese hervorruft, inbetracht.
Ich erwähne dies ausdrücklich mit Rücksicht auf die neuern
Untersuchungen von Reinke, in welchen die Dispersion aufgehoben ist.
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 145
Pfeffer und Reinke haben z. B. mit nahezu derselben Methode
gearbeitet. — Beide mit der Methode des Gasblasenzählens im Makro-
spektrum; beide mit Elodea. Pfeffer findet aber bekamntlich das
Maximum bei D; Reinke bei B.
Nun hat Reinke allerdings bei seinen Versuchen den Fehler
der prismatischen Dispersion durch eine geschickte Kombination auf-
gehoben. Es wäre aber ein großer Irrtum, wollte man die Angaben
von Reinke über die Lage des Maximums bei B deshalb für zuver-
lässiger und richtiger halten, weil seine Beobachtung vom Fehler der
Dispersion befreit war. Grade die Existenz der Dispersion in den
Versuchen bei Pfeffer gibt eine größere Bürgschaft für die Richtig-
keit seines Befundes in dem beobachteten Falle.
Die vorhandene Dispersion bevorzugt im Resultate bekanntlich
den Effekt der Wirkung des minder brechbaren Rot gegenüber dem
stärker brechbaren Gelb.
Wäre es daher wirklich so, wie z. B. Reinke und Engelmann
behaupten, dass im Normalspektrum das Maximum der Sauerstoff-
abgabe konstant und unabänderlich im Rot liegt, so hätte
Pfeffer beiseinen Versuchen im prismatischen Spektrum, bei welchen
das Rot ja noch außerdem gegen die übrigen Farben bevorzugt ist,
das Maximum um so schärfer ausgesprochen im Rot finden müssen.
Es wäre überhaupt ganz undenkbar, dass irgend ein Experimentator
im prismatischen Spektrum je das Maximum über Rot hinaus im
Orange, oder gar im Gelb gesehen haben könnte, und doch ist dies,
wie bekannt, nicht nur von Pfeffer, sondern auch von andern Be-
obachtern dort gefunden worden.
Es ist deshalb für die Frage nach der Lage des Maximum im
Rot weder nötig die Dispersion aufzuheben, noch die Resultate für
das Normalspektrum zu berechnen. Hat man sich ein einziges mal
im prismatischen Spektrum von der Lage desselben hinter C oder
in der Nähe von C sicher überzeugt, so ist damit die Thatsache
entschieden, dass die Maxima der Assimilation und Absorption nicht
notwendig zusammenfallen. Nur wenn man das Maximum im Rot
fände, bedürfte die Feststellung seiner Lage im Verhältnis zum Ab-
sorptionsspektrum noch eine genauere Bestimmung durch Uebertragung
ins Normalspektrum.
Ich möchte ferner hier noch eine Erscheinung bei den Beobach-
tungen im Mikrospektrum erwähnen, die gleichfalls Licht auf die
Inkonstanz der Lage des Maximums verbreiten und auch zur Erklä-
rung der Verhältnisse der Sauerstoffabgabe im Spektrum beitragen
kann. Man hat oft, während ein und derselben Beobachtung im Mikro-
spektrum, Gelegenheit zu sehen, dass die Bakterien den bevorzugten
Ort ihrer Ansammlung am Objekte verlassen, und einen benachbarten
aufsuchen. Namentlich wenn die Ansammlungen kleiner sind und die
Sauerstoffausscheidung am Objekte nicht ergiebig ist, erhält man oft
VI. 10
146 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
das Bild kleiner getrennter Bakterienhaufen, die sich an einzelnen,
lokal gesonderten Herden der Sauerstoffausscheidung angesammelt
haben; nach kürzerer oder längerer Zeit sieht man dann die Bak-
terien diese Herde verlassen und sich an andern benachbarten nieder-
lassen. Die Erscheinung macht den Eindruck, als ob die Sauerstofl-
entwieklung an einzelnen Stellen des Objektes unterbrochen, gleichsam
erschöpft würde, und es gewinnt so den Anschein, dass der Körper
in der Pflanze, welcher in die Kohlensäurezersetzung hineingezogen
wird, und von dem die Sauerstoffabgabe ausgeht, lokal an einzelnen
Stellen verbraucht und erst später dort wieder erzeugt wird. Diese
Vorgänge erfolgen aber, ohne dass das Absorptionsspektrum des Ob-
jektes irgend eine sichtbare Veränderung erleidet, jedenfalls ohne
dass die Lage der Absorptionsmaxima sich ändert. Es
scheinen somit diese Vorgänge schon darauf hinzuweisen, dass dem
Körper, welcher in der Pflanze wirklich reduziert wird, die starken
Absorptionen im Blau-Violett und Rot nicht angehören, und dass daher
gar keine Proportionalität zwischen der Größe der Sauerstoflabgabe
und der Größe der Absorption erwartet werden kann. Wir können
nach alledem die Unproportionalität zwischen Lichtabsorption und
Sauerstoffexhalation in der Pflanze als eine zweifellos feststehende
Thatsache betrachten, und es bleibt nur übrig zu entwickeln, inwieweit
dies Verhältnis Aufschluss zu geben vermag über den physiologischen
Wert von Lichtabsorptionen in der Pflanze und über ihre Beziehung
zum Gaswechsel der Gewächse.
Zu dem Ende will ich schließlieh die Vorstellungen, die an den
Vorgang der Sauerstoffabgabe anknüpfen und für die Beurteilung
der Funktion der Liehtabsorptionen wichtig erscheinen, hier schließ-
lich noch kurz zusammenfassen und mit den beobachteten Thatsachen
vergleichen.
Allgemein geht man und auch mit Recht bei der Betrachtung des
Vorganges von der Annahme aus, dass die Größe des photochemischen
Prozesses in der Pflanze in irgend einer proportionalen Abhängigkeit
von der Größe der Absorptionen derjenigen Strahlengattungen stehen
muss, die ihn ausführen. Ebenso ist man aber auch, nach allen vor-
handenen Erfahrungen über die Beziehung der Farbe der Gewächse
zur Assimilation des Kohlenstoffes, berechtigt vorauszusetzen und an-
zunehmen, dass der Chlorophylifarbstoff und die ihm verwandten
Farbstoffe der nieht rein chlorophyligrünen assimilierenden Gewächse
eine geeignete und zweckmäßige Anpassung an die Assimilation be-
sitzen und dieselbe auch zeigen müssen.
Von dem Standpunkte der absoluten Anhänger der alten Chloro-
phylitheorie, welche die Lichtabsorption in dem Farbstoffe nur zur
Zersetzung der Kohlensäure in Beziehung bringen wollen, lag es daher
nahe zu erwarten, dass im Spektrum ein sichtbarer Einfluss der Ab-
sorptionsgröße im Farbstoff auf die Größe der Sauerstoffabgabe zur
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 147
Anschauung gelangen werde. So entstand als Konsequenz der alten
Theorie die Forderung der Koinzidenz der Maxima von Absorption
und Sauerstoffexhalation im Spektrum.
Die Thatsache nun, dass die Sauerstoffabgabe im blau - violetten
Ende verhältnismäßig gering ist, stand schon mit dieser Forderung
nicht im Einklange. Sie zeigte, dass die Größe der Sauerstoffabgabe
in den betreffenden Farben keineswegs in gradem Verhältnisse zur
Größe ihrer Absorptionen im Chlorophylifarbstoff steht, und führte
zu der Vermutung, dass die Absorptionen im blau-violetten Teile des
Spektrums einen Wert im Gaswechsel der Pflanze besitzen, der außer-
halb der Kohlensäurezersetzung zu suchen sei. In dem minder brech-
baren Teile des Spektrums waren und sind allerdings die Angaben
über die Größenverhältnisse der Sauerstoffabgabe noch nicht überein-
stimmend. Die einen behaupten, dass das Maximum derselben hier
mit dem Absorptionsmaximum zwischen BD und © zusammenfällt, die
andern, dass dasselbe im Orange oder Gelb, jedenfalls an einer
Stelle geringerer Absorption im Farbstoffe auftritt. War das letztere
der Fall, so war somit auch in der minder brechbaren Hälfte keine
sichtbare Proportionalität zwischen Absorption und Sauerstoffabgabe
vorhanden, und die hervorragendste Absorption im Farbstoff erschien
auch hier nicht der Kohlensäurezersetzung, sondern vielmehr einer
andern Leistung im Gaswechsel angepasst.
Die Schwierigkeiten, die sich hieraus für die alte Theorie er-
gaben, suchen die Anhänger derselben zu heben, indem sie an der
Lage des Maximums im Rot bei D festhalten, und bezüglich der ge-
ringen Sauerstoffabgabe in der blau-violetten Hälfte des Spektrums
auf die geringe Energie der betreffenden Strahlengattungen hinweisen.
Zuerst hat sich in diesem Sinne Lommel bekanntlich dahin ausge-
sprochen, die blauen Strahlen könnten wegen ihrer geringen mecha-
nischen Intensität im Assimilationsakte nur wenig leisten, das Maximum
müsse aber im Rot liegen, weil hier die stärkste Absorption mit großer
Energie der Strahlung zusammentrifft.
Es ist von andern und mir schon wiederholt darauf hingewiesen
worden, dass diese Deduktion durchaus nicht zwingend ist. Sie be-
urteilt den Vorgang wie einen reinen Wärmeeffekt der Strahlung und
übersieht, dass in der Sauerstoffabgabe vorzugsweise eine chemische
Wirkung des Lichtes auf die Pflanze zur Erscheinung kommt. Auch
habe ich wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass der Hinweis
auf die geringe mechanische Intensität der blauen Strahlen am aller-
wenigsten geeignet ist, wenn man auf dem Standpunkte der alten
Chlorophylitheorie steht, die auffallende und hervorragende Absorption
grade dieser Strahlen bei allen assimilierenden Pflanzen verständlich
zu machen und eine Erklärung für die gemeinsame Farbe derselben
zu geben.
Auch die Vorstellung nun, welche neuerdings Engelmann über
10:*
148 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
die Sauerstoffabgabe der Gewächse entwickelt hat, und durch welche
er gleichfalls glaubt, die der alten Chlorophylitheorie in den That-
sachen entgegenstehenden Schwierigkeiten heben zu können, geht
wesentlich wieder von den gleichen Gesichtspunkten aus, die dem
Lommel’schen Erklärungsversuche zu grunde lagen. Nur hat Engel-
mann seine Vorstellung konsequenter und methodischer durchgeführt,
und durch zahlreiche und mühsame Beobachtungen und Messungen
empirisch zu begründen gesucht.
Wie ich bereits dargelegt habe, stellt Engelmann den Einfluss
der Schwingungsdauer des Lichtes bei der Assimilation völlig in Ab-
rede und stellt zugleich die Hypothese auf, dass die gesamte Licht-
energie, welche bei der Absorption in der Pflanze verschwindet, zur
Zerlegung der Kohlensäure in ihr verbraucht wird. Durch zahlreiche
Größenbestimmungen von Absorption und Sauerstoffabgabe in den
Spektralregionen sucht er dann zu erweisen, dass die thatsächlichen
Verhältnisse den Forderungen aus seinen Voraussetzungen entsprechen,
und dass an jeder Stelle im Spektrum die Sauerstoffabgabe genau
dem Produkt aus Absorption und Energie der betreffenden Stelle
gleich ist.
Die große Reihe von Zahlenangaben, welche Engelmann als
Beleg hierfür beibringt, hat auf den ersten Blick viel Bestechendes.
Allein ich habe in diesem Aufsatze gezeigt, dass der Wert seiner
Zahlen mannigfachen und erheblichen Bedenken unterliegt. Es ist
dies erklärlich genug aus der komplizierten und subtilen Methode, zu
welcher Engelmann gegriffen hat, um die Größen der Absorption
und Sauerstoffabgabe im Mikrospektrum zu bestimmen und mit den
berechneten relativen Lichtenergien der Spektralregionen zu ver-
gleichen. Ich habe schon bei der Kritik der Methode im einzelnen
nachgewiesen, dass die Fehlerquellen derselben ein genaues Resultat
unmöglich machen, und dass der Beginn der Bakterien - Bewegung,
an welchem Engelmann die Größe der Sauerstoffabgabe misst, kein
geeignetes Maß für dieselbe abgibt. Aus den naheliegenden Bedenken
gegen die Grundlagen der Engelmann’schen Hypothesen war auch
von vornherein ein günstiges Resultat seiner Bemühungen und Mes-
sungen nicht zu erwarten. Dass die Schwingungsdauer des Lichtes
im photochemischen Prozesse der Pflanze ohne Einfluss sein sollte,
scheint schon durch die Auswahl der Farben, welche bei der Assi-
milation mitwirken, in hohem Grade unwahrscheinlich, und ebenso
unwahrscheinlich ist die Annahme, dass die gesamte von der Pflanze
absorbierte Lichtenergie zur Zersetzung der Kohlensäure in ihr ver-
braucht wird. Die Kohlensäure-Zersetzung ist weder der einzige,
noch selbst der einzige chemische Lichteffekt in der Pflanze.
Endlich aber bringen meine eignen Beobachtungen im Mikro-
spektrum, die ich hier mitgeteilt habe — namentlich die an braunen
und roten Pflanzen — den sichern empirischen Beweis, dass es
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 149
nicht so ist, und dass die von den Engelmann’schen Voraussetzungen
geforderte Relation zwischen Energie, Absorption und Sauerstoffabgabe
in der Pflanze nicht besteht. Meine Befunde gestatten zugleich diesen
Beweis zu führen, ohne über die Grenzen hinauszugehen, welche der
quantitativen Bestimmung der einschlagenden Verhältnisse im Mikro-
spektrum gesteckt sind.
Da im Mikrospektrum innerhalb der Ausdehnung seines sicht-
baren Teiles, die hier in betracht kommt, nämlich von B bis DFraun-
hofer, die Energie von B nach D fortgesetzt abnimmt, die stärkste
Absorption in dieser Region aber bei allen assimilierenden Pflanzen
— auch den braunen und roten — zwischen 5 und © auftritt, so
könnte selbstverständlich, wenn die Engelmann’sche Relation in
der Pflanze Geltung hätte und die Absorptionen nur die Zersetzung
der Kohlensäure beträfen, niemals der Fall eintreten, dass die Sauer-
stoffabgabe an irgend einer Stelle zwischen © und D größer sein
könnte, als zwischen B und €.
Grade dieses Verhältnis ist aber im Mikrospektrum der gewöhn-
liche Fall, und da dies bei den grünen Pflanzen noch immer bezweifelt
wird, so ist es für die Erkenntnis derselben desto wertvoller, dass
die Thatsache bei braunen und roten Pflanzen um so viel anschau-
licher und ausgeprägter zur Erscheinung kommt.
Die Inkongruenzen zwischen Absorptions- und Exhalationsgröße
im Spektrum sind daher nicht bloß scheinbare, sondern es findet
absolut keine Proportionalität zwischen dem Gesamtbetrag der
Absorption in der Pflanze und der Größe der Sauerstoffabgabe statt;
wie dies auch von vornherein gar nicht anders zu erwarten war.
Die Proportionalität wäre nur denkbar, wenn man den Bruchteil der
Absorptionen in den grünen Geweben, der effektiv der Kohlensäure-
zersetzung dient und für dieselbe verbraucht wird, aus dem Gesamt-
betrage der Absorptionen der Pflanze ausscheiden könnte, und zugleich
die Oxydationsvorgänge der Gewebe von dem Reduktionsvorgange zu
trennen im stande wäre.
So aber verlangt eben der überschüssige Teil der Liehtabsorp-
tionen, der in der Kohlensäurezersetzung nicht zum Ausdrucke ge-
langt, die Berücksichtigung seiner Bedeutung für die Liehtwirkung in
der Pflanze und im Gaswechsel derselben. Mit andern Worten, die
Differenzen zwischen dem Chlorophylispektrum und dem Gange der
Sauerstoffkurve verlangen ihre biologische Erklärung.
Vom Standpunkte der alten Chlorophylitheorie erscheint aber die
Thatsache, dass die blau-violetten Strahlen in den assimilierenden
Pflanzen so äußerst stark absorbiert werden und doch bei der Sauer-
stoffabgabe nur wenig leisten, biologisch unverständlich und paradox.
Sie wird nicht verständlicher, sondern nur unverständlicher, wenn man
hinzufügt und behauptet, dass die blauen Strahlen für die Kohlen-
säurezersetzung wegen ihrer geringen mechanischen Intensität über-
150 Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum.
haupt nur von untergeordnetem Werte sein können. Aehnliches gilt
von der Thatsache, dass die Strahlen zwischen B und © trotz ihrer
äußerst starken Absorption, die bier noch mit einer hohen Energie
der Strahlung verbunden ist, mindestens in den zahlreichsten Fällen
weniger Sauerstoff entwickeln, als die benachbarten zwischen C und D,
die um so vieles schwächer absorbiert werden. Mit der Thatsache
allein kann man sich aber nicht begnügen wollen. Der Chlorophyll-
farbstoff und die ihm verwandten bei der Assimilation wirksamen
Farbstoffe würden unter diesem Gesichtspunkte für die Funktion, die
man ihnen allein zuschreiben will, in ihren elektiven Absorptionen so
ungünstig und unzweckmäßig als möglich angepasst erscheinen.
Der gemeinsame und durchgreifende Charakter, der alle assimi-
lierenden Pflanzen auszeichnet — die elektive Absorption des gesamten
bian-violetten Endes und des Rot zwischen B und © — kann aber
nicht anders als in kausaler Beziehung zur Assimilation gedacht und
verstanden werden.
Ist man daher gezwungen, die Thatsache anzuerkennen, dass die
Maxima von Absorption und Sauerstoffabgabe im Spektrum bei den
verschiedenfarbigen assimilierenden Pflanzen nicht zusammenfallen, so
wird man auch gezwungen, den elektiven Absorptionen derselben im
Blau- Violett und im Rot einen Einfluss und cine Bedeutung bei der
Assimilation und in der Liehtwirkung auf die Pflanze zuzuschreiben,
die außerhalb der Kohlensäurezersetzung liegen müssen.
Das Nächste ist, wie ich mich bereits in frühern Aufsätzen schon
zu zeigen bemüht habe, ihre Bedeutung in einer Beziehung zu den
Oxydationsvorgängen der grünen Gewebe zu suchen.
Schließlich noch eine Bemerkung inbetreff der Absorption der
roten Strahlen zwischen B und C und der Deutung, die diese in
letzter Zeit erfahren hat.
In der Literatur des Gegenstandes, der uns beschäftigt, steht die
Frage nach der Bedeutung grade dieser Strahlen für die Assimilation
im Vordergrunde der Betrachtung. Es hat sich nach und nach die
Ansicht verbreitet, als ob die Frage nach der Chlorophyllfunktion,
und damit zugleich die nach der Liehtwirkung im Gaswechsel der
Pflanze schon entschieden und erschöpft sei, sobald gezeigt ist, dass
die Strahlen, die dem Absorptionsstreifen I im Chlorophyll entsprechen,
einen positiven und hohen Wert für die Sauerstoffabgabe besitzen.
Der Nachweis, dass dies der Fall ist, berührt jedoch nur die eine
Seite des vorliegenden Problems.
Zweifellos absorbiert die assimilierende Pflanzenzelle jeder Farbe
sämtliche Strahlen des gesamten Spektrums — auch die vor B—
nur in relativ vorschiedener Stärke. Ebenso steht es fest, dass die
Strahlen jeder Wellenlänge —- vielleicht mit Ausnahme des Ultra-
Rot — und zwar in verschiedener Intensität je nach dem photoche-
mischen Wert der Schwingungsdauer für die Kohlensäurezersetzung,
Pringsheim, Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum. 151
befähigt sind den Reduktionsakt in der Pflanze einzuleiten. Dies
lehrt schon die unmittelbare Beobachtung im Mikrospektrum durch
den Umfang, welchen die Bakterienbewegung im Spektrum einnimmt.
Obgleich die Sauerstoffabgabe kein direktes Maß der Reduktion ist,
so zeigt sie doch überall im Spektrum, wo sie auftritt, einen Ueber-
schuss der Reduktion über die Oxydation an. Nun erstreckt sich oft
genug die Bakterienbewegung im Mikrospektrum sichtlich über den
ganzen Umfang des sichtbaren Spektrums und kann unter Umständen
vom Rot vor B bis weit ins Violett reichen). Dass die roten Strahlen
ebenso, wie alle andern sichtbaren Strahlen, einen positiven Wert
für die Kohlensäurezersetzung besitzen, konnte daher und ist auch
niemals in Frage gekommen, vielmehr nur, ob ihre Leistungen im
Gaswechsel der Pflanze hiermit erschöpft sind. Hiergegen sprechen
nun die bereits mehrfach dargelegten Gründe, namentlich die Unpro-
portionalität, die zwischen der Absorption dieser Strahlen und ihrer
Wirkung zur Anschauung gelangt. Man hat aber bisher immer nur
den positiven Wert der roten Strahlen für die Reduktion im Auge
gehabt und hat, indem man diesen zu demonstrieren beflissen war,
die Bedeutung der roten Strahlen in dieser Richtung weit übertrieben.
Das Aeußerste hierin leistet die Hypothese, welche die Absorption der
roten Strahlen und zugleich die Kohlensäurezersetzung an eine be-
sondere Atomgruppe im Chlorophylimolekül binden will. Ganz ab-
gesehen von der Willkürlichkeit und größern oder geringern Wahr-
scheinlichkeit dieser Vorstellung soll hier nur ihre Anwendung auf
den vorliegenden Fall kurz beleuchtet werden.
Auch Reinke hat diese Hypothese über die Wirkungsweise des
Chlorophylifarbstoffes in neuerer Zeit aufgenommen. Er wurde bei
seinen Untersuchungen im Spektrum?) auf sie geführt, weil er das
4) Hierbei möchte ich noch auf den Umstand aufmerksam machen, dass
auch inbezug auf den Umfang, über welchen die Sauerstoffabgabe im Spektrum
sich ansdehnt, ebenso wenig Konstanz herrscht, wie bei der Größe der
Sauerstoffabgabe in den einzelnen Spektralregionen. Oft geht die Bewegung
der Bakterien bis weit hinter F, oft hört sie schon bei F auf. Auch dies ist
vom Gesichtspunkte der alten Vorstellungen absolut unverständlich, so lange
man eben auf die Oxydationsvorgänge nicht Rücksicht nimmt und die Sauer-
stoffabgabe nur auf die Vorgänge im Chlorophyll zurückführen will. Die Be-
deutung der Oxydationsvorgänge und dass sie bei der Sauerstoffabgabe keine
unwesentliche Rolle spielen, sieht man bei den Untersuchungen im Mikrospek-
trum besonders deutlich im Violett ausgesprochen, da hier auch bei gleich-
farbigen Pflanzen trotz der gleichen Absorptionsbedingungen im Farbstoff die
Sauerstoffabgabe bald weiter, bald weniger ins Blau- Violett hineinreicht. —
%s wäre mehr als inkonsequent und unlogisch, wenn man die hieraus zu ziehen-
den Folgerungen auf die violetten Strahlen beschränken und bei den anders-
farbigen nicht berücksichtigen wollte.
2) Berichte der Deutschen Bot. Gesellschaft, Bd. I, S. 414 und 8. 422;
auch Bot. Zeit., 1881, Nr, 1—4 Schlussbemerkungen.
IH2 Baginsky, Ursprung und Verlauf des Nervus acusticus des Kaninchens.
Maximum der Sauerstoffabgabe in der Nähe von B fand, sich aber
zugleich davon überzeugte, dass im Blau die Sauerstoffabgabe auch
bei Aufhebung der Dispersion nur eine äußerst schwache ist.
Er tritt deshalb bezüglich der Wirkungsweise der blauen Strahlen
auf meine Seite, stellt aber wegen seiner Befunde im Rot im An-
schluss an eine frühere Meinung von Hoppe-Seyler die Vermutung
auf, dass die Zerlegung der Kohlensäure nicht vom ganzen Molekül
des Chlorophylis ausgeht, sondern von einer bestimmten hypothe-
tischen Atomgruppe desselben, welche optisch durch die Absorption
der roten Strahlen charakterisiert sein soll.
So lange man nur die grünen Pflanzen im Auge hat und der
vollen Ueberzeugung ist, dass die roten Strahlen eine so dominierende
Rolle bei der Sauerstoffabgabe spielen, mag man über das rein Hypo-
thetische dieser Annahme, welche die unbekannte Funktion des noch
unbekannten Chlorophyllmoleküls schon an seine noch unbekanntern
Atomgruppen verteilen will, leichter hinwegkommen. Allein die Er-
scheinungen der Sauerstoffabgabe im Spektrum bei braunen und roten
Pflanzen zeigen sofort die Unhaltbarkeit auch dieser chemischen
Hypothese.
Jede braune und rote Alge zeigt in ihrem Absorptionsspektrum
gleichfalls den dunkeln Absorptionsstreifen im Rot, der dem Chloro-
phyliband I entspricht. Hierin gleicht sie der grünen Pflanze. Sie
müsste demnach in ihrem Farbstoffe — gleichgiltig, ob man diesen
als eine bloße Chlorophylimodifikation, oder ein Gemenge von Chloro-
phyll und einem andern Farbstoffe ansieht — gleichfalls die von
Hoppe-Seyler und Reinke hypothetisch angenommene Atomgruppe
besitzen, welcher die Zersetzung der Kohlensäure übertragen sein soll.
Nichtsdestoweniger liegt bei allen diesen Pflanzen das Maximum der
Sauerstoffabgabe im Mikrospektrum mit einer Entschiedenheit, die
jeden Zweifel ausschließt, nieht im Rot, sondern fällt weit ins Gelb
und Grün des Spektrums hinein. Es ist dies offenbar ein Beweis,
dass die Bedeutung der roten Strahlen zwischen B und € für die
Kohlensäurezersetzung mindestens weit überschätzt wird, und dass
jedenfalls die Vorstellung einer besondern, die roten Strahlen ab-
sorbierenden Atomgruppe im Chlorophyll, von welcher die Zersetzung
der Kohlensäure vorzugsweise ausgehen soll, nicht haltbar ist.
Ueber den Ursprung und den zentralen Verlauf des
Nervus acusticus des Kaninchens.
Von Dr. B. Baginsky'!).
Die Gudden’sche Methode, dem Ursprunge der Nerven und den
Verbindungen der zentralen Teile mittels operativer Angriffe des
4) Aus den Sitzungsber. d. k. preuß. Akad. d. Wissensch., 1886, XII
Baginsky, Ursprung und Verlauf des Nervus acustieus des Kaninchens. 155
Nervensystems neugeborner Tiere nachzugehen, hat in jüngster Zeit
mit Vorteil auch für den Nervus acusticus Verwertung gefunden. Vor-
her hatte die Untersuchung des Gehörnerven an Serienschnitten bloß
zu unzuverlässigen Ergebnissen geführt, und man hatte etwa nur an
den Ursprung des Acustieus aus dem vordern, dem äußern und dem
innern Acusticuskern glauben können. Dagegen hat von Monakow
nachgewiesen, dass beim Kaninchen der äußere Acusticuskern in gar
keinen Beziehungen zum Nervus acustieus steht. Und Forel und
Onufrowiez haben nicht bloß dies bestätigen, sondern auch es für
mehr als zweifelhaft erklären können, dass der innere Acusticuskern
direkte Konnexionen mit dem Hörnerven hat. Nur das Tubereulum
laterale (Stieda), oder den Nacken des Kleinhirnschenkels (Stilling)
und den vordern Acusticuskern fanden diese Forscher in enger Ver-
bindung mit dem Acusticus, wahrscheinlich ausschließlich mit der
hintern Wurzel desselben; die vordere Wurzel des Acusticus schien
ihnen zu einem ventral vom Bindearm des Kleinhirns gelegenen Kern
zu verlaufen. Weiter im Hirn haben sie die Bahnen des Acusticus
nieht verfolgen können.
Immerhin waren es doch nur spärliche Ergebnisse, welche hier
die Gudden’sche Methode soweit geliefert hatte. Die Schuld schienen
die besondern Schwierigkeiten zu tragen, welche die isolierte Zer-
störung des Acusticus am neugebornen Tiere sowohl wegen der ver-
steckten Lage des Nerven, wie wegen der Nachbarschaft des Gehirns
und anderer Nerven geboten hatte: Schwierigkeiten, welche infolge
des raschen Todes der Tiere oder der schweren Nebenverletzungen
die Methode für diesen Fall sogar als unbrauchbar hatten erklären
lassen. Diese Schwierigkeiten habe ich durch eine andere Operations-
methode beseitigen können. Geht man nicht durch den äußern Gehör-
gang, sondern von der Schädelbasis her dicht am Kieferwinkel durch
das Trommelfell in die Paukenhöhle ein, so kann man das Gehörorgan
ohne Nebenverletzungen ausbohren, und man gewinnt Tiere, welche
bei im übrigen ungestörter Gesundheit, ohne Verdrehung des Koptes,
ohne jede Störung in den Bewegungen, lange am Leben bleiben und
sich normal entwickeln.
An drei solehen Kaninchen, welche rechtsseitig operiert und
nach sieben bis acht Wochen getötet waren, habe ich die folgenden
Ergebnisse erhalten. Die Gehörorgane waren nach Konservierung in
Flemming’sceher Flüssigkeit in Serienschnitte zerlegt. Die Gehirne
waren in Müller’scher Flüssigkeit erhärtet und in frontaler Richtung
geschnitten, die einzelnen Schnitte waren nach W eigert mit Häma-
toxylin gefärbt.
Die Gehörschnecke war vollständig zerstört. Ihre Windungen,
deren Konturen sich meist noch erkennen ließen, waren von einem
feinen Bindegewebe erfüllt, in dessen Maschen sich hier und da ver-
einzelte atrophische Nervenfasern und schollige Elemente des Ganglion
154 Baginsky, Ursprung und Verlauf des Nervus acusticus des Kaninchens.
spirale fanden. An der Basis der Schnecke zeigte sich der Nervus
eochleae beim Eintritt in den Modiolus hochgradig atrophisch. Saceulus,
Utrieulus und die Ampullen waren überall unversehrt, ebenso der
Nervus vestibularis mit seinem Ganglion.
Die vordere Acustieuswurzel war stets unverändert. Dagegen war
die hintere Wurzel, und zwar sowohl ihre Fasern wie die zwischen
diesen befindlichen Ganglienzellen, fast völlig atrophisch. Das Tuber-
culum laterale (Stieda) war so verschmälert, dass die Verkleinerung
desselben schon bei der makroskopischen Betrachtung der Querschnitte
sich deutlich erkennen ließ.
Der äußere oder Deiters’sche Acusticuskern war auf beiden
Seiten vollständig intakt, ebenso auf der linken Seite der innere und
der vordere Acustieuskern. Am innern Acusticuskern der rechten Seite
bestand ein ganz geringer Schwund der den Kern durchsetzenden
feinen Nervenfasern. Der vordere Acusticuskern der rechten Seite
war fast ganz atrophisch.
Im Tubereulum laterale verschwand, wie es den Angaben von
Stieda entspricht, ein Teil der Fasern der hintern Wurzel. Der
andere Teil der atrophischen Fasern folgte der Krümmung des Tuber-
culum, legte sich an die laterale Seite des Corpus restiforme an, um-
kreiste dasselbe dorsalwärts und schien sich in ein feines, sehr ver-
zweigtes Fasernetz aufzulösen, welches, die innere Abteilung des
Kleinhirnstiels zum Teil durchflechtend, medialwärts von demselben
der Raphe zustrebt und in die Fibrae arcuatae übergeht. Dieses
feine Fasernetz zeigte auf allen Schnitten in der Höhe der hintern
Wurzel einen erheblichen Faserschwund und Atrophie.
Auf der dorsalen Seite des Corpus restiforme gesellte sich zu dem
vorbeschriebenen Faserzug hinzu und mischte sich mit ihm ein anderer
Faserzug, der auf allen Schnitten reehterseits in der Höhe der hintern
Wurzel einen deutlichen Faserschwund zeigte; — wahrscheinlich die
Striae medullares. Auch am Corpus trapezoides und der obern Olive
der operierten Seite war ein mäßiger Faserschwund bezw. eine mäßige
Verkleinerung zu konstatieren. Am Corpus restiforme, Pons, Üere-
bellum, Bindearm, hintern Längsbündel boten sich merkliche Verände-
rungen nirgends dar.
Weiter in der Riehtung zum Großhirn traten Veränderungen erst
dort wieder klar hervor, wo die untere Schleife in den hintern Vier-
hügel einstrahlt. Hier ergab sich ein erheblicher Schwund von Fasern
der untern Schleife auf der linken, also der der Operationsstelle ent-
gegengesetzten Seite und nur auf dieser Seite. Je weiter aufwärts,
desto beträchtlicher war die Degeneration. Auf derselben Seite zeigte
sich auch Atrophie im Arm des hintern Vierhügels, und der hintere
Vierhügel selbst war, wenn auch nieht bedeutend, so doch sichtlich
kleiner. Am linken Corpus genieulatum internum war ein Faser-
schwund deutlich; auch schien bei unveränderten Ganglienzellen die
Baginsky, Ursprung und Verlauf des Nervus acustieus des Kaninchens. 155
gelatinöse Substanz verändert und geschrumpft zu sein. Am Thalamus,
Corpus genieulatum externum und Großhirn machten sich Verände-
rungen nicht bemerklich.
Demnach steht beim Kaninchen die hintere Acustieuswurzel mit
der Schnecke allein in Verbindung und entspringt von dem Tuber-
eulum laterale (Stieda) und dem vordern Aecusticuskern der gleichen
Seite. Von hier aus verläuft ein Nebenfaserzug durch das Corpus
trapezoides zur obern Olive der gleichen Seite. Der Hauptfaserzug
verläuft in der Richtung zum Großhirn hin durch die untere Schleife
der entgegengesetzten Seite zu dem hintern Vierhügel und dem Corpus
genieulatum internum eben dieser Seite. Die der direkten Beobach-
tung sich entziehende Kreuzung der letztern Fasern muss in der Me-
dulla oblongata oder im Pons stattfinden und eine vollständige sein.
Nimmt man dazu, dass v. Monakow infolge seiner Exstirpationen
am Schläfenlappen neugeborner Kaninchen die zugehörigen Stabkranz-
bündel, deren Fortsetzung in die innere Kapsel und das Corpus geni-
eulatum internum der gleichen Seite atrophisch gefunden hat, so ist
die Verbindung zwischen dem Großhirn und dem Nervus cochleae
aufgehellt und für das Ergebnis des physiologischen Experiments
(H. Munk) das anatomische Substrat gefunden. Auch zeigt sich eine
bemerkenswerte Analogie im Verhalten der optischen und akustischen
Bahnen, insofern einerseits Exstirpation der Sehsphäre vollständige
Atrophie des Corpus geniculatum externum, Exstirpation der Hör-
sphäre vollständige Atrophie des Corpus genieulatum internum zur
Folge hat (v. Monakow), anderseits Zerstörung des Auges nur eine
geringe, auf die gelatinöse Substanz und die Nervenfasern beschränkte
Atrophie des Corpus geniculatum externum, Zerstörung der Schnecke
eine entsprechende Atrophie des Corpus geniculatum internum nach
sich zieht. Es schließen sich die Vierhügel an, der vordere Vierhügel
den optischen Bahnen, der hintere den akustischen Bahnen zugehörig.
Bei den misslungenen Versuchen waren die operierten Tiere in
ihrer Entwicklung erheblich zurückgeblieben und hatten Kopfverdreh-
ung oder andere Bewegungsstörungen (Drehungen, Ataxien) gezeigt.
Hier fand sich, außer Veränderungen in der Schnecke, Atrophie der
hintern Acusticuswurzel und Atrophie der Facialiswurzel. Besonders
interessant war ein Fall, bei dem während des Lebens Kopfverdrehung
bestand und die anatomische Untersuchung eine vollständige Atrophie
des Facialis bis zum Kern und zentralwärts darüber hinaus ergab,
während beide Gehörlabyrinthe gar nicht alteriert und beide Wurzeln
der Acustiei intakt und normal waren.
Die Untersuchung ist im physiologischen Laboratorium der Tier-
arzneischule (zu Berlin) ausgeführt.
156 König, Ueber den Gesichtssinn der Zulu-Kaffern.
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
Physikalische Gesellschaft zu Berlin.
Sitzung vom 16. März 1885.
Herr A. König machte folgende Mitteilung „Ueber den Ge-
sichtssinn der Zulu-Kaffern“.
Die augenblickliche Anwesenheit einer Zulutruppe in Berlin hat
mich veranlasst, die bereits mehrfach einer Untersuchung unterzogene
Frage nach der Beschaffenheit des Farben- und Raumunterscheidungs-
vermögens wilder Völkerstämme einem nochmaligen Beantwortungs-
versuch zu unterziehen. Mit liebenswürdigster Bereitwilligkeit diente
mir Herr Kommandant A. Schiel als Dolmetscher bei diesen Prüfungen.
Bei Anwendung der Snellen’schen Sehproben für Analphabeten
ergab sich bei den drei Zulumännern die Sehschärfe 4. Die Zulufrau
war nicht zur Vornahme einer solehen Prüfung zu bewegen. Sie be-
hauptete auf den Tafeln nichts sehen zu können. Eine fokale Be-
leuchtung ihres linken Auges ergab nun auch thatsächlich das Vor-
handensein eines Residuums der Pupillarmembran, welches in ihrem
Gesichtsfelde entoptisch wahrnehmbar sein musste. Sie zeichnete auch
ganz bestimmt und sicher einen schwarzen Fleck hin, der in seinen
Umrissen überraschend genau mit der ihr ja sonst unbekannten äußern
Gestalt jenes Residuums übereinstimmte. Ihr rechtes Auge war an-
scheinend ganz normal.
Der 9Yjährige Knabe besaß nur die Sehschärfe 1,5. Dieser Um-
stand legt die Vermutung nahe, dass jene auffallend große Sehschärfe
bei den erwachsenen männlichen Zulus verursacht ist durch eine in-
folge großer Uebung (bei der Jagd u. s. w.) erworbene Gewandtheit
im Umherführen des Blickes, und nicht durch eine (übrigens ja auch
mit allen sonstigen anatomischen Ergebnissen im Widerspruch stehende)
geringe Größe der Perzeptionselemente für die Lichtempfindung. Bei
dem Kinde ist zu einer solchen Uebung noch keine Gelegenheit ge-
wesen und daher der Blick noch nicht geschärft.
Inbezug auf den Farbensinn nahm ich zunächst eine Prüfung
mittels des von Herrn v. Helmholtz konstruierten Leukoskopes vor,
und es ergab sich, dass das gesamte Farbensystem der Zulus genau
mit dem triehromatischen Farbensystem der Europäer
übereinstimmte.
Farbenbezeichnungen, welche nicht auf der Vergleiehung mit all-
gemein bekannten Gegenständen beruhen, haben sie für Schwarz
(gleichbedeutend mit Dunkel), Weiß (gleichbedeutend mit Hell), Rot,
Gelb und Blau. Diese Bezeichnung für Rot bezieht sich aber nur
auf eine ganz bestimmte Nüance von Rot, welche etwa unserem reinen
Spektralrot (Wellenlänge 660 bis 730 uw) entspricht. Weicht das Rot
etwas nach Purpur oder Orange ab, so benutzen sie sofort bei ihnen
König, Beziehung zwischen der Sehschärfe und der Beleuchtungsintensität. 157
allgemein bekannte Blumen zur Bezeichnung der Farbe. Ihre Worte
für Gelb und Blau haben keine so beschränkte Verwendung, sondern
werden für alle Nüaneen dieser Farben benutzt. Grün wird bezeichnet
durch „grasfarbig“. Die Bezeichnung für Violett wird einem im Zulu-
lande sehr verbreiteten Steine entlelnt, über den ich näheres nicht
zu erfahren vermochte.
Die weißliehen ungesättigten Nüancen aller Farben bezeichnen
sie durch Anhängung der Silbe „ngäs“ an das Wort für die gesättigte
Farbe. Diese Silbe wird auch sonst vielfach von ihnen benutzt und
hat die Bedeutung „jung, hübsch“. (So erhält z. B. durch Anhängung
dieser Silbe das Wort, durch welches sie in ihrer Sprache eine alte
Frau bezeichnen, die Bedeutung: eine Frau in den mittlern Lebens-
jahren. Fügen sie es dem Worte „Frau“ hinzu, so heißt dieses nun-
mehr: „Mädchen, Jungfrau“. „Kuh“ wird dadurch in „Kalb“ ver-
wandelt u. s. w.)
Aus alle diesem geht hervor, dass sie die Farben immerhin mit
großer Aufmerksamkeit betrachten.
Weitere Einzelheiten dieser Untersuchung werde ich nach der
Anstellung von ähnlichen Prüfungen an andern Völkerstämmen später
publizieren.
Sitzung vom 4. Dezember 1885.
Herr A. König sprach im Anschluss an Versuche, welche auf
seine Veranlassung Herr W. Uhthoff im Physikalischen Institut
der Universität zu Berlin ausgeführt hat: „Ueber die Beziehung
zwischen der Sehsehärfe und derBeleuchtungsintensität“.
Aus dem Vortrage, der eine historische Darstellung der bisher
benutzten Methoden zur Bestimmung der Intensitätsverteilung im Spek-
trum enthielt und auf manche psycho-physische Fragen, insbesondere
hinsichtlich der Berechtigung ihrer Aufstellung näher einging, sei hier
nur kurz dasjenige erwähnt, was mit den genannten Versuchen in
näherem Zusammenhange steht.
Die Herren Mac& de Lepinay und W. Nicati!) haben die
Sehschärfe bei spektraler Beleuchtung als Maß für die Intensität des
benutzten Lichtes aufgestellt: solange die Wellenlänge 507 uw über-
steigt. Um die Berechtigung hierzu zu erbringen, mussten sie natür-
lich zuerst den Nachweis geben, dass bei veränderter Intensität des
gesamten Spektrums sich die aufgrund ihrer Methode gewonnene
relative Intensität der verschiedenen Teile des Spektrums nicht ändert.
Es ist dieser Nachweis von den genannten Herren nun bis zu einem
gewissen Grade erbracht worden. Aber um ihre Methode als eine
1) J. Mac& de Lepinay und W. Nieati. Annales de Chimie et de
Physique. (5) XXIV, 289. 1881.
158 König, Beziehung zwischen der Sehschärfe und der Beleuchtungsintensität.
völlig einwurfsfreie hinzustellen, hätten sie die Intensität in demselben
Grade variieren müssen, wie sich nachher das Verhältnis der Inten-
sitäten zwischen den hellsten und den dunkelsten Teilen des unter-
suchten Spektrums ergibt. Dann, aber auch nur dann wäre ihr Ver-
fahren ein in sich gestütztes gewessen. Es ist dieses jedoch nicht
geschehen. Sie haben die Intensität der zur Prüfung ihrer Methode
benutzten Spektren nur in dem Verhältnis 1:16 (entsprechend einer
Aenderung der Sehschärfe von 1: 2,1) variiert; hingegen ist das von
ihnen bestimmte Intensitätsverhältnis zwischen der dunkelsten und
hellsten Region des hier in betracht kommenden Intervalles des Spek-
trums (681 uw bis 507 uw) wie 1:67. Zur Ausfüllung dieser Lücke
in der Untersuchung der Herren J. Mace& de Lepinay und W.Ni-
cati habe ich Herrn W. Uhthoff veranlasst, die Abhängigkeit der
Sehschärfe von der Intensität der Beleuchtung innerhalb viel größerer
Intervalle zu bestimmen. Da diese Frage auch abgesehen von ihrer
speziellen Veranlassung großes Interesse besitzt, so wurde in der
Variation der Intensität so weit gegangen, als es die experimentellen
Einrichtungen überhaupt erlaubten, und neben farbigem Lichte auch
weißes benutzt. Die Beobachtungsmethode ist schon früher bei einer
kurzen vorläufigen Mitteilung über einen Teil dieser Untersuchung
von Herrn W. Uhthoff selbst angegeben worden!). Die Bestimmung:
der Sehschärfe bei farbigem Lichte geschah, abweichend von dem
dort angegebenen Verfahren, nicht durch Vorsetzen von farbigen Ab-
sorptionsmitteln vor die weiße Lichtquelle, sondern indem schwarze,
sorgfältig berußte Snellen’sche Hakenproben auf farbigem Unter-
grund angebracht waren. Es wurden hierzu die vorzüglichen von
Herrn L. Wolffberg?) vorgeschlagenen roten, gelben, grünen und
blauen Tuche aus der Fabrik von J. Marx (in Lambrecht in der Pfalz)
benutzt. Die Untersuchung wurde auf fünf Personen ausgedehnt, von
denen die eine (Herr B.) grünblind war; die vier übrigen Personen
besaßen normale trichromatische Farbensysteme. Die Refraktions-
anomalien der Beobachter wurden sorgfältig korrigiert.
Als Einheit der Beleuchtungsintensität ist diejenige einer in 6 m
Entfernung stehenden Normalkerze angenommen. Die Sehschärfe ist
in Snellen’schem Maße gerechnet.
Herr=B.
Sehschärfe
Intensität weiß gelb rot grün blau
3600 1.54 1.24 1.03 0.41 0.34
1175 1.22 1.03 0.92 0.30 0.31
14) W. Uhthoff. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu
Berlin. Sitzung vom 13. Februar 1855.
2) L. Wolffberg. Sitzungsbericht der physikalisch-medizinischen Gesell-
schaft zu Erlangen vom 12. Mai 1834, und Gräfe’s Archiv für Ophthalmologie
XXXlI (1) 1885.
König, Beziehung zwischen der Sehschärfe und der Beleuchtungsintensität.
Intensität
400
144
36
16
weiß
0.97
0.97
0.52
0.40
0.34
0.24
0.15
0.083
0.042
1.90
1.87
1.50
1.24
0.89
0.70
0.56
0.30
0.12
0.061
0.009
(rl
1:79
1.32
0.57
0.36
0.22
0.17
0.10
0.080
0.063
0.017
2.03
1.20
1.52
1.34
1.05
Herr B.
Sehschärfe
gelb rot
0.96 0.89
0.80 0.74
0.61 0.45
0.50 0.40
0.40 0.29
0.23 0.063
0.14 0.007
0.07 —
0.02 —
Herr D.
2.00 1.90
1.80 1.69
1.69 1.23
1.54 1.08
1.33 0.57
0.62 0.33
0.47 027
0.23 0.095
0.10 0.015
0.042 —
0.012 -—
Herr K.
1.45 1:15
1.35 1.07
1.28 0.97
0.87 0.80
0.70 0.49
0.42 0.32
0.40 0.19
0.21 0.050
0.15 0.007
0.077 —
0.024 —
Herr R.
2.00 1.82
1.85 1.44
1.69 1.33
1.54 1.08
113 0.58
grün
0.17
0.11
0.083
0.073
0.066
0.052
0.041
0.015
0.71
0.64
0.40
0.24
0.12
0.088
0.067
0.046
0.030
0.004
blau
0.19
0
0.061
0.058
0.052
0.042
0.029
0.25
0.25
0.16
0.11
0.073
0.065
0.061
0.058
0.030
159
160 König, Beziehung zwischen der Sehschärfe und der Beleuchtungsintensität.
Herr R.
Sehschärfe
Intensität Sr Tee TEN ö
15 0.85 0.77 0.43 0.080 0.067
6 0.68 0.61 0.26 0.075 0.057
1.5 0.33 0.28 0.063 0.069 0.046
0.6 0.15 0.18 0.006 0.088 0.033
04 0.070 0.049 = 0.004 0.002
0.01 0.043 0.018 _- — u
Herr U.
3600 2.00 2.15 2.00 0.66 0.37
141773 2.00 215 1.74 0.56 0.32
400 1.80 2.10 1553 0.35 0.25
144 1.59 1.68 1.12 0.16 0.14
36 1.14 0.92 0.61 0.092 0.077
15 0.93 0.74 0.43 0.077 0.066
6 0.74 0.53 0.26 0.069 0.056
je) 0.34 0.26 0.058 0.058 0.046
0.6 0.21 0.16 0.007 0.044 0.033
0.1 0.074 0.038 — 0.004 0.002
0.01 0.024 0.015 — ae BaIR
Eine ausführliche Interpretation dieser Beobachtungsresultate,
welehe baldigst an einem andern Orte gegeben werden soll, zeigt,
dass sie mit den Ansichten der Herren J. Mac& de Lepinay und
W. Nicati im allgemeinen ziemlich übereinstimmen, solange man
nur verhältnismäßig geringe Intensitätsvariationen in Rücksicht zieht.
Bei großen Intensitätsveränderungen tritt jedoch eine erhebliche Ab-
weichung hervor.
Verlag von August Hirschwald in Berlin.
Soeben erschienen:
Grundzüge
der
anatomischen und klinischen
Chemie,
Analekten für Forscher, Aerzte und Studierende
von Dr. Ludwig J. W. Thudiehum.
1886. gr. 8. 10 Mark.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
Biologisches Centralblatt
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
VI. Band. 15. Mai 1886. Nr. 6.
Inhalt: Virchow, Deszendenz und Pathologie (Schluss). — A. Kölliker, Stiftchen-
zellen in der Epidermis von Froschlarven. — Vusmaer, Einige neuere Arbeiten
über Schwämme. — Langendorff, Die chemische Reaktion der grauen Sub-
stanz. — Fritz Müller, Feijoa, ein Baum, der Vögeln seine Blumenblätter als
Lockspeise bietet. — Ein in tiergeographischer Hinsicht interessanter Fund. —
H. Dewiiz, Anleitung zur Anfertigung und Aufbewahrung zootomischer Präparate.
Rud. Virchow, Deszendenz und Pathologie.
(Schluss.)
Wenn es mir gelungen sein sollte, das Verhältnis zwischen Thero-
morphie und Atavismus klarer zu stellen, als es in der Auffassung
vieler unserer Zeitgenossen sich darstellt, wenn namentlich der Ge-
danke Anerkennung finden sollte, dass es zwei Arten von Thero-
morphie gibt, eine atavistische und eine erworbene, so
wird auch der Schluss zugelassen werden, den ich ziehe, dass es vor
allem darauf ankommt, die Merkmale aufzusuchen, durch welche sich
diese beiden Arten unterscheiden. Auf den ersten Blick freilich könnte
es scheinen, als sei die Sache sehr einfach, als komme es nur darauf
an zu ermitteln, ob die Theromorphie erblich sei oder nicht. Es mag
dem gegenüber zunächst darauf hingewiesen sein, dass, auch ganz
abgesehen von der Erblichkeit erworbener Theromorphien, es keines-
wegs immer leicht ist, in dem einzelnen Falle zu beweisen, dass Erb-
lichkeit vorhanden sei, und noch weniger leicht zu beweisen, dass keine
Erblichkeit vorhanden sei. Denn der Atavismus soll ja auch solche
Eigenschaften wieder zur Erscheinung bringen, die in unvordenklichen
Zeiten einmal typisch waren; ungezählte Generationen sollen also
zwischen dem gegenwärtigen Rückschlag und der einst normalen Ge-
staltung liegen können.
Aber der Gegensatz zwischen atavistischer und erworbener Thero-
morphie ist überhaupt nicht darin zu suchen, dass die eine erblich
ist und die andere nicht. Denn auch die erworbene Theromorphie
kann sich vererben, und der Unterschied von der atavistischen be-
NN, 11
169 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
>
steht dann nur darin, dass wir ihren Beginn in eine nähere Vergangen-
heit und bis auf ein bestimmtes Individuum historisch verfolgen können.
Man denke nur an die erbliche Myopie und Mikrophthalmie, an die
Hasenscharte, an die Familien der sogenannten Haar- und Stachel-
schweinmenschen.
Ich muss hier jedoch einschalten, dass man in der neuern Zeit
angefangen hat, das Wort Atavismus in einem zu laxen Sinne zu ge-
brauchen. Auch Darwin selbst hat nicht streng genug unterschieden.
Nicht jeder „Rückschlag“ ist ein Ausdruck von Atavismus. Freilich
kommt niemals Atavismus ohne Rückschlag vor. Man kann ihn so
definieren: Atavismus ist diskontinuierliche Vererbung.
Aber in der Medizin, in welcher die Lehren von der Vererbung so
lange und so sorgsam ausgebildet worden sind, hat man nie Bedenken
getragen, auch die Erscheinungen diskontinuierlicher Vererbung als
erbliche zu bezeichnen, sobald die Unterbrechung nicht zu lange dauerte.
Atavus bedeutet bekanntlich den Vater des Urgroßvaters, also einen
Vorfahren im 4. Gliede, und Atavismus müsste daher mindestens eine
Vererbung mit Ueberschlagung von 3 Generationen bezeichnen. Jetzt,
wo man auch eine Ueberschlagung von 1000 Generationen und mehr
unter demselben Namen unterbringt, sollte man um so vorsichtiger
sein, die ganz gemeinen Vorgänge des Ueberschlagens von einer
Generation oder von zwei anders zu benennen, als mit dem Namen
der diskontinuierlichen Vererbung, während Atavismus etwa durch
Ahnen-Erbschaft verdeutscht werden könnte.
Somit würden wir genau genommen drei Arten der Theromorphie
unterscheiden müssen: die selbsterworbene, die aus einem
erworbenen Individualverhältnis her ererbte und die
eigentlich atavistische. Alle drei sind an sich pathologische Er-
scheinungen, denn auch die atavistische Tierähnlichkeit (ich rede hier
aus praktischen Gründen nur von der Tierähnlichkeit, obwohl auch
die Menschenähnlichkeit in eine analoge Betrachtung gezogen werden
kann), wenn sie plötzlich nach Ueberspringung von Generationen an
einem Individuum durch Rückschlag wieder hervortritt, stellt eine
Abweichung von dem inzwischen fixierten Art- oder Gattungstypus
dar. Aber ich erkenne an, dass die einfach erworbene Theromorphie
noch viel mehr pathologisch ist, und dass auch die Vererbung der-
selben an dieser Auffassung nicht viel ändert.
An einer frühern Stelle hob ich als Merkmal des Atavismus die
Spontaneität seines Hervortretens hervor. Nach dem in der Medizin
herkömmlichen Sprachgebrauch soll damit keineswegs der Mangel
eines Grundes, ein bloßer Zufall ausgedrückt sein. Mit Recht weist
Herr Hensen in einem sehr lehrreichen Aufsatze über „Die Grund-
lagen der Vererbung nach dem gegenwärtigen Wissenskreis“ (Land-
wirtschaftl. Jahrbücher von Dr. H. Thiel, Berlin 1885, 8. 764) die
Auffassung des Atavismus als eines Spiels des Zufalls zurück. Er
Virchow, Deszendenz und Pathologie. 163
führt aus, dass „bei jeder Zeugung sowohl der Typus, wie die indi-
viduelle Rasseneigentümlichkeit vererbt wird“, und dass daher, „wenn
die durch die Rassenbildung gesetzte kleine Modifikation des einen
oder andern Charakters sehr schwach vertreten ist, oder wenn die
verschiedenen Teile sich nicht recht addieren können, dieser Teil der
Rasseneigentümlichkeit ausfällt und der Typus rein hervortritt“. Ich
würde das so ausdrücken, dass die Variation bestimmte Hemmungen
oder Exzesse der typischen Bildung herbeiführt, und dass jedesmal
dann, wenn die durch die Variation geschaffene Zwangslage beseitigt
wird, der latent gewordene Typus wieder zur Erscheinung kommt.
Wenn Herr Hensen anerkennt, dass man aus den Fällen des Atavis-
mus häufig einen Schluss auf den alten Grundtypus des Organismus
machen könne, aber hinzufügt: „nur ist es nicht berechtigt, dabei
eine Vererbung von den Ahnen herbeizuziehen“, so ist mir diese
Reservation nieht ganz verständlich, es müsste denn sein, dass Herr
Hensen den Begriff des Atavismus in dem vorher von mir zurück-
gewiesenen, zu weiten Sinne vieler neuern Autoren nimmt. Der
wahre Atavismus ist nach meiner Auffassung stets erb-
lich, und insofern kann man nicht bloß, sondern muss man aus seinem
Hervortreten auch die Vererbung von Ahnen ableiten.
Es dürfte sich empfehlen, die von mir aufgestellten Sätze an be-
stimmten praktischen Beispielen zu prüfen. Ich wähle dazu dasjenige
Gebiet, welches von jeher die größten Schwierigkeiten geboten hat,
das der Doppel- und Mehrbildungen (Duplieitas s. Pluralitas
monstrosa). Hier hat sich stets eine Anzahl exklusiver Erklärungen
gegenüber gestanden. Dass man zu keiner Einigung gelangt ist, er-
klärt sich meiner Meinung nach eben aus der Exklusivität, welche
jede dieser Erklärungen für sich in Anspruch genommen hat. Es ist
eben dieselbe Erscheinung, die uns in der Geschichte der Medizin so
oft begegnet, und die so viel dazu beigetragen hat, die Vorstellung
zu unterstützen, als sei die Medizin die Wissenschaft des Unsichern.
Statt anzuerkennen, dass in jeder der vorgetragenen Lehren ein Korn
von Wahrheit steckt, hat man eine nach der andern verworfen, weil
sie nicht auf alle Fälle passte. Wie wäre es, wenn wir die Berech-
tigung mehrerer derselben neben einander anerkennten? Vielleicht
passt die eine auf eine gewisse Zahl von Fällen, die andere auf eine
gewisse andere Zahl. Nur dürfen dann natürlich diese Fälle nicht
eklektisch zusammengelesen, sondern sie müssen organisch geordnet
werden.
Das Verführerische für die Forderung einer einheitlichen, allgemein
giltigen Erklärung liegt in dem Umstande, dass es nicht die mindeste
Schwierigkeit macht, eine ununterbrochene Reihe aufzustellen, welche
mit den vollständig getrennten und selbständigen Zwillingen anhebt,
demnächst auf die Doppelmissbildungen übergeht und schließlich mit
der bloßen Verdoppelung einzelner Teile in einem einfachen Organismus
a
164 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
endet. Gesteht man einmal zu, dass diese Reihe einen innern orga-
nischen Zusammenhang hat, dass sie also eine genetische Reihe ist,
so folgt mit zwingender Notwendigkeit auch der Anspruch, einen
einheitlichen Erklärungsgrund für sie aufzustellen.
Aber wodurch beweist man, dass dies eine zusammenhängende
Reihe ist? Durch nichts Anderes als durch den Zusammenhang der
Formen, also durch rein morphologische Thatsachen. Es sieht sehr
vernünftig aus, wenn man ein drittes Bein ebenso erklärt, wie einen
sechsten Finger, und doch — was hat ein Finger mit einem Bein zu
thun? Ein dritter Arm hat genetisch denselben Rang mit einem dritten
Bein, aber ein sechster Finger oder eine sechste Zehe darf nicht ohne
weiteres in die gleiche Stellung versetzt werden. Noch viel weniger
darf ein sechster Finger als Vertreter eines vollständigen Zwillings
hingestellt werden. Mit demselben Recht könnte man behaupten, ein
überzähliger Zahn oder Wirbel sei das Rudiment eines im übrigen
verschwundenen Zwillings.
Zahlreiche Gattungen von Säugetieren gebären regelmäßig zwei
oder mehrere Junge. Ein begeisterter Deszendenzmann könnte daher
jede Zwillings- oder Mehrlingsgeburt bei einer Frau als
Atavismus erklären und damit sofort bis über die Affen hinaus auf
irgend einen tierischen Ahnen zurückgehen. Der Umstand, dass in
manchen Familien oder gar Stämmen Zwillingsgeburten häufig sind,
ja dass sich die Neigung, Zwillinge hervorzubringen, ganz sicher von
der Mutter auf ihre weibliche Deszendenz, bald in kontinuierlicher,
bald in diskontinuierlicher Erbfolge fortpflanzt, liefert Materialien zu
einer solehen Beweisführung. Rechnet man dazu das Auftreten über-
zähliger Brustwarzen und ganzer Brüste, die sogenannte Polythelie,
die nicht ganz selten bei Frauen, zum Ueberfluss auch zuweilen bei
Männern vorkommt, und von der sogar ein erbliches Beispiel existiert
(E. Martin, Histoire des monstres. Paris 1880, p. 247), so lässt
sich sehr bald ein genügend ausgeführtes atavistisches Bild gewinnen.
Allein dieses Bild enthält neben einander zwei unmöglich durch
eine gemeinsame Erklärung zu deutende Elemente. Eine überzählige
Brust ist ebensowenig ein Rudiment eines Zwillings, wie ein über-
zähliger Finger. Polythelie und Zwillingserzeugung gehören nicht
einer und derselben Reihe von Erscheinungen an. Selbst wenn sie
beide stets atavistisch wären, würde man sie auseinanderhalten müssen.
Denn eine überzählige Brust entsteht nicht aus einem besondern Ovulum,
sondern aus einem kleinen Teile des aus dem gemeinschaftlichen Ovulum
hervorgegangenen Keimblattes. Die Erblichkeit hat in beiden Fällen
einen ganz verschiedenen Sitz.
Die Zwillingsschwangerschaft selbst hat man schon lange auf-
gehört als ein stets gleichwertiges Phänomen zu betrachten. Zwillinge
können aus zwei präexistierenden, aber völlig getrennten und unab-
hängigen Ovula hervorgehen, aber auch aus einem einzigen Ovulum
Virchow, Deszendenz und Pathologie. 165
sich entwickeln. Im erstern Falle wird auch eine doppelte Befruch-
tung, d. h. eine Befruchtung durch je ein Spermatozoid, erforderlich
sein; im letztern genügt voraussichtlich, wenngleich nicht notwendig,
ein einfaches Spermatozoid. Ersichtlich liegen somit auch für die
Vererbung väterlicher und mütterlicher Eigenschaften die Verhältnisse
sehr verschieden. Aber in dem ersten Falle, bei doppelten Ovula,
lassen sich noch wieder zwei verschiedene Fälle denken: die beiden
Ovula können dureh Teilung aus einer Eizelle entstanden sein, sie
können aber auch verschiedene Ausgänge haben. Es sind dies hypo-
thetische Untersceheidungen, aber sie liegen ganz innerhalb der erfah-
rungsmäßig festgestellten Möglichkeiten der Zellenvermehrung, und
man wird sich solchen Erwägungen nicht entziehen dürfen. Soviel
aber ist klar, dass es gänzlich unzulässig ist, ein einheitliches Schema
für die Entstehung der Zwillingsbildung aufzustellen.
Ist aber ein solehes Schema unzulässig, so fallen auch alle darauf
basierten Konstruktionen eines einheitlichen Schemas für die ganze
Reihe der Doppel- und Mehrfachbildungen. Nichts hindert uns, diese
Reihe in so viel Spezialabschnitte zu zerlegen, als das genauere Stu-
dium der einzelnen Fälle besondere Gesichtspunkte für die Betrach-
tung ergibt. Mit dieser Freiheit wollen wir uns nunmehr an die
Sonderung begeben.
Gibt es innerhalb des Gebietes der Duplizitäten und Pluralitäten
Fälle von erworbenem Mehrfachwerden? Viele Jahre hindurch haben
die eifrigsten Untersucher ihre Mühe darauf verwendet, derartige
Formen auf künstliehem Wege zu erzielen. Lange Zeit hindurch
sind die Hoffnungen vergeblich gewesen '!); weder mechanische, noch
thermische oder andere Einwirkungen schienen die gesuchte Zerspal-
tung der Anlagen herbeizuführen. Die ersten gelungenen Versuche
verdanken wir Herın Leo Gerlach. Dieselben sind dargelegt in
den Sitzungsberichten der physikalisch- medizinischen Sozietät zu Er-
langen vom November 1880 und in seiner Monographie: „Die Ent-
stehungsweise der Doppelmissbildungen bei den höhern Wirbeltieren.
Stuttgart 1882“, besonders S. 118 fg. Indem er einen großen Teil
des Hühnereis mit Firniss überzog und dadurch den Luftzutritt zu
dem Innern des Eis auf bestimmte, vorher ausgewählte Stellen be-
schränkte, gelang es ihm, eine Zerspaltung des vordern Endes des
Embryo, eine Duplieitas anterior, zu erzielen und zwar in einer Häufig-
keit, welehe den Verdacht des Zufalls ausschließt. Die beiden Seiten
des Embryo wuchsen also in divergierender Riehtung denjenigen Stellen
4) Man sehe eine Uebersicht dieser Versuche bei Panum (Untersuchungen
über die Entstehung der Missbildungen, zunächst in den Eiern der Vögel.
Berlin 1860, S. 21), Ch. Dareste (Recherches sur la production artificielle
des monstruosites. Paris 1877, p. 280) und Rauber (Archiv für pathol.
Anatomie u. Physiol., 1878, Bd. 74, S. 113).
166 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
zu, wo der reichste Luftzutritt stattfand. Die wohl überlegte Anord-
nung des Versuches hatte somit ein entscheidendes Resultat für eines
der ältesten Probleme gebracht.
Die frühern Forscher hatten mit einer gewissen Hartnäckigkeit
den Weg der grob-mechanischen Einwirkungen verfolgt. Die nächste
Veranlassung dazu boten die Erfahrungen, welche man an niedern
Tieren bei der Regeneration gemacht hatte. Schon Redi hatte in
seinem bekannten Buche (De animaleulis vivis quae in corporibus ani-
malium vivorum reperiuntur. Amstel. 1708) außer der zweiköpfigen
Schlange, welche ihm die Gelegenheit zu dieser Schrift gab, eine
Eidechse mit 3 Schwänzen abgebildet (S. 302, Tab. I, Fig. 1). Er
wusste noch nicht, wie die Sache zusammenhing; erst John Hunter!)
v. Siebold und Heinr. Müller haben nachgewiesen, dass es sich
in solchen Fällen um Regeneration handelt. Ich selbst habe längere
Zeit hindurch grüne Eidechsen, denen die Schwänze abgebrochen waren,
während der Periode der Neubildung beobachtet und mich davon über-
zeugt, dass gelegentlich statt eines Schwanzes 2 oder 3 wiederwachsen.
Hunter bezog die Doppelbildung auf eine Hemmung (obstruction),
da nach seiner Beobachtung eine Wunde an der Seite des Schwanzes
die Disposition zu einem jungen überzähligen Schwanze gab, der aus
der Wunde hervorwuchs.
Viel mehr besprochen ist die Polydaktylie der neu erzeugten Ex-
tremitäten bei Salamandern. Schon Joh. Friedr. Meckel (Handb.
der path. Anat., Bd. I, S.39) sagt: „Noch weit merkwürdiger ist eine
von Platteretti (Opp. scelti di Milano, 8, vol. 27, p. 26, not.) ge-
machte Bemerkung, dass bisweilen sich an den neureproduzierten
Vorderfüßen der Salamander 5 Zehen statt der gewöhnlichen 4 fanden“,
und er setzt hinzu: „diese Beobachtung ist desto interessanter, da
nach Baker (An attempt towards a natural history of the polype.
London 1743, p. 93) auch die Polypen, welche durch Zerschneidung
eines ganzen gebildet werden, fruchtbarer als die sind, an denen
keine Operation dieser Art vorgenommen wurde und die auf die ge-
wöhnliche Weise entstanden. Wenn sich in einem vollendeten Indivi-
duum Organe wiedererzeugen und sogar bei ihrer Wiedererzeugung
vervielfachen können, warum sollen nicht auch in einem ursprünglich
regelmäßig gebildeten, in der ersten Periode der Existenz begriffenen, .
mit der stärksten Vegetationskraft begabten Embryo, wo die schäd-
liche Einwirkung der Verwundung nicht vorangegangen war, sich
überschüssige Organe entwickeln können, ungeachtet der Grund davon
nicht außer ihm lag?“ Die Versuche von Spallanzani an Sala-
mandern und von Trembley an Polypen erhielten diese Vergleichung
1) Essays and observations on natural history, anatomy ete. Lond. 1861.
Vol.]. p. 245; v. Siebold (de salamandris et tritonibus) und Heinr. Müller
(Würzburger Verhandl., 1852, Bd. II, S. 66).
Virchow, Deszendenz und Pathologie. 167
so sehr lebendig, dass selbst Johannes Müller in einer seiner
frühern Arbeiten (1828) die Teilung niederer Tiere zur Erklärung ge-
wisser Doppelbildungen heranzog. Darwin kommt sehr häufig auf
die Regenerationsvorgänge zu sprechen. Bei einer solchen Gelegen-
heit (Das Variieren u. s. w., Il, S. 20 vgl. S. 449) zitiert er Bonnet,
der bei Salamandern, denen er die Hände oder den Fuß abgeschnitten
oder längsweise geteilt hatte, gelegentlich überzählige Finger, ja in
einem Falle sogar 3 überzählige Finger entstehen sah.
Diese Erfahrungen sind von großer theoretischer Wichtigkeit,
insofern sie die Möglichkeit der Hervorbringung von Doppel- und
Mehrbildungen einzelner Teile an Wirbeitieren infolge von mechani-
schen Verletzungen unter Umständen zeigen, welche jeden Gedanken
an Atavismus ausschließen. Aber ich möchte davor warnen, sie in
dem Sinne aufzufassen, als sei die Doppelbildung direkt durch den
mechanischen Eingriff, also etwa im Sinne einer wirklichen Zerteilung
der Substanz, hervorgebracht. Der mechanische Eingriff, die Ver-
wundung, der Bruch oder was sonst eingetreten war, setzt offenbar
nur einen Reiz, welcher die Produktion neuer Gewebe anregt, ungefähr
wie die Verwundung oder der Bruch eines Knochens auch beim Men-
schen den Reiz für die Callusbildung schafft. Je nach den äußern
Umständen können die regenerativen Vorgänge mehr oder weniger
stark, ja zuweilen exzessiv werden. Wenn sich an einem gebrochenen
Knochen ein Callus luxurians, vielleicht mit weit hin auswachsenden
starken Exostosen bildet, so steht dieser Vorgang in einer zweifel-
losen Parallele zu den drei- oder zweischwänzigen Neubildungen an
der hintern Axe der Eidechsen. Die Größe des Reizes und die Stellen
seiner Einwirkung, nicht ein ererbtes Gesetz, bestimmen Zahl, Form
und Größe der regenerativen Produkte.
Eine Anwendung dieser Erfahrungen auf das menschliche Ovulum
und den Embryo selbst darf daher an sich füglich nicht in der Art
versucht werden, dass die Entstehung einer Doppelbildung als das
Ergebnis einer direkt teilenden oder spaltenden Einwirkung dargestellt
wird. Vielmehr wird auch hier, wie es Herr Leo Gerlach mit so
viel Glück gethan hat, zunächst ein Reizzustand vorausgesetzt werden
müssen, der die neoplastischen Vorgänge steigert und nach verschie-
denen Richtungen leitet. Ich möchte nicht so weit gehen, die Mög-
lichkeit ganz auszuschließen, dass auch direkte mechanische Verhält-
nisse ‘eine solche Wirkung ausüben können. Die Geschichte der
Adhäsionen und Synechien des fötalen Körpers mit den Eihäuten und
die Mannigfaltigkeit der dadurch erzeugten Missbildungen beweist,
wie große Wirkungen der Zug, namentlich die Retraktion adhäsiver
Massen, hervorbringt. Dagegen scheint mir die Hoffnung sehr gering
zu sein, dass es gelingen werde, durch Verwundungen, die von außen
herbeigeführt werden, fortwachsende Zerspaltungen der embryonalen
Substanz zu stande zu bringen. Dazu ist die Vulnerabilität des Säuge-
168 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
tiereis und seines Embryo zu groß. Ist es doch nicht einmal beim
Vogelei möglich gewesen, ein solches Resultat zu erzielen.
Auch in dieser Richtung wird man sich der Erwägung nicht ent-
ziehen können, dass die Erfahrungen an niedern Weichtieren nicht
ohne weiteres auf die höchsten Wirbeltiere übertragbar sind. Es war
gewiss berechtigt, die Versuche an Hydropolypen zur Vergleichung
heranzuziehen. Aber aus der bloßen Vergleichung darf man nicht
sofort zu der Identifizierung der Vorgänge übergehen. Die neueste
Zeit hat eine erhebliche Erweiterung der alten Versuche gebracht.
Nur beiläufig will ich erwähnen, dass Herr Eimer (Ueber künstliche
Teilbarkeit u. s. w. der Medusen. Bericht der Naturforscherversamm-
lung zu München 1877) gezeigt hat, wie sogar Medusen in Stücke
zerlegt werden können, welche ihre Kontraktilität behalten und fort-
leben, sobald das Stück wenigstens eine der präexistierenden kontrak-
tilen Zonen enthält. Indess ist bis jetzt nicht bekannt, dass diese
Teilstücke sich wieder zu ganzen Tieren entwickeln können. Dagegen
hat Herr Moritz Nussbaum (Archiv für mikroskopische Anatomie,
Bd. 26, S. 485) den Nachweis geführt, dass bei künstlicher Teilung
von Infusorien alle Teilstücke lebendig bleiben und sich wieder
regenerieren, welche mindestens einen Kern enthalten. Wir besitzen
für den Menschen auch in dieser Riehtung gewisse parallele Erfah-
rungen, insbesondere in der Geschichte abgetrennter, transplantierter
Stücke von Periost und der heterologen Neubildung von Knochen aus
denselben. Man darf daher nicht ganz verzagen, solche Thatsachen
einmal auf die Pathologie des menschlichen Eis ausdehnen zu dürfen.
Vorläufig werden wir uns aber bescheiden müssen, auf eine weit-
gehende Anwendung derselben zu verzichten. Denn die embryonale
Entwicklung ist eine ungemein fest gegliederte, welche in regelmäßiger
Reihenfolge, und zwar im Sinne direkter Erbfolge der Zellen, ein
Glied aus dem andern entwickelt, so zwar, dass jedes Glied eine
bestimmte prädestinierte Bedeutung hat. Wenn daher durch eine
äußere Ursache eine Variation in der Entwicklung stattfinden soll, so
kann sie immer nur so gedacht werden, dass die äußere Ursache auf
diejenige Zelle oder diejenigen Zellen einwirkt, welche als Vor-
gebilde oder als Anlage für spätere Zellen, Gewebe oder Organe
dient oder dienen. In einem spätern Stadium, wo sich bereits wei-
tere Entwicklungen vollzogen haben, wird dieselbe Ursache eine ganz
andere Wirkung ausüben. Je früher die Einwirkung erfolgt, um so
größer muss das Gebiet der Variation sein; je später sie eintritt, um
so enger, um so mehr lokalisiert wird die Variation sich darstellen.
Daher bezweifelt Herr W. Roux (Ueber die Zeit der Bestimmung der
Hauptrichtungen des Froschembryo, Leipzig 1883, S. 27) auch die
Zulässigkeit der Auffassung des Herrn L. Gerlach, indem er an-
nimmt, dass durch Einwirkungen, wie sie dieser Forscher vorgenom-
men hat, „höchstens ein aus zwei auseinanderstehenden symmetrischen
Virchow, Deszendenz und Pathologie. 169
Hälften bestehendes Doppelgebilde entstehen könnte, dessen beide
Teile durch nicht zu Organen geordnete Gewebebildungen in einen
durchaus nicht den Gesetzen symmetrischer Ausbildung und Vereinigung
folgenden Zusammenhang gebracht seien“. Wie mir scheint, geht
Herr Roux hier von einer falschen Voraussetzung aus. Nach seiner
Darstellung sollte man annehmen, dass Herr Gerlach Eier zu seinen
Versuchen gewählt habe, in denen der Primitivstreifen schon gebildet
war; dies war aber unzweifelhaft nicht der Fall, denn Herr Gerlach
(a. a. ©. S. 119) gibt ausdrücklich an, dass die Eier in den Brütofen
gebracht wurden, nachdem der Firnissüberzug angelegt war. Diese
Versuche stehen daher der Auffassung des Herrn Roux in keiner
Weise entgegen, wonach die Entstehungszeit der Doppelmissbildungen
in die früheste Zeit, „also vor, während oder direkt nach der Be-
fruchtung zu verlegen ist, so dass von vornherein eine andere Material-
verteilung um zwei Axen stattfinden könne“. Natürlich bedeutet
„direkt nach der Befruchtung“ bei einem Vogelei etwas Anderes, als
bei einem Säugetierei.
Aber die Natur der Verhältnisse bringt es mit sich, dass derartige
Beobachtungen selten, in gewissen Tierklassen nie an demselben Ovulum
in allen ihren Stadien verfolgt werden können. So offenbare Verhält-
nisse, wie sie einst Herr Gegenbaur (Zeitschrift f. wiss. Zoologie,
1851, Bd. III, S. 390, Taf. XII) bei einem Ei von Limax agrestis fand,
bei dem er nicht bloß die allmähliche Entwicklung zweier Embryonen,
sondern endlich auch das getrennte Auskriechen derselben beobachten
konnte, sind natürlich bei dem Menschen und den Säugetieren aus-
geschlossen. Indess die Annahme, dass analoge Verhältnisse auch
bei menschlichen Zwillingen, welche sich in einfachen Eihäuten ent-
wickeln, bestanden haben, liegt so sehr innerhalb der berechtigten
Analogie, dass wir uns über den Mangel des direkten Beweises hin-
wegsetzen können. Wir werden also für solche Zwillinge annehmen
müssen, dass sie aus der Teilung eines ursprünglich einfachen Eis,
sei es schon vor der Befruchtung, sei-es „während oder direkt nach
derselben“ entstanden sind, und zwar, wie ich schon ausführte, in-
folge einer Reizung.
Dass jemals ein Säugetierei so sehr durch mechanische Einwir-
kungen getroffen werden könne, um sofort geteilt zu werden, ist
schon aus theoretischen Gründen unzulässig. Wer hätte jemals ge-
sehen, dass ein mechanisch geteilter Zellkern am Leben geblieben
sei und sich nicht bloß regeneriert, sondern sogar vermehrt habe?
Eine mechanische Erklärung hat sich ja nieht einmal inbezug auf die
Furchung beweisen lassen. Die Versuche des Herrn Pflüger über
den Einfluss der Schwerkraft auf die Teilung der Zellen und auf die
Entwicklung des Embryo (Archiv f. die gesamte Physiologie, 1883,
Bd. 31 und 32) schienen den sichern Nachweis geliefert zu haben,
dass die Richtung der Furchungsebenen von der Gravitation abhängig
170 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
sei, indess kann ich nach den Erörterungen des Herrn Oskar Hert-
wig (Welchen Einfluss übt die Schwerkraft auf die Teilung der Zellen?
Jena 1884, S. 29) nicht umhin anzuerkennen, dass wahrscheinlich nur
in besondern Fällen und indirekt ein solcher Einfluss wirksam ist,
dass aber in erster Linie Richtung und Stellung der Teilungsebenen
von der Organisation der Zellen selbst abhängt. Nur beiläufig mag
hier erwähnt werden, dass nach Herrn Hertwig die Richtung direkt
durch die Lage der Axe des Zellenkerns bestimmt wird.
Wenn ich statt solcher einfach-mechanischer Ursachen auf einen Reiz
zurückgehe und auch die mechanische Einwirkung, insofern sie eine
abnorme Zellenteilung hervorruft, als eine Reizung auffasse, so beziehe
ich mich auf einen pathologischen Satz, den ich oft genug, z.B. in dem
Arch. f. path. Anat. u. Physiol., 1858, Bd. 14, S.23 u. 39, entwickelt habe.
Wenn schon die physiologische Neubildung überhaupt, insofern sie
ein aktiver Vorgang ist, einen Reiz voraussetzt, so gilt dies in noch
weit höherem Maße von der pathologischen Neubildung, und dahin
wird im strengern Sinne jede Art der Zwillingsbildung beim Menschen
gerechnet werden müssen. Es wird sich also nur fragen, woher der
Reiz kommt? Darauf würde ich nach dem Vorstehenden antworten:
der Reiz kann durch Erbschaft, in der Regel wohl von der Mutter,
oder durch accidentelle Einwirkungen gegeben werden. Im erstern
Falle kann die Vererbung eine kontinuierliche oder eine diskontinuier-
liche sein, und die diskontinuierliche könnte vielleicht unter Umständen
auch auf Atavismus deuten.
Es ist hier nicht der Ort, diese Betrachtungen auf alle Details
der Doppelmissbildungen auszudehnen. Nur in einer Beziehung
möchte ich ein paar Worte sagen. Wie ich sehe, nimmt unter den
neuern Schriftstellern die Zahl derjenigen wieder zu, welche die
Doppelmonstra aus sekundären Verwachsungen früher getrenn-
ter Embryonen erklären wollen. Ich habe mich stets gegen diese
Erklärungsversuche ausgesprochen und muss es auch jetzt thun. Zu-
nächst will ich auf die ausführliche Erörterung verweisen, welche
Meckel (a. a. O. 1. S. 26) dieser Frage gewidmet hat, insbesondere
auf die Darlegungen von Winslow, dass stets homologe Teile ver-
wachsen, aber gleichzeitig sehr häuflg einzelne Organe eine verkehrte
Lage haben oder ganz einfach sind. Sodann scheint es mir erforder-
lich, den Begriff der Verwachsung genauer zu definieren, als es ge-
wöhnlich geschieht. Ich meine, man kann nichts verwachsen
nennen, was nicht zu irgend einer Zeit wirklich vorhan-
den gewesen ist. Nun mag man noch so weit gehende Vorstel-
lungen von der Fähigkeit eines Embryo hegen, schon vorhandene
Teile zu verlieren, aber man soll sich nur nicht der Verpflichtung
entziehen nachzuweisen, wie sie verloren gegangen sind. Meiner Mei-
nung nach ist dies für die Mehrzahl der Doppelmonstra unmöglich.
Damit leugne ich nicht, dass es auch Verwachsungen wirklich
Virchow, Deszendenz und Pathologie. 171
vorhandener Teile in Doppelmonstra gibt. Aber auch von diesen
wird es vielfach bezweifelt werden dürfen, dass sie vor der Verwach-
sung in wirklicher Trennung und in völliger Ausbildung bestanden.
Im Gegenteil wird man sich bei vielen derselben vorzustellen haben,
dass die Doppelanlagen aus einem ursprünglich einfachen
Keim hervorgingen, ohne dass jemals eine vollständige
Trennung der Embryonen eingetreten ist.
Da diese Fragen mein Thema nur in geringer Ausdehnung be-
rühren, so will ich mich darauf beschränken, ein paar Beispiele kurz
zu entwickeln:
Ich habe eben unter meinen Augen ein sehr merkwürdiges lebendes
Doppelmonstrum, die früher von den Herren Fabini und Mosso be-
schriebenen Brüder Tocei aus Piemont, von welchen auch Herr Grün-
wald (Archiv f. path. Anat. u. Physiol., 1879, Bd. 75, 8. 561) eine
kurze Mitteilung gemacht hat. Sie gehören zu der Klasse der Prodymen
von Geoffroy St. Hilaire oder der Dicephali tetrabrachii von
Förster. Der einfache Nabel bildet im ganzen die Grenze zwischen
der nach oben doppelten, nach unten einfachen Körperbildung. Nur
die Wirbelsäulen erstrecken sich, einander immer näher tretend, über
die ganze Ausdehnung des untern, sonst einfachen Rückenabschnittes
bis zum Steißbein. Der After, die äußern Geschlechtsteile, die Unter-
extremitäten sind nur einmal vorhanden. Aber schon am Nabel be-
ginnt die Trennung der Nerven: rechts von der Mittellinie empfindet
nur der rechte, links nur der linke Zwilling. Das rechte Bein bewegt
nur der rechte, das linke der linke Zwilling. Die Kinder sind gegen-
wärtig im 9. Lebensjahre.
Soll man nun annehmen, dass in diesem Falle jemals die untern
Körperhälften der oben getrennten und vollständig entwickelten Kin-
der vollständig vorhanden waren? Zweifellos ist keines der Beine
aus einer Verwachsung zweier ursprünglicher Beine entstanden. In
welcher Stellung sollte man sich auch die Kinder zu einander denken,
damit eine vollständige Verschmelzung zweier linker oder rechter
Beine zu einem einzigen zu stande käme? Nirgends ist auch nur die
kleinste Spur eines dritten oder vierten Beines vorhanden. Wie sollte
es geschehen, dass die äußern Geschlechtsteile zweier Kinder zu einer
ganz einfachen, scheinbar ganz regelmäßigen Bildung verschmölzen ?
Mag man auch sagen, die Verschmelzung könne schon geschehen sein,
als weder die Unterextremitäten, noch der Geschlechtsapparat, sondern
nur die Anlagen dafür vorhanden waren, so wird man doch schwer-
lich nachweisen können, wie es zugegangen ist, dass nach spurloser
Beseitigung der medialen Hälften die lateralen sich mit mathematischer
Genauigkeit an einander fügten, so dass keinerlei Inkongruenz oder
Verschiedenheit der Hälften bemerkbar wird. Die Monomphalie der
Doppelbildung lehrt überdies, dass schon zur Zeit, als der Nabel sich
bildete, dieselbe Einfachheit der Anlagen im untern Körperabschnitt
bestand.
A Virchow, Deszendenz und Pathologie
Ganz anders liegen die Verhältnisse bei den Janus-Missbildungen.
Hier haben wir doppelte Körper, dagegen einen „verschmolzenen“
Kopf. Aber dieser Kopf bietet noch alle Zeichen der Duplizität. Bei
voller Ausbildung hat er 2 Gesichter und 2 Hinterköpfe; bei unvoll-
ständiger Ausbildung sind von dem einen Gesicht wenigstens defekte
Teile zu sehen. Aber jedes Gesicht besteht aus 2 nicht zusammen-
gehörigen Hälften: die linke Hälfte des vordern und die rechte des
hintern Gesichts gehört dem linken, die rechte des vordern und die
linke des hintern dem rechten Zwilling. Will man sich den Modus
der Verschmelzung klar machen, so muss man sich vorstellen, dass
der Kopf jedes der beiden Zwillinge bis zur Mitte in der Sagittal-
linie gespalten, dann auseinandergeklappt, der Quere nach nach außen
gebogen, und die so zubereiteten Hälften mit ihren Schnittflächen an
einander gefügt worden sind. Denn nur so wird es begreiflich, dass
vorn und hinten ein Gesicht und zugleich rechts und links ein Hinter-
kopf vorhanden sind. Auch hier wird wohl schwerlich jemand glauben
können, dass jemals getrennte Köpfe existiert haben. Die primitive
Sonderung der Keimzellen und die darauf folgende Wiedervereinigung
müssen so frühzeitig eingetreten sein, dass eine wirkliche Abgrenzung
der beiden Embryonen gegen einander nicht füglich angenommen
werden kann. Mir wenigstens scheint es unmöglich zu sein, dass
zwei, wenn auch noch so unvollständig ausgebildete Köpfe nachträg-
lich durch ihr Gegeneinanderwachsen sich gegenseitig eine so regel-
mäßige Halbierung und Auseimanderdrängung zufügen und trotzdem
jedesmal in so regelmäßiger Weise wieder verwachsen sollten, dass
man an den Gesichtern keine Spur der frühern Trennung, noch eine
verschiedene Bildung der Hälften erkennen kann.
In der Regel sind die Doppelmonstra als erworbene Varia-
tionen anzusehen. Atavismus ist meines Wissens zu ihrer Erklärung
niemals herangezogen worden, obwohl die Vorgänge der Konjugation
und Kopulation dazu Anlass bieten könnten. Ehe das Diplozoon para-
doxum durch v. Siebold als ein konjugiertes Tier erkannt war, lag
die Versuchung einigermaßen nahe, in ihm den Ahnen der Doppel-
missbildungen der Wirbeltiere zu suchen. Nachdem wir aber wissen,
dass die Konjugation der niedern Tiere und Pflanzen ein Mittel ist,
die geschlechtliche Entwicklung und Fortpflanzung zu ermöglichen,
wird auch der begeisterte Anhänger des Atavismus wohl darauf ver-
zichten, sie für die, äußerlich freilich ähnlichen und in diesem Sinne
allenfalls auch theromorph zu nennenden Vorgänge der pathologischen
Duplizität heranzuziehen.
Diese Duplizität entbehrt jedoch, wie es scheint, nicht ganz der
Fähigkeit, erblich zu werden. So erzählt John Hunter (a. a. 0.
S. 246), dass eine Kuh nach London zur Schau gebracht wurde, welche
ein überzähliges Bein an der Schulter hatte; ihr Kalb zeigte dieselbe
Monstrosität. Meckel (a. a. ©. II. S. 20) zitiert eine Beobachtung
Virchow, Deszendenz und Pathologie. 170
von Narf, der eine Frau von einer Doppelmissgeburt entband, deren
Großmutter von mütterlicher Seite eine ähnliche geboren hatte. —
Zum Schlusse dieser Bemerkungen über monströse Duplizität will
ich noch einige Lokalformen von theromorpher Bedeutung kurz be-
sprechen. Ich beginne mit den überzähligen Herzklappen, wie
sie sich an den arteriellen Ostien zuweilen finden. Herr Dilg (Archiv
f. pathol. Anat. u. Physiol., 1883, Bd. 91, S. 242) hat vor einiger Zeit
eine Zusammenstellung aus der neuern Literatur veröffentlicht, welche
sich leicht, namentlich aus den Protokollbüchern des pathologischen
Instituts, erweitern ließe. Er findet am häufigsten die Vermehrung
am Ostium pulmonale, gewöhnlich 4, in 2 Fällen 5; seltener am Ostium
aorticum, gewöhnlich 4, einmal 5. Dieser Vermehrung steht bekannt-
lich eine noch häufigere Verminderung in der Zahl der Klappen auf
2 gegenüber. Meckel (a. a. ©. II. 5. 139) erklärte beiderlei Zustände
für Tierähnlichkeiten, nämlich den zweiklappigen als normal für
Mollusken, Knochenfische und Reptilien, den vier- und mehrklappigen
für gewisse Fische, namentlich den Sterlet und die Knorpelfische.
Besonders merkwürdig sei es, dass die Verminderung der Klappen-
zahl am häufigsten mit reptilienartiger Anordnung des Herzens vor-
komme. Neuerlich ist Peacock auf eine analoge Deutung des vier-
klappigen Zustandes gekommen. Indess ergeben die Beschreibungen
der Herren Gegenbaur (Grundzüge der vergleichenden Anatomie,
2. Aufl., Leipzig 1870, S. 829) und Balfour (Handbuch der vergl.
Embryologie, deutsch von Vetter, Jena 1881, Bd. II, S. 573), dass
bei den Fischen viel kompliziertere Verhältnisse bestehen, die nicht
ohne weiteres zur Vergleichung herangezogen werden dürfen. Ich
möchte daher diese Frage nicht entscheiden. Für die zweiklappige
Form hat Herr Dilg Beobachtungen von Tonge über die Entwick-
lung der arteriellen Herzklappen beim Hühnchen angezogen, wonach
die 3 Semilunarklappen der arteriellen Ostien sich nicht gleichzeitig
bilden, sondern die vordere und innere erheblich früher; sonach könne
man den Ausfall der dritten Klappe als die Persistenz eines sonst
vorübergehenden Zustandes ansehen. Die Herren Martinotti und
Sperino (Sulle anomalie numeriche delle semilunari aortiche e pol-
monari, Torino 1884, p. 16) haben dagegen, für viele Fälle gewiss
mit Recht, geltend gemacht, dass unzweifelhafte Spuren der Ver-
schmelzung zweier Klappen in eine sich nachweisen lassen. Wenn
ich auch nicht behaupten will, dass alle Fälle von zweiklappigen
Östien auf adhäsive Fötal-Endokarditis zu beziehen seien, so gilt dies
doch für eine große Zahl. Ich habe unsere Sammlung darauf noch
einmal durchgesehen: alle 5 Fälle von zweiklappigem Ostium aorticum,
welche aufbewahrt sind, lassen Zeichen sekundärer Verschmelzung
zweier Klappen erkennen. Auch ist es nicht unwahrscheinlich, dass
mehrere dieser Fälle erst dem spätern Lebensalter angehören. Dem
alten Meckel muss ich darin beistimmen, dass primärer Defekt einer
174 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
Klappe, und dies ist meist eine Pulmonalklappe, am häufigsten mit
Offenbleiben der Scheidewand, also unter krankhaften Verhältnissen
vorkommt. Atavismus dürfte hier wohl kaum zu statuieren sein. Da-
gegen will ich anerkennen, dass die vierklappige Form, von der ich
in unserer Sammlung 4 Fälle vom Ostium aortium, 3 von dem Ostium
pulmonale zähle, die Annahme einer atavistischen Ursache näher legt,
zumal da nicht selten die überzählige Klappe von geringer Größe
und Ausbildung ist. —
Eine analoge Betrachtung lässt sich an die Anomalien in der
Zahl der Zähne knüpfen. Ich will für diesmal, um nicht zu weit-
läufig zu werden, von der Verminderung in der normalen Zahl ganz
absehen. Nur das mag erwähnt sein, dass schon seit langer Zeit die
Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist, dass mit der Verkürzung der
Kiefer beim Menschen eine Reduktion in der Länge der Zahnreihen
sichtbar wird. Darwin (The descent of man and seleetion in relation
to sex, Lond. 1871, Vol. I, p. 26) hat in besonderer Betonung hervor-
gehoben, dass der Weisheitszahn bei den mehr zivilisierten Rassen
eine Neigung zeige, rudimentär zu werden, und Herr Mantegazza
(Archivio per /’Antropologia e la Etnologia, 1878, Vol. VIII, p. 267)
hat in einer umfassenden Detailuntersuchung nicht nur diesen Satz
bestätigt, sondern auch die zuversichtliche Erwartung ausgesprochen,
dass in einer mehr oder weniger entfernten Zeit der dritte Molaris
ganz aus dem menschlichen Kiefer verschwinden könne. Dies würde
ungefähr derselbe Vorgang sein, der nach den Lehren der Deszendenz-
theorie das menschliche Gebiss schon gegenwärtig um ein sehr erheb-
liches reduziert hat. Als Hauptbeweise für diese Reduktion gelten
die überzähligen Zähne, von denen man 3 Arten aufgeführt hat:
1) die völlig ausgebildeten Zähne,
2) die Zahnkegel (Emboli),
3) die schmelzlosen Rudimente.
Was die völlig ausgebildeten überzähligen Zähne angeht, so sind
diese seit alter Zeit bekannt. Herr Magitot (Traite des anomalies
du systeme dentaire chez ’homme et les mammiferes, Paris 1877,
p- 96) hat eine Uebersicht solcher Fälle gegeben. Es erhellt daraus,
dass eine Vermehrung in der Zahl der Canini nicht oder kaum vor-
kommt, dass sie bei den Prämolaren sehr selten ist und sich jeder-
seits darauf beschränkt, dass statt 2 Zähne deren 3 (ganz selten 4)
sich entwickeln, dass dagegen bei den Molaren öfter eine Vermehrung
von 3 auf 4 und bei den Ineisivi von 2 auf 3 und, wenn man die
Zahnkegel hinzurechnet, auf 4 und 5 beobachtet ist. Man wird diese
Zahlen mit einiger Vorsicht aufnehmen müssen. Beschränkt man sich
auf die wohl entwickelten und in der Reihe stehenden Zähne, so darf
das Auftreten eines vierten Backzahns, eines dritten Prämolaris und
eines dritten Schneidezahns in je einer Kieferhälfte in der That zu-
gestanden werden.
Virchow, Deszendenz und Pathologie. 175
Diese Frage hat einen einigermaßen akuten Charakter angenommen
durch die Erörterungen über die Hasenscharte, bei denen Herr P.
Albrecht (Archiv f. klin. Chirurgie, 1885. Bd. XXXI S. 236; Cen-
tralblatt f. Chirurgie, 1884, Nr. 32) nıehrfach 5, beziehentlich 6 Schneide-
zähne beobachtete und daraus folgerte, dass hier der dem Menschen
verloren gegangene zweite obere Schneidezahn wieder auftrete. Die
Thatsache ist unzweifelhaft riehtig, und sie findet sich gelegentlich
auch ohne alle Spaltbildung. Herr Turner (Journ. of anat. and
physiol., 1885, Vol. XIX, p. 207) beschreibt 2 sonst normale Ober-
kiefer, einen mit Mileh-, den andern mit bleibendem Gebiss, von
denen jeder 6 Schneidezähne hat. Leider unterscheiden die meisten
Autoren nicht scharf zwischen normal und abnorm gebildeten Zähnen,
so dass es häufig’ unmöglich ist, eine genaue Deutung zu machen.
Dies ist aber namentlich notwendig wegen der schon vorher erwähn-
ten Emboli. Manche unserer besten Odontologen erklären sogar aus-
drücklich, dass die überzähligen Zähne in der Regel konisch seien
(Th. Bell, The anatomy, physiology and diseases of the teeth,
Eond. 1835, p. 103, Pl. VII, Fig. 8; Tomes, A course‘of lectures
on dental physiol. and surgery, Lond. 1848, p. 119).
Ein Zahnkegel ist unter allen Umständen ein unvollkommener
Zahn. Herr Magitot (a.a.0.p.13) erklärt gradezu, dass der Kegel
der Primordial- oder Archetypus des Zahns sei, wie er bei den Fischen
auftrete, und dass daher das Erscheinen des konoiden Typus, wie er
sich bei so vielen teratologischen Verhältnissen zeigt, einen hück-
schlag bedeute. Diese Auffassung hat viel für sich, aber es scheint
mir, dass sie einfacher ist, als die Verhältnisse zulassen. Sie geht
nämlich von der Voraussetzung aus, dass je ein Zahnkegel auch einem
verloren gegangenen Zahne entspreche. Dieses wäre aber erst zu be-
weisen. Herr Magitot selbst bildet einen, übrigens schon von Herrn
Langer (Mitt. der anthrop. Ges. in Wien, 1871, Bd. I, S. 118) be-
schriebenen Negerschädel ab (Pl. V, Fig. 2—3), dem er 11 Prämolaren
und 16 Molaren, im ganzen 39 Zähne zuschreibt; in Wirklichkeit sind
darunter 4 überzählige, in der Reihe stehende, wenngleich etwas
kleinere, so doch gut ausgebildete Molaren, dagegen sind die 3 über-
zähligen Prämolaren ganz aus der Reihe gerückt und mehr oder
weniger konisch oder sonst defekt. Herr Langer spricht daher nur
von einem überzähligen Prämolaris und rechnet im ganzen nur 37 Zähne.
Man sieht daraus, dass die Deutung nicht zweifellos ist. Aber Sandi-
fort (Observat. anat. pathol. Lugd. Bat. 1779. Lib. Ill. p. 136. k)
zitiert eine Beobachtung von G. C. Arnold in Breslau, nach welcher
ein 15 jähriger Knabe 72 „vollständige“ (integri) Zähne hatte, in jedem
Kiefer 36, darunter je 8 Schneidezähne und auf jeder Seite 2 Canini
und 12 Molares. Man kann sich hier nieht einmal mit der Erklärung
helfen, dass gleichzeitig das Milchgebiss und das bleibende Gebiss
entwickelt gewesen seien, denn dann käme man immer erst auf52 Zähne.
176 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
Es wird also wohl die „Integrität“ der Backzähne nicht so wörtlich
zu nehmen sein. Ich glaube mich zu einem solchen Zweifel berech-
tigt, weil unsere Sammlung einen Schädel besitzt, wo an der Stelle
des ersten Molaris im Oberkiefer 3 Emboli stehen, wo dem-
nach ein dreiwurzeliger Zahn in 3 gesonderte Zahnkegel aufgelöst ist.
Man kann auch dies als einen Rückschlag auffassen, indem man
annimmt, dass die Molaren durch die Verschmelzung mehrerer Pri-
mordialkegel entstanden sind. Aber wenn eine solche Zerlegung des
typisch gewordenen, fixierten Zahnes in seine atavistischen Segmente
möglich ist, so wird auch die Möglichkeit zugestanden werden müssen,
dass ähnliches an den zweiwurzeligen Zähnen stattfindet, und die
Zweiwurzeligkeit setzt sich gelegentlich bis in die vordern Zähne fort.
Jedenfalls kann darüber kein Zweifel sein, dass ni&ht jeder Zahnkegel
der Repräsentant eines typischen Zahns der nächstzurückliegenden
Ahnenglieder ist.
Noch schwieriger wird die Deutung bei den schmelzlosen
Rudimenten, welche Herr Baume (Odontologische Forschungen.
Leipzig 1882, Teil I, S. 268) an der labialen Seite des Kiefers in der
Gegend der Prämolaren entdeckt und als Repräsentanten der verloren
gegangenen Prämolares II und IV gedeutet hat. Neuerlich hat Herr
Zuckerkandl (Mediz. Jahrbücher der k. k. Gesellsch. der Aerzte
in Wien, 1885, $. 377) weitere Funde der Art beschrieben, welche
sich auch auf andere Gegenden der Kiefer beziehen. Auch er sieht
darin atavistische Erscheinungen.
Es scheint mir etwas gewagt, schon jetzt ein abschließendes
Urteil über diese, gewiss sehr bemerkenswerten Dinge abzugeben.
Die Möglichkeit, dass abgesprengte Teile des Zahnkeims zu einer
selbständigen Entwicklung gelangen, ist durch die bekannten Unter-
suchungen des Herrn Kollmann über die Zahnentwicklung sehr
nahe gerückt. Auch besitzen wir in der Geschichte der Odontome
und der Dentes proliferi (vergl. meine Onkologie II S. 55) manche
Parallelen für Absprengungen von Zahnsubstanzen. Ich erwähne das,
um der weitern Untersuchung, die nach den Erfahrungen des Herrn
Zuckerkandl auch auf Säugetiere auszudehnen ist, eine schärfere
Fragestellung zu bieten. Dabei möchte ich noch besonders hervor-
heben, dass die Frage von der Bedeutung def supernumeraren Zähne
auch in die Anatomie der Primaten hineinreicht. Paul Gervais
(Journal de zoologie, 1874, T. III, p. 164, Pl. VI) hat bei Gelegen-
heit der Beschreibung eines Gorilla-Schädels mit 3 überzäbligen, in
der That gut ausgebildeten und regelmäßig gestellten Backzähnen
literarische Notizen darüber gegeben. —
Wenn ich endlich noch mit einigen Worten auf die (so häufig
erbliche) Polydaktylie zurückkomme, so kann ich mich ziemlich
kurz fassen, da dieser schwierige Punkt durch die Forschungen der
letzten Jahre ungemein geklärt worden ist. Mit Vergnügen erkenne
Virchow, Deszendenz und Pathologie. IT
ich an, dass grade die sechsfingerige Hand und der sechsfingerige Fuß,
welche durch ihr Hineinziehen in die Lehre von der monströsen
Duplizität so viel Verwirrung angerichtet haben, in der neuen ata-
vistischen Anschauung in unerwarteter Weise verständlich geworden
sind. Ich muss dabei Herrn Albrecht (Presse med. belge, 1884,
Nr. 42) recht geben, dass es nicht genügt, aus dem 5fingerigen Typus
in den 6fingerigen überzugehen, denn die Hexadaktylie ist an sich
doppelter Art, indem nicht bloß ein sechster Kleinfinger, sondern auch
ein sechster Daumen nicht ganz selten beim Menschen vorkommt.
Dieser Doppeldaumen (Praepollex, Praehallux) führt auf andere Grund-
lagen zurück, als der Doppelkleinfinger. Die höchst anziehenden
Untersuchungen des Herrn Karl Bardeleben (Jenaische Zeitschr.
f. Naturwissenschaften, Bd. XIX, N. F. XII, Suppl.-Heft III, 1885)
haben die schon früher gewonnenen bessern Erfahrungen über die
Organisation der Handwurzel durch den Nachweis paralleler Gebilde
am Fuß gestützt und die Möglichkeit geboten, in größerem Umfange
phylogenetische Betrachtungen an die Stelle rein teratologischer zu
setzen. Zugleich haben wir dadurch den Unterschied kennen gelernt,
der zwischen der traumatischen Polydaktylie der Salamander und
der spontanen Polydaktylie der Menschen besteht. —
Aus der Zusammenfassung dessen, was ich hier über die soge-
nannten Doppelmissbildungen beigebracht habe, wird klar geworden
sein, dass ich einigen Grund hatte, an der einheitlichen Natur der
Reihe, welche man für die Duplizitäten aufgestellt hat, zu zweifeln.
Diese Erscheinungen gehören vielmehr ganz verschiedenen Reihen an,
und sie werden erst verständlich, wenn man sie auseinanderlöst.
Aber eine atavistische Erscheinung, wie die Polydaktylie oder die
Polyodontie oder die Polythelie, hört damit nicht auf, pathologisch
oder teratologisch zu sein. Ja, sie wird um so mehr teratologisch,
je weiter sie in die Ahnenreihe hinaufgreift. Unsere Anthropologen
haben immer noch eine besondere Schwärmerei für das Pithekoide.
Mit der Polydaktylie sind die Phylogenetiker schon bis zum Archi-
pterygium- und Ceratodus-Schema zurückgegangen. Die Grenzen der
verschiedenen Wissenszweige verwischen sich hier allmählich, aber
das Verständnis für die Wahrheit sollte nicht verwischt werden, dass
in gleicher Weise, wie die Variation aus einem patho-
logischen Verhältnis hervorgeht, so auch der Rückschlag
das Resultat pathologischer Umstände ist.
Wovor wir alle uns aber zu hüten haben, das ist die Verwechs-
lung der nur äußerlichen, sagen wir gradezu falschen Thero-
morphie mit der innerlichen, wahren Tierähnlichkeit, welche auf
wirkliche Verwandtschaft, der Organisation hinführt. Blumenbach
(De anomalis et vitiosis quibusdam nisus formativi aberrationibus
commentatio. Gotting. 1813. p. 5) schildert eingehend einen anen-
cephalen Fötus propter vniversi eorporis habitum et partium prineipalum
v1, 12
178 Virchow, Deszendenz und Pathologie.
relationem, quibus raninam prorsus formam adeo prae se fert, vt
quieunque illud adhue in supellectile viderint, ad vnum omnes miram
eius cum ranina forma similitudinem confessi sint. Gewiss, ein mensch-
licher Anencephalus ist so batrachioid, wie möglich; ich werde jedes-
mal, wenn mir ein neues Exemplar gebracht wird, von neuem von
seiner Froschähnlichkeit betroffen. Und doch ist nicht der mindeste
Atavismus darin. Der batrachioide Habitus des Anencephalus ist
genau ebenso trügerisch, wie der pithekoide des Mikrocephalus. Es
ist ein bloßer Schein, keine Wesenheit.
Ich möchte zum Schlusse noch auf ein besonders auffälliges Bei-
spiel verweisen. Eine der sonderbarsten Veränderungen des mensch-
lichen Skelets ist die lokale Hyperostose. Die hauptsächlichen
Fälle finden sich in meiner Onkologie, II, S. 21 fg. zusammengestellt.
Eine derselben ist jene scheußliche Verunstaltung der Schädel- und
Gesichtsknochen, welche ich mit dem Namen der Leontiasis ossea
belegt habe. Die Aehnlichkeit dieser Formen mit manchen Bildungen,
welche bei Tieren normal vorkommen, ist höchst augenfällig: ich
erinnere nur an die Vorkommnisse bei Cetaceen und Krokodilen. Ein
erfahrener Zoolog, Paul Gervais (Journ. de zoologie, 1875, T. IV,
p. 272, 445, Pl. V—X) hat die parallelen Zustände bei dem Menschen
und den verschiedensten Tieren, insbesondere Fischen, zum Gegen-
stande einer besondern Arbeit gemacht. Obwohl er von Atavismus
nichts sagt, so geht doch aus seiner Darstellung hervor, dass ihm
der Gedanke eines Zusammenhanges vorschwebte. Nun besitzen wir
glücklicherweise einige Krankengeschichten von Menschen,’ welche in
unzweifelhafter Weise darthun, dass es sich um krankhafte, erwor-
bene Anomalien handelt. Sollen wir daraus schließen, dass die
Tiere, welche derartige Anomalien regelmäßig besitzen, z. B. der
Fisch, welcher davon den sehr bezeichnenden Namen Ckhaetodon arthri-
ticus führt, Species mit erblicher Krankheit seien? oder gar, dass
diese Krankheit der Fische atavistisch in der Arthritis deformans und
der Leontiasis ossea des Menschen wieder hervortrete? Ich denke,
eine vorurteilsfreie Prüfung wird jeden überzeugen, dass wir beim
Menschen nur Beispiele falscher Theromorphie vor uns haben, für
deren Deutung gewisse gemeinschaftliche, auch auf die Tiere zutref-
fende Gesichtspunkte gefunden werden können, die jedoch völlig außer-
halb des Rahmens der Deszendenzlehre liegen. Die pathologische
Hyperostose des Menschen steht mit der zoologisehen Hyperostose
gewisser Fische, Reptilien und Säugetiere in gar keiner innern Be-
ziehung.
Kölliker, Stiftehenzellen in der Epidermis von Froschlarven. 179
Stiftehenzellen in der Epidermis von Froschlarven.
Von A. Kölliker').
Mit der Untersuchung der Nervenendigungen im Schwanze von
Froschlarven beschäftigt, um mir ein Urteil über die von Hensen
und Pfitzner beschriebenen Verhältnisse zu bilden, stieß ich in
diesem Frühjahre auf noch nicht beschriebene besondere Elemente,
deren Vorhandensein der ganzen Lehre von den Nervenenden der
Batrachierlarven eine neue Wendung geben könnte. Es sind dies
über die ganze Oberfläche des Schwanzes verbreitete, sehr zahlreiche
mikroskopische Organe, deren jedes einer einzigen Zelle entspricht
und am freien Ende ein oder mehrere Stiftchen trägt.
Jede Stiftehenzelle erscheint in der Seitenansicht birnförmig, er-
reicht mit dem spitzen Ende die Oberfläche der Oberhaut, während
das breite Ende entweder der Cutis aufsitzt oder durch Teile der
tiefern Oberhautzellen von derselben geschieden wird. Am freien
Ende tragen diese Zellen, deren Höhe und Breite von 11—22 u misst,
ein kurzes starres Stiftehen von 5 w in maximo, welches frei über die
Oberfläche der Oberhaut hervorragt. Die oberflächlichen großen platten
Zellen der Oberhaut verhalten sich so zu den Stiftehenzellen, dass
je drei oder vier derselben mit kleinen Abschnitten diese Organe
decken, so jedoch, dass die Oberhautplättehen über jeder Stiftchen-
zelle eine kleine Oeffnung begrenzen, zu der die Stiftchen heraustreten.
Jede Stiftehenzelle hat in der Tiefe einen Kern, ferner einen
körnigen Inhalt, der häufig radiär gestreift erscheint. Gegen Osmium,
Gold, Silber, Essigsäure, Alkohol ete. verhalten sich diese Elemente
genau so, wie die Stiftehenzellen der Sinnesorgane der Seitenlinie,
welche jedoch viel längere Stiftehen tragen. In der Tiefe ist jede
Stiftehenzelle von den umgebenden Elementen der Oberhaut durch
einen von Protoplasmafäden durchsetzten Interzellularraum geschieden,
der aber auch an den andern Oberhautzellen nicht fehlt. In den meisten
Reagentien schrumpfen diese Elemente mit Stiftehen zu glänzenden
mehr homogenen, zackigen Körpern und sind dann von einem größern
Hohlraume umgeben.
Die Stiftchen sieht man in Profilansichten, am Saume der Flosse,
zu 1—3 an jeder Zelle. Flächenbilder in Wasser gequollener Stiftchen
erwecken die Vermutung, dass dieselben zum Teil aus noch mehr
Einzelelementen bestehen, indem manche Stiftchen von oben im schein-
baren Querschnitte bis zu 7 und 8 Punkte erkennen lassen. Die
Zartheit dieser Elemente ist übrigens so groß, dass sie in keinem
4) Aus dem „Zoologischen Anzeiger“.
127
150 Kölliker, Stiftehenzellen in der Epidermis von Froschlarven.
Reagens sich erhalten, obschon sie in Wasser auch an abgeschnit-
tenen Schwänzen eine Zeit lang gut zu sehen sind.
Vorkommen und Zahl der Stiftehenzellen anlangend, merke ich
folgendes an. Gefunden habe ich dieselben bei den Larven von Rana
esculenta und R. fusca, denen von Hyla und Bufo spec. Nicht unter-
sucht habe ich bis jetzt Bombinator und Alytes. Pelobates, von dem
ich viel erwartete, zeigte, so weit meine Untersuchnngen reichen, wohl
den Stiftehenzellen ähnlich gelagerte Elemente, nur dass dieselben mit
einer kleinen Fläche die Oberfläche der Epidermis erreichen, dagegen
vermochte ich bis anhin mit Sicherheit keine Stiftehen an denselben
zu finden. Keine Stiftehenzellen besitzen die Larven von Triton,
Salamandra maculata, Siredon.
Die Zahl bestimmte ich bei Rana esculenta zu 79 auf 1 qmm,
was für den ganzen Schwanz einer größern Larve, denselben zu
144 qmm Oberfläche auf einer Seite gerechnet, die Zahl von 22 740
Stiftehenzellen für beide Seiten ergibt. Am Schwanze finden sich die
Stiftehenzellen überall, manchmal selbst auf den Organen der Seiten-
linie, doch schienen sie mir am Flossensaume in größerer Menge zu
stehen. Am Rumpfe habe ich dieselben am dorsalen Flossensaume
ebenfalls gesehen, ihr sonstiges Vorkommen dagegen noch nicht
untersucht.
Bei ausgebildeten Ranae erinnern die von Eberth und Fr. E.
Sehulze beschriebenen einzelligen Hautdrüsen durch ihre Stellung
sehr an die Stiftchenzellen, doch ergaben meine bisherigen noch nicht
abgeschlossenen Untersuchungen keine Zusammengehörigkeit der bei-
derlei Bildungen.
Zellen mit Stiftehen sind wahrscheinlich Sinneszellen, und so habe
ich auch bei den beschriebenen neuen Organen Verbindungen mit
Nerven gesucht. Die Verfolgung der Nervenenden bei Froschlarven
ist jedoch ein ungemein schwieriges Thema, und so ist alles, was ich
für einmal mitteilen kann, das, dass isolierte Stiftehenzellen am tiefen
Ende manchmal einen blassen Faden ansitzen haben, und dass ich in
einigen Fällen blasse feinste Nervenfäden bis zu Stiftchenzellen ver-
folgt zu haben glaube. Beifügen kann ich noch, dass ich von Nerven-
fäden, die zu den Nucleoli der Oberhautzellen gehen (Hensen), nichts
finde. Zweitens sehe ich auch nichts von den Pfitzner’schen Nerven-
enden. Ich halte wie Canini-Gaule (Arch. f. Anat. u. Phys., Phys.
Abt. 1883) die Pfitzner’schen Fäden für die von Eberth und
Leydig beschriebenen eigentümlichen Stäbe oder Fasern und bemerke
noch, dass dieselben in schönster Ausbildung am Rumpfe und Kopfe
sich finden und am Schwanze ohne Ausnahme am Flossensaume in
sroßer Ausdehnung fehlen. Das subkutane Zellennetz (Canini Fig.3, 4)
halte ich nicht für nervös, ebenso wenig die schon von Remak ge-
sehenen radiären Fasern der Flossengallerte, deren Enden die Basal-
Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 181
schicht der Oberhaut (die Cutis) durehbohren und die chemische Natur
von Zellenausläufern haben.
Die hier beschriebenen Stiftehenzellen sind nur an ganz frischen
Teilen in Wasser gut zu sehen und teils von der Fläche, teils am
Flossensaume zu untersuchen.
Einige neuere Arbeiten über Schwämme.
Kritisch referiert von @. C. J. Vosmaer.
1. Heider K., Zur Metamorphose der Oscarella lobularis. In: Arb. z. Inst.
Wien, Tom. VI, S. 175—236.
2. Lendenfeld R. von, A monograph of the Australian Sponges. In: Proe.
Linn. Soc. N. S. Wales. Vol. 9, 10.
3. Derselbe, Das Nervensystem der Spongien. In: Zool. Anzeiger, VIII,
S. 47—50, 448.
4. Derselbe, Zur Histologie der Spongien. Ibid. S. 466-469, 483—486.
5. Derselbe, Beitrag zur Kenntnis des Nerven- und Muskelsystems der Horn-
schwämme. In: Sitz.-Ber. d. Akad. d. Wissensch., Berlin 1885, XLIV.
6 Derselbe, Die Verwandtschaftsverhältnisse der Myxospongien. In: Zool.
Anzeiger, VIII, S. 510-515.
7. Derselbe, Das System der Monactinellidae. In: Zool. Anzeiger, VII,
(1884) S. 201—206.
8. Marshall W., Bemerkungen über die Cölenteratennatur der Spongien.
In: Jen. Zeitschr, Bd. XVII, S. 868— 880.
9. Pol&ejaeff N., Report on the Keratosa collected by H. M. S. Challenger.
In: Rep. Challenger, Zoology, Vol. XI, 88 pp., 10 Taf.
10 Schmidt O., Entstehung neuer Arten durch Verfall und Schwund älterer
Merkmale. In: Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XLII, S. 639 —647.
11. Schulze Fr. E., Ueber das Verwandtschaftsverhältnis der Spongien zu
den Choanoflagellaten. In: Sitz.-Ber. d. Berliner Akad.
12. Vosmaer G. C. J, Porifera in Bronn’s Klassen und Ordnungen des
Tierreichs.
13. Derselbe, Studies on Sponges. In: Mitt. zool. Stat. Neapel, Bd. V,
S. 483—493.
I. Abstammungs- und Verwandtschaftsverhältnisse.
Wie vor Johnston (1842) die Frage, ob Spongien Pflanzen oder
Tiere seien, noch immer nicht erledigt war, so streitet man jetzt
noch, ob sie zu den Protozoen oder zu den Cölenteraten gehören, oder
zu keiner dieser Gruppen. In engem Verbande hiermit und vielfach
in unklarer Weise damit vermischt steht die Frage nach der Her-
kunft der Schwämme. Es ist auch diese Frage in der letzten Zeit
von Autoritäten mehrmals aufs Tapet gebracht worden, und darum
wollen wir sie hier besprechen.
182 Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme.
Vor Leuckart (1854) galten die Schwämme als zweifellose Pro-
tozoen. Als nun aber ihr komplizierter Bau allmählich bekannt
wurde, und besonders nach Huxley’s Angaben über das Vorkommen
von Eiern und Spermatozoen bei Tethya, sprach Leuckart zuerst
die Meinung aus, dass die Spongien zu den Cölenteraten gehören.
Und bis vor kurzer Zeit war dies wohl die allgemein giltige An-
nahme, bis man endlich die dritte Möglichkeit einsah, nämlich dass
sie eine gesonderte Stellung zwischen beiden einnehmen könnten.
Diese Ansicht hat in der jüngst erschienenen Arbeit von Heider
wieder einen Verteidiger gefunden. Ich habe 1880 in meiner Inau-
gural-Dissertation darauf hingedeutet; Balfour (Comp. Anat. I.
p. 122) ist der Ansicht, sie bilden einen „independent stock“ der
Metazoa, am meisten geneigt, Sollas und Margö ebenfalls. Dass
die Spongien keine Protozoen sind, darüber kann kaum Zweifel
sein. Dass auf der andern Seite bedeutende Differenzen zwischen
echten Cölenteraten und Schwämmen bestehen, ist wohl auch sicher.
Auch die für die Cölenteraten-Natur der Porifera schwärmenden
Forscher stellen sie als einheitliche, gesonderte Gruppe den Cni-
dariern gegenüber. Es handelt sich aber nicht nur um die Frage:
sind die Poriferen ein Subtypus der Cölenteraten, oder ein eigner
Typus, sondern auch um die phylogenetischen Gründe. Wenn die
Spongien keine Protozoen sind, so können sie doch von diesen ab-
stammen. Wenn man im allgemeinen behaupten kann, dass die Meta-
zoen von Protozoen abstammen, und wenn man ferner zugibt, dass
Spongien echte Metazoen sind, so stehen wir sofort vor der Frage:
wie verhalten sich phylogenetisch die Schwämme zu den übrigen
Metazoen? In dieser Hinsicht stimmen nun die Resultate von Sollas,
Margö und Bütschli im wesentlichen überein. Bütschli meint,
„dass die Gruppe der Schwämme eine gegen die übrigen Metazoen
ganz abgeschlossene ist, die durchaus selbständig aus der Abteilung
der Choanoflagellaten (Sav. Kent) hervorging.“ Unabhängig von
Bütschli kam Sollas zu demselben Schluss; er nennt das gesondert
aus den Protozoa entstandene „Phyllum“ Parazoa, den Rest Me-
tazoa. Margö lässt Porifera und Cölenterata als zwei getrennte
„Phylla“ aus den „Archentera“ hervorgehen, d. h. aus den niedrigsten
Formen der „Blastodermica“ (Metazoa Autt.), welche selbst aus den
„Protoplastica* (Protozoa Autt.) entstanden sind. Dagegen tritt nun
Marshall auf, indem er seine früher ausgesprochene Meinung weiter
zu stützen sucht. Er sagte früher (Z. w. Z. Bd. XXXVI. S. 246):
„Poriferen und Teliferen (sit venia verbo) sind zwei divergierende
Aeste des Cölenteratenstammes, welche sich aus der gemeinsamen
Stammform der Protactinia entwiekelt haben.“ Und er fügt jetzt (8)
hinzu: „Dass die Ahnen der Spongien noch nicht sehr lange, viel-
leicht noch gar nicht mit Tentakeln, die doch erst etwas Sekundäres
sind, versehen waren, kann gern zugegeben werden; aber sie waren
Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme, 183
mindestens zweiblättrig und dabei, das können wir aus den gelegent-
lich auftretenden Rückschlägen schließen, radiär; sie hatten eine
Mundöffnung und einen Magenraum, von dem Gastralkanäle zentri-
fugal verliefen, um, das Ektoderm durchbrechend, frei nach außen zu
münden; und solche Geschöpfe sind, nach meiner Auffassung, unter
allen Umständen echte Cölenteraten.“ Schulze (11) kritisiert die
Ansichten von Bütschli, Marshall, sowie die der ältern Autoren,
und kommt selbst zu dem Schlusse, es sei sehr wahrscheinlich, dass
die ältesten Spongien noch keine radiären Ausstülpungen ihrer Zen-
tralhöhle besaßen, sondern, ähnlich dem Olynthus der Kalkschwämme,
einfache Sackform hatten.
Prüfen wir jetzt die einander so stark widersprechenden Be-
hauptungen. Ich will mit Marshall’s Theorie anfangen, da sie am
bestimmtesten formuliert ist. Sie stützt sich hauptsächlich, wie der
Autor selbst angibt, auf den radiären Bau, welchen die Schwämme
nach ihm aber verloren haben. Er sieht in den Schwämmen rück-
gebildete Tiere, und zwar degenerierte Cölenteraten, eine Ansicht,
welche schon Dohrn vor zehn Jahren hatte und auch Balfour
(Comp. Anat. I. p. 122) als möglich dargestellt hat. Balfour ist
aber sehr im Zweifel: „It might perhaps be possible to regard spon-
ges as degraded descendants of some Actinozoon type such as Al-
cyonium, with branched prolongations of the gastrie cavity, but there
does not appear to me to be sufficient evidence for doing so at pre-
sent. I should rather prefer to regard them as an independant stock
of the Metazoa.“ Ich glaube, jeder, der sich mit spongiologischen
Untersuchungen abgegeben hat, gewinnt sehr oft den Eindruck einer
Degeneration, kann dies aber nicht immer mit andern Thatsachen in
Einklang bringen. Und daher vielleicht Balfour’s Zweifel. Es
scheint mir, dass man sich immer die Fragen zu allgemein und an-
derseits zu einseitig vorgelegt und nicht an die Möglichkeit gedacht
hat, dass, was für eine Abteilung der Schwämme gilt, für eine an-
dere sicher falsch ist. Es scheint mir, alles weist darauf hin, dass
die meisten Kieselschwämme in gewisser Hinsicht zurückgehen, dass
aber bei den Cornacuspongiae ein neues Moment eingetreten ist, das
sie wieder in die Höhe bringt, und dass auch die jetzigen Calearea
sich progressiv entwickeln. Aber wenn auch die meisten Schwämme
zahlreiche Degenerationserscheinungen aufweisen, so brauchen sie
darum noch nicht von „Cölenteraten“ abzustammen. Die Unterschiede
zwischen beiden Gruppen sind so groß, dass selbst der eifrigste Ver-
teidiger ihrer Cölenteratennatur, wie wir sahen, ihren phylogeneti-
schen Zusammenhang sehr weit zurückschiebt. Und trotzdem ist
Marshall’s Theorie wohl kaum zu halten. Angenommen, dass die
nächsten Ahnen der Spongien „mindestens zweiblättrig“ waren, an-
genommen auch, dass sie „radiär“ waren, ja dass sie einen „Magen-
raum“ (s. 1.) ete. hatten, so beweist dies noch nichts. Solche Ge-
184 Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme.
schöpfe sind noch keine Cölenteraten. Marshall geht nun allerdings
weiter und vindiziert den Schwamm-Ahnen eine „Mundöffnung“ und
einen „Magenraum“ mit zentrifugal verlaufenden Kanälen. Hierfür liegt
aber kein Grund vor. Denn wie auch Heider wieder angibt, ist
das sogenannte Oseulum der Schwämme dem Mund der Cölen-
teraten weder homolog noch analog, und die bei vielen Poriferen
vorkommende große innere Höhle hat ebenso wenig die Bedeutung
einer Magenhöhle, wie die damit in Verbindung stehenden Kanäle
ohne weiteres den peripherischen Kanälen der Cölenteraten gleich-
gestellt werden können. Es liegt kein einziger Grund vor, die zen-
trale Höhle bei Schwämmen als Magenhöhle aufzufassen. Selbst
wenn ihre Epithelzellen vielleicht Nahrungspartikelchen aufnehmen
können, so ist noch nie beobachtet worden, dass die Höhle die
wirklich verdauende Kavität zar &£oynv ist!). Es ist dies aus
mehreren Gründen sogar sehr unwahrscheinlich. Denn erstens kommt
die verhängnisvolle Höhle nicht immer vor, oder sie ist sehr klein;
zweitens aber ist ihre Lage und Einrichtung zum Zurückhalten fester
Körper sehr ungünstig. Man kann mir vorwerfen, es sei nicht be-
wiesen, dass grade feste Nahrung aufgenommen wird. Da es aber
sicher ist, dass gewisse Schwammzellen feste Körper aufnehmen
können und es sehr gern thun, und ferner Schwämme, welche man
in Bassins hält, die möglichst rein gehalten werden, wo das zu-
fließende Wasser von suspendierten Körperchen befreit wird, rascher
zugrunde gehen als andere, welehe man in sehmutzigen (sit venia
verbo) Bassins hält, so ist es wohl schon aus diesem Grunde wahr-
scheinlicher, dass feste Nahrung eine Lebensfrage für sie ist. Das
Ungünstige der Lage der sogenannten Magenhöhle beruht oft (viel
öfter, als man einfach ohne Grund annimmt) auf der nach unten
mündenden großen Oefinung und dem verhältnismäßig starken Strom
(denn die sogenannte Magenhöhle ist der Sammelkanal, die Cloaca,
worin alle andern Kanäle münden). Und da, wo in den „Magen“
Spieula hineinragen, die eventuell Nahrung zurückhalten könnten, da
sind konstant diese Spieula nach dem Oseulum zu gebogen, verhin-
dern also den Eintritt, keineswegs aber den Ausgang.
Die Entwicklungsgeschichte lehrt uns, dass schon sehr früh die
Poriferen und Cölenteraten auseinander gehen. Wie Heider mit
Recht ausdrücklich betont, heftet sich die Schwamm -Gastrula mit
dem Munde fest, während die Cölenteraten-Gastrula mit dem aboralen
Pole sich festsetzt. Also bis zur Gastrula gehen die beiden Typen
zusammen, dann aber schon jeder seinen eignen Weg. Endlich hat
schon Balfour (Comp. Embr. II p. 285) auf das frühe Auftreten und
die mächtige Entwicklung des Mesoblasts als auf bedeutende Dif-
ferenz zwischen Poriferen und Cölenteraten hingewiesen. Wenn ich
1) Häckel’s Angaben beruhen auf reiner Phantasie.
Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 185
mich denjenigen also nicht anschließen kann, welche die Spongien
zu den Cölenteraten rechnen wollen, so bin ich auch nicht damit ein-
verstanden, dass sie von diesen abstammen.
Bezüglich der Frage, ob denn die Schwämme von Protozoen
stammen, muss man, um Missverständnisse zu vermeiden, wohl un-
terscheiden eine direkte Abstammung (d. h. die Sache auffassen wie
Saville Kent e. s. und dann als notwendige Konsequenz in den
Poriferen eine progressiv sich entwickelnde Gruppe sehen) und eine
indirekte Abstammung (d.h. ob überhaupt Schwämme oder Schwamm-
Ahnen als Metazoen sich aus Protozoen -Kolonien entwickelt haben).
Mir scheint das Letztere am plausibelsten. An eine direkte Ab-
stammung ist wohl kaum zu denken. Ich will nicht weiter davon
reden, dass die Spongien keine Monaden- oder Choanoflagellaten-
Kolonien sind. Aber auch die Unterschiede zwischen den heutigen
Spongien und Protozoen sind so groß, dass man eigentlich nur darüber
reden kann, ob die Ahnen der Sechwämme von Protozoen stammen.
Und in diesem Sinne kann ich die Frage nur bejahen, wenn es auch
noch gänzlich unsicher ist, wie der Uebergang geschah.
Bekanntlich ist Balfour ausgegangen von der Amphiblastula-
Larve und hat darin die ontogenetische Rekapitulation einer Stamm-
form gesehen, welche zwischen Protozoen und Metazoen stand. Er
nimmt an, dass die Zellen der beiden Hälften funktionell sich dif-
ferenzierten in nutritive (die amöboiden Zellen) und respira-
torisch-lokomotorische (die Geißelzellen). Beim Festheften
mussten diese (lokomotorischen) Geißelzellen größtenteils funktionslos
werden, während die amöboiden Zellen, als für die Gesamtkolonie
sehr nützlich, sich ausdehnten. Daher eine größere Außenschicht von
nutritiven, eine kleine innere Schicht von nun hauptsächlich respira-
torischen Zellen.
Diese Theorie Balfour’s wird in Heider’s jüngster Arbeit kri-
tisiert, und die beigebrachten Argumente scheinen uns allerdings
sehr wichtig. Balfour war „im Unrecht“ — sagt Verf. — „als er
kurzweg die Frage von der Hand wies, ob wir in der Amphi-
blastula-Larve nicht vielleicht eine eönogenetisch verän-
derte Form vor uns haben.“ Heider hält sie grade für eine
solche, zumal die Amphiblastula nur bei den Calearea, und nicht ein-
mal bei allen, vorkommt. Zweitens meint Heider, dass man noch
kein Recht hat, die amöboiden Zellen als geeigneter zur Nahrungs-
aufnahme anzusehen, als die Geißelzellen. Er weist hin auf die Sal-
pingoeken und Codosigen und meint, dass unsere Kenntnis vom
Mechanismus der Geißelbewegung eine zu geringe ist, um über die
Fähigkeiten der Kragenzellen ein Urteil abgeben zu können. Drittens
wirft er Balfour vor, dass er keinen Grund angegeben hat, warum
die Larve ihre freie Bewegung aufgegeben habe. Gestützt auf seine
neuen Untersuchungen an Oscarella stellt nun Heider eine andere
186 Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme.
Hypothese auf, indem er annimmt, „dass die durch die Einstülpung
gebildete Höhle der Gastralraum sei, und dass die Zellen der einge-
stülpten Sehicht, also bei Sycon die Geißelzellen, ursprünglich die
Nahrung aufnehmenden Elemente waren.“ Die Gastrula-ähnliche
Stammform der Spongien gab dann ihre herumschwärmende Le-
bensweise auf, „indem sie ihren Mund der Oberfläche eines festen
Körpers anlegte, um auf diese Weise an der mit kleinen Organismen
aller Art belebten Fläche von Steinen nach Nahrung zu suchen.“
Die Festheftung geschah ursprünglich in der Weise, wie dies Heider
bei Oscarella fand, nämlich nur an einzelnen Punkten, so dass immer
Wasser in den Gastralraum strömen konnte. Allerdings ist auch für
diese Hypothese viel zu sagen, aber wenn Heider Balfour vor-
geworfen hat, er erkläre nicht, warum die Urform sich festgesetzt
und die freie Bewegung aufgegeben habe, so kann man auf der an-
dern Seite Heider den Vorwurf machen, er sage nicht, warum die
Blastula-artige Larve auf einmal sich in eine Gastrula verwandelt.
Was war da das Prineipium movens? Mir erscheint alles noch reine
Hypothese, welcher man andere Hypothesen gegenüberstellen kann.
Ich will gern die Möglichkeit zugeben, dass sich die Metazoen aus
Kolonien von Protozoen gebildet haben; dies ist sehr wahrscheinlich,
aber nieht notwendig. Solange wir aber noch nicht wissen, welche
Zellen des Schwammes und der Schwammlarve die Nahrung auf-
nehmen !), welche Zellen zur Respiration dienen, so lange wird es
noch wenig helfen, nach einer Erklärung dafür zu suchen, wie aus
einer Protozoen-Kolonie eine Schwammlarve resp. ein Urschwamm
entstanden ist. Balfour’s Theorie beruht auf lauter Annahmen und
ebenso diejenige Heider’s. Es wäre ebenso gut möglich, dass, nach-
dem in einer Kolonie von Protozoen Funktions-Differenzierungen in
den Zellen aufgetreten waren, durch Bildung von Spieula die Larve
zu schwer zum Schwimmen wurde und zu Boden gesunken war,
worin ein wichtiges Moment zum Festsitzen liegt. Hierfür spricht
das frühe, oft sehr frühe Auftreten der Spieula. Aber das sind wie
gesagt alles noch lauter Hypothesen, für welehe zwar manches sich
beibringen lässt; aber es scheint mir noch ziemlich zwecklos, viel
hierüber zu philosophieren.
Wenn die Phylogenie der Porifera als Ganzes aber noch absolut
im dunkeln liegt, so steht es mit der Verwandtschaft der ein-
zelnen Gruppen unter einander doch etwas besser. Ich habe bei
der in „Bronn“ (12) befolgten Einteilung der Spongien auf diese
Verhältnisse Rücksicht genommen, obwohl in der Behandlung eines
4) Bekanntlich hält Pol&jaeff es für ziemlich wohl bewiesen, dass die
Kragenzellen sehr schlecht geeignet sind, Nahrung aufzunehmen, und zwar
stützt er sich hauptsächlich auf mechanische Gründe. Man vergesse aber nicht,
dass man von der Mikro-Mechanik kaum erst etwas weiß.
Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 187
Systems die Verhältnisse da nicht ganz klar zum Ausdruck kommen
konnten, weil die Gattungen der Reihe nach erwähnt werden müssen.
Ich habe erstens die große von Gray vorgeschlagene Einteilung in
zwei Klassen: Kalkschwämme und Nicht- Kalkschwämme !) acceptiert,
weil zwischen ihnen eine scharfe Grenze existiert, während innerhalb
dieser Gruppen die Uebergänge uns bekanntlich oft genug zur Ver-
zweiflung bringen.
v. Lendenfeld (7), wie alle vor ihm, haben in den Horn-
schwämmen eine ältere Gruppe gesehen und von diesen die soge-
nannten Monactinelliden abgeleitet. Ich selbst hatte genau die ent-
gegengesetzte Vorstellung über die Verwandtschaft, und glaubte die
Ceratina umgekehrt von Spieula-besitzenden Formen ableiten zu
können. Ich habe mich hierüber (13) ausgesprochen, und unabhängig
von mir kam in demselben Jahre Pol&jaeff (9) im wesentlichen
zu den nämlichen Schlüssen. Jeder Spongiologe ist wohl davon über-
zeugt, dass z. B. zwischen den sogenannten Chalineen und den Cera-
tina große Verwandtschaft herrscht. Es ist aber darum nicht aus-
gemacht, dass sie so ist, wie es Schmidt, v. Lendenfeld u. a.
angeben. Pol&jaeff und ich haben beide gefragt, warum so und
nicht umgekehrt. „Es ist ohne Zweifel leichter verständlich, dass
Hornschwämme von Kieselschwämmen stammen als umgekehrt“, sagt
Polejaeff, und dies war und ist auch meine Meinung. In seinem
„System der Monactinellidae* gibt v. Lendenfeld neue Beweise
für die nahe Verwandtschaft dieser Gruppe mit den Ceratina. Aber
Gründe liefert er nicht dafür, dass die erstern von den letztern
abstammen. Dies haben die Gegner wohl gethan. Pol&jaeff sieht
in dem äußerst vereinzelten Auftreten von Spieula bei Chalina lim-
bata Bwk. nur eine phylogenetische Bedeutung. Er sieht nicht ein,
wie eine einzige Reihe Spieula in den Sponginfasern des genannten
Schwammes die Fasern verstärken kann. Mir scheint dies ein
schwacher Punkt, denn wenn dies nicht so wäre, warum nehmen
denn die (wahrscheinlich niedrigsten) Ceratina Sandkörnchen auf?
Aber es gibt noch andere Argumente: das Kanalsystem meiner Hali-
chondrina (— Monactinellidae Autt. mit Ausnahme der Suberitidae
Autt.) ist einfacher als das der meisten Öeratina. Die Grundsubstanz
ist meistens hyalin bei jenen, meistens körnig bei diesen. Bei den
wahrscheinlich ältesten Spongien, den Hexactinelliden, ist nie eine
Spur von Spongin gefunden worden, und wenn es auch nicht sicher
ist, ob fossile Hornschwämme existieren oder nicht, so zeigen doch
4) Ich muss meinem Freunde Pol&jaeff beistimmen, wenn er meine Be-
zeichnung Porifera non-calearea schlecht findet. Ich habe aber nur darum
nicht Silicea gesagt, weil dies Verwirrung geben. könnte, da man ziemlich all-
gemein von Kalk-, Kiesel- und Hornschwämmen als von drei äquivalenten
Gruppen redete.
188 Langendorff, Die chemische Reaktion der grauen Substanz.
die vorliegenden Daten, so unvollständig und wegig beweisend sie
auch sein mögen, dass die Hornschwämme viel jünger sind als
Hexactinelliden und auch nicht vor den Monactinelliden auftreten.
Und dies sind wenigstens Gründe zum Vorteile der Hypothese von
Polejaeff und mir. Wie gesagt, es lassen sich die Verhältnisse auch
viel leichter erklären. Dass Spieula überhaupt bei Ab- oder An-
wesenheit gewisser Bedingungen leicht verschwinden, darüber ist kein
Zweifel, und wir werden darauf noch zurückkommen. Die in ge-
ringerer Tiefe vorkommenden Schwämme sind mehr den Strömungen
unterworfen, bedürfen also ceteris paribus eines elastischern Skeletes.
Aber es scheint auch, dass für eine starke Kieselabsonderung seichtes
Wasser unvorteilhaft ist. Wir finden manche Kieselschwämme mit
ganz vereinzelten Spieula. Es ist klar, sagt Pol&jaeff, dass, wenn
ein Schwamm einmal die Eigenschaft bekommen hat, die Spieula
mittels einer elastischen Substanz zu Reihen oder Netzen zusammen-
zukitten, dieses Ereignis für die Existenz des Tieres sehr wesentlich
ist. Dass dabei die Anwesenheit von Spieula von sekundärer physio-
logischer Bedeutung wird, ist wohl wahrscheinlich !). Umgekehrt
kann ich mir die Sache nicht recht vorstellen, ohne zu sehr ge-
zwungenen Annahmen zu greifen.
(Schluss folgt.)
Die chemische Reaktion der grauen Substanz.
Von O. Langendorff in Königsberg ’).
In einer kurzen, vor drei Jahren veröffentlichten Mitteilung 3)
habe ich einige Angaben über die chemische Reaktion des Zentral-
nervensystems bei Fröschen gemacht. Beim normalen lebenden Tiere
hatte ich dieselbe alkalisch gefunden; dagegen hatte ich schnell
Säuerung eintreten sehen, wenn das Tier erstickte, oder wenn Gehirn
oder Rückenmark aus dem Körper entfernt wurde. Ich hatte an-
genommen, dass die Säuerung sich nur auf die graue Substanz er-
strecke, nicht auf die weiße.
Im Anschluss an diese Versuche habe ich schon damals auch
solche an Säugetieren gemacht. In der Hoffnung, dieselben weiter
ausdehnen zu können, verschob ich ihre Veröffentlichung. Da ich
indess seither nieht Zeit fand sie fortzusetzen, und vielleicht auch
so bald nicht Zeit dazu finden werde, so erlaube ich mir hiermit,
1) Vergl. aber oben.
2) Aus: „Neurologisches Centralblatt“, 1885, Nr. 24.
3) Centralbl. f. d. med. Wissenschaften, 1882, Nr. 50.
Langendorff, Die chemische Reaktion der grauen Substanz. 189
meine Versuchsergebnisse, die immerhin schon jetzt einiges Interesse
beanspruchen dürften, mitzuteilen.
Als bekannt darf ich voraussetzen, dass nach der Meinung der
meisten der Gehirnrinde im Gegensatz zum Marke eine saure Reak-
tion zukommt. Man stützt sich hierbei besonders auf die Angaben
von Gscheidlen!), und noch jüngst hat Edinger?) durch ein eignes
Verfahren den Nachweis von der Acidität der Rinde zu führen
gesucht.
Meine Versuche haben mich hingegen zu dem Ergebnis geführt,
dass diese Annahme wohl für die tote und scheintote,
nicht aber für die lebende Großhirnrinde richtig ist. Die
Versuche wurden an Kaninchen und Meerschweinchen angestellt. In
den meisten Versuchen waren die Tiere durch Chloralhydrat oder
Aether tief betäubt; in einigen Vergleichsversuchen wurde die Nar-
kose unterlassen.
Zur Prüfung der Reaktion diente sehr empfindliches blaues und
rotes Lakmuspapier, von Schuchardt in Görlitz bezogen, und vio-
lettes, das ich mir selbst bereitet hatte. Instrumente und Schwämme
waren auf Eis gekühlt. Das mit Messer oder Schere abgetragene
Rindenstückchen wurde nach schneller Abtrocknung auf gekühltem
Fließpapier auf einer auf Schnee stehenden Porzellanplatte zwischen
zwei Lakmuspapierstreifen mittels eines eiskalten Porzellanpistills
schnell zerquetscht.
In allen Fällen, und ich habe wohl hundertmal die Reaktion
der Großhirnrinde untersucht, fand ich dieselbe deutlich al-
kalisch. Rotes sowie violettes Lakmuspapier wurde gebläut, blaues
blieb unverändert, oder, falls es rote Töne enthielt, wurde stärker blau.
Längeres Freiliegen der entblößten Gehirnoberfläche an der Luft
änderte die Reaktion nicht.
Wird die Prüfung eines Rindenstückchens einige Minuten nach
der Exstirpation vorgenommen, so ist bereits Säuerung nachweisbar.
Je höher die umgebende Temperatur, desto schneller tritt diese
Reaktion ein.
Wird das Tier oder nur das Gehirn durch Abklemmung der vier
Gehirnarterien oder durch Verblutung erstickt, so geht die alka-
lische Reaktion der Rinde schnell in die saure über.
Zunächst nimmt die Bläuung des Reagenspapieres ab, dann wird
weder violettes Papier, noch blaues oder rotes verändert, endlich wird
das blaue deutlich gerötet. Saure Reaktion kann schon zwei Mi-
nuten nach Eröffnung oder Ligatur der Halsgefäße vorhanden sein;
1) Arch. f. d. ges. Physiologie ete., Bd. VIII, S. 171. Daselbst auch die
frühere Literatur.
2) Arch. f. d. ges. Physiologie ete., Bd. XXIX, 8. 251. Und: Zehn Vor-
lesungen über den Bau der nervösen Centralorgane, Leipzig 1885, S. 19.
190 Langendorff, Die chemische Reaktion der grauen Substanz.
sicher deutlich ist sie nach vier Minuten. Später nimmt die anfangs
geringe Acidität merklich zu. Die Großhirnrinde getöteter Tiere fand
ich stets sauer.
Von Wichtigkeit ist die Thatsache, dass die durch Hemmung des
Blutstromes sauer gewordene Rinde nach Wiederfreigebung desselben
wieder alkalisch werden kann. Doch schwindet die Säure nur lang-
sam, um so langsamer, je längere Zeit die Anämie gedauert hat. Den
Versuch des Abhaltens und Wiederzulassens des Blutes habe ich mit
demselben Erfolge hintereinander dreimal wiederholen können. Obwohl
die jedesmalige Arterienklemmung 5, 7 und 9 Minuten gedauert
hatte), wurde die eingetretene Säuerung durch den zugelassenen
Blutstrom jedesmal wieder getilgt, das letzte Mal freilich so lang-
sam, dass 38 Minuten nach der Lösung der Arterienklemmung erst
neutrale, aber noch nieht alkalische Reaktion eingetreten war ?).
Eine merkwürdige Ausnahme von dem beschriebenen Verhalten
macht das Großhirn neugeborner Tiere. Die Reaktion der
lebenden Rinde ist hier sehr kräftig alkalisch., Weder Verblutung
noch Erstiekung, noch der auf andere Weise herbeigeführte Tod des
Tieres vermag die Reaktion sauer zu machen. Selbst nach 24 Stun-
den findet man das im Kalten oder Warmen aufbewahrte Großhirn
überall alkalisch 3). Wahrscheinlich hängt dies mit der reichlichen
Durchtränkung des jugendlichen Gehirns mit alkalischen Säften zu-
sammen, die eine auftretende Säure nicht zu neutralisieren oder gar
zu überneutralisieren vermag. Würde man den Alkaleszenzgrad der
Rinde quantitativ bestimmen, so fände man vielleicht auch hier eine
Abnahme desselben. Doch wäre es auch denkbar, dass in der Groß-
hirnrinde des Neugebornen überhaupt eine Säurebildung nicht stattfindet.
Die Erstieckung der Großhirnrinde, wahrscheinlich die der grauen
Substanz überhaupt, ist somit durch das Auftreten einer Säure charak-
terisiert. Welche Natur dieselbe haben möge, wage ich nicht zu
enteheiden. Vielleicht tritt freie Milchsäure auf, die Gscheidlen
thatsächlich aus der grauen Rinde darstellen konnte; vielleicht han-
delt es sich um ein saures Salz, etwa saures Natriumphosphat, das
durch Abspaltung aus den phosphorhaltigen organischen Verbindungen
der Rindensubstanz entstehen mag.
Den Prozess, der zur Bildung der Säure führt, halte ich für
keinen kadaverösen, sondern für einen vitalen, fortwährend ab-
1) Bei diesen länger andauernden Abklemmungen wurde künstliche Atmung
unterhalten,
2) Die Großhirnrinde kann noch viel längere (über !/, Stunde) Zeit
absolut anämisch sein, ohne dass ihre Fähigkeit, zur normalen Funktion zu-
rückzukehren, erlischt. Bei späterer Gelegenheit werde ich einige darauf be-
zügliche Erfahrungen mitteilen.
3) Nur die Hirnrinde des bekanntlich in sehr ausgebildetem Zustande ge-
bornen Meerschweinchens zeigt spät eintretende aber deutliche Säuerung.
Müller, Blumenblätter als Lockspeise für Vögel. 491
laufenden, der in ähnlichen Beziehungen zu der Thätigkeit der grauen
Substanz zu stehen scheint, wie der Säuerungsprozess beim Muskel
zur Muskelthätigkeit. Wäre die Säuerung eine Leichenerscheinung,
so wäre ihr schnelles Schwinden schwer verständlich, und die that-
sächlich mögliche funktionelle Restitution einer erstickten Hirnrinde
ganz unfassbar.
Dass am durchbluteten Gehirn nichts von dieser Säurebildung
erkannt wird, liegt an der fortwährenden Beseitigung des fortwährend
sich bildenden Produktes durch den Blutstrom. Wird er gehemmt,
so häufen die Zersetzungsprodukte sich an und werden nachweisbar.
Je thätiger die graue Substanz, desto reger wird ihr Stoffwechsel,
desto reichlicher vermutlich auch die Säurebildung sein. Das wird
beim Warmblüter nicht anders sein können, als beim Frosche, bei
welchem ich dureh Strychninvergiftung die Säurebildung steigern konnte.
Von der tiefen Narkose könnte man vielleicht erwarten, dass sie
diese Prozesse lahmlege oder wenigstens verringere. Ob das letztere
nieht wirklich der Fall ist, müssten quantitative Versuche entscheiden.
Dass die schlafende Rinde aber chemisch nicht unthätig ist, dass sie
wenigstens noch eine Vita minima führt, das beweisen die obigen
Experimente.
Fritz Müller, Feijoa, ein Baum, der Vögeln seine Blumen-
blätter als Lockspeise bietet.
Kosmos, 1886, Bd. I, Heft 2, S. 93—98. Mit 1 Holzschnitt.
„In Europa sehen wir Vögel nur ausnahmsweise von Blumen angelockt.
Sperlinge z.B. beißen gern die Blüten des gelben Crocus ab, Dompfaffen beißen
mit ererbter Geschicklichkeit aus Schlüsselblumen grade denjenigen Querschnitt
aus dem untern Teile der Blüte aus, welcher den Honig enthält. Irgendwelche
Anpassung der Blumen, welche solche gelegentliche feindliche
Angriffe von Vögeln unschädlich machte oder gar in einen Vorteil für
die Pfanze verwandelte, hat sich daher eben wegen der Seltenheit dieser
Angriffe bei keiner unserer Blumen durch Naturauslese geeigneter Abände-
rungen ausprägen können“. Dies die Worte, welche Hermann Müller 1879
niederschrieb. Kürzlich hat nun in dem an wunderbaren biologischen An-
passungen so reichen Brasilien Verfasser die Entdeckung gemacht, dass der
dort allgemein bekannte in Wuchs und Belaubung dem Goiabenbaume (Psidium
pomiferum) gleichende und seiner wohlschmeckenden Früchte, der Goiaba do
campo, halber gerühmte Feijoabaum in hoher Vollkommenheit eine derartige
Anpassung darbietet.
Die vier Blumenblätter von Feijoa sind beim Aufblühen etwa 15 mm lang
und breit ausgebreitet und an der nach außen gewölbten Seite schmutzig gelb-
lich weiß, mit bräunlichen und rötlichen Punkten und Fleckchen gezeichnet.
Sie wachsen danach sehr rasch, in Tagesfrist zu 25 mm Länge und 30 mm
Breite heran. Anstatt aber diese stattlichen Blumenblätter ausgebreitet zur
Schau zu tragen, rollt die Feijoa dieselben den Vögeln wie einen Eierkuchen
zu einem einzigen bequemen Bissen zusammen. Dabei kleiden sich dieselben
in ein weithin leuchtendes Weiß, werden fleischig und erhalten — anfangs
192 Dewitz, Anleitung zur Anfertigung u. Aufbewahrung zootomischer Präparate.
fast geschmackslos oder von harzig-brennendem Geschmack — einen reinen
zuckersüßen Geschmack. Die zahlreichen (50— 60) Staubgefäße mit dunkel
blutroten Staubfäden und hellgelbem Blütenstaub sowie der Griffel scheinen
durch ihre Festigkeit den großen Bestäubungsvermittlern gleichfalls angepasst.
Nachdem Verfasser beobachtet hatte, dass die Blumenblattröhren kurz
nach ihrer Entwicklung abgebissen wurden, ertappte er als die Thäter schwarze
und braune Vögel, wahrscheinlich die S' und 2 eines Thamnophilus, welche
die leckern Blumenblätter abbissen und, Staubbeutel und Narben dabei mit
dem Kopfe berührend, die Bestäubung vollzogen.
F. Ludwig (Greiz).
Ein in tiergeographischer Hinsicht interessanter Fund
ist von Dr. OÖ. Zacharias zu Hirschberg i/Schl. bei Gelegenheit einer zweiten
Abfischung der beiden Koppenteiche des Riesengebirges (Sommer 1885) ge-
macht worden, insofern die rote Varietät der Hydrachnide Pachygaster tau-
insignitus Lebert (= Lebertia insignis Neumann) in den beiden genannten
Hochseen zahlreich nachgewiesen wurde. Bisher war diese Wassermilbe nur
aus gewissen Seen Schwedens und der Schweiz (Züricher und Zuger See) be-
kannt. Ihr Vorkommen, welches von Dr. Z. im neuesten Hefte des 43. Bandes
der Zeitschr. f. wissensch. Zoologie (1886) gemeldet wird, ist für Deutschland
mit Ausnahme eines vereinzelten Fundes bei Lübeck neu.
H. Dewitz, Anleitung zur Anfertigung und Aufbewahrung
zootomischer Präparate.
Berlin, 1886. Verlag von Mayer und Müller. 96 Seiten, 12 Tafeln.
„Für Studierende und Lehrer“, so sagt der Titel, ist dieses Buch bestimmt,
das ein Erstling, und kein schlechter, in seiner Art ist. Und für naturwissen-
schaftliche Lehrer an Gymnasien, Realgymnasien u. s. w. dürfte dasselbe in
der That in erster Reihe von Nutzen sein. Für einen solchen freilich, welcher
während seiner akademischen Studienzeit niemals Gelegenheit gehabt, d. h.
wohl mit andern Worten nie diese Gelegenheit aufgesucht hat, das eine oder
andere Tier unter sachkundiger Leitung zu zergliedern — teils um seinen Bau,
teils um Handhabung und Gebrauch von Messer, Schere und Pinzette kennen
zu lernen — für den wird es auch mit Hilfe dieses Buches sehr schwer sein,
in der angedeuteten Richtung zu arbeiten und etwas zu schaffen, das dann
andern wirklich etwas nützt. Jedenfalls aber ist das Buch in einem Stil und mit
einem so sichtlichen Streben nach Klarheit und Deutlichkeit in der Darstellungs-
weise geschrieben, dass es das, was mit einem solchen Leitfaden erreicht wer-
den kann, aller Wahrscheinlichkeit nach erreichen wird.
Damit aber diese „Anleitung“ in Zukunft der ihr gestellten Aufgabe um
so besser gerecht werde, wünschen wir ihr recht bald eine 2. Auflage, und
zwar eine solche mit andern Abbildungen. Die jetzigen sind nicht alle
derart, dass sie das genannt werden könnten, was sie hier in erster Reihe sein
sollten: nämlich klar und, deutlich, und sie lassen nicht immer, was mindestens
sehr wünschenswert wäre, auf den ersten Blick erkennen, worauf es eigentlich
ankommt. Von dieser Kritik nehmen wir übrigens ausdrücklich Tafel V aus
mit der Anodonta und noch einige andere. Größere Abbildungen, vielleicht
in billigerer, z. B. zinkographischer Herstellungsweise, würden besonders zu
empfehlen sein für solche wie die Figuren 75, 68, 42 — einfachere, mehr
schematische Behandlung 2... B. für. ur Figuren 2, 41 und 58. idn.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. . _ Druck von Junge. & Sohn i in n Erlangen.
Biologisches Öentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
VI. Band. 1. Juni 1886. Nr. 7.
der Schweizer Seen. — Albrecht, Ueber die morphologische Bedeutung der
Penischisis, Epi- und Hypospadie. — Simon H. und Susanna Phelps Gage,
Wasseratmung bei weichschaligen Schildkröten, ein Beitrag zur Physiologie der
Atmung bei Wirbeltieren. — Ehrlich, Ueber die Methylenblaureaktion der
lebenden Nervensubstanz.
Einige neuere Arbeiten über Schwämme.
Kritisch referiert von G. C. J. Vosmaer.
(Schluss.)
Ausgehend von der Hypothese, dass die Ceratina jünger sind
und in anbetracht der Thatsache, dass die besprochenen Gruppen
unter einander näher verwandt sind, habe ich sie zu einer Ordnung
vereinigt, den Cornacuspongiae, welche in die Haliehondrina
und Ceratina zerfallen. Zu den ersten rechne ich die Renieriden
und Chaliniden der Autoren (Halichondridae), die Spongillidae,
Desmacidonidae und Ectyonidae, welche in dieser Reihenfolge
im großen und ganzen ein immer prononcierteres Auftreten von Spon-
gin zeigen. Es ist vor der Hand noch unmöglich etwas mehr als
rein mutmaßlich zu sagen, wie diese Familien unter einander zu-
sammengehören.
Bis jetzt — und selbst Pol&jaeff scheint dies auch zu wollen —
hat man nach meiner Meinung viel zu viel an der Idee festgehalten,
dass alle Schwämme, deren Spieula einaxig sind, zusammengehören.
Ich dagegen habe die sogenannten Monactinelliden auflösen zu müssen
geglaubt und lege hierauf Nachdruck. Ich war hiervon schon über-
zeugt, als ich das Kapitel „Anatomie“ im „Bronn“ schrieb, und wies
darauf hin, „dass Stabnadeln sowohl aus triaxilen als aus tetraxilen
Nadeln entstehen können“ !). Womit natürlich nicht gesagt ist, dass
dies der einzige Modus ihrer Entstehung sei.
4) Bronn, Porifera S. 178.
VI, 13
194 Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme,
Ich habe die Porifera non calcarea in drei Ordnungen zerlegt:
Hyalospongiae (Hexactinelliden), Spieulispongiae und Cor-
nacuspongiae. Für die erste ist das eigentümliche „Hexactinelliden-
Skelet“ maßgebend, für die dritte ein neues Faktum, nämlich die Dif-
ferenzierung gewisser Bindegewebszellen in Spongoblasten, also das
Auftreten von Spongin. Bei der zweiten Ordnung dagegen, den Spi-
eulispongiae, finden wir keines von beiden; die Spieula sind weder
durch Kieselmasse noch durch Spongin verbunden, hängen tiberhaupt
loser zusammen oder geben, falls sie fest sind, durch ihre eigen-
tümliche Lage und Form dem Skelet mehr Halt. Die Spieuli-
spongiae, so genannt wegen des vorwiegenden Auftretens von relativ
lose zusammenhängenden Spicula, habe ich in fünf Unterordnungen
eingeteilt, welche aber nicht alle gleich scharf von einander getrennt
sind. Dies ist auch meines Erachtens nicht nötig, weil so etwas mir
a priori unmöglich scheint. Die erste Unterordnung bilden die Li-
thistina; wie diese mit den andern Subordines zusammenhängen,
ist noch schwer zu sagen. Das Vorkommen aber von tetraxonen
Spieula, die Beschaffenheit der Grundsubstanz und das Kanalsystem
weisen wohl auf Zusammenhang mit der zweiten Unterordnung, den
Tetraxonina (ungefähr — Tetraectinelliden Autt.) hin. Von diesen
oder ähnlichen Formen scheinen mir die weitern Gruppen, unter
steter Degeneration des Skeletes, abzustammen. Ich habe zu den
Tetraxonina auch die Plakinidae und Corticium gerechnet.
Dass diese überhaupt dazu gehören, wird man wahrscheinlich kaum
bestreiten, und wir haben hierin sehr wichtige Beispiele vom all-
mählichen Verkümmern und Schwinden der tetraxonen Nadeln. Aber
auch unter den Geodiden kommt dies schon vor; hat man doch in
Caminus und Puchymatisma die glänzendsten Beweise. Oskar
Schmidt (10) hat grade kürzlich zugegeben, dass er seinen Ca-
minus nur zu oberflächlich untersucht und beschrieben habe, und so
meine Vermutung ') zur Wahrheit gemacht. Die ganze Anatomie
weist nun aber auch darauf hin, wie nahe Tethya und Tuberella mit
den Tetraxonina verwandt sind. Man hat dies schon von verschie-
denen Seiten hervorgehoben, und so habe ich denn auch diese beiden
als Pseudotetraxonina in die Ordnung eingereiht. Ich habe viel
Gewicht auch auf die Anordnung der Spieula gelegt. Bei den Geo-
didae, wo die anatomischen Verhältnisse am meisten differenziert
sind, existiert immer ein Zentrum, von wo aus sich Bündel von Spi-
cula nach der Peripherie begeben, auch ist die Rinde sehr stark
entwickelt und von Skeletelementen gestützt. Bei denjenigen Formen,
wo die tetraxonen Nadeln zurücktreten, ist auch fast immer die Rinde
dünner. Sie verliert nämlich teilweise ihren Zweck, da sie nur dann
einen bedeutenden Halt gibt, wenn die eigentümlichen tetraxonen
1) Bronn S. 310.
Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 195
Spieula sie fest mit dem Körper verbinden oder so liegen, dass sie
bei eventuellem Druck eine Stütze bilden. Unter den Ancoriniden
besitzen viele noch eine Rinde, besonders aber starke Faserrinden,
worin Kügelchen oder Sternchen zerstreut liegen, indess nie, obwohl
oft in großer Anzahl, so zusammengepackt wie bei den Geodiden.
Eine Tendenz zur sphärischen Form, möchte ich sagen, bleibt immer
noch erkennbar, oft sehr ausgeprägt. Wir finden bei den Tethyaden
diese Kugelform und damit zusammenhängend die radiäre Anlage
der Spieula, die eigentümlichen Sternchen und die Rinde, die Be-
schaffenheit der Grundsubstanz mit ihrem meist körnigen Bindegewebe
und zahlreichen Fasern. Aber Schritt für Schritt sieht man diese
Charaktere eingehen. Zunächst scheinen unter den Nadeln die Spitz-
winkler, wie ich die „reeurvoternates“ von Bowerbank genannt
habe !), zu verkümmern oder zu verschwinden. Dann die Stumpf-
winkler ?), endlich die Geodienkügelchen, dann erst die Rechtwinkler
und „Gabelanker“ (Schmidt), zuletzt die Sternchen. Mit dem Ver-
schwinden der Rinde treten selbstverständlich manche Vereinfachungen
im Kanalsystem ein. Die komplizierten Chonen und Crypts können
sich nicht mehr ausbilden. Alles weist auf Degeneration hin; selbst
wenn wir das Beispiel der Plakiniden nicht hätten, so ist doch die
Sache viel leichter denkbar, wenn wir dies annehmen, als umgekehrt
eine progressive Entwicklung, ein Auftreten stets komplizierterer ana-
tomischer Verhältnisse und vielfacher Nadelformen. Von diesem Ge-
sichtspunkte aus lassen sich die Chondrosiden und Halisareiden (we-
nigstens Oscarella) als degenerierte Formen auffassen, so wie auch
die Tethyaden. Ich hoffe hiermit zu genauen Untersuchungen in
dieser Hinsicht angeregt zu haben, z.B. ob sich beweisen lässt, dass
die Stabnadeln einer Tethya oder Tuberella von tetraxonen Nadeln
stammen. Aber wenn auch diese genannten Schwammgruppen in-
betreff ihres Skeletes und gewisser anderer anatomischer Elemente
degeneriert sind, so schließt dies natürlich nicht aus, dass sie sich in
andern Hinsichten progressiv entwickelt haben können.
Auf der andern Seite scheint mir nun auch eine engere Ver-
wandtschaft zwischen den sogenannten Suberitiden der Autoren und
Tethya zu existieren. Auch dies ist schon von vielen gefühlt worden,
und darum hat man Tethya oft zu dieser Gruppe gerechnet. Bei Po/y-
mastia findet man noch eine Faserrinde, bei Weberella ebenfalls, ob-
wohl oft nicht so deutlich. Ebenso bei Tentorium, Osculina und Pa-
pillella. Was aber besonders ins Auge fällt, ist die Anordnung der
Spieula, welche sich immer noch von der typischen radiären Anlage
ableiten lässt. „Denken wir uns, dass die Radien nicht alle gleich
4) Bronn S. 157.
2) „Dreizähnige Anker mit abwärts gerichteten Zähnen“ (Schmidt).
Bronn 8. 157.
119.5
196 Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme.
lang sind, sondern vorzüglich nach der obern Hälfte wachsen, so
bekommen wir nicht mehr kuglige, sondern halbkuglige Formen oder
Scheiben (Polymastia), wobei die kleinen Randspicula !) teilweise
mehr senkrecht auf die vertikale Axe des Körpers zu stehen kommen.
Denken wir uns schließlich sehr verlängerte Formen, wo also nur
sehr wenige Radien (völlig) entwickelt sind, so können wir uns das
Entstehen von Skeletverhältnissen vorstellen, wie es bei einigen Su-
beritiden der Fallist, nämlich eine zylindrische Axe mit ringsum senk-
recht darauf stehenden kleinen Spieula“ (Bronn 8. 178). Und so
glaubte ich auch die meisten sogenannten Suberiten der Autoren hier-
mit in enge Beziehung bringen zu müssen.
Die wichtigste Schwammarbeit der letzten Zeit ist wohl Pole-
jaeff’s „Keratosa“. Wir haben schon früher die „Calcarea“ dieses
Autors besprochen und gesehen, mit welcher Gewissenhaftigkeit und
Logik Pol&ejaeff arbeitet. Es gibt auf spongiologischem Gebiete
leider noch immer zu wenig Forscher, welche es wenigstens ver-
suchen, dem von Schulze angegebenen schweren, aber einzig
richtigen Wege zu folgen. Um so größer die Freude, wenn man
jemand diesen Weg doch wandeln sieht. „All the specimens in
the collection not devoid of soft parts have been examined with re-
gard to their canalsystem and skeleton“, wird S. 35 gesagt. Diese
Sammlung zählt 34 verschiedene Formen, wovon 21 neu, und P. gibt
von allen mehr oder weniger ausführliche Beschreibung und Abbildung.
Schon lange hatte man die Genera Janthella, Coscinoderma, Luffaria,
Verongia aufgestellt, Marshall hat noch Psammoclema und Psammo-
pemma errichtet; allein man kannte von allen kaum mehr als den
Namen und etwas vom Skelet. Eine Anatomie, auf genaue mikro-
skopische Beobachtung an gut erhaltenem Material begründet, hat
erst Pol&jaeff geliefert und damit die ersten wissenschaftlichen
Schritte gethan. Als ich derzeit einen Versuch, die Ceratina zu klassi-
fizieren, lieferte, habe ich sogar einige der oben genannten Gattungen
gar nicht erwähnt, weil ich selbst sie nicht gesehen hatte und aus
der vorliegenden Literatur nicht klug wurde. Pol&jaeff bespricht
ausführlich die verschiedenen Systeme und adoptiert schließlich das
meinige, jedoch nur als ein vorläufiges. Dass manches daran fehlt,
gebe ich zu, und auch ich sehe es nur als ein vorläufiges an. So
ganz unnatürlich aber, wie P. meint, wenn ich ihn richtig verstehe,
glaube ich, ist es doch nicht. Ich hatte fünf Familien ange-
nommen; die fünfte war die der Hircinidae?). Ich stimme P. bei,
wenn er diese aufgibt. Es bleiben also vier Familien: Spongeli-
dae, Spongidae, Aplysinidae und Darwinellidae, welche
1) Nämlich an der Peripherie — die Homologa der echten Rindenspieula.
2) Schon Pole&jaeff hat darauf hingewiesen, dass in meiner Arbeit Ok-
goceras irrtümlich mit hinein gekommen ist.
Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 197
ich auch im „Bronn“ angenommen habe. Zu den Spongeli-
dae bringt P. nun auch die Gattungen Psammoclema und Psammo-
pemma Marshall’s, während er Psammascus Marsh. als identisch
mit Spongelia (—= Dysidea Johnst.) einzieht. Zu den Spongidae
werden gerechnet Euspongia, Cacospongia, Hippospongia, Coscino-
derma, Phyllospongia, Carteriospongia und Stelospongia. Zu den
Aplysinidae stellte ich Ap/ysina und bedingungsweise auch Ve-
rongia, Dendrospongia und Janthella. Die beiden letzten gehören nun
nach Pol&jaeff zu den Darwinellidae. Ich kann ihm aber hierin
nicht beistimmen, und ich habe diese Gattungen vorläufig in einem
Anhang aufgenommen. Es scheint mir die baumartige Verästelung
der Sponginfasern für die Darwinellidae zu charakteristisch.
Dagegen hat P. die Familie der Aplysinidae um Lufaria be-
reichert. Was endlich die vierte Familie betrifft, so hatte ich Aply-
silla und Dendrilla dazu gebracht und bedingungsweise Darwinella.
Pol&jaeff hat Gelegenheit gehabt gut konservierte Exemplare dieser
Gattung zu studieren und konnte meine Vermutung für richtig er-
klären.
Der Hauptgrund, welcher P. veranlasst meine Gruppierung als
unbedingt unnatürlich zu erklären, liegt in folgendem. Euspongia,
sagt er, ist mittels Zufaria und Verongia mit Aplysina verwandt,
aber anderseits mittels Carteriospongia mit Spongelia. Und allerdings,
wenn dem so wäre, so spräche mein System absolut gegen die na-
türlichen Verhältnisse. Es scheint mir aber kein Grund dafür vor-
zuliegen, dass Euspongia mit Aplysina in der Weise verwandt sei,
wie P. behauptet. Und sobald dies nicht bewiesen ist, können, wie
mir scheint, die von mir aufgestellten Familien noch bestehen bleiben.
Nach meiner Auffassung — und wir werden sehen, auch nach der-
jenigen Pol&jaeff’s — hängen Darwinella, Dendrilla und Aplysilla
unter sich enger zusammen als mit irgend einem andern Genus. Und
ebenso Spongelia, Psammopemma und Psammoclema. Velinea weicht
mehr ab und bildet schon einen Uebergang zu den Darwinellidae.
Die möglichen genealogischen Verhältnisse stelle ich mir folgen-
dermaßen vor.
Angenommen dass das richtig ist, was ich über ihre Abstammung
von sogenannten Monactinelliden sagte, so sehe ich die Spongeli-
dae als die ältern Formen an: erstens wegen ihres weniger ent-
wickelten Kanalsystems, und zweitens wegen der geringern Ent-
wicklung von Spongin. Aus Spongelia-artigen Formen haben sich
wahrscheinlich die Darwinellidae und Aplysinidae entwickelt,
für welche Hypothese Velinea viel beiträgt, aber auch anderseits die
Spongidae. Das Auftreten von Spongoblasten habe ich als eine
neue Erwerbung dargestellt, wodurch allmählich andere Kennzeichen
als unnütz oder überflüssig verschwinden. Bei den Spongelidae ist
die Spongin-Entwicklung noch sehr gering; bei den Spongidae
198 Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme.
schon viel stärker, ja es gibt da Genera, welche noch kaum Fremd-
körper in die Fasern aufnehmen brauchen. Das Kanalsystem wird
komplizierter, und die jetzigen Hornschwämme stellen, nach dieser
Auffassung, eine progressiv sich entwickelnde Gruppe dar. Die Dar-
winellidae und Aplysinidae sind noch weiter fortgeschritten.
Die Sponginfasern bedürfen nie der Fremdkörper, und bei den
Aplysiniden hat das Kanalsystem seine höchste Differenzierung er-
reicht. Ich sage hiermit nicht, dass die Spongidae direkt von den
Spongelidae stammen, und dass aus den Spongiden die Dar-
winellidae und dann Aplysinidae entstanden sind. Dies ebenso
wenig wie Menschen von Affen abstammen. Es kann ungefähr so sein:
Aplysinidae
Darwinellidae /e
N
\
Mt d In
\
\ Spongidae
\ |
\a
Spongelidae
Wenn man nun auch gewisse Uebereinstimmungen findet zwischen
Aplysiniden und Spongiden, so scheint dies mir noch kein Beweis
gegen den hypothetischen Stammbaum. Gehen doch beide von dem
Stamme a aus und werden also Kennzeichen davon beibehalten. —
Ich wiederhole: das System ist noch nicht fest begründet, aber ich
glaube nicht, dass es durchaus unnatürlich ist. Polejaeff nimmt
vorläufig mein System an. Am Schluss seiner Arbeit kommt er aber
auf die Sache zurück und sagt, die ganze Gruppe der Hornschwämme
sei nur eine Familie. Diese Familie umfasse eine Anzahl von Ge-
nera, welche jedoch teilweise in Subgenera sich spalten lassen.
Das Ganze läuft also darauf hinaus, dass er der geringen und
quantitativen Unterschiede wegen von Genera redet, wo ich Familien
sagte. Dies ist allerdings insofern eine Verbesserung, als die Dif-
ferenzen wirklich kaum größern Wert haben. Das Verfahren scheint
mir aber unpraktisch, und man vergesse nie, dass die ganze Ein-
teilung doch nur für die Praxis gemacht ist. Scharfe Grenzen sind
nirgends vorhanden, und wo man sie in der Natur findet, da liegt
der Grund nur an mangelhafter Kenntnis an Mangel an Zwischen-
formen, die doch sicherlich existieren oder existiert haben. Nur der
Praxis wegen geben wir den Tieren Namen, um sie unterscheiden
zu können. Nur müssen wir bei der Gruppierung nicht willkürlich
arbeiten, sondern versuchen, die nächsten Verwandten zu einander zu
Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme. 199
stellen. Ebenso wenig wie die Charaktere, welche verschiedene
Species unterscheiden, für alle Tiere absolut gleichwertig sind, ebenso
wenig kann man verlangen, dass der Begriff „Gattung“ immer ein
absolut äquivalenter ist. Er braucht es auch nicht sein. Und so
glaube ich, dass der Streit zwischen P. und mir nur einer über Worte
ist. In der Hauptsache sind wir unabhängig von einander wieder zu
gleichen Schlüssen gekommen. Dass auch ich die Ceratina (oder
Keratosa) nur als Unterabteilung ansehe, beweist meine Darstellung
im „Bronn“ (s. oben).
Fassen wir die Resultate zusammen, so können wir folgendes
sagen. Die Ahnen der Schwämme stammen wahrscheinlich von Pro-
tozoen-Kolonien. Sie haben alsbald ihre freie Bewegung aufgegeben
und sich festgesetzt. Dass ein Urschwamm etwa wie ein Olynthus
ausgesehen hat, wie Schulze will, ist sehr leicht möglich. Dies
sind aber reine Hypothesen. Hingegen sprechen verschiedene That-
sachen dafür, dass erstens die Hexactinellidae die ältesten
Schwämme sind, dass zweitens die Spiculispongiae eine dege-
nerierende Gruppe darstellen, und dass drittens die Cornacuspon-
giae eine ursprünglich wohl degenerierte Gruppe sind, die sich aber
durch Ausbildung neuer Elemente jetzt wieder aufschwingt. Was die
Kalkschwämme betrifft, so scheinen die jetzigen Formen sich pro-
gressiv zu entwickeln. Alle durchlaufen das Olynthus - Stadium, und
besonders stellen nach Polejaeff’s Untersuchungen die Sycon - artigen
Formen eine niedrigere Stufe dar als die Leucon-artigen. Wie aber
diese Thatsachen sich mit der Paläontologie in Uebereinstimmung
bringen lassen, ist einstweilen noch völlig unklar.
lI. Nerven und Muskeln bei Schwämmen.
Nach Lendenfeld sollen Schwämme wirklich Nerven und Mus-
keln besitzen. Ich habe mehrmals gemeint, etwas Nervenartiges ge-
sehen zu haben, und ähnliches hat Pol&jaeff mir mitgeteilt (vergl.
Bronn S$. 181). Jedoch konnten wir nie mit Sicherheit ihr Vorhan-
densein behaupten. Nun gibt Lendenfeld ihre Anwesenheit
als bestimmt an; jedoch muss ich sagen, dass seine Gründe mir
nichts weniger als beweisend vorkommen. Eine ausführliche Be-
schreibung mit sehr genauen Abbildungen thut deswegen sehr not,
vor allem aber neue Beobachtungen. Verf. hat die „sensitiven BEle-
mente und Ganglienzellen“ zuerst bei Kalkschwämmen (3) gefunden
und zwar bei Heterocoelien, nicht bei Homocoelien. Bei Sycandra!)
arborea H. sind nach Verf. die Sinneszellen zu einem Ringe, der
3—5 Zellen breit ist, in der Wand der Poren gruppiert. Sie sind
1) Ascandra steht in der betreffenden Arbeit. Dies ist aber offenbar ein
Druckfehler.
200 Vosmaer, Einige neuere Arbeiten über Schwämme.
sehr klein, spindelförmig, sehr tingierbar. Der dünnere proximale
Teil spaltet sich in feine Ausläufer. Das gewöhnliche Plattenepithel
fehlt an der Stelle, wo die Sinneszellen an die Oberfläche heran-
treten; sie treten sogar „in Form kleiner Höcker“ hervor. „Im Leben
mögen hier wohl Sinneshaare, Tastborsten sitzen.“ Die kontraktilen
Fasern in der Umgebung nennt Verf. denn auch „Muskelzellen“.
Eigentümliche Ganglienzellen sollen ebenfalls an der erwähnten Stelle
vorkommen, und Verf. glaubt „gesehen zu haben, dass einzelne
Ausläufer sich mit den basalen Ausläufern der Sinneszellen in Ver-
bindung setzen“.
Bei Aulena, einem neuen Hornschwamm, fand er (2) in Gruppen
angeordnete, senkrecht auf der Oberfläche eigentümlicher Membranen
stehende spindelförmige Zellen. Ein Teil von einer solchen Zelle,
nämlich die Spitze, soll durch die Membranwand dringen und eine
Art „Palpoeil“ bilden. Das Protoplasma dieser Zellen ist sehr un-
durchsichtig, der Kern groß, oval. Das andere Ende der Zellen
„scheint“ Fortsätze auszusenden, welche in die Grundsubstanz dringen.
Verf. „glaubt“, dass diese Ausläufer der „sensitiven Zellen“ mit Fort-
sätzen von tiefer gelegenen „miltipolaren Ganglienzellen“ in Verbin-
dung steben. Die Spindelzellen in der Grundsubstanz selbst nimmt
er als Muskelzellen in Anspruch und „zweifelt nicht“ daran, dass sie
mit Ausläufern der „Ganglienzellen“ ebenfalls in Verbindung stehen.
Bei einer Euspongia-Art fand er zwischen dem eigentlichen
Schwammkörper und der skeletlosen Partie eine Membran, welche
aus 3—4 Reihen spindelförmiger Zellen besteht. Diese sind „ganz
gefüllt“ mit einer grobkörnigen, doppelt brechenden Masse. Obwohl
diese Körner unregelmäßig zerstreut liegen, so glaubt Verf. doch eine
Art Tendenz beobachtet zu haben zur Gruppierung in Reihen oder
Scheiben. Er fasst diese Zellen als Mittelform zwischen einfachen
und quergestreiften Muskeln auf. Am Distalende dieser „Muskel-
membran“ ist eine Verdiekung. An dieser Stelle findet man eine
Anhäufung von „Ganglienzellen“, und Verf. vergleicht diese Bildung
mit den Ringnerven der Craspedoten. Auch sensitive Zellen wie die
von Aulena hat er hier gefunden.
v. Lendenfeld fasst (5) seine Resultate folgendermaßen zu-
sammen:
Sycandra arborea H. Die Sinneszellen bilden einen Ring am Ein-
gange der einführenden Kanäle.
Grantessa sacca Ldf. Die Sinneszellen stehen in Gruppen am
Eingange der einführenden Kanäle.
Vosmaeria gracilis Ldf. und Sycandra pila Ldf. Die Sinneszellen
stehen in Gruppen weiter ab im Umkreise der Einströmungsöffnungen.
Leucandra saccharata H. und L. meandrina Ldf. Die Sinnes-
zellen stehen in Gruppen, welche unregelmäßig über die Oberfläche
zerstreut sind.
Forel, Fauna der Schweizer Seen. 201
Leucetta microraphis Ldf. und Leucaltis Helena Ldf. Die Sinnes-
zellen stehen einzeln an der Oberfläche zerstreut, scheinen jedoch
zahlreicher in der Nähe der Einströmungsöffnungen zu sein.
Aulena villosa Ldf. Die Sinneszellen stehen in kleinen Gruppen
an den Vereinigungslinien der Membranen, welche im Vorhofsraume
ausgespannt sind.
Halme globosa Ldf. Die Sinneszellen stehen in Gruppen an den
Rändern der Membranen, welche in den lakunösen Räumen des ein-
führenden Kanalsystems ausgespannt sind.
Euspongia canaliculata Ldf. Die Sinneszellen bilden Zonen,
welche an der Oberfläche die lakunöse Ausbreitung des ausführenden
Systems umziehen.
Beide Gebilde, Nerven- sowie Muskelzellen, sind mesodermal.
Wie im Anfange gesagt, ist es noch lange nicht bewiesen, dass
die betreffenden Zellen wirklich Nerven sind. Spezifische Reagentien
auf Nerven fehlen uns noch, und die Verbindung zwischen den
sogenannten Sinneszellen, Ganglien und Muskeln ist noch nieht
beobachtet. Es ist also die Behauptung, dass Schwämme Nerven
besitzen, eine reine Hypothese.
A. Forel, Fauna der Schweizer Seen.
Neue Denkschriften der allgemeinen schweizerischen Gesellschaft für die ge-
samten Naturwissenschaften, 1885.
A. Forel, der gründliche Kenner und Erforscher der Fauna,
zumal der Tiefenfauna der Schweizer Seen, hat in seiner letzten Arbeit
über diesen Gegenstand ausführlich seine Ansichten niedergelegt über
die Herkunft derselben. Er kommt zu dem Schlusse, dass sie der
Hauptsache nach von der Uferfauna abstammen müsse. Derselben
Anschauung haben freilich schon andere Forscher vor Forel Aus-
druck gegeben; aber noch keiner hatte sie so ausgiebig begründet,
noch keiner hatte andere Vermutungen über die Abkunft der Schweizer
Tiefseefauna so gut widerlegt wie Forel.
Nach ihm ist zu unterscheiden zwischen einer freiwilligen,
selbständig thätigen Wanderung in die Tiefe — und einer unfrei-
willigen, welche durch andere Tiere, durch Strömungen und durch
erst schwimmende, später versinkende Gegenstände vermittelt wird.
Die selbstthätige, wenn auch unbeabsichtigte [darum ist der
Ausdruck „freiwillige“ eigentlich nicht recht zutreffend] wird nur bei den
Formen stattfinden können und stattgefunden haben, denen eine ver-
hältnismäßig große Beweglichkeit eigen ist. Der träge Schlamm-
bewohner sowohl als diejenigen Formen der Uferfauna, welchen zu
ihrem Leben der Pflanzenwuchs der höchstgelegenen Wasserschiechten
unentbehrlich ist, werden schwerlich jemals durch eigne Bewegung
202 Forel, Fauna der Schweizer Seen.
hinabgelangen können. Für andere Formen stellt sich Forel diese
selbstthätige Wanderung so vor: ein bestimmter Bruchteil von den
Tieren solcher leicht beweglicher Arten verirrt sich; der Abfall des
Seegrundes nach der Tiefe ist ein zu sanfter, als dass für das Gefühl
der Tiere die Steigung des Bodens recht deutlich zum Ausdruck
kommen könnte und auf diese Weise ein Wiederzurechtfinden leicht
denkbar wäre, und so geraten dieselben immer weiter abwärts.
Wiederum ein Bruchteil der solchergestalt „verirrten“ Tiere besitzt
Widerstandskraft gegen neue Lebensverhältnisse und Fähigkeit der
Anpassung an dieselben genug, um dann zu einer wirklichen Tiefen-
fauna beizutragen.
Man sieht schon, auch Forel betrachtet diese „freiwillige“ Wan-
derung als etwas Nebensächliches gegenüber der andern, der „un-
freiwilligen“, letztere vermittelt durch andere Tiere, durch Strö-
mungen und durch erst schwimmende, später versinkende leblose
Gegenstände. Bei dieser letztern unterscheidet Forel viererlei Art.
Erstens ist es denkbar und wohl sicher als geschehend anzunehmen,
dass Fische solche Formen, welche mit ihnen in irgend welcher Art der
Symbiose leben, in andere Wasserschichten verschleppen. Embryonen
von Süßwassermuscheln setzen sich bekanntlich eine Zeit lang an
Fischen fest, machen also in dieser Zeit alle Wanderungen derselben
mit, und dasselbe versteht sich für Formen, welche als echte Schma-
rotzer der Fische leben, z. B. gewisse Würmer und Krebse. Zwei-
tens bildet das Wasser der Seen rückläufige, nach der Tiefe ge-
richtete Strömungen. Durch Winde werden Oberflächenströmungen
nach dem Ufer hin erzeugt, und der Rückschlag und Ausgleich der-
selben müssen unbedingt solche Tiefenströmungen sein. Diese aber
führen dann Schlamm, Pflanzenteile und anderes mit sich fort, und
damit mittelbar auch Tiere oder deren Eier. Drittens werden häufig
genug vom Ufer her Holzstücke, Blätter und ähnliches in die Mitte
eines Sees getrieben. An ihnen haben sich Vertreter der Uferfauna
festgesetzt, oder sie führen Eier von solehen mit sich. Nach und
nach saugen sich solche Gegenstände mit Wasser voll und sinken in
die Tiefe, die ihnen anhaftenden Lebewesen mit hinunterziehend.
Viertens endlich nennt Forel Uferrutschungen als Erklärung und
Beweggrund für solche Tierwanderungen; diese aber können verhält-
nismäßig nur geringe Bedeutung, meist nur Bedeutung haben für
wenige, räumlich eng begrenzte Oertlichkeiten.
Ein weiterer Grund für die Annahme, dass die Tierwelt der Tiefe
von derjenigen der Ufer abstammt, ist der, dass die Formen jener
zum überwiegenden Teil auch oben an den Ufern vorkommen, oder
dass sie Uferformen außerordentlich nahe stehen. Sehr wenige Tiefen-
bewohner zeigen Verwandtschaft mit Höhlenformen, noch geringer
ist die Zahl derer, deren nächste uns bekannte Verwandte Bewohner
des Meeres sind.
Forel, Fauna der Schweizer Seen. 203
Ueberlegt man nun die Sache genauer, so gelangt man notwendig
zu der Frage: könnten jene Tierformen nicht noch auf andere Weise
in die Tiefe gelangt sein? und man findet darauf in der That noch
zwei anscheinend mögliche Antworten: entweder, die heutige Tiefen-
fauna stammt unmittelbar ab von einer ehemals, schon zur Tertiärzeit
vorhandenen; oder aber man könnte sagen, die Tiefseeformen hätten
sich: fortverbreitet von See zu See; sie seien, in einem See einmal
vorhanden, dann in einen andern und wieder einen andern weiter-
gewandert. Als Drittes gibt es nur die eben ausgeführte und be-
gründete Anschauung, dass nämlich die Tierwelt der Seetiefe von
derjenigen abstammt, welche die Ufer bewohnt.
Betrachten wir indess jene zwei scheinbaren Möglichkeiten näher,
so finden wir bald genug, dass sie unhaltbar sind, und dass somit
die Forel’sche Ansicht als einzig mögliche übrig bleibt.
Ein Vermächtnis aus tertiärer Zeit erstens kann die Tiefen-
fauna der Schweizer Seen einfach darum nicht sein, weil zwischen
der Tertiärzeit und heute eine andere Zeit mitteninne liegt, während
welcher an der Stelle der jetzigen Schweizer Seen Wassertiere über-
haupt nicht leben konnten, da es während derselben, während der
Eiszeit, dort gar keine Seen gab. Man hat ja allen Grund anzu-
nehmen, dass im großen und ganzen die Oberflächengestaltung der
Schweiz, am Ende der Tertiärzeit wenigstens, dieselbe war wie heut;
man kann darum nicht gut mit dem Einwand hervortreten, dass die
Seebecken von heute damals vielleicht anderswo gelegen hätten. Haben
dieselben nun aber seit der Tertiärzeit bis jetzt ihre Lage nicht ge-
wechselt, so kann man auch nicht in Abrede stellen, dass sie wäh-
rend der Eiszeit infolge überhandnehmender Vergletscherung voll-
ständig mit Eismassen ausgefüllt waren. Auch ferner angenommen,
sie seien nicht ausgefüllt, vielmehr nur von oben her mit Eis bedeckt
gewesen, so konnten auch dann die Tierformen, welche heut die
Tiefen der Schweizer Seen bewohnen, diese Zeit nicht überstehen,
nicht in Wasser leben, das eine vermutlich sehr lange Zeit hindurch
von der atmosphärischen Luft durch eine mächtige Gletscherlage voll-
kommen abgesperrt war. Letzteres mindestens aber müsste unbedingt
der Fall gewesen sein. Jene Seebecken liegen zwischen den Alpen
und dem Jura, und bis in eine Höhe von tausend und mehr Metern
hinauf findet man auf letzterem noch erratische Blöcke, welche aus
den Alpen stammen. Das Ufer des Genfer Sees liegt etwa 40 Meter
über Meer, und somit kann man nicht gut anders als annehmen, dass
während des im ganzen von uns „Eiszeit“ genannten Abschnittes der
"hier in Frage kommenden Erdgeschichte die die heutigen Schweizer
Seen überlagernde Eismasse eine Dieke von mehr als tausend Metern
erreichte. Von einem Fortleben der Tiefenformen von der Tertiärzeit
bis heute wird darum unter allen Umständen abzusehen sein.
So leieht zweitens die Verbreitung der Hochseefauna unserer Süß-
204 Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie.
wasserseen aus der Verschleppung durch Wasservögel sich erklärt,
und so gleiehförmig infolge dessen diese pelagische Tierwelt überall
aussieht, so weit nur die Wanderungen unserer Wasservögel reichen,
so unmöglich ist es dagegen, in entsprechender oder ähnlicher Weise
eine Weiterverbreitung von solchen Formen anzunehmen, welche die
Tiefen dieser Seen bevölkern. Eine Verschleppung durch Wasservögel
einmal ist darum ausgeschlossen, weil auf der einen Seite diese nie
in irgendwie ansehnliche Tiefen hinabtauchen, und weil auf der andern
Seite die Tiefseetiere nie in die obern Wasserschichten heraufkommen,
nie heraufkommen können. Außerdem aber besteht zwischen den
Tiefen verschiedener Seen kein einziges Bindemittel. Der Weg von
einer Seetiefe zur andern führt nur, kann nur führen durch die oberr
Lagen des Wassers, und in diese lebend zu gelangen ist den Tiefen-
bewohnern unmöglich.
An der Hand der Ausführungen Forel’s gelangen wir also von
neuem und in sicherer, trefflich begründeter Weise zu der schon
ehedem vorhandenen Anschauung: die Tiefenfauna der Seen der
Schweiz (und der meisten andern Seen) stammt von der Uferfauna
derselben ab. idn.
Ueber die morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi-
und Hypospadie des Menschen.
Von Prof. Dr. Paul Albrecht in Hamburg.
Ausführlicher Originalauszug eines am 10. April 1886, dem 4. Sitzungstage
des XV. Kongresses der deutschen Gesellschaft für Chirurgie, zu Berlin ge-
haltenen Vortrages.
Um die morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hy-
pospadie zu ergründen, ist es zunächst von Wichtigkeit, zu wissen, was
der morphologische Wert des Penis ist. Um dieses wiederum in Erfah-
rung zu bringen, ist es nötig, sich zunächst mit den Vorder- oder Schul-
terflossen, hierauf mit den Hinter- oder Beckenflossen der Knorpelfische
zu beschäftigen. Als passendstes Objekt hierzu erbietet sich nach A.
das Skelet eines erwachsenen, männlichen Nagelrochen (Raia clavata L.).
1. Die Humeri des Rochen. Ein Roche hat nicht wie der Mensch
nur einen Humerus jederseits, ein Roche besitzt jederseits 3 Humeri.
Diese Humeri bezeichnet A. von vorn nach hinten (kranio -kaudalwärts)
gezählt, als Humerus I, II und III. Ihre bisherigen Namen waren,
in derselben Richtung gezählt, das Basale des Schulter-Propterygoid,
das Basale des Schulter-Mesopterygoid und das Basale des Schulter-
Metapterygoid. Also: —
Bisherige Bezeichnung. Albreceht’s Bezeichnung.
Basale des Schulter- Propterygoid — Humerus I,
> » E Mesome, — Sul?
D) ” ” Meta ) ar „ HL
Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie. 205
2. Die 3 Avenabula des Rochen. Mit dem Ausdrucke Avenabulum
bezeichnet A. eine auf einem Schultergürtel befindliche, zur gelenkigen
Verbindung mit einem Humerus bestimmte Gelenkfläche.
Der Mensch hat nur ein Avenabulum jederseits, der Roche drei;
nämlich nach A. ein Avenabulum I, II und III. Am Avenabulum I
artikuliert der Humerus I, am Avenabulum II der Humerus II, am
Avenabulum III der Humerus II.
3. Die 3 Schultergelenke des Rochen. Infolge dessen besitzt ein
Roche jederseits 3 Schultergelenke, nämlich eine Artieulatio omozonio-
humeralis I zwischen Avenabulum I und Humerus I, eine Artieulatio
omozonio-humeralis II zwischen Avenabulum II und Humerus I, eine
Artieulatio omozonio - humeralis III zwischen Avenabulum UI und
Humerus III.
4. Die 3 Humeralia des Rochen. Mit dem Ausdruck Humerale be-
zeichnet A. den auf einen Humerus fallenden Abschnitt der Vorderflosse,
nebst allen Skelet-, Bänder-, Muskel-, Nerven-, Gefäß- und sonstigen
Gewebselementen, sowie dem dazu gehörenden Abschnitt des Integu-
ments. Der Roche hat also jederseits 3 Humeralia; nämlich ein
Humerale I, II und II.
5. Die 2 Femora des Rochen. Ein Roche hat nicht wie der Mensch
nur ein Femur jederseits; ein Roche besitzt jederseits 2 Femora.
6. Die 2 Acetabula, 2 Hüftgelenke und 2 Femoralia des Rochen.
Infolge dessen besitzt ein Roche auch jederseits 2 Acetabula, 2 Arti-
eulationes pelvizonio-femorales und 2 Femoralia.
7. Welchen der 3 Humeri des Rochen entsprechen die 2 Femora
desselben, welchen der 3 Avenabula die 2 Acetabula, welchen der 3 Schul-
tergelenke die 2 Hüftgelenke, welchen der 3 Humeralia die 2 Femoralia?
Das am weitesten kaudalwärts liegende Femur des Rochen entspricht
offenbar dem am weitesten kaudalwärts liegenden Humerus desselben.
Da nun letzterer = Humerus III, so ist ersteres —= Femur Ill. Das
vor dem Femur III liegende Femur unseres Rochen entspricht offen-
bar dem vor dem Humerus III desselben liegenden Humerus. Da nun
letzterer — Humerus II, so ist ersteres — Femur II. Vor dem
Humerus II unseres Rochen liegt noch ein Humerus, der Humerus I;
vor dem Femur II desselben liegt aber kein Femur mehr; es fehlt also
dem Rochen das Femur I. Aus den soeben nachgewiesenen Homo-
dynamien ergeben sich die Homodynamien der Avenabula und Aceta-
bula, der Schulter- und Hüftgelenke, der Humeralia und Femoralia
von selbst. Das Femur II des Rochen bezeichnet A., weil, wie wir
weiterhin sehen werden, es dem Femur der Amphibien und Amnioten
entspricht, als Orthofemur, das Avenabulum II als Orthoacetabulum,
das Hüftgelenk II als Orthohüftgelenk, das Femorale II als Ortho-
femorale; das Femur III des Rochen hingegen bezeichnet A., weil,
wie wir ebenfalls weiterhin sehen werden, es das Femur des Hemi-
penis desselben ist, als Hemipenifemur, das Acetabulum III als
306 Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie,
Hemipeniacetabulum, das Hüftgelenk III als Hemipenihüftgelenk,
das Femorale III als Hemipenifemorale. Dann lassen sich die bisher
nachgewiesenen Homodynamien in die folgenden Tabelle zusammen-
fassen: —
Albrecht’sche Homodynamien an Schulter- und Becken-
sliedmaße des Rochen.
a) Humeri und Femora.
Humerus- True will var lenr AA eehlt;
TO N I er a am ll,
(Orthofemur),
a DI er N INT
(Hemipenifemur).
b) Avenabula und Acetabula.
Ayenabulum’l. = 7... 5 ur 2 Kchli,
2 TIERES Br ZUSIENNISR DIN cetabulume-Er
(Orthoacetabulum),
= 1 U DER er ER PASS Ela Ba a ande li II,
(Hemipeniacetabulum).
c) Schulter- und Hüftgelenke.
Artieulatio omozonio-humeralis I . . . . Fehlt,
" » II Artieulatio pelvizonio-femoralis II
(Artieulatio pelvizonio-orthofemoralis),
> e III Artieulatio pelvizonio-femoralis Il
(Artieulatio pelvizonio-hemipenifemoralis).
d) Humeralia und Femoralia !).
Humerale-lr nis a Da SHOT RER FURchlE.
b He nesneilk den a Sa iemorales1ls
(Orthofemorale),
RAS NETT ol a Bas re N BE a Prien:
(Hemipenifemorale).
Die bisherige, von der Gegenbaur’schen Schule vertretene An-
sicht war, dass an der Beckenflosse der Knorpelfische das Mesopterygoid
fehle, und dass das Albreeht’sche Femur II das Basale des Becken-
propterygoid sei, während es nach Albrecht das Basale des Becken-
Mesopterygoid ist. Also: —
4) Unter einem Femorale versteht A. wiederum den ganzen auf ein Femur
fallenden Abschnitt der Beckenflosse.
Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie. 207
Bisherige Ansicht.
Basale des Becken-Propterygoid (vorhanden),
“ „ r.LMeso.. ;,, (fehlt),
= 5 Be MeLarn. (vorhanden).
Albrecht’s Ansicht.
Basale des Becken -Propterygoid — Femur I (fehlt),
n n s Meso „ — ,„ H (vorhanden),
„ ” 2) Meta „ = IH (vorhanden).
8. Welchem der 3 Humeri des Rochen entspricht der Humerus,
welchem der 3 Avenabula das Avenabulum, welchem der 3 Schulter-
gelenke das Schultergelenk, welchem der 3 Humeralia der Arm des
Menschen? Die bisherige, von Gegenbaur vorgebrachte Ansicht war,
dass der Humerus des Menschen sowie aller Amphibien und Amnioten
dem Basale des Schulter-Metapterygoid, also dem Albrecht’schen
Humerus III, des Rochen entspricht. Albrecht ist nicht dieser An-
sicht, sondern behauptet die Homologie von Schulter-Mesopterygoid —
Humerus II des Rochen und dem Humerus der Amphibien und Amnioten.
Er ist der Meinung, dass aus der vordern freien Gliedmaße eines
Selachiers in der Weise die vordere freie Gliedmaße eines Amphibium
oder Amnioten wurde, dass sich die Fingerglieder der Selachier so-
wohl vom kranialen oder radialen, wie vom kaudalen oder ulnaren
Rande der Flosse her verloren, ein ähnlicher Prozess, wie er sich
noch heute in der Reihe der Säugetiere abspielt und zum alleinig
ausgebildet übrig bleibenden Digitus III der Pferde geführt hat.
Also: —
Bisherige Ansicht.
Amphibien.
Knorpelfische. Amnioten.
| |
Basale des Schulter - Propterygoid = Fehlt,
R 5 5 Meso „ — Fehlt,
. = 5 Meta „ — Humerus.
Albrecht’s Ansicht.
Amphibien.
Knorpelfische. Amnioten.
| |
Basale des Schulter- Propterygoid — Humerus I — Fehlt,
e 5 r Meso „ = 3 II — Humerus,
(Orthohumerus),
n 5 » Meta „ — Humerus III — Fehlt.
Mithin ist nach Albrecht’s Ansicht der morphologische Wert
des Humerus der Amphibien und Amnioten — Humerus II, und somit
der des Avenabulum dieser Tiere = Avenabulum II, der des Schulter-
208 Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie.
gelenkes = Artieulatio omozonio-humeralis II, der der ganzen vordern
freien Gliedmaße oder des Armes — Humerale II. Also: —
Albrecht’s Ansicht über den morphologischen Wert des
Humerus, des Avenabulum, des Schultergelenkes und des
Armes (Vorderbeines) der Amphibien und Amnioten.
Humerus derAmphibien undAmnioten = HumeruslI,
(Orthohumerus),
Avenabulum a — Avenabulum Il,
(Orthoavenabulum),
Schultergelenk 4 — Artieulatio omozonio-humeralisllI,
(Artieulatio omozonio-orthohumeralis),
Arm (Vorderbein) MN — Humerale I],
(Orthohumerale).
9. Welchem der 2 Femora des Rochen entspricht das Femur, welchem
der 2 Acetabula das Acetabulum, welchem der 2 Hüftgelenke das Hüft-
gelenk, welchem der 2 Femoralia das Bein des Menschen? Die bisherige
Gegenbaur’sche Ansicht war, dass das Femur der Amphibien und
Amnioten dem Basale des Becken -Metapterygoid, d. h. also dem
Albreeht’schen Femur III der Selachier entspricht. Albrecht ist
nicht dieser Ansicht, sondern behauptet die Homologie von Becken-
Mesopterygoid — Femur II des Rochen und dem Femur der Amphi-
bien und Amnioten.
Bisherige Ansicht.
Amphibien.
Knorpelfische. Amnioten.
| |
Basale des Becken - Propterygoid — Fehlt,
„ „ D) Meso „ — Fehlt,
(fehlt)
” ) ) Meta „ = Femur,
Albrecht’s Ansicht.
Amphibien.
Knorpelfische. 4 Amnioten.
| |
Basale des Becken-Propterygoid = Femur I = Fehlt,
(fehlt)
” „ „ Meso ” = Femurıl —= Femur,
(Orthofemur)
» » » Meta „ — Femur III = der proximo-mediale
(Hemipenifemur) Abschnitt der Tunica
albuginea des Corpus
cavernosum penis.
Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- nnd Hypospadie. 209
Ist aber das Femur der Amphibien und Amnioten — Femur II,
so ergibt sich für die übrigen zum Femur II in engerer Beziehung
stehenden Organe folgende Tabelle: —
Albrecht’s Ansicht über den morphologischen Wert des
Femur, des Acetabulum, des Hüftgelenkes und des Beines
(Hinterbeines) der Amphibien und Amnioten.
Femur der Amphibien und Amnioten — Femur II,
(Orthofemur),
Acetabulum 4 — Acetabulum Il,
(Orthoacetabulum),
Hüftgelenk 3 = Artieulatio pelvizonio-femoralislI,
(Artieulatio pelvizonio-orthofemoralis),
Bein (Hinterbein) 5 = Femorale II,
(Orthofemorale).
10. Welchem Gebilde beim Menschen entspricht das Femorale III
des Rochen? Das jederseitige Femorale III des Rochen, d. h. der
ganze auf das Femur III des Rochen fallende Abschnitt der Becken-
flosse mit allen Skelet-, Bänder-, Muskel-, Nerven-, Gefäß- und
sonstigen Gewebselementen, sowie des alles dieses bekleidenden In-
tegumentes ist das jederseitige sogenannte „Pterygopodium“ oder der
„Penis“ des Rochen. Albrecht bezeiehnet dasselbe als Hemipenis,
und setzt also Hemipenis des Rochen — Femorale III desselben.
Diesem jederseitigen Hemipenis des Rochen entspricht nach Albrecht
der jederseitige „Penisschlauch“ der Eidechsen und Schlangen und die
jederseitige Längshälfte des Penis, d. h. wiederum der Hemipenis
der Coecilien, Urodelen, Schildkröten, Krokodile, Vögel und Säuge-
tiere und somit also auch der des Menschen.
11. Der morphologische Wert des Penis des Menschen. Der Penis des
Menschen und damit der der iibrigen Säugetiere, der Vögel, Krokodile,
Schildkröten, Urodelen und Coecilien ist also —= den beiderseitigen
Hemipenes — Dihemipenis des Rochen und der übrigen Selachier.
Und da der Hemipenis der letztern = Femorale III, und das Femo-
rale HI — dem metapterygischen Abschnitt der freien Beckenglied-
maße ist, so erhalten wir folgenden morphologischen Ausdruck für
den Penis des Menschen und der übrigen obengenannten Amnioten
und Amphibien.
Penis des Menschen — Hemipenis dexter — Hemipenis sinister —
Dihemipenis = Difemorale III = Dipelvimetapterygium.
Der Penis des Menschen und der übrigen genannten Amnioten und
Amphibien ist entstanden aus den in der Mittellinie sympodisch mit ein-
ander verwachsenen hintern Abschnitten der Beckenflossen der Knorpel-
fische. Der ganze Penis ist ein Teil der hintern oder Beekenextremitäten,
sein Skelet ein Teil des Extremitätenskeletes, seine Muskulatur Extre-
VI; 14
210 Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie.
mitätenmuskulatur, seine Nerven und Gefäße Extremitätennerven und
-gefäße. Und so erklärt es sich z. B., dass noch beim Menschen der so-
genannte Nervus „dorsalis“ penis mit dem Nervus spermatieus externus
des Nervus genito-eruralis anastomosiert. Was für den Penis gilt, gilt für
die Clitoris; der Penis ist in Wirklichkeit nichts als eine durch Arbeits-
hypertrophie gewaltiger ausgebildete männliche Clitoris, die Clitoris ein
infolge geringer Inanspruchnahme wenig ausgebildeter weiblicher Penis.
12. Sämtliche Hemipenes in der Reihe der Wirbeltiere entspringen
postorthoacetabular. Ein gewaltiger Beweis für die Homologie der
Hemipenes der Knorpelfische mit den Hemipenes der Eidechsen und
Schlangen und den Längshälften der Penes der Urodelen, Schildkröten,
Krokodile, Vögel nnd Säugetiere liegt in dem postorthoacetabularen
Ursprunge aller dieser Gebilde vom ischiadischen Abschnitte des
Beckengürtels. Bei unserem Rochen artikuliertt der jederseitige
Hemipenis mittels des knorpligen Hemipenifemur — Femur III am
Acetabulum III des Beckengürtels direkt hinter dem dem Acetabulum
der Amphibien und Amnioten entsprechenden Acetabulum Il oder
Orthoacetabulum. Bei den mehrfach genannten dihemipeni- und peni-
feren Amphibien und Amnioten kommt es nicht mehr zur Ausbildung
eines Jederseitigen knorpligen Hemipenifemur, daher auch nieht mehr
zur Bildung eines jederseitigen Hemipenihüftgelenkes, wohl aber ent-
springt auch bei ihnen der jederseitige Hemipenis oder die Längshälfte
des Penis mittels des Corpus cavernosum penis vom Sitzbein und
zwar stets hinter dem Acetabulum d. h. postacetabular, oder, da der
morphologische Wert dieses Acetabulum = Orthoacetabulum ist, post-
orthoacetabular.
15. Die heutzutage bei allen Anatomen und Chirurgen geltenden
auf oben und unten, dorsal und ventral sich beziehenden topographischen
Bezeichnungen am Penis (bezw. Clitoris) des Menschen sind das diame-
trale Gegenteil der richtigen topographischen Bezeichnungen, welche auf
dieses Organ in Anwendung gebracht werden sollten. Wenn man den
Penis eines Säugetieres mit dem Hemipenis eines auf dem Bauche
liegenden Rochen in homologe Lage bringen will, so muss man dem
ebenfalls auf dem Bauche liegenden Säugetiere den Penis der Art
nach hinten durchziehen, dass das sogenannte „Dorsum“ penis auf
dem Boden liegt, die sogenannte „untere“ oder „ventrale“ Seite des
Penis nach oben, die Eichel gegen die Schwanzspitze hinsieht. Ein
Jeder sieht jetzt sofort ein, dass die sogenannte „obere“ Seite oder das
„Dorsum“ penis in Wirklichkeit die untere oder die ventrale Seite, die
sogenannte „untere“ oder „ventrale“ Seite des Penis in Wirklichkeit die
obere oder die dorsale Seite desselben ist. Der transprostatische Ab-
schnitt der männlichen „Harnröhre“ (so nennt A. den prostatischen Ab-
schnitt der Urethra distal vom Caput gallinaginis + Pars membranacea
urethrae +4 Pars cavernosa urethrae) ist also nicht „ventral“ am Penis,
sondern dorsal, die diesem entsprechende Rinne der Clitoris nicht
/
/
Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie. 211
„ventral“ an der Clitoris, sondern dorsal; die AA. die V. und die NN.
„dorsales“ penis s. elitoridis in Wirklichkeit AA., V. und NN. ventrales
penis s. elitoridis, die „Epi“spadie in Wirklichkeit eine Hypospadie,
die „Hypo“spadie eine Epispadie.
14. Die dorsale Lage der Hemisolenien und des Solenium aller
dihemipeni- und peniferen Wirbeltiere. Einen weitern, wichtigen Beweis
für die Homologie des Selachierhemipenis und des Hemipenis bezw.
der Längshälften des Penis der dihemipeni- und peniferen Amphibien
und Amnioten liefert uns die dorsale Lage der Hemisolenien und des
Solenium der in Frage stehenden Tiere. Unter Hemisolenien und So-
lenium versteht Albreeht folgendes. Auf der dorsalen Fläche des
jederseitigen Hemipenis der Knorpelfische, Eidechsen und Schlangen
befindet sich eine tiefe Rinne, welche dem ejakulierten Sperma als
Leitrinne dient. Diese auf der dorsalen Fläche des jederseitigen Hemi-
penis der Knorpelfische, Eidechsen und Schlangen gelegene Rinne
nennt A. das jederseitige Hemisolenium. Auf der dorsalen Fläche
des Penis der Coecilien, Urodelen, Schildkröten, Krokodile, Vögel und
Säugetiere liegt ebenfalls eine Rinne, welche sich bei den meisten
Säugetieren zum transprostatischen Abschnitt der sogenannten männ-
lichen „Harnröhre“ schließt: diese Rinne bezw. Röhre (der morpho-
logische Wert dieses Organs wird durch Schluss desselben zur Köhre
nieht geändert) nennt A. das Solenium der genannten Tiere. Diese
Penisrinne bezw. -röhre ist wiederum identisch mit der Qlitorisrinne
bezw. -röhre, denn bei vielen Säugetieren (Halbafien, Insektenfressern,
Nagetieren) schließt sich auch die Clitorisrinne zur Clitoris,harnröhre*,
wie anderseits der Bradypus tridactylus in ähnlicher Weise wie die
Coeeilien, Urodelen, Schildkröten, Krokodile, Vögel ein normaler Hypo-
spadiaeus ist. Man kann also sagen, ob bei Säugetieren durch Penis
oder Clitoris geharnt oder nicht geharnt wird, ist konventionell.
Ebenso wie nun A. Penis der peniferen Wirbeltiere — Dihemipenis
der dihemipeniferen Wirbeltiere setzt, so setzt er Solenium der peniferen
Wirbeltiere —= Dihemisolenium der dihemipeniferen Wirbeltiere. Der
unpaare Penis der peniferen Wirbeltiere ist nach A. in der Weise aus den
beiden Hemipenes der dihemipeniferen Wirbeltiere entstanden, dass sich
die beiden Hemipenes so in der Mittellinie an einander legten, dass ihre
beiden dorsal gelegenen Hemisolenien zu einem in der Mittellinie liegen-
den unpaaren dorsalen Solenium verschmelzen konnten. Im ersten Akte
sind also beide Hemipenes mit ihren Hemisolenien von einander ge-
trennt, im zweiten verschmelzen die Hemisolenien zu einem Solenium,
die Hemipenes zu einem Penis, im dritten, der lediglich bei den in
Frage kommenden Säugetieren spielt, schließt sich das Solenium zum
transprostatischen Abschnitt der männlichen „Harnröhre* bezw. zur
„Clitorisharnröhre“.
15. Der morphologische Wert der Cartilago bezw. des Os penis
s. clitoridis der Sängetiere. Bisher hat man den Penis oder Qlitoris-
14.
3142 Albrecht, Morphologische Bedeutung der Penischisis, Epi- und Hypospadie
knorpel oder -knochen der Säugetiere, obwohl derselbe in jeder Hin-
sicht die Struktur wahrer Knochen besitzt, als „Eingeweideknochen“
aufgefasst. Wir haben zur genüge gesehen, dass der Penis bezw.
die Clitoris kein „Eingeweide“, sondern die in der Mittellinie sympodisch
vereinigten hintern Abschnitte der Beckengliedmaßen ist. Jeder Hemi-
penis der Selachier besitzt sein Hemipenisskelet; A. erklärt daher, dass
er die Cartilago bezw. das Os penis s. clitoridis für den letzten Rest
der in der Mittellinie zu einem unpaaren Skeletstücke sympodisch
vereinigten Hemipenisskelete der Knorpelfische hält.
16. Atavistische phalangoide Gliederung des Penisskeletes beim Menschen.
Bei vielen Säugetieren gibt es kein knorpliges oder knöchernes Penis-
skelet. Mit dem abnehmenden Widerstande der Weibchen ist auch
das Os penis rudimentär geworden. Doch kommen atavistisch selbst
noch beim Menschen knorplige sogar knöcherne Penisskelete vor. Das
Charakteristische für das jederseitige Hemipenisskelet der Selachier ist,
dass es proximo-distalwärts in einer Weise gegliedert ist, die A. als
phalangoide Gliederung des Hemipenis der Selachier bezeichnet. Eine
solche durch Atavismus wieder auftretende phalangoide Gliederung
des Penisskeletes ist auch — ineredibile dietu — noch beim Menschen
beobachtet. Der v. Lenhossek’sche Penis im 60. Bande von Vir-
chow’s Archiv zeigt nach A. diese phalangoide Gliederung in aus-
gezeichneter Weise.
17. Weitere Homologien, die sich aus den Albrecht’schen Unter-
suchungen ergeben. A. hält die in das Hemisolenium mündende Glandula
pterygopodiü für dieCowper’sche Drüse, den Musculus flexor pterygo-
podii für den Musculus ischio - cavernosus.
18. Morphologische Bedeutung der Penischisis nach A. Bei der Peni-
schisis sind die Hemipenes nebst deren Hemisolenien mehr oder weniger
weit völlig getrennt geblieben. Ist nur die Glans penis gespalten, so
ist dies ein Rückschlag auf die Hemiglandes der Beuteltiere, ist der
ganze Penis gespalten, ein solcher auf die Hemipenes der Selachier.
19. Morphologische Bedeutung der „Epi“spadie nach A. Wir haben
schon oben gesehen, dass die „Epi“spadie in Wirklichkeit eineHypospadie
ist. Bei der sogenannten „Epi“spadie bleiben dadurch, dass die Ischio-
pubes durch die übermäßige Anfüllung der Allantois weit aus einander
gehalten werden, die Corpora cavernosa penis so weit von einander
entfernt, dass die sogenannte „untere“, in Wirklichkeit dorsale Wand des
transprostatischen Abschnittes der männlichen „Harnröhre“ in ähnlicher
Weise prolabiert, wie dies die sogenannte „hintere“, in Wirklichkeit
dorsale Blasenwand bei Ektopie der Blase thut.
20. Morphologische Bedeutung der „Hypo“spadie nach A. Wir haben
schon oben gesehen, dass die „Hypo“spadie in Wirklichkeit eine Epi-
spadie ist. Die sogenannte „Hypo“spadie ist ein partieller oder totaler
Rückschlag auf das rinnenförmige Solenium.
Simon H, und Susannna Phelps Gage, Wasseratmung bei Schildkröten. 213
Simon H. und Susanna Phelps Gage, Wasseratmung bei
weichschaligen Schildkröten, ein Beitrag zur Physiologie
der Atmung bei Wirbeltieren.
The American Naturalist, Vol. XX, Nr. 3, p. 233 (1886).
Während man bisher annahm, dass die Atmung bei allen Reptilien
ausschließlich und während des ganzen Lebens nur in der Luft und
dureh Lungen erfolge, haben die Herren Verfasser bei weichschaligen
Schildkröten (Amyda mutica und Aspidonectes spirifer) daneben noch
eine echte Wasseratmung nachgewiesen. Diese Tiere verbleiben näm-
lich für gewöhnlich sehr lange (bis zu 10 Stunden) unter Wasser,
wobei sie regelmäßig, etwa 16 mal in der Minute, Mund und Pharynx
abwechselnd mit Wasser füllen und wieder entleeren durch Bewegungen
des Hyoidapparats, ganz ähnlich den entsprechenden Bewegungen bei
Fischen. Die Schleimhaut des Pharynx ist dicht besetzt mit faden-
förmigen Fortsätzen, welche den Zotten eines Säugetierdarms ähnlich
aussehen. Besonders zahlreich sind dieselben längs der Hyoidbögen
und rings um die Glottis. Sie enthalten reichliche Blutgefäße. Von
A. Sager und L. Agassiz sind diese Fortsätze bei Aspidonectes
schon erwähnt worden, und letzterer hat sie auch schon für Atmungs-
organe erklärt.
Dass aber diese Ansicht richtig sei, haben die Herren Verfasser
durch Gasanalysen bewiesen. Schildkröten von 1 kg Gewicht ent-
zogen, wenn sie 10 Stunden unter Wasser blieben, diesem 71 mg
freien Sauerstoff und gaben an dasselbe 318 mg Kohlensäure ab.
Da 71 mg Sauerstoff nur 97,55 mg Kohlensäure bilden können, so
muss der Rest des Sauerstoffs entweder von dem sogenannten mole-
kularen Sauerstoff der Gewebe oder von dem in den Lungen vorhanden
gewesenen Luftvorrat herstammen. Die Lungenluft enthielt nach
10 stündigem Verweilen der Schildkröte unter Wasser nur Spuren
von Sauerstoff und von Kohlensäure. Soweit man aus diesem einen
Versuch schließen darf, würde also der Inhalt der Lungenluft, falls
die Lungen beim Untertauchen auch nur mäßig gefüllt sind, voll-
kommen ausreichen, den Ueberschuss der Kohlensäure zu liefern.
Dass die Wasseratmung fast allein durch den Pharynx und nur
in sehr geringem Grade durch die Haut erfolgt, geht aus folgenden
Erfahrungen hervor: In ätherhaltigem Wasser ganz untergetauchte
Schildkröten werden 4 bis 5 mal schneller narkotisiert, als wenn man
ihnen gestattet, nach Belieben an die Oberfläche zu kommen. — Die
Menge des aus dem Wasser aufgenommenen Sauerstoffs und der an
dasselbe abgegebenen Kohlensäure wird nicht wesentlich geändert,
wenn man die Haut der Schildkröte vollständig mit Vaselin überzieht.
Auch bei manchen hartschaligen Schildkröten (Chelydra und Chry-
semis) sieht man ähnliche Bewegungen des Hyoidapparats sowie Ein-
strömen und Ausströmen von Wasser durch die Nasenöffnungen, wenn
214 Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz.
w
die Tiere unter Wasser sind. Sind die Tiere in der Luft, so sieht
man bei allen Schildkröten regelmäßige Ausdehnung und Zusammen-
ziehung der Schlundgegend, ganz ähnlich wie es vom Frosch bekannt
ist. Aber während sie bei diesem zur Füllung der Lungen dienen,
sind sie bei den Schildkröten zu diesem Zweck unnötig. Da sie aber
für die Wasseratmung der weichschaligen Schildkröten notwendig sind,
mögen sie auch beim Atmen in Luft sowohl bei diesen als bei den
hartschaligen einen Nutzen gewähren, indem sie die Luft an der blut-
reichen Pharynxschleimhaut hin- und herbewegen. Diese Schleimhaut
würde also ein Atmungsorgan sowohl für Luft- wie für Wasseratmung
sein. Und die Schildkröten würden damit eine Mittelstellung zwischen
den Amphibien und Fischen einerseits und den höhern Vertebraten
anderseits einnehmen. Denn nach Garland sollen auch beim Hunde
und beim Menschen solche Pharyngealatmungsbewegungen bei drohen-
der Asphyxie vorkommen — gleichsam eine Erinnerung an frühere,
längst vergangene Zeiten, in denen es noch keine vollkommneren
Atmungsorgane gab). J. Rosenthal (Erlangen).
Ueber die Methylenblaureaktion der lebenden Nerven-
substanz?).
Von Prof. Dr. P. Ehrlich.
In einer Zeit, in der das Studium der Bakterien und der von
ihnen erzeugten Ptomaine in den Vordergrund gerückt ist, wendet
sich das allgemeine Interesse wieder mehr der Lehre von den Giften
und ihren Wirkungen zu, die uns nicht nur zur Bekämpfung, sondern
auch zur Erklärung von Krankheitsprozessen verhelfen sollen. Ich
kann nun nicht leugnen, dass der moderne Schematismus der Pharma-
kologie uns nach manchen Richtungen hin unbefriedigt lässt. Unwill-
kürlich erhält man den Eindruck, als ob die vielgliederige Gruppen-
bildung eben nichts sei als der reine Ausdruck der physiologisch
1) Die Pharyngealatembewegungen der Hunde, Katzen und Kaninchen sind
auch von mir beobachtet worden, doch habe ich dabei hauptsächlich auf die
Bewegungen des Kehlkopfes geachtet (s. Rosenthal, Die Atembewegungen
nnd ihre Beziehungen zum Nervus vagus S. 207). Eine wirkliche respiratorische
Wirkung habe ich in ihnen aber nicht gesehen. Die Anwendung Darwinistischer
Ideen auf das Gebiet der Atmung ist noch sehr spärlich geschehen, könnte aber
noch weiter geführt werden, als die Herren Verfasser es thun. So habe ich,
um nur eins anzuführen, gelegentlich das Gähnen vor dem Einschlafen als eine
Erinnerung an jene Zeit erklärt, wo der automatische Charakter der Atem-
bewegungen noch nicht ausgebildet war, sondern jeder Atemzug noch mit
einer Willensanstrengung verknüpft war; eine sehr tiefe Inspiration gestattete
eine darauf folgende Atempause und damit Schlaf. J. R.
2) Nach einem am 21. Dez. 1885 im Verein für innere Medizin zu Berlin
gehaltenen Vortrage.
Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. 915
beobachteten Thatsachen, dass aber hierbei grade der Kernpunkt, die
Frage nach dem Wesen und der Ursache der spezifischen Wirkungen
in den Hintergrund getreten sei. Zweck der Pharmakologie müsste
es sein festzustellen, nicht nur dass, sondern warum ein bestimmtes
Gift einen bestimmten Nervenendapparat affiziere. Solches wird jedoch
nur dann möglich sein, wenn die Pharmakologie von dem bis jetzt
ziemlich. einseitig verfolgten Wege abgehen und versuchen würde,
durch anatomische und biologische Untersuchungen das Wesen der
Funktionsstörung klar zu legen. Hierbei dürfte sie der Beihilfe der
vitalen Farbenanalyse kaum entbehren können.
Es ist in hohem Grade wahrscheinlich, dass eine bestimmt toxische
Substanz primär und an erster Stelle nur die Elemente affizieren kann,
zu denen sie thatsächlich gelangt und von denen sie in hervorragender
Weise aufgenommen wird. Es ergibt sich hieraus die Forderung,
zunächst die Verteilungsgesetze eines Körpers festzustellen und dann
mit diesen Ergebnissen die physiologische Wirkung in Beziehung zu
setzen. Für die Alkaloide, die ja in erster Reihe in betracht kommen,
wäre ein solches Unternehmen bei der Kleinheit der wirksamen Dosis
und dem Mangel geeigneter mikrochemischer Reaktion ganz aussichtslos.
Bei den Farbstoffen bietet dagegen eine solche Untersuchung weit
geringere Schwierigkeiten dar, indem der topische Nachweis sich
ohne weiteres aus ihren sinnfälligen Eigenschaften ergibt. Nun be-
sitzen wir zur Zeit eine außerordentliche Fülle synthetischer Farb-
stoffe, deren Struktur bis in das kleinste Detail erkannt ist, und
schon scheint das vorliegende Material auszureichen, um wichtige
Beziehungen, die zwischen Konstitution und Verteilung bestehen, mit
Klarheit erkennen zu lassen. In welcher Weise derartige farben-
analytische Untersuchungen vorzunehmen sind, wird aus der folgenden
Mitteilung erhellen, und ich glaube, dass in weiterer Verfolgung dieser
Prinzipien die Verteilungs- und Wirkungsart organischer Körper in
einfacher und klarer Weise sich wird definieren lassen.
Im Fortlauf meiner Untersuchungen fand ich, dass das Methylen-
blau eine außerordentliche Verwandtschaft zu den feinsten Verzwei-
gungen des Axenzylinders besitzt, und es daher möglich ist, be-
stimmte Nervenendigungen in noch lebendem Zustande und mit einer
Deutlichkeit zu verfolgen, die durch keine andere Methode erreicht
werden kann. Wie Sie wissen, besitzen wir zur Zeit für die Dar-
stellung der peripheren Nervenendigungen nur die von Cohnheim
entdeckte Vergoldungsmethode, der wir alle Fortschritte auf diesem
Gebiete zu verdanken haben. Nichtsdestoweniger ist schon lange
eine andere Methode zur Darstellung von Nervenendigungen als ein
dringendes Bedürfnis erachtet worden, besonders aus dem Grunde,
weil einerseits die Vergoldung vielfach vollkommen versagt und ander-
seits Artefakte bei der Behandlung mit den stark wirkenden Reagen-
tien nicht durchaus ausgeschlossen sind.
916 Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz.
Der Vorzug der biologischen Methylenblaufärbung vor der Gold-
methode beruht darin, dass sie uns erstens die Endapparate in ihren
vollkommen natürlichen Verhältnissen zeigt, zweitens, dass sie viel-
fach Nervenendigungen darstellt, die auf dem andern Wege nicht
erhältlich sind. Selbstverständlich hat auch die biologische Methylen-
blaufärbung ihre bestimmten Uebelstände, von denen ich hier nur die
Vergänglichkeit der Präparate und die Begrenzung auf bestimmte
Nervengebiete hervorheben möchte.
Es liegt nieht in meiner Absicht, die anatomischen Resultate, die
ich im Verlauf der Untersuchungen gewonnen habe, in ihren Einzel-
heiten vorzuführen, um so weniger als ich dieselben in einer in Vor-
bereitung befindlichen Monographie ausführlich darstellen werde; ich
begnüge mich nur, um einen Einblick in die Leistungsfähigkeit der
Präparate zu geben, einige Tafeln zu beschreiben, die treu nach der
Natur gezeichnet sind.
I. Die erste Tafel zeigt die Geschmackspapille des Frosches,
deren Nervenreichtum so groß ist, dass diese Gebilde schon makro-
skopisch durch ihre intensiv blaue Farbe hervortreten. Dicht unter
dem Epithel der Geschmacksscheibe finden Sie einen diehtesten Plexus
feinster mit mehr oder weniger großen Varikositäten versehener Axen-
zylinder. Die Sinneszellen legen sich mit ihren Endigungen an die
Varikositäten dieses Netzes an, ohne mit ihnen jedoch zu verschmelzen.
Aus dem Grundplexus treten weiterhin ins Epithel feine Stämmchen
über, von denen ein Teil sich zu den Sinneszellen hinbegibt, um in
deren Oberfläche mit einem höchst scharfen kleinen Knöpfchen zu
endigen. Aus diesen Bildern geht mit Evidenz hervor, dass die Ge-
schmaceksnerven mit den Geschmackszellen nieht kontinuierlich, son-
dern per contiguitatem verbunden sind.
II. Riechschleimhaut des Frosches mit intensiv gefärbten Sinnes-
zellen, deren zentrales Ende allmählich und ohne jede scharfe Grenze
in eine variköse Nervenfibrille übergeht.
Ill. Typische Muskelendplatten aus dem Augenmuskel.
IV. Reicher Gefäßplexus um eine kleine Vene mit vereinzelten
intensiv blau gefärbten Zirkularmuskeln, die nach meinen Erfahrungen
als Vasokonstriktoren xar’ E£oynv anzusprechen sind.
V. Zeichnungen vom schlagenden Vorhof des Froschherzens mit
reichem Nervenplexus und eigentümlichen, intensiv blau gefärbten
Herzmuskelfasern.
VI. Sensible Nervenendapparate aus der Blase des Frosches.
Dieselben präsentieren sich als ziemlich große rundliche Flecken, die
aus der successiven Teilung einer einzigen markhaltigen Nervenfaser
hervorgehen. Die Terminalfasern dieser Verzweigung tragen sämtlich
endständige Knöpfe.
VII. Zeichnungen, die einem lebenden, noch unter dem Mikroskop
herumkriechenden Wurm entnommen sind. Man sieht zahlreiche wolkig
Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. 37
blau gefärbte Ganglienzellen, die einen hellern Kern und einen relativ
großen Nukleolus haben, der eine kompakte relativ dicke und intensiv
blaue Außenzone erkennen lässt. Die vielfachen Fortsätze lassen sich
ohne weiteres bis zu den Muskeln verfolgen, die ebenfalls von blauer
Farbe und mit einander durch schmale Brücken verbunden sind. Die
feine Nervenfaser tritt zur Muskulatur heran, um sofort mit ihr zu
verschmelzen, ohne irgend welchen Endapparat zu bilden.
VII. Fernere drei Tafeln zeigen Zeichnungen von Ganglien-
zellen, die mir einer besondern und ausführlichen Besprechung wert
zu sein scheinen. Die sympathischen Ganglienzellen sind, wie bekannt,
bipolar, indem der eine grade Fortsatz von dem zweiten als Spiral-
faser bezeichneten umwunden wird. Bei den Methylenblauversuchen
färbt sich sonderbarerweise ausschließlich die Spiralfaser blau, und
es ist auf diese Weise möglich geworden, die Endigung dieses Ge-
bildes mit aller Bestimmtheit präzisieren zu können. Nach meinen
Beobachtungen bildet die Spiralfaser durch Teilung in feinste Fibrillen
ein Nervenendnetz, welches bald nur einen Teil, bald die gesamte
Oberfläche der Zelle mit seinen Maschen umflicht. Von diesem Netz
pflegen sich einzelne Reiserchen abzulösen, die, auf der Oberfläche
der Zelle verlaufend, distinkte mit knopfförmigen Termimalanschwel-
lungen versehene Endbüschel bilden. Die höchst eleganten und ver-
schiedenartigen Bilder, die man auf diese Weise erzielt, sehen Sie
auf der einen Tafel, und es wäre eine vergebliche Mühe, die verschie-
denen Modifikationen und Abweichungen, die sich aus diesem Grund-
typus entwickeln, einzeln schildern zu wollen. Von Bedeutung ist es,
dass ich bei genügender Blauinfusion in keiner Zelle des Sympathieus-
stammes diese Nervenendnetze vermisste, und dass ich dieselben in
gleicher Weise in den kleinen gangliösen Zellanschwellungen der
verschiedensten Organe, wie Blase, Herz, Gaumen, Lunge ete., wieder-
finden konnte. Ich halte also die von mir aufgefundene zur Spiral-
faser gehörige Oberflächenverbreitung für ein Charakteristicum aller
sympathischen Zellen.
Welche Schlussfolgerungen ergeben sich nun aus diesen Befunden ?
Die von mir gefundene Thatsache, dass der grade Fortsatz nicht die
geringste Affinität zum Methylenblau besitze, deutet auf prinzipielle
Differenzen der Funktion hin, und eine solehe Auffassung steht im
besten Einklang mit der von Axel Key und Retzius gefundenen
Thatsache, dass nur die umwundene Faser sich mit einer Markhülle
umgebe. Schon die tinktorielle Differenz spricht nach meinen Erfah-
rungen dafür, dass die umwundene Faser der zentripetalen, die grade
Faser der zentrifugalen Leitung gewidmet sei, und jeder, der einmal
derartige Bilder gesehen hat, wird unwillkürlich zu der Annahme ge-
drängt, dass diese auf die Oberfläche der Zelle applizierte Endigung
ihr Analogon in den Nervenendigungen der quergestreiften Muskel-
fasern finde und sich von diesem Schema nur durch höhere Ausbildung
318 Ehrlich, Methylenblaureaktion der lcbenden Nervensubstanz.
unterscheide. Wir gelangen daher zu der Vorstellung, dass durch
die umwundene Faser Reize zugeführt, die auf die Ganglienoberfläche
mit Hilfe der Endausbreitung ziemlich gleichmäßig projiziert werden.
Während die Muskelfaser auf diese Entladung dureh Kontraktion
antwortet, reagiert die Ganglienzelle in ihrer spezifischen Weise durch
einen sich in der graden Faser nach außen fortpflanzenden Erregungs-
vorgang. Erwähnen möchte ich, dass ich einigemal Bilder gesehen
habe, die noch eine weitere Analogie zwischen Ganglienzelle und
Muskelfaser erkennen ließen. Ich fand nämlich weitere Differenzierungen
in- der Ganglienzelle selbst, indem ein umfänglicher zentraler Teil,
der den Kern barg, und der mit dem graden Fortsatz in Kontinuität
stand, sich durch Blaufärbung von dem homogenen peripheren Teil
abhob, auf dessen Oberfläche sich die dunkel gefärbte Endverbreitung
befand. Ungezwungenerweise lässt sich an einer solchen Zelle die
Nervenendverbreitung mit dem Muskelendgeweih, die helle periphere
Zone mit der Substanz der Muskelsohle, der zentrale blau gefärbte
Anteil mit der Muskelfaser selbst vergleichen. Ich denke, dass diese
Thatsachen eine Bedeutung für die Physiologie und Pharmakologie
gewinnen werden, da es sehr wahrscheinlich ist, dass diese Endaus-
breitung ähnlich wie das Methylenblau auch andere (giftige) Körper
in sich lokalisieren wird und so ähnlich wie die Muskelendplatte einer
isolierten Lähmung zugänglich sei.
Ueberraschend ist gewiss der Umstand, dass Axenzylinder nicht
mit der Substanz der Zelle zu einem einheitlichen Ganzen verschmelzen,
sondern auf ihr scharf abgesetzt gleichwie auf einem fremden dis-
homogenen Material enden. Es wird hierdurch die alte Anschauung,
als ob die Ausläufer der Ganglienzelle promisceue direkte Zellfortsätze
wären, definitiv beseitigt, und es schien mir bei der prinzipiellen Be-
deutung geboten, noch eine andere Art Ganglienzellen nach dieser
tichtung hin zu prüfen. Ich wählte das Spinalganglion der Frösche
zum Untersuchungsobjekt. Wie Sie wissen, besteht dasselbe aus großen
Ganglienkörpern, die, ähnlich wie eine Birne am Stiel, an einem
dieken Fortsatze hängen, der im weitern Verlaufe sich gablig teilt
(tube en T). Bei meinen Methylenblauversuchen fand ich, dass ge-
wöhnlich die Zellkörper selbst farblos blieben, während sich die
Nervenfaser intensiv färbte. Der Uebergang der Nervenfaser in die
Ganglienzelle erfolgte mit Hilfe eines kurzen Zwischenstückes, das
aus blauen Fibrillen besteht, die unmittelbar naeh Eintritt in die Zelle
enden. Bei der Sauerstoffzehrung blieb dieses Endstück relativ lange
unreduziert und zeigte dann eine eigentümlich grünlich blaue Färbung.
(Nüance des Aethylenblaues.)
Weitere Untersuchungen, die mit großen Schwierigkeiten verbunden
waren, zeigten jedoch noch etwas Anderes, nämlich eine zweite intensiv
blauviolette Oberflächenendigung, die eine Modifikation der am Sym-
Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. 219
pathieus gefundenen Verhältnisse darstellt. Von diesen unterscheidet
sich die spinale Endigung in folgenden Punkten:
l. nimmt sie nur einen kleinen Raum der Zellenfläche ein,
II. unterscheidet sie sich durch einen weit einfachern Bau und
III. durch die Bildung kolossaler Varikositäten und Endknöpfe,
die oft deutliche Impressionen der Zelloberfläche hervorrufen. Die
Fasern, aus denen diese Endigung hervorgeht, sind außerordentlich
fein, und es ist mir daher nicht möglich gewesen, ihren Verlauf oder
ihren Ursprung erforschen zu können.
Es sind mithin auch die Spinalganglien ähnlich gebaut wie die
sympathischen, indem beide eine Oberflächenendigung und einen graden
Fortsatz besitzen. Sie unterscheiden sich von einander scharf erstens
durch die Konfiguration der Oberflächenendigung und zweitens durch
das verschiedene färberische Verhalten der graden Fortsätze. Die
Gesichtspunkte, die sich aus diesen höchst überraschenden Befunden
ergeben, liegen klar auf der Hand, und es dürfte fortan geboten sein,
Zellfortsätze und Zellansätze der Ganglienzellen mit aller Schärfe
auseinander zu halten. Nach meinen bisherigen allerdings nur frag-
mentarischen Beobachtungen scheint der Axenzylinderfortsatz der
multipolaren Ganglienzellen dem Leibe derselben angelagert zu sein,
während die Protoplasmafortsätze als wirkliche Ausläufe des Zell-
protoplasmas ihren Namen mit vollstem Recht führen.
Um in das Wesen der Methylenblaufärbung einen Einblick zu
gewinnen, ist es notwendig, in kurzen Zügen die Verteilung der blau
gefärbten Elemente zu schildern. Beim Kaninchen färben sich, wie
schon erwähnt, inbesondere die peripheren Endausbreitungen des
Nervensystems, während die groben Nervenstämme selbst in ihrer
Gesamtheit ungefärbt bleiben.
Durch Methylenblau werden in ihrer Gesamtheit dargestellt
I. Alle sensibeln Fasern;
II. Die Geschmacks- und Geruchsendigungen;
III. Die Nerven der glatten Muskulatur und des Herzens.
Im Gegensatz hierzu pflegen sich die motorischen Nervenendigungen
der Willkürmuskeln nicht zu färben, und ich habe erst nach langem
Suchen einige wenige Muskelgruppen angetroffen, die, wie die gesamten
Augenmuskeln, die des Zwerchfells und des Kehlkopfs, hiervon eine
Ausnahme machten.
Im zentralen Nervensystem werden durch Methylenblau zwei ver-
schiedene Dinge dargestellt, nämlich
a. Relativ starke Fasern besonders reichlich in allen Kernen der
Medulla oblongata, spärlicher im Gehirn;
b. Ein diehtes Geflecht feinster variköser Nervenfibrillen, die mit
Ganglienzellen zusammenhängen [Großhirnrinde].
Beim Frosch verhalten sich die Färbungsverhältnisse der peripheren
Endausbreitungen ganz ähnlich wie beim Kaninchen, und hier pflegen
220 Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz.
insbesondere die Augenmuskeln eine blaue sichelförmige Stelle zu
zeigen, die aus einem gradezu verwirrenden Geflecht von Nerven und
Endplatten zusammengesetzt ist.
Auch beim Krebs erzielt man leicht Färbungen sensibler und
motorischer Nerven. Die quergestreiften Muskelfasern lassen hier
zwei Unterarten erkennen, die auch sonst morphologisch inbetreff
ihrer sonstigen Eigenschaften unterschieden sind. Die eine Art, die
schmale fein gestreifte Fasern enthält, entspricht in ihren Innervations-
verhältnissen vollkommen dem Typus der glatten Muskelfasern, indem
die Nerven sich intensiv färben und intramuskulare Plexus bilden.
Die zweite Art breiterer und grob quergestreifter entspricht vollkom-
men den quergestreiften Muskelfasern der höhern Tiere, indem die
Nerven isoliert verlaufen, Oberflächenendverzweignngen bilden, welche
durch Methylenblau nur ganz ausnahmsweise gefärbt werden. Ich
erwähne diesen Umstand besonders aus dem Grunde, weil die Ver-
goldungsmethode bei den Muskeln wirbelloser Tiere vollkommen ver-
sagt. Dass ich an Würmern ebenfalls Färbungen des Nervenmuskel-
systems erzielt habe, geht aus den erwähnten Zeichnungen hervor.
Am einfachsten ist es, um möglichst naturgemäße Verhältnisse zu
erhalten, hierzu die in der Froschblase schmarotzenden Eingeweide-
würmchen zu verwenden, die bei Methylenblauinfusionen des Frosches
das blaue Serum in sich aufsaugen.
Ich muss daher aufgrund dieser und noch anderer vergleichend
anatomischer Untersuchungen die Methylenblaureaktion als eine all-
gemeine Eigenschaft der Axenzylindersubstanzen ansehen und sie somit
in direkte Beziehung mit der Funktion der Nervensubstanz bringen.
Es dürfte daher wohl der Mühe verlohnen, die hier in betracht kom-
menden Bedingungen einer analytischen Untersuchung zu unterziehen,
die, naturgemäß an erster Stelle, die folgenden zwei Fragen zu beant-
worten hat.
1) Warum färbt Methylenblau die Nerven? und
2) Warum färben sich die Nerven im Methylenblau?
Die erste Frage ist rein chemischer Natur und ihre Beantwortung
durch den glücklichen Umstand ermöglicht, dass im letzten Jahre die
Konstitution des Methylenblau durch Prof. Bernthsen aufgeklärt wor-
den ist. Durch den Umstand, dass weder Fuchsin, noch Methylviolett,
noch Saffranin Nervenfasern darstellte, wurde es wahrscheinlich, dass
diese Eigenschaft durch eine ganz bestimmte chemische Eigentümlichkeit
des Methylenblau bedingt sein müsse, und es war naheliegend, an
erster Stelle an die im Methylenblau enthaltene Schwefelgruppe zu
denken. Diese Vermutung habe ich in folgender Weise experimentell
bestätigen können.
Das Methylenblau entsteht, wie bekannt, aus dem Dimethylpara-
phenylendiamin durch die Lauth’sche Reaktion (kombinierte Wirkung
Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. 221
von H,S und Fe,Cl,), und dem salzsauren Methylenblau kommt nach
Bernthsen’s Untersuchungen folgende Formel zu:
Hs — N(CH,),
N ;
h CH‘ — N(CH,),Cl
|
Es enthält mithin das Methylenblau zwei Dimethylaminreste, und
ich habe zunächst, um den Einfluss der Methylgruppe sicher zu stellen,
niedere Homologe des Methylblau, nämlich das Thionin und das sym-
metrische Dimethylthionin untersucht und beide Verbindungen nerven-
färbend gefunden.
C,H, — NH, C;H; — N(CH,)H
ae Aa
N S m S
re Se
ICH, 1 | C,H, — nn
_ Thionin. Dieikshniöne
Das von Bernthsen entdeckte Methylenviolett ist wegen der
er N(CH,;),
N S
Ay
C,H, — O
außerordentlich ungünstigen Löslichkeitsverhältnisse schwer zu diesen
Versuchen zu benutzen, jedoch habe ich einige Fälle deutlicher Nerven-
färbung im Herzen erzielen können. Es beweist dieser Umstand
immerhin, dass vom theoretischen Standpunkte aus schon die Anwesen-
heit einer basischen Gruppe, eines Ammoniakrestes, für das Zustande-
kommen der Nervenfärbung ausreiche. Weiterhin habe ich das von
Bernthsen aufgefundene Sulfon des Methylenblau, das Methylen-
azur!) in
C,H, — N(CH,),
\
N SO,
IN /
C,H, — on:
Anwendung gezogen und hiermit ganz die gleichen Nervenfärbungen
wie mit dem Methylenblau selbst erzielt, wie solches auch a priori
1) Ich verdanke diese kostbare Verbindung dem gütigen Entgegenkommen
des Herrn Prof. Bernthsen, dem ich hierfür meinen besten Dank ausspreche.
299 Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz.
zu erwarten stand, da beide Farbstoffe eine ihre Trennung sehr er-
schwerende Analogie besitzen. Es geht hieraus hervor, dass es für
das Zustandekommen der Reaktion ganz gleichgiltig ist, ob der Schwefel
nach Art des Phenylsulfids oder des Phenylsulfons gebunden ist.
Ich habe nun weiterhin, um den Einfluss des Schwefels zu eruieren,
einen Körper untersucht, der in seiner Konstitution vollkommen dem
Methylenblau entspricht und sich nur durch den Mangel des Schwefels
von ihm unterscheidet. Es ist das von Bindschedler entdeckte
Dimethylphenylengrün, das dureh gleichzeitige Oxydation von Dime-
thylparaphenylendiamin und Dimethylanilin entsteht, und dem folgende
Konstitution zukommt:
C,H, N(CH;3),
/
N
IHN
GEHEN (CHIC
|
Das Bindschedler’sche Grün unterscheidet. sich nun in ganz
wesentlichen Punkten vom Methylenblau: 1) durch eine eminente
Toxizität, 2) durch den Mangel jeder Nervenfärbung und 3) dadurch,
dass es alle Herzmuskelfasern gleichmäßig grün färbt, während das
Methylenblau nur eine Art der Muskelzellen (Gefäßmuskeln Pohl-
Pinkus) in spezifischer Weise tingiert. Es geht aus diesem letzten
entscheidenden Versuche hervor, dass in der That die Nervenfärbung
durch den Eintritt des Schwefels hervorgerufen sei, und ich be-
halte mir vor, die eigentümliche Rolle, die dem Schwefel hierbei zu-
kommt, durch weitere experimentelle synthetische Untersuchungen
aufzuklären.
Ich gehe nun zur Beantwortung der zweiten Frage über, warum
sich bei höhern Tieren nicht alle Nervenendigungen, sondern nur
ein Teil von ihnen durch Methylenblau färben. Auf die Klarlegung
dieser Verhältnisse möchte ich einen um so größern Wert legen,
als mir dieselbe für das Verständnis der Alkaloidwirkung von funda-
mentaler Bedeutung zu sein scheint. Man könnte annehmen, dass in
den durch Methylenblau färbbaren Nerven eine Substanz vorhanden
wäre, die zum Methylenblau eine besonders große Affinität besäße.
Jedoch würde man durch diese Hypothese zu ganz sonderbaren Er-
gebnissen geführt werden, indem man, um ein Beispiel anzuführen,
eine prinzipielle chemische Differenz zwischen den Nervenendigungen
am Augenmuskel und denen der Skeletmuskulatur aufstellen müsste.
Viel wahrscheinlicher erscheint die Annahme, dass die Axenzylinder-
substanz an allen Orten sich aus denselben chemischen Konstituentien
aufbaue, und die verschiedenartige Reaktion gegen Farbstoffe und
Alkaloide auf eine Verschiedenartigkeit bestimmter und bestimmender
Nebenumstände zurückzuführen sei. Ich werde mich bemühen, diese
Verhältnisse an dem konkreten Beispiele darzulegen.
®
Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. 293
Bei Froschversuchen fiel es mir oft auf, dass die Färbung der
Geschmacksnerven besonders dann prompt erfolgte, wenn durch künst-
liches Aufsperren des Maules die Zunge der atmosphärischen Luft
ausgesetzt wurde, dieselbe dagegen häufig ausblieb, wenn die Zungen-
oberfläche andauernd dem Gaumen angelagert blieb. Ich glaubte,
diese Beobachtung nur dadurch interpretieren zu können, dass eine
bessere Sauerstoffsättigung der Nervenendigungen die Färbung durch
Methylenblau begünstige. Eine wertvolle Bestätigung dieser Annahme
erblieke ich in dem am Muskelsystem erhobenen Befunde.
In einer frühern Arbeit über das Sauerstoffbedürfnis des Organis-
mus habe ich gezeigt, dass die Sauerstoffsättigung der verschiedenen
Muskeln eine verschiedenartige sei. Am besten versorgt fand ich die
Augen-, Kehlkopf-, insbesondere aber die Zwerehfellmuskeln, und es
ist gewiss eine höchst interessante Thatsache, dass grade in diesen Orten
Methylenblau die Nervenendigungen darstellte. Aus dieser Koinzidenz
glaube ich folgern zu müssen, dass in der That Nervenbläuung und
Sauerstoffsättigung in engem Konnex zu einander stehen müssen, indem
nur die mit Sauerstoff annähernd gesättigten und daher nieht reduk-
tionskräftigen Nervenendigungen sich mit Methylenblau bereichern.
Es steht übrigens diese Thatsache mit den Befunden, die ich früher
in meiner Broschüre über das Sauerstofbedürfnis auseinandergesetzt
habe, in vollster Uebereinstimmung, indem sich im allgemeinen die
damals verwandten Farbstoffe wie Alizarinblau, Indophenolblau grade
an den Orten aufstapelten, in denen sie unverändert blieben, während
die reduktionskräftigen Parenchyme, wie Leber, Lunge ete., meist nur
ganz geringe Mengen der entstehenden Reduktionsprodukte enthielten !).
Unmöglich wird man jedoch mit diesem Erklärungsprinzipe allein
auskommen können, da offenbar vielfach Nervenfasern, die sich wie
die der Hirnrinde und des Rückenmarks der besten Sauerstoffverhält-
nisse erfreuen, durch Methylenblau nicht dargestellt werden. Auch
würde es, um ein weiteres Beispiel anzuführen, recht gezwungen er-
scheinen, wenn man der graden Faser der sympathischen Zellen eine
schlechtere Sauerstofisättigung als der gewundenen zuschreiben wollte.
4) Diese Erscheinung lässt sich wohl am besten in der Weise deuten, wie
ich dies in meiner Arbeit S. 16 gethan habe: „Nehmen wir an, dass in irgend
eine Zelle ein löslicher, küpenbildender Körper eingeführt und in ibr reduziert
werde, so lässt sich leicht beweisen, dass der reduzierte Farbstoff schnell aus
der Zelle reeliminiert werden muss. Zweifelsohne kann der Farbstoff in die
Zelle nur durch Diffusion hineingelangt sein, und es ist, da die Reduktionsstoffe
der küpenbildenden Farben insgesamt leichter diffundieren als die Farben selbst,
mit Sicherheit anzunehmen, dass das Reduktionsprodukt ohne Schwierigkeit
aus der Zelle heraustreten kann. Es wird dieser Durchtritt der Leukoprodukte
um so energischer stattfinden müssen, da im Blutserum selbst der Farbstoff
nur in oxydierter Form bestehen kann, und daher die die Zellen umspülende
Blutflüssigkeit stets frei von reduziertem Farbstoffe ist“.
224 Ehrlich, Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz.
Methylenblaulösungen erfahren durch Zusatz von kohlensauren
oder ätzenden Alkalien keine Veränderung ihrer Nüancen. Im Gegen-
satze hierzu zeigen die Lösungen des Thionins, Dimethylthionins und
Methylenazurs eine Farbenveränderung ins Rote, die häufig mit einer
Abscheidung der körnigen in Freiheit gesetzten Basis einhergeht. Ich
habe mich nun beim Frosche überzeugt, dass bei Anwendung der
letzten drei Farbstoffe die Färbung der Nervenendigungen eine meta-
chromatische ist, indem sie sich durch eine exquisit ins Rote ziehende
Färbung von der Umgebung unterscheiden. Hieraus glaube ich den
Schluss ziehen zu müssen, dass die gefärbten Nervenfasern eine alka-
lische Reaktion besitzen und somit im stande sind, einen Teil des
aufgenommenen Farbstoffes in die rotgefärbte Base zu zersetzen.
Sauerstoffsättigung und alkalische Reaktion sind mithin
die beiden Bedingungen, von denen die Methylenblaureaktion des
Nervensystems abhängig ist.
Dass die Großhirnrinde, die durch ein Geflecht intensiv blauer
Fasern ausgezeichnet ist, thatsächlich alkalisch reagierende Nerven-
fasern enthalten müsse, geht ohne weiteres aus den Beobachtungen,
die von Liebreich und jüngst von Langendorff kundgegeben
ist, hervor, indem beide frisch herausgeschnittene Rindenstücke Lakmus
bläuend fanden. Ganz abweichend hiervon sind die Resultate, welche
Lieberkühn und Edinger mit Hilfe von Alizarininfusion erhalten
haben, indem hier nach Einführung der violetten Natriumverbindung
eine gelbe Färbung des Hirns auftrat, die von den Autoren nur auf
eine saure Reaktion der Rindensubstanz bezogen wurde. In dieser
Allgemeinheit ist der Schluss sicher nicht richtig. Ebenso wie das
Methylenblau nur von bestimmten (alkalischen) Fasern aufgenommen
wird, stapelt sich offenbar das Alizarinblau in andern (sauern) Ge-
bieten auf, und daher ist die Alizarinreaktion nicht ein Indikator für
die gesamte Rinde, sondern nur bestimmter in ihr erhaltener Gebilde,
die nach der ganzen Sachlage nichts Anderes als Nervenfibrillen sein
können.
Wenn wir somit gezwungen sind, sauer und alkalisch reagierende
Fasern anzunehmen, so können wir kaum zweifeln, dass auch neutral
reagierende Fasern vorkommen werden. Man gelangt so zu der Vor-
stellung, als ob im Nervensysteme je nach dem Orte und der Funk-
tion eine vieltönige Abstufung der Alkaleszenzgrade stattfinde, die im
Verein mit den Veränderungen der Sauerstoffsättigung darüber ent-
scheidet, ob und welche Körper in bestimmten Territorien des Nerven-
systems aufgenommen werden können. Ich denke, dass diese Gesichts-
punkte zur Erklärung der differenten Alkaloidwirkung von hohem
Werte sein müssten, und ich werde bald Gelegenheit haben, an einem
andern Orte mich ausführlich hierüber auszulassen.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
Biologisches Centralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
VL Band.
Inhalt: Fraisse, Die Regeneration von Geweben und Organen bei den Wirbeltieren,
besonders Amphibien und Reptilien. — Zacharias, Können die Rotatorien und
Tardigraden nach vollständiger Austrocknung wieder aufleben oder nicht? —
Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. — Veit, Leh-
mann und Rubner, Ueber die Fetibildung im Tierkörper. — Aus den Ver-
handlungen gelehrter Gesellschaften; 58. Vers. deutscher Naturforscher
und Aerzte zu Straßburg (Sektion für Botanik). — Ihering, Zur Kenntnis
der brasilianischen Mäuse und Mäuseplagen.
Nr. 8.
15. Juni 1886.
Paul Fraisse, Die Regeneration von Geweben und Organen
bei den Wirbeltieren, besonders Amphibien und Reptilien.
Mit 3 Tafeln, Kassel und Berlin, Verlag von Theod. Fischer, 1885.
Besprochen von Dr. Otto Zacharias in Hirschberg i/Schl.
Die vorliegende umfangreiche und typographisch vortrefflich aus-
gestattete Arbeit beschäftigt sich in eingehender Weise mit den Re-
generationserscheinungen bei Wirbeltieren, und gelangt aufgrund zahl-
reicher Experimente und Beobachtungen zu dem Ergebnis, dass bei
den in Frage kommenden niedern Vertebraten sich nicht bloß die
Haut mit ihren Drüsen, die Muskulatur und die Blutgefäße, sondern
auch das Rückenmark und das peripherische Nervensystem nach tief-
gehenden Verletzungen wieder herstellt. Fraisse gewann seine Re-
sultate an dem verschiedensten lebenden und konservierten Material.
Es standen ihm von geschwänzten Amphibien zur Verfügung: Siredon
pisciformis, Triton taeniatus, Tr. cristatus, Tr. helveticus, Tr. marmo-
ratus; außerdem von anuren Amphibien die Larven von Hyla arborea,
Pelobates fuscus, Bufo vulgaris, Bombinator igneus, Rana esculenta und
R. temporaria. Hierzu kamen noch Studien an Regenerationsstadien
von Lacerta agilis, Lac. ocellata, Platydactylus facetanus, Anguis fragilis
und noch andern Reptilien.
Zum Zwecke der Herstellung von schnittfähigem Material wurden
die zarten Gewebe der ersten Stadien mit weinfarbiger Chromsäure
behandelt, und zwar in der Weise, dass die Einwirkung dieses Här-
VI. 15
226 Fraisse, Regeneration von Geweben und Organen bei den Wirbeltieren.
tungsmittels nur so lange währte, bis die zu untersuchenden Gewebs-
stückchen grade abgetötet waren. Hierzu reichte in den meisten Fällen
die Zeit von 10 Minuten hin. Ueberosmiumsäure kam ebenfalls zur
Verwendung, aber nur in einer Verdünnung von 5—10 pro Mille.
Chromsalze erwiesen sich für sehr zarte Stadien als unbrauchbar.
Zur Färbung wurden Pikrokarmin und Hämatoxylin, später aber aus-
schließlich Methylviolett (nach Dr. Born’s Methode) benützt.
Das Ziel, welches Dr. Fraisse bei Abfassung der vorliegenden
Abhandlung verfolgt hat, war eine Vergleichung der histogene-
tischen Vorgänge, welche der Regenerationsprozess vor
Augen stellt, mit denen, die in derembryonalen Entwick-
lung der Gewebe und Organe auftreten.
Dieser leitende Grundgedanke wurde vom Verfasser schon im
Jahre 1883 zum Thema eines längern Aufsatzes (vgl. Biol. Central-
blatt, III. Bd., Nr. 20) mit dem Titel „Neuere Beobachtungen über
Regeneration“ gemacht, wobei er an die bekannte Bülow’sche Arbeit
über die Keimschichten des wachsenden Schwanzendes von Lumbri-
culus variegatus (Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 39. Bd.) anknüpfte und be-
reits betonte: dass das Endresultat der Regeneration gelegentlich durch
„funktionelle Anpassung“ modifiziert werde. Unter dieser Art von
Anpassung versteht Fraisse die Herstellung eines Organteils oder
Gewebes, wodurch das in Wegfall gekommene zwar nicht dem morpho-
logischen Werte, aber doch der Funktion nach ersetzt wird. Es ge-
schieht dies beispielsweise am regenerierten Schwanze der Eidechsen,
insofern hier ein einfaches Knorpelrohr an die Stelle des ursprüng-
lich vorhanden gewesenen Endstücks der komplizierten Wirbelsäule
tritt. Etwas dem Aehnliches lässt sich auch bei der Schuppen-Rege-
neration am Eidechsenschwanze beobachten. In diesem Falle wird
der Neubildungsprozess gleichfalls vereinfacht, und zwar dadurch,
dass die Schuppen von vornherein auf breiterer Basis angelegt werden
und nicht in der Form von so winzigen Cutispapillen, wie am Schwanze
des Eidechsenembryos.
Wenn wir also mit Fraisse sagen, dass die Regenerations-
vorgänge „nach dem Typus der ontogenetischen Entwicklung“ des
betreffenden Organes oder Gewebes verlaufen, so geschieht dies mit
der Einschränkung, welche im Hinblick auf das modifizierende Mo-
ment der funktionellen Anpassung ihre Rechtfertigung findet.
Fraisse’s Arbeit enthält aber vor allem auch den schlagenden
Nachweis dafür, dass die Wiederherstellung verletzter Gewebe nur in
Anknüpfung an die schon vorhandenen erfolgt, und dass es nicht,
wie man früher meinte, die weißen Blutkörperchen sind, auf deren
hauptsächliches Konto man jedwede Regenerationserscheinung setzen
darf, obgleich ihre Stelle als Nährmaterial nicht in Abrede gestellt
werden kann. Wir gewinnen aufgrund der Fraisse’schen Ergeb-
nisse die sichere Ueberzeugung, dass sämtliche Gewebe der Amphibien
‘
Fraisse, Regeneration von Geweben und Organen bei den Wirbeltieren. 227
mw
und Reptilien im stande sind, sich partiell zu regenerieren: entweder
direkt aus ihren Elementen, oder aus einer Matrix, so lange dieselbe
unverletzt ist. Als Matrix für die Epidermis ist das Rete Malpighii,
für das zentrale Nervensystem das Epithel des Zentralkanals und für
die Muskulatur die schon bestehende Muskulatur in Anspruch zu
nehmen.
Ich verweise inbetreff des diese Sätze stützenden Materials auf
die entsprechenden Kapitel der Fraisse’schen Abhandlung, und be-
sonders auf S. 43—81, 108—124 und 124—139.
Von ganz besonderem Interesse erscheint mir das vom Verfasser
inbezug auf die Regeneration des zentralen Nervensystems Mitgeteilte.
Ich möchte aus diesem Grunde darüber etwas eingehender referieren.
Das Untersuchungsobjekt für die allerjüngsten Stadien der Neubildung
war in diesem Falle Siredon pisciformis. Die ersten Anfänge wurden
dann an einer Larve von Sulamandra maculata (vgl. 1. e. S. 111—112)
weiter verfolgt.
Bei Siredon wird die Regeneration des Rückenmarkes damit ein-
geleitet, dass die durch den Rasiermesserschnitt am Schwanze ver-
ursachte Wundfläche mit einem Iymphartigen Blastem, welches aus
zusammengeflossenen Leukocyten besteht, bedeckt wird. Hierauf be-
obachtete Fraisse eine bedeutende Vermehrung der sogenannten
„Körner“ der grauen Substanz, jener eigentümlichen Gebilde, von
denen in neuester Zeit wohl Max Schmidt (vergl. dessen Beiträge
zur Kenntnis des Rückenmarks der Amphibien, 1884) die richtigste
Deutung gegeben hat, indem er sie aufgrund sorgfältiger entwick-
lungsgeschichtlicher Untersuchungen für Zellkerne der grauen Substanz
erklärte. Die in der Schmidt’schen Arbeit dafür angegebenen Gründe
sind schlagend und dürften schwerlich widerlegt werden. Bei der von
Fraisse konstatierten Körnervermehrung war — wie S. 111 der Ab-
handlung ausdrücklich hervorgehoben wird — nirgends eine karyoki-
netische Figur nachzuweisen. Es traten überall nur die Erscheinungen
der sogenannten direkten Kernteilung auf. Aber nicht bloß in den
peripherischen Regionen des Rückenmarkes wurde von Fraisse eine
starke Substanzwucherung wahrgenommen, sondern auch am proxi-
malen Rande des Zentralkanals. Dort vermehrten sich die Epithel-
zellen auffallend rasch, und bildeten bald mehrere auf einander ge-
häufte Lagen; aus diesen gingen, wie an Schnitten ersichtlich wurde,
Spinalganglien hervor, die ihrerseits wieder durch den nämlichen
Sprossungsprozess peripherischen Nerven den Ursprung gaben.
Durch diese Beobachtungen am sich regenerierenden Rückenmark
bekommen die interessanten Nachweise Max Schmidt’s, der bei
Amphibien die lateralen Faserzüge der grauen Substanz in direkte
Verbindung mit Epithelzellen des Zentralkanals treten sah, einen
starken Halt, und die Auffassung jenes Epithels, als eines entschieden
dem übrigen Rückenmark in physiologischer Hinsicht nahestehenden
10:
2938 Fraisse, Regeneration von Geweben und Organen bei den Wirbeltieren.
Gebildes, muss den Ansichten Bidder’s gegenüber die Oberhand er-
langen. Wie soll uns denn die epitheliale Aufreihungsweise eines
Zellenkomplexes an dessen nervöser Natur Zweifel erwecken, wenn
wir sie bei den Cölenteraten ganz allgemein im Nervensystem verbreitet
sehen, welches einen vollständig epithelialen Charakter trägt? Und
abgesehen hiervon, könnte man doch auch darauf hinweisen, dass
das embryonale Rückenmark in seiner ersten Anlage doch auch nur
die morphologische Bedeutung eines einschichtigen Epithelrohrs hat,
und dass es erst im Verlaufe der Entwicklung die komplizierte Struk-
tur gewinnt, die es zu den hohen physiologischen Leistungen befähigt,
denen es später vorzustehen hat. Unser Erstaunen über die That-
sache also, dass das Epithel des Zentralkanals bei Siredon pisciformis,
Salamandra maculata und andern Urodelen die Matrix zur Regenera-
tion von Rückenmarkssubstanz abzugeben im stande sein soll, wird
sich vermindern, wenn wir dasselbe als ein im embryonischen Zu-
stande verbliebenes Stück des ursprünglich einfachen Medullarrohrs
betrachten, wozu die Berechtigung in den Thatsachen selbst liegt.
Zum Vergleich mit dem wiederhergestellten Amphibienrückenmark
untersuchte Fraisse auch Regenerationsstadien desselben Organs bei
den Reptilien, speziell bei den Eidechsen. Es gelangten zur Ver-
wendung: Lacerta muralis, L. ocellata, Hemidactylus frenatus, Platy-
dactylus verus und Phyllodactylus europaeus. Die regenerierten Schwänze
dieser Tiere wurden sämtlich mittels der Schnittmethode untersucht.
Der Verfasser spricht das erhaltene Resultat S. 116 seiner Arbeit wie
folgt aus: „Aus meinen Befunden scheint unzweifelhaft hervorzugehen,
dass die frühere Ansicht, welche in dem regenerierten Rückenmark
nur die Fortsetzung des Filum terminale sah, nicht ganz richtig
ist. Wir haben es vielmehr mit einem Gebilde zu thun, welches
zweifellos nervöser Natur ist, da nicht nur Nervenfasern, sondern
auch schon vollkommen ausgebildete Ganglienzellen in demselben
nachzuweisen sind. Dass nun aber dieses Gebilde auf einer so außer-
ordentlich niedrigen Stufe der Entwicklung stehen bleibt, und dass
es nicht zur Weiterentwicklung der Nervenelemente kommt, wie es
bei den Salamandrinen der Fall ist, hat seinen Hauptgrund wohl darin,
dass es von dem Körperparenchym vollständig durch das widerstands-
fähige Knorpelrohr abgeschlossen ist; denn niemals habe ich auch
nur eine Andeutung der Bildung von Spinalganglien gesehen. Es
sind hier Wachstumsvorgänge nur nach einer Richtung möglich, die
der Längsaxe des Tieres entspricht; von einer seitlichen Abzweigung
von Nervenfasern ist keine Spur zu erkennen“.
Die Regenerationsfähigkeit des Eidechsenrückenmarks ist also bei
weitem nicht mit derjenigen des gleichnamigen Organs der Sala-
mandrinen und Ichthyoden in Parallele zu stellen, denn bei
diesen wird ein dem normalen vollständig gleich gebautes Rückenmark
wieder erzeugt. Aber trotzdem kommt Fraisse mit Recht zu dem
Fraisse, Regeneration von Geweben und Organen bei den Wirbeltieren. 299
Schlusse, dass — möge die physiologische Funktion des regenerierten
Eidechsenmarks sein welche sie wolle — dasselbe in morphologischer
Hinsicht doch als ein nervöses Zentralorgan aufzufassen sei.
Es wurde schon oben erwähnt, dass bei der Kernvermehrung in
der grauen Substanz keine Fadenfiguren (Mitosen) von Fraisse be-
obachtet werden konnten. Er fand nur schuhsohlenförmig einge-
schnürte, gekrümmte und verlängerte Kerne, also nur Anzeichen für
das Statthaben einer direkten Teilung. Auch bei andern Geweben,
z. B. an sich neubildenden Muskeln und in den ersten Regenerations-
stadien der Epidermis erwachsener Urodelen konnte Fraisse niemals
die indirekte Kern- und Zellteilung konstatieren, so dass er (vergl.
S. 143) geneigt ist, die direkte Teilung für ein häufigeres
Vorkommnis zu halten als die mitotische. Das Auftreten der
letztern glaubt er hauptsächlich für alle die Fälle voraussagen zu
dürfen, wo es zur Bildung eines speziellen Organs kommt, in der
Epidermis der Urodelen also z. B. bei Entstehung der Hautdrüsen,
der Leydig’schen Schleimdrüsen und der Hautsinnesorgane. Ob
Fraisse’s Voraussetzung, in dieser Allgemeinheit ausgesprochen,
richtig ist, vermag ich nicht zu entscheiden, da mir keine eignen
ausgedehnten Erfahrungen auf diesem Gebiete zugebote stehen. Ich
kann mich aber auf neuere Forschungsergebnisse italienischer Histo-
logen berufen, z. B. auf diejenigen von Giovanini, der an den
Rändern experimentell erzeugter Hautwunden des Kaninchens, die
durch Schnitte, durch Galvanokaustik oder durch chemische Aetzungen
hervorgebracht waren, im Stadium der Vernarbung konstant Mitosen
nachzuweisen vermochte '). Ganz ebenso hat Tizzoni an sich re-
generierenden Muskeln des Oberschenkels beim Kaninchen sämtliche
Kernmitosen in auf- und absteigender Reihe verfolgt. Es liegt noch
eine ganze Anzahl von Arbeiten aus dem Laboratorium Tizzoni’s
vor, durch welche das Auftreten der indirekten Kernteilung (bei höhern
Wirbeltieren) für eine große Anzahl von Gewebsarten, sogar für die
graue Hirnsubstanz, zur Thatsache erhoben wird. Es scheint dem-
nach, dass Fraisse seine Annahme zunächst nur durch die von ihm
beobachteten Objekte zu stützen vermag. Indess hat J. Kollmann
(vergl. Nr. 4 des Biolog. Centralblattes, 2. Bd., 1882) grade auch das
Epithel von in Pikrinsäure-Spiritus gehärteten Salamander- und Tritonen-
larven als ein vorzügliches Objekt zur Orientierung über die Erschei-
nungen bei der mitotischen Zellteiluing empfohlen.
Ich begnüge mich, auf diesen Punkt der Fraisse’schen Arbeit
hiermit hingedeutet zu haben, und überlasse es einem Berufenern, sich
mit unserem Autor über die Frage nach der Häufigkeit der direkten
Zellteilung auseinander zu setzen.
Zum Schluss dieses Referats möge noch in Erwähnung kommen,
dass Fraisse seiner Abhandlung einen Abriss der geschichtlichen
1) Gazetta degli Ospitali, Nr. 21. Bologna 1885.
930 Zacharias, Können Rotatorien und Tardigraden wieder aufleben oder nicht ?
Entwicklung der Regenerationsfrage voraufgeschickt hat, der aber bei
aller aufgewandten Umsicht und Belesenheit nicht ganz lückenlos ge-
blieben ist. Auf den Umstand, dass in dieser Literaturaufzählung
Newport’s wichtige Mitteilung über den Wiederersatz verloren ge-
gangener Teile bei den Myriopoden (Philos. Trans. of the London
Royal Society, 1884, p. 283) fehlt, hat schon Dr. R. Horst (Leyden)
hingewiesen. Ich möchte meinerseits noch erwähnen, dass Darwin
im zweiten Bande seines großen Werkes über das Variieren der Tiere
und Pflanzen im Zustande der Domestikation ausführlich auf die starke
Regenerationsfähigkeit amputierter überzähliger Finger zu sprechen
kommt, und an dieses Faktum sehr interessante Reflexionen knüpft,
welche der speziellen Hervorhebung in einer Arbeit über die Regene-
rationserscheinungen wert gewesen wären. Indess liegt das Haupt-
gewicht von Fraisse’s Buch nicht in seinem literaturhistorischen,
sondern in seinem experimentellen und histologischen Teile, und
dieser bringt uns vielerlei Neues und Interessantes. Die beigefügten
Tafeln sind von sauberster Ausführung.
Können die Rotatorien und Tardigraden nach vollständiger
Austrocknung wieder aufleben oder nicht?
Von Dr. Otto Zacharias zu Hirschberg i/Schl.
Eine lange Zeit hindurch wurde auf die Autorität Trembley’s
hin gelehrt und geglaubt, dass man der Regenerationsfähigkeit des
Süßwasserpolypen die Leistung zumuten könne, das durch Umstülpung
nach außen gekehrte Darmepithel in eine Hautschicht zu verwandeln,
und letztere vice versa in den Dienst der Ernährungsfunktion zu
stellen. Neuere Versuche haben bekanntlich gelehrt, dass die sonst
so geduldige Natur der Hydren solchen Zumutungen des experimen-
tierenden Forschers Hohn spricht. Eine Parallele hierzu bildet die
Historie von einer bei Räder- und Bärtierchen zu findenden Fähig-
keit, nach gänzlicher Austrocknung wieder aufzuleben. Seitdem
Spallanzani und Duge&s hierüber Versuche gemacht und versichert
haben, dass ihnen die Wiederbelebung der genannten Tiere gelungen
sei, spricht man in vielen Lehrbüchern von dieser Sache wie von
einem ganz unzweifelhaften Faktum.
Auch in der vortrefflichen Spezialarbeit von K. Eekstein über
die Rotatorien der Umgegend von Gießen (Zeitschr. f. wissenschaft-
liche Zoologie, 39. Bd. 1883) finde ich S. 428 einen Passus, wo es
heißt: „Wenn auch die meisten Rädertiere ein nur kurz dauerndes
Leben haben, so zeichnen sich doch andere durch die glückliche
Eigenschaft aus, die es ihnen ermöglicht, der Todesgefahr zu ent-
gehen, welche sie während der heißen Sommertage im Moose der
Dächer oder beim Austrocknen der heimatlichen Wasserlache be-
DR
Zacharias, Können Rotatorien und Tardigraden wieder aufleben oder nicht? 231
droht, denn sie. vermögen sich bei Wassermangel zusammenzuziehen,
und in diesem dem Winterschlaf anderer Tiere ähnlichen Zustand
bessere Zeiten zu erwarten.“
Dem gegenüber steht aber die Ansicht eines andern, nicht min-
der sorgfältigen Rädertier-Beobachters, nämlich diejenige Ludwig
Plate’s, der in seinen „Beiträgen zur Naturgeschichte der Rota-
torien“ (Jenaische Zeitschr. f. Naturw. 19. Bd. 1885) S. 113 sagt,
dass er wiederholt zahlreiche Vertreter verschiedener Abteilungen der
Rotatorien langsam in Uhrschälchen habe eintrocknen lassen, ohne
die Tiere jemals wieder aufleben zu sehen.
Dieses stimmt mit den experimentellen Ergebnissen Pouchet’s,
auf welche Prof. K. Semper bei Erörterung der Wiederauflebungs-
frage !) bezugnimmt, vollständig überein, insofern auch jener fran-
zösische Forscher gezeigt hat, dass auf Objektträgern befindliche
Rotatorien und Tardigraden immer sterben, wenn sie wirklich ein-
getrocknet sind, dass aber mitunter in ihnen Keime (resp. Eier) vor-
kommen, welche durch ihre Hüllen gegen gänzliches Austrocknen
geschützt werden, und nach abermaliger Befruchtung sich rasch ent-
wickeln.
Zur weitern Sfütze dieser Ansicht, welche augenscheinlich die
richtige Erklärung für das scheinbare Aufleben von Räder- und
Bärtierchen in angefeuchtetem Moos (oder in mit Wasser übergos-
senem Dachrinnensand) gibt, kann ich im Nachstehenden eigne Er-
fahrungen und Beobachtungen anführen.
Zwischen meinem Wohnorte Hirschberg i/Schl. und dem nord-
westlich davon befindlichen Dorfe Grunau liegt im freien Felde eine
große, mehrere Fuß dieke Granitplatte, die als breiter Steg über einen
Bach führt, welcher von der Landbevölkerung „Froschgraben“ ge-
nannt wird. In jener Granitplatte befindet sich eine durch Witterungs-
einflüsse hergestellte flache Höhlung, welche sich bei jedem Regenfall
mit Wasser füllt und dann 2—3 Liter davon fasst. Bei trocknem
windigem Wetter hält sich das Wasser in der Platte höchstens 2—3
Tage, während es bei ruhiger Luft vielleicht 5—6 Tage zum voll-
ständigen Verdunsten braucht.
In dem aufgesammelten Regenwasser der betreffenden Höhlung
hat sich nun im Laufe der Zeit eine ganz eigenartige Fauna ange-
siedelt, und zwar eine solche, deren Vertreter vollständig eintrocknen
müssen, wenn das Wasser durch Verdunstung entschwindet. Das
Hauptkontingent zu dieser Tierwelt stellt eine Philodinide, welche
weit größer als die bekannte Philodina roseola und von hochroter
Farbe ist, weshalb ich sie Ph. cinnabarina nennen möchte. Es ge-
schieht dies freilich in der stillen Annahme, dass es sich dabei um
4) Die natürlichen Existenzbedingungen der Tiere, Leipzig 1880.
Bdr IS, 219.
939 Zacharias, Können Rotatorien und Tardigraden wieder aufleben oder nicht?
keine neue Species, sondern nur um eine lokale Varietät handelt.
Ebenso zahlreich, wenn nicht noch massenhafter, lebt in der näm-
lichen Höhlung eine Bärtierchen-Art von bräunlichem Ansehen,
deren genaue Bestimmung ich mir noch vorbehalten muss. Dazu ge-
sellen sich ferner Amöben (A. guttula), farblose Flagellaten und
einzelne Exemplare einer Stylonychia. Im übrigen ist das Wasser
mit den schönen rotierenden Kugeln einer interessanten Volvocinee,
der Stephanosphaera pluvialis Cohn belebt, und dazwischen sieht
man den merkwürdigen Haematococcus pluvialis (= Chlamydococeus
plw. A. Braun) herumschwärmen, der durch Jul. v. Flotow’s
epoehemachende Untersuchungen (1845) so berühmt geworden ist.
Dr. v. Flotow entdeckte seinen Haematococcus hier am 6. Sep-
tember 1841, Cohn seine Stephanosphaera im Juni 1852. Aus münd-
licher Rücksprache mit dem Breslauer Forscher weiß ich, dass der-
selbe auch schon damals die rote Philodinide und das braune Bär-
tierchen gesehen hat. Es liegt somit nachweisbar eine ununterbro-
chene Kontinuität zwischen den vor 34 Jahren auf jener Granitplatte
vorhanden gewesenen Lebensformen und den heute dort anzutrefien-
den vor. Tausende und aber tausende von malen ist das Wasser
seit dem Jahre 1852 dort ausgetrocknet und wieder durch Regenfall
erneuert worden, niemals aber ist das Leben auf jenem kleinen Be-
zirke erloschen oder durch anders geartetes ersetzt worden. Meine
Nachforschungen haben ergeben, dass jene Platte seit etwa 200 Jahren
an derselben Stelle liegt, wo sie sich heute befindet. Demnach ist
es höchst wahrscheinlich, dass sich dieselbe Fauna, welche Ferd.
Cohn vor einem halben Jahrhundert zuerst in jener ausgewitterten
Höhlung entdeckte, sich mindestens noch 50 Jahre früher dort an-
gesiedelt hat, denn zu dieser Zeit war die napfartige Vertiefung in
der Platte sicher schon ausgebildet. Nach einer Angabe v. Flo-
tow’s aus dem Jahre 1845, die ich in einem seimer Tagebücher
finde!), war die Kapazität der Höhlung (in Litern Wasser gemessen)
zu damaliger Zeit nicht geringer als eben. Man könnte demnach ver-
muten, dass die Aushöhlung des kleinen Wasserbeckens nicht erst
von dem Tage ab datiert, da die in Rede stehende Platte über den
Frosehgraben gelegt und als Fußsteg benutzt wurde. Es ergäbe sieh
dann für die in jener Höhlung lebenden Tierspecies im Minimum
eine Lebenskontinuität von 100 Jahren.
Und wie ist diese ununterbrochene Generationsfolge derselben
Speeies an einer eng begrenzten und allen Wechseln der Witterung
ausgesetzten Stelle zu erklären? Auf diese Frage habe ich mir Ant-
wort durch das Experiment zu verschaffen gesucht. Ich habe ältere
4) Dieselben wurden mir in freundlichster Weise von dem Sohne des ver”
storbenen Forschers, Herrn Generalmajor Otto v. Flotow, zur Durchsicht
überlassen,
N
Me
Zacharias, Können Rotatorien und Tardigraden wieder aufleben oder nicht? 933
und jüngere Exemplare der oben genannten Philodina ceinnabarina
langsam auf dem Öbjektträger eintrocknen lassen, und stets die Er-
fahrung gemacht, dass sie samt und sonders starben, wenn alles
Wasser verdunstet war. Dasselbe geschah mit den Bärtierchen, die
in die gleiche Lage versetzt wurden. Dagegen schrumpfen oder ver-
ändern sich die in dem feinen Mud des Wasserbeckens enthaltenen
Eier derselben Philodinide und diejenigen der Tardigraden nicht im
geringsten, wenn sie einer allmählichen Trockenlegung unterzogen
werden. Aus einem Uhrschälchen, in welehem 30 Stück Eier mit
einer kleinen Menge von pflanzlichem Detritus eingetroeknet waren, ge-
wann ich nach Verlauf von 10 Tagen ein Dutzend junger und blass-
rot gefärbter Philodina-Exemplare. Ob die übrigen Eier noch aus-
geschlüpft wären, wenn ich das Schälchen noch länger hätte stehen
lassen, vermag ich nicht zu entscheiden; ich begnügte mich mit Kon-
statierung der Thatsache, dass es einzig und allein die Eier sind,
durch welche die kontinuierliche Generationenfolge aufrecht erhalten
wird. Denselben Versuch habe ich inbetreff der Bärtierchen ge-
macht, indem ich deren Eier auf einem Deckglase eintrocknen ließ,
jedoch erst nach Ablauf einer Woche in ein Schälechen mit Wasser
brachte. Von 6 Eiern kamen innerhalb 12 Tagen 2 zur Entwicklung;
über das Schicksal der andern habe ich mich nicht weiter bekümmert,
weil es mir nur auf Feststellung der Thatsache ankam, dass auch
bei den Tardigraden das scheinbare Wiederauflebungsvermögen auf
der Widerstandskraft der diekschaligen Eikörper beruht.
Neuerdings (16. und 17. April er.) habe ich im Bodensatz des
Wassers, welches ich unlängst aus der Grunauer Granitplatte ge-
schöpft habe, auch stark kontrahierte Philodiniden - Exemplare auf-
gefunden, die den Anschein einer beginnenden Enzystierung darboten,
insofern sich eine Art durchscheinender Hülle um ihren ganzen
Körper abgeschieden hatte. Diese Exemplare fand ich aber im De-
tritus einer Wassermenge, die noch 3—4 Tage bis zum gänzlichen
Verdunsten nötig gehabt haben würde. Darüber, ob dergleichen
quasi-enzystierte Philodiniden sich nach Austrocknung etwa wieder
beleben lassen, habe ich bislang noch keine Erfahrung.
Von der massenhaften Anwesenheit der in Rede stehenden Phi-
lodina einnabarina in der Granitplattenhöhlung von Grunau wird man
sich am besten einen Begriff machen können, wenn ich berichte, dass
ich darin Fragmente von abgestorbenen Grashalmen fand, welche
mit Trupps von 300—400 Stück der genannten Rotatorienspecies be-
setzt waren. Dazwischen sah man zahllose Eier in allen Stadien der
embryonalen Entwicklung. Ich habe bei meinen häufigen Exkursionen
an die Tümpel und Teiche der Umgegend von Hirschberg nirgends
so große und niemals so massenhafte Exemplare dieser Philodinide
gefunden, wie’an der angegebenen Lokalität. Inbezug auf die hoch-
rote zinnoberartige Farbe derselben möchte ich bemerken, dass mir
934 Zacharias, Können Rotatorien und Tardigraden wieder aufleben oder nicht ?
dieselbe von dem in den Darm aufgenommenen Haematococcus plu-
vialis herzurühren scheint. Denn kultiviert man die Tiere in Wasser,
welches aus einer gewöhnlichen Regentonne geschöpft ist, so werden
dieselben allmäblich blässer, und bebalten schließlich nur noch einen
rosafarbenen Schein.
Außer den Rotatorien und Tardigraden waren es bisher vorzugs-
weise auch noch gewisse Nematoden (Anguilluliden), denen man
das Vermögen, einer vollständigen Dessikkation widerstehen zu können,
zuschrieb. Inbetreff dieser Tiergruppe hat aber P. Hallez (Lille)
neuerdings ebenfalls nachgewiesen, dass die herrschende Ansicht un-
richtig ist !). Er ließ kleine Nematoden (Rhabditis aceti), die auf
Stärkekleister kultiviert waren, eintrocknen und beobachtete, dass
niemals größere und ältere Exemplare erschienen, nachdem der Kleister
wieder befeuchtet worden war, sondern stets kleine und jüngere
Würmer. Nähere Nachforschungen über diesen Umstand ergaben das
Resultat, dass nicht die Muttertiere selbst, sondern die im Körper
derselben mit eingetrockneten Eier auf allen Stadien der Entwick-
lung das Vermögen besaßen, im Trockenzustande auszudauern.
Kleisterbrocken, welche ein Alter von drei Jahren hatten, ergaben,
wenn sie befeuchtet wurden, nach kurzer Zeit junge Exemplare von
Rhabditis aceti in großer Menge.
Was die in der Grunauer Steinplatte mit anwesenden Vertreter
der Algenflora anlangt, so ist von Prof. G. Hieronymus (Breslau)
inbezug auf Stephanosphaera plwvialis Cohn in einer besondern Ab-
handlung ?) unlängst nachgewiesen worden, dass die durch den
Paarungsakt der Mikrogonidien dieser Volvocinee erzeugten „Ruhe-
zellen“ (Zygosporen) allein im stande sind, den Trockenzustand zu
überdauern, um dann bei Wiederbenetzung mit Wasser neue Stephano-
sphaera-Familien zu produzieren. Vom Haematococcus ist ein Ruhe-
stadium ähnlicher Art bekannt, und so wird das ungestörte Fortleben
beider Repräsentanten der Algenwelt an dem fraglichen Fundorte
wohl begreiflich.
Da Amöben und Flagellaten das gleiche Vermögen sich zu en-
zystieren besitzen, so hat es auch inbezug auf diese Protozoen keine
Schwierigkeit, sich deren fortdauernde Generationenfolge in der
Höhlung jener Granitplatte zu erklären.
Von einer eigentlichen Fauna und Flora rediviva
kann im vorliegenden Falle aber nach alledem nicht
mehr die Rede sein, sondern es handelt sich lediglich um ein
Anpassungsverhältnis der betreffenden Eikörper an den Aufenthalt
4) Recherches sur l’embryog&nie et sur les conditions du d&eveloppement
de quelques nematodes. Paris, 1885. pag. 46 und 47.
2) Vergl. Beiträge zur Biologie der Pflanzen, herausgegebeh von F. Cohn,
4. Bd. 1885. 8. 73.
Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. 255
in austrocknendem Detritus. In jeder sonnigen und regenlosen Woche
tritt die natürliche Auslese behufs Erzielung solcher ausdauernder
Eier wenigstens einmal in Wirksamkeit: die etwa mit Regenwasser
gefüllte Höhlung trocknet in dieser Zeit notwendig aus, und damit
wird alles Leben, was sich nicht enzystieren kann oder in undurch-
lässigen Eischalen geborgen ist, dem Tode des Verschmachtens ge-
weiht. Dieser Ausleseprozess, der Jahr aus Jahr ein in jener napf-
artigen Vertiefung der Grunauer Platte thätig ist, hat nun — wie es
scheint — an dieser beschränkten Lokalität noch den Nebenerfolg
gehabt, eine durch ihre Größe ausgezeichnete Varietät der Philodina
roseola zu züchten, für die ich, wie schon gesagt, die Bezeichnung
cinnabarina in Vorschlag bringe. Ich habe eine so stattliche, schön
gefärbte und wenig scheue Philodinide bisher an keinem zweiten
Orte in unserer Gebirgsgegend angetroffen. Wenn ich dieses Tierchen
als „wenig scheu“ charakterisiere, so meine ich damit dessen Ver-
halten in den Momenten, wo sein Räderorgan von einer rollenden
Stephanosphärenkugel, einer vorbeischießenden Stylonychia oder einem
strampelnden Bärtierchen berührt wird. Es kommt ihm in diesen
Fällen nicht bei, sich furchtsam zu kontrahieren und zu lauschen,
bis sich der vermeintliche Feind entfernt hat (wie dies Rotifer vul-
garis zu thun pflegt), sondern es rädert mit seinem Wimperorgan
unbekümmert fort, und lässt sich durch nichts stören. Ich erkläre
mir dieses auffällige Verhalten aus dem Umstande, dass die Tierchen
in ihrem kleinen Bezirke keinen eigentlichen Feind besitzen, und
dass sie von Jugend auf an die einförmige zoologische Gesellschaft,
in der sie sich zeitlebens befinden, gewöhnt sind. Auf die sozialen
Neigungen desselben Tierchens, welches oft in ganzen Kolonien an-
getroffen wird, habe ich schon oben hingewiesen.
Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper!').
Bei denjenigen Stoffen, welche sowohl in der Nahrung enthalten
sind, als auch im Körper — sei es vorübergehend, sei es ständig —
vorkommen, ist eine zweifache, örtlich verschiedene Zersetzung
möglich: im Darmkanal und in den Geweben. Es fragt sich, ob
auch die Art der Zersetzung an den beiden Orten wesentlich ver-
schieden von einander ist. Will man diese Frage entscheiden, so muss
man sich wohl erinnern, dass die Vergleichung auf die Anfänge der
Zersetzung zu beschränken ist. Es begreift sich ja leicht, dass bei
Gleichheit in den Anfängen in den spätern Stadien Verschiedenheiten
1) Nach einem in der naturforschenden Gesellschaft zu Rostock gehaltenen
Vortrag.
336 Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper.
auftreten können und voraussichtlich auch auftreten, die bedingt wer-
den hauptsächlich durch die Gegenwart oder das Fehlen von Stoffen
verschiedenster Art, welche sich mit den Zersetzungsprodukten in
deren Status nascens zusammenlegen können. Findet man die An-
fänge der Zersetzung an beiden Orten gleich, so wird dadurch eine
Stütze gewonnen werden für die Anschauung, dass fermentartige
Substanzen, wie solche im Darmkanal bekannt sind, auch in den
Geweben die Zersetzungen einleiten.
Nun lässt sich für einige Stoffe leicht zeigen, dass prinzipielle
Unterschiede in den Anfängen ihrer Zersetzung innerhalb und außer-
halb des Darmkanals nicht bestehen. So wird aus Eiweiß im Darm-
kanal durch Trypsin, das eiweißspaltende Ferment der Bauchspeichel-
drüse, Leucin und Tyrosin, abgespalten, und dieselben Substanzen
treten unabhängig von der Nahrung unter gewissen Umständen, haupt-
sächlich bei Erkrankungen der Leber, in dieser selbst sowie in den
Ausscheidungen des Körpers auf. Die Erkrankung des Körpers hat
also hier, wie in so vielen Fällen, der Physiologie einen wichtigen
Aufschluss verschafft, indem sie eine bestimmte Stufe eines sonst nur
in seinem Anfang und seinem Schluss zu erkennenden Vorganges auf-
deckte. Dass aber in der That wenigstens der eine der beiden ge-
nannten Stoffe sich wahrscheinlich stets bildet, wenn auch um sogleich,
das heißt vielleicht schon im Status nascens, weiter verwandelt zu
werden, dass man es also bei dem Auftreten desselben im Körper
nicht mit einem vollkommen abnormen Prozess zu thun hat, dafür
ist die Umwandlung von der Nahrung zugesetztem Leucin zu Harn-
stoff ein schlagender Beweis.
Auch bei den Fetten sind die Anfänge der Zersetzung, ihre
Spaltung in Fettsäuren (einschließlich der Oelsäuren) und Glyzerin,
im Darm und in den Geweben gleich; die Thatsachen, welche dieser
Behauptung zu grunde liegen, eingehend zu erörtern, ist Aufgabe
dieser Besprechung. Vielleicht gelingt es derselben, die Aufmerksam-
keit der Physiologie wieder etwas auf das bereits seit längerer Zeit
mehr als stiefmütterlich behandelte Kapitel der Fettzersetzung zu
lenken. Es wird aus dem Folgenden klar werden, dass auf diesem
Gebiete noch manche Lorbeeren zu erringen sind, freilich nieht mühelos
und insbesondere nicht ohne Aufbietung der größten Sorgfalt bei den
Untersuchungen.
Was die Zersetzung der Fette im Darmkanal angeht, mit
der naturgemäß wieder zu beginnen ist, so weiß man seit Ol. Ber-
nard!), dass das Sekret der Bauchspeicheldrüse im stande ist, neu-
trale Fette unter Aufnahme von Wasser zu zerspalten. Ebenso werden
verschiedene andere Fette und aromatische Ester durch den Pankreas-
saft gespalten und ferner auch Verbindungen anderer Art, wie z. B.
1) Lecons de physiologie experiment. ete. Paris 1856.
Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. 937
die Hippursäure [Nencki] !). Während mau so bereits einigermaßen
unterrichtet ist über die Natur der Zersetzungen und auch über die
Bedingungen, unter welchen dieselben am besten verlaufen, ist es bis
jetzt trotz aller Mühe noch nicht gelungen, das fettspaltende Ferment
des Pankreas zu isolieren. Es scheint dasselbe gegenüber den bei
der Isolierung unvermeidlichen Operationen verschiedener Art eine
viel größere Empfindlichkeit zu besitzen als die andern bekannten
Fermente. Diese Eigentümlichkeit verdient besonders hervorgehoben
zu werden.
Verfolgen wir nun, bevor die Fettzersetzung in den Geweben
Gegenstand der Untersuchung wird, kurz das Nahrungsfett auf
seinem Wege, so ist unter Hinweis auf den in diesen Blättern ent-
haltenen Aufsatz von J’Munk?) zunächst der Thatsache zu gedenken,
dass, unabhängig davon, ob viel oder, wie es meist ist, nur wenig
Fett im Darmkanal gespalten wird, oder ob Fettsäuren und Glyzerin
bereits getrennt oder auch die erstern allein in der Nahrung ent-
halten waren, im Chylus und Blut sich nur neutrales Fett findet neben
ganz geringen Mengen von Seifen. Bei reichlicher Fettnahrung kann
das Blut so fettreich werden, dass das Blutserum milchig erscheint
durch die in ihm suspendierten Fettkügelchen. Außer diesem suspen-
dierten Fett ist aber auch noch Fett einfach gelöst im Serum, das
wie jede Eiweißlösung eine gewisse Menge von Fett aufzunehmen
vermag. So findet sich denn auch, wenn man nach mehrern Stunden
— die Zeit ist natürlich abhängig von der Menge des Fettes in der
Nahrung — von neuem einen Aderlass macht und nun ein vollkommen
klares Serum aus dem Blute gewinnt, stets noch Fett in demselben,
ja sogar noch nach mehrtägigem Huugern.
Für das Verschwinden des Fettes aus dem Blut gab die ältere
Physiologie einfach die Erklärung, das Fett wäre im Blute verbrannt.
Es lässt sich nicht leugnen, dass ein Teil des Fettes, aber jedenfalls
nur ein sehr kleiner Teil, durch Hilfe der weißen Blutkörperchen im
Blute selbst vollkommen zersetzt werden kann zu Kohlensäure und
Wasser; der größte Teil des Fettes muss aber aus dem Blute ent-
fernt, in die Organe und Gewebe gebracht sein, sei es um hier ver-
brannt zu werden, sei es um hier liegen zu bleiben. Wenn es nun
auch weiter denkbar ist, dass in dem Transsudat des Blutes, der
Lymphe, auch die feinen Fetttröpfehen des Blutserums mit aus den
Gefäßen herauszutreten vermögen, so darf ein solches Austreten von
Fetttröpfehen doch wohl nicht als die Regel angesehen werden, da
auch bei sehr großem Gehalt des Blutes an Fett, ohne weiteres er-
kennbar an der milchigen Beschaffenheit des Serums, niemals eine
trübe Flüssigkeit aus den Lymphgefäßen gewonnnen wird [H. Nasse?°),
1) Archiv für experiment. Pathologie, XX, $. 367, 1886.
2) Band V S. 308 ff.
3) Vorstudien zur Lehre von der Lymphbildung, Marburg 1862, S. 19.
338 Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper.
Röhrig!)]. Hierzu ist noch zu bemerken, dass in den Versuchen von
H. Nasse die Lymphe aus Körperbezirken stammte, in welchen eine
rasche Ablagerung des aus den Blutgefäßen ausgetretenen Fettes aus-
geschlossen war. Verlässt wirklich nur ausnahmsweise das Fett in
Tröpfehen das Blut, so würde man sich von dem in Rede stehenden
Vorgang etwa folgendes Bild machen können. Das Serum ist, sobald
es milchig ist, ohne Zweifel als mit Fett gesättigt zu betrachten, eine
gesättigte Lösung von Fett tritt demnach in der Lymphe aus dem Blut
und kehrt da, wo sie mit Geweben in Berührung gewesen ist, welche
Fett aufzunehmen im stande sind, als nicht mehr vollkommen ge-
sättigte Lösung zum Blut zurück. Hier wird nun wieder suspendiertes
Fett zur wirklichen Lösung gebracht werden, und so setzt sich dieses
Spiel so lange fort, bis ein Gleichgewichtszustand zwischen dem Filtrat
aus dem Blut und den Organen und Geweben des Körpers einge-
treten ist.
Auf welche Weise das Fett in den Organen abgelagert wird, die
Fettinfiltration vor sich geht, ist nicht bekannt. Mit Ausdrücken
wie Anziehungskraft der Zellen u. dgl. m. wird die Thatsache nur
umschrieben, doch kann der gebrauchte Ausdruck beibehalten werden,
da durch denselben eine gewisse selbstthätige Beteiligung der Zellen,
die nicht allgemein verbreitet ist, angedeutet wird. Morphologisch
verfolgt ist die Ablagerung des Fettes besonders in dem Bindegewebe
|W. Flemming ?)]; es ist wohl anzunehmen, dass dieselbe in allen
Organen im wesentlichen auf die gleiche Weise vor sich geht, und zwar
sowohl wenn es sich um Nahrungsfett handelt, als auch wenn Fett,
welches bereits abgelagert oder irgendwie im Körper gebildet worden
ist, nachträglich aus einem Organ in ein anderes übertragen wird.
Sehr verschieden ist indess die Schnelligkeit, mit welcher die Zellen
Fett aufzunehmen vermögen; am größten ist dieselbe unzweifelhaft
bei den Leberzellen: schon wenige Stunden nach dem Einführen fett-
reicher Nahrung wird die Leber hochgradig mit Fett infiltriert ge-
funden. So entsteht eine physiologische Fettleber [Kölliker?)],
besonders leicht zu beobachten bei saugenden Tieren. Schnell wird
Fett auch abgelagert in der Milchdrüse und ferner im Eidotter, sehr
langsam dagegen im Fettgewebe. Bildete man eine Reihe, in welcher
die Organe auf einander folgten nach abnehmender Geschwindigkeit
in der Aufnahme von Fett, so würden in derselben ganz zum Schluss
die Muskeln mit einer Geschwindigkeit = Null aufzuführen sein,
womit gesagt werden soll, dass gewisse Organe, in erster Linie wohl
die Muskeln, wahrscheinlich aueh die Nieren, der Fettinfiltration nicht
4) C. Ludwig, Arbeiten aus der physiol. Anstalt zu Leipzig, 9. Jahrg,
1874, S. 1. Leipzig 1875.
2) Archiv für mikroskopische Anatomie, VII, S. 33, 1871.
3) Verhandl. d. physikal. med. Gesellschaft in Würzburg, Bd. VII, 1856.
Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. 2539
anheimfallen können. Trifft man Fett in den Muskeln, und zwar in
der Muskelsubstanz selbst, nicht in ihren aceessorischen bindegewebigen
Teilen, so kann man dasselbe ohne weiteres als nekrobiotisches Fett
betrachten.
Wie die Infiltration rasch erfolgen kann, so kann anderseits auch
das Fett unter Umständen sehr rasch wieder aus den Zellen ver-
schwinden. Im allgemeinen können diejenigen Zellen, welche schnell
Fett aufnehmen, sich desselben auch wieder schnell entledigen. Man
unterscheidet nun wohl nach der Dauer des Liegenbleibens transito-
risches Fett und permanentes, doch stets mit dem Nebengedanken,
dass eine vollständige Permanenz nicht vorkommt. Das beste Beispiel
von rasch wieder verschwindender Fettinfiltration bietet die erwähnte
physiologische Fettleber bei sehr fettreicher Nahrung, an deren Stelle
wenige Stunden nach dem Aufhören der Fettzufuhr wieder eine Leber
von normalem Fettgehalt gefunden wird. Das Verschwinden des Fettes
aus den Organen und Geweben kann zu stande kommen auf zwei
verschiedene Weisen: entweder wird das Fett als solches fortgeschafft
oder es wird zersetzt.
Tritt Zersetzung des Fettes in den Geweben ein, so ist
von vornherein wahrscheinlich, dass dieselbe mit einer Spaltung in
Fettsäuren und Glyzerin beginnt, wie ja auch extra corpus diese
Spaltung jedem Eingriffe in das Fett-Molekül folgt. Dass dies aber
auch wirklich in den Geweben der Fall ist, lässt sich beweisen einer-
seits daraus, dass das Fett gewisser Organe insbesondere der Leber
außergewöhnlich viel freie Säure enthält [F. Hofmann!)]. Da indess
nur durch eine summarische Titrierung des bei niederer Temperatur
ausgeschmolzenen Fettes der Säuregrad ermittelt worden ist, fremde
Säuren somit nicht ganz ausgeschlossen waren und außerdem die be-
treffenden Organe von Leichen stammten, so möchten mit Recht Zweifel
an der Vollgiltigkeit dieses Beweises erhoben werden können. Völlig
einwurfsfrei dagegen dürften sein die Beobachtungen über das Ver-
halten des Fettes in ölreichen Samen bei dem seinem Wesen nach
mit dem tierischen Stoftwechsel ganz übereinstimmenden Prozess des
Keimens: während die ruhenden Samen annähernd neutrales Fett
enthalten, ist das Fett der keimenden Samen reich an fetten Säuren
[von Rechenberg?)|. Das Fett war bei diesen Versuchen durch
Ausziehen mit Petroleumäther gewonnen. Ein fettspaltendes Ferment
hat aus keimenden Samen bisher ebenso wenig wie aus dem Pankreas-
saft, und wahrscheinlich auch aus denselben Gründen, isoliert werden
können, während die diastatischen Fermente und, wenn auch weniger
4) Beitr. z. Anat. u. Physiol. als Festgabe Carl Ludwig gewidmet etc.
Leipzig 1874, S. OXXXIV.
2) Journ. f. prakt. Chemie, N. F., XXIV, $. 512, 1881; s. auch die ältere
Literatur bei W. Pfeffer, Pflanzenphysiologie, I, $S. 283, Leipzig 1881.
940 Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper.
leicht, die eiweißzerlegenden Fermente schon fast in reinem Zustande
aus Samen gewonnen sind. Bei der Wiederaufnahme dieser Unter-
suchungen wird man nicht vergessen dürfen, dass nach den am Pankreas
gemachten Erfahrungen insbesondere Säuren und zwar schon in ganz
geringen Mengen das Fettferment zerstören [Cl. Bernard'), Grütz-
ner?)]. Das fettzerlegende Ferment mag sich ähnlich wie das diasta-
tische teilweise erst während des Keimungsprozesses bilden, ein Teil
ist aber jedenfalls schon im ruhenden Samen enthalten. Das geht
hervor aus dem schnellen Auftreten von freien Fettsäuren bei dem
Zerreiben Ölhaltiger Samen mit Wasser [|Schützenberger?)|. In
gleicher Weise wie in diesem Versuche mit Samen wird sicher auch
in der Leber die stete Anwesenheit einer fettzerlegenden Kraft nach-
zuweisen sein, und an diesen Nachweis, der bisher noch gar nicht
versucht ist, werden sich dann mancherlei wichtige Experimente über
die Abhängkeit der Fettzersetzung von äußern Bedingungen, wie Gas-
gehalt des mit Fett digerierten Leberbreis, Anwesenheit fremder Sub-
stanzen u. dgl. von selbst anschließen.
In dem Vorstehenden ist nicht bloß der Beweis dafür erbracht,
dass die Fettzersetzung in. ihren Anfängen intra et extra
intestina die gleiche ist, sondern auch bereits angedeutet, dass
dieselbe wohl nicht in allen Organen mit der gleichen Leichtigkeit
vor sich geht, dass es vielmehr einzelne Organe gibt, wie insbesondere
die Leber, in denen das Fett seiner Hauptmasse nach verbrannt wird.
Wenn sich nun auch noch nicht vollkommen klar übersehen lässt, wie
in dieser Beziehung die Arbeitsteilung der Organe ist, so kann man
doch schon von einem Gewebe, welches besonders reich an Fett ist
und von demselben seinen Namen trägt, mit einiger Bestimmtheit
sagen, dass in ihm die Zersetzung wohl nur sehr gering ist. Es ist
wohl überhaupt der Stoffwechsel im Fettgewebe sehr langsam;
wie lange fremdes Fett in demselben abgelagert bleibt, eine Ernäh-
rung des betreffenden Körpers vorausgesetzt, bei welcher der Fett-
bestand unverändert bleibt, weiß man gar nicht. Gegen die Annahme
der Fettzersetzung bei dem Verschwinden des Fettes aus dem Fett-
gewebe möchte zur Zeit neben dem geringen Protoplasmagehalt der
Zellen weniger das fast vollständige Fehlen von Fettsäuren in dem
ausgeschmolzenen Fett (F. Hofmann) angezogen werden dürfen,
zumal Untersuchungen des Fettgewebes in Fällen von rascher Ab-
magerung nicht genügend vorliegen, als vielmehr das anatomische
Bild bei Rückbildung des Fettgewebes. Es erscheinen nämlich die-
selben Formen der Zellen wieder, nur in umgekehrter Reihenfolge,
welche bei der Ablagerung des Fettes beobachtet werden (W. Flem-
IRA Na70.
2) Archiv f. d. ges. Physiologie, XII, S. 302, 1876.
3) Die Gärungserscheinungen, Leipzig 1876, 8. 263.
Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper. 241
ming). Nur ausnahmsweise entstehen die früher als typisch betrach-
teten serumhaltigen Fettzellen. So bleibt denn für das Fettgewebe
nur die erste der oben erwähnten Möglichkeiten: das Fett, das als
solches hineingebracht war, wird auch als solches wieder fortgeschaftt,
vermutlich in derselben nicht näher anzugebenden Art, wie das transi-
torische Fett der physiologischen Fettleber aus dieser wieder als
solches herausgebracht wird. Bemerkenswert erscheint hier noch die
Beobachtung [H. Nasse!)], dass bei Wiederaufnahme des Fettes aus
seinen Depöts das Blutserum ebenso milehig sein sein kann wie nach
Einführen sehr fettreicher Nahrung; eine gewisse Aktivität der Fett-
zellen bei Abgabe ihres Fettes könnte hieraus gefolgert werden.
Das Fett des Fettgewebes wird bis auf die kleinen Mengen,
welche im Blute verbrannt werden, wahrscheinlich in die Leber ge-
bracht, um unter gewöhnlichen Verhältnissen hier rasch zerstört zu
werden, unter abnormen auch wohl kürzere oder längere Zeit liegen
zu bleiben. Ein solcher Transport von Fett in die Leber, und
zwar in diesem Falle Ablagerung des Fettes in der Leber (Infiltration),
ist bis jetzt allerdings nur ein einziges mal als mit Zahlen belegbar
festgestellt worden, nämlich bei Phosphorvergiftung [H. Leo?)|, aber
diese eine sichere Beobachtung erlaubt schon — und darin liegt ihre
allgemeinere Bedeutung — die bereits angedeutete Vermutung auszu-
sprechen und dieselbe als weiterer eingehender Prüfung wert hinzu-
stellen, dass die Leber das Fett aufnimmt, welches von den der Fett-
zersetzung nicht mächtigen Organen des Tierkörpers abgegeben wird.
Angenommen ist dieser Vorgang schon oft von der Pathologie; ins-
besondere sind die Leber-Fett-Infiltrationen bei starker Abmagerung,
so u. a. hauptsächlich bei Phthisis |[Frerichs?)] auf diese Weise er-
klärt worden. Dabei hat man aber wohl niemals die Möglichkeit
einer Komplikation durch mehr oder weniger fortgeschrittene fettige
Entartung der Leber in Abrede stellen wollen.
Des Liegenbleibens von Fett in der Leber ist schon wiederholt
gedacht worden als einer abnormen Erscheinung. Durch dasselbe
wird erzeugt die einfache (Infiltrations-) Fettleber. Von einfacher
Fettleber darf nur gesprochen werden, wenn die Leber abzüglich des
Fettes in ihrer Größe (Gewicht) und ihrer Zusammensetzung normal
ist. Schwierig ist hierbei freilich anzugeben, was normal ist. Zunächst
ist das Verhältnis des Lebergewichtes zum Körpergewicht, oder, ge-
nauer gesagt, die physiologischen Schwankungen in diesem Verhältnis
keineswegs genau bekannt, und weiter ist der chemische Bau der
fettfreien Lebersubstanz kaum annähernd ermittelt und im einzelnen
Fall sehr schwer festzustellen. Die Untersuchungen von Menschen-
}) Ueber den Einfluss der Nahrung auf das Blut, Marburg 1850, S. 74;
s. auch Frerichs, Klinik der Leberkrankheiten, Bd.1, S. 293, Braunschweig 1855.
2) Zeitschr. f. physiol. Chemie IX, S. 469. 1885.
3A. 0.
VI, 16
942 Nasse, Fettzersetzung und Fettanhäufung im tierischen Körper.
lebern, welche vorliegen [Perls'!), R.v. Hösslin?)], haben sich aus
guten Gründen bisher beschränkt auf den Gehalt an festen Bestand-
teilen und an in Aether löslichen Stoffen, welche letztere insgesamt,
ohne der an Menge wechselnden Beimischung von Cholesterin und
Leeithin zu gedenken, als Fett bezeichnet werden. Aus diesen sehr
allgemein gehaltenen Untersuchungen hat sich aber doch schon er-
geben, dass in manchen Krankheiten die Leber, immer wieder nach
Abrechnung des Fettes, sehr wasserreich (so z. B. bei perniziösem
Ikterus, akuter gelber Leberatrophie und oft bei Phthisis), in andern
dagegen wasserarm ist (so z. B. in einem Fall von Phosphorvergif-
tung); dabei wird angenommen, dass in der gesunden Leber der
Prozentgehalt der fettfreien Leber an festen Bestandteilen zwischen
19 und 22 schwankt. Wenn nun auch in der Leber abzüglich des
Fettes sich alles in den eben angegebenen Grenzen der Zusammen-
setzung (genauer: des Wassergehaltes) und den noch nicht näher
anzugebenden Grenzen des Gewichtes verhält, so fragt es sich, von
welchem Fettgehalt ab dieselbe als (einfache) Fettleber bezeichnet
werden darf. Es ist die Anschauung verbreitet, dass der Fettgehalt
der Leber in einem gewissen Verhältnis stehe zum Fettgehalt des
ganzen Körpers, mit diesem zunehme. Der Beweis für die Richtig-
keit dieser Anschauung, die wesentlich auf Sektionsbefunde und
Schätzung der Fettmengen durch das Auge gegründet ist, muss aber
erst noch erbracht werden durch genaue Untersuchungen von Leichen
gesunder Menschen sowie von Tieren, diese natürlich getötet erst
ungefähr dreißig Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme, damit
nicht das Fett der transitorischen Nahrungs-Fettleber Fehler bedinge.
Eine an Fett sehr reiche Leber könnte also unter gewissen Verhält-
nissen, nämlich bei allgemeinem Fettreicehtum des Körpers, physiolo-
gisch genannt werden müssen, während eine Leber von vollkommen
gleichem Bau und gleicher Zusammensetzung pathologisch zu nennen
wäre, wenn sie in einem fettarmen Körper vorkommt. Pathologisch ist
selbstverständlich diejenige Fettleber, deren fettfreie Substanz nicht mehr
normal zusammengesetzt (vgl. die oben angeführten Beispiele) oder
an Menge vermindert oder vermehrt ist u. s. w. Das Fett einer
solchen pathologischen Fettleber wird unter Umständen auch nur
infiltriertes Fett sein können, wird aber auch durch fettige Degenera-
tion entstanden sein können: nekrobiotisches Fett. Wie häufig sich
fettige Degeneration mit Fettinfiltration und Abnahme der fettfreien
Lebersubstanz-Menge (nebst Veränderungen in der Zusammensetzung)
vereinigt, und wie schwierig es im einzelnen Falle ist, genau die
Natur der Fettleber anzugeben, zumal auch das Mikroskop nur in den
extremsten Fällen Hilfe zu leisten vermag und oft nur aus dem Auf-
4) Mediz. Cenlralblatt, 1873, S. 802.
2) Deutsches Archiv f. klin Medizin, XXXII, S. 600, 1883.
Voit, Lehmann und Rubner, Ueber die Fettbildung im Tierkörper. 243
treten von nekrobiotischem Fett in andern Organen auf fettige Dege-
neration der Leber geschlossen werden kann, darüber muss man die
Pathologie hören; für die hier vorliegenden Zwecke ist der Exkurs
über die Fettleber schon fast zu lang geworden.
Sobald überhaupt Fett, ganz unabhängig von seiner Abstammung,
abnormer Weise liegen bleibt, sei es im ganzen Körper (bei soge-
nannter Fettsucht), sei es in einem bestimmten Organ: der Grund
dieses Liegenbleibens muss in gänzlichem Fehlen oder in Vermin-
derung des Fettzersetzungsvermögens gesucht werden. Die
früher betonten Erfahrungen über die Sensibilität des fettzerspaltenden
Fermentes des Pankreassaftes ermächtigen sicher zu der Annahme
einer gleich großen Sensibilität der einstweilen freilich noch rein
hypothetischen und von dem Protoplasma nicht abzutrennenden fett-
spaltenden Fermente der Organe des Tierleibes. Bringt man mit dieser
Vorstellung die Thatsache in Verbindung, dass Liegenbleiben von Fett
in demjenigen Organ, in welchen sonst die Fettzersetzung lebhaft vor
sich geht, der Leber, die Enderscheinung so vieler Krankheiten und
experimenteller Störungen des Körpers ist, so wird man sich aber
sehr davor hüten müssen, die Wirkung fremder Agentien auf den
Organismus, weil in ihrem Gefolge auch Liegenbleiben von infiltrier-
tem oder nekrobiotischem Fett eintritt, stets auf dieselbe Weise er-
klären zu wollen. Es ist hier nicht der Ort, auf die Wirkung dieser
Agentien näher einzugehen, zumal die Gefahr vorliegt sich in Hypo-
thesen zu verlieren; nur mag zum Schluss noch darauf hingewiesen
werden, dass manche Stoffe, während sie den Fettzerfall hindern,
den Eiweißzerfall im Körper vermehren; diese Erscheinung würde
dafür sprechen, dass die Kräfte, welche die beiden in Rede stehenden
Zersetzungen vermitteln, ebenso an verschiedenen Molekülen des Proto-
plasmas haften, wie im Darmkanal die Zersetzungen von Eiweiß,
Fett u. s. w. durch verschiedene Fermente veranlasst werden.
0. Nasse (Rostock).
Ueber die Fettbildung im Tierkörper.
Nach zwei von Dr. Erwin Voit und Dr. C. Lehmann und von
Dr. M. Rubner ausgeführten Untersuchungen
mitgeteilt von ©. v. Voit!).
Man hat bekanntlich früher, nachdem sich herausgestellt hatte,
dass das Eiweiß im Tierkörper ausschließlich aus dem in der Nahrung
schon vorhandenen Eiweiß stammt und demnach kein Eiweiß in dem-
selben erzeugt wird, das Gleiche auch für das Fett angenommen. Es
waren vorzüglich die französischen Forscher Dumas, Boussingault
4) Aus den Sitzungsberichten der k. bayr. Akademie d. Wissenschaften.
Nöris:
944 Voit, Lehmann und Rubner, Ueber die Fettbildung im Tierkörper.
und Payen, welche den Satz verteidigten, dass das Fett des Tieres
nur von dem aus der Nahrung resorbierten, durch die Pflanze berei-
teten Fett herrührt.
Liebig zog dagegen aus seinen geistvollen Betrachtungen über
die Vorgänge im Tierkörper den Schluss, dass die Kohlehydrate der
Nahrung die Hauptquelle für das im tierischen Organismus abgelagerte
Fett seien. Liebig ging damals aus dem lebhaft geführten Kampfe
als Sieger hervor, da es sich zeigen ließ, dass das Fett der Nahrung
in einer Anzahl von Fällen nicht hinreicht, das unterdess im Körper
angesetzte Fett zu decken.
Pettenkofer und ich machten später auf eine weitere Quelle
für das Fett aufmerksam, nämlich auf das Eiweiß, das sich nach
unsern Untersuchungen am Hunde im Organismus in einen stickstoff-
haltigen und stiekstofffreien Anteil spaltet, welcher letzterer nahezu
die Zusammensetzung des Fettes besitzt.
Dadurch war es nötig geworden zuzusehen, ob vielleicht das in
der Nahrung zugeführte Fett mit dem bei dem Eiweißzerfall sich ab-
spaltenden Fett hinreieht, den Fettansatz im Tierkörper zu bewirken,
und ob die Kohlehydrate in diesem Falle nur die Aufgabe haben,
das Fett vor der weitern Zerstörung zu schützen.
Es ließ sich dies auch in der That, unter der Annahme, dass
nach Henneberg’s Berechnung aus dem Eiweiß bei dem Zerfall in
‘sich selbst — nach Analogie der Zuckergärung, ohne Eingriff des
atmosphärischen Sauerstoffes — im höchsten Falle 51,4 °/, Fett ent-
stehen, für die von uns beim Hunde gemachten Beobachtungen nach-
weisen. Ebenso genügte das aus dem Darm resorbierte und aus dem
Eiweißzerfall entstandene Fett zur Deckung des Butterfettes einer
gut genährten reichlich Milch sezernierenden Kuh. Auch von andern
wurde darauf hin das Gleiche gefunden, so z. B. von Stohmann
für milchgebende Ziegen, von Gust. Kühn und von M. Fleischer
für Milchkühe bei an Eiweiß und Fett armer Nahrung.
Ich habe daher damals gesagt, dass der Uebergang von Kohle-
hydraten in Fett nicht bewiesen sei und ein solcher Vorgang erst
dann angenommen werden dürfe, wenn man Beispiele fände, wo jene
beiden andern Fettquellen sicher nicht melir zureichen. Es war dies
der einzig richtige Standpunkt; niemals habe ich behauptet, dass die
Kohlehydrate kein Fett geben, und es ist demnach auch, wenn der
Beweis der Bildung von Fett aus Kohlehydraten geliefert wird, nicht
dargethan, dass ich mich geirrt habe, wie es jetzt nicht selten fälsch-
lich von solchen dargestellt wird, die meine Lehren nicht kennen.
Von den früher angestellten Versuchen schienen nur einige von
Lawes und Gilbert an Schweinen angestellte die Notwendigkeit
der Kohlehydrate zur Fettbildung zu ergeben. Diese Forscher stellten
bei einem Schweine den Gehalt an Wasser, Eiweiß, Fett und Asche
fest und dann ebenso in einem andern, dem ersten möglich gleichen,
Voit, Lehmann und Rubner, Ueber die Fettbildung im Tierkörper. 945
nachdem es durch 10 Wochen mit einer bekannten Nahrung gefüttert
worden war. Ich habe diese Versuche nicht für genau genug gehalten,
um einen so wichtigen Satz festzustellen; auch Soxhlet hält dieselben
nicht für entscheidend, da dabei weder der Kot noch der Harn auf-
gesammelt worden ist und nur ein einziger brauchbarer Versuch vor-
liegt, bei welchem zudem nur wenig Fett aus Kohlehydraten abzu-
stammen braucht, während bei den übrigen Versuchen weder die
Zusammensetzung der Versuchstiere noch die gleichartiger Kontrol-
tiere ermittelt wurde.
Bei den später von Weiske und Wildt ebenfalls an Schweinen
ausgeführten Versuchen schien es, als ob die Kohlehydrate für die
Fettbildung nicht in Anspruch genommen werden müssten; jedoch
machte E. Schulze und auch E. v. Wolff darauf aufmerksam, dass
der Stickstoff der dabei verfütterten Kartoffeln nicht aller in Eiweiß,
wie Weiske und Wildt angenommen hatten, sondern zum großen
Teil in Amidverbindungen enthalten ist, die kein Fett zu liefern im
stande sind.
Es mehrten sich nun nach und nach die Beispiele, nach welchen
das Fett aus der Nahrung und aus dem Eiweiß nicht zureicht.
Zunächst wurden Versuche vorgebracht, bei welchen eine Anzahl
möglichst gleicher Tiere ausgewählt und dann angenommen wurde,
dass alle die gleiche Fettmenge im Körper besitzen. Eines oder
mehrere der Tiere wurde nun gleich geschlachtet, um den anfäng-
lichen Fettgehalt zu erfahren und dann eines oder mehrere gefüttert
und hintennach wieder die Quantität des Fettes ermittelt. Auf diese
Weise suchte man zu finden, wie viel Fett unter dem Einflusse einer
bestimmten Nahrnng angesetzt worden ist. Man wählte solche Tiere
aus, welche sich zur Fettmast erfahrungsgemäß besonders eignen und
große Quantitäten von an Kohlehydraten reichen und an Eiweiß sowie
an Fett armen Nahrungsmitteln ertragen, wie z. B. Schweine oder
Gänse.
In solcher Art sind die Versuche von Soxhlet an Schweinen
bei Fütterung mit Reis, von B. Schulze und von Chaniewski an
Gänsen, sowie von M. Tscherwinsky an Schweinen gemacht worden.
Gegen diese Methode ist im allgemeinen einzuwenden, dass es
kaum möglich ist, Tiere mit annähernd gleichem Fettgehalt zu be-
kommen. Ich habe dies bei Versuchen, welche sehon vor 15 Jahren
an Gänsen in meinem Laboratorium ausgeführt worden sind, erfahren,
und es hat sich das Gleiche neuerdings bei den Versuchen von Dr.
E. Voit und Dr. C. Lehmann an Gänsen herausgestellt. Trotzdem
die Tiere aus dem gleichen Trieb genommen waren und nahezu gleiches
Gewicht besaßen und vor Beginn des Versuchs 4!/, Tage lang ge-
hungert hatten, zeigte sich doch ein Unterschied im prozentigen Fett-
gehalte der Kontrolgänse von 14—27°/, oder bei einem Gewicht der
Gans von 4 Kilo eine Differenz in der Menge des Fettes von 500 Gramm.
946 Voit, Lehmann und Rubner, Ueber die Fettbildung im Tierkörper.
Es ist klar, dass bei solchen Verschiedenheiten die Methode zu keinem
genauen Resultate führen kann.
Soxhlet schlachtete von drei möglichst gleichen Schweinen eines
zur Kontrole und fütterte die beiden andern mit Reis, wobei er den
Kot aufsammelte und daraus die Menge des im Darm resorbierten
Eiweißes und Fettes entnahm. Das Kontrolschwein erwies sich schon
als recht fett, denn es enthielt 38,6 Kilo Fett, und von den beiden
andern nahm das eine in 75 Tagen um 10,1 Kilo, das andere in 82
Tagen um 22,2 Kilo Fett zu. Der Erfolg der Mast war also sehr
verschieden, und obwohl das dritte Tier etwas länger gefüttert wurde,
so ist doch wohl ein großer Teil des ungleichen Resultates auf einen
verschiedenen Anfangsfettgehalt bei den Tieren zu setzen. Soxhlet
kommt jedoch bei der Betrachtung der Versuchsergebnisse zu dem
Schluss, dass, wenn man nicht ganz abnorme Zahlen für die Tiere
anfangs abgelagerte Fettmenge annehmen will, ein großer Teil des
Körperfettes aus Kohlehydraten gebildet worden sein muss. Soxhlet
hat mir später übrigens die Mitteilung gemacht, dass durch ein Ueber-
sehen bei der chemischen Untersuchung der Organe sich die Differenz
nicht so hoch stelle.
Bei den Versuchen von B. Schulze an Gänsen wurden 8 Tiere
verwendet, zwei alsbald geschlachtet und sechs mit Roggenkleie und
Kartoffelstärke gefüttert. Bei den 2 Kontroltieren war der Fettgehalt
höchst ungleich, nämlich bei dem einen nur 452 Gramm, bei dem
andern 783 Gramm; die Differenz beträgt 331 Gramm. Schulze
nimmt als Anfangsfettgehalt das Mittel von 617 Gramm Fett an. Bei
Anwendung eines Futters mit einem im Verhältnis zum Eiweiß reichen
Stärkemehlgehalte fand nun in vier Fällen ein Ansatz von Fett aus
Kohlehydrat statt, und zwar von 24, 121, 95 und 74 Gramm (5—20%,
des gesamten neugebildeten Fettes betragend), welche Zahlen aber alle
in die Fehlergrenzen der ursprünglichen Bestimmung des Fettgehaltes
fallen.
Bei den beiden Versuchen von Tseherwinsky an jungen
Schweinen wurde allerdings so viel Fett bei Fütterung mit Gerste
angesetzt, dass kaum etwas Anderes anzunehmen ist, als dass dabei
aus Stärkemehl Fett erzeugt worden ist. Denn im ersten Versuche
enthielt das 7,3 Kilo schwere Kontroltier nur 0,69 Kilo Fett, das ge-
fütterte Tier 9,25 Kilo, wovon für 4,87 Kilo das Stärkemehl in An-
spruch genommen werden muss; im zweiten Versuche fand sich im
11,03 Kilo schweren Kontroltier 1,01 Kilo Fett vor, im gefütterten
6,44 Kilo, von denen 4,01 Kilo aus Kohlehydraten stammen mussten.
Chaniewski wählte in einer ersten Versuchsreihe 3 Gänse, von
denen eine gleich getötet, die beiden andern unter Aufsammlung der
Exkremente mit Reis während 18 und 26 Tagen gemästet wurden.
Die Menge des Fettes im Körper betrug bei der ersten Gans 216 Gramm,
bei den beiden gemästeten Gänsen 489 und 890 Gramm, wovon 194
Voit, Lehmann und Rubner, Ueber die Fettbildung im Tierkörper. 247
und 504 Gramm nicht aus dem Fett und dem Eiweiß der Nahrung
gedeckt werden, also aus Kohlehydraten entstanden sein müssen, wenn
man nicht annehmen will, dass der Anfangsfettgehalt der Masttiere
um so viel größer gewesen sei; allerdings ist die Fettmenge bei der
dritten Gans so beträchtlich höher als bei der zweiten, dass ein sehr
ungleicher Gehalt an Fett bei denselben zu Anfang der Mast vorhanden
gewesen sein muss. Um solche Zweifel zu beseitigen führte Cha-
niewski noch eine zweite Versuchsreihe aus, bei welcher die Gänse
vorher 5 Tage lang hungerten. Das Kontroltier wurde nach dieser
Zeit als fast fettfrei (98 Gramm) gefunden, während das Masttier nach
13 Tagen 543 Gramm Fett enthielt, also 445 Gramm Fett mehr, wovon
385 Gramm auf die Kohlehydrate treffen. Ich möchte hierzu bemerken,
dass nicht immer nach 5tägigem Hunger sich so wenig Fett im Körper
einer Gans vorfindet; denn nach meinen obigen Mitteilungen kann
trotz eines Hungers von 4!/, Tagen die Menge des in Gänsen abge-
lagerten Fettes von 560 bis 1080 Gramm schwanken.
E. Meißl und F. Strohmer haben nun nicht diese vielfach
trügerische Methode angewendet, sondern sie haben zugesehen, wie viel
von dem aus der Nahrung resorbierten Kohlenstoff in den Exkreten,
im Harn und Kot sowie in der Respiration nicht ausgeschieden wurde,
wie viel also im Körper in der Form von Fett zurückgeblieben ist.
Sie sagen, sie hätten versucht, auf einem andern vollkommen ein-
wurfsfreien Wege zum Ziele zu gelangen, vergessen aber hinzuzufügen,
dass dieser Weg zuerst und schon längst durch die Versuche von
Pettenkofer und mir gebahnt und betreten worden ist. Meißl
und Strohmer experimentierten an einem Schwein, welches mit Reis
gefüttert wurde, bei welchem Harn und Kot aufgefangen und am 3.
und 6. Versuchstage die durch Haut und Lunge ausgeatmete Kohlen-
säure in einem Pettenkofer’schen Respirationsapparate bestimmt
wurde. Von den dabei im Tag angesetzten 352 Gramm Fett mit
269 Gramm Kohlenstoff stammen 310 Gramm Fett aus Kohlehydraten,
so dass kein Zweifel darüber besteht, dass hier bei der reichlichen
Fütterung mit dem fett- und eiweißarmen Reis aus Kohlehydraten Fett
entstanden ist.
Die gleichen Versuche wie früher von Pettenkofer und mir
an Hunden mit Bestimmung der Atemprodukte, der ausgeschiedenen
Kohlensäure und des aufgenommenen Sauerstoffes, wurden nun von
Dr. Erwin Voit und Dr. C. Lehmann an fünf Gänsen ausgeführt
und zwar bei Fütterung mit Reis.
Es stellte sich dabei heraus, dass im Körper der hungernden
Gans wie in dem des Hundes nur Eiweiß und Fett zersetzt und bis
in die letzten Ausscheidungsprodukte übergeführt wird.
Bei reichlicher Fütterung mit Reis findet ein Ansatz von Stick-
stoff und von Kohlenstoff statt. Aber am ersten Fütterungstage nach
dem Hunger bleibt nach Abziehung des im angesetzten Eiweiß ent-
348 Voit, Lehmann und Rubner, Ueber die Fettbildung im Tierkörper.
haltenen Kohlenstoffes ein Rest von angesetztem Kohlenstoff, mit
welchem, unter der Annahme dass derselbe im Fett enthalten ist,
weniger Sauerstoff angesetzt worden ist, als sich der Bestimmung nach
als angesetzt ergibt, d.h. es besteht die jenen Kohlenstoff enthaltende
Verbindung zum großen Teil nicht aus Fett, sondern aus einem sauer-
stoffreichern Stoff, der wohl nur Glykogen sein kann, welches bei
Beginn der reichlichen Fütterung nach 4!/,tägigem Hunger in dem
Körper aufgespeichert wird. An den folgenden Tagen hört die Gly-
kogenbildung auf. Nach den dabei erhaltenen Werten scheint es, als
ob das Eiweiß der Nahrung zu der Glykogenbildung nicht ganz aus-
reicht und als ob die Kohlehydrate auch dafür zu Hilfe gezogen wer-
den müssen, worüber eben noch weitere entscheidende Versuche an-
gestellt werden. Man ersieht daraus, wie der Respirationsapparat
auch über die intermediären stofflichen Vorgänge der Zersetzung im
Körper Aufschluss zu verschaffen vermag.
Bei einer Gans sind in 13 Tagen 376 Gramm Kohlenstoff des
Futters in den Exkreten nicht wieder zum Vorschein gekommen, also
im Körper zum Ansatz gelangt. Nach Berücksichtigung der Glykogen-
ablagerung und der Fettmenge, welche aus dem Darm resorbiert
worden ist und der, welche im Maximum aus Eiweiß hervorgegangen
sein kann, bleiben noch 346 Gramm Fett übrig. Diese können nur
aus den Kohlehydraten der Nahrung erzeugt worden sein; es sind
dies 27 Gramm Fett im Tag.
Bei einer andern kleinern Gans, die weniger Reis fraß, gelangten
in 4 Tagen 89 Gramm Fett aus Kohlehydraten zum Ansatz, also im
Tag 22 Gramm; bei einer dritten Gans in 5 Tagen 82 Gramm, im
Tag 16 Gramm.
Nach den Versuchen gingen im Durchschnitte aus der Gesamt-
menge des aus dem Darm resorbierten Stärkemehles 17°/, Fett hervor.
Da aber ein Teil der Kohlehydrate zur Deckung der stofflichen Be-
dürfnisse des Körpers dient und zersetzt wird, so darf man zur Fett-
bildung nur den über den Bedarf hinausgehenden Anteil derselben
heranziehen. Dieser aus der Wärmebildung beim Hunger berechnet,
ergibt einen Wert, dass daraus 30°/, Fett entstanden sind. Nach der
Bereehnung von Henneberg können im Maximum aus 100 Gramm
Stärkemehl, bei dem Zerfall in sich selbst, unter Abspaltung von
48°/, Kohlensäure und 11°), Wasser 41°/, Fett hervorgehen.
Man könnte nun die Frage aufwerfen, ob die Pflanzenfresser sich
von den Fleischfressern in den Zerfall- und Aufbauprozessen in ihrem
Körper darin unterscheiden, dass erstere aus Kohlehydraten Fett zu
erzeugen vermögen, die letztern aber nicht. Es wäre damit ein Unter-
schied gegeben, der über die durch die Verschiedenheiten der Nahrung
gesetzten hinausginge.. Man könnte in der That jetzt geneigt sein,
einen solchen Unterschied zu machen, nachdem früher Pettenkofer
Strasburger, Veredlung von Datura auf Kartoffel. 249
und ich bei einem großen Hunde nicht im stande waren eine Bildung
von Fett aus Kohlehydraten zu beobachten.
Dr. M. Rubner ist es nun aber schon vor längerer Zeit gelungen,
einem kleinen Hunde von 6 Kilo Gewicht mehr Kohlehydrate beizu-
bringen, indem er nur einen Teil derselben als Stärkemehl reichte,
den andern Teil in dem leicht resorbierbaren Zucker, und danach
ebenfalls eine Aufspeicherung von Kohlenstoff im Körper zu beobach-
ten, die nur unter der Annahme einer Fettbildung aus Kohlehydraten
zu erklären ist.
Somit wird, wenn man einen großen Ueberschuss von Stärkemehl
neben wenig Fett und Eiweiß bietet, aus ersterem sowohl beim Pflanzen-
fresser als auch beim Fleischfresser Fett erzeugt. Es muss eine große
Quantität davon vorhanden sein, ein Ueberschuss über den stoftlichen
Bedarf hinaus; ist dieser Bedarf daher groß, z. B. bei starker Muskel-
arbeit oder grimmiger Kälte, dann wird kein Fett aus Kohlehydrat
mehr angesetzt. Wird weniger Kohlehydrat, aber mehr Fett oder
mehr Eiweiß, aus dem sich dann mehr Fett abspaltet, aus der Nah-
rung resorbiert, dann decken die beiden letztern den Fettansatz und
das Kohlehydrat wird zerstört, indem es das schwerer oxydierbare
Fett vor der Zersetzung schützt. Dies ist in der Mehrzahl der Fälle
gegeben, weshalb ich früher weder beim Fleischfresser noch beim
Pflanzenfresser aus Kohlehydraten Fett hervorgehen sah; das resor-
bierte Fett und das aus dem Eiweiß entstandene Fett bildet für ge-
wöhnlich die Hauptquelle des im Tierleib abgelagerten Fettes. Da
sich nach Rubner’s Untersuchungen 100 Teile Fett und 221 Teile
Stärkemehl in Beziehung der Ersparung des Fettes im Körper ver-
treten, so tritt bei Aufnahme von Fett viel eher der Ueberschuss ein
als bei Aufnahme von Kohlehydraten.
Ob diese Fettbildung aus Kohlehydraten in allen Organen statt-
findet, oder in einem besondern Organ z. B. in der Leber, das muss
einer weitern Untersuchung vorbehalten bleiben.
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg).
I. Sektion für Botanik, 1. Sitzung.
Herr E. Strasburger (Bonn) zeigte eine auf Kartoffelunterlage
veredelte, sehr kräftige Pflanze von Datura Stramonium vor. Die
4) Nur dem Umstande, dass wir die Abteilung „Aus den Verhandlungen
gelehrter Gesellschaften“ erst jetzt in unserem Blatte eingeführt haben, bitten
wir es zuzuschreiben, dass wir auf die Verhandlungen der letzten Versamm-
lung deutscher Naturforscher und Aerzte nicht eher Rücksicht nahmen.
Red. d. Biolog. Centralbl.
250 Zacharias, Eier und Samenfäden, — Woronin, Peziza baccarum.
Unterlage hatte zahlreiche kräftige Knollen (Kartoffeln) gebildet, deren
Ernährung somit ausschließlich von der Datura besorgt worden war.
Ein Einfluss der Datura auf Gestalt und innern Bau der Kartoffel-
knollen war trotzdem nicht nachzuweisen. Dieselben enthielten aber
Spuren von Atropin. Weiter berichtete Vortragender über die gegen-
seitige Veredlung verschiedener Gattungen von Solaneen auf einander,
aus welcher hervorgeht, dass Möglichkeit der Verwachsung und ge-
schlechtliche Affinität sich nicht decken. Auch über die Veredlung
einer Skrophularinee auf einer Solanee wurde berichtet.
Vortrag von Herrn Zacharias über Eier und Samenfäden.
Aus der vergleichenden mikrochemischen Untersuchung von Eiern und
Samenfäden bei Charen, Moosen, Farnen, Fröschen (junge Eierstocks-
eier und Spermatozoen aus den Hoden), sowie der Pollenschlauch-
inhalte und Eier bei Phanerogamen ergab sich, dass in den unter-
suchten Fällen die Kerne der männlichen Sexualzellen sich durch
kleine oder fehlende Nukleolen und reichen Nukleingehalt auszeichnen,
während die weiblichen Sexualzellen sehr arm an Nuklein, hingegen
reich an Eiweiß sind, und einen Nucleolus oder deren mehrere von
oft auffallender Größe enthalten. Letztere unterscheiden sich in ihrem
chemischen Verhalten nicht von den Nukleolen anderer Kerne. Im
Zellplasma wurde Nuklein nicht nachgewiesen. Da nun das Verhältnis
der gesamten Kernmasse zur Masse des Zellplasma in den Sexual-
zellen ein derartiges ist, dass die männlichen Zellen im Verhältnis
zu ihrer Zellplasma-Masse eher mehr als weniger Kernmasse ent-
halten als die weiblichen, so wird das befruchtete Ei im Verhältnis
zu seinen sonstigen Bestandteilen mehr Nuklein enthalten als das un-
befruchtete, es sei denn, dass im unbefruchteten Ei größere Mengen
von Nuklein in äußerst feiner Verteilung enthalten wären, welche sich
dem Nachweis auf mikrochemischem Wege entzogen hätten.
Diskussion:
Herr Strasburger bemerkt hierzu, dass es interessant wäre,
parthenogenetische Fälle im Tierreiche zu untersuchen und zu kon-
statieren, dass diese nukleinreichere Eikerne besitzen. Ist nämlich
der geringe Gehalt an Nuklein die Ursache, dass unbefruchtete Eier
sich nicht teilen können, so müssen eben Eikerne, die zu partheno-
genetischer Entwicklung befähigt sind, durch ihren relativen Nuklein-
reichtum ausgezeichnet sein.
2. Sitzung. Vortrag des Herrn Woronim über Peziza baccarum.
Döll hat 1859 (Flora des Großherzogtums Baden Bd. II) eine weiß-
beerige Varietät der Heidelbeere, Vacceinium Myrtillus var. leucocarpum,
beschrieben, welche 1878 von Schröter fast an denselben Lokali-
täten wiedergefunden wurde. Schröter fand, dass es sich nieht um
eine besondere Varietät der Heidelbeere handelte, sondern dass die
Reess, Weitere Untersuchungen an Elaphomyces granulatus. 251
weißen Beeren unter der Mitwirkung eines Pilzes entstanden waren,
welchem er den Namen Peziza (Sclerotinia) baccarum beilegte. Er
veröffentlichte seine Untersuchung darüber in der Hedwigia 1879.
Die ersten Herbarexemplare des Pilzes sind 1885 in Krieger’s Fungi
Saxonici (Heft I 1885) erschienen.
Vortragender fand dieselbe Sklerotienkrankheit 1884 in Finnland
nicht nur auf V. Myrtillus, sondern auch auf den drei außer der ge-
nannten dort einheimischen Vaceiniumspecies (V. Vitis Idaea, V. Oxy-
coccus, V. uliginosum). Er studierte sie am ausführlichsten bei V.
Vitis Idaea.
Herr Reess (aus Erlangen) berichtet, unter Vorlage von Abbil-
dungen und Präparaten, und mit Hinweisung auf seine vor fünf Jahren,
sowie im letzten Heft der Berichte der Deutschen Botanischen Gesell-
schaft geschehenen Veröffentlichungen über die Fortsetzung seiner
Untersuchungen an Elaphomyces granulatus.
Der Vortragende beschrieb noch einmal die Verschiedenheit pilz-
freier und von Elaphomyces befallener Kiefernwürzelehen, nach An-
sehen, Verzweigung und Anatomie. Er besprach alsdann Bau und
Wachstum der von Elaphomyces erzeugten Pilzscheiden auf den Kiefern-
wurzelspitzen, das Eindringen der Pilzelemente in die Wurzelrinde,
die Abstoßung mehr als einjähriger Pilzscheiden durch die Binnen-
korkbildung der sekundär veränderten Wurzel, endlich die Entstehung
neuer Pilzscheiden durch Verzweigung verpilzter, seltener durch My-
celiumsangriff auf vorher pilzfrei gewesene Wurzeln.
Hierauf wurde die Entwicklung der Früchte von Elaphomyces,
besonders in ihrer Beziehung zu den pilzbescheideten Wurzeln erörtert.
Die Frucht wird zunächst unabhängig von unmittelbarer Berührung
mit den Wurzeln angelegt, bekommt aber — halbreif — nach einmal
zufällig erfolgter Berührung mit einer solchen, durch überreiche, ge-
drängte Auszweigung derselben, die Anlage der bekannten Wurzel-
hülle. Diese Wurzelhülle fehlt reifen, gesunden Früchten nie. Ihre
Bedeutung für die Ernährung der Elaphomyces-Frucht ergibt sich daraus,
dass diese, umsponnen von der Wurzelhülle, noch sehr beträchtlich
wächst, so dass die erst stielrunden Würzelehen der Hülle in tangen-
tialer Richtung breit gedrückt werden.
Während der Ausbildung der Wurzelhülle um die Elaphomyces-
Frucht setzt sich die der erstern ohnedies aufs innigste angeschmiegte
Fruchtrinde mittels zahlreicher Hyphen in ausgiebige anatomische
Verbindung mit den Pilzscheiden der Wurzelhülle.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Gewebe der Elaphomyces-
Frucht einerseits, die der Pilzscheiden auf den Kiefernwurzeln, die-
selben mögen in einer Fruchthülle liegen oder nicht, anderseits einem
und demselben Pilze angehört. Mit demselben stimmt das Elapho-
352 Reess, Weitere Untersuchungen an Elaphomyces granulatus.
myces-Mycelium auch dann anatomisch überein, wenn es frei im wurzel-
durehwucherten Humus lebt.
Der Vortragende hat im Lauf der letzten Jahre zur weitern Auf-
klärung der Lebensvorgänge des Elaphomyces zahlreiche Versuche
und Kulturen, mit sehr ungleichem Erfolg, unternommen.
Sporenkeimungsversuche sind noch immer vergeblich gewesen.
Im Anschluss an seine frühere Mitteilung weist der Vortragende darauf
hin, dass eine Verbreitung der Sporen eigentlich nur durch Tiere statt-
finden kann, und eine solehe dureh die Exkremente des Wildes sehr
wahrscheinlich ist. Im Boden sich selbst überlassen, verwittern die
Früchte allmählich, ohne dass die Sporen eine Weiterentwicklung
erfahren. Versuche, das Elaphomyces-Mycelium auf Kiefernwurzeln
zu übertragen, sind bisher missglückt. Ebenso Kulturversuche in
Lösungen und künstlichen Nährböden.
Beraubt man reifende Früchte unter sonst günstigen Umständen
ihrer Wurzelhülle, so gehen sie zugrunde.
Anderseits hat der Vortragende umsonst versucht, pilzfreie Kiefern-
wurzeln zum Umspinnen loser reifer Elaphomyces-Früchte oder ähnlich
gestalteter Korkstücke zu bewegen.
Zieht man aus dem bisher über Elaphomyces Gesagten die Summe,
so ist — zunächst um Erlangen — sein Vorkommen an den Kiefern-
wurzelbezirk gebunden. Obgleich es möglich ist, dass einzelne My-
celiumstücke unmittelbar aus an Kieferngewebsresten reichem Humus
sich ernähren, so liegt doch die hauptsächliche Entfaltung desselben
in den Pilzscheiden der Kiefernwurzeln. Deren Bedeutung aber für
die Ernährung des Elaphomyces als eines Schmarotzerpilzes wird
insbesondere dureh die Wurzelhüllen der Früchte klar bewiesen.
Somit liegt die Abhängigkeit des Elaphomyces von der Kiefer
klar zutage. Die Möglichkeit einer symbiontischen Förderung der
Kiefernwurzeln durch die Elaphomyces-Scheiden soll dabei durchaus
zugegeben werden.
In welchem Umfang sodann Elaphomyces auch auf andern als
Kiefernwurzeln Myeorhizen erzeuge, kann der Vortragende zur Zeit
nicht übersehen. Er verweist dabei nochmals auf die schon erwähnten
Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft.
Ihm selbst sind übrigens früher und neuerdings auf Versuchs-
kiefern des Erlanger botanischen Gartens Mycorhizen begegnet, deren
losere Hyphenabschnitte durch das Ansehen ihrer Verzweigung sowohl
als durch zahlreiche Schnallen und Krystallabsonderungen in der
Membran von Elaphomyces sich so spezifisch verschieden verhalten,
als bei dergleichen Gebilden nur möglich ist. Es muss weitern
Beobachtungen und Kulturversuchen überlassen bleiben, in diese und
ähnliche, bei den verschiedenen Wurzelpilzformen auftauchende Fragen
Licht zu bringen.
Fisch, Verhalten der Zellkerne in fusionierenden Pilzzellen. 2553
Vortrag von Herrn C. Fisch über das Verhalten der Zell-
kernein fusionierenden Pilzzellen. Die neuern Untersuchungen
über die Kopulation zwischen den Zellkernen der männlichen und weib-
lichen Geschlechtszellen der Tiere und der höhern Pflanzen ließen es
sehr wünschenswert erscheinen, auch für niedere pflanzliche Organismen
die betreffenden Vorgänge zu studieren. Ich habe eine Anzahl von
Pilzen verschiedener Formenkreise als Untersuchungsobjekt gewählt.
Es lag grade hier der Gedanke nahe, die Kopulation der Zellkerne
als Kriterium für die geschlechtliche Qualität der sich vereinigenden
Zellen zu benutzen, da doch wohl das Eine heutzutage unbestritten
behauptet werden kann, dass bei einem Sexualakt stets Kopulation
der Zellkerne der männlichen und weiblichen Zellen stattfindet. Ich
lasse selbstverständlich dabei die Frage ganz unberührt, ob in dieser
Vereinigung der Zellkerne allein das Wesen der Befruchtung ge-
geben ist.
Untersucht habe ich Formen der Gattung Pythium (Cystopus scheint
sich, nach allerdings unvollständigen Beobachtungen ebenso wie dieses
zu verhalten), die Sporidienkopulation bei verschiedenen Ustilagineen
und die Schnallenzellenbildung bei den Hymenomyceten, speziell bei
Merulius lacrimans.
Was zunächst Pythium betrifft, so ist über das Vorhandensein
und die Lagerung der Zellkerne von Schmitz zuerst berichtet wor-
den. Sie finden sich in ziemlicher Zahl im Mycelium vor, sind wie
fast alle Zellkerne bei Pilzen mit einem sehr großen Nukleolus ver-
sehen, der in manchen Fällen die sogenannte Kernwandung fast zu
berühren scheint. Als Färbemittel habe ich verschiedene Hämatoxylin-
präparate benutzt. Im jungen Oogonium, vor der Oosphbärenbildung,
sind ziemlich regelmäßig 10—20 Zellkerne anzutreffen. Bei der Bildung
der Oosphäre rücken sie zusammen, bis sie dicht an einander liegen
und verschmelzen dann zu einem einzigen, ziemlich großen Eikern.
In der Antheridialzelle habe ich immer nur einen Zellkern gefunden,
bezweifle aber nicht, dass auch mehrere vorkommen können, die aber
dann sicher vor der Befruchtung zu einem einzigen verschmelzen.
Der Zellkern der Antheridialzelle wandert mit dem Gonoplasma in
die Oosphäre über und verschwindet hier mit dem Eikern. Es ist
das ein in gut gefärbten Präparaten leicht zu beobachtender Vorgang.
Von Ustilagineen habe ich Formen der Gattungen Tilletia, Uro-
eystis, Ustilago (und Protomyces) untersucht. Ueberall sind Zellkerne,
wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten nachzuweisen. In den Sporen
sind sie in Einzahl vorhanden, dagegen sind die Mycelzellen meist
mehrkernig, ebenso die Zellen des sogenannten Promycels und meist
auch die Sporidien. Bei der Kopulation der Sporidien bezw. der
Promycelzellen untereinander ließ sich eine Kopulation der Zellkerne
nie beobachten. In den nach der Kopulation gebildeten Mycelanfang
wandern mit dem Plasma die Zellkerne sehr häufig in Vierzahl ein
254 Brunchorst, Knöllchen an den Wurzeln von Alnus und den Elaegnaceen.
und werden bald durch eine Querwandbildung von einander getrennt,
so dass auch dann eine Vereinigung ausgeschlossen bleibt. Auf De-
tails bei den verschiedenen Arten einzugehen ist hier nicht der Ort.
Ebenso will ich hier nur kurz für die Hymenomyceten bemerken,
dass auch bei ihnen in den Schnallenzellen nie eine Zellkernfusion
stattfindet.
Die Folgerungen, die ich mir aus meinen Beobachtungen zu ziehen
erlaube, sind diese: Die Vorgänge bei Pythium (und Verwandten)
reihen sich völlig in die von höhern Pflanzen bekannten Sexual-
erscheinungen ein. Durchaus verschieden davon ist die Kopulation
der Ustilagineen und die Schnallenbildung der Hymenomyceten. Wir
haben es hier höchst wahrscheinlich mit nicht geschlechtlichen Pro-
zessen zu thun.
3. Sitzung. Herr B. Brunchorst sprach über die Knöllchen
an den Wurzeln von Anus und den Elaegnaceen. Woronin,
Frank und Möller haben sich mit den an den Alnus-Wurzeln vor-
kommenden korallenartigen Anschwellungen beschäftigt. Sie fassen
alle dieselben als krankhafte Bildungen auf, welche von einem Pilze
verursacht werden; aber über die Natur des Pilzes sind die Ansichten
der verschiedenen Forscher äußerst auseinandergehend. Woronin
und Frank sehen beide in den Zellen der Knöllchen einen Hyphen-
pilz, welcher in der Weise Sporen bildet, dass die Enden des viel-
verzweigten Pilzfadens stark anschwellen und zu kugelförmigen Blasen
werden.
Möller dagegen, der die Sache zuletzt untersucht hat, sieht in
den Zellen keine Hyphen, sondern einen Plasmodium- Pilz, dessen
vegetatives Stadium einfach aus einer homogenen (d. h. nicht irgend-
wie differenzierten) Plasmamasse besteht, und der seine Sporen so
bildet wie es Plasmodiophora Brassicae thut, nämlich durch in der
Plasmamasse eintretende Differenzierung, Ausscheidung dichterer zu
Sporen werdender Partien von einer anders beschaffenen Zwischen-
substanz. Durch eine Arbeit über Leguminosen-Knollen wurde ich
veranlasst auch die Alnus-Knollen mit zu untersuchen, und ich kam
dabei zu dem Resultate, dass die Möller’sche Auffassung des Pilzes
nicht mit den thatsächlichen Verhältnissen übereinstimmt.
Schon die Form der fertigen Sporen, wie man sie an frischem
Materiale sehen kann, lehrt dies, indem dieselben ausnahmslos mit
einem Hyphenfortsatz versehen sind, weleher in keiner andern Weise
entstanden sein kann, als dadurch, dass ein Teil der sporenerzeugen-
den Hyphe an der fertigen Spore haften bleibt. Und auch die Ver-
teilung der Sporen lehrt dasselbe. Sie sind nämlich nicht wie bei
Plasmodiophora durch die ganze Masse verteilt, sondern sitzen bloß
der Oberfläche eines nieht aus Sporen bestehenden Klumpens auf.
Stahl, Einfluss des Lichteinfalls auf die Teilung der Equisetum-Sporen. 255
Und endlich sieht man an geeignetem Material direkt, wie die
Sporen nicht mit einmal in der endlichen Größe herausdifferenziert
werden, sondern aus sehr kleinen Bläschen, wenn auch sehr rasch,
zu ihrer endlichen Größe anwachsen. In ganz jungen Anschwellungen
gelingt es auch, wenn die Schnitte in geeigneter Weise behandelt
sind, zu sehen, wie die von Möller als Plasmodien aufgefassten Ge-
bilde in der That aus einem dichten Knäuel sehr feiner Pilzfäden
bestehen. Der betreffende Pilz kann deshalb keine Plasmodiophora
sein. Wo er eigentlich hingehört, kann nicht entschieden werden, da
man bis jetzt die Keimung und weitere Entwicklung der sogenannten
Sporen gar nicht beobachtet hat, ja, es scheint sogar zweifelhaft, ob
die als Sporen gedeuteten Bläschen auch wirklich Sporen sind. Sie
keimen nämlich anscheinend nicht, sondern gehen in den Zellen, in
denen sie entstanden sind, nach nicht langer Zeit wieder zugrunde
und werden mitsamt dem Hyphenknäuel vollständig desorganisiert.
Der Gedanke liegt nahe, dass vielleicht in den Alnus-Knollen zwei
verschiedene Pilze, ein Hyphenpilz und ein von Möller beobachteter
Plasmodium-Pilz vorhanden sein könnten. Dies kann jedoch nicht
der Fall sein, da der Vortragende sich an dem von Möller selbst
benutzten Materiale davon überzeugen konnte, dass wirklich bloß
einer und derselbe Pilz vorlag. Der Grund, warum Möller die Sache
so falsch aufgefasst hat, ist der, dass er, wie er selbst angibt, aus-
schließlich Alkoholmaterial untersucht hat, und Alkohol verändert in
sehr hohem Grade sämtliche hier in betracht kommenden feinen Struk-
turverhältnisse, wie direkte Versuche gezeigt haben. Auch sind in
der That die betreffenden Hyphen äußerst fein und zart und in dem
Plasma der Wirtszelle sehr schwer zu unterscheiden.
Bei den Elaegnaceen sind schon seit langer Zeit Knollen-
bildungen bekannt, welche äußerlich ganz mit denen von Alnus überein-
stimmen. Warming hat angenommen, dass in denselben sich ein
Plasmodiophora-ähnlicher Pilz finden sollte. In der That ist ein Pilz
vorhanden, der aber in allen untersuchten Fällen ganz und gar mit
dem von Alnus übereinstimmt und folglich gar nichts mit der Plas-
modiophora zu thun hat.
Herr Stahl sprach über den Einfluss des Lichteinfalls
auf die Teilung der Eguisetum-Sporen. Die Richtung, in wel-
cher die Kernteilung erfolgt, ist durch den Strahlengang bedingt und
zwar in der Weise, dass die beiden durch Teilung des Sporenkerns
entstandenen Tochterkerne in die Richtung des Strahlengangs zu liegen
kommen. Der von der Lichtquelle entferntere ist der Kern der Wurzel-
zelle, der andere der Kern der Prothalliumzelle. Die Wurzelzelle
kommt also auf der vom Lichte abgewendeten Seite der Spore zu
liegen.
Herr Pfitzer richtet an den Vortragenden die Frage, ob die
956 Ihering, Zur Kenntnis der brasilianischen Mäuse und Mäuseplagen.
Kernteilung der Sonderung des Plasmas in einen grün erscheinenden
und einen farblosen Teil vorausgehe oder folge.
Herr Stahl antwortet darauf, dass dieser Punkt noch genauerer
Untersuchung bedürfe, dass ihm aber die Kernteilung der Plasma-
sonderung voran zu gehen scheine.
H. von Ihering, Zur Kenntnis der brasilianischen Mäuse
und Mäuseplagen.
Kosmos 1885, 2. Band, 6. Heft.
Aus einer längern Mitteilung von H. von Ihering über südamerikanische
Mäusearten, ihre Unterschiede von den europäischen und ihre Lebensweise, sei
hier eine Thatsache erwähnt, welche bisher nicht allgemein bekannt gewesen
sein dürfte. Die Beobachtung derselben beschränkt sich vorläufig — so weit
sie nämlich literarisch zuverlässig festgelegt wurde — auf ein räumlich eng
begrenztes Gebiet, auf einige deutsche Niederlassungen in den Provinzen Rio
Grande do Sul und Sta. Catharina. Aber man wird anzunehmen berechtigt
sein, dass das Gleiche auch auf andere Gegenden von Südamerika zutrifft.
Die überwiegende Mehrzahl der südamerikanischen Mäuseformen gehört
der artenreichen Gattung Hesperomys an. Die Vertreter derselben, ihrer Lebens-
weise nach Nachttiere und selten sichtbar, meiden für gewöhnlich menschliche
Wohnungen. Jedoch treten Zeiten ein, in denen sie letztere nicht nur zahl-
reich besuchen, sondern, in unglaublicher Zahl anrückend, sie überschwemmen
und durch Vernichtung von Warenvorräten und häuslichen Gegenständen aller
Art zu einer ebenso schädlichen als ekelhaften Plage werden. Hunderte von
Ratten werden während einer solchen Zeit täglich — besser gesagt nächtlich —
in einem Hause erschlagen, und nur die standhaftesten Behältnisse vermögen
die Vorräte vor dem Nagezahn der Eindringlinge zu schützen.
Das Merkwürdige an der Sache ist, dass diese Mäuseplagen der Zeit nach
Hand in Hand gehen mit der Blüte eines „in Menge im Walde wachsenden
Bambusgrases (Taquara oder Cresciuma). Diese viele Meter hohen riesigen
Gräser blühen nur nach langen Zwischenräumen, welche für die einzelnen Arten
verschieden zu sein scheinen. — — — Als 1876 das Rohr zu blühen begann,
sagten sofort ältere Brasilianer die bevorstehende Mäuseplage voraus“ — und
in der That sind dann in jenem Jahre, wo es irgend Taquaraes gibt, die Ratten
zu einer Landplage geworden und haben sich derartig vermehrt, dass sie alle
Pflanzungen verheerten. „Es ist dieses‘ — so schrieb der bekannte deutsche
Kolonist C. v. Koseritz damals in seiner „Deutschen Zeitung“ — „eine alte
Erfahrung in der Provinz: sobald die Taquara blüht und Samen treibt, ver-
mehren sich die Waldratten in unglaublicher Weise. Doch zum Glück blüht
die Taquara nur etwa alle 30 Jahre. In hiesiger Provinz (Rio Grande do Sul)
blühte sie zuletzt im Jahre 1843, und auch diese Blüte hatte die gewöhnliche
Rattenplage zur Folge“. Das Gleiche traf für das Jahr 1876 für die benach-
barte Provinz Sta. Catharina zu, und an der Hand von Nachrichten, welche
er von dort erhielt, hat K. Möbius seine Ansicht über diesen Fall nieder-
gelegt in den Deutschen geogr. Blättern, Bd. V, Heft 3, 1832 (Bremen).
Diese Mäuseplagen rühren demnach von nichts Anderem her, als von der
in den Blütejahren des Rohres überreich vorhandenen Nahrung und der aus
dieser entspringenden ganz ungewöhnlich starken Vermehrung der Waldratten.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn i in Erlangen,
Biologisches Gentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
VL Band. 1. Juli 1886. Nr.
Inhalt: Sehütt, Einiges über Bau und Leben der Diatomeen. — Ritzema Bos,
Einige Bemerkungen über Pleuronectiden. — Roux, Beiträge zur Entwicklungs-
mechanik des Embryo. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesell-
schaften; 58. Vers. deutscher Naturforscher und Aerzte. — Mislawsky,
Zur Lehre vom Atmungszentrum. -—- Sir John Lubbock, Lebensdauer der
Ameisen.
Einiges über Bau und Leben der Diatomeen.
Von Franz Schütt.
1) E. Pfitzer, Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Bacillaria-
ceen (Diatomaceen) in: Hanstein’s Botanische Abhandlungen, Heft 2, Bonn
1871. [Grundlegende Untersuchung für das in Frage kommende Gebiet, mit An-
gabe der ältern Literatur bis 1871.] — 2) Otto Müller, Ueber den feinern
Bau der Zellwand der Baeillariaceen, insbesondere des Triceratium Favus
und der Pleurosigmen. Reichert’s und Du Bois-Reymond’s Archiv für
Anatomie und Physiologie, 1871, S. 619. — 3) Fr. Schmitz, Die Bildung der
Auxosporen von Cocconema (istula Ehrbg. Botan. Zeitg., 1872, S. 117. —
4) A. Ladenburg, Ueber die Natur der in den Pflanzen vorkommenden Sili-
eiumverbindungen. Ber. d. d. chem. Ges., V, 1872, S. 568. — 5) E. Borscow,
Die Süßwasserbacillariaceen [Diatomaceen des südwestl. Russlands]. Kiew 1873. —
6) Cleve, On Diatoms from the arctic sea. Bihang till k. Svensk. Vet. Akad,
Handlingar, Bd. I, Nr. 13. — 7) Archer, Conjugated state of Stauroneis
Phoenicenteron. Quarteriy Journal of microscopical science, 1876. — 8)Barker,
Conjugated state of Pinnularia. Quart. Journ. of mier. seience, XV, 1875. —
9) Reinhardt, Zur Morphologie und Systematik der Baeillariaceen. Bot. Zei-
tung 1875 S. 633. — 10) P. Petit, Essai d’une classification des Diatom6es.
Bull. de la Soe. Bot. de France, 1876. — Deby, Ce que c’est qu’une diatomee.
Bull. de la Soc. Belge de Microscopie, 1876. — 12) Fr. Schmitz, Auxosporen-
bildung der Bacillariaceen. Sitzungsber. d. Naturf.-Ges. zu Halle, 1877. —
13) H. L. Smith, Diatoms in coloured liquids. Journ. of the Roy. mier. Soc.,
1878. — 14) W. Lange, Ueber die Natur der in den Pflanzen vorkommenden
. Silieiumverbindungen, Ber. d. d. chem. Ges., XI, 1878, S. 822. — 15) Grunow,
Algen und Diatomaceen aus dem Kaspischen Meere. Sitz.-Ber. d. naturf. Ges,
Isis 1878. — 16) Engelmann, Ueber die Bewegung der Osecillarien und Dia-
tomeen, Bot. Zeitung, 1879, S. 49. — 17) Mereschkowsky, Beobachtungen
VI. 17
258 Schütt, Bau und Leben der Diatomeen.
über die Bewegung der Diatomeen und ihre Ursache. Bot. Zeitung, 1880,
S. 529. — 18) W. Prinz und E. van Ermenghem, Recherches sur la struc-
ture de quelques Diatom6es. Ann. de la Soc. Belge de Microscopie, VII. —
19) Deby, Diatomees terrestres. Ann. de la Soc. Belge de Micr. — 20) P. Petit,
De l’endochrome des Diatomees. Brebissonia II. — 2!) Pfitzer, Die Bacil-
lariaceen (Diatomaceen).. Schenk’s Handbuch der Botanik, I, 18852. —
22) Sehmitz, Die Chromatophoren der Algen, 1882. — 25) Grunow, Bei-
träge zur Kenntnis der fossilen Diatomaceen Oesterreich - Ungarns, 1882. —
24 Otto Müller, Die Zellhaut und das Gesetz der Zellteilungsfolge von
Melosira. Pringsheim’s Jahrbücher f. wissensch. Botanik, 14. — 25) Otto
Müller, Die Chromatophoren mariner Baecillariaceen. Ber. d. d. botanischen
Ges., 1883, S. 478. — 26) Ermenghem, Rapport sur le m&moire de Mr.
J. Hogg relatif aux mouvements des Diatomees. Ann. de la Soc. Belge de
Mier., IX, 1883, p. 37. — 27) Onderdonc, Sur la motilite des Diatomees.
Amer. month mier. Journ., Bd. IV, 1883, p. 61. — 28) Adams, Motion of
Diatoms. Amer. monthl. mier. Journ., 1883. — 29) Synopsis des Diatomees de
Belgique v. Van Heurck (und Grunow). Anvers 1880—1885. — 30) Engler,
Ueber die pelagischen Diatomaceen der Ostsee. Ber. d. d. bot. Ges., 1883,
S. 10. — 31) Cox, Structure of the Diatome-Shell. Amer. month. mier. Journ.,
1884. — 32) Strasburger, Neue Untersuchungen über den Befruchtungs-
vorgang. Jena 1884. — 33) Grunow, Die Diatomeen von Franz - Josefsland,
1884. — 34) Hensen, Quantitative Bestimmung des Auftriebs. Mitt. f. d.
Ver. Schleswig-Holsteinscher Aerzte, 1885. — 35) F. Schütt, Auxosporen-
bildung von Rhizosolenia alata. Ber, d. d. bot. Ges., 1886, 8. 8.
Da die eigentümlichen Lebensverhältnisse, speziell die Fort-
pflanzungserscheinungen der Diatomeen auch für einen weitern Leser-
kreis nicht ohne Interesse sein dürften, so will ich versuchen, hier
eine kurze Darstellung derjenigen Resultate der Diatomeenforschung,
welche ein allgemeineres Interesse beanspruchen dürfen, zu geben.
Die Diatomeen, Diatomaceen, oder wie ihr zwar weniger ge-
bräuchlicher, wissenschaftlich aber berechtigterer Name lautet, die
„Bacillariaceen“, sind mikroskopisch kleine, einzellige, braune Algen,
welche über die ganze Erde verbreitet sind. Als echte Kosmopoliten
sind sie bezüglich ihres Aufenthalts durchaus nicht wählerisch.
Sie bewohnen sowohl das Meer, wie das Wasser unserer Flüsse,
Teiche und Seen; ja selbst die salzhaltigen Soolquellen unserer Mi-
neralbäder, die feuchten Moospolster der Bäume, die benetzten Felsen
der Wasserfälle, die vom Quellwasser feucht gehaltene Ackererde,
kurz jeder dauernd oder auch nur vorübergehend vom Wasser be-
netzte Ort bietet ihnen eine Heimat; nur jauchige, von verwesenden
oder giftigen Stoffen erfüllte Gewässer setzen ihnen unübersteigliche
Hindernisse entgegen.
Sie sind vor fast allen andern Pflanzen durch einen sehr hohen
Kieselgehalt ihrer Membran ausgezeichnet. In weleher Form das
Silicium in dieser Membran vorkommt, ist bis jetzt noch nicht sicher
entschieden. Jedenfalls ist es kein reiner Kieselsäurepanzer,
der den weichen Zellleib umgibt; vielmehr bildet auch hier, wie
Schütt, Bau und Leben der Diatomeen. 259
überall, eine celluloseartige Substanz die Grundmasse. Durch Fluss-
säure kann man das Silieium aus der Membran ausziehen, wobei die
Cellulosegrundsubstanz als zartes biegsames Häutchen zurückbleibt.
Umgekehrt kann man auch die organische Substanz entfernen und
das Silicium behalten. Dies geschieht am einfachsten durch Glühen,
wobei die zurückbleibende Kieselsäurehaut noch alle Details der ur-
sprünglichen Zellhaut mit wunderbarer Schärfe wiedergibt. Der Um-
stand, dass dieses beim Glühen zurückbleibende Skelet aus Kiesel-
säure besteht, berechtigt jedoch noch nicht zu dem Schlusse, dass
das Silieium auch schon vor dem Glühen in Form dieser Verbindung
vorhanden gewesen ist. Vielleicht könnte sich ja die Kieselsäure als
stabilste Verbindung erst beim Glühen aus einer organischen Sili-
eiumverbindung gebildet haben! Es ist zwar bei den Diatomeen
nicht direkt chemisch nachgewiesen, dass das Silicium ihrer Membran
nicht in Form einer organischen Verbindung vorhanden sei; aber
die gegenteilige Vermutung, dass es einer organischen Verbindung
angehöre, indem es etwa als Vertreter des Kohlenstoffs ein in-
tegrierender Bestandteil des hierdurch in eigentümlicher Weise ver-
änderten Cellulosemoleküls sei, besitzt noch weniger Wahrscheinlich-
keit, weil man sich der Annahme doch nicht wohl verschließen kann,
dass die Kieselsäure in der Diatomeenmembran eine ähnliche Rolle
spiele, wie in andern silieiumreichen Membranen, z. B. in derjenigen von
Equisetum. Für diese Pflanze liegen aber chemische Untersuchungen
vor, welche darthun, dass hier das in der Pflanze vorkommende Si-
lieium nicht als organische Verbindung vorhanden ist, sondern
lediglich in der Form der Kieselsäure oder von deren Hydrat. Man darf
hiernach wohl mit Recht annehmen, dass die Diatomeenschale aus
einer Cellulosegrundsubstanz besteht, zwischen deren Moleküle Kiesel-
säurehydratmoleküle sehr gleiehmäßig und in so großer Menge zwi-
schengelagert sind, dass auch bei Zerstörung der Cellulosemoleküle
die erstern ihren Zusammenhang behalten und dadurch die Form
der lebenden Schale bis ins feinste Detail wiedergeben.
Weit wichtiger als diese leeren Kieselpanzer sind für uns die
lebenden Zellen wegen der großen Bedeutung, welche sie für die Bio-
logie des Meeres haben.
Nach den Untersuchungen von Hensen ist das Meer von einer
solchen Anzahl von Diatomeen erfüllt, dass die Menge der durch sie
erzeugten organischen Substanz annähernd gleich ist derjenigen,
welche auf einer gleich großen Strecke Landes durch die Landflanzen
erzeugt wird. Welche Wichtigkeit dies für den Haushalt der Natur
hat, leuchtet von selbst ein. Diese Bedeutung der Diatomeen wird
noch vergrößert durch den Umstand, dass sie im Verein mit den
Peridineen wohl die einzigen Lebewesen sind, welche auf hobem
Meere erhebliche Mengen organischer Substanz erzeugen, d. h. assi-
milieren können. Sie bilden auf diese Weise die Basis des ganzen
17
960 Schütt, Bau und Leben der Diatomeen.
67
organischen Lebens in dem Meere, indem sie den niedern Tieren
zur Nahrung dienen, diese wieder den größern u. 8. w.; so dass
schließlich alles Leben in dem Meere auf das Leben der Diatomeen
und Peridineen als Grundbedingung zurückgeführt werden kann.
Ob die Süßwasserdiatomeen für das Leben in den Flüssen und
Landseen eine ähnliche Rolle spielen wie die marinen Formen für
das Meeresleben, ist noch zu ermitteln.
Unter Berücksichtigung der starken Verkieselung der Membran
ist man von vorn herein geneigt, den Begriff der Starrheit mit dem
der Diatomeenschale zu verbinden. Dass diese Annahme viel wahr-
scheinliches für sich hat, zeigt uns der eigentümliche Bau der Mem-
bran, welche das Aussehen hat, als ob sie ganz dazu gebaut wäre,
die Schädlichkeiten, welche durch den Widerstand eines starren Zell-
panzers gegen Volumenzunahme, also Wachstum, bedingt wird, durch
besondere Einrichtungen auszugleichen. Die Membran jeder Zelle
besteht nämlich hier nicht wie bei den übrigen Pflanzen aus einem
Stück, sondern aus zwei frei gegen einander beweglichen Stücken,
durch deren Verschiebung gegen einander eine Vergrößerung des Zell-
volumens stattfinden kann, ohne dass die Membran selbst im ge-
ringsten sich zu vergrößern oder überhaupt zu verändern braucht.
Von dem Bau der Schale kann man sich am besten einen Begriff
machen, wenn man sie mit einer gewöhnlichen Pillenschachtel ver-
gleicht. Wie diese, so besteht auch der Diatomeenpanzer aus vier
Stücken: zwei flächenförmigen, entsprechend der Boden- und Deckel-
fläche der Pillenschachtel, und zwei ringförmigen Stücken: den bei-
den Seiten. Die beiden flächenförmigen Stücke nennt man die
„Schalen“, die beiden ringförmigen die „Gürtelbänder“.
Wie bei der Schachtel, so ist auch bei der „Diatomeenfrustel“,
das heißt dem aus den vier erwähnten Stücken zusammengesetzten
Diatomeenpanzer, je eine Schale mit einem Gürtelbande fest verbun-
den, und beide zusammen stecken so in den beiden andern wie die
beiden Hälften einer Pillenschachtel und sind auch in derselben Weise
gegen einander beweglich.
Die „Schale“ der Diatomeen trägt meist eine durch partielle
Zellwandverdickung entstandene charakteristische Zeichnung, bestehend
aus Strichen, Punkten, Sechsecken, Kreisen u. s. w.; die Gürtelbän-
der dagegen sind gewöhnlich frei von dieser Zeichnung.
Dem eben angegebenen Grundtypus, der Pillenschachtel, ent-
sprechen manche Diatomeenformen vollständig; andere dagegen er-
leiden mancherlei Variationen der Form. Stets bleibt aber, trotz aller
Verschiedenheit, die Zusammensetzung aus zwei ringförmigen, über-
einandergreifenden Stücken und zwei die offenen Enden verschließen-
den Platten erhalten.
Die Variationen lassen sich in zwei größere Gruppen sondern,
von denen die eine durch Abweichungen der Gürtelbänder vom Grund-
Schütt, Bau und Leben der Diatomeen. 261
typus, die andere durch Veränderungen der Schalen bedingt wird.
Erstere wird wiederum hervorgerufen entweder durch Streekung der
Gürtelbänder in der Richtung der Längsaxe, oder durch Veränderungen
des Querschnittes. Unter Längsaxe ist dabei diejenige Axe zu ver-
stehen, nach welcher das Längenwachstum stattfindet. Sie verläuft
den Gürtelbändern parallel und fällt meist annähernd mit der Ver-
bindungslinie der Schalenmittelpunkte zusammen. Querschnitt ist
dann ein zur Längsaxe senkrechter Schnitt. Durch Streekung in
der Richtung der Längsaxe können Formen entstehen, die so lang
und dünn sind, dass sie weniger einer Pillenschachtel als vielmehr
einem Thermometerfutteral ähneln. Die Variation des Quer-
schnitts kann Formen erzeugen, deren Durchschnittsbild nicht mehr
kreisförmig erscheint, wie dies beim Grundtypus angenommen wurde,
sondern mehr oder minder langgestreckt ellipfisch, dreieckig, vier-
eckig, Cförmig und selbst Sförmig gebogen ist.
Außer diesen Veränderungen der Gürtelbänder, welche die Scha-
len in ihren Umrissen natürlich mitmachen müssen, können diese
auch noch selbständige Umformungen erleiden. Der flache Deckel
kann sich wölben, er kann halbkugelig, zuckerhutförmig werden, ja
er kann ganz spitz auslaufen; die Oberfläche kann Wellenform an-
nehmen, die Wellen können sich an mehrern Stellen zu Ausstülpungen
emporbauschen, ja sie können selbst zu langen verzweigten Hörnern
auswachsen.
Durch Kombination dieser Variationen der Gürtelbänder und der
Schalen kommen Formen von ganz erstaunlicher Mannigfaltigkeit zu
stande.
Weniger Verschiedenheit als die kieselhaltige Zellhülle der
Diatomeen zeigt ihr weicher Zellleib. Er besteht, wie gewöhnlich
im Pflanzenreich, aus einem Plasmaschlauch, der als Wandbeleg die
Zellmembran in dünner Schicht auskleidet. In demselben liegt einge-
bettet, gewöhnlich der Mitte des Gürtelbandes oder der Schale an-
geschmiegt, der Zellkern.
Die eigenartigsten Teile des Zellleibes der Diatomeen sind die
Assimilationsorgane, die Chromatophoren. Sie enthalten neben Chloro-
phyll noch einen braunen Farbstoff, dem sie ihre gelbbraune Farbe
verdanken. Bei den verschiedenen Individuen derselben Art sind die
Chromatophoren zwar sehr ähnlich in Form und Farbe, bei verschie-
denen Arten dagegen verhalten sie sich sehr verschieden. Bei manchen
Arten hat jedes Zellindividuum nur eine große Endochromplatte von
bestimmter Form und Lagerung im Zellraum. Diese Platten, die bei
vielen Formen einfache Tafeln sind, zerfallen bei andern Arten durch
mehr oder minder tiefe und unregelmäßige Einschnitte in eine Anzahl
von Lappen. Häufig geht die Zerschlitzung so weit, dass sich statt
einer großen Platte zwei oder mehr kleinere Platten in der Zelle
vorfinden; noch andere Arten führen eine große Anzahl kleiner mehr
262 Schütt, Bau und Leben der Diatomeen.
u
oder minder rundlicher Körner, die sich von den Chlorophylikörnern
der höhern Pflanzen nur durch die braune Farbe unterscheiden.
Die Chromatophoren vermehren sich durch Zweiteilung. Dieser
Prozess steht in engem Zusammenhang mit der Zweiteilung der
ganzen Zelle, welche den gewöhnlichen, sehr charakteristischen Fort-
pflanzungsakt der Diatomeen bildet. Als Vorbereitung für die Zell-
teilung ist die Verlängerung der Zelle in der Richtung der Längsaxe
durch Auseinanderschieben der Gürtelbänder aufzufassen. Bei den
Formen mit nur einer Endochromplatte beginnt die eigentliche Zell-
teilung mit der Durchsehnürung dieser Platte, bei den Formen mit
mehrern Chromatophoren geht der Kernteilung häufig eine Wan-
derung der Chromatophoren vorher. In vielen Fällen ist aber auch
die Kernteilung selbst als erster sichtbarer Akt der beginnenden Zell-
teilung zu erkennen. Während noch der Kern seine Teilung nicht
ganz vollendet hat, beginnt schon das Plasma des Wandbelegs sich
durch eine von außen nach innen vordringende, rings um das Gürtel-
band herumlaufende Ringfurche durchzuschnüren. Mit der hierdurch
bedingten Durchschneidung des Plasmaschlauches, die fast gleich-
zeitig mit der Kernteilung vollendet ist, ist die Zelle in zwei Tochter-
zellen zerteilt. Nach kurzer Zeit scheiden dann die beiden Tochter-
zellen an ihren freien Seiten gleichzeitig zwei neue „Schalen“ aus.
Den jungen Schalen, die sich ihre konvexen Seite zukehren, schließen
sich bald zwei neue Gürtelbänder an. Die neugebildeten Teile ver-
schmelzen nicht mit der alten Membran, sondern stecken nur lose
innerhalb der Gürtelbänder der Mutterzelle. Die bis dahin noch zu-
sammenhängenden Toehterzellen werden frei, indem sie sich unter
Volumenzunahme in der Richtung der Längsaxe strecken und dadurch
die beiden bis dahin noch übereinandergreifenden Gürtelbänder der
Mutterzelle auseinanderpressen.
Weil die bei der Teilung der Zelle entstehenden neuen Schalen
mit den dazugehörigen Gürtelbändern innerhalb der alten Schalen
und Gürtelbänder ausgebildet werden, so müssen sie natürlich kleiner
sein als die alten Membranstücke, und zwar ist die innerhalb des
weitern Gürtelbandes der Mutterzelle ausgebildete Tochterschale
gleich der kleinern Schale der Mutterzelle, die zu dieser letztern ge-
hörige Tochterschale aber kleiner.
Es entstehen demnach aus jeder Zelle durch Teilung zwei Zellen:
eine, welehe der Mutter gleicht und zur Hälfte noch mit der größern
Schale der Mutterzelle bekleidet ist, und eine kleinere, welche die
kleinere Schale der Mutterzelle weiterführt. Durch weitere Teilung
dieser kleinern Zelle werden dann noch kleinere Individuen erzeugt.
Um diese Größenabnahme wieder auszugleichen, gibt es ver-
schiedene Möglichkeiten. Die nächstliegende Annahme ist die, dass
die Zellen wachstumsfähig sind, und dass sich Zellteilung und Wachs-
tum annähernd das Gleiehgewicht halten, indem die Verkleinerung
Schütt, Bau und Leben der Diatomeen. 263
des Individuums durch Teilung alsbald durch Wachstum der Membran
wieder ausgeglichen wird. In diesem Falle müssen alle Zellen der-
selben Art annähernd gleiche Größe, die Größe der ursprünglichen
Mutterzelle, haben.
Es kann aber auch bei bestehender Wachstumsfähigkeit der
Membran ein starkes Missverhältnis zwischen Zellteilung und
Wachstum stattfinden, indem das eine das andere überwiegt. Ein
dauerndes Ueberwiegen des Wachstums über die Teilung schließt
sich von selbst aus, weil dadurch das „Artmaximum“, die Grenze,
die jeder Art von der Natur gesteckt ist, sehr bald erreicht werden
müsste, worauf dann dieses Missverhältnis von selbst aufhören würde.
Ein dauerndes Ueberwiegen der Teilung über das Wachstum ist
ebenfalls ein Ding der Unmöglichkeit, weil dadurch die Individuen
immer kleiner und kleiner werden, und schließlich eine Minimalgrenze
erreichen müssten, die nicht mehr überschritten werden kann. Nicht
nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich ist jedoch die Annahme,
dass beide Vorgänge vereinigt sind, indem ein periodischer Wechsel
zwischen Teilung und Wachstum stattfindet in der Weise, dass eine
Zeit lang die Teilung und dann wieder eine Zeit lang das Wachstum
überwiegt. Auf diese Weise würden Individuen derselben Art eine
sehr verschiedene Größe haben können, diese Größe aber ein be-
stimmtes Maximum und Minimum nicht überschreiten.
Eine dritte Möglichkeit ist die, dass die Diatomeenmembran
wegen ihres starken Kieselsäuregehalts des Wachstums überhaupt
nicht fähig ist. In diesem Falle müssen die Individuen einer Art
sich immerfort verkleinern. Da dies natürlich nicht bis zur Unend-
lichkeit fortgehen kann, so müssen wir erwarten, dass, wenn die
Verkleinerung der Art bis zu einer bestimmten Grenze fortge-
schritten ist, durch irgend einen Regenerationsprozess, der von der
Teilung erheblich abweicht, die normale Größe wiederhergestellt wird.
Welche von diesen drei Annahmen ist nun die richtige? Die
Thatsache, dass die Individuen einer Art sehr erheblich in ihrer
Größe voneinander abweichen, zeigt, dass die erste Annahme nicht
berechtigt ist. Der verschiedene Durchmesser, den die verschiedenen
Zellen eines Hemantidium-Fadens, die sämtlich aus einer Mutterzelle
entstanden sein müssen, zeigen, legt dies noch deutlicher an den Tag.
Dieser Fall würde jedoch noch mit Annahme 2 und 3 vereinbar sein,
denn beide gestatten eine länger dauernde Größendifferenz der ver-
schiedenen Individuen; dass aber nur die letzte Annahme richtig ist,
wird durch den Umstand bewiesen, dass die Zahl der „Riefen“ d. h.
die aus Strichen bestehende Zeichnung der Membran bei großen und
kleinen Individuen derselben Art auf die Flächeneinheit gleich groß
ist, die Gesamtzahl der Riefen also bei großen Individuen bedeutender
ist als bei kleinen. Dies ist aber nicht vereinbar mit einem Flächen-
wachstum der Membran, denn wenn dieses stattfände, so müssten ent-
264 Schütt, Bau und Leben der Diatomeen.
weder die großen, durch Wachstum der verkleinerten Form entstan-
denen Zellen ebenso viele Riefen auf der ganzen Zelle zeigen wie die
kleinen Individuen, dagegen die Anzahl der Riefen auf der Flächen-
einheit müsste geringer sein, oder es müssten zwischen die alten
Riefen beim Wachstum neue Riefen eingeschaltet werden, was nicht
gut möglich ist, da sie Vertiefungen auf der Außenfläche bilden.
Da hiernach das Flächenwachstum der Membran für gewisse
Arten ausgeschlossen ist, und da man doch wohl vermuten darf, dass
sich alle Diatomeen in dieser Beziehung gleich verhalten, so erscheint
die dritte Annahme als die einzig mögliche. Völlig sicher gestellt
wird sie durch die Auffindung des durch sie geforderten eigentüm-
lichen Regenerationsprozesses zur Vergrößerung der Art. Pfitzer,
dem wir die Aufklärung dieses sonderbaren Entwicklungsganges ver-
danken, nennt diesen Regenerationsprozess die Auxosporenbildung.
Der Vorgang der Auxosporenbildung ist bei den ver-
schiedenen Diatomeengattungen außerordentlich verchieden, das ein-
zige, worin alle übereinstimmen, ist das Grundprinzip: die Erzeugung
größerer Artindividuen durch einen eigentümlichen Sporenbildungs-
prozess. Die hierdurch entstandenen größern Zellen der neuen Ge-
neration vermehren sich dann wieder durch vegetative Teilung, ein
Vorgang, durch den die „Art“ dann wieder verkleinert wird.
Ein schönes Beispiel für den erwähnten Regenerationsprozess
bietet uns Rhizosolenia alata. Diese Form eignet sich darum beson-
ders zur Demonstration der einschlägigen Verhältnisse, weil der Vor-
gang bei ihr in der Weise gleichförmig verläuft, dass fast alle In-
dividuen zur bestimmten Zeit sich in gleichem Entwicklungsstadium
befinden. Man kann also den ganzen Generationswechsel mit größter
Sicherheit konstatieren, obschon man natürlich die einzelnen Indivi-
duen, welche ihn durchlaufen, nicht dureh alle Generationen hindurch
verfolgen kann. Die Periode dauert hier gerade ein Jahr. Im Herbst
treffen wir nur sehr große Individuen an, welche sich dann im Laufe
des Jahres durch Zweiteilung immer mehr und mehr verkleinern, bis
sie im Herbst des nächsten Jahres nur noch etwa !/, so groß sind
wie im Herbst des Vorjahres. Diese Grenze wird nicht überschritten;
vielmehr, wenn dieser Punkt der Verkleinerung eingetreten ist, wird
der Regenerationsprozess eingeschaltet, und zwar in folgender Weise:
Die Zelle öffnet sich einseitig durch Abwerfen einer „Schale“.
Aus dem nunmehr offenen Ende des Gürtelbandes quillt ein Teil
des Plasmas in Form einer kleinen Kugel hervor, die von einer
dünnen verkieselten Membran umgeben ist. Das Plasma der Kugel
bleibt dabei in ununterbrochenem Zusammenhang mit dem im
alten Gürtelbande steckenden zylindrischen Plasmaschlauch. Die
Kugel wächst bald zu einem kurzen Zylinder von dem dreifachen
Durchmesser des ursprünglichen Gürtelbandes aus.
Diese eigentümliche Zelle, welche jetzt zum größten Teil von der
Schütt, Bau und Leben der Diatomeen. 965
aus der Mutterzelle stammenden „Frustel“, zum Teil jedoch von einer
eigenartigen Membran bekleidet ist, ist das Gebilde, welches zur
Vergrößerung der Art bestimmt ist: die Auxospore.
Innerhalb der neugebildeten Membran, der „Kieselscheide“ oder
des „Perizoniums“, welche für die Auxospore charakteristisch ist,
wird nun eine neue „Schale“ ausgeschieden, welche nur wenig von
der gewöhnlichen Schale der Rhizosolenia abweicht. Diese Schale,
die schon in der Nähe des abgerundeten Endes der „Kieselscheide“
entstand, schiebt sich nun weiter nach außen, durchbricht die Kiesel-
scheide am Ende und begrenzt nun, nachdem das überstehende Ende
der „Scheide“ abgestoßen ist, die Zelle nach einer Seite. Die Zelle,
die jetzt von einer „alten Schale“, einem alten „Gürtelbande“, einem
Stück „Scheide“ und einer neuen Schale bekleidet ist, die nicht mehr
Sporenform, aber auch noch keine regenerierte Tochterzelle ist, und die
wir wegen ihrer Funktion „Vergrößerungszelle“ nennen wollen, voll-
zieht nun den Akt der Erzeugung größerer Artindividuen dadurch,
dass ihr dieker Teil (der neu gebildete) sich in die Länge streckt
und dann in der Nähe der Grenzstelle zwischen diekem und dünnem
Teile gleichzeitig zwei neue Schalen ausscheidet, ähnlich wie bei
der gewöhnlichen Zweiteilung der Diatomeen. Durch diese Zellteilung
wird eine der ursprünglichen Mutterzelle gleich gestaltete „Tochter-
zelle“ gebildet, welche die Mutterzelle aber um das Dreifache an
Dicke übertrifft und zugleich die Vergrößerungszelle wieder rege-
neriert, welche dadurch befähigt ist, denselben Prozess der Erzeugung
größerer Artindividuen zu wiederholen.
Da fast alle Zellen von Rhizosolenia beinahe gleichzeitig diesem
Regenerationsprozess sich unterziehen, so ist nach Verlauf weniger
Wochen aus dem zwergenhaften Geschlechte ein Geschlecht von
Riesen entstanden, welches dann im Verlauf eines Jahres nach und
nach wieder bis zur Minimalgröße zusammenschrumpft.
Ein etwas abweichendes, gewissermaßen vereinfachtes Verhalten
zeigt der Auxosporenbildungsprozess bei Melosira, der zugleich als
Typus für den gleichen Vorgang bei einer Anzahl anderer Diatomeen
aufgefasst werden kann.
Auch bei Melosira sind es die dünnen Individuen, welche sich
zur Auxosporenbildung anschieken. Diese selbst unterscheidet sich
aber dadurch von derjenigen von Rhizosolenia, dass bei Melosira das
Gürtelband der Mutterzelle von der schwellenden Auxospore abge-
sprengt wird, während letztere bei Rhizosolenia zum größten Teil
in dem mütterlichen Gürtelbande stecken bleibt. Der folgende
Schritt ist bei beiden der gleiche: sie scheiden beide an der
der umhüllenden mütterlichen Schale entgegengesetzten Seite eine
Schale aus. Während aber Rhizosolenia durch die Ausbildung
dieser Schale zu einer eigenartigen Vergrößerungszelle wurde, welche
durch gleichzeitiges Ausscheiden zweier Schalen sich in zwei ver-
266 Schütt, Bau und Leben der Diatomeen.
schiedene Zellen, eine vergrößerte Tochterzelle und eine weiterent-
wicklungsfähige Vergrößerungszelle, teilte, so verwandelt sich bei Me-
losira die ganze Auxospore durch Ausscheidung einer, der um-
schließenden elterlichen Schale angeschmiegten neuen Schale in eine
einzige vergrößerte Tochterzelle, welche direkt als Anfangsglied einer
neuen Generation auftritt.
Während die Auxospore von Khizosolenia zum größten Teil in
der mütterlichen Frustel stecken blieb, zeigt diejenige von Melosira
schon das Bestreben sich von dieser Fessel zu befreien, indem sie
das Gürtelband absprengt und nur noch mit einem kleinen Bruch-
teil ihres Zellleibes in der alten Schale haften bleibt. Noch einen
Schritt weiter in dieser Richtung geht Orthosira, denn sie lässt bei
der Auxosporenbildung aus einer Zelle, deren Membranhälften von
einander weichen, den Inhalt, umgeben von einer Schleimhülle, frei
austreten. Derselbe entwickelt sich dann, ohne mit der Haut der
Mutterzelle in Berührung zu sein, zu einer Auxospore, welche sich
ebenso wie bei Melosira weiterentwickelt, d. h. direkt in eine Erst-
lingszelle umwandelt.
Die drei erwähnten Fälle können aufgefasst werden als Unter-
abteilungen eines großen Grundtypus der Auxosporenbildung, dessen
Charakteristikum in der „geschlechtslosen Verjüngung“ der Mutter-
zelle liegt.
Ein schon beträchtlich anderes Verhalten zeigt Rhabdonema bei
der Auxosporenbildung. Nach den schon ziemlich alten Berichten,
die uns über diesen Vorgang vorliegen, soll diese Form aus einer
Mutterzelle zwei Auxosporen bilden, und zwar in der Weise, dass
durch Teilung des Kerns in einer Zelle vier Tochterkerne entstehen.
Mit der letzten Kernteilung ist zugleich eine Zellteilung verbunden,
so dass jede junge Zelle zwei Kerne hat. Die Tochterzellen scheiden
jedoch keine neuen Schalen aus, sondern durch Anschwellen der
Plasmaschläuche werden die beiden von der Mutterzelle stammenden
Frustelhälften auseinandergepresst, die nackten Zellen treten aus den
offenen Seiten von Schleim umgeben hervor. Hierauf soll nach der
Beobachtung von Lüders zwar keine Kopulation zwischen den bei-
den nackten Tochterzellen stattfinden, wohl aber sollen beide Tochter-
kerne je einer Zelle miteinander verschmelzen (kopulieren), worauf
sich dann beide Zellen mit einer Kieselscheide, der gewöhnlichen
Auxosporenhaut, umkleiden. Die Auxospore wächst und scheidet,
wenn sie die normale Größe erreicht hat, zwei Schalen aus. Durch
Auseinanderweichen dieser Schalen wird die Kieselscheide gesprengt,
und die neue Zelle ist damit fertig, als Anfangsglied der neuen Ge-
neration aufzutreten.
Die Mehrzahl der Diatomeen, deren Auxosporenbildung bis jetzt
bekannt ist, bildet ihre Auxosporen nach einem andern Typus, als
dessen Repräsentanten wir Cocconema Cistula auffassen können.
Schütt, Bau und Leben der Diatomeen. 967
Schmitz, der diesen Vorgang genau studierte, beschreibt ihn folgen-
dermaßen: Cocconema Cistula „zeigt stets zwei Zellindividuen vereint
bei der Bildung der Auxosporen, ohne dass jedoch eine wirkliche
Kopulation der beiden Plasmamassen erfolgte. Bei diesem Modus
der Auxosporenbildung legen sich zwei Individuen parallel neben-
einander, mehr oder weniger einander genähert. Beide Zellen schei-
den Gallerte aus, welche zusammenfließend das Zellpaar als gemein-
same, meist ellipsoidische Hülle umschließt. Dann werfen beide Zellen
innerhalb der Gallerthülle ihre alten Schalen, von denen die eine,
Jüngere noch gar kein Gürtelband erhalten hatte, ab und liegen nun
als nackte Zellen nebeneinander. In andern Fällen beginnt die Gal-
lertausscheidung erst nach dem Abwerfen der alten Schalen, die als-
dann der gemeinsamen Gallerthülle nur äußerlich anhaften oder gänz-
lich verloren gehen. Innerhalb der Gallerthülle, die bald mehr, bald
weniger stark entwickelt ist und bald mehr, bald weniger dünnflüssig
erscheint, liegen die beiden nackten Zellen in einzelnen Fällen einander
sehr genähert, in andern dagegen durch ziemlich dicke Gallertschichten
getrennt, so dass nicht die geringste Berührung zwischen beiden
stattfindet. Beide strecken sich alsdann in die Länge und wachsen
parallel neben einander zu der normalen Größe der Auxosporen heran,
während an ihrer Außenfläche früher oder später ein deutliches Peri-
zonium sichtbar wird.“ „Innerhalb dieses Perizoniums scheidet end-
lich die fertige Auxospore nacheinander zwei Schalen aus und wird
damit zur Erstlingszelle einer neuen Reihe auf einander folgender
gewöhnlicher Zellgenerationen.“
Der Vorgang bei Frustulia unterscheidet sich von dem bei Coc-
conema nur dadurch, dass die beiden Auxosporen nicht durch Schiehten
der Gallerthülle getrennt sind, sondern sich bis zur Abplattung an-
einanderdrücken. Ein Substanzaustausch ist aber auch hier nicht zu
erkennen.
Einen wesentlich andern Typus der Auxosporenbildung finden
wir bei Himantidium. Es umhüllen sich zwar auch bei dieser Form,
ebenso wie bei Cocconema, je zwei Individuen mit einer gemeinsamen
Gallerthülle und entlassen ihren Zellinhalt als nackte plasmatische
Massen, aber diese verschmelzen dann miteinander und wachsen
zu einer einzigen Auxospore aus.
Als letzten Typus kann man die Auxosporenbildung von Epi-
themia Zebra aufstellen. Auch hier vereinigen sich je zwei Indivi-
duen in einer gemeinsamen Gallerthülle und werfen dann die Schalen
ab; statt jedoch direkt miteinander zu verschmelzen, teilt sich das
Plasma jeder Zelle erst in zwei Hälften, so dass vier nackte Tochter-
zellen entstehen. Von diesen vier Plasmaklumpen vereinigen sich
dann je zwei und zwei einander gegenüberliegende, verschiedenen
Zellen angehörende, so dass durch diese Kopulation wieder zwei
Toehterzellen entstehen, die zu zwei Auxosporen heranwachsen. Aus
268 Schütt, Bau und Leben der Diatomeen,
diesen entstehen dann wieder durch Ausscheidung von Schalen zwei
neue Individuen der gewöhnlichen Art, die sich durch Teilung weiter
vermehren.
Lassen wir denjenigen Teil der Diatomeenkunde, der das allge-
meinste Interesse für sich beanspruchen darf, noch einmal schnell an
unserem Auge vorüberziehen, so sehen wir zuerst, dass bei Rhiz2oso-
lenia, Orthosira und Melosira und denjenigen Formen, welche sich
an sie als Typen anschließen, keine Andeutung irgend eines Be-
fruchtungsvorganges gefunden worden ist. Früher glaubte man bei
ihnen Kopulationserscheinungen des Kerns gesehen zu haben; da die
neuern Beobachter diese Angabe aber nicht bestätigen, so müssen
wir annehmen, dass der Regenerationsprozess, die Auxosporenbildung,
hier auf rein asexuellem Wege zustande kommt.
Ob sich der eigentümliche Kopulationsprozess bei Rhabdonema,
wo nach den alten Angaben kurz vor der Auxosporenbildung eine
Zellteilung, dann eine Kernteilung in jeder Tochterzelle und hierauf
eine Kopulation der Kerne je einer Zelle stattfinden soll, bestätigen
wird, ist abzuwarten. Wir wollen wegen der Unsicherheit der alten
Beobachtungen zur Zeit nicht näher auf diesen Fall eingehen.
Bei Cocconema und Frustulia dagegen müssen wir unbedingt eine
Einwirkung zweier Individuen aufeinander zum Zweck der Erzeugung
der durch Größe ausgezeichneten neuen Artindividuen annehmen, denn
es wäre ein Unding zu glauben, dass kurz vor der Auxosporenbil-
dung sich, wenige Ausnahmen abgerechnet, immer je zwei Individuen
ohne irgend welchen Zweck und Nutzen vereinigen und nun den Ent-
wieklungsgang gemeinschaftlich durchlaufen. Die Ausnahmefälle, in
denen sich einzelne Individuen zu Auxosporen umbilden, ohne dass
sie sich vorher mit einem andern Individuum zusammengelagert haben,
lassen aber die etwaige Befruchtung hier mehr als eine fakultative
denn als eine obligatorische erscheinen. Da sich ferner bei dem ge-
wöhnliehen Verlauf beide Individuen weiter entwickeln, und da außer-
dem bisher kein Substanzaustausch hat nachgewiesen werden können,
so steht dieser Fall der heutigen Auffassung über den Befruchtungs-
vorgang doch ziemlich fern. Man darf jedoch wohl erwarten, dass
sich das Rätselhafte dieses Vorganges zum guten Teil auflösen wird,
wenn man erst das Verhalten des Zellkerns unter den erwähnten
Umständen genau kennen wird.
Hatten wir bei Melosira eine Regeneration ohne Befruchtung vor
uns, und zeigte Cocconema und Frustulia ein zweifelhaftes Verhalten
in diesem Punkt, so sehen wir in dem Typus Himantidium dagegen
einen unzweifelhaften Befruchtungsakt vor sich gehen. Eine morpho-
logisch wahrnehmbare Differenzierung der kopulierenden Zellen in
ein männliches und ein weibliches Individuum ist jedoch auch hier
nicht nachgewiesen worden.
Betrachten wir nun den Vorgang bei Epithemia, so finden wir
Sehütt, Bau und Leben der Diatomeen. 369
auch hier, wie zwei Individuen, welche keine morphologische Dif-
ferenzierung zeigen, sich vereinigen zum Zweck der Auxosporenbildung.
Sie vollziehen die Kopulation aber nicht selbst, sondern teilen sich
erst in zwei Zellen, welche nun paarweise kopulieren. Sollte man
hier nicht eine Analogie vermuten mit dem Befruchtungsvorgang, wie
er neuerlich von Strasburger für die höhern Pflanzen gefunden
wurde? Die Versuchung liegt ziemlich nahe, die vorliegende Zell-
teilung vor der Befruchtung als ein Analogon der Kemteilung der
Sexualzellen vor der Befruchtung der höher organisierten Wesen auf-
zufassen. Als Differenz bliebe dann der Umstand bestehen, dass bei
den höhern Organismen von dem geteilten Kern nur der eine Teil
kopuliert, der andere Teil dagegen ausgestoßen wird, während hier
beide kopulieren und sich weiterentwickeln. Wie gesagt, die Ver-
suchung zu solchen Schlüssen liegt sehr nahe; aber sind wir des-
wegen auch wirklich zu denselben berechtigt? Wohl kaum! Die
Beobachtungen, welche uns die betreffenden Vorgänge schildern,
stammen aus einer Zeit, wo die Methoden zum Kernstudium, die dem
heutigen Forscher zugebote stehen, noch nicht entwickelt waren.
Wir wissen darum über das Verhalten des Kerns bei diesen Prozessen
noch so gut wie gar nichts. Schlüsse über den Befruchtungsvorgang,
welche nicht auf eingehendes Kernstudium gestützt sind, können aber
natürlich nur sehr zweifelhaften Wert haben.
Soviel scheint jedoch zur Zeit schon gesichert, dass wir es bei
den Diatomeen mit einer Familie zu thun haben, bei welchen ein
ganz charakteristischer entwicklungsgeschichtlicher Prozess (die Auxo-
sporenbildung) auf der einen Seite auf rein asexuellem Wege zu stande
kommt, bei andern derselben Familie angehörenden Formen dagegen
ein typischer Befruchtungsakt vorliegt. Man kann also mit ziemlicher
Gewissheit voraussagen, dass ein genaues Kernstudium bei diesem
Prozesse von großem physiologischem Interesse sein würde, weil es
wichtige Aufschlüsse über das Wesen der Befruchtung und der
Sexualität zu geben verspricht.
Einen sehr interessanten Punkt im Diatomeenleben haben wir
bisher ganz unerwähnt gelassen: es ist dies das höchst eigenartige
Bewegungsvermögen derselben. Da aber die Ansichten über die Art
und Weise, wie diese Bewegung, die man treffend als „Gleitbe-
wegung“ bezeichnet, zu stande kommt, noch zu sehr auseinander-
sehen, so wollen wir uns hier mit der einfachen Konstatierung der
Thatsache, dass diese mikroskopisch kleinen Algenformen mit einem
eignen Bewegungsvermögen begabt sind, begnügen.
Zum Schluss möchte ich noch einer Erscheinung Erwähnung
thun, über deren Deutung man sich zur Zeit zwar noch nicht völlig
geeinigt hat, die aber dennoch unser lebhaftes Interesse in Anspruch
zu nehmen im stande ist. Nicht grade selten hat man Diatomeen
gefunden, die in ihren gewöhnlichen Schalen noch innere kleinere
270 Ritzema Bos, Bemerkungen über Pleuronectiden.
w
Schalen ausgebildet hatten, wobei sich aller Zellinhalt in die innern
Schalen zurückgezogen hatte. Diese Innenschalen hat man früher
wohl als selbständige Arten aufgefasst, in andern Fällen wurden
sie als Sporenform beschrieben. Heute belegt man diese Vorgänge
der innern Schalenbildung meist mit dem Ausdruck „Cratieular-
bildungen“, ein nicht sonderlich schöner Name, der, als ziemlich
nichtssagend, mit dem Durchdringen einer naturgemäßen Erklärung
des Vorganges bald von selbst verschwinden dürfte.
Es ist wohl ziemlich wahrscheinlich, dass wir es hier mit einer
„Ruhesporenbildung“ zu thun haben, indem die betreffenden Zell-
individuen ihren Zellinhalt auf ein geringeres Volumen kondensieren,
sich dann mit einem neuen Panzer umgeben, der sich vor dem alten
durch größere Dicke auszeichnet, und in diesem widerstandsfähigern
Zustande eine Ruheperiode durchmachen. Da diese eigentümlichen Bil-
dungen sowohl bei Süßwasserdiatomeen, als auch bei Formen, die an der
Küste leben, wie bei freiflutenden Meeresformen beobachtet worden
sind, so darf man wohl annehmen, dass die Ruhesporenbildung ein
ganz allgemeiner Prozess im Diatomeenleben ist. Bei dem jetzigen
Stande der Kenntnisse ist dies jedoch noch keine sicher bewiesene
Thatsache, sondern nur eine Vermutung, die allerdings viel Wahr-
scheinlichkeit für sich hat.
Einige Bemerkungen über Pleuronectiden.
Von Dr. J. Ritzema Bos,
Dozent der Zoologie an der landwirtschaftl. Schule in Wageningen (Niederlande).
Die Pleuronectiden verlassen bekanntlich das Ei, wie alle an-
dern Teleostier, als vollkommen symmetrische Geschöpfe. Lange
aber währt dieser bilateral-symmetrische Zustand nicht. Sie schwimmen
und ruhen bekanntlich nicht wie andere Fische: im Ruhezustande |
legen sie sich auf die eine Seite, sich teilweise unter dem Sande des |
Bodens verbergend; sie schwimmen schief, mit derjenigen Seite nach |
oben gewendet, welche während der Ruhe die einzig sichtbare Seite
ist. Yarrell behauptet zwar, dass auch zuweilen eine Scholle sich
plötzlich drehe, sich mit der Breitseite senkrecht in das Wasser stelle
und nun wie ein Blitz die Wellen durchschneide, sodann wieder sich
wende und auf den Boden herabsinke. Doch geschieht eine der-
artige Wendung nicht bei jeder beschleunigten Bewegung; im Aqua-
rium habe ich niemals eine derartige Wendung beobachten können,
und jedenfalls schwimmt eine Pleuroneetide gewöhnlich in der seit-
lichen Lage.
In Anpassung an die Lebensweise ändert sich der anfänglich
bilateral-symmetrische Körper der Pleuroneetiden. Gewöhnlich wan-
dert das Auge derjenigen Seite, welche beim ausgewachsenen Tiere
Ritzema Bos, Bemerkungen über Pleuroneetiden. 311
ohne Augen ist, während es älter wird, etwas nach vorn, und wan-
dert sodann allmählich über die Dorsalseite des Kopfes hinweg,
bis es schließlich auf dieselbe Seite des Kopfes zu liegen kommt wie
das andere Auge. Während dieses Vorgangs bleibt das wandernde
Auge stets auf der Oberfläche und bleibt in Funktion; und sobald
die beiden Augen auf derselben Seite des Kopfes liegen, verliert die
des Sehorgans entbehrende Körperseite ihre Pigmentzellen und wird
farblos. Die Rückenflosse wächst nach der Wanderung des Auges
nach vorn bis über die Augen hinaus !).
Zwar möchte die Fähigkeit der Pleuronectiden, sich asymme-
trisch zu entwickeln, sich vererben können, was sich denn auch aus
dem Umstande ergibt, dass bei einigen verwandten Arten (Rkombus
mazimus, R. laevis, R. megastoma) die Augen auf der linken, bei
andern Arten (Platessa vulgaris, Pl. flesus, Pl. limanda, Pl. miero-
cephalus, Pl. limandoides, Hippoglossus maximus und Solea vulgaris
auf der rechten Seite liegen. Aber dass man hier nicht vorwiegend
an Vererbung, mehr an direkten Einfluss der Lebensweise auf jedes
einzelne Individuum denken muss, scheint mir doch deutlich aus dem
Umstande, dass man in einer und derselben Species Individuen findet,
welche die Augen auf der rechten, andere, welche sie auf der linken
Seite haben. So fand man, zwar selten, Exemplare von Khombus
maximus mit den Augen auf der rechten Seite; ebenfalls selten Pla-
tessa vulgaris und Solea vulgaris mit den Augen auf der linken Seite.
Namentlich bei Platessa flesus, obgleich in der Regel auf der rechten
Seite mit Augen versehen, kommen dann und wann ziemlich häufig
Exemplare vor, die an dieser Seite blind, an der linken hingegen mit
zwei Augen versehen sind. So fand Wittmach?) unter vierund-
sechzig auf einem Zuge erbeuteten Stücken nieht weniger als sieben,
welehe die Augen auf der linken Seite hatten; und meinen Er-
fahrungen zufolge gibt es unter den Flundern der Zuidersee auf je
1) Vergl. Fr. M. Balfour, „Handbuch der vergleichenden Embryologie‘“,
übersetzt von B. Vetter, II, I, Seite 72. — Wir danken diese Mitteilungen
den Untersuchungen von Al. Agassiz („Development of the Flounders“, in
„Proceedings of the American Academy of Arts and Sciences“, XIV, 1878).
Es gibt eine Pleuroneetiden-Gattung (Plagusia Steenstrup), bei welcher die
Rückenflosse schon vor der Wanderung des einen Auges nach vorn wächst.
Dieser Umstand bedingt eine Modifikation des oben beschriebenen Vorgangs.
Das Auge wandert herum, wie bei andern Pleuronectiden; aber an der Basis
der Flosse versinkt es über dem Stirnbein allmählich in den Geweben des
Kopfes. Dabei wird die Oeffnung der Augenhöhle bedeutend verkleinert. Bald
aber entsteht eine allmählich sich vergrößernde Oeffnung auf der andern Seite,
während die ursprüngliche Oeffnung sich schließt; inzwischen ist das Auge
vollständig nach der andern hinübergewandert.
2) Vergl. Brehm’s „Tierleben“, große Ausgabe. Fische. Seite 191. —
Linnaeus beschrieb die Exemplare von Pl. flesus, welche die Augen auf der
linken Seite haben, als eine eigne Art: Pl. passer.
372 Ritzema Bos, Bemerkungen über Pleuronectiden.
mr
zehn Exemplare gewöhnlich eins, das die Augen an der linken Seite
trägt.
Lister, Pouchet und Heincke!) haben gezeigt, dass viele
Fische und Amphibien nicht unter dem unmittelbaren Einflusse
des Lichtes schützende Farben und Zeichnungen annehmen, sondern
unter dem Einflusse des auf die Sehnerven ausgeübten Eindrucks,
welcher vom Gehirn aus durch den Sympathicus weiter geleitet wird,
während der Sympathieus durch Vermittlung der Spinalnerven, die in
regelmäßigen Abständen aus dem Rückenmark hervorkommen, mit
den feinsten, wahrscheinlich an die Chromatophoren herantretenden
Hautnerven in Verbindung steht.
Die Kontraktionen der Chromatophoren stehen im allgemeinen
unter dem Einfluss des Nervensystems, wie im Jahre 1874 Paul
Bert?) für Reptilien und P. Harting?) für cephalopode Mollusken
dargethan hat. Es ist aber das Verdienst Lister’s, bei Amphibien,
und Pouchet’s, bei Fischen gezeigt zu haben, dass die Thätigkeit
der Chromatophoren in Fällen chromatischer Funktion *) gänzlich
abhängt von der Wirksamkeit der Augen. So lange diese Chromato-
phoren in Verbindung mit dem Gehirn, und weiter durch Vermittlung
des Sehnerven in Verbindung mit den Augen bleiben, so lange wirkt
auch das von den Umgebungen reflektierte Lieht auf die Chromato-
phoren ein. Sobald aber die Augen zerstört oder die Sehnerven
durehschnitten sind, tritt Unfähigkeit dieser Chromatophoren ein, die
verschiedenen Schwankungen in Farbe und Lichtintensität der Um-
sebung durch Kontraktionen anzuzeigen. Die Chromatophoren blei-
ben sodann ausgedehnt, und der Fisch also dunkel gefärbt. Ja durch
Abschneiden der Verbindung einiger der obengenannten Spinalnerven
mit dem Sympathicus derselben Seite gelang es Pouchet, die so-
genannte „chromatische Funktion“ auf solche Stellen der Haut zu
beschränken, deren Nerven noch ihre Verbindung mit dem Sympa-
thieus behalten haben. So gelang es ihm unter anderem, eine zebra-
artige Streifung an der einen Seite eines Fisches hervorzurufen,
dessen andere Seite die natürlichen Farben und normalen Wechsel
derselben je nach der Farbe der Umgebung behalten hatte.
1) Vergl. auch für die Literaturangaben: Semper, „Die natürlichen Exi-
stenzbedingungen der Tiere“, I, Seite 112 u. s. w.
2) Vergl. „Revue scientifique*, 1874, 2ieme Serie, pag. 407.
3) Vergl. „Tydschrift der Nederlandsche Dierkundige Vereeniging“, I, 1874,
S. 209 u. s. w. Bei toten Lolöiyo-Embryonen sind die Chromatophoren ausge-
dehnt, bei gereizten Exemplaren zusammengezogen.
4) Von Pouchet wurde das Wort „chromatische Funktion“ in die zoolo-
gische Wissenschaft eingeführt, um damit die durch die Augen vermittelte
Farbenanpassung an die Umgebung zu bezeichnen. Konstante, wenn auch
schützende Färbungen fallen also ebenso wenig in diese Rubrik wie die Farben-
änderungen, welche wie z. B. bei Chamäleonten durch psychische Erregung ver-
ursacht werden.
Ritzema Bos, Bemerkungen über Pleuronectiden. 275
Ein instruktives Beispiel, welches das oben Gesagte beweist, wurde
von Pouchet beobachtet. Die nach oben gerichtete Körperseite der
Pleuronectiden, welche die Augen trägt, zeigt die chromatische Funk-
tion in hohem Grade. Auf weißem Meeresboden fand Pouchet unter
zahlreichen, fast weißen oder wenigstens sehr hellen Schollen ein
einziges Exemplar, das die mit Augen versehene Oberseite dunkel,
fast schwarz gefärbt hatte, wo somit die Chromatophoren sich im
nicht zusammengezogenen Zustande befanden. Es ergab sich bald,
dass das Tier völlig blind war.
Eine merkwürdige Monstrosität von Pleuronectes (Platessa) flesus
verdanke ich dem Herrn L. Broekema, Direktor der hiesigen land-
wirtschaftlichen Schule. Das Exemplar hat sich insoweit abnorm
entwickelt, als die Wanderung des Auges entweder zu spät ange-
fangen hat, oder sehr bald auf einem bestimmten Stadium stehen geblie-
ben ist. Das eine Auge des ganz gut ausgewachsenen Flunders hat
zu wandern angefangen, ist aber nicht weiter gekommen, als bis auf
die Dorsalseite des Kopfes. Natürlich ist auch die Rückenflosse hier
nicht so weit nach vorn gewachsen, wie es sonst der Fall ist; sie
dehnt sich nach vorn bis zum Kopfe aus. Diejenige Seite des Kör-
pers, welche kein Auge besitzt (die linke Seite), ist bei weitem nicht
so flach wie die weiße pigmentlose Seite des normalen Flunders,
jedoch etwas weniger gewölbt als die rechte Seite. Merkwürdig ist
die Färbung des abnorm entwickelten Tieres. Während die rechte
Seite die gewöhnliche sehr veränderliche Färbung zeigt, ist die
linke Seite größenteils dunkel, fast schwarz. Diese Seite scheint also
nicht mehr in obengenannter Weise unter dem Einflusse des Auges
zu sein wie die rechte Hälfte. Nur der vordere Abschnitt des
Rückens, der sich unmittelbar an den Kopf anschließt (derjenige Ab-
schnitt ungefähr, welcher noch von dem auf der Rückenseite des
Kopfes liegenden Auge übersehen werden kann), zeigt eine lichtere
Farbe und ehromatische Funktion. Die linke Seite des Kopfes ist
bis auf die Kiemenspalte ganz weiß, pigmentlos, wie die ganze linke
Seite beim normalen Flunder.
Die chromatische Funktion der Chromatophoren der Haut ist für
das Leben der Fische von großem Interesse. Aber sie verliert ihre
Bedeutung, und die Chromatophoren werden entweder für die linke
oder für die rechte Körperseite der Pleuronectiden überflüssig, sobald
diese Fische anfangen, entweder die eine oder die andere Seite phy-
siologisch in die Unterseite umzuwandeln. Sobald dies geschieht,
verliert denn auch die letztgenannte Seite ihre Pigmentzellen und
wird farblos. — Gleichwie die Wanderung des Auges bei dem von
ınir beschriebenen Exemplare auf einer gewissen Stufe stehen ge-
blieben ist, so ist es ihm auch mit der Entfärbung und der Ab-
flächung der linken Seite gegangen.
VI, 13
7
[9]
>
Roux, Entwicklungsmechanik des Embryo.
W. Roux, Beiträge zur Entwicklungsmechanik des Embryo.
Zeitschrift f. Biologie. XXI. N. F. III. S. 1—118 (Sep. - Abdr.).
Verf. bezeichnet als Entwieklungsmechanik des Embryo die Wissen-
schaft von der Beschaffenheit und den Wirkungen derjenigen Kombi-
nationen von Energie, welehe Entwieklung hervorbringen. Letztere
aber ist nach ihm das Entstehen wahrnehmbarer Mannigfaltigkeit, wobei
man zwischen wirklicher Produktion solcher, und der Umbildung nicht
wahrnehmbarer d. h. latenter präexistierender in wahrnehmbare Mannig-
faltigkeit, unterscheiden muss. Für beide Vorgänge verwendet er die
schon in ähnlichem Sinne gebrauchten Worte Epigenesis und Evolu-
tion. Das Wahrnehmbarwerden kann beruhen: 1) auf einfachem
Größerwerden unter Erhaltung aller Proportionen (Beispiel: Krystall-
bildung), 2) auf verändertem Verhalten der Teile gegen das Licht
(Beispiel: Entwicklung des photographischen Negativs) also Umände-
rung der Natur der Verschiedenheiten und 3) auf einer Vereinigung
beider Vorgänge. —
Roux hat sich nun aus dem großen Gebiete der Entwicklung
zunächst die Frage ihrer Lösung näher zu führen bemüht: ist
die Entwieklung des ganzen befruchteten Eis bezw. einzelner Teile
desselben Selbstdifferenzierung oder das Produkt von Wechselwir-
kungen mit ihrer Umgebung? Dabei definiert er als Selbstdifferen-
zierung eines Systems von Teilen den Vorgang, wo die Veränderung
in ihrer Totalität, oder die spezifische Natur der Veränderung vor-
wiegend durch die Energien des Systems selbst bestimmt wird. —
Ihr gegenüber steht die „korrelative Differenzierung“, d. h. die Ver-
änderung einer Summe materieller Teile durch Aufnahme und Abgabe
von Energie, sofern .die spezifische Natur der Veränderung durch diese
bestimmt wird. Auf jeden einzelnen Entwieklungsvorgang angewandt,
würde es sich also um eine Topographie der zusammenwirkenden
Differenzierungsursachen handeln. — Verfasser hat bereits in einer
frühern Arbeit (Breslauer ärztliche Zeitschift, 1884, Nr. 6) gegen
Pflüger den Nachweis geführt, dass die formale Entwicklung des
befruchteten Eies unabhängig von der Schwerkraft bezw. andern von
außen einwirkenden Energien ist, dass also Selbstdifferenzierung vor-
liegt, wobei natürlich der Einfluss gewisser, wie z. B. der Außen-
wärme nicht ausgeschlossen ist. — Die vom Verfasser gegebenen
Beiträge sollen die Forschung nach den oben auseinandergesetzten
Gesichtspunkten inaugurieren. Bei einer Versuchsreihe, die die Frage
des Einflusses elektrischer Energie auf die Formentwicklung in An-
griff nahm, fand Roux, dass sich stets in der Umgegend einer ver-
letzten Stelle von Froschembryonen eine Pigmentzone entwickelt, indem
Pigmentzellen um dieselben eine diehte Phalanx bilden. Für eine
andere Erscheinung, die er beim Absterben verletzter Embryonen
beobachtete, hält er die Einführung einer besondern Bezeichnung der
Roux, Entwicklungsmechanik des Embryo. 275
Framboisia embryonalis finalis minor für notwendig. Er versteht
darunter eine grobkörnige Beschaffenheit der Umgebung der Wunde,
die darauf beruht, dass die Epithelzellen Kugelgestalt annehmen. Als
F. major bezeichnet er das Auftreten gröberer Unebenheiten und
Buckel an der Körperoberfläche der verletzten Embryonen.
Verfasser stach die im Beginn der Furehung befindlichen Eier von
Rana fusca und R. eseulenta mit einer feinen Präpariernadel an, wobei
er das Heraustreten von Eisubstanz beobachtete, die unter Umständen
durch einen Fadenstrang als Ballen mit dem Ei in Verbindung blieb. Ein
sroßer Teil der so operierten Eier entwickelte sich vollkommen nor-
mal, nur waren viele Embryonen auffallend klein und starben leicht
in frühen Entwieklungsstadien ab, was Verf. auf den Verlust an Nah-
rungsdotter durch das Ausfließen des Ei-Inhalts zurückzuführen ge-
neigt ist. Eine zweite Gruppe zeigte allerlei krankhafte Verände-
rungen, die man aber auch ohne vorheriges Anstechen beobachtet:
hydropische Ansammlungen in bestimmten Gegenden, Verkrümmungen
des Leibes ete. An einer dritten Gruppe endlich fanden sich Ab-
normitäten, die sonst nicht oder äußerst selten zur Beobachtung kom-
men, wie umschriebene Defekte an bestimmten Körperstellen ete. —
Die Einzelheiten der Versuche und die Folgen der Verletzung in den
verschiedenen Furchungsstadien auf die Form der Entwicklung müssen
im Original nachgelesen werden. Zunächst ergeben dieselben, dass
nicht alles Keimmaterial für die Entwicklung des Embryos unerläss-
lich notwendig ist, indem trotz nicht unbeträchtlicher Verluste
durch Austritt nach Einstich dieser sich normal entwickeln kann.
Anderseits haben zirkumskripte operative Defekte der Eisubstanz
häufig zirkumskripte Defekte oder Verbildungen an dem sonst wohl-
gebildeten Embryo zur Folge, und zwar einerlei, in welchem Stadium
der Furchung der Eingriff geschah. Nach dem Anstechen des Eis in
der ersten Furchungsebene am obern schwarzweißen Saum, da wo
sich später der Urmund anlegt, fand sich der Defekt am Embryo
immer dicht hinter der Mitte des primitiven Medullarrohrs. Dies
weist wohl darauf hin, dass der hintere Abschnitt des letztern auf
der weißen Hemisphäre des Eis gebildet wird, indem die dorsale Ur-
mundslippe gegen die ventrale hin vorwächst. Operationen an der
Gastrula und an nächstfolgenden Phasen der Entwicklung ergaben
weiterhin, dass die Substanzverluste sehr gering waren, sofern nicht
das Dotterlager direkt verletzt worden war. Es entstanden keine
Bildungsdefekte im Entoderm, sondern die klaffenden Wunden heilten
entweder per primam, oder unter Narbenbildung durch Ueberwuche-
rung von der Oberflächenschicht. Hier entstand neues Ektoderm aus
der bloßgelegten weißen Dotterschicht, was auf eine Teilung der Ma-
terialien schon mit dem Beginn der Keimblattbildung deutet. Die-
jenigen Embryonen, welche den Eingriff genügend lange überlebten,
entwickelten entweder bis an die Wundränder hinan normale Formen,
18,7
2376 Wortmann, Mechanik des Windens der Pflanzen.
oder wenigstens nur so weit gestürte, dass sie sich aus der passiven
Deformation infolge der Verletzung herleiten ließen. In einzelnen
Fällen entstanden, vielleicht dureh disloziertes Material, nahe oder
auch entfernt von der Eingriffsstelle Geschwulstbildungen. —
Beobachtungen, namentlich teratologische, sprechen dafür, dass
viele Teile des Embryo unter günstigen Ernährungsumständen unab-
hängig von ihrer Umgebung sich zu differenzieren vermögen, so dass
man in der Differenzierung nieht eine Funktion der Wechselwirkung
der Teile schen kann. Verfasser findet dies auch aufgrund seiner
Versuche durch Verletzung der Embryonen und unterscheidet zwischen
„formaler“ und „qualitativer Selbstdifferenzierung“ der Teile.
Der Rest der Arbeit eignet sich nieht zu einem Referat, da die
Art der angestellten Betrachtungen eine kurze inhaltliche Wiedergabe
des Thatsächliehen kaum möglich macht. — Es genüge das Gegebene,
um auf den eigentümlichen und stellenweise von der großen Heer-
straße embryologischer Einzelforschung abseits führenden Gedanken-
gang aufmerksam zu machen, den der Verfasser in seinen Arbeiten
einschlägt.
Rabl-Rückhard (Berlin).
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg.
I. Sektion für Botanik (Schluss).
4. Sitzung. Vortrag des Herrn J. Wortmann über die Mecha-
nik des Windens der Pflanzen. Die verschiedenen, einander oft
direkt widersprechenden Ansichten, welche über die in letzter Zeit
wieder lebhaft ventilierte Frage nach der Mechanik des Windens der
Pflanzen ausgesprochen wurden, haben mich veranlasst, mein Interesse
dieser Frage zuzuwenden und eine Reihe von Beobachtungen und
Versuchen anzustellen, aus deren Ergebnissen sich das meiner Ansicht
nach bis dahin noch ungelöste Problem des Windens in sehr einfacher
und ungezungener Weise erklären lässt.
Indem ich auf eine demnächst in der Botanischen Zeitung er-
scheinende ausführliche Publikation meiner diesbezüglichen Unter-
suchungen hinweise, beschränke ich mich darauf, an dieser Stelle in
kurzen Zügen nur die wesentlichsten Momente, welche für die Erklä-
rung des Zustandekommens der Windungen der Schlingpflanzen ins
Auge zu fassen sind, darzulegen:
Der Schlüssel, welcher zum Verständnis des Windephänomens
führt, liegt in der richtigen Erkenntnis und Vorstellung der Bewegung,
welche durch Kombination von negativem Geotropismus und kreisen-
der Nutation in der ganzen wachsenden Region des windenden
Stengels bei Abwesenheit einer Stütze ausgeführt wird.
Wortmann, Mechanik des Windens der Pflanzen. IT
In jedem kleinsten Querabschnitte der wachsenden Partie eines
windenden Stengels treten nämlich Cireumnutation und negativer
Geotropismus mit einander in Kombination, jedoch so, dass an der
Spitze des Stengels die Cireumnutation weit stärker als der negative
Geotropismus ist, nach der Basis fortschreitend, also in ältern Inter-
nodien, aber der Geotropismus zunimmt.
Die Folge hiervon ist eine Modifikation der gewöhnlichen Wachs-
tumsbewegung, insofern jeder kleinste Querabschnitt des windenden
Stengels die Tendenz hat, sich nicht gradlinig zu streeken, wie
das bei den gewöhnlichen orthotropen, nicht windenden Internodien
der Fall ist, sondern in einer Schraubenlinie wachsend sich zu strecken,
welche durch die erwähnte eigentümliche Kombination von Cireum-
nutation und Geotropismus an der Spitze des windenden Stengels
sehr flach ist, nach der Basis hin aber allmählich steiler und stei-
ler wird.
Findet ein in dieser schraubenlinigen Bewegung wachsender
Stengel einer Schlingpflanze keine Stütze, wird er jedoch zugleich
vor dem Umfallen geschützt, so wird, da nach der Basis hin die
Schraubenlinien immer steiler werden, und, so lange das Wachstum
überhaupt anhält, auch Geotropismus vorhanden ist, der Stengel nach
Beendigung des Längenwachstums schließlich vollkommen vertikal
und grade gestreckt sein wie jeder andere orthotrope Stengel, eine
Thatsache, die sich sehr leicht beobachten lässt, wenn man mittels
eines feinen, über eine Rolle geführten und mit einem kleinen Gewicht
versehenen Fadens den kreisenden Stengel am Umsinken verhindert.
Durch diese Fähigkeit, unter Beschreibung einer Schraubenlinie
sich grade zu strecken, ist auch für die stärksten Schlinggewächse
die Möglichkeit gegeben, die dünnsten Stützen (feine Fäden ete.)
regelmäßig zu umwinden.
Der eigentliche Zweck der Stütze ist nach dem Gesagten leicht
ersichtlich: Die Stütze ist ein Hindernis für die Grade-
streekung des in schraubenliniger Bewegung sich be-
findenden wachsenden Stengels. Durch die infolge der Gegen-
wart der Stütze verhinderte Gradestreckung aber wird der Stengel
am Umsinken gehindert. Je dieker die Stütze ist, desto früher wird
dieser Gradestreckung Einhalt geboten, desto flacher müssen in diesem
Falle auch im allgemeinen die Windungen ausfallen, und umgekehrt.
Da das Wachstum (nicht aber die Fähigkeit noch weiter zu
wachsen) nach dem Anlegen der Internodien an dieke Stützen not-
gedrungen aufhört, so erklärt sich auch die häufige Beobachtung,
dass um dicke Stützen gewundene Internodien im allgemeinen kürzer
sind, als solche, welche um dünne Stützen sieh gelegt haben; denn
im letztern Falle konnte das Wachstum der Internodien, bevor es
zum Anlegen an die dünne Stütze kam, noch längere Zeit ungestört
vor sich gehen.
9718 Wortmann, Mechanik des Windens der Pflanzen.
Das oben dargelegte, in den jüngsten Internodien auftretende
Verhältnis des Vorherrschens der Circumnutation über den negativen
Geotropismus, infolge dessen die in den untern Internodien vorhandene
schraubenförmige Bewegung mehr und mehr in eine horizontale, kreis-
förmige übergeht, ist für das Zustandekommen der Windungen insofern
von wesentlicher Bedeutung, als dadurch die Endknospe der winden-
den Pflanze niemals dauernd von der Stütze sich wieder entfernen
kann; denn die jüngsten Internodien bilden auf diese Weise eine oder
einige flache, sehr lockere Windungen, welche, indem der Geotropismus
allmählich in ihnen immer stärker wird, (die Circumnutation aber nicht
erlischt), nach und nach in immer engere Schraubenwindungen sich
umbilden, die sich dann, bei ihrem weitern Bestreben sich schraubig
zu verengern, von unten Punkt für Punkt der Stütze anlegen müssen.
Die an windenden Pflanzen so häufig zu beobachtenden Torsionen
sind für den Windungsvorgang selbst von nebensächlicher Bedeutung.
Die homodromen, mit der Windungsrichtung gleiehsinnig verlaufenden
Torsionen sind eine Folge der schraubenförmigen Bewegung des win-
denden Stengels. Sie entstehen immer dann, wenn bei der Streckung
der Internodien die Endknospe in ihren Bewegungen nicht aufgehalten
wird, und treten demgemäß sehr deutlich bei Umwindung dünner
Stützen (Glasfäden, Seidenfäden ete.) auf. Ein nachträgliches Ent-
stehen von Torsionen irgend welcher Art an Windungen, welche ein-
mal der Stütze definitiv anliegen, habe ich nie beobachten können.
Die sehr starken homodromen Torsionen, welche an bereits grade
gestreckten, in beliebiger Lage sich befindenden Internodien (welche
keine Stütze gefunden haben), nachträglich auftreten, erklären sich
ungezwungen aus der Thatsache, dass nach Gradestreckung des Inter-
nodiums dessen Wachstumsfähigkeit noch nicht erloschen ist. Da
aber selbst nach der Gradestreckung jeder kleinste Querabschnitt
infolge der in ihm noch vorhandenen Circumnutation noch das Be-
streben hat, in Richtung einer Schraubenlinie sich zu verlängern, so
müssen durch diese nachträgliche Streckung notwendigerweise noch
homodrome Torsionen entstehen, die in diesem Falle so lange auf-
treten, als überhaupt noch Wachstum unterhalten wird. Die homodrome
Torsion der Internodien ist also wie die Windebewegung selbst die
Folge von Circumnutation und Geotropismus.
Antidrome, der Windungsrichtung entgegengesetzt verlaufende
Torsionen entstehen in all den Fällen, in welchen die Endknospe auf
irgend eine Weise an der freien Drehung verhindert wird, ein Umstand,
welcher immer bei Stützen von einer gewissen Dieke eintritt. Für
den eigentlichen Vorgang des Windens sind sie, ebenso wie die homo-
dronen Torsionen, von keiner Bedeutung.
Diskussion.
Herr Zimmermann hält die Torsionen für bedeutungsvoll für
die Theorie des Windens, besonders deshalb, weil alle windenden
Pflanzen antidrome Torsionen zeigen.
Strasburger, Fremdartige Bestäubung. 379
Herr Wortmann entgegnet, dass nach seinen Beobachtungen
das nicht der Fall sei, sondern dass die meisten gewundenen Stengel
grade homodrome Torsionen zeigen, antidrome Torsionen aber nur
bei einer gewissen Stützendieke auftreten.
Herr Zimmermann erklärt, dass er speziell keine Beobach-
tungen gemacht habe.
Herr deBary betont, dass von Schwendener nur ein spezieller
Fall, in welchem antidrome Torsionen auftreten müssen, aus der Reihe
der übrigen herausgegriffen und als der normale bezeichnet sei. Sähe
man sich jedoch auch die übrigen Fälle genauer an, so gelange man
zu der Auffassung des Vortragenden, dass bei ganz normal windenden
Pflanzen die Art der Torsion nur von der Dicke der Stütze abhängig sei.
Herr Noll macht die Mitteilung, dass er rotierende Nutation an
etiolierten Keimlingen sonst nicht schlingender Pflanzen beobachtet
und diese Keimlinge durch Anbieten von Stützen zum Winden ge-
bracht habe. Die Beobachtuug dieser windenden Keimlinge habe ihn
auch zur Ueberzeugung gebracht, dass negativer Geotropismus ver-
bunden mit rotierender Nutution allein vollständig zum Schlingprozesse
befähigen. In einer demnächst erscheinenden vorläufigen Mitteilung
über diesen Gegenstand habe er dieser Ueberzeugung auch Ausdruck
verliehen.
Vortrag des Herrn E. Strasburger (Bonn) über fremdartige
Bestäubung. Eine große Reihe von Versuchen, bei welchen Pollen
der einen Species auf die Narbe einer andern übertragen wurde, führte
zu dem allgemeinen Ergebnis:
Dass besondere Schutzeinriehtungen nicht bestehen, welche die
Schlauehbildung auf fremdartiger Narbe, ja selbst das Eindringen der
Pollenschläuche in den fremden Griffel und Fruchtknoten verhindern.
Solches zu verhindern wäre auch überflüssig, da der Pollen der
eignen Art durch den fremden Pollen in seiner Schlauchbildung nicht
beeinträchtigt wird.
Selbst in solchen Fällen, wo Befruchtung durch den fremdartigen
Pollen möglich ist, befindet sich der eigne Pollen im Vorteil. Seine
Schläuche erreichen früher die Samenknospen.
Da nun ausreichend dafür gesorgt ist, dass der Pollen der eignen
Art auf die Narbe gelange, so werden auch in letztem Falle Schutz-
einrichtungen, um Bastardbefruchtung zu verhindern, überflüssig.
Daher auch spontan entstandene Bastarde relativ so selten sind,
und selbst in Gattungen, die am meisten zur Bastardbildung neigen,
durchaus nicht häufig auftreten.
Bei einzelnen Arten sind die Bedingungen für die Schlauchentwick-
lung aus dem Pollen einer nächstverwandten Art oder Abart günstiger
als für Sehlauehbildung aus dem Pollen derselben Blüte der eignen
280 Strasburger, Fremdartige Bestäubung.
Art. Dann ist aber auch hinreichend dafür gesorgt, dass Pollen von
einer andern Blüte derselben Art auf die Narbe gelange, und dieser
Pollen ist dann stets im Vorteil gegen den fremdartigen.
Uebrigens haben die Versuche ergeben, dass die heterogensten
phanerogamen Pflanzen in einseitigem oder gegenseitigem Verhältnis
zur Pollenschlauchbildung auf einander befähigt sind.
So gelangen beispielsweise die Schläuche von Lathyrus montanus bis
in die Fruchtknoten von Convallaria latifolia, diejenigen von Agapanthus
umbellatus bis tief in den Griffel von Achimenes grandijlora hinein.
So regen die Pollenschläuche von Fritillaria persica, in den Frucht-
knoten der Orchis-Arten hineinwachsend, die Entwicklung der Samen-
knospen in demselben an und veranlassen dessen beginnende An-
schwellung. Hingegen sind die Pollenkörner von Achimenes grandiflora
nicht befähigt auf den Narben von Agapanthus zu treiben.
Im allgemeinen sind alle Arten einer Gattung zu mehr oder we-
niger vollkommner Pollenschlauchbildung auf einander befähigt, ganz
unabhängig davon, ob Bastardbefruchtung zwischen denselben mög-
lieh ist oder nicht. Ausnahmen von dieser Regel sind selten; sie
kommen beispielsweise in der Gattung Orchis vor, wo unter anderem
Orchis Morio keine Schläuche auf Orchis fusca bildet, während um-
gekehrt die Schläuche von Orchis fusca in «den Fruchtknoten von
Orchis Morio eindringen, die ganz normale Ausbildung der Samen-
knospen veranlassen und letztere vereinzelt sogar befruchten.
Für gewöhnlich dringen die Pollenschläuche in den Griffel bezw.
auch in den Fruchtknoten um so tiefer ein, je näher die Pflanzen
verwandt sind. Ausnahmen hiervon sind aber nicht selten.
Das Vordringen der Pollenschläuche bis in den Fruchtknoten hinein
ist meist nur bei nächstverwandten Pflanzen möglich, kann aber auch
zwischen ganz heterogenen Pflanzen erfolgen, wie das Beispiel von
Lathyrus montanus auf Convallaria latifolia zeigt.
Da die heterogensten Pflanzen Pollenschläuche auf einander bilden
können, so darf dieser Vorgang nicht als Maß für sexuelle Affinität
gelten.
Ein solches Maß könnte nur das Verhalten der Geschlechtsprodukte
selbst abgeben, wenn es möglich wäre, diese unter sonst gleichen Be-
dingungen an einander zu bringen. Für Anlage und Ausbildung der
Pollenschläuche sind sekundäre Einflüsse maßgebend, und aus diesen
beispielsweise zu schließen, dass Orchis Morio weniger sexuelle Affinität
zu Orchis fusca als diese zu Morio besitzt, wäre ganz willkürlich.
Würde doch dann umgekehrt aus der Schlauchbildung von Fritillaria
persica auf Orchideen eine sexuelle Affinität zwischen diesen ange-
nommen werden müssen.
Dass Abarten derselben Art, Arten derselben Gattung, Gattungen
derselben ja verwandter Familien, meist leichter auf einander Pollen-
schläuche als Gattungen entlegener Familien treiben, ist nur Folge
Götte, Entwicklung der Aurelia aurita und Cotylorhiza borbonica. 281
einer größern Uebereinstimmung in der Zusammensetzung der von
Narbe und Griffel den Pollenkörnern und Schläuchen gebotenen
Nahrung.
Wo Bastardbefruchtung erfolgt, gibt diese und ihre Folgen ein
Maß für sexuelle Affinität ab, während ein Ausbleiben der Bastard-
befruchtung nicht an sich schon als Mangel sexueller Affinität ge-
deutet werden darf.
Herr Zimmermann berichtet: Herr G. Ebel (Leipzig) hat an
den Epidermiszellen verschiedener Eriocaulon-Arten eine anatomische
Eigentümlichkeit aufgefunden, die höchst wahrscheinlich eine mecha-
nische Bedeutung hat. Diese Zellen sind nämlich dadurch ausge-
zeichnet, dass sie lange Aussackungen auf der Innenseite des Pflanzen-
körpers besitzen, die wie Borstenhaare in diesen hineinragen. Diese
Aussackungen haben häufig eine ähnliche Gestalt wie die Zellen des
Palissadenparenchyms, stehen aber stets mit den Epidermiszellen in
einer haltbaren Verbindung und sind stets gleich diekwandig und
chlorophylifrei wie diese. In andern Fällen haben wir es jedoch mit
bedeutend kürzern Fortsätzen zu thun. Dieselben sind bald in Ein-
zahl, bald zu zwei an einer Epidermiszelle vorhanden. Eine ausführ-
lichere Mitteilung über diesen Gegenstand wird demnächst an einem
andern Orte gegeben werden.
II. Sektion für Zoologie, 1. Sitzung.
Herr A. Götte (Rostock) sprieht über die Entwicklung der
Aurelia aurita und Cotylorhiza borbonica. Die ersten Blastomeren
sind abwechselnd gleich oder ungleich; die Elemente der daraus her-
vorgehenden Keimblase zeigen aber keinerlei Verschiedenheit. Durch
Einwanderung einzelner Elemente aus der Keimblasenwand in die
Höhle wird dieselbe zuletzt ganz gefüllt; diese innere Entodermmasse
höhlt sich nachträglich aus (Urdarm) und bricht nach außen durch
(Prostoma). Nach der Umbildung dieser Gastrula in die Flimmerlarve
entsteht, vor oder nach dem Festsetzen derselben, eine taschenförmige
Einstülpung des Ektoderms am prostomialen Ende, woraus der blei-
bende ektodermale Schlund wird, der in den Magen durchbrieht. Zu-
gleich bilden sich an zwei entgegengesetzten Seiten zwei fingerförmige
Aussackungen des Entoderms, welche, zwischen Schlund und Oberhaut
gelegen, abwärts in zwei Rinnen der Magenwand auslaufen; die Ränder
dieser Rinnen sind die vier Magenfalten. Zwischen den zwei großen
Magentaschen entsteht jederseits eine sekundäre; die zusammenstoßen-
den Taschen bilden vier Septen über den vier Falten.
Ueber jeder primären Tasche erhebt sich ein Tentakel, über den
sekundären je drei; später gleicht sich die Zahl der Tentakel jedes
Quadranten aus. Die sogenannten Muskeln der Seyphistomen ent-
wickeln sich aus triehterförmigen Einstülpungen des perioralen Ekto-
derms in das Innere der Septen und Falten, wo sie sich schlauch-
2382 Leuckart, Entwicklung der Sphaerularia bombi.
förmig ausdehnen und hohl bleiben. Die Anwesenheit der Mündungen
an der ersten Ephyra beweist, dass diese nicht eine Knospe, sondern
der ursprüngliche orale Abschnitt des Scyphistoma ist. Neben der
Strobilabildung kommt aber auch eine wirkliche Knospung der Sey-
phistomen vor.
In der Diskussion macht Ludwig (Gießen) auf die Aehnlichkeit
der beiden primären Magentaschen der Aurelia mit den Magengefäßen
der Rippenquallen aufmerksam.
Herr Götte hält diese verwandtschaftliche Beziehung des Sey-
phistoma mit Ctenophoren gleichfalls für möglich, aber nicht für un-
zweifelhaft.
Herr Leuckart (Leipzig) macht aufmerksam auf die Homologie
zwischen der Schlundeinstülpung eines Cölenteraten mit dem Schlund-
rohr eines höhern Metazoons und der Seitendivertikel des verdauenden
Hohlraums mit der Leibeshöhle der Enterocölier.
Herr Götte schließt sich dem Vergleich des Vorderdarms im all-
gemeinen an.
Herr Osear Sehmidt (Straßburg): Ueber Entstehung von
Arten durch Verfall und Sehwund älterer Merkmale.
Herr Schmidt (Straßburg) teilt mit, dass er bei dem von Grube
entdeekten Caminus osculosus zahlreiche verkümmerte Nadeln des vier-
strahligen Typus gefunden habe, welche die Zugehörigkeit dieser
Spongie zur Ordnung der Tetractinelliden außer Frage stellen. Es
hat sich ergeben, dass einzelne soleher in pathologischem Zustande
befindlichen Kieselkörper auch bei dem zuerst bekannt gewordenen
Caminus vulcani aus der Adria vorkommen, während bei dem ameri-
kanischen Caminus apiarium bis jetzt keine Spur derselben zu sehen
war. Aus der Beschaffenheit der Nadeln geht hervor, nicht dass sie
im Entstehen, sondern dass sie im Schwinden begriffen und dass die
obigen Arten sich auf verschiedenen Stadien dieser Rückbildung be-
finden. Es ist damit für die einst von Schmidt aufgestellte Hypo-
these ein direkter Beweis erbracht, dass die Gattung Caminus ihre
nächsten Verwandten bei den Tetraetinelliden habe und durch all-
mählichen Schwund und Verlust der vierstrahligen Nadeln entstan-
den sei.
Herr Ludwig (Gießen) hebt die von Schulze beschriebenen
Deformationen der Vierstrahler in der Familie der Plakiniden hervor.
2. Sitzung. Vortrag von Herın Leuckart (Leipzig) über die
Entwicklung der Sphaerularia bombi. Um die Frage zu lösen,
müssen die Hummeln im Winter untersucht werden, zu welcher Zeit
sie bis über 1 Meter tief in der Erde liegen. Die geschlechtsreife
Sphaerularia gehört zu den Anguillulariden, speziell zu dem Genus
Tylenchus, Die jungen Tiere enthalten, wenn sie aus der Hummel
Selenka, Embryologie des Opossum und die Abstammung der Säugetiere. 285
ausschlüpfen, reichliche Reservestoffe in den Darmzellen, welche wäh-
rend der einige Monate später stattfindenden Entwieklung der Ge-
schlechtsorgane aufgebraucht werden. Es erfolgt im freien die Be-
gattung, und die Weibchen wandern im Herbst (höchst wahrscheinlich
durch den Mund) in die Hummeln ein. Man findet die jungen Tiere
häufig in der Leibeshöhle zwischen den malpighischen Gefäßen, manch-
mal in der Wand des Darmes unter der Muscularis festsitzend, wobei
der die Geschlechtsorgane enthaltende Anhang frei in die Leibeshöhle
hineinhängt. Bei den eingewanderten Tieren wird die Vagina aus-
gestülpt, ihr Epithel erleidet eigentümliche Veränderungen, und der
Geschlechtsapparat rückt allmählich in die umgestülpte Vagina hinein;
der Wurmkörper verkümmert. Außer dem Geschlechtsapparat findet
man einen Zellenstrang mit auffallend (bis 1 mm) großen Zellen,
welcher den ganzen Anhang durchzieht; er dürfte eher ein Reserve-
stoff enthaltender Teil des Hautmuskelschlauches als ein Teil des
Darmes sein. Die Wucherung dieser Zellenmasse gibt vermutlich die
erste Veranlassung zur Ausstülpung der Vagina. Die Eier werden
in die Leibeshöhle der Hummeln entleert, wo die Embryonen aus-
schlüpfen und heranwachsen, bis sie den Körper der Hummeln ver-
lassen.
Herr Prof. Pagenstecher (Hamburg) bemerkt, dass der Vor-
gang wohl am besten als ein Prolapsus vaginae cum utero gravido
betrachtet werde.
Herr Leuckart erklärt, dass dieser Ausdruck die Sache richtig
bezeichne, und dass er ihn in der ausführlichen Publikation ver-
wendet habe.
Herr Kollmann Basel) drückt seine Freude darüber aus, dass
durch die Mitteilungen des Herrn Leuckart Zellenformen bekannt
werden, welche für die Histologen eine wahre Fundgrube von interes-
santen Beobachtungen abgeben werden. Die Aufnahme und Abgabe
von Reservestoffen werden sich an der Sphaerularia mit einer großen
Sicherheit verfolgen lassen, und die Studien über die Biologie der
Zelle ein vortreffliches Objekt zur Verfügung haben.
Herr Leuckart verspricht über diese Frage weitere Mitteilungen
in einer der nächsten Sitzungen zu machen und macht darauf auf-
merksam, dass ähnliche interessante Verhältnisse sich bei Allantonema
mirabile finden.
Prof. Pagenstecher bemerkt weiter, dass das Verhalten von
Tetrameres haemorrhous gar nichts von den Besonderheiten der Sphae-
rularia zeigt. Es sei nur der Mittelkörper durch die zahlreichen
Windungen des Eileiters kolossal ausgedehnt, und Köpfehen und
Schwänzchen hängen unscheinbar an.
Vortrag von Herrn Selenka (Erlangen) über die Embryo-
logie des Opossum und die Abstammung der Säuge-
254 Ziegler, Entstehung der Blutkörperchen bei Knochenfischembryonen.
tiere. Nach beendigter Furchung besteht das Ei von außen nach
innen aus der Zona radiata, einem Mantel von Nahrungsdotter, dem
Ektoderm, dem Entoderm und der Dotterhöble. Von der Primitiv-
rinne wuchert die Chorda dorsalis als medianer Strang nach vorn,
die beiden Mesodermlappen seitlich hervor. Fünf Tage nach der Be-
fruchtung des Eies schließt sich der Amnionnabel. — Hervorzuheben
ist das Fehlen eines transitorischen Ektoderms, das Fehlen jeglicher
Zottenbildung; die Ernährung des Embryo geschieht lediglich durch
osmotische Aufnahme der Uterinlymphe durch das Chorion. Die sehr
lockere Festheftung des Eies (am Fruchthofe) geschieht mittels Ver-
klebung der persistierenden Zona. Die Kerne der quergestreiften
Muskelfasern liegen axial.
Herr Leuckart macht darauf aufmerksam, dass die Geschlechts-
organe des Opossum dem Gesagten zufolge hinsichtlich des mittlern
Blindsehlauchs Annäherung an Hamaturus zeigen.
Herr Pagenstecher bemerkt, dass auch bei den Hamatu-
riden der Bau des Uterin- und Vaginal-Apparates sehr verschieden
sei und alles darauf deute, dass derselbe abzuleiten sei von zwei
symmetrischen, paarigen, eingestülpten, den Milchdrüsen entsprechen-
den Regionen.
Vortrag von Herrn H. E. Ziegler (Straßburg) über die Ent-
stehung der Blutkörperehen bei Knochenfisch-
embryonen. Gensch hat im Anschluss an ähnliche Angaben
früherer Autoren die Behauptung aufgestellt, dass beim Hecht die
Biutkörperchen von den im Dotter gefundenen „Zellen“ abstammen.
Ich habe beim Lachs folgendes beobachtet:
Im Dotter liegen keine Zellen, sondern große Kerne; dieselben
sind meistens oval, häufig sind sie langgestreckt oder eingeschnürt
und geben das Bild direkter Kernteilung; unter den derartigen Be-
funden sucht man vergeblich nach solchen, welche die Entstehung von
Blutkörperchen aus den Kernen des Dotters beweisen könnten. Das
Aussehen der Kerne weist auf Degeneration hin, und es haben die-
selben keine morphologisch wichtige Rolle mehr zu spielen.
Zu der Zeit, wenn die Keimscheibe mehr als zwei Drittel des
Eies umwachsen hat und der Hohlraum zwisehen den Parietalplatten
sich ausdehnt (etwa am 13. Tage), findet man lateral von dem Kiemen-
darm, der in der Medianlinie den Dotter noch erreicht, unter dem
Splanchnopleur einen Zellstreifen, der nach vorn und medianwärts in
die undifferenzierte (den Ursegmenten entsprechende) Mesodermmasse
des Kopfes übergeht; er muss folglich von der letztern abstammen
oder doch mit ihr gleichartigen Ursprungs sein. Während der Hohl-
raum zwischen den Parietalplatten sich vergrößert und der Kiemen-
darm median (von vorn nach hinten) vom Dotter sich ablöst, rücken
Eimer, Zeichnung der Säugetiere, Schmetterlinge und Mollusken. 285
die Zellstreifen dementsprechend medianwärts und vereinigen sich;
aus ihnen geht das Endothel des Herzens hervor.
Man findet bis zu dem Zeitpunkt, wo die Massen von Blutkörper-
chen, deren Herkunft im folgenden besprochen werden wird, in die
Zirkulation gelangen, in den Gefäßen keine, im Sinus venosus aber
einige wenige Blutkörperchen. Ueber den Ursprung der letztern war
folgendes festzustellen: von dem obenerwähnten Stadium ab findet
man in der Gegend des Sinus venosus die Urwirbel lateralwärts nicht
scharf begrenzt, sondern in der Weise zwischen Somatopleur und
Ektoderm vordringend, dass der Zusammenhang der Zellen lateral-
wärts sich lockert, und dass lose zusammenhängende amöboide Zellen
den lateralen Rand der Parietalplatten erreichen und überschreiten;
einzelne Zellen werden unter dem Splanchnopleur gefunden und machen
es sehr wahrscheinlich, dass solche Zellen zwischen Splanchnopleur
und Dotter medianwärts wandern, um an und in den Sinus venosus
zu treten.
Viel leichter als die Herkunft dieser Zellen ist die Abstammung
der plötzlich in großer Menge in die Zirkulation eintretenden und
namentlich im Sinus venosus sich anhäufenden Zellen festzustellen.
Die schon von Oellacher beobachtete intermediäre Zellenmasse ver-
wandelt sich in die unter der Aorta verlaufende mediane Vene und
in die Blutkörperchen, welche dies Gefäß füllen; dies habe ich schon
früher angegeben („Embryonale Entwicklung von Salmo salar“, Frei-
burg, 1882), und Wenkebach („Journal of Anatomy and Physiology“,
vol. XIX) hat vor kurzem den gleichen Vorgang beim Barsch beob-
achtet. Bevor diese Zellmasse mit dem Gefäßsystem in Verbindung
tritt und die in ihr entstandenen Zellen als Blutzellen weggespült
werden, gibt sie einen großen Teil der Zellen ab; es treten nämlich
im mittlern Rumpfteil Zellmassen von da durch enge Spalten von
variabler Lage zwischen dem Darm und dem vertikalen Teile der
Parietalplatten auf den Dotter hinab (17. Tag); dieselben häufen sich
zuerst neben dem Embryo an (18. Tag) und bewegen sich dann unter-
halb Splanchnopleur in peripherer Richtung; aus ihnen gehen die
ersten Gefäße des Dotters, insbesondere die Randvene der Area vas-
culosa hervor. Diese Zellmassen sind von flachen Zellen umhüllt, so-
dass ihr Austreten wohl als eine Gefäß-Sprossenbildung aufgefasst
werden kann, bei welcher die Sprossen in dem Maße, als sie weiter
wachsen, vom Muttergefäß aus mit Massen von Blutkörperchen gefüllt
werden. Sobald die Randvene so weit entwickelt ist, dass sie mit dem
Sinus venosus in Verbindung tritt (19. Tag), erweitert sich der letz-
tere beträchtlich und weist eine große Anzahl von Blutkörperchen auf.
4. Sitzung. Herr Eimer spricht über die Zeichnung der
Säugetiere, Schmetterlinge und Mollusken. Die Unter-
256 Mislawsky, Zur Lehre vom Atmungszentrum.
suchungen des Vortragenden haben demselben vollkommene Gesetz-
mäßigkeit in der Zeichnung der Tiere ergeben. Seine neu angestellten
Untersuchungen stellen neue Beweise dar für die Erklärung der Ent-
stehung der Arten, im Sinne des Vortragenden auch für die Schmet-
terlinge und für die Mollusken dahin, dass diese Entstehung
sanz wesentlich mit auf ein Variieren in bestimmter, durch die Zu-
sammensetzung des Organismus bedingter Richtung — also aus kon-
stitutionellen Ursachen — vor sich gehe, ohne dass deshalb
der großen Bedeutung des Nützlichkeitsprinzips zu nahe getreten
werde. Der Vortragende weist auf seine schon seit 1871 wiederholt
in der Literatur und besonders auch auf der Freiburger Naturforscher-
versammlung erfolgte Vertretung dieser seiner Ansichten hin, welche
auf ganz anderem Wege als die ähnlichen Nägeli’s gewonnen wor-
den und die denjenigen Weismann’s insofern entgegenstehen, als
dieser der Anpassung, dem Nützlichkeitsprinzip, eine viel maßgebendere
Rolle zugesteht.
Herr Weismann (Freiburg i. B.) bemerkt, dass er keineswegs
die Konstitution einer Art für bedeutungslos hält inbezug auf die Art
des Variierens, dass er im Gegenteil von jeher betont habe, dass ver-
schiedene Arten auch verschieden variieren müssen. Das ist aber
ganz etwas anderes, als wenn man die Entwicklung der Organismen-
welt auf innere treibende Ursachen zurückführt. Dazu liegt kein
Grund vor, und auch die interessanten Eimer’schen Beobachtungen
geben dazu keinen Anlass. Erst müssen einmal möglichst zahlreiche
Thatsachenreihen über die Veränderungen der Zeichnung bei den
Tieren vorliegen, ehe wir über die Ursachen dieser Veränderungen
entscheiden können. Bis jetzt wird nichts der Vermutung entgegen-
stehen, dass auch diese Zeichnungen mindestens zum einen Teil auf
Anpassung an die Lebensbedingungen beruhen. Der andere Teil, das
was Eimer als „männliche Präponderanz“ bezeichnet, dürfte,
ins Darwin’sche übersetzt, vielleicht als sexuellle Züchtung be-
zeichnet werden.
Zur Lehre vom Atmungszentrum').
Von N. Mislawsky.
Aus dem physiologischen Laboratorium von Prof. N.Kowalewsky in Kasan.
4) Die Gierke’schen Bündel haben keine Beziehungen zu den Atem-
bewegungen. Sie können sowohl an der Stelle durchschnitten werden, wo sie
gegen den Zentralkanal konvergieren, als auch höher, auf dem Niveau der Mitte
des Calamus seriptorius, und die Atembewegungen dauern fort.
Die Versuche sind mittels des Mikroskops kontroliert.
1) Aus dem „Centralblatt f. d. mediz. Wissenschaften“.
Mislawsky, Zur Lehre vom Atmungszentrum. 87
2) Die Atembewegungen hören sofort auf, wenn die Zellengruppen zerstört
werden, die in den sogenannten „Faisceaux intermediaires ou laterals* (Longet)
eingelagert sind. Diese, so viel ich weiß, bis jetzt noch nicht beschriebenen
Zellengruppen bilden zwei Zentren von unregelmäßiger, aber doch ziemlich
beständiger Form, zu beiden Seiten der Raphe, nach innen von den Hypo-
glossuswurzeln und dicht ihnen anliegend. Die Grenze ihrer Ausdehnung nach
oben (resp. nach vorn) wird durch die Basis des Calamus scriptorius bestimmt,
nach unten (resp. nach hinten) durch den Winkel des letztern. Von vorn
nach hinten (resp. von oben nach unten) liegen diese Zentren zwischen den
Oliven und der grauen Substanz des Bodens des vierten Ventrikels. Die ein-
seitige Zerstörung dieser Zentren zieht den Stillstand der Atembewegungen
nur an der entsprechenden Seite nach sich. In einem Falle rief die einseitige
Zerstörung bei einem alten Tiere den absoluten Stillstand der Atembewegungen
hervor. Unvollständige Zerstörungen oder Verletzungen in der Nähe dieser
Zentren verursachen eine Schwächung der Atembewegungen an der entspre-
chenden Seite. Die Verletzung der seitlich und höher liegenden Teile der
Oblongata rufen die oben erwähnten Effekte nicht hervor.
3) Die Leitungsbahnen von diesen Zentren zu den Rückenmarksursprüngen
der Atemmuskelnerven liegen, auf der Höhe, wo der Zentralkanal bereits ge-
schlossen ist, außerhalb der Gierke’schen Bündel.
4) Die Versuche mit Trennung der Oblongata vom Rückenmark beweisen
nicht, dass in letzterem normale reflektorische, geschweige denn automatische
Atemecentra (Langendorff) vorhanden sind. Die Reflexe von den sensiblen
Nerven auf das Diaphragma hören mit der Trennung der Oblongata auf; das
Erhalten jedoch von Reflexen bei strychnisierten Tieren ist nicht beweisend,
weil das Strychnin für die Reflexe neue Wege eröffnet, die im Rückenmark
angelegt, aber physiologisch nicht kultiviert sind, und so entsteht ein Bild
von Reflexen, das wenig dem normalen ähnlich ist. Automatische Atembe-
wegungen nach der Rückenmarksdurchschneidung und nach Strychninvergiftung
bei ausgewachsenen, ebenso wie bei jungen Tieren, die mehr als einen Monat
alt waren, habe ich niemals bemerken können. — Die Experimente an strychni-
sierten Tieren können nur als Beweis der Legallois’schen Lehre angesehen
werden, dass die Nerven der Atemmuskeln, wie auch andere motorische Nerven
im Rückenmark anfangen, d. h. nach unsern jetzigen Ansichten aus den Zel-
len der vordern Hörner entspringen.
5) Die Zentren, welche im dritten Ventrikel und in den Corpora quadri-
gemina, um den Aquaeduetus Sylvii, beschrieben sind (Christiani, Martin
und Boocker), haben nur nebensächliche Bedeutung und müssen zu dem
psychoreflektorischen Apparat gerechnet werden. Die Trennung des Gehirns
und der Corpora quadrigemina verändert die Atembewegungen nicht wesent-
lich; die Zerstörung jedoch der in ihnen eingelagerten Zentren ruft nur rasch
vorübergehende Erscheinungen hervor, die außerdem noch mit andern Stö-
rungen des lokomotorischen Apparates verbunden sind.
Die Versuche sind an Katzen angestellt.
Die ausführliche Darstellung meiner Untersuchungen wird in kurzem er-
scheinen.
388 Sir John Lubbock, Lebensdauer der Ameisen.
Sir John Lubbock, Lebensdauer der Ameisen.
Contemporary Review, November 1885.
Zu den nicht am wenigsten wissenswerten Thatsachen, welche ich meinen
Beobachtungen über die Ameisen verdanke — so schreibt Sir John Lub-
bock an dem genannten Orte — gehört die Kenntnis von der Lebensdauer
dieser Tiere. Allgemein glaubte man früher, sie lebten etwa wie die Wespen
nur ein Jahr. Aristoteles hatte einst behauptet, dass Bienenköniginnen
sechs oder selbst sieben Jahre leben, wogegen Bevan bemerkte, dass „die
Ansichten alter sowohl als neuerer Forscher über diesen Gegenstand lediglich
auf Vermutung beruhten. Denn es erscheint in der That zweifelhaft, ob die
Lebensdauer, welche man ehedem einzelnen Bienen beilegte, nicht vielmehr
auf das Bestehen eines ganzen Bienenstockes sich bezog“.
Die Ameisennester jedoch, welche ich beobachtete, haben mich in den
Stand gesetzt, diese Frage bedeutend aufzuklären. Die Ameisenweibchen sind
so leicht zu unterscheiden von den Arbeitern, dass man sie auf den ersten
Blick erkennt; und wo es in einem Nest kein Weibchen gibt, können wir auch
sicher sein, dass wir es nur mit Arbeitern zu thun haben. Denn wenn auch
Arbeiter bisweilen Eier legen, so gehen aus diesen ohne Unterschied nur
Männchen hervor. Somit gibt uns bei einem solchen Nest die Dauer desselben
zugleich das Alter der Arbeiter an; mindestens können letztere nicht jünger
als ihr Bau sein, obwohl natürlich älter. Auf diese Weise hielt ich Arbeiter
von Lasius niger und Formica fusca länger als sieben Jahre. Was aber noch
merkwürdiger ist: ich habe jetzt zwei Weibchen der letztgenannten Art bereits
seit 1874, und diese müssen, da sie damals bereits völlig ausgebildet waren,
nahezu zwölf Jahre alt sein. Auch in diesem Jahre legten sie mir wieder ent-
wicklungsfähige Eier, ein für Tierphysiologen gewiss bemerkenswerter Umstand.
Obwohl ein bischen steif in den Gliedern und weniger beweglich als ehedem,
sind sie noch kräftig und wohlauf, und ich hoffe sie noch manche Zeit gesund
zu erhalten.
Berichtigung.
In Nr. 8 dieses Bandes soll es auf Seite 253 Zeile 11 von unten nicht
heißen „und verschwindet mit dem Eikern“ — sondern es soll heißen „und
versehmilzt mit dem Eikern“. Dieser Irrtum, welcher zuerst in dem
„Tageblatt der 58. Vers. d. Naturf. u, Aerzte“ sich vorfand, hat schon mehr-
fach zu falschen Auffassungen meiner Beobachtung geführt.
C. Fisch (Erlangen).
Verlag von Eduard Besold im Erlangen.
Zoologisches Taschenbuch für Studierende.
3. Auflage. 12° in elegantem Leinwandband. Preis M. 3.
Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün-
schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an-
zugeben.
Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man
an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut“ zu richten.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen, — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
Biologisches Gentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
Inhalt: Prof. Dr. von kudden 7. — Gudden, Ueber die Frage der Lokalisation
der Funktionen der Großhirnrinde. — Jordan, Die Stellung der Honigbehälter
und der Befruchtungswerkzeuge in den Blumen. — Ludwig, Ueber durch
Austrocknen bedingte Keimfähigkeit der Samen einiger Wasserpflanzen. —
Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands. — Knoll, Beiträge zur Lehre
von der Atmungsinnervation. — Kowalewsky, Beobachtungen über die Blut-
zirkulation in der Haut. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesell-
sehaften: 58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, Sektion für
Anatomie und Anthropologie. — Klein, Grundzüge der Histologie.
Professor Dr. von Gudden 7.
Noch ehe der nachstehende Vortrag, eine kurze Zusammenfassung
der Ergebnisse jahrelanger Arbeit, welche ihr Verfasser uns gütigst zur
Verfügung gestellt hatte, zum Abdruck gelangen konnte, verbreitete
der Telegraph nach allen Richtungen die Kunde von dem unter so
erschütternden Umständen erfolgten jähen Tode desselben. Niemand
wird dem tragischen Geschick des Mannes seine Teilnahme versagen,
der als Opfer seines Berufs und seiner Pflichttreue gefallen ist. Aber
auch den Mann der Wissenschaft haben wir zu betrauern, der seinem
vielbeschäftigten Amtsleben immer noch die Muße abzugewinnen wusste,
mitzuarbeiten an dem Ausbau nicht nur seines Spezialfaches, sondern
auch der theoretischen Grundlagen desselben und seiner Hilfswissen-
schaften.
Bernhard Gudden wurde geboren zu Cleve am Rhein am
7. Juni 1824. Nach vollendeten Studien wurde er Assistent an dem
Irrenhause zu Siegburg, später an dem zu Illmau in Baden. Im
Jahre 1855 übernahm er die Leitung der Kreisirrenanstalt zu Werneck,
im Jahre 1869 wurde er als Professor der Psychiatrie an die Univer-
sität Zürich berufen, von wo er im Jahre 1872 nach München über-
siedelte, um neben der Professur an der dortigen Universität zugleich
die Leitung der Kreisirrenanstalt des Kreises Oberbayern zu über-
nehmen. Als das fortschreitende Leiden König Ludwig’s II dauernde
ärztliche Behandlung notwendig machte, übernahm Gudden die
v1. 19
290 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde.
Ueberführung des hohen Kranken nach Schloss Berg am Starnberger
See. Am folgenden Tage, den 12. Juni abends 9 Uhr fand man die
Leichen des Königs und seines Arztes im See, nahe dem Ufer. Ueber
die nähern Vorgänge, welche das Unglück herbeigeführt haben, ist
nichts bekannt geworden.
Ueber die Frage der Lokalisation der Funktionen der Groß-
hirnrinde.
Vortrag, gehalten in der Jahresversammlung des Vereins deutscher Irrenärzte
in Baden - Baden
von Prof. v. Gudden.
Nicht entfernt, was ich gleich bemerken muss, kann es meine
Absicht sein, auf die Einzelheiten der verschiedenen, an der Groß-
hirnrinde angestellten Versuche, sowie auf deren wirkliche oder ver-
meintliche Resultate mich einzulassen —- diejenigen, die sich dafür
interessieren und es nicht vorziehen, die Original-Arbeiten durch-
zugehen, verweise ich auf das sehr gute Referat Exner’s im dies-
jährigen Biologischen Centralblatte!) — vielmehr genügt es vollständig
für meinen Zweck, daran zu erinnern, dass sich unter den Physiologen
zwei Gruppen einander gegenüber stehen, von denen die eine die
Großhirnrinde gewissermaßen landkartenartig in eine größere Anzahl
von einander scharf getrennter Provinzen mit verschiedener Funktion
einteilt, die andere die Berechtigung einer solchen Flächeneinteilung
bestreiten und die Funktion der Rinde als eine mehr einheitliche auf-
fassen zu müssen glaubt. Als die Hauptvertreter der beiden Gruppen
können wir Munk und Goltz bezeichnen, dürfen aber nicht über-
sehen, dass auch unter den Lokalisationsanhängern selbst wieder
nichts weniger als Uebereinstimmung herrscht, wobei in hohem Grade
zu bedauern ist, dass der Konflikt mitunter sehr unerquickliche For-
men angenommen hat.
Meine Untersuchungen gingen von Anfang an andere Wege, be-
fassten sich zunächst mit der Anatomie des Gehirns, benutzten dazu
auch, wo es nur zulässig war, und nicht ohne Erfolg, die experimen-
telle Methode. Der Plan war, in erster Linie von der Peripherie aus,
von den Nerven Schritt für Schritt immer tiefer in die Zentren vor-
zudringen, bei Angriffen aber auf die Zentren und zumal auf die
Großhirnrinde, die ihrer Natur nach, wenigstens bei der Rinde, immer
etwas Rohes haben, nur mit der größten Behutsamkeit zu verfahren, |
um zunächst die Fehlerquellen zu entdecken und die Mittel und Wege |
aufzufinden, wie man sie einigermaßen vermindern und vermeiden
könne. Wenn man etwas unternimmt, soll man wissen, was man
unternimmt; wer aber die Großhirnrinde angreift, ohne vor allem ganz
4) Biolog. Centralblatt, Bd. V, Nr. 1 und 2.
Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde 291
genau den Faserverlauf zu kennen, der weiß einfach nicht, da die
Hirnrinde ohne Verletzung von Fasernzügen, die möglicherweise ganz
anderswohin sich begeben, nicht abgetragen werden kann, was er
gethan hat, ganz abgesehen von Folgezuständen, insbesondere Ent-
zündungen bei erwachsenen Tieren mit ihren nicht selten großartigen
Verheerungen, die selbst wieder nicht eher genau umgrenzt werden
können, bis das operierte Tier lang genug gelebt hat, um die sekun-
dären Atrophien sich vollziehen zu lassen und eine genaue, oft die
Ueberwindung großer Schwierigkeiten erfordernde, anatomische Unter-
suchung nach der Schnittmethode und unter Anwendung geeigneter
Tinktionen vorgenommen worden ist. Ist aber schon die Erforschung
der Hirnanatomie vielfach so außerordentlich schwierig, wie soll man
da dem physiologischen Experimente, unternommen ohne alle anato-
mische Grundlage, höchstens sich stützend auf ein wenig Flächen-
topographie und verwertet nicht einmal mit nachträglicher sorgfältiger,
auch in die Tiefe eindringender anatomischer Kontrole, noch dazu
unter dem Andrange so widerspruchsvoller Angaben der verschiedenen
Beobachter, ein unbedingtes Zutrauen schenken?
Obgleich aber meine Untersuchungen zunächst anatomische Ziele
im Auge hatten, das vielfach zu Hilfe genommene anatomische Ex-
periment gestattete doch auch manche physiologische Beopachtung.
Wir werden sehen, dass auch diese physiologischen Beobachtungen
die von anatomischer Seite sich erhebenden Bedenken gegen die
Munk’sche Invasion in die Großhirnrinde mit ihren glänzenden und
epochemachenden Resultaten nur zu vermehren im stande sind. Munk
wird sich übrigens erinnern, dass er die aufgrund anscheinend der
feinsten und genauesten Untersuchungen und Beobachtungen im Gegen-
satz zu seinem hemiopisch gewordenen Affen behauptete kontralaterale
Blindheit beim Hunde (nach Abtragung der Sehsphäre) auf grund
anscheinend wieder ebenso exakter Experimente hat fallen lassen und
zugeben müssen, dass die Brücke, die er zwischen dem kontralateral
blinden und hemiopischen Hunde schlug, etwas luftiger Art ist. Es
ist und bleibt so, vor einer zweifellos erwiesenen anatomischen That-
sache verliert jedes physiologische Resultat, welches mit derselben
in Widerspruch steht, seine Bedeutung. Nach Entfernung einer Seh-
sphäre musste!) der Hund hemiopisch werden, sobald nachgewiesen
war, dass auch er im Besitze eines und zwar starken ungekreuzten
Optieusbündels sei, und um auch ein Ergebnis elektrischer Reizung
zu streifen: wenn ein angesehener und, wie ich annehme, mit der
Methode der Untersuchung vollkommen vertrauter Physiologe aufgrund
seiner elektrischen Reizungen zu dem Sehlusse gelangt, dass der Nerv.
trochlearis sich partiell kreuze, und meine an Kaninchen und Katzen
angestellten anatomischen Experimente (Fortnahme des Nerv. trochl.)
1) Vergl. v. Gräfe’s Archiv für Ophthalmologie, XXV, 8. 245.
19%
292 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde.
weisen einen kompleten Ausfall des ganzen entgegengesetzten Kernes
nach, so steht fest, dass die Trochleares sich vollständig kreuzen,
und man ist klar darüber, dass auch die Resultate elektrischer Reizung
nur mit größter Vorsicht verwertet werden dürfen.
Vor den Hunden und Katzen — Affen standen mir nicht zur Ver-
fügung — haben die Kaninchen gewisse Vorteile, die von wesentlicher
Bedeutung sind. Sie kommen am geeigneten Platze zur Sprache;
operiert man aber an neugebornen Tieren, so verdienen für alle Ope-
rationen die Kaninchen insofern den Vorzug, als bei ihnen dieselben,
was bei Hunden und Katzen das Gewöhnliche ist, nur ausnahmsweise
von störenden Entzündungen gefolgt werden.
Enukleiert man bei einem neugebornen Kaninchen ein Auge, so
entwickelt es sich nicht weiter, und es geht, soweit er bereits entwickelt
war, der entgegengesetzte Traetus optieus, selbstverständlich mit Aus-
schluss seines ungekreuzten Bündelchens, zugrunde. Das ungekreuzte
Bündel ist beim Kaninchen so klein, dass es kaum in betracht kommt.
Tiere mit bloß ungekreuztem Bündel in einem Auge, benehmen sich,
als wenn sie auf demselben blind wären. Die Vorteile dieses Ver-
hältnisses liegen auf der Hand. An die Atrophie des Tractus schließt
sich die Airophie der Zentren, des Corpus geniculatum externum,
welches nur experimentell nachweisbar in Form eines schräg liegen-
den Meniseus sich außen an den vordersten lateraldorsalen Vorsprung
des Thalamus (wahrscheinlich Homologon des menschlichen Pulvinar)
anschließt), und die oberste Schieht der grauen Kappe des vordern
Hügels vom Corpus quadrigeminum, welches das eigentliche Sehzentrum
ist. Das Gall’sche Bündel (Tract. pedune. transversus) lasse ich
hier außer betracht. Dasselbe atrophiert zwar bei Atrophie des Nervus
opticus, sein vom Nerv. opt. abhängiges Zentrum, welches, wie ich
jetzt mit Bestimmtheit behaupten kann, nicht das eigentliche Seh-
zentrum im vordern Hügel ist, ist immer noch sowohl seinem Sitze
als seiner Funktion ?2) nach unbekannt. Hier von Wichtigkeit ist nur
das eigentliche Sehzentrum. Man wird annehmen dürfen, dass das-
selbe durch Fasern in Verbindung mit der Großhinrinde steht, man
4) Dasselbe verliert nach Durchschneidung eines Nervus opticus (oder
Zerstörung der Retina) die bei weitem größte Mehrzahl seiner Nervenzellen,
wie evident aus Hämatoxylinpräparaten hervorgeht, nach Durchschneidung
eines Tractus optieus aber alle; es bleibt dagegen schön erhalten, während nun
das angrenzende große Ganglion mit seiner Faserung zu grunde geht, wenn
man, selbstverständlich ohne Verletzung des Tractus opticus, eine ganze Groß-
hirnhemisphäre entfernt hat. Inbezug auf die Scheidung von Pupillarfasern
und eigentlichen Sehfasern im Sehnerven verweise ich auf meine Vorträge
(Tagblatt der Eisenacher Naturforscherversammlung, 8. 307—310 und der Straß-
burger, 8. 136—137). Das Corpus geniculatum externum ist Zentrum für die
Pupillarfasern.
2) Vergl. hiermit v. Gudden: Ueber den Traet. pedune. trans, Archiv
für Psychiatrie, XI, p. 419.
Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 295
wird dann auch annehmen müssen, dass diese zu grunde gehen, wenn
das genannte Sehzentrum (primäres Zentrum) zu grunde geht !). Unter-
sucht man aber die Großhirnhemisphären, so findet man zwar bei ge-
nauer Betrachtung in situ, d. h. nach Entfernung der Schädeldecke
auf der Seite der Enukleierung eine gewisse Verschiebung der Ge-
hirnmasse infolge des Zusammenrückens der Orbita, man findet auch
in der Gegend der supponierten Sehsphäre des großen Gehirns (also
auf der entgegengesetzten Seite) eine kleine Abweichung in der Form;
aber diese ist, wie ich das schon im Archiv für Psychiatrie, II, S. 714,
Anmerkung, angegeben habe, ebenfalls ein Verschiebungseffekt, her-
vorgerufen durch die Atrophie des vordern Hügels. Die sorgfältigste
von Herrn Dr. Niss]l vorgenommene mikroskopische Untersuchung
dieser Gegend inbezug auf die Zellen mit der von ihm geübten Anilin-
färbung nach Alkoholhärtung und inbezug auf die Fasern mit der für
diesen Zweck ebenso vorzüglichen W eigert’schen Hämatoxylinfärbung
nach Erhärtung in Müller’scher Lösung hat auch nicht den gering-
sten Unterschied von Bedeutung im Verhalten der beiden Seiten nach-
weisen lassen und das Einzige, was bemerkt werden konnte, war,
dass der über dem atrophischen Hügel liegende Teil der Großhirn-
rinde, weil er durch die Atrophie mehr Raum zur Entwicklung vor-
fand, sich, um mich kurz auszudrücken, etwas geräumiger entwickelt
hatte. Das ist eine Thatsache, deren Gewicht nicht zu verkennen ist.
Enukleiert man beim neugebornen Kaninchen beide Augen, wo-
durch auch die ungekreuzten Bündelchen der Sehnerven in Wegfall
kommen, so ist der Befund zwar noch etwas reiner, aber im wesent-
lichen derselbe auf beiden Seiten.
Es ist mir gelungen, beim neugebornen Kaninchen auch den Nervus
acustieus mit Einschluss zwar des Faeialis, aber ohne weitere Neben-
verletzung von Bedeutung an seinem Austritte aus der Medulla ob-
longata abzutrennen. Die Operation ist eine ungemein delikate (wegen
der Nähe der Medulla) und trotz zahlreicher Uebung derselben bin
ich nur im Besitze eines einzigen nach Wunsch ausgefallenen Prä-
parates. Bekanntlich besteht auch der Acusticus mindestens aus zwei
übrigens auf den ersten Blick wohl von einander zu unterscheidenden
Fasersystemen. Eigentliches Gehörzentrum wird das Tuberculum
acusticum sein. Ueber das gefundene zweite Zentrum werde ich
anderswo berichten, will aber schon hier die Beobachtung bestätigen,
wonach der großzellige, sogenannte Deiters’sche Kern zu dem Acusti-
cus in gar keiner direkten Beziehung steht. Das Präparat, und zwar
das ganze Gehirn, ist seit Jahren geschnitten, aber mit Karmin ge-
färbt. Ich gebe zu, dass diese Färbung keine so genaue Untersuchung
1) So viel auch schon bekannt ist von den Faserlagern im vordern Hügel,
so hat man doch noch nicht gelernt, diese letztern genau und bestimmt ab-
zugrenzen.
|
294 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirmrinde.
gestattet wie die Weigert’sche inbezug auf die Fasern und die
Nissl’sche inbezug auf die Zellen, aber wie oft und wie anhaltend
ich die Hirnrinde in demselben durchgemacht habe, auch bei ihr ist
es mir nieht gelungen, an irgend einer Stelle eine Atrophie aufzufinden.
Leichter ist der Angriff auf den Quintus. Für uns von Bedeutung
ist zunächst die sensible Portion, einschalten will ich übrigens,
dass die absteigende Wurzel ausschließlich zur motorischen sich be-
gibt. Nach Durchschneidung der aufsteigenden Wurzel atrophiert das
bezügliche Zentrum; ich glaube auch die Bahn aufgefunden zu haben,
die von diesem Zentrum zur Hirnrinde geht, sich mit der der andern
Seite kreuzt, sich noch eine Strecke weit durch die Haube verfolgen
lässt, dann aber sich ausfasernd dem Auge verloren geht. Der Quintus
des Kaninchens ist ein mächtiger Nerv, aber auch bei seiner Atrophie
war die Untersuchung der Hirnrinde resultatlos. Untersucht konnten
bis jetzt nur mit Karmin gefärbte Schnitte werden.
Die andern sensibeln Nerven — die Atrophien der meisten waren
Gegenstand der Untersuchung — übergehe ich, um mich dafür etwas
länger beim Nervus olfactorius aufzuhalten, der für die vorliegende
Frage in mehrfacher Beziehung der wichtigste Nerv von allen ist.
Ich werde an einem andern Orte nachweisen, nicht bloß behaupten,
dass das Zentrum des Olfactorius die Glomerulischicht ist und alle
andern Teile des Bulbus olfactorius Bestandteile der Großhirnhemi-
sphären sind. Der Tractus olfactorius ist im Sinne Meynert’s Pro-
jektionsbündel, der sogenannte Olfaetoriusanteil der vordern Kommissur
ausschließlich Kommissur der Lobi olfaetorii. Die große Bedeutung
des Nerv. olfact. für unsere Frage ist die, dass die Verbindung seines
Zentrums mit der Hirnrinde im Traetus olfaetorius klar vor Augen
liegt. Es genügt beim neugebornen Kaninchen ein Nasenloch zu ex-
zidieren und die Wundränder durch einige Suturen zur Verwachsung
zu bringen, um eine allerdings sehr mäßige Atrophie der Glomeruli-
schieht und des Traetus zuwege zu bringen. Man kann zwar, doch
muss man hierzu etwas ältere (5—6 Wochen alte) Tiere nehmen, nach
Entfernung eines Nasenbeines mit einem scharfen Löffel (selbstver-
ständlich in der Narkose) den Geruchsnerv zugleich mit der Schleim-
haut abkratzen; aber die Operation ist eine widerwärtige und rohe,
und vorzuziehen ist es, den Bulbus olfactorius, der beim neugebornen
Tierchen durch das Schädelehen durchscheint, nach Aufklappen dieses
mit dem Löffel ganz herauszunehmen, oder, was noch leichter und
besser ist (besser, weil dadurch den Verschiebungen vorgebeugt wird),
ihn intrakraniell mit einem feinen Messerchen abzutrennen. Es
wird zwar in dieser Weise die Spitze des Lobus olfactorius mit fort-
genommen, aber die Reinheit des Experimentes verhältnismäßig nur
sehr wenig getrübt. Untersucht man nach der intrakraniellen Ab-
trennung das erwachsene Tier, so findet man eine lineare Narbe von
Bindegewebe zartester Art — Wiedervereinigung der nervösen Ele-
Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 295
mente kommt nicht vor, was für das ganze Gehirn nach Trennung
seiner einzelnen Teile gilt — der Traetus ist verschwunden und der
Lobus olfactorius, makroskopisch verglichen mit dem der andern
Seite, scheint nicht im mindesten gelitten zu haben. Die mikrosko-
pische Untersuchung ergibt für die Rinde des Lobus folgendes: drei
mit Karmin gefärbte Schnittreihen lagen vor. Bei der einen scheinen
allerdings die Zellen der Rinde etwas weniger zahlreich und auch
ein klein wenig kleiner zu sein, da aber dieses bei den andern nicht
der Fall ist, wenigstens nicht in erkenntlicher Weise, so ist mir der
Gedanke aufgestiegen, ob nicht in dem ersten Falle doch vielleicht
eine, wenn auch sonst seltene, Meningitis eine Rolle gespielt hat.
Wenigstens möglich wäre es. Früher war ich der Ansicht, die Inner-
vation des seines Nerven beraubten Lobus würde durch die vordere
Kommissur vermittelt !), wie könnte sich sonst, dachte ich, der Lobus
so intakt verhalten, nachdem doch aus der vergleichenden Anatomie
feststeht, dass die Entwicklung des Lobus proportional der Mächtig-
keit der Nerven gefunden wird; aber diese Ansicht musste fallen ge-
lassen werden, nachdem es mir gelungen war, beide Bulbi olfactoriüi
beim ganz jungen Tierchen abzutrennen. Man braucht mit der Ope-
ration nur zu waıten, bis die Tierchen 7—8 Tage alt sind. Bis dahin
hat sich der Nervus trigeminus so weit entwickelt, dass der Olfac-
torius zum Sauggeschäfte nicht mehr absolut nötig ist, und die Ka-
ninchen, die früher operiert, verhungert wären, überwinden den Ein-
griff, der als Verletzung an und für sich ganz ungefährlich ist.
Thatsache ist, dass nach Abtrennung beider Bulbi bei gänzlicher
Atrophie der Traetus beide Lobi sich anscheinend ganz normal ent-
wickeln und auch bei der mikroskopischen Untersuchung keine Atrophie
der Zellen ihrer Rinde auffinden lassen. In der Proportionalität der
Größenentwicklung des Nervus, Bulbus und Lobus olfactorius einer-
seits und anderseits in der Erhaltung und normalen oder doch we-
nigstens nahezu normalen Entwicklung des Lobus auch nach Ab-
trennung des Bulbus und Atrophie des Tractus liegt meine ganze
Anschauungsweise der Lokalisation der Hirnfunktionen eingeschlossen.
Was von den Empfindungsnerven gilt, gilt auch von den motori-
schen Nerven. Man kann beim neugebornen Tiere die Augenbewegungs-
nerven, bei einem andern den Facialis oder den Hypoglossus, man
kann mit dem Plexus brachialis, dem Ischiadieus fast alle bezw. die
meisten motorischen Nerven des Vorder- oder Hinterbeines fortnehmen,
niemals findet sich beim erwachsenen Tiere in der Hinrinde ein um-
schriebener Defekt. Nimmt man aber neugebornen Kaninchen beide
Augen fort, exstirpiert die Ohrgänge und schließt bie Haut darüber,
so dass auch von dieser Seite her die Anregung wenigstens in hohem
Grade erschwert ist, sperrt die Tiere, wenn sie nicht mehr saugen,
1) Archiv f. Psychiatrie, II, S. 707.
296 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde.
in einen kleinen Käfig, jedes für sich, und lässt sie in Kaspar Hauser’-
scher Weise groß werden, so findet sich zwar bei der Sektion das
Geruchsorgan stärker entwickelt (vorzugsweise deutlich das primäre
Olfactoriuszentrum am Bulbus), das übrige große Gehirn scheint aber
in seiner Gesamtheit in der Ausbildung zurückgeblieben zu sein,
was sich dann auch durch die stärkere Entwicklung der ganzen
Knochendecke kundzugeben pflegt !). Auch bei neugebornen Hunden
und Katzen wurden Augen fortgenommen, eins oder beide, aber diese
Tiere sind wenigstens für die einseitige Fortnahme wegen der Mäch-
tigkeit ihrer ungekreuzten Optieusbündel zu Opticusexperimenten in
der Richtung der Erforschung der Großhirnrinde viel weniger brauch-
bar als die Kaninchen; außerdem kann ich auch für sie nur wieder-
holen, was ich schon früher?) angegeben habe, dass sich bei ihnen
ebenfalls kein Unterschied in den Hirnwindungen, und zwar, was ich
jetzt, nachdem ich eine viel größere Erfahrung besitze, einschränkend
hinzufüge, der hintern Regionen entdecken lässt, dass aber die Ver-
schmälerung der vordern Partien des Gehirns in frontaler und die
Verkürzung in sagittaler Richtung zugleich mit Vergrößerung ihres
Höhendurchmessers, je nachdem auf einer oder beiden Seiten, wie
sie mehr oder weniger deutlich wohl in allen Fällen nachzuweisen
sein wird, lediglich wieder ein Verschiebungsresultat und zwar infolge
des Zusammenrückens der Orbita ist.
Ich gehe zu den zentralen Experimenten am neugebornen Tiere
über und zwar zunächst wieder zu denen am Kaninchen.
Nach Aufklappung der einen Seite des Schädeldaches um die
Sagittal- und Stirnnaht wird eine ganze Hemisphäre mit Einschluss
des Gorpus striatum entfernt, wobei man sich vor der nahe liegenden
Verletzung des Traetus optieus zu hüten hat. Die so operierten
Tierchen entwickeln sich ganz normal in der äußern Erscheinung,
sehen, hören, fühlen und bewegen sich, wie nichtoperierte, und nicht
der geringste Unterschied zeigt sich zwischen den beiden Seiten.
Ueber das Sehen und Hören gibt die Ohrenstellung zuverlässigen Auf-
schluss; die Prüfung des Gefühls wie die Beurteilung der Bewegung
machen ebenso wenig Schwierigkeiten. Etwas mißlicher steht es mit
der anatomischen Untersuchung. Unaufgeklärt bleibt die anatomische
Grundlage für die Beherrschung des ganzen Hirnstammes nur von
einer Hemisphäre aus, und ebenso wenig wie nach Fortnahme eines
Sehnerven bin ich nach Fortnahme einer Großhirnhemisphäre im
stande gewesen, die Verbindungsfasern zwischen Sehzentrum im vor-
dern Hügel und der Hirnrinde klar zu stellen. Man sieht zwar, und
4) Vergl. meine Experimentaluntersuchungen u. s. w. im Archiv für Psy-
chiatrie, II, S. 710, und meine Arbeit über das Schädelwachstum, München 1874,
Sala, 32,
2) Archiv für Psychiatrie, II, S. 715.
Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 297
das vorzugsweise in dem obern Faserlager des vordern Hügels, eine
Verminderung der Zahl der Nervenfaserquerschnitte, aber dieser Aus-
fall von Fasern hat keine Beziehung zum Sehzentrum, denn mit ihm
geht ein ganz anderes Zentrum im obern Hügel, die zweite graue
Schicht der grauen Kappe zugrunde Ich komme auf diese Ver-
hältnisse anderswo ausführlich zurück, für die vorliegende Frage ist
aber ein anderer Befund von fundamentaler Bedeutung und dieser
ist: dass das Sehzentrum selbst (die oberste graue Schicht) nicht die
geringste Veränderung erkennen lässt!), und dass Tractus und Nervi
optiei auf beiden Seiten gleich sind.
Hier ist der Ort, eine Kontroverse zur Sprache zu bringen, die
sich zwischen meinem Freunde und frühern Mitarbeiter Herrn Dr.
Ganser und mir entsponnen hat. — In v. Gräfe’s Archiv für Oph-
thalmologie, XXI, S. 201—203 hatte ich das Gehirn eines Hundes
beschrieben, dem ich wenige Tage nach der Geburt einen großen
Teil des linksseitigen Scheitel- und Hinterhauptshirnes abgetragen
hatte. Bei der Sektion des erwachsenen Tieres fand sich eine nicht
unbeträchtliche Atrophie des gleichseitigen Tractus optieus vor, wozu
ich bemerkte, dass sie wohl zweifellos eine Druckatrophie (infolge
eines Exsudatdruckes auf die primären Zentren) sei und nicht in
direkten Zusammenhang mit der Abtragung der Großhirnwindungen
gebracht werden dürfe. Ganser erkennt zwar die Richtigkeit meiner
Angaben beim Kaninchen an und fährt dann fort?): „Ueberdies hat
v. Gudden erst kürzlich diese Frage einer gründlichen Revision
unterzogen. Die Nervi optiei einer kleinen 3?) Reihe von 6 Kaninchen,
welche alle ganz jung operiert, einer Hemisphäre beraubt waren,
wurden möglichst exakt quergeschnitten, mittels der Camera obscura
bei 23facher Vergrößerung gezeichnet und je zwei zusammengehörige
mit einander verglichen. Wir haben uns dabei überzeugt, dass diese
ganze Prozedur von Fehlerquellen keineswegs frei ist; die letztern
haben wir möglichst zu vermeiden gesucht und gefunden, dass beim
Kaninchen eine nachweisbare Atrophie des Nervus optieus infolge von
Hemisphärenexstirpation nicht eintritt. Das Kaninchen bietet für die
Untersuchung am Nerv insofern ein besonders günstiges Objekt, als
das ungekreuzte Bündel außerordentlich schwach ist“. So weit Ganser,
ich bemerke inbezug auf die hervorgehobenen Fehlerquellen, dass sie
vorzugsweise in der Krümmung des der operierten Seite angehörenden
Nerven liegen und dadurch am zuverlässigsten vermieden werden,
dass man beim Einbetten hierauf Rücksicht nimmt und dann noch
aus den möglichst quergeschnittenen Scheibehen die kleinsten heraus-
1) Obgleich die Verbindungsfasern zur Großhirnhemisphäre fehlen müssen,
welcher Defekt aber im Fasernfilz des Hämatoxylinpräparates nicht zutage tritt.
2) Archiv für Psychiatrie, XII, S. 373.
3) Für den Zweck aber doch wohl groß genug.
298 Jordan, Honigbehälter und Befruchtungswerkzeuge in den Blumen.
sucht. Nun ist aber Ganser der Meinung, dass, wenn überhaupt
eine reine Atrophie des Nervus opticus (oder sagen wir lieber des
Traetus optieus) nach Eingriffen in eine Gehirnhemisphäre eintrete
(und er ist zu dieser Annahme geneigt), diese nur an hochstehenden
Tieren nachgewiesen werden könne. In der That hat Ganser an
den von ihm operierten 2 Katzen im wesentlichen denselben Befund
konstatiert (l. ce. 372), wie ich an meinem Hunde. Ich kann noch
hinzufügen, dass auch mein Freund und Kollege, Herr Direktor
Bumm, die Freundlichkeit hatte, mir 4 von ihm in derselben Weise
behandelte Katzengehirne vorzulegen, die alle einen mehr oder we-
niger atrophierten Tractus zeigen, und dass auch er zu der Ansicht
sich hinneigt, diese Atrophie sei eine direkte Folge des Angriffes
auf die Hemisphäre. Mir ist bei den angeführten 6 Katzengehirnen
zunächst aufgefallen, dass der Grad der Atrophie in keinem bestimm-
ten Verhältnisse zum Ort und zu dem Umfange der Verletzung stand,
was doch hätte der Fall sein müssen, wenn die sogenannte Sehsphäre
sich auf die von Munk umschriebene Region beschränkte; aber wenn
mir noch so viele derartige Präparate vorgelegt worden wären, sie
hätten mich nicht irr gemacht, und ich wiederhole, was ich von An-
fang an entgegnet habe und was auch Ganser (l. ce. S. 375) als
richtig anerkennt, dass ein einziger Fall mit negativem Befunde
(also mit einem nicht atrophischen Traktus) die Frage in meinem
Sinne auch für die höhern Säuger entscheidet.
(Schluss folgt.)
Karl Friedrich Jordan, Die Stellung der Honigbehälter
und der Befruchtungswerkzeuge in den Blumen.
Flora, LXIX, 1886, S. 145—225, 243—252, 259—274.
Verf. hat, da dies bisher zusammenfassend noch nicht von anderer
Seite gethan worden ist, für eine große Anzahl einheimischer Pflanzen
das Vorkommen, die verschiedene Ausbildung und die Stellung der
Honigbehälter und ihre Beziehung zu der Deheszenzrichtung näher
untersucht und ist dabei zu dem Hauptresultat gelangt, dass sich die
entsprechenden Verhältnisse einzig und allein bei Berücksichtigung
der die Bestäubung bewerkstelligenden Tiere unter einen einheitlichen
Gesichtspunkt bringen und erklären lassen.
Die wichtigsten Ergebnisse seiner Untersuchungen, die leider hie
und da zu geringe Literaturkenntnis verraten, fasst der Verfasser in
folgender Weise zusammen.
„1) In terminal oder annähernd terminal stehenden Blumen, d. h.
solchen, zu denen den Insekten der Zutritt von allen Seiten in gleichem
Maße offensteht, dient die Mitte oder der ganze Rand gleichmäßig
als Anflugstelle für die Insekten; daher sind diese Blumen meist völlig
regelmäßig oder doch nicht einseitig zygomorph.
Ludwig, Keimfähigkeit der Samen einiger Wasserpflanzen. 299
In Blumen, welche seitlich (an einer Hauptaxe) stehen, bei denen
also den Insekten auf einer Seite ein leichterer Zutritt geboten wird,
dient meist die von der Axe weggewendete, bisweilen — bei wag-
recht stehenden Blumen (Serofularia) — die ihr zugewendete Seite
des Blumenrandes als Anfliegestelle, und diese Blumen zeigen eine
sich auf einen, mehrere oder alle Blütenkreise erstreckende Zygo-
morphie, welche durch Züchtung seitens der Insekten entstanden ist.
Die Zygomorphie erstreckt sich besonders auch auf die Nektarien.
2) Die Honigbehälter sind auf derjenigen Seite der Blume ent-
weder nur vorhanden, oder doch stärker entwickelt, auf welcher sich
die Anfliegestelle für die Insekten befindet (Ausnahmen Digitalis,
Calluna, Lilium spec., Papilionaceen).
3) Die Antheren wenden die Oeffnungsseite der Auflugseite der
Insekten zu, daher im ganzen auch den Nektarien.
4) Wenn in regelmäßigen Blumen die Staubgefäße ohne Biegungen
verlaufen und ebenso wenig Drehungen oder Kippungen erfahren, so
finden sich bei introrsen Staubgefäßen die Honigbehälter innerhalb,
bei extrorsen außerhalb ihres Kreises vor; bei teilweise introrser, teil-
weise extrorser Beschaffenheit der Staubgefäße befinden sich die Honig-
behälter zwischen dem Kreise der introrsen und dem der extrorsen
Staubgefäße, Staubgefäße mit seitlich sitzenden Beuteln verhalten sich
wie introrse, wenn die Honigbehälter sich innen befinden und der
Insektenbesuch von außen erfolgt, wie extrorse im umgekehrten Fall.
5) Wie die zygomorphen Blumen aus regelmäßigen durch Züch-
tung seitens der Insekten hervorgegangen sind, so sind bei vielen
Blumen die Streekungen und sonstigen Bewegungen der Staubgefäße
und Griffel als für die Bestäubung zweckmäßige Einrichtungen ent-
standen. Die Stellung der Befruchtungswerkzeuge vor der Verstäu-
bungszeit lässt bei solchen Blumen frühere Stufen gleichfalls zweck-
mäßiger Ausbildung erkennen.
6) Die Insekten bestäuben sich meist nicht beim Anfliegen, son-
dern bei dem Aufenthalt in der Blume und beim Zurückfliegen aus
derselben. Eine Ausnahme machen zuweilen größere, wagrecht aus-
gebreitete Blumengesellschaften (Umbelliferen). Die Narbe wird meist
beim Anfliegen befruchtet.
7) Mehr Staubgefäße als Karpelle und Narben finden sich deshalb,
weil zur Befruchtung dieser nur ein Korn des Blütenstaubes erforder-
lich ist (?!), aber vom Insekt eine hinreichende Merge Staub fest-
gehalten werden muss“. F. Ludwig (Greiz).
Ueber durch Austrocknen bedingte Keimfähigkeit der Samen
einiger Wasserpflanzen.
Von Prof. Dr. F. Ludwig.
Bei einer Reihe brasilianischer — wohl auch andern Ländern
angehöriger Wasserpflanzen schienen die Samen einer frühern Mit-
300 Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands.
teilung von Fritz Müller zufolge nicht zu keimen, wenn sie
nicht zuvor austrocknen, so bei Eichhornia und Heteranthera. Dies
ist, wie ich neuerdings zusammen mit genanntem Biologen konstatiert
habe, auch der Fall bei einer niedlichen kleinen Wasserpflanze, der
Mayaca fluviatilis. Am 7. Februar dieses Jahres sandte Fritz
Müller frisch geerntete Samen dieser Pflanze an mich ab und säte
gleichzeitig von dem gleichen Samen ins Wasser. Am 23. März kam
die Sendung bei mir an, nachdem also die Samen etwa 6 Wochen
lang in ausgetrocknetem Zustande unterwegs gewesen waren. Am
24. März und in den folgenden Tagen bereits keimten die Samen der
Mehrzahl nach, während sie bei den nicht ausgetrockneten Exem-
plaren von Fritz Müller nach einer Mitteilung vom 8. Mai, also
nach einem Vierteljahr, noch keine Anstalt dazu machten. — Eine
ähnliche durch Austrocknen bedingte Keimfähigkeit erwähnt
übrigens bereits Alexander Braun bei der Alge Chlamydococcus
plwvialis (Alex. Braun, Betrachtungen über die Erscheinung der
Verjüngung in der Natur. Leipzig 1851, S. 225). Bei ihren Sporen
ist eine wenigstens eintägige Eintroeknung vonnöten, wenn ein
neuer Generationscyklus beginnen, die Zelle „ihre Verjüngungs-
fähigkeit zurückerhalten soll.“ — Bei Pistia scheint es — nach Fritz
Müller — wenigstens nötig zu sein, dass die Samen an die Wasser-
oberfläche, also mit der Luft in Berührung kommen, wenn sie keimen
sollen (sie reifen und bleiben oft zwischen den ältern Blättern und
Wurzeln, wo sie nie keimen).
M. Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands. Ein
Beitrag zur Anatomie, Systematik und geographischen Ver-
breitung dieser Tiere.
Mit 4 Tafeln. Verlag der Dorpater Naturforscher-Gesellschaft. Dorpat 1885.
Besprochen von Dr. Otto Zacharias in Hirschberg i/Schl.
Die in dieser Abhandlung publizierten Forschungsergebnisse liefern
uns den Beweis, dass mit Gründlichkeit und Umsicht ausgeführte Ex-
kursionen, auch wenn sie sich nur auf ein kleines Gebiet erstrecken,
dennoch ertragsreich sein können. Prof. Braun hat in den jüngst-
verflossenen Jahren faunistische Ausflüge in die nächste Umgebung
von Dorpat gemacht und ist so glücklich gewesen, die bisher für
Europa bekannte Artenzahl von Süßwasser-Rhabdocöliden um 20 neue
Species zu vermehren. Dieselben verteilen sich auf die verschiedenen
Gattungen wie folgt:
Macrostoma .
Stenostoma
Prorhynchus
Mesostoma
Sp r
- Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands, 301
Bothromesostoma . . .». . 53
(Dostnadanaln Kine AND
Boten
Derostoma: Ama] Aa
Summa: 20
Die bisherige Artenzahl derselben Würmergruppe betrug für
Livland 24. Es sind somit gegenwärtig 44 Species aus dieser Gegend
des russischen Reichs bekannt, was so viel heißt, als dass von den
überhaupt konstatierten 80 europäischen Arten hier mehr als die
Hälfte vorkommt. Uebrigens kennen wir aus Russland nur noch
die Umgebung von Moskau und Petersburg inbezug auf Turbellarien,
so dass die Hoffnung besteht, es könne die Artenzahl derselben im
Laufe der Zeit noch ganz erheblich sich steigern. Zunächst sieht man
sich aber durch die mangelhaften Kommunikationsmittel bei Vornahme
von größern Exkursionen mannigfach beschränkt, was im Hinblick
auf wissenschaftliche Forschungen von Prof. Braun mit Recht sehr
beklagt wird.
Was die Art des Einfangens der Süßwasser-Rhabdocöliden betrifft,
so verfährt Braun dabei genau so, wie ich es S. 267 und 268 meines
kleinen Lehrbuchs der Mikroskopie!) angegeben und auf meinen Ex-
kursionen im Riesengebirge selbst praktiziert habe: nämlich in der
Weise, dass er die betreffenden Tümpel oder Bäche durchfischt, Pflanzen
abstreift, vom Boden eine kleinere Quantität heraufholt und nun das
Ganze in flachen Schalen — mit Wasser von denselben Lokalitäten
übergossen — zur Ruhe stellt. Nach 3—4 Stunden bemerkt man dann
die Rhabdoeöliden entweder im Wasser schwebend, oder an der Grenz-
schicht von Wasser und Luft sich bewegend, bezw. am Boden und
im Detritus umherkriechend. Mit Hilfe eines Spatels bringt man sie
von hier aus in besondere Glasdosen oder Uhrschälehen, worin sie
sich, wenn dem Wasser einige Algen zugesetzt werden, lange auf-
heben lassen. Dergleichen lebendes Material muss man sich immer
behufs genauer Untersuchung des Geschlechtsapparats vorrätig halten;
es ist unmöglich, durch bloße Sehnittserien über dieses Organsystem
ins reine zu kommen. Ich werde dies im Nachstehenden an einem
Beispiele zeigen.
Ueber die von Prof. Braun angewandten Methoden der Konser-
vierung möge man das Nähere auf S. 8—10 der vorliegenden Ab-
handlung nachlesen. Wie in vielen andern Fällen, so wurde auch
hinsichtlich der Rhabdoeöliden Lang’s Flüssigkeit sehr probat ge-
fungen, während sich Chromsäure und Pikrinschwefelsäure wenig be-
währten.
4) Das Mikroskop und die wissenschaftl. Methoden der mikroskop. Unter-
suchung, IV. Auflage, Leipzig 1384.
302 Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands.
Ich komme nun auf einige der Braun ’schen Funde etwas spezieller
zu sprechen, und gedenke zunächst eines neuentdeckten Prorhynchus
(eurvistylus) aus der unmittelbaren Umgebung von Dorpat, wo unser
Autor schon im Jahre 1881 den nicht minder interessanten Pr. balti-
cus Kenn., aber leider nur in einem einzigen Exemplare, fischte.
Prorhynchus curvistylus ist ein Tierchen von etwa 3 mm Länge und
gelblicher Farbe. Das mit 2 Augenpunkten versehene Kopfende
ist vorn abgestutzt, die Mundöffnung liegt zentral und führt in einen
kegelförmigen Pharynx, der in seinem mittlern Teile durch auf-
fallend starke Ringmuskeln sich auszeichnet. Der Darm zeigt seichte,
aber sehr unregelmäßig angeordnete Ausbuchtungen; im Epithel des-
selben heben sich gewisse hochrot gefärbte Zellen vor den andern
hervor. Hierin ist ein Unterscheidungsmerkmal gegen Pr. stagnalis
gegeben, bei dem nichts Derartiges zu finden ist. Der unter dem
Pharynx befindliche Penishaken ist sehr klein und rechtwinklig ge-
bogen. Dies und noch manches Andere erinnert an De Man’s Geocentro-
phora sphyrocephala, welche v. Graff ebenfalls zu den Prorhynchiden
gestellt hat. Ein llammerartig verbreitertes Vorderende besitzt aber
die Braun’sche Form nicht. Einen Prorhynchus, welcher diesen
letztern Charakter trägt, habe ich selbst bei Gelegenheit meiner vor-
jährigen (zweiten) Exkursion im kleinen Koppenteich des Riesen-
gebirges zwischen Büscheln von Fontinalis sguamosa aufgefunden und
kürzlich eingehend beschrieben !). Zu Ehren Geheimrat Leuckart’s,
dem ich vielfache Förderung in meinen wissenschaftlichen Bestre-
bungen verdanke, nannte ich die neue Species Pr. Leuckarti. Die-
selbe scheint als eine verbindende Form zwischen dem Prorhynchus
curvistylus Braun und der Geocentrophora de Man’s betrachtet wer-
den zu können, denn sie bekundet eine deutliche Verwandtschaft nach
beiden Seiten hin. Eine Verstärkung der Ringmuskulatur ist bei
Pr. Leuckarti ebenso wie bei der neuen Species Braun’s im mittlern
Teile des Pharynx zu beobachten, wogegen sie bei Pr. sphyrocephalus
in den hintern zwei Drittteilen desselben Organs auftritt. Inbezug
auf die hammerförmige Verbreiterung des Kopfendes steht der Pro-
rhynchus des kleinen Koppenteichs (vgl. die von mir in der zitierten
Arbeit gegebene Abbildung) entschieden der @Geocentrophora nahe,
während er hinsichtlich des sehr einfach gebauten Penisstiletts wieder
an die Braun’sche Form erinnert. In der Art der Fortbewegung
hingegen ähnelt Pr. Leuckarti mehr der landbewohnenden Geocentro-
phora, insofern er nicht schwimmend, sondern an Wasserpflanzen
herumkriechend angetroffen wurde. Auch im Uhrschälchen sah ich
das Tierchen stets auf dem Boden sieh hin- und herbewegen, niemals
im Wasser schwebend und schwimmend. Nach alledem kennen wir
4) Ergebnisse einer zoologischen Exkursion in das Glatzer-, Iser- und
Riesengebirge. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 43. Bd., 1886, S. 263—266.
Braun, Die rhabdocölen Turbellarien Livlands. 303
also jetzt 5 distinkte Arten von Prorhynchus, die de Man’sche Land-
species mit eingerechnet.
Die von Braun neuentdeckten 7 Mesostomiden sind unter
folgenden Namen dem System eingereiht worden: M. chromobactrum,
M. platycephalum, M. rhynchotum, M. punctatum, M. nigrirostrum, M.
raugeense und M. lanceola. Auf eine nähere Charakteristik der Species
können wir an dieser Stelle nicht eingehen.
Die neu aufgefundenen Vertreter des n. g. Brothromesostoma erhiel-
ten folgende Namen: B. Essenii, B. marginatum und B. lineatunm.
Hierzu kommen noch von Costrada: C. acuta, ©. Hofmanni, ©.
chlorea, C. granea und ©. pellueida.
Von Vortieciden fand sich nur eine einzige neue Species, V. peni-
cillus; vom Genus Derostoma ebenfalls nur eine: D. balticum.
Ein besonders biologisches und tiergeographisches Interesse knüpft
sich noch an die von Prof. Braun eruierte Thatsache, dass Plagio-
stoma Lemani Dupl. (Graff), jene zur Tribus der Alloiocölen gehörige
Rhabdoeölide aus dem Genfer See, auch in den Gräben der Embaech-
niederung und in der Tiefe des Peipus-Sees zu finden ist. Ebenso
interessant ist es zu vernehmen, dass der von mir in den beiden
Koppenteichen (Sommer 1884) aufgefundene Süßwasser-Monotus (Mo-
notus reliectus mihi) von Braun auch im Peipus-See nachgewiesen,
und durch wechselseitigen Austausch von konserviertem Material aufs
genaueste identifiziert worden ist. Ueber die Richtigkeit der Species-
bestimmung kann somit kein Zweifel obwalten. Herrn Prof. Braun
gebührt das Verdienst, die in Rede stehende Form inbezug auf die
Lage der beiden Geschlechtsöffnungen eingehender untersucht und
gefunden zu haben, dass bei derselben der männliche Genitalporus
vor dem weiblichen liegt, und dass wir somit die fragliche Alloiocöle
in das v. Graff’sche Genus Automolos zu stellen haben. Dazu
stimmt auch die Form des Penis, wie ich sie in Fig. 5 auf Taf. XXVI
im 41. Bande der Zeitschr. f. wiss. Zoologie 1885 abgebildet habe,
denn nach Einsendung dieser Zeichnung an Prof. Olaf Jensen (da-
mals noch in Bergen) schrieb mir dieser erfahrne Turbellarienforscher
wörtlich: „Wenn ich nur den Penis in betracht ziehen wollte, so
müsste ich unbedingt diese neue Form für eine Automolos-Species er-
klären“. Ich kann somit auch nicht zugeben, dass Braun 8. 109
seiner Abhandlung recht hat, wenn er sagt: „Nach der Abbildung,
welche Z. von dem Penis gibt, musste ich die Art von der hiesigen
verschieden halten“. Prof. Braun hat allem Anschein nach das
männliche Kopulationsorgan lediglich mit Hilfe von Schnittserien unter-
sucht und dasselbe niemals am lebenden Objekt sieh zur Ansicht ge-
bracht. Infolge dessen ist ihm auch die flaschenförmige und mit
Stacheln besetzte Chitinbildung, mit welchen der Duetus ejaculatorius
an der Spitze des Peniszapfens ausmündet, entgangen. Dieselbe
präsentiert sich in seinen Querschnitten (vgl. Tafel I Fig. 15 D, E
304 Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation.
und F) nur als ein kleiner, mit Pünktchen umsäumter Kreis. Die
Pünktchen sind aber die parallel mit ihrer Längsaxe getroffenen feinen
Stacheln, welche den Halsteil des flaschenförmigen Penisrohrs in 5
bis 6 aufeinanderfolgenden Reihen umstehen. Am konservierten Ob-
jekt sind diese Verhältnisse freilich gar nicht zu erkennen, und es
empfiehlt sich daher, zum genauen Studium des Geschlechtsapparats
die an Schnittserien erhaltenen Befunde unbedingt noch am lebendigen
Objekt, bezw. an Quetschpräparaten zu studieren. Diese Kontrole ist
notwendig, wenn man nicht in Irrtum verfallen will. Was man am
ersten Exemplar nicht bemerkt, sieht man am zweiten, dritten oder
vierten; es kann aber auch vorkommen, dass 30—40 Objekte ihr Leben
lassen müssen, ehe eine genaue Zeichnung vom Geschlechtsapparat
zu stande gebracht werden kann.
Dagegen leisten gute Schnitte zur Klarstellung anderer Punkte
vortreffliches. So hielt ieh früher die lückenartigen Räume dicht
unter dem Hautmuskelschlauch auf dem Rücken und in der Seiten-
gegend der letzterwähnten Alloiocöle für Hohlräume im Parenchym.
An Braun’s besser gelungenen Querschnitten sehe ich aber, dass es
Hautdrüsen sind, die durch einen feinen Ausführungsgang sich
öffnen. Dies ist nur ein Beispiel für viele.
Die vorstehenden kleinen Ausstellungen wollen aber im Hinblick
auf Braun’s musterhafte Gesamtarbeit, durch welche unsere syste-
matische und anatomische Kenntnis der rhabdocölen Turbellarien
wesentlich gefördert wird, wenig besagen. Das Buch bildet gleichsam
einen Nachtrag zu der v. Graff’schen großen Monographie.
Ph. Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation.
Erste Mitteilung: Atmung bei Erregung des Halsvagus durch seinen eignen
Strom. Zweite Mitteilung: Atmung bei künstlicher Erregung des Hals-
vagus. Dritte Mitteilung: Ueber Apnoe. Vierte Mitteilung: Atmung bei
Erregung der Vaguszweige. Fünfte Mitteilung: Atmung bei Erregung
sensibler Nerven. Sechste Mitteilung: Zur Lehre vom Einfluss des zen-
tralen Nervensystemes auf die Atmung.
Sitzungsberichte der k. Akademie in Wien. III. Abteilung, Bd. 85, 86 [zwei
Mitteilungen], 88, 92 [zwei Mitteilungen] ').
Referent, der in den ersten der oben angeführten Abhandlungen,
über welche bereits Biedermann im zweiten Bande dieser Zeit-
schrift auf Seite 563 berichtete, den Nachweis erbracht hat, dass die
Erregung des Halsvagus durch seinen eignen Strom exspiratorische
Wirkungen bedingt, zeigt in der zweiten Abhandlung, dass die Inter-
4) Die Versuche wurden vorwaltend an Kaninchen durchgeführt. Wo
nichts Abweichendes bemerkt ist, sind die Angaben des Referates daher auf
dieses 'Tier zu beziehen.
Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation. 305
ferenz dieses Stromes mit dem künstlichen Strom eine der Ursachen
für den so viel diskutierten wechselnden Erfolg der Reizung dieses
Nerven mit schwachen Induktionsströmen ist. Am auffallendsten
war dies in der Regel in der Querschnittsgegend, wo die Differenz
in der Wirkung verschieden gerichteter Ströme zuweilen einer durch
Rollenverschiebung um 5—8 cm bedingten Stromdifferenz entsprach;
aber auch an 2—3 em vom Querschnitt entfernt liegenden Teilen
machte sich dieser Umstand noch geltend. Da bei vorsichtig ab-
gestufter Reizung der Nerven mit dem Induktionsstrome mit den
schwächsten Strömen (25—40 cm Rollenabstand) in der Mehrzahl der
Fälle exspiratorische Wirkungen, bei Verstärkung des Stromes aber
inspiratorische Wirkungen zu erzielen sind, so bietet die Interferenz
des Eigenstromes mit dem Induktionsstrome Anhaltspunkte für die Er-
klärung mancher scheinbar paradoxer Wirkungen der Induktions-
reizung des Halsvagus.
Die Reizung mit dem Induktionsstrom lässt oft noch eine deut-
liche Nachwirkung zurück, und aus der Erschlaffung vorher thätiger
respiratorischer Hilfsmuskeln während derselben, aus der Abschwächung
oder gänzlichen Vernichtung anderer Reflexe auf die Atmung und der
respiratorischen Wirkungslosigkeit der Hirnanämie während eines
durch jene Reizung erzeugten inspiratorischen Stillstandes wird eine
Herabsetzung der Erregbarkeit des Atemzentrums durch die Reizung
erschlossen.
Die während der Bewegung des Halsvagus häufig auftretenden
Schluckbewegungen führen in der Regel zu einer jähen Einatmungs-
bewegung, die sich auch beim Menschen bei Beginn des Schlingaktes
graphisch nachweisen lässt.
Den wechselnden, bald in- bald exspiratorischen Wirkungen der
Reizung des Halsvagus mit dem Induktionsstrome gegenüber, ergab
die in verschiedenster Weise durchgeführte mechanische Reizung des
Halsvagus primär stets inspiratorische, die Reizung desselben mit
Kettenströmen sowie mit verdünnten Lösungen von kohlensaurem
Natron, Aetznatron und salpetersaurem Kali stets exspiratorische
Wirkungen. Die Einwirkung indifferenter von + 1'/, bis 60° C. tem-
perierten Flüssigkeiten auf den Halsvagus, sowie das Gefrieren des-
selben hatten keinen Einfluss auf die Atmungsbewegungen.
Aus der Gesamtheit der Erscheinungen wird erschlossen, dass
die verschiedene Wirkung verschiedenartiger Reizung des Halsvagus
durch die differente Stärke der Reize bedingt ist, und dass die schwäch-
sten Reize im allgemeinen exspiratorisch, die stärkern inspiratorisch
wirken, wobei zunächst die Frage unentschieden gelassen wird, ob
dies durch die Vereinigung verschiedener Fasergattungen im Hals-
vagus verursacht sei.
Der Umstand, dass die Reizung des Halsvagus zu einer Herab-
setzung der Erregvarkeit des Atmungszentrums führt und eine Nach-
y. 20
306 Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation.
wirkung zurücklässt, gab Anlass zu einer eingehendern Untersuchung
der bei Tieren mit intakten Halsvagis nach dem Aussetzen ausgiebiger
künstlicher Lüftung zu beobachtenden Apnoe, die Rosenthal be-
kanntlich mit einer Sauerstoffanhäufung im Blute erklärt hat.
Gad und Franz hatten bereits darauf aufmerksam gemacht,
dass zu Ende dieser Apnoe das arterielle Blut auffallend dunkel wird,
und Ref. hat nicht allein diese Beobachtung bestätigt, sondern auch
den Nachweis erbracht, dass vor dem Eintreten der spontanen Atmung
ausgesprochen dyspnoische Erscheinungen: Steigerung des Blutdruckes,
Seltnerwerden des Herzschlages und Darmbewegungen eintreten. Es
weist dies darauf hin, dass anhaltende künstliche Ventilation eine
Herabsetzung der Erregbarkeit des Atmungsapparates bedingt, und
die oft noch lange nach dem Aussetzen der künstlichen Atmung an-
haltende dunklere Färbung des Carotisblutes, sowie die zeitweilig zu
beobachtende anhaltende Ausprägung von Traube’schen Wellen
zeigen an, dass diese Wirkung der künstlichen Atmung keineswegs
flüchtiger Natur ist.
Diese Herabsetzung der Erregbarkeit des Atmungsapparates aber
kann so intensiv sein, dass Verschluss der Hirnarterien nach der
Methode von Kussmaul und Tenner, der, wie des Genauern dar-
gelegt wird, sonst sehr ausgeprägte inspiratorische und aktiv exspi-
ratorische Wirkungen nach sich zieht, während einer solchen Apnoe
wohl Krämpfe, aber keine Atembewegungen veranlasst. Während
einer solchen Apnoe kann man durch Reize, welche sonst eine Reihe
von beschleunigten Inspirationen auf reflektorischem Wege auslösen,
wohl eine einzelne träge Einatmungsbewegung hervorrufen, und zwar
um so sicherer, je näher der Wiederbeginn der spontanen Atmung
bevorsteht, nicht aber Gruppen von Atembewegungen, während, wie
in der fünften Abhandlung gezeigt wird, schmerzhafte Reize eine Serie
von (aktiv exspiratorischen) Schreiatmungen und Hustenreize eine Serie
von Hustenstößen zu bedingen vermögen.
Im Gegensatz zu Gad, der vorher schon eine Herabsetzung der
Erregbarkeit des Atemzentrums bei künstlicher Lüftung durch kumu-
lierte Erregung der Vagi infolge der forcierten Ausdehnungen der
Lunge angenommen hatte, konnte Ref. eine Unterbrechung der nach
dem Aussetzen der Ventilation aufgetretenen Apnoe durch Sektion
beider Halsvagi nicht konstatieren. Dagegen konnte er bei den
meisten Tieren (bei 20 unter 25) nach Durchschneidung der beiden
Halsvagi durch die künstliche Lüftung keine dieselbe überdauernde
volle Atemruhe mehr erzielen, sondern nur eine kurz dauernde starke
Abflachung der Atembewegungen, also eine Art relativer Apnoe!).
1) Ref. hat sich später davon überzeugt, dass auch bei solchen Tieren
eine absolute Apnoe erzielt werden kann, wenn man bei denselben durch
Morphium oder Chloral die Erregbarkeit des Atemzentrums herabgesetzt hat,
was einen Anhaltspunkt für die Erklärung der oben angegebenen Ausnahme-
fälle bietet.
Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation. 307
Wurde aber bei derartigen Tieren die künstliche Lüftung mit einer
im Takt der Blasungen erfolgenden rhythmischen Erregung der Hals-
vagi durch Kettenströme verknüpft, so kam es nach dem Aussetzen
der Lüftung zu länger dauernder absoluter Apnoe, ein Beweis dafür,
dass die Vaguserregung eine wesentliche Rolle bei dieser Art der
Apnoe spielt. Dass der Gasgehalt des Blutes dabei aber nicht ganz
bedeutungslos ist, wird daraus wahrscheinlich, dass sich durch diese
mit Einblasungen kombinierte rhythmische Vaguserregung keine Apnoe
erzielen lässt, wenn trotz künstlicher Lüftung das Blut dyspnoisch
bleibt. Auch die relative Apnoe bei vagotomierten Tieren dürfte wohl
auf die durch die künstliche Lüftung bedingte Veränderung des Gas-
gehaltes des Blutes zu beziehen sein.
Behufs Lösung der in der zweiten Mitteilung angeregten Frage,
ob im Halsvagus verschiedene Fasergattungen vereinigt sind, schritt
Ref. zu einer eingehenden Untersuchung der Wirkungen, welche die
Erregung der einzelnen Vaguszweige (ausschließlich des Ramus auri-
cularis) mittels jener Reize nach sich zieht, deren Applikation am Hals-
vagus die Atmung verschiedenartig beeinflusst, worüber er in der
vierten Mitteilung berichtet. Mit der Reizung der Nervenzweige selbst
wurde aber eine Erregung der Endausbreitungen derselben durch
solche Reize verbunden, welehe mit den natürlichen eine gewisse Aehn-
lichkeit besitzen, und durch die Verbindung dieser Reizmethode mit
der Durchschneidung und Erregung der einzelnen Nervenzweige selbst
dem Verbreitungsgebiet der letztern nachgeforscht. Auf diesem Wege
wurde ermittelt, dass die bei Reizung der Schleimhaut des Pharynx
und Gaumensegels eintretende Atmungshemmung auf Erregung von
Trigeminusfasern bezogen werden müsse, dass die sensible Inner-
vation des Larynx beim Kaninchen durch den Laryngeus superior und
inferior erfolgt, und die Verbreitung des Laryngeus superior keine
streng halbseitige ist, dass dagegen bei Hunden nicht bloß die Sensi-
bilität des Larynx, sondern auch jene der Trachea (durch die Galen’sche
Anastomose) vom Laryngeus superior vermittelt wird, wie vorher schon
Kandarazki angegeben hatte, während die Innervation des Hals-
teiles der Trachea beim Kaninchen nur durch den Larygeus inferior
erfolgt. Eine wesentliche Beziehung zwischen den sensibeln Herz-
nerven und den Atembewegungen, die Frangois-Franck behauptet
hatte, konnte nicht ermittelt werden; doch ließ sich ein schwacher
und inkonstanter Reflex vom Depressor auf die Atembewegungen nach-
weisen. Die der Selbststeuerung der Atmung dienenden Vagusfasern
wurden in den Rami tracheales inferiores et pulmonales ermittelt, und
im Bauchvagus von Hunden und Katzen atmungshemmende Fasern
aufgefunden, die beim Kaninchen fehlen. Da Reizung der Laryngei
und des Bauchvagus mit den verschiedenen am Halsvagus verwendeten
Reizen nur exspiratorische, und bloß jene des Brustvagus sowohl in-
als exspiratorische Wirkungen bedingte, mussten im Vagus zweierlei
20
308 Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation.
die Respiration beeinflussende Fasern angenommen werden, wobei es
aber wahrscheinlicher erscheint, dass die Differenz dieser Fasern nur
in einer differenten zentralen Verknüpfung derselben besteht. Die
Erregung der einen Fasergattung führt zur Hemmung der Atmung in
Exspirationsstellung und unter Umständen zu Schluckbewegungen
(besonders im Laryngeus superior), und zu Hustenstößen (nament-
lich im Laryngeus inferior). Die Erregung der andern Fasergattung
bedingt Kontraktion inspiratorischer Mnskeln. Nur diese Fasern können
mit gewöhnlichen sensibeln Nerven parallelisiert werden.
Letztere These wird nun gegenüber den abweichenden Annahmen
von Langendorff und Frangois-Franek in der fünften Mittei-
lung durch eine eingehende Darlegung der Wirkungen, welche die
Erregung sensibler Nerven auf die Atmung hat, begründet. Auch in
der dieser Mitteilung zu grunde liegenden Versuchsreihe wurde viel-
fach neben der Reizung der Nervenstämme und -Zweige selbst die
Erregung der Endausbreitungen derselben in Anwendung gezogen.
Die mechanische Reizung des Tastorgans ergab bei Kaninchen, ab-
gesehen von der Endausbreitung des Infraorbitalis, entweder Be-
schleunigung der Atmung bei tieferem Zwerchfellsstande, oder Seltner-
werden und selbst vollständigen Stillstand derselben bei Inspirations-
stellung, ausnahmsweise Schreien, das aus einem typisch ablaufenden
Gemisch von beschleunigten abgeflachten Atmungen bei Inspirations-
stellung und aktiven Exspirationen besteht. Auch bei Hunden scheint
der Reflex vom Tastorgan auf die Atmung im allgemeinen inspirato-
rischer Natur zu sein, doch ist hier die Beobachtung sehr getrübt
durch die bei diesen Tieren bei den mannigfaltigsten Erregungen auf-
tretenden Serien sehr frequenter Exspirationsstöße, welche den Ein-
druck eines psychischen Reflexes machen. Thermische Reizung des
Tastorganes erwies sich bei Ausschluss der Interferenz mechanischer
Reizung, wenn nicht Verbrennung ins Spiel kam, bei Kaninchen und
Hunden unwirksam. Auch die Applikation schwächerer Reize auf die
Stämme der sensibeln Nerven — geprüft wurden der Peronaeus,
Ischiadieus, Saphenus major, Cervicalis II, III und IV, Glossopharyn-
geus, Infraorbitalis, Phrenieus, Optieus, Ramus lingualis, Trigeminus
und Facialis — führte zu inspiratorischen Wirkungen. Eine Ausnahme
bildete nur der Splanehnieus, dessen von Graham nachgewiesene
Hemmungswirkung auf die Atmung schon bei Minimalreizen zutage
trat. Die von Anrep und Cybulski entdeckte Wirkung der Phreni-
eusreizung auf die Atmung war unsicher und geringfügig bei Kaninchen,
deutlicher, aber gleichfalls unbeständig, bei Hunden. Erregung der an-
gegebenen Nerven mit starken mechanischen oder elektrischen Reizen
führte meistens zum Schreien. Vom Phrenieus, Glossopharyngeus,
Optieus und Ramus lingualis Trigemini aus war diese Wirkung über-
haupt nicht, vom Infraorbitalis aus nur selten zu erzielen. Bei Rei-
zung des letztern Nerven mit starken induzierten Strömen trat dagegen
Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation. 309
wie am Splanchnieus vorwaltend exspiratorische Verlangsamung der
Atmung oder vollständiger Stillstand derselben in Exspirationsstel-
lung ein.
Ganz gleichsinnig erwies sich die Wirkung der angegebenen
Nervenreizungen bei Dyspnoe vor dem Ausbruch der Erstiekungs-
krämpfe, während einer durch Vagusreizung oder Reizung der Nasen-
schleimhaut herbeigeführten Verlangsamung der Atmung, und bei
narkotisierten und enthirnten Tieren.
Akustische Erregung, die bei nicht narkotisierten Tieren sehr
ausgeprägte inspiratorische Wirkungen herbeiführt, war bei narkoti-
sierten und enthirnten Tieren nur ausnahmsweise, Lichtreizung, die
bei Albino-Kaninchen eine schwache inspiratorische Wirkung bedingt,
unter diesen Umständen nie wirksam. Da bei Albino-Kaninchen außer-
dem nicht nur die Belichtung, sondern auch die Verdunklung des
Auges inspiratorisch wirkt, so wird der fragliche Reflex als Psycho-
Reflex gedeutet.
Es ergibt sich mithin, dass die gewöhnlichen sensibeln Nerven,
abgesehen vom Trigeminus und Splanchnieus, keine den Hemmungs-
fasern des Vagus entsprechenden exspiratorischen Fasern enthalten,
während zwischen den inspiratorischen Wirkungen des letztern und
der übrigen sensibeln Nerven kein wesentlicher Unterschied besteht.
Im Einklang hiermit steht es, dass weder die Aufblasung der Lungen
noch die kräftigste durch Phrenieusreizung bedingte Zwerchfellkon-
traktion nach Sektion beider Vagi noch eine Hemmung der Atmung
bedingt, durch welche Thatsache aber zugleich der Annahme Gra-
ham’s, dass der Splanchnieus ein „spezifisches regulatorisches Nerven-
system der Atmung“ ist, die Grundlage entzogen erscheint.
Während die vom Vagus und Trigeminus aus auszulösenden ex-
spiratorischen Reflexe den Charakter von Schutzvorrichtungen für die
Luftwege haben, schreibt Ref. den von den sensibeln Nerven ausge-
lösten inspiratorischen Reflexen die Bestimmung zu, einen, dem Blut-
reiz gegenüber allerdings untergeordneten Antrieb zu den Atembe-
wegungen zu liefern. Anhaltspunkte hierfür findet er in dem Seltner-
werden der Atemzüge bei dem natürlichen und durch Nareotica
herbeigeführten Schlafe, in der Möglichkeit, Atmungspausen bei narko-
tisierten Tieren mittels sensibler Erregung abzukürzen, und ferner in
einer oft bei nicht narkotisierten Kaninchen mit anderweiten Zeichen
sensibler Erregung auftretenden periodischen Beschleunigung der
Atmung, die er nach ihrer Analogie mit den sogenannten spontanen
Blutdruckschwankungen, mit denen sie in der Regel kombiniert er-
scheint, spontane Atemschwankung nennt. Mehrere Umstände machen
es ihm aber wahrscheinlich, dass die sensibeln Nerven nicht nur mit
dem Atemzentrum selbst, sondern auch mit den spinalen Zentren der
zu den Inspirationsmuskeln ziehenden motorischen Nerven verknüpft
sind, so dass ihre Reizung beiderlei Zentren erregt und aus der Inter-
310 Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation.
ferenz dieser Erregung sich die hierbei zu beobachtenden mannigfal-
tigen Kombinationen von Beschleunigung der Atmung und Tiefstand
des Zwerchfells und das jeweilige Ueberwiegen der einen oder andern
Wirkung ergibt. Zur Begründung dieser Ansicht verweist Referent
insbesondere darauf, dass nach Durchschneidung des Rückenmarkes
am ersten Halswirbel die Ischiadicus-Reizung eine einzelne Einatmungs-
bewegung auslöst, so lange, aber auch nur so lange dieselbe zugleich
zu andern Reflexbewegungen im Vorderkörper des Versuchtieres führt.
Die mit dem letztern Versuche gestreifte Kontroverse bezüglich
der Lage des Atemzentrums wird in der sechsten Mitteilung eingehen-
der verhandelt. Die Gründe, welche von vornherein gegen die, ins-
besondere von Langendorff auf das Entschiedenste vertretene An-
sicht sprechen, dass die Atembewegungen von spinalen automati-
schen Zentren aus erregt und von der Oblongata aus nur reguliert
würden, und dass der Stillstand der Atembewegungen bei Durch-
schneidung des Markes an der Spitze des Calamus seriptorius durch
eine Schädigung dieser Zentren bei gleichzeitiger Erregung von Hem-
mungsapparaten der Oblongata bedingt sei, wurden von Rosenthal
im ersten Bande dieser Zeitschrift (S. 88) dargelegt. Referent suchte
nun eine Entscheidung hinsichtlich dieser Frage durch einen Vergleich
der Folgen vollständiger mit jenen unvollständiger Abtrennung der
Oblongata von der Medulla spinalis zu erzielen. Das Ergebnis dieser
Versuche war, dass Schnitte an der Spitze des Calamus seriptorius
immer zunächst eine inspiratorische Erregung bedingen. Durchsetzen
diese Schnitte die ganze Dicke des Marks, so ist diese inspiratorische
Wirkung nur eine momentane, die Atembewegungen erlöschen da-
nach sofort dauernd. Ist die Durchtrennung des Markes eine unvoll-
ständige, so kommt es zu etwas längerer inspiratorischer Wirkung,
unter Umständen auch zum Schreien. Später werden die Atembe-
wegungen seltener, dauern aber selbst in solchen Fällen noch fort,
wo nur eine schmale Brücke (1!/,—2 mm breit) die Oblongata mit
der Medulla spinalis verbindet, erlöschen aber alsbald, wenn auch
diese Brücke noch durchtrennt wird. Diese Thatsachen lassen wohl
keinen Zweifel daran, dass die Atembewegungen von hirnwärts von
der Spitze des Calamus seriptorius gelegenen Teilen des zentralen
Nervensystems ausgelöst werden, und da Referent sich später davon
überzeugt hat, dass man bei Durchschneidungen der Oblongata die
Atembewegungen fortdauern sieht, so lange man sich bei der Schnitt-
führung der Spitze des Calamus seriptorius nicht bis auf beiläufig
5 mm genähert hat, so wird das Atemzentrum in dem hiermit abge-
gsrenzten Teile der Oblongata zu suchen sein.
Gegenüber der Behauptung von Christiani, dass in den Seh-
hügeln ein inspiratorisches und in den vordern Vierhügeln ein ex-
spiratorisches, sowie derjenigen von Martin und Booker, dass in den
hintern Vierhügeln ein inspiratorisches Atemzentrum liege, führt
Knoll, Beiträge zur Lehre von der Atmungsinnervation. Sl
Ref. an, dass weder die Ausschaltung dieser Hirnteile charakteristische
Störungen der Atmung oder den Ausfall bestimmter Reflexe auf dieselbe
bedingt, noch die Reizung derselben Wirkungen auf die Atmung aus-
übt, welche von benachbarten Hirnteilen aus nicht zu erzielen seien,
dass also Seh- und Vierhügel nicht als Sitz besonderer respiratori-
scher Zentren angesehen werden können. Elektrische und mechanische
(durch Scherenschnitte ausgeübte) Reizung der Seh- und Vierhügel
führt in der Regel zu sehr ausgeprägter Beschleunigung der Atmung,
wie eine solche auch nach Verletzungen des Groß- und Kleinhirns
und der Medulla spinalis zu beobachten ist. Bei Verwendung sehr
starker Ströme an dem untern Abschnitt der vordern Vierhügel er-
hält man, wie bei mechanischer oder schwächerer elektrischer Reizung
des Bodens des Aquaeductus Sylvii, ungemein frequente und flache
Atembewegungen, oder einen scheinbaren vollständigen Stillstand der-
selben in Mittelstellung bei allgemeinem Zitterkrampf, der besonders
an den Augen, dem Schwanz und den Flanken ausgesprochen ist.
Da also die Reizung jener Hirnteile, abgesehen von dem besondern
zuletzt angeführten Falle, keine andern Erscheinungen bedingt als
jene, die man auch bei schwächerer Erregung sensibler Nerven oder
bei der Auslösung von Psychoreflexen beobachtet, so bezieht Referent
diese Erscheinungen lediglich auf die Erregung psychischer oder sen-
sibler Leitungsbahnen und spricht die Vermutung aus, dass die ex-
spiratorischen Wirkungen, die Christiani von den vordern Vier-
hügeln aus erhielt, welche nach dem gegebenen Curvenbeispiel der
Atmungsstörung beim Schreien sehr ähneln, durch die Stärke des an-
gewendeten Reizes, beziehungsweise die Verbreitung des verwendeten
Induktionsstromes auf nahe gelegene sehr empfindliche Nerven be-
dingt gewesen sein dürften.
Zum Schluss fasst Referent die aus seinen Beobachtungen ge-
wonnene Ansicht über die Vorgänge bei der Atmungsinnervation
dahin zusammen, dass das in der Medulla oblongata liegende Atem-
zentrum, das auf den Blutreiz durch rhythmische Thätigkeit reagiert,
einerseits durch psychische Erregung und durch Erregung der meisten
sensibeln Nerven eine Steigerung seiner Thätigkeit, anderseits aber
durch Erregung bestimmter Nerven (gewisse Vagus- und Trigeminus-
fasern und Splanchnieus) auch eine Hemmung derselben erfahren kann.
Die von da ausgehenden Impulse pflanzen sich zu den Zentren der
Atemnerven im Rückenmarke fort, welche ihrerseits wieder wie die
der Ortsbewegung dienenden Reflexmechanismen sowohl von der Peri-
pherie aus durch sensible Reize, als vom Gehirn aus willkürlich er-
regt werden können!).
Ph. Knoll (Prag).
1) Vgl. hierzu die ähnlichen Ausführungen Rosenthal’s 1. ce. S. 2.
312 Kowalewsky, Brobachtungen über die Blutzirkulation in der Haut.
Beobachtungen über die Blutzirkulation in der Haut ').
Von Prof. N. Kowalewsky in Kasan.
Zur Klarstellung der Blutzirkulation unter verschiedenen physio-
logischen Bedingungen genügt es nicht, den Blutlauf im Aortensystem
durch Druck- und Geschwindigkeitsbestimmungen in einem größern
arteriellen Gefäße zu studieren. Die komplizierten Innervationsver-
hältnisse der Blutgefäße verlangen außerdem ein detailliertes Studium
der Blutzirkulation an verschiedenen Lokalitäten. Es genügt der
Hinweis auf die Fälle, wo ein umgekehrtes Verhältnis inbezug auf
Gefäßfüllung in einigen Hautregionen im Vergleich mit derjenigen der
innern Organe, namentlich der Unterleibsorgane, unter gleichen phy-
siologischen Bedingungen beobachtet wird. Bekanntlich haben solche
Fälle sogar Veranlassung gegeben zu einer. übertriebenen Verallge-
meinerung der Vorstellung von der Zirkulation in der Haut und zu
einer Entgegenstellung dieser zu derjenigen der innern Organe. Ich
glaube daher recht zu thun, wenn ich im Folgenden einige Beobach-
tungen mitteile, die sich auf die Blutfüllung der Hautgefäße beziehen
und unter solchen physiologischen Bedingungen angestellt sind, deren
Einfluss auf den arteriellen Druck durch kymographische Versuche
bereits festgestellt ist. Ich finde es um so notwendiger, als die in
Rede stehenden Beobachtungen die Unzulänglichkeit der oben er-
wähnten Verallgemeinerung beweisen.
Ich untersuchte an Katzen, und zwar stellte ich meine Beobach-
tungen an den Ohren, an der Nase und am Lidrande an, weil die
Vaskularisation dieser Teile dem unbewaffneten Auge zugänglich ist.
Da ich der Konstanz der Versuchsbedingungen halber zum Kurare
meine Zuflucht nehmen musste, so werden hier einige Thatsachen, die
die Wirkung des Kurare auf das Blutgefäßsystem betreffen, am
Platze sein.
1) Spritzt man in die Vena saphena 1—1,5 cem einer Kurare-
lösung, die durch Aufguss von 8 Gewichtsteilen des Giftes auf 1000
Teile Wasser erhalten worden, so tritt schon nach 0,5‘ eine präg-
nante Gefäßerweiterung in den genannten Teilen ein. — Bei weißen
Katzen bemerkt man gleichzeitig eine mehr oder weniger ausgespro-
chene Hyperämie der ganzen Haut. Nach eirca 2° schwindet dieser
Effekt, um nach wiederholter Einspritzung wiederzukehren. Diese
vorübergehende Gefäßerweiterung (welche wahrscheinlich auch an-
dere dem Auge nicht zugängliche Gefäßbezirke betrifft) erklärt den
Abfall des Blutdrucks in der Carotis, der bei den kymographischen
Versuchen nach jedesmaliger Einspritzung von Kurare eintritt 2). Da
1) Aus dem „Centralblatt f. d. mediz. Wissenschaften“.
2) Nicht veröffentlichte kymographische Versuche mit Curare, die ich ge-
meinschaftlich mit Dr. Astaschewsky und fast gleichzeitig mit Couty und
de Lacerda (Archives de phys., 1880) angestellt habe, zeigten uns, dass der
Blutdruck, nach 1—2 maliger Einspritzung, im Laufe von 1—2,5‘ auf 53—92 mm
hg (31—58 /,) fällt und darauf wieder fast bis zur Norm ansteigt.
j
Kowalewsky, Beobachtungen über die Blutzirkulation in der Haut. 313
die Hauthyperämie und die Druckabnahme selbst nach mehrern (in
Intervallen von 5-25 Minuten) wiederholten Einspritzungen bald vor-
übergehen und das vasomotorische Zentrum auf Reize (Karotiden-
schließung, Unterbrechung der künstlichen Atmung, Reflexe) durch
Blutdrucksteigerung in ungeschwächter Weise reagiert, folglich seine
Leistungsfähigkeit nicht eingebüßt hat, so habe ich keinen Grund
vorauszusetzen, dass ich es mit abnorm veränderten Zirkulationsver-
hältnissen zu thun hatte.
2) Durchschneidung eines Seitenstranges des Rückenmarks in der
Höhe des dritten Halswirbels ruft eine bleibende Gefäßerweiterung
hervor an dem Ohr, der Nasenhälfte und den Lidrändern der gleich-
namigen Seite; durchschneidet man aber an einer Seite den Seiten-
strang und an der andern Seite den Halssympathicus, so erhält man
ziemlich gleichmäßige Gefäßdilatation an beiden Seiten in denselben
Lokalitäten. Daraus folgt, dass die Vasomotoren des Hals-
sympathicus, oder die sie tonisierenden Rückenmarks-
fasern aus dem gemeinschaftlichen vasomotorischen
Zentrum der Medulla oblongata in dem entsprechenden
Seitenstrange des Rückenmarks herabsteigen.
3) Wenn man nach Durchschneidung des einen Seitenstranges in
der Höhe des dritten Halswirbels den zentralen Stumpf des einen
oder andern Ischiadieus im Laufe von 3‘ reizt, so beobachtet man
folgende Reflexerscheinungen:
a) zuerst tritt eine Kontraktion der Gefäße des Ohrs und des
Lidrandes an der intakten Seite ein und gleichzeitig an derselben
Seite eine Dilatation der Gefäße der Nase, die der an der entgegen-
gesetzten Nasenhälfte infolge der Seitenstrangdurchschneidung ein-
getretenen Hyperämie gleichkommt;
b) etwas später tritt eine verhältnismäßig schwache Verengung
der Ohrgefäße an der operierten Seite ein; darauf
ce) eine Gefäßerweiterung am Ohre an der operierten Seite; diese
Gefäßerweiterung ist viel stärker als diejenige, welche an der operierten
Seite infolge der Durchschneidung des Seitenstranges beobachtet wird;
gleichzeitig bemerkt man eine Verengerung der Nasengefäße an der
intakten Seite; endlich
d) kehren nach aufgehobener Reizung die Gefäße der intakten
Seite zur Norm zurück.
Diese Reihe von Erscheinungen bleibt unverändert, wenn man
nach der Durchschneidung des Seitenstranges noch eine Durchschnei-
dung des Halssympathicus an derselben Seite vornimmt.
Die reflektorische Gefäßkontraktion am Ohre und
am Augenlide der intakten Seite weist darauf hin, dass die
reflektorische Gefäßdilatation, die an einigen Körper-
stellen (z. B. in unserem Fall an der Nase) auftritt, keine
allgemeine Giltigkeit hat, wie es einige wollen.
314 Kollmann, Geschichte des Primitivstreifens bei den Meroblastiern.
Die später eintretende und schwächere reflektorische Gefäßkon-
traktion an der Seite, wo der Seitenstrang oder der Halssympathieus
durchschnitten sind, beweist, dass nicht alle gefäßverengernden
Fasern des Ohres in dem Seitenstrange und dem Hals-
sympathicus derselben Seite verlaufen.
Endlich beweist die reflektorische Dilatation der Ohrgefäße der
intakten Seite, die auf die anfängliche Gefäßkontraktion folgt und
stärker ist, als die paralytische Dilatation derselben Gefäße nach
Durchschneidung des Seitenstranges und des Halssympathiceus, dass
im Seitenstrange und im Halssympathieus mit den gefäß-
verengernden auch gefäßerweiternde Fasern verlaufen.
Möglicherweise ist der besagte Effekt an den Gefäßen der Nase
ebenso zu deuten.
4) Durchschneidet man beide Halssympathiei und reizt darauf
direkt den Halsteil des Rückenmarks, so kontrahieren sich die Ge-
fäße des Ohres, während die Gefäße der Nase sich erweitern. Diese
Dilatation möge passiv oder aktiv sein, jedenfalls beweist dieser
Versuch wiederum, dass die gefäßverengernden Fasern des Ohres
nicht ausschließlich im Seitenstrange und im Halssympathicus verlaufen.
5) Spritzt man eine gewöhnliche Dose Kurare in die Vena sa-
phena ein, nachdem man nur einen Seitenstrang in der Höhe des
dritten Halswirbels oder auch den gleichseitigen Halssympathieus
durchschnitten hat, so tritt die in Punkt 1 erwähnte Gefäßdilatation
nicht nur an der nicht operierten, sondern auch an der operierten
Seite ein. Diese Erscheinung, sowie der Druckabfall im Aorten-
system nach Kurareeinführung bei in der Höhe des ersten Wirbels
durchschnittenem Rückenmarke beweisen, dass die gefäßdilata-
torische Wirkung des Kurare nicht durch zentrale, son-
dern durch peripherische Apparate vermittelt wird.
6) Es ist erwähnenswert, dass ich bei meinen Experimenten
mehreremal auf Versuchstiere gestoßen bin, bei denen weder die
Durchschneidung des Seitenstranges, noch die des Halssympathieus
einen zentralen Gefäßtonus aufdecken konnten, während die Ein-
führung von Kurare ins Blut die gewöhnlichen Folgen hatte.
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg.
III. Sektion für Anatomie und Anthropologie, 1. Sitzung.
Vortrag von Herrn Prof. Kollmann (Basel) über die Geschichte
des Primitivstreifens bei den Meroblastiern. Aus den Un-
tersuchungen über die Entwicklung der Vertebraten, die aus einem
dotterreichen, meroblastischen Ei entstehen, hat sich ergeben, dass
die Keimhaut des Embryo von der Fläche gesehen drei Primitiv-
organe aufweist: 1) den Randwulst, 2) den Primitivstreifen, 3) die
Medullarfurche mit den Medullarwülsten.
Kollmann, Geschichte des Primitivstreifens bei den Meroblastiern. 3145
[0]
Diese Reihenfolge der Aufzählung entspricht auch der Zeitfolge
der Entstehung. Bei dem Vogel erscheint nach Ablauf der Furehung
der Randwulst = Area opaca: dann folgt in dem von ihm umgrenzten
Raum der Primitivstreifen, der sich später im der Mitte spaltet und so
die Primitivrinne mit zwei begrenzenden Primitivfalten entstehen lässt;
endlich folgt die Medullarrinne mit den Medullarwülsten und zwar,
was dabei wichtig ist, ohne äußern und innern Zusammenhang mit
dem Primitivstreifen, als gesonderte Anlage.
Dieselben Embryonalorgane finden sich freilich mit einigen Ab-
änderungen bei den Säugetieren, deren Ei sich aus einem dotterreichen
meroblastischen Ei!) zu der jetzigen Form reduziert hat. Der Primi-
tivstreifen ist groß, langgestreckt und nimmt die Mitte der Keimhaut
ein. Kein Streit herrscht darüber, was man an den Keimhäuten von
Hund, Kaninchen und Maulwurf als Primitivstreif, später als Primitiv-
rinne zu deuten hat. Die Angaben von Hensen, Kölliker, Lie-
berkühn, Rauber sind über diesen Punkt völlig übereinstimmend.
Dasselbe gilt von der Anlage der Medullarwülste. Sie beginnen in
beträchtlicher Entfernung von dem Kopffortsatz des Primitivstreifens,
dann folgt die Annäherung an die unterdessen vergrößerte Primitiv-
rinne und das Ineinandergreifen der Primitivfalten in die Medullar-
wülste. Diese beiden Embryonalorgane verhalten sich also bei den
beiden weit auseinander liegenden Vertretern der Vögel und Säuger
bis auf die einzelnen Details vollkommen gleich. Dem Randwulst
fehlt dagegen bei den Säugern allerdings die von den Vögeln her
bekannte Dicke, er dauert auch nur sehr kurze Zeit aus, er ist im
Anfange der Entwicklung reduziert, um jedoch in spätern Stadien
ebenso große Bedeutung zu erlangen wie der Randwulst des Vogels.
Aus der Uebereinstimmung in dem Bau und in der Entwicklung
der Vertebraten schließt man mit Recht, dass die hier erwähnten
Embryonalorgane sich bei allen Meroblastiern finden werden. Allein
so berechtigt diese Voraussetzung, so schwierig ist doch die Begrün-
dung, namentlich was den Primitivstreifen und die einzelnen Phasen
seines Wachstums betrifft. Die niedern Wirbeltiere verursachen in
dieser Hinsicht noch beträchtliche Schwierigkeiten. Um den Primitiv-
streifen und sein Gebiet festzustellen, stehen uns folgende Merkmale
zur Verfügung:
1) Der Primitivstreifen hängt mit dem Randwulst zusammen.
2) Die Primitivrinne ist im Anfang vorn geschlossen.
3) Wie der Primitivstreif mit dem Randwulst, so hängen auch die
später entwickelten Primitivfalten mit dem Randwulst zusammen.
4) Der Primitivstreifen wird zur Bildung des hintern Stammesge-
bietes verwendet.
1) Die Gründe für eine solche Beurteilung des Säugetiereies, trotz der
Aehnlichkeit mit dem Ei der Holoblastier, werden durch die neuesten Mit-
teilungen über Zchidna wesentlich gefestigt.
316 Kollmann, Geschichte des Primitivstreifens bei den Meroblastiern.
5) Die Chorda dorsalis wandert in sein Gebiet ein, sie entsteht
nicht in ihm.
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ergibt sich für die Se-
lachierkeimhaut folgendes:
Der Primitivstreifen ist bei seinem Auftreten sichelförmig um
den hintern Umfang der Keimhaut gelegt (I. Stadium, Sichelform des
Primitivstreifens).
Demnächst erscheint ein mittlerer verdickter Abschnitt,
Randknospe, und zwei sichelartige Seitenteile, die Sichelhörner. Letz-
tere begrenzen noch wie früher, als zwei in jeder Beziehung ent-
sprechende Gegenstücke als „homotype Keimstreifen“, den hintern
Umfang der Area Opaca (Il. Stadium, Randknospe mit Sichelhörnern).
Aus dem mittlern verdiekten Abschnitt geht die Primitivrinne
„Randkerbe“ hervor, die mit den Primitivfalten in die Area pellueida
hineinragt, ebenso wie bei den Säugetieren und Vögeln. Die Falten
verlängern sich später nach rückwärts und folgen dem hintern Rande
der Keimscheibe noch für längere Zeit, um schließlich in dem kau-
dalen Rumpfabschnitt verwendet zu werden (III. Stadium Rinne mit
Sichelhörnern). Die Primitivrinne der Selachier ist, wie jene der
höhern Vertebraten, anfangs nach vorn geschlossen, und in ihren
Zellenschichten wandert die Chorda von vorn her ein.
Man hat die Rinne des III. Stadiums bisher als Medullarrinne
gedeutet. Ich halte diese nahe liegende Bezeichnung nicht für zu-
treffend, denn die Randkerbeprimitivrinne der Selachier hat in ihrem
ersten Auftreten mit der Medullarrinne ebenso wenig zu thun, wie die-
jenige der Vögel und Säuger; die letztere entsteht vielmehr unab-
hängig hier wie dort, und in demselben vordern Gebiet der Keimhaut.
Beträchtlichen Schwierigkeiten begegnet der Nachweis der ein-
zelnen Teile des Primitivstreifens bei den Teleostiern. Die Deutungs-
versuche fallen bis jetzt noch sehr verschieden aus. Ich entscheide
nach den oben aufgestellten Kriterien wie folgt:
Die Randknospe, welche z. B. an der Keimhaut des Salmoniden-
eies so früh und so deutlich bemerkbar ist, ist ein Abschnitt des Primitiv-
streifens der Teleostier!). Henneguy bezeichnet diese Stelle ebenfalls
als Primitivstreifen. Ich rechne aber ferner zu dem Primitivstreifen:
Die sichelförmigen Streifen, die sich nach hinten in dem Rand-
wulst anschließen. Sie sind anfangs nicht geschieden, treten aber
später deutlich hervor und zwar als homotype Streifen an dem hin-
tern Umfang des Randwulstes, ebenso wie bei den Selachiern. Zu
dem Primitivstreifen gehört ferner:
Ein kleines vor der Randknospe liegendes Gebiet des Embryo-
nalschildes.
Eine weitere Identität der Entwicklungsvorgänge beweisen fol-
gende Merkmale:
1) Teleostier hier ausschließlich: Physostomen und Physoklysten.
Kollmann, Geschichte des Primitivstreifens bei den Meroblastiern. 317
Die Randknospe zeigt eine leichte, schnell vorübergehende Ein-
schnürung. Dieselbe entspricht einem Teil der Primitivrinne. Wenn
auch nur für kurze Zeit, dennoch wird auch der Teleostier gezwungen,
die gleichen Wege wie der Selachier zu wandeln, um die symme-
trische Teilung des Primitivstreifens wenigstens anzudeuten. Vor
der Randknospe in dem Bereich des Embryonalschildes taucht später,
freilich ebenfalls sehr vorübergehend noch ein Abschnitt der Primi-
tivrinne auf. Dieser Abschnitt ist, soweit ich die Literatur kenne,
noch nie gesehen worden. Er ist mir nur an Salmonideneiern (am
15. Tag) begegnet, welche bei einer Temperatur von 4—4!/,° R.,
also sehr langsam entwickelt worden waren.
Dieses Entwieklungsstadium der Teleostier, in welchem die Rand-
knospe und der Embryonalschild schnell vorübergehende Spuren einer
Primitivrinne zeigen, entspricht dem III. der obenerwähnten Stadien
der Selachierkeimhaut (Rinne mit Sichelhörnern).
Zu weiterer Begründung meiner eben dargelegten Bezeichnung
der Keimhautgebilde der Teleostier führe ich noch folgende Punkte an:
1) Das Gebiet des Primitivstreifens ist frei von der Chorda; diese
wandert erst später ein.
Die Medullarrinne hat bei ihrem ersten Auftreten mit der hinter
ihr liegenden Primitivrinne keinen Zusammenhang, die letztere
ist, wie bei den Vögeln und Säugern nach vorn geschlossen.
Die Medularrinne ist bekanntlich bei den Teleostiern in ihrem
ersten Auftreten eine sehr seichte Rinne, die sich sehr rasch
füllt. Wenn dann die Medullarwülste erscheinen und auf der
Oberfläche des Embryonalschildes eine ovale weite Grube um-
grenzen, sind alle frühern Spuren der Primitivrinne längst ver-
schwunden. Was mit dem Auftreten der Medularrinne als Spalt
sich schließlich wieder bis zu der Randknospe fortsetzt, ist ein
neues Gebilde, das allgemein bekannt, und von allen Beobach-
tern, von Stricker, Oellacher und His angefangen, bis
herauf zu den jüngsten Arbeiten von Kupffer und Ziegler
übereinstimmend geschildert wird. Man betrachtet allgemein
und mit Recht diese Medullaranlage, welche hinten strangförmig,
vorn dagegen verbreitert ist, als einen Hauptteil der definitiven
Embryonalanlage.
Sie erhebt sich mehr und mehr aus der Ebene des Embryonal-
schildes, aber stets der Art, dass an einer bestimmten Stelle, wo der
Hirnteil und der Medullarteil aneinander grenzen, eine breite quer-
gestellte Vertiefung sichtbar bleibt.
Was hinter dieser Vertiefung liegt, befindet sich auf demjenigen
Gebiet des Embryonalschildes, auf dem einst die Primitivrinne auf-
tauchte. Ich habe deshalb in meiner Abhandlung: Ueber gemeinsame
Entwicklungsbahnen der Wirbeltiere (Arch. f. Anat. und Phys. Anat.
Abt. 1885, S. 296) diesen hintern Abschnitt des Salmonidenembryos
2
=
318 Kollmann, Geschichte des Primitivstreifens bei den Meroblastiern.
für ein Produkt der Primitivrinne und der Primitivfalten erklärt, in-
dem ich vermutete, dass aus dem Material dieser Embryonalorgane
die hintere Anlage des Embryos hervorgegangen sei. Ich möchte aus-
drücklich betonen, dass die beiden Buchstaben Prr = Primitivrinne
und Prw — Primitivwülste nur andeuten sollen, dass das embryonale
Medullarrohr in ein früheres Gebiet des Primitivstreifens eingeschlossen
ist. Nur in diesem Sinne ist die Bezeichnung der Fig. 7 Prr. und
Prw. aufzufassen.
Ich sehe also bei den Teleostiern wie bei den Selachiern, den
Vögeln und Säugetieren sowohl die einzelnen Abschnitte des Primitiv-
streifens als die Hauptstufen seines Wachstums wie die Anlage der
Sichelhörner, und der Rinne mit den entsprechenden Falten, wieder-
kehren, immerhin manchen dieser Teile beträchtlich reduziert.
Eine wertvolle Bestätigung dieser Deutung liefert die Entwick-
lungsgeschichte der Reptilien. Was die uns hier beschäftigenden Em-
bryonalorgane betrifft, so besitzen sie bei den Reptilien eine sehr
beachtenswerte Uebereinstimmung mit denjenigen der Keimhaut der
Selachier. Der Primitivstreif hat die Form einer Knospe oder eines
Knopfes. Diese Knospe wird von Balfour, Strahl und Henneguy
übereinstimmend mit mir gedeutet. Die Bezeichnung „Primitivstreif“
kommt diesem Gebilde der Keimhaut mit vollem Rechte zu, sowohl
was seine Lage, als was seinen Bau betrifft. Auf ihm erscheint die
Primitivrinne als der von Kupffer und Benecke beschriebene
Canalis neuro-enterieus. Dieser Kanal besitzt alle Kriterien einer
Primitivrinne. Er befindet sich 1) in dem Bereich der Knospe wie
bei den Selachiern und Teleostiern, 2) ist er nach vorn geschlossen,
3) wird seine Umgebung zur Bildung des hintern Rumpfabschnittes
verwendet, 4) wandert die Chorda erst später in sein Gebiet ein,
5) wird er zu einer Fortsetzung des Neuralrohres, 6) entsprechen die
Ränder des Canalis neuro-enterieus — Primitivrinne, den Primitiv-
falten, denn sie helfen wie diejenigen der Vögel, Säugetiere und Se-
lachier die Medullarrinne bilden. Endlich erstreckt sich wie bei allen
besprochenen Abteilungen das Gebiet dieses Primitivstreifens in den
Randwulst hinein, und finden sich Sichelhörner.
Diese Deutung schließt die Annahme aus, dass die Primitivrinne
— Canalis neuro-enterieus der Reptilien eine Form der Gastrula
darstelle.
Die Gastrulation erfolgt bei den Abkömmlingen meroblastischer
Eier nach demselben Schema, das für alle übrigen Metazoen Geltung
hat. Das Kriterium für die Entscheidung, ob Gastrulation vorliege,
ist nicht die Umwachsung des Dotters, auch nicht Invagination an
irgend einer Stelle der Keimhaut, wodurch dieselbe in größerem oder
geringerem Maße von einem Kanal durchsetzt wird, sondern der Um-
schlagrand der Keimscheibe, wobei der Entoblast angelegt wird.
Bei den Selachiern ist die Discoblastula mit allen Einzelheiten
Klein, Grundzüge der Histologie. 3149
nachzuweisen. Auch bei den Teleostiern ist sie noch sehr vollkommen;
bei den Sauropsiden wird der Prozess mehr abgekürzt.
Der Randwulst zerfällt nach Abfluss der Gastrulation in zwei
Abschnitte, der hintere ist teilweise die Bildungsstätte des Primitiv-
streifens, der vordere wird zur Umwachsung des Dotters verwendet
und zur Bildung des Blutes.
Diese Uebersicht über die drei Hauptorgane der Keimhaut ergibt
eine unerwartete Uebereinstimmung, die sich auf den Primitivstreifen
erstreckt, und zeigt, wie trotz mannigfacher Abänderungen die Ge-
meinsamkeit des Entwicklungsvorganges nicht bloß in dem Randwulst
der Medullaranlage und der Gastrulation erkennbar ist, sondern auch
in den Phasen, welche der Primitivstreif durchzumachen hat.
Soweit Unterschiede hervortreten, sind sie überall, auch in dem
Bereich des Primitivstreifens, die Wegweiser, welche uns zeigen, wann
die einzelnen großen Abteilungen die gemeinsamen Wege verlassen
und in ihre spezifische Entwicklungsbahn einlenken.
E. Klein, Grundzüge der Histologie.
Deutsche autorisierte Ausgabe, nach der vierten englischen Auflage bearbeitet
von Dr. A. Kollmann in Leipzig. Mit 181 in den Text gedruckten Abbil-
dungen. 16. XVII. und 418 Seiten Leipzig. Arnoldische Buchhandlung 1886.
Ein sehr gutes Büchlein, dem wir weiteste Verbreitung wünschen. Der
durch vortreffliche Arbeiten bekannte Verfasser hat es verstanden, nicht nur
die Grundzüge unseres jetzigen Wissens von dem feinern Bau der Organe in
klarer und leicht fasslicher Weise darzustellen, sondern auch schwierigere
Punkte, bei denen noch keine genügende Uebereinstimmung der Forschungs-
ergebnisse erzielt ist, so zu erörtern, dass neben seiner eignen Ansicht die
anderer genügend zur Geltung kommen. So wird nicht nur der Anfänger sich
des Buches mit großem Nutzen bedienen können; auch der Fortgeschrittene
wird beim Nachlesen einzelner Abschnitte vieles finden, was ihn anregt und
fördert.
Unterstützt werden diese Vorzüge des Textes durch die ganz ausgezeich-
neten Abbildungen. Aus des Verfassers großem Atlas bezw. aus dem von
ihm in Gemeinschaft mit Burdon Sanderson, Foster und Brunton her-
ausgegebenen Handbook for the physiological Laboratory zum großen Teile
übernommen, kommen sie bei dem vortrefflichen Druck der deutschen Ausgabe
fast noch zu besserer Geltung als in dem zuletztgenannten Original.
In 43 Kapiteln behandelt der Verfasser zuerst die allgemeine Histologie,
Zellen, Blut, Epithel u. s w, dann die einzelnen Organe. Die Beschreibung
bezieht sich immer auf den Menschen, doch sind die abweichenden Verhält-
nisse bei den viel zum Studium benutzten Tieren wenigstens kurz angedeutet.
Ebenso ist jedesmal auf die Entwicklung, wenn auch nur mit einigen Sätzen,
Rücksicht genommen Die Beschreibung ist in ihrer prägnanten Kürze gradezu
musterhaft. Als Beispiel will ich nur auf das 30. Kapitel (Niere, Ureter und
Blase) hinweisen, in welchem bei dem geringen Umfang von 17 Seiten doch
eine erschöpfende Darstellung des Gegenstandes gegeben ist.
Nicht ganz so uneingeschränktes Lob können wir der deutschen Bearbei-
tung spenden. Unsere Ausstellungen sind freilich nicht schwerwiegender Art.
320 Klein, Grundzüge der Histologie.
Aber rügen müssen wir doch die Ungenauigkeiten im Ausdruck, besonders
wenn es sich um die Bezeichnung von Richtungen handelt Es kann nur Ver-
wirrung stiften, wenn hier die Wörter „horizontal“ und „vertikal“ gebraucht
werden, bei denen der Schreiber natürlich an eine bestimmte Lage des Organs
gedacht hat, aber ohne es zu sagen. So bedeutet z. B. der Ausdruck „hori-
zontal“ bei der Besprechung der Faserrichtung im Rückenmark (S. 163) soviel
wie transversal und wird gradezu als Gegensatz von „longitudinal“ gebraucht.
Bei der Besprechung des Zahnschmelzes aber ist von „horizontalen gebogenen“
Linien die Rede, wo „horizontal“ bedeuten soll „der Oberfläche parallel“; und
der Gegensatz „vertikal“ hat hier den Sinn „senkrecht“ (besser wäre noch
das freilich bisher weniger gebräuchliche normal) zur Oberfläche. Ebenso
ist z. B. von „Vertikalschnitten“ z. B, durch die Dickdarmschleimhaut (Fig. 117
auf S. 244) die Rede, wo Transversalschnitte gemeint sind. Und bei der Niere,
um nur noch ein Beispiel anzuführen, ist von „vertikalen“ Streifen die Rede,
welche „radiär“ verlaufen (S. 280) und diese selben Streifen, die Markstrahlen,
bewirken unmittelbar darauf „eine gleichförmige Längsstreifung* in der Grenz-
schicht und auch der Papillarteil ist „longitudinal gestreift“ (S. 281). Alle
diese Ausdrücke sollen aber doch nur eine und dieselbe Richtung bezeichnen,
nämlich die zur Oberfläche normale oder „wenn man will, radiäre“. Solche
Unbestimmtheit der Ausdrucksweise ist aber nur zu sehr geeignet, den Leser
und namentlich den Anfänger zu verwirren. Noch sonderbarer aber klingt es,
wenn man (9.294) liest, das Corpus Highmori sei „im Querschnitt mehr weniger
konisch“; ein Querschnitt kann doch nur eine Fläche sein, also niemals konisch.
Der Ausdruck „mehr weniger“ kehrt übrigens fast auf jeder Seite wieder
und auf mancher Seite steht er 3—4 mal. Wir sind — leider — in unserer
medizinischen Literatur schon an das Fehlen des Wörtchens „oder“ in dieser
Redensart gewöhnt; im vorliegenden Buche aber scheint das „mehr weniger“
überhaupt jede Bedeutung verloren zu haben und nur noch ein Flickwort ge-
worden zu sein. Fast ohne Ausnahme wird jede Eigenschaft, die von irgend
etwas ausgesagt wird, durch den Zusatz „mehr weniger“, ich weiß nicht ob
ich sagen soll eingeschränkt. Zellen sind mehr weniger zylindrisch oder mehr
weniger spindelförmig, Fasern sind mehr weniger wellig oder mehr weniger
gebogen u. 8. w. U. 8. W.
In einer deutschen Uebersetzung sollten auch Ausdrücke wie „superficiell“
vermieden werden; denn das Wort superficial hat dasselbe Anrecht darauf,
übersetzt zu werden wie alle andern Wörter des englischen Textes.
Schließlich wollen wir noch auf einige kleine Versehen hinweisen, welche
uns beim Lesen aufgestoßen sind. Pons darf nicht als Femininum behandelt
werden (8. 182 £.), wenngleich es im Deutschen „die“ Brücke heißt. S. 149
Z. 2 v. 0. muss es statt „glatte“ heißen „quergestreifte“; in der Erklärung zu
Fig. 68 (S. 135) „marklose“ statt „markhaltige“,
Es sind, wie gesagt, nur kleine Ausstellungen, die wir zu machen haben,
und der Herausgeber wird vielleicht geneigt sein, uns deshalb der Kleinlich-
keit zu zeihen. Er kann aber überzeugt sein, dass nur wahres Interesse an
dem Werk uns veranlasst hat, unsere Klagen zu erheben. Grade weil wir dem
Buche die weiteste Verbreitung, namentlich in den Kreisen der jungen Medi-
ziner, wünschen, möchten wir dazu beitragen, dass bei einer, hoffentlich bald
nötig werdenden neuen Auflage auch die kleinen Mängel ausgemerzt werden,
welche ihm jetzt noch anhaften und ohne welche es gradezu als vollkommen
wird bezeichnet werden können. R.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
Biologisches Gentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
VI. Band. 1. August 1886. Nr ll:
Inhalt: Gudden, Ueber die Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirn-
rinde (Schluss). — 6. Baur, Ueber die Morphogenie der Wirbelsäule der
Amnioten. — Sternberg, Zur Lehre von den Vorstellungen über die Lage
unserer Glieder. — Aus den Verhandiungen gelehrter Gesellschaften:
58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, Sektion für Anatomie
und Anthropologie. — SoeietE de Biologie. — Gesellschaft der Aerzte in
Zürich. — Karsch, Vademecum botanicum.
Ueber die Frage der Lokalisation der Funktionen der Groß-
hirnrinde.
Vortrag, gehalten in der Jahresversammlung des Vereins deutscher Irrenärzte
in Baden - Baden
von Prof. v. Gudden.
(Schluss.)
Ich lasse hier das Protokoll der Sitzung der Gesellschaft für
Morphologie und Physiologie zu München vom 19. Febr. 1884 (Aerzt-
liches Intelligenzblatt 1884) folgen. Dasselbe lautet:
„Obermedizinalrat v. Gudden demonstriert das Gehirn eines
3 Monate alten Kätzchens, bei dem 4 Wochen nach der Geburt durch
einen intrakraniellen Eingriff das linksseitige Scheitel- und Hinter-
hauptsgehirn bis auf einen schmalen Saum zur Atrophie gebracht
worden war. Auch die sogenannte Sehsphäre sei zu grunde gegangen.
Nichtsdestoweniger sei das Tier, wie der oft wiederholte Ganser’sche
Versuch!) ergab, nicht hemiopisch gewesen, und wie man sich am
Präparate selbst überzeugen könne, fänden sich beide Tractus optiei
gleichmäßig entwickelt. Dass im vorliegenden Falle, worauf es bei
allen derartigen Versuchen ankomme, die, linksseitigen primären Seh-
zentren keinen abnormen Druckverhältnissen, die zur Atrophie der-
selben hätten führen können, ausgesetzt gewesen seien, gehe daraus
hervor, dass die rechtsseitige Großhirnhemisphäre in sofort auffallender
Weise hinüber in die linksseitige Schädelhälfte sich verschoben habe“. —
1) S. Archiv für Psychiatrie, XIII, S. 304.
VI. 21
322 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde.
Das wertvolle Präparat ist seitdem geschnitten worden, die Tinktion
erfolgte abwechselnd mit Karmin und mit Hämatoxylin, aber auch
bei der mikroskopischen Untersuchung fand sich keine Spur einer
atrophierenden Nervenfaser. (Die bezüglichen Zeichnungen und Prä-
parate wurden vorgelegt.)
Nach diesem Befunde bei der Katze darf ich mir vielleicht den
Rat erlauben, nicht eher beim Experimentieren mit der Sehsphäre
sich einen Schluss zu erlauben, als bis man, wozu eine geraume !)
Zeit nach der Operation vergehen muss, sich überzeugt hat, ob nicht
ein Druck auf das primäre Zentrum stattgefunden hatte, und auch
beim Menschen mit Konstatierungen von Atrophien eines Traetus
opticus infolge von Rindenzerstörungen in der Gegend der „Seh-
sphäre“ vorsichtig zu sein, und wenn sie sich zusammen vorfinden,
nicht eher einen kausalen Zusammenhang anzunehmen,
als bis die Atrophie anatomisch von der Hirnrinde bis
zum Traetus nachgewiesen ist, wozu indess keine Aussicht
besteht. Auf die experimentellen Untersuchungen v. Monackow’s?),
die vielfach mit den Ergebnissen der meinigen nicht übereinstimmen,
werde ich an einem andern Orte näher eingehen.
Wichtiger noch inbezug auf die Lokalisation der Großhirnfunk-
tionen, als das erste zentrale Experiment, ist das folgende: Nach Auf-
klappung der Schädeldecke in der Richtung nach vorn um die Kranz-
naht wurde auf beiden Seiten, mit Erhaltung jedoch des Lobus
olfactorius, das ganze Hinterhaupts- und Scheitelhirn bis (von hinten
nach vorn gerechnet) 1 mm vor der Kranznaht fortgenommen. Wie
sauber die Operation gelungen war, sieht man aus der Zeichnung,
die vorgelegt wurde. In den ersten Tagen (vier waren so operiert)
mussten die Tierchen, die öfters aus dem Nest herausfuhren, in dieses
zurückgebracht werden, dann wurden sie ruhig und entwickelten sich,
als wenn ihnen fast gar nichts geschehen wäre. Sie sahen, hörten,
fühlten und bewegten sich anscheinend wie normale Kaninchen, und
nur insofern habe ich geglaubt, einen Unterschied zu bemerken, als
ihr Benehmen einen mehr impulsiven Charakter an sich trug, als ihn
nicht operierte Tiere ihrer Altersstufe wahrnehmen lassen. Speziell
was ihr Sehen und dessen psychische Verwertung betrifft, so war
nicht etwa die Frage, ob sie Hindernissen aus dem Wege gingen,
eine solche trat gar nicht an einen heran, im freien waren sie nur
schwer zu fangen, wichen sogar auf größere Entfernung bei absoluter
Stille einer Handbewegung aus, bemaßen, auf Pflöcke gesetzt, richtig
die Entfernung vom Boden, tasteten ein wenig mit den Vorderpfoten
und sprangen dann mit der größten Sicherheit herunter, sprangen
Treppenstufen hinauf und herunter u. s. w., wovon sich unter vielen
andern die Herren Bälz, Bumm, Grashey, Jolly überzeugt haben.
1) Je nach dem Alter des operierten Tieres verschieden.
2) Archiv für Psychiatrie, XIV u. XVL
nah in Saat SENT u 2 Au TE 2 a en a De ee
Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhimrinde 325
Erst nachdem sie ziemlich erwachsen waren, wurden sie getötet. Ich
möchte kaum bezweifeln — lasse es übrigens dahingestellt — dass
sie später bei der Bethätigung höherer Funktionen: Fortpflanzung,
Nestbau, Großziehung der Jungen u. s. w. Defekte gezeigt haben
würden, darauf kommt es hier nicht an, aber Thatsache ist und bleibt
es, dass sie ohne alle und jede Spur von Sehsphäre sahen und ihr
Sehen psychisch verwerteten.
Bei einer andern Reihe von neugebornen Kaninchen wurde das
Schädeldach von vorn nach hinten um die Kranznaht umgeklappt
und auf beiden Seiten das „Stirnhirn“ nieht ganz bis zum Lobus
olfactorius abgetragen. Die erwachsenen Tiere sahen, hörten, fühlten
und, was ich besonders hervorhebe, bewegten sich wie normale.
Anders ist das Verhalten von Kaninchen, denen man nach der
Geburt mit Erhaltung der Lobi olfactorii und der übrigen am tiefsten
gelegenen Partien der Großhirnhemisphären diese mehr oder weniger
tief — selbstverständlich ohne Verletzung des Hirnstammes — ab-
getragen hat. Manche, bei denen der Schnitt zu tief ausfiel, gehen
zu grunde, andere, bei denen dies nicht der Fall war, kommen durch,
konzentrieren sich vorzugsweise auf ihren Geruchssinn, sehen zwar,
folgen mit den Augen, wenngleich die Probe bei denselben Tieren
zu andern Zeiten versagt, neugierig der sich vor ihnen in einer ge-
wissen Entfernung bewegenden Hand), was normale Tiere nie thun,
hören, was man aus den zuweilen auf ein Geräusch hin plötzlich sich
aufrichtenden Ohren, die für gewöhnlich flach auf dem Nacken liegen,
ersieht, fühlen, wie man sich leicht aus den Abwehrbewegungen über-
zeugt, halten und bewegen sich eigentümlich und ohne suffiziente
sichere Führung, was man z. B. daraus ersieht, dass sie sich beim
Fressen eines Krautblattes aufriehten, immer weiter nach rückwärts
sich überbeugen und schließlich umfallen, kurz: sie sind Idioten, zu-
meist etwas schläfrig, dann wieder übermäßig agil, gedeihen auch
nicht recht, bleiben im Wachstum weit hinter ihren Altersgenossen
mit intakten Gehirnen zurück, würden in Gemeinschaft mit diesen im
Kampfe ums Dasein entschieden zu grunde gehen, müssen isoliert ge-
halten und auch inbezug auf Reinlichkeit besonders im Auge behalten
werden. — Es ist schwer, alle diese Tiere in eine Besprechung zu-
sammenzudrängen, ein jedes ist wieder etwas anders, je nachdem
mehr oder weniger abgetragen wurde, aber das scheint doch sicher
zu sein, dass wenigstens rudimentär alle Empfindungen zur Geltung
und psychischen Verwertung kommen, und dass ebenso auch alle Be-
wegungen einer psychischen Direktion nicht gänzlich entbehren.
Was ich vom Sehzentrum im vordern Hügel nach Exstirpation
einer ganzen Großhirnhemisphäre sagte, gilt von den Zentren aller
Empfindungsnerven. Allen müssen die Bahnen zu der fortgenommenen
4) Die Hand darf nicht so nah herumgeführt werden, dass der Geruchssinn
in Frage käme.
21*
394 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde.
Hemisphäre fehlen, aber sie selbst sind sonst intakt. Intakt sind
auch die Kerne der Bewegungsnerven, und was für die Kaninchen
gilt, gilt auch für die Hunde und Katzen. Nur noch auf das primäre
Zentrum des Nerv. olfactorius, die Glomerulischicht des Bulbus olfae-
torius, möchte ich einen Augenblick zurückkommen. Schneidet man
beim neugebornen Kaninchen intrakraniell den Bulbus vom Lobus
olfactorius ab, so bleibt die Glomerulischicht desselben erhalten, vom
Traetus sind nur die kleinsten Reste vorhanden, die zum eingeschlos-
senen Teil des Lobus gehören, die Kommissurenfasern dieses Teiles
sind aber zu grunde gegangen.
Nach Mitteilung dieser Versuche und Beobachtungen dürften we-
nigstens unbefangene Beurteiler geneigt sein, anzunehmen: dass in
der Großhirnrindenfläche zirkumskript umgrenzte Regionen, die aus-
schließlich und unter allen Verhältnissen eine bestimmte Funktion
ausüben, nicht vorhanden sind. Es spricht dagegen auch im großen
und ganzen der histologische Aufbau der Rinde, ihre Zellenformationen
und deren Lagerung, sowie die Art des Verlaufes ihrer Fasern, wenn-
gleich zugegeben werden muss, dass gewisse Unterschiede, zumal in
den Zellen, allerdings sich bemerkbar machen und es daher notwendig
sein wird, für jede Tiergattung, die zu Versuchen benutzt wird, eine
genaue Untersuchung der gesamten Rinde und zwar mit den ver-
besserten Hilfsmitteln der neuern Technik vorzunehmen. Freilich aber
lässt sich einwenden — und ich halte trotz des Kätzehens, welches,
bereits 4 Wochen alt und jedenfalls inbezug auf seine Hirnrinde schon
einigermaßen eingeübt, nach Fortnahme der sogenannten Sehsphäre
nicht hemiopisch wurde, den Einwand für nicht unbegründet, dass
an neugebornen Tieren angestellte Hirnrindenversuche in ihren Ergeb-
nissen nicht ohne weiteres maßgebend für erwachsene seien, und dass
demgemäß zu weiterer Aufklärung entsprechende Versuche auch an
diesen vorgenommen werden müssten.
Diesem Einwande gegenüber kann ich mitteilen, dass ich auch
mit herangewachsenen Tieren viel experimentiert habe, mit Kaninchen,
Hunden und Katzen. Den ganz erwachsenen ziehe ich indess halb
und drittel erwachsene vor, weil letztere munterer und lebhafter sind,
die Operationen besser ertragen und die sekundären Atrophien rascher
auch makroskopisch wahrnehmen lassen. Operiert wurde in den letz-
ten Jahren nur in der Aethernarkose, früher auch wohl nach Injek-
tionen von Morphium. Bei neugebornen Kaninchen ist die Anwendung
antiseptischer Kautelen überflüssig, neugeborne Hunde und Katzen
sind, wie ich früher schon bemerkte, zu Entzündungen in unvergleich-
lich höherem Maße disponiert; bei ihnen sowie erst recht bei erwach-
senen Tieren, die Kaninchen eingeschlossen, sollte man dieselbe nie
außer acht lassen. Ganz abgekommen bin ich davon, bei mehr heran-
gewachsenen Tieren den Schädel in größerem Umfange zu öffnen,
operiere vielmehr intrakraniell, zu welchem Behufe mittels der Säge,
Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde 325
unter Umständen auch mittels eines stärkern Messers, nach Durch-
schneidung und Zurseiteschiebung des Perieraniums, eventuell auch
nach Trennung der Muskulatur, Spalten angelegt werden, die jedoch
nicht zu eng ausfallen dürfen, damit die einzuführenden feinen Messer
nicht anstoßen und das Blut am freien Austritte nicht gehindert ist.
Selbstverständlich hat man sich zu hüten, die Sinus und die größern
Arterien zu verletzen. — Zur Orientierung dienen alsdann getötete
Tiere gleichen Alters, deren eine Großhirnhälfte freigelegt und in der
erforderlichen Weise partiell, sei es frontal, sagittal oder horizontal
abgetragen ist. An der so vorbereiteten Hirnhälfte sowie an der er-
haltenen Hälfte des Schädelgewölbes bestimmt man den Ort, die
Riehtung und wie weit das Messer einzuführen ist. Nach der Ope-
ration lässt man, je nach dem Alter, die Tiere 5—6 Monate, zu ge-
wissen Zwecken auch noch länger, bis zu einem Jahre leben. Bei
erwachsenen Kaninchen, um ein Beispiel von der Peripherie herzu-
nehmen, sind nach der Enukleierung eines Auges der zugehörige
Nervus optieus und dessen Zentrum 9 Monate nach der Operation
zwar bedeutend kleiner, aber der Nerv selbst noch weiß und nicht
grau und auch die Zentren noch nicht vollständig atrophiert!). Bei
allen Tieren, die operiert wurden, muss man verlangen, dass die
anatomische Untersuchung nach der Schnittmethode vorgenommen
werde.
Wurde in der angegebenen Weise operiert, so kommt es vor, dass
man bei der Sektion feine lineare Narben findet, ohne Spur von Ent-
zündung, Exsudat und Druckerscheinung. Eigentliche Narben sind
es nicht einmal, eine Wiederverwachsung zentraler nervöser Teile tritt,
wie schon bei den Operationen am neugebornen Tiere bemerkt wurde,
nicht ein, die Schnittflächen liegen etwas verklebt aneinander und
nur die Pia bildet eine festere Verbindung an der Oberfläche, dringt
auch mehr oder weniger in die Spalte vor. Aber nicht in allen Fällen
ist das Resultat ein so reines, und ich bin im Besitze von Gehirnen
(deren Zeichnungen ich vorlege), bei welchen die äußere Betrachtung,
außer gewissen Merkmalen am Stamme, die den Sachverständigen
sofort einigermaßen orientieren, nur geringe Veränderungen nachwies,
die aber doch, nachdem sie geschnitten waren, größere Zerstörungen
infolge von Exsudat und Druck erkennen ließen. Am gefährdetsten
sind inbezug auf die Reinheit der Resultate diejenigen Gehirne, bei
denen der Druck von einem oder beiden Seitenventrikeln ausgeht.
So liegen mir Präparate vor, bei denen ein Eingriff in das Hinter-
hauptshirn Atrophien der Pyramidenbahn, und andere, bei denen ein
Eingriff ins Stirnhirn Atrophien der Großhirnrindenschleife herbei-
führte, Präparate, die, wie wir später sehen werden, ganz unbrauchbar
sind. Immer auch muss man sich gegenwärtig erhalten, dass der
1) Uebrigens lassen sich die Atrophien mikroskopisch sehr deutlich
schon nach 3 Monaten nachweisen.
396 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde.
Schnitt selbst, auch wenn keine Entzündung folgte, etwas weiter ge-
führt wurde, als möglicherweise beabsichtigt war. Man kennt noch
viel zu wenig, worauf ich ebenfalls schon aufmerksam machte, den
Fasernlauf. Mir liegen Schnittreihen von Menschengehirnen vor: eine
frontale, eine horizontale und eine (diese freilich nieht sehr gelungen)
sagittale. Alle drei sind mit Karmin gefärbt. Hält man die Schnitte
im dunkeln Raume gegen eine mehr oder weniger schräg einfallende
Kerzenflamme, so erkennt man beim Hin- und Herbewegen in der
Weise, dass man immer noch durch den Schnitt aufs dunkle sieht,
im Zentralmarke sehr schön und deutlich die einzelnen Züge in ihrem
verschiedenen sich gegenseitig ausweichenden Verlaufe, und beispiels-
weise, was die Operationen am Tiere betrifft, so genügt beim Ka-
ninchen ein kleiner, gar nicht tief geführter Schnitt an einer be-
stimmten Stelle der-Grenze zwischen Lobus olfactorius und dem über
ihm liegenden Scheitelhirn (die bezügliche Zeichnung wird vorgelegt),
um die ganze oder fast ganze Ausstrahlung des Thalamus in das
Scheitel- und Hinterhauptshirn zu treffen und damit auch eine Atrophie
der bezüglichen Thalamusganglien (auch des Corpus geniculatum
internum) herbeizuführen.
Die Versuche sind noch lange nicht abgeschlossen, noch mehr
aber bedaure ich, dass eine große Anzahl von Gehirnen noch nicht
geschnitten ist. Es wird das den nicht wundern, der aus eigner Er-
fahrung weiß, welche Zeit es kostet, nur ein Gehirn von größerem
Umfange zu schneiden, zu färben und dann erst folgt die eigentliche,
so mühselige Aufgabe, ein Organ zu untersuchen von einer solchen
Komplikation, dass es zumal im Hämatoxylinpräparat einen gradezu
verwirrenden Eindruck macht und noch dazu durch ganz besondere
Eigentümlichkeiten die Erforschung mit einer solchen Menge, wenn
ich so sagen darf, heimtückischer Fallstricke erschwert, dass man
nicht vorsichtig genug auf seinem Wege sein kann. Was nun die
sogenannte Sehsphäre betrifft, auf die und die motorische Zone ich
mich hier beschränken muss, so liegen mir 2 Gehirne von Hunden
vor, bei denen dieselbe zwar nicht in ihrem ganzen Umfange, aber
doch zum größten Teile abgetragen war, ohne dass ein Exsudat mit
seinem Drucke störend eingriff. Letztes geht (die Tiere waren halb
erwachsen, als sie operiert wurden, und blieben am Leben, bis sie
vollständig ausgewachsen waren) aus der Integrität des Tractus optieus
der operierten Seite hervor. Zu diesen beiden Hunden kommt der
von Herrn Prof. Goltz auf der Naturforscher-Versammlung zu Straß-
burg !) demonstrierte, bei dem die Großhirnrinde der linken Seite mit
einziger Ausnahme des hintern Teiles des Lobus olfaetorius fort-
genommen war. Herr Prof. Goltz hat die Freundlichkeit gehabt,
mir die Gehirne der getöteten Tiere zur anatomischen Untersuchung
1) Vergl. Tageblatt 8. 414. Sämtliche Hunde waren erwachsen, als sie
operiert wurden,
Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 327
zu überlassen. Man denke sich die bezügliche Großhirnhemisphäre
frontal in 4 Teile geteilt und die Teile von hinten nach vorn mit
1, 2, 4 und 3 bezeichnet. Teil 1 war am 24. Okt. 1884, 2 am 7. Jan.,
3 am 19. Febr. und 4 am 6. Mai 1885 fortgenommen worden. Hier
kommt zunächst Teil 1 in betracht, nach dessen Entfernung nicht
weniger als 11 Monate vergangen waren. Das Gehirn ist noch nicht
genügend erhärtet, um es schneiden zu können, aber makroskopisch
ist auch bei ihm am Tractus opticus nicht die geringste Atrophie zu
erkennen. Ob der Hund hemiopisch war (hemiopisch im ganzen Um-
fange der Bedeutung, die man dem Worte gegenwärtig unterlegen
kann), darüber mir bei der Demonstration ein Urteil zu bilden, war
ich auch entfernt nicht im stande, aber von meinen beiden Hunden
glaube ich behaupten zu dürfen, dass sie es nicht waren. Ich will
jedoch nicht verschweigen, dass in meinen Bemühungen, hierüber zur
vollen Klarheit zu kommen, Geruch und Gehör, vorzugsweise aber
erster, mir ungemein hinderlich waren und stets aufs neue Zweifel
hervorriefen!). Vollkommen sicher aber bin ich in der Ueberzeugung:
dass jeder, seiner Sehphäre beraubte Hund, bei dem nach Ablauf
der erforderlichen Zeit eine Atrophie des Traetus opticus gefunden
wird, für irgend einen Schluss in betracht der sogenannten Sehsphäre
absolut unbrauchbar ist, dass aber demnach auch kein an der Seh-
sphäre vorgenommener Eingriff mit seinen Folgen für die Beobach-
tung im Leben diese für rein und gesichert ausgeben darf, bevor
nicht das Tier so lange gelebt hat, bis man bei der Sektion mit Be-
stimmtheit entscheiden kann, ob der Tractus durch Druck gelitten
hat oder nicht.
Leiehter sind die Beobachtungen in der Richtung der Bewegungen
als solcher, beziehungsweise der „motorischen Zone“. Bei ihnen ist
der Unterschied im Erfolge, je nachdem man bei neugebornen oder
mehr erwachsenen Tieren operiert, sofort in die Augen fallend. Beim
neugebornen Tiere (Kaninchen) stört selbst die Fortnahme einer ganzen
Gehirnhemisphäre nicht im geringsten die Bewegung; operiert man
dagegen bei mehr herangewachsenen Tieren (Kaninchen, Katzen), so
treten schon nach einseitiger Fortnahme des einen Stirnhirnes, was
allerdings ein ziemlich verschwimmender Ausdruck ist, nieht unbe-
deutende Unregelmäßigkeiten auf. Bei den Kaninchen wurde die Spalte
2 mm hinter, bei den Katzen in der Kranznaht selbst angelegt, und,
während die Köpfe auf den horizontalen Aesten der Unterkiefer auf-
lagen, das Messer senkrecht eingeführt und mittels desselben der
ganze vor ihm liegende Hirnteil mit Einschluss des Lobus olfactorius
abgetrennt. Versuchen die aus der Narkose erwachenden Tiere sich
aufzurichten, so fallen sie auf die der Operation entgegengesetzte
Seite, vermögen sich jedoch, sobald sie etwas freier in ihrem Sen-
4) Ich erinnere hier an die Munk’schen kontralateralblinden und hemio-
pischen Hunde.
328 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde.
sorium geworden sind, aufrecht zu erhalten, wobei die Katzen in der
bekannten Weise mit der dorsalen Fläche des Vorderfußes aufzutreten
pflegen, die Kaninchen den Vorderfuß nicht gehörig vorsetzen, beiderlei
Tiere aber auch in der Bewegung der Hinterbeine keine Unzulänglich-
keiten wahrnehmen lassen. Der Schnitt trifft bei den Katzen das
Stirnhirn etwa 1 mm hinter dem sogenannten Gyrus posterueiatus,
erreicht die Basis des Lobus olfactorius jedoch nicht immer, was aber
von unwesentlicher Bedeutung sein dürfte, in der gleichen Entfernung
vom Bulbus (Folge geringer Abweichungen in der Lagerung der Köpfe
während der Operation). In hohem Grade merkwürdig ist es, dass
die genannten Störungen schon in wenigen Tagen fast spurlos ver-
schwinden und die Tiere, welche überhaupt die Operation staunens-
wert leicht ertragen, sehr bald sich wieder benehmen, als wenn gar
nichts mit ihnen vorgenommen wäre. Der bei der anatomischen Unter-
suchung zutage tretende Effekt war bei den Kaninchen eine vollständige,
bei den Katzen eine nicht vollständige Atrophie der Pyramidenbahn
(Hämatoxylinpräparate). Bei einem Hunde, bei dem die Spalte 3 mm
hinter der Kranznaht angelegt wurde und die Erscheinungen während
des Lebens dieselben waren, wie bei der Katze, zeigte sich die Pyra-
midenbahn wie beim Kaninchen ganz atrophisch. Abnorm gesteigerte
Lebhaftigkeit der Bewegungen, wie sie bei dem dritten (Straßburger
Tagblatt S. 415) von Goltz vorgestellten Hunde in so auffallender
Weise zutage trat, habe ich bei keinem der von mir in der ange-
gebenen Weise operierten Tiere wahrgenommen. Goltz stellte auch
einen Hund mit großer und tiefer Zerstörung der sogenannten motori-
schen Zone beider Hirnhälften vor. Die Bewegungen desselben waren
äußerst plump. Er konnte aber gehen und kein Muskel war gelähmt.
Der Hund war außer stande, von selbst zu fressen. Man musste ihm
die Bissen unmittelbar vors Maul halten, wenn er sie verzehren sollte.
Er zeigte ferner eine ausgeprägte Sehstörung, obwohl seine Sehsphären
wenigstens zum Teil erhalten waren. Soweit das Tageblatt auf der
angeführten Seite. Die Zerstörung war in der That, wie aus dem
mir vorliegenden Gehirne hervorgeht, eine sehr umfangreiche und
tiefgehende. Keinem Zweifel dürfte es unterliegen, dass die als
motorische Regionen geltenden Teile ganz vernichtet waren, aber auch
die sogenannte Sehsphäre fehlt auf der linken Seite ganz und ist auf
der rechten wenigstens nicht intakt. Das Gehirn ist noch nicht ge-
schnitten, und ich werde später ausführlicher über den Befund be-
richten, aber Thatsache ist und bleibt es, dass das Tier nicht gelähmt
im gewöhnlichen Sinne des Wortes war, wenngleich es nicht weniger
Thatsache ist, dass es sich äußerst plump bewegte und diese Plump-
heit nicht ohne weiteres mit seinem Idiotismus zusammenfällt. An
Katzen und Hunden habe ich die oben beschriebene, von mir geübte
Abtrennung des Stirnhirns auf beiden Seiten nicht vorgenommen,
die Doppelabtrennung dagegen bei einer Reihe von Kaninchen, die
Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 399
indess nicht älter als 2 Monate waren, ausgeführt. Die Operation
ist nicht ohne Gefahr. Bei ihr muss allem Anscheine nach der Lobus
olfactorius geschont werden, wenn die Tiere nicht zu grunde gehen
sollen, auch ist sie tödlich, wenn der Schnitt beiderseits — wenigstens
schien das aus der Sektion der wenige Tage nach der Operation zu
grunde gegangenen Tiere hervorzugehen — den äußern Teil der
innern Kapsel, oder gar die Ausstrahlung des Thalamus getroffen
hatte. Die durchgekommenen Tiere leben aber noch, weshalb ich sie
eigentlich gar nicht hätte erwähnen sollen. Sie haben in ihrem Be-
nehmen Aehnlichkeit mit jenen Kaninchen, denen wenige Tage nach
der Geburt beide Hemisphären abgetragen worden waren. Auch ihnen
musste durch die Pflege nachgeholfen werden, auch sie blieben in
der körperlichen und geistigen Entwicklung bedeutend hinter ihren
Altersgenossen zurück, zeigten aber doch innerhalb des allgemeinen
psychischen Defekts vorzugsweise Störungen der Bewegung; die Tiere
saßen anders wie normale, schoben dabei die Hinterbeine vor, so dass
die Vorderfüße zwischen die Hinterfüße zu stehen kamen, und wenn
sie sprangen, hoben sie den Hinterteil des Körpers viel höher und
schleuderten die Hinterbeine viel weiter hinaus, als dies gewöhnlich
der Fall ist. Auch schwankten sie leicht, wenn sie sich mit den
Vorderfüßen den Kopf putzten, und überschlugen sich auch wohl
— wie das von den ihrer beiden Hemisphären großenteils beraubten
Tieren berichtet wurde — wenn sie sich aufrichteten, um den Rest
eines Kohlblattes ins Maul zu bringen. Merkwürdig ist aber doch
auch wieder, dass, je älter die Tiere wurden, auch diese Störungen
mehr zurücktraten.
Ich unterlasse es, aus den mitgeteilten, bei mehr herangewach-
senen Tieren angestellten Versuchen bestimmte weitergehende Schluss-
folgerungen zu ziehen, werde sie fortsetzen und darüber später zu-
gleich mit den Sektionsbefunden unter Heranziehung der Sehnittmethode
berichten. Uebrigens bemerke ich noch ausdrücklich, dass auch eine
sorgfältige Untersuchung der Hirnrinde (Karminpräparate) von Ka-
ninchen, denen in erwachsenem Zustande Augen entfernt worden
waren, zu keinem andern Resultate führte, als von Kaninchen, bei
denen ich dieselbe Operation wenige Tage nach ihrer Geburt vornahm.
Eine halbe Wahrheit ist gefährlicher als ein ganzer Irrtum, der
viel leichter richtig gestellt werden kann, welchem Satze ich noch
eine Stelle aus $1 der Abhandlung Scehiller’s über den Zusammen-
hang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen an-
schließen könnte, die lautet: es ist gewiss der Wahrheit nichts so
gefährlich, als wenn einseitige Meinungen einseitige Widerleger finden.
Bin ich auch kein Anhänger der Lehre, welche die Großhirnrinde
mit scharfer Abgrenzung unter die verschiedenen Sinne und Muskel-
330 Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde.
gruppen verteilt, so bin ich doch auch nichts weniger als ein Gegner
jeglicher Lokalisation.
Die anatomischen Verhältnisse, auf die ich mich stütze, sind
folgende:
1) In der ganzen Säugetierreihe findet sich ein bestimmtes Ver-
hältnis zwischen der Größenentwicklung des Lobus und der des Bulbus
und Nervus olfactorius. Die Bedeutung dieses Befundes wird von
keiner Seite bestritten werden können, und das um so weniger, als
gleichzeitig die Rinde des Lobus olfactorius besondere Eigentümlich-
keiten darbietet. Ich erinnere aber gleichzeitig an die Abtrennung
beider Bulbi bei 7—8 Tage alten Kaninchen, nach der sich die Lobi
dennoch weiter entwickeln und bei der Untersuchung des erwach-
senen Tieres sich anscheinend ganz normal verhalten. Würde deren
Hirnrinde, wird man schließen dürfen, ausschließlich vom Geruchs-
sinn aus in Thätigkeit versetzt, so müsste sie atrophieren. So aber,
ich wiederhole es, liegt hier ein Fingerzeig für eine nieht unwesent-
lich modifizierte Lokalisationshypothese.
2) Fortnahme des Stirnhirns und nur diese führt zur vollständigen
Atrophie der Pyramidenbahn. Fortnahme des Scheitel- und Hinter-
hauptshirnes lässt diese unberührt. Bei dieser Gelegenheit will ich
gegenüber Flechsig, obgleich mir an der Priorität nicht allzu viel
liegt, bemerken, dass diese Abhängigkeit der Pyramidenhahn vom
Stirnhirn zuerst von mir nachgewiesen wurde |vergl. Korrespondenz-
blatt für Schweiz. Aerzte, 1872, Nr. 4]1). Ich nehme an, dass Hirn-
rindenteile, die einer besondern abgeschlossenen Bahn ihren Ursprung
geben, auch einer besondern Funktion vorstehen.
3) Nach Fortnahme einer ganzen Hemisphäre mit Einschluss des
Corpus striatum atrophiert der ganze rechtsseitige Peduneulus (Karmin-
präparat). Beim Kaninchen liegen der mediale und laterale Teil des-
selben nebeneinander, bei den höhern Säugetieren kommen Verschie-
bungen vor, auf die ich hier nicht weiter eingehen kann, bei allen
aber gibt die Ausstrahlung der Meynert’schen Kommissur genügen-
den Aufschluss über die Grenzscheide beider. Thatsache ist es, dass
der mediale Teil zum Stirnhirn, der laterale zum Scheitel-Hinterhaupts-
hirn wenigstens vorzugsweise in Beziehung steht.
4) Die Abhängigkeit der Schleife (der von v. Monackow soge-
nannten Rindenschleife) von der Großhirnrinde wurde ebenfalls von
mir zuerst nachgewiesen ?). Thatsache ist es, dass sie abhängt vom
Scheitel- Hinterhauptshirn. Ich bin der Meinung, worüber noch ge-
4) Die dort erwähnte Atrophie des Hypoglossuskernes war ein zufälliger
Befund. Ich bin noch im Besitze des Präparates, habe seitdem noch ein mal
und zwar ein vollständiges Fehlen desselben Kernes auf einer Seite bei einer
Katze gefunden, einmal auch und zwar bei einem sonst ganz normalen Ka-
ninchen das einseitige Fehlen des Abducenskernes.
2) Archiv für Psychiatrie, XI, S. 237.
Gudden, Frage der Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. 351
nauere Untefsuchungen definitiv entscheiden müssen, dass der Lobus
olfactorius zum Scheitel-Hinterhauptshirn zu rechnen ist, Fortnahme
des Stirnhirns aber lässt jedenfalls die Schleife die bezüglichen Fibrae
arcuatae und die Kerne des Funiculus cuneatus und graeilis intakt,
während diese wenigstens großenteils zugrunde gehen — sich an-
nähernde Beobachtungen wurden bereits von v. Monackow im Korre-
spondenzblatt für Schweiz. Aerzte, 1884, Nr. 6 u. 7 veröffentlicht —
wenn das Scheitel- Hinterhauptshirn entfernt wurde.
5) Die Kerne des Thalamus sind zum Teil unabhängig von der
Großhirnrinde, so insbesondere diejenigen (worauf ich an einem andern
Orte zurückkomme), die durch die von mir sogenannte Commissura
inferior mit einander verbunden sind. Ob gar keine Kerne vom Stirn-
hirn abhängig sind — die Grenze desselben ist, wie wiederholt be-
merkt, unsicher — lasse ich vorläufig dahingestellt, aber die große
Mehrzahl derselben, mit ihr auch das Corpus genieulatum internum,
ist abhängig vom Scheitel - Hinterhauptshirn.
6) Auch das mediale hintere Ganglion des Corpus mammillare
ist abhängig vom Scheitel-Hinterhauptshirn, bleibt erhalten nach Ab-
trennung des Stirnhirns.
Nach allen diesen anatomisch nachgewiesenen Abhängigkeiten
von wenigstens 2 Hauptregionen der Großhirnrinde bleibt wohl nichts
Anderes übrig, als sich mit einer gewissen Entschlossenheit zu der
Ansicht zu bekennen, dass bei normaler Entwieklung und Einübung
der Großhirnrinde sich auch die Funktionen wenigstens in 2 Haupt-
regionen lokalisieren, der für die Bewegungs- und der für die Em-
pfindungsvorstellungen. Mehr zu behaupten, hat man bis jetzt, glaube
ich, nicht das Recht.
Für die Methode fernerer Untersuchungen lag es nahe, daran zu
denken, ob es nicht möglich sei, ohne oder doch mit möglichst ge-
ringer Verletzung der Hirnrinde die von ihr abhängigen Bahnen und
Zentren anzugreifen und nach ihrer Zerstörung den Erfolg in der
Hirnrinde aufzusuchen. Anfänge in dieser Richtung habe ich schon
vor Jahren gemacht. Man muss an die Basis heran. Zu diesem Zwecke
enukleierte ich bei jungen Tieren ein Auge und versuchte durch das
Foramen optieum in die innere Kapsel einzudringen und zwar zunächst
in das mittlere Drittel derselben, d. h. in die Pyramidenbahn. Ob
man diese wirklich zerstört hat, darüber zwar gibt die spätere ana-
tomische Untersuchung vollkommen zuverlässigen Aufschluss, aber
bis jetzt nieht darüber, ob man nicht etwas mehr zerstört hat. Bei
einem Kaninchen, bei dem nur ein ganz kleiner Rest der Pyramiden-
bahn sich erhalten zeigte, fand sich in der Hirnrinde eine fast voll-
ständige Atrophie der großen Pyramidenzellen, ohne nachweisbare
Beteiligung der andern Zellenformationen. Einen ähnlichen Befund
beschreibt v. Monackow nach einem andern und zu einem ganz
andern Zweck gemachten Eingriff im Archiv für Psychiatrie, XIV,
332 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten,
S. 713—716. — Der merkwürdige Befund regt den Gedanken an, ob
nicht an die verschiedenen Zellenlagen sich verschiedene Funk-
tionen binden. Thatsache scheint zwar zu sein, dass beim normalen
Kaninchengehirn !) die zahlreichsten und größten Pyramidenzellen
sich in der Region des Stirnhirns befinden: ich muss aber gleich be-
merken, was allerdings noch nicht entscheidend ist, dass in einem
Hundegehirn, bei dem die Pyramidenbahn durch einen Eingriff in das
Stirnhirn (Zeichnung) ganz und gar zugrunde gegangen war, die großen
Pyramidenzellen sich zum Teil noch wohl erhalten fanden. Seitdem
habe ich einen andern Weg aufgefunden, auf dem sich wenigstens
für gewisse Bahnen die Aussicht eröffnet, dem gewünschten Ziele
näher zu kommen. Wie aber auch diese Bemühungen ausfallen: das
eine dürfte jetzt schon klar sein, dass es noch mancher und großer
Arbeit bedarf, um über die Funktionen und die Lokalisation der Funk-
tionen der Großhirnrinde ins reine zu kommen, und dass man mit
der Befolgung der Heine’schen Doktrin des Trommelschlagens nur
den, der nicht selbst untersucht hat, mit sich fortreißen kann ?).
Zuerst also Anatomie und dann Physiologie; wenn aber zuerst
Physiologie, dann nicht ohne Anatomie.
Zum Schlusse nur noch zwei Bemerkungen: 1) dass es zunächst
ziemlich gleichgiltig ist, was ich mir über eine weitere Gliederung
der Hirnrinde innerhalb der Grenzen der Bewegung und Empfindung
denke, dass aber die große Müller’sche Errungenschaft der spezi-
fischen Energie der Sinnesorgane, die Helmholtz der Entdeckung
des Gravitationsgesetzes gleichgestellt hat, davon ganz unberührt
bleibt und 2) dass man auch vom höhern Säugetier inbezug auf die
Bewegung nicht ohne weiteres auf den Menschen schließen darf, weil
bei diesem die willkürlichen Bewegungen eine unendlich viel
größere Rolle spielen, als bei jenen.
Ueber die Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten.
Von Dr. G. Baur
in New-Haven. Conn., Yale College Museum.
Durch die neuen Funde in der Permformation Nord - Amerikas
und Europas, die uns namentlich durch die Arbeiten von Cope,
Credner, Fritsch und Gaudry bekannt geworden sind, ist eine
neue Aera für das richtige Verständnis der Wirbelsäule emporgestiegen.
Schon vor dreißig Jahren war der große Osteologe H. v. Meyer bei-
nahe grade so weit wie wir heute sind; sonderbar aber ist, dass seine
1) Die Untersuchungen wurden an Serien von Sigittalschnitten vorgenommen,
es wäre indessen noch möglich, dass durch die nicht ganz gleichen Winkel,
unter denen die Zellenlagen getroffen werden, eine Täuschung hervorgerufen
wurde.
2) Oder gelinder gesagt der Empedokleischen des dis xaı roı5 ro xalov.
Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 333
ausgezeichneten Mitteilungen über diese Frage beinahe vollkommen
vernachlässigt worden sind.
“ Credner!) hat neuerdings auf letztern Umstand hingewiesen.
Heute stehen sich zwei Ansichten diametral gegenüber; die von
Gaudry-Fritsch und die von Cope.
Um dieselben hier klar zu legen, ist es am besten, von einem
Wirbel auszugehen, der möglichst alle Elemente enthält. Solche Wirbel
sind z. B. bei Chelydosaurus Fritsch vorhanden. Ein Wirbelkomplex
besteht aus folgenden Elementen:
1) dem obern Bogen (zwei-seitliche Elemente),
2) dem Hypocentrum arcale,
3) den beiden seitlichen Pleurocentren,
4) dem Hypocentrum pleurale, welches zwischen je zwei Hypo-
centra arcalia liegt.
Die Anschauung von Gaudry und Fritsch ist nun:
Das Hypocentrum arcale ist der eigentliche Wirbel-
körper der Amnioten; die Pleurocentren sind nach Fritsch
die vordern Gelenkfortsätze, Sphenodon (Hatteria); das Hypo-
centrum pleurale ist homolog den Hypapophysen, das heißt
untern Bögen der Amnioten. Gaudry erblickt im Hypocentrum
arcale + den beiden Pleurocentren den eigentlichen Wirbelkörper.
Cope dagegen behauptet und Albrecht?) sowie Dollo:) und
ich*) haben sich ihm angeschlossen:
Das Hypocentrum arcale (Cope’s Intercentrum) ist homolog
den Hypapophysen d. h. untern Bögen der Amnioten.
Die Pleurocentra sind homolog dem eigentlichen Wirbel-
körper.
Das Hypocentrum pleurale trägt zur Vervollständigung des
Wirbelkörpers bei.
Im nachfolgenden werde ich nachzuweisen versuchen, dass nur
die Cope’sche Ansicht die richtige sein kann.
Historischer Ueberblick.
Die ersten Bemerkungen und Abbildungen über Wirbel, bestehend
aus „Pleurocentra“ und „Intereentra“, stammen vonH. v.Meyer und
1) Credner H., Die Stegocephalen aus dem Rotliegenden ... V. Teil.
Zeitschr. deutsch. geol. Gesellsch., Jahrg. 1885, S. 718—724.
2) Albrecht P., Note sur une h&mivertebre gauche de Python Sebae.
Dum. Bull. Mus. Roy. Hist. Nat. Belg., Bd. II, 1883, p. 22.
3) Dollo L., Note sur le Batracien de Bermnissart. Ibid. Bd. III, 1834,
p- 86; — Premiere note sur le Simoedosaurien d’Erquelinnes. Ibid. Bd. III,
1884, p. 165.
4) Baur G., The Intercentrum of living Reptiliaa Am. Nat., Febr. 1886,
p. 174; ders., Die zwei Centralia im Carpus von Sphenodon (Hatteria) und
die Wirbel von Sphenodon und Gecko vertieillatus Laur, (@. Verus, Gray).
Zool. Anz., Nr. 219, 1886.
304 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Ammnioten.
Plieninger!). Eine genauere Homologisierung ist aber nicht ge-
geben.
Im Jahr 1854 sagt H. v. Meyer in Mitteilungen, an Professor
Bronn gerichtet (Neues Jahrbuch f. Min., 1854, S. 424—426), folgen-
des über die Wirbel von Archegosaurus:
S. 424. „Unterwirft man die von den Wirbeln herrührenden Ueber-
reste einer genauern Untersuchung, so erlangt man die Ueberzeugung,
dass in Archegosaurus die Rückensaite (Chorda dorsalis) gar nicht
gegliedert, nicht in einzelne Wirbelkörper getrennt sein konnte, sie
muss vielmehr einen ungegliederten Zylinder von weicher Beschaffen-
heit dargestellt haben, woran peripherisch knöcherne Teile ange-
bracht waren. Es ist dies ein Charakter, der vorzugsweise den
Embryonen eigen ist, doch treten auch, insbesondere bei den Fischen,
die verschiedenen Entwicklungs-Phasen des Embryos als feststehende
Typen, niedrigere Organisations-Stufen bildend, auf, deren geologische
Wichtigkeit Agassiz und hierauf Heckel erfolgreich nachgewiesen
haben. Dass ein ähnliches Verhältnis sich bei den Reptilien vorfinden
würde, war bisher nicht einmal vermutet worden“. v. Meyer unter-
scheidet folgende knöcherne Wirbelteile:
1) einen dachförmigen obern Bogen,
2) eine untere, äußerst schwach gebogene horizontale Platte,
welche den Wirbelkörper vertritt,
3) einen vertikalen keilförmigen und mit der Spitze abwärts ge-
richteten Knochen an der Außenseite zwischen je zwei Wirbeln
und zwar an der Stelle, wo das den Nerven zum Ausgang
dienende Intervertebral-Loch sich vorfindet.
Im Schwanz treten hiezu noch andere peripherische Teile, nament-
lich ein knöcherner unterer Bogen.
Von großem Interesse, sagt er, ist das Wirbelsäulenstück, welches
aus dem Alaunschiefer der Lettenkohle von Gaildorf stammt?).
S. 426. „Es besteht aus 3 noch zusammenhängenden Wirbeln. —
Diese Wirbel sind denen im Archegosaurus analog gebildet. Außer
dem Bogen erkennt man die den Wirbelkörper vertretende Knochen-
Platte, welche von der in Archegosaurus nur dadurch verschieden ist,
dass die bei letztem eigentlich gar nicht in betracht kommende Außen-
seite auffallend hoch sich darstellte, indem sie unter Zuspitzung bis
zum obern Bogen reicht, was dem Querschnitt der Platte eine huf-
eisen- oder halbringförmige Gestalt verleiht. Der keilförmige Knochen
an der Außenseite ist auch hier vorhanden und schloss den durch die
1) Meyer H. v.und Plieninger Th., Beiträge zur Paläontologie Württem-
bergs, Stuttgart 1844, Taf. VII, Fig. 5 u. 6, (Wirbel mit großen Intercentra)
S. 39—40 und 67.
9) Meyer H. v. und Plieninger Th., Beiträge zur Paläontologie Würt-
tembergs, Stuttgart 1844, $. 39, Taf. VII, Fig. 5, 6; Meyer H. v., Saurier
des Muschelkalkes, Taf. 29, Fig. 15.
Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 335
aufwärts gehende Zuspitzung der Außenseite der Wirbelplatten ent-
stehenden unbedeckten Raum wohl bis auf ein geringes Intervertebral-
Loch, durch das die Verbindung des Rückenmarkes mit den Nerven
unterhalten wurde“.
Meyer’s Hauptuntersuchungen über diesen Gegenstand finden
sich aber in seinem großen Werk über die Reptilien der Steinkohlen-
formation }).
S. 95—104 wird die Wirbelsäule von Archegosaurus behandelt.
H. v. Meyer beginnt mit den Worten: „Die Beschaffenheit der
Wirbelsäule in Archegosaurus war meinen Vorgängern gänzlich ent-
gangen“ und S. 97 sagt er: „Wenn man die trefflichen Untersuchungen,
die wir von Bär, Joh. Müller, Rathke und andern über die Ent-
wicklung der Wirbelsäule während des Fruchtlebens der Tiere und
in der nächstfolgenden Zeit verdanken, zu Rat zieht, und sich dabei
der ausgewachsenen Knorpelfische als Vergleichungsmittel bedient, so
wird man dahin gelangen, sich eine richtige Vorstellung von der Be-
schaffenheit der Wirbelsäule in Archegosaurus zu machen“.
Wie früher unterscheidet v. M.: obern Bogen, untern Bogen, und
die seitlichen Keile.
Der obere Bogen entsteht zuerst, und zwar aus 2 Seitenteilen.
Die Verwachsung der beiden Bogenhälften ist wahrscheinlich erst nach
dem mittlern Alter des Tiers eingetreten. Vordere und hintere Gelenk-
fortsätze sind wohl entwickelt, ebenso findet man am vollständig ent-
wickelten Bogen eine den Querfortsatz vertretende Anschwellung,
welche die Rippe aufnahm.
Nach dem obern Bogen tritt der untere auf, er mochte, so lange
er aus Knorpel bestand, analog dem obern Bogen, aus 2 Teilen be-
standen haben. Ob auch die Verknöcherung aus 2 Punkten ausging,
ist unsicher. Nur an einem Exemplar fand H. v. M. die untere Platte
als ein Paar rundliche Knorpelblättchen gebildet, aber nur in der
vordern Gegend des Rumpfes. Dahinter stellt sich schon die einfache
Platte dar, anfangs allerdings in einer Gestalt, welche der Vermutung,
dass sie aus 2 Plättehen hervorgegangen, günstig wäre. Diese Platten,
auf denen die Rückensaite lag, schlossen nicht dicht aneinander an,
sondern waren durch kleine knochenlose Zwischenräume von einander
getrennt.
v. M. bielt anfangs die untere Platte für den Wirbelkörper; da
aber bei allen Tieren die Verknöcherung des Wirbelkörpers immer
ringförmig ist, so nimmt er an, dass bei Archegosaurus eine Ver-
knöcherung des Wirbelkörpers gar nicht stattfand, und dass die Platte
einer Ausstrahlung aus dem Wirbelkörper ihren Ursprung verdankt.
„Diese untere Platte lässt sich am besten dem sogenannten accessori-
schen Knochenstück oder Schlussstück des Atlas anderer Tiere, das
4) H. v. Meyer, Reptilien aus der Steinkohlenformation in Deutschland,
Juli 1857, Palaeontographica, Bd. VI. Kassel 1856—1858.
nn
336 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten.
irrtümlich für den Körper des Atlasses gehalten wurde, vergleichen.
Dieses Knochenstück ist nichts Anderes als ein modifizierter unterer
Bogen. Dieselben Bildungen sind die Knochenkeile in den ersten
Halswirbeln des Ichthyosaurus |Egerton, Trans. geol. Soc., London,
2. Ser., V, p. 187, t. 14], und die Zwischenwirbelbeine von
Sphenosaurus (Saurier des Muschelkalkes, S. 141, t. 70).
Bei den Fischen ist dieser untere Bogen nicht einfach, sondern
doppelt. Er stellt getrennte Bogenteile dar, mit mehr oder weniger
deutlichen Fortsätzen, die sich im Schwanze zu Bogen mit Stachel-
fortsätzen ausbilden. In den Knorpelfischen (Stör) tritt unten an jeder
Seite der weichen Chorda ein schwach gebogenes, länglich viereckiges
Knorpelstück auf, das früher Basilarknorpel genannt wurde und den
untern Bogen darstellt. Denkt man sich diese beiden Knorpelstücke
vereinigt und verknöchert, so hat man eine Knochenplatte, die der in
Archegosaurus vollkommen ähnlich ist. Deutlicher noch tritt diese Er-
scheinung bei den sogenannten halbwirbeligen Ganoiden auf (Heckel,
Sitzungsber. d. k. Akad. in Wien, 1850, V, 8.143, 358; Thiolliere,
poissons foss. du Jura dans le Bugey, p. 6).
„Es gehört sonach die untere Platte in Archegosaurus wohl un-
bezweifelt dem untern Bogen an, was noch dadurch eine Bestätigung
erhält, dass je eine solche Platte selbst in der Rückengegend nicht
genau unter einem, sondern mehr zwischen je 2 obere Bogen zu liegen
kommt, und dass die Platte in den Schwanzwirbeln sich zu einem
vollständig ausgebildeten untern Bogen mit einem sehr geräumigen
Loche und Durchgang für die starken Blutgefäße und mit einem
Stachelfortsatz entwickelt. Die Seiten der Platte nehmen in den ältern
Tieren wohl an Höhe zu, doch betrug diese selbst in den Schwanz-
wirbeln kaum mehr als die halbe Höhe der ungegliederten Rücken-
seite, der durch sie eine knöcherne Stütze ward“. Ob der Bogen
anfangs in zwei Hälften getrennt war, ließ sich nicht ermitteln.
Die seitlichen Keile verknöchern zuletzt. „Zwischen je zwei
obern Bogen oder vielmehr in der hintern Gegend des untern Teils
einer jeden Bogenhälfte tritt vertikal, mit der Spitze abwärts gerichtet
und auf die Lücke zwischen je zwei untern Platten deutend, ein
knöcherner Keil auf, der sich anfangs als ein schmälerer Knochen
zu erkennen gibt. — Diese Keile sind nicht auf die obern Bogen
beschränkt; in der vom Schwanz eingenommenen Strecke finden sie
sich auch zugleich zwischen je zwei untern Bogen, mit dem spitzern
Teil aufwärts gerichtet, vor, und es scheint fast, als wenn zwischen
den untern Bogen mehr als ein Paar solcher Keile vorhanden ge-
wesen wäre.
Diese Keile finden sich ebenfalls bei den Knorpelfischen. Bei
Aceipenser, Chimaera finden sich nach J. Müller zwischen den Seiten-
teilen der obern Bogen, der Gelenkfläche von je zwei Wirbeln und
nicht wie der wirkliche obere Bogen der Mitte eines Wirbels ent-
Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 337
sprechend, mithin ganz an derselben Stelle, wo in Archegosaurus die
keilförmigen Knochen liegen, Knochenplättehen von meist unregel-
mäßiger dreieckiger Form auf. Diese Knochenplättchen, die einfach
und doppelt vorhanden sein können, erscheinen auch zwischen den
untern Bogen“.
Zusammenfassung.
Die Chorda ist ein ungegliedertes Rohr. Eigentliche Wirbelkörper
kommen nicht zur Bildung; dagegen
1) die obern Bogen, sie treten zuerst auf, und entstehen aus
zwei seitlichen Elementen.
2) Die untern Bogen, vielleicht aus 2 Elementen sich ent-
wickelnd; ihnen sind homolog das untere Schluss-Stück des
Atlas, die Hypapophysen der Cervikalwirbel der Reptilien;
und die „Zwischenwirbelbeine“ von Sphenosaurus, sowie die
„Basilarknorpel“ der Knorpelfische; sie wachsen im Schwanz
zu den untern Bögen (Chevron-Bones) aus.
3) Die seitlichen Keile, sie entstehen zuletzt und sind den
Knorpelbildungen bei den Knorpelfischen (Aceipenser, Chimaera)
homolog. Im Schwanz sind sie stärker entwickelt als im
Rumpf.
Owen R., On the orders of Fossil and Recent Reptilia, and their
Distribution in Time. Brit. Assoc. Rep. (Aberdeen 1859) London 1860.
p- 157 gibt folgende Darstellung der Wirbelsäule von Archegosaurus,
wohl zum größten Teil nach H. v. Meyer. „The vertebrae of the
trunk in the fully developed full-sized animal present the following
stage of ossification. The neurapophyses coalesce at the top to form
the arch, from the summit of which is developed a compressed, sub-
quadrate, moderately high, spine; with the truncate, or sligthly convex,
summit expanded in the fore-and-aft direction, so as to touch the
contiguous spines in the beck; the spines are distinet in the tail. The
sides of the base of the neural arch are thiekened and extended
outwards into „diapophyses“ having a convex artieular surface for
the attachment of the rib; the fore part is slightly produced at each
angle into a zygapophysis looking upward and a little forward; the
hinder part is much produced backwards, supporting two thirds of the
neural spine, and each angle is developed into a zygapophysis with
a surface of opposite aspects to the anterior one. In the capsule of
the notochord three bony plates are developed, one on the ventral
surface, and one on each side, at or near the back part of the dia-
pophysis these bony plates may be termed „eortical parts“ of the
centrum, in the same sense in which that term is applied to the
element which is called „body of the atlas“ in Man and Mammalia,
and „subvertebral wedge-bone“ at the fore part of the neck in
Enaliosauria.
As such ventral or inferior eortical element co-exists with the
VI. 9
Ben.
338 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten.
separately ossified centrum in certain vertebrae of the Ichthyosaurus, thus
affording ground for deeming them essentially distinet from a true
centrum, I have applied the therm „hypapophysis“ to such inde-
pendent inferior ossifiecations in and from the notochordal capsule,
and by that term may be signified the sub-notochordal-plates in
Archegosaurus, which co-exist with proper „hemapophyses“ in
the tail.“
Dieselben Angaben finden sich in Owen’s Palaeontology. Sec.
Edit. Edinburgh, 1861.
Für Archegosaurus schuf Owen eine besondere Ordnung: die der
Ganocephala.
Die erste genauere Mitteilung von Cope tiber die Wirbelsäule
der Batrachier und Reptilien der Permformation von Texas geschah
am 5. April 1878 vor der American Philosophical Society, Phila-
delphia }).
p- 510 sagt Cope über die Wirbel von Clepsydrops (Rept. Order.
Pelyeosauria.): „There are mostly small intercentra throuhgout the
dorsal and caudal series, in the latter prolonged into two processes
below, constituting chevron bones.“
p. 522 sagt er über Cricotus (Batr.): „The intereentra are more
largely developed than in any other genus, having the form and pro-
portions of the centra in the caudal region, and being but little
smaller in other portions of the column. In the prepelvic region, the
true centra only bear neural arches, which are artieulated, and bear
short diapophyses at their base. On the caudal region they share the
neural arches with the intercentra, while the latter bear the conti-
nous chevron bones exelusively.“
p- 524. Trimerorhachis insignis (Batr.).
„The eentrum is represented by three cortical ossifications of the
chorda-sheath, a median inferior, and two lateral. The lateral pieces
are quite distinet from each other, and are in contact with the
neurapophyses above, and the posterior border of the median segment
in front. The neural arch joins chiefly the lateral elements, but is
in slight eontaet with the lateral summits of the inferior element.“
Am Schluss dieser Arbeit stellt Cope folgende Sätze auf. p. 530.
„d. That in the primitive land vertebrata of the Permian, the
place of the vertebral centrum was occupied by two elements the
centrum and intereentrum.
6. That the intereentrum, from a position of primary impor-
tance, as in Rhachitomus and Trimerorhachis, became reduced, and
finally mostly obliterated, but that it remains at the present day in
4) Cope E. D., Desceriptions of extinet Batrachia and Reptilia from the
Permian Formation of Texas. Proc. Am. Philos. Soc. XVII. 101. Palaeont.
3ullet. Nr. 29. Vergleiche auch Cope E. D. A new Fauna. Amer. Naturalist.
May 1878. p. 328.
Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 339
the anterior dorsal region of some Lacertilia; and as the chevron
bones of most reptiles and some mammals.“
Nun folgt die erste Arbeit von A. Gaudry!').
p. 5 (Separatabdruck) sagt Gaudry über Actinodon (Batrach.)
„Le eentrum est compos£& de trois os. — L’os inferieur est le plus im-
portant.“ (Conf. Nouv. Arch. Mus. Hist. Nat. t. III. 1867.)
p. 7. „Les os lateraux du centrum, qu’on peut appeler pleuro-
centrum pour les distinguer de l’os inferieur. .. .*
Am 5. Juni 1880 erschien Cope’s zweiter Beitrag über die Verte-
braten der Permformation von Texas ?).
Er stellt Archegosaurus, Actinodon, Trimerorhachis, Rhachitomus
und Eryops zu den Ganocephala Owen, welche er folgendermaßen
charakterisiert: p. 14.
„Vertebrae eonsisting of centra and intercentra, the former not
extending to the base of the vertebra, the latter not rising to the
neural canal. The centrum eonsisting of two parts distinet from the
superior neural arch; viz., a lateral piece (pleurocentrum), on each
side. Atlas eonsisting of separate segments, the superior of which
are not united above the neural canal, and the inferior (intercentrum)
divided on the middle line, into two segments.“
Von Eryops sagt Cope p. 14: „The largest element of the ver-
tebra is the intercentrum — which occupies the entire inferior sur-
face of the vertebra. The element representative of the centrum is
wedged in between the superior external angles of adjacent inter-
centra, as in Trimerorhachis.“
Von diesem p. 18: „The portion of the atlas which represents
the intercentrum is divided into two lateral portions, each of which
has the form of an entire intercentrum, i. e., erescentic. The inter-
centrum of a cervical of a large species of this group, is wider than
that of the other vertebrae, and presents two articular facets anteriorly.“
Wir werden später sehen, dass diese Verhältnisse von sehr großer
Wichtigkeit sind.
Im April 1882 schuf Cope) die Subordnung Rhachitomi für
Trimerorhachis, Eryops, Actinodon, Zatrachis; da Fritsch angegeben
hatte, die Wirbel von Archegosaurus wären nicht segmentiert.
1883 beschrieb Gaudry) die Wirbel von Enchirosaurus und
gab dem „Intercentrum“ Cope den Namen Hypocentrum.
1) Gaudry A., Les reptiles de l’&poque permienne aux environs d’Autun.
Bullet. Soe. g&ol. France 3e ser. t. VII. s6ance du 16. Decembre 1878.
2) Cope E. D., Second contribution to the history of the Vertebrata of
the Permian Formation of Texas. (Read bef. the American Philos. Soc. May 7.
1880. Pal. Bull. Nr. 32.)
3) Cope E. D., The Rhachitomous Stegocephali. Am. Nat. April 1882.
p. 335.
4) Gaudry A., Les enchainements du Monde animal dans les temps g&o-
logiques. Fossiles Primaires. Paris 1833. p. 273. FE
340 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten.
Im Januar 1884 gab Cope eine nähere Charakteristik der Perm-
Batrachier ).
Er stellt eine Gruppe auf:
„Supra oceipital, intercalary and supratemporal bones present.
Propodial bones distinet“ und unterscheidet
1) Rhachitomi. „Vertebrae centra, including atlas, segmented,
one set of segments together suppording one arch.“
2) Embolomeri?). „Vertebral segmented, the superior and in-
ferior segments each complete, forming two centra to each arch.“
3) Stegocephali. „Vertebral centra, including atlas, not seg-
mented; one to each arch.“
Die Rhachitomi enthalten die Genera: Trimerorhachis, Eryops,
Acheloma, Anisodexis, Zatrachys Cope, Archegosaurus Goldf., Ac-
tinodon, Euchirosaurus Gaudry.
Die Embolomeri enthalten das Genus Cricotus Cope.
Nun sind die Mitteilungen von Fritsch?) zu betrachten.
Er beschreibt die Kaudalwirbel von Diplovertebron, welche ebenso
wie die von Cricotus sich verhalten. Ferner erhalten wir eine neue
Beschreibung der Wirbelsäule von Archegosaurus. Fritsch nimmt
an, dass der embolomere Wirbelbau sich aus dem rhachitomen ent-
wickelt habe, indem sich die Pleurocentra zu einer vollkommenen
Wirbelscheibe vereinigten.
Von sehr großem Interesse ist die Wirbelsäule von Chelydosaurus.
Hier lernen wir zum ersten mal ein neues Element der Wirbelsäule
kennen, das Hypocentrum pleurale; ich muss hierauf etwas
näher eingehen.
S. 24 sagt Fritsch:
„Der Bau der Wirbel ist im allgemeinen „rhachitom“. Bei der
Ansicht von unten sehen wir an den ältern Exemplaren wohl
verknöcherte Wirbelkörper: die Hypocentra, welche ich, weil sie
unter dem Neuralbogen liegen, Hypocentra arcalia nenne. — In
den Zwischenraum zwischen zwei aufeinander folgenden dieser Hy-
pocentren schieben sich von der Seite her die beiden Pleurocentra
als zwei keulenförmige dreieckige Knochen. — An dieser Figur ent-
deckte ich noch an zwei Präsakralwirbeln Reste von Wirbelkörpern,
die zum Pleural-Abschnitt gehören, und welche ich Hypocentrum
pleurale nenne. — An den Schwanzwirbeln erscheinen diese Hypo-
centra pleuralia mutmaßlich als untere Dornfortsätze, resp. als untere
Bogen“.
Wir kommen nun auf einen sehr wichtigen Punkt zu sprechen:
1) Cope E. D., The Batrachia of the Permian Period of North America.
Am. Nat. Jan. 1884. p. 26—39.
2) Amer. Naturalist. 1880. p. 610.
3) Fritsch A., Fauna der Gaskohle und der Kalksteine der Permforma-
tion Böhmens, Bd. II, Heft. 1, Prag 1885.
Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 341
auf die Wirbelsäule von Sphenosaurus Sternbergii H. v. M. Zuerst
ist es nötig der Beschreibung von H. v. Meyer!) zu gedenken.
„Die Rückenwirbel besaßen starke Gelenkfortsätze, welche die
Länge des Wirbelkörpers nicht viel überragten, dafür aber um so
mehr nach außen herausstanden, doch nicht so weit, als es jetzt in-
folge des Druckes der Fall ist.“ Das „Zwischenwirbelbein“,
das keilförmige Knöchelchen zwischen je zwei Wirbeln, erinnert etwas
an die Bildungen, welche Egerton im Hals von Ichthyosaurus be-
schrieben hat. „Die Knochenplatte, welche ich unten an der Rücken-
seite gewisser Labyrinthodonten auffand, ist von anderer Bedeutung,
da sie den Wirbelkörper vertritt, der dem Tier aus Böhmen nicht
fehlt.“ Wie wir wissen (conf. oben), hat H. v. Meyer diese Meinung
später zurückgenommen, und er setzt das „Zwischenwirbelbein“ homo-
log der horizontalen Platte von Archegosaurus, sowie den untern
Bogen der Vertebraten überhaupt.
Fritsch kommt zu total verschiedenen Ansichten. Er sieht in
den Gelenkfortsätzen die Pleurocentralia. In dem eigentlichen
Wirbelkörper das Hypocentrum arcale und im „Zwischenwirbel-
bein“, das Hypocentrum pleurale; stellt also Sphenosaurus nicht wie
H. v. Meyer zu den Reptilien, sondern zu den Batrachiern.
Basierend auf Fritsch’s Beschreibung kommt Cope?) zu folgen-
den Schlüssen.
„I. The prineipal vertebral bodies in the Sphenosauridae (Am.
Nat., 1885, p. 592) |Sphenosaurus and Chelydosaurus]|, if Fritsch’s
deseriptions be correct, are intercentra and not centra.
II. It is probable that the true centra become extincet in the
batrachian descendants of this family, so that the solid vertebrae of
such Batrachia are intercentra, and not centra.
III. The eharaeters of Cricotus on the other haud point to the
extinetion or reduction of the intercentra as we find it inthe Pelyco-
saurian Reptilia, and point to the probability of the Embolomeri being
ancestors of the Reptilia, as I have already suggested (Am. Nat.,
1884, p. 37).
IV. The Sphenosauridae (which must also include Sparagmites)
are intermediate between the Rhachitomi and Embolomeri, resembling
rather the latter in the completion of the true centrum, but resembling
the former in the incompleteness of the intercentrum“.
Kurz hierauf erschien die Fortsetzung von Fritsch’s Werk®):
Fritsch fasst seine Ansichten über rhachitome Wirbel fol-
sendermaßen zusammen S. 51.
4) Meyer H. v., Die Saurier des Muschelkalkes mit Rücksicht auf die
Saurier aus buntem Sandstein und Keuper. Frankfurt a. M. 1847— 1855. >. 141
b1s1142. Taf. 70:
2) Cope E.D., The Batrachian Intereentrum. Am. Nat., Jan. 1886, p. 76 — IT.
3) Fritsch A., Fauna der Gaskohle, Bd. II, Heft 2, Prag 1885.
349 Sternberg, Lehre von den Vorstellungen über die Lage unserer Glieder.
„Die Wirbel vom rhachitomen Bau sind am schwierigsten zu ver-
stehen, und ich kam erst am Schlusse meiner Studien durch Ver-
gleichung mit Hatteria und bei Berücksichtigung der Verhältnisse bei
Archegosaurus, Chelydosaurus und Sphenosaurus, wie ich glaube, zur
richtigen Auffassung.
Ein rhachitomer Wirbel besteht in seiner vollkommenen Ausbildung
aus 5 Elementen:
1) dem obern Bogen (Neurapophysis),
2) dem dazu gehörigen unvollständigen Wirbel- 7 Arcalsegment.
körper (Hypocentrum arcale),
3) u. 4) zwei seitlich gelegenen Pleurocentra, |
5) einem zu den Pleurocentra gehörigen keilför- Dlentalsermenk
migen rudimentären Wirbelkörper Hypocentrum
pleurale.
So finden wir denselben bei Sphenosaurus, bei den präsakralen
Wirbeln von Chelydosaurus und bei jungen Hatterien“.
(Schluss folgt.)
Zur Lehre von den Vorstellungen über die Lage unserer
Glieder ').
Von Maximilian Sternberg,
stud. med. in Wien.
Woher die Kenntnis von der Lage unserer Gliedmaßen stammt,
ist eine Frage, die von den Autoren sehr verschieden beantwortet
worden ist. Ch. Bell und nach ihm E. H. Weber, Bernhard,
Romberg, Duchenne, Vierordt, Sachs, Funke haben die
Quelle in Muskelempfindungen gesucht, Spieß, Lotze, Schiff in
Hautempfindungen. Rauber glaubte den Ursprung in Sensationen
der Vater’schen Körperchen gefunden zu haben, Bernhardt in
Empfindungen von Haut, Faszien, Periost und den durch die Muskeln
durchgehenden Nervenstämmen, Lewinski in Gelenks- und Knochen-
empfindungen; für einen gemischten Ursprung aus all diesen Sensa-
tionen haben sich Leyden, Meynert, Nothnagel, Hitzig,
Ferrier, Benediet, Erb, Eulenburg, Munk ausgesprochen.
Für die Perzeption aktiver Bewegungen scheint bereits Bell
an eine Beteiligung des Willensimpulses gedacht zu haben; bestimmter
hat dies Joh. Müller betont, dem sich Ludwig anschließt. Gräfe,
Helmholtz, Hering, Bain, Benediet, Bernstein, Weir
Mitchell, Stricker sehen diese zentrifugale Erregung als haupt-
sächlichen oder einzigen Faktor an; während Wundt daneben die
oben erwähnten sensibeln Eindrücke mitwirken lässt.
14) Aus Pflüger’s Archiv f. Physiologie, Bd. XXXVI.
Sternberg, Lehre von den Vorstellungen über die Lage unserer Glieder. 343
Meynert, dem Wernicke und Munk folgen, negiert bekannt-
lich die Existenz willkürlicher Bewegungen im gewöhnlichen Sinne
des Wortes, indem er diese durch das Bewusstwerden von Bewegungs-
vorstellungen ausgelöst werden lässt, welche zum Teile Residua der
peripheren Empfindungen bei der Bewegung sind, zum Teil aus den
„Innervationsgefühlen* der subkortikalen Zentren resultieren. Mit
diesen Innervationsgefühlen deckt sich ungefähr Duchenne’s hypo-
thetische „eonseienee musculaire“, später von ihm „aptitude motrice
independante de la vue“ genannt.
Die verschiedenen Ansichten sind zum größten Teile aus klinischen
Beobachtungen gewonnen worden, zum Teil stützen sie sich auf das
Tierexperiment. Einige Argumente entstammen auch der Selbstbeobach-
tung, sonst wurden am Gesunden noch Versuche mit Hautanästhesie
von Heyd und von Rosenthal angestellt.
Im folgenden sollen nun einige ganz einfache Versuche am ge-
sunden Menschen mitgeteilt werden, welche für die in Rede stehende
Angelegenheit nicht ohne Belang sein dürften.
Wenn man nämlich die Hand so fixiert, dass einer der dreigliedrigen
Finger — am besten der Zeigefinger — im Metakarpophalangealgelenke
und im Gelenke zwischen Grund- und Mittelphalange möglichst gebeugt
ist, während die andern Finger in allen Gelenken vollständig gestreckt,
womöglich dorsalflektiert sind, so ist die Endphalange des ge-
beugten Fingers aktivunbeweglich, wie aus den anatomischen
Verhältnissen leicht einzusehen ist.
Man macht nun den Versuch am bequemsten an sich selbst in
folgender Weise: Handteller, Mittel-, Ringfinger und kleiner Finger
der rechten Hand werden mit der Volarseite fest an die Tischplatte
angedrückt, Zeigefinger und Daumen, der letztere in Abduktionsstel-
lung, ragen über den Rand derselben hinaus. Unter die Gegend des
Carpus wird eine Unterlage von 1—2 cm Höhe gebracht. Nun wird
mit der linken Hand das Metacarpophalangealgelenk des Zeigefingers,
sowie das Gelenk zwischen Grund- und Mittelphalange möglichst
stark gebeugt. Intendiert man jetzt, ohne auf. die Hand zu
blicken, eine Beugung der Endphalange des Zeigefingers,
so glaubt man dieselbe wirklich auszuführen. Ein Blick
auf den Finger lehrt, dass dies eine Täuschung ist.
Wenn man einem andern bei verbundenen Augen die Hand in die
angegebene Stellung bringt und ihn auffordert, die Endphalange des
Zeigefingers zu beugen und dem Zeigefinger der andern Hand die-
selbe Stellung zu geben, so sieht man, dass der Betreffende glaubt,
er habe wirklich gebeugt.
Wir setzen also den Effekt der Muskelkontraktion als selbst-
verständlich voraus, wir verknüpfen mit dem Willensimpulse sofort
die Vorstellung von der Bewegung, so dass wir dieselbe für wirklich
ausgeführt halten, wenn sie auch gar nicht eingetreten ist.
944 Sternberg, Lehre von den Vorstellungen über die Lage unserer Glieder.
Herr Prof. Sigmund Exner, dem ich diese Versuche mitteilte,
machte mich darauf aufmerksam, dass man auch von den Kaumuskeln
eine ähnliche Täuschung erhalten könne. Fixiert man nämlich den
Unterkiefer bei geöffnetem Munde, indem man etwa ein Stück Hart-
gummi zwischen die Zähne hält, und beißt schwach darauf, so hat
man täuschend die Vorstellung, als ob sich die Kiefer einander näher-
ten und die Zähne in den harten Gegenstand eindrängen. Man kann
sich indess am Hartgummi leicht vom Gegenteil überzeugen, und eine
Lokomotion der Zähne in den Alveolen tritt bei mäßigem Drucke
gewiss nicht ein.
Es sind diese Versuche analog den Beobachtungen bei Paresen,
bei Tenotomien und Myotomien, bei Amputationen (Gräfe, Weir
Mitchell, Wundt u. a.), in welchen Fällen die Kranken über die
Größe der Bewegung, über die Lage der Glieder im Irrtume waren.
Inwieweit es sich in unserem Falle um rein zentrale Vorgänge handelt,
inwiefern Empfindungen von dem Kontraktionszustande der Muskeln
hiebei eine Rolle spielen, ist natürlich daraus allein nicht zu ent-
scheiden, doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass für die Beurteilung
des Maßes der Bewegung der letztere Faktor von Bedeutung ist.
Täuschungen durch unsere Sinne sind nur dann möglich, wenn
die Kontrole von seiten anderer Sinne fehlt. Bei unsern Versuchen
wird offenbar auf die Kontrole, welche die Empfindungen in den an-
geblich bewegten Gliedern bieten, nicht geachtet. Diese Kontrole ist
aber auch eine ziemlich mangelhafte, wie ein weiterer Versuch
lehren mag:
Schaltet man nämlich in der angegebenen Weise die Muskel-
wirkung auf die Endphalange eines Fingers aus, gibt der letztern
dann bestimmte Lagen und lässt den Untersuchten dem entsprechen-
den Finger der andern Hand dieselben Positionen erteilen, so sieht
man — wenn die Hand exakt fixiert ist — bedeutende Abweichungen.
Man kann sich dagegen überzeugen, dass unter normalen Verhältnissen
die Glieder der einen Extremität die der andern erteilte Stellung mit
der größten Präzision nachahmen, „so dass mit dem bloßen Auge
nicht leicht Differenzen zu erkennen sind“ (Leyden).
Es hat also in dem letzten Versuche durch die Ausschaltung der
Muskelwirkung die Genauigkeit der Vorstellungen von der Lage des
Gliedes bedeutend gelitten, es müssen daher die Empfindungen, die
aus der Spannung von Muskel und Sehne resultieren, für das Zustande-
kommen präziser Vorstellungen notwendig sein. Da indess mit der
Aufhebung der Muskelwirkung die Vorstellung von der Lage des
Gliedes nicht vollständig aufgehoben ist, so müssen wir noch Empfin-
dungen von den bewegten Teilen haben, welche zu einer solchen
einigermaßen beitragen können. Das mögen nun Sensationen in der
Haut, den Gelenken etc. sein.
Es berechtigen demnach die dargelegten Versuche zu dem Schlusse,
Gaule, Bedeutung der Cytozoen für die Bedeutung der tierischen Zellen, 345
dass die Vorstellung von der Lage eines Gliedes auf dem
Zusammenwirken verschiedener Empfindungen beruht,
unter denen den Empfindungen in Muskel und Sehne eine
besondere Wichtigkeit zukommt; dass wir ferner bei
aktiven Bewegungen auf die von den bewegten Gliedern
uns etwa zukommenden Lageempfindungen nicht not-
wendig achten, sondern gewohnt sind, mit dem Willens-
impuls sofort die Bewegung für ausgeführt zu halten.
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg.
III. Sektion für Anatomie und Anthropologie.
2. Sitzung. Vortrag des Herrn Prof. Gaule (Leipzig) über die
Bedeutung der Cytozoen für dieBedeutung der tierischen
Zellen. Die Cytozoen, welche von mir vor einigen Jahren als aus
den Froscehblutkörperchen sich entwickelnde Wesen von freier Be-
weglichkeit beschrieben wurden, sind keine Parasiten, wie dies von
mehrern Autoren behauptet wurde. Alle die Gründe, welche für die
letztere Anschauung geltend gemacht wurden, sind nicht stichhaltig
und schon durch die in meiner ersten Abhandlung mitgeteilten That-
sachen widerlegt. Dass trotz dieser Thatsachen die Behauptung von
der parasitären Natur der Cytozoen überhaupt aufgestellt wurde, und
dass sie eine so beifällige Aufnahme fand, liegt in der Art des Phä-
nomens selbst. Es ist eine so außerordentliche Erscheinung, grade
aus den roten Blutkörperchen und deren krystallisiertem Inhalt Wesen
sich entwickeln zu sehen, die den Entwieklungsstufen gewisser nie-
derer Tiere sehr ähnlich sehen und die, wie diese, mit freier Selb-
ständigkeit und Beweglichkeit ausgestattet sind, dass man vergebens
versucht, dieses Phänomen auf eine andere Weise in den Rahmen
unserer heutigen Anschauungen einzupassen, als indem man ein para-
sitäres Verhältnis annimmt. Ich habe diese Schwierigkeit von vorn-
herein erkannt und habe auf sie auch sofort aufmerksam gemacht.
Ich habe mir aber auch gesagt, dass unsere heutigen Anschauungen
noch keineswegs eine wirkliche Lösung des Problems von der Natur
der Organismen enthielten, und dass es sehr wohl möglich sei, dass
eine ganz andere und bis dahin nicht geträumte Auflösung des Rätsels
uns die Sache in einem ganz andern Lichte müsse sehen lassen. Vor
allen Dingen erschien es mir unmöglich, die Thatsachen zugunsten
irgend welcher Anschauung zu unterdrücken, es erschien mir rich-
tiger, sie möglichst zu vervollständigen, in der Erwartung, dass sie
dann schon selbst ihre Wirkung auf die Anschauungen ausüben
würden. Im Verlauf meiner darauf gerichteten Untersuchungen bin
ich nun zunächst dazu gelangt, festzustellen, dass die Cytozoen eine
346 Gaule, Bedeutung der Cytozoen für die Bedeutung der tierischen Zellen.
ziemlich komplizierte Struktur haben. Sie besitzen vor allem einen
Kern, der sich mit allen Kernfärbemitteln färbt, und ihr Protoplasma
besteht aus zwei Substanzen, wovon diejenige, welche ich die nigro-
sinophile nennen will, die beide Spitzen der Cytozoen erfüllt, während
die andere die eosinophile Substanz in Gestalt zweier Körner in
einem hellen Raum zu beiden Seiten des Kerns liegt.
Das Cytozoon vereinigt auf diese Weise die Substanzen der bei-
den hauptsächlichsten im Froschblute vorkommenden Zellen, nämlich
der ganz nigrosinophilen, gewöhnlich amöboiden Zellen und der
Körnchen des Plasma oder eosinophilen Zellen. Es ist dabei zu be-
merken, dass die nigrosinophile und die eosinophile Substanz über-
haupt in allen Zellen wiederkehren und in verschiedener Weise ge-
mischt das Protoplasma zusammensetzen.
Nicht alle Cytozoen haben den eben geschilderten Bau, es kommen
im Froschblut verschiedene Formen von Cytozoen vor, welche teil-
weise als verschiedene Entwicklungsformen anzusehen sind. Die
eben geschilderte Form ist die typische. Es ist aber ferner
Gewieht darauf zu legen, dass fast jede Zellart, obgleich sehr viel
weniger häufiger als die Blutkörperchen, eine vollkommen reife Cyto-
zoenform auszubilden im stande ist, dass alle Zellenarten aber ganz
gewöhnlich unentwickelte Cytozoenformen bilden, und dass daher der
Reichtum an verschiedenen Cytozoenformen in ein und demselben Tier
ein sehr großer ist.
Interessant ist ferner, dass jede Tiergattung oder Spezies ihre
besondere Cytozoenform hat, so sind die von Rana temporaria anders
als die von R. esculenta. Die von Salamandra maculata, Tritgn eristatus
und T. taeniatus sind wie die Blutkörperchen dieser Tiere ungeheuer
groß und mit Geißeln versehen. Auch die von Danilewsky kürz-
lich beschriebenen von einer Schildkröte scheinen von denen des
Frosches abzuweichen. Am wichtigsten erscheinen die Cytozoen des
Menschen, welche in zwei Formen vorkommen, mit Geißeln und in
einer den Cytozoen des Frosches ähnlichen Form. Dieselben kommen
im Moment, wo das Blut die Gefäße verlässt, aus den Blutkörperchen
hervor und schmelzen sofort in der Flüssigkeit. Sie sind daher nur
sichtbar, wenn man, mit Hilfe einer besondern Methode, in diesem
Momente das Blut fixiert. Wendet man nicht ganz geeignete Metho-
den an, sö erscheinen nur unvollkommen ausgebildete und teilweise
abgeschmolzene Cytozoen, welche man seither als Hämatoblasten oder
Blutplättchen bezeichnete.
Zeigen die bisher mitgeteilten Thatsachen, dass den Cytozoen
eine große Bedeutung zukommt, so entscheiden sie doch noch nicht
die Frage, ob sie wirklich den Organismen, in denen sie vorkommen,
angehören. Denn die Erfahrung lehrt uns so mannigfaltige Mögliech-
keiten der Symbiose kennen, dass wir unsere Vorstellungen in dieser
Beziehung weit ausdehnen können. Aber hierdurch kommen wir zu
Gaule, Bedeutung der Cytozoen für die Bedeutung der tierischen Zellen. 347
einer ganz neuen Auffassung des Problems. Denn im Grunde ist ja
nach unserer jetzigen Auffassung bereits das Leben jedes aus mehrern
Zellen bestehenden höhern Organismus eine Symbiose.
Doch muss es ein Kriterium geben, welches ein solches Zusam-
menleben, wie es die zusammengehörigen Zellen eines höhern Orga-
nismus führen, zu unterscheiden gestattet von einem zufälligen Zu-
sammenleben. Ein solches ist vor allem der gemeinschaftliche Zweck.
Der gemeinschaftliche Zweck ist aber das Gesamtleben des Gesamt-
organismus. Wir würden also uns vor allen Dingen stets, und na-
mentlich hier inbezug auf die Cytozoen, fragen müssen: inwiefern
dienen die Einzelorganismen dem gemeinschaftlichen Zweck, d. h.
welche Rolle ist ihnen in dem Leben des Gesamtorganismus ange-
wiesen? Aber die Erfahrung hat uns misstrauisch gemacht, sie hat
uns gezeigt, dass dieses Kriterium allein noch nicht genügt, indem
sie uns bekannt machte mit Fällen, wo Wesen ganz verschiedener
Art sich doch in ihren Lebenszwecken unterstützen, also bis zu einem
gewissen Grad einen gemeinschaftlichen Zweck haben. Man muss
also noch ein weiteres Kriterium hinzufügen, nämlich das der ge-
meinschaftlichen Abstammung. Wir können uns ja die Entwicklung
eines jeden Wesens als eine Reihe von Stadien vorstellen, welche
nicht eine Kontinuität zu haben brauchen, sondern welche, wie in den
Fällen des Generationswechsels, sich sprungweise ändern können.
In diesen Fällen wird die Zusammengehörigkeit dieser einzelnen
Wesen, welche unter sich ja in allem abweichen können, dadurch
nachgewiesen, dass sie von einander abstammen und in einander
übergehen.
Ich habe diese beiden Kriterien auf die Cytozoen angewendet
und nachzuweisen versucht: 1) welche Rolle spielen sie in dem Le-
bensprozess des Gesamtorganismus? 2) von welcher Zellenart stam-
men sie ab, in welche gehen sie über? A priori lässt sich die Be-
antwortung der beiden Fragen von einander nicht trennen. Ich kon-
statierte nun zunächst, dass die Cytozoen in der Milz und nur in der
Milz (in einigen Ausnahmefällen auch in der Leber) die roten Blut-
körperchen verlassen und sich in die Milzzellen hinein begeben, und
zwar stets in eine Art protoplasmareicher Zellen, die in Gruppen zu-
sammenliegen. Um gleich einen Namen dafür zu haben, nenne ich
diese Zellen die Ammenzellen.
Die Gruppen der Ammenzellen liegen in der Milz des Frosches
zerstreut wie die Follikel in der Milz der Säugetiere. Ursprünglich
sind diese Gruppen klein und bestehen aus wenigen Zellen, sie wer-
den im Verlauf einer Periode, die ich gleich schildern werde, immer
größer und größer, und ändern dabei ihr Aussehen. Das nigrosino-
phile Protoplasma der Zellen füllt sich nämlich mit Pigmentkörnchen,
und zwar einem eigentümlichen Pigment von der Farbe des Blut-
farbstoffs. In dieser Periode der Bildung des Pigments gibt das Pro-
948 Gaule, Bedeutung der Cytozoen für die Bedeutung der tierischen Zellen.
toplasma der Ammenzellen (nicht das Pigment selbst) eine sehr schöne
Eisenreaktion mit Ferroeyankalium. Durch eine Reihe von Ueber-
gängen, deren Detail ohne eine sehr ausführliche Schilderung nicht
verstanden werden kann, entstehen nun in diesen Ammenzellen die
Jungen Blutkörperchen. Die Periode der geschilderten Vorgänge
dauert vom Herbst bis zum Frühjahr, d.h. es beginnt die Einlagerung
der Cytozoen im Herbst, es schwellen dann die Ammenzellengruppen
an, füllen sich gegen Mitte des Winters aufs diehteste mit Pigment,
zeigen im Beginn des Frühjahrs die jungen Blutkörperchen und ent-
leeren dieselben wahrscheinlich schon mit den ersten Bewegungen im
Frühjahr.
Während die jungen Blutkörperchen auf diese Weise neu gebildet
werden, gehen die alten, aus welchen die Cytozoen ausgewandert
sind, allmählich zugrunde, indem sie in der Pulpa der Milz und in
den Inseln der Leber stecken bleiben, und man sieht diese mehr und
mehr sich füllen. Die Blutmenge des Frosches sinkt auf diese Weise
während des Winters fortwährend herab, bis auf ein Minimum, und
schwillt im Frühjahr plötzlich wieder an. Sehr wichtig ist, dass man
diesen Vorgang experimentell beherrschen kann. Wenn man einen
Frosch mit 0,6—1 mg Pilokarpin während des Winters vergiftet,
etwa November bis Dezember, so beginnen schon nach 6 Stunden in
den vorher mit Pigment gefüllten Ammenzellen sich die charakteristi-
schen Bildungsstadien der Blutkörperchen zu zeigen, nach 24 Stunden
ist alles Pigment aus der Milz verschwunden, nach 48 Stunden bilden
sich neue Ammenzellengruppen, nach 96 Stunden lagern sich wieder
Cytozoen in dieselbe ein, und es beginnt wieder die Pigmentbildung.
Gleichzeitig konstatiert man eine kolossale Vermehrung der zirku-
lierenden Blutkörperchen. Zählungen ergeben, dass dieselbe von
Stunde zu Stunde steigt und das Maximum nach etwa 12 Stunden
mit dem Doppelten der ursprünglichen Zahl erreicht. Unter diesen
zirkulierenden Blutkörperchen finden sich auffallend viel unfertige,
unvollkommene Formen; an einzelnen hängen noch die Kränze von
Pigmentkörnehen, mit denen sie in der Ammenzelle zusammenhängen.
Wie man aber durch die Pilokarpinvergiftung den Ablauf dieses
Phänomens beeinflussen kann, so kann man es auch durch jede Ver-
änderung der Lebensweise. Normal, wie hier geschildert, vollzieht
sich dieses Phänomen der Umbildung des Blutes nur, wenn der Frosch
seinen normalen Winterschlaf hält. Die Gefangenschaft, ja jede ab-
norme Wärme während des Winters, vor allem die Trockenheit und
noch mehr das Licht beeinflussen es im höchsten Grade. Alle diese
Reize wirken zunächst so auf den Frosch, als ob das Frühjahr ge-
kommen wäre und er nun rasch seine Blutbildung zu Ende führen
müsse. In zweiter Linie wirken sie dann aber auch als veränderte
Lebensbedingungen, denen der Frosch sich anpassen muss, und es
entstehen dann statt der roten Blutkörperchen auch weiße aus den
Gaule, Bedeutung der Cytozoen für die Bedeutung der tierischen Zellen. 349
Cytozoen. Die Umwandlung der Cytozoen in den Ammenzellen kann
also eine ganz verschiedene sein. Bei der Umbildung in rote Blut-
körperchen scheiden sie nun eine fettartige Substanz ab, welche sie
einhüllt und an deren Rändern das Pigment auftritt. Werden sie
dagegen in weiße Blutkörperchen umgewandelt, so liegen sie direkt
in dem Protoplasma der Ammenzelle, und dann zerfallen sie in ihre
drei Hauptbestandteile, in den Kern, in die eosinophile und die nigro-
sinophile Substanz. Und jeder dieser Bestandteile kann sich für sich
weiter entwickeln zu einer Zelle, und zwar sowohl für sich allein, als
auch indem er sich mit andern gleichartigen Zellen vereinigt. Der
Kern entwickelt sich zu kleinen runden, den Follikelzellen des Menschen
ähnlichen Zellen, die nigrosinophilen und eosinophilen Teile, zu den
Zellen mit dem entsprechenden Protoplasma.
Man könnte nach diesen Mitteilungen glauben, dass man die
Cytozoen anzusehen habe als die Zwischengeneration der roten Blut-
körper, gewissermaßen ihr bewegliches, ihr Leukocytenstadium. Aber
das erschöpft die Sache noch durchaus nieht. Es werden nämlich im
Sommer während der Fressperiode auch Blutkörperchen gebildet, und
dann sind die Vorgänge ganz andere; es tritt das Phänomen nur auf
bei geschlechtsreifen Fröschen, es tritt in etwas verschiedener Weise
auf bei Männchen und Weibchen, und es ist begleitet von dem Ein-
treten gewisser Färbungen der Haut, die man als eine Schmuckfarbe
bezeichnen kann und die einen geschlechtlichen Charakter hat. Man
muss daher auf den Gedanken kommen, dass die Cytozoen nicht bloß
zur Blutbildung, sondern auch zu den geschlechtlichen Funktionen in
Beziehung stehen, und dann sieht man ohne weiteres, dass die ge-
schilderte Umbildung des Blutes während des Winters in einem Zu-
sammenhang stehen muss mit der während der gleichen Zeit erfol-
genden Reifung der Geschlechtsprodukte. Miescher hat uns gezeigt,
wie bei dem Lachs während der Hungerperiode im Flusswasser das
Blut in der Milz festgehalten wird, wie unterdessen in den Muskeln
eigentümliche Veränderungen stattfinden, die schließlich dazu führen,
dass die Bestandteile der Muskeln zum Aufbau der Geschlechtsorgane
verwendet werden.
Auch bei dem Frosch finden während der Hungerperiode merk-
würdige Veränderungen statt, die, wenn sie rasch verlaufen, dazu
führen können, dass die Bestandteile der quergestreiften Substanz in
die Kerne übergeführt werden, dass in diesen Kernen eigentümliche
Zellen gebildet werden, welche in das Blut und mit diesem in die
Leber gelangen. In der Leber werden diese Zellen umgebildet, und
ihre Bestandteile gelangen in das Protoplasma der Leberzellen, welche
dadurch eine ganz eigentümliche Beschaffenheit annimmt. Dann aber
treten in den Blutkörperchen eigentümliche Einlagerungen auf, die
der Ausgangspunkt der Cytozoenbildung sind. Es sind also die aus
den Muskeln herstammenden Bestandteile, welche die Cytozoenbildung
550 Gaule, Bedeutung der Cytozoen für die Bedeutung der tierischen Zellen.
hervorrufen, und diese Bestandteile sind bestimmt, zum Aufbau der
Geschlechtsprodukte verwendet zu werden.
Eine Reihe von Betrachtungen, welche ich anzuführen der Kürze
halber unterlassen muss, führen mich nun zu dem Schluss, dass es
wesentlich das Zusammentreffen von Bestandteilen verschiedener Ge-
webe des Organismus in einer und derselben Zelle ist, wie es in den
Blutkörperchen stattfindet, wenn dieselben das Material zum Aufbau
der Geschlechtsprodukte in dem Geschlechtsorgan zusammenführen,
denn dieses Material muss notwendig, wenn der junge Organismus
ein Abbild des alten werden soll, auch die Teile der alten vertreten.
Es würde also das Cytozoon ein Individuum sein, welches die Ge-
samtheit der Gewebe des Organismus, welches auch beide Geschlechter
in sich vereinigt.
Eine viel weitere Ausdehnung erhält diese Betrachtung durch die
Beobachtung, dass die Cytozoen selbst zerfallen können in kleinere
Individuen, welche Form oder Eigenschaften der Gesamteytozoen wie-
derholen. Von diesen lassen sich nur zwei Haupttypen unterschei-
den, und diese beiden Typen der, wie ich sie nennen will, unvoll-
kommenen Cytozoen, und die man unterscheiden kann als Karyozoen
und Plasmozoen, spielen die größte Rolle in allen Gewebsbildungen.
Es gibt fast keinen intensivern Vorgang, der sich im Organismus ab-
spielt, bei dem es nicht zu einer Entwicklung dieser unvollkommenen
Cytozoen käme. Um ein Beispiel anzuführen, will ich bemerken, dass
eine Strychninvergiftung beim Triton zu einer außerordentlichen Ent-
wicklung des Karyozoon aus den Kernen der Zellen der grauen Sub-
stanz des Rückenmarks oder Gehirns führt. Ich will auf die Kon-
sequenzen hier nieht näher eingehen, ich will nur meine Anschauung
formulieren. Das Cytozoon ist die Grundform desjenigen Wesens,
aus dem die höhern Organismen hervorgehen, der Zerfall in Keim-
blätter und der damit zusammenhängende Zerfall in Geschlechter ent-
spricht dem Zerfall des Cytozoons. Die Zellen der einzelnen Gewebe
entstehen durch Kombination der aus dem Zerfall der Cytozoen ent-
standenen Einzelwesen; wo die Bestandteile der verschiedenen Gewebe
wieder in einer Zelle zusammentretfen, da entsteht wieder das Urwesen.
Dass dies nicht geschehe, ist eine der Hauptaufgaben des Organismus,
denn dann spaltet sich der Gesamtorganismus in eine Anzahl selb-
ständiger Einzelorgane. Verhütet wird dies durch die Zusammen-
fügung der einzelnen Gewebe, namentlich durch die Wechselwirkung
der Archiblasten und Parablasten.
Näher hierauf kann ich nicht eingehen. Ich muss noch etwas
Anderes berühren. Die Cytozoen haben auch eine Bedeutung als
selbständige Organismen. Sie sind an die Seite zu setzen den Ge-
schlechtstieren der Fadenpilze. Und das sind sie auch in den höhern
Organismen, denn dieser Pilz, welcher die Cytozoen erzeugt, bildet
sich fortwährend in den Zellen. Sein Mycel ist das nigrosinophile
Soeiste de Biologie. dl
Protoplasma, seine Hyphen sind die Chromatusfäden des Kerns, sein
Gyniosium ist das Plasmosoma. Aber dieser Pilz bildet sich in der
Gewebszelle nie vollständig aus; seine Ausbildung wird immer unter-
brochen, weil die einzelne Zelle nicht vollständig ist, sondern zu ihrer
Ergänzung der Zelle eines andern Gewebes bedarf. Darauf beruht
eben das Leben der Gesamtorganismen.
Und damit ist auch der Schlüssel gegeben, wie wir uns die Ent-
stehung der höhern Organismen vorzustellen haben. Sie entstehen
durch die Kombination einer Anzahl von Individuen der niedern.
Es ist das im Grunde auch die einzige Lösung des Problems, das
dem denkenden Verstande möglich erscheint. Nicht bloß die morpho-
logischen Thatsachen, sondern eine Menge von Thatsachen physio-
logisch chemischer und pathologischer Natur, auf die ich auch an-
deutungsweise nicht eingehen kann, unterstützen die hier vorgetra-
gene Anschauung.
Societe de Biologie.
Sitzung vom 8. Mai 1886.
Herr Wertheimer trägt zu seiner Mitteilung über regelmäßige Atem-
bewegungen nach Abtrennung der Med. oblongata (s. Biol. Ctbl., VI, 32) noch
nach, dass die Atembewegungen besonders schneil (5—15 Minuten) nach der
Durchschneidung wiederkehren, wenn man die Tiere vorher durch einen Strom
kalten Wassers bis auf 28 oder gar 25° abgekühlt hat. Geschieht dies nicht
von selbst, so kann man sie durch Kneipen oder Kitzeln der Haut und der
Schleimhäute (des Anus oder der Vulva) leicht herbeiführen. Doch sei das
Verfahren nicht sehr zu empfehlen, weil die Bewegungen bei solchen abge-
kühlten Tieren der Art seien, wie sie sonst bei noch nicht vollkommen her-
gestellter Thätigkeit der grauen Substanz beobachten werden.
Herr Charpentier hat gefunden, dass ein schwach beleuchtetes Objekt
von geringer Ausdehnung, welches in einem sonst dunklen Raume fixiert wird,
scheinbare Bewegungen zeigt, besonders wenn man, ohne die Fixation aufzu-
geben, seine Anfmerksamkeit auf eine andere Stelle des Gesichtsfeldes richtet.
Die Scheinbewegung erfolgt dann in der Richtung nach dieser andern Stelle hin.
Sitzung vom 22. Mai 1886.
Mit einer Spieluhr, welche immer nur einen Ton auf einmal gab, deren
einzelne Lamellen, durch Stifte von gleicher Länge um gleiche Strecken ver-
bogen, Schwingungen von gleichen Amplituden ausführen, machte Herr Char-
pentier Versuche über die Empfindlichkeit des Gehörs für verschiedene Ton-
höhen. Einen Grundton mit seiner Oktave vergleichend findet er, dass man
letztern in dreifach größerer Entfernung noch hören kann als erstern; nun
ist die äußere oder mechanische Intensität der Schwingungen (soll
heißen: ihre Energie) der Oktave Amal größer als die des Grundtons; sie
sollte also in der doppelten Entfernung noch hörbar sein. Da sie aber weiter
hörbar ist, so ist ihre physiologische Energie größer als ihre mechanische
und zwar im Verhältnis von 4:9. Daraus schließt Herr Ch., dass die Er-
regungen durch die einzelnen Vibrationen sich zu einander addieren. Gleiches
3523 Karsch, Vademecum botanieum.
fand er für die Intervalle der Quinte und Quarte. Er stellt deshalb den Satz
auf: die physiologischen Intensitäten zweier Töne desselben Ursprungs und von
gleicher Amplitude verhalten sich wie die dritten Potenzen ihrer Schwingungs-
zahlen.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
Sitzung v. 2. Nov. 1885.
Herr Haab berichtet über einen bisher nicht bekannten Pupillenreflex.
Wenn man in einem sonst dunkeln Raum auf eine im indirekten Sehen er-
scheinende, seitlich von der Gesichtslinie aufgestellte Flamme die Aufmerk-
samkeit richtet, ohne die Blickrichtung zu ändern, so verengert sich die
Pupille, und erweitert sich wieder, wenn man die Aufmerksamkeit auf den
dunklen Hintergrund lenkt.
[Die Erscheinung wird wohl nicht, wie Herr H. meint, als Reflex von der
Hirnrinde, sondern eher als Mitbewegung mit einer unbeabsichtigten Aende-
rung der Akkomodation aufzufassen sein. J. R.]
A. Karsch, Vademecum botanicum.
Handbuch zum Bestimmen der in Deutschland wildwachsenden sowie im Feld
und Garten, im Park, Zimmer und Gewächshaus kultivierten Pflanzen. 1. Liefe-
rung. 8. 64 $. mit 129 Illustrationen. Leipzig 1886. Verlag von Otto Lenz.
Wohl jeder, der eine Flora zu benutzen in der Lage ist, insbesondere der
Anfänger, wird den Mangel empfunden haben, dass ihn die vorhandenen Werke
im Stich lassen, wenn es sich um eine fremde Pflanze handelt, wie deren so
viele in Gärten, Öffentlichen Anlagen u. dergl. zu finden sind. Der Versuch,
diese Lücke auszufüllen, wird daher von vielen mit lebhaftem Dank begrüßt
werden.
Ueber die Ausführung desselben werden wir etwas eingehender berichten,
wenn das ganze Werk fertig vorliegen wird. Dasselbe soll etwa 16—18 Liefe-
rungen umfassen von je 4 Bogen und soll mit zahlreichen Illustrationen ver-
sehen werden. Soweit diese erste Lieferung einen Schluss gestattet, sind
dieselben zwar sehr einfach und in kleinem Maßstab ausgeführt, aber durchaus
naturgetreu und dabei sehr klar und zweckentsprechend. Hervorzuheben ist
der trotz dieses Reichtums an Abbildungen und der guten Ausstattung sehr
billige Preis (1 M. 20 Pf. für die Lieferung).
Wir erlauben uns schließlich noch den Wunsch auszusprechen, dass dem
Werke zum Schluss nicht nur ein gutes Register beigegeben werden möge
(was sich ja wohl von selbst versteht), sondern auch eine Erklärung der ge-
brauchten Kunstausdrücke und der Abkürzungen. Der Mangel dieser Zugabe
ist uns bei manchen sonst vortrefflichen Floren aufgefallen; zumal dieselben
doch vorzugsweise von solchen benutzt werden, die in die Botanik erst ein-
geführt werden wollen. R.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
biologisches Gentraiblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess wd Dr E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
VI. Band.
Inhalt: @. Baur, Ueber die Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten (Schluss). —
Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. — Langen-
dorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens. — Aus
den Verhandlungen gelehrter Gesellsehaften: 58. Versammlung deutscher
Naturforscher und Aerzte, Sektion für Physiologie.
15. August 1886.
Nr. 1.
Ueber die Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten.
Von Dr. G. Baur
in New-Haven Conn.,, Yale College Museum.
(Schluss.)
Ich stelle nun zur bequemen Uebersicht die verschiedenen Mei-
nungen über die Morphologie der Wirbelsäule der Batrachier der
Permformation zusammen.
Die H. v. Meyer-Cope’sche Ansicht steht der von Fritsch
geäußerten diametral gegenüber. Es handelt sich nun darum nach-
zuweisen, welche von diesen beiden die richtige ist.
Vor allem erhebt sich die Frage:
Sind die untern Bögen (Hypapophysen, subvertebral wedge-
bones, chevron-bones) der Vertebraten (Amnioten) homolog dem Inter-
centrum (Cope) oder dem Hypocentrum pleurale (Fritsch)?
Um diese Frage zu beantworten betrachten wir zuerst die Wirbel-
säule von Sphenodon.
Albreeht!) hat zuerst nachgewiesen, dass bei Sphenodon zwi-
schen allen Wirbeln vom Atlas bis zum 30. Wirbel (3. Schwanz-
wirbel) Hypapophysen existieren.
Ich habe dies später bestätigt und gezeigt, dass dieselben Ele-
mente bei Gecko verticillatus (@. verus) vorhanden sind?). Ich vermutete
4) Albrecht P., Note sur la pr&sence d’un Rudiment de Proatlas sur un
Exemplaire de Hatteria punctata Gray. Bull. Mus. Royal d’Hist. Nat. Belg.
Tome II. 1883. p. 190.
2) Baur G., The Intereentrum of Living Reptilia. Am. Nat. Febr. 1856.
p. 174—175 u. Zool. Anz. Nr. 219, 1886.
VI, 23
ule der Amnioten.
ä
‘
c
Baur, Morphogenie der Wirbels
54
sn. ınDsouaydg
„ursgq[PqLLmusyasınz“ =
„PguApepney*
19p us5og aloyınm =
UpLn
-dey 19P [EqTıM -[e9IA,
-19/) Op sısAydodedAy =
soxofduoy |
-J9QILAA UOTELIU990.MOTI
"Sn.ınDsouaydg UOA
soxapduoy
-[OQILMA UoTe1zu990.moTd
„umgpgtmuspsIaz“ =
|
|
s9p YonıS sorsgun = | 'ope.mojd
Sep ons e8g1o}un — | oeınoyd | | umayuo9
887 oeınopd | wnıgueood£y | -odiH
wnıyueoodÄy | | | |
| | "usJoruwuy 1op 1odıoy
| "E88T -pqauy Joypımueso = „unIYUoN | ln 3
wnaıaJue9eımo[d | WmnIU9901NOI[A wnıFuU9901no[d zo syıed jeoryıog“ PIE oyarızrog oald
| | | | -T9qIATEPNEM Op |
| | nedog oısun — sn.unDs,
| sısAäydodeworwpg -ouaydg uoA uregjogum
| | -IOIPEIET Op + sısAydoded£py -wıpsıaz = uormdeg] sur.y90
"usJorumy A9p 10dıoy | TOdıgspaqurm puoste = Zur MUS wm ı9p TOALLMTBOTAION 1op zToFUuf
-[J9Qq.IL MA AOypıyuasıa = 5887 „wnıguo9odÄy“ uaımydoyy 19p JOQILMTBILA -(sOoeug) ouog "säydoded4y = sep y sop
„oledıe | g,87 „um 109 10p sıs<ydodediyg = -93poM [EIgSHOAqNS = yonıg-sengyag soroyun —
wnıua9odAy" -uo9 np mortpjur o99ıd“ wNIFUO9TOFUJ sıs4ydodedAy uasog 1a104u]
sısäydodemon | | \sısäydod
19P0 uadog I8IOIO osAydodeamen ı sısäydodeıneN sısäydodeınan ı ua3og 18194909 | emoNn
cas} "E88T 8287 | "9837 8187 "6481 | "LC8T
yasyııd 'V Aıpneg 'y | don 'q u uno 'ı | ı94ow AH
Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 355
damals, dass sie auch bei den übrigen Geckoniden, sowie bei den
ebenfalls amphieölen Uroplatiden zugegen sein möchten.
Uroplates konnte ich bisher nicht untersuchen, dagegen habe
ich die Elemente bei Tarentola annularis (Platydactylus aegyptiacus)
vorgefunden, so dass meine früher ausgesprochene Vermutung be-
stärkt ist.
Lydekker!) spricht ebenfalls von den für Sphenodon charak-
teristischen „intervertebral“ „wedge-bones“, und drückt sich so
aus, als hätte Günther in seiner bekannten Arbeit dieselben schon
gesehen.
Günther?) sagt aber nichts von diesen Elementen in den Dorso-
Lumbal-Wirbeln. p. 11: „The hindmost autogenous hypapophysis
corresponds to the seventh and eighth vertebrae“.
Auch Fritsch?) erwähnt die Elemente als zwischen allen Wirbeln
vorhanden, ohne aber Albrecht’s Arbeit zu nennen.
„Die Zwischenwirbelbeine (Hypocentrum pleurale) finden wir bei
der Hatteria an allen Wirbeln entwickelt. Beim ersten und zweiten
Wirbel sind sie ungewöhnlich groß. Vom dritten Halswirbel ange-
fangen sind die Zwischenwirbelbeine fast von gleicher Größe bis zum
dritten Schwanzwirbel, wo wir an demselben zwei Höcker wahrnehmen,
welche die Bildung des untern Bogens vorbereiten. Vom vierten
Schwanzwirbel angefangen, sind dieselben in ganz gehörig entwickelte
Hämapophysen umgewandelt“.
Cope hat nun in einer sehr wichtigen Notiz*) gezeigt, dass die
untern Bögen der Schwanzwirbel von Sphenodon mit einem knorp-
ligen scheibenförmigen Intercentrum zusammenhängen, welches dem
von Cricotus sehr ähnlich ist.
Ich kann dies vollkommen bestätigen und außerdem hinzufügen,
dass dieses knorplige scheibenförmige Intereentrum auch zwischen
den präkaudalen Wirbeln vorhanden ist, nur sein basilarer Teil
ist verknöchert und stellt das „Zwischenwirbelbein“ vor.
Wenn wir uns diese knorpligen Scheiben ganz verknöchert denken,
so erhalten wir morphologisch die Wirbelsäule von Cricotus. Hieraus
ist aber der sichere Schluss zu ziehen:
Die Intercentra von Cricotus sind homolog den Inter-
eentra (Hypapophysen, Zwischenwirbelbeinen, untern Bögen, Chevron)
von Sphenodon.
Gehen wir nun zu Archegosaurus über. H. v. Meyer hat nach-
gewiesen, dass die horizontale Platte (Intercentrum) von Archegosaurus
1) Lydekker R., The Reptilia and Amphibia of the Maleri and Duwa
Groups Mem. Geol. Surv. India. Ser. IV. Vol. I. Part 5. Caleutta 1885. p. 13.
2) Günther A., Contribution to the Anatomy of Hatteria (Rhyncho-
cephalus Owen) Philos. Trans. Part II for 1867.
3) Fritsch A., Fauna der Gaskohle, Bd. II, Heft 2, Prag 1885, 8. 32.
4) CopeE.D., The Intercentrum in Sphenodon. Am. Nat. Febr. 1886. p. 175.
23%
356 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten.
in den Schwanzwirbeln zum untern Bogen (Chevron) wird, mit andern
Worten: Das Intereentrum der Dorsalwirbel ist = dem Intercentrum
der Schwanzwirbel. Klar ist, dass die untern Bögen der Schwanz-
wirbel von COricotus, Sphenodon und Archegosaurus homolog sind,
folglich ist auch die horizontale Platte (Intereentrum) von
Archegosaurus homolog dem Interecentrum von Sphenodon und
Cricotus. Die Hypapophysen von Sphenodon sind also Intercentra
und nicht Hypocentra pleuralia. Folglich ist Cope’s Mei-
nung die richtige und nicht die von Fritsch. Ueber die
Homologien des Intercentrums wären wir also im klaren, natür-
lich ist dadurch auch die der Pleurocentra verständlich. Die
Pleurocentra werden zum eigentlichen Wirbelkörper der
Amnioten.
Fritsch!) will die Pleurocentra bei einem jungen Sphenodon in
den Halswirbeln gefunden haben, nach Fritsch sind die vordern
Gelenkfortsätze des Wirbels, die Präzygapophysen nichts Anderes
wie die Pleurocentralia. Dass dies falsch ist, zeigt schon die
einfach logische Betrachtung.
Nach Fritsch sind also die Pleurocentra — den Präzygapophysen,
also Teile des obern Bogens, und zwar sollen dieselben bei Sphenodon
von besondern Verknöcherungspunkten entstehen.
Bei allen Vertebraten sind aber die Präzygapophysen, wenn sie
vorhanden, „Teile“, das heißt Ausstrahlungen des obern Bogens; nie
entsteht eine Präzygapophyse selbständig, und Sphenodon allein sollte
eine Ausnahme machen! Aber Archegosaurus besitzt ja neben den
Pleurocentra wohlentwickelte Präzygapophysen! wie reimt sich
das zusammen? Es unterliegt doch wohl keinem Zweifel, dass die
Präzygapophysen von Archegosaurus denen von Sphenodon homolog
sind. Diese kurzen Betrachtungen schon machen es unmöglich, die
Pleurocentralia von Sphenodon in den Präzygapophysen zu suchen.
Nach den 3 Exemplaren von Sphenodon (eines davon, welches ich
Herrn Prof. B. G. Wilder in Ithaca verdanke, misst nur 210 mm),
welche ich in Alkohol untersucht habe, ist es sicher, dass die Präzyga-
pophysen sich genau so verhalten, wie die aller Vertebraten, d.h. sie
sind Teile des obern Bogens.
Nun aber erhebt sich sofort die weitere Frage, wie verhält es
sich mit Sphenosaurus; ist Sphenosaurus wirklich, wie es Fritsch
nun haben will, ein Batrachier? Isolierte Pleurocentra hat Fritsch bei
Sphenosaurus nicht gesehen; wie bei Sphenodon betrachtet er die
Gelenkfortsätze als Repräsentanten dieser Elemente; diesmal aber die
hintern, also die Postzygapophysen, nicht wie bei Sphenodon die
vordern.
Die Pleurocentra können also nach Fritsch nach Belieben ein-
mal als vordere, einmal als hintere Gelenkfortsätze auftreten! Das
1) Fritsch A,,l. e. Bd. II Heft 2 Taf. 70.
Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 357
ist der Natur doch etwas zu viel zugemutet. Wenn Sphenosaurus in
der That ein Batrachier ist, so müssen die Pleurocentra jedenfalls an
anderer Stelle gesucht werden.
Es erhebt sich nun die weitere Frage, was ist das Hypocen-
trum pleurale? Sicher nachgewiesen ist es nur bei Chelydosaurus,
es bildet sozusagen die Basis der Pleurocentralia. Nach Cope!)
war es wahrscheinlich bei Eryops vorhanden, und zwar in den
Halswirbeln; es soll früh mit der hintern Seite des Intereentrums ver-
wachsen. Bei Archegosaurus ist ein Hypocentrum pleurale noch nicht
nachgewiesen, wahrscheinlich war es nicht verknöchert; die Angaben
H. v. Meyer’s lassen übrigens vermuten, dass dieses Element in den
Kaudalwirbeln von Archegosaurus zugegen war?).
S. 104 sagt er von den seitlichen Keilen, also den Pleurocentra:
„Diese Keile sind nicht auf die obern Bögen beschränkt; in der vom
Schwanz eingenommenen Strecke finden sie sich auch zugleich zwi-
schen je zwei untern Bögen, mit dem spitzern Teile aufwärts ge-
richtet vor; und es scheint fast, als wenn zwischen den untern Bögen
mehr als ein Paar solcher Keile vorhanden gewesen wäre“.
Bemerkenswert ist, dass bei Ohelydosaurus, wo das Hypocentrum
pleurale entwickelt ist, die Intercentra eng sich berühren. Bei Archego-
saurus sind die Intercentra durch einen ziemlich bedeutenden Zwischen-
raum getrennt, und keine Hypocentra pleuralia sind bisher nachge-
wiesen; wahrscheinlich waren es Knorpel, welche mit den verknöcher-
ten Pleurocentra einen Ring bildeten, ähnlich wie bei Cricotus.
Nach diesen Betrachtungen fragt es sich nun: 1) ist es nachweis-
bar, dass der Wirbelkörper der Amnioten in der That den Pleuro-
centra entspricht und 2) inwieweit finden wir Anklänge an die andern
Elemente? (Intereentra und Hypocentra pleuralia.)
1) Soll das erste der Fall sein, so muss sich nachweisen lassen,
dass der eigentliche Wirbelkörper der Amnioten aus 2 lateralen Ele-
menten sich bildet. Es würde zu weit führen, die ganze Literatur
über die Wirbelbildung der Amnioten hier zusammenstellen zu wollen.
Schon Baer und Rathke haben eine bilaterale Anlage des Wirbel-
körpers angegeben. Johannes Müller?) behauptet, dass das Centrum
der Sakralwirbel der Vögel aus 2 seitlichen Knochenkernen entstehe.
E. Rosenberg*) hat eine doppelte Anlage für die Schwanz-
wirbel des Menschen angegeben und angenommen, dass sich die prä-
kaudalen Wirbel wahrscheinlich ebenso verhalten.
1) Cope E.D., The Intercentrum in Sphenodon. Am. Nat. Febr. 1886. p. 175.
2) Meyer H. v., Reptilien aus der Steinkohlen-Formation in Deutschland.
Paläontographica. Bd. VI. Kassel 1856—1858.
3) Müller J., Handbuch der Physiol., Bd. H, S. 753, 1845.
4) Rosenberg E., Ueber die Entwicklung der Wirbelsäule und das Cen-
trale carpi des Menschen, Morph. Jahrb., Bd, I, 1876, S. 131.
358 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten.
Albrecht!) ist ebenfalls der Ansicht, dass die Anlage der Centra
eine doppelte ist.
In neuester Zeit hat nun Froriep?) diese Ansicht bestärkt.
S. 125 sagt er: „Die Gestalt der Körperanlage ist anfangs eine
bilaterale in dem Sinne, dass zwei zu beiden Seiten der Chorda
gelegene, größere Knorpelherde durch eine dünne, die Chorda ventral
umfassende Knorpelbrücke in Verbindung stehen. An der dorsalen
Seite der Chorda entsteht das Knorpelgewebe erst später, so dass
der Körperknorpel zunächst eine dorsalwärts offene Halbröhre ist.
Ob die seitlichen Herde bei dem Beginn der knorpligen Anlage des
Körpers darstellen, habe ich nicht mit Bestimmtheit entscheiden können,
ich halte es aber für wahrscheinlich“.
Bei Embryonen von Lacerta habe ich ganz ähnliche Verhältnisse
angetroffen.
Da der Atlas, wie Froriep in seinen Arbeiten ganz entschieden
nachgewiesen hat, ursprüngliche Verhältnisse zeigt, so sollte man
demnach hier am leichtesten eine doppelte Anlage des Körpers nach-
weisen können. Dies ist auch in der That der Fall. Der Atlaskörper
entwickelt sich meist (die Angaben sind nicht alle übereinstimmend)
aus zwei seitlichen Knochenkernen, ja es sind Fälle bekannt, wo
der Atlaskörper, d. h. der Proc. odontoideus das ganze Leben hin-
durch aus 2 getrennten seitlichen Elementen bestand °).
Diese wenigen Beispiele dürften genügen, um der Behauptung,
dass der Wirbelkörper der Amnioten ursprünglich aus 2 lateralen
Elementen entsteht, also den Pleurocentra homolog ist, eine ge-
wisse Wahrscheinlichkeit zu geben.
2) Es handelt sich nun weiter darum nachzuweisen, wie weit das
Interecentrum bei den Amnioten verbreitet ist.
Reptilia.
Wie wir oben gesehen haben, finden sich wohlentwickelte Inter-
centra, und zwar zwischen allen Wirbeln bei Sphenodon, den Gecko-
nidae, wahrscheinlich den Uroplatidae. Unter den fossilen Rep-
tilien sind sie nachgewiesen für die Pelycosauria®) aus dem Perm.
Ferner besitzen diese Elemente: Sphenosaurus und Hyperodapedon?).
1) Albrecht P., Note sur une hemivertebre gauche surnum6raire de
Python Sebae Dumeril. Bull. Mus. Roy. Hist. Nat. Belg. T. II. 1883. p. 21—34.
2) Froriep A,, Zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelsäule. II. Beobach-
tung an Säugetierembryonen. Arch. f. Anat. u. Phys., 1886, Anat. Abt.
3) Bennett, Trans. Path. Soe. Dublin. Vol. VII. p. 117 (nach D. J. Cun-
ningham: The connection of the os odontoideum with the Body of the Axis
vertebra. Journ. Anat. Physiol. Vol. XX. Part II. Jan. 1886).
4) Cope E. D., Descriptions of extinet Batrachia and Reptilia from the
Permian Formation of Texas. Paleont. Bull. Nr. 29. 1878 und Marsh 0. C,,
Notice of New Fossil Reptiles. Am. Journ. Se. VoI.XV. May 1878. p. 409.
5) LydekkerR, |, c. p. 13.
Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten, 359
Sämtliche Formen, bei welchen die Intercentra bis jetzt zwischen allen
Wirbeln aufgefunden worden sind, besitzen ampbhicöle Wirbel; es ist
daher nicht unwahrscheinlich, dass überhaupt alle Reptilien mit amphi-
cölen Wirbeln diese Elemente, wenn auch vielleicht zum Teil ganz
rudimentär, entwickelt haben.
Intercentra in den Halswirbeln der Reptilien sind längst be-
kannt. So finden sie sich bei allen Lacertiliern frei, oder mit dem
Wirbelkörper verschmolzen. Bei allen Reptilien kommen sie vor,
wenn sie auch manchmal versteckt sind; das erste Intercentrum, das
„untere Schlussstück des Atlas“, ist immer vorhanden.
In den Kaudalwirbeln sind die Intereentra kräftig entwickelt
(untere Bögen, Chevron -bones).
Bei den Reptilien finden wir demnach das Intercentrum in allen
möglichen Stadien der Entwicklung.
Beiläufig möchte ich hier bemerken, dass die normale Querteilung
der Schwanzwirbel, wie sie seit Cuvier bekannt und von Hyrtl')
und Gegenbaur?) genau beschrieben worden ist, mit dem Inter-
centrum, wie Fritsch l. ec. meint, nichts zu thun hat.
Vögel.
Zwei Intereentra haben sich bei allen Vögeln erhalten, das des
Atlas und das des Epistropheus. Das erstere bildet den untern Bogen
des Atlas, das letztere den vordern und untern Teil des Epistropheus?).
Froriep*) hat nachgewiesen, dass sie auch in den nächsten
Halswirbeln embryonal angelegt werden (Hypochordale Spange Fro-
riep’s), jedoch einer Reduktion unterliegen.
Mit der Reduktion des Schwanzes der Vögel ist bei vielen auch
eine Reduktion der Intercentra eingetreten, denn nicht alle Vögel be-
sitzen diese Elemente im Kaudaltheil der Wirbelsäule.
Manche Fortsätze am untern Teil der Wirbel der Vögel, welche von
Owen und nach ihm von vielen andern Hypapophysen, also Inter-
centra genannt werden, haben mit diesen Elementen nichts zu thun,
es sind sekundäre „Auswüchse“ des Wirbelkörpers.
Vielleicht haben die Kreidevögel mit amphicölen Wirbeln rudi-
[>
.
mentäre Intereentra auch in den Rückenwirbeln besessen ?
Mampnnalia.
Das erste Intereentrum, unterer Bogen des Atlas, ist bei allen
’ ’
Säugetieren vorhanden, bei manchen sogar frei (verschiedene Marsu-
4) Hyrtl J., Ueber normale Querteilung der Saurierwirbel. Wiener Sitz.-
Ber‘, 1853 8.118519.
2) Gegenbaur C,, Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der
Wirbelsäule bei Amphibien und Reptilien. Leipzig 1862.
3) Jäger G., Das Wirbelkörpergelenk der Vögel. Sitzungsber. d. Akad.
Wissensch. zu Wien, 1858, Bd. 3%.
4) Froriep A., Zur Entwicklung der Wirbelsäule. I. Beobachtung an
Hühnerembryonen. Arch. f. Anat. u. Entwicklungsgeschichte. Jahrgang 1833.
360 Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten.
pialier).. Im allgemeinen finden sich im Schwanz wohlentwickelte
Intercentra vor, wenn derselbe nicht stark reduziert oder modifiziert ist.
Sehr interessant sind die Insektivoren. Verschiedene Vertreter
dieser Ordnung besitzen Intercentra auch in den Dorsolumbar- und
Sakralwirbeln. Beim Maulwurf sind diese Elemente schon von Ja-
cobs!) beschrieben und abgebildet worden.
Später hat sie Owen?) wieder erwähnt.
In neuester Zeit hat sie Meyer?) bei verschiedenen andern
Insektivoren (Erinaceus, Myogale) beschrieben.
Sehr interessant sind die neuesten Angaben von Froriep®).
Froriep findet Rudimente von Intercentra (Hypochordale Spange)
bei Embryonen vom Rinde zwischen den Halswirbeln angelegt; alle
aber werden zurückgebildet bis auf das erste Intereentrum, den untern
Bogen des Atlas.
Diese Untersuchungen machen es wahrscheinlich, dass bei Em-
bryonen von Maulwurf, Igel ete. Intercentra zwischen allen Wirbeln
in einer gewissen Periode vorhanden sind.
Das Hypocentrum pleurale ist bis jetzt nur bei Chelydo-
saurus bestimmt nachgewiesen worden. Ueber sein Schicksal, wäh-
rend der Entwicklung der Amnioten, wissen wir bis jetzt gar nichts.
Wenn es überhaupt sich erhalten hat und nicht schon sehr früh
atrophiert ist, muss es im pleurocentralen Komplex, also im Wirbel-
centrum der Amnioten enthalten sein. Vielleicht geben embryologische
Untersuchungen hierüber noch Aufschluss.
Die Wirbelsäule der Batrachier (Amphibia).
Cope, basierend auf Fritsch’s Deutung der Wirbelsäule von
Sphenosaurus, nimmt an, dass die Batrachier unserer Fauna keine
eigentlichen Wirbelkörper besitzen, sondern nur Intercentra. So sonder-
bar dies im Anfang klingen mag, hat es doch manches für sich. Es
ist mir bis jetzt nicht möglich zu entscheiden, ob Cope’s Meinung
die richtige ist. Zuerst muss eine genaue Entwicklungsgeschichte der
Wirbelsäule eines urodelen Batrachiers geliefert sein, ehe dies ge-
schehen kann. Ist Cope im Recht, so müssen die untern Bögen (Inter-
centra) mit dem „Wirbelkörper“ einheitlich angelegt werden. Götte?)
gibt allerdings an, dass die untern Bögen der Salamandrinen gradeso
entstehen wie die obern, also isoliert vom Wirbelkörper, doch ist
1) Jacobs F. G. J., Talpae europaeae anatome. Dissertatio Jenae 1816.
p. 17—18. Tab. 1. Fig. 19. Nr. 3.
2) Owen R., On the cervical and lumbar vertebrae of the Mole (Talpa
exrropaea L.). Brit. Assoe Rep. 1861. p. 152—154 London 1862.
3) Meyer 0., Insectivoren und Galeopitheeus geologisch alte Formen.
Neues Jahrbuch £. Min., 1885, Bd. I. S. 229 —230.
4) Froriep A., Zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelsäule II. Beobach-
tung an Säugetierembryonen |. c.
5) Götte A., Die Entwicklungsgeschichte der Unke, Leipzig 1875, S. 397.
Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten. 361
eine Prüfung, glaube ich, nicht ungeraten. Bei keinem urodelen
Batrachier sind im erwachsenen Zustand die untern Bögen vom Wirbel-
körper getrennt. Für Cope spricht auch das Verhalten der ersten Cer-
vicalwirbel. Dieselben sind total verschieden von denen der Amnioten.
Bei allen Amnioten können wir denselben Grundplan nachweisen, bei
allen ist, wenigstens im Atlas, das Intereentrum erhalten geblieben.
Bei allen Batrachiern finden wir aber immer nur ein Element, den
eigentlichen Wirbelkörper. Denken wir uns bei Sphenodon alle Inter-
centra so stark entwickelt, wie die beiden ersten, zugleich aber die
Pleurocentra, also den eigentlichen Wirbelkörper rückgebildet, so er-
halten wir ein Bild, wie es uns die Wirbelsäule der Batrachier zeigt.
Der „Processus odontoideus des Atlas“!) der urodelen Batrachier
würde dann dem eigentlichen Wirbelkörper d. h. dem Pleurocentral-
komplex entsprechen.
Weitere Untersuchungen müssen hier noch Licht bringen.
Anknüpfungspunkte an die Fische.
Schon H. v. Meyer (s. oben) hat vermutet, dass das Intercentrum
(seine horizontale Platte) von Archegosaurus ursprünglich aus 2 Ele-
menten bestände. Dies ist sehr wahrscheinlich. Da der Atlas das
ursprünglichste Verhalten zeigt, so sollte dieser Wirbel hierüber Auf-
schluss geben. Dies ist auch der Fall. Nach Cope?) ist das Inter-
centrum von T’rimerorhachis in zwei seitliche Teile gespalten.
„Ihe portion of the atlas which represents the intereentrum is
divided into two lateral portions, each of which has the form of an
entire intercentrum i. e. erescentic“.
Auch bei einigen Schildkröten besteht das Intercentrum zwischen
Atlas und Epistropheus aus 2 seitlichen isolierten Elementen (Eretmo-
chelys imbricata, Sphargis).
Ich nehme also an, dass auch das Intercentrum morphologisch
zwei Elemente enthält. Wahrscheinlich sind nun diese Elemente den
Basilarknorpeln der Knorpelfische homolog, worauf schon H.v. Meyer
aufmerksam gemacht hat.
Eine „primitive“ Wirbelsäule würde also aus 6 Elementen be-
stehen: den zwei obern Bogen, den zwei Pleurocentra und den beiden
untern Bögen (Intercentra). Es ist mir nicht möglich, näher auf die
Verhältnisse bei den Fischen einzugehen, dies würde hier zu weit
führen. Eine ausführliche morphogenetische Arbeit über die Wirbel-
säule der Fische, auf embryologischer und paläontologischer Basis,
wäre sehr wünschenswert.
4) Albrecht P., Ueber einen Processus odontoideus des Atlas bei den
urodelen Amphibien. Centralblatt f. d. med. Wissenschaften, 1878, 8. 577 und
Note sur le basioccipital des Batraciens anoures. Bull. Mus. Roy. Hist. Nat.
Belg. T. II. 1883. p. 195—198.
2) Cope E. D., Second Contribution to the History of the Vertebrata of
the Perm. Form. of Texas. Pal. Buli. 32. p. 18. 1880.
..
Baur, Morphogenie der Wirbelsäule der Amnioten.
2)
n7
c
36
"SALIRWEODÄIIYUY
194 UHPURULOA TOYDIS UN
(don ‘y9syrı,yg) soxojd
-WONTOGILAM UOTEIIUB9O.
-nofd Sp YOnIS s910gun —
(YOSILIT) TPqITAeyIA
-19) 19p „sısAydodedAy“
| "HZIESHOFUIOT Alu] =
KOUOT UOTAIU) =
(‚ sısäydodedAiyy + sısAäydodeuey =
(S9YISLT) UONBIgaNIO A
19p PqLAapne) AP
ydey
usjoruuy A9p ueosÄydodediy =
UOFOTLUY
ws 12IJu]) =
-194m
U9FOTUUY
EAYISLT Op [odiouyarııseq —
(#887 dorıoıay) „osurdg opepıopodiy*
(8887 oTI0q
“Iy9a9oaıqıy '668T U9aAH) „sisAydodedäy*
(es87 Aapneyg) „unguoaodiy“
(8287
(2687 19kam ‘A 'H) „uodogg aoroyun“
(Scsr sıq
ofemajd
umıuasodkH
uU950g A91oyuf
a9p [oqimjeytArsn) op uosäydodedÄy =
19p seJy SOp MPnIS-ssufyag soreyuf) —
(CH8T YOASITLJ) „opeam wmıu99odAy“,
kapneH) „wngue) np .morıgjur 991g“
(8281 ysıem ‘8181 adon) „wnıyu9araguf“)
HRIHA VIPEIBg A9p umilusdfppgqluqA =
uayoruwmy A9p ummupmpguM =
LTOWOJOUT OP xofdwoxr-eayusgome]g =
| 1MONYITUY TOP BI4UH0MA]T =
Ayasyjodtouyy Op Oyanısırpware4up —
(E8S8T FU99AqIY) „ArqayreArugg *
(6687 UAMOH) „wnu9d Jo syıed E9LıoN“
(2687 19ÄAom "A 'H) SIlEy Pyoızıog
|
|
|
‘ourds - emo
ZYESJIOJUIOT TO19IO
(eg8ı AıpneHg) wnıyu99omeLg
BAJUSI0ANOLT
(xofdwoyxy - [e.14u9Z)
(sısAydodemon)
uasog a1aqO
Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. 3693
Zum Schluss möchte ich nur noch bemerken, dass die geistreiche
Theorie von Herbert Spencer!) über die Entwicklung der Wirbel-
säule, welche von Cope?) weiter begründet wurde, mit den Ergeb-
nissen dieser Mitteilung vollkommen im Einklang steht.
Die Homologien der Wirbelsäule, soweit sie hier inbetracht kom-
men, stelle ich auf vorherstehender Tabelle zusammen.
Nachtrag.
Während des Druckes dieser Mitteilung erschien eine weitere
Arbeit von Cope°), in welcher er seine frühern zerstreut erschienenen
Anschauungen zusammenfasst und ausführlich behandelt.
Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna.
Von Wilhelm Haacke in Adelaide.
Gewisse Gruppen der Säugetiere und Vögel haben, wie in anderer
Hinsicht, so auch inbezug auf ihre geographische Verbreitung das
Interesse der Forscher in hervorragender Weise in Anspruch ge-
nommen. Insbesondere sind es unter den Säugetieren: die Monotremen,
die Beuteltiere, Halbaffen, Edentaten und Insektenfresser, unter den
Vögeln vornehmlich die Rabiten, welche in dieser Beziehung zu nennen
sind. Der eigentümlichen geographischen Verbreitung der straußen-
artigen Vögel verdankt die Hypothese eines ausgedehnten, jetzt fast
ganz verschwundenen antarktischen Kontinentes, jener der Lemuren
die Hypothese des unter den Spiegel des indischen Ozeans versunkenen
Weltteiles Lemurien ihren Ursprung. Diesen Hypothesen tritt nun
aber der Umstand entgegen, dass die meisten Geologen der Gegen-
wart wenig geneigt sind, den verflossenen Perioden der Erdgeschichte
eine wesentlich andere Anordnung der großen Festlandmassen zuzu-
schreiben, als wie sie in der Gegenwart besteht. Dass die Konfigura-
tion der Kontinente im großen und ganzen seit jeher dieselbe gewesen
ist wie heute, kann als ziemlich ausgemacht gelten. Daraus hat man
nun schließen wollen, dass die afrikanischen und asiatischen Halb-
affen, die amerikanischen, afrikanischen, australischen und neusee-
ländischen Strauße getrennten Ursprunges sind. Polyphyletische
Deszendenzhypothesen sind aber wieder in den Augen vieler Forscher
wenig geeignet, sich zu empfehlen. So steht denn der Lösung des
Problems, welches uns die geographische Verbreitung der genannten
1) Spencer H., The Principles of Biology. Vol. II. p. 192 und Fort-
setzung. New- York 1867.
2) Cope E. D., The Batrachia of the Permian Period of North America,
l. e. p. 31—32.
3) Cope E. D., On the Intercentrum of the Terrestrical Vertebrata Trans,
Am. Philos. Soc. Vol. XVI. p. 243—253. pl. I.
364 Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna.
Tiergruppen darbietet, augenscheinlich manches im Wege. Indess
scheint es mir, dass die geographische Verbreitung der größern und
kleinern Tiergruppen nicht die geringsten Anhaltspunkte für polyphy-
letische Deszendenzhypothesen darbietet, und dass man gleichwohl
nicht zu den Hypothesen eines Lemurien und eines 'sroßen Südkon-
tinentes seine Zuflucht zu nehmen braucht, um die geographische
Verbreitung der Halbaffen und Strauße zu erklären. Vielmehr glaube
ich grade an der jetzt herrschenden Anschauung von der Beständig-
keit der Kontinente festhalten zu sollen, um die geographische Ver-
breitung jener und anderer Tiergruppen in befriedigendster Weise zu
erklären. Obwohl ich im folgenden nur die Strauße und die erwähn-
ten niedern Säugetiergruppen in den Kreis meiner Betrachtungen
ziehe, glaube ich doch für den Satz, der aus der geographischen Ver-
breitung ihrer Mitglieder sich für mich ergibt, allgemeine Bedeutung
inbezug auf die Landfauna unserer Erde in Anspruch nehmen zu
dürfen. Dieser Satz besagt, dass der Nordpol das Schöpfungszentrum
jener Tiergruppen ist, und, allgemein gefasst, dass sich alle größern
sruppen der Landtiere, etwa schon alle Gruppen von der Bedeutung
einer Ordnung, von dem in der nördlichen Erd-Halbkugel gelegenen
Kontinentalkomplexe aus, dessen Mittelpunkt der Nordpol ist, über
die Erde verbreitet haben. Ich will es versuchen, diesen Satz kurz
zu begründen.
Zu einigen weniger gewagten Hypothesen muss ich mich vorerst
bekennen. Ich halte zunächst fest an der Hypothese von der relativen
Beständigkeit der Kontinente, glaube aber mit vielen andern, dass
vielerorts, wo heute Festland ist, einst seichtes Meer war, und dass
dort, wo heute seichtes Meer ist, einst Land war. Ich verwerfe also
einerseits eine ausgedehnte hypothetische Lemuria und Antarktia und
nehme anderseits an, dass Europasien mit dem Nordpolarkontinente
sowie mit Amerika, Afrika, Australien und durch das letztere mit
Neuseeland, dass Afrika mit Madagaskar und Nordamerika mit den
Antillen durch breite Landbrücken früher verbunden war. Ich nehme
ferner an, dass das Klima der Nordpolarzone einst ein wärmeres,
vielleicht ähnlich dem heutigen subtropischen war. Selbstverständ-
lich bekenne ich mich weiterhin zur Deszendenztheorie. Inbezug auf
diese letztere muss ich dann aber noch die weitere Annahme machen,
dass die Entstehung neuer Tiergruppen hauptsächlich dort stattfand,
wo große Festlandkomplexe, bald mit einander verbunden, bald von
einander getrennt, angehäuft waren. Solche Erdregionen, welche
neben ausgedehnten Landmassen eine im Laufe der Zeiten wechselnde
Verteilung von Land und Wasser und damit eine ausgedehnte Ver-
schiebung der klimatischen und faunistischen Verhältnisse aufweisen,
würden meiner Ansicht nach in ganz hervorragender Weise befähigt
gewesen sein, neue Tiergruppen ins Dasein zu rufen. Für oder wider
die mono- oder polyphyletischen Deszendenzhypothesen brauche ich
Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. 3b
mich hier nicht zu entscheiden. Es mögen die einen oder die andern
richtig sein. Nur das will ich nochmals hervorheben, dass die geo-
graphische Verbreitung der Tiere uns nicht nötigt, uns zur polyphy-
letischen Deszendenzhypothese zu bekennen.
Behalten wir nun die obigen Hypothesen im Auge und werfen
wir einen Blick auf die Erdkarte, so gelangen wir zu dem Ergebnis,
dass etwa die nördlichen zwei Drittteile der Nordhemisphäre das
einzige größere Kontinentalgebiet der Erde bilden, in welchem wäh-
rend früherer Erdperioden größere Landmassen bald mit einander
verbunden, bald von einander getrennt waren, dass also nur dieses
Gebiet, dessen Mittelpunkt der Nordpol ist, den Schauplatz für die
Entstehung größerer Systemgruppen des Tierreiches abgeben konnte.
Ist dieses aber der Fall gewesen, dann müssen die neuentstandenen
Tiergruppen die ältern mehr und mehr nach Süden bis in die ent-
ferntesten Erdenwinkel gedrängt haben. Ist unsere Schlussfolgerung
richtig, dann müssen wir in südlichen entfernten Erdenwinkeln heute
die letzten überlebenden Vertreter alter und größtenteils ausgestor-
bener Tiergruppen finden, während die Reste ihrer früher lebenden
Vorfahren und Anverwandten auch in den Erdschichten der nörd-
lichen Hemisphäre abgelagert sein müssen. Beides ist aber in der
That der Fall.
Ein Blick auf die Erdkarte ergibt südwärts vom etwa vierzigsten
Nordbreitengrade an Erdenwinkeln, welche einst mit der allgemeinen
Festlandmasse in Zusammenhang standen oder ihr noch jetzt ange-
hören, etwa die folgenden. Im äußersten Südosten finden wir den
Inselkontinent Neuseelands. Nähern wir uns von hier der großen
Festlandmasse Europasiens, so stoßen wir zunächst auf Neuholland,
weiterhin auf Neuguinea mit den übrigen papuanischen Inseln, dann
auf den großen Archipel der ostindischen Inseln von Sumatra bis zu
den Philippinen. Begeben wir uns von hier auf das heutige Festland,
so treten uns in Hinterindien mit Malakka und in Vorderindien mit
Zeylon entlegene südliche Zipfel des großen europasiatischen Konti-
nentes entgegen. Aehnliches finden wir in Afrika: Madagaskar bildet
den ehemaligen, Mosambik und das Somaliland die heutigen Südost-
zipfel dieses Kontinentes; das Kapland ist sein heutiger Südzipfel;
ein südwestlicher Zipfel Afrikas scheitelt sich zu in der Sierra Leone.
Nicht viel anders ist es in Amerika. Ganz Südamerika, insbesondere
aber sein Südende, ist ein abgelegener Erdenwinkel. Die Reste eines
frühern Südostzipfels Nordamerikas treten uns in den Antillen ent-
gegen, deren damalige Rolle heute die Halbinsel Florida übernimmt;
das südliche Kalifornien bildet einen südwestlichen Zipfel. Damit ist
die Aufzählung der nach Süden auslaufenden abgelegenen Erden-
winkel, welche dem südlich von dem großen nördlichen eireumpolaren
Festlandkomplexe gelegenen Theile der Erdkugel angehören, voll-
ständig erschöpft.
366 Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna.
Vergleichen wir nun mit diesem Ergebnisse einer Erdkarten
musterung die geographische Verbeitung der Rabiten, Monotremen,
Marsupialien, Lemuroiden, Edentaten und Insektivoren, welche Tiere
als Reste alter, jetzt größtenteils ausgestorbener Tierordnungen ganz
besonders für diesen Zweck sich eignen, so finden wir, dass ihre
Verbreitungsbezirke in hochgradiger Weise mit den aufgezählten süd-
lichen Erdenwinkeln sich decken.
Von den Rabiten finden wir die erst im gegenwärtigen Erdzeit-
alter ausgestorbenen Dinornis- oder Moa-Arten und die gegenwärtig
noch lebenden Apteryx- oder Kiwi-Arten auf Neuseeland. Neuholland
bietet nur den Emu oder Dromaeus und eine Kasuar- oder Hippaleec-
tryo-Art. Die übrigen Kasuar-Arten sind auf Neu-Guinea und nahe-
gelegene melanesische Inseln beschränkt. Hier ist also die Deckung
eine vollständige. Das gleiche gilt von Südamerika und den Verbreitungs-
bezirken seiner Rhea-Arten. Der Pampas-Nandu, Ihea americana,
bewohnt die Pampas von Uruguay und Argentinien, vom dreißigsten Süd-
breitegrade bis zum Rio Negro. Darvin’s Nandu, ARhea Darvinii,
ist ein Bewohner Patagoniens, vom Rio Negro südwärts bis zur
Magellan-Straße. Nicht ganz so befriedigend für uns, aber immerhin
befriedigend genug, ist das Ergebnis inbezug auf die afrikanischen
Strauße. Zwar findet sich von diesen die bekannteste Art oder Varietät,
Struthio camelus, noch weit im Norden, wo sie sich sogar nach Asien
hinein verbreitet hat; aber eine andere Struthio- Art oder - Varietät,
der Somalistrauß, findet sich im Somalilande und eine dritte noch
weiter südlich, und besonders fällt ins Gewicht, dass sich die noch
nicht gar lange ausgestorbene Aepyornis auf Madagaskar findet. Die
Strauße, welche als echteste Landvögel ganz besonders in Wett-
bewerb mit den nach ihnen auf der Weltbühne erscheinenden höhern
Säugetieren traten, wurden von diesen aus ihrer nordischen Heimat
weiter und weiter nach Süden gedrängt. Das Resultat dieses Pro-
zesses ist die eigentümliche geographische Verbreitung ihrer rezenten
und subrezenten Vertreter, welche sehr unnötigerweise zu der An-
nahme eines früher mit Süd-Amerika, Afrika, Neuholland und Neusee-
land in Zusammenhang stehenden Südpolarkontinentes geführt hat.
Die Monotremen oder Kloakentiere, diese eigentümlichen eier-
legenden Säuger, sind möglicherweise auf Neuholland nebst einigen
seiner südlichen Inseln und Neu-Guinea beschränkt. Doch halte ich
es für wahrscheinlich, dass das angeblich äußerlich otterähnliche
Säugetier Neuseelands, dessen man bis jetzt noch nicht habhaft ge-
worden ist, zu den Monotremen gehört. Die Aufgabe, dieses vorläufig
noch rätselhafte Tier zu erbeuten, bildet gewissermaßen das Experi-
mentum erueis der hier von mir vorgetragenen Theorie der Landtier-
verbreitung. Ist es nicht ein den Monotremen Australiens sehr nahe-
stehendes oder ein noch niedriger organisiertes Tier, so erleidet diese
Theorie einen argen Stoß. Inbezug auf die uns bis jetzt bekannten
Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. 367
Monotremen ist es gewiss beachtenswert, dass sie sich vornehmlich
im Osten des angegebenen Verbreitungsbezirkes finden. Der Verbrei-
tungsbezirk der Ameisenigel mit den Gattungen Echidna oder Tachy-
glossus und Acanthoglossus erstreckt sich von der Känguru-Insel und
Tasmanien im Süden über das östliche Neuholland bis nach Neu-
Guinea im Norden. Ihr westliches Vorkommen erscheint zweifelhaft,
zum mindesten sporadisch. Ornithorhynchus, das Wasserschnabeltier,
ist bisher nur östlich vom St. Vinzent-Golfe gefunden worden.
Das Vorkommen der Marsupialien oder Beuteltiere ist beschränkt
auf Neuholland mit den nächstgelegenen Inseln, Südamerika und zwei
kleinen Distrikten Nordamerikas. Es ist beachtenswert, dass das
virginische Opossum, Didelphys virginiana, in dem in die Halbinsel
Florida auslaufenden Zipfel Nordamerikas sich findet, während die
zweite der beiden einzigen Beuteltierarten Nordamerikas, Didelphys
californica, einen fast ebenso abgelegenen Distrikt, Mejiko und das
Südende Kaliforniens, bewohnt. Alle noch übrigen zahlreichen und
einander sehr nahe stehenden Beuteltierarten Amerikas sind auf die
südamerikanische Region beschränkt. Aus dem Umstande, dass sämt-
liche amerikanische Beuteltiere fünfzehige Füße besitzen, während
dies bekanntlich bei den australischen Beuteltieren nur in sehr be-
schränkter Weise der Fall ist, hat man geschlossen, dass die ameri-
kanischen Beutler der Stammform der Marsupialien näher stehen als
die australischen. Ist unsere Theorie richtig, dann ist dieses nicht
wunderbar. Denn die australischen Beuteltiere haben im Vergleiche
mit den Amerikanern eine sehr weite Strecke durchwandert, auf
welcher sie vorzügliche Gelegenheit hatten, ihren Gliedmaßenbau
umzubilden. Finden wir doch auch die abweichendsten Vertreter der
Straußvögel, die Kiwi, in dem entlegenen Neuseeland.
Sehr interessant ist die geographische Verbreitung der Halbaflen
oder Lemuroiden; hat doch grade sie zu der Lemuria-Hypothese ge-
führt. Wir müssen diese Hypothese als durchaus unnötig verwerfen,
da die eigentümliche geographische Verbreitung der heutigen Halb-
affen, auch wenn man an ihrem gemeinsamen Ursprunge festhält, aus
der viel besser begründeten Annahme von der relativen Beständigkeit
der Kontinente sich erklärt. Die gegenwärtig lebenden Halbaffen sind,
wie die Strauße, Kloakentiere und Beutler, Reste einer alten im Norden
der Erde entstandenen Tiergruppe, welche von später auftretenden
Ordnungen allmählich nach Süden in abgelegene Erdenwinkel hinein
verdrängt und dadurch zersplittert wurde. Die Halbaffen von heute
zerfallen in vier Familien, deren geographische Verbreitung unsere
Hypothese in sehr befriedigender Weise bestätigt. Die einzige Art
aus der Familie der Flattermakis, Gauleopithecus volans, bewohnt
Malakka und viele der ostindischen Inseln. Die Familie der Fingertiere
mit der einzigen Art Chiromys madagascariensis, dem Aye-Aye, ist
beschränkt auf Madagaskar. Der einzige Vertreter der Familie der
368 Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna.
Gespenstaffen, Tarsius spectrum, ist ein Bewohner des ostindischen
Archipels. Die meisten Arten der Lemurinen, welche die noch übrige
Familie der Halbaffen bilden, finden sich auf Madagaskar. Doch sind
die Plumploris, Nyeticebus, in Hinterindien von Ost-Bengalen bis Süd-
China- und auf den Sunda-Inseln zuhause. Die Schlankloris, Stenops,
leben in den Distrikten von Madras und Malabar auf Vorderindien,
nicht minder auch auf Zeylon. Der Potto, Perodietius potto, lebt als
einzige Art seiner Gattung in der Sierra Leone, und der Bärenmaki,
Arctocebus calabarensis, gleichfalls die einzige Art seiner Gattung,
nieht weit davon in Alt-Calabar. Nur die Galagos haben eine wei-
tere Verbreitung als sämtliche andern Gattungen der in etwa sechzig
Arten zerfallenden Halbaffen; sie finden sich von Fernando Po bis
Sansibar und Natal. Alle andern Lemuroiden sind, wie wir gesehen
haben, Bewohner abgelegener Erdenwinkel.
Nieht ganz so schön für unsere Hypothese gestaltet sich die
geographische Verbreitung der zahnarmen Säugetiere oder Edentaten.
Immerhin ist sie befriedigend genug. Die Familien der Bradypoden
oder Faultiere, der Dasypoden oder Gürteltiere und der Myrmecophagen
oder Ameisenbären sind auf die südamerikanische oder neotropische
Region beschränkt. Die afrikanischen Oryeteropoden oder Erdferkel
zerfallen in vielleicht drei Arten, von denen die eine das Kapland,
die zweite Nordost-Afrika, die dritte das Senegalgebiet bewohnt. Die
Mavididen oder Schuppentiere finden sich in Afrika südlich von der
Sahara und in Ostindien, mit Einbegriff Zeylons und der östlichen
Inseln. Ueber das Alter der Ordnung der Zahnarmen sind wir noch
im unklaren. Aber abgesehen davon ist die Gruppe eine wenig wider-
standsfähige und beweist jedenfalls durch ihre frühere und gegen-
wärtige geographische Verbreitung, dass sie aus einem größern mehr
oder minder zusammenhängenden Gebiete auf die von ihr heute be-
wohnten Bezirke verdrängt ist. Jenes größere Gebiet kann sich nur
auf der nördlichen Hemisphäre befunden haben.
Recht brauchbar für unsern Zweck ist wieder die Säugetierord-
nung der Insektenfresser oder Insektivoren. Doch müssen wir die
Familien der Igel, Spitzmäuse und Maulwürfe, welche weit über die
Erde verbreitet sind, von der Betrachtung ausschließen. Die Igel sind
durch ihr Borstenkleid, die Spitzmäuse durch ihre Behendigkeit, die
Maulwürfe dureh ihre unterirdische Lebensweise in vorzüglicher Weise
erhaltungsmäßig ausgestattet und konnten deshalb nicht leicht aus
dem weiten Gebiet ihrer Urheimat verdrängt werden. Von den übrigen
Familien sind die Makrosceliden oder Rohrrüssler fast ganz auf Süd-
Afrika beschränkt, von wo aus sie sich bis Mosambik finden. Indess
bewohnt eine Art der Gattung Macroscelides die Barbarei und Algerien;
aber die Gattungen Petrodromys und Rhyncocyon sind mit je einer
Art auf Mosambik beschränkt. Von der vorzugsweise indo-malayischen
Familie der Tupaiiden bewohnt die Gattung Tupaia die Sunda-Inseln
Haacke, Der Nordpol als Schöpfungszentrum der Landfauna. 369
und indochinesischen Länder; eine Art findet sich auf dem Khasia-
Gebirg in Hinterindien, eine andere in der Nähe von Madras. Die
Gattung Hylomys reicht von Tenasserim bis Java und Borneo, Ptilo-
cerus gehört der letztern Insel an. Sehr interessant ist die Verbrei-
tung der Borstenigel oder Centetiden. Während die meisten Arten
dieser Familie auf die Subregion von Madagaskar beschränkt sind,
bewohnt die Gattung Solenodon die Antillen. Die Potamogaliden sind
auf West-Afrika, die Goldmullen oder Chrysochloriden auf Süd-Afrika
zurückgedrängt; die letztern bewohnen das Kapland, eine Art reicht
bis Mosambik.
Als eine alte Ordnung sollten hier noch die Nagetiere erwähnt
werden. Indess sind diese Tiere mit einer in hohem Grade erhal-
tungsmäßigen Organisation ausgestattet, welche schon genügt, sie für
unsern Zweck durchaus unbrauchbar zu machen. Sie haben denn
auch eine äußerst weite Verbreitung.
Betreffend die ehemalige geographische Verbreitung der be-
sprochenen Tierordnungen genügt es zu sagen, dass Vertreter aller
in einer für unsere Hypothese hinlänglichen Anzahl fossil in den Erd-
schichten der nördlichen Hemisphäre, sowohl in der neuen wie in der
alten Welt sich finden.
Das Vorstehende wird genügen, um unsere Hypothese als disku-
tierbar nachzuweisen. Wir behaupteten als wahrscheinlich, dass der
Nordpol der Schöpfungsmittelpunkt der Landtierordnungen unserer
Erde war, dass sich die letztern von den großen nördlichen Kontinental-
massen aus über die Erde verbreitet haben. Dann mussten sich die
Ueberreste älterer und wenig erhaltungsmäßig organisierter Ordnungen
vorzugsweise in abgelegenen südlichen Erdenwinkeln finden. Als
dergleichen Ordnungen können wir die niedern Vögel, nämlich die
Rabiten, und die niedern Säugetiere nach Ausschluss der Nager, Igel,
Maulwürfe und Spitzmäuse, nämlich die Monotremen, Marsupialien,
Lemuroiden, Edentaten und den Rest der Insektivoren ansprechen.
Abgelegene Erdenwinkel bilden Neuholland mit Neuguinea und Neu-
seeland, Hinterindien mit seinem Archipel, Vorderindien mit Zeylon;
ferner das Somaliland, Mosambik mit Madagaskar, das Kapland und
die Sierra Leone mit ihrer Umgebung; endlich ganz Südamerika,
insbesonders sein Südende, Florida mit den Antillen und Süd-Kalifornien.
Wir fanden, dass die Verbreitungsbezirke der genannten Tiere in auf-
fallender Weise mit den aufgezählten entlegenen Erdenwinkeln sich
decken, während wir ihre fossilen Verwandten im Norden finden, und
sind berechtigt, darin die Stichhaltigkeit unserer Hypothese bestätigt
zu sehen.
Diese Hypothese, welche an der relativen Beständigkeit der Kon-
tinente festhält, die Annahme ehemaliger jetzt unter den Meeresspiegel
versunkener Kontinente verwirft, jedoch eine relative Verschiebbarkeit
der Küstenlinien annimmt, so zwar, dass einst der jetzt von der
VI, 24
370 Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens.
Tausendfaden - Linie umrahmte Meeresboden Land gewesen sein mag,
bedarf nicht der Annahme eines polyphyletischen Ursprungs der Land-
tierordnungen, obwohl sie denselben nicht unbedingt in Abrede stellen
will. Ganz neu ist die Hypothese nicht; vielmehr scheint es mir,
dass sie schon mit einigen Abweichungen implieite m den Werken des
ausgezeichneten Wallace enthalten ist. Ihm muss ieh hier den Tribut
meiner Dankbarkeit abstatten. Ich habe versucht, dasjenige, was für
mich das Hauptergebnis seiner Werke ist, in bündiger Form zusammen-
zufassen, auszusprechen und durch dazu besonders geeignet erschei-
nende Thatsachen zu begründen. Es ist mein Wunsch, dass meine
Hypothese von andern unter Heranziehung anderer Thatsachen ge-
prüft werde und sich, falls sie die Prüfung vorläufig besteht, ferner
als nützlich erweisen möge.
Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens!).
Von Prof. ©. Langendorff in Königsberg.
Das Cheyne-Stoke’sche Phänomen ist bekanntlich dadurch
charakterisiert, dass die Atmung von Zeit zu Zeit aussetzt, und dass
mit den bald längern, bald kürzern Pausen größere oder kleinere
Atmungsreihen abwechsen. Die letztern sind in typischen Fällen
dureh treppenartig an- und absteigende Tiefe und dureh an- und ab-
schwellende Frequenz ausgezeichnet; doch kommen in dieser Bezieh-
ung die größten Variationen vor; die Frequenz- und Tiefenänderungen
können sogar gänzlich fehlen, so dass man sie als wesentliche Er-
scheinungen nicht betrachten kann. Das Wesentliche ist eben nur der
periodische Wechsel von Atmungsgruppen und Atmungs-
pausen.
Eine solche Periodik ist den Atmungsapparaten nicht allein eigen-
tümlich; auch andere rhythmisch thätige Organe können, wie von
verschiedenen Forschern gezeigt worden ist, ihr verfallen. Will man
der Ursache des Cheyne-Stoke’schen Atmens nachgehen, so sind
diese Erfahrungen zu berücksichtigen.
Am häufigsten zeigt das Herz den periodisch aussetzenden Rhythmus.
Nach Lueiani zeigt diese Erscheinung das sinuslose, mit Serum ge-
speiste, am Manometer arbeitende Froschherz. Rotes Blut stellt die
normale Schlagfolge eines solchen wieder her. Dieselbe Erscheinuug
wird beobachtet, wenn man durch Quetschung den Zusammenhang
der Vorhöfe und der Kammer des Herzens eines kurarisierten, sonst
unversehrten Frosches unterbricht; der Ventrikel verfällt in periodisch-
I) Nach einem im Verein für wissenschaftliche Heilkunde zu Königsberg
gehaltenen Vortrage.
Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens. 571
aussetzendes Schlagen, während die Atrien in regelmäßigem Rhythmus
verbleiben. Auch das ganze Herz kann unter Umständen periodisch
pulsieren. Ausgeschnittene Herzen von Hühnerembryonen zeigen nach
Fano ähnliche Erscheinungen. Sie treten auch an den Lymphherzen
des Frosches und an andern rhythmisch tbätigen Organen, auch der
Wirbellosen auf.
Im allgemeinen kann man sagen, dass die häufigste Veranlassung
zum Periodischwerden einer rhythmischen Bewegung die Erstieckung
ist. Wie weit eine solche Ursache auch für das klinisch beobachtete
Cheyne-Stoke’sche Phänomen gilt, will ich nicht näher untersuchen,
zumal von kompetenterer Seite darauf schon hingewiesen worden ist.
Erwähnt sei nur, dass Herzverfettung und andere Heızaffektionen, bei
denen man die Erscheinung beobachtet, mit starker Sauerstofiver-
armung des Blutes einhergehen können, und dass es sich um ähn-
liche, wenn auch lokal bleibende Vorgänge handeln mag, wenn die
Oblongata durch den Druck meningitischer Exsudate oder apoplek-
tischer Ergüsse in ihrer Blutversorgung beeinträchtigt wird.
Für das genaue Studium des Cheyne-Stoke’schen Phänomens
erhebt sich daher die Frage, ob dasselbe experimentell durch Er-
stiekung erzeugt werden kann. Erstiekung kann man bei warmblü-
tigen Tieren dadurch herbeiführen, dass man die Trachea unterbindet,
oder die Tiere verblutet, oder, falls nur Gehirn und oberer Teil des
Rückenmarkes erstickt werden soll, durch Abklemmung der vier Gehirn-
Arterien. Während der lebhaften Vorgänge, die diesen Operationen
folgen, sieht man indess nichts von der in Rede stehenden Erscheinung.
Doch wird man durch eines der Erstickungssymptome daran erinnert.
Nach heftiger Dyspnoe erlahmt die Atmung und steht schließlich still.
Man hält das Tier für tot, denn der Stillstand kann minutenlang
währen. Plötzlich setzt mit einem tiefen Atemzuge die Respiration
wieder ein; ihm folgt eine ganze Reihe weiterer, freilich mit abneh-
mender Tiefe. Nach Beendigung der zuweilen langen Atmungsreihe
ist das Tier tot. Schnappende Kopfatmungen können allerdings die
Rumpfatmung noch eine Weile überdauern, eine Erscheinung, die ich
an Meerschweinchen mehrmals wahrzunehmen Gelegenheit hatte. Wir
haben also auch hier die Erscheinung, dass die Atmung gänzlich auf-
hört und nach längerer Pause wieder beginnt. Ob hier ein Rudiment
periodischen Atmens vorliegt, wird freilich zweifelhaft sein, weil der
Atmungspause nur eine Gruppe, ihr aber dauernder Stillstand folgt.
Doch glaube ich bei langsamem Verbluten einmal nach der zweiten,
gewöhnlich definitiven Pause noch eine zweite Gruppe gesehen zu
haben.
Immerhin bleibt die Gruppenbildung in diesen Fällen höchst
rudimentär. Kann nun Erstickung bei Warmblütern wirklich periodi-
sches Atmen bewirken, so liegt es nahe daran zu denken, dass sie
hier mit zu großer Geschwindigkeit eintritt, die Atmnngszentren zu
24*
372 Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens.
schnell abtötet, als dass die Erscheinung sich voll ausbilden könnte.
Es war mir deshalb von Interesse, kürzlich bei Gelegenheit einer
sehr langsamen, im Laufe von 1—2 Stunden sich abspielenden Er-
stickung das Phänomen in optima forma beobachten zu können. Es
handelte sich um Kaninchen, denen zu andern Zwecken von Herrn
Stud. R. Cohn beide Pleurahöhlen eröfinet und nach geschehenem
Lufteintritt wieder geschlossen worden waren. Drei dieser Tiere
zeigten nun einige Zeit hindurch bis zu ihrem an Erstickung erfolgen-
dem Tode, der übrigens ohne Krämpfe eintrat, eine sehr wohl aus-
geprägte periodisch -aussetzende Atmung. Als gleichzeitig der Blut-
druck der Tiere aufgeschrieben wurde, prägte sich die Atmungspause,
sowie die wechselnde Tiefe der Atmungen in prägnanter Weise an
der Blutdruckkurve aus. (Nebenbei sei bemerkt, dass diese Blutdruck-
zeichnungen der oft erwähnten, sicher unhaltbaren Theorie Filehne’s
durchaus nicht günstig sind. Die Veränderungen der Blutdruckhöhe
sind an sieh gering und immer derartig, dass sie als durch die Ver-
änderungen der Atmungstiefe bedingt angesehen werden können.)
Wenn bei Säugetieren die Erstickung in der Regel zu akut ver-
läuft, um zum Periodisch- Atmen zu führen, eine länger protrahierte
Erstiekung aber die Erscheinung hervortreten lässt, so ist zu erwarten,
dass dieselbe in denjenigen Tierklassen, in denen die chemischen
Lebensprozesse von Natur einen sehr langsamen Verlauf haben, leich-
ter zur Beobachtung kommen werde.
In der That lässt sich zeigen, dass, wenn man Kaltblüter, z. B.
Frösche, ersticken lässt, jedesmal für die Zeit von !/, bis 2 Stunden
periodisch-aussetzendes Atmen erscheint. Das haben die vor einigen
Jahren unternommenen gleichzeitigen Versuche von Siebert und
mir, und von Luchsinger und Sokolow nachgewiesen. Wir
unterbanden die gemeinsame Aorta und sahen nach wenigen Minuten
bereits schöne Atmungsgruppen sich ausbilden. Mit zunehmender Er-
stiekung nahm die Zahl der in den einzelnen Gruppen vorhandenen
Atmungen ab, schließlich blieben nur noch weit von einander ab-
stehende Einzelatmungen übrig, denen sich dann der dauernde Still-
stand anschlos#. Bei der der Freigebung der Ligatur folgenden Er-
holung trat wieder Periodik, später normale Rhythmik auf, voraus-
gesetzt, dass die Bluthemmung nicht zu lange Zeit bestanden hatte.
Schon damals fiel den beiderseitigen Beobachtern während des
Studiums der Atmungsgruppen eine Erscheinung auf, die von allge-
meiner Bedeutung für das Studium der periodischen Thätigkeit nervöser
Zentralapparate zu sein scheint. Ich habe dieselben weiterhin näher
untersucht, und möchte sie hier etwas eingehender darstellen.
Obwohl schon Traube erwähnt, dass beim Cheyne-Stoke’-
schen Phänomen des Menschen den Atmungsgruppen sich gewisse
Begleiterscheinungen von seiten des Kreislaufapparates u. a. hinzu-
gesellen können, dürfte ©. Rosenbach der erste gewesen sein, der
Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens. 375
eindringlich darauf hinwies, dass es sich beim Cheyne-Stoke’schen
Phänomen des Klinikers nicht allein, sogar nicht einmal wesentlich
um die Atmungserscheinungen handelt, sondern dass dasselbe ein
Symptomenkomplex ist, an dem eine ganze Reihe nervöser Zentral-
apparate teilnimmt. Es können Erscheinungen von seiten des Groß-
hirns, der Zentren für Pupillen- und Augapfelbewegung, des Gefäß-
zentrums, und des herzhemmenden Vaguszentrums, der Zentren für
die Skeletmuskeln, die periodisch- wechselnden respiratorischen Er-
scheinungen begleiten.
Bei erstickenden Fröschen tritt nun die Komplexität der Erschei-
nungen oft mit großer Deutlichkeit hervor.
Zunächst muss der die Atmungsgruppen sehr oft, wenn auch nicht
immer, begleitenden Bewegungsanfälle gedacht werden. Schon
kurz vor Beginn einer Atmungsreihe macht sich an dem während der
Pause wie schlafend oder tot daliegenden Frosche eine gewisse mo-
torische Unruhe bemerkbar. Er richtet sich auf, verändert seinen
Platz, hüpft auch wohl eine beträchtliche Strecke weit, und versinkt,
wenn der Atmungsanfall zu Evnde gegangen ist, an dem neuen Ruhe-
platze wieder in seine Lethargie. In manchen Fällen sind die Be-
wegungen mehr krampfartig. Bei kräftigen frischgefangenen Gras-
fröschen sah ich wahre an Strychnin- Vergiftung erinnernde Krämpfe
auftreten.
Hat man Frösche mit Strychnin vergiftet und erstickt sie dann
in einer abgeschlossenen Wassermasse, so treten besonders in den
spätern Stadien regelmäßige periodische Streckkrämpfe auf. In den
Pausen hocken die Tiere anscheinend leblos auf dem Grunde des
Gefäßes; in Abständen von 8—10 Minuten werden sie von heftigen
Streckkrämpfen ergriffen, die mehrere Sekunden lang andauern. Nach
Beendigung des Anfalles sinkt das Tier schlaff in seine alte Lage
zurück. Aeußere Reize sind bei der Auslösung dieser periodischen
Krämpfe nicht im Spiele, wie mir mehrfache Kontrolversuche bewiesen
haben. Die Krampfanfälle können übrigens noch andauern, nachdem
die Atmungsthätigkeit bereits erloschen ist — offenbar deshalb, weil
die spinalen Zentren der Erstickung später erliegen, wie die bulbären
oder gar die zerebralen.
An unvergifteten Tieren kann man noch folgende Wahrnehmungen
machen: Erstickende Frösche lassen sich in der Pause, besonders zu
Beginn derselben, ohne Widerstreben auf den Rücken legen, was ein
normaler Frosch bekanntlich niemals duldet. In dieser Zwangslage
verharren sie nun während des ganzen Restes der Pause. Mit be-
ginnendem Anfall aber drehen sie sich um. Es ist wie wenn das
Tier oder vielmehr sein ruhender Sinn für die Erhaltung der Normal-
lage plötzlich erwachte. Während der Pause kann man dem Tiere
die Beine in komplizierter Weise verschränken: die Beseitigung dieser
erzwungenen Stellung erfolgt erst mit dem Anfall. Oft bleibt der
374 Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens.
Frosch, wie überrascht vom Einbruch der Pause, in unnatürlichen
und unbequemen Stellungen liegen; erst nach Beendigung der Pause
repariert er dieselben. Diese Erscheinung erinnert an die von klini-
scher Seite beobachtete Thatsache, dass Kranke beim Cheyne-
Stoke’schen Phänomen mit dem Eintritt der Pause Bewegungen
nicht vollendeten, die sie während des Anfalles begonnen hatten.
Ueberhaupt bieten die Beobachtungen an Menschen mancherlei Ana-
logien dar zu den hier mitgeteilten.
Wer die Lokomotionsanstrengungen des erstickenden Frosches
sieht, wird anfangs geneigt sein, sie für die willkürlichen Bewegungs-
äußerungen eines von Zeit zu Zeit aus seinem lethargischen Zustande
erweckten Tieres zu halten. Sie treten indess noch nach Entfernung
des Großhirns, ja nach Entfernung des Mittelhirns (Lobi optiei) in
derselben Weise auf, wie vorher. Ja, es scheinen Rudimente dieser
periodischen Bewegungsanfälle, wenn auch nicht mehr mit Atmungs-
gruppen verschwistert, sogar noch nach Fortnahme des verlängerten
Markes vorzukommen. Man hat es demnach lediglich mit einem
willkürliche Impulse nicht voraussetzenden Mechanismus zu thun, der
teilweise wenigstens als Analogon der beim Warmblüter zu beobach-
tenden, freilich schneller und heftiger ablaufenden Erstiekungskrämpfe
aufzufassen ist.
Auch das Wiederumdrehen aus der Rückenlage tritt noch bei
Fröschen ein, die Großhirn und Sehlappen eingebüßt haben.
Eine weitere Erscheinung, die neben den Atmungs- und Bewegungs-
symptomen an erstickenden Fröschen auffällt, macht sich am Herzen
bemerklich. Bei erregbaren Fröschen, besonders bei frischgefangenen
Exemplaren von R. temporaria, sah ich zuweilen jeden Anfall durch einen
kürzern oder längern Herzstillstand bezeichnet. Bei sonst frequent schla-
genden Herzen treten Stillstände von 5 und mehr Sekunden Dauer ein.
Gewöhnlich beginnt die Herzpause kurz vor dem Atmungsanfall. Bei
minder reizbaren Präparaten kommt es nur zur periodischen Puls-
verlangsamung, bei vielen fehlt endlich jede merkliche Aenderung der
Schlagfolge. Zweifellos ist die Erscheinung auf eine mit den Atmungs-
fällen synehrone Erregung des Vaguszentrums zu beziehen. Mit dem
oben erwähnten periodischen Schlagen erstickender Herzen ist die
hier berührte Erscheinung schon deshalb nicht zu verwechseln, weil
das erstere nach viel längerer Erstickungsdauer eintritt, zu einer Zeit,
wo selbst das Rückenmark längst völliger Lähmung verfallen ist.
Die die Atmungsanfälle begleitenden Herzsymptome bleiben nach Ver-
siftung mit Kurare oder Atropin aus.
Dass auch die Lymphherzen an den Erstickungsanfällen ihren
Anteil haben, babe ich bereits in einer frühern Mitteilung erwähnt.
Auch sie erfahren bei jedem Anfall eine Unterbrechung ihrer Thätig-
keit. Der Stillstand erscheint (an beiden hintern Herzen zugleich,
wahrscheinlich auch an den vordern) bereits vor dem Ausbruch des
Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne -Stoke’schen Phänomens. 375
’ fe) IL)
Bewegungsanfalles und überdauert meistens ihn und die Atmungs-
gruppe. Der Eintritt eines Stillstandes, der in diesem Erstiekungs-
stadium sonst noch regelmäßig pulsierenden Lymphherzen ist ein
sicheres Signal für den bevorstehenden Ausbruch eines Anfalles. Die
Ursache der Intermission liegt offenbar in einer Reizung der nach-
weislich in der Oblongata oder im Gehirn vorhandenen Hemmungs-
apparate.
Wie sich die vasomotorischen Zentren verhalten, vermag
ich aus eigner Erfahrung nicht zu sagen. Luchsinger und Soko-
low haben behauptet, dass der Blutdruck beim Anfalle keine Ver-
änderung zeige; doch ist es mir fraglich, ob dies für alle Fälle zutrifft.
Aus Analogie wäre auf eine Erregung auch der vasomotorischen
Zentren zu schließen. Freilich würde, wenn eine solche sich auch
beim Frosche nachweisen ließe, daraus der Filehne’schen Theorie
des Cheyne-Stoke’schen Phänomens keine Stütze erwachsen.
An den Pupillen sah ich Veränderungen nieht auftreten.
Betrachtet man den ganzen reichhaltigen Symptomenkomplex, wie
er sich beim Cheyne-Stoke’schen Phänomen des Menschen und
beim erstickenden Frosche darstellt, so erhebt sich die Frage nach
der Natur der Zusammenhanges dieser Erscheinungen.
Es liegen hier drei Möglichkeiten vor: 1) die Erregung geht vom
Atmungszentrum aus; die eingetretenen zum Teil verstärkten Atmungen
schaffen wieder Sauerstoff ins Blut und beleben dadurch die übrigen,
vorher in Erstiekungsohnmacht versunkenen Zentralorgane. Hierbei
wäre besonders an die Großhirn- und Mittelhirnfunktionen gedacht.
Für den Frosch muss diese Deutung von vornherein schon deshalb
zurückgewiesen werden, weil ein verbluteter oder mit Aortenligatur
versehener Frosch bei der Atmung Sauerstoff überhaupt nieht mehr
aufzunehmen vermag. Dadurch wird diese Erklärung auch für die
analogen Erscheinungen am Menschen unwahrscheinlieh.
2) Die Erregung betrifft zunächst das Atmungszentrum und strahlt
von diesem auf die benachbarten Zentralorgane aus. Entschließt
man sich zu einer solehen Annahme, so vindiziert man dem Atmungs-
zentrum eine Art von Anführerrolle gegenüber den andern Zentral-
apparaten des Höhlengraus; und dafür liegt doch sonst kein Anhalts-
punkt vor. Gegen die Irradiation spricht die oben erwähnte Thatsache,
dass die übrigen Erregungserscheinungen bereits früher einzusetzen
pflegen, wie der Atmungsanfall. Handelt es sich um eine Ausstrah-
lung der Erregung vom Atmungszentrum her, so ist zu erwarten,
dass eine solche erst dann eintritt, wenn die Erregung mindestens
schon zu Atmungen geführt hat. Gegen die Irradiation sprechen auch
die erwähnten rudimentären Bewegungsanfälle oblongataloser Frösche,
und die periodischen Strychninkrämpfe solcher Tiere, deren Atmung
bereits der Erstickung unterlegen ist.
3) Es bleibt demnach nur übrig, die verschiedenen einen An-
376 Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne - Stoke’schen Phänomens.
fall zusammensetzenden Thätigkeitsäußerungen als koordinierte
Folgen einer periodisch durehbrechenden Reizung der
grauen Substanz von Hirn und Rückenmark zu deuten.
Diese Deutung ist eigentlich die einfachste, und sie würde auch die
nächstliegende sein, wenn man nieht durch die prägnanten Erschei-
nungen am Atmungsapparat (besonders beim klinischen Cheyne-
Stoke’schen Phänomen) veranlasst würde, diesem eine besonders
hervorragende Rolle zuzuerteilen. Das Hervortreten der Atmungs-
erscheinungen beruht indess auf äußerlichen Gründen; und führt man
an, dass die übrigen Erscheinungen völlig fehlen können, die Atmungs-
anfälle deshalb das einzig Essentielle des Symptomenkomplexes sein
müssen, so ist zu bemerken, dass dies durch die allgemein angenom-
mene höhere Erregbarkeit des Atmungszentrums in ausreichender
Weise erklärt wird.
Kehren wir nach dieser etwas langen, aber für das Verständnis
des Phänomens vielleicht nicht unfruchtbaren Abschweifung zur Be-
sprechung der Ursachen des periodischen Atems zurück !
Wir haben gesehen, dass Erstieckung oder besser ein unter
die Norm gesunkener und für längere Zeit abuorm gering bleibender
Sauerstoffgehalt der Organe zur Ursache dieser Erscheinung werden
kann. Ein solcher Zustand ist aber keineswegs in allen Fällen, in
denen er zur Beobachtung kommt, ohne weiteres vorauszusetzen. Das
periodische Atem ist nämlich bei Säugetieren auch unter folgenden
Bedingungen beobachtet worden.
Bevor noch Traube auf die Stoke’schen Beobachtungen auf-
merksam gemacht und seine eignen Erfahrungen mitgeteilt hatte, be-
schrieb Schiff ein eigentümliches Atmungsphänomen, das bei Vivi-
sektionen infolge von reichlichem Bluterguss in das verlängerte Mark
oder stärkerem Druck auf dasselbe auftrat: Die Respirationen fehlen
eine viertel oder eine halbe Minute ganz, beginnen dann langsam,
beschleunigen sich, nehmen darauf wieder ab, bis eine abermalige
Pause eintritt. Ein ähnliches Phänomen hat, wie es scheint, Leyden
bei seinen experimentellen Untersuchungen über Hirndruck beobachtet.
Kronecker und Markwald u. a. bemerkten Cheyne-Stoke’sches
Atmen nach hoher Durchschneidung der Oblongata, dureh welche die
Atmung noch nicht gelähmt wurde. Dr. Joseph und ich sahen die
spinalen Atmungen eines oblongatalosen Kaninchens diese Form an-
nehmen. Heidenhain beschrieb periodisch-aussetzendes Atmen bei
tief chloralisierten Hunden. In weiterer Verfolgung dieser Angabe
hat Filehne tiefe Narkotisierung von Tieren mit Morphium und
Chloralhydrat angewendet, um das Phänomen experimentell nach
Belieben zu erzeugen. Doch muss bemerkt werden, dass die Pausen
hierbei kurz zu sein, die Gruppen nur aus zwei bis drei Atmungen
Langendorfi, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne-Stoke’schen Phänomens. 377
zu bestehen pflegen. Ganz ähnlich war die Atmung in einem Falle,
den ich an einem neugebornen Kätzchen wahrnahm, das ich zentri-
petaler Vagusreizung unterworfen hatte. Der Reizung folgte ein
exspiratorischer Stillstand; nach dem Aufhören blieb längere Zeit hin-
durch ausgesprochenes Gruppenatmen zurück. Bei Kaninchen sah
ich einer Reizung der nasalen Trigeminusenden durch Chlorotform-
dämpfe periodisches Atem folgen. Endlich beobachtete ich dasselbe
gemeinschaftlich mit Herrn Bongers bei winterschlafenden Igeln.
Diese Beobachtung bot insofern besonderes Interesse, als die Atmungs-
pausen ungemein lange, bis gegen 40 Minuten, währten. Das Phä-
nomen dauerte während des ganzen Winters an. Schon vorher hatte
Mosso am winterschlafenden Myoxus avellanarius ab und zu perio-
disches Atmen gesehen. An zwei Haselmäusen, die während des
Winters 1883/84 im Königsberger physiologischen Institut ihren Winter-
schlaf hielten, vermochten wir stets nur regelmäßiges Atmen zu be-
obachten. Fano sah periodisches Atmen bei winterschlafenden Schild-
kröten und Alligatoren. Zum Schluss sei noch einer Erscheinung
Erwähnung gethan, die sich allerdings von dem gewöhnlichen Typus
des periodisch - aussetzenden Atmens unterscheidet, die aber einen
Uebergang zu demselben darstellen dürfte. Es kommen nämlich sehr
ausgesprochene Periodizitäten in der Atmungsfrequenz vor. »o
sah ich bei einem einer subkutanen Kurare- Injektion allmählich er-
liegenden Meerschweinchen die Atmung eine Zeit lang vor ihrem Er-
löschen in periodischem Wechsel schneller und flacher und wieder
tiefer und langsamer werden. Am erstickenden Herzen kommt ähn-
liches vor. Ich habe darauf bezügliche Kurvenzeiehnungen von Frosch-
herzen mitgeteilt. An embryonalen Hühnerherzen hat jüngst Fano
ähnliches beobachtet.
Das Vorkommen des Cheyne-Stoke’schen Phänomens beim
Menschen hier zu besprechen, würde man mir um so eher erlassen,
als darüber mehrfach und in erschöpfender Weise von klinischen
Autoren berichtet worden ist. Es ist bekannt, dass, wie von Traube
und andern gezeigt worden ist, die verschiedensten Affektionen zum
periodischen Atmen führen können. Dass aber auch beim gesunden
Menschen im Schlafe (und zwar im natürlichen wie im Chloralschlafe)
diese Atmungsform auftreten kann, hat Mosso zuerst bemerkt.
Suchen wir nunmehr, nachdem wir das Vorkommen des Cheyne-
Stoke’schen Atmungs- Phänomens oder der ihm ähnlichen Atmungs-
formen nebst ihren Begleiterscheinungen studiert haben, nach einer
Erklärung für diese für den Arzt wie für den Physiologen wichtige
und interessante Erscheinung, so werden wir dieselbe zunächst ganz
allgemein, ohne Rücksicht auf die Differenzen ihrer Form, zu betrach-
ten haben. Wir werden einfach fragen müssen: wie kann aus
378 Langendorff, Beiträge zur Kenntnis des Cheyne -Stoke’schen Phänomens.
dem gewöhnlichen rhythmischen Atmen das periodisch
aussetzende werden?
Gegenüber dem Phänomen der Periodik ist alles Uebrige, also die
wechselnde Tiefe und Frequenz der Atmungen, die Größe oder Klein-
heit der Gruppen und der Pausen, sehon deshalb unwichtig, weil die
in dieser Richtung beobachteten Typen selbst für den Menschen nichts
weniger als konstant sind. Es ist deshalb zunächst für uns ohne
Belang, wenn manche Autoren, wie Biot und Knoll, zwei Arten
des periodischen Atmens beim Menschen unterscheiden, den eigent-
liehen Cheyne-Stoke’schen Typus von dem von ihnen so genannten
meningitischen Atem abtrennen. Von beiden wäre wieder das Atmen
des erstickenden Frosches und des winterschlafenden Igels verschieden.
Doch fallen alle unter den Gesichtspunkt einer periodisch aussetzenden
Bewegung.
Eine Erklärung der letztern aber wird man anzuknüpfen haben
an die Anschauungen, die man sich von den Ursachen der rhythmi-
schen Bewegungen überhaupt gemacht hat. Denn der periodisch-
aussetzende Rhythmus ist ja nichts Anderes als eine Rhythmik mit
zwei verschiedenen Perioden, einer langsamern und einer schnellern:
die erstere entspricht dem Wechsel von Gruppen und Pausen, die
andere innerhalb einer Gruppe dem Wechsel von Einatmung und
Ausatmung. Schließt man sich nun für die Deutung der kleinen
Periode der sogenannten Widerstandshypothese an, nimmt man an,
dass der Rhythmus der gewöhnlichen Atmung dadurch bedingt ist,
dass ein kontinuierlicher Reiz die Atmungszentren trifft, dass die Er-
regung der letztern aber auf ihrem Wege zur Peripherie auf Wider-
stände stößt, die dem kontinuierlichen Impulse nur periodische Aus-
ladungen gestatten, so wird man, wie ich an anderer Stelle gezeigt
habe, auch für die Deutung der großen Perioden, d. h. des Wechsels
der Gruppen und Pausen, nicht in Verlegenheit sein. Vor dem Wider-
stande, der die Periodizität der Einatmungen veranlasst, müsste ein
zweiter größerer Widerstand gedacht werden, der zur Ursache der
periodischen Entladungsschübe würde. Weder die Erregbarkeit der
Zentralorgane noch die Atmungsreize brauchte man sich dann als
periodisch wechselnd vorzustellen.
Es fragt sich nur, ob die Bedingungen, die zu dem Auftreten des
Phänomens führen, derartige sind, dass sie zur Annahme eines solchen
großen, neu auftretenden Widerstandes berechtigen. Diese Frage kann
bejaht werden.
Schon Traube hat bemerkt, dass alle Fälle, in denen das kli-
nische Phänomen beobachtet wird, ausgezeichnet sind durch eine
Herabsetzung der Erregbarkeit des Atmungszentrums.
Mangelhafte Versorgung mit Sauerstoff kann wohl zweifellos zu einer
solchen führen. Somit fallen unter diese Rubrik alle Fälle, in denen
„langsame Erstickung“ zur Ursache der Erscheinung wird. Man wird
Baumann, Aetherschwefelsäuren des Harns und Amidosäuren im Tierkörper. 379
aber nicht zu weit gehen, wenn man auch für das winterschlafende
Tier, für den tief im normalen oder im Chloralschlaf befindlichen
Menschen, für die unter dem Einflusse einer atmungshemmenden Er-
regung der Vagi oder des Trigeminus stehenden Kaninchen und
Katzen, für die mit Morphium oder Chloralhydrat vergifteten Warm-
blüter die Annahme einer tiefen Erregbarkeitsherabsetzung der den
Atmungsapparaten dienstbaren Zentralorgane macht.
Vor einem mit geringer Erregbarkeit begabten Zentrum wird
aber der dasselbe in Thätigkeit bringende Reiz zu einer größern
Höhe anwachsen müssen, wie vor einem leicht erregbaren. Diese
niedrige Erregbarkeitsstufe kann den Widerstand reprä-
sentieren, den unsere Hypothese fordert. In vielen der
Fälle würde es sich nicht allein um die Atmungszentren handeln,
sondern auch das übrige Rückenmarksgrau und die graue Substanz
gewisser Hirnteile wird an der Erregbarkeitsveränderung einen An-
teil haben. In diesen Fällen treten dann den Atmungsgruppen syn-
chrone periodische Entladungen auch dieser Organe auf.
Ich verhehle mir nicht das Hypothetische dieser Ausführungen.
Ich weiß auch, dass die ihnen zu grunde gelegte Rosenthal’sche
Widerstandstheorie unter den Physiologen gegenwärtig nicht mehr
die Anerkennung genießt, die ihr im Anfang entgegengebracht wurde.
Ich halte es aber für ungerecht, sie ganz zu verwerfen, weil sie nieht
alles geleistet hat, was sie ursprünglich versprach. Die Thätigkeit
der regulatorischen Nerven vermag sie allerdings nicht zu erklären.
Aber für die Entstehung der normalen rhythmischen und der periodiseh-
aussetzenden Bewegungen schafft sie doch ein physikalisches greif-
bares Bild, das mehr befriedigt, wie wenn man sich mit einer Um-
schreibung der Thatsachen begnügt.
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg.
IV. Sektion für Physiologie.
Erste Sitzung. Herr Baumann (Freiburg) spricht über die Aetherschwefel-
säuren des Harns und das Verhalten einiger Amidosäuren im Tierkörper.
Die bis jetzt bekannten aromatischen Substanzen des Tierkörpers ent-
stammen entweder dem Eiweiß oder Bestandteilen der Pflanzennahrung, welche
Benzolderivate schon enthalten. Eine Bildung von aromatischen Verbindungen
im Tierkörper aus Substanzen der aliphatischen Reihe ist bis jetzt niemals
beobachtet worden.
Von den aromatischen Substanzen des Tierkörpers, welche im Harn er-
scheinen, gehört die Mehrzahl zu der Klasse der Aetherschwefelsäuren. Von
diesen im Harn aller Tiere in Form von Salzen austretenden Substanzen sind
bis jetzt 7 bekannt, welche im normalen Harn vom Menschen vorkommen: die
Aetherschwefelsäuren des Phenols, des Kresols, des Brenzcatechins, des Indoxyls,
Skatoxyls, der Hydraparacumarsäure und der p. Oxyphenylessigsäure. Die bei-
380 Baumann, Aetherschwefelsäuren des Harns und Amidosäuren im Tierkörper.
den letztgenannten Säuren werden aber stets nur zum kleinsten Teil in Ver-
bindung mit Schwefelsäure im Harn gefunden, zum bei weitem größern Teil
erscheinen sie als solche ungepaart.
Außer diesen Säuren gibt es nun noch weitere, welche durch die geringere
T.öslichkeit ihrer Alkalisalze in Alkohol von den genannten Aetherschwefel-
säuren des Hans getrennt werden können. Daher ist es erklärlich, dass der
Harn von Menschen, welcher Indoxyl, Phenol und die andern bekannten Aether-
schwefelsäuren kaum in Spuren enthält, zuweilen, z. B. bei Dünndarmfisteln,
eine nicht unerhebliche Menge gepaarter Schwefelsäure liefert.
Durch den Nachweis dieser neuen Aetherschwefelsäuren im Harn, deren
Zusammensetzung noch nicht ermittelt ist, gewann die Frage nach der Ab-
stammung dieser Art von Körpern ein erneutes Interesse.
Dass die Menge der Aetherschwefelsäuren sehr wesentlich abhängig ist
von den Fäulnisprozessen im Darm, war schon durch frühere Versuche außer
allen Zweifel gestellt. Die prinzipielle Frage aber, ob es außer den Fäulnis-
prozessen noch andere Quellen der Entstehung dieser Substanzen gibt, ist bis
jetzt ungelöst, denn der Harn hungernder Tiere enthält nach v. d. Velden’s
3estimmung noch wesentliche Mengen von Aetherschwefelsäuren, und nach
üingabe von fäulniswidrigen Mitteln ist bis jetzt immer nur eine Abnahme
dieser Bestandteile des Harns konstatiert worden.
Diese Frage zu entscheiden gelang dadurch, dass einem gutgenährten
Hunde nach Entziehung der Nahrung zweimal Gaben von 2 g Kalomel ver-
abreicht wurden, wodurch der Darm entleert und von Fäulnisprodukten voll-
kommen gesäubert wurde. Der danach entleerte Harn war frei von Phenol,
Indoxyl und Skatoxyl, und enthielt überhaupt keine Spur von Aetherschwefel-
säuren. Letztere entstammen somit sämtlich den Fäulnispro-
zessen im Darm; und die früher gemachten Beobachtungen, dass der Harn
von hungernden Tieren Indoxyl- und andere Aetherschwefelsäuren enthält, ist
nur auf den Umstand zurückzuführen, dass auch im Darm hungernder Tiere
noch nach längerer Zeit Fäulnisprozesse verlaufen, durch welche jene Sub-
stanzen wie beim gefütterten Tiere gebildet wurden.
Nach der Kalomeleingabe verschwand schon früher als die Aetherschwefel-
säuren die Hippursäure aus dem Harn, während früher das Auftreten auch
dieser Säure im Harn hungernder Hunde (Salkowski) konstatiert worden ist.
Dagegen blieb die Kynurensäure als Bestandteil des Harns während der
ganzen Dauer des Versuches erhalten, und ebenso merkliche Mengen der aro-
matischen Oxysäuren, was darauf schließen lässt, dass die Bildung dieser Sub-
stanzen zum Teil von den Fäulnisprozessen unabhängig erfolgt.
Als wichtiges Ergebnis der vorliegenden Versuche ergibt sich der Schluss,
dass die Aetherschwefelsäure-Ausscheidung nicht nur teilweise, sondern voll-
ständig von der Darmfäulnis abhängig ist; diese Erfahrung wird sich weiter
verwerten lassen für die Ermittlung der desinfizierenden Medikamente inner-
halb des Darms.
Der Vortragende führt weiter aus, dass es eine Anzahl von aromatischen
Amidosäuren gibt, zu welchen das Tyrosin gehört, welche im Tierkörper bei
Ausschluss der Fäulnis eine fast völlige Oxydation erfahren, während alle ihnen
nahe verwandten stickstofffreien Körper, sowie alle andern Benzolderivate nur
teilweise oder gar nieht oxydiert werden. Dieses eigentümliche Verhalten der
Amidosäuren, welche bei der Spaltung des Eiweißes gebildet werden, teilt die
von Plöchl entdeckte „Amidozimmtsänre*. Die leichtere Oxydierbarkeit dieser
Substanzen ist offenbar bedingt durch die in ihnen enthaltene NH,gruppe.
Herzen, Spaltung des Temperatursinnes in zwei gesonderte Sinne. 381
Vortrag von Herın A. Herzen (Lausanne) über die Spaltung des
Temperatursinnes in zwei gesonderte Sinne. Im Jahre 1879 machte
ich zufällig folgende Beobachtung: wenn ich in der Nacht mit einem tief „ein-
geschlafenen* Arm erwache, so hat mein Arm nicht nur die Tastempfindung
eingebüßt, sondern auch die Fähigkeit Kälte zu empfinden — während er die
Wärme- und Schmerzeindrücke noch deutlich wahrnimmt. Diese Beobachtung
erzeugte bei mir die Vermutung, dass der sogenannte „Temperatursinn“ viel-
leicht in Wirklichkeit aus einem Kältesinn und einem Wärmesinn bestehe, und
zwar so, dass der erste an den Tastsinn, der zweite an die Fähigkeit Schmerz
zu empfinden, irgendwie gebunden sei.
Eine Reihe von Versuchen an mir selbst und an mehrern andern Personen
bestätigte diese Vermutung; wenn man durch mäßigen andauernden Druck,
z. B. auf den Ischiadieus, ein Bein zur taktilen Anästhesie gebracht hat, und
berührt es nun mit thermisch indifferenten oder mit kalten Gegenständen, so
fühlt man in den meisten Fällen gar nichts; wenn man es aber mit einem
warmen Gegenstand berührt, so fühlt man deutlich die Wärme. Die Empfind-
lichkeit für Wärme und Schmerz geht erst viel später verloren.
Es wurde nun wahrscheinlich, dass die Kälteempfindungen, wie die Tast-
empfindungen, durch die Hinterstränge des Rückenmarks, und die Wärme-
empfindungen, wie der Schmerz, durch die graue Substanz zum Gehirn geleitet
werden — was durch eine andere Versuchsreihe bestätigt wurde; wenn man
nämlich eine Hand oder einen Fuß bald mit kalten (0°) bald mit mäßig warmen
(40—45°) Gegenständen berührt und nicht auf die Berührung, sondern das
Gefühl der Kälte oder der Wärme reagieren lässt, so ist die Reaktionszeit
bei warm immer viel länger als bei kalt. Außerdem hatte ich das Glück,
diese gewiss nicht entscheidenden Resultate sofort durch eine ganz evidente
klinische Beobachtung bestätigt zu sehen:
Eine Frau, die unter anderem an einer taktilen Anästhesie der Beine litt,
während sie schmerzhafte Eindrücke sehr gut empfand, hatte nicht nur ein
deutliches Wärmegefühl bei jeder Berührung ihrer Beine mit warmen Gegen-
ständen, sondern sie konnte auch die verschiedenen Wärmegrade, zwischen 60
(Schmerzgrenze) und 27° unterscheiden; unter 27° dagegen empfand sie gar
nichts, auch nicht wenn man ein Stück Eis mit irgend einem Punkte ihrer
Beine in Berührung brachte. Die Sektion ergab eine Pachymeningitis hyper-
trophica vom vierten bis zum siebenten Rückenwirbel, die sich auf die hintern
2/3 des Rückenmarks erstreckte; dieses war verdünnt und augenscheinlich
pathologisch verändert; die mikroskopische Untersuchung ergab eine trans-
versale Myelitis: Vorderstränge und graue Substanz normal; Hinterstränge und
dorsale Hälfte der Seitenstränge, besonders die Kleinhirn - Seitenstrangbahn,
stark ergriffen. — Seitdem habe ich ein paar Ähnliche Fälle gesehen, die aber
nicht zur Sektion kamen, wo zugleich mit der taktilen Sensibilität die Em-
pfindlichkeit für Kälte verloren, während die Empfindlichkeit für Wärme und
Schmerz erhalten war. — Fälle von Analgesie habe ich leider nie gesehen,
und auch die betreffende Literatur niemals zur Verfügung gehabt; hie und da
habe ich Andeutungen gefunden, die vermuten lassen, dass bei Analgesie ge-
wöhnlich auch eine Unempfindlichkeit für Wärme vorhanden ist.
Im Laufe dieses Jahres habe ich nun die Frage von neuem aufgenommen
und mich bemüht, durch Versuche an Tieren zu prüfen, ob die Sachen sich wirk-
lich so verhalten, wie es aus meinen frühern Beobachtungen hervorzugehen
schien. An Tieren sind aber nur Versuche über Kälteeindrücke möglich, denn
sie reagieren offenbar nur auf unangenehme Eindrücke — und die Berüh-
382 Herzen, Spaltung des 'Temperatursinnes in zwei gesonderte Sinne.
rung ihrer Pfoten mit mäßig warmen Gegenständen ist ihnen im Gegenteil sehı
angenehm, so dass sie gar nicht reagieren, so lange der Gegenstand nieht zu
heiß ist; dann haben wir es aber mit einer Reaktion gegen Schmerz und nicht
auf eine spezifische Empfindung der Wärme zu tlıun — was man eben ver-
meiden muss,
An einigen Katzen und Hunden habe ich nun folgende Resultate konsta-
tiert: einseitige Rückenmarks- und Gehirnverletzungen, welche die Tastempfin-
dung nicht beeinträchtigen, lassen auch die Kälteempfindung bestehen; die-
jenigen Verletzungen hingegen, welche taktile Unempfindlichkeit zur Folge
haben, zerstören zugleich die Fähigkeit Kälte zu empfinden (also Durchschnei-
dungen der Hinterstränge und Exstirpationen der sogenannten „motorischen
Rindencentra“). Bei neugebornen Hunden hat bekanntlich die Zerstörung des
Gyrus sigmoideus gar keine Symptome zur Folge: Motilität und Sensibilität
scheinen sich ganz normal zu verhalten; damit übereinstimmend hat es sich
auch in meinen Versuchen an neugebornen Hunden erwiesen, dass sie, nach
vollständiger Ausrottung der genannten Windung, genau wie im Normalzustande,
vom zehnten Lebenstage an, auf Tast- und Kälteeindrücke reagieren.
Die Versuchsmethode ist eine äußerst einfache: die normale Pfote zuckt
und zieht sich zurück, schlägt sogar aus, beim geringsten Bestreichen mit einem
Strohhalm; bei Berührung mit einem Stückchen Eis reagiert sie auf dieselbe
Weise; berührt man sie aber mit einem thermisch indifferenten Körper, dann
bekommt man höchstens nur im Momente des ersten Kontaktes eine kleine
Zuckung; ganz anders verhält sich die „ataktische* Pfote: sie reagiert gar
nicht auf die genannten Reize. Am deutlichsten erscheint der Unterschied
bei erwachsenen Katzen, wenn man sie in die Luft hebt und nun langsam
tiefer bringt, so dass ihre Hinterbeine bald in lauwarmes, bald in eiskaltes
Wasser eindringen; meistens gelingt es, beide Beine ohne Reaktion in das
lauwarme Wasser zu senken; in das kalte Wasser dagegen senkt sıch nur
das „ataktische* Bein, während das normale heftig zurückgezogen wird; macht
man den Versuch abwechselnd bald mit dem „ataktischen“, bald mit dem nor-
malen Beine, so kann man ihn im ersten Falle nach Belieben fortsetzen und
wiederholen; im letzten duldet das Tier keine Wiederholung, es leistet Wider-
stand und wird oft böse und gefährlich.
Abgesehen von jeder Theorie betreffs des Mechanismus der Temperatur-
empfindungen, scheint mir aus dem Mitgeteilten folgendes hervorzugehen:
1) Dieselbe Region der Hirnrinde (Gyrus sigmoideus) enthält das Zen-
trum (oder die zu demselben führenden Leiter) für Tast- und Kälte-
empfindungen,
2) Beiderlei Empfindungen werden im Rückenmark durch die Hinter-
stränge geleitet.
3) Beide werden durch Druck auf die peripheren Nervenstämme auf-
gehoben.
4) Die Beobachtungen am gesunden und kranken Menschen zeigen, dass
bei pathologisch oder experimentell aufgehobener Empfindlichkeit für
Kälte die Empfindlichkeit für Wärme meistens erhalten ist; sie wird
demnach von andern Nerven, durch andere Bahnen, zu andern Hirn-
zentren vermittelt.
5) Also besteht der „Temperatursinn“ aus zwei Sinnen: einem Kälte-
sinn und einem Wärmesinn, die von einander unabhängig sind,
— sowohl physiologisch wie anatomisch, —
PEN
E%
Vareth, Hirnrindenfelder des Hundes. 383
Obgleich nun die Tast- und Kältesinne einerseits und die Schmerz- und
Wärmesinne anderseits näher aneinander gebunden zu sein scheinen, darf man
sie dennoch gewiss nicht identifizieren, oder etwa die Temperaturempfindungen
als eine Modalität der Tast- oder Schmerzempfiudnngen betrachten. Gegen
eine solche Annahme gibt es übrigens, außer manchen Wahrscheinlichkeits-
gründen, einen ganz entscheidenden experimentellen Grund: die von M. Blix
entdeckte und von Eulenburg, Goldscheider und andern bestätigte Existenz
besonderer, isolierter, unregelmäßig auf der Haut zerstreuter Punkte, von
denen die einen nur Kälte, die andern nur Wärme, die dritten nur Berührung
empfinden. Indem ich die Blix’schen Beobachtungen wiederholte und an ver-
schiedenen Körperstellen bestätigte, stieß ich auf eine Gegend, die sich in
dieser Beziehung ganz eigentimlich verhält: die Oberfläche der Glans penis
des Menschen, obgleich sie der feinern taktilen Unterscheidungen, Lokalisa-
tionen u. 8. w. entbehrt, während sie etwas gröbere Berührungen deutlich wahr-
nimmt, ist für Kälte vollständig unempfindlich. Am Präputium fühlt
man die Kälte im Gegenteil sehr intensiv, aber die dafür empfindlichen Punkte
liegen relativ sehr entfernt von einander; in den Zwischenräumen ist nun das
Tastvermögen außerordentlich fein, so dass die leiseste Berührung sogleich
deutlich empfunden und lokalisiert wird.
Die peripheren Empfangsorgane sind demnach nicht dieselben, folglich
können es auch die zentripetalen Leiter nicht sein: es handelt sich also um
spezifische Nerven, und es erhellt nun, dass ihr gemeinsamer Verlauf in
den hintern Rückenmarkssträngen und ihre gemeinsame Endigung in derselben
Gegend der Hirnrinde nur scheinbar gemeinsam sind.
Zweite Sitzung. Herr S. Exner (Wien) berichtet über eine unter seiner
Leitung im physiologischen Institute zu Wien von Herın Dr. Vareth ausge-
führte Untersuchung über Lage, Ausdehnung und Bedeutung der
motorischen Rindenfelder an der Hirnoberfläche des Hundes.
Die Widersprüche in den Angaben der Autoren über dieses Gebiet waren die
Veranlassung zu dieser Arbeit. An Hunden mittlern Alters wurde in mäßig
tiefer Morphinnarkose durch elektrische Reizung der Hirnoberfläche das zu
verschiedenen Muskeln der Extremitäten, sowie des Facialisgebiets gehörige
Feld bestimmt. Die elektrische Reizung geschah mittels konstanter Ströme
von immer gleicher Dauer und abstufbarer Intensität. Die Muskeln, mit Aus-
nahme des Orbicularis palpebrarum, dessen Kontraktionen durch Inspektion
festgestellt wurden, schrieben mittels zweier Marey’scher Trommeln ihre
Zuckungen auf. Nachdem das Feld, von dem aus Kontraktionen eines be-
stimmten Muskels zu erzielen waren, zunächst eruiert worden war, wurde das-
selbe partienweise zuerst umschnitten, dann unterschnitten. Sollte die Existenz
von Fasern bewiesen sein, welche von der betreffenden Partie direkt in die
Tiefe ziehen und unter Vermittlung subkortikaler Zentren Kontraktionen des
betreffenden Muskels veranlassen, so musste die elektrische Reizung nach Um-
schneidung, d. i. nach Abtrennung der gereizten Partie von der benachbarten
Hirnrinde noch ungefähr denselben Effekt haben wie zuvor; es war dann aus-
geschlossen, dass derselbe auf indirekter Reizung benachbarter Partien durch
bogenförmige Fasern beruht habe.
Die Unterschneidung, d. h. die Durchtrennung der Verbindungen der
gereizten Stelle nach der Tiefe, musste den Effekt der Reizung aufheben; hier-
durch war ausgeschlossen, dass derselbe auf Stromschleifen nach der Tiefe
384 Vareth, Hirnrindenfelder des Hundes.
beruht habe. Nur von jenen Partien, die nach Umschneidung noch Kontraktion
ergaben, nach Unterschneidung nicht mehr (außer bei beträchtlich gesteigerter
Stromstärke), wurde angenommen, dass sie zu dem betreffenden Muskel ge-
hören: dass sie das Rindenfeld dieses Muskels bilden. Doch war es manchmal
nötig, mehrere Versuche zu kombinieren, weil der einzelne Versuch, wegen des
Absinkens der Erregbarkeit der Hirnrinde durch operative Eingriffe, Blut-
verlust ete. unvollständig blieb. Das Resultat jedes Versuchs wurde auf einem
Diagramm des Hundehirns notiert.
Trägt man die dergestalt gefundenen motorischen Felder der einzelnen
Muskeln zusammen auf ein Diagramm auf, so ergibt sich, dass dieselben nicht
von einander getrennt und nicht punktförmig sind. Vielmehr ist der hintere
und äußere Teil des Gyrus sigmoideus das gemeinsame Gebiet der Extremitäten-
muskeln (Flexor, Extensor digitorum und Abductor pollueis der Vorderpfote ;
Flexor und Extensor digitorum der Hinterpfote).
Die Rindenfelder dieser einzelnen Muskeln decken sich zum größten Teile,
scheinen aber doch etwas gegeneinander verschoben zu sein.
Die dem Gyrus sigmoideus nach außen anliegende Windung bildet das
Gebiet des Museulus orbieularis palpebrarum; Facialis- und Extremitätengebiet
sind vollständig getrennt; letzteres ist nach hinten scharf abgeschnitten.
Das durch diese Versuche eruierte Gebiet entspricht demjenigen, welches
nach pathologischen Erfahrungen am Menschen als „absolutes Rindenfeld“ be-
stimmt wurde. Die „absoluten Rindenfelder“ der einzelnen Muskelgruppen
liegen bekanntlich auch beim Menschen vielfach in einander.
Durch den Nachweis, dass den einzelnen Körperteilen auf der Hirnober-
fläche weder punktförmige „Zentren“ noch mit scharfen Grenzen aneinander-
stoßende Felder zugewiesen sind, sondern dass für die Extremitäten ein größeres
Areal existiert und dass die Gebiete verschiedener Muskeln derselben in
einander liegen, die Gesichtsmuskeln aber separat lokalisiert sind, erscheinen
viele Widersprüche in den Angaben der Autoren über die Lage dieser „Zen-
tren“ aufgeklärt. Die in Rede stehenden Rindengebiete sind ausschließlich
„absolute Rindenfelder“, wenn man mit diesem Namen jene Rindenteile belegt,
von denen aus direkte Stabkranzfasern in die Tiefe gehen, die den betreffenden
Muskel in Kontraktion zu versetzen vermögen. Dabei muss jedoch hervorge-
hoben werden, dass Zerstörung auch anderer Rindengebiete („relative Rinden-
felder“) die Funktionsweise der betreffenden Muskeln alterieren kann.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen.
Filehne, Professor Dr. Wilhelm, Ueber das CUheyne-
Stokes’sche Atmungsphänomen. 8°. geh. A 1. 20 +8.
Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün-
schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an-
zugeben.
Einsendungen für das „Biologische CGentralblatt“ bittet man
an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘ zu richten.
von Junge & Sohn in Erlangen.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck
Bioloeisches CGentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
94 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
v1. Band. 1. September 1886. Nr. 13.
Inhalt: Bonnier, Ueber die Wärmemengen, welche von den Pflanzen abgegeben und
aufgenommen werden. — Costantin, Studien über die Blätter der Wasser-
pflanzen. — Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies. — Albrecht,
Ueber die im Laufe der phylogenetischen Entwicklung entstandene angeborne
Spalte des Brustbeinhandgriffes der Brüllaffen. — Fick, Einige Bemerkungen
über den Mechanismus der Atmung. Brieger, Ueber basische Produkte
der Miesmuschel. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellseiaften:
58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg, Sektion
für Physiologie. — Physik. -mediz. Sozietät zu Erlangen. — 59. Versammlung
deutscher Naturforscher und Aerzte. — Anzeige.
Ueber die Wärmemengen, welche von den Pflanzen abge-
geben und aufgenommen werden.
Von Gaston Bonnier.
Comptes rendus des s&ances de l’acad. d. sciences. Fevr. 1886.
Indem ich die im Jahre 1879 begonnenen Versuche über die
Wärmemenge, welche von keimenden Samen abgeschieden wird, wie-
der aufnahm, bemühte ich mich, in allgemeinerer Form die Unter-
schiede zwischen der Eigenwärme der Pflanzen und der äußern Um-
gebung festzustellen.
Man hat bisher niemals die Wärmemengen, welche von den Ge-
weben der Pflanzen abgegeben oder absorbiert werden, gemessen,
und die Temperaturbeobachtungen, welche von verschiedenen Forschern
gemacht sind, erlauben nicht die Menge der erzeugten Wärme zu
berechnen, nicht einmal eine diesem Wert proportionale Zahl anzu-
geben. Und es ist doch, wie später gezeigt werden wird, vor allem
wichtig und interessant zu wissen, wie viel Kalorien von einem be-
stimmten Pflanzenteil in einem gegebenen Zeitpunkt seiner Entwick-
lung erzeugt werden.
Ich habe nach zwei verschiedenen Methoden gearbeitet, erstens mit
dem Kalorimeter, zweitens mit Anwendung konstanter Temperaturen.
Ich bediente mich des Kalorimeters von Berthelot, wie man es
gewöhnlich für das Studium langsam eintretender Reaktionen anwendet.
nr 25
386 Bonnier, Wärmemengen der Pflanzen.
Die dem Versuch unterworfenen Objekte wurden entweder direkt in
Wasser gethan, oder in lufterfüllte Platinrezipienten, die untergetaucht
werden konnten.
Bei der zweiten Art der Versuchsanstellung benutzte ich das
Kalorimeter von Rynault, indem ich dabei die Methode der kon-
stanten Temperaturen befolgte. Das Rynault’sche Kalorimeter ist
bekanntlich ein Thermometer, in dessen Kugel ein kleiner Rezipient
sich befindet. Die in den letztern gelegten Pflanzenteile befinden
sich also in einer doppelten Glasumhüllung, welche Quecksilber oder
Alkohol enthält.
Bei dem Versuche bringt man das leere Kalorimeter in einen
Raum von konstanter Temperatur, so dass der letztere und das Ka-
lorimeter genau die gleiche Temperatur haben. Darauf führt man in
den Rezipienten des Kalorimeters die Versuchspflanzen oder Pflanzen-
teile ein, möglichst mit der gleichen Anfangstemperatur. Nach Ver-
lauf einer gewissen Zeit zeigt, während die umgebende Luft immer
dieselbe Temperatur t, beibehält, das Kalorimeter Temperaturstei-
gerungen, die mit t, bezeichnet werden mögen. Ist der Unterschied
zwischen diesen beiden Wärmegraden nicht zu groß, so kann man
setzen
qy=klk— th),
wobei k eine Konstante ist und q die Menge der in einer Sekunde
von den lebenden Geweben abgegebenen Wärme bedeutet.
Durch einen zweiten Versuch kann man k bestimmen, indem
man von Minute zu Minute den Temperaturrückgang an dem dieselben
Pflanzen enthaltenden Apparat beobachtet, nachdem sie vorher etwa
durch Anästhesierung getötet worden. Wenn © die Temperatur am
Anfang der Minute ist und 4 die Erniedrigung während einer Mi-
nute, so hat man
ou
M40 — k (5z*-1) > 60,
wobei M die Wärmemenge des Ganzen bedeutet, die in der gewöhn-
lichen Weise bestimmt wird. —
Die Versuche erstreekten sich auf folgende Pflanzen: Erbse,
Kichererbse, Mais, Weizen, Bohne, Feldbohne, Rieinus, Kresse, Brun-
nenkresse, Lupine, Iris, Richardia, Syringa, Robinia. Beide soeben
angedeutete Methoden ergaben genügend übereinstimmende Resultate,
um daraus die folgenden Ergebnisse ziehen zu dürfen.
Die in gleicher Zeit von einem gleichen Gewicht pflanzlichen
Gewebes abgegebenen Wärmemengen sind sehr verschieden, je nach
dem Entwicklungszustand der Pflanze und des Pflanzenteils. Die Zahl
der Kalorien geht im allgemeinen von einem Maximum zu einem
Minimum über. Die höchsten Maxima findet man beim Be-
ginn der Keimung und während der Blütezeit.
Man beobachtet, dass diese beiden Perioden, während welcher
Bonnier, Wärmemengen der Pflanzen. 387
die Wärmeabgabe die intensivste ist, zusammenfallen mit denjenigen,
in denen die Intensität der Atmung die größte ist; aber man darf
deshalb nicht ohne weiteres schließen, dass zwischen beiden Erschei-
nungen eine direkte Beziehung besteht.
Es wurde nämlich in einigen der erwähnten Versuche die von
den Versuchsobjekten ausgeschiedene Kohlensäure gemessen und
ebenso in einigen die Menge des absorbierten Sauerstoffs. Indem
dann die Zahl der Kalorien berechnet wurde, die nötig waren, um
die Quantität während des Versuchs erzeugter Kohlensäure zu bilden,
und dieselbe mit der beobachteten Zahl verglichen wurde, fand man
niemals eine genaue Uebereinstimmung. Die ausgeschiedene Wärme-
menge entspricht also nicht derjenigen, welche die Verbrennung der
vom Organismus verlornen Kohle darstellen würde, eine Anschauung,
die man früher hegte.
Bei Beginn der Keimung findet man für die oben genannten
Pflanzen die Zahl der abgegebenen Kalorien größer, als diejenige
sein würde, welche die Bildung der produzierten Kohlensäure ergeben
hätte. So, dass ein Kilogramm keimender Erbsen, unter die ange-
gebenen Bedingungen gebracht, in der Minute eine Kohlensäuremenge
abgibt, deren Bildung 4 Kalorien berechnen lässt, während man
unter den gleichen Bedingungen eine wirkliche Abgabe von 12 Ka-
lorien in der Minute findet. Diese letztere Zahl ist sogar noch größer
als diejenige, welche sich ergeben würde bei der Verbindung der
Kohle mit dem gesamten von dem keimenden Samen während einer
gleichen Zeit aufgenommenen Sauerstoff (7 Kalorien in dem zitierten
Versuch). — Dagegen lässt sich am Ende der Keimung oder für
einen erwachsenen beblätterten Zweig grade das Entgegengesetzte
konstatieren. Dasselbe gilt für aufgeblühte Blüten und reifende
Früchte, welche in den untersuchten Fällen stets eine geringere
Wärmemenge abgaben, als diejenige, welche die Bildung der ausge-
schiedenen Kohlensäure ergeben hätte.
Bekanntlich hat man es bei der Untersuchung lebender Gewebe
nicht mit einfachen chemischen Reaktionen zu thun, man misst nur
die Resultate verschiedener gleichzeitiger Vorgänge. Um die letztern
von einander zu trennen, muss man zu Hypothesen schreiten. Die in
dieser Notiz angedeuteten Thatsachen kommen einer der wichtigsten
Hypothesen zu Hilfe, die über die innern Vorgänge aufgestellt sind,
der Hypothese nämlich, dass die nicht direkt assimilierbaren Reserve-
stoffe sich im allgemeinen im Organismus unter Wärmeabsorption
bilden, während die Umbildung dieser Stoffe in assimilierbare Körper
mit einer Wärmeabgabe verbunden ist.
Im Zusammenhang mit diesen Vorgängen kann man die Pro-
duktion der Kohlensäure betrachten, deren Bildung eine große Menge
Kalorien erzeugt. Solange die untersuchten Gewebe in der Ver-
zehrung einer begrenzten Reservestoffmenge begriffen sind, wie beim
In %
Zi)
338 Costantin, Blätter der Wasserpflanzen.
Beginn der Keimung, addiert sich gewissermaßen die durch die Um-
formung der Reservestoffe erzeugte Wärme zu derjenigen, welche die
Bildung der Kohlensäure erzeugt. Sind dagegen die betreffenden
Gewebe im begriff Reservestoffe zu bilden, wie bei den reifenden Früch-
ten, dann subtrahiert sich die durch die Bildung dieser Substanzen
absorbierte Kohlensäure von der durch die Atmung frei gewordenen,
und man misst nur die Differenz zwischen diesen beiden Quantitäten.
J. Costantin, Etudes sur les feuilles des plantes aquatiques.
Annales des Sciences naturelles. 56° ann&e. 7e serie. T. III. pag. 94.
Weleh dankbares Objekt die Wasserpflanzen für biologische Stu-
dien abgeben, hat erst kürzlich wieder H. Schenck in einer treff-
lichen und umfassenden Abhandlung bewiesen '!). Die Arbeit des
französischen Forschers ist enger umgrenzt; sie bezieht sich nur auf
die Form- und Strukturverhältnisse eines bestimmten Organs, nämlich
des Blattes, bei welchem allerdings die Plastizität des organischen
Materials unter dem Einfluss äußerer Einwirkungen am augenfälligsten
hervortritt 2). Obgleich die Abhandlung nicht durchweg von gleichem
Interesse ist, halten wir doch bei der allgemeinen Bedeutung des
Gegenstandes, der hoffentlich noch zahlreiche Bearbeiter finden wird,
eine dem Inhalt möglichst genau sich anschließende Rekapitulation
für angezeigt. Bei bekanntern Einzelheiten werden kurze Andeu-
tungen genügen.
I. Morphologie (Morphologie externe).
I) Eigentliche Wasserblätter.
A. Bandförmige Blätter. Treten bei den meisten unterge-
taucht lebenden Monokotylen auf, z. B. bei Sagittaria. Wächst diese
Pflanze in tiefem Wasser, so können die Blätter eine Länge von 2m
erreichen. Obgleich es ausgesprochene Wasserblätter sind, können
sie sich doch auch unter Beibehaltung der Bandform in der Luft ent-
wickeln, werden dann aber kürzer und verlieren ihre Weichheit und
Biegsamkeit, indem sie fest und steif werden. Auch mehrere Diko-
tylen haben derartige bandförmige Blätter (Hippuris vulgaris, Ela-
tine Alsinastrum).
B. Haarförmige Blätter. Rununeulus aquatilis. Auch hier
verlieren die Blätter, wenn sie sich an der Luft entwickeln, keines-
wegs völlig ihre Form; doch werden die Diehotomien weniger zahl-
4) H. Schenck, Die Biologie der Wassergewächse. Mit 2 Tafeln (Bonn,
Cohen und Sohn 1886).
2) In einer frühern Arbeit hat der Verf. die Modifikationen des Stengels
behandelt. S. Ann. se. nat. Serie VI. T. XIX. 1884. S. 287.
Costantin, Blätter der Wasserpflanzen. 389
reich und die letzten Auszweigungen kürzer und dicker; der früher
kreisrunde Querschnitt der Zipfel plattet sich ab. Weitere Beispiele:
Myriophyllum verticillatum, Oenanthe Phellandrium.
C. Blätter mit breiter, dünner Spreite. Die unterge-
tauchten Blätter von Nuphar luteum liefern hierfür ein gutes Beispiel.
Potamogeton lucens.
D. Intermediäre Fälle. Verfasser zeigt, dass es verschie-
dene Uebergänge zwischen den oben bezeichneten Fällen gibt, so dass
man z. B. in der Familie der Podostemaceen bei Vergleichung der
verschiedenen Arten die successiven Umwandlungen erkennen kann,
welche von einem Blatt mit ungeteilter Spreite zu einem solchen von
zerschlitzter, haarartiger Gestalt führen.
In Summa äußert sich der Einfluss des Wassers in der Ver-
längerung, dem Dünnerwerden und der stärkern Zerteilung der Blatt-
spreite.
2) Verhalten der Blätter von Luftpflanzen im Wasser.
Verfasser wiederholte den von Lewakoffski mit Rubus fruticosus
angestellten Versuch, indem er zeigte, dass die unter Wasser sich
entwickelnden Blätter von Luftpflanzen, wie Medicago minima, Lysi-
machia nummularia, Nasturtium officinale kürzer und dünner werden.
Bei Nasturtium amphibium sieht man häufig im Wasser Knospen
treiben, die sich in eine gewisse Zahl von Blättern, bestehend aus
einem Stiel und einer nicht zerteilten Spreite, entfalten. — Das Me-
dium des Wassers bewirkt also eine beträchtliche Reduktion der
Spreite und beeinträchtigt ihre Differenzierung, Auch eine Ver-
längerung der Blattstiele ist zu beobachten, so bei Marsilia quadri-
folia.
Es können sich mithin sowohl die Wasserblätter wie die Blätter
von Luftpflanzen an das fremde Medium adaptieren. Doch ist die
Adaption davon abhängig, dass das Blatt noch nieht vollständig
ausgewachsen ist, womit sich die gegenteiligen Angaben erledigen.
3) Blätter von zweierlei Art bei derselben Pflanze.
Verfasser geht daran zu zeigen, dass die Existenz von zwei
Arten von Blättern bei den Wasserpflanzen sehr gewöhnlich ist, selbst
da, wo ein soleher Dimorphismus bisher nicht bekannt geworden ist;
ferner zu prüfen, welches die Wirkung des Wassers bezw. der Luft
auf die beiden Arten von Blättern ist; endlich zu untersuchen, wie
die Differenzierung der Blätter, welche zu Luftblättern bestimmt sind,
vor sich geht, wenn die Pflanze im Wasser wächst.
A. Thatsachen. Die Nymphaeaceen haben untergetauchte
zarte Blätter und dicke feste Schwimmblätter Sagittaria hat sub-
merse bandförmige Blätter und pfeilförmige Luftblätter. Den weitern
bekannten Fällen einer doppelten Blattbildung fügt Verfasser zwei
neue hinzu, nämlich Stratiotes uloides, wo die innern Blätter der
390 Costantin, Blätter der Wasserpflanzen.
Rosetten öfter aus dem Wasser hervorragen, und fest, steif und un-
durchsichtig sind im Gegensatz zu den weichen und transparenten
äußern Wasserblättern — und ferner Hippuris vulgaris, ein Fall,
auf den wir unten zurückkommen.
B. Wirkung des Wassers als Medium. Im tiefen Wasser
bringt Sagittaria nur bandförmige Blätter hervor, bleibt auch
steril (var. vallisneriifolia). Zugleich werden weit mehr Blätter
produziert, als wenn die Pflanze in der Luft wächst. Ranunculus
aquatilis und verwandte Arten bilden unter ähnlichen Verhältnissen
eine Varietät capillaceus (submersus de Grenier und Godron), wo
die Spreiten vollständig verschwinden. Alisma plantago erzeugt eine
Varietät graminifolia, welche fruktifizieren kann.
„Es scheint also, dass das Medium des Wassers nicht nur die
Entstehung differenzierter Blätter verhindert, sondern auch die Zahl
der Blätter von submersen Formen vermehrt.“
0. Wirkung des Mediums der Luft. Beim Auftauchen aus
dem Wasser z. B. einer Sagittaria entwickelt sich eine Reihe inter-
mediärer Formen zwischen bandförmigen und pfeilförmigen Blättern.
Es entstehen zuerst spatelförmige Blätter, deren Spreitenbasis anfängt,
sich nach innen einzurollen; endlich biegt sich die Spreite gegen den
Blattstiel knieförmig um, und auf dem folgenden Stadium hat sich
die Pfeilform deutlich herausgebildet. — Bei Alisma Plantago werden
dagegen die bandförmigen Blätter sogleich durch die gewöhnlichen
Luftblätter ersetzt.
D. Differenzierung der Blätter in Wasser. Untersucht
man die (untergetauchte) Knospe eines Schwimmblattes von Nuphar,
so sieht man, dass das junge Blatt bereits fest und lederartig ist.
Es hat sich mithin außerhalb der Wirkung des Mediums differenziert.
Das Pfeilblatt von Sagittaria hat bereits seine definitive Form, ehe
es aus dem Wasser hervortritt. Dieselbe vollständige Ausbildung der
Form nach wurde bei noch untergetauchten Blättern von Ranunculus
aquatilis und Alisma natans beobachtet.
Folgende Momente beeinflussen diese Differenzierung der Blätter
in der Knospe:
a) Die Jahreszeit. Bei Nuphar luteum bilden sich zuerst im
Winter und im Frühling mehrere durchscheinende submerse Blätter;
im Sommer erscheinen dann die lederartigen Blätter. Im Dezember
fallen diese ab, und ein neues durchscheinendes Blatt erscheint. Es
besteht also eine Beziehung zwischen der Erscheinung der differen-
zierten Blätter und der Periode. Noch interessanter ist der Fall von
Hippuris vulgaris. Während des ganzen Frühlings bieten die neuen
Stengel, welche von demselben Rhizom ausgehen, denselben Anblick
von Wasserorganen dar; besonders bleiben die Blätter dünn und
durchscheinend. Etwas später gelangen einige von diesen Sprossen
an die Luft und wandeln sich um. Wenn der Sommer kommt, haben
Costantin, Blätter der Wasserpflanzen. 591
die im Wasser erscheinenden Sprosse nicht mehr das Ansehen der
frühern submersen Sprosse; die Blätter sind kurz, ein wenig dick,
fast als wenn sie an der Luft gebildet wären. Während also bei
Wiederbeginn der Vegetation die Blätter der jungen Knospe sich
nicht differenzieren, wird später mit der Vermehrung der vom Rhizom
erzeugten Sprosse und nach dem Erscheinen einer gewissen Zahl von
ihnen an der Luft die Aktivität der Pflanze groß genug, um Knospen
zu bilden, deren sämtliche Blätter schon differenziert sind, ehe sie
mit dem Wasser in Berührung kommen.
b) Die Tiefe des Wassers. Je tiefer das Wasser, um so
zahlreicher sind die bandförmigen Blätter von Sagittaria. In sehr
tiefem Wasser muss die Pflanze erst eine große Anzahl von sub-
mersen Blättern bilden, ehe sie in der Knospe differenzierte Blätter
hervorbringen kann. In solchem Falle d. h. in sehr tiefem Wasser
entstehen keine Mittelformen: ersteres veranlasst also eine Be-
schleunigung in der Entwieklung.
Bei plötzlichem Steigen des Wassers kann sich das Pfeilblatt
von Sagittaria bandförmig verlängern; die folgenden Blätter werden
dann spatelförmig. Es tritt hier also eine rückschreitende Ent-
wicklung ein.
ec) Das gleiche Resultat, d. h. eine Rückkehr zu den frühern
Zuständen, durch welche die Pflanze hindurch gegangen ist, kann
jeder Einfluss haben, der der Pflanze einen Teil ihrer Kraft raubt,
z. B. das Abschneiden der bereits entwickelten Blätter.
Ein analoges Rückschreiten kann auch nach dem Abblühen ein-
treten, wie Schenck bereits bei Ranunculus aquatilis konstatiert hat.
Während zur Blütezeit gewöhnlich Luftblätter entstehen, wird die
sich hierin offenbarende Energie durch die Samenbildung wieder ge-
schwächt, und es entstehen von neuem teilweise oder ganz zerschlitzte
Blätter.
II. Anatomie (Morphologie interne).
1) Einfluss des Wassers auf die Spaltöffnungen.
A. Blätter ohne Spaltöffnungen. Derartige Blätter sind
bei den submersen Pflanzen sehr gewöhnlich, so z. B. bei Hippuris
vulgaris. Wenn die Sprosse hier an die Luft kommen, so verändern
sich die Blätter und bekommen Spaltöffnungen. Das Umgekehrte
geschieht beim Uebergang von Luft in Wasser.
Dass die Organisation der Epidermis, mithin auch die Bildung
der Spaltöffnungen nicht an eine bestimmte Blattform gebunden ist,
sieht man daraus, dass bandförmige Blätter von Sagittaria, die sich
an der Luft entwickeln, Spaltöffinungen bekommen, während die unter-
getauchten Blätter gleicher Form solche nicht besitzen. Diese Ver-
änderlichkeit der Struktur durch das Medium zeigte auch ein mit
Potamogeton natans angestellter Versuch. — Es kann auch geschehen,
399 Costantin, Blätter der Wasserpflanzen.
dass, wenn man einen Luftspross in Wasser taucht, auf den ersten
Blattorganen einige Spaltöffnungen sichtbar bleiben (Ranuneulus aqua-
tilis, Myriophyllum); diese Organisation beruht auf einer primordialen
Differenzierung, welche mit dem frühern Luftleben im Zusammen-
hange steht.
Von der als exquisite Wasserpflanze geltenden Hottonia palustris
erhielt Verfasser kleine Luftpflänzchen, deren Blätter mit Spalt-
öffnungen bedeckt waren. „Dieses Beispiel zeigt, dass die Zahl der
ausschließlich nur im Wasser lebenden Pflanzen vielleicht viel geringer
ist, als man glaubte.“
Der Einfluss des Mediums auf die Hervorbringung von Spalt-
öffnungen kann sich an einem und demselben Blatte zeigen, wenn
dasselbe mit der Spitze aus dem Wasser hervortaucht (Stratiotes
aloides).
Die Untersuchungen an den erwähnten Pflanzen zeigten, dass die
Anpassung derselben an Luft oder Wasser eine fast unmittelbare ist
und die Zwischenstufen mit großer Schnelligkeit durchlaufen werden.
B. Blätter, welche nur an der Oberseite Spaltöff-
nungen haben. Dies ist mit einigen Ausnahmen bei den Schwimm-
blättern der Fall. Hildebrandt hat Luftsprosse von Polygonum
amphibium und Marsilia quadrifolia, deren Blätter auf beiden Seiten
Spaltöffnungen tragen, in Wasser getaucht und Schwimmblätter er-
halten, welche nur auf der Oberseite Spaltöffnungen hatten. Der
Verfasser tauchte Pflanzen von Marsilia quadrifolia in Wasser, bei
denen die Blätter bereits in der Luft zu wachsen begonnen hatten.
Sie entwickelten sich im Wasser weiter und wurden zu Schwimm-
blättern, welche aber auf der Unterseite noch eine Anzahl
von Spaltöffnungen trugen. Das Gleiche wurde bei Polygonum
amphibium beobachtet. Ebenso bemerkt man eine Verminderung der
Spaltöffnungen beim Uebergang von Schwimmblättern zu unterge-
tauchten Blättern (Nymphaeaceen, Trapa natans, Potamogeton ru-
fescens). Eine Pflanze in tiefem Wasser kann den Eindruck machen,
als ob sie ihre Schwimmblätter ganz verloren hat, während man bei
näherer Untersuchung am obern Teile des Stengels Blätter findet,
deren Epidermisstruktur darauf hinweist, dass sie beim Sinken des
Wasserniveaus zu Schwimmblättern werden würden.
C. Wasserblätter, welche auf der Oberseite mehr
Spaltöffnungen haben, als auf der Unterseite. Oft zeigen
die Schwimmblätter einen Uebergangszustand zu wirklichen Luft-
blättern, indem sie auch auf der Unterseite einige Spaltöffnungen
haben. So bei Sagittaria. Sehr deutlich ist die Erscheinung bei
Alisma Pluntago zu beobachten. Der Zustand der Schwimmblätter ist
hier nur ein schnell durchschrittenes Stadium zwischen submersen und
Luftblättern. Sobald das Blatt vollständig an der Luft wächst, nimmt
die Zahl der Spaltöffnungen auf der Unterseite sogleich beträchtlich
Costantin, Blätter der Wasserpflanzen. 393
zu. Auch bei Potamogeton natans finden sich auf der Unterseite Spalt-
öffnungen. Diese Art wächst selten an trockenen Stellen; doch konnte
Verfasser eine Anzahl von Luftformen sammeln: bei diesen waren die
Spaltöffnungen auf der Unterseite weit zahlreicher geworden.
D. Blätter mit vielen Spaltöffnungen auf der Unter-
seite. Alle bisher betrachteten Pflanzen sind mehr oder minder aus-
geprägte Wasserpflanzen gewesen. Es ist nun interessant zu prüfen,
wie sich Blätter von Luftpflanzen verhalten, wenn man sie zwingt in
Wasser zu wachsen. Verfasser ließ junge Sprosse von Epilobium
hirsutum neben einander in der Luft und im Wasser wachsen. Die
untergetauchten Sprosse fuhren fort zu wachsen und bildeten Wasser-
blätter, wo die Spaltöffnungen auf der Oberseite weit überwogen,
während bei den Luftblättern das entgegengesetzte Verhältnis statt-
fand. Das Wasser strebt also, dies Verhältnis umzukehren. Bei
Nasturtium offieinale wird das gleiche Resultat durch Verminderung
der Spaltöffnungen auf der Unterseite erreicht. Auch bei Rubus
(Lewakoffski) und Cardamine pratensis(Schenck) ist das Verhältnis
der Spaltöffnungen a im Wasser viel größer als in der Luft.
Es scheint also bei im Wasser treibenden Luftpflanzen die
Tendenz zu bestehen, Schwimmblätter zu bilden.
E. Differenzierung in der Knospe. Die Schwimmblätter
der Nymphaeaceen zeigen schon in der Knospe zahlreiche Spalt-
öffnungen auf der Oberseite. Diese Blätter haben sich unabhängig
von der Wirkung des Wassers ausgebildet, da sie so eingerollt sind,
dass die Oberseite geschützt ist und weil das Blatt in der Knospe
eingeschlossen ist. Dasselbe ist zu beobachten an den Pfeilblättern
von Sagittaria, an den Schwimmblättern von Tömnocharis Humboldtii,
Potamogeton natans u.a. Die Ursachen, welche auf diese Differenzierung
der Epidermis der Blätter in der Knospe einwirken können, sind
folgende:
a) Einfluss der Jahreszeit. Im Frühjahr erscheinen dünne
Blätter ohne Spaltöffnungen; anfangs Sommer bilden sich lederartige
mit Spaltöffnungen. Nymphaeaceen, Hippuris. Vgl. oben.
b) Einfluss der Tiefe. Damit ein Spross, der in tiefem Wasser
vegetiert, in der Knospe Blätter mit Spaltöffnungen anlegen kann,
muss die Zahl der (nicht differenzierten) Blätter größer sein, als
wenn die Pflanze in der Luft wächst. So hat auch Mer gezeigt,
dass Potamogeton rufescens erst Blätter mit Spaltöffnungen auf der
Oberseite bildet, wenn die Kraft der Pflanze bedeutend zugenom-
men hat.
c) Einfluss des Aufenthalts in der Luft. Wie der Ueber-
gang aus tiefem Wasser in weniger tiefes die Differenzierung der
Blätter in der Knospe beschleunigt, so zeigt sich dieser Vorgang noch
schärfer beim Uebergang in Luft. Die Differenzierung der Blätter
394 Costantin, Blätter der Wasserpflanzen.
hinsichtlich der Bildung der Spaltöffnungen kann sich zuweilen auf
einen ganzen Spross erstrecken, wie es bei den eigentümlichen sub-
mersen Sommertrieben von Hippuris der Fall ist (vgl. oben).
d) Einfluss der fiühern Lebensperiode der Pflanze.
Wenn z. B. bei Nuphar die Aktivität der Pflanze im Sommer sehr
groß gewesen ist und beträchtliche Reserven aufgespeichert wurden,
so kann es geschehen, dass noch im nächsten Frühjahr an erster
Stelle nur lederartige Blätter mit Spaltöffnungen erscheinen.
2) Andere Modifikationen der Epidermis.
A. Form der Zellen. Die Hauptwirkung des Wassers auf die
Form der Zellen besteht darin, dass die Scheidewände der Epidermis-
zellen gradflächig werden, während dieselben bei den Luftblättern
mehr oder minder hin- und hergebogen sind (Hippuris vulgaris, Sa-
gittaria, Polygonum amphibium).
B. Chemische Konstitution der Scheidewände. Ge-
wöhnlieh ist die allgemeine Körpermembran bei den submersen Blät-
tern weniger diek, die kutikularisierten Partien sind weniger ausge-
bildet, als bei den mit der Luft in Berührung befindlichen Blättern. —
Während bei den Luftblättern von Polygonum amphibium nur die
äußere Wandung der Epidermis kutikularisiert ist, sind bei den
Sehwimmblättern alle Wandungen wie sklerifiziert.
C. Haarorgane. Die Schwimmblätter von Polygonum amphi-
bium sind auf der Oberseite nackt, während die Luftblätter mit Haaren
bedeckt sind. „Man kann in diesem Falle nicht sagen, dass die
Haare durch die Wirkung des Mediums umgewandelte Spaltöffnungen
darstellen, denn bei Polygonum verschwinden und erscheinen die
Spaltöffnungen und die Haare zu gleicher Zeit. Die erwähnte Ansicht
von der Ersetzung der Spaltöffnungen durch Haare ist von Sicard
aufgestellt worden und scheint für einige Fälle gerechtfertigt zu sein.
Die Blätter von Nuphar haben niemals Spaltöffnungen auf der Unter-
seite, selbst wenn sie in der Luft austreiben; an ihrer Stelle befinden
sich zahlreiche Haare... .“ Zuweilen bestehen Haare und Spalt-
öffnungen neben einander, z. B. auf der Unterseite der Schwimm-
blätter von Ranunculus aquatilis oder R. lutarius.
D. Chlorophyll. Dasselbe findet sich bei den submersen
Pflanzen oft in der Epidermis. Den Uebergang zu der chlorophyll-
losen Epidermis der Luftblätter kann man bei Stratiotes aloides, sogar
an einem und demselben Blatte beobachten (vgl. oben).
3) Modifikation des Mesophylis.
A. Pallisadengewebe. Die Ausbildung dieses Gewebes,
welches sich bekanntlich bei den Luftpflanzen in einer oder mehrern
Sehiehten unter der obern Epidermis ausbreitet und reichlich Chloro-
phyli führt, wird durch das Wasser beeinträchtigt.
a) Blätter von Wasserpflanzen. Bei den verschiedenen
Costantin, Blätter der Wasserpflanzen. 395
Blättern der Wasserpflanzen sind die Umwandlungen sehr merklich.
Während bei den submersen Blättern der Nymphaeaceen das Meso-
phyll nur sehr schwach entwickelt ist, zeigt sich in den lederartigen
Blättern das Pallisadengewebe sehr mächtig und von mehrern Zell-
schichten gebildet. Bei den Luftblättern von Ranunculus aquatilis
erscheint ein Pallisadengewebe unter der obern Epidermis, während
die Wasserblätter ein auf beiden Seiten symmetrisches Parenchym
zeigen und die Bilateralität erst in dem Gefäßbündel hervortritt.
Bei dem Heraustreten der Blätter von Stratiotes aus dem Wasser
finden außer der Modifikation der Epidermis auch beträchtliche Ver-
änderungen im Mesophyll statt, indem sich die Zellen verlängern und
Pallisadenschichten entstehen. Sehr bedeutend sind die Veränderungen
der Blattstruktur bei den band- und pfeilförmigen Blättern von Sa-
gittaria, wie Verfasser durch Abbildungen erläutert. Bei Alisma
Plantago zeigt das zweite Blatt des Wassertriebes große Analogie mit
der Struktur der submersen Blätter von Sagittaria. Das Mesophyll
ist beinahe verschwunden, und zwischen den beiden Epidermen treten
große Hohlräume auf. Das fünfte Blatt besitzt eine etwas kompli-
ziertere Struktur, indem sieh unter der obern Epidermis eine Zell-
schicht bildet. Bei dem Lufttriebe wird hingegen von dem dritten
Blatte an das Mesophyll durch drei Zelllagen dargestellt, und die
sroßen Hohlräume sind auf bloße Gänge reduziert. Beim sechsten
Blatt treten 5 Zellschichten auf, Pallisaden sind jedoch noch nicht
vorhanden. Da sich die Spaltöffnungen bilden, ehe noch Pallisaden-
zellen entstanden sind, so ergibt sich, dass die Gewebe der Pflanze
sich mit sehr verschiedener Schnelligkeit differenzieren.
b) Blätter von Luftpflanzen. Bei der Entwicklung soleher
Blätter im Wasser werden die Pallisadenschichten zurückgebildet.
Man kann dies beobachten an Lysimachia Nummularia, Nasturtium
amphibium, Ranunculus Flammula, Gultum uliginosum, Epilobium hir-
sutum. Von letzterer Pflanze wurde auch ein Spross unter Ab-
schluss des Lichtes in Wasser getaucht, und es zeigte sich, dass
hier die Differenzierung des Pallisadengewebes noch geringer war,
als bei dem beleuchteten. Es stimmt dies Ergebnis mit den Unter-
suchungen von Stahl und andern, dass sich das Pallisadengewebe
mehr im Lichte als im Schatten entwickelt }). Die Struktur der sub-
mersen Blätter findet jedoch hierin allein noch nicht ihre Erklärung.
c) Bei den Schwimmblättern sind die Pallisaden auf der Ober-
1) Die biologische Bedeutung dieser Thatsache besteht nach Stahl darin,
dass in den senkrecht zur Oberfläche des Blattes gestreckten Pallisadenzellen
den Chlorophylikörpern die Möglichkeit gegeben ist, gegen das einfallende
intensive Licht eine Profilstellung einzunehmen. Neue Untersuchungen Haber-
landt’s stellen jedoch die Richtigkeit dieser Anschauungen in Zweifel (Ber,
d. D. Bot. Ges., Bd. IV S. 206).
396 Costantin, Blätter der Wasserpflanzen.
seite ebenso gut entwickelt, wie bei den Luftblättern, und ihre
Bildung beginnt, noch ehe die Blätter aus dem Wasser hervortreten.
B. Andere Gewebe.
a) Lückengewebe. Die Interzellularräume gewinnen bei den
Wasserblättern große Bedeutung, zuweilen nehmen sie fast den ganzen
Raum zwischen den beiden Epidermen ein (Sagittaria). Sehr schön
lässt sich der Gegensatz von Wasser- und Luftblättern bei Alisma
Plantago beobachten. Die Hohlräume bestehen hier auch in großer
Entwicklung in dem Mittelnerven und dem Stiel der Wasserblätter;
letzteres bemerkt man auch bei Marsilia quadrifolia und Ranunculus
Flammula.
b) Mechanisches Gewebe. Dasselbe wird auch im Wasser
reduziert. So verschwinden bei Marsilia die Scheiden, welche die
Gefäße der Blattstiele umgeben; bei Seirpus lacustris die festen Ele-
mente unter der Epidermis der Blätter; bei Alisma Plantago die
sklerifizierten Scheiden der medianen Gefäßbündel.
Die Schwimmblätter haben die Charaktere der Luftblätter, sind
sogar zuweilen mehr differenziert. So haben z. B. die Schwimm-
blätter von Polygonum amphibium in ihren Mittelnerven einen Collen-
chymstreifen, welcher in den Luftblättern fehlt; auch ist in letztern
die Gefäßscheide weniger sklerifiziert. Schon äußerlich ist der Un-
terschied zwischen beiden Arten von Blättern bemerkbar, da die
Schwimmblätter fest und steif sind, während die Luftblätter weich
bleiben. Wie wir bereits sahen, sind bei den Schwimmblättern die
Scheidewände der Epidermiszellen vollständig kutikularisiert, was bei
den Luftblättern nieht der Fall ist. Diese Erscheinung, meint der
Verfasser, zusammen mit der Vermehrung der Parenchymzellen und
der reichern Blütenentwicklung scheint anzuzeigen, dass die im
Wasser wachsende Pflanze sich besser entwickelt, als die Landpflanze.
e) Leitgewebe. Die Verminderung des Gefäßsystems unter
dem Einfluss des Wassers ist sehr häufig zu beobachten.
d) Sekretionsgewebe. Die Sekretionskanäle erleiden durch
die submerse Lebensweise keine Veränderung, wie man sich bei
Alisma und Sagittaria überzeugen kann.
C. Inhalt der Zellen. Mit der Veränderung der Zellform geht
eine solche des Inhalts Hand in Hand. Sobald eine Pallisadenzelle
erscheint, sammelt sich das Chlorophyll in großer Menge darin an.
Auch die übrigen Zellen des Parenehyms nehmen an der Veränderung
Teil, indem sie sich stärker mit Chlorophylikörnern füllen. Diese
außerordentliche Veränderung in der Verteilung des Chlorophylis
muss natürlich eine korrespondierende Variation in der Erzeugung
der Kohlehydrate, besonders der Stärke, mit sich führen. Man kann
diese Aenderung im Blattstiel von Ranumculus aquatilis beobachten;
alle Chlorophylikörner in dem Stiel des Luftblattes enthalten Stärke,
so dass sich der mit Jod behandelte Querschnitt fast blau färbt. Bei
Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies. 397
dem Stiel des Wasserblattes ist dagegen nichts dergleichen zu
beobachten. —
Die Schlussbetrachtungen des Verfassers, in denen sich derselbe
über den Unterschied von direkt und indirekt erfolgenden Modifika-
tionen verbreitet, glauben wir hier als unwesentlich übergehen zu
können. Was man an der Abhandlung als Mangel empfindet, ist der
Umstand, dass nirgends eine Erklärung der Strukturverschiedenheiten
der Blätter aus mechanischen Prinzipien versucht wird, vielmehr die
wirkende Kraft des Mediums stets von einem geheimnisvollen Schleier
umhüllt bleibt. Immerhin enthalten die zusammengebrachten That-
sachen des Bemerkenswerten genug, und die Arbeit dürfte deswegen
das Ihrige dazu beitragen, zur weitern Erforschung dieses interes-
santen Gebietes anzuregen.
F. Moewes (Berlin).
Franz Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies.
Berichte der Freiburger naturforschenden Gesellschaft Bd. I, 1886, VII u.
128 S., mit 2 Holzschnitten und 6 Tafeln.
Inbetreff der Reifungsvorgänge des tierischen Eies, die ja in der
letzten Zeit vielfach das Interesse der Forscher in Anspruch ge-
nommen haben, sind die Arthropoden bis jetzt nahezu vollständig
unberücksichtigt geblieben. Bei Cölenteraten, Echinodermen, den
meisten untersuchten Würmern, Mollusken, Tunikaten und Säugetieren
ist die Ausstoßung von „Richtungskörperchen“ mit Sicherheit nach-
gewiesen. Von den Artlropoden liegen aber nur sehr wenige
Beobachtungen hierüber vor. Bei Peripatus, wenn man dieses Tier
überhaupt hierher zählen will, sind Richtungskörperchen durch Kennel
und Sedgwick nachgewiesen; außerdem aber nur noch bei Moina
und Cetochilus von Grobben, bei Polyphemus von Weismann und
vielleicht auch bei Entomostraken von Hoeck.
Die meisten Forscher behaupten, dass im reifen Ei vom Eikern
keine Spur mehr vorhanden sei; eine direkte Kontinuität zwischen dem
Keimbläschen und den Furchungskernen ist nur bei den viviparen
Aphiden und Cecidomyia-Larven nachgewiesen und bei einigen
kleinen Ichneumoniden und Gallwespen wahrscheinlich gemacht.
Wenn man nun die Eier der eben erwähnten Tiere in betracht
zieht, so findet man, dass dieselben sich alle durch ihre Kleinheit und
ihren geringen Dottergehalt auszeichnen. Bei sämtlichen großen Eiern
ist das Schwinden des Keimbläschens behauptet worden. Alle
Beobachter aber, welche diese Eier und ebenfalls die dotterreichen
Eier der meisten Wirbeltiere untersucht haben, geben an, dass das
Keimbläschen an die Oberfläche rücke und dort Veränderungen erleide,
398 Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies.
Ich stelle mir nun die Aufgabe, das Keimbläschen in seiner Lebens-
geschichte bei verschiedenen Arthropoden - Eiern zu verfolgen, beson-
ders um zu sehen, ob auch hier Teile desselben aus dem Ei, oder
doch wenigstens aus dem zukünftigen Eikern entfernt würden. Es
ist hier wohl nicht der Ort, genauer auf die einzelnen untersuchten
Formen einzugehen. Ich will nur kurz die allgemeinen Resultate
mitteilen.
Die Entstehung der Eier aus den Keimzellen wurde nur
bei wenigen Formen untersucht. Aus einem Keimlager mit gleich-
mäßigen Kernen bildeten sich einzelne Kerne zu Eiern heraus. Sie lassen
sich schon früh durch ihre Reaktion von den andern unterscheiden, indem
sie bei Doppelfärbung mit Pikrokarmin und Hämatoxylin sich rot
färben, während die andern die blaue Färbung annehmen. Alle „Keim-
kerne“ haben ursprünglich ein zentrales und eine Anzahl von peripheren
Chromatinkörpern, beim Wachstum des Kernes schwinden letztere,
während ersterer sich wahrscheinlich zum Nukleolus des Eies ver-
wandelt. Auf diese Weise nimmt der Keimkern, der sich nun auch
mit Zellplasma umgibt, die Keimbläschenform an. Ein Austreten
von Chromatinpartikeln aus dem Eikern konnte niemals
sicher beobachtet werden. Follikelkerne bilden sich aus
den Keimkernen heraus. Ebenso ist es bei Tunikaten, die auch
beiläufig untersucht wurden!').
Die Bildung des Keimbläschens bei Peripatus weicht etwas von
diesem Modus ab, kommt jedoch im wesentlichen auf dasselbe hinaus.
Bei sämtlichen näher untersuchten Formen konnte das Keim-
bläschen in jungen Stadien im Zentrum des Eies nachgewiesen werden.
Zu einer gewissen Zeit nun, oft schon sehr früh, beginnt es an
die Peripherie zu wandern, wo es einige Zeit verweilt und Verände-
rungen erleidet.
„Hier liegt es hart am Follikelepithel an, plattet sich sogar
„meistens gegen dasselbe etwas ab. Oft schon vorher (Carabus), oft aber
„erst hier (Sphinx), manchmal auch erst später (Silpha), verliert das
„Keimbläschen seinen Nukleolus. Die Art und Weise, wie derselbe
„schwindet, ist verschieden; er kann in kleinere Stücke zerfallen
„(Carabus auratus, Dytiscus), er kann aber auch allmählich blasser
„und blasser werden, bis man ihn endlich nicht mehr von der Umgebung
„unterscheiden kann (Sphinx ligustri). Aus allem schien mir hervorzu-
„gehen, dass das Schwinden des Nukleolus nicht zum Wesen der Ei-
„reifung gehört, besonders weil ich ihn bisweilen (so bei Silpha) so
„lange verfolgen konnte, als noch ein Rest des Keimbläschens im Ei
„sichtbar war.
4) Ganz sicher beweisen lässt sich das natürlich nicht, da sich eine Aus-
wanderung nie beobachten lässt. Man muss deshalb die wahrscheinlichste
Deutung der Bildung annehmen, und diese ist die, dass hier keine Chromatin-
partikel austreten.
Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies. 399
„Bei sehr vielen der untersuchten Formen konnte ich nun be-
„merken, dass das Keimbläschen an der Seite, welche der Eiperipherie
„anlag, eingebuchtet war, und dass in dieser Bucht größere oder klei-
„nere Ballen lagen, welche sich durch ihre Färbung und ihr Licht-
„brechungsvermögen von den Dotterpartikeln unterschieden. Besonders
„schön waren sie bei Lina populi, bei Sphine und Zygaena sowie
„bei Musca; dieser Vorgang konnte bei 15 von 25 untersuchten
„Insektenformen konstatiert werden und zwar bei Vertretern aller
„Ordnungen. Wir sind deshalb wohl berechtigt, ihn als allgemeine
„Erscheinung anzusehen.
„Es konnte nun gezeigt werden, dass diese Ballen höchst wahr-
„scheinlich aus dem Keimbläschen abstammen. Bei den Lepidop-
„teren und bei Musca hatte das Keimbläschen kleine stumpfe Fort-
„sätze, welche sich wahrscheinlich abschnürten und so die Ballen
„lieferten. Bei Lina waren nur ein oder zwei sehr große Ballen vor-
„handen, die gradezu im Keimbläschen vergraben waren. Später
„konnten wir dieselben von letzterem getrennt wiederfinden.
„Einmal bei Zygaena machte es den Eindruck, als wenn die ein-
„zelnen runden Ballen noch innerhalb des Keimbläschens lagen, als wenn
„die periphere Hälfte desselben durch Eindringen einer feinen Punkt-
„substanz in einzelne Partien zerfallen war. Die Ballen hatten hier
„bis in alle Details dieselben Eigenschaften wie die Substanz des
„Keimbläschens selbst. Stets aber lagen die Ballen an der
„Seite des „Keimbläschens, welche dem Follikelepithel
„zugewendet war, sie wurden stets nach außen abge-
„schieden“.
Es konnte nun wahrscheinlich gemacht werden, dass man diesen
Prozess als eine Modifikation der direkten Kernteilung ansehen
kann.
Es scheinen also die Reifungserscheinungen der Insekten nicht so
enorm verschieden von denen anderer Tiere. Für die austretenden
Ballen habe ich den Namen „Reifungsballen“ vorgeschlagen.
Bei Spinnen und Myriopoden rückt das Keimbläschen ebenfalls
an die Oberfläche und entschwindet dort unsern Blicken. Bei Glomeris
konnte ich sogar ein Keimbläschen beobachten, das an der der Peri-
pherie zugekehrten Seite eingebuchtet war, so dass hier möglicher-
weise die Reifungsvorgänge denen der Insekten gleich vermutet wer-
den können.
Bei Peripatus Edwarsii bildet der Eikern 2 Kernschleifen jede mit
6 Mikrosomen und stößt zweimal ein Richtungskörperchen aus (nach K en-
nel). Es konnte auch der Eikern und der Spermakern mit ihren Kern-
schleifen gesehen werden.
Bei Moina, Polyphemus und Cetodrilus entstehen ja, wie oben be-
merkt, auch Richtungskörperchen.
Dies führt uns auf die Vermutung, dass bei den Vorfahren der
400 Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies.
Arthropoden, wie bei allen Tieren, die Eireifung durch eine indirekte
Kernteilung und Bildung der „Riehtungskörperchen“ vor sich ging.
Dies ist uns noch bei Peripatus und einigen niedern Crusta-
ceen erhalten. Später aber, wohl wahrscheinlich durch den größer
werdenden Dotterreichtum der Eier, wurde die Reifung modifiziert, so
dass wir sie jetzt in der heutigen Gestalt vor uns haben. Es ist des-
halb sehr gut möglich, dass noch bei andern niedern Arthropoden,
besonders wenn dieselben dotterarme Eier haben, wirkliche Richtungs-
körper aufgefunden werden. Bei den viviparen Aphiden wird es ja
allerdings von den Beobachtern bestritten. So viel aber ist wahr-
scheinlich, dass bei den dotterreichen Eiern keine wirklichen Rich-
tungskörper vorkommen?). Als Beispiel mögen grade die Daphniden
dienen. Moina sowie Polyphemus, wo Richtungskörper vorkommen,
haben beide sehr kleine Eier, weil dieselben in ihrer Entwieklung durch
die vom „Nährboden“ abgesonderte Flüssigkeit der Brutkammer er-
nährt werden. Bei den dotterreichen Eiern anderer Daphniden sind
aber bis jetzt noch keine Richtungskörper konstatiert worden.
Sehr bemerkenswert ist hier auch noch die Zeit der Reifungs-
erscheinungen. „Bei den meisten Tieren treten dieselben erst am voll-
„ständig ausgebildeten Ei auf, zuweilen sogar erst nach dem Eindringen
„des Spermatozoons in das Eiplasma. Hier aber geschieht der Aus-
„tritt der „Reifungsballen“ in einem sehr frühen Stadium, während
„das Ei noch nicht im entferntesten seine halbe Größe erreicht hat.
„Dies ist gewiss sehr merkwürdig, und man könnte deshalb bezweifeln,
„dass es sich hier um die wirkliche Reifung des Eies handelt. Ich
„glaube aber, dass diese Thatsache wiederum mit dem Dotterreich-
„tum der Eier zusammenhängt. Von großen Wirbeltiereiern wissen wir
„ja auch, dass schon zu sehr früher Zeit das Keimbläschen an die
„Oberfläche des Eies steigt und dort große Veränderungen erleidet“.
Nach dem Ballenaustritt rückt das Keimbläschen gewöhnlich wie-
der etwas in das Ei-Innere hinein und schwindet dann unsern
Blicken. Es kann erstens amöboid zerfließen wie bei Silpha, Necro-
phorus und Dytiscus. Grade bei Silpha konnte gezeigt werden, wie
allmählich, bei dem stärkern Auftreten des Dotters im Ei, das Keim-
bläschen immer undeutlicher wurde. Dann aber kann das Keim-
bläschen noch schwinden, indem es seine Struktur ändert; es verliert
seine Membran und sein Inhalt wird körnig, bis man es nicht mehr
von dem umgebenden Dotter unterscheiden kann (Sphinx, Zygaena,
Musca).
„Jemand könnte nun behaupten, dass das Schwinden des Keim-
„bläschens das Wesen der Reifung sei; dieser Einwurf lässt sich
4) Will sagt allerdings in seiner neuesten Arbeit (Zeitschr. f. wiss. Zool.,
Bd. 43, S. 353), dass er bei Dytiscus ein Richtungskörperchen wahrscheinlich
gemacht habe, doch müssen wir das Nähere darüber wohl noch abwarten,
Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies. 401
„einfach durch die Thatsache widerlegen, dass bei einigen Insekten
„Aphiden, Cecidomyia) das Keimbläschen eben nicht schwindet, dass
„aber doch ein so fundamentaler Vorgang wie die Reifung bei allen
„Insekten der gleiche oder wenigstens kein vollständig verschiedener
„sein wird. Grade der Umstand, dass bei den viviparen Aphiden
„und den viviparen Cecidomyia-Larven das Keimbläschen nicht
„schwindet, führt uns wieder auf den Gedanken, dass hier der Dotter
„das Schwinden bewirkt.
„Ich glaube, dass ich meine Ansicht so formulieren kann: Ursprüng-
„lieh blieb der Eikern wie bei den meisten übrigen Tieren sichtbar.
„Bei den kleinen dotterlosen Eiern der Aphiden und Cecidomyia-Larven
„konnte dieser Zustand bestehen bleiben. Bei den schon bedeutend
„dotterreichern Eiern der Gallwespen (Weismann) und wahrschein-
„lieh auch einiger Ichneumoniden (Ganin) zerfloss der Eikern sehr
„stark amöboid, so dass man ihn nur noch als Wolke im Ei wahr-
„nehmen konnte. Dieser Prozess geht bei den andern Insekten noch
„weiter, so dass hier die Kernsubstanz im Ei derartig verteilt ist, dass
„wir dieselbe überhaupt nicht mehr nachweisen können, besonders, da
„dieselbe auch meistenteils vollständig jeden Chromatins entbehrt.
„Hier ist also ein ganz ähnliches Verhältnis zwischen dem Dotter-
„gehalt des Eies und der Modifikation der Kernverhältnisse zu erkennen,
„wie vorhin bei der Reifung“.
Das erste Auftreten des Furchungskerns habe ich nur zweimal bei
Musca beobachten können, und zwar am obern Pol in der Nähe der
Stelle, wo das Keimbläschen verschwand. Die in der Arbeit ange-
gebenen Mitteilungen über die ersten Furchungskerne von Musca be-
dürfen noch der Korrektur, da es sich hier wahrscheinlich um Arte-
fakte gehandelt hat. Ich gedenke diese Verbesserung nächstens zu geben.
Das Insektenei, in dem wir keinen Kern sehen können, ist also
keine Monerula im Sinne Häckel’s, da in ihm sicher eine Kontinuität
der Kernsubstanz besteht. Eher könnte man es mit einem Infusor
vergleichen, dessen Kern bisweilen in eine große Anzahl von Stücken
zerfällt (Opalina). Das Wahrscheinlichste ist mir jedoch, dass die Kern-
substanz sich nicht zerstreut, sondern nur sehr stark amöboid zerfließt,
so dass sie bei ihrer Farblosigkeit nicht zwischen dem Dotter wahr-
genommen werden kann.
Bei den Wirbeltieren sind die Verhältnisse ganz ähnlich. Bei
den kleinen Eiern der Säugetiere und einiger niederer Fische (Am-
phioxus, Petromyzon) treten wirkliche Richtungskörperchen auf, wäh-
rend bei den dotterreichen Eiern der übrigen Fische, der Amphibien,
Reptilien und Vögel das Keimbläschen ebenfalls an die Oberfläche
des Eies tritt und dort verändert wird, so dass wir es schließlich
nicht mehr sehen können.
Endlich wurde noch die Entstehung der Dotterkerne bei den
Hymenopteren beobachtet. Diese zuerst am Keimbläschen entstehen-
VI. 26
402 Stuhlmann, Die Reifung des Arthropodeneies.
den Gebilde sah Blochmann für echte Kerne an. Ihre Entstehung
außerhalb des Keimbläschens, ihre spätere Auflösung, besonders aber
die Vergleichung der verschiedenen untersuchten Arten brachten mich
zu dem Schluss, dass es Dotterkonkretionen seien.
„Die ursprüngliche Entstehung aller Dotterkerne der Hymenopteren
„ließ sich auf einen Typus zurückführen. Es bildeten sich stets ganz
„kleine Konkretionen dieht an der Peripherie des Keimbläschens, oder
„doch wenigstens in seiner unmittelbaren Nähe. Diese wanderten nun
„vom Keimbläschen weg und legten sich in einer vollständigen Schicht
„an die ganze Eiperipherie (Bombus), oder sie blieben mehr am obern
„Eipol angesammelt (Vespa, Trogus, Pimpla), oder endlich sie konnten
„sich zu einer Anzahl etwas größerer, im ganzen Ei verteilter Klumpen
„vereinigen (Banchus). Ich bezeichnete dies mit dem Namen „diffuser
„Dotterkern“.
„Es können nun auch die einzelnen kleinen Dotterkonkretionen
„sich zu einer einzigen großen färbbaren Masse vereinigen, die stets
„am hintern Eipol lag. Dies Gebilde nannte ich den „eigentlichen
„Dotterkern“ (Anomalon, Ophion, Lampronata, Ephialtes, Ambyteles).
„Man kann also wohl den diffusen Dotterkern als eine ontogenetische
„und phylogenetische Vorstufe des eigentlichen Dotterkerns betrachten,
„wenigstens bei den Hymenopteren. Niemals aber konnte ich eine
„Entstehung aus dem Keimbläschen konstatieren, wie Balbiani dies
„für Geophilus und Will für den Frosch angibt.
„Sehr merkwürdig sind die Verhältnisse bei Glomeris. Hier bilden
„sieh erst in der Nähe des Keimbläschens eine oder mehrere Konkre-
„tionen, die sich jedoch mit dem Wachstum des Eies bald wieder auf-
„lösen. Später treten im Ei zwei verschiedene Dotterarten auf, von
„denen sich eine gelbrot, die andere blau bei der Doppelfärbung färbt.
„Die letztere ballt sich zu einer großen Masse zusammen. Hier sind
„also offenbar zwei vollkommen verschiedene Arten von Dotterkernen
„vorhanden, denn als Dotterkern bezeichnen wir doch ein Gebilde, das
„von dem übrigen Dotter abweicht.
„Was nun meine Meinung über die Bedeutung des Dotterkerns
„betrifft, so schließe ich mich der von Schütz an. Der Dotterkern
„stellt eine Konkretion von besonderem, von dem gewöhnlichen Dotter
„verschiedenem Nährungsmaterial dar, das zu irgend einer Zeit vom
„Ei resorbiert wird. Er kann schon sehr früh gelöst werden oder aber
„noch im abgelegten Ei vorhanden sein“.
Beachtenswert ist, dass der „diffuse Dotternkern“ sich oft erst
bildet, nachdem die Eireifung, d. h. der Austritt der Ballen stattge-
funden hat.
F. Stuhlmann (Hamburg - Borgfelde).
Albrecht, Spalte des Brustbeinhandgriffes der Brüllaffen. 405
P. Albrecht, Ueber die im Laufe der phylogenetischen Ent-
wicklung entstandene, angeborne Spalte des Brustbeinhand-
sriffes der Brüllaffen.
Sitzungsber. d. k. pr. Akad. d. Wiss. z. Berlin. Physik. Mathem. Klasse. 1885.
RNIT IST).
An die Beschreibung und anatomische Deutung der vordern Brust-
beinabschnitte von drei dem Königsberger anatomischen Institute ge-
hörigen Brüllaffenskelette knüpftHerr Albrecht Betrachtungen, welche
ihn zu dem Schlusse führen, dass die den Brüllaffen eigentümliche
Fissura manubrii sterni eongenita im Laufe der phylogenetischen Ent-
wicklung entstanden sei als Folge der durch Uebung veranlassten
größern Entwicklung ihres Hyothyreoidalapparats. Er sieht darin zu-
gleich den ersten positiven, d. h. nicht allein auf Indizien beruhenden
Beweis für die Abstammungs- und Anpassungslehre.
Das eine der abgebildeten Königsberger Präparate von einem
erwachsenen Mycetes sp. Illig. zeigt ein in allen wesentlichen Eigen-
schaften völlig dem des Menschen gleiches d. h. ungespaltenes Ma-
nubrium. An dasselbe legen sich vorn die beiden Clavieulae, unmittel-
bar dahinter die beiden ersten und noch weiter nach hinten die beiden
zweiten Rippen an, welche letztern zugleich die Vorderenden des
nächsten Sternalteils berühren. Diesen Teil, der zwischen dem 2. und
3. Rippenpaare liegt, nennt Herr A. Sternebra 2; das Manubrium,
welches zwischen den Claviculae und dem 2. Rippenpaare liegt, muss
man sich aus 2 Teilen bestehend denken, der Sternebra 0 und der
Sternebra 1. (Vgl. des Herrn Verf.’s Abhandlung: Sur les elements
morphologiques du manubrium du sternum chez les mammiferes.
Bruxelles 1884.)
Bei einem Mycetes ursinus Geoffr. desselben Instituts fehlt das
Manubrium scheinbar ganz. An die seitlichen Vorderränder der
Sternebra 2 legen sich die Knorpel der 2. Rippen, und zwischen
diesen, den Knorpeln der ersten Rippen und den Schlüsselbeinen
findet sich auf jeder Seite je ein Skeletstück, welches offenbar nichts
Anderes sein kann als die Hälfte des Manubrium oder, wie Herr A.
sich ausdrückt, ein Hemimanubrium dextrum bezw. sinistrum. Dieser
Mycetes zeigt also eine vollständige Fissura manubrii sterni congenita.
Diese Deutung des Präparats stützt Herr A. durch eine genaue Ver-
gleichung mit einem Präparat einer fast vollständigen Spaltung des
Sternums beim Menschen. Endlich beschreibt er noch ein drittes
Präparat von einem erwachsenen Mycetes ursinus Geoffr., bei wel-
chem gleichsam eine unvollständige Manubrium-Fissur vorhanden ist.
Vor der 2. Sternebra findet sich nämlich hier ein kleines queres
Knochenstück und vor demselben erst eine durch eine Membran ge-
4) Durch zufällige äußere Umstände verspätet. Red.
20°
ADA Fick, Einige Bemerkungen über den Mechanismus der Atmung.
schlossene Lücke. Jenes Knochenstück (Postmanubrium) ist aber die
Sternebra, d. h. der zwischen den beiderseitigen 1. und 2. Rippen
gelegene Teil des Manubriums.
Von dem so gewonnenen Standpunkt aus beleuchtet A. die Ab-
bildungen und Beschreibungen, welche W. K. Parker und Mivart
von den Brustbeinen der Brüllaffen gegeben haben, und zeigt, dass
auch bei den Präparaten dieser Autoren die Teile so sind wie bei dem
Königsberger Mycetes ursinus. Es gibt also Brüllaffen mit ungespal-
tenem Manubrium, mit angeborner Fissur des Prämanubrium und mit
angeborner Fissur des ganzen Manubrium. Da nun alle übrigen Säuge-
tiere ein ungespaltenes Manubrium besitzen, und man daher wohl an-
nehmen kann, dass auch die Vorfahren der Brüllaffen ein solches
besaßen, da ferner der Zungenbeinkörper und der Schildknorpel beim
Brüllaffen ungewöhnlich stark entwickelt sind, was offenbar auf einer
im Laufe der phylogenetischen Entwicklung allmählich erworbenen
Eigentümlichkeit beruht, so hat sich diese so zu einem festen Species-
charakter ausgebildet, dass jetzt schon in der Embryonalanlage der
Hyothyreoidapparat viel stärker wächst als bei andern Säugetieren.
Und die Folge dieses stärkern Wachsens ist dann die mangelhafte
Vereinigung der Sternebrae oder die angeborne Fissur, indem schon
in der 6. Woche des Embryonallebens der Hyothyreoidapparat zu
groß geworden ist, um jene Vereinigung zu gestatten. Die seltnern
Fälle von ungespaltenem Manubrium wären als atavistisch zu betrach-
ten, während in Zukunft vielleicht neben dem Prämanubrium auch
das Postmanubrium und somit das ganze Manubrium gespalten sein
wird, wie es jetzt schon der Königsberger Mwycetes ursinus aufweist.
J. Rosenthal (Erlangen).
A. Fick, Einige Bemerkungen über den Mechanismus der
Atmung.
Festschrift des Vereins für Naturkunde zu Kassel zur Feier seines fünfzig-
jährigen Bestehens. Kassel 1886. S. 55 —61.
Zur Stütze der noch immer angefochtenen Lehre Hamberger’s,
dass die Mm. intercostales interni Rippensenker, also exspiratorische
Muskeln seien, führt F. die Erfahrung an, dass man eine ziemlich
energische aktive Exspiration ausführen kann, ohne die Bauchmuskeln
in Spannung zu versetzen. Am besten gelingt dies, wenn man den
Willen darauf richtet, die Schultern und die obern Rippen sinken zu
lassen. Ein die Mundhöhle abschließendes Wasser-Manometer kann
hierdurch 4—5 em hoch getrieben werden. Da aber außer den Bauch-
muskeln, von deren Nichtbeteiligung man sich leicht durch Aufsetzen
eines Fingers auf dieselben überzeugen kann, keine andern Muskeln
vorhanden sind, denen man diese Wirkung zuschreiben könnte, so
Fick, Einige Bemerkungen über den Mechanismus der Atmung. 405
bleibt niehts Anderes übrig, als die Mm. intercostales interni als Urheber
jener Bewegung anzusehen !).
Aus seinen Selbstbeobachtungen schließt Herr F. ferner, dass die
Mm. intereost. int. nicht nur die Rippen zu senken vermögen, sondern
dass sie dies auch bei jeder gewöhnlichen Ausatmung thun, dass
also dieser letztere Akt bei ruhiger Atmung nicht lediglich durch
elastische Kräfte zu stande komme, wie man meistens annehme. Man
kann nämlich die natürliche Ausatmung in ihrem Verlauf willkürlich
unterbrechen. Wenn Herr F. dies thut, dann hat er deutlich den
Eindruck, dass er eine im Gange befindliche Muskelthätigkeit unter-
breche oder hemme, nicht aber den, dass er die Bewegung durch
Anstrengung antagonistischer Muskeln unmöglich mache.
Schließlich spricht sich Herr F. über den Anteil des Zwerchfells
an der aktiven inspiratorischen Thoraxerweiterung aus. Dieser Anteil
sei minimal; es ziehe sich zwar zusammen, aber seine Erregung habe
nur eine Vermehrung seiner Spannung zur Folge, welche verhindere,
dass es infolge der durch andere Kräfte hervorgebrachten Erweiterung
des Brustraums gleichsam in die Höhe gesaugt werde. Zu diesem
Schlusse kommt Herr F. durch die Betrachtung, dass die durch Rippen-
hebung bewirkte Erweiterung des Brustkorbs im Quer- und Tiefen-
durchmesser schon allein vollkommen ausreicht, die normale Inspira-
tionserweiterung von rund 500 cem zu bewirken. [Wenn aber das
Zwerchfell bei der gewöhnlichen Inspiration nicht wirklich nach ab-
wärts geht, woher kommt dann die doch stets vorhandene Vorwölbung
der Bauchwand? Und wie käme dann die Zunahme des intraabdomi-
nalen Drucks zu stande, welche ich bei Einführung einer Sonde in
den Magen beobachtet habe (Handb. d. Physiol. IV. 2. 228)? Bei
Tieren, deren Atmung im übrigen mit der des Menschen vollkommen
übereinstimmt (Hunde, Katzen, Kaninchen) ist die Abflachung der
Zwerchfellswölbung bei ruhiger Inspiration übrigens auch unmittelbar
beobachtet worden.] J. Rosenthal (Erlangen).
4) Hierin stimme ich Herın Fick vollkommen bei, nicht aber in seiner
weitern Bemerkung, dass es unmöglich sei, außer den Bauchmuskeln und den
Mm. intereost. int. irgend einen andern Muskel anzugeben, der exspira-
torisch wirken könnte. Ich selbst habe eine solche Wirkung dem M, serratns
post. inf., dem M. iliocostalis lumborum und dem M. quadratus lumborum zu-
geschrieben (Handb. d. Physiol. IV.2.186). Aber freilich wirken diese Muskeln
nur auf die untern Rippen. Vermutlich hat Herr F. bei seinem Ausspruch nur
an die obern Rippen gedacht; in diesem Falle bin ich mit ihm ganz derselben
Meinung, J.R,
406 Brieger, Ueber basische Produkte der Miesmuschel.
Ueber basische Produkte in der Miesmuschel.
Von Prof. Dr. L. Brieger,
Assistent der Universitätsklinik des Herrn Geheimrat Prof. Dr. Leyden.
Vortrag mit Demonstration gehalten in dem Verein für innere Medizin zu
Berlin den 21. Dezember 1885.
M. H.! Vor etwa 8 Wochen durchlief die Zeitungen die betrübende
Nachricht, dass in Wilhelmshaven sich eine größere Anzahl von Per-
sonen durch den Genuss gekochter Miesmuscheln (Mytilus edulis) ver-
giftet hätten, von denen vier Individuen starben. Ueber die eigen-
artigen Krankheitssymptome, welche vorzugsweise eine Lähmung der
motorischen Zentren bekundeten, sowie über die pathologisch anato-
mischen Befunde hat Virchow aufgrund der ihm von Herrn Kreis-
physikus Dr. Schmidtmann in Wilhelmshaven übermittelten Berichte
in der medizischen Gesellschaft am 9. November Mitteilung gemacht.
Der Umstand, dass auch alkoholische Extrakte das Gift aus den
Muscheln aufnahmen, bestimmte Virchow, dasselbe für ein Alkaloid
zu erklären, nachdem bereits vorher Schmidtmann dasselbe für
ein chemisches Gift angesprochen. Der Sitz dieses Giftes ist nach
M. Wolff und Salkowski in der Leber ausschließlich zu suchen.
Salkowski, der auf Virchow’s Anregung die Natur des Giftes zu
ergründen unternahm, fand, laut seiner ausführlichen Publikation in
dem soeben erschienenen Hefte des Virchow’schen Archivs, dass
dasselbe mit Wasserdämpfen auch aus alkalisierter Lösung nicht über-
geht, und dass durch Kochen mit kohlensaurem Alkali dasselbe zer-
setzt wird. Möglicherweise kann nach Salkowski diese letzte Wahr-
nehmung zum Unschädlichmachen der giftigen Muscheln verwertet
werden. Auch aus giftigen alkoholischen Auszügen konnte Salkowski
mittels Platinchlorid das Gift nicht darstellen, selbst wenn er noch
Aether hinzugoss.
Bei derartigen Tagesereignissen, welche das Allgemeinwohl be-
drohende Zustände vor dem Forum der Oeffentlichkeit zur Sprache
bringen, wirft das öffentliche Interesse die Fragen auf und verlangt
von jedermann, der dazu beitragen will, daran mitzuwirken, die dunklen
Kräfte jener unheilvollen Katastrophen aufzudecken. Und zwar ist
es Pflicht, möglichst bald an dieser Arbeit teilzunehmen, da sonst die
Gelegenheit zu derartigen Forschungen für immer verloren gehen
kann. Seit Jahren mit der Reindarstellung von chemischen Giften
aus tierischen Substraten beschäftigt, glaubte ich aus den eben ent-
wickelten Gründen mich an der Erforschung dieses so furchtbaren
Giftes beteiligen zu sollen.
Der Güte des Herrn Kreisphysikus Dr. Schmidtmann verdanke
ich auf meine Bitte hin das Rohmaterial zu meinen Untersuchungen,
Brieger, Ueber basische Produkte der Miesmuschel. 407
und ich nehme an dieser Stelle Gelegenheit, dem verehrten Herrn
Kollegen nochmals meinen besten Dank dafür auszusprechen.
Wenn ich nunmehr hier vor einer Versammlung praktischer Aerzte
etwas eingehender chemische Details berühre, so dürfte dies die Natur
der Sache rechtfertigen.
Die Isolierung der in den Miesmuscheln enthaltenen basischen
Produkte wurde mir durch folgendes Verfahren ermöglicht. Die zer-
quetschten Weichtiere wurden mit schwach salzsäurehaltigem Wasser
aufgekocht — die Schalen wurden durch Kochen für sich ausgezogen —
und da wegen der schleimigen Beschaffenheit der Lösung an schnelles
Filtrieren nicht zu denken war, durch Dekantieren das Wasser von
den festen Bestandteilen abgehebert. Die zur Syrupkonsistenz einge-
dampfte Flüssigkeit wurde wiederholt mit Alkohol extrahiert.
Nur ein Teil des Giftes geht in den Alkohol hinein. Es wurde
deshalb der Rückstand, sowie der alkoholische Auszug gesondert ver-
arbeitet. Der Rückstand wurde mit Soda neutralisiert, mit Salpeter-
säure sehr stark angesäuert und mit Phosphormolybdänsäure frak-
tioniert gefällt. Zunächst wurden Schleim und färbende Substanzen
eliminiert und dann erst soviel Phosphormolybdänsäure hinzugefügt,
dass alles damit sich Paarende niedergerissen wurde. Die Zerlegung
der Phosphormolybdänsäureverbindung durch Baryumkarbonat gelang
nicht, und als ich nun mittels Barytwasser in der Kälte die Zerlegung
der Doppelverbindung unternahm, ging der größte Teil des Giftes
verloren. Nur in saurer Lösung erwies sich das giftige Prinzip halt-
bar. Hiermit stimmt sehr wohl die Beobachtung Salkowski’s
überein, der konstatierte, dass die wässerige sauer reagierende giftige
Lösung zur Trockne gedampft 7 Minuten lang auf 110° C. erhitzt
werden konnte, ohne merklich an Effekt einzubüßen.. Ich zerlegte
nun mit neutralem essigsaurem Blei die Phosphormolybdänsäuredoppel-
verbindung. Durch leichtes Anwärmen wird die Zersetzung sehr be-
schleunig. Vom Unlöslichen wird alsdann abfiltriert, das Filtrat
durch Schwefelwassarstoff entbleit, und die wasserklare Lösung, mit
wenig Salzsäure versetzt, eingedampft. Der Syrup wird wiederholt
mit Alkohol erschöpft.
Vom unlöslichen Rückstand wird abfiltriert und mit alkoholischer
Platinchloridlösung gefällt. Der Platinchloridniederschlag wird in das
Goldsalz verwandelt und das Filtrat nach Verjagen des Alkohols und
Aufnehmen mit Wasser vom Platin durch Schwefelwasserstoff befreit.
Der alkoholische Auszug wird mit alkoholischer Queeksilberchlorid-
lösung versetzt, vom Queeksilberchloridniederschlage abfiltriert, der
Alkohol verdunstet, das Quecksilber mittels Schwefelwasserstoff ent-
fernt und mit Soda abgestumpft und nun in gleicher Weise wie oben
vorgegangen. Auch das Quecksilberchloridfiltrat wurde nach Elimi-
nierung des Quecksilbers durch Schwefelwasserstoff der oben ange-
gebenen Prozedur unterworfen.
408 Brieger, Ueber basische Produkte der Miesmuschel.
Ich habe vorläufig nach diesem komplizierten Verfahren ge-
arbeitet, weil sich zeigte, dass verschiedene Substanzen in den gif-
tigen Miesmuscheln vorhanden sind, und bei der geringen Quantität
Rohmaterial, welche mir bisher zur Verfügung stand, eine erfolgreiche
Trennung dieser Körper nur durch successive Fällungen und sorg-
fältige Umkrystallisationen zu erwarten stand.
Diese Umstände, insbesondere die Ausarbeitung der Methodik,
welche naturgemäß mit vielen Verlusten an Material verbunden war,
lässt es begreiflich erscheinen, wenn ich Ihnen die Eigenschaften der
von mir aus der giftigen Miesmuschel isolierten Körper in diesem
Augenblicke nur in fragmentarischer Form vorführen kann. Nach
Beschaffung größerer Mengen dieser Mollusken wird eine genauere
Charakterisierung ihrer basischen Produkte von mir noch gegeben
werden. Es glückte mir, mehrere giftige und ungiftige Basen aus
diesen von mir verarbeiteten Organismen darzustellen.
1) In dem wässerigen Rückstande sowohl als in dem alkoholischen
Auszuge nach Beseitigung des Quecksilbers blieben nach wiederholter
Extraktion durch absoluten Alkohol neben Würfeln von Kochsalz noch
Nadeln zurück, die sich vielfach durch einander verfilzten. Dieselben
stellten das Chlorhydrat einer organischen ungiftigen Base dar.
Diese salzsaure Base ist luftbeständig, gibt mit Platinchlorid eine
äußerst leicht lösliche Doppelverbindung und geht nur mit Goldchlorid,
Phosphormolybdänsäure sowie mit Kaliumwismutjodid krystallinische
Doppelverbindungen ein. Durch Jodjodkali und jodhaltige Jodwasser-
säure entsteht aus ihrer Lösung eine amorphe Fällung.
Die reine Base ist ölig, riecht ammoniakalisch. Die Analyse des
in prachtvollen Blättehen, ähnlich Cholestearintafeln, anschießenden
Golddoppelsalzes ergab folgende Werte:
— 43,59 Prozent
CGH=H,37 “
= 2,98 D)
Nr. #4,31 5
Die Kohlenwasserstoff- und Stickstoffbestimmungen, wohl mit
nicht genügend gereinigter Substanz ausgeführt, lassen vorläufig die
Aufstellung einer bestimmten Formel nicht zu, doch lassen die analy-
tischen Zahlen schließen, dass diese Substanz in Beziehung steht zu
der Cholinreihe.
2) In dem Platinchloridniederschlage wird durch Schwefelwasser-
stoff neben Salmiak noch eine salzsaure organische Base freigemacht,
die in geringster Menge spezifische Giftwirkung äußert. Sie bewirkt,
subkutan injiziert, profuse Speichelsekretion und abundante Diarrhöen
bei Meerscheinchen und Kaninchen, die so erschöpfend werden können,
dass die Tiere zu grunde gehen. Dieses Gift kommt nur in sehr geringer
Menge vor, relativ am reichlichsten fand ich esin der zuerst in meine
Brieger, Ueber basische Produkte der Miesmuschel. 409
- Hände gelangten Sendung, welche, neben frischen lebenden Muscheln,
noch alte abgestorbene Exemplare enthielt. Das Chlorhydrat krystalli-
siert in Prismen und gibt mit Goldehlorid ein in gelben Krystalldrusen
anschießendes Golddoppelsalz. Das Platinat ist nur aus Alkohol erhält-
lich. Durch den größten Teil der übrigen Alkaloidreagentien wird
das Chlorhydrat nur ölig oder amorph niedergeschlagen.
3) Das spezifische Gift dieser Muscheln, über dessen kurare-
ähnliche Wirkung bereits Schmidtmann, Virchow und Sal-
kowski berichtet haben. Platinchlorid fällt das Gift nicht. Infolge
dessen konnte dasselbe nur nach Eliminierung der beiden oben er-
wähnten Basen aus den wässerigen und alkoholischen Auszügen dar-
gestellt werden. Die Reindarstellung war äußerst schwierig und
konnte nur durch Goldchlorid bewerkstelligt werden. Neben einer
allmählich krystallinisch werdenden Doppelverbindung schied sich
dabei stets noch ein rotes Oel aus, das hartnäckig die Krystalle
umschloss. Erst durch wiederholtes Erwärmen mit Salzsäure, Fil-
trieren ete. gelang es, das Oel zu entfernen und das krystallinische
Aurat in für die Untersuchung geeigneter Form zu gewinnen. Das-
selbe präsentiert sich mikroskopisch in Würfeln und hat die Zusammen-
setzung C,H,,NO,AuC]..
Gefunden berechnet für
I 0 II IV V C,H,.N0,AuCl,
015,88; 15,55 == — — 15,64
H 3,38 3,30 -- — _— 3,98
Nagy a Son — 2,96
A er = ET SA TO 41,64.
Der Schmelzpunkt dieses Golddoppelsalzes liegt bei 182° C.
Das aus dem Goldsalz dargestellte salzsaure Salz krystallisiert
in Tetraedern. Die üblichen Alkaloidreagentien bewirken in den
Lösungen dieses Chlorhydrates, wenn überhaupt, nur ölige Präzipitate.
Die durch Kali in Freiheit gesetzte Base riecht widerlich, verliert
aber beim ruhigen Stehen an der Luft rasch diesen durchdringenden
Geruch und ist dann ungiftig. Durch Destillieren mit Kali wird diese
giftige Base zerstört, in der Vorlage befindet sieh nur ein aromatisch
riechendes nicht giftiges Produkt. Ich nenne diese giftige Base,
C,H,;NO,, bis zur Feststellung ihrer Konstitution, als der eine Träger
des spezifischen Giftes der Muscheln, Mytilotoxin.
4) Die durch Goldehlorid als Oel sich ausscheidende Doppel-
verbindung wird im Exsikkator langsam fest, ohne aber je krystallinisch
zu erstarren. Der Goldgehalt des nach Möglichkeit gereinigten erstarrten
Oels beträgt 36,73 Prozent, bei 100° C. ist es geschmolzen. Ein anderes
hellgelb gefärbtes Oel, welches nach einiger Zeit erstarrte, lieferte
41,08 Prozent Gold.
Die daraus dargestellte salzsaure Basis zeigt gleichfalls keine
410 Brieger, Ueber basische Produkte der Miesmuschel.
Neigung zur Krystallisation. Mit Platinchlorid gibt sie eine harzige
Verbindung, ebenso eine mit Pikrinsäure, der freien Base haftet ein
penetranter ekelerregender Geruch an. Das Chlorhydrat, Meerschwein-
chen injiziert, ruft bei diesen Tieren eigentümliche, den Schüttelfrösten
analoge Schauerregungen hervor. Die Tiere kauern sich auf den
Boden, pressen den Leib und Kopf auf die Unterlage und bleiben
wie festgebannt auf den einmal gewählten Standpunkt. Die Atmung
wird frequenter, die Pupillen weit, einige zappelnde Bewegungen mit
Vorder- und Hinterextremitäten, die Tiere fallen zur Seite, machen
einige schnappende Atembewegungen und sind dann tot.
5) Neben diesem Körper kommt noch ein rotes amorphes Gold-
salz vor, das, wenn einmal ausgeschieden, schwer in Wasser löslich
ist. Es enthält 31,71 Prozent Au. Möglicherweise sind diese Harze
nur verunreinigte Produkte.
6) In dem durch Phosphormolybdänsäure nicht fällbaren Anteil
ist eine flüchtige, ungiftige, in ihrem abscheulichen Geruch an das
Kakodyl erinnernde Base vorhanden, die ein in Nadeln krystallisieren-
des Golddoppelsalz liefert, das auch in Bälde näher bestimmt wer-
den wird.
Mancherlei Umstände sprechen dafür, dass diese basischen Pro-
dukte, selbst wenn man auf dem Standpunkt Selmi’s verharrt und
nur die durch Fäulnisprozesse geschaffenen basischen Substanzen als
Ptomaine bezeichnet, auch Ptomaine in diesem engern Sinne sind.
Das Speichel erregende Gift schließt sich den muskarinähnlichen
Ptomainen an, wie ich sie aus den verschiedensten fauligen Massen
isolierte. Einer dem in Tetraedern krystallisierenden Chlorhydrat
sehr ähnlichen Substanz glaube ich auch in den früher von mir ver-
arbeiteten Fäulnisgemengen begegnet zu sein. Ferner hat Herr Dr.
Schmidtmann bewiesen, dass nur durch die schädlichen Bedingungen
der Oertlichkeit das Gift im Muschelorganismus sich bildet. Wie Herr
Dr. Schmidtmann mich autorisierte mitzuteilen, fand er, dass ge-
sunde Muscheln innerhalb 14 Tagen in dem Wasser des Kanals, der
in den Hafen mündet, stark giftig werden, und dass dieselben, von
dort in frisches Wasser übertragen, ihre Giftigkeit vollständig ver-
loren. An der Stelle, wo der Kanal in den Hafen mündet, Vorhafen
genannt, werden die dort eingesetzten Muscheln weniger giftig. Her-
vorzuheben ist, dass Kaninchen, mit Muscheln von diesem Platze ver-
giftet, unter anderem stark speichelten, eine Erscheinung, die auch
die eine der von mir isolierten Basen in exquisiter Weise zeigte.
Hoffentlich gestatten mir weitere Untersuchungen den Sachverhalt
bald völlig klar zu legen.
Goltz, Verstümmelung des Gehirns. 411
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
58. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg.
IV. Sektion für Physiologie.
Dritte Sitzung. Herr Goltz ergreift zur Einleitung seiner Demonstration
das Wort:
Meine Herren! ich werde Ihnen fünf Hunde vorstellen, von denen ein jeder
eine ausgedehnte Verstümmelung des Gehirns erfahren hat. Keines dieser
Tiere zeigt an iıgend einem Punkte seines Körpers eine Aufhebung der Em-
pfindung, keines zeigt eine Lähmung eines Muskels.
Dem ersten dieser Tiere ist die Rinde der linken Hirnhälfte in sehr großer
Ausdehnung zerstört. Die sogenannte erregbare Zone fehlt ihm in einem
solchen Umfange, dass er unbedingt mindestens einige der sogenannten moto-
rischen Zentren oder Fühlsphären verloren hat. Gleichwohl hat er überall
Empfindung. Ich fordere diejenigen Herren, welche Munk’s Angaben für
richtig halten, auf, sich davon zu überzeugen, dass dieser Hund überall Em-
pfindung hat und auf Druck der Pfoten mit Aeußerungen des Unwillens oder
selbst Beißen antwortet. Seine Hinterpfoten hebt er beim Harnen wie ein
gesunder Hund, und zwar bald die linke, bald die rechte.
Der zweite Hund, den ich Ihnen vorstelle, hat eine ausgedehnte Zerstörung
der beiden Hinterhauptslappen überstanden. Nach Munk müsste dieser Hund,
wenn er eine vollständige Abtragung der Sehsphäre erlitten hätte, stockblind
sein. Dass er dieses nicht ist, ist leicht zu beweisen, denn das Tier geht
Hindernissen mit voller Sicherheit aus dem Wege. Wollte man annehmen, was
ja zutreffen kann, dass das Tier Restehen von Sehsphäre behalten hat, so
müsste er, wenn Munk recht hätte, sich verhalten wie ein Hund mit Netz-
hautdefekt. Dies trifft aber durchaus nicht zu. Der Hund nimmt ein Stück
Fleisch nicht wahr, in welchem Teile des Sehraumes sich dasselbe auch be-
finden mag. Er beachtet ebenso wenig Bedrohungen mit der Faust oder der
Peitsche. Es ist eben wahrnehmungsschwach geworden und geblieben, obwohl
er in den Monaten, die seit der letzten Operation verstrichen sind, Erfahrungen
genug hätte machen können. Er weiß auch die übrigen Sinneseindrücke nicht
zu verstehen und zu verwerten. So macht er sich gar nichts aus dem heftig-
sten bedrohlichen Zuruf, obwohl er die sogenannte Hörsphäre noch besitzt.
Er verwertet auch die Tasteindrücke so schlecht, dass er sich nicht entschließen
kann, aus einer niedrigen Umzäunung herauszusteigen,
Das dritte Tier, welches ich Ihnen vorstelle, hat eine tiefe und große
Zerstörung der linken Hälfte des Vorderhirns erfahren. Ich zeige Ihnen diesen
Hund als Probe davon, wie bei den vorn operierten Tieren die Lebhaftigkeit
der Bewegungen sich anormal steigern kann. Sie sehen, wie das Tier in den
Armen des Dieners zappelt, der es kaum festzuhalten vermag. Losgelassen
macht der Hund einen unermüdlichen Rundlauf durch den Raum und lässt sich
durch keine begütigende Zurede in seinem Beginnen hemmen.
Das vierte Tier, weiches ich Ihnen zeige, soll dazu dienen, darzuthun, dass
die vollständige Durchtrennnng der Capsula interna keineswegs, wie allgemein
angenommen worden ist, eine Lähmung der Muskeln der gekreuzten Körper-
hälfte zur Folge hat.
Bei dem Hunde, den Sie hier vor sich sehen, habe ich in frontaler Rich-
tung eine breite Zerstörung der erregbaren Zone bis in eine solche Tiefe vor-
412 Goltz, Verstümmelung des Gehirns.
genommen, dass nach Durchdringung des linken Seitenventrikels die Hirnmasse
bis auf wenige Millimeter von der Basis durchschnitten ist. Das Tier hat
keinerlei Lähmung und auch nirgend eine Aufhebung der Empfindung. Die
einzige in die Augen fallende Störung, die der Hund zeigt, sind Reitbahn-
bewegungen nach links herum. Sie überzeugen sich aber nunmehr, dass dieser
Hund trotz der scheinbaren Zwangsbewegungen im stande ist, einen Futter-
napf, den ich ihm darbiete, zu erreichen. Sie sehen auch, dass er selbst
größere Strecken gradlinig durchschreitet, wenn ich ihm mit dem Futternapf
vorangehe. Endlich können Sie auch beobachten, dass er den Kopf unter
Krümmung der Wirbelsäule nach rechts wendet, sobald ich ihm das dargebotene
Fleischstück nach rechts vorüberführe.
Endlich zeige ich Ihnen noch ein Tier mit großer und tiefer Zerstörung
der sogenannten motorischen Zone beider Hirnhälften. Sie sehen, dass die
Bewegungen desselben äußerst plump sind. Er kann aber gehen. Kein Muskel
seines Körpers ist gelähmt. Kein Punkt seiner Haut ist ohne Empfindung.
Dieser Hund ist aber außer stande, von selbst zu fressen. Man muss ihm die
Bissen unmittelbar vor das Maul halten, wenn er sie verzehren soll. Er zeigt
ferner eine ausgeprägte Sehstörung, obwohl seine Sehsphären sicher wenigstens
zum Teil erhalten sind.
Es folgt die Vorstellung der Hunde.
Vierte Sitzung. Herr Goltz: Meine Herren! ich lege Ihnen hier vier Ge-
hirne vor, die von vier der heute früh vorgestellten Hunde herrühren. Das
Hauptgewicht lege ich auf den Befund, welchen das Gehirn des heute zuerst
vorgestellten Hundes darbietet. Der linken Hälfte dieses Hirnes fehlt der
Stirnlappen vollständig. Die sogenannte erregbare Zone der Rinde ist gleich-
falls bis zu großer Tiefe vernichtet. Ich fordere Sie auf, mir irgend ein er-
haltenes Zentrum zu zeigen. Auch die Sehsphäre ist linkerseits bis auf einen
kleinen Rand des Hinterhauptslappens zerstört. Mehrere von den Herren haben
sich heute noch vor dem Tode des Tieres überzeugt, dass der Hund nach
Druck auf die rechte Vorder- oder Hinterpfote lebhafte Schmerzensäußerungen
machte. Dieselben Herren überzeugten sich ferner, dass dieser Hund auch
noch das besaß, was Hitzig Muskelbewusstsein der Pfoten nennt. Dass er
keine Spur von Lähmung hatte, haben Sie alle gesehen. Gleichwohl fehlten
ihm linkerseits die Zentren für die Gliedmaßen wie alle übrigen sogenannten
Fühlsphären.
Das Gehirn des zweiten heute vorgestellten Hundes zeigt rechts wie links
vollständige Zerstörung der Sehsphäre. Links ist außerdem die sogenannte
Fühlsphäre des Auges vernichtet. Das Tier hätte nach Munk stockblind sein
müssen, was es nicht war.
Das dritte Gehirn rührt von dem zuletzt vorgestellten Hunde her, der sich
besonders dadurch auszeichnete, dass er ganz außer stande war, selbständig
Nahrung aufzunehmen, obwohl er keinerlei Lähmung noch eine Aufhebung der
Empfindung hatte. Die Ausdehnung der Verletzung bei diesem Tier ist viel
größer, als ich erwartet hatte. Unversehrt ist beiderseits nur der Stirn-
lappen. Die sogenannte motorische Zone ist beiderseits vollständig vernichtet,
und das Zerstörungsgebiet greift hinten weit in die Sehsphäre hinein, von der
nur rechts eine Randzone besteht.
Was das Gehirn des Hundes anbelangt, dem ich einen tiefen frontalen
Schnitt durch die linke Hirnhälfte gemacht hatte, so wird von einigen Herren
Head, Entstehung der Apnoe, 413
bezweifelt, dass bei diesem Tier wirklich eine vollständige Durchtrennung der
Capsula interna besteht. Ich brauche auf diesen Fall indess kein Gewicht zu
legen, da das zuerst besprochene Gehirn zum Beweise genügt, dass die Endigung
der gesamten Ausstrahlung der Capsula interna vernichtet sein kann, ohne
irgend welche Lähmung zu erzeugen.
Vortrag des Herın Henry Head (Cambridge) über die Entstehung
der Apnoe, Um die Folgen einer Vergrößerung oder Verkleinerung der
Lungen zu untersuchen, sind die bisherigen zu der Registration der Atem-
bewegungen benutzten Methoden unbrauchbar. Die von mir zu diesem Zweck
gebrauchte Methode besteht wesentlich in der Uebertragung der Bewegungen
der von dem Knochen des Schwertfortsatzes frei präparierten Zwerchfell-
schenkel auf einen passenden an der berußten Fläche einer Kymographion-
trommel schreibenden Hebel.
Die durch eine kurzdauernde Aufblasung hervorgerufene Hemmung wirkt
nicht allein während der Aufblasung, sondern dauert einige Sekunden, nach-
dem die Lungen ihre normale Größe wieder erreicht haben. Diese Nachwirkung
zeigt sich in der Verkleinerung der einer kurzdauernden Aufblasung folgenden
Inspirationen.
Eine Verkleinerung der Lungen ruft eine starke Inspiration hervor, die,
wenn die Aussaugung nur kurze Zeit dauert, nicht gleich am Schluss der Aus-
saugung, sondern allmählich zu Ende kommt. Während dieser Zeit nehmen
die Inspirationen ihren Ursprung von einer erhöhten Grundlinie, und selbst
während der Pausen zwischen den rhythmischen Bewegungen (Inspiration) bleiben
die Muskeln in einem Zustand tonischer Zusammenziehung. Diesem Tonus ent-
spricht die Nachwirkung des inspiratorisch wirkenden Aussaugungsreizes.
Wiederholt man solche kurzdauernde Aufblasungen periodisch, so summiert
sich diese Nachwirkung, wodurch alle rhythmischen Bewegungen der Muskeln
endlich zum Verschwinden gebracht sind und eine Apnoe im Ruhezustand
des Zwerchfells zu stande kommt. Aehnlicherweise durch periodische Aus-
saugungen verschwinden allmählich die Exspirationen, bis die Muskeln in einem
Zustand stetiger Kontraktion zu Ruhe kommen.
Hört man zu ventilieren auf, so sieht man im ersten Fall eine 5—10 Se-
kunden dauernde Hemmungspause, während im letzten Fall die Apnoe sich als
eine stetige allmählich verschwindende Kontraktion der Muskeln zeigt.
Dass diese Erscheinungen nicht hauptsächlich durch Verbesserung der
Lungenluft bedingt sind, geht aus der Thatsache hervor, dass sie im wesent:
lichen dieselben sind, wenn die Ventilation mit Wasserstoff
(anstatt Luft) ausgeführt ist. Das Erscheinen der reinen Nachwirkung wird
durch die, von dem Sauerstoffmangel hervorgerufene Dyspnoe erschwert, im
Gegenteil durch die Anwendung von Sauerstoff (anstatt Luft) erleichtert.
Während beider Apnoepausen ist eine Aufblasung beziehungsweise Aus-
saugung im höchsten Grad wirksam. Es ist auch möglich, durch elektrische
Reizung während der inspiratorischen Apnoepause eine Exspiration hervor-
zurufen, oder während der Hemmungsapnoe die Muskeln in Kontraktion zu
bringen.
Trennt man die Vagi während einer solchen Apnoe durch, so ist man im
stande diese Nachwirkung in ihrer reinsten Form zu beobachten, indem man
durch Trennung der Vagi den Einfluss des durch die Stellung der Lungen her-
vorgerufenen Reizes entfernt hat.
414 Hermann, Menschliche Doppelmissbildung.
Nach Trennung der Vagi ist es auch möglich eine Apnoe hervorzurufen,
die ganz dieselbe Form annimmt, wenn man sie durch die eine oder andere
Ventilation erzeugt. Diese Apnoe spielt nur eine unbedeutende Rolle in dem
Zustandekommen der Apnoe vor der Vagustrennung.
1) Ehe die rhythmischen Muskelbewegungen verschwinden, muss man 2—5 mal
so lang ventilieren, als vor der Trennung der Vagi nötig war, um eine
Apnoe zu erzeugen.
2
—
Wo dies nicht der Fall ist, unterscheiden sich jedoch die beiden Arten
von Apnoe vor der Vagustrennung wesentlich von der nach der Trennung
zu stande kommenden Apnoe.
3
SZ
Vor der Vagustrennung ist es möglich, durch Ventilation mit Wasserstoff
die rhythmischen Muskelbewegungen zum Verschwinden zu bringen, was
nach der Durchschneidung der Vagi unmöglich wird; während einer solchen
Apnoe ist das Zentrum ebenfalls erregbar. Eine Reizung der Nasen-
schleimhaut mit Chloroform oder die Anwendung von elektrischen Strömen
von verschiedenen Intensitäten sind eben so wirksame Reize wie ge-
wöhnlich.
Physikalisch -medizinische Sozietät zu Erlangen.
Sitzung vom 19. Juli 1386.
Dr. F. Hermann sprach über eine menschliche Doppelmissbildung:
Der Liebenswürdigkeit zweier Nürnberger Aerzte, der Herren Dr. Ohlmüller
und Dr. Buchner, verdanke ich die Gelegenheit, für das hiesige anatomische
Institut eine Doppelmissbildung erwerben zu können, die ich bei ihrer Selten-
heit nicht unerwähnt lassen möchte.
Es handelt sich dabei um eine Duplieitas anterior unter der Form des
Ischiopagus tetrapus. Das Wesen dieser Missbildung besteht bekannt-
lich darin, dass die beiden Becken zu einem gemeinsamen Ring verschmolzen
sind, und das Zustandekommen dieser Bildung lässt sich am besten so versinn-
bildlichen, dass man die Becken zweier getrennter Früchte an ihrer Symphyse
öffnet, die vordern Beckenteile auseinander zieht, in diesem Zustande die beiden
Becken aneinander stößt und so verwachsen lässt, dass das linke Schambein
des Individuums A mit dem rechten des Individiums B verbunden ist, und um-
gekehrt. Auf diese Weise kommt es zur Bildung eines gemeinschaftlichen
Beckenringes, an dem eine ventrale und eine dorsale Symphyse sich unter-
scheiden lassen, während die beiden Sakralteile nach links und rechts gewendet
sind. Die daraus resultierende gemeinsame Beckenhöhle steht mit einer in
ihrem untern Teile gemeinschaftlichen Bauchhöhle in Verbindung, von deren
ventraler Fläche der Nabelstrang ausgeht; nach oben zu haben sich beide
Individuen vollkommen selbständig entwickelt, und ihre Längsaxen sind so
gerichtet, dass sie entweder einen stumpfen Winkel bilden oder in ausgebil-
deten Formen in einer graden Linie liegen. Auch in dem vorliegenden Falle
handelt es sich um die erwähnte Ringbildung des Beckens; dagegen findet sich
zum Unterschied von dem gewöhnlichen Ischiopagus auch eine Verbindung der
beiden Brustkörbe miteinander. Das Substrat derselben ist in einer teils
knorpligen, teils fibrösen sattelförmigen Verbindungsbrücke gegeben, welche
die beiden Processus xiphoidei untereinander vereinigt.
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 415
Diese Art der Doppelmissbildung scheint, soweit mir die einschlägige
Literatur bekannt ist, noch nicht beobachtet zu sein, und ich möchte für die
Form den Namen Ischioxiphopagus tetrapus vorschlagen.
Bei der äußern Betrachtung ist es vor allem die Analgegend, welche die
Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Man findet nämlich 2 Hodensäcke, deren
jeder aus 2 noch deutlich abgrenzbaren Hälften besteht, und zwischen den
beiden Serota liegt ein einziger, wohlausgebildeter Penis. Derselbe ist mit
einem Orificium eutaneum versehen, eine eingeführte Sonde gelangt auch in
eine ziemlich weite Harnröhre, die jedoch schon nach ganz kurzem Verlaufe,
schon nach 5 mm, blind endigt. An der Unterseite des Penis, nahe seiner
Wurzel, zeigt sich, versteckt unter einer Hautfalte, eine ziemlich enge Oeff-
nung, der gemeinschaftliche Anus.
Die anatomische Betrachtung der Brusteingeweide ergibt vollkommen nor-
male Verhältnisse. Entsprechend dem Umstande, dass bei der uns vorliegenden
Missbildung nicht nur die beiden Becken zu einem Ringe vereinigt sind, son-
dern auch die beiden Proc. xiphoidei miteinander in Verbindung stehen, haben
wir eine vollkommen einheitliche Bauchhöhle vor uns. Dieselbe enthält, im
allgemeinen in normaler Lage, getrennt angelegte Unterleibsorgane, und es
sind namentlich Magen, Milz, Nieren und Dünndarm, an denen sich absolut
nichts Abnormes nachweisen lässt. Auch die Leber ist doppelt vorhanden,
es geht aber von dem linken Lappen der einen Seite, teilweise von dessen
Spitze überlagert, eine aus Lebersubstanz bestehende, etwa 2 cm breite, 4 cm
lange und 0,5 em in der Dicke haltende Verbindungsbrücke zu dem rechten Leber-
lappen des andern Individiums hinüber. Zu den beiden Lebern führt von dem
gemeinsamen Nabel aus je eine Vena umbilicalis.
Was den Dünndarm betrifft, so ist derselbe, wie gesagt, normal gelagert;
die unterste Schlinge beider Dünndarmpackete streben nach der Medianlinie
der Missbildung zu, um sich hier zu vereinigen unter Bildung eines 1 cm langen
Divertikels, das sich wohl unschwer als der Rest des Ductus omphalo - mesen-
tericus deuten lässt, zu einer gemeinsamen untern Ileumschlinge, welche in den
Cökalteil des gemeinschaftlichen Enddarmes einmündet. Letzterer verläuft, durch
eine Peritonealduplikatur an die dorsale Bauchwand angeheftet, in vielfachen
Windungen in der Medianlinie nach abwärts, um an der beschriebenen Stelle
an der Wurzel des Penis auszumünden.
Gehen wir zur Betrachtung des Urogenitalsystems, so zeigt sich, dass zwei
Harnblasen vorhanden sind, die aber durch eine schlitzförmige Oeffnung mit-
einander in Kommunikation treten. In dieselben münden die 4 normal ver-
laufenden Ureteren ein, so zwar, dass der linke Ureter von Individuum A
zusammen mit dem rechten Ureter von B sich in die ventral gelegene, der
rechte von A mit dem linken von B in die dorsal gelegene Blase einsenkt.
Aus den beiden Harnblasen entwickeln sich paarig vorhandene Harnröhren,
welche getrennt in das Reetum einmünden, wohin auch die Vasa deferentia
führen; so kommt es zu einer Kloakenbildung, ein Verhältnis, dass sich bei
den meisten Fällen von Ischiopagus vorfindet.
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte.
Die Versammlung findet zu Berlin statt in den Tagen vom 18. bis 24. Sep-
tember. Die 3 allgemeinen Sitzungen werden am 18., 22. und 24. Sep-
tember im Zirkus Renz von vormittags 11 Uhr an stattfinden, Außerdem sind
416 59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte.
30 Sektionen für einzelne Fächer gebildet worden. Gleichzeitig mit
der Versammlung findet eine Ausstellung wissenschaftlicher Apparate,
Instrumente und Unterrichtsgegenstände statt, für welche die Akademie der
Wissenschaften und die Akademie der Künste Räume in dem Akademie-Gebäude,
Unter den Linden 38, zur Verfügung gestellt haben. Diese Ausstellung wird
täglich von 8 bis 11 Uhr vormittags unentgeltlich für die Mitglieder und Teil-
nehmer der Versammlung, in andern Stunden gegen Eintrittsgeld geöffnet sein.
Für die ganze Dauer der Versammlung steht der Wintergarten des Zentral-
hotels zu geselligen Zusammenkünften zur Verfügung.
Das Büreau der Geschäftsführer (Rud. Virchow und A. W. Hof-
mann) ist Berlin SW. Leipzigerstraße 75 eingerichtet Dorthin siud alle
Korrespondenzen geschäftlicher Art zu richten. Vom 1. bis 12. September
werden daselbst auch gegen Einsendung oder Einzahlung der Beiträge Mit-
gliedskarten ausgegeben.
Das Wohnungs- und Auskunfts-Büreau wird am 1. September im
Zentralhotel (Eingang von der Dorotheenstraße) eröffnet und bleibt bis zum
18. September bestehen. Vom 13. September ab werden daselbst auch Mit-
gliedskarten ausgegeben. Diejenigen Herren, welche auf dem Zentralbahnhof
(Friedrichstraße) ankommen, finden im Zentralhotel (Eingang Georgenstraße 25/27)
Empfangsräume geöffnet und können von da aus ohne Zeitverlust die Ge-
schäfte auf dem Auskunftsbüreau erledigen. Ein zweites Auskunfts-
büreau wird am Nachmittag des 18. September in der Kgl. Universität er-
öffnet werden.
Jedes Mitglied und jeder Teilnehmer erhält eine Karte nebst Er-
kennungszeichen (Schleife), für welche 15 Mark zu entrichten ist.
Karten für angehörige Damen kosten 10 Mark.
Als Mitglied wird jeder Schriftsteller im naturwissenschaftlichen
und ärztlichen Fache betrachtet; wer aber nur eine Inaugural-Disser-
tation verfasst hat, kann nicht als Schriftsteller angesehen werden. Teil-
nehmer können alle sein, die sich wissenschaftlich mit Naturkunde und Medizin
beschäftigen. Stimmrecht haben nur Mitglieder.
Wohnungsbestellungen wolle man mit mindestens dreitägiger
Vorausbestellung richten an das Wohnungs- Kowitee im Zentralhotel.
Das allgemeine Festessen findet am 18. September nachmittags 5 Uhr
statt (Preis 5 Mk. ausschließlich Wein). Frühzeitige Anmeldung, jedenfalls
bis 12. September, wird dringend erbeten, und zwar an das Anmeldungsbüreau
im Zentralhotel (Dorotheenstraße 18/21).
Anzeige.
Eine größere Sammlung, bestehend aus Schädeln, Tanzmasken,
Schmucksachen etc. der Wilden von Neu-Britanien und Neu-Irland;
ferner Peruanischen Gräberfunden aus der Inka-Zeit, endlich zahl-
reichen zoologischen und mineralogischen Präparaten, von einem Arzte
gesammelt, ist im ganzen oder geteilt zu verkaufen. Auf Wunsch
genaues Verzeichnis. Offerten sub. „Dr. B.“ an die Expedition dieser
Zeitschrift erbeten.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
Biologisches Centralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
94 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
v1. Band. 15. September 1886. Nr. 14.
Inhalt: Wiesner, Untersuchungen über die Organisation der vegetabilischen Zell-
haut. — Sehröder, Die Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen. — Dogiel,
Ueber den Bau des Geruchsorgans bei Fischen und Amphibien. — Omer Van
Der Strieht, Untersuchungen über den Hyalinknorpel. — Oerley, Die
Rhabditiden und ihre medizinische Bedeutung, — Bunge, Der Vegetarianis-
mus. — Gruber, Körösi’s „relative Intensität der Todesursachen‘“ und der
Einfluss der Wohlhabenheit und der Kellerwohnungen auf die Sterblichkeit.
Julius Wiesner, Untersuchungen über die Organisation der
vegetabilischen Zellhaut.
Sitzungsber. d. kaiserl. Akad. d. Wissensch., XCIII. Bd., I. Abt., Januar-Heft,
Jahrg. 1886, 8°, 64 S. Mit 5 Holzschnitten.
Bisher suchte man, wie der Verfasser in der Einleitung zu dieser
ebenso interessanten wie wichtigen Arbeit des nähern ausführt, in
der Botanik das Wesen der Organisation in einer bestimmten Molekular-
struktur. Dies that vor allem Nägeli in seiner mit bewunderns-
wertem Scharfsinn und blendender Logik entwickelten Micellarhypothese.
Pfeffer, dieser durchaus beipflichtend, erklärte sogar die Organi-
sation für etwas vom lebenden Organismus Unabhängiges, nur durch
gewisse physikalische Eigenschaften (Quellbarkeit) Bedingtes. Auch
Strasburger, sonst aufgrund seiner eingehenden Forschungen über
Bau und Wachstum der Zellhäute von den Anschauungen Nägeli’s
weit abweichend, will die Eigentümlichkeit organisierter Gebilde auf
ihren molekularen Bau zurückgeführt wissen. Wiesner dagegen fasst
die Organisation als etwas vom molekularen Bau ganz Verschiedenes
auf, als eine Struktur, welche eben nur den Lebewesen eigentümlich
ist. Sie kann nur durch strenge und möglichst vielseitige Beobach-
tung erkannt, niemals aber auf vorwiegend theoretischem Wege er-
schlossen werden. Wiesner teilt somit die Ideen Brücke’s, welche
der berühmte Physiologe in seinen „Elementarorganismen“ klar aus-
gesprochen hat, und die in der heutigen zoologischen Forschung
VE 27
418 Wiesner, Organisation der vegetabilischen Zellhaut.
mächtig nachwirken, während die Theorien Nägeli’s hier niemals
Anklang fanden. Aber auch in der Botanik ist die Zeit ihrer unbe-
dingten Geltung und Herrschaft wohl dauernd vorbei, denn sie ge-
raten mit unzweifelhaften Thatsachen immer mehr und mehr in
Widerspruch, was der Verfasser in der Einleitung sehr übersichtlich
darstellt. Indem Wiesner den zur Lösung der gestellten Aufgabe
allein tauglichen experimentellen Weg mit gewohnter Umsicht betrat,
gelangte er zu Thatsachen, welche ihn in den Stand setzten, bei gleich-
zeitiger Berücksichtigung des von Strasburger über den Bau und
das Wachstum der Zellhäute erforschten, sowie der Entdeckung Tangl’s
von dem Zusammenhang der Protoplasmakörper benachbarter Zellen,
„eine naturgemäße Vorstellung von der Organisation der Zellwand
entwickeln zu können“.
Der Verfasser legte seinen Untersuchungen ein Verfahren zu
srunde, welches in der Praxis als „Karbonisierung“ bezeichnet wird,
und die Entfernung vegetabilischer Verunreinigungen aus Tierwolle
und Geweben aus solcher bezweckt. Die zu reinigende Substanz wird
mit etwa zweiprozentiger Salz- oder Schwefelsäure behandelt, und
dann auf 60—70° C. bis zur völligen Eintrockung erhitzt. Hierbei
bleibt die Tierfaser anscheinend unverändert, alle vegetabilischen Bei-
mengungen werden aber vollständig mürbe, sie „zerstäuben“ und
lassen sich leicht (durch Waschen mit Wasser u. s. w.) beseitigen.
Das ungleiche Verhalten der tierischen und pflanzlichen Faser bei
dieser Behandlungsweise war von dem Verfasser schon früher studiert
worden!). Diesmal nun schenkte er den Veränderungen der vegeta-
bilischen Gewebe erhöhte Aufmerksamkeit. Er benützte zur „Zer-
stäubung“ einprozentige Salzsäure, welche durch 24 Stunden einwirkte,
und trocknete das so vorbereitete Gewebe dann bei Temperaturen
von 50—65° C. Auf solchem Wege ließen sich verholztes und nicht
verholtztes Parenchym (Hollundermark z. B.), Bastzellen (Jutefaser,
Leinen- und Hanffaser), Holzgewebe, Meristeme, leicht zerstäuben.
Dagegen bedurfte es bei dem diekwandigen Endosperm von Phytelephas
monatelanger Einwirkung der Salzsäure, ehe durch nachfolgende Trock-
nung bei 50—60°C. die Zerstäubung möglich wurde, und Pilzgewebe
sowie Korkhäute ließen sich auf solchem Wege überhaupt nicht zum
Zerfall bringen. Bei den leicht zerstäubbaren Geweben war übrigens
das Mürbwerden auch ohne Anwendung erhöhter Temperatur zu er-
zielen, wenn man die Salzsäure 2—3 Tage einwirken und die Masse
dann an der Luft abtrocknen ließ.
Die Zerstäubung besteht nun darin, dass die auf die angegebene
Weise behandelten Gewebe schon durch leisen Druck in kleine staub-
feine Bruchstücke zerfallen. Bei den untersuchten Bastfasern stehen
die ebenen oder staffelförmigen Bruchflächen zur Zellaxe senkrecht.
4) Siehe Dingler’s polytechn. Journ, Jahrg. 1876, S. 454 ff.
Taf
Wiesner, Organisation der vegetabilischen Zellhaut. 419
Holzfasern (Tracheiden) brechen häufig auch schief, und immer ist
letzteres bei den Fasern der Baumwolle der Fall, deren Bruchflächen
oft unter 45° gegen die Zellaxe geneigt sind. Die charakteristischen
Reaktionen auf verholzte und unverholzte Zellwände kommen zwar
an den „zerstäubten“ Elementen noch zu stande, doch haben die
Membranen nichtsdestoweniger chemische Veränderungen erlitten, die
nach den vorliegenden Untersuchungen durch ein teilweises Löslich-
werden ihrer Substanz in Wasser und durch das Auftreten reduzieren-
den Zuckers im Extrakte angezeigt werden.
Behandelt man nun zerstäubtes Gewebe mit gewöhnlicher Salz-
säure oder mit konzentrierter Kalilauge, oder abwechselnd mit beiden
Reagentien, so bewirkt ein sodann auf das Präparat ausgeübter Druck
den Zerfall der Wand in kleine Fasern (Fibrillen), und schließ-
lich in winzige Körnchen, die einer homogenen Schleimmasse einge-
bettet sind. Körnchen und Schleim färben sich mit Chlorzinkjod
violett, letzterer jedoch weit lebhafter als jene. Auf dem angedeuteten,
in der ÖOriginalabhandlung für einzelne Fälle genauer präzisierten
Wege gelang es dem Verfasser, alle bis jetzt untersuchten Zellmem-
branen (Baumwolle, Leinen- und Jutefaser, Hollundermark, Holzgewebe)
mit alleiniger Ausnahme jener der Pilze in solehe Körnchen (und der
Masse nach zurücktretenden Schleim) zu zerlegen. Er betrachtet diese
mikroskopisch eben noch wahrnehmbaren Körnchen, die sich durch
Druckwirkung nicht mehr verkleinern lassen, als organisierte Körper-
chen, welche an dem Aufbau der Zellwand wesentlichen Anteil nehmen,
und nennt sie Dermatosomen. Dieselben sind vermutlich schon
oft gesehen, häufig wohl auch für Mikrokokken und Bakterien ge-
halten worden, von welchen sie optisch nicht zu unterscheiden sind.
Dieser Umstand dürfte die neuerdings wieder aufgetauchte Behaup-
tung, Gewebezellen höherer Organismen könnten bei ihrem Zerfall
Spaltpilze liefern, hinreichend erklären.
Die geschilderte Zerstäubungsmethode ist nach dem Verfasser
darum besonders lehrreich, weil dureh dieselbe die verschiedenen
zwischen den Dermatosomen bestehenden Bindungen allmählich gelöst
werden. Die Schlusswirkung, der Zerfall in Dermatosomen, kann
aber auch auf kürzerem Wege erreicht werden, nämlich durch Behand-
lung mit Chromsäure, oder noch besser durch wochenlanges Einlegen
in Chlorwasser. Letzteres Mittel ist für sich allein im stande, obige
Zerlegung herbeizuführen; doch wird der Vorgang erheblich abgekürzt,
wenn man der anfänglichen Einwirkung des Chlorwassers Behandlung
mit Kalilauge folgen lässt (worüber das Original nähere Anweisung
gibt) und schließlich Druck anwendet. Durch dieses Verfahren lassen
sich auch die nicht zu „zerstäubenden“ Wände von Korkzellen in
Dermatosomen auflösen; dagegen kann solehes bei Pilzzellenwänden
nicht erreicht werden, vielmehr verwandeln sich die letztern bei der-
artiger Behandlung in einen anscheinend homogenen Schleim. Viel-
DE
420 Wiesner, Organisation der vegetabilischen Zellhaut.
leicht sind hier die Dermatosomen so klein, dass sie sich der Wahr-
nehmung entziehen.
In dem vorstehend besprochenen ersten Abschnitt seiner Abhand-
lung zeigt also der Verfasser die Zusammensetzung der vegetabilischen
Zellhaut aus mikroskopisch nachweislichen Elementarkörperchen (Der-
matosomen). Der folgende Abschnitt handelt von der „Außenhaut
(Mittellamelle) und Innenhaut der Zellwand“. Aus der Thatsache,
dass beim Kochen von Kartoffelstücken die einzelnen Zellen sich von
einander lösen, während diese Trennung unterbleibt, wenn dünne
Kartoffelschnitte, welehe keine ganzen Zellen mehr enthalten, gekocht
werden, folgert der Verfasser, dass im ersten Falle das Auseinander-
treten der unverletzten Zellen nicht durch Lösung, sondern durch Spal-
tung der gemeinschaftlichen Außenhäute (Mittellamellen) bedingt sei;
die letztern müssen demnach aus zwei Schichten bestehen, von denen
je eine einer besondern Zelle angehört. Die bisher geltende Annahme,
dass die jugendlichen Zellwände homogen seien und die Bildungen
einer Grenzschicht zwischen benachbarten Zellen erst später eintrete,
entspricht nicht den Thatsachen, denn es gelang dem Verfasser, in
Vegetationsspitzen von Keimpflanzen (Mais z. B.), oder Laubsprossen
(Kartoffel) die Zellen durch konzentrierte Salzsäure nach wenigen
Minuten zu isolieren, während die Zellen des Dauergewebes bei solcher
Behandlung erst nach viel längerer Zeit aus dem Verbande traten.
Der Verfasser erblickt hierin den Beweis für die schon im Meristem-
zustande der betreffenden Gewebe vorhandene Zusammensetzung der
Mittellamelle aus zwei Schichten. — Als „Innenhaut“ bezeichnet der
Verfasser bekanntlich die homogen erscheinende innerste Zellwand-
schichte, deren Vorhandensein und Isolierbarkeit er schon in seiner
„technischen Mikroskopie“ (S. 53, 108, 110) dargelegt hat, desgleichen
in seiner Schrift über die „Zerstörung der Hölzer an der Atmosphäre“
(S. 16, 17) die Imprägnierung dieser Innenhaut mit Eiweißkörpern.
Außer Schwefelsäure oder Chromsäure kann nach Wiesner’s neuern
Untersuchungen auch Chlorwasser zur Freilegung der Innenhaut dienen.
Dass die letztere der eingetrocknete Primordialschlauch der betreffen-
den Zellen sei, was Russow behauptet, bestreitet der Verfasser auf
grund der Thatsache, dass durch Chlorwasser isolierte Innenhäute von
Markstrahlzellen oder Bastfasern nach 12-48 stündigem Liegen in
Chlorzinkjodlösung deutlich violett werden. Die Innenhaut „bildet eben
eine Zellwandschichte, in welcher Protoplasma am reichlichsten vor-
kommt und am längsten sich erhält, so dass die Innenhaut einer aus-
gebildeten Zelle dem Chlorzinkjod gegenüber kaum anders als eine
Meristemzellwand sich verhält... . .“
Der dritte Abschnitt der Schrift ist der chemischen Beschaffenheit
der Zellhaut und dem Vorkommen von Protoplasma in derselben ge-
widmet. Der Verfasser begründet hier seine Ansicht, dass die
lebende Zellwand stets Eiweißkörper führt. Für junge
Wiesner, Organisation der vegetabilischen Zellhaut. 421
Zellen folgert er dies aus dem Verhalten der Zellen des Scheitel-
meristems, des Phellogens und des Cambiums, deren Wände erst nach
Behandlung mit Kalilauge oder Peptonisierung und längerem Liegen
in Chlorzinkjod Cellulosereaktion erkennen lassen. Der direkte Nach-
weis von Eiweiß in diesen zarten Membranen stößt freilich auf Schwierig-
keiten. Auch die Thatsache, dass die Membranen der Pilzzellen erst
nach längerer Behandlung mit alkalischen Flüssigkeiten oder mit Chlor-
wasser Cellulosereaktionen geben, beruht wahrscheinlich auf der Gegen-
wart von Eiweiß in denselben. In diekwandigen Pilzhyphen von
Flechten sowie in den Membranen zahlreicher Meristeme und Dauer-
sewebe gelang auch der direkte Nachweis von Eiweißkörpern durch
das Millon’sche und Raspail’sche Reagens, sowie durch die Biuret-
und Xanthoproteinsäure-Reaktion. Ueber die betreffenden in Wiesner’s
Laboratorium ausgeführten Arbeiten wird demnächst Ausführlicheres
veröffentlicht werden. Von dem Eiweißgehalt der „Innenhaut“ war
schon oben die Rede. Der Verfasser versucht ferner durch eine Rech-
nung zu zeigen, dass in den sehr diekwandigen Hyphen mancher Pilze
(Polyporus fomentarius z. B.) die Hauptmasse des Protoplasmas der
Membran angehöre. —- Durch die Annahme der Gegenwart von Proto-
plasma in der lebenden Zellwand sieht der Verfasser das Verständnis
der in der Zellwand statthabenden chemischen Vorgänge weit mehr
gefördert, als durch die bisherige Lehre, derzufolge alle sogenannten
Umwandlungsprodukte der Zellwand aus Cellulose sich ableiten sollen.
Damit würde z. B. die sonst schwer erklärbare Entstehung aromati-
scher Verbindungen (Coniferin, Vanillin) in der Membran von Holz-
zellen begreiflich.
Der vierte Abschnitt bespricht die Organisation der Zellwand
und bringt vorwiegend theoretische Auseinandersetzungen. Indem der
Verfasser hier betont, dass wir noch nicht einmal über den moleku-
laren Bau wasserfreier Krystalle hinreichend im klaren sind, erscheint
ihm das Suchen nach der gewiss viel kompliziertern Molekular-
struktur der Organismen als ein „derzeit hoffnungsloses Beginnen“,
umsomehr, als die neuern Untersuchungen die Beteiligung zahlreicher
Stoffe an dem Aufbau der Stärkekörner, der Myxomyceten-Plasmodien,
der Chlorophylikörner ..... dargethan haben. Der Verfasser hält es
nun für das Wahrscheinlichste, dass sich diese Körper zu sehr kleinen
individualisierten Gebilden von derzeit nicht zu ermittelndem moleku-
larem Bau vereinigen, welche die letzten Formelemente der Zellen
und ihrer Teile darstellen. In der Zusammensetzung aus solchen
Teilchen — Mikrosomen — erblickt er das Wesen der Organisation.
So wären z. B. die Mikrosomen des Plasmas, die Plasmatosomen, als
die kleinsten individualisierten Formelemente des Protoplasmas, somit
als die eigentlichen Elementarorgane der Pflanzen (und Tiere) anzu-
sprechen, während die (aus Plasmatosomen entstehenden) Dermato-
somen die charakteristischen Formelemente der pflanzlichen Zellhaut
429 Wiesner, Organisation der vegetabilischen Zellhaut.
darstellen würden. „Nach dieser Auffassung würde die Zelle in dem-
selben Sinne aus Mikrosomen (Plasmatosomen und Dermatosomen)
aufgebaut sein, wie die Gewebe aus Zelle sich zusammensetzen“. Die
gegenseitige Bindung der Dermatosomen in der Zellwand lässt der
Verfasser durch zarte Protoplasmastränge zu stande kommen. Auf
bloßen Anziehungskräften kann sie nicht beruhen, da sie ja sowohl
auf mechanischem Wege als auch durch chemische Veränderungen,
bei welchen feste Substanz in Lösung geht, aufzuheben ist. Die erste
Anlage der Wand besteht aus Protoplasma; aus Mikrosomen desselben
entstehen die Dermatosomen, und diese bleiben durch feine Plasma-
stränge netzartig miteinander verknüpft. Die letztern entziehen sich
der direkten Beobachtung. „Nur in jenen Fällen erscheint das Proto-
plasma direkt in der Wand, wo es als solches in breiten Zügen er-
halten bleibt, innerhalb welcher die Plasmatosomen keine Umwandlung
in Dermatosomen erfuhren“. — Auf die Verhältnisse der Schichtung
und Streifung der Zellhaut übergehend hält der Verfasser im Hin-
blick auf die früher mitgeteilten Thatsachen die Frage, ob die Mem-
bran aus Schichten oder Fibrillen zusammengefügt sei, für ziemlich
bedeutungslos. Die Zellwand besteht eben „aus Dermatosomen, die,
bestimmt angeordnet, entweder zu Fibrillen sich vereinigen oder zu
Schichten, oder zu beiden, ein Fall, welcher in den Wänden fibröser
Zellen die Regel bildet“. In einer geschichteten Zellwand besteht
jede Schichte aus in tangentialer Richtung stark genäherten Dermato-
somen, die gleichsam ein zusammenhängendes Häutchen bilden. Je
zwei solcher Schichten sind durch „Gerüstsubstanz“ voneinander ge-
trennt zu denken. — Die Thatsache, dass die Streifung bei Tracheiden
des Fichtenholzes schärfer hervortritt, wenn das betreffende Präparat
stundenlang im Luftbad bei 110° getrocknet wurde, bei folgendem
Wasserzusatz aber wieder undeutlicher wird, bestärkt den Verfasser
in der Vorstellung, dass die Zellwand ein Gerüste bilde,
welches reichlich von Hohlräumen durchsetzt ist, die im
lebenden Zustande der Wand mit Flüssigkeit gefüllt, im
trocknen Zustande aber leer sind und sich dann gewöhn-
lich mit Luft füllen. Wegen der Quellbarkeit der Dermatosomen
ist das in der lebenden Zellwand enthaltene Wasser in zweierlei Form
zu denken: teils als kapillares, die Dermatosomen und Verbindungs-
stränge umspülend, teils als von den Dermatosomen aufgenommenes
„Quellungswasser“. Schließlich wird in diesem Kapitel noch betont,
dass das Hervortreten von Schichten und Streifen nach Einwirkung
von Reagentien mindestens in vielen Fällen nieht auf einer Aenderung
des Liehtbrechungsvermögens benachbarter Hautteile beruht, sondern
durch die Auflösung der zwischen den Schichten und Streifen vor-
handenen Bindesubstanz bedingt ist.
Im fünften Abschnitt entwickelt der Verf. seine Ansichten über
das Wachstum der Zellwand. Indem er sich aus mehrfachen Gründen
Schröder, Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen. 4923
gegen jede Einseitigkeit in der Auffassung der hierbei wirksamen
Vorgänge ausspricht, gelangt er, auf den Forschungen Strasburger’s
und seinen eignen Untersuchungen fußend, zu folgendem Schlusse:
„Die Formbildung der Zellwand geht nicht von dem von
der Zellwand rund umschlossenen Protoplasma (Zellen-
plasma), sondern von dem inmitten der Zellwand ge-
legenen Protoplasma (Dermatoplasma, Hautplasma) aus“.
Die Zellhaut wächst also weder durch bloße Anlagerung von außen
oder innen, noch durch bloße Einlagerung, sondern im wesentlichen
wie das Zellen-Protoplasma, „gewissermaßen aus sich selbst heraus“.
Die Mikrosomen des Dermatoplasmas dürften sich in den meisten
Fällen gänzlich in Dermatosomen umwandeln, und auch die zarte,
ursprünglich protoplasmatische „Gerüstsubstanz“ schließlich in Wand-
substanz übergehen. Diese so umgewandelte Gerüstsubstanz bildet
wahrscheinlich den anscheinend homogenen Schleim, der durch Be-
handlung „zerstäubter“ Wände mit Salzsäure und Kali neben den
Dermatosomen entsteht. — Für die „Belebung“ der Membran durch
in ihr enthaltenes Protoplasma sprechen auch die von Leitgeb be-
schriebenen Vorgänge bei der Entstehung der Sporenhäute von Moosen
und Gefäß-Kryptogamen!).
Schließlich fasst Wiesner seine Ausführungen dahin zusammen,
dass es ihm darum zu thun gewesen sei, den Charakter der wach-
senden Zellwand als lebendes protoplasmaführendes Gebilde in den
Vordergrund zu stellen und sowohl die Struktur, als das Wachstum
und den Chemismus der Zellhaut den analogen Verhältnissen des
Protoplasmas näher zu bringen. Die Ergebnisse der Arbeit werden
nochmals in 12 knapp gehaltenen Sätzen vorgeführt, und die Weiter-
entwicklung der von dem Verfasser ausgesprochenen Grundgedanken
fernern Forschungen anheimgegeben.
Wiesner’s verdienstliche Arbeit bereichert nicht nur die Wissen-
schaft an wertvollen Thatsachen — sie sucht auch unsere Einsicht
in die Struktur und das Leben der Pflanzenzelle in besonnener Weise
zu vertiefen und eröffnet weitern Forschungen auf diesem Gebiete
neue, anregende Gesichtspunkte. Ihr gebührt gewiss eine hervor-
ragende Stelle unter jenen Werken, welchen die Botanik die Erlösung
aus dem Banne der unfruchtbaren Theorien Nägeli’s zu danken hat.
K. Wilhelm (Wien).
Schröder, Die Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen.
Die Frage, innerhalb welcher Grenzen der pflanzliche Organismus
im stande ist, das Austrocknen zu ertragen, ist bereits der Gegen-
stand zahlreicher Versuche und Beobachtungen gewesen. G. Schrö-
1) Leitgeb, Ueber Bau und Entwicklung der Sporenhäute ete. Graz 1884.
424 Schröder, Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen.
der hat kürzlich das Wissenswerte darüber systematisch zusammen-
gestellt und durch eigne Untersuchungen bereichert!). Er stellte
seine Versuche in der Art an, dass er die Pflanzen oder Pflanzenteile
entweder der Luft aussetzte, bis sie keinen wesentlichen Gewichts-
verlust mehr bemerken ließen (Lufttrockenheit), oder indem er sie
unter den nötigen Vorsichtsmaßregeln in einen Schwefelsäure - Ex-
sikkator brachte (Schwefelsäure - Trockenheit).
Die Pflanzenkörper der Phanerogamen und Gefäß-Krypto-
gamen werden größtenteils durch Austrocknung getötet, doch sind
einige /soötes- Arten, die auf Sandhügeln Algeriens vorkommen, sehr
widerstandsfähig. Isoötes setacea wurde von A. Braun nach zwei-
jähriger Aufbewahrung im Herbarium wieder zum Leben gebracht.
Die diekblättrigen Bewohner trockner Standorte, wie Cacteen, Cras-
sulaceen etc., sind durch die mächtige Ausbildung der Cutieula in
den Stand gesetzt, wegen der geringen Verdunstung lange andauernde
Trockenheit zu ertragen. Verf. fand, dass Opuntia-Sprosse von etwa
0,7—1,9 g Gewicht nach 4 Monaten im Exsikkator erst 48—65°/,
Wasser verloren hatten. Berücksichtigt man, dass diese Sprosse
durch einen solchen Wasserverlust noch keineswegs getötet werden,
und dass, wenn sie im Zusammenhang mit den übrigen Teilen der
Pflanze bleiben, die lebensfähigern Teile den ältern noch Wasser
entreißen, so wird es begreiflich, dass diese Pflanzen in der Natur
selbst durch sehr intensive Dürre nicht getötet werden. Die große
Lebenszähigkeit der diekblättrigen Pflanzen geht unter anderem auch
aus der Angabe Decandolle’s (Pflanzenphysiologie) hervor, dass
ein Exemplar von Sempervivum caespitosum noch, nachdem es 18 Mo-
nate in der Sammlung gelegen, an der äußersten Spitze seines Stengels
eine kleine Knospe entwickelte.
Aus den Versuchen, die Verf. mit dünnblättrigen Pflanzen an-
stellte, heben wir hervor, dass die abgeschnittenen Endspitzen von
Asperula odorata mit 84,9%, Wassergehalt noch bei einem Gewichts-
verlust von 61,5°/,, Blätter von Parietaria arborea mit 83,7°/, Wasser
bei 44,90%/,, Fuchsia-Blätter mit 88,3%/, Wasser bei 36°/,, Blätter von
Limnanthemum nymphaeoides mit 87,3%), Wasser bei 62°/, Wasser-
verlust völlig lebend blieben.
Sehr resistent gegen Austrocknung sind bekanntlich die Samen.
Immerhin gibt es eine Anzahl von ihnen, die infolge von Wasserent-
ziehung ihre Keimkraft verlieren. Es ist aber in manchen Fällen die
Austrocknung an und für sich wahrscheinlich nicht der Grund des
Absterbens. Bei Corydalis- Arten ete. wird die Trockenheit wohl da-
durch schädlich, dass sie eine Nachreife des zur Zeit des Ausfallens
der Samen noch sehr unentwickelten Embryos verhindert. Die Samen
1) Untersuchungen aus dem Botanischen Institut zu Tübingen. Bd. II.
1886. 8. 1.
Schröder, Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen. 425
von Weiden, Pappeln und Ulmen gehen zugrunde, wenn sie ein-
trocknen; der Embryo ist hier aber überhaupt nur sehr kurzlebig und
stirbt z. B. bei Salix fragilis, auch wenn die Verdunstung verhindert
wird, sehr bald ab.
Wie die Samen der Phanerogamen sind auch die Mehrzahl der
Sporen der Gefäßkryptogamen gegen die Trockenheit sehr wider-
standsfähig. Es liegen Angaben vor, dass aus alten Herbarien ent-
nommene Farnsporen, welche an 50 Jahre alt sein konnten, als keim-
fähig befunden wurden. Doch gibt es Ausnahmen; so erlischt z. B.
die Keimfähigkeit der grünen Sporen der Osmundaceen und Hymeno-
phyllaceen schon nach kurzer Zeit.
Das Verhalten der Moose ist auch sehr verschieden je nach dem
Standort. Es ist behauptet worden, dass Moose, die seit 100 Jahren
trocken gewesen sind, durch Eintauchen in Wasser wieder ihre Le-
bensfähigkeit erlangen können. Indess ist das Straffwerden trockner
Laubmoose beim Einlegen in Wasser kein Beweis dafür, dass sie sich
wirklich wieder belebt haben, denn auch tote Moose zeigen diese
Eigenschaft. Die vom Verfasser angestellten Versuche mit Moosen,
die eine längere Reihe von Jahren im Herbar gelegen hatten, ergaben
ein negatives Resultat. Eine Anzahl von Moosen indess, die nur
2—3 Jahre lang aufbewahrt waren, lebten beim Eintauchen in Wasser
wieder auf. — Barbula muralis und an trocknen Standorten vor-
kommende Laubmoosarten widerstehen der Trockenheit mit außer-
ordentlicher Zähigkeit, selbst bei monatelangem Aufenthalt im Ex-
sikkator. Die Sporen der Laubmoose behalten ihre Keimkraft lange
Jahre hindurch. Die Dauerzellen, welche das Protonema im Exsikkator
bildet, vermögen einen langen Aufenthalt im Exsikkator zu ertragen.
Von den Algen überstehen einige Chlorophyceen die Trockenheit
ohne Lebensgefahr in ihrer gewöhnlichen. vegetativen Gestalt (Hor-
midium parietinum, Scenedesmus obtusus, Oystococcus humicola). Einige
Algen bilden bei eintretender Trockenheit besondere Dauerzellen.
Das wichtigste Ruhestadium aber sind die Zygoten (Zygosporen).
Dieselben enthalten häufig fettes Oel, und es ist daher angenommen
worden, dass letzteres zu der Fähigkeit, das Eintrocknen zu ertragen,
in Beziehung stände. Verf. meint indess, dass es vielmehr als ein
Schutzmittel gegen intensive Beleuchtung zu betrachten sein dürfte.
Darauf deutet hin, dass die Zygoten von Hydrodictyon, denen solches
Oel fehlt, ohne Schaden austrocknen, aber nur, wenn sie vor der Ein-
wirkung des Lichtes geschützt sind.
Die in den Dauerzustand übergegangene Chlamydomonas obtusa
bedarf, um eine weitere Entwicklung nehmen zu können, einer be-
stimmten, ziemlich weit gehenden Austrocknung. Auch Ch. pulvis-
culus lieferte nach 13wöchentlichem Aufenthalt über Schwefelsäure
zahlreiche Schwärmer, während nach eben so langer Lufttrockenheit
und sonst gleichen Bedingungen keine Schwärmzellen aufzufinden
426 Schröder, Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen.
waren. Die Notwendigkeit der Austrocknung für die Weiterentwick-
lung zeigt noch deutlicher Chlorogonium euchlorum. Klebs beobach-
tete, dass die in den Ruhezustand übergegangenen Kopulationspro-
dukte dieser Flagellate nach einem Jahre reichlicher keimten, als
nach 3 Monaten, nach dieser Zeit wieder in größerer Zahl als nach
3 Wochen. Durch Versuche wies Verf. nach, dass dabei mehr der
Grad der Wasserentziehung, als die Dauer der Trockenheit bestim-
mend ist. — Auch die Ruhezustände von Haematococcus bedürfen der
Austrocknung, um entwicklungsfähig zu sein. A. Braun sah neue
Schwärmer aus zweijährigen eingetroekneten Massen nach dreitägiger
Einweichung hervorgehen. Verf. erhielt gleichfalls günstige Resultate
mit Material, welches 5 Jahre lang in Papier aufbewahrt gewesen
war. Frisches Material kann 8 Monate im Exsikkator stehen, ohne
Schädigung zu erleiden, während altes Material dabei zugrunde geht.
Diatomeen ertragen das völlige Austrocknen nicht, können aber
in feuchter Erde noch bei 12,25°/, Wassergehalt bestehen. Die Des-
midiaceen schließen sich ihnen im wesentlichen an. In dem gallert-
artigen Schleim, den sie in größerer Menge auszusondern vermögen,
finden sie einen wirksamen Schutz gegen die erste Einwirkung der
Trockenheit. Die Zygnemaceen bilden bei allmählicher Verdunstung
des Wassers Ruhezellen; am widerstandsfähigsten sind die von ihnen
gebildeten Zygoten.
Was die Schizophyceen betrifft, so lebten von Nostoc- Lagern,
welche 4 Monate lang lufttrocken bezw. 5 Wochen über Schwefelsäure
aufbewahrt waren, alle Zellen wieder auf. Selbst nach 7monatlichem
Aufenthalt über Schwefelsäure fand sich wenig Abgestorbenes. An-
dere Nostocaceen sind weniger widerstandsfähig. — Am auffal-
lendsten tritt die Anpassung an das Medium bei den Oscillarien
hervor. Die nur im Wasser vorkommenden kleinzelligen Arten fand
Verf. schon nach achtwöchentlicher Lufttrockenheit stets degeneriert;
andere Arten dagegen, welche man auch auf Schlamm oder gar außer-
halb des Wassers antrifft, konnten völlig staubtrocken werden.
Die Pilze zeigen im allgemeinen eine sehr geringe Widerstands-
fähigkeit gegen das Austrocknen, da die Hyphen sehr schnell zu
grunde gehen. Was die Sporen betrifit, so keimten solche vom
Schimmel, Penicillium glaucum und Mucor mucedo, nach einer 8 Wo-
chen dauernden Schwefelsäure- Trockenheit. Die Sporen von Brand-
pilzen (Ustilagineen) blieben noch nach 31/,— 8!/,jähriger Aufbe-
wahrung im Herbarium lebensfähig. Einige Pilze schützen sich gegen
die Trockenheit dadurch, dass das Mycel in einen Dauerzustand
(Sklerotium) übergeht, von denen mehrere über 1 Jahr lang trocken
aufbewahrt werden können. Etwa das Gleiche gilt für die Sklerotien
und Mikrocysten (Ruhezustände der Schwärmer) von Schleimpilzen.
Bierhefe rief noch nach siebenwöchentlichem Aufenthalte im Schwefel-
säure-Exsikkator Gärung hervor.
Schröder, Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen. 427
Die Fleehten werden durch Dürre wenig in ihrer Lebensfähig-
keit beeinträchtigt. Stieta pulmonaria war noch, nachdem sie 17 Wo-
chen im Exsikkator gelegen, völlig lebend. Bei 30 Wochen dauern-
dem Liegen an der Luft stirbt Sticta großenteils ab. Aus den Ver-
suchen scheint hervorzugehen, dass ein Wassergehalt von 4,5°/, das
Minimum ist für die Erhaltung dieser Flechte.
Sehr sorgfältige Versuche hat Verf. auch mit Bakterien ange-
stellt. Er fand dieselben meist lebensfähig, auch wenn die Aus-
trocknung 13 und selbst 21 oder 25 Wochen gedauert hatte. Die
Spirillenform und verwandte Formen können aber die Trockenheit
nicht überstehen, wie bereits durch zahlreiche Beobachtungen, unter
andern auch am Cholerabacillus festgestellt worden ist. Einige
Spaltpilzformen bilden bei langsamer Verdunstung Sporen, welche
jahrelang ihre Keimkraft behalten, z. B. der Milzbrandbaeillus.
„Der Nutzen einer hohen Resistenz gegen Trockenheit“, sagt Verf.,
„beruht nicht allein darauf, dass die betreffende Pflanzenspecies an
Standorten sich erhalten kann, die wegen häufig eintretenden Mangels
an Feuchtigkeit für andere Organismen unbewohnbar werden; ein
wesentlicher Vorteil für die bei der Austrocknung lebend bleibenden
Zellen beruht vielmehr auch in dem Faktum, dass sie in diesem
trocknen Zustande gegen anderweitige äußere Einflüsse, wie
extreme Temperaturen ete., sich weit unempfindlicher
zeigen, als bei statthabender Turgeszenz.*“ Trockene Samen wer-
den von dem Wechsel der Temperatur um so weniger beeinflusst, je
vollkommener sie ausgetrocknet sind. Eine Grimmia pulvinata, welehe
längere Zeit über Schwefelsäure getrocknet war, konnte Verf. in
einem Reagierglas mit frisch geglühtem Chlorcaleium eine Stunde
lang auf 95—100° erhitzen, ohne dadurch ihre Lebensfähigkeit zu
zerstören |?].
„Erträgt eine Pflanze oder ein Pflanzenteil einmal das Aus-
trocknen, so kann die Trockenheit auch meist eine recht lange an-
dauernde sein. Es wird also dadurch eine beträchtliche Verlängerung
des Lebens der Einzelindividuen erreicht, eine Erscheinung, welche
besonders auffallend bei Bakterien und andern Organismen, deren
Lebensdauer im gewöhnlichen Verlauf der Dinge eine nur sehr kurze
ist, sich zu erkennen gibt.“
Eine absolute Trockenheit konnte im Exsikkator nicht erreicht
werden, während das Objekt noch am Leben war. Die an Sticta
pulmonaria ausgeführten Wasserbestimmungen scheinen anzuzeigen,
dass ein gewisser Gleichgewichtszustand in der Feuchtigkeitsmenge
beim Trocknen über Schwefelsäure eintreten kann.
„Förderlich, ja selbst notwendig für die weitere Entwicklung ist
eine vorübergehende Austrocknung bei einigen Samen, Sporen und
andern Ruhezuständen. Von vielen Samen ist es bekannt, dass sie
gleich nach der Reife nicht keimfähig sind.“ Wenn hier auch andere
498 Dogiel, Bau des Geruchsorgans bei Fischen und Amphibien.
Umstände mit ins Spiel kommen können, so ist wenigstens in einem
Fall, nämlich für die Samen von Eichhornia crassipes festgestellt,
dass der Keimung eine Austrocknung unabweislich vorausgehen muss.
(Vgl. hierzu die Mitteilung von F. Ludwig über Mayaca fluviatilis,
Bd. VI. S.299 dieses Blattes). Die Notwendigkeit der Austrocknung
für einige Ruhezustände von Algen ist oben besprochen worden.
Im Anschluss hieran möchte Ref. auf eine ganz analoge Er-
scheinung im Tierreich hinweisen. Die Eier von Apus entwickeln
sich bekanntlich nieht, wenn sie nicht eine Zeit lang trocken gelegen
haben, und es lässt sich dabei eine der Dauer des Trockenliegens
entsprechende Steigerung der Entwicklungsfähigkeit beobachten.
F. Moewes (Berlin).
Ueber den Bau des Geruchsorgans bei Fischen und
Amphibien.
Von Dr. med. Alexander Dogiel,
Prosektor und Privatdozent an der Universität Kasan.
Im Laufe eines Jahres war ich mit Untersuchungen des Geruchs-
organs bei Ganoiden (Aceip. ruthenus und A. Güldenstädtii), Knochen-
fischen (Esox lucius) und Amphibien (Rana temporaria) beschäftigt.
Ich kam dabei zu Resultaten, die vielleicht geeignet sind, einiges Licht
zu verbreiten über das Verhältnis der Stützzellen zu den
Neuroepithelien und der letztern zu dem Geruchsnerven.
Meine Arbeit ist bereits abgeschlossen, und nur der augenblick-
liche Mangel an einem Uebersetzer verhindert mich meine Beobach-
tungen in extenso zu veröffentlichen.
Zwischen Stützzellen (Epithelien) und Riechzellen (Neuro-
epithelien) existiert bei allen von mir untersuchten Tieren ein scharfer
Unterschied.
Die Stützzellen bei den Ganoiden sind längliche membranöse
Gebilde, deren innere Enden sich verjüngen, um schließlich in eine
verbreiterte Sohle auszulaufen, die der bindegewebigen Unterlage auf-
liegt. Der ovale, seitlich etwas komprimierte Zellkern liegt an der
Stelle, wo der membranöse Zellkörper in den sich verjüngenden Fuß
übergeht. Die membranösen Stützzellen erscheinen häufig konkav
'ausgebogen zur Aufnahme der bauchigen Riechzellen, während an
ihrem freien Ende die Flimmerhaare vorhanden sein oder fehlen
können.
Bei dem Hechte und bei dem Frosche erscheinen die Stütz-
zellen an ihrem äußern Ende schleimig, sowohl ihrer Struktur, als
ihrem Verhalten zu Farbstoffen (Hämatoxylin ete.) nach und müssen
also nach dem Vorgange von Ranvier als Schleimzellen bezeichnet
werden. Bei dem Hechte nimmt der schleimige Teil ?/,; der Zelle ein,
Dogiel, Bau des Geruchsorgans bei Fischen und Amphibien. 429
bei dem Frosche !/,. Aus dem freien Ende der Zelle sieht man häufig
körnige helle Tropfen oder Pfröpfe austreten, die sich in Hämatoxylin
intensiv färben. Dieselbe Färbung nimmt der ganze periphere Teil
der Stützstelle an. Neben den austretenden Schleimpfröpfen sieht
man beim Frosche häufig am freien Ende der Zellen lange Flimmer-
haare. Letztere sind immer vorhanden an den Zellen, die noch ge-
schlossen sind d. h. keine austretenden Schleimpfröpfe besitzen. Die
Stützzellen des Hechtes besitzen keine Cilien. Der frühere (äußere)
Teil der Stützzellen beim Frosche ist birn- oder becherförmig, je nach
der Quantität des angesammelten Schleimes. Wird letzterer nach
außen befördert, so erscheint der äußere Zellteil schlank, gleichsam
komprimiert. An der Grenze des äußern und innern (Fuß-) Teiles
der Zelle liegt der große ovale Kern, dessen oberer Pol manchmal
etwas komprimiert erscheint. Der äußere schleimige Teil der Stütz-
zelle beim Hechte hat die Form eines schmalen Zylinders, der ?/, der
ganzen Zelle einnimmt und durch einen ovalen Kern von dem Fußteile
abgegrenzt wird. — Die innern Abschnitte (Fußteile) der Stützzellen
sind membranös verdünnt, sowohl beim Frosche, wie beim Hechte.
Bei ersterem spaltet sich schließlich der Fuß in dünne häutige Fort-
sätze, während er beim Hechte wie bei den Ganoiden in eine trom-
petenförmige Verbreiterung (Sohle) ausläuft.
Unter den Riechepithelien (Neuroepithelien) aller oben genannten
Tiere sind 3 Formen zu unterscheiden. Die eine entspricht den von
M. Schultze in seinen klassischen „Untersuchungen über den Bau
der Nasenschleimhaut“ beschriebenen Gebilden. Es sind stark in die
Länge gezogene Gebilde, an denen man einen Zellkörper nebst Kern
und 2 Fortsätze, einen peripheren stäbehenförmigen und einen zen-
tralen fadenförmigen varikösen unterscheiden kann.
Die zweite Form erscheint als ziemlich dicker Zylinder, an dessen
innerem, bei dem Frosche etwas aufgetriebenen Ende ein ovaler oder
runder (Fische) Kern liegt. Nach innen von dem Kern beginnt der
zentrale Fortsatz, der an diesen Zellen viel dicker ist als bei den
von M. Schultze beschriebenen Gebilden, und häufig varikös erscheint.
Die beiden Formen fasse ich unter dem Namen „Riechstäbchen“
zusammen.
Was die dritte Form der Riechzellen anlangt, so liegen sie immer
in einer diskontinuierlichen Reihe und zwar sehr nahe an der Ober-
fläche des Epithelialstratums. Die Kerne dieser Riechzellen liegen
immer viel oberflächlicher, als die Kerne der Stützzellen. Sie bilden
beim Frosche die oberste Kernreihe. Diese Riechzellen sind zapfen-
oder tonnenförmig, weshalb ich sie „Riechzapfen“ genannt habe. Bei
Amphibien und Ganoiden liegt der Kern an dem innern Ende, bei
dem Hechte in der Mitte des Zellkörpers. Die zentralen Fortsätze
dieser Zellen sind entweder fein varikös oder dicker und dann fibrillär.
Das periphere Ende aller Riechzellen bei dem Frosche und den
430 Dogiel, Bau des Geruchsorgans bei Fischen und Amphibien.
Ganoiden trägt Riechhärchen, bei dem Hechte hingegen einen feinen
Stift. An dem äußern Ende der Riechzellen treten manchmal kleine
Eiweiß-Tropfen (-Klümpchen) hervor, die aber durch ihr Aussehen
und Verhalten zu Farbstoffen sich sehr wesentlich von den Schleim-
pröpfen der Stützzellen unterscheiden.
Bei den von mir untersuchten Tieren verhalten sich die Fasern
des N. olfactorius sehr verschieden zu dem Epithelialstratum, niemals
aber bilden sie, wie es Exner u. a. wollen, einen subepithelialen
Nervenplexus.
Bei den Ganoiden treten die Zweige des N. olfactorius zu den
Geruchsknospen und verlaufen am Boden des Epithelialstratums, indem
sie auf einer Strecke feine Nervenbündel abgeben, die auf der Höhe
der Basalzellen in die horizontale Richtung umbiegen, eine Strecke
weit an der Oberfläche der Basalzellen verlaufen und isolierte Fibrillen
den Riechzellen zusenden.
Bei dem Hechte ist das Verhalten ein ähnliches: ziemlich dieke
Nervenstämmehen treten an die Geruchsknospen und verlaufen zwi-
schen diesen und der bindegewebigen Unterlage. Von hier aus treten
Nervenbündel in das Epithelstratum, wo sie bis an die untere, den
Stützzellen angehörige Kernreihe zu verfolgen sind. Hier biegen sie
in die horizontale Richtung um und bilden einen intraepithelialen
Nervenplexus, der nach außen von den Basalzellen liegt. Aus diesem
Plexus treten feine Fibrillen aus, die in die zentralen Fortsätze der
Riechzellen übergehen.
Was den Frosch anlangt, so ist der Verlauf der Nervenfasern
hier ein weniger komplizierter, als beim Hechte. Es existiert weder
ein subepithelialer noch intraepithelialer Plexus. Die Olfactoriusfasern
treten, in Bündel vereinigt, in das Epithelialstratum in grader oder
schiefer Richtung. Hier zerfallen die Nervenbündel auf verschiedener
Höhe in einzelne Fibrillen, die in die zentralen Fortsätze der Riech-
zellen übergehen.
Bei dem Frosche und bei dem Hechte ist es mir wiederholt ge-
lungen, an Isolationspräparaten den Zusammenhang der Nervenbündel
mit den zentralen Riechzellenfortsätzen zu konstatieren. Für diesen
Zweck eignet sich besonders der Hecht.
Die Bowman’schen Drüsen der Amphibien gehören ihrer Struktur
nach zu den serösen Drüsen und verhalten sich wie letztere zu Farb-
stoffen, namentlich zu Hämatoxylin.
Als ich diese Arbeit bereits abgeschlossen hatte, kam mir zu
Händen der Artikel von Dr. Kaufmann „Ueber die Bedeutung der
Riech- und Epithelialzellen der Regio olfactoria“ (Medizinische Jahr-
bücher, Wien 1886). Ohne mich auf Details einzulassen, die in der
ausführlichen, mit Abbildungen versehenen Abhandlung mitgeteilt wer-
den, bemerke ich nur vorläufig, dass die körnigen Klümpehen, die
Kaufmann aus den Epithelialzellen hat austreten sehen und denen
Omer Van Der Stricht, Untersuchungen über den Hyalinknorpel. 451
er eine besondere Bedeutung vindiziert — nichts Anders als Schleim-
pfröpfe sind, die von Schleimzellen abgesondert werden. Mit Neuro-
epithelien (Riechzellen) haben sie nichts zu schaffen. Dr. Kaufmann
hätte sich wohl ebenfalls davon überzeugt, wenn er der Struktur
dieser Zellen mehr Aufmerksamkeit gewidmet hätte.
Omer Van Der Stricht, Untersuchungen über Hyalin-
knorpel '!).
Vorliegende Arbeit enthält eine ausführliche Bibliographie (Seite 3
bis 36), worin 101 Abhandlungen aufgeführt und meistens auch be-
sprochen werden.
Die Zellen und die Grundsubstanz des Knorpels sind bis jetzt
auf sehr verschiedene Weise beschrieben worden. Die Grundsubstanz
hat man anfänglich für strukturlos gehalten; viele Autoren haben
darin, im Gegenteil, Fibrillen, Saftkanälchen, Zellenausläufer u. s. w.
beschrieben. Endlich hat man, durch Einwirkung verschiedener Reagen-
tien, in der Grundsubstanz Spalten, breite Streifen und andere Bilder
sefunden, welche die einen als eine Schiehtung aus leichter
und schwerer imbibierbaren Lagen erklärt, während andere
Autoren solche Bilder für den Ausdruck eines lamellaren Baues gehal-
ten haben.
Alle diese Einzelheiten hat man durch Einwirkung sehr verschie-
dener Reagentien bekommen. Könnte man (so bemerkt Verf. richtig)
in einem einzigen Präparat zugleich Fibrillen, Zellenausläufer und
Kanälchen sichtbar machen, so hätte man einBild, vom frischen Knorpel
sehr abweichend, und im Gegenteil mit Knochengewebe ziemlich überein-
stimmend.
Verf. hat sich die Frage gestellt, ob alle die beschriebenen Einzel-
heiten wirklich verschiedenen Sachen entsprechen, oder ob man, im
Gegenteil, durch Anwendung verschiedener Methoden dieselbe Bildung
auf verschiedene Weise erklärt hat. Nachdem er sich mit den meisten
Methoden seiner Vorgänger und deren Resultaten praktisch bekannt
gemacht hatte, wählte Verf. hauptsächlich die Chromsäure in ver-
schiedenen Konzentrationsgraden für seine weitern Untersuchungen.
Silbernitrat, Goldehlorid (nach der Citronmethode), Osmiumsäure;
Eosin, Hämatoxylin, Pikrokarmin u. s. w. waren die andern meist
gebrauchten Reagentien und Farbstoffe.
Die untersuchten Objekte waren: die Patella des neugebornen
Kindes; der Artikulationsknorpel des Kalbsfußes; die Luftröhre des
Rindes; der Kopf- und Wirbelknorpel des Spinax acanthias; der Femur-
4) Omer Van Der Stricht, Recherches sur le cartilage hyalin, 92 8.
und 3 dopp. Tafeln. — Arch. de Biolog., t. VII, 1886.
432 Omer Van Der Stricht, Untersuchungen über den Hyalinknorpel.
er
und Humerusknorpel des Frosches; weiter wurden Loligo, Salamandra-
Larven und Menschenfüße benutzt.
Fibrillen. In allen den untersuchten Knorpelarten hat Verf. in
der Grundsubstanz Fibrillen gefunden, und den faserigen Bau konnte
er sichtbar machen durch die benützten Reagentien. Die gefundenen
Fibrillen sind kollagen, da sie, bei Spinax, mit den Bindegewebs-
Fibrillen der Oberfläche der Wirbel, sowie mit den Fibrillen der
Medullarröhren des Knorpels zusammenhängen. Endlich findet man,
bei Loligo und Spinax, außer dem allgemeinen Fibrillensystem der
Grundsubstanz, noch Faserbündel.
Kanälchen. Verf. konnte nieht, bei Kalb und Frosch, auf
demselben Teil eines Präparates gleichzeitig Fibrillen und Kanäl-
chen bekommen: die peripherischen Teile des Präparates, wo die
Einwirkung der Chromsäure vollkommen ist, zeigen einen fibrillaren
Bau; die tiefern Teile zeigen Bilder, welche, allein gesehen, für inter-
kapsulare Kanälchen imponieren können; aber durch weitere Einwir-
kung des Reagens rückt der fibrillare Bau weiter nach dem innern
Teile des Stückes vor, und die scheinbaren Kanälehen werden durch
Fasern ersetzt. Die sogenannten interkapsularen Kanälchen (von
Budge u. a. beschrieben) sind also wahrscheinlich von den Fibrillen
nicht verschieden. Bei den Selachiern sind die sogenannten Ka-
nälchen nichts Anders alsdieoben erwähnten Faserbündel. Die Zwischen-
substanz, durch welche die Fasern des Bündels innerhalb desselben
untereinander zusammenhängen, ist schwerer löslich als die Sub-
stanz, wodurch das Bündel, im ganzen genommen, mit den übrigen
Teilen der Grundsubstanz vereinigt ist, und leichter löslich als die
Zwischensubstanz, welche die Fibrillen der allgemeinen Grundsubstanz
vereinigt. Daraus folgt, dass, unter stufenweiser Einwirkung von
Chromsäure 1) die ganzen Bündel als strukturlose Streifen erscheinen ;
2) durch weitere Einwirkung die Fibrillen der Grundsubstanz deut-
lich werden; 3) endlich, noch später, die anfänglich strukturlosen
Streifen (bezw. Kanälchen) als fibrillare Komplexe vorkommen.
Loligo-Knorpel führt zu denselben Schlüssen.
Also, bei Spinax und Loligo sind die sogenannten interkapsularen
Kanälchen einfach Fibrillenbündel; die interkapsularen Streifen bei
Kalb und Frosch stimmen mit diesen Bündeln überein. Der Knorpel
enthält also: a) kollagene Teile (Fibrillen), in Chromsäure nicht lös-
lich; b) ehondrogene Teile (Zwischen- oder Kittsubstanz), welche die
ersten im frischen Zustand verhüllen und in Chromsäure mehr oder
minder schwer löslich sind.
Ausläufer der Zellen findet man im Kopfknorpel von Loligo,
zahlreich und durch Anastomosen ein Netz bildend. Sie existieren,
aber mit weniger Anastomosen, bei Spinax und Kalb (obere Teile
des Artikulationsknorpels), und in der Patella des neugebornen Kindes.
Die Ausläufer sind überall in Kanälehen (Fortsetzungen der Zellkapsel)
begriffen.
Oerley, Rhabditiden und ihre medizinische Bedeutung. 433
Lamellen. In allen untersuchten Knorpelarten, mit allen Reagen-
tien, hat Verf. einen lamellaren Bau erkannt. Die Lamellen sind
vereinigt durch eine Kittsubstanz von derselben Art wie die inter-
fibrillare Kittsubstanz, aber leichter löslich und von geringerer Dichte
als diese letzte. Daher erscheint der lamellare Bau vor dem fibrillaren
unter stufenweiser Einwirkung von Chromsäure. Die Zellenaus-
läufer setzen sich sowohl in als zwischen den Lamellen fort. Die
Richtung der Faserbündel durchschneidet die Richtung der Lamellen.
Die Lamellen scheinen aus den Fibrillen der Grundsubstanz
zu bestehen; letztere folgen in der That der Richtung der Lamellen
und verbinden zuweilen diese letztern mit einander.
Schlussfolgerung des Verfassers. 1) Die Grundsubstanz
des Hyalinknorpels ist durch einen lamellären Bau charakterisiert.
2) Die Lamellen sind aus Fibrillen zusammengesetzt.
3) Die Lamellen sind durch Fasern verbunden; es existieren auch
interkapsulare Faserbündel.
4) Die interlamellare und interfibrillare Kittsubstanz scheint die-
selbe zu sein.
Aus dieser Zusammensetzung des Knorpels geht eine merkwürdige
Uebereinstimmung zwischen Knorpel- und Knochengewebe hervor: der
lamellare Bau ist beiden Geweben gemein; die Lamellen sind beider-
seits fibrillar; zwischen den Lamellen findet man, im Knorpel sowie
im Knochen, Verbindungsfasern; die Faserbündel des Knorpels stim-
men mit den Sharpey’schen Fasern des Knochens überein.
Im Knorpel findet man, außer den Kanälchen, welche die Zellen-
ausläufer enthalten, keine andern Röhren; im Knochengewebe ist
dieses im Gegenteil der Fall. Die Nährsäfte des Knorpels diffundieren
wahrscheinlich durch alle die Teile des Gewebes, in verschiedenem
Maße, je nach ihrer verschiedenen Durchdringbarkeit.
Julius Mac Leod (Melle-by-Gent).
Ladislaus Oerley, Die Rhabditiden und ihre medizinische
Bedeutung.
Mit VI. Tafeln. Berlin 1886. 8°.
Seit der schönen Entdeckung Leuckart’s, dass die Jugend-
zustände vieler parasitischer Nematoden, wie z. B. des menschlichen
Dochmius duodenalis, nach Bau und Lebensweise mit den freilebenden
Rhabditiden übereinstimmen, haben die letztern immer mehr die Auf-
merksamkeit nicht nur der Zoologen, sondern auch der Mediziner auf
sich gezogen. Das Interesse der letztern für die Nematodengruppe
der Rhabditiden, dieser winzigen Würmer, deren meiste Vertreter
die feuchte Erde und faulende Substanzen bewohnen, ist aber in der
letzten Zeit noch durch eine andere merkwürdige Entdeckung ge-
steigert worden, indem es nämlich den französischen Professoren
VI, 28
434 Oerley, Rhabditiden und ihre medizinische Bedeutung.
Normand und Bavay gelang, rhabditisartige Würmer (Rhabdonema
strongyloides) als die Urheber der gefährlichen, als „Diarrh6e ou dy-
senterie de Cochinchine“ bezeichneten Krankheit zu erkennen, welche
überall unter der Tropen vorzukommen scheint und öfters einen töd-
lichen Ausgang nimmt. Eine monographische Zusammenstellung aller
bekannten Rhabditiden, ein guter Leitfaden zur Bestimmung der Arten
und zur Orientierung in den biologischen Verhältnissen, wurde darum
immer mehr wünschenswert und ein Desiderat in der helminthologi-
schen Literatur.
Es ist das Verdienst des ungarischen Helminthologen, des Herrn
Dr. Lad. Oerley, diese Lücke jetzt ausgefüllt zu haben, indem er
durch die Veröffentlichung seiner neuesten Arbeit, welche oben an-
gezeigt wurde, allen denjenigen Wünschen, welche, besonders von
medizinischer Seite, gestellt werden konnten, entgegengekommen ist.
Es sei mir darum gestattet, eine kurze Uebersicht dieser Arbeit den
Lesern des „Biologischen Centralblattes“ zu geben.
Nach einer kurzen Einleitung gibt der Verf. zuerst ein ausführ-
liches und genaues Literaturverzeichnis, bespricht dann die von ihm
angewandten Untersuchungsmethoden und gibt darauf eine Uebersicht
der allgemeinen Organisationsverhältnisse dieser Tiere. In der nun
folgenden Abteilung des Werkes werden sämtliche Arten der Familie
der Rhabditiden angeführt und kurz beschrieben, mit genauer Er-
wähnung der Synonymie, während mehrere Formen abgebildet werden.
Hinzugefügt ist eine Tabelle zur Bestimmung der Gattungen und
Arten. Von der Gattung Rhabditis werden 26 Arten beschrieben, von
Cephalobus 2, unter welchen der interessante ©. appendiculatus, von
Diplogaster 3, während von den merkwürdigen heterogenen Formen
des schon längere Zeit bekannten Angiostomum nigrovenosum, des ge-
fährlichen Rhabdonema strongyloides und des erst seit kurzer Zeit eben-
falls durch Leuckart bekannt gewordenen Allantonema mirabile aus
der Leibeshöhle von Hylobius pici angeführt werden.
Nur wenig konnte natürlich über die geographische Verbreitung
unserer Tiere mitgeteilt werden: in Ungarn wurden 22 Arten beob-
achtet, während die Anwesenheit des Rhabdonema strongyloides in
den ungarischen Bergwerken noch zweifelhaft blieb. Nach dem syste-
matischen Teile handelt der Verfasser über die Lebenserscheinungen
unserer Tiere. Er bespricht ihre sehr verschiedene Lebenszähigkeit
gegenüber der Fäulnis, ihre Wanderungen, ihre Paarung und die Er-
scheinung, dass er nur von Diplogaster Eier im freien beobachtete,
nie aber von eigentlichen Rhabditis-Arten. Er konstatiert weiter die
wichtige Thatsache, dass die eigentlichen Rhabditiden ausschließ-
lich auf das freie Leben angewiesen sind und nur die eine Genera-
tion der heterogenen Rhabdonemen als echter Parasit auch im tieri-
schen Körper leben kann: die erstern können in den warmblütigen
Tieren, also im Menschen, nicht sehmarotzen. Die Rhabditiden findet
Bunge, Der Vegetarianismus. 455
Verf. sehr empfindlich nieht nur gegen Austrocknung, sondern auch
gegen die konstante Einwirkung des Wassers. Im menschlichen und
im tierischen Urin können diese Tiere nicht leben. Schließlich erwähnt
er, dass die Rhabditiden bei einer Wärme von 45° C. zu grunde
gehen, und ebenso bei einer Temperatur unter dem Gefrierpunkte.
Darauf wird die Entwicklungsgeschichte behandelt. Der Verf.
komnit zu dem Schlusse, „dass alle jene Rhabditiden, welche im stande
sind, im freien Generation auf Generation zu produzieren, sich dem
parasitischen Leben nicht angepasst haben“. Diese nennt er monogene
Formen, im Gegensatze zu den heterogenen Arten. Von besonderem
Interesse ist die letzte Abteilung des Werkes, welche über die Rhab-
ditiden in medizinischer Beziehung handelt. Der Verf. findet, dass
die überall im freien lebenden monogenen Formen im Darme warm-
blütiger Tiere nicht leben und nur faulende. Substanzen bewohnen
können, dass diese dem Menschen also nicht schädlich sind, während
die gefährlichen Formen zu den Rhabdonemen gehören. Bisweilen
trifft man Rhabditiden bei Sputum - Untersuchungen: dorthin gelangen
sie aber nur zufällig.
Die sonderbare Cornwall’sche Epidemie, welche vor einigen
Jahren in England so viel von sich hat reden lassen, wurde mit großer
Wahrscheinlichkeit nicht durch Rhabditiden hervorgerufen. Am Ende
verbreitet sich der Verf. über die Geschichte der Entdeckung des ge-
fährlichen Urhebers der Cochinchina-Diarrhoe, des merkwürdigen
Rhabdonema strongyloides und über die Unwahrscheinlichkeit des Vor-
kommens dieses Tieres in Ungarn, als Ursache der unter den ungari-
schen Bergwerksarbeitern verbreiteten, anämischen Krankheit der so-
genannten Cachexia montana. —
Wir wünschen dem Buche viele Leser.
J. G. de Man (Middelburg).
G. Bunge, Der Vegetarianismus.
Berlin 1885. Hirschwald.
Der Autor betont, dass bisher weder eine exakte wissenschaft-
liche Widerlegung noch eine solehe Begründung der Lehren der
Vegetarianer gebracht sei. Vom Standpunkte der vergleichenden
Anatomie müsse man allerdings bekennen, dass der Mensch im Zahn-
bau eine hervorragende Aehnlichkeit mit den sogenannten frugivoren
Affen besitze; eine irgend befriedigende Untersuchung der übrigen
Verdauungsorgane liege gegenwärtig noch nicht vor. Wenn Custor
und Aeby angäben, dass auf 1 g Körpergewicht des Menschen 0,29,
bei Affen aber 0,91 — 0,94 Quadratzentimeter Darmfläche kämen, so
spräche dieses nur scheinbar für die omnivore oder gar karnivore
Natur des Menschen, denn einmal sei nur die äußere, nicht aber die
innere, resorbierende Darmfläche gemessen, und sodann seien nur kleine
436 Bunge, Der Vegetarianismus.
Affen (ein Cercopithecus von 2,8 kg und ein Papio von 3,7 kg Körper-
gewicht) untersucht worden, während es doch längst bekannt sei, dass
bei verwandten Tieren mit gleicher Ernährung das Verhältnis der
Darmoberfläche zum Körpergewicht um so größer sich gestalte, je
kleiner das Tier sei.
Verfasser wirft dann die Frage auf, wie sich denn überhaupt die
sogenannten frugivoren Affen nährten und kommt zu dem interessanten
Ergebnisse, dass diejenigen Affenarten, deren Lebensweise überhaupt
im freien Zustande genauer beobachtet sei, vollendete Omnivoren seien.
Sie verzehrten ausnahmslos neben Vegetabilien auch Insekten, Spinnen,
Crustaceen, Würmer, Schnecken und Reptilien, mit besonderer Vor-
liebe aber sowohl Vogeleier als junge Nestvögel. Einige Affen stellten
sogar auch ausgewachsenen Vögeln nach und nährten sich vorherrschend
von Fleisch. Hinsichtlich der großen Anthropoiden sei allerdings bisher
noch nicht mit Sicherheit beobachtet, dass sie im Naturzustande
animalische Nahrung zu sich nähmen, doch verzehrten sie in der Ge-
fangenschaft begierig Milch, Eier und große Mengen Fleisch. Auf
letztern Umstand sei indess kein großes Gewicht zu legen, denn in
der Gefangenschaft gewöhnten sich die Affen auch an Tabak und
Alkohol; auch sei es Thatsache, dass man entschieden herbivore Tiere
in der Gefangenschaft an Fleisch gewöhnen könne.
Sollte es deshalb selbst richtig sein, dass die großen Anthropoiden
(Orang, Schimpanse und Gorilla) im Naturzustande nur von Vegetabilien
sich nährten, so würde daraus doch nur folgern, dass der Bau der
Zähne bei den Affen einen Schluss auf die Ernährungsweise nicht zu-
zulässt; denn es würde dann festgestellt sein, dass trotz der großen
Uebereinstimmung im Zahnbau die Affen zum Teil frugivor, zum Teil
omnivor seien. Aehnliches sei hinsichtlich der Nagetiere, die doch
eine große Uebereinstimmung im Zahnbau aufweisen, längst bekamnt,
so zeigten z. B. Murmeltier (Arctomys marmota) und Zisel (Spermo-
philus eitillus) die denkbar größte Uebereinstimmung im Bau der Zähne
und sonstigen anatomischen Bau, und doch sei das erstere ein rein
herbivores, das letztere aber ein omnivores Tier, da es Mäuse, Vogel-
eier und junge wie alte Vögel fresse. Sei deshalb vom Zisel weiter
nichts als der anatomische Bau, vom Murmeltier aber Bau und Lebens-
weise bekannt, so müsse man nach der Logik der Vegetarianer
schließen, ersteres sei auch ein herbivores Tier.
Von der vergleichenden Anatomie sei deshalb eine befriedigende
Antwort auf die Frage, ob der Mensch ein herbivores oder omnivores
Geschöpf sei, bisher nicht zu erlangen.
Auch die von den Vegetarianern beliebte Appellation an den
Instinkt ergebe keineswegs eine Entscheidung zu gunsten ihrer An-
schauungen. Eine instinktive Abneigung gegen Fleischgenuss müsste
man dann bei den Naturvölkern antreffen, vor allen Dingen bei denen,
die an wohlschmecekenden Früchten niemals Mangel litten. Das sei
Bunge, Der Vegetarianismus. 437
aber keineswegs der Fall. Selbst bei den Bewohnern der Südsee-
inseln, welche letztere bekanntlich die herrlichsten Früchte massen-
haft lieferten, während sie sehr arm an wohlschmeckender Fleischkost
seien, zeige sich das Verlangen nach animalischer Nahrung so mächtig,
dass sie Katzen, Hunde, Vampyre, Spinnen, Holzlarven, rohe Fische,
Ja sogar Ratten bei lebendigem Leibe verzehrten. Die Angabe der
Vegetarianer, die Inder lebten von rein vegetabilischer Nahrung, sei
nicht riehtig; auch bei diesem Volke habe sich das Verlangen nach
Fleisch zu allen Zeiten mächtiger erwiesen als die Religion, und es
sei sehr bezeichnend, dass nach der Legende Buddha selbst einen
Schweinebraten als letzte Mahlzeit verzehrte, bevor er ins Nirwana
einging.
Die Fragestellung der Vegetarianer, welche Nahrung die natur-
gemäße sei, könne aber als eine wissenschaftliche überhaupt nicht
betrachtet werden, denn das heiße doch so viel als: was war unsere
Nahrung, bevor wir Mensch wurden; wie nährten wir uns, so lange
wir uns noch vom unbewussten Instinkt leiten ließen, bevor wir an-
fingen, mit bewusster Ueberlegung eine Auswahl zu treffen. Wolle
man streng wissenschaftlich vorgehen, so müsse man zunächst einfach
fragen: ist Fleischgenuss dem Menschen schädlich, eine Frage, die
sich möglicherweise experimentell beantworten lasse. Ein solches
Experiment sei nicht leicht und sei bisher noch von keinem Vegetarier
gemacht. Bisher hätten nur einige Vegetarianer bewiesen, dass es
Menschen gebe, die bei ausschließlich vegetabilischer Kost jahrelang
existieren können; der Beweis, dass sie dabei in irgend einer Hin-
sicht besser gediehen, als ceteris paribus bei gemischter Nahrung,
fehle aber vollständig. Außerdem sei nur einzelnen Wenigen der ge-
nannte Beweis gelungen, die große Mehrzahl der Vegetarianer füge
der Pflanzennahrung Milch, Käse, Eier und Butter hinzu.
Bunge weist endlich darauf hin, dass der Vegetarianismus in
den romanischen Ländern keinen Boden finde, hebt hervor, dass die
Romanen mäßig im Essen und Trinken auch ohne Vegetarianerverein
seien und schiebt den Erfolg der ganzen Bewegung in Deutschland
lediglich der deutschen Unmäßigkeit zu.
Insofern die Vegetarianer ihre Gesetze wesentlich einer vollstän-
digen Vermeidung aller alkoholischen Getränke verdankten, verdienten
sie die vollste Anerkennung. Fast allerwärts begegne man der Mei-
nung, der Alkohol wirke in mäßigen Quantitäten „stärkend, erregend,
belebend, erfrischend“ auf den Menschen ein. Zur Widerlegung dieser
Meinungen könne nichts mehr beitragen als die von der Militärver-
waltung Englands, Nordamerikas und Deutschlands im großen ange-
stellten Massenexperimente, welche bereits gezeigt hätten, dass die
Soldaten in Kriegs- und Friedenszeiten, in allen Klimaten, bei Hitze,
Kälte und Regen alle Strapazen der angestrengtesten Märsche am
besten ertragen, wenn man ihnen vollständig alle alkoholischen Getränke
38 Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen.
H>
entziehe. Dieselbe Erfahrung habe man auch bei der Nordpolexpe-
dition gemacht; die Matrosen bekämen keinen Tropfen mehr. Hierbei
wird darauf hingewiesen, dass durch den Genuss alkoholischer Ge-
tränke das Verlangen grade nach derjenigen Nahrung abgeschwächt
oder gänzlich aufgehoben werde, welche einem gesunden Menschen
mit unverdorbenem Geschmacksinn die meiste Freude bereite: zucker-
reiche Früchte und überhaupt alle süßen Speisen. Ein Mann, der auf
den Alkohol ganz verzichte, erlange den Appetit eines Kindes wieder.
Und der gesunde Instinkt stehe hier im besten Einklange mit den
Ergebnissen der Physiologie, welche dargethan, dass die Kohlehydrate
die Quellen der Muskelkraft seien. Die Frauen und Kinder äußerten
durch ihren Appetit auf Backwerk und Süßigkeiten einen gesunden
Instinkt; süß sei in der Sprache aller Völker gleichbedeutend mit an-
genehm, und wenn das Süße nicht mehr angenehm sei, so deute das
auf einen abnormen Zustand hin. In dieser Lage befinde sich der
Trinker mit seinem fast ausschließlich auf Fleischspeisen gerichteten
Appetit, und die Lehre der Vegetarianer, dass Alkoholgenuss und
Unmäßigkeit im Fleischgenuss im ursächlichen Zusaminenhange stän-
den, sei berechtigt.
Schmidt- Mülheim (Mülheim).
Körösi’s „relative Intensität der Todesursachen“ und der
Einfluss der Wohlhabenheit und der Kellerwohnungen auf
die Sterblichkeit.
Von Prof. Max Gruber in Graz.
Vor kurzem wurde in Wittelshöfer’s „Wiener med. Wochen-
schrift“ über das neueste Werk des bekannten Statistikers Körösi
„Die Sterblichkeit der Stadt Budapest in den Jahren 1876—1881 und
ihre Ursachen“ berichtet und dabei das überraschende Ergebnis her-
vorgehoben, zu dem Körösi bezüglich des Einflusses der Wohlhaben-
heit und der Wohnung auf die Sterblichkeit der Budapester Bevölke-
rung gekommen ist.
Eine ganze Reihe von Krankheiten — darunter auch wichtige
Infektionskrankheiten — soll, der herrschenden Ueberzeugung der
Hygieiniker entgegen, durch die Armut und ihr böses Gefolge, als da
ist: Schmutz, gedrängtes Wohnen, ungenügende und schlechte Nahrung,
Ueberanstrengung, ungenügende Pflege der Kranken u. s. w., nicht
allein nicht gefördert, sondern gradezu in ihrem Auftreten als Todes-
ursache gehemmt werden.
Die übelbeleumundeten Kellerwohnungen seien gar nicht so schlimm.
Wichtige Infektionskrankheiten, wie Diphtheritis und Scharlach, fän-
den in ihnen einen viel ungünstigern Boden, als in den Palästen der
Reichen.
Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen. 439
Es sei gestattet zu rekapitulieren, dass Körösi angibt: „bei
Armen betrage die „Intensität“ der Diphtheritis als Todesursache
(wenn Intensität bei Wohlhabenden = 100 gesetzt wird)“ 66 (bei Kin-
dern unter 5 Jahren 48!); die des Scharlach ebenso 50 (Kinder 40);
die des Krup 53 (Kinder 42); die des Keuchhustens 73 (nur Kinder);
die des Wasserkopfes 40; die der Hirnhautentzündung 61 (Kinder 41);
die der Gehirnentzündung 56 (Kinder 41); die der Bright’schen
Nierenkrankheit 61 ete.; in Kellerwohnungen ferner falle die Intensität
bei Krup um 24°/,, bei Scharlach um 31°/,, bei Diphtheritis um 43°/,!
Das wäre ein überaus wichtiges Ergebnis, das die Hygieine in
Theorie und Praxis nicht genug würdigen könnte! Vielleicht wäre
dann doch Nägeli’s!) Theorie von den gesundheitlichen Vorzügen
des Schmutzes richtig, und vielleicht hätte es die öffentliche Gesund-
heitspflege mit ihren bisherigen Maßregeln und Vorschlägen statt
besser, schlechter gemacht?!
Bevor man zu so gewichtigen Folgerungen aufsteigt, ist man aber
doch verpflichtet, die Grundlagen, auf denen sie ruhen, sorgfältig auf
ihre Festigkeit zu prüfen. Diese Prüfung vermisse ich in dem voran-
gegangenen Berichte und erlaube mir daher die Aufmerksamkeit des
Lesers neuerdings auf Körösi’s Buch zu lenken.
Wie wurden die oben zitierteu Intensitätskoeffizienten berechnet,
und was bedeuten sie?
Körösi nennt diese Zahlen die „relative Intensität der Todes-
ursachen“ und will diesen neuen Begriff als allgemeines Maß, inwiefern
gewisse soziale oder auch natürliche Einflüsse, wie Armut, Wohnung etec.,
das Auftreten der einzelnen Krankheiten als Todesursachen hemmen
oder fördern, in die Statistik einführen. Ihre Berechnung erfolgt auf
folgende Weise: Man sondert alle Todesfälle nach den Bevölkerungs-
gruppen, welche inbezug auf ein bestimmtes Moment, z. B. Armut, mit
einander verglichen werden sollen und berechnet nun für jede Gruppe
von Todesfällen für sich, welchen prozentischen Anteil die untersuchte
Todesursache an der Gesamtzahl der Todesfälle hat (oder, wie
Körösi gewöhnlich verfährt, wie viele Todesfälle an der betreffenden
Krankheit auf je 100 nichtinfektiöse Todesfälle fallen). Von den für
jede Gruppe gewonnenen Prozentzahlen wird eine (z. B. bei Bestimmung
des Einflusses der Armut die der Wohlhabenden) — 100 gesetzt und
die übrigen im Verhältnisse umgerechnet. Die so erhaltenen Zahlen
geben die „relative Intensität“ an.
Wie sich aus der Art der Berechnung ergibt, bedeutet also die
relative Intensität einer Todesursache, wie viele von je 100 oder 1000
oder 100000 Todesfällen in einer gewissen Bevölkerungsgruppe von
der betreffenden Todesursache bedingt sind, wenn der Anteil dieser
Todesursache an je 100 oder 1000 oder 100000 etc. Todesfällen in
der Vergleichsgruppe = 100 gesetzt wird.
1) Der denn auch — allerdings sehr vorsichtig — von Körösi zitiert wird.
440 Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen.
Gestattet nun diese Art des Vergleiches wirklich die Schlüsse
Körösi’s, ist es erlaubt, wie er thut, von einem „seltenen“ Auftreten
der Krankheit, von einer „Hemmung der Todesursache“ zu sprechen,
wenn die Zahl der relativen Intensität unter 100 bleibt, und umge-
kehrt von einer Förderung, wenn 100 überschritten wird?
Unmittelbar einleuchtend, das können wir gleich sagen, ist der
Schluss nicht! Es kann nicht scharf genug hervorgehoben werden,
dass Körösi’s Zahlen nicht die relative Intensität des Auftretens
unter der Bevölkerung, sondern die relative Intensität des Auftretens
unter den Todesfällen angeben. Von der absoluten Zahl der Todes-
fälle insgesamt und der Todesfälle an der betreffenden Ursache ins-
besondere, von ihrem Verhältnisse zur Zahl der Lebenden in jeder
Bevölkerungsgruppe wird völlig abgesehen. Als einzige Grundlage
der Beurteilung dienen die Verschiedenheiten in der prozentischen
Verteilung der Todesfälle auf die einzelnen Todesursachen. Es lässt
sich nun zunächst mit Leichtigkeit zeigen, dass ein relativ häufigeres
Auftreten einer Todesursache unter 1000 Lebenden durchaus nicht
ein relativ häufigeres Auftreten unter 1000 Todesfällen der gleichen
Bevölkerungsgruppe gegenüber 1000 Lebenden, bezw. 1000 Todes-
fällen der Vergleichsgruppe bedingt. Nehmen wir an, ein bestimmter
Einfluss, wie es z. B. von der Armut allseitig erwiesen ist, steigere
die Gesamtsterblichkeit. Sie steigere nun — gewiss ein möglicher
Fall — in gleichem Maße das Auftreten der fraglichen Todesursache.
Dann wird der Prozentanteil dieser an der Gesamtzahl der Todes-
fälle bei Armen und Reichen der gleiche sein, die relative Intensität
wird die gleiche sein, oder, um mit Körösi zu sprechen, die Armut
wird weder fördernd, noch hemmend auf das Auftreten dieser Todes-
ursache gewirkt haben, während thatsächlich vielleicht drei- oder
viermal so viel Arme als Reiche dahingerafft werden!
Dass dem so ist, weiß auch Körösi. Aufgrund eines mir unbe-
greiflichen Gedankenganges setzt er sich aber darüber hinweg. Bei
Besprechung des Einflusses der Kellerwohnungen auf das Auftreten
der Infektionskrankheiten sagt er z. B. (S. 223): „da die Mortalität
der Kellerbewohner überhaupt höher ist, so ist es nicht auffallend,
dass auch die Mortalität an den Infektionskrankheiten höher ist“. Ist
die Steigerung gleich groß bei infektiösen und nichtinfektiösen Krank-
heiten, so beweist dies (S. 183), „dass die Armut keinen befördernden
Einfluss auf die Infektionskrankheiten ausübt“. Der fördernde oder
hemmende Einfluss einer Lebensbedingung auf das Auftreten einer
Todesursache wird nach Körösi nicht daran erkannt, ob die Zahl
der betreffenden Todesfälle auf 1000 Lebende gegenüber der Ver-
gleichsgruppe vermehrt oder vermindert ist, sondern allein daran, wie
sich diese Vermehrung oder Verminderung zur durchschnittlichen
Vermehrung oder Verminderung aller Todesursachen (oder aller nicht-
infektiösen Todesursachen) verhalte. Da z. B. die Armen überhaupt
Gruber, Körösi’s relative Intensität der 'Todesursachen. 441
sterblicher seien, als die Reichen, so müssten auch die einzelnen
Todesursachen entsprechend häufiger auftreten. Ein häufigeres Auf-
treten einer Todesursache bei Armen sei also etwas für die Beurtei-
lung des Einflusses der Armut völlig Gleichgiltiges, wenn sie der
allgemeinen Steigerung der Häufigkeit der Todesfälle proportional ist.
Von Wichtigkeit sei nur die über- oder unterproportionale Häufigkeit,
die Abweichnng vom Durchschnitte, und diese erkenne man eben aus
der „relativen Intensität“.
Dieser Standpunkt ist wirklich erstaunlich. Ich dächte, die erste
und wichtigste Frage, welche eine derartige Untersuchung zu beant-
worten hat, lautet: tritt die betreffende Todesursache unter dem Ein-
flusse der untersuchten Lebensbedingung häufiger auf oder nicht? Es
ist z. B. durchaus nicht selbstverständlich, dass jede Todesursache
durch die Armut befördert werde. Gibt es doch Todesursachen, deren
häufigeres Auftreten bei Armen als bei Reichen von vorn herein im
höchsten Maße unwahrscheinlich ist. Ich nenne nur die Altersschwäche.
Wenn sich also herausstellt, dass eine bestimmte Todesursache bei
Armen häufiger auftritt, als bei Reichen, so ist das eine höchst wich-
tige Thatsache, ganz gleichgiltig, ob die Steigerung der Häufigkeit
kleiner, gleich oder größer ist, als die durchsehnittliche Steigerung
der Todesfälle. Dies ist eine völlig nebensächliche Frage. Jede
Betrachtungsweise, die mir auf die Hauptfrage keine Antwort gibt,
muss ich von vorn herein zurück weisen.
So verhält es sich zugestandenermaßen mit Körösi’s Methode.
Sie beschäftigt sich ausschließlich mit der Beantwortung eines sehr
gleichgiltigen Punktes. Und auf diesem Wege soll noch gar das
einzige, entscheidende Maß für die Beurteilung gewonnen werden!
Zu welch abenteuerlichen Ergebnissen man auf diesem Wege ge-
langt, mögen die folgenden Beispiele zeigen:
1) Es handle sich um die Frage des Erfolges der Impfung. Man
habe gefunden, dass in der Gruppe der Ungeimpften von 10 000
Lebenden 10 an Blattern sterben, in der Gruppe der Geimpften 5.
Im übrigen sei in diesem Falle die Mortalität in beiden wohlhabenden
Gruppen gleich (nehmen wir an, die Ungeimpften bestünden aus Impf-
gegnern). An allen übrigen Krankheiten sterben in beiden Gruppen
Jährlich 100. Auf 100 andere Todesfälle entfallen also bei Ungeimpf-
ten 10, bei Geimpften 5 Blatterntodesfälle. Die relative Intensität der
Ungeimpften ist = 200.
Nun ein zweiter Fall. Zwischen Geimpften und Ungeimpften be-
stehe auch ein Unterschied in der Wohlhabenheit. Es herrsche in
dem Lande der Untersuchung kein Impfzwang; die überwiegende
Majorität der Wohlhabenden sei zwar geimpft, aber die größte Zahl
der Armen ungeimpft. Die Verhältnisse der Geimpften seien dieselben,
wie im vorigen Falle; so sterben also von 10000 jährlich 5 an Blat-
tern, 100 an andern Krankheiten. Auch bei den Ungeimpften sei die
442 Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen.
Frequenz der Blatterntodesfälle dieselbe wie früher, nämlich 10 von
10.000. Entsprechend aber ihrer ungünstigen Lage sterben von 10 000
nicht 100, sondern 400. Es treffen also auf 100 andere Todesfälle
bei den Geimpften 5, bei den Ungeimpften 2,5. Die „relative Inten-
sität“ ist also in diesem Falle bei den Ungeimpften 50! Das Resultat
nach Körösi’s Methode wäre also in diesem Falle, dass die Impfung
das Auftreten von Blattern befördert!! Thatsächlich wären in dem
einen wie in dem andern Falle die Ungeimpften doppelt so stark von
Blattern heimgesucht, als die Geimpften. Ihre scheinbar günstige
Lage im zweiten Falle hätten sie nur dem traurigen Umstande zu
verdanken, dass sie von allen andern Krankheiten nicht zweimal,
sondern viermal so zahlreich dahingerafft werden, als die zufällig
zugleich wohlhabenden Geimpften!
2) Ein zweites Beispiel, das Körösi’s eignen Angaben entnommen
ist. Von 31295 Kellerbewohnern in Budapest starben in den Jahren
1870—1882 73 an Krup, 4813 an nichtinfektiösen Todesursachen; von
329256 Bewohnern anderer Wohnungen in derselben Zeit 541 an
Krup, 29842 an nichtinfektiösen Krankheiten.
Nach Körösi treffen demnach in Kellern auf 100 niehtinfektiöse
Fälle 15,17 Krupfälle, in andern Wohnungen 18,13. Diese — 100 ge-
setzt, ergibt sich für die Keller als relative Intensität die Zahl 83,66.
Krup tritt „also“ nach Körösi um 16,54°/, seltener in Kellerwoh-
nungen auf. Berechnet man dagegen in gewöhnlicher Weise für die
Keller und für die übrigen Wohnungen, wie viele von 100000 Leben-
den an Krup sterben, so erhält man für Keller die Zahl 58,3, für
andere Wohnungen 41,1, d. h. thatsächlich ist Kruptod in Kellern um
42°], häufiger!!
Es ist ja ganz klar: berechnet man die thatsächliche Verteilung
der Todesfälle auf die einzelnen Todesursachen in Form von Prozenten
und vergleicht nun die Prozentanteile der betreffenden Todesursache
bei den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, so müssen sich diese
gegenüber der Veränderung der Gesamtmortalität nicht nur dann um-
gekehrt zu verhalten scheinen, wenn das Auftreten der betreffenden
Todesursache sich thatsächlich umgekehrt verhält wie diese; nicht
nur dann, wenn die untersuchte Lebensbedingung thatsächlich auf die
betreffende Todesursache ohne Einfluss ist, sondern auch dann, wenn
sich der verändernde Einfluss bei dieser Todesursache zwar in dem-
selben Sinne geltend macht, wie bei dem Durchschnitte der übrigen
Todesursachen, das Auftreten anderer Todesursachen aber und damit
der Durchschnitt in viel höherem Maße verändert wird. Es wird dies
namentlich dann geschehen, wenn der betreffenden Todesursache unter
allen Umständen nur ein geringer Anteil an der Gesamtmortalität zu-
kommt, wie dies z. B. bei den meisten Infektionskrankheiten in der
Regel der Fall ist.
Sehr bedeutende Steigerungen im Auftreten einer bestimmten
Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen. 443
Todesursache können also bei ausschließlicher Betrachtung der pro-
zentischen Verteilung der Todesfälle nach Todesursachen völlig un-
bemerkt bleiben, selbst durch eine scheinbare Verminderung verdeckt
werden, wenn andere Krankheiten in einer noch mehr erhöhten Häufig-
keit auftreten, ein Umstand, der überaus zahlreiche statistische Unter-
suchungen sehr unzuverlässig macht und von vielen Statistikern noch
immer nicht genügend gewürdigt wird.
Ich glaube, über Körösi’s Methode genug gesagt zu haben. Sie
ist ein ungeheuerlicher Missgriff des verdienstvollen Statistikers. Alle
auf diesem Wege gewonnenen Ergebnisse sind zur Beurteilung des
Einflusses der Wohlhabenheit und der Wohnung auf die Sterblichkeit
völlig unbrauchbar und wir wollen daher noch untersuchen, ob zuver-
lässigere Anhaltspunkte dafür zu gewinnen sind.
Körösi beruft sich zur Bekräftigung seiner Angaben, dass viele
Infektionskrankheiten, speziell Diphtheritis und Scharlach, durch die
Armut gehemmt werden, auf die Untersuchungen Lievin’s über die
Sterblichkeit in Danzig (D. Viertelj. f. öffentl. Ges.- Pflege, 3, 329).
Mit Hilfe der relativen Intensität lässt sich auch für Danzig aus-
reehnen, dass die erwähnten Krankheiten bei den Armen in bedeu-
tendem Maße seltener den Tod verursachen. In korrekter Weise be-
rechnet, zeigt sich, dass Diphtheritis in den reichen Bezirken 1,8,
in den armen 3,9, im reichsten 1,7, im ärmsten 5,1 von 10000 tötete,
dass an Scharlach in den reichen 6,9, in den armen Bezirken 12,5,
im reichsten 5,0, im ärmsten 14,3%/900 starben. Soviel nur zur weitern
Beleuchtung des Wertes der relativen Intensität. Die Zahlen Lievin’s
selbst sind für eine Todesursachenstatistik gänzlich wertlos, da mehr
als dieHälfte der Danziger Todesfälle wegen mangelnder
oder unbrauchbarer Diagnose unberücksichtigt bleiben
musste!
Der zweite Gewährsmann Körösi’s, Dr. Reck, macht für
Braunschweig wertvollere Angaben. Reck (Die Gesundheitsver-
hältnisse der Stadt Braunschweig, Ibid. 1877) untersuchte die Morbilität
und die Sterblichkeit in den einzelnen Gassen Braunschweigs, die er
nach dem Durchschnittseinkommen pro Kopf klassifizierte. In der
folgenden Tabelle sind seine Resultate enthalten.
Von 10000 0—A5jährigen starben oder erkrankten jährlich
Durchschnitt- - oe er
Be an Scharlach an der Diphtherie an Krup
innahme EEE ER . ık-
h an en, | u Fee | N
0— 75 Rm. 157 26 Si 12 21 14
75—100 „ 140 18 53 5 20 | 8
100—150 „ 144 15 54 1 18 | 10
450—200 „ 171 10 49 7 11 | 3
200-250 „ 193 46 97 16 | ae
über 30 , 245 41 139 22 ET ORAL
444 Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen.
Auch hier lassen sich mancherlei Einwände erheben. Die An-
gaben über Morbilität sind wohl ziemlich unverlässlich. Es ist sehr
wahrscheinlich, dass bei den Armen viele leichte Fälle gänzlieh über-
sehen werden und so die Morbilität der Wohlhabenden scheinbar
größer wird. Was die Mortalität anbelangt, so sind nur bei Diph-
theritis die Wohlhabenden im Nachteile, bei Scharlach ist die Morta-
lität der Armen fast 2!/, mal höher. Aber es ist überhaupt zweifel-
haft, ob die beobachteten Unterschiede der Mortalität auf die Ver-
schiedenheiten des Besitzes, und ob sie nicht auf verschiedene
Alterszusammensetzung innerhalb der Gruppe der 0—15jährigen zu
beziehen ist. Da die Zahl der Geburten in den armen Gassen fast
4 mal so groß ist, als in den reichen (457 gegen 132 Geburten auf
100 000 Einwohner), so müssen auch unter 10000 0—15jährigen in
den armen Gassen viel mehr 0—1jährige sich befinden als in den
reichen Gassen. Da nun die Untereinjährigen sehr wenig für Diph-
theritis disponiert sind, so muss allein durch diesen Umstand die
Diphtheritismortalität in den armen Gassen herabgemindert werden.
Reck’s Altersklasse ist eben viel zu groß; sie umfasst drei nach
dem Grade ihrer Disposition durchaus verschiedene Gruppen, die
0—1-, die 1—5- und die 5—15jährigen. Immerhin müssen seine An-
gaben zu weitern Forschungen in.dieser Richtung aufmnntern.
In einer von Körösi nicht zitierten Abhandlung: „Beitrag zur
Untersuchung des Einflusses von Lebensstellung und Beruf auf die
Mortalitätsverhältnisse“, Jena 1877, von Joh. Conrad, gibt dieser
an, dass von 100 Todesfällen unter Kindern bis zu 14 Jahren
aus höhern Lebensstellungen 10, von Handwerkern 8, von subalternen
Stellungen 8, von Arbeitern 10 und unehelichen Kindern 4 an Diph-
theritis starben. Diese Zahlen beweisen natürlich, wie oben dargelegt,
gar nichts. Ich führe sie nur an, weil das Kuriosum, dass die unehe-
lichen Kinder am günstigsten gestellt scheinen, wohl jedem über den
Wert derartiger Prozentzahlen die Augen öffnen muss, und die Ursache
dieses günstigen Scheines so handgreiflich am Tage liegt.
Die allgemeinen Angaben, welche aus englischen Städten und aus
Boston vorliegen, und welche ebenfalls von Körösi zitiert werden,
beziehen sich gar nicht unmittelbar auf die vorliegende Frage. Wenn
Scharlach sich unabhängig von Kanalisation und Wasserversorgung
verbreitet, und wenn unter den von Diphtheritis ergriffenen Häusern
in Boston nur 50 (später 70) Prozent schmutzig sind, so beweist das
nicht viel über den Einfluss der Armut.
Bei diesem spärlichen bisherigen Materiale müssen wir Körösi
um so dankbarer sein für das, was er uns in seinem neuen Buche
mitteilt. Glücklicherweise hat er sich nämlich nicht ausschließlich
auf die Mitteilung der relativen Intensitäten beschränkt. Da ihm
bezüglich der Wohlhabenheit der lebenden Bevölkerung keine Einzel-
angaben vorlagen (auf Körösi’s Veranlassung wird bei jedem ein-
Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen. 445
zelnen Verstorbenen in sehr dankenswerter Weise der Wohlhaben-
heitsgrad bestimmt), eine direkte Berechnung der Sterblichkeit für
jede Wohlhabenheitsklasse daher nicht möglich war, so musste er
sich darauf beschränken, die Sterblichkeit der einzelnen Stadtbezirke
mit einander zu vergleichen, welche er nach dem Verhältnisse der
Dienstboten zur übrigen Bevölkerung in vier Wohlhabenheitsklassen
einteilte.
In der I. (reichsten) Bezirksgruppe treffen auf 1 Dienstboten nur
4,4 und 4,8 andere Personen, in der IV. (ärmsten) 16,2 und 33,3.
Eine solche Betrachtungsweise kann naturgemäß keine präzisen Zahlen
liefern, da ja in jedem Bezirke Arme und Reiche wohnen, aber sie
muss höchst wertvolle Anhaltspunkte zur Beurteilung der Tendenz
des Einflusses der Wohlhabenheit liefern.
Br on atarben Due (1879 1882) aus ca
Fir Ir | Nuke ya
Wohlhabenheitsklasse
an Krup. . re 2 bet, 5 | 6
an Diphtheritis I6 10 7112 sn
an Keuchhusten 2 3 3 | 4
ansScharlach® 20... 4 5,5 5
an Masern las) 6 4 7
an Blattern . Biel: 5 4 15) 13.5
an IyPhn8., .Insle.H5,s 3 4 5,0 9
an Tuberkulose . . . 164 251 311 388
an Lungenentzündung . | 79 1.197 150 112
Man sieht, das Auftreten jeder einzelnen dieser Infektionskrank-
heiten wird häufiger bei sinkendem Wohlstande, und auch bei Krup,
Diphtheritis, Keuchhusten und Scharlach verhält es sich nicht anders.
In der vorstehenden Tabelle sind alle Alter zusammengefasst, in der
folgenden sind nur die bis 5 jährigen berücksichtigt. Sie ist mit einer
gewissen Unsicherheit behaftet, indem die Zahl der bis 5jährigen
Verstorbenen zwar für die ganze Stadt bekannt war, ihre Verteilung
auf die einzelnen Wohlhabenheitsgruppen aber nicht direkt beobachtet,
sondern nur geschätzt werden konnte.
Von 10000 Unterfünfjährigen starben jährlich
IDEE RR
_Wohlhabenheitsklasse
an Krup . . SLR 22,5 Rabe 34,5 4 lopr
an Diphtheritis Br: 375,60 | 3ay74 47 81,5 49,5$ 90,5
an Keuchhusten . . . | 26 | 26 26 29
ansScharlache 2. 20% 32 Ne 33 34
an» MaBeını an. wles 18,5 4 5855 | 36 | 54
an Blattern»s 1.1 40 1,723,5 IA TUD 69,5
an Tuberkulose . . . 462 | 520 ı 648 | 716
an Lungenentzündung . 595 (63 | 833
446
Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen.
Wenn man von einigen Unregelmäßigkeiten absieht, ergibt sich
also bei Krup und Diphtheritis, bei Masern, Blattern, Tuberkulose
und Lungenentzündung für die Unterfünfjährigen dasselbe, wie für
alle Alter, nämlich Steigen der Mortalität bei Sinken des Wohlstandes.
Nur bei Keuchhusten und Scharlach ist ein Einfluss der Wohlhaben-
heit bei den Kindern nicht zu erkennen, was jedenfalls sehr beach-
tenswert ist. Ein Sinken der Sterblichkeit bei Sinken des Wohlstandes
erfolgt bei keiner der von Korösi betrachteten Krankheiten. Denn
wenn in den armen Bezirken Hirnhautentzündung und Hirnentzündung
seltener werden, dafür aber Fraisen!) über diese Abnahme hinaus häu-
figer werden, so ist es wohl zweifellos, dass es sich hier nicht um
Verschiedenheiten der Häufigkeit, sondern um Verschiedenheiten der
Diagnosen handelt.
Besonders wertvoll sind die Erhebungen Körösi’s bezüglich der
Kellerwohnungen, da über die wichtige Frage, welchen Einfluss sie
auf die Sterblichkeit haben, abgesehen von Angaben Reck’s (a. a. O.)
über das Verhalten von feuchten und trockenen Wohnungen, bisher
nichts brauchbares vorlag.
Bei der außerordentlichen Wichtigkeit, die diese Frage für die
öffentliche Gesundheitspflege besitzt, wird es gerechtfertigt sein, wenn
ich das Ergebnis Körösi’s hier im Detail wiedergebe.
Es starben in den Jahren 1879—1882 von 100000 jährlich
in Kellerwohnungen in anderen Wohnungen
0-5 über 5 Zu- 0—5 über 5 Zu-
Jahr Jahr | sammen | Jahr Jahr sammen
Alle Todesfälle _ - 4391 _ 3240
Nichtinfektiöse
Krankheiten _ _ 3845 _ 2899
Infektions-
krankheiten 4393,4 155,8 546,4 2269,8 116,6 341,1
(Krup)er. 2° (528,69 1.2010,06) |7°(58,3) 17 (832,8) 0) (41,1)
(Diphtheritis) . | (485,3) (12,3) (55,9) (445,7) (751) (61,8)
Krup u. Diph-
theritis . 1 1013,9 22,9 114,2 778,5 24,2 102,9
Keuchhusten 554,6 = Di 233,0 1,4 25,5
Masern 996,5 2,6 94,3 324,8 29 36,4
Scharlach 372,6 12,3 45.0. 1 312,4 18:6. 249,5
4) Unter „Fraisen“ sind wahrscheinlich mit Krampfzuständen verbundene
Krankheitszustände zu verstehen. Dieser sehr unbestimmten Angabe der Todes-
ursache begegnet man am häufigsten in den Fällen, wo keine Ärztliche Behand-
lung stattgefunden hatte.
Anm. d. Red.
Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen. 447
Aus dieser Zusammenstellung folgt also:
Es sterben jährlich in Kellern gegenüber
andern Wohnungen
alle Alter | 0-Bjährige | ae
Prozent Prozent | Prozent
BDETHRDNU IE Are Mescan + 35,5 (l) — —
an nichtinfekt. Krankheiten + 32.6 —_ —
an Infektionskrankheiten . . . Isitzh 60 (!!) — —
anoRrunge ne. N rt —A2 + 59 +49
an Keuchhusten —+100 +133 —
an Masern +159 +207 —10
an Diphtheritis — 10 an — 28
an Scharlach — 8 + 19 -— 34
Betrachten wir zuerst die negativen Fälle näher. Wenn der Aus-
schlag bei Diphtheritis sowohl für alle Alter, als für die Ueberfünf-
Jährigen zu gunsten der Kellerbewohner ausfällt, so wird uns dies
nicht allzu sehr imponieren, wenn wir gleichzeitig die Häufigkeit des
Krup emporschnellen sehen. Man mag über das Verhältnis von Krup
und Diphtheritis denken, wie immer, das wird man zugestehen müssen,
dass sie in praxi nicht genügend geschieden werden. Die Statistik
wird beide Todesursachen nur vereint inbetracht ziehen dürfen. Thut
man dies im vorliegenden Falle, dann ergibt sich für die Keller eine
Steigerung der beiden Krankheiten um 11°/, für alle Alter. Die
Sterblichkeit der Ueberfünfjährigen ist aber auch jetzt noch etwas
niedriger, 29,9°/, gegen 24,2%/,. Wenn man aber die Bedeutung dieses
Unterschiedes richtig würdigen will, muss man sich doch die absoluten
Zahlen etwas näher besehen. Da findet man denn, dass jährlich im
Durchschnitte der 4 Jahre überhaupt nur 6,5 Todesfälle an Krup
und Diphtheritis von überfünfjährigen Kellerbewohnern gezählt wur-
den. Würde jährlich nur 1 (!) Todesfall an Krup und Diphtheritis
mehr unter 28410 Kellerbewohnern vorgekommen sein, so würde ihr
Verhältnis schon weit ungünstiger, als das der anders Behausten er-
scheinen. Und nun berücksichtige man dem gegenüber noch, dass
jährlich 10 (!) Krup- und Diphtherie-Todesfälle außer betracht bleiben
mussten, weil bei ihnen die Wohnungslage nicht ermittelt werden
konnte!
Dasselbe gilt denn auch bei den übrigen negativen Ausschlägen.
In 4 Jahren gab es überhaupt nur 3 (!) über 5 Jahre alte Masern-
tote und 14 Todesfälle Ueberfünfjähriger an Scharlach ; 57 Todesfälle
an dieser Krankheit aus allen Altersklassen in Kellern. Wenn von
den 32 Scharlachtodesfällen, die außer betracht bleiben mussten, nur
6 thatsächlich den Kellern zugehören sollten, dann wäre der negative
Ausschlag zu gunsten der Keller schon beseitigt. Wie dem auch sei,
eine Hemmung der Ausbreitung dureh die Kellerwohnungen wird
A448 Gruber, Körösi’s relative Intensität der Todesursachen.
niemand aus den vorliegenden Thatsachen erkennen wollen. Dagegen
ist es ein für die Aetiologie des Scharlach sicherlich sehr bedeutungs-
volles Faktum, dass sich diese Krankheit auch hier wieder in ihrer
Ausbreitung von den sozialen Lebensbedingungen ziemlich unabhängig
zeigt. An unserem Urteile über die sanitäre Beschaffenheit der Keller-
wohnungen kann dieser Umstand nichts ändern.
Eine Steigerung der Gesamtsterblichkeit um 35,5 °/,, eine Steige-
rung der Infektionskrankheiten um 60%,! Und nun bedenke man
noch, dass nicht etwa die Gesamtheit oder auch nur die Mehrzahl
der Armen in Kellern wohnt. In Kellern wohnen nur 31295 von
360 551 Budapestern, und es starben in den Jahren 1872— 1882 nur
11453 Personen aus Kellern, während in den Jahren 1876 — 1881
allein unter 59102 Toten, deren Wohlhabenheitsgrad ermittelt werden
konnte, 48 962 Arme und Notdürftige gezählt wurden und weitere
14044 Fälle, bei denen der Wohlhabenheitsgrad nicht festgestellt
werden konnte, wohl auch zum weit überwiegenden Teile den Armen
zugezählt werden müssen.
Es ist also eine durchschnittlich arme Bevölkerung, die an und
für sich schon unter sehr ungünstigen Bedingungen lebt (wie auch
ihre hohen Sterblichkeitsziffern beweisen), mit der die Kellerbewohner
verglichen werden und trotzdem diese ungeheure Steigerung der
Sterblichkeit! Erwägt man weiter, dass es zum großen Teile gar
nicht die Aermsten sind, die in Kellern wohnen (Portiere, Haus-
besorger, Händler, Wirte) dann muss man auf grund der Mitteilungen
Körösi’s zu dem Schlusse kommen, dass das Wohnen in Kellern an
sich eine soleh eminente Gesundheitsschädigung darstellt, dass darauf
ein gesetzliches Verbot aller Kellerwohnungen gar wohl begründet
werden kann.
Diesen Thatsachen gegenüber nimmt es sich wahrhaft grotesk
aus, wenn Körösi uns erzählt, wie er im Jahre 1872 seine Unter-
suchungen in der Meinung begonnen habe, ein recht ungünstiges
Resultat bezüglich der Kellerwohnungen zu erhalten, und in welche
Unruhe es ihn versetzt habe, als im Verlaufe das Ergebnis (8. 220)
„beinahe auf eine Glorifizierung der Kellerwohnungen hinauslief“ und
hiermit die auf Verminderung der Kellerwohnungen gerichteten admini-
strativen Maßregeln „eine sehr unliebsame Desavouierung erfahren“,
wenn er von einem seltenern Auftreten der Epidemien in denselben
spricht u. s. w. Und das alles hat die „relative Intensität“ verschuldet!
Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün-
schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an-
zugeben.
Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man
an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘ zu richten.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
Bioloeisches Üentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
v1. Band. 1. Oktober 1886. Nr. 15.
Inhalt: Klebs, Kritische Bemerkungen zu der Arbeit von Wiesner: Untersuchungen
über die Organisation der vegetabilischen Zellhaut, — Piecone, Vögel als
Pflanzenverbreiter. — Nassonow, Welche Insektenorgane dürfen homolog den
Segmentalorganen der Würmer zu halten sein? — Leydig, Hautsinnesorgane
der Arthropoden. — Seegen, Ueber das Material, aus welchem die Leber
Zucker bildet. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
Academie de Sciences de Paris. — Asper und Heuscher, Eine neue Zusammen-
setzung der pelagischen Organismenwelt. — Bayliss und Bradford, Elektrische
Erscheinungen bei Drüsensekretion. — Wooldridge, Intravaskulare Gerinn-
ung. — Anzeigen.
Einige kritische Bemerkungen zu der Arbeit von Wiesner
„Untersuchungen über die Organisation der vegetabilischen
Zellhaut“.
Von Georg Klebs.
Die Frage nach dem Bau und dem Wachstum der vegetabilischen
Zellhaut ist schon oft behandelt worden, aber von einer Lösung der-
selben stehen wir noch sehr weit entfernt; ja grade die neuern Unter-
suchungen haben sie in eine größere Ferne gerückt, als man früher
anzunehmen berechtigt war. Der ausgezeichneten Forschung von
Nägeli verdanken wir die ersten eingehenden Studien über die
feinsten Organisationsverhältnisse der Zellhaut, indem er, gestützt auf
seine Untersuchung der Stärkekörner, die daraus gewonnenen An-
schauungen über Bau und Wachstum auf die Zellhaut übertrug !).
Danach besteht dieselbe aus kleinen Molekülgruppen, den sogenann-
ten Micellen, welche die Form und die optischen Eigenschaften von
Krystallen haben, sich aber durch den Besitz bestimmter Wasserhüllen
auszeichnen. Durch Einlagerung neuer Micellen zwischen den alten
1) Auf die Theorie Nägeli’s ist mehrfach in dieser Zeitschrift hinge-
wiesen worden. Vergl. z. B. Biolog. Centralblatt I. S. 586, III. S. 100—102,
12V 32.493,
V], 29
450 Klebs, Kritische Bemerkungen zu Wiesner.
von dem Protoplasma der Zellen aus wächst die Zellhaut sowohl in
die Länge wie in die Dicke. Diese Intussuszeptionstheorie Nägeli’s
ist mehrere Jahrzehnte hindurch die herrschende gewesen, bis sie in
neuester Zeit von verschiedener Seite sehr lebhaft angegriffen und
etwas ins Wanken gebracht worden ist. Besonders hat Strasbur-
ger?) in seinem Buche „Ueber den Bau und das Wachstum der Zell-
häute“ 1832 die ganze Nägeli’sche Theorie beiseite gesetzt und im
Anschluss an die von Schmitz ausgesprochenen Anschauungen eine
neue Auffassung durch sehr umfassende und eingehende Beobachtungen
begründet. Danach entsteht die Zellhaut durch Umwandlung der
äußersten Protoplasmaschicht, wächst in die Dicke durch Auflagerung
neuer Lamellen und folgt dem Längenwachstum der Zellen nicht
durch eignes Wachstum, sondern nur durch Dehnung. Infolge dieser
Arbeit von Strasburger ist die ganze Frage wieder in lebhaften
Fluss gekommen, eine allgemein anerkannte Auffassung hat sich aber
noch nicht Bahn gebrochen. Das erkennt man auch an der neuesten
die Frage behandelnden Arbeit von Wiesner, „Untersuchungen über
die Organisation der vegetabilischen Zellhaut“, worin eine ganz neue
Anschauung, hauptsächlich den feinern Bau betreffend, verteidigt wird.
Die wesentlichen Ergebnisse und Ueberlegungen der Arbeit von
Wiesner sind in dem ausführlichen Referat von Wilhelm?) hervor-
gehoben und mit großem Beifall begrüßt worden. In der That liegt
in dem Grundgedanken der Wiesner’schen Arbeit etwas Bestechendes
vor allem deshalb, weil er bei dem ersten Anblick die schwierigen
Verhältnisse des Zellhautwachstums einfacher zu erklären scheint.
Umsomehr erscheint es aber wohl berechtigt, eine solche neue Auf-
fassung, welche alte, zum teil eingelebte Vorstellungen über den
Haufen werfen will, auf die Art ihrer Begründung etwas genauer
anzusehen, und in diesem speziellen Falle fordert die Arbeit schon
an und für sich zur Kritik heraus.
Die Hauptgrundlagen der neuen Hypothese liegen in zwei bisher
noch nicht aufgestellten Behauptungen, welche darin bestehen, dass
erstens die Zellhaut aus kleinen, mikroskopisch eben noch sichtbaren
Elementarkörperchen, den „Dermatosomen“, zusammengesetzt ist, und
zweitens die Zellhaut, so lange sie überhaupt an lebenden Zellen sich
befindet, auch lebendiges Protoplasma enthält. Wie steht es nun mit
der Begründung dieser Behauptungen ?
Der Nachweis der Dermatosomen geschieht in der Weise, dass
die Zellhaut von Lein-Hanffasern mit Salzsäure behandelt, dann bei
50—60° erwärmt wird, wodurch sie in einen brüchigen Zustand über-
geführt wird, so dass sie beim leisen Druck in zahllose kleine Frag-
mente zerfällt. Dasselbe geschieht bei Quetschung mit dem Deckglas,
1) Vergl. das Referat im Bioiogischen Centralblatt II. S. 641.
2) Vergl. vorige Nummer dieses Blattes.
Klebs, Kritische Bemerkungen zu Wiesner. 451
namentlich bei gleichzeitigem Zusatz von konzentrierter Kalilauge.
Noch besser gelingt der Zerfall bei Behandlung der Bastfasern mit
Chromsäure, vor allem aber nach wochenlanger Einwirkung von Chlor-
wasser und dann einem Druck oder bei Zusatz von Kali. Nach die-
sen Methoden hat Wiesner die Zellhäute der verschiedenartigsten
Gewebe selbst von verkorkten und verholzten Zellen untersucht und
stets ihren schließlichen Zerfall in sehr kleine rundliche Körperchen,
die Dermatosomen, und außerdem in eine homogene Grundsubstanz
beobachtet. Nur die Zellwände der Pilze ließen sich bisher nicht in
solcher Weise zerlegen. Diese Körperchen sollen nun nach Wiesner
die wesentlichen Elementarorgane der Zellhaut sein.
Von vorn herein wird man bei unbefangenem Urteil bezüglich
dieser Beobachtungen sich sagen, dass durch solche einschneidende
chemisch und physikalisch verändernde Mittel, wie Wiesner sie an-
gewandt hat, eine weitgehende Zerstörung der Zellhautsubstanz statt-
gefunden hat und die dabei beobachteten Körnchen nichts weiter als
Zerfallsprodukte vorstellen. Die verschiedensten organischen Körper
wie Schleim, Protoplasma können vielfach in eine körnige Masse zer-
fallen. Wiesner hat sich diesen Einwand selbst gemacht, beant-
wortet ihn nur damit, dass er sagt: seine Dermatosomen seien or-
ganisiertt. Der Nachweis dieser besondern Organisation wäre für ihn
also der wichtigste Punkt. Auffallenderweise begnügt sich aber
Wiesner nur mit dem Wort, ohne dasselbe zu erklären, in welchem
Sinne es gemeint ist, und noch weniger dasselbe zu begründen. Denn
er geht in seiner Mitteilung überhaupt nicht auf die chemischen oder
physikalischen Eigenschaften der Dermatosomen ein. Die einzigen
Angaben, die man über sie findet, bestehen darin, dass bei zerstäubter
Leinenfaser die Dermatosomen sich in Chlorzinkjod weniger violett
färben als die Grundsubstanz, d. h. also anscheinend weniger Cellu-
lose enthalten als die letztere, und ferner dass die Körnchen quellbar
sind. Mit diesen spärlichen Angaben ist aber doch keine Organisation
der Körperchen nachgewiesen, noch wahrscheinlich gemacht; denn die-
selben stimmen auch für beliebige Zerfallprodukte der Zellhaut, und
die Behauptung, dass dieselben nun gar die wesentlichen Struktur-
elemente der Zellhaut vorstellen, ist in keiner Weise geliefert.
Das zweite bedeutungsvolle und neue Moment in den Anschauungen
Wiesner’s liegt in der Behauptung, dass als zweiter wesentlicher
Bestandteil der Zellhaut lebender Zellen Protoplasma selbst auftritt.
Dieselbe gründet sich darauf, dass die jungen Zellwände in den Ve-
getationsspitzen nur dann Cellulose-Reaktionen zeigen, wenn sie mit
Kalilauge oder Pepsin behandelt werden. Daraus folgt vorläufig nur,
dass in den jungen Zellwänden eine Substanz sich vorfindet, welche
die Chlorzinkjodreaktion beeinträchtigt, aber nichts über die Natur
dieser Stoffe. Denn auch die Pepsinversuche sind nicht beweisend
für die Eiweißnatur derselben, da die dabei angewandte Salzsäure
29*
459 Klebs, Kritische Bemerkungen zu Wiesner.
sehr wohl die Rolle des reinigenden Mittels gespielt haben kann und
höchst wahrscheinlich auch gespielt hat. Wiesner hat dann ferner
Schwefelsäure und Zucker angewendet und will das Eintreten der Ei-
weißreaktion an den Zellwänden beobachtet haben; doch gibt er selbst
zu, dass bei der Dünnheit der Wände, dem Eiweißreichtum des Zell-
inhaltes sehr leicht eine Täuschung möglich ist; die ganze Reaktion
gehört überhaupt zu den am wenigsten charakteristischen, weil die
Färbung zu wenig bestimmt ist; ein sicherer Schluss lässt sich auf
sie allein hin nicht gründen. Einen weitern Nachweis hat Wiesner
selbst aber überhaupt nicht in der vorliegenden Arbeit geliefert; da-
gegen hebt er hervor, dass in später erscheinenden Arbeiten seiner
Schüler der Eiweißgehalt junger Zellmembranen nachgewiesen werden
wird. Vorläufig erscheint, da ein Urteil über die Methoden in diesen
Arbeiten sich noch nicht gewinnen lässt, der Eiweißgehalt als eine
Annahme. An und für sich ist dieselbe möglich, für manche Fälle
vielleicht wahrscheinlich, und dass wenigstens stiekstoffhaltige Sub-
stanzen, wenn auch in sehr geringer Menge, in der Zellwand vorhan-
den sind, ist auch vielfach bekannt. Wiesner macht aber nun einen
auffallenden Sprung. Er begnügt sich nicht zu sagen, dass in der
Zellhaut Körper eingelagert sind, welche gewisse Eiweißreaktionen
zeigen, sondern behauptet, dass Protoplasma, d. h. sogenanntes ak-
tives lebendes Eiweiß vorhanden ist. Er drückt sich sogar so aus:
„Ich werde zeigen, dass die lebende Zellwand stets Protoplasma
enthält, somit Eiweißkörper bildet.“ Danach sollte man also einen
ganz sichern unumstößlichen Beweis für die Behauptung erwarten,
welche auch einfach als Thatsache von ihm aufgestellt wird. Der
Nachweis des Protoplasmas kann in zweierlei Weise geschehen: einmal
auf anatomischem Wege durch den Zusammenhang eiweißhaltiger
Substanz mit dem lebenden Zellplasma; ein zweiter und sehr viel
sichererer Weg besteht darin, dass man von dieser eiweißartigen Sub-
stanz Lebenserscheinungen, sei es Ernährung, Wachstum, Bewegung
und dergleichen nachweist. Für den fraglichen Körper in der Zell-
haut hat Wiesner keinen der beiden Wege betreten, wenigstens hat
er ein positives Resultat nicht erlangt. Vielmehr stützt er sich allein
auf eine rein theoretische Ueberlegung, welche überdies nur für einen
speziellen Fall, nämlich die Zellhaut der Pilze gilt, d. h. grade der-
jenigen, bei welchen anderseits ihm der Nachweis der Dermato-
somen nach ihren wesentlichsten Elementen nie gelungen ist. Außer-
dem ist nun aber auch diese Ueberlegung selbst angreifbar, da sie
auf mehrern willkürlichen Annahmen fußt, so dass sie selbst für den
speziellen Fall keine zwingende Beweiskraft besitzt. Wiesner macht
darauf aufmerksam, dass in dem wachstumsfähigen Gewebe des
Fruchtkörpers von Polyporus fomentarius die Zellfäden eine sehr dicke
Membran und ein sehr enges Zell-Lumen besitzen. Nach einer Analyse
sind von dem Trockengewicht des Gewebes 2,34°/, Stickstoff vor-
Klebs, Kritische Bemerkungen zu Wiesner. 4553
handen, welchem, nur auf Eiweiß bezogen, 14,6°/, desselben ent-
sprechen. Daraus wird dann ein Gehalt von mindestens 10°, Proto-
plasmasubstanz berechnet, welche wegen des kleinen Zell-Lumens zum
Teil in der Zellhaut Platz finden müsste. Aus der einen Analyse folgt
zunächst nur, dass stickstoffhaltige Substanz wahrscheinlicherweise in
der Zellhaut des betreffenden Pilzes vorhanden ist, aber hieraus einen
Beweis (!) für das allgemeine Vorkommen von lebendem Protoplasma
in allen Zellhäuten lebender Zellen zu erblicken, wird niemand zu-
geben. Setzten wir nun aber voraus, dass ein solcher Beweis ge-
liefert worden wäre, so würde er für die Wiesner’sche Anschauung,
dass das Protoplasma ein wesentlicher Bestandteil der Zellhaut sei,
noch wenig Bedeutung haben. Denn wir wissen jetzt, dass viele Ge-
webezellen durch zarte Fäden verbunden sind, von denen es we-
nigstens wahrscheinlich ist, dass sie aus Protoplasma bestehen; wir
haben das Recht für die Annahme, dass diese Verbindung ein noch
häufigeres Vorkommen ist, als bisher thatsächlich nachgewiesen worden.
Wie und wo ist nun aber das Kriterium dieses Protoplasmas von
dem die Zellhaut zusammensetzenden zu unterscheiden, vor allem der
Nachweis, dass die Eiweiß- resp. Protoplasma-Reaktionen nicht diesen
die Zellen verbindenden Fäden allein angehören? Augenscheinlich
ist die Entdeekung dieser Fäden die erste Veranlassung zu der Wies-
ner’schen Anschauung gewesen. Aber das Vorhandensein solcher
Verbindungsfäden hat mit derselben sehr wenig zu thun und beweist
für sie nichts, da nach ihr die ganze Zellhaut von einem dichten
Plasmanetz durchsetzt sein soll, ja in den jungen Zellwänden die
Dermatosomen selbst aus Protoplasma bestehen sollen.
Aus der vorliegenden Kritik ergibt sich wohl, dass die beiden
Grundlagen der neuen Anschauung über die Organisation der Zell-
haut noch viel zu sehr der thatsächlichen Begründung entbehren.
Noch eine ganze Reihe Einwände lassen sich aber fernerhin erheben;
nur auf einige mag noch hingewiesen werden. Infolge seiner An-
schauungen muß Wiesner zwei ganz verschiedene Arten von Zell-
wänden unterscheiden; eine lebende junge, in welcher der größere
Teil der Dermatosomen noch aus lebendem Eiweiß besteht und zwischen
ihnen zahlreiche Plasmastränge ausgespannt sind, und eine tote ältere,
wo einmal die Dermatosomen aus Cellulose bestehen, außerdem aber
noch eine homogene ebenfalls aus Cellulose zusammengesetzte Zwi-
schenmasse vorhanden ist. Sehen wir ab von dieser sehr unwahr-
scheinlichen Behauptung, zwei verschiedene Cellulosen, eine geformte
und eine ungeformte neben einander z. B. in den Lein-Hanffasern
vorzufinden, so fragt man sich vor allem, ob denn nun thatsächlich
ein solch prinzipieller Unterschied zwischen Zellen verschiedenen
Alters vorhanden ist? Es ist allerdings eine weit verbreitete Er-
scheinung, dass die Zellhaut allmählich verändert wird, indem be-
sondere Substanzen in sie eingelagert werden, wie bei der Verholzung,
454 Klebs, Kritische Bemerkungen zu Wiesner.
Verkorkung u. $. w. Aber hierbei wissen wir stets nur, dass in den
jungen Zellwänden Cellulose wesentlich allein vorhanden ist und dass
es selbst bei den stark veränderten noch gelingt, nach Lösung der
inkrustierenden Substanzen die Cellulosegrundlage nachzuweisen. Aber
in denjenigen Fällen, welche hier vor allem in betracht kommen, wo
die Zellwand der toten Zellen noch aus Cellulose besteht, hat noch
niemand nachgewiesen, dass dieselbe anfangs ganz anders gebaut ist.
Es wäre ja in der That möglich, dass mit dem Tode einer Zelle ge-
wisse Veränderungen auch in der Zellwand sich zeigen; aber die Art
derselben lässt sich theoretisch nicht konstruieren, und eine sehr exakte
Untersuchung kann allein ergeben, ob diese Veränderungen in che-
mischer oder physikalischer Beziehung eintreten, ob sie sich auf
Elastizität, Dehnbarkeit, das Verhalten gegenüber Quellungs-Färbungs-
mitteln u. s. w. beziehen. Wiesner, für den doch der Nachweis
eines solchen Unterschiedes von größter Bedeutung wäre, gibt keine
bestimmten Thatsachen, so dass sein Ausspruch, die Zellhaut sei ein
lebendes Organ der Zelle, in der Luft schwebt. Um so nötiger wäre
ein sehr genauer Nachweis gewesen, als dieser Satz den bisher fest-
gehaltenen Anschauungen widerspricht, und der Behauptung, dass die
jungen Zellwände fast nur aus Plasma bestehen, auch viele That-
sachen direkt widersprechen, z. B. die, dass grade die jüngsten Zell-
wände speziell von Algen die reinste Cellulose zeigen.
Die Frage nach dem Bau der Zellhaut hängt aufs innigste mit
der Frage nach dem Wachstum derselben zusammen, und die ganze
Hypothese von Wiesner über die Organisation der Zellhaut entspringt
wohl dem Bestreben das Wachstum zu erklären. Er schiebt dem in
der Zellhaut angenommenen Protoplasma die Hauptrolle dabei zu,
ohne übrigens eine konsequent und klar durchgeführte Theorie zu
liefern und auf die zahlreichen Schwierigkeiten näher einzugehen.
Mit dem beliebten und bequemen Zauberwort Protoplasma glaubt man
manches zu erklären. Aber auch hierfür ist doch vor allem notwendig
der Nachweis eines solchen, und bevor das nicht geschehen und die
Kritik zum Stillschweigen gebracht ist, lässt sich schwer über solche
Anschauungen diskutieren. Sonst erscheint das Protoplasma !) mehr
wie ein herbeigeholter deus ex machina.
1) Bezüglich des unbekannten Protoplasmas hat Wiesner eine Vorstel-
lung ausgesprochen, die mehr kühn als überzeugend ist. Er meint, dass ent-
sprechend wie die Zellhaut auch das Protoplasma aus kleinen Körnchen, den
sogenannten Plasmatosomen zusammengesetzt sei. Nun wissen wir von den
Körnchen des Protoplasmas der Mikrosomen so gut wie nichts, als dass sie
sich mit Jod und Farbstoffen färben und höchst wahrscheinlich sehr heterogener
Natur sind. Wir wissen ferner in einzelnen Beispielen von ihnen, dass sie
passiv bewegt werden von dem anscheineud homogenen aktiv beweglichen
Hyaloplasma. Diese unbekannten Körnchen nun auf einmal als Elementar-
organe alles Lebens zu bezeichnen, muss wohl etwas übereilt genannt werden.
Piccone, Vögel als Pflanzenverbreiter. 455
Wenn ich in dem Vorhergehenden auf die Mängel und Lücken
der Wiesner’schen Anschauungen hingewiesen habe, so möchte ich
doch anderseits auch die Vorzüge der Abhandlung hervorheben, welche
neben dem Gehalt an mancherlei thatsächlichem neuem Material vor
allem in der geistigen Anregung zu neuen Forschungen liegen. Zwei
Gedanken sind es wohl hauptsächlich, welche auf neue Wege hin-
weisen, der Hinweis einmal, dass man nach einer gröbern erkenn-
baren Organisation der Zellhaut suchen müsse, bevor man gleich
ihren feinsten molekularen Bau zu erklären versucht, anderseits die
Vorstellung, dass die Zellhaut vielleicht in gewisser Weise ein le-
bendes Organ der Zelle ist. In welcher Weise nun diese Vorstellungen
durch die Macht der Thatsachen bestätigt oder erweitert werden,
muss die weitere Forschung lehren.
A. Piccone, Di Aleune Piante Liguri Disseminate Da Uccelli
Carpofagi.
Nuovo Giornale Botanico Italiano, Vol. XVII, 1836, p. 286.
Der Verfasser hat festzustellen gesucht, welche Vögel die Früchte
einer Anzahl ligurischer Pflanzen zu verzehren pflegen und damit deren
Verbreitung befördern können. Er hat dabei eine Reihe von Beobacht-
ungen und Versuchen angestellt, um zu ermitteln, ob in den Exkre-
menten von im Käfig gehaltenen Vögeln oder in den Fäces, welche
dem Endteil des Darmes von getöteten freilebenden Vögeln entnommen
waren, von den gefressenen Früchten Samen sich vorfänden, welche
weder durch die mechanische Aktion des Magens noch durch die
chemische der Verdauungssäfte verändert wären. Um ihre Unverletzt-
heit um so sicherer festzustellen, wurden in einigen Fällen Keim-
versuche angestellt. Von vorn herein ist es klar, dass die mit einem
kräftigen Muskelmagen versehenen fruchtfressenden Vögel (z. B. Tauben
und Hühner) nur zur Verbreitung solcher Pflanzen beitragen können,
deren Samen sehr gut gegen die Zertrümmerung geschützt sind; und
dass anderseits diejenigen, welche keinen Kropf und nur einen schwachen
Muskelmagen haben, im stande sein werden, auch diejenigen Arten zu
verbreiten, deren Samen nur durch die eigentliche Samenschale ver-
wahrt sind. Wie aus der folgenden Aufzählung hervorgeht, gehören
fast alle Vögel, über welche der Verfasser Beobachtungen anstellen
konnte, der zweiten Gruppe an.
1) Rhamnus Frangula L. = Pyrrhula rubicilla, Pall.
2) Prunus avium L.
3) „ Cerasus L.
Sylvia atricapilla Scop. — Corvus cornix L. — Garrulus glandarius
Vieill.
| Turdus merula L. — Turdus viscivorus L. —
456 Pieccone, Vögel als Pflanzenverbreiter.
Die schwarzköpfige Grasmücke verschluckt oft die kleinen Kirschen
ganz, speit aber zuweilen den Kern wieder aus. Auch hierdurch kann
sie zur Verbreitung derselben beitragen, sobald sie den Kern an einer
entfernten Oertlichkeit wieder ausspeit.
#) Fragaria vesca L. = Turdus merula L. — Philomela Luscinia
Selby.
5) Rubus discolor W eih. u. Nees | i J
ee. | Turdus merula L. — Erytha-
cus rubecula Macgill. — Sylvia atricapilla Scop. — 9. cinerea
Lath. — S. conspieilata Marm. — Pyrophthalma melanocephala Bp.
Verf. beobachtete die Keimung der Samen von AR. discolor, aus
den Exkrementen von Amseln und Rotkelchen, die im Käfig gehalten
und mit reifen Früchten dieser Art gefüttert wurden.
7) Rubus Idaeus L. = Turdus viscivorus L.
8) Crataegus owyacantha L. — Üoccottraustes vulgaris.
Obgleich viele Vögel den fleischigen Teil der Beeren des Weiß-
dorns genießen, so scheint doch nur der Kernbeißer zuweilen die
ganzen Früchte zu verschlucken, oder, noch öfter, mit seinem kräf-
tigen Schnabel das Endokarp durchzubeißen, um den Samen zu ver-
speisen.
9) Pirus Aria Ehrh. — Pyrrhocorax alpinus Vieill.
10) Pirus Aucuparia Gärtn. — Turdus merula L. — T. torgua-
tus L. — T. pilaris L. — Pyrrhocorax alpinus Vieill.
11) Ribes rubrum L. — Turdus merula L. — Philomela Luscinia
Selby. |
12) Myrtus communis L. — Turdus merula L. — T. musicus L. —
T. pilaris L. — Sylvia atricapilla Scop. Besonders die dritte dieser
Species liebt die Früchte der Myrte. Verschiedenemal wurden sehr
zahlreiche Samen in ihren Exkrementen gefunden.
13) Hedera Helix L. — Turdus merula L. — T. musicus L. —
T. pilaris L. — Erythacus rubecula Macgill. — Sylvia atricapilla
Scop.
Epheusamen aus dem Dickdarm der Grasmücke wurden in Ge-
fäße gebracht und keimten.
14) Sambucus nigra L. — Erythacus rubecula Macgill.
15) Viburnum Tinus L. = Turdus merula L. — T. musicus L. —
Sylvia atricapilla Scop.
16) Arbutus unedo L. — Parus major L. — Turdus merula L. —
T. torquatus L. — T. viscivorus L. — T. musicus L. — T. iliacus L.
— T. pilaris L. — Accentor alpinus Bechst. — 4A. modularis
Bechst. — Ruticilla phoenicura Bp. — R. thithys Brehm. — Ery-
thacus rubecula Maegill. — Sylvia atricapilla Scop. — Pyrophthalma
melanocephala Bp. — Pica caudata L. — Garrulus glandarius Vieill.
Gut erhaltene Samen von Ardutus fanden sich in den Exkrementen
von gefangen gehaltenen Amseln, Drosseln und Rotkehlehen, denen
Piceone, Vögel als Pflanzenverbreiter. 457
reife Früchte verabreicht worden waren. Auch fand Verf. deren im
Darm von getöteten freilebenden Rotkehlehen und schwarzköpfigen
Grasmücken. Verschiedentliche Aussaaten wurden angestellt, und
außer in drei Fällen wurde immer das Entstehen einiger Pflänzehen
beobachtet.
17) Vaceinium myrtillus L. = Turdus merula L. — T. torguatus
L. — T. viscworus L. — T. pilaris L. — Garrulus glandarius Vieill.
— Lyrurus tetris SwS.
Heidelbeersamen, die sich in großen Mengen im Darmkanal einiger
getöteten Amseln vorfanden, keimten reichlich. Auch das Birkhuhn?)
ist sehr begierig nach diesen Früchten, doch konnte nicht festgestellt
werden, ob sich in seinen Exkrementen keimfähige Samen fanden.
Obgleich es wie alle Hühnervögel einen kräftigen Muskelmagen hat, so
ist es doch leicht möglich, dass unter der Unzahl von Samen, welche
dasselbe verschluckt, einige der Zerstörung entgehen.
18) Olea europaea L. — Turdus musicus L. — T. pilaris L. —
Sylvia atricapilla Scop. — Fregilus graculus L. — Pyrrhocorax alpinus
Vieill. — Corvus frugilegis L. — C. corone L. — 0. cornix L. —
Pica caudata L. — Garrulus glandarius Vieill.
Es ist wohlbekannt, dass sich sowohl in den Fäces von Drosseln
wie in denjenigen vieler Corviden, welche sich von Oliven nähren,
die unversehrten Kerne der Früchte vorfinden. Die Grasmücken,
welche die Früchte fressen, bekommen dadurch einen besondern Ge-
schmack, und ihre Eingeweide werden schwarz.
19) Phyllirea angustifolia L. — Sylvia atricapilla Scop. —
S. orphea Temm.
Die S. orphea frisst viele Früchte dieser Pflanze, und unter den
zahlreichen Samen, welche Verf. im Diekdarm getöteter Vögel fand,
waren auch einmal einige Früchte, welche von den Verdauungssäften
kaum affiziert worden waren.
20) Phytolacca decandra L. — Turdus merula L. — T. musicus
L. — Erythacus rubecula Maegill. — Sylvia atrocapilla Scop. —
Pyrophthalma melanocephala Bp.
Sowohl Amseln wie Rotkehlchen wurden im Käfig mit reifen
Früchten von Phytolacca gefüttert. Immer waren ihre Exkremente
intensiv gefärbt und enthielten gut erhaltene Samen. Hier sowohl
wie bei den andern Vögeln, wenn sie sich von Phytolacca nähren, wer-
den nicht nur die Exkremente, sondern auch die Gewebe des Verdau-
ungskanals gefärbt. Einige Keimungsversuche (Amsel, Rotkehlchen,
Grasmücke) ergaben gute Resultate.
1) Der Verf. nennt das Tier hier und weiter unten kurzweg „il fagiano*.
Dass nicht Phasianus colchicus gemeint ist, geht an beiden Stellen aus dem
Zusammenhang hervor. Die Italiener nennen das Birkhuhn (Lyrurus tetrix
Sws. = Tetrao tetrix L.) „fagiano di monte*, Bergfasan (s. Savi, Omitho-
logia Toscana, Vol. II, p. 180).
458 Nassonow, Insektenorgane homolog den Segmentalorganen der Würmer.
21) Morus alba L. — Turdus merula L. — Montieola saxatilis
Boie. — Sylvia atricapilla Scop. — 8. orphea Temm. — S. cinerea
Lath. — 8. conspieillata Marm. — Passer italiae Gerb, u. Degl. —
Fringilla coelebs L.
Gut erhaltene Samen fanden sich in den Exkrementen gefangen
gehaltener Amseln, welehe mit den Früchten gefüttert waren. Einige
keimten. Auch im Inhalt des Diekdarms von zwei erschossenen Exem-
plaren der Sylvia cinerea wurden Samen in gutem Zustande an-
getroffen.
99, Juniperus communis L. —
; a Turdus merula L. — T. torgua-
tus L. — T. viscivorus L.— T. pilaris L. — Pyrrhocorax alpinus
Vieill. — Lyrurus tetrie Sws.
Dass das Birkhuhn die Wachholderbeeren sehr gern frisst, ist
wohlbekannt. Es konnte aber nicht festgestellt werden, ob die Samen
den Darmkanal unversehrt passieren, wie dies bei den Drosseln und
bei Pyrrhocorax der Fall ist.
F. Moewes (Berlin).
Welche Insekten-Organe dürften homolog den Segmental-
organen der Würmer zu halten sein?
Von Nassonow,
Assistent des Zool. Museums an der Universität zu Moskwä.
Bei der Untersuchung der Organisation der niedern Insekten bot
sich mir Gelegenheit, auf eine Reihe von Thatsachen zu stoßen, die,
wie es mir scheint, ein gewisses Licht auf die schon lange auf eine
Aufklärung wartenden Fragen werfen können, ob es bei den Insek-
ten Organe gibt, die den Segmentalorganen der Würmer
homolog seien, und welche als solche zu betrachten sind.
Die Körperorganisation der niedern Insekten ist von mir haupt-
sächlich inbetreff der Campodea, Lepisma und teils Mactilis inbetracht
genommen. Campodea staphylinus nämlich hat an der untern Seite
des Kopfes zwei dicke und kurze Anhänge (Fig. 1 a), von denen
jeder einen kleinen, eingliedrigen Taster trägt. Zwischen diesen bei-
den Anhängen befindet sich eine Oeffnung, mittels welcher die Aus-
führungsgänge zweier gewundener, röhriger Drüsen (2), die sich an
der hintern Seite des Kopfes befinden, ausmünden. Außerdem be-
finden sich auf dem 2.—7. Segmente des Abdomens, auf der Bauch-
seite zwischen den Rudimenten der Gliedmaßen, je zwei Oeffnungen,
welche die Ausmündungsöffnungen der auf jedem der eben erwähnten
Segmente befindlichen und am innern Ende blind endigenden Röhren
(c) sind. Aehnliche Röhren finden sich in den Segmenten des Abdo-
Nassonow, Insektenorgane homolog den Segmentalorganen der Würmer. 459
mens auch bei Mactilis. Durch Behandlung mit Spiritus und einigen
andern Reagentien stülpen sie sich nach außen als sackförmige Anhänge
vor — und so sind sie als Respirationsorgane beschrieben worden.
Auf dem ersten Segmente und zwar bei den Weibchen sind die An-
hänge (/) kurz und aneinandergerückt (ähnlich den an der untern
Seite des Kopfes befindlichen Anhängen), es befindet sich auch zwischen
diesen eine als Ausführungsgang zweier Röhren dienende Oeffnung.
Diese Röhren (e) unterscheiden sich von den Röhren anderer Segmente
durch ihre Länge und sind nichts weiter, als die Ausführungsgänge
zweier nur bei Campodea staphylinus vorkommender Eierröhrchen (d).
Bei Lepisma saccharina findet sich gleichfalls im vordern Teil des
Kopfes eine Drüse, die in der Basis der Unterlippe unter dem Hypo-
pharynx ausmündet. Diese Drüse stimmt mit der Thorakalspeichel-
drüse der Orthoptera, Hymenoptera und der an demselben
Orte ausmündenden Drüse anderer Insekten vollkommen überein.
Jedoch ist diese Drüse bei L. saccharina nicht so entwickelt, als bei
andern, höhern Insekten, sondern ist mit ihrer ganzen Masse in den
Kopf eingebettet. Sie ist paarig und mit einem breiten Ausführungs-
gange versehen, wobei jede Hälfte der Drüse zweilappig ist.
Fig. 1. Schematische Darstellung der CO. staphylinus von der
Bauchseite:
a) Die Anhänge der untern Seite des Kopfes. — b) Die Kopf-
drüsen. — c) Die Röhrchen des Abdomen. — d) Ovaria. —
e) Deren Ausführungsgänge. — f) Genitalanhänge.
Fig. 2.
Fig. 2. Schematische Dar-
stellung der männlichen Ge-
schlechtsorgane einer jungen
Lepisma saccharina:
a) Vas deferens an der
Stelle der Mündung der Trich-
ter (b),
c) Samenkapseln,
d) die Windungen der
Ausführungsgänge,
e) Genitalanhänge.
Was die Geschlechtsorgane betrifft, so findet sich bei L. sac-
charina nicht eine Eiröhre in jedem Ovarium, wie bei C. staphylinus,
sondern ihrer fünf und sechs Samensäcke jederseits in den männlichen
Geschlechtsorganen. Der Bau dieser letztern ist besonders interessant
und bietet folgende Eigentümlichkeiten. Auf der Bauchseite des
460 Nassonow, Insektenorgane homolog den Segmentalorganen der Würmer.
neunten Segmentes nämlich befinden sich bei jungen Männchen zwei
sich einander nähernde Anhänge (Fig. 2 e), denen der C©. staphylinus
nieht unähnlich. Mehr nach vorn gerückt trifft man zwei ähnliche
Anhänge, die jedoch von bedeutender Größe sind. Zwischen dem
ersten Paare der Anhänger öffnen sich die Ausführungsgänge der
Genitalorgane. Diese Ausführungsgänge sind lange Röhren, deren
ein wenig sich verbreiterndes hinteres Ende drei Biegungen (d) macht.
In das vordere Ende münden zwei mit Epithelwänden versehene Trich-
ter (d). Etwas abwärts finden sich noch zwei Paar Trichter, die in
den nämlichen Ausführungsgang mittels zweier gemeinsamer Kanäle
münden, wobei jedes der drei Paar Trichter gleich weit von dem fol-
genden absteht. Jeder Trichter mündet in das Lumen einer nieren-
förmigen Kapsel (c), in der Samenkugeln sich befinden. Jede Kapsel
ist mit Bindegewebemembran bedeckt, das als Tegument auf die
Wandungen der Kanäle, Trichter und Ausführungsgänge übergeht.
Die Membran geht ohne deutliche Grenzen in den Fettkörper über.
Die Geschlechtsorgane der erwachsenen Männchen der Lepisma haben
eigentlich dieselbe Einrichtung; jedoch sind alle Teile mehr entwickelt
— die Triehter mit ihren Ausführungsgängen sind rückwärts gebogen
und sind weniger deutlich ausgeprägt als bei jungen Individuen.
Setzen wir den Fall, dass die Ausführungsgänge bei ihrer Ein-
mündung in die Trichter (@) als auch die Kanäle der Trichter sich
bedeutend verkürzt haben, so haben wir die typische Form der männ-
lichen Geschlechtsorgane höherer Insekten vor uns. Wie bekamnt,
entwickeln sich die Vasa deferentia, die Geschlechtsdrüsen und
die zwischen ihnen liegenden Teile aus dem Mesoderm. Diese That-
sache als auch die, dass das Vas deferens mit der Höhle der Samen-
schläuche mittels der Trichter kommuniziert, gestattet, wie es mir
dünkt, diese als homolog den Segmentalorganen zu betrachten. In
dem nämlichen Sinne drückt sich, wiewohl hypothetisch, auch Palmen
in seiner Arbeit „Ueber die paarigen Ausführungsgänge der Geschlechts-
organe bei den Insekten“ (1884) aus. — Bei den Weibchen sind die
Ausführungsgänge der Ovarien ebenfalls sehr lang, und bei ihrer
Einmündung verschmelzen sie miteinander. ‚Unter der Stelle der Ver-
schmelzung entspringt ein sackförmiges Organ. Die Eierröhrchen
jedes Ovariums kommunizieren mittels breiter Kanäle nur von einer
Seite mit dem Ovidukt. Im allgemeinen erhalten wir ein den männ-
lichen Geschlechtsorganen nicht unähnliches Bild. Die Ausführungs-
öffnung befindet sich an den Grenzen zweier Segmente, und die Lege-
röhre besteht aus zwei Paar Anhängen. Das obere Paar entspricht
dem Segment, welchem die Ausführungsgänge der Geschlechtsorgane
angehören, das untere Paar aber entspricht dem Segmente, in dem
die zwei röhrigen Drüsen sich befinden. Die nämlichen Drüsen öffnen
sich bei jungen Lepismen unter der Geschlechtsöffnung in ihrer Nähe
an der Grenze zweier Segmente durch zwei Oeffnungen. Diese Drüsen
Nassonow, Insektenorgane homolog den Segmentalorganen der Würmer. 461
entsprechen gewissen paarigen Nebendrüsen der Ovarien höherer In-
sekten. Da bei den erwachsenen Lepismen die Segmente, auf der
Bauchseite verschmolzen sind, so sind die zwei Paar Anhänge
der Legeröhren mit ihrer Basis so aneinandergerückt, wie die Oeff-
nungen aller röhriger Organe dieser Segmente. Die blinden Röhren
auf den Bauchsegmenten der ©. staphylinus entsprechen ihrer Lage
nach vollkommen den äußern Enden der Segmentalorgane!). Wahr-
scheinlich eben deshalb fehlen diese Röhrchen den Segmenten, wo die
Ausführungsgänge der Geschlechtsorgane sich öffnen. Bei L. sac-
charina sind die blinden Röhrchen ähnlich dem, was wir bei ©. staphy-
linus finden, mit Ausnahme der oben erwähnten Nebendrüsen nicht
vorhanden. Die beiden Anhänge, die sich auf der untern Seite des
Kopfes bei C. staphylinus befinden, entsprechen wahrscheinlich den
beiden Gliedmaßen des Embryos der Insekten, aus denen die Unter-
lippe entsteht. Diese Annahme wird dadurch bestätigt, dass der
Unterrand der Mundöffnung durch eine einfache Hautfalte begrenzt
wird, in der weder eine Gliederung noch irgend welche Anhänge zu
bemerken sind. Diese Falte entspricht wahrscheinlich dem Hypopharynx
anderer Insekten. Die Seidespinndrüsen haben, nach Bütschli und
Kowalewsky, beim Embryo der Biene und nach Tiehomirow
bei der Seidenraupe, wenn die Anhänge, welche die Unterlippe um-
geben, noch nicht aneinandergerükt sind, die Form zweier röhriger
Drüsen, die durch zwei Oeffnungen zwischen den Anhängen ausmünden.
Diese Oefinungen fließen zusammen, wenn die die Unterlippe bilden-
den Anhänge aneinanderrücken; zu dieser Zeit erhalten die Drüsen
eine den Kopfdrüsen der C. staphylinus ähnliche Lage. Der Unter-
schied, dass bei höhern Insekten diese Drüsen nicht nur im Kopfe,
sondern auch im Rumpfe liegen, darf nicht inbetracht kommen, um
so weniger, da bei L. saccharina die Speicheldrüse, die sich an der
untern Seite der Unterlippe öffnet, voll und ganz im Gehirnraume
liegt. Das alles weist daraufhin, dass wir es hier mit homologen
Organen zu thun haben. — Anderseits entstehen nach Wejdowsky
die Speicheldrüsen bei einigen Oligochäten durch Verwachsung
der Segmentalorgane. Die Lage der Kopfdrüse bei C. staphylinus,
zum Teil auch ihr Bau spricht dafür, dass wir es hier mit Resten
der Segmentalorgane zu thun haben. Dafür spricht auch der Um-
stand, dass die Seidespinndrüsen, die homologen Organe der Kopf-
drüse des ©. staphylinus, ursprünglich als zwei getrennt gelegene Röhr-
chen auf der innern Seite der Anhänge angelegt werden. Leider
besitzen wir nicht ausführliche Beobachtungen über die Lippendrüsen
irgend eines Insektes, die eben von diesem Standpunkte aus gemacht
wären. —
4) Bei flüchtigem Blick könnte man diese Röhrchen, ebenso wie die
Drüsen des Kopfes für die der Tracheen halten, jedoch dieser Ansicht wider-
spricht ihre Lage an der innern Seite der Anhänge.
462 Leydig, Hautsinnesorgane der Arthropoden.
Auf das hier Gesagte uns stützend, haben wir, wie es mir
scheint, Grund genug, um zu folgern, dass ein Teil der Ausfüh-
rungsgänge der männlichen Geschlechtsorgane sich
aus dem Mesoderm entwickelt, und dass die Thorakal-
speicheldrüsen der Insekten homolog den Segmental-
organen der Würmer sind. Esist ferner wahrscheinlich,
dass auch die Ovidukte, einige Nebendrüsen der Ge-
schlechtsorgane der Insekten und ebenso die Abdominal-
röhrchen bei Campodea und Mactilis die Reste der
Segmentalorgane sind!).
F. Leydig, Die Hautsinnesorgane der Arthropoden.
Zoologischer Anzeiger, Nr. 222 und 223.
Tastborsten, Riechkolben, Schmeckfäden und Hörhaare der Arthro-
poden sind nichts Anderes als Umbildungen des gewöhnlichen Haar-
oder Borstenbesatzes. Dies hatte Verf. früher bereits dargethan, und
nach ihm sind Forel, Hauser, Kräpelin zu derselben Anschauung
gelangt. Dabei ist der Inhalt der gewöhnlichen Haarfortsätze
der Hautdecke gleichzusetzen einer Ausstülpung der Leibeshöhle: eine
homogene Cuticula und darunter die zellige Matrix umschließen einen
hellen Inhalt, die Blutflüssigkeit. In das von der Cutieulaschicht des
Integuments abgegliederte Haar führt durch die Cutieula ein stärkerer
Porenkanal zum Innenraum des Haares, dessen Inneres entweder ein-
fach mit heller Flüssigkeit erfüllt erscheint, oder von „einem Netz-
oder Wabenwesen durchspannt ist, dessen Maschen die Flüssigkeit in
sich schließen“. „Das cutieulare Haar ist in seiner ersten Anlage
die Abscheidung eines zelligen Elementes des Panzers; ein fadiger
Fortsatz des Zellkörpers kann sich durch den Porenkanal hindurch
bis ins Innere des Haares erheben, ja dort bleibend sich erhalten.“
Zellsubstanz besteht aus Spongioplasma und Hyaloplasma; man darf
somit das Flüssige im Haar als Hyaloplasma ansprechen, während
das von dem Spongioplasma Erhaltene der Borste ihr ein maschiges
oder gekammertes Aussehen verleiht. Das Hyaloplasma aber, welches
teilweise den Charakter eines Sekrets hat, kann nach außen vor-
quellen und die Borsten zu Gifthaaren, Hafthaaren, Duftschuppen
machen.
4) Eine ausführlichere Beschreibung dieser Frage wird in meiner Arbeit
„Ueber die Organisation der Thysanuren“ stattfinden, die bald in den „Arbeiten
des Laboratoriums des zoologischen Museums an der Universität zu Moskwä“
gedruckt werden wird.
Leydig, Hautsinnesorgane der Arthropoden. 463
Eine Tastborste ist die Ausrüstung einer Endganglienzelle: ein
Nerv verläuft nach ihr hin, um an ihr gangliös zu enden. So kommen
bei Rotatorien, Crustaceen und Insekten überall terminale, mit Haut-
borsten in Verbindung stehende Ganglienkugeln vor. Im Bau der
Tastborsten macht sich kein Unterschied bemerkbar von den gewöhn-
lichen Haaren und Borsten. Besonders bei Wassertieren finden sich
die Tastborsten häufig in zarte, blasse, ganz- oder halbgefiederte Ge-
bilde verwandelt, während bei Insekten die Borste in ganzer Länge
stark chitinisiert bleiben kann.
Schon mehr von den gewöhnlichen Haarfortsätzen weichen die
Riechkolben in ihrem Baue ab. Nur hängt auch hier die Stärke
der euticularen Umhüllung von dem Aufenthalt ab: bei Insekten und
Myriopoden bleibt nach der ganzen Länge des Organs die Chitinhaut
so ziemlich von gleicher Dicke; hingegen bei den Krebsen grenzt sich
nur das Wurzelstück durch eine dicke Outicula wie eine Art Stiel ab,
während der übrige Teil viel zarter ist. Das freie Ende der Riech-
kolben kann eine Oeffnung besitzen, umgeben von einem dunkeln
festen Cutieularing, wie es Verf. zuerst bei Daphniden beobachtete.
Das Innere der Riechkolben erschien Leydig als ein blasser homo-
gener Stofi; homogene Nervensubstanz verschmilzt mit dem Hyalo-
plasma des Riechkolbens in eins. Aus der Oeffnung des Kolbens
aber kann der Inhalt nach außen hervordringen, in Form eines
Wölkchens feinkörniger Substanz, oder auch in Gestalt blasser Fädchen
und Stiftchen, wie wohl auch bei den Riech- und Geschmackszellen
der Wirbeltiere.
Mit den außen ansitzenden Riechkolben stellt Verf. die innerlich
vorkommenden Hörstifte der Insekten zusammen, für welche An-
sicht er besonders die Untersuchungen von Bolles Lee ins Feld
führt). Nach Bolles Lee stellt ein solches Organ einen Schlauch
vor, der entstanden ist aus der Kapsel der Ganglienzelle und einen
Axenfaden einschließt. Der Schlauch schwelle zum Stiftskörper an,
verdicke sich zum Stiftsknopf, um zuletzt wieder verdünnt als
„Distalehorda* am Integument zu endigen. Gestützt darauf führt
Leydig aus: Der Hörstift ist die Verbreiterung einer Nervenröhre,
und insofern die letztere aus einem Gerüst oder Spongioplasma und
dem homogenen Inhalt oder Hyaloplasma besteht, unterscheidet man
auch an dem Hörstift eine Umhüllung, welche zart anfängt, sich all-
mählich verdickt und den dunkeln Rand erzeugt; dieselbe schwillt
ferner an zu dem durchbohrten Knopfe, von dem weg wieder das
Spongioplasma, verdünnt, zum Integument zieht. Die helle homogene
Masse im Innern entspricht nervösem Hyaloplasma. Ist aber der
Axenfaden wirklich ein Faden in der Mitte der Nervensubstanz und
4) Arthur Bolles Lee, Bemerkungen über den feinern Bau der Chordo-
tonalorgane. Arch. f. mikr. Anat. 1883.
464 Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet.
dann etwa vergleichbar einem der Fäden in der Axe der breiten Ner-
venfasern des Flusskrebses, oder hat man nicht vielmehr den op-
tischen Ausdruck einer das Hyaloplasma halbierenden Scheidewand
vor sich?
Ueber das Material, aus welchem die Leber Zucker bildet.
Von J. Seegen in Wien.
Meine letzten Mitteilungen!) in diesen Blättern hatten zum Gegen-
stande jene Versuchsreihen, durch welche der Zuckergehalt des in die
Leber einströmenden Pfortaderblutes und des aus der Leber aus-
strömenden Lebervenenblutes festgestellt wurde. Durch 13 Versuche,
an lebenden Hunden angestellt, wurde konstatiert, dass das ausströ-
mende Blut beträchtlich mehr Zucker enthält als das in die Leber
gelangende Blut. Es wurden ferner Versuche mitgeteilt, welche über
die Größe der Ausfuhr innerhalb einer Zeiteinheit Aufschluss geben
konnten; endlich auch von jenen Versuchen Mitteilung gemacht, welche
den Beweis lieferten, dass der gebildete Zucker rasch im Blute und
in den Organen umgesetzt wird. Die Resultate aller dieser Versuche
waren in dem Satze zusammengefasst: die Bildung des Zuckers
in der Leber und dessen Umsetzung im Blute oder in den
von dem Blute durcehströmten Organen zählen zu den
wichtigsten Funktionen des Stoffwechsels.
Diese Resultate waren im großen und ganzen nur die Bestätigung
von Bernard’s vor nahezu 40 Jahren gemachten Entdeckungen. Im
Jahre 1848 hat Bernard die bis dahin nicht geahnte Entdeckung
gemacht, dass die Leber Zucker bilde. Von vielen, zumal von fran-
zösischen Gegnern wurde diese Entdeckung bekämpft; aber alle Ein-
würfe wurden von Bernard glänzend widerlegt, und die gesamte
wissenschaftliche Welt nahm die glykogene Funktion der Leber als
feststehende Thatsache an. Erst viele Jahre später trat ein neuer
und mächtiger Gegner F. W. Pavy auf den Schauplatz.
Bernard hatte für die Feststellung der glykogenen Funktion der
Leber einen zweifachen Beweis geliefert: a) er hatte in der Leber
einen beträchtlichen Zuckergehalt nachgewiesen, b) er hatte gezeigt,
dass das Lebervenenblut zuckerreicher sei, als das Blut der Pfort-
ader. Aber Bernard hatte alle seine Versuche an getöteten Tieren
ausgeführt. Pavy behauptete nun, dass die ganze Zuckerbildung ein
postmortaler Vorgang sei. In der toten Leber werde durch ein im
Momente des Todes in der Leber entstehendes Ferment, das Leber-
amylum, in Zucker umgewandelt, grade so wie wir im stande sind, im
1) Biologisches Centralblatt, IV. Bd., Nr. 20.
Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 465
Laboratorium aus Leberamylum Zucker zu bilden durch Hinzufügung
von Speichel oder Pankreasextrakt. Im Leben sei dieses Leberferment
nicht.vorhanden, es finde also auch keine Zuckerbildung statt. Wenn
die Fermentbildung verhindert wird durch Eintauchen der dem eben
getöteten Tiere rasch exzidierten Leber in siedendes Wasser oder in
eine Kältemischung, dann sei auch die Zuckerbildung verhindert; eine
solehe Leber enthalte keinen oder nur Spuren von Zucker, und das
sei der Zustand, wie er im Leben vorhanden ist. Bernard hat
diese Einwendungen Pavy’s und zwar in schlagender Weise widerlegt.
In seiner letzten — kurz vor seinem Tode veröffentlichten —
Arbeit hat er Versuche mitgeteilt, die an lebenden Tieren angestellt
wurden. Die dem lebenden Tiere exzidierte Leber enthält beträcht-
liche Mengen Zucker. Bernard’s Resultate wurden von Dalton in
New-York, von mir und Kratschmer bestätigt. Wir fanden bei
unsern zahlreichen, an Tieren verschiedener Klasse angestellten Ver-
suchen durch gründlichere Erschöpfung der dem lebenden Tier ent-
nommenen Leber einen nahezu doppelt so großen Zuckergehalt, als
ihn Bernard gefunden hat. Alle diese positiven Befunde waren
nicht im stande, die durch Pavy angeregten Zweifel an der vitalen
Glykogenie zu bannen. Es wurde gegen all die Versuche, an lebenden
Tieren angestellt, der Einwand erhoben, dass die wenigen Minuten,
welche verstreichen mussten, bis die Leber exzidiert, gewogen,
geschnitten und in siedendes Wasser eingetragen wurde, genügt hätten,
um das Auftreten des Fermentes und mit diesem die Zuckerbildung
zu ermöglichen. Es sei der Vorgang, so dachte man, analog der
Blutgerinnung, die auch, fast unmittelbar nachdem das Blut dem leben-
den Tiere entnommen ist, stattfindet. Und so ward allmählich Ber-
nard’s Lehre zuerst angezweifelt, schließlich als irrig beseitigt, und
jene Forscher, welche den Zucker im Blut direkt nachwiesen, glaubten,
es sei Nahrungszucker, der, mit der Pfortader in die Leber geführt,
diese einfach durchströmt, um in die allgemeine Zirkulation gebracht
zu werden, ohne dass die Leber zu dieser Zuckerfracht etwas hinzu-
fügt. Bernard’s einst so berühmter Fundamentalversuch, die quanti-
tative Bestimmung des Zuckers des in die Leber einströmenden und
des aus der Leber ausströmenden Blutes, war von ihm nur an frisch
getöteten Tieren ausgeführt und verlor die Beweiskraft, sowie man
die Zuckerbildung in der Leber als postmortale Erscheinung auf-
fasste. Einige Forscher wiederholten zwar den Fundamentalversuch
Bernard’s an lebenden Tieren; aber sie hatten es wie Abeles
versäumt, die beiden Blutarten unvermischt zu erhalten, oder sie
hatten wie Bleile und v. Mering diese Versuche unmittelbar
nach reicher Zuckernahrung ausgeführt und nur eine unscheinbare
Differenz im Zuckergehalte des zu- und abgeführten Blutes erhalten,
und hatten durch diese Versuche die Ansicht gekräftigt, dass die
Leber sich an der Zuckerbildung nicht beteiligt. Meine Versuche
vi, 30
466 Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet.
knüpften an Bernard’s Fundamentalversuch an, nur waren die-
selben an lebenden Tieren ausgeführt und war die Methode (nach
v. Mering) der Reingewinnung der beiden Blutarten eine tadellose.
Wie bereits erwähnt gaben 13 zu diesem Zwecke angestellte Versuche
das gleichmäßige Resultat, dass das Lebervenenblut nahezu doppelt
so viel Zucker enthält als das Pfortaderblut. Damit war die That-
sache, dass die Leber Zucker bildet, wieder festgestellt und wird
hoffentlich nicht mehr angezweifelt werden können. Ich habe mit
diesem Teil der Arbeiten gleichsam eine Quelle wiedergefunden, die
durch Unkenntnis verschüttet wurde, und sie nur durch richtige Fassung
vor ähnlichen Zufällen bewahrt. Ich habe, indem ich die Größe der
Zuckerbildung innerhalb einer Zeiteinheit annähernd bestimmte, die
Bedeutung dieser Leberfunktion für den Gesamtstoffwechsel ermittelt
und damit den vollen Wert von Bernard’s großer Entdeckung klar
gestellt.
Der 2. Teil meiner Arbeiten. hatte zum Gegenstande die Er-
forschung des Materials, aus welchem die Leber den Zucker bildet,
und hier kam ich zu Resultaten, die mit denen von Bernard nicht
übereinstimmen.
Bernard hatte, wenige Jahre nachdem er die Leber als zucker-
bildendes Organ erkannt hatte, in diesem Organe einen Körper ge-
funden, der dem pflanzlichen Stärkemehl sehr nahe verwandt ist; für
Bernard war es kein Zweifel, dass dieser Körper das Material sei,
aus welchem die Leber den Zucker bereite. Er nannte ihn daher
Glykogen. Er hielt die Zuckerbildung in der Leber für identisch
mit der Zuckerbildung im keimenden stärkemehlhaltigen Samenkorn.
In diesem ist es die Diastase, welche die Umwandlung bewirkt; in
der Leber sollte gleichfalls ein eignes Leberferment diesen Umwand-
lungsprozess vollziehen. Einen direkten Beweis für die Entstehung
des Leberzuckers aus Glykogen hat Bernard nie erbracht. Ich habe
schon früher!) Thatsachen mitgeteilt, die mit Bernard’s Auffassung
des Zuckerprozesses in Widerspruch standen. — Zwei Vorgänge können
nur dann als gleich angesehen werden, wenn die Bedingungen gleich
sind und wenn das Produkt ein gleiches ist. Das tierische und das
pflanzliche Amylum können als analog angesehen werden; dagegen
ist es bis jetzt noch nie gelungen, ein Leberferment darzustellen,
welches in seiner Wirkung auch nur annähernd an die Wirkung der
andern diastatischen Fermente heranreicht. Die schwache sacharifi-
zierende Wirkung des Leberglyzerinextraktes ist dieselbe, wie sie
den meisten eiweißhaltigen Geweben zukommt, und sie wäre nicht im
stande, die reiche Zuckerbildung in der Leber zu erklären. Der Leber-
zucker ist unzweifelhaft Traubenzucker, während der durch Fermente
gebildete Zucker wahrscheinlich mit Maltose identisch ist. Endlich
4) Biologisches Centralblatt, II. Bd., Nr. 19.
Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 467
lehrte auch eine Reihe von Versuchen, dass der Zuckerbildungs-
prozess in der Leber, der noch 24—48 Stunden nach dem Tode des
Tieres fortbesteht, den Zuckergehalt der Leber von 0,5 auf 3°/, und
darüber zu bringen vermag, während der Glykogengehalt innerhalb
dieser Zeit ganz unverändert bleibt. Das Material für die Zucker-
bildung musste also notwendigerweise ein anderes sein.
Es ist mir zunächst gelungen nachzuweisen, dass bei Pepton-
fütterungen, bei Peptoninjektionen, und bei Einwirkung von Leber,
die durch arterielles Blut lebend erhalten wurde, auf Pepton die
Zuckerbildung gesteigert wird, dass also die Leber im stande ist, auf
kosten von Pepton Zucker zu bilden. Auch über diese Versuche habe
ich in diesen Blättern Mitteilung gemacht ').
Durch diese Arbeiten war nun bewiesen, dass die Rolle, die dem
Glykogen bei der Zuckerbildung in der Leber zugeschrieben wurde,
keine solide Basis habe. Wir sahen Zuckerbildung vor sich gehen,
ohne dass das Glykogen in seinem Bestande verringert wurde, und
wir lernten durch das Experiment, dass die Leber die Fähigkeit be-
sitzt, durch die Spaltung eines Eiweißkörpers Zucker zu bilden. Damit
ist aber die Frage nicht gelöst, in welcher Weise die Leber des leben-
den Tieres den Zucker bereitet. Weil die Möglichkeit für die Leber
erwiesen ist, aus einem Albuminate Zucker zu bereiten, ist damit noch
nicht festgestellt, dass die Albuminate wirklich das Material für diese
Umsetzung abgeben. Weil das Glykogen nicht so labil ist, wie es
nach Experimenten im Laboratorium den Anschein hat, ist damit nicht
erwiesen, dass es nicht in langsamer Umwandlung im Tierkörper den
Blutzucker liefern könne, und wenn die Natur des Leber- und Blut-
zuckers dagegen sprieht, dass derselbe durch ein Ferment entstanden
sei, so ist damit nur erwiesen, dass unsere Vorstellung über den Um-
wandlungsvorgang des Glykogens in Zucker eine irrige war. Es ist
aber nicht ausgeschlossen, dass die Umwandlung in einer andern Weise,
etwa durch eine schwache Säure zu stande kommen und als Resultat
Traubenzucker entstehen könne. Ich habe mir daher die Aufgabe
gestellt, die Zuckerbildung in der Leber unter den verschiedensten
Ernährungsbedingungen zu studieren, in der Hoffnung, dass es da-
durch möglich sein wird, mit Bestimmtheit zu erkennen, aus welchem
Materiale der Zucker gebildet wird, und über diese Versuche will ich
hier berichten. Die Versuche wurden ausschließlich an Hunden an-
gestellt. Die Versuchsdauer schwankte zwischen 8—10 Tagen. Es
wurden 43 Tiere für die Versuche verwendet. Die Versuche zerfielen:
A) in Hungerversuche, B) Fütterung mit Stärke, C) Fütterung mit
Zucker, D) Fütterung mit Dextrin, E) Fleischfütterung, F) Fett-
fütterung.
Zum Schlusse jeder Fütterungsperiode wurde der Zuckergehalt des
1) Biolog. Centralblatt, II. Bd., Nr. 19.
>0=
468 Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet.
Carotisblutes, des Pfortader- und Lebervenenblutes bestimmt. Die beiden
letztgenannten Blutarten wurden nach früher angegebenen Methoden!)
sorgfältig getrennt gesammelt, durch essigsaures Natron und Eisen-
chlorid enteiweißt, und der Zucker durch Fütterung mit Fehling’scher
Lösung und durch Gärung bestimmt. Die Details der Versuche finden
sich in den Originalabhandlungen ?).
A) Hungerversuche.
Ich habe 8 Hungerversuche angestellt. Die Hungerperiode war
von 6—10 Tagen (Versuch VI 10 Tage), die Tiere bekamen inner-
halb dieser Zeit nur Wasser nach Belieben. Das Tier, welches 10 Tage
gehungert hatte, war zuletzt so schwach, dass es nur mühsam vom
Käfig ins Laboratorium wankte. Bei 8 Hungertieren wurde der Harn
während der ganzen Periode oder während des größten Teiles der-
selben gesammelt, und täglich der im Harn befindliche Stickstoff in
dem von Seegen-Schneider angegebenen Apparate bestimmt.
Die wichtigsten Resultate gibt die nachstehende Tabelle.
aa = - | Stickstoff-
Es 05 un menge || Gesammt-
>" || Anfang | Ende | Carotis | Porta |Lebervene ‚ harns
I 12 10,7 0,144 0,133 0,350 = =
ul % 128 | 0,200 | 0,166 0,268 = ai
II 8,5 7,5 0,172 0,163 0,424 300 11,7
IV 411,2 8,9 0,200 0,171 0,279 450 10,2
V 13,0 11,0 |! 0,140 0,132 0,215 830 || 35,3
VIENNA IS 16,2 0,108 0,091 0,156 14907 ,17.59,8
vu 12,8 10,5 || 0,148 0,169 0,190 1770 33,8
VII 10,9 7,8 0,148 0,156 0,200 40 | 141
Mittel: 0,157 | 0,147 | 0,260
Die wichtigsten Ergebnisse dieser Versuche sind: 1) Bei allen
Hungerversuchen ist das Lebervenenblut reicher an Zucker als das
Pfortaderblut. Das Lebervenenblut enthält nahezu die doppelte Menge
Zucker. Selbst in dem Versuche VI, der 10 Tage gedauert hat, bei
welchem das Tier fast sterbend und der Zuckergehalt der Pfortader
unter 0,1°/, gesunken war, enthielt das Lebervenenblut 0,156 %/,, es
waren also in der Leber mehr als 50 °/, Zucker hinzugekommen.
Die Zuckerbildung in der Leber dauert bis zum Ina-
nitionstode fort.
2) Die Zuckerbildung während des Hungerns kann unmöglich
auf kosten von früher eingeführten und etwa im Körper in irgend
einer Form aufgespeicherten Kohlehydraten stattfinden. Denken wir
uns z. B., die Leber des Versuchstieres VI hätte beim Beginn des
Hungerns 10°/, Glykogen enthalten, es ist dies nahezu die größte
1) Biologisches Centralblatt, IV. Bd., Nr. 20.
2) Pflüger’s Archiv für Physiologie, Bd. XXXVII und Bd. XXXIX.
Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 469
Menge des nach Kohlehydratfütterung gefundenen Glykogengehaltes.
Bei einer Lebergröße von etwa 300 g würde der Glykogengehalt
derselben 30 g betragen. Dazu wäre auch zu rechnen der Glykogen-
gehalt der Muskeln. Dieser schwankt nach O. Nasse in den ein-
zelnen Muskelpartien des Hundes zwischen 0,7—0,9 /,. Bei einem
Tiere von 20 kg und dem Muskelbestand von 45°/, (nach Voit) würde
dies 90 g Glykogen im Maximum betragen. Nach Messungsversuchen,
die ich ausgeführt habe, und die in meiner Arbeit „Ueber Zucker im
Blute“ früher mitgeteilt wurden, wird die Leber eines 10 kg schweren
Tieres von 230 Liter Blut in 24 Stunden durchströmt, und wenn die
Zuckeraufnahme in der Leber auch nur 0,05°/, betragen würde, wäre
die Zuckerausfuhr in 24 Stunden 115 g. Das gesamte Glykogen
würde also eben ausreichen, um für etwa 24 Stunden genügendes Ma-
terial für die Zuckerbildung zu liefern.
Es ist also zweifellos, dass das hungernde Tier aus seinem Organ-
bestande das Material für die Zuckerbildung hergegeben hat.
3) Die Stiekstoffausscheidung durch den Harn war eine sehr
wechselnde. Bei jenen Versuchstieren, welche eirca 2 g Stickstoff
des Tags ausschieden, würde diese Ausscheidung einem Fleischumsatz
von eirca 50—60 g per Tag entsprechen. Der Kohlenstoffgehalt
dieses Fleisches würde für die Zuckerbildung des Tags nicht genügen.
Es ist also wahrscheinlich, dass auch andere nicht stickstoffhaltige
Organbestandteile und speziell Fettgewebe sich an der Stickstoffbildung
beteiligen.
B) Fütterung mit Stärke.
Die Tiere erhielten, nachdem mehrere Hungertage vorausgegangen
waren, täglich 250 g eines aus Reisstärke und Wasser bereiteten
Kuchens — 150 g Stärke. In zwei Versuchen wurde statt des
Stärkekuchens Kartoffelkuchen oder Reiskuchen in gleicher Quantität
angewendet. Die nachstehende Tabelle enthält die gewonnenen Resultate.
| |
.. Stunden
a s | I ne zwischen || Körpergewicht Zuckergehalt
2 = dauer Versuch in Kilogramm in Prozenten
e = in Tagen und letzter |
| Fütterung) Anfang | Ende | Carotis | Porta Lebervene
IX 4 19 | 11,8 —_ 0,152 0,158 0,409
x 6 124 | 135 13,0 0,149 0,123 0,215
xI Zi linatluilasl 298:8 1,5,1611,,0,142).1..0,120%., 0,183
XI % | 3 ı 10,5 11,8 0,129 , 0,120 | 0,346
Xıll 5 | | 16,2 15,8 0,147 0,170 0,252
XIV 5 15 | 8,8 82 || 0,138 | 0,138 | 0,241
XV 6 31a | 9,7 9,3 —_ 0,120 | 0,190
XVI || 7 7 | 7,4 12 0,205 0,207 0,270
XVII 7 4 | 9,1 8,7 0,164 0,170 0,250
Mittel: 0,150 | 0,144 | 0,261
470 Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet.
Als Resultat ergibt sich: 1) das Lebervenblut enthält wieder be-
trächtlich mehr Zucker als das Blut der Pfortader. Das Mittel aus
allen Versuchen ergibt: 0,144 °/, Zucker für die Pfortader und 0,261
für die Lebervene.
2) Die Versuche beweisen auf das entschiedenste, dass der Leber-
venenzucker nicht vom Nahrungszucker bezw. von den eingeführten
Kohlehydraten herrührt, da ja sonst die Lebervene keine größere
Menge Zucker ausführen könnte, als die Einfuhr in die Leber beträgt.
Es müsste sogar die Ausfuhr eine geringere sein, weil ein Teil der
zugeführten Kohlehydrate zur Glykogenbildung verwendet wurde.
C) u. D) Zucker- und Dextrinfütterung.
Die Tiere erhielten, nachdem sie 41 Stunden gefastet hatten, täg-
lich morgens 100 g Zucker in Substanz, die meisten Tiere fraßen
diese Menge rasch und bekamen nachher Wasser nach Belieben. Drei
der Versuchstiere waren die ganze Zeit über im Käfig (mit Ausnahme
der Fütterungszeit), der Harn wurde gesammelt und auf Zucker unter-
sucht. Die vier letzten Versuchstiere (in der Tabelle mit * bezeichnet)
erhielten Zucker und Dextrin je 88 g in Form eines Breies, oder
die gleichen Quantitäten in Form eines Kuchens. Nachstehende Tabelle
enthält die gewonnenen Resultate:
\ .. Stunden
a : a Zwischen Körpergewicht Zuckergehalt
7 3 dauer |) Versuch in Kilogramm in Prozenten
E S in Tagen end letzter
‚Fütterung | Anfang | Ende | Carotis | Porta |Lebervene
XVII 6 2 9,5 8,0 0,156 0,200 0,299
XIX 4 2 7,8 7,6 0,180 0,250 0,359
xx 5 a, 8,4 81 | 0,161 | 0,136 | 0,250
XXI 8 | 3 — —_ 0,163 0,176 0,238
XXH 6 25 9,2 3 0,169 0,209 0,196
XXIII 7 4 —_ — —_ 0,144 0,250
XXIV* | ) 3 20,6 19,2 0,162 0,264 0,272
xXXV* 4 2.0 10,9 11,0 0,185 0,320 0,347
XXVI* 5 3 8,6 8,4 0,128 0,192 0,367
xXVIe| 5 A 16,0 15,6 || 0230 | 0,258 | 0,294
Mittel: 0,214 | 0,287
Die gewonnenen Resultate sind folgende: 1) Bei Zuckerfütterung
wie bei Dextrinfütterung ist der Zuckergehalt des Pfortaderblutes
weit größer als bei allen andern Fütterungsarten. Der Zuckergehalt
ist am beträchtlichsten, wenn man das Pfortaderblut bald nach der
Fütterung untersucht. Es gilt dies speziell für Zuckerfütterung. Die
Zuckerresorption ist nämlich eine sehr rasche, und das nach 2 bis
2'/, Stunden untersuchte Pfortaderblut ist am reichsten mit Zucker
befrachtet. In den spätern Stunden wird die Resorption eine sehr
geringe und allmähliche, so dass sie in dem Pfortaderblut kaum mehr
ziffermäßig nachzuweisen ist und dasselbe ungefähr denselben Zucker-
gehalt zeigt wie in den Stärke- und Hungerversuchen.
Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 41
2) Das Lebervenenblut enthält im Mittel aller Versuche einen
größern Zuckergehalt als das Pfortaderblut, doch ist das Zuckerplus
beträchtlich geringer als bei den andern Fütterungsarten, und in ein-
zelnen Versuchen ist der Zuckergehalt der beiden Blutarten nahezu
einander gleich; und so konnte es kommen, dass Bleile'), der nur
bei Zucker- und Dextrinfütterung die beiden Blutarten auf ihren Zucker-
gehalt untersuchte, zu dem Ausspruche gelangen konnte, dass „die
Leber weder mehrend noch mindernd auf den von der Pfortader zu-
gebrachten Zucker wirke“. Aber eine einfache Erwägung zeigt, dass
auch in diesen Ausnahmefällen das Lebervenenblut nebst dem Nah-
rungszucker auch solchen enthalte, der in der Leber gebildet wurde.
Bei Zucker- und Dextrinfütterung wird nämlich der größte Glykogen-
gehalt der Leber gefunden; in meinen Versuchen enthielt die Leber
8—13 %), Glykogen. Dieses Glykogen wurde aus dem mit der Pfort-
ader zugeführten Zucker gebildet und in der Leber deponiert. Wenn
nun das ausführende Blut auch nur die gleiche Menge Zucker ent-
hält als das zuführende, muss es doch einen Teil und zwar jenen,
der dem deponierten Glykogen entspricht, in der Leber aufgenommen
haben.
3) Bei einer Reihe von Versuchen mit ausschließlicher Zucker-
fütterung habe ich?) nachgewiesen, dass der Harn sowohl Rohrzucker
als Invertzucker in mäßiger Menge enthält.
E) Fleischfütterung.
Es wurden acht Hunde ausschließlich mit Fleisch gefüttert. Sie
erhielten nach 24stündigem Hungern täglich 500 g Fleisch, am Ver-
suchstage 300 g. Zwei bis drei Stunden nach der Fütterung wurde der
Versuch ausgeführt. Das Lebervenenblut wurde in fünf Versuchen
mittels Kanüle entzogen. Nachstehende Tabelle enthält die gewon-
nenen Resultate:
Tersuche® ee Kurnergewieht Zuukerzeialt
nummer n a in Kilogramm in Prozenten
msn | Anfang | Ende | Carotis | Porta | Lebervene
XXVII 7 13,3 13,4 0,185 0,192 0,265
xXAIX Ü 8,2 8,2 0,155 0,141 0,430
XXX 7 9,2 9,2 0,130 0,143 0,300
XXXI 8 9,5 9,9 0,161 0,110 0,230
XXXII 8 1345 13,8 0,167 0,137 0,200
XXXII 7 | 40,7 9,8 | 0,151 | 161 | 0,210
XXXIV 7 13,0 rt 0,137 0,101 0,230
XXXy | 10 8.9 8.2 0,158 | 0,145 | 6,384
Mittel: 0,155 | 0,141 | 0,281
1) Bleile, Ueber den Zuckergehalt des Blutes in Du Bois Reymond’s
Archiv f. Physiol., 1879.
2) Seegen, Ueber Zucker im Harn bei Rohrzuckerfütterung. Pflüger’s
Archiv für Physiol. Bd. XXXVI.
472 Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet.
Der Zuckergehalt des Lebervenenblutes ist bei Fleischfütterung
doppelt so groß als der der Pfortader.
F) Fettfütterung.
Die Tiere erhielten 200—250 g Schweinefett täglich. Das erste
und zweite Versuchstier erhielten in den ersten Tagen noch außerdem
100 g Fleisch, alle spätern Tiere 50 g Fleisch, vom 3. oder 4.
Fütterungstage angefangen wurde die Fleischration verringert und in
den letzten drei Fütterungstagen nur Fett gegeben. Drei Versuchs-
tiere wurden in einem Käfig gehalten, dort gefüttert, aller Harn ge-
sammelt und in demselben wie in dem Wasser, mit welchem der Stall
zuletzt ausgespült wurde, der Stickstoff bestimmt. Die Lebern der
Tiere kennzeichneten sich schon makroskopisch als exquisite Fett-
lebern, bei einigen wurde der Fettgehalt mit einem Soxhlet’schen
Extraktionsapparat bis zur vollständigen Erschöpfung extrahiert und
die Quantität desselben bestimmt. Derselbe betrug von 11 bis 26°/,.
Nachstehende Tabelle gibt die gewonnenen Resultate:
Fütte- | Körpergewicht Zuckergehalt I N-Gehalt
Versuchs- : F
nummer | TUngS-| in Kilogramm in Prozenten menge |des Harns
ar Anfang | Ende || Carotis| Porta |Lebervene es
XXXVI ü 10,4 | 10,6 || 0,145 | 0,104 0,202 _ _
XXXVI 8 14150. |,11.4 110,147 | 0,128 0,230 — —
XXXVII 7 11,5 10,0 || 0,155 | 0,129 oa22 | — _
XXXIX | 10 15,0 19,8: 4 10,150=.50,109 0,210 e— --
x n12 10,0 9,8 ı 0,100 | 0,100 0,156 | — —_
XLI 9 19,8. [5.45,6% | 0,145 10,120 0,270 1800 13,8
XL 7 19,8: 511,60 1910,12920:144 0,256 1310 | 14,6
XLII 9 11,7 | 115 || 0,150 | 0,114 | 0,196 || 950 || 15,0
Mittel: 0,128 [0,114 0,217
Die Resultate sind folgende: 1) Das wichtigste Resultat ist, dass
bei Fettfütterung das aus der Leber strömende Blut nahezu doppelt
so viel Zucker enthält als das in dieselbe eintretende. Es drängt sich
nun zunächst die Frage auf, aus welcher Quelle dieser Zucker seinen
Ursprung nimmt. Die Versuchstiere hatten im Durchschnitt ein Körper-
gewicht von 10—12 kg; einige derselben hatten ein Körpergewicht
von über 15 kg. Auf Grundlage früher mitgeteilter Messungen würde
die Blutmenge, welche innerhalb 24 Stunden die Leber durchströmt,
mindestens 200 Liter betragen, und wenn die Zuckeraufnahme in der
Leber auch nur 0,1 °/, beträgt, würden diese Tiere innerhalb 24 Stun-
den 200 g Zucker aus der Leber in den Kreislauf geführt haben.
Es ist undenkbar, dass diese Zuckermenge sich auf kosten von
Kohlehydraten, bezw. Glykogen, welches im Körper aufgespeichert
war, gebildet hat; wenn selbst, was niemals der Fall war, der Fett-
Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 413
fütterung eine Zuckerfütterung vorausgegangen wäre, konnten in der
Leber eines 12 kg schweren Tieres, dessen Lebergewicht 420 g be-
trägt, bei einem 10 prozentigen Glykogengehalt nur 42 g Glykogen
angehäuft sein. Wenn wir den gesamten Glykogengehalt der Muskeln
hinzuaddieren, würde der Glykogenbestand eirca 90 g betragen, und
dieser würde nicht genügen, um auch nur für einen Tag ausreichen-
des Material zur Zuckerbildung zu liefern.
Es wäre nun denkbar, dass die Zuekerbildung während der Fett-
fütterung aus der Spaltung von Eiweißkörpern hervorgegangen sei.
Ich habe zu diesem Zwecke in drei Versuchen während der ganzen
Fettfütterung den Harn gesammelt und die in diesem enthaltene Stick-
stoffmenge bestimmt. Es waren in jedem der drei Versuche eirca
15 & Stiekstoff ausgeschieden. Diese Menge Stickstoff entspricht
100 g Eiweißkörper oder 400 g Fleisch. Nun bedarf es aber zur
Bildung von 200 g Zucker so viel Kohlenstoff, als in 300 g Fleisch
enthalten ist. Mit der Menge des während der ganzen Versuchsperiode
umgesetzten Fleisches hätten, wenn selbst der gesamte Kohlenstoff
des Fleisches für die Zuckerbildung verwendet worden wäre — was
nicht denkbar ist, da für die Bildung des Harnstoffes ein Teil be-
nutzt wird — kaum 130 g Zucker gebildet werden können, also lange
nicht so viel, als in einem Tage ausgeschieden wird. Es ergibt sich
aus diesen Erwägungen mit zwingender Notwendigkeit, dass das mit
der Nahrung eingeführte Fett das Material ist, aus wel-
chem die Leber Zucker gebildet hat. Damit ist nun auch
erklärt, in welcher Weise die Leber des hungernden Tieres Zucker
zu bilden vermag. Die oben angeführten Hungerversuche lehrten, dass
das während des Hungerns umgesetzte Fleisch lange nicht ausreiche
als Material für die Zuckerbildung. Ein großer Teil des von dem
Hungertiere ausgeschiedenen Zuckers stammt gewiss aus dem ver-
brauchten Fette. Es stimmt damit auch die Erfahrung, dass das
hungernde Tier nahezu seinen ganzen Fettbestand verliert (nach
Voit 97°/,), während die Muskeln sich nur mit 30°), an dem Ver-
luste beteiligen.
Die Thatsache, dass Zucker aus Fett entstehe, ist neu und
nicht im Einklange mit den bisherigen chemischen und physiolo-
gischen Vorstellungen, und wenn dieselbe sich auch aus unsern
Nährungsversuchen mit zwingender Notwendigkeit ergibt, schien
es mir doch von Interesse, die Umbildung von Fett in Zucker
durch die Kraft der Leberzelle experimentell nachzuweisen, und ich
habe zu diesem Zwecke eine Reihe von Versuchen angestellt!). Die
Versuche wurden in gleicher Weise ausgeführt, wie diejenigen, bei
welchen ich die Zuckerbildung aus Pepton nachgewiesen habe?) und
1) Seegen, Ueber die Fähigkeit der Leber, Zucker aus Fett zu bilden,
Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol Bd. XXXIX.
2) Biolog. Centralblatt, I. Bd., Nr. 19.
ATA Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet.
zwar durch Zusammenbringung der fein zerschnittenen Hundeleber mit
einem Fettkörper und einer Quantität von Blut, welches durch Aspiration
durch viele Stunden arteriell erhalten wurde. Inbezug auf die Details
der Versuche, speziell inbezug auf die Methode, den Zucker zu be-
stimmen, möchte ich auf die zitierte Originalarbeit verweisen. Aus
zehn Versuchen ergab sich ausnahmslos, dass die mit Fett behandelte
Leber mehr Zucker enthält, als das in gleicher Weise mit Ausschluss
von Fett behandelte Kontrolstück. Die Zuckerzunahme ist meist eine
beträchtliche, im Durchschnitt aus zehn Versuchen beträgt die Zu-
nahme nahezu 50°/,. Ich habe auch darüber Versuche angestellt,
welcher Bestandteil des Fettes sich an der Zuckerbildung beteilige
und statt des Fettes die Leber mit Glyzerin, mit Seifen und Fett-
säuren in vorhergenannter Weise in Verbindung gebracht. Abermals
war ausnahmslos ein Zuckerplus im Vergleiche zum Kontrolstück
nachzuweisen.
Die Thatsache, dass aus Fett Zucker entstehen könne, hat für
uns ein doppeltes Interesse: a) Wir sehen dadurch die Wirkungs-
sphäre der Leber inbezug auf Verwertung der Nahrungsmittel bedeu-
tend erweitert; b) die Thatsache hat aber auch ein großes biologisches
Interesse, indem sie uns eine neue Analogie zwischen dem Stoffumsatze
des Tieres und der Pflanze kennen lehrt. Sachs hat bereits im
J. 1859 nachgewiesen, dass bei der Keimung fetthaltiger Samen auf
kosten des Fettes Stärke und Zucker gebildet wird. Die Thatsache,
die nach Sachs’ Ausspruch „sowohl in chemischer wie in physio-
logischer Beziehung viel Ueberraschendes“ hatte, ist heute von allen
Botanikern anerkannt und wird durch ein einfaches sehr hübsches
Schulexperiment gezeigt. In einem aus Oelsamen im dunkeln ge-
zogenen Keimling werden die Kotyledonen du:ch Jodtinktur tief blau
gefärbt, das Fett des Samens ist verschwunden, und in dem Keime,
speziell in den Kotyledonen hat sich Stärke angehäuft. Hoffentlich
wird auch die Thatsache, dass die Leber aus Fett Zucker bildet, die
heute noch Chemiker wie Physiologen überraschen dürfte, bald all-
gemein anerkannt werden und damit abermals eine Kluft ausgefüllt
sein, die das Tier- vom Pflanzenleben trennt.
Ich möchte nun die Ergebnisse meiner Ernährungsversuche in
Kürze resumieren.
Ich habe in 7 Fütterungsreihen an 43 Hunden den Zuckergehalt
des in die Leber strömenden und des aus der Leber strömenden
Blutes bestimmt. Wenn dazu noch jene Versuche an 13 Hunden ge-
zählt werden?), bei denen ich zuerst das Verhältnis im Zuckergehalte
der Vena Porta und der Lebervene bestimmt habe, und die, vom Hunde-
händler bezogen, bei mir entweder einen Tag gehungert oder Fleisch
erhalten hatten, erstrecken sich meine Versuche in Summe auf 56 Tiere.
4) Biologisches Centralblatt, Bd. IV, Nr. 20.
Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet. 475
Die nachstehende kleine Tabelle enthält übersichtlich die inbezug auf
den Zuckergehalt erlangten Resultate.
Eu Zuckergehalt Zuckerplus
= S Art der Ernährung in Be ie im a
= ; ort- eber- relativ
S > Carotis ader vene absolut in Proz.
13 | gewöhnl. Hundefutter —_ 0,119 0,230 0,111 93
8 Hunger 0,157 0,147 0,260 0,113 76
9 Stärke 0.150 0,147 0,261 0,114 77
6 Zucker 0,165 0,186 0,265 0,079 42
4 | Dextrin und Zucker 0,176 0,258 0,327 0,069 26
8 Fleisch 0,155 0,141 0,281 0,140 99
8 Fett 0,128 0,114 0,217 0,113 90
56
Die wichtigsten Ergebnisse meiner Versuche sind: 1) Das aus
der Leber strömende Blut enthält ausnahmslos mehr
Zucker als das in die Leber gelangende Blut. Bei reicher
Zucker- oder Dextrinnahrung gelangt zumal in den ersten auf die
Fütterung folgenden Stunden so viel Zucker ins Pfortaderblut und
mit diesem in die Leber, dass dadurch die Zuekerzunahme in der
Leber nahezu verdeckt wird, dass sogar in einzelnen, 2—2!/, Stunden
nach diesen Fütterungen angestellten Versuchen der Zuckergehalt
des ein- und ausströmenden Blutes gleich ist. Wenn man aber der
Ueberlegung Raum gibt, dass von diesem eingeführten Zucker ein
großer Teil in der Leber als Glykogen zurückgehalten wird, muss
man erkennen, dass der ausgeführte Zucker, wenn er auch ziffermäßig
dem eingeführten vollkommen gleich ist, doch nicht bloß Nahrungs-
zucker, sondern dass ein Teil desselben in der Leber produzierter
Zucker ist. Schon vier Stunden nach der Zuekerfütterung ist die
Hochflut der Zuckereinfuhr vorüber, und die Zuekerproduktion der
Leber kommt in den Ziffern zur Geltung, indem die Ausfuhr fast
doppelt so groß ist als die Einfuhr. Als Durchschnitt aus allen Zucker-
und Dextrinfütterungen ergibt sich noch immer ein Plus von 26-42],
in dem Lebervenenzucker gegen den Zuekergehalt der Pfortader. Bei
allen andern Fütterungsformen, etwa mit Ausnahme der Fleischfütte-
rung, scheint die Zuckerbildung in der Leber gleichmäßig groß zu
sein, das Zuckerplus des Lebervenenblutes schwankt in den verschie-
denen Fütterungsformen in den engen Grenzen zwischen 0,111—0,114°],.
Diese letzte Ziffer gehört den Hungerversuchen an, und sie beweist,
dass auch während des Hungerns die Zuckerbildung in der Leber
gleichmäßig fortdauert. Nur bei Fleischfütterung scheint eine etwas
reichere Zuckerbildung stattzufinden, die absolute Steigerung des
Zuckergehaltes im Lebervenenblute beträgt 0,141°/,, und prozentisch ist
476 Seegen, Material, aus welchem die Leber Zucker bildet,
der Zuckergehalt des Lebervenenblutes nahezu doppelt so groß als
in der Pfortader.
2) Der in der Leber neugebildete Zucker ist vom Nah-
rungszucker wie von den mit der Nahrung eingeführten
Kohlehydraten vollständig unabhängig. Diese Thatsache
wird vor allem durch alle jene Fütterungsversuche festgestellt, bei
welchen keine Spur von Zucker oder von Kohlehydraten mit der
Nahrung eingeführt wurde.
3) Auch das Leberglykogen ist an der Zuckerbildung
in der Leber unbeteiligt. Das wird bewiesen a) durch jene
Fütterungsversuche, bei welchen nahezu kein Glykogen gebildet wurde,
insbesondere durch die Fettfütterungsversuche; b) durch die Hunger-
versuche, bei denen das Glykogen sehr rasch auf ein Minimum sinkt
und endlich ganz schwindet, während die Zuckerausfuhr bis zum
Inanitionstode fortbesteht; e) endlich auch durch die Fütterungs-
versuche mit Kohlehydraten, speziell bei Stärkemehl-Nahrung. Würde
der Leberzucker aus dem Glykogen entstehen, könnte, da letz-
teres nur aus einem Teile der eingeführten Kohlehydrate gebildet
wurde, auch nicht ein Atom mehr Zucker aus der Leber ausgeführt
werden, als in Form von Kohlehydraten mit der Nahrung eingeführt
wurde.
4) Eiweiß und Fett sind das Material, aus welchem
die Leber den Zucker bildet. Die Zuckerbildung aus Albumi-
naten wird durch die Fleischfütterungsversuche erwiesen. Die Tiere,
die ausschließlich mit Fleisch gefüttert worden, hatten den reichsten
Zuckergehalt im Lebervenenblute. Die Zuckerbildung aus Fett wird
illustriert: a) durch die Fettfütterungsversuche und b) durch die Hunger-
versuche. Bei beiden Versuchsreihen ist die Stickstoffausscheidung
eine so geringe, dass der ausgeführte Zucker nicht auf das umge-
setzte Fleisch als einziges Bildungsmaterial zurückgeführt werden
kann. Da bei Hunger- wie bei Fettfütterung das Glykogen in ver-
schwindend kleiner Menge auftritt, kann auch dieses nicht als Quelle
für die Zuckerbildung angesehen werden, und es ergibt sich mit
zwingender Notwendigkeit, dass aus dem Fette Zucker entstehen muss.
Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, dass beim Hungern beide
Bildungsmateriale, Fleisch und Fett, für die Zuckerbildung herbei-
gezogen werden, und der Umstand, dass bei langen bis zum Inanitions-
tode fortgesetzten Hungerperioden mehr als 90°), des Körperfettes
verschwinden, dürfte darauf hinweisen, dass grade Fett das Haupt-
kontingent für diese wichtigste Stoffwechselfunktion bildet.
In gleicher Weise möchte es in dieser leichtern Umsetzung des
Fettes in Zucker seine Erklärung finden, dass Fettnahrung in so
hohem Grade im stande ist, den Fleischumsatz zu reduzieren.
Es ist damit die große Bedeutung des Fettes für den Stoffwechsel
nur angedeutet. Die volle Darlegung dieser Bedeutung, wie sie sich
Maupas, Fortpflanzung von Infusorien. ATT
aus den Beziehungen der einzelnen Nahrungskörper zur Zuckerbildung
ergibt, und die Folgerungen für die praktische Diätetik sollen den
Gegenstand einer spätern Arbeit bilden.
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
Acad&mie des Sciences de Paris; Sitzung v. 6. September 1886.
Neue Beobachtungen, welche Herr E. Maupas an Paramaecium caudatum
gemacht hat, brachten denselben auf eine wichtige Thatsache, welche ihm
bisher entgangen war. Danach vereinigen sich die Kernkörperchen zweier
Individuen, welche vorher mit einander sich verbanden. Aus dieser Vereinigung
entsteht also ein neues Kernkörperchen von zweierlei Ursprung, und von diesem,
oder vielmehr von dessen Nachkommen stammen die neuen Nucleoli und Nuclei der
wieder von einer getrennten Paramaecien ab. Nach Beobachtungen an Kuplotes
patella ferner teilt Maupas mit, dass innerhalb einer Zeit von vier Stunden
nach vollzogener Zusammenlegung und wieder erfolgter Trennung der Individuen
eine Erneuerung sämtlicher Körperanhänge stattfinde.
Die Art der Zusammenlegung (Konjugation) erklärt nach M. endlich die
wahre Bedeutung des Kerns und des Kernkörperchens bei den Infusorien.
Danach sind die Ciliaten und die Acineten die einzigen Lebewesen, bei
denen man das Vorhandensein von zwei untereinander so grundverschiedenen
Kernelementen festgestellt hat. Diese Verschiedenheit entspricht einer Teilung
der physiologischen Aufgabe des Kernapparats. Wir wissen heute, dass der
Kern das vornehmste, wenn nicht das einzig wirksame Agens ist für die ge-
schlechtliche Befruchtung. Bei den Ciliaten ist diese Funktion ganz auf das
Kernkörperchen beschränkt, das hier einen hermaphroditischen Geschlechts-
apparat darstellt. Im gewöhnlichen Zustande, im Zustande der Ruhe gar keine
Rolle spielend, schrumpft es zu äußerster Kleinheit zusammen. In den Zeiten
der Geschlechtsreife aber entwickelt es sich beträchtlich und macht eine Reihe
von Veränderungen durch, welche die geschlechtliche Befruchtung höherer Lebe-
wesen in ihren wesentlichen und allgemeinen Zügen wiederspiegelt Man beob-
achtet dabei eine Abstoßung abgenutzter Teilchen und sieht einen Unterschied
hervortreten in einen befruchtenden und einen befruchteten Teil, ersterer
durch gegenseitige Auswechselung von einem der mit einander verbundenen
Individuen zum andern hinübergesendet. Endlich sieht man auch die Vereinigung
und völlige Verschmelzung dieser beiden Elemente, woraus dann ein neuer
Kern aus beiden hervorgeht, welcher dem befruchteten Ei verglichen werden
kann. Die Entwicklungsstufen, welche diesem Austausche der Kernkörperchen
vorausgehen, haben keinen andern Zweck, als diesen geschlechtlichen Akt
vorzubereiten; und diejenigen, welche ihm nachfolgen, sind dazu bestimmt,
die den Ciliaten eigentümliche Zweiheit in den Kernelementen wiederherzustellen.
478 Bayliss und Bradford, Elektrische Erscheinungen bei Drüsensekretion.
Asper und Heuscher, Eine neue Zusammensetzung der
„pelagischen“ Organismenwelt.
Zoologischer Anzeiger, Nr. 228.
Die Verfasser untersuchten im Auftrage der naturforschenden Gesellschaft
St. Gallen die in jenem Kanton gelegenen Seen auf ihre Tierwelt. Vor Beginn
dieser Arbeit prüften sie ihre Apparate, darunter aus sehr feinem Seidenbeutel
bestehende „pelagische Netzchen“, im Züricher See. Die trocken gemessene
Maschenweite dieser Netzchen beträgt nicht mehr als 15 Mikromillimeter. Ab
und zu erhielten die Verf. als Rückstand in denselben eine „trübe, gelbbraun
gefärbte Flüssigkeit, die in ihrem Aussehen am ehesten an frisch gepressten
Apfelmost erinnert“. Bei der mikroskopischen Betrachtung ergab dieser Rück-
stand in jedem Tropfen ungezählte Mengen zweier Dinobryon- Arten, der
Astrionella formosa Hass., Ceratium hirundinella Müll., Heliozoen und Dia-
tomeen, von letztern Fragilaria, Synedra, Nitzschia, Suritella. Im Züricher See
blieb das Ergebnis stets dasselbe, ob der Fang nachts oder am Tage, im offnen
Wasser oder an seichten Uferstellen geschah. Diese Mikrofauna aber fehlte
völlig nach den Untersuchungen der Verf. in kleinen Wasserbecken; sie scheint
demnach nur großen Wasserflächen anzugehören.
W. Maddock Bayliss und J. Rose Bradford, 'T'he electrical
Phenomena accompanying the process of secretion in the
salivary glands of the dog and cat.
Proceed. of the royal society. Vol. XL. Nr. 243. 1886. S. 203.
An der Submaxillar- und Parotisdrüse von Hunden und Katzen fanden die
Verfasser beim Hunde meist die äußere Oberfläche der Drüse negativ gegen
den Hilus, bei der Katze dagegen in der Regel das Umgekehrte. Bei Reizung
der Chorda tympani zeigt die Submaxillardrüse des Hundes eine negative Span-
nung der Oberfläche gegen den Hilus (vermutlich war der Ruhestrom vorher
kompensiert. Ref.), welcher zuweilen eine zweite Phase schwächerer entgegen-
gesetzter Spannungsdifferenz folgt. Nach Atropineinspritzung in die Pleura-
höhle geht die erste Phase schnell, später und nach größern Dosen auch die
zweite verloren. Bei Sympathicusreizung wird die Außenfläche positiv gegen
den Hilus; Atropin hat auf diese Sympathieuswirkung keinen Einfluss; sie ist
schwächer, kommt später und verläuft langsamer als die Chordawirkung. Bei
der Katze ist die Chordawirkung im wesentlichen dieselbe wie beim Hunde,
nur dass die zweite Phase niemals fehlt und meist sogar stärker ist als die
erste. Wo die erste Phase stark ausgeprägt war, war die Absonderung stets
sehr wässerig; umgekehrt bei zäher Absonderung fiel die erste Phase schwach
aus. Der Sympathicus wirkt im wesentlichen gleich, nur ist die erste Phase
meist stärker. Atropin bewirkt Ausfall der ersten Phase und bei größern
Dosen auch der zweiten. Aehnlich waren die Erfolge an der Parotis.
Wooldridge, Intravaskulare Gerinnung. 479
Alles in allem folgt aus den Versuchen, dass immer, wenn die Reizung
eine reichliche wässerige Sekretion veranlasste, die erste Phase überwiegt, bei
spärlicher, zähflüssiger Sekretion dagegen die zweite.
J. Rosenthal (Erlangen).
Wooldridge L. C., On intervascular Clotting.
Proceed. of the royal society. Vol. XL. Nr. 243. 1886. 8. 134.
Aus dem Hoden und der Thymusdrüse des Kalbes hat W. eine Substanz
dargestellt, deren Injektion in die Venen eines Tieres augenblicklichen Tod
durch weitausgebreitete Blutgerinnung innerhalb der Gefäße herbeiführt.
Das zerkleinerte Organ wird mit einer großen Menge destillierten Wassers
gemischt; nach einigen Stunden wird das Wasser abfiltriert, mittels der Zentri-
fuge von allen festen Partikelchen befreit, mit Essigsäure versetzt, der reich-
lich entstehende Niederschlag durch die Zentrifuge gesammelt und mit ange-
säuertem Wasser gut ausgewaschen. Der Niederschlag wird in der Lösung
eines Alkalisalzes aufgelöst.
1—2 g dieser Substanz bewirken bei einem großen Hunde augenblicklichen
Tod. In der Vena portarum und ihren Verzweigungen, im rechten Herzen und
in der A. pulmonalis finden sich Gerinnsel. Bei einem Kaninchen trat Tod
ein, ehe noch die Injektion von 1 g vollendet war; die Vena portae, die Vv.
iliacae und renales, V. cava und die Aorta, sowie beide Herzhälften enthielten
Gerinnsel.
Das nach dem Tode aus den Arterien ausfließende Blut gerinnt nicht mehr;
war die Injektion ungenügend, den Tod herbeizuführen, so bleibt das nach der
Injektion abgelassene Blut zuweilen mehrere Tage flüssig. Zusatz der Injek-
tionsflüssigkeit zu solehem Blut bewirkt Gerinnung. Es scheint demnach, dass
die Gerinnung bewirkende Substanz bei dem Akt der Gerinnung verloren geht.
Das Essigsäure -Präzipitat ist löslich in 0,5 prozentiger Salzsäure. Fügt
man zu solcher Lösung Pepsin und digeriert bei 37°, so entsteht etwas Pepton
und daneben entsteht ein Niederschlag. Macht man die Flüssigkeit wieder
alkalisch, so vermag sie nicht mehr Gerinnung zu bewirken, erlangt diese
Fähigkeit aber wieder, wenn frisches Präzipitat zugesetzt wird; die Unwirk-
samkeit beruht also nicht auf der Anwesenheit der geringen Menge Pepton
oder des Pepsins. In verdünntem Magnesiumsulfat- Plasma, welches durch Zu-
satz von Fibrinferment leicht gerinnt, bewirkt das Präzipitat keine Gerinnung;
es kann also nicht mit diesem Ferment identisch sein.
J. Rosenthal (Erlangen).
Berichtigung.
In Nr. 14 dieser Zeitschrift soll es heißen
Seite 429 Zeile 4 von oben Stützzelle statt Stützstelle,
- - Sr »„ periphere „ frühere.
480
Anzeigen.
Verlag von Gustav Fischer mn Jena.
Soeben erschienen:
Zoologische Jahrbücher. Zeitschrift für Systematik,
Geographie und Biologie der Tiere. Herausgegeben
von Dr. J. W. Spengel in Bremen. Erster Band zweites Heft.
Mit 6 Tafeln und 10 Holzschnitten. Preis: 8 Mark.
(Inhalt: Pelzeln, Abstammung der Hunderassen; Möbius, Bildung der
Artbegriffe; Ludwig, Echinodermen des Beringsmeeres; Lacksche-
witz, Kalkschwämme Menorcas; Boas, Pteropoden; Marenzeller,
Aleyoneiiden; Hartlaub, Manatherium delheidi; Lenz, Spinnenfauna
Madagascars; Lendenfeld, Taenia echinococcus; Göldi, Eripus hetero-
En)
E22 Erstes Supplementheft, enthaltend: Die Schmetter-
linesfauna Nordwest-Deutschlands, insbesondere
die lepidopterologischen Verhältnisse der Umgebung
von Göttingen. Von Dr. Karl Jordan.
Preis: 5 Mark.
MZöbius, Dr. Karl, ö. 0. Professor der Zoologie an der Univer-
sität Kiel. Die Bildung, Geltung und Bezeichnung
der Artbegriffe und ihr Verhältnis zur Abstammungs-
lehre. (Separat-Abdruck aus den „Zoologischen en
I. Band.) Preis: 1 Mark.
Paul ALBRECHT’S Selbstverlag in Hamburg.
(Leipzig: E, F. ELeluncker))
nınnnnnnnnNV
Soeben erschien:
Vergleichend anatomische Untersuchungen
von
Paul ALBRECHT.
Erster Band. Erstes Heft.
Mit 5 in den Text gedruckten Holzschnitten.
8°. 42 Seiten. M. 3.50.
INHALT: — Ueber Penis, Penoid und Pseudopenis der Wirbeltiere, nebst einem
Nachweise, dass die freien Gliedmaszen der Amphibien und Amnioten
nicht den meta- ‚ sondern den mesopterygischen Abschnitten der paarigen
Selachierflossen entsprechen.
Zu haben durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes.
Verlag von A. H. Adriani in Leiden.
Soeben erschien:
Bijdrage hot de kennis
van den
Bouw en de Untwikkeling der Epiphyse
Amphibien in Reptilien
Dr. Henri W. de Graaf.
hoch 4° mit 4 Tafeln. Preis cart. f. 5.—, in Prachtb. m. 6. f. 7.—.
Mit eimer Beilage der Verlagsbuchhandlung von Wilhelm Engelmann
in Le - pzig.
Verlag von Ed. Besold in n Erlangen, — Druck von , Junge & Sohn in Erlangen.
Bioloeisches Uentralblati
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
v1. Band. 15. Oktober 1886. Nr. 16.
Inhalt: Ludwig, Neuere Beobachtungen über Bestäubungseinrichtungen der Pflanzen. —
Ludwig. Zwei neue karnivore Pflanzen der deutschen Flora. — List, Ueber
die Entstehung der Dotter- und Eizellen bei Orthezia cataphracta Shaw. —
Zacharias, Das Vorkommen von Orthezia cataphracta Shaw. im Riesen-
gebirge. — Tiebe. Ueber den Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. —
Wilckens, Untersuchungen über das Geschlechtsverhältnis und die Ursachen
der Geschlechtsbildung bei Haustieren. — Aus den Verhandlingen ge-
lehrter Geselisehaften. Physiologische Gesellschaft zu Berlin.
Neuere Beobachtungen über Bestäubungseinrichtungen der
Pflanzen.
Literatur:
Strasburger, Ed., Ueber fremdartige Bestäubung. Pringsheim’s Jahr-
bücher für wissenschaftliche Botanik, Bd. XVII, 1886, S. 50.
Trelease, William, The Nectary of Yucca. Bull. of the Torrey Bot.
Club, Aug. 1886, p. 135.
Müller, Fritz, COritogaster und Trichaulus. Kosmos 1886, II Bd., 1. Heft,
S. 54.
Ders., Die Bestäuber von Gloriosa superba. Aus Briefen.
Löw, E., Fruchtbarkeit der langgriffligen Form von Arnebia echioides DC.
bei illegitimer Kreuzung. Ber. d. D. B. Ges., IV. Jahrg., Heft 6, 1886,
S. 198.
Ders., Beiträge zur Kenntnis der Bestäubungseinrichtungen einiger Labiaten
und einiger Borragineen. Ber. d, D. B. Ges., 1886, Heft 4, S. 113 und
Heft 5, S. 152.
Nachdem E. Strasburger konstatiert, dass der Pollen irgend
einer Pflanzenart häufig auf der Narbe, oder auf einem
Querschnitt des Griffels von Pflanzen ganz anderer Ver-
wandtschaft (selbstMonokotyledonen und Dikotyledonen)
auszukeimen und unbeschadet der gleichzeitigen Entwicklung der
Schläuche des eignen Pollens bis in größere und geringere Tiefe des
Griffels einzudringen vermag, legte er sich die Frage vor, wodurch
Art und Richtung des Wachstums der Pollenschläuche beeinflusst
VI. al
482 Ludwig, Bestäubungseinrichtungen der Pflanzen.
wird. Er findet als Antwort darauf, dass dabei Berührungs-
wirkungen und chemische Reize maßgebend seien. Den
richtenden Einfluss der letztern, welcher z. B. auch von Stahl
für die Bewegung der Mycetozoen-Plasmodien, von Pfeffer für die
Bewegung der Spermatozoiden in die Archegonien verantwortlich ge-
macht wurde, nennt er — die frühern Bezeichnungen Trophotropismus
und Chemotropismus vereinigend — Chemotaxis. Vermöge der
Berührungswirkungen legt sich der Pollenschlauch dicht an dies Sub-
strat an. Bei seinem Eindringen kommen die verschiedenen Struktur-
verhälinisse der Narben und der zur Durchbreehung der Zellwände
nötigen — wohl nach Species verschiedenen — Ausscheidungen (Enzyme)
der Pollenschläuche in betracht.
Nächst der Strasburger’schen Arbeit über Bestäubungseinrich-
tungen überhaupt sind eine Anzahl neuerer Arbeiten über Anpas-
sungen der Bestäubung an Insekten zu verzeichnen.
Wir erwähnen von ihnen zunächst die von Trelease über das
Nektarium von Yucca. Trelease bestätigt die eigentümliche
kürzlich hier erörterte Anpassung der Yucca-Motte an die Yucca-
Pflanze, die — wie Riley zuerst nachwies — von jener in aller Form
willkürlich bestäubt wird, damit deren Brut im den heranwachsenden
Samen die nötige Nahrung vorfindet. Riley hatte jedoch geglaubt,
dass die Narbenhöhle, in welehe durch die Motte der Blütenstaub
hineingestopft wird, gleichzeitig die Rolle eines Nektariums spielte
und die Motte durch Darbietung des Nektars entschädigte. Dies wider-
legt Trelease. Yucca filamentosa sowie auch andere von ihm unter-
suchte Arten von Yucca haben vielmehr Septaldrüsen, wie sie
kürzlich!) Grassmann für die Monokotyledonen als sehr verbreitet
nachgewiesen hat, d. h. in den zwischen den Fruchtknotenkammern
befindlichen Scheidewänden gelegene Drüsen, die unter der Narbe nach
außen münden. Dass diese letztern durch die neuere Anpassung der
Yucca an die Bestäubung durch die Pronuba Yuccasella in den Hinter-
grund getreten sind, folgt aus ihrem verringerten Sekretionsvermögen.
|Die Yucca wird auch in deutschen Gärten gezogen, wo Pronuba und
Prodorus, die heimatlichen Bestäuber der Pflanze, fehlen; hier wäre
darauf zu achten, ob nicht die Septaldrüsen zu voller Entwicklung
gelangen, um einen andern Besucherkreis herbeizulocken. Ref.]
In Verbindung mit der Bestäubungseinrichtung der Yucca be-
sprachen wir früher?) die der Feigenarten, zuletzt die der brasiliani-
schen Feigen. Ueber diese letztern handelt eine kleinere neuere Arbeit
von Fritz Müller.
Es wird darin die frühere Vermutung der Zugehörigkeit der
Feigenwespengattung Trichaulus zu Oritogaster bestätigt. Die unter
4) Biol. Centralbl., Bd. V, 8. 561.
2) Biol. Centralbl., Bd. V, 8. 561—564, 744—746; Bd. VI S. 120—121.
Ludwig, Bestäubungseinrichtungen der Pflanzen. 483
letzterem Namen beschriebenen flügellosen Wespen sind die Männchen
von Trichaulus. Dagegen fand Fritz Müller, dass die 3 von ihm
beobachteten Arten Critogaster singularis, C. piliventris und C. nuda
nieht, wie er früher vermutet hatte, Männchen desselben Weibchens
Trichaulus versicolor sind, sondern verschiedenen Arten von geflügelten
Weibchen (Trichaulus) zugehören. T. wersicolor gehört zu Uritogaster
singularis.
Von weitern Arbeiten ete. über Bestäubungseinrichtungen ein-
zelner Pflanzenarten und Familien erwähnen wir zunächst eine brief-
liche Mitteilung von Fritz Müller, nach welcher Gloriosa superba
weder Hymenopteren, wie Delpino zuerst, noch Schwärmern, wie er
später (Ulteriori osserv.) meinte, sondern Tagschmetterlingen
angepasst ist. Es beweisen dies unter anderem die Geruchlosigkeit,
die Farbe und namentlich der Farbenwechsel der Blumen, die sich
nach der Bestäubung lebhafter röten. — E. Löw hat an einem lang-
griffligen Exemplar der Arnebia echiodes, dem einzigen des Berliner
bot. Gartens, die Erfahrung gemacht, dass diese Pflanze trotz illegi-
timer Bestäubung dort einige Samen ansetzt, also zwar eine stark ge-
schwächte Fruchtbarkeit, nicht aber Selbststerilität zeigt, während
2. B. Pulmonaria selbststeril ist. Dass von zwei nahe verwandten
Pflanzenarten die eine autokarp, die andere selbststeril sein kann,
hat Ref. erst kürzlich an Arten der Gattung Erodium erfahren. Von
den beiden perennierenden in der Blüte mit großen Saftflecken ver-
sehenen Arten E. Macrodenum und E. manescavi ist die erstere völlig
selbststeril; die letztere ist zwar von stark geschwächter Fruchtbarkeit,
erzeugte aber doch lebensfähige Samen, aus denen in diesem Jahre
kräftige Exemplare der Pflanze herangezogen wurden.
Am umfangreichsten sind zwei Arbeiten von E. Löw über die
Bestäubungseinrichtungen von Labiaten und Borragineen, welche der-
selbe im Berliner bot. Garten beobachtete. Es bilden diese Arbeiten
eine Fortsetzung der in Bd. V S. 33—36 dieser Zeitschrift besprochenen
größern Arbeit desselben Verfassers.
Verf. beschreibt in denselben zunächst für eine größere Anzahl
fremdländischer Arten die Blüteneinrichtung und gibt sodann einen
allgemeinen vergleichenden Abriss der gesamten biologischen Blüten-
verhältnisse für die beiden Familien, wobei wie in der frühern Arbeit
des Verf. auch auf die bestäubungsvermittelnden Insekten ein beson-
deres Augenmerk gerichtet wird.
Die Arten, deren Blüteneinrichtung und Bestäuberkreise eingehen-
dere Schilderung erfahren haben, sind die folgenden:
Labiatae: Phlomis Russeliana Lag. (Syrien, Levante), Betonica
grandiflora Steph. (Kaukasusprovinzen und Nordwestasien), Lamium
Orvala L., L. garganicum L., Nepeta Mussini Henck (Kaukasus),
N. melissaefolia Lam. (Südeuropa), N. macrantha Fisch. (Mittel- und
Südrussland), Lophanthus rugosus Fisch. A. Mey. (Nordamerika),
al.r
484 Ludwig, Karnivore Pflanzen der deutschen Flora.
Pyenanthemum pilosum Nutt. und P. Zanceolatum Pursh (Nordamerika),
Salvia glutinosa L., Pleetranthus glaucocalyx Mac. (Ostasien).
Borragineae: Echium rosulatum Lge., Psilostemon orientale DC.,
Symphytum cordatum W illi., 8. grandiflorum DC., 8. asperrimum Sims.,
S. offieinale L. var., Anchusa ochroleuca B. (Südrussland, Orient),
Caryolopha sempervirensL. (Südeuropa und England), Arnebia echioides
DC. (an den Lappeneinschnitten der Corolle jüngerer Blüten dieser
Pflanze finden sich schwarz-violette Saftmalpunkte, die nach 1—3tägiger
Blütezeit der betreffenden Blumen allmählich verschwinden und in
ältern Blüten fehlen, was mit dem geringen in kleinen Nektarien ge-
bildeten Honigvorrat in Verbindung stehen mag.), Caccinia strigosa
Boiss. F. Ludwig (Greiz).
Zwei neue karnivore Pflanzen der deutschen Flora.
Nachdem schon früher Cohn die Ansicht ausgesprochen, dass die
eigentümlichen Höhlungen in den chlorophyllfreien fleischig schuppigen
Niederblättern der Schuppenwurz, Lathraea squamaria, zu Fang und
Verdauung von Tieren dienten, haben dies für die in Laubwäldern und
unter Haselstauden durch ganz Deutschland verbreitete Lathraea, wie
auch für die ähnlichen Apparate der im Riesengebirge, mährischen
Gesenke, im Elsass ete. vorkommenden Bartsia alpina, Kerner von
Marilaun und Wettstein von Westerheim neuerdings zu be-
stätigen gesucht.
In einer Abhandlung über die rhizopodoiden Verdauungsorgane
tierfangender Pflanzen (Sitzungsber. d. k. k. Akad. d. Wiss. zu Wien,
Abt. I, Bd. XCIII) werden die betreffenden Verdauungsorgane näher
beschrieben und abgebildet. Die innern Wände der aus der Blatt-
rückseite gebildeten Höhlungen sind mit zweierlei Drüsenhaaren ver-
sehen, welche durch sehr regelmäßig angeordnete Perforationen ihrer
Außenmembran ähnliche Protoplasmafäden hervortreten lassen, wie
sie F. Darwin bei den Blattdrüsen von Dipsacus und Referent bei denen
von Silphium perfoliatum (Kosmos 1880, Oktoberheft) beschrieben
haben. Diese Fäden kommen in Berührung mit den Zersetzungs-
produkten der in die Höhlen gelangten und dort zu grunde gegangenen
Tiere (Infusorien, Milben ete.) und vermitteln aller Wahrscheinlich-
keit nach eine direkte Aufnahme der tierischen Zersetzungsprodukte.
Ein zersetzendes Sekret konnte nicht nachgewiesen werden. Die Menge
der in den Blatthöhlungen vorgefundenen Tierkörper ist bei Lathraea
im Herbste eine größere als im Frühjahr, womit der Umstand zu-
sammenzuhängen scheint, dass im Herbste die Haustorien zum Teil
zu grunde gehen, während im Frühjahr die Nahrungsaufnahme zum
sroßen Teil durch die Haustorien besorgt wird.
F. Ludwig (Greiz).
List, Dotter- und Eizellen bei Orthezia cataphracta. 485
Ueber die Entstehung der Dotter- und Eizellen bei Orthezia
cataphracta Shaw').
Von Dr. Joseph Heinrich List.
Trotzdem in jüngster Zeit durch eine Reihe von Forschern [|Wil1?),
v. Wielowiejski®) und Korschelt*)] der Versuch gemacht wurde,
die Bildung der Dotter- und Eizellen bei Insekten einer befriedigenden
Lösung entgegenzuführen, stehen doch die Angaben der Antoren
einander gradezu schroff gegenüber. Und je mehr Erfahrung man
über den Gegenstand sammelte, desto mehr zeigte es sich, wie ver-
früht Verallgemeinerungen von an einzelnen Objekten gemachten Be-
funden selbst innerhalb derselben Ordnung sind.
Während nach Will bei Hemipteren die Eizellen aus den in der
Endkammer angehäuften großen Kernen (Ooblasten) nach Abgabe der
Dotter- und Epithelzellkerne sich bilden, leitet Korschelt sämtliche
Elemente der Eiröhren (Dotter-, Ei- und Epithelzellen) aus den Ele-
menten der Endkammer ab.
v. Wielowiejski neigt der Ansicht zu, dass die Dotterzellen
in der Endkammer gebildet werden, während er sich über die Bildung
der Eizellen nicht bestimmt ausspricht, wohl aber der Korsehelt’schen
Anschauung entschieden entgegentritt.
Meine Beobachtungen an Orthezia cataphracta weichen nun von
dem bisher von Hemipteren Bekannten wesentlich ab.
Betrachtet man an herauspräparierten Ovarien®) die Eiröhren, so
erscheinen dieselben als mehr zylindrische oder auch birnförmige
1) Da es voraussichtlich noch längere Zeit dauern wird, bevor meine im
Drucke befindliche Monographie erscheint, so gebe ich hier die interessanten
Befunde wieder, indem ich bezüglich der weitern Ausführung und der Ab-
bildungen auf jene Arbeit selbst verweise,
2) L. Will, Ueber die Entstehung des Dotters und der Epithelzellen bei
den Amphibien und Insekten. Zoolog. Anzeiger, Jahrg. VII, 1884, S. 272 —276
u. 288—291; ferner Bildungsgeschichte und morphologischer Wert des Eies
von Nepa cinerea und Notonecta glauca. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie,
Bd. XLI, 1885.
3) v. Wielowiejski, Zur Kenntnis der Eibildung bei der Feuerwanze.
Zoolog. Anzeiger, Jahrg. VIII, 1885, S. 369—375 und zur Morphologie des
Insektenovariums, ebenda, Jahrg. IX, 1886, S. 132—139.
4) E. Korschelt, Zur Frage nach dem Ursprung der verschiedenen Zellen-
elemente der Insektenovarien. Zoolog. Anzeiger, Jahrg. VIII, 1885, S. 5851—586
u. S. 599—605; ferner ein weiterer Beitrag zur Lösung der Frage nach dem
Ursprung der verschiedenen Zellenelemente der Insektenovarien, ebenda, Jahr-
gang IX, 1886, S. 256—263.
5) Die Ovarien waren sämtlich in halb gesättigter wässeriger Sublimat-
lösung, der auf je einen ce ein Tropfen Pikrinschwefelsäure zugesetzt worden,
gehärtet. Man vgl. Zeitschrift f. wiss. Mikroskopie, Bd. III, S. 43 ff, 1886.
486 List, Dotter- und Eizellen bei Orthezia cataphracta.
Gebilde, von welchen jedes mit einem verjüngten, stielförmigen Teile
dem Ovidukte, welcher sich gabelig teilt, aufsitzt.
In jeder Eiröhre lassen sich nun zwei, physiologisch wesentlich
verschiedene Teile unterscheiden. Ein oberer, Endfach, Dotter-
fach und ein unterer, das Eifach. An ausgebildeten Eiröhren sind
beide Teile gewöhnlich durch eine Verjüngung von einander getrennt.
Das Eifach ist von einem hohen Zylinderepithel, welches beim
Uebergange in das Endfach allmählich niedriger wird, ausgekleidet.
Schon in ganz jugendlichen, noch unentwickelten Eiröhren kann
man in den Endfächern große, polygonal begrenzte Gebilde, welche
auf ihrer Oberfläche gewöhnlich riffenartige Zeichnungen tragen, die
Dotterschollen bemerken.
Betrachtet man dieselben genauer, so kann man auf denselben
Kerne beobachten, und häufig gelingt es auch, um die letztern poly-
gonale Zeichnungen zu bemerken, die Spuren der mit einander
verschmolzenen und nun zu Dotterschollen umgewandel-
ten Epithelzellen des Endfaches.
Ich bin nicht in der Lage anzugeben, ob das Endfach von dem-
selben hohen Zylinderepithele, wie das Eifach, ausgekleidet ist, da
es mir nicht gelang, so jugendliche Individuen zu erhalten. In allen
von mir untersuchten Ovarien konnte ich in den Endfächern bereits
Dotterschollen auffinden. Aber selbst an ausgebildeten Ovarien ge-
lingt es, stets Eiröhren zu finden, in welehen man noch die basalen
Reste der Epithelzellen beobachten kann, während der gegen das
Lumen zugekehrte Teil in die Kernschmelzung bereits eingegangen
ist. Sind die Dotterschollen vollkommen ausgebildet, so liegen
dieselben der Tuniea propria der Eiröhre an, und man kann dann
keine Spur mehr von den Epithelzellen bemerken. Die Dotter-
schollen erreichen dann eine bedeutende Größe; ich konnte solche von
110 « Länge und 71 w Querdurchmesser beobachten. Die Kern-
schmelzung der Epithelzellen des Endfaches bezw. die Bildung der
Dotterzellen beginnt an dem in das Lumen ragenden Teil der Epithel-
zellen und schreitet gegen den basalen Teil derselben allmählich fort.
Ob dabei auch Wucherungsprozesse von seiten der Epithelzellen auf-
treten, konnte ich nicht konstatieren. Die Dotterschollen selbst er-
scheinen aus einer granulierten Substanz gebildet, welche, wie früher
bereits erwähnt, auf der Oberfläche häufig riffenartige Zeichnungen
tragen. Die Kerne der Epithelzellen, welehe anfangs auf den Dotter-
schollen noch gut zu beobachten sind, verfallen allmählich einem
Degenerationsprozesse, und zwar scheint es, dass die dem Eifache
zunächst liegenden Dotterschollen zuerst von diesem Prozesse ergriffen
werden. An solchen Dotterschollen kann man nun, nachdem sämt-
liche oder beinahe alle Kerne verschwunden sind, einen neuen, großen,
ovalrunden oder sphärischen Kern auftreten sehen: aus der Dotter-
scholle hat sich die Dotterzelle hervorgebildet.
List, Dotter- und Eizellen bei Orthezia cataphracta. 487
Die Dotterzellen liefern nun den Dotter des Eies, indem dieselben
gegen das Eifach rücken und daselbst in Dottergranula zerfallen.
Ein von der Eizelle in das Endfach sich erstreekender Dottergang,
wie er bei Hemipteren so häufig zu beobachten ist, kommt bei Orthezia
nicht vor.
Die Eizellen nehmen ihre Entstehung in dem unterhalb des
Endfaches liegenden Teile der Eiröhre, dem Eifache, und zwar
werden sie verhältnismäßig spät gebildet; denn in jungen Ovarien
konnte ich keine Spur einer Eizelle bemerken, während selbst an aus-
gebildeten erwachsenen Individuen nur in wenigen Eiröhren Eizellen
zu konstatieren waren. Soviel ich beobachten konnte, werden die-
selben aus dem Epithele des Eifaches selbst gebildet, und zwar
in der Weise, dass eine Epithelzelle stärker wächst, rundlich wird,
und zur Eizelle sich umbildet. Ob die ganze Epithelzelle in die Bil-
dung der Eizelle eingeht, oder ob die letztere durch eine Art Ab-
schnürung (Sprossung) frei wird, während der Rest sich wieder zu
einer gewöhnlichen Epithelzelle regeneriert, konnte ich nicht entschei-
den, obwohl mir das Letztere plausibel erscheint.
In zahlreichen Eiröhren konnte ich in den Eifächern solche um-
gewandelte Epithelzellen bemerken. Sie waren mehr rundlich geworden,
enthielten einen stärker lichtbrechenden Zellinhalt und einen deut-
lichen Nucleus. Solche umgewandelte Epithelzellen kann man an den
verschiedensten Stellen des Eifaches, besonders aber in dem untern
(der Verjüngung zunächst liegenden) Teile desselben beobachten.
Nach der Trennung vom Epithele rückt die Eizelle in die Mitte des
Eifaches, um daselbst an Größe zuzunehmen und von den Dotter-
granula umgeben zu werden. Uebrigens können auch noch nicht in
Granula zerfallende Dotterzellen oder Teile derselben in das Eifach
rücken, um hier erst ihrem Auflösungsprozesse anheimzufallen. Einmal
gelang es mir sogar, eine ausgebildete Eizelle auf einer Dotterscholle
liegend im Eifache aufzufinden.
Ausgebildete Eizellen, die ich beobachten konnte, zeigen eine
oval begrenzte, granuliert erscheinende Zellsubstanz, einen deutlichen
großen, sphärischen Nucleus, welcher außen aus einem aus dünnen
Balken gebildeten Gitterwerke zu bestehen schien. Im Innern konnte
ich einen kleinern, ovalbegrenzten Körper beobachten, der wohl als
Nucleolus zu deuten ist.
Obwohl es Regel ist, dass in jedem Eifache nur eine einzige Ei-
zelle gebildet wird, so konnte ich doch auch Eiröhren beobachten,
in welchen zwei Eizellen gebildet wurden. Ob beide Eizellen zu
ausgebildeten Eiern heranreiften, gelang mir nicht weiter zu verfolgen.
Ist die ausgebildete Eizelle von Dotter genügend umgeben, wobei
man ein mächtiges Anschwellen des Eifaches bemerken kann, so wird
das nun fertige Eichen von dem Chorion umgeben, welches von den
Epithelzellen abgesondert wird.
ASS Zacharias, Vorkommen von Orthezia cataphracta.
Das Eifach fungiert nun auch als Uterus, das fertige Ei gelangt
allmählich in den Eileiter, woselbst es dann durch die Kontraktionen
der außerordentlich mächtig entwickelten Muskulatur des Oviduktes
in das Marsupium befördert wird.
Die Eiröhren erscheinen nach Ausstoßung des Eies als lange, kolla-
bierte Schläuche, in deren Dotterfache ich stets noch unverbrauchte
Dotterzellen beobachten konnte. Ob diese Eiröhren rückgebildet wer-
den, oder ob sie fähig sind, noch einmal Eier zu bilden, darüber
konnte ich nicht zur Klarheit kommen.
Das Vorkommen von Orthezia cataphracia (Shaw) im Riesen-
gebirge !).
Von Dr. ©. Zacharias in Hirschberg i/Schl.
Im Sommer 1884 fand ich bei einem Ausfluge nach den Mooren
der sogenannten „Weißen Wiese“, welche auf der Kammhöhe des
Riesengebirges gelegen sind, an den Wurzeln von Torfmoos ein weiß-
lich gefärbtes coceidenartiges Wesen vor, von dem ich junge und
erwachsene Exemplare sammelte, die in Alkohol konserviert wurden.
Das betreffende Gläschen wurde beiseite gestellt und geriet, da
die Gelegenheit zu einer sichern Bestimmung seines Inhalts sich nieht
darbot, in Vergessenheit. Da erweckten mir die Mitteilungen von
Dr. Joseph Heinrich List (vgl. „Zool. Anzeiger“ Nr. 219, vom 29. März
1886) die Erinnerung an meinen frühern Fund, und nach einer so-
gleich vorgenommenen mikroskopischen Besichtigung der konservierten
Coceiden des Riesengebirges ergab sich deren unbestreitbare Aehn-
liehkeit mit dem Habitus der Orthezien. Im Hinblick auf den Um-
stand, dass Herr Dr. List seine Exemplare der notorischen O. cata-
phracta an den Wurzeln von Saxifraga aizoon, also ebenfalls subterran
sefunden hatte, stieg mir der Gedanke an die Möglichkeit auf, dass
die Species aus den steyrischen Alpen mit der hier entdeckten iden-
tisch sein könnte.
Um hierüber Klarheit zu erlangen, sandte ich einen Teil des von
mir gesammelten Materials an Herrn Dr. List nach Graz, und erhielt
von demselben unterm 9. April d. J. den gefälligen Bescheid, dass
meine Voraussetzung sich bestätige, und dass die beiden Species
thatsächlich identisch seien.
Es ist in tiergeographischer Hinsicht von entschiedenem Interesse
zu sehen, wie die Orthezia cataphracta Shaw, die in nördlicher ge-
legenen Ländern (Nord- England, Schottland, Grönland) unter Steinen
und auf Carex- Arten lebt, in unsern Breiten zu einem subterranen
1) Aus dem „Zoologischen Anzeiger“ Nr. 225.
Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 489
Bewohner des Hochgebirges geworden ist. Dr. List fand die Tier-
chen auf der Krump-Alpe in 1300 m Höhe und ich dieselben in
1368 m vertikaler Erhebung. Wenn der Grazer Forscher mitteilt,
dass er seine Exemplare „besonders an jenen Steinbrechpflanzen
häufiger fand, die auf einer mehr feuchten moosigen Unterlage stan-
den“, so stimmt das genau mit den hiesigen Verhältnissen des Vor-
kommens der nämlichen Coceide überein; denn die „Weiße Wiese“
ist ein durch und durch feuchtes, von zahlreichen Tümpeln bewäs-
sertes Terrain, welches ein diehtes Sphagnum-Polster trägt. Außerhalb
des Moordistriktes der „Weißen Wiese“ habe ich die in Rede stehende
Orthezia bisher noch nicht entdecken können; dasselbe Beschränktsein
auf eine engbegrenzte Lokalität berichtet Dr. List auch von seiner
identischen Speeies. Diese zeigte sich nirgends anderwärts als auf
der Krump-Alpe.
Hinsichtlich des Riesengebirges ist es interessant zu sehen, wie
die Höhen desselben nicht bloß inbetreff der Pflanzenwelt, sondern
auch bezüglich des Vorkommens von Tieren, welche der Hochgebirgs-
fauna angehören, ein Uebergangsglied von den Alpen zu den gewöhn-
lichen Mittelgebirgen darstellen.
Ueber den Helligkeits- und Farbensinn der Tiere, vorzugs-
weise nach den Untersuchungen V. Graber'’s.
Vom Gymnasiallehrer Tiebe in Stettin !).
Dass die Tiere im stande seien, Helligkeitsabstufungen und Farben
von einander zu unterscheiden, vermuten wir schon deshalb, weil wir
bei fast allen mehr oder weniger entwickelte, im wesentlichen nach
demselben Grundplan gebaute Augen oder doch Pigmentflecke kennen.
Wir vermögen auch zur Stütze dieser Vermutung eine Reihe bekannter
Erscheinungen anzuführen, bei denen Tiere auf den Gegensatz zwischen
hell und dunkel reagieren: während die einen durch das Licht des
Tages zu neuem Leben geweckt werden, meiden die andern dasselbe
mit ängstlicher Scheu, und ebenso sehen wir augenlose Quallen,
Korallen, Wurzelfüßer und Infusorien bald nach dem Licht bald nach
dem Dunkel sich drängen?); jeder kennt den Einfluss, den eine leuch-
tende Flamme auf Ameisen, Schaben, Fliegen, Mücken und Nacht-
schmetterlinge im Dunkel der Nacht ausübt. Inbetreff des Vermögens
der Farbenunterscheidung indess hat man sich bei dem Mangel an
4) Nach einem in der physikalischen Gesellschaft zu Stettin über das
Graber’sche Hauptwerk gehaltenen Vortrage. In diesem Werk wolle man
auch die hier nichtgegebenen literarischen Nachweise nachsehen.
9) Vergl. u. a. Giebel, Naturgeschichte des Tierreichs V, S. 266, 267,
275. 314, 317, 325.
490 Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere.
Beobachtungen lange mit der Erwägung begnügt, dass, wenn nicht
alle, so doch sicherlich die höhern Tiere ein solehes besitzen würden,
natürlich in geringerem Grade als wir, deren ästhetisches Gefühl viel
weiter entwickelt sei. Noch im Jahre 1879 hat Grant Allen geglaubt,
auf rein spekulativem Wege die Frage dahin entscheiden zu können,
dass die Tiere im wesentlichen den gleichen Farbengeschmack hätten
als wir, dass sie aber nur ausnahmsweise auf Farbenunterschiede
reagierten.
Nur wenige Thatsachen konnten wir bis vor kurzem inbetreff
dieses Punktes verzeichnen.
Es ist allgemein bekannt, dass Truthähne und Stiere durch Rot
sehr stark erregt werden und Bauern und Kinder sich über brennend
rote Tücher oder Bilder besonders freuen. Danach hat E. Krause
die Behauptung aufgestellt, dass das Auge der Vögel, Säugetiere und
Menschen durch ein feuriges Rot am meisten erregt würde, dabei
aber nicht beachtet, wie wenig berechtigt er war, aus einer so ge-
ringen Zahl von Beobachtungen, die zudem eine grade entgegen-
gesetzte Erregung beweisen, einen allgemeinen Schluss zu ziehen.
In denselben Fehler verfällt Gustav Jäger, wenn er aus den
Mitteilungen von fünf englischen Gartenbesitzern, denen die Sperlinge
vorzugsweise den gelben Crocus zerstört hatten, eine allgemeine Anti-
pathie der Sperlinge gegen Gelb schließt und danach mit Hindeutung
auf die Farben einiger von einigen Vogelarten gefressenen Beeren
Gelb überhaupt als Ekel- und im Gegensatz dazu Blau als Lockfarbe
bezeichnet. Seine Ansicht ist denn auch bald nachher dadurch wider-
legt worden, dass die Sperlinge mehrfach ihre Zerstörungswut be-
sonders gegen blauen Crocus richteten.
Schon vor Darwin ist vielfach die Ansicht ausgesprochen wor-
den, dass die Farbe viele Tiere vor Nachstellungen schütze und auch
in ihrem Geschlechtsleben eine Rolle spiele!). Der letztere Punkt ist
aber eingestandenermaßen heute noch sehr dunkel, und die zur Unter-
stützung des erstern angeführten sogenannten Thatsachen sind streng-
genommen nur Vermutungen von großer Wahrscheinlichkeit, welche
uns bisher dunkle Verhältnisse erklären, denen aber exakte Grund-
lagen fehlen. Wenn wir, um nur einiges herauszugreifen, eine Phyllium-
oder Pterochroza-Art im Laube oder eine grüne Raupe auf einem
grünen Blatt sehen, wenn wir von Me Lachlan hören, dass die Raupe
desselben Spanners (Kupitheria absinthiata) auf verschiedenen Kom-
positen deren Farben entsprechend verschieden gefärbt vorkommt,
gelb auf Senecio Jacobäa, rötlich auf Centaurea nigra, weißlich auf
Matricaria, wenn nach Wallace viele asiatische Schmetterlinge
Blättern täuschend ähnlich sehen, dann drängt sieh uns mit einer
1) Carus Sterne, Werden und Vergehen. 3. Aufl. 1886. S. 282, 732— 744,
757—159.
Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 491
gewissen zwingenden Macht der Gedanke auf, dass diese Tiere durch
ihre Färbung und Zeichnung geschützt seien. Sie sind es sicherlich
vor uns; wo aber ist je eine Beobachtung darüber angestellt worden,
ob sich die Schutzfarbe den Tieren des Waldes und der Luft gegen-
über wirklich als solche bewährt, oder ob etwa Vögel mit schärfern
Sinnen die Raupe und den Schmetterling ebenso sicher erkennen, wie
der Adler aus gewaltiger Höhe den Hasen oder das Murmeltier auf
gleichfarbigem Boden?
Sprengel und später besonders Darwin und Hermann
Müller haben der Farbe eine hervorragende Bedeutung bei der Er-
klärung der wunderbaren Wechselbeziehungen zwischen Blumen und
Insekten beigemessen, und jeder wird geneigt sein, ihnen schon darin
beizustimmen, dass große, leuchtend gefärbte Blumen von den Insek-
ten besser gesehen werden als kleine, unscheinbare. Doch darf man
nicht übersehen, dass man dabei eine unserer menschlichen Erfahrung
entnommene und für unser menschliches Empfindungsvermögen giltige
Ansicht ohne weiteres auf Tiere überträgt, während es doch höchst
schwierig— wenn überhaupt möglich — sein muss, den Einfluss der Farbe
gegenüber dem der andern als Anloekungsmittel betrachteten Fak-
toren: des Geruchs, des Honigs, des Blütenstaubs, abzuschätzen. Auch
mit einigen Beweisen, welche man versucht hat, ist man bis jetzt
nicht glücklich gewesen. Aus dem langen Schweben kleiner Schweb-
fliegen vor den Blüten der Königskerze !) oder des Ehrenpreises ?) hat
man auf ein Wohlgefallen dieser Fliegen an den Farben der Blumen
geschlossen, dabei aber nicht beachtet, dass die Tiere dieselbe Ge-
wohnheit auch an sonstigen Stellen zeigen, an denen wir eine Veran-
lassung nicht erfinden können. H. Müller?) hat ferner durch ein-
gehende Beobachtungen gefunden, dass sich unter 482 von Bienen
besuchten Blumenarten 330 rote, blaue und violette, aber nur 152
weiße und gelbe befinden, und daraus eine Vorliebe der Bienen be-
sonders für Blau-Violett geschlossen. Diese Beobachtung beweist nur
nicht das, was sie beweisen soll, ebenso wenig wie die andere*), dass
die große Malva silvestris im Verlaufe von fünf Sommern von 31,
die kleine Malva rotundifolia nur von 4 Arten besucht worden sei.
Denn es kommt gar nieht darauf an, wieviel Arten Blumen von den
Bienen und von wieviel Arten Insekten die Malven oder andere Pflanzen
besucht werden, sondern auf die Anzahl der einzelnen Tiere, welche
die einzelnen Pflanzen aufsuchen. Es ist die Möglichkeit nieht aus-
1) Behrens, Meth. Lehrbuch der allg. Bot., 2. Aufl., 1882, S. 173.
2) H. Müller, Die Wechselbeziehungen zwischen den Blumen und den
ihre Kreuzungen vermittelnden Insekten. Encykl. d. Naturwissensch., 1. Abt.,
Eee BandtS.n2:
3) Alpenblumen, ihre Befruchtung durch Insekten und ihre Anpassung an
dieselben, !881, S. 114, 115, 501.
4) Die Wechselbeziehungen ete., S. 35.
4992 Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere.
geschlossen, dass die weißen oder gelben Blumen trotz ihrer geringern
Artenzahl von viel mehr Individuen besucht werden als die roten,
blauen und violetten. In dieser Richtung müssen die Zählungen an-
gestellt werden, wenn sie uns eine Antwort von genügender Beweis-
kraft geben sollen.
Das Verdienst, die Frage nach dem Farbensinn der Tiere zuerst
einer experimentellen Prüfung unterworfen zu haben, gebührt Paul
Bert (1869). Auf einen mit Wasserflöhen ziemlich gleichmäßig be-
setzten Trog Wasser projizierte er ein Spektrum; nach kurzer Zeit
konnte er beobachten, dass die Majorität der Tiere sich nach dem
gelbgrünen Teil desselben begeben hatte. Leider hat sich Bert dureh
dies Resultat zu voreiligen Schlüssen verleiten lassen. Indem er an-
nahm, dass ein unter ein Spektrum gestellter Mensch sich nach dem
gelben Teil begeben würde, da er hier am deutlichsten sehen könnte,
konstatierte er eine völlige Uebereinstimmung der Farbenempfindung
aller Tiere mit derjenigen der Menschen so weit, dass er den Tieren
die Fähigkeit absprach Ultrarot und Ultraviolett zu empfinden, wäh-
rend er aus seiner einzigen Beobachtung und seiner Vermutung doch
nur den sehr unsichern Schluss ziehen durfte, dass die Daphniden
ungefähr in derselben Weise wie die Menschen von den Farben des
Spektrums das Gelb aufsuchten, und dabei die Möglichkeit nicht be-
rücksichtigt ist, dass sie das Gelb nicht einmal als Farbe, sondern
seiner Helligkeit wegen bevorzugten.
John Lubbock (1881, 1883) hat die Untersuchungsmethode
Bert’s zweckmäßigerweise dahin abgeändert, dass er in den Glastrog
Schieber einsetzte, wenn sich nach einer eirca 5—10 Minnten langen
Einwirkung der Beleuchtung die Daphniden verteilt hatten, und den
Glastrog so groß wählte, dass auch der ultrarote und der ultraviolette
Teil des Spektrums auf das Wasser fielen. Bei seinen Versuchen
zogen die Tiere das Grün allen Farben, auch dem Gelb vor, so dass
damit die Schlussfolgerungen Bert’s hinfällig wurden. Blendete Lub-
boek den leuchtenden Teil des Spektrums ab, so wurde das Ultra-
violett, das uns doch ebenfalls schwarz erscheint, 20 mal mehr besucht
als der verdunkelte Teil des Spektrums, so dass mit Evidenz ein
Vermögen der Daphniden sich heraustellte, ultraviolette
Strahlen anders zu empfinden als wir.
Eine noch bedeutendere Empfindlichkeit für Ultraviolett konnte
Lubbock bei den Ameisen konstatieren (1879, 1882). Als er auf
ein Ameisennest neben einander eine rote, gelbe, grüne und blau-
violette Glasplatte!) legte, trugen die Ameisen sofort mit emsiger
1) Es verdient bemerkt zu werden, dass man völlig einfarbige Gläser oder
Flüssigkeiten nicht herstellen kann; gelbe Gläser enthalten mindestens noch
rote oder grüne, grüne Gläser gelbe oder blaue, blaue Gläser außer einigen
roten, gelben und grünen auch noch violette und ultraviolette Strahlen,
5)
Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 493
Geschäftigkeit fast alle Puppen aus der blauen Region weg, so dass
nach einiger Zeit schon die Hälfte aller Puppen in das Rot und je
ein Viertel in das Gelb oder Grün gelagert war. Um genauer zu
untersuchen, welche Lichtstrahlen im Blau- Violett eigentlich eine so
energisch abstoßende Wirkung hervorbringen, projizierte Lubbock
ein Sonnenspektrum auf ein Ameisennest und brachte alle Puppen in
den ultravioletten Teil desselben. Alle wurden mit größter Geschwindig-
keit in andere Farben und nach Verlauf mehrerer Stunden nach dem
Ultrarot oder, wenn man dieses abblendete, nach dem Schwarz ge-
bracht. Danach erwiesen sich die Ameisen als dunkel-
liebende Tiere, welche auf Schwarz und Ultrarot gleich-
artig reagieren, deren Lichtempfindungsvermögen jedoch
am kurzwelligen Ende des Spektrums weiter reicht als
bei uns.
Lubbock (1881) hat seine Untersuchungen auch auf die Bienen
ausgedehnt. Schon vor ihm hatte Bonnier (1879) mit diesen Tieren
keine positiven Resultate erlangen können, als er ihnen mehrere große,
mit Honig gefüllte verschiedenfarbige Gläser zur Auswahl vorsetzte,
wahrscheinlich, weil die Anziehungskraft der großen Menge Honig
den Einfluss der Farbe aufhob. Deswegen legte Lubbock 6 kleine
mit farbigem Papier beklebte Glasplatten mit je einem Tropfen Honig
neben einander auf den Rasen und ließ einer Biene die Wahl zwischen
ihnen; nachdem sie von dem Honig einer Platte etwas genascht hatte,
wurde ihr dieselbe weggenommen und sie dadurch veranlasst, eine
zweite Farbe unter den übrig bleibenden fünf zu wählen. In den
weitaus meisten Fällen besuchte die Biene zuerst das
Blau.
Bei diesen Versuchen Lubbock’s ist indess ebenso wenig wie
bei denen Bert’s beachtet worden, dass bei der Wirkung einer Farbe
nicht nur deren Ton, sondern auch ihre Helligkeit eine Rolle spielen
kann. Wie notwendig die Beachtung verschiedener Helligkeitsstufen
ist, zeigen die Untersuchungen Mereschkowsky’s (1880) an niedern
Crustaceen, an Larven von Balanus und Dias longiremis. Diese be-
vorzugten stets das Weiß vor dem Schwarz und die hellere Farbe vor
der dunklern, während sie auf verschiedene Farbentöne von derselben
Helligkeit gar nicht reagierten. Aus diesem Mangel an Reaktion darf
man freilich noch nicht, wie Mereschkowsky thut, auf einen
Mangel an Farbenempfindung schließen; mit demselben Reehte müsste
man sonst einzelnen Säugetieren und Vögeln, welche, wie die folgen-
den Untersuchungen Graber’s zeigen, auf größere Helligkeitsunter-
schiede nicht reagieren, das Sehvermögen absprechen.
Bei Mereschkowsky findet sich ein wesentlicher Fortschritt in
der Methode, indem er nämlich den Tieren nicht, wie dies Bert und
Lubbock (mit einer Ausnahme) gethan, gleichzeitig eine große Menge
von Farben in der Reihenfolge des Spektrums, sondern jedesmal nur
494 Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere.
zwei Farben zur Auswahl vorlegte. Die erste Methode würde nur
dann einen Sinn haben, wenn die Tiere im stande wären, das Spek-
trum mit einem mal zu übersehen, und selbst dann würde man von
einer absoluten Vorliebe für eine bestimmte Farbe nicht ohne weitere
Untersuchung sprechen dürfen, da die Wirkung einer Farbe ähnlich
wie bei uns durch den Kontrast gegen die benachbarten bedingt sein,
sich demnach mit einer andern Reihenfolge ändern könnte. Sieht man
auch von diesen Bedenken ab, so kann man doch bei der gleich-
zeitigen Anwendung mehrerer Farben falsche Resultate erhalten. Wir
wollen z. B. annehmen, ein Tier hätte eine Zuneigung zu Blau und
eine ebenso starke Abneigung gegen Rot, sowie eine dreimal stärkere
gegen Gelb und Grün. Brächte jemand solche Tiere gleichmäßig ver-
teilt unter die 4 Farben, so würden sich dieselben aus dem Gelb in
das Rot und aus dem Grün in das Blau begeben; im Rot und im
Blau würden sich annähernd gleich viel Individuen finden, und der
Beobachter würde daraus eine gleiche Vorliebe des Tieres für beide
Farben schließen, während doch das Gegenteil der Fall ist.
Zur Erlangung genauer Resultate ist mithin nur die Zweifarben-
methode geeignet. Für dieselbe hat sich der neueste Forscher auf
dem Gebiete des Helligkeits- und Farbensinns der Tiere, Professor
VitusGraber') inÜzernowitz, trotz der ihr innewohnenden Schwierig-
keiten nach einer gründlichen Kritik der vorangegangenen Unter-
suchungen entschieden.
Von der Anwendung der Spektra musste bei derselben aus nahe-
liegenden Gründen Abstand genommen werden. Für die Benutzung
von farbigen Gläsern hatte Lubbock bereits zwei verschiedene
Methoden angewendet: er hatte die Ameisen durch auf das Nest ge-
legte Glasplatten (wenigstens von einer Seite) total beleuchtet, den
Bienen dagegen nur verschieden gefärbte kleine Gesichtsfelder zur
Auswahl vorgelegt. Diese letztere Methode hat auf den ersten Blick
etwas Bestechendes, weil bei ihr die chemischen und wärmenden Ein-
flüsse des Lichtes fast ganz eliminiert sind und die durch sie erlang-
ten Resultate direkte Schlüsse für das Naturleben der Tiere gestatten.
Indess hält es bei ihr schwer, bei Gegenwart anderer, oft vorwiegen-
der Reize die Aufmerksamkeit des Versuchstieres grade auf die Farben
zu lenken, auch lässt sich die Helligkeit und die Qualität der letztern
nicht genau regulieren; zudem kann man immer nur mit einem ein-
zigen Tiere operieren, und dadurch werden die Untersuchungen un-
1) Fundamentalversuche über die Helligkeits- und Farbenempfindlichkeit
augenloser und geblendeter Tiere. Sitz.-Ber. d. k. k. Akad. d. Wiss.
in Wien, 1. Abt., 1883, Aprilheft.
Grundlinien zur Erforschung des Helligkeits- und Farbensinns der Tiere.
Prag, Leipzig 1884, VIII, 322 S.
Ueber die Helligkeits- und Farbenempfindlichkeit einiger Meertiere. Sitz. -
Ber. 'ete., 4.'Abt., 1885, März-Heft, 22'S.
Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 495
gemein in die Länge gezogen, da die induktive Methode grade die
Beobachtung einer möglichst großen Anzahl von Individuen verlangt.
Dieser Uebelstand wird um so fühlbarer, als die Zweifarbenmethode
aus einem andern Grunde schon einen beträchtlichen Aufwand von
Zeit und Mühe erfordert. Die Farben Rot, Gelb, Grün, Blau- Violett
ohne und mit ultravioletten Strahlen, sowie Weiß und Schwarz ge-
statten unter einander 21 verschiedene Zusammenstellungen; diese
Zahl erhöht sich noch um 10, wenn man die durchaus erforderliche
Rücksicht auf die Helligkeit nimmt. Entscheidet sich bei der Kom-
bination Rot-Blau ein Tier für die letztere Farbe, so kann man ihm
nur unter der Voraussetzung eine Vorliebe für dieselbe zusprechen,
dass die beiden angewendeten Farben von gleicher Helligkeit sind.
Da diese Bedingung aber nicht zu erfüllen ist, so muss man im all-
gemeinen Hellrot mit Dunkelblau und Dunkelrot mit Hellblau zusammen-
stellen; erst dann, wenn sich das Tier in beiden Fällen für Blau
entscheidet, ist bei der Reaktion die Helligkeit Nebensache und die
Vorliebe für den Farbenton Blau unzweifelhaft. Aus all diesem geht
hervor, dass man bei der Methode der partiellen Beleuchtung zu
nennenswerten Resultaten kaum gelangen kann. Graber hat deshalb
bei seinen Untersuchungen allgemein die totale Belichtung (der Tiere
und ihres ganzen Gesichtsfeldes) angewendet.
B
Werden zu dem Zwecke vor und über die durchsichtige Vorder-
wand und Decke von Kästen, Trögen oder weitern Glasröhren in
einem besondern Rahmenwerk z.B. je eine rote und eine blaue Glas-
platte geschoben, so erhält man bei Anwendung diffusen Tageslichtes,
welehes vor dem direkten Sonnenlieht aus verschiedenen Gründen
den Vorzug verdient, im Innern der Gefäße nicht zwei verschieden-
farbige Abteilungen, sondern nur die äußersten Ecken zeigen ein reines
,
496 Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere.
Rot bezw. Blau. In der Mitte entsteht ein Gemisch beider Farben,
welches nach dem einen Ende zu mehr rot, nach dem andern zu mehr
blau wird. Durch eine in der Mitte angebrachte Scheidewand, welche
den Raum nicht ganz durchsetzt, kann man diesen Zwischenraum zwar
verkleinern, bei größern Tieren ist sie aber nur in sehr beschränktem
Maße möglich, weil durch sie die Bewegung derselben zu sehr ge-
hemmt wird. Der Mittelraum erscheint zunächst als ein Nachteil,
erweist sich aber in anderer Beziehung als sehr vorteilhaft, weil man
in ihn die zu untersuchenden Tiere bringen kann und dieselben dann
auf jeden Fall eine Auswahl zwischen den beiden Farben treffen
müssen.
Bei den Untersuchungen Graber’s erfolgte die Reaktion der in
solche Kästen gebrachten Tiere im allgemeinen in der Art, dass
sich nach einer Beleuehtungszeit von 5 bis 15 Minuten die Majorität
derselben in einer Abteilung angesammelt hatte. Wenn danach auf
eine verschiedene Empfindlichkeit der einzelnen Tiere derselben Art
geschlossen werden muss, so ist um so auffallender die bei Beobach-
tung einer größern Menge stets gefundene Konstanz der Besuche.
Beim Frosch z. B. ergaben sich in fünf Versuchsreihen folgende Zahlen:
rot: 225, 225, 238, 240, 228;
erün: 175, 175, 162, 160, 172.
Mit besonderem Nachdruck weist diese Erscheinung auf die schon
einmal betonte Notwendigkeit hin, mit einer größern Anzahl von Tieren
zu operieren. Bei Säugetieren, Vögeln ete. von einiger Größe geht
das nicht an, aber auch bei kleinern Arten darf man viele Individuen
auf einmal nicht zusammenbringen, weil sonst der Geselligkeits- und
Geschlechtstrieb störende Einflüsse ausübt: die Tiere betasten, beriechen
und behorehen sich, sie spielen oder raufen mit einander und achten
nicht mehr auf die Farben. Auch die Größe der Kästen und das
Naturell der Tiere ist von wesentlicher Bedeutung: in kleinern Räu-
men geht z. B. der überaus bewegungslustige Sperling in alle Ecken,
sie mögen beleuchtet sein, wie sie wollen, in größern hingegen unter-
nimmt er seine Sprünge und Flüge am liebsten in der blauen Abtei-
lung; das träge Meerschweinchen kehrt, auch wenn es gewaltsam
entfernt worden ist, immer wieder auf den anfänglich gewählten
Ruhesitz zurück u. dergl. mehr.
Mit ungemeinem Fleiß ist Graber bemüht gewesen, diese viel-
fachen innern und auch manche äußern Schwierigkeiten nach Mög-
lichkeit zu überwinden. Ungefähr 60 Tiere hat er in den Kreis seiner
Untersuehungen gezogen und mit ihnen unter sorgfältigster Berück-
sichtigung der Quantität und Qualität der angewendeten Lichter eine
erstaunlich große Anzahl von Beobachtungen angestellt; so teilt er
uns mit:
Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 497
1022 Versuche mit 2 Schweinen.
1460 a „ 10-20 Stieglitzen,
330 B „ einer großen Anzahl von Molchen,
120 R » 60 Schmerlen,
110 n „ 10-30 Schaben,
170 >. „ 100—300 Mücken,
112 : „ zahlreichen Seesternen u. $S. w.
Mehr noch als Fleiß und Sorgfalt erweisen uns die große Vor-
sicht und Umsicht, mit welcher die Versuche vorbereitet und die
Resultate unter allen möglichen Gesichtspunkten gedeutet sind, in
Prof. Graber einen ausgezeichneten Forscher. Nach der Lage der
Dinge können wir nicht erwarten, dass die Untersuchungen überall
erschöpfend und alle Resultate durchaus sicher sind; um so größere
Anerkennung verdient es, dass wir heute schon über eine stattliche
Reihe sicherer Ergebnisse gebieten.
Einige derselben sind in nachstehender Tabelle verzeichnet. In
ihr ist in der ersten wagerechten Reihe angegeben, wieviel mal mehr
schwarz als weiß und dann wieviel mal mehr gelb, grün, blau als rot
besucht wurden; in der zweiten Reihe findet sich eine ähnliche Zu-
sammenstellung von grün und blau mit gelb u. s. w.
blau- violett
| weiß |schwarz| rot gelb grün | ohne mit
ultra- violett
Tr FIETE EEE nA We # Far a En
f Ic. 0,4 | 1 1,3 0,4 1,8
Schwein oder il 1,8 0,8
8 Min. 2,5 ae) 0,5
NT
| 1 | 2
| BER],
Hund 1 0,08 1 | — 2 12
oder
12,5 1 |
nal: 1 | 0,15 | | 1,2 2 3 3
Stieglitz ses ' = 5
5 Min. 6,7 1 4 a 20
Na | u
1 159 1 0,6 0,7 0,16 0,07
Moleh 4 0,2 0,13 0,2
45 Min. 0,17 0,33
1 0,15
Schmerle | 1 2,1 1 - 0,7 =“ 0,5
e . 1 hs —
30 Min. | r 0.8
VI. 32
498
Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere.
| | blau-|violett
weiß |schwarz| rot gelb grün | ohne mit
| ultra- ‚violett
Schabe 1 7 1 w 2” = Ir
15 Min. N er: 0,1
1 0,1
. 1 0,3 1 22 — — 5
Biene oder 1 1 IT F 57
5—10 Min. 3,3 1 4 3 ee,
1 3
Mückenlarve | Eule In \ : | a | Br .
10 Min. 10 1 N | — | 2
1 0,7
x A 1 4 4 0,5 | 0,06 | 0,24 0,21
Goldkäfer N 0,50? | 0,40 | 0,28
40 Min. | 1 0,16 | 048
1 0,4
Raupe vom 1 | 0,06 1 0,5? | 0,8? | —_ 14
Weissling re oder Ä 1 192 | — nn
15 Min. | | | 1 5
Roter See- 4 | 0 45 4 ze 1 6 ——
stern oder 4 _ 1,2
15 Min. ar 4
Regenwurm 1 5,2 1 — 0,4 = 0,2
mit Vorder- 1 _ 0,3
ende 1 0,2
4 Stunde |
ohneVorder- | 27 | 1 ne TOR LER 0,3
ende Reh
4—12 Stunden | |
ern
Molch, | | |
geblendet 1 2,1 4 0,5 — —_ 0,4
45—40 Min. 1 — | 0,6
Nach dieser Tabelle und nach den übrigen hier nicht mitgeteilten
Beobachtungen reagieren alle untersuchten 60 Tiere mit Ausnahme
nur des Meerschweinchens und der Schildkröte auf den Unterschied
zwischen hell und dunkel und auch auf kleinere Helligkeitsunterschiede;
Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 499
die Reaktionsstärke wächst dabei mit der Größe des Unterschiedes,
eine Uebereinstimmung in der Helligkeitsempfindung bei verschiedenen
Arten ist indess nieht vorhanden.
Besonders beachtenswert gestalten sich die Resultate für ver-
schiedene Helligkeitsstufen bei Anwendung farbigen Lichtes. Die
nachstehende Tabelle gibt über dieselben Auskunft; sie enthält in
jeder ersten senkreehten Spalte das Verhältnis Hell: Wenigerhell und
in der zweiten dasjenige der Besucher.
weiß | blau | rot
Verhältnis der Verhältnis der Verhältnis der
| ee Besucher ns Besucher Ds Besucher
RR RER | 1 1
& cnweın 3 0,5 — — b)
ee 1 1 1 1 1 4
en 37 re 900 0,6 31 0,16
ao
= !Seestern 2 I ie - -
= pP) 0,45 22 0,55 22 1,1
1 1 1 1
En BUNT es 3,7 F r 335 73
+5 |gehmer! ! | = — a 2
er) a ers 2,1 16875 1
SE | 1 1 1
== IGoldkäfer “ 7 an BT 125000 1
(=)
rt 1 1 4 4 1 4
Nanbale 9 a EVER N
Das Schwein zieht danach bei weißem Licht das Hell, bei rotem
Licht das Dunkel vor.
Der Stieglitz meidet das Dunkel im Blau nur 3!/, mal mehr als
das im Rot, trotzdem jenes 11 mal dunkler ist als dieses.
Der dunkelliebende Molch zieht das Dunkel bei weißem Licht
stärker vor als bei rotem, trotzdem jenes 75 mal dunkler ist als
dieses.
Bei gleichem Intensitätsverhältnis zieht der hellliebende Seestern
das Hell im Weiß mehr vor als im Blau und gar nicht im Rot, ebenso
die dunkelliebende Schabe (Blatta germ.) das Dunkel im Weiß mehr
als im Blau und in diesem mehr als im Rot.
Die Sehmerle und der Goldkäfer reagieren auf große Helligkeits-
differenzen im Weiß sehr deutlich, auf solche im Rot gar nicht.
Die Helligkeitsempfindung zeigt sich mithin auch abhängig von
der Qualität der Vergleichslichter und zwar bei verschiedenen Tieren
in verschiedener Weise.
DEE?
[9 74)
500 Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere.
Ebenso deutlich reagieren fast alle untersuchten Tiere auf Dif-
ferenzen in der Farbe; gar keine Reaktion zeigten nur einige Hunde,
die Katze, das Meerschweinchen, das Kaninchen, die Taube, das Huhn,
der Papagei, die Schildkröte und der Flohkrebs. Die Farbenempfind-
lichkeit ist bei verschiedenen Tieren ebenfalls sehr verschieden; stark
reagieren auf rot | gelb: Stieglitz, Biene, Mückenlarve;
gelb | grün: Ameise;
grün | blau: Schwein, Molch, Libellenlarve, Schabe, Gold-
käfer, Stieglitz, Sperling, Heckenweißling.
Mit Ausnahme der angeführten Ausnahmen zeigt sich überall eine
Vorliebe für eine gewisse Farbe!), jedoch wiederum keine Ueberein-
stimmung. Blauliebend sind z. B. der Hund, der Stieglitz, die Biene,
die Mückenlarve, der Heckenweißling; rotliebend: die Libellenlarve,
die Schabe, die Ameise, der Goldkäfer; grünliebend (gegenüber rot
und gelb): die Mückenlarve. Das Schwein zeigt keinen entschiedenen
Farbengeschmack, derselbe ändert sich mit der Zusammenstellung der
Lichter. Bei einer Art ist die Vorliebe nach dem Lebensabsehnitt
variabel: die Libelle ist im Larvenzustande rot-, im ausgebildeten
blauliebend.
Im allgemeinen ist die Größe der Vorliebe für eine gewisse Farbe
nach der Qualität der mit ihr verglichenen sehr verschieden, der
Molch z. B. zieht das Rot dem Blau gegenüber 8 mal stärker vor als
dem Gelb gegenüber. Berechnet man im Durchschnitt, wieviel mal
eine Farbe im Vergleich zu einer andern vorgezogen oder gemieden
wird, so ergeben sich folgende Zahlen, die freilich nur auf ungefähre
Genauigkeit Anspruch machen können:
rot | gelb: 1,70; rot | grün; 1,65; rot| blau mit,
selb |, erün.:- 1,20: zelb? hlau: 73 ; ultray. 2
blau ohne | blau mit grün | blau mit
ultraviolett nn ultrav. 2,84;
so dass das Maximum der Reaktion bei der Kombination rot | blau mit
ultraviolett auftritt und man das Gesetz aussprechen darf: die unter-
suchten farbenempfindlichen Tiere unterscheiden Farben
um so deutlicher, je weiter dieselben im Spektrum aus-
einander liegen.
Auf die Farbenwahl übt aber die Helligkeit einen bedeutenden
Einfluss aus. Nimmt man bei der hell- und blauliebenden Mückenlarve in
der Zusammenstellung Hellrot | Dunkelblau das letztere5, 260, 240. 000 mal
schwächer, so erhält man 12 bezw. 8, und 3 mal mehr Besucher im
Blau als im Rot, es wird also die Blauvorliebe durch die Helligkeits-
1) Strenggenommen darf man nur von einer Bevorzugung einer Farbe
sprechen, da uns über die subjektiven Empfindungen der Tiere kein Urteil
zusteht.
Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere. 501
vorliebe mehr und mehr gemindert. Der dunkelliebende Molch zieht
von den 3 Farben Rot, Gelb und Grün stets die dunklere vor; der
dunkelliebende Regenwurm helles Rot dem dunklen Blau oder Grün
und helles Grün dem dunklen Blau, der hell- und blauliebende See-
stern das Blau allen hellern Farben. Ein allgemeines Gesetz ergibt
sich danach nieht, einige Tiere scheinen ein schwaches Farbengefühl
bei starkem Helligkeitsgefühl zu haben und umgekehrt. Dagegen
können wir die auffallende Thatsache konstatieren, dass alle hell-
liebenden Tiere zugleich blau, alle dunkelliebenden rot besonders be-
vorzugen. Unter 40 Tieren machen von dieser Regel nur der Gimpel
und die grüne Zirpe eine Ausnahme.
Hervorgehoben muss schließlich noch werden, dass das Ultraviolett
von allen hierauf untersuchten Tieren (25) deutlich empfunden, z. B.
vom Schwein, vom Stieglitz, von der Biene und den Schmetterlingen
gesucht, von dem Molch, der Schabe und dem Goldkäfer gemieden
wird. Dass dabei von einer Liehtwirkung die Rede sein muss und
nicht von einer chemischen, ergibt uns der Anblick der Intensitäts-
kurve der chemischen Strahlen eines Spektrums; dieselbe ist vom Gelb
bis zur sichtbaren Grenze des Violett im wesentlichen ebenso gestaltet
als im Ultraviolett und hat im Anfang des letztern das kleinere, im
Anfang des Violett das größere Maximum.
Versuche mit Ultrarot haben stets negative Resultate ergeben.
So interessant und bedeutsam auch die erlangten Ergebnisse
sind, so geben sie doch leider direkt keine Antwort auf die Frage,
wie die Tiere im freien Naturleben Farben empfinden; immerhin ge-
statten sie die Vermutung, dass Tiere, welche bei totaler Beleuchtung
auf Helligkeits- und Farbenunterschiede reagieren, dieselben im freien
bei partieller Beleuchtung ihres Gesichtsfeldes wahrscheinlich ebenso,
wenn auch in geringerem Grade empfinden, dass die Empfindung aber
durch andere Einflüsse sehr beeinträchtigt, selbst ganz unterdrückt wer-
den kann. Darum wird die früher von Hermann Müller aufgestellte
Behauptung, dass die Bienen blaue Blumen allen andern vorzögen,
in den Graber’schen Beobachtungen nur eine schwache Stütze finden,
ebenso auch die andern früher erwähnten darwinistischen Ansichten.
Die Gründe für die Verschiedenheit des Farbengeschmacks bei den
verschiedenen Tieren müssen wir selbstverständlich in einer Verschie-
denheit der Organisation suchen und diese nach den heute herrschen-
den Anschauungen in Beziehung zum Leben setzen. Man könnte an
einen Zusammenhang mit der Nahrung oder an eine sexuelle Bedeu-
tung denken; beide Vermutungen treffen aber nicht zu: der Hund, der
Stieglitz, die Libelle, die Schmetterlingsraupen nehmen keine blaue
Nahrung zu sich, der Hund, der Stieglitz, der Weißling, die Biene
haben keine blaue Färbung an sich. So ist uns die Bedeutung der
Farbenempfindlichkeit für das Leben der Tiere vorläufig noch ver-
schlossen ; vielleicht gelangen wir einst zu einer genügenden Erklärung
502 Tiebe, Helligkeits- und Farbensinn der Tiere.
beim weitern Verfolg der auffallenden Thatsache, dass die meisten
der blauliebenden Tiere fliegen und Heuschrecken und Zirpen ( Tetti-
gonia viridis) eine Vorliebe für Grün zeigen; man könnte vermuten,
dass jedesmal die Farbe von den Tieren bevorzugt wird, welche sie
am meisten sehen. Indess ist das eben auch nur Vermutung und
nicht ohne jeden Einwand.
Von besonderem Interesse und darum einer besondern Erwähnung
wert sind die Untersuchungen, welche Graber mit mehrern
augenlosen und geblendeten Tieren inbetreffihresHellig-
keits- und Farbensinns angestellt hat. Durch Strasburger
(1878) und Engelmann ist schon früher bei gewissen niedersten
Organismen (Schwärmsporen, Myxomyceten, Diatomeen und Infusorien)
eine deutliche Lichtempfindlichkeit nachgewiesen worden, und Hoff-
meister (1845) und Darwin (1881) haben eine solche auch beim
Regenwurm gefunden und vermutet, dass das Vorderende der Träger
dieser Empfindung sei. Graber hat nun (1883) festgestellt, dass die
Regenwürmer nicht nur auf grelle, sondern auch auf relativ geringe
Helligkeits- und auf Farbenunterschiede selbst dann noch reagieren,
wenn ihnen das Vorderende abgeschnitten ist (vergl. Tabelle I S. 497),
dass also ihre Lichtempfindlichkeit auf die ganze Haut, wenn auch
nicht gleichmäßig verteilt ist.
Ein ähnliches Resultat ergab sich bei der Untersuchung von
Molchen und Schaben, denen die Augen herausgenommen und die
Augenhöhlen mit schwarzem Wachs ausgefüllt waren. Auch bei diesen
Tieren erfolgten die Reaktionen in geblendetem Zustand überein-
stimmend mit derjenigen in ungeblendetem; auch zeigten sich dieselben
unabhängig von dem Einfluss der strahlenden Wärme. Beim roten
Seestern (Asteracanthion rubens) dagegen zeigte sich kein Erfolg, als
ihm die Augen abgeschnitten wurden; es schien dadurch ein zu tiefer
Eingriff in die ganze Organisation geschehen zu sein.
Diese allerdings noch vereinzelten Beobachtungen gewinnen an
Bedeutung, wenn man sie mit der von Graber gemachten Entdeckung
zusammenstellt, dass manche Tiere mit der Haut hören oder mit
ihr oder andern Sinnesorganen riechen. Die orientalische Schabe
Periplaneta!) reagiert auch nach Entfernung ihres Kopfteiles auf
Schall- und Riechreize, auf manche der letztern (konzentriertes Aceton
und konz. Karbolsäure ) sogar energischer als mit dem Kopf; der Regen-
wurm, der Blutegel, einige Landschneeken empfinden Geruchsreize
mit der Haut, ob freilich als Geruch oder nur als Schmerz, lässt sich
nicht feststellen. Eidechsen und Schwalben reagieren mit dem Auge
schneller und energischer auf starke Gerüche als mit der Nase, und
4) Die chordotonalen Sinnesorgane und das Gehör der Insekten. Archiv
für mikrosk. Anatomie, XX. u. XXI. Band.
Wilekens, Geschlechtsverhältnis und Geschlechtsbildung bei Haustieren. 503
der Moleh mit dem Schwanz fast ebenso gut als mit dem eigentlichen
Geruchsorgan !).
Aufgrund dieser Beobachtungen kommen wir zu dem
hochbedeutsamen Schluss, dass bei einzelnen Tieren die
Sinnesempfindung nicht an spezifische Sinnesorgane ge-
bunden ist und auch die Haut Liceht-, Gehör- und Riech-
reize wahrnehmen kann.
Es stimmt dies mit der der Entwieklungsgeschichte entnommenen
Ansicht überein, welche in der Haut das ursprüngliche und universale
Sinnesorgan erblickt.
Zum Schluss wollen wir die durch die exakten Forschungen
namentlich Prof. Graber’s gewonnenen Resultate zusammenfassen:
Mit wenigen Ausnahmen reagieren alle bei Anwen-
dung der totalen Beleuchtung untersuchten Tiere auf
Helligkeits- und Farbenunterschiede sehr deutlich, und
zwar um so deutlicher, je größer die Differenzen sind.
Bei den verschiedenen Arten ist die Empfindlichkeit und
die Vorliebe für bestimmte Helligkeiten oder Farben sehr
verschieden, und diejenige für Farben iistin verschiedener
Weise mitbedingt durch die Helligkeit und umgekehrt.
Alle hierauf untersuchten Tiere zeigen sich empfind-
lich gegen das uns unsichtbare Ultraviolett, reagieren
dagegen nicht auf Ultrarot.
Diese Resultate behalten ihre Giltigkeit auch für
einige augenlose und geblendete Tiere, welche demnach
Lieht und Farben mit der Haut zu empfinden vermögen.
Die Beobachtungen gestatten vorläufig Schlüsse für
das Naturleben der Tiere nicht.
Untersuchung über das Geschlechtsverhältnis und die Ur-
sachen der Geschlechtsbildung bei Haustieren.
Von Prof. Dr. M. Wilckens in Wien.
(Landw. Jahrbücher, Berlin 1886, Bd. XV. S. 607—651.)
Die Untersuchung erstreckt sich auf die Geburten von
16091 Fohlen,
4900 Kälbern,
6751 Lämmern,
2357 Ferkeln,
zusammen 30099 Haustieren.
1) Vergleichende Grundversuche über die Wirkung und die Aufnahme-
stellen chemischer Reize bei den Tieren. Biologisches Centralblatt, V. Band,
Nr. 13, 15, 16 8. 385—398, 449—459, 483—489, 1885.
=|
o
-i
©
ou
»
a
=}
S
jan)
m
©
Fe)
an
=
=
=)
e=
Fe]
a
»
|
©
©
—
=
©
a
©
(de)
1)
=
=}
Je
Ss
>
—
=
rm
Pe
©
>
a
.o
=
©
=
=
©
an
©
(<>)
2
=
©
en
b>)
Fi
De
1)
0
-soIgeP Joey U]
-SIIULP IomıeM UI
-MUSSusIg UOA
8607 I 6991 erglocsırl se | ooslers | 1971 mar ser | FrZT | EIHI | 2082 | Miggren pın -jfoA "ISug| suraAyag
LT6_ 11808 | 6ETE 1 6'80L | E6EL! 9EEL I 866 | 8261 6261 #26 1 TEEE | O8FE| 19 | JomugT 19p omumg
%c6 | 29E | 868 |zcor| ser | E17 |E'COr| 17% | 10% 1066 | C08 | E18 sı97 | SUMOPOALUISTUCH,
2e6 |Feı Ilse | — | — — |ezor| F6E | se les | vazı | seer | 26% SOULIOT - [JO AUIUEY oreyag
696 om |eer Izsor|lece | ır8 Ire6 | 298 | E68 |LOOF | LET | 69°7 | 1% SOULION - JO AYOnL
VEOL I 8261 26 IT'FELI TFELI S2IL IT'9OLI E98 | FRE IE'2OLI 9888 | TIER | 0067 J9qE 1 ap ounung
goor | TIE | zIE |266 | 28& | BEE |yias | zer | 09T |o’96 | 629 | 202 | ser | uosunznery|
c’88 GE -0EI2| 0777 | 6ER Ic _ 27 Ic 2101| Fed | 1% c0g UHSSBISFITION aopury
v80r | 9FG | og I80cT | c98 | 9m Eger, ver | ger |o’rIr | 809r | sorr | 6008 | UOSSTISDUNIHPOIN. 3
©L6 1 ESEL I TER I 9'96 | TILE 1688 | 8°68 | C2S I FL6 | E26 | 9862 | CCIS | T6O9T | uO]JOT Top ounung
v6 [026 | 18% |eT6 | 8za | 624 |8:08° | Tor I Cr |C20T | STS- | scı gıcT dogqnıpery|f
v8 |Ivıce |o6e |2'06 | 2601 | zerr |T28 | or | 697 1016 | 0228 | core | cur miqgieH sSOyosısum Ste
eıs | or | rer |grcor | 602 | ser Isos | «6 | 277 los | Teer | Troz | zoee InrgtloA serpeizust| PrOJd
orsır | orC | der \186 | 226 | er6 |Er20Or | 69% | 89% |E'00T | 006% | 1685 | 1629 uiggreg pun -TfoA Jogeıy
Ro Wear MEINEN Male arm Sa w | 'M | suumg
Y3N9ZI9 J19Z Y5N9ZI9 119Z 1910993 uI9} OPEISH
| SUNnP HULOIONY 919LJSNEH IEp assey 19p UV
|
-"U9UIOMYOS pun usFeyag ‘uropurg
"UHPAIOFJA UOA YIOZSOIYeL ınz ZuUnypIzog 9aIP Ppun Y9ssIugyasasjy9oTydseg aIp asqn Jyoısıogqan
Wilekens, Geschlechtsverhältnis und Geschlechtsbildung bei Haustieren. 505
Aus der Uebersichts- Tabelle über das gesamte Untersuchungs-
Material ergibt sich, dass im ganzen Durchschnitt bei Pferden und
Schafen die weiblichen Jungen, bei Rindern und Schweinen aber die
männlichen Jungen das Uebergewicht haben über das entgegenge-
setzte Geschlecht. Bei Pferden, Rindern und Schweinen zeigen die
von Erstlingsmüttern gebornen männlichen Jungen ein niedri-
geres Geschlechtsverhältnis (zu 100 weiblichen Jungen) als die von
mehrgebärenden Müttern gebornen; bei Schafen dagegen ist das durch-
schnittliche Geschlechtsverhältnis der von Erstlingsmüttern gebornen
männlichen Jungen höher als das der von mehrgebärenden Müttern
gebornen. In der warmen Jahreszeit (von April bis August) werden
bei Pferden durchschnittlich etwas weniger männliche Junge erzeugt
als in kalter Jahreszeit (von September bis März). Dagegen ist bei
Rindern, Schafen und Schweinen das Geschlechtsverhältnis der in
warmer Jahreszeit erzeugten männlichen Jungen beträchtlich höher
als das der in kalter Jahreszeit erzeugten.
Die höher und in einem rauhern Klima gelegenen Gestüte!),
wie Fogaras in Siebenbürgen, Lippiza im Karstgebirge bei Triest
und Kladrub in Böhmen haben ein höheres Geschlechtsverhältnis als
die einem mildern Klima angehörenden Gestüte.
Der Einfluss der Rasse auf das Geschlechtsverhältnis bei Pfer-
den ist zweifelhaft; verschiedene Rassen zeigen zwar in demselben
Gestüte ein verschiedenes Geschlechtsverhältnis, aber das Gleiche ist
der Fall bei gleichnamigen Rassen in verschiedenen Gestüten. Sehr
merkwürdig ist, dass in dem ungarischen Staatsgestüte Kisber die
Fohlen von englisch Vollblut ein Geschlechtsverhältnis von 108,6
zeigten, während sie in den österreichisch - ungarischen Privatgestüten
ein Geschlechtsverhältnis von 97,0 hatten.
Die Tabellen, welche die Fohlen einerseits nach ihren Vätern,
anderseits nach ihren Müttern geordnet zeigen, lassen erkennen, dass
die Stuten einen größern Einfluss haben auf das Geschlechtsverhältnis
ihrer Nachkommen als die Hengste.
Der Einfluss des absoluten Alters macht sich bei den Stuten
in der Weise geltend, dass in 6964 Geburtsfällen die Stuten im mittlern
Lebensalter (vom 9. bis 14. Lebensjahr) verhältnismäßig am meisten
weibliche, im höhern Lebensalter (über dem 14. Lebensjahr) verhält-
nismäßig am meisten männliche Fohlen gebaren; im mittlern Lebens-
alter war das Geschlechtsverhältnis 92,6, im höhern Lebensalter 107,7,
durchschnittlich aber 96,3. Die Hengste zeugten verhältuismäßig
am wenigsten männliche Junge (91,0 : 100) im frühen Lebensalter
(bis zum 8. Lebensjahr), verhältnismäßig am meisten männliche Junge
1) Die Untersuchung bezieht sich auf sämtliche Hof- und Staatsgestüte,
auf die englisch Vollblut züchtenden Privatgestüte in Oesterreich - Ungarn,
sowie auf die Kgl. Württembergischen Privatgestüte Weil und Scharnhausen.
506 Wilckens, Geschlechtsverhältnis und Geschlechtsbildung bei Haustieren.
(103,9 : 100) im mittlern Lebensalter (vom 9. bis 14. Lebensjahr).
Das durehschnittliche Geschlechtsverhältnis von 3682 nach den Alters-
jahren ihrer Väter geordneten Fohlengeburten war 96,0.
Inbetreff des relativen Alters der Eltern ergibt sich aus 4982
Fohlengeburten von englischem Voll- und Halbblut und arabischem
Voll- und Halbblut, dass, wenn Hengst und Stute beide in der
zweiten Altersgruppe (von 9—14 Jahren) standen, sie am wenigsten,
wenn beide in der dritten Altersgruppe (über 14 Jahre) standen, sie
am meisten männliche Fohlen zeugten. Bis Sjährige Hengste zeugten
mit Stuten der gleichen (ersten) Altersgruppe am wenigsten männ-
liche Fohlen, mit Stuten der dritten Altersgruppe am meisten. Hengste
von 9—14 Jahren zeugten mit Stuten der gleichen (zweiten) Alters-
gruppe am wenigsten männliche Fohlen, mit Stuten der dritten Al-
tersgruppe am meisten. Hengste über 14 Jahre zeugten mit Stuten
der ersten Altersgruppe am wenigsten männliche Fohlen, mit Stuten
der gleichen (dritten) Altersgruppe am meisten.
Aus diesen an 4982 Fohlengeburten festgestellten Thatsachen er-
gibt sich: dass männliche Fohlen in verhältnismäßig größerer Zahl
erzeugt werden von Stuten der dritten Altersgruppe mit Hengsten
aller Altersgruppen, und zwar in überwiegender Zahl (mit einem
Geschlechtsverhältnis von 110,3) mit Hengsten der ersten Altersgruppe;
dass ferner weibliche Fohlen in verhältnismäßig größerer Zahl (mit
einem Geschleehtsverhältnis von 85,6) erzeugt werden von Stuten der
ersten Altersgruppe mit Hengsten der dritten Altersgruppe, und dem-
nächst von Stuten der zweiten Altersgruppe (Geschlechtsverhältnis
86,3) mit Hengsten der dritten Altersgruppe. Im großen Durchschnitt
ergibt sich daraus die Regel: Alte Stuten sind mit jungen Hengsten
zu paaren, wenn man verhältnismäßig mehr männliche Fohlen haben
will, junge Stuten aber mit alten Hengsten, wenn mehr weibliche
Fohlen geboren werden sollen.
Im Gegensatze zu Herrn Düsing — nach dessen Theorie die
stärkere geschlechtliehe Beanspruchung des männlichen Erzeugers die
Erzeugung männlicher Nachkommen begünstigen soll — fand ich in
den österreichischen Hofgestüten Kladrub und Lippiza, dass die dort
übliche sehr sparsame geschlechtliche Beanspruchung der Hengste ein
für Pferde sehr hohes Geschlechtsverhältnis (108,5 bei 1770 Fohlen)
zur Folge gehabt hat.
Der Einfluss des Alters, der meines Erachtens nur auf seiten
der Mutter in Frage kommt, steht in nächster Beziehung zum Er-
nährungszustande derselben. In der Regel ermöglicht das frühere
Alter der Mutter eine reichlichere Ernährung der Frucht, als das spä-
tere Alter derselben. Aus den mitgeteilten Thatsachen ergibt sich,
dass der bessere Ernährungszustand der Stute die Bildung einer weib-
lichen Frucht begünstigt. Dieser Einfluss wird auch durch die
Thatsachen bestätigt, dass in den Jahren, welche dem Güstbleiben
Wilckens, Geschlechtsverhältnis und Geschlechtsbildung bei Haustieren. 507
der Stuten folgen — wegen besserer Ernährung der Frucht nach
einem unfruchtbaren Jahre —- die weiblichen Geburten vorwiegen;
dagegen überwiegen bei Zwillingsgeburten die männlichen Früchte,
weil zwei Früchte unvollkommener ernährt werden als nur eine.
Bei Rindern ist das Geschlechtsverhältnis der neugebornen
Kälber im allgemeinen wie 100 : 107,3, von Erstlingskälbern insbe-
sondere wie 100 : 106,1. Von Erstlingskühen werden also verhältnis-
mälig mehr weibliche Kälber geboren, was sich dadurch erklären
lässt, dass Erstlingskühe ihre Frucht besser ernähren als mehrge-
bärende Kühe, welche während ihrer Trächtigkeit noch Milch geben.
Die Kühe, welche zur Zeit der Geschleehtsbildung ihrer Frucht
(gegen Ende des ersten Drittels ihrer Tragezeit) reichlich Milch ge-
ben, bringen vorwiegend männliche Kälber, weil eine gute Milchkuh
ihre Frucht schlechter ernährt als eine schlechte Milchkuh. Aus den
vorgeführten Thatsachen ergibt sich als Regel, dass die Kühe, deren
Milchertrag über dem Jahres -Durchschnitte des Stalles stand, mehr
Stierkälber, die Milchkühe aber, deren Milchertrag den Jahres-Durch-
schnitt des Stalles nicht erreichte, mehr Kuhkälber gebracht hatten.
Von den Rassen der 13 Rindviehherden, welche das Unter-
suchungsmaterial geliefert hatten, zeigten die Niederungsrassen
(umfassend die Angeler, Holländer, Ostfriesen und Danziger) ein Ge-
schlechtsverhältnis von 100 : 114, die Gebirgsrassen (Algäuer,
Berner und Pinzgauer - Berner-Kreuzung) ein Geschlechtsverhältnis
von 100 : 101,2 und die Kreuzungen (Berner-Holländer, Berner-Land-
vieh, Berner - Oldenburger, Shorthorn - Landvieh, Holländer - Kreuzung)
ein Geschlechtsverhältnis von 100 : 96. Unter diesen drei Rassen-
gruppen sind die Niederungsrassen die milchreiehsten; deshalb
ernähren sie ihre Frucht schlecht, und sie erzeugen verhältnismäßig
am meisten männliche Kälber; dazu kommt, dass die größere Zahl
ihrer Kälber in warmer Jahreszeit erzeugt wird, welche im allge-
meinen wegen der verminderten Fresslust die Ernährung herabsetzt
und dadurch die männliche Geschlechtsbildung begünstigt.
Das Geschlechtsverhältnis der Gebirgsrassen entspricht un-
gefähr dem mittlern bei Sommerstallfütterung. Bei ihnen ist der
Unterschied im Geschlechtsverhältnis der in warmer und in kalter
Jahreszeit erzeugten Kälber noch größer als bei den Niederungs-
rassen, wahrscheinlich deshalb, weil die in ihrer Heimat an Weide-
nahrung gewöhnten Gebirgsrassen sich an die Sommerstallfütterung
schwer auzupassen vermögen und darum sich und ihre Frucht
schlechter nähren, was in dem hohen Geschlechtsverhältnis von 114,9
zum Ausdruck kommt. Dagegen fallen die Gebirgsrassen bei Winter-
stallfütterung im Milchertrage im allgemeinen stärker ab als die Nie-
derungsrassen; bei geringerer Milchgabe aber ernähren sich die Ge-
birgskühe selbst und ihre Frucht besser, woraus sich das auffallend
niedrige Geschlechtsverhältnis von 88,5 erklären lässt.
508 Wilekens, Geschlechtsverhältnis und Geschlechtsbildung bei Haustieren.
Die Kreuzungen zeigen in dem Geschlechtsverhältnis von
100 : 96 ein auffallendes Ueberwiegen der neugebornen weiblichen
Kälber. Unter den Kreuzungsherden steht die Berner- Oldenburger
zu Prieborn in preuß. Schlesien mit dem niedrigsten Geschlechtsver-
hältnis von 61,4 obenan. Diese Herde ist mir bekannt durch ihre
ungewöhnlich reiche Fütterung. Das auffallend niedrige Geschlechts-
verhältnis der Prieborner Heerde (in den Jahren 1879—1885) erklärt
sich übrigens auch dadurch, dass im Jahre 1884 fast die Hälfte der
Kühe verkalbt hatte, infolge dessen diese im Jahre 1885 sehr wenig
Milch gaben. Wir haben also auch hier wieder: geringern Milch-
ertrag, bessere Ernährung der Frucht, Begünstigung der weiblichen
Geschlechtsbildung.
Bei Schafen ergaben die Geschlechtsverhältnisse von 6751 Läm-
mergeburten kein ganz klares Bild bezüglich der geschlechtsbedingen-
den Ursachen. Nicht zu verkennen ist aber, dass das Geschlechts-
verhältnis der neugebornen Lämmer bei zwei Tuchwollherden höher
war, als bei einer Herde von Hamshiredowns und einer von Kamm-
woll-Merinos. Da im großen Durchschnitt der Ernährungszustand
von Tuchwoll -Merinos ein minderer ist, als der von englischen Fleisch-
schafen und von Kammwoll-Merinos, so erklärt es sich, dass jene
verhältnismäßig mehr männliche Lämmer geboren hatten als diese.
Der Einfluss der Jahreszeit auf die Geschlechtsbildung zeigte
sich der Regel entsprechend: in warmer Jahreszeit sind verhältnis-
mäßig mehr männliche Lämmer erzeugt, in kalter Jahreszeit verhält-
nismäßig mehr weibliche. 5
Der Einfluss des Alters der Böcke auf die Geschlechtsbildung
der Frucht war ebenso wenig zu erkennen, wie bei den Hengsten.
Auch die größere oder geringere geschlechtliche Beanspruchung der
Böcke zeigte keinen Einfluss auf die Geschlechtsbildung der Frucht.
Bei Schweinen hatten die neugebornen Ferkel mehrgebärender
Sauen ein Geschlechtsverhältnis von 100 : 115, die von erstgebären-
den Sauen ein Geschlechtsverhältnis von 100: 94,2. Die erstgebären-
den Sauen werfen also verhältnismäßig viel weniger männliche Ferkel
als die mehrgebärenden. Diese Thatsache lässt sich vielleicht bei
keinem andern Haustiere in so überzeugender Weise durch den Ein-
fluss der Ernährung begründen wie bei Schweinen. In der Regel
ferkelt eine Zuchtsau zweimal im Jahre, und sie säugt ihre beiden
Ferkelwürfe zusammen 8 bis 12 Wochen. Eine mehrgebärende Sau
befindet sich demnach durchschnittlich in einem schlechtern Er-
nährungszustande als eine Sau, welche zum erstenmal trächtig ge-
worden ist. Dazu kommt noch, dass die mehrgebärenden Sauen
durchschnittlich bei jeder Geburt 8 Ferkel, die erstgebärenden Sauen
aber nur 7 Ferkel werfen; diese können also die kleinere Zahl ihrer
Früchte im Mutterleibe besser ernähren, als die ohnehin in schlech-
Wilckens, Geschlechtsverhältnis und Geschlechtsbildung bei Haustieren. 509
terem Ernährungszustande befindlichen mehrgebärenden Sauen die
größere Zahl ihrer Ferkel.
Aus den vorgeführten Thatsachen ergibt sich ferner, dass das
Geschlechtsverhältnis, bezw. die Verhältniszahl der männnlichen Ge-
burten vollkommen parallel geht mit der Zahl der Ferkel, die auf
eine Geburt entfallen. Die höchste Zahl von Ferkeln auf eine Ge-
burt, nämlich 8,42, entsprach einem Geschlechtsverhältnis von 136,7,
die niedrigste Zahl von Ferkeln auf eine Geburt, nämlich 7,88, ent-
sprach einem Geschlechtsverhältnis von 100,3.
Auch das durchschnittlich hohe Geschlechtsverhältnis der in
warmer Jahreszeit erzeugten Ferkel (115,0 gegen 109,3 der in kalter
Jahreszeit erzeugten) spricht für den großen Einfluss der Ernährung
auf die Geschlechtsbildung bei Schweinen.
Aus vorliegender Untersuchung ergeben sich folgende Schluss-
folgerungen:
1. Die Oertlichkeit (Boden und Klima) hat einen Einfluss auf
das Geschlechtsverhältnis und die Geschlechtsbildung bei Haustieren,
aber wahrscheinlich nur durch Vermittlung der Ernährung der Frucht
im Mutterleibe.
2. Das Geschlechtsverhältnis und die Geschlechtsbildung der
Haustiere ist abhängig von ihrer Rasse, aber nur insofern diese in
Beziehung steht zu einer bestimmten Oertlichkeit und zu dem durch-
schnittlichen Ernährungszustande der ihr angehörenden Tiere.
3. Die Jahreszeiten, in denen die Haustiere erzeugt werden,
haben einen Einfluss auf deren Geschlechtsverhältnis und Geschlechts-
bildung. Die warme Jahreszeit begünstigt die männliche Geschlechts-
bildung, die kalte Jahreszeit die weibliche; jene, weil sie im allge-
meinen die Fresslust und Ernährung der Haustiere herabsetzt, während
die kalte Jahreszeit sie steigert.
4. Das Alter der männlichen Erzeuger hat keinen Ein-
fluss auf das Geschlechtsverhältnis und die Geschlechtsbildung ihrer
Nachkommen.
5. Die geschlechtliche Energie, bezw. die geschlecht-
liche Beanspruchung der männlichen Erzeuger haben kei-
nen Einfluss auf das Geschlechtsverhältnis und die Geschlechtsbil-
dung ihrer Nachkommen. Auch das Alter des Samens hat keinen
Einfluss auf die Geschlechtsbildung.
6. Das Alter der weiblichen Erzeuger beeinflusst das Ge-
schleehtsverhältnis und die Geschlechtsbildung ihrer Frucht in der
Weise, dass im allgemeinen Erstlings- und junge Mütter verhältnis-
mäßig mehr weibliche Früchte, alte Mütter verhältnismäßig mehr
männliche Früchte erzeugen. Dieser Einfluss des Alters lässt sich
darauf zurückführen, dass im allgemeinen junge Mütter ihre Früchte
besser ernähren als alte.
510 Müllenhoff, Apistische Mitteilungen.
7. Die Ernährung der Frucht im Mutterleibe beeinflusst die
Geschlechtsbildung derselben im allgemeinen in der Weise: dass
die bessere Ernährung der Frucht die Entstehung des
weiblichen Geschlechts begünstigt, die schlechtere Er-
nährungaber die Entstehung desmännlichen Geschlechts.
8. Neben dem Einflusse der Ernährung auf die Geschlechtsbil-
dung der Frucht müssen sich aber noch andere, bisher nicht er-
forschte Einflüsse geltend machen, weil ein und derselbe weibliche
Erzeuger im gleichen Ernährungszustande nicht immer das gleiche
Geschlecht erzeugt.
9. Wegen dieser noch unbekannten Einflüsse ist die bestimmte
Voraussage des Geschlechts, bezw. die willkürliche Erzeugung
der Geschleehter unmöglich. Nur mit Wahrscheinlich-
keit lässt sieh voraussagen, dass junge und gut genährte Mütter
verhältnismäßig mehr weibliche Junge, alte und schlecht genährte
Mütter verhältnismäßig mehr männliche Junge gebären werden.
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
Physiologische Gesellschaft zu Berlin.
Sitzungen vom 15. Januar und 12. Februar 1886.
Herr Müllenhoff hält zwei Vorträge: Apistische Mitteilungen.
Bekanntlich haben die Bienenwaben schon frühzeitig die Aufmerksamkeit
der Naturforscher auf sich gelenkt. Vor nicht weniger als 1500 Jahren war
es der Alexandriner Pappus, welcher herausfand, dass die Bienen die beste
aller denkbaren Formen für ihre Waben zu finden wüßten. Dies aber bezog sich
nur auf die sechsseitige Säule; der Boden der Wabe wurde auf seine Form hin
erst später untersucht und letztere in 1739 auf Veranlassung Reaumur’s vom
Mathematiker König festgestellt. Die von letzterem angestellte Berechnung
ergab, dass der Boden einer jeden Zelle eine dreiseitige Pyramide sein müsse,
gebildet aus drei Rhomben, die an der Spitze einen Winkel von 109° 28° haben
(1712 auch bereits von Maraldi gemessen), und das ist insofern die zweck-
mäßigste Form, als sie bezüglich des Wachsverbrauches die sparsamste ist.
Ueber die Länge der Zelle stellte zuerst der Vortragende theoretische Betrach-
tungen an. Diese ergaben auf dem Wege der Berechnung, dass für die zwei-
schichtige Wabe der Biene die zweckmäßigste Zellenlänge diejenige ist, bei
welcher die lange Kante der sechsseitigen Säule 2,44 mal so lang ist als der
Radius des um den Säulenquerschnitt beschriebenen Kreises. Für die einschich-
tigen Waben der Wespen nnd Hornissen dagegen müssten die Zellen bedeutend
länger gebaut werden, um den Anforderungen der Zweckmäßigkeit zu ent-
sprechen. In der That aber entsprechen die Verhältnisse zwischen Länge
und Breite der verschiedenen Zellen der Bienen und Wespen diesen An-
forderungen.
Müllenhoff, Apistische Mitteilungen. 511
Es taucht die Frage auf: aus welchen Ursachen wird diese höchste
Zweckmäßigkeit erreicht?
Den ersten Versuch einer mechanischen Erklärung der Form der Bienen-
zellen gab Buffon in seiner „Histoire naturelle* und dann auch in seinem
„Discours sur la nature des animaux“. Er sagt nämlich, tausende von gleich
großen und mit gleichen Kräften ausgestatteten Wesen bringen notwendig ein
regelmäßiges Werk zustande, wenn sie in einem beschränkten Raume einander
ausweichen müssen. Dieses sei bei den Bienen der Fall. Sie stellen dabei
Zellen her von derselben Form, wie man sie erhält, wenn man in eine mit
Wasser gefüllte Flasche möglichst viele gleich große Erbsen thut, die Flasche
dann durchaus fest verschließt und in kochendes Wasser stellt. Indem jedes
Korn beim Aufquellen einen möglichst großen Raum einzunehmen sucht, wer-
den alle Erbsen allein durch den Druck, also auf völlig mechanischem Wege
sechseckig. Ebenso wollte es Buffon bei den Bienenzellen; auch diese würden
sechseckig durch den gegenseitig auf einander ausgeübten Druck.
Buffon hatte im allgemeinen richtig, aber nicht vollständig beobachtet.
Denn nur die Erbsen, welche an der Wand liegen, haben die wirkliche Form
der Bienenzellen, und zwar der gewöhnlichen, während diejenigen, welche der
Berührungslinie des Flaschenbodens mit den senkrechten Wänden anliegen, die
Form der Heftzellen haben. Der französische Forscher hatte das wirkende
Prinzip richtig als ein rein mechanisches erkannt, aber es war ihm nicht
gelungen, die wirkenden Ursachen im einzelnen herauszufinden. Dies gelang
später auch Darwin nicht, der zugleich von der mechanischen Erklärungsweise
sich wieder entfernte. Es kam hierbei auf eine Berücksichtigung der Eigenart
des Baustoffes, des Wachses, an und ferner auf das Verfahren der Tiere beim
Zellenbau; drittens galt es zu ermitteln, welchen Anteil etwa rein mecha-
nische Kräfte an der Bildung der Zellform haben, und es mussten diese Kräfte
auf ihre Wirkungsart untersucht werden. Der Vortragende gibt darüber fol-
gende Erklärungen, die zum Teil schon früher veröffentlicht wurden }).
Das Wachs ist in der Kälte und in großen Massen spröde und schwer
zu formen. In der Bienenstockwärme (27 bis 37°C.) wird es weich und bieg-
sam, lässt sich leicht in jede Form pressen und schnellt, sich selbst über-
lassen, in ähnlicher Weise zusammen wie Kautschuk. Die ganze Reihe der
Vorgänge, die bei dem Wabenbau sich abspielen, teilt der Vortragende in
drei Hauptphasen ein: 1) Die Entstehung der Maraldi’schen Pyramiden und
kurzen Prismenseiten. 2) Die Vergrößerung der Prismenseiten zu ihrer vollen
Länge. 3) Die Füllung und Deckelung der Zellen.
Die erste Anlage ist eine grade Wachsleiste, von den Bienen an der
Decke ihrer Wohnung durch Aneinanderkleben von Wachsklümpchen ange-
bracht. Wenn diese vorläufig dicke und rauhe Wachsleiste eben begonnen ist,
so drängen sich von beiden Seiten die Bienen mit ihren Kiefern dagegen und
drücken und beißen in dieselbe rundliche Vertiefungen. Das abgebissene
Wachs wird mit neu hinzukommendem teils auf die Zwischenräume zwischen
den Vertiefungen aufgetragen, teils zur Verlängerung der Leiste benützt.
Durch die Verdünnung und die von beiden Seiten erfolgende Erwärmung wird
die Wachsleiste allmählich weicher und immer weicher, und schließlich, wenn
die Dicke der Wachsleiste nur noch etwa 0,1 mm beträgt, erreicht die Be-
weglichkeit des Baustoffes den höchsten Grad. Die Tiere halten mit der Ver-
4) Du Bois-Reymond’s Archiv 1883.
512 Müllenhoff, Apistische Mitteilungen.
dünnung der Wand inne, da letztere bei der Thätigkeit der Kiefer nachgibt.
Dann aber erfolgt durch die bloße Kontraktilität der Masse die Anordnung
des Wachses zu Häutchen von gleicher Stärke, ferner die vollkommene Ebnung
der Wände und die Bildung der Flächenwinkel von 120° Das eigentlich
Formbestimmende ist nach M. (gegen Dönhoff) nicht der Druck
der einander entgegen arbeitenden Tiere, sondern dieKontrak-
tilität des Materials.
Später erfolgt die Verlängerung der Prismenseiten, im ganzen genommen
auf gleiche Weise. Hat die Zelle die Länge der Arbeitsbiene erreicht, so
wird sie mit einem Ei belegt. Die aus dem Ei schlüpfende Larve wächst in
ihr heran, verpuppt sich, und die Zelle wird mit einem Deckel versehen.
Letzteres bewirken die Arbeitsbienen durch Zusammenlegen der Zellränder.
Die Maraldi’schen Pyramiden sind Plateau’sche Gleichge-
wichtsfiguren, Figuren mit kleinster Oberfläche bei gegebener Umgren-
zung; die ganzen Zellen sind isoperimetrische Figuren, Figuren
mit kleinster Oberfläche bei gegebenem Inhalt. Wie gering die Leistungs-
fähigkeit der Biene selbst ist, wenn sie ohne die Hilfe der mechanischen Wir-
kungen arbeitet, erkennt man, wenn man den Bau der Weiselwiegen beo-
bachtet. Für diese Zelle der Königin tragen erst die Bienen einen 5 bis
10 mm dieken Wachsklumpen an der Seite der Wabe zusammen. In diesen
beißt eine Biene eine flache Vertiefung, auf den Rand derselben wird neues
Wachs gehäuft, bis dann schließlich durch immer neues Anhäufen und Ab-
beißen von innen her eine durchaus nicht formvoliendete Röhre entstan-
den ist. —
Ganz merkwürdig ist die Anpassungsfähigkeit der Honigbiene an
alle möglichen Blumeneinrichtungen zum Zwecke der Gewinnung des
Pollens. Sie setzt das Hebelwerk der Salvia- Arten, die Nudelpresse von
Lotus, Ononis, Lupinus, den Schleudermechanismus von Sarothamnus und Ge-
nista, die Pollenbürste von Lathyrus und Vieia, die Streuvorrichtung von
Cerinthe, Erica und Calluna mit derselben Sicherheit in Bewegung, mit welcher
sie unter Sehlundklappen (Boragineen), in engen Blumenkronenröhren
(Labiaten, Lyeium), oder in Hohlspornen verborgenen Honig (Viola, Li-
naria) nach kurzer Umschau aufzuspüren vermag. Und noch bemerkenswerter
ist, dass die Bienen niemals Pollen verschiedener Pflanzen mi-
schen; sie befliegen stets eine und dieselbe Pflanzenart so lange, bis sie
eine Ladung voll haben, wie dies zuerst A v. Planta'!) mit vollkommener
Sicherheit nachgewiesen hat.
Man beobachtet bei den Bienen, welche auf den gefüllten Waben auf- und
absteigen, vielfach, dass sie ihren Giftstachel vorstrecken. Das geschieht
auch dann, wenn die Bienen seitens des Menschen vollkommen ungestört sind.
Bei gutem Licht wird man klar darüber: am Ende des vorgedrückten Gift-
stachels hängt ein Tröpfchen Bienengift, und dieses Tröpfehen wird am Rande
der Waben in die mit Honig gefüllten Zellen abgestreift. Zweck dieser Hand-
lung ist, den Honig durch Zusatz von der antiseptisch wirkenden Ameisen-
säure haltbar zu machen, und Ameisensäure übertrifft in dieser Wirkung,
soweit Zuckerlösungen in betracht kommen, selbst Salizylsäure und Phenol
bedeutend.
4) Eichstätter Bienenzeitung 1834, S. 206.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
Biologisches Uentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
VI. Band. 1. November 1886. Nr. 17.
Inhalt: Ludwig, Einige neue Beispiele langer Lebensfähigkeit von Samen und Rhi-
zomen. — Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. — Kowalevsky und
Sehulgin, Zur Entwicklungsgeschichte des Skorpions. — Jhering, Ueber
„Generationswechsel“ bei Säugetieren. — Aus den Verhandlungen gelehrter
Gesellsehaften. 59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu
Berlin.
Einige neue Beispiele langer Lebensfähigkeit von Samen
und Rhizomen.
Die folgenden brieflichen Mitteilungen von Dr. Fritz Müller
(Blumenau in Brasilien) über die Entwicklung von Samen und
Rhizomen, die jahrelang in der Erde gelegen haben, scheinen mir,
soviel derartige Beobachtungen auch bereits publiziert sein mögen,
einer weitern Verbreitung wert zu sein. Sie mögen daher hier zum
Abdruck gelangen. F. Müller schreibt mir (D. 31, VII, 1886):
„1854 kaufte ich am Ufer des Itajahy ein seit etwa 12 Jahren
verlassenes Stück Land, auf dem inzwischen wieder stattlicher Wald
(besonders Inga semialata) aufgewachsen war; als ich den Wald ge-
fällt und gebrannt, sprosste am Flussufer wie gesät Bieinus auf von
einer Varietät, die weiter oben am Flusse nieht gebaut wurde; die
Samen hatten seit der frühern Ansiedlung in der Erde geruht. Ebenso
erschienen einzelne Sämlinge von Mandioc. Merkwürdiger noch war
mir das massenhafte Auftreten eines Caladium („Mangarito*), das
seiner wohlschmeckenden Knollen wegen gebaut wird; beim Wald-
hauen war es nicht da; es wäre der ansehnlichen Blätter wegen nicht
zu übersehen gewesen; nach dem Fällen und Brennen des Waldes
erschien es in soleher Menge, dass ich ein großes Feld damit be-
pflanzen konnte. Die Rhizome mussten im Schatten des jungen Waldes
auch jahrelang geruht haben. Ebenso kam eine Dioscoree („Carä
mimosa“) zum Vorschein, die nirgends in der Nachbarschaft gebaut
wurde, und deren Knollen von der frühern Ansiedlung her sieh er-
N. 33
514 Salensky, Die Urform der Heteroplastiden.
halten haben mussten. — Einen ähnlichen Fall erlebte ich später mit
Gloriosa superba; ich erhielt, als ich von Desterro hierher zurück-
gekehrt war, von meinem Freunde Dr. Blumenau eine Knolle dieser
Pflanze und pflanzte sie an einen Posogueria-Stamm, wo sie im ersten
Jahre einen kräftigen Stengel trieb, ohne zu blühen. Das Land um
die Posoqueria vergraste inzwischen, die Gloriosa kam im nächsten
Jahre nicht wieder. Etwa 8 Jahre später — die Posogueria war
längst abgehauen — legte meine Frau an dieser Stelle einen Gemüse-
garten an, das Unkraut wurde ausgerissen, der Boden für Luft und
Licht zugänglich gemacht, und zwischen den Kohlköpfen kam auf
einmal nach 7—8jähriger Ruhe ein kräftiger und reichlich blühender
Gloriosa-Schoss hervor. — Im Schatten des Waldes werden hier in
sehr geringer Tiefe Wärme und Feuchtigkeit des Bodens nur sehr
langsam und innerhalb ziemlich enger Grenzen wechseln, und es scheint,
dass unter so gleichförmigen Bedingungen viele Samen unglaublich
lange liegen können, ohne ihre Keimkraft zu verlieren. Nach dem
Fällen des Urwaldes bedeckt sich bald der Boden mit jungen Pflanzen,
nach denen man ringsum vergeblich sich umsieht; ich entsinne mich
z.B. eines solchen von mir gefällten Urwaldstückes, auf dem in zahl-
loser Menge Schizolobium aufkeimte, dessen Samen auch der stärkste
Wind kaum über hundert Sehritt weit fortführen kann, und der nach
Beschaffenheit des Waldes hier seit Menschengedenken kaum ge-
standen haben konnte“. F. Ludwig (Greiz).
Die Urform der Heteroplastiden.
Von Prof. W. Salensky in Odessa.
Zur Entscheidung der Frage über Entstehung des einfachsten
heteroplastiden Organismus — also einer Stammform der Metazoen —
wurden bekanntlich mehrere Hypothesen aufgestellt. Zu diesen ge-
hören namentlich die Gastraea-Theorie von Häckel, Planula-Theorie
vonRay-Lankester, Parenchymula- resp. Phagocytella-Theorie von
Mecznikoff und Plakula-Theorie von Bütschli. Durch diese ver-
schiedenen Namen: Gastraea, Planula, Parenchymula und Plakula be-
zeichnet man eine Urform der Metazoen, welche je nach den ver-
schiedenen Ansichten der Begründer dieser Theorien in verschiedener
Weise entstehen und verschieden gebaut sein sollte. Im vorliegenden
kurzen Aufsatze lassen sich indess diese verschiedenen Theorien nicht
näher besprechen, und ich behalte mir solches bis auf weiteres vor.
Die meisten von diesen Hypothesen stimmen darin überein, dass
sie für den Ausgangspunkt eines primitiven heteroplastiden Or-
ganismus eine homoplastide Kolonie annehmen. Dieses Prinzip ist
entschieden das glücklichste, und lässt man sich davon leiten, so
Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 515
findet man eben in der Entwicklungsgeschichte der kolonialen Fla-
gellaten eine Reihe Anknüpfungspunkte an die Entwicklung der Me-
tazoen, welche die Kluft zwisehen homoplastiden Protozoen und den
mehrzelligen, heteroplastiden Metazoen am besten auszufüllen ver-
sprechen. Der Zweck dieses Aufsatzes ist nun, diese Entwicklungs-
erscheinungen ins rechte Lieht zu rücken und darauf fußend die
Grundform der Heteroplastiden resp. Metazoen zu ermitteln.
Es ist grade in der letzten Zeit und namentlich von seiten Götte’s!)
ein Versuch gemacht worden, die Fortpflanzungserscheinungen der
Volvocinen mit den ersten Entwicklungsvorgängen der Metazoen näher
in Einklang zu bringen. Die Grundsätze der Götte’schen Ansicht
sind deutlich in seinen folgenden drei Thesen ausgesprochen: 1) „Die
ältesten polyplastiden Vorfahren der Sehwämme sind wahrschemlich
blasenförmige, mit Geißeln bedeekte Homoplastiden gewesen.“ 2) „Die
homoplastiden Vorfahren der Schwämme verwandeln sich dadurch,
dass ihre ins Innere eingewanderten Keimzellen ihre Entwicklung
verzögerten, in einfachste Heteroplastiden mit einem äußern Geißel-
epithel (Ektoderm) und einer innern unreifen Keimmasse, welche sich
weiterhin in verschiedene Gewebszellen mit der bloßen Fähigkeit zur
Keimbildung sondert (Entoderm)“ und 3) „alle uns bekannten Poly-
plastiden (Heteroplastiden) lassen sich auf eine gemeinsame Stamm-
form vom Bau einer Sterrogastrula mit einem geißeltragenden Ekto-
derm und einem parenchymatösen, aus Keimzellen hervorgegangenen
Entoderm zurückführen, welche demnach dem sekundären Strahltypus
angehörte.“ Die Ansieht Götte’s stimmt am meisten mit der Meezni-
koff’schen Phagoeytella-Theorie überein. Beiden Ansichten nach soll
die Verwandlung einer homoplastiden Kolonie in einen heteroplastiden
Organismus durch die Einwanderung der Zellen ins Innere der Ko-
lonie stattfinden. Die ursprüngliche Bedeutung dieser Wanderzellen
ist dennoch nach den beiderlei Ansichten eine grundverschiedene.
Während Meeznik off in ihnen von vorn herein die „Nährzellen“ sehen
will, sollen sie nach der Ansicht Götte’s den Volvox analog — ur-
sprünglich die Keimzellen bilden, welche erst später in die „Nähr-
zellen“ resp. Entoderm sich verwandeln. Diese Korrektion der Meezni-
koff’schen Phagocytella- Theorie vermag die Einwürfe nicht zu wider-
legen, die von seiten Bütschli’s?) ihr entgegengestellt werden.
Nimmt man die Einwanderung der Zellen einer Flagellaten-Kolonie —
seien es Keimzellen oder einfache amöboide Zellen — aus der Bla-
senwand in eine geschlossene Höhle an, so bleiben die Motive
ihrer Verwandlung in die Nährzellen vollständig unklar, denn es
scheint mir, in Uebereinstimmung mit der Ansicht Bütsehli’s, dass
die Verwandlung der Keimzellen in die Nährzellen ohne gleichzeitige
4) Götte, Abhandl. zur Entwickl. der Tiere. 3. Heft.
2) Bütschli, Bemerkungen zur Gastraea-Theorie (Morphol. Jahrb. Bd. 9)
33%
516 Salensky, Die Urform der Heteroplastiden.
Bildung der Mundöffnung genau in derselben Weise unvorteilhaft ge-
wesen sein kann, wie die Einwanderung der amöboiden Zellen.
Die Hauptidee der Götte’schen Auffassung, die Entstehung des
Entoderms aus den Keimzellen, erscheint mir um so mehr plausibel,
als ich selbst unabhängig von Götte und vor dem Erscheinen seines
Werkes genau zu derselben Anschauung gekommen bin. Ich be-
strebte mich aber, die Verwandlung der Keimzellen in Nährzellen mir
so vorzustellen, dass dieselbe als natürliche Folge der vorteilhaften
Abänderungen der primitiven homoplastiden Kolonie auftrete. Diese
Aufgabe löst sich am besten, führt man nur eine möglichst genaue
Analogie zwischen den ersten Entwicklungsstadien der Metazoen und
denen der kolonialen Flagellaten und zwar vorzugsweise Volvocinen
durch. Es können dabei mehrere Fragen entschieden werden, die
meistenteils noch sehr wenig berührt worden, deren Wichtigkeit aber
für die genealogische Beurteilung der Metazoen außer Zweifel steht,
und deren Entscheidung, meiner Meinung nach, sich durchaus der
Mühe verlohnt. Ich stelle nur einige derselben auf: Wie kommt in
der Entwicklung der Metazoen der Blastopor zu stande? Wie lässt
sich dessen Schließung erklären? Wie kann man die durch Delami-
nation und Invagination entstandenen Darmhöhlen, von denen erstere
aus Blastocöl, die zweite als eine Neubildung von außen sich ein-
stülpt, in Zusammenhang bringen? Eine Beantwortung dieser Fragen,
welche man in den bisherigen Theorien nicht findet, kann indess
gegeben werden, wenn wir unserer polyplastiden homoplastischen
Urform der Metazoen dieselben Entwicklungserscheinungen zuschrei-
ben, durch welche die noch jetzt lebenden Volvox sich auszeichnen.
Nehmen wir an, dass die Urform der Heteroplastiden eine blasen-
förmige homoplastide Flagellaten-Kolonie darstelle, welche nach Art
des Volvox sich entwickelte und zunächst das Stadium einer platten-
förmigen Kolonie (Gonium-Stadium) durchlief. Dieselbe krümmte sich
blasenförmig ein und verwandelte sich in eine kugelförmige Kolonie,
welche im stande gewesen, nach Art des Volvox durch ungeschlecht-
liche Keimzellen — Parthenogonidien — sich fortzupflanzen. Einer
solehen hypothetischen Urform müssen wir indess demnach eine vege-
tative Ernährungsweise versagen: die Zooiden derselben sollten sich
durch eine amöboidenartige, indifferente und, man muss sagen, primi-
tive Ernährungsart auszeichnen. Diese Vorstellung ist um so mehr
plausibel, als man 1) unter den gegenwärtig lebenden kolonialen Fla-
gellaten z. B. bei Protospongia solche Ernährungsart in der That an-
trifft und 2) als man sich leichter vorstellen muss, dass die vegeta-
tive Ernährungsart aus der amöboiden entstünde und nicht umgekehrt.
Die Fortpflanzung unserer hypothetischen Form konnte ebenfalls der-
jenigen des Volvox analog werden; die Parthenogonidien bilden sich
aus den Zooiden und dringen in die Höhle der Blase — Keimhöhle
oder Genitocöl, wie man dieselbe bezeichnen könnte — hinein. Das
Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 517
Reifen derselben ging erst nach der Schließung der Blase vor sich,
da eben die Schließung dann erst Sinn hat, wenn wir annehmen, dass
dieselbe zum Schutz der in der Höhle sich entwickelnden Brut sich
vollzieht.
Die Verwandlung einer solchen, nur aus Keim- und lokomo-
torisch-nutritiven Zellen bestehenden Flagellaten- Kolonie in eine
Gastrula kann man sich ebenfalls aufgrund der bekannten Fortpflan-
zungserscheinungen des Volvox leicht vorstellen. Es muss dabei nur
angenommen werden, dass einige jetzt als individuelle Abänderungen
der Entwicklung des Volvox auftretende Erscheinungen in der Onto-
genie der Urform ebenfalls Platz hatten und in der weitern Entwick-
lung der letztern als vorteilhaft benutzt werden konnten. Aus den
Untersuchungen Bütschli’s und Kirchner’s weiß man, dass die
Schließung der Blase bei den Tochterkolonien des Volvox sowie die
Entstehung der Parthenogonidien bei denselben nicht immer in eine
und dieselbe Entwicklungsperiode fällt. Bütschli!) sagt darüber:
„Die untere Oeffnung der Kugel erhält sich jedoch bis zum Ende der
Entwicklung und schließt sich erst kurz vor der Bildung der Cilien;
ja bei der Entwicklung des Volvox aus dem Ei sah Kirchner zu-
weilen die Oeffnung noch an jungen frei gewordenen Individuen
nicht gänzlich geschlossen“ ..... und weiter: „Schon zuvor (vor der
Befreiung der Tochterkolonie) haben sich die Parthenogonidien dif-
ferenziert, indem gewisse Zellen stark hervorwuchsen. Es lassen sich
dieselben daher schon vor der Geburt deutlich erkennen.“ Denken
wir uns, dass bei der volvoxähnlichen Urform der Metazoen einige
Tochterkolonien in Form von ungeschlossenen Blasen mit den ange-
legten, noch nicht scharf differenzierten amöboiden Parthenogonidien
aus der Mutterkolonie herauswanderten. Natürlich werden solche
Kolonien in anderer Art Bedingungen für die Ernährung stellen, als
diejenigen, welche in Form einer geschlossenen Blase aus der Mutter-
blase herausschlüpfen. Man kann auch leicht ersehen, dass diese
Abänderung für die Ernährung der Kolonie eine sehr vorteilhafte sein
könne. Die Keimzellen, welche sich noch nicht in Ruhezustand ver-
setzt haben, sind selbständiger Nahrungsaufnahme fähig, stehen mit
der Außenwelt mittels einer Höhle, in der sie liegen, in stetem Kontakt
und sind im stande, die allerverschiedensten Nahrungsstoffe, welche
in die Keimhöhle dringen, zu fressen. Infolge dessen werden die Kräfte
der äußern Zellenschicht, der lokomotorisch -nutritiven Zellen er-
spart, und die letztern können sich besser in ihrer Funktion speziali-
sieren, als es bei ihren geschlossenen Vorfahrenformen der Fall gewesen.
Anderseits, infolge der bessern Ernährungsbedingungen der Keim-
zellen, muss auch ihre Fortpflanzungsthätigkeit in nicht unbedeutender
Weise steigen, was selbstverständlich für das Fortbestehen der Ko-
lonie sowohl wie für Erhaltung der Species sehr vorteilhaft wird.
4) Bütschli, Protozoa; in Klass. u. Ordn. des Tierreichs. S. 777.
518 Salensky, Die Urform der Heteroplastiden.
Anstatt einer beschränkten Zahl der Keimzellen, wie wir dieselbe bei
dem jetzt lebenden Volvox antreffen, soll ihre Quantität eine viel
größere sein und proportionell der Nahrungsmenge sowie der Dauer
des geöffneten Stadiums sich vermehren. Soweit aber alle Keimzellen
nur als solche funktionieren und die Entwicklung der Tochterkolo-
nien im Innern der mütterlichen sich ereignet, sollte die Anzahl des
neuen Koloniebestandes durch den Raum der Blase, das Genitocöl,
bestimmt werden. Da aber die Zahl der Keimzellen infolge ihrer
bessern Ernährungsbedingungen bedeutend gestiegen ist, kann nur
ein Teil derselben in Tochterblasen sich verwandeln; die übrigen
Zellen, welehe nach dem Schließen der Blase sich in Tochterblasen
nieht verwandelten, verharren in ihrem amöboiden Zustand, bis sie
wieder in günstigere Bedingungen für ihre Ernährung gelangen. Solche
Bedingungen können erst nach dem Ausschlüpfen der Tochterblasen
wiederkehren. Die Schließung der Blase bleibt für die Kolonie vor-
teilhaft bis zur Zeit, wo innerhalb derselben die Entwicklung der
jungen Brut vor sich geht. Ist dieselbe ausgewandert, so sind in
der Mutterblase alle Bedingungen da, um fortan offen zu stehen. Im
Innern der Mutterblase sind einige Zellen geblieben, welche in der
geschlossenen Blase funktionslos geblieben, in einer offenen hingegen
ihre Lebensfähigkeit in vollständiger Weise entfalten können. Es ist
also für die Kolonie vorteilhafter, nach Ausschlüpfen der Brut weiter
offen zu bleiben, da sie in diesem Zustande nicht nur ihr eignes
Dasein dauernd zu erhalten, sondern auch neue Generationen der Toch-
terblasen zu erzeugen vermag.
Aus den eben erörterten kleinen Abänderungen der Entwicklungs-
geschichte einer volvoxähnlichen Flagellatenkolonie kommen wir all-
mählieh zu einer vollständigen Aenderung ihres Baues wie ihrer Ent-
wicklung. Letztere umfasst nun drei Zustände, von denen zwei offene
und der dritte ein geschlossener sind. Die Keimzellen werden in zweierlei
Zellen differenziert: die echten Keimzellen und die Nährzellen, zu-
sammen eine Schicht bildend, welche wir als Phagogenitoblast
bezeichnen können.
Infolge des Vorteils, welchen die eben beschriebenen Abän-
derungen der Entwieklung für das individuelle Leben sowie für die
Erhaltung der Art bieten, ließe sich vermuten, dass dieselben in einer
Reihe von Generationen sich dürften vererbt haben. Diejenigen Ko-
lonien, welche in Form einer geöffneten Blase ausschlüpften, erwiesen
sich aueh im Kampf ums Dasein weit stärker als die geschlossenen,
vor denen sie den Vorzug besserer Ernährung und günstigerer Fort-
pflanzung besaßen. Da nämlich der Zustand einer geöffneten Blase
eine wichtige Lebensperiode darstellte, müsste derselbe eine von mal
zu mal anhaltendere sein. Ja wir dürfen annehmen, dass am Ende
einer Reihe von Generationen die so angepassten Kolonien den größten
Teil ihres Lebens im Zustande einer geöffneten Blase bleiben müssten
Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 519
und erst zur Zeit der Fortpflanzungsperiode sich schlössen. Daraufhin
tritt das geöffnete Stadium im Leben einer solchen Kolonie in den
Vordergrund, während ihr geschlossener Zustand nur als eine Art
von Brutzustand erscheint. Als Endresultat der eben auseinanderge-
setzten hypothetischen Abänderungen einer volvoxähnlichen Kolonie
tritt nun eine einfachste Heteroplastide, zweischichtige gastrulaähn-
liche Urform der Metazoen auf, die aber von der Gastrula im Sinne
Häckel’s sich dadurch unterscheidet, dass ihre innere Schicht nicht
ausschließlich aus Nährzellen, sondern aus diesen und Keimzellen be-
steht. Man könnte diese Gastrula mit dem Namen „Genitogastrula“
bezeichnen. Außer den eben hervorgehobenen anatomischen Unter-
schieden zeichnet sie sich auch durch ihre Entwicklungsgeschichte
sowie dadurch aus, dass sie in einer gewissen Periode ihres Lebens
(Fortpflanzungsperiode) eine geschlossene Blase darstellen soll. Die
Häute und Höhlen dieser Urform will ich ihrer Funktion entsprechend
darum auch anders bezeichnen, als dies seitens Häckel’s geschehen.
Die untere Schicht kann als Phagogenitoblast, die von ihm
begrenzte Höhle, die ursprüngliche Höhle der volvoxähnlichen Ko-
lonie, als Phagogenitocöl, die obere Schicht als Kynoblast
bezeichnet werden. Für den Blastoporus kann sein Name beibehalten
werden.
Indem ich nun zur Beurteilung der Stadien der Keimblätterbil-
dung der Metazoen vom Standpunkte der eben erörterten Ansicht
übergehe, will ich dabei hauptsächlich die oben aufgestellten Fragen
ins Auge fassen.
Die Entwicklungsstadien der Keimblätter der meisten Metazoen
scheinen, wie es von vorn herein zu vermuten war, durch eönogene-
tische Erscheinungen mehr oder minder verdunkelt. Die Cöno-
genesis äußert sich hauptsächlich entweder in einer Beschleunigung
oder in einer Verzögerung der Differenzierungsvorgänge der Keim-
blätter, was auch nichts Erstaunliches an sich hat, behält man im
Auge, dass 1) die ähnlichen Entwicklungsprozesse selbst bei den Vol-
vocinen (Bildung der Keimzellen) einige Unregelmäßigkeiten in der
Zeit ihres Auftretens aufweisen, und 2) dass man oft in den übrigen
Entwicklungsstadien der Metazoen bedeutende Abkürzungen beobachtet.
Trotzdem stimmt das Wesentlichste in den Bildungsprozessen der
Keimblätter der Metazoen mit den Entwicklungsvorgängen des Volvox
so überein, nämlich, dass man die erstern als eine Kopie der letztern
betrachten und sie von diesem Standpunkte aus am besten erklären
kann. Die Umwachsung der Makromeren durch Mikromeren — die
sogenannte Epibolie — sowie die Invagination, welche letztere von
der erstern sich nicht wesentlich unterscheidet, erhalten eine weit
bessere Erklärung, wenn man sie mit der Zusammenkrümmung des
plattenförmigen Goniumstadiums der Volvocinen vergleicht, als wenn
man sie mit Hilfe irgend einer andern hypothetischen Vorstellung zu
520 Salensky, Die Urform der Heteroplastiden.
erklären versucht. Sie erscheinen dann als natürliche Folgen von
Vererbung derjenigen Vorgänge, welche die Entwicklung der Vorfahren
der Metazoen bekunden. Die Deutung und Phylogenie des Blasto-
porus, sowie dessen bisher vollkommen unaufgeklärte Natur werden
ebenfalls laut eben erwähnter Vergleichungsmethode zu bestimmen
sein. Ganz ebenso verhält es sich mit der Frage über die Ursachen
der Blastoporschließung.
Die neuere Embryologie beschäftigt sich umständlich mit der
Blastoporfrage. Die Form des Blastopors, Beziehungen seiner Axe
zu den Axen des Embryonalkörpers, das weitere Schicksal desselben,
seine Verwandlung in die definitive Mund- resp. Afteröffnung, sind
eben Fragen, über welche grade in letzterer Zeit vielfach diskutiert
worden. Die Ursachen der Blastoporschließung wurden bis jetzt so
gut wie gar nieht berücksichtigt. Woher finden wir das Blastopor
bei denjenigen Entwicklungsformen, welche zu der epibolischen oder
endobolischen Gastrula führen, und vermissen es im Gegenteil bei
den Delaminations- resp. Immigrationsformen (Planula und Phago-
eytella) der übrigen Metazoen, woselbst die definitive Mundöffnung sich
auf einmal bildet? Hat der Blastopor ehemals bei Vorfahren der
Metazoen als Mund funktioniert, warum muss er bei den jetzt leben-
den Metazoen sich schließen, um durch eine andere Oeffnung
(Mund oder Anus), welche manchmal sogar an Stelle des geschlos-
senen Blastopors sich bildet, ersetzt zu werden? Man findet keine
Gründe, um diese bei den Metazoen so allgemein verbreitete Er-
scheinung von dem physiologischen Standpunkte zu erklären; im Ge-
genteil trifft man sie in der Genealogie der Metazoen an, wenn man
namentlich annimmt, dass die Epibolie und Endobolie der Metazoen
der Zusammenkrümmung des Goniumstadiums des Vo/vox entsprechen.
Steht man auf dem Prinzip solcher Homologie fest, so bedarf es keiner
weiteren Erörterung, um die Ueberzeugung zu gewinnen: 1) dass das
Blastopor der Oeflnung der jungen, ungeschlossenen Volvoxkolonie
homolog ist und 2) dass die Blastoporschließung nichts Anderes als
die genealogische Folge der Schließung der Volvoxöffnung darstellt.
Die oben auseinandergesetzten Entwicklungsvorgänge der hypo-
thetischen Urform der Heteroplastiden veranlassen uns, nicht nur die
Bildung, Homologie und Schließung des Blastopors phylogenetisch zu
erklären, sondern auch die Phylogenie der später auftretenden Mund-
resp. Afteröffnung uns vorzustellen. Oben haben wir namentlich ge-
sehen, dass nach der Schließung der primitiven Oeffnung bei der vol-
voxähnlichen Urform der Metazoen eine andere, zur Ausführung der
Jungen Brut dienende Oeffnung sich herausbilden sollte. Bei dem noch
Jetzt lebenden Volvox geschieht der Austritt der jungen Tochterkolonien
durch eine Oeffnung, welche nach Will sogar immer auf einer be-
stimmten Stelle der Blase auftritt. Man sieht daraus, dass die An-
nahme einer solchen Oeffnung bei den volvoxähnlichen Vorfahren der
Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 521
Metazoen in keinem Widerspruch mit den Lebensverhältnissen des
gegenwärtig existierenden Vo/vox steht. Oben habe ich ebenfalls
hervorgehoben, dass diese Oefinung außer den andern Funktionen
auch die Rolle eines Mundes spielen sollte, vorausgesetzt, dass in der
Höhle der volvoxähnlichen Vorfahren noch die amöboiden Nährzellen
zurückgeblieben sind. Vergleicht man die Bildungsverhältnisse dieser
Oefinung mit denen der Mundöffnung der Metazoen, so tritt die Ho-
mologie zwischen beiden unverkennbar hervor. Dieselbe lässt sich am
besten aus der Aufeinanderfolge der Bildung beiderlei Oeffnungen
erkennen, welche letztere in folgender Weise dargestellt werden kann:
Volvox und wahrscheinlich volvox- Metazoen:
ähnliche Vorfahren der Metazoen:
1. Primitive Oeffnung des zusam- 1. Blastopor.
mengekrümmten Gonium - Sta-
diums.
2. Schließung dieser Oeffnung. 2. Schließung des Blastopors.
3. Bildung der sekundären (geni- 3. Bildung der definitiven Mund-
talen) Oeffnung. resp. Afteröffnung.
Daraus können wir den Schluss ziehen, dass die definitive Mund-
resp. Afteröffnung der Metazoen als homolog der sekundären (geni-
talen) Oeffnung der volvoxähnlichen Vorfahren der Metazoen zu be-
trachten ist.
Wir kommen nun zu der Frage: woher bei den Delaminations- resp.
Immigrationsformen der Entwicklung des Entoderms der definitive
Mund ohne vorhergegangenen Blastopor sich bildet? Um diese Frage
zu entscheiden, müssen wir verschiedene Blastulaformen der Metazoen
mit einander vergleichen. Trotzdem dass dieselben auf den ersten
Blick eine ziemliche Uebereinstimmung zeigen, bieten sie bei genauer
Vergleichung bedeutende Unterschiede dar. Wenn wir eine Delami-
nationsblastula mit irgend einer durch Epibolie oder Endobolie in die
Gastrula sich verwandelnden Blastula vergleichen und die spätern
Differenzierungsvorgänge derselben weiter verfolgen, so erweisen sich
die beiden Blastulaformen trotz aller Aehnlichkeit dennoch nicht voll-
kommen homolog. Die Wand der Delaminationsblastula besteht aus
gleichartigen Zellen; die Blastula ist homoplastid und verwandelt sich
in eine heteroplastide Form durch Teilung oder durch Einwanderung
ihrer Zellen ins Innere der Höhle, wobei letztere, welche man auch
hier schlechthin als Blastocöl bezeichnet, späterhin zur Nahrungshöhle
wird. Anders verhält es sich mit den sogenannten Amphi- und Archi-
blastulae, welche durch Umwachsung resp. Invagination in die Gastrula
sich verwandeln. Dort muss man von vorn herein in der Blastula-
wand ein Vorhandensein von zweierlei Zellenarten — den ektodermalen
und entodermalen — annehmen. Die Blastulahöhle resp. das Blasto-
cöl verwandelt sich bei keiner von diesen Formen in die Darmhöhle
592 Salensky, Die Urform der Heteroplastiden.
und wird später mehr oder weniger verdrängt. Es geht also die
Bildung der Darmhöhle in beiden Fällen in zwei vollkommen ver-
schiedenen Weisen vor sich. Bei einigen Tieren (mit der Delamina-
tionsblastula) entsteht dieselbe aus dem Blastocöl, bei den meisten
andern weist dieselbe eine Neubildung auf. Will man die beiden so
kontrovers aussehenden Thatsachen zu erklären und die Homologie
der Darmhöhlen zu bestimmen versuchen, so kann man aus den oben
angeführten Entwieklungsformen derselben zweierlei Schlüsse ziehen:
entweder sind die Darmhöhlen der Delamination und Invaginations-
formen nicht homolog, da sie in verschiedener Weise entstehen, oder
es muss die Homologie zwischen den Blastocöl beiderlei Blastulae (De-
laminations- und Invaginationsblastula) bezweifelt werden. Eine Wahl
zwischen den beiden Sehlüssen wird nicht schwierig. Und namentlich
fällt es leichter sich vorzustellen, dass die beiden Blastocöle ver-
schiedenen Ursprungs und nicht homolog sind, als einen solchen
Schluss inbezug auf die Darmhöhlen zu ziehen. Dieser Schluss ist
um so mehr gerechtfertigt, als man bei weiterer Entwicklung der
Delaminationsblastulae ebenfalls zwei Höhlen unterscheidet, von denen
die eine die Darmhöble bildet, die andere dem Blastocöl entspricht.
Letztere wird späterhin von Gallertsubstanz angefüllt. Bei den epi-
bolischen und endobolischen Blastulae ist die Aufeinanderfolge beider
Höhlen eine ganz umgekehrte, indem hier das Blastocöl früher, bei
den Delaminationsblastulae später als die Urdarmhöhle sieh bildet.
Die eben erörterten Abweichungen der Blastulaformen können zum
Unterscheiden von zweierlei Gruppen der Blastulae dienen: a) solche,
bei denen das Entoderm durch Delamination oder Immigration der
Zellen entsteht. Wir dürfen dieselben mit dem Namen Schizo-
blastulae bezeichnen, und zwar kann die Delaminationsblastula den
Namen der Gruppe behalten, während die Immigrationsblastula als
Poreioblastula genannt wird, und b) solche, bei denen das Blasto-
cöl und das Entoderm vor der Schließung der Blase entsteht und
entweder invaginiert oder umwachsen wird. Dieselben lassen sich
Gastroblastulae benennen. Es bleibt uns nun übrig, die Beziehungen
dieser beiden Gruppen an der Urform näher zu bestimmen.
Wie ich oben bereits bemerkt, sind die beiden Blastulaformen
mehr oder weniger eönogenetisch verändert, und die Cönogenesis
derselben kann entweder zu einer Verzögerung oder zu einer Be-
schleunigung der Differenzierung der Entodermzellen zurückgeführt
werden.
Die Schizoblastulae stellen bekanntlich eine homoplastide
Blase dar, welche dureh Einwanderung der Zellen ins Innere der
Blase zur heteroplastiden wird. Da dieselben schon vor der Ento-
dermbildung als geschlossene Blasen auftreten, so kann bei ihnen vom
Blastopor kaum die Rede sein. Die Mündung, welche sich später
bildet, ist die definitive Mund-Afteröffnung. Die Höhle der Blastula
Salensky, Die Urform der Heteroplastiden. 523
Ä
ist derjenigen der volvoxähnlichen kolonialen Flagellaten homolog,
sie stellt das Phagogenocöl dar, welches sich später zur Darmhöhle
verwandelt. Aus allem, was wir über die weitern Entwieklungs-
vorgänge der Schizoblastulae kennen, geht hervor, dass die Wand
der Schizoblastulae jener der homoplastiden Zellenwand der volvox-
ähnlichen Kolonie, die Höhle der Höhle derselben und die ein-
wandernden Zellen den Parthenogonidien entsprechen. Hieraus
folgert man, dass die Schizoblastulae demjenigen Fall der Entwick-
lungsgeschichte des Volvox entsprechen, bei welchem die Bildung der
Parthenogoniden nach Schluss des Blastoporus sich vollzieht. Ob
man in den Furchungsstadien derjenigen Tiere, welche das Schizo-
blastulastadium durchlaufen, den Rest vom Blastopor erkennen kann,
ist zur Zeit schwer zu entscheiden. Bütschli will denselben in
einem von Fol abgebildeten Stadium der Entwicklungsgeschichte der
Geryoniden finden, Mecznikoff stellt das Vorkommen einer solchen
Oeffnung in Abrede. Dieselbe kann vielleicht infolge der Cönogenese
so weit verdeckt werden, dass sie bei den jetzt lebenden Formen
nicht mehr aufzufinden ist. Jedenfalls weisen die eben erörterten
Homologien der Schizoblastula und der geschlossenen Volvoxblase
darauf hin, dass die Differenzierungsvorgänge bei dieser Blastulaform
auf eine Verzögerung der Keimzellenbildung bei ihren Vorfahren
zurückgeführt werden kann. Die Beziehungen der Schizoblastula
resp. Delaminationsblastula zur Poreioblastula sind von Meeznikoff
sehr genau bestimmt; die beiden sind auch einander so nahe ver-
wandt, dass man sie mit vollem Rechte zu einer Gruppe verbinden
und dieselbe der Gruppe der Gastroblastulae gegenüberstellen kann.
Obgleich die Formen der Gastroblastulae viel mannigfaltiger
als diejenigen der Schizoblastulae sind, lassen sich dabei dennoch
zweierlei Hauptformen und zwar: Amphiblastulae und Archiblastulae
unterscheiden; die beiden andern von Häckel mit den Namen Peri-
blastula und Discoblastula bezeichneten Formen können zu den ersten
zurückgeführt werden. Wenn wir alle diese Formen mit einander
und mit den Schizoblastulae vergleichen, so sehen wir, dass bei den-
selben eine frühzeitige Ausbildung des Blastocöls und des Entoderms
als unverkennbare und charakteristische Merkmale im Gegensatz zur
erst beschriebenen Gruppe auftreten. Bei allen Gastroblastulae bildet
sich das Blastocöl viel früher als das Archenteron, erscheint ent-
weder in Form einer schmalen Spalte (Ampbiblastula) oder als eine
geräumige Höhle zwischen Ekto- und Entoderm und wird später durch
die wachsenden embryonalen Zellenelemente mehr oder weniger ver-
drängt. Die frühzeitige Differenzierung des Entoderms bietet eben-
falls ein wichtiges Merkmal der Gastroblastulae, welches das Ver-
hältnis dieser Formen zur Urform am besten zu erklären vermag.
Dieselbe ist bei der Amphiblastula weit bestimmter ausgesprochen,
als bei der Archiblastula, woraufhin bei der erstern auch die weitere
524 Salensky, Die Urform der Heteroplastiden.
Entwicklungserscheinung — als z. B. Umwachsung — viel leichter
aus der Entwicklung der Urform abzuleiten ist, als bei der letztern.
Bei der Amphiblastula von Würmern und Mollusken, welche man
als eine typische Amphiblastula betrachten kann, tritt die Differen-
zierung zwischen den Zellen schon in den ersten Furchungsstadien
zutage. Die Epibolie ist aufgrund eben erörterter Motive als ein
der Krümmung plattenförmiger Embryonen des Volvox analoger Prozess
zu betrachten; die morphologische Deutung des Blastopors wurde
bereits oben besprochen. Wir können also die Bildung der Amphi-
blastula resp. Amphigastrula im Wege einer beschleunigten Differen-
zirung der Urform erklären.
Man hat bereits vielfach die Bildung der Amphiblastulae mit der
der Archiblastulae verglichen und war zu dem Schluss gekommen,
dass die beiden Formen mit einander verwandt sind, und dass die
Unterschiede zwischen Epibolie und Endobolie hauptsächlich durch
die mechanischen Ursachen z. B. durch die Anhäufung des Nahrungs-
dotters im Innern der Entodermzellen erläutert werden können. Außer
diesen unstreitig sehr wichtigen Ursachen muss man indess meiner
Ansicht nach einige andere und zwar zunächst die Teilungsrichtung
der Entodermzellen berücksichtigen. Es kommen namentlich einige
Blastulaformen vor, bei denen die Entodermzellen an Nahrungsdotter
sehr ergiebig sind und die nichtsdestoweniger sich einstülpen, z. B.
die Blastula von Natien (Bobretzky’s Studien über die embryon.
Entwickl. der Gastropoden im Arch. f. mikr. Anatomie Bd. 13).
Wenn wir die Teilung der Entodermzellen bei diesen Formen näher
betrachten, so bemerken wir sofort, dass dieselbe stets Längsteilung
ist, während bei den nächstverwandten Mollusken, welche sich in die
Amphigastrula verwandeln, die Teilungsebenen in verschiedenen Rich-
tungen vorkommen. Vergleichen wir nun diesen Fall mit der echten
Archigastrula, so kommen wir zu der Ueberzeugung, dass bei diesen die
Längsteilung der Entodermzellen als Regel auftritt. Diese oder jene
Teilungsriehtung bedingt nun selbstverständlich die Verwandlung des
Entoderms entweder in eine kompakte Masse, welche zur Einstül-
pung nicht fähig ist, oder ein blattförmiges Gebilde (wie bei der Archi-
gastrula), die leicht invaginiert werden kann. Sobald die Invagination
oder Umwachsung nur mechanisch modifizierte Varietäten eines und
desselben Typus darstellen, so haben die Unterschiede zwischen der
Amphi- und Archigastrula untergeordnete Bedeutung, und man kann
die Bildung der Archigastrula ebenfalls im Wege beschleunigter Dif-
ferenzierung aus der Urform Genitogastrula ableiten.
Schließlich lässt sich die eben erörterte Darstellung der Urform
der Heteroplastiden resp. Metazoen sowohl wie das Verhalten der-
selben zu den Entwicklungsstadien der letztern in folgende Sätze
auffassen:
1) Als Urform der Heteroplastiden kann man eine animalisch
Kowalevsky und Schulgin, Entwicklungsgeschichte des Skorpions. 525
sich ernährende volvoxähnliche, blasenförmige Flagellatenkolonie an-
nehmen, welche nach Art des Volvox sich fortpflanzte und in ihrer
Entwicklung einige individuelle Abweichungen, diesem entsprechend,
aufwies.
2) Aus der blasenförmigen Urform entstand infolge frühzeitigen
Ausschlüpfens in einer Reihe von Generationen eine Gastrulaform,
deren Keimzellen teils zu Entoderm sich verwandelt haben, teils als
Keimzellen verblieben, deren Genitocöl in ein Phagogenoecöl über-
gegangen ist und welche mit einer Oeffnung versehen war — die
Genitogastrula.
3) Die Darmhöhle der Metazoen ist der Bruthöhle (Genitoecöl)
der Urform homolog. Das Blastocöl der Metazoen stellt eine Neu-
bildung dar, welche erst bei den Metazoen ihre vollkommene Ent-
faltung bekommen hat.
4) Das Blastopor ist der primitiven Oeffnung der Volvoxkolonie
homolog. Seine Schließung ist nichts als Reminiszenz ans Schließen
der Volvoxöffnung.
5) Verschiedene Blastulaformen sind einander nicht homolog.
Schizoblastulae kommen der Urform am meisten nahe, Gastroblastulae
sind aus der Urform infolge der Beschleunigung des Differenzierungs-
prozesses abzuleiten.
Zur Entwicklungsgeschichte des Skorpions (Androctonus
ornatus).
Von A. Kowalevsky und M. Schulgin in Odessa.
Das Untersuchungsmaterial, welches uns zur Verfügung stand,
stammte zum Teil aus Südfrankreich und Italien (Schulgin), zum
andern Teil aus Turkestan und dem Kaukasus (Kowalevsky).
Anfangs Juni sind in der Umgebung von Baku bei den Skorpionen
die Eier im vollsten Gange der Entwicklung zu finden. Das Gleiche
gilt für italienische Skorpione. Bemerkenswert ist die Erscheinung,
dass bei den trächtigen Weibchen, die einen Winter über in Gefangen-
schaft gehalten wurden, die Embryonen bis zum nächsten Frühjahr
in dem gleichen Stadium der Entwicklung blieben. Die Männchen
fingen sehon im Winter an zu sterben, die meisten Weibchen erst am
Anfange des Aprils, und zwar ohne die Embryonen zu gebären. Doch
die italienischen Weibchen, welche stets an der Sonne gestanden
hatten und in jungen Stadien der Embryonalentwicklung waren, haben
eine große Menge Junge geboren.
1) Ausbildung der Keimblätter.
Das jüngste von uns beobachtete Stadium stellte ein Ei mit einem
vollständig ausgebildeten Blastoderm dar, das auf einem Pole des
526 Kowalevsky und Schulgin, Entwicklungsgeschiehte des Skorpions.
Eies lag und aus einer Zellenschicht bestand. So lange die Eier im
Ovarium liegen d. h. in der Kapsel, die am Uterus hangt, sind sie
noch nicht befruchtet; ihre Segmentation geht erst im Uterus vor sich.
Während der Ausbildung des Blastoderms sind weder Kerne noch
Zellen im Dotter zu sehen; sie finden sich ausschließlich an einem
Pole des Eies. Diese Erscheinung wird dadurch erklärt, dass am
reifen Eie die Kerne mit ihrem Protoplasma, d. h. der Bildungsdotter,
nur auf einer Seite des Eies zu finden sind.
Die ersten Spuren der Ausbildung der Keimblätter werden da-
durch angezeigt, dass in der Mitte der untern Seite des Blastoderms
ein Hügelehen nach und nach sich ausbildet. Nicht selten kann man
konstatieren, dass mehrere Zellen von der obern Schicht nach innen
getreten sind. Diese, wie man zu sagen pflegt, ausgekeilten Zellen
können betrachtet werden als Entoderm. In der ganzen Masse der
Zellen lagen die karyokinetischen Figuren der obern Zellen parallel
dem Blastoderm, während die der untern Zellen unregelmäßig ange-
ordnet waren, woraus folgt, dass die obern Zellen sich auf der Ober-
fläche des Eies vermehren und durch Einsinken die untere Schicht
bilden. Diese aus zwei Schichten bestehende Keimscheibe besitzt
ganz runde Form.
Die ersten Zeichen in der Veränderung der Keimscheibe bestehen
in der Bildung der embryonalen Hüllen. Auf der Oberfläche der Keim-
scheibe bildet sich eine runde Rinne, welche die zentrale Masse in
Form eines Hügelchens abgrenzt.
In dieser Rinne sammelt sieh eine Eiweißflüssigkeit, die sich in
dem Maße vermehrt, als der äußere Rand der Rinne heraufwächst.
Infolge des Wachstums des Randes bildet sich eine Falte, die
nur eine einfache Duplikatur des obern Blattes darstellt. In die
Duplikatur reichen aber hie und da die Zellen des untern Blattes
hinein. Sie liegt unmittelbar auf der Dotterhaut und legt sich über
die Keimscheibe, ganz ebenso, wie es bei Insekten und Wirbeltieren
stattfindet. Die innern Ränder der Hülle treffen endlich zusammen
und verwachsen bald vollständig miteinander.
Die innere Sehieht der Embryonalhülle, deren Zellen mit kleinen
Kernen versehen sind, geht direkt in das Entoderm über, während
die obere Schicht mit großen Zellkernen in die Teile des obern Blattes
übergeht, welehe den Dotter außerhalb der Keimscheibe bedecken. Von
diesen zwei Schichten ist die innere das eigentliche Amnion, die
obere ist seröse Hülle. Zwischen den zwei Schichten kann man
wenige mesodermale Zellen wahrnehmen. Nach der Ausbildung der
Hüllen verlängert sich die Keimscheibe, welche bis jetzt rund war,
etwas, und von der Zeit an fängt ein Unterschied zwischen ihren
beiden Polen an bemerkbar zu sein. Ein Pol wird dieker und länger,
der andere bleibt dünn aber breit. Der erste ist das künftige Post-
abdomen, der zweite der zukünftige Kopf.
Kowalevsky und Schulgin, Entwicklungsgeschichte des Skorpions. 527
Während der ganzen Zeit der Ausbildung der Embryonalhüllen
teilen sich von dem untern mehrschichtigen Blatte mehrere Zellen ab
und vertiefen sich in den Dotter hinein. Anfangs sind diese Zellen
nicht in großer Menge vorhanden, aber mit der Zeit vermehrt sich
ihre Zahl bedeutend. Sie sind immer zerstreut, hauptsächlich in der
Nähe der Peripherie des Dotters. Der Kern dieser Zellen ist körnig,
rund, groß; sie besitzen die Fähigkeit amöboide Bewegung auszuführen.
In der Tiefe des Dotters verschwinden die scharfen Umrisse dieser
Zellen. Sie umfließen die Dotterkugel, um sie in ihrem Plasma zu
lösen. Wir nennen diese Zellen „Dotterzellen“, weil sie keinen
Anteil an der Ausbildung der Gewebe nehmen, trotzdem dass sie aus
der Keimscheibe entstehen.
Am Ende dieser Vorbereitungsperiode, die der Ausbildung des
eigentlichen Embryos vorausgeht, besteht das Keimblatt aus einer
obern oder ektodermalen, einer untern oder entomesodermalen Schicht
und endlich breitet sich unter der letztern ein Komplex von zerstreu-
ten Zellen aus, die schon Zeit genug hatten, um eine beträchtliche
Menge von Dottermasse unter der Keimscheibe zu verflüssigen.
2) Ausbildung des Verdauungsapparates.
Das Verdauungsorgan wird gewöhnlich seiner morphologischen
und physiologischen Bedeutung nach in drei Teile geteilt. Der vordere
Teil (Mund und Schlund) stellt eine einfache Einstülpung der ekto-
dermischen Schieht dar, wie es schon von Mecznikoff erkannt
wurde. Diese Einstiülpung zieht sich zwischen beiden Hirnlappen
durch, hinter welchen sie mit dem mittlern Teile des Verdauungs-
apparates zusammenfließt. Die Muskelschichte dieser Abteilung wie
der andern Teile des Darmes entsteht aus dem Mesoderm. Der
Hintererdarm bildet sich analog durch Einstülpung des Ektoderms
und zwar des vorletzten postabdominalen Ringes aus. Der übrige
Teil des Verdauungstraktus bleibt für den Mitteldarm übrig.
Die Hauptrolle beim Baue des Verdauungsapparates spielt die
Ausbildung des Entoderms, als desjenigen Elementes, von welchem
der Mitteldarm gebildet wird. Nach Herausbildung der Keimscheibe
trennt sich von der entomesodermischen Schicht eine dichte Reihe
von Zellen ab, die dicht an den Dotter sich anlegen. Diese Schicht ist
das eigentliche Entoderm. Seine Zellen besitzen ein glasartiges
Aussehen, wahrscheinlich deswegen, weil sie etwas von der Dotter-
flüssigkeit in ihrem Protoplasma aufgenommen haben. Erst jetzt sind
alle Schichten des Embryonalkörpers zur Ausbildung gekommen und
umwachsen nun den Dotter mit verschiedener Geschwindigkeit. Die
seröse Hülle wächst am schnellsten, nach dieser folgen das Ektoderm
und zuletzt das Darmdrüsenblatt. Unter dem Einfluss des letztern
verändert sich die peripherische Schieht des Dotters, wodurch eine
525 Kowalevsky und Schulgin, Entwicklungsgeschichte des Skorpions.
rindenartige Schicht zu stande kommt. Bei näherer Betrachtung der
rindenartigen Schicht sehen wir, dass die entodermalen Zellen sich
mit verflüssigtem Dotter anfüllen und eine lange zylindrische Form
annehmen, deren Kerne in benachbarten Zellen auf verschiedener Höhe
liegen, wie wir es immer im Zylinderepithel finden.
Diese Zellen wachsen schnell und bilden eine dieke Schicht um
den Dotter; aber es sinken keine in den letztern hinein. Sogleich
nachdem der Dotter, der keine Zellen enthält, vollständig von dem
Entoderm umwachsen ist, fängt das Postabdomen an in Form eines
Hügels sich auszubilden, der aus allen drei Blättern besteht. Die
röhrenförmige Einstülpung des Entoderms zieht sich über das ganze
Postabdomen bis zum vorletzten Segmente hin, wo sie mit der von
außen eingestülpten Grube als Anfang des Afters zusammenstößt.
Der anfangs einfache Mitteldarm differenziert sich verhältnismäßig
spät in eine röhrenförmige Abteilung, oder den eigentlichen Mittel-
darm, und in die Lappen der Leber. Der Mitteldarm wird zuerst
vorn und hinten fertig ausgebildet. In seinem mittlern Teile ent-
wickelt sich dann zuerst der Boden, später die seitlichen und obern
Wände. Der ganze Dotter wird von Leberzellen umwachsen, deren
Komplex in mehrere Lappen geteilt ist.
3) Mesoderm und Gefäßsystem.
Das Mesoderm kann erst dann als vollständig ausgebildet be-
trachtet werden, wenn vom untern entomesodermalen Blatte das Ento-
derm sich abgetrennt hat. Das Mesoderm verbleibt länger als die
andern Blätter unter der Keimscheibe und wächst am spätesten über
den Rücken des Embryos. Die Zahl der mesodermalen Segmente
entspricht derjenigen des Körpers, und dabei existiert ein präorales
Segment, das eine Kavität enthält, wie die andern mesodermalen
Segmente des Körpers. Das äußere Blatt eines jeden mesodermalen
Segmentes, das somatische oder Muskelblatt, ist bedeutend dicker als
das splanchnische, das Darmfaserblatt. Diese beiden Blätter gehen
auf der Peripherie des Segmentes ineinander über und verbreiten sich
weiter auf die Ränder des Körpers als ein kompaktes Blatt, das
noch nicht in Schichten gespalten ist.
In der Zeit, wo das Darmdrüsenblatt sich zusammenschließt,
wachsen die Seitenränder des Mesoderms zwischen Ento- und Ekto-
derm auf den Rücken hinauf. Diese Schieht der peripherischen
Zellen ist noch nieht in zwei Blättehen gespalten und bietet in
manchen Beziehungen besonderes Interesse. Die Randzellen der ein-
fachen Schicht trennen sich von der übrigen Schicht ab, die näher
am Rücken liegenden werden mehr rund, saftig, endlich kugelrund
und durchsichtig, mit einem Kern versehen, kurz, sie erinnern an
Kowalevsky und Schulgin, Entwicklungsgeschichte des Skorpions. 529
junge Eier. Wir meinen behaupten zu dürfen, dass die genannten
Zellen dadurch aus mesodermalen Zellen entstanden sind, dass die
letztern mit dem Vorrücken zwischen zwei Schichten Eiweiß ver-
schlucken, welches inzwischen von entodermalen Zellen verflüssigt
ist. Diese Zellen streben sich gegen die Rückenseite zu bewegen
und werden als primäre Blutkörperchen betrachtet. Die genannten
Zellen, die eigentlich weder zum obern (Hautmuskel-), noch zum
untern (Darmfaser-) Blatte gehören, verbreiten sich auf der Rücken-
seite des Embryos, wo die Blätter noch nicht miteinander in Berühr-
ung gekommen sind. Hier erfüllen sie eine lange breite Spalte längs
des Rückens des Embryos, die vorn und hinten etwas enger als in
der Mitte ist. Diese Spalte, wie gesagt zwischen Ento- und Ektoderm
liegend, verbreitert sich, deswegen kann sie verglichen werden mit der
Furchungshöhle der Tiere, deren Eier vollständige Furchung erleiden.
Der Raum, in welchem die primären Blutkörperchen liegen, erleidet
eine Verengerung infolge der Ausdehnung der seitlichen mesodermalen
Blättehen. Diese Blättchen nähern sich dann weiter einander und
wachsen endlich zusammen, und zwar zuerst auf der Rückenseite,
während sie gegen das Entoderm noch lange offen bleiben. Nach
der Verwachsung wird ein paariges Blättchen gebildet, das die Rolle
des Mesokardiums spielt, des jetzt schon ausgebildeten Herzens, das
noch mit dem mesodermalen Blättchen zusammenhängt.
Das fertige Herz besteht jetzt aus zwei Schichten: die innere
oder das Endothel, und die äußere oder die Muskelschicht, die beide
aber ausschließlich vom Mesoderm ibren Ursprung nehmen. Noch
vor dem Zusammentreten der beiden mesodermalen Blättchen behufs
Ausbildung des Herzens kann man die zarten flachen Zellen, die
später das Endothel des Herzens bilden, unterscheiden von den mehr
saftigen Zellen, welche die Anlage der Muskelscheide des Herzens
sind. Während der Ausbildung des letztern bilden sich auch die
Herzspalten, durch welche das Lumen des Herzens mit dem umgebenden
Raum in Verbindung steht. Die Flügelmuskeln des Herzens entstehen
ebenfalls aus dem Mesoderm. Das Wenige, das wir über das Peri-
kardium beobachtet haben, besteht darin, dass um das fertige Herz,
besonders auf seiner Rückenseite, eine Anhäufung von großen, oft
zweikernigen Zellen stattfindet. Diese Anhäufung hat das Aussehen
von blasigem Bindegewebe, aus welchem um das Herz eine Membran
sieh bildet, die das ganze Herz mit den Muskeln zusammen in ihren
Raum aufnimmt.
4) Ausbildung des Nervensystems.
Die ersten Spuren des Nervensystems erscheinen in der Zeit, wo
die Kopfglieder anfangen bemerkbar zu sein. Das Nervensystem er-
scheint als eine Verdiekung des Ektoderms, die in der Mitte der
VI. 4
530 Kowalevsky und Schulgin, Entwicklungsgeschichte des Skorpions.
Bauchseite vom Kopfe aus nach unten sich hinzieht. Entsprechend
der Teilung des Körpers in Segmente wird auch der Nervenstrang
geteilt. An jedem Ring beobachten wir zwei Erhebungen, von welchen
eine peripherisch liegt, die andere der Mittellinie sich nähert. Jene
bildet sich später zu Gliedmaßen aus, letztere zu einem Segment des
Nervenstranges. Aus solchen Erhebungen auf den Segmenten setzt
sich das ganze Nervensystem zusammen.
Anfangs ist das Nervensystem nichts Anderes als eine einfache
Anhäufung der ektodermalen Zellen, aber in der Zeit, wo die ersten
Spuren von Kopfgliedern deutlich werden, beginnt eine schnelle Ver-
mehrung der ektodermalen Zellen, zuerst auf den Kopfsegmenten,
später auf den andern. Die Vermehrung geschieht dadurch, dass in
jedem Segmente eine Wucherung der ektodermalen Zellen eintritt,
und zwar auf jedem Körpersegmente an 10 bis 12, auf dem Kopf-
segmente an 15 bis 20 gesonderten Stellen, welche das Aussehen von
Gruben haben. Auf dem Querschnitte erscheinen diese Gruben als
einfache hohle Räume, die bald verschwinden wegen des Zusammen-
wachsens der sie auskleidenden Zellen, welche letztere bald so hoch
anwachsen, dass sie die ganze Dicke des Stranges bilden. Es liegt
auf der Hand, dass eine solehe Art der Vermehrung der Zellen einen
großen Vorzug hat gegenüber einer einfachen Ausbreitung der Zellen
auf der Oberfläche. Denn grade dureh diese Gruben vergrößert sich
die Masse des Nervenstranges in demselber Verhältnis, wie es z. B.
bei Vermehrung der Zellen im Dünndarme stattfindet. Diese Art des
Wachstums des Nervensystems bei Skorpionen wurde schon von Herrn
Korotneff bemerkt und uns von ihm mitgeteilt. Nachdem dann der
Nervenstrang einigermaßen ausgebildet ist, fängt auch die Faser-
substanz sich auszubilden an, und erst jetzt trennen sich die Ganglien
von dem Ektoderm los.
Die Entwicklung des Kopfhirnes unterscheidet sich von der Ent-
wieklung der übrigen Teile dadurch, dass an seinem Entwicklungs-
gange eine accessorische Falte Anteil nimmt. Diese Falte wurde
schon von Meeznikoff für die Skorpione und von Balfour für die
Spinnen angegeben. Sie bildet sich unabhängig von den genannten
Gruben, die für das ganze System eigentümlich sind, dadurch, dass
die nervöse Kopfplatte eine paarige halbkreisförmige Einsenkung be-
kommt, welche letztere die ganze vordere Peripherie der Kopflappen
vertieft. Die Einsenkung wird bald von einer Erhebung eingerahmt,
und zwar so, dass deren vordere Wand eine über die Einsenkung
gegen den Mund hin wachsende Falte gibt. Die eingesunkenen Teile
der Kopflappen bilden zwei Hirnblasen — eine linke und eine rechte —
die mit der Peripherie durch je eine Spalte in Verbindung stehen.
Die Spalten sind von den Falten bedeckt, welche aber bald mit dem
Rande der eingesunkenen Teile zusammenwachsen, und dann sehen
wir die beiden Blasen vollständig bedeckt; ihre obern Wände sind
Kowalevsky und Schulgin, Entwicklungsgeschichte des Skorpions. 551
von den genannten Falten gebildet. Nach der Verwachsung der Falten
mit den Rändern der Blasen verschwinden erstere nicht, sondern am
Platze der Verwachsung bildet sich eine Erhebung, deren Wachstum
mehr und mehr vorschreitet. Daraus entsteht eine neue Falte über
dem schon vollständig ausgebildeten Hiru. In solcher Weise werden
zwei Taschen gebildet, die gegen die Mundöffnung, d. h. in der Rich-
tung der Extremitäten, geöffnet sind. Diese Falten oder, besser zu
sagen, diese Taschen bestehen aus der obern Wand und dem Boden.
Der Boden ist gebildet von einer dünnen Schicht des Ektoderms, von
welcher das nervöse Kopfblatt schon abgetrennt ist. Die obere Wand
oder die Decke dieser Seitentaschen, also die eigentliche Falte, be-
steht, wie es auf dem Längsschnitte scheint, aus einer einfachen Falte
des Ektoderms, deren untere Wand der Tasche zugekehrt ist; letz-
tere ist diek und besteht aus der gleichen Verdickung des Ektoderms,
wie die Kopflappen selbst; die obere Schicht der Falte ist dasselbe
Ektoderm wie auf dem ganzen Kopflappen. Diese Taschen sind die
ersten Spuren der Mittelaugen des Skorpions, auf deren weitere Ent-
wieklung wir zurückkommen, nachdem wir die Beschreibung der Aus-
bildung des zentralen Nervensystems beendet haben werden.
Das Kopfganglion bildet sich, wie gesagt, durch Einsenkung der
Nervenplatte, wobei zu bemerken ist, dass im vertieften Teile gleiche
grubenähnliche Vertiefungen wie auf der ganzen Oberfläche der andern
Segmente sich finden. Die Fasersubstanz bildet sich etwas später
und wie es scheint, ist eben in dem Raume der Blasen der Platz,
von welchem dieselbe ihren Ursprung .nimmt.
Die Ganglien der Maxillen fließen, wie schon Meceznikoff ge-
sehen hat, mit den Kopfganglien zusammen.
Was die Augen betrifft, so geht die Ausbildung der Mittelaugen
ganz anders vor sich, als die der Seitenaugen. Die Mittelaugen
werden von der gleichen Falte gebildet, welche am Baue der Kopf-
lappen Anteil nimmt, nur mit dem Unterschiede, dass für den Bau
des Hirns die tiefen Teile der Falte verwendet werden, während die
Augen Derivate der peripherischen Teile derselben Falte sind. Wir
haben diese Falten entstehen sehen als zwei Seitentaschen auf dem
Kopfe. Auf der Mitte des Kopfes nähern sich die zwei Falten ein-
ander über der obern Lippe und verwachsen mit der Zeit vollständig
miteinander. Die eigentlichen Augen bilden sich erst dann, wenn die
Falten zusammengewachsen sind, dadurch, dass auf jeder Hälfte der
Falte auf deren innerer Seite eine runde Platte sich abhebt, auf deren
unterem verdicktem Teile Pigment aufgelagert wird.
Die Seitenaugen entwickeln sich unabhängig von den Mittelaugen,
und bei ihrer Ausbildung nimmt die Vertiefung der obern Schicht der
Kopfplatte Anteil. Die Einzelheiten dieses Vorganges sind von uns
noch nicht bearbeitet.
Der Verschiedenheit in der Ausbildung der Augen entspricht der
34*
532 Jhering, Generationswechsel bei Säugetieren.
Bau der fertigen Augen, wie Ray-Lankester gefunden hat. Wie
aus der Beschreibung der Entwicklung folgt, haben die Mittelaugen
ihren Ursprung aus der gleichen Primitivplatte, wie das Kopfhirn.
Für die andern Organe des Embryos müssen erwähnt werden die An-
wesenheit der Coxaldrüsen und Ausführungsgänge der Genitaldrüsen.
Die erste Stufe, in welcher die Coxaldrüse von uns gefunden wurde,
fällt in die Zeit, in welcher die Bauchkette des Nervensystems schon
vom Ektoderm abgeschieden war. Da erschien sie als paariges Rohr,
dessen Ausmündung an der Basis des zweiten Paares (?) der Füße
sich befindet, und dessen inneres Ende schon bis an den vordern
Leberlappen heranreichte. Bei spätern Stadien werden die Windungen
sehr zahlreich und bilden eine Masse Schleifen.
Die Ausführungsgänge werden von zwei Ausgangsstellen aus ge-
bildet. Ein Teil, das innere Rohr, scheint vom Splanehnoblatt seinen
Ursprung zu nehmen in Form eines Trichters, der mit seiner breiten
Öeffnung in die Körperhöhle sich öffnet und mit dem engen Ende
gegen die Peripherie gerichtet ist. Hier nähert sich die früher schon
erscheinende Einstülpung der äußern Haut, welche den äußern Teil
der Genitalgänge bildet. Dem innern Rohr legen sich die Zellpolster
auf, die wahrscheinlich die ersten Spuren der Genitaldrüsen vorstellen.
Die Ausbildung der Lungensäcke wurde zuerst ziemlich spät
beobachtet, als einfache Einstülpung in einen an Blutelementen reichen
Raum.
Ueber „Generationswechsel“ bei Säugetieren.
Von Dr. Hermann von Jhering. '‘)
Der in Brasilien reisende, oder mehr noch der daselbst ansässige
Naturforscher wird gar häufig überrascht durch die Summe guter
naturhistorischer Beobachtungen und Erfahrungen, welche man bei
der ländlichen Bevölkerung antrefien kann. Mit der Prüfung der-
selben ergeht es dann dem Zoologen nicht selten wie mit manchen
der feinen Beobachtungen des Aristoteles, welche erst unser Jahr-
hundert wieder zu Ehren zu bringen berufen war. Ein schlagender
Fall der Art ist der folgende auf die Fortpflanzung der Gürteltiere
sich beziehende.
Schon im vorigen Jahrhundert teilte Azara mit, dass von dem
in Paraguay und Argentinien lebenden Gürteltiere Praopus hybridus
Desm. die einheimische Bevölkerung behaupte, dasselbe bringe bei
Jedem Wurfe stets nur Junge eines Geschlechts zur Welt. Auch Bur-
meister (Description physique de la Republique Argentine. Vol. II.
1879. p. 433) erwähnt diese Sage, aber weder er noch andere Zoo-
1) Sitzungsb. d. Berliner Akademie, 1885, 2. Halbbd. S. 1031, und DuBois-
Reymond’s Archiv für Physiologie, 1886, 5. und 6. Heft S. 443.
Jhering, Generationswechsel bei Säugetieren. 533
logen haben sich selbständig mit der Frage befasst. Da auch mir
die gleiche Behauptung hier begegnete und die Mulita, eben der
Praopus hybridus, hier nicht selten ist, so nahm ich mir vor die An-
gelegenheit zu studieren, und es war mir möglich, zweimal kräftige
Weibchen zu erhalten. In beiden Fällen traf ich acht Föten im
Uterus, welche jedesmal nicht nur alle auf absolut gleicher Entwick-
lungsstufe standen, sondern auch alle das gleiche Geschlecht
hatten. Es waren in beiden Fällen männliche Embryonen, deren
Penis auch in dem ersten, ein erheblich jüngeres Entwieklungssta-
dium repräsentierenden Falle schon die typische, am Ende etwas
dreilappige Form, welche für diese Art charakteristisch ist, aufwies.
Bei dem zweiten Tiere war der Penis des Fötus schon fertig ent-
wickelt, das Orificium urethrae offen, ein Irrtum in der Bestimmung
des Geschlechts daher unmöglich. Was aber mehr als der positive
Befund der Uebereinstimmung des Geschlechts aller Jungen mein
Interesse in Anspruch nahm, war das Verhalten der Eihäute, welches
zugleich die Erklärung für die Verhältnisse lieferte. Es zeigte sich
nämlich, dass zwar jede Frucht ihr eignes Amnios besaß, alle zu-
sammen aber nur ein einziges gemeinsames Chorion !). Das letztere
ist glatt und liegt lose der Uteruswand an, aber im obern Teil des
Uterus nahe dessen Fundus besteht ringförmig eine Verwachsung der
Uterusschleimhaut mit der hier ins Chorion eingeschalteten Placenta.
Es besteht hier eine ringförmige Placenta, die aber mit der gleich-
namigen der Raubtiere nichts gemein hat, indem sie eine Placenta
annularis composita ist. Jede der acht scheibenförmigen Placenten
stößt mit den Rändern der zwei nächsten zusammen, alle gemeinsam
bilden dann den zur Längsaxe des Uterus senkrecht stehenden Ring.
Im jüngern Stadium (Chorionblase 7O mm Durchmesser) war die Ver-
wachsung eine sehr innige, im spätern eine lockere, und ich glaube
nach dem Befunde annehmen zu müssen, dass die Deeidua schon
lange vor der Geburt sich von der übrigen Uterusschleimhaut abson-
dert und in fester Verbindung mit der Placenta foetalis bleibt, wie
das nach meinen allerdings erst wenig umfassenden Erfahrungen
(Felis, Mephitis — mit nicht ringförmiger Placenta, da ein eirea !/,
des Ringes einnehmender Teil nur braun pigmentierte freie Zotten
trägt, aber nicht zur Placenta entwickelt ist) auch bei den Raubtieren
der Fall zu sein scheint. Die sidamerikanischen Edentaten dürften
daher wohl alle zur Gruppe der Deciduaten gehören. Noch bemerkt
sei, dass außer den mit Amnios versehenen acht Föten im ersten
Falle noch vier linsen- bis bohnengroße Keimblasen im Chorionsack
1) Es liegen also hier dieselben Verhältnisse vor, wie sie Kölliker be-
züglich der Eihäute von Dasypus (Praopus) novemeinctus beschrieben hat.
(Entwieklungsgeschichte II. Aufl. S. 362.) Ueber das Geschlecht der Föten
findet sich daselbst keine Angabe. [Anmerkung von Hrn. Waldeyer in den
Sitzungsberichten.]
534 Jhering, Generationswechsel bei Säugetieren.
eingeschlossen waren, von denen die größte einen verkümmerten Em-
bryo enthielt. Drei derselben waren kettenförmig aneinander gereiht.
Näher auf Einzelheiten einzugehen liegt mir in dieser ersten vor-
läufigen Mitteilung fern, nur noch auf eine mir auffällige Beobachtung
aus der Embryologie der Edentaten möchte ich hinweisen. Die langen
zum Teil enormen Krallen, welche die Gürteltiere und Ameisenbären
auszeichnen, entstehen nämlich nicht wie diejenigen der Raubtiere als
äußerlich freie über die Spitze der Endphalange hervorragende Teile,
sondern werden im Innern einer völlig anders gebauten, breiten fö-
talen Endphalange angelegt, wie ich das an Föten von Myrmeko-
phaga tetradactyla wie von Praopus hybridus beobachten konnte. Bei
weit entwickelten Föten der letztern Art mit bereits geöffneten Augen,
aber durch eine zarte Membran verschlossenen Nasenlöchern, ist das
Ende der Finger und Zehen breit, etwas dreilappig und plump, so
dass man eher meinen möchte, es mit dem Fötus eines Huf-
tieres zu thun zu haben als mit dem eines Tatü. Durch die End-
phalange sieht man die im Innern bereits angelegte Kralle durch-
schimmern, deren morphologische Bedeutung erst eingehendere Stu-
dien erweisen können. Jedenfalls aber liegt hier ein interessanter
Fall von Atavismus vor, für dessen Erklärung darauf hingewiesen
sei, dass die Endphalangen der fossilen Vorläufer unserer Tatüs, der
Glyptodonten, nicht sichelförmig, sondern breit, kurz und plump, und,
wie ich vermuten möchte, von einer klauen- oder hufförmigen Horn-
scheide im Leben überzogen waren. Gleichviel ob diese Annahme
zutreffe oder jene Burmeister’s von einem „eallo terminal“, sicher
lag die Endphalange im Innern eines breiten Zehengliedes, wie schon
ihre zahlreichen Gefäßöffnungen beweisen. Zu dem völlig abweichen-
den Verhalten der mit mächtiger Sichelkralle versehenen lebenden
Gürteltiere schlägt nun die fötale Ausbildung des Praopus-Fußes die
Brücke. So viel mir bekannt, liegen über diese sonderbare Meta-
morphose des Armadillfußes bisher keine Angaben vor.
Für das Verständnis der eigenartigen hier mitgeteilten Fort-
pflanzungsverhältnisse von Praopus auch bei Praopus novemeinctus
sollen alle Jungen eines Wurfes einerlei Geschlechts sein — ist es
nötig an die vom Menschen bekannten Entwicklungsanomalien anzu-
knüpfen. Wenn das menschliche Weib Zwillinge zur Welt bringt,
sind bekanntlich zwei verschiedene Fälle auseinander zu halten:
1. Jede Frucht hat ihr eignes Chorion, das Geschlecht der Zwil-
linge ist bald übereinstimmend, bald verschieden, was sich aus dem
Umstande erklärt, dass jedes der beiden Kinder einem besondern
Eierstocksei entstammt.
2. Beide Früchte besitzen nur ein einziges gemeinsames Chorion,
und die aus ein und demselben Eierstocksei herorgegangenen Zwil-
linge sind unabänderlich gleichen Geschlechts.
An letztern Fall knüpft nun die hier mitgeteilte Thatsache un-
Jhering, Generationswechsel bei Säugetieren. 535
mittelbar an. Da wir gegenwärtig wissen, dass das Geschlecht des
Embryos durch die Befruchtung des Eies entschieden wird, so ist es
auch selbstverständlich, dass wenn aus einem befruchteten Eie mehrere
Embryonen sich entwickeln, alle einerlei Geschlechts sein müssen.
Was beim Menschen nur als Abnormität auftritt, ist bei Praopus die
Regel, nur geht die Spaltung des Keimes sehr viel weiter. Bei
Praopus novemeinctus bilden 4 bis 5 oder 6 Junge die Regel, bei
Praopus hybridus 8 bis 11. In einem Falle konnte ich auch nach-
weisen, dass einige der zahlreichen Spaltungsprodukte des primitiven
Bies verkümmerten, wie das ja auch bei andern Tiergruppen z. B.
vielen Schnecken beobachtet ist. Wie aber beim menschlichen Weibe
die mehrfache Geburt nicht nur Ausnahme ist, sondern auch seiner
Organisation nicht entspricht, so ist das in noch höherem Grade hier
der Fall. Um dies zu ermessen, muss man in betracht ziehen, dass
bei Praopus nur zwei Paar Zitzen existieren. Im allgemeinen besteht
Ja bei den Säugetieren eine Korrelation zwischen der Zahl der Zitzen
und jener der Jungen eines Wurfes, so zwar, dass, wie Milne Ed-
wards!) sich ausdrückt, im allgemeinen auf jedes Junge eine Zitze
entfällt. Schon bei Praopus novemeinctus muss die Ernährung der
Jungen leiden, wenn ihrer 5 bis 6 geboren werden, wie viel mehr
erst bei Praopus hybridus, wo 8 bis 11 Junge oder selbst 12 auf
einmal geworfen werden, und doch nur 4 Brustdrüsen existieren.
Kein Wunder daher, wenn, wie wir von Burmeister?) erfahren,
die Hälfte dieser allzu reichlichen Schar von Nachkommen meist bald
nach der Geburt stirbt. Dieses unzweckmäßige Verhältnis sei jenen
zur Beachtung empfohlen, welche noch im naiven Glauben vergangener
Zeiten befangen, wähnen, die Weisheit des Schöpfers habe alles in
der Natur aufs beste und zweckmäßigste geordnet; nicht minder aber
dürfte es auch die Aufmerksamkeit jener Naturforscher verdienen,
welche noch auf dem Standpunkte Darwin’s stehend in der natür-
lichen Zuchtwahl das treibende Moment für die Umbildung der Arten
aufgedeckt glauben. In Wahrheit aber ist weder die Auslese im
Kampfe ums Dasein, wie die Theorie sie fordert (außer in verein-
zelten Fällen wie Mimiery u. s. w.), im stande, die Verwandlung des
gesamten Organismus mit Einschluss unbedeutender anatomischer und
morphologischer Details zu erklären, noch auch ist die Variabilität
des Organismus eine allseitige, wie ja eben dieser Fall demonstriert.
So wird man sich begnügen müssen, die ihren Ursachen nach meist
oder fast durchweg unerklärliche Variabilität als Thatsache hinzu-
nehmen, an welche direkt die Neubildung der Arten anknüpft. Es
sei mir gestattet, hier auf den vor Jahren von mir entwickelten Er-
klärungsversuch hinzuweisen.
1) H. Milne Edwards, Lecons sur la physiologie et l’anatomie com-
paree. Paris 1870. t. IX. p. 129.
2) Burmeister, Description physique ete. 1. e. p. 429.
536 Jhering, Generationswechsel bei Säugetieren.
In der Einleitung zu meinem Buche über das peripherische Ner-
vensystem der Wirbeltiere (Leipzig 1878 S. IX) wies ich auf die Un-
möglichkeit hin, die Vermehrung der Zahl der Halswirbel der Faul-
tiere durch die natürliche Zuchtwahl zu erklären. Dass ein mit
acht Halswirbeln versehenes Individuum vor den mit sieben ausge-
statteten einen so entschiedenen Vorzug besitze, dass es im Kampfe
ums Dasein bessere Chancen habe durchzukommen, dürfte wohl kaum
jemand behaupten mögen. Die natürliche Zuchtwahl kann hier nicht
herangezogen werden, um so weniger als dieselbe ja überhaupt nur
die vorhandenen Varietäten verwerten, nicht aber deren häufigeres
Erscheinen veranlassen kann. In extrem seltenen Fällen treten auch
bei andern Säugetieren acht Halswirbel auf, aber von diesen verein-
zelten Fällen kann keine Artenbildung ausgehen. Die Vermehrung
der Halswirbelanzahl bei den Faultieren kann ihren Grund nur darin
haben, dass diese Varietät häufiger als bei andern Gattungen auf-
getreten ist, dass sie statt etwa in 0,001 Prozent in 10, 20 Prozent
und mehr auftrat. Kann sich aber die Häufigkeit des Erscheinens
einer neuen Varietät bedeutend steigern, so kann sie durch weitere
Steigerung auf 60, SO Prozent und mehr schließlich auch ohne alles
Zuthun der Selektion zur Regel werden. Entweder die Varietät tritt
nur ganz selten auf, und dann ist sie für die natürliche Zuchtwahl
gegenstandslos, oder sie erscheint immer häufiger und dann kann sie
auch direkt zum Ueberwiegen kommen. Auf diesem Wege nun,
dureh progressive Zunahme der Häufigkeit einer zuerst
nur ausnahmsweise erscheinenden Varietät glaube ich,
dass in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Artenbildung
vor sich gegangen sein wird. Es würde zu weit führen hier die
mancherlei von mir in Brasilien gemachten neuen Beobachtungen mit-
zuteilen, welche mich in dieser Auffassung bestärkt haben.
Noch in anderer Richtung ist die hier mitgeteilte Entdeckung
geeignet allgemeineres Interesse zu beanspruchen. Derartige Fälle,
in denen durch Teilung eines einzigen Eies oder Keimes regelmäßig
eine größere Anzahl von Nachkommen entstehen, sind jedenfalls bisher
noch nicht sehr zahlreich bekannt. Ich kenne nur als Pendant die
Beobachtung Kleinenberg’s!) an Lumbricus trapezoides, wo regel-
mäßig aus einem Ei zwei anfangs durch eine Brücke verbundene
Embryonen hervorgehen. Es existiert aber ein allgemeiner Grund
vorauszusetzen, dass das Hervorgehen von nur einem Individuum aus
dem Eie im Tierreiche ein vorgerückteres später erworbenes Stadium
repräsentiere, denn bei den meisten Gruppen der Metazoen entwickelt
sich nur ein Teil des Eies zum Embryo, indess ein anderer durch
die erste Zellteilung abgetrennter Teil desselben, der oder die soge-
nannten Richtungskörper, höchstens einen Anlauf zur Entwicklung
1) N. Kleinenberg, Sullo sviluppo del Lumbricus trapezoides. Napoli 1878.
Jhering, Generationswechsel bei Säugetieren. 937
nimmt, aber über die ersten Furchungsstadien nicht hinausgelangt
und bald zugrunde geht. Die Riehtungskörper sind morpho-
logisch nichts anderes als abortive Keime, mögen sie da-
neben immerhin, wie Weismann!) betont, für das Ei auch m phy-
siologischer Beziehung nicht bedeutungslos sein. Die Vermehrung
durch Teilung, die älteste in der organischen Welt, ist auch in den
höhern Tiergruppen nicht völlig beseitigt. In jedem Ei liegt poten-
tiell die Fähigkeit, zahlreiche Embryonen aus sich hervorgehen zu
lassen, und diese, bald zur Erzeugung mehrerer Embryonen aus einem
Eie, bald nur zur Anlage von Doppelbildungen und ähnlichen Monstro-
sitäten führende, bald mit der ersten Furchung, bald erst in weiter
vorgerückten Stadien der Entwicklung hervortretende Tendenz ist
durch das ganze Tierreich mit Einschluss des Menschen erhalten.
Die Theorie hat diesem wichtigen Verhältnis bisher nicht die ge-
bührende Aufmerksamkeit geschenkt. Man hat sich daran gewöhnt,
wenn auch unbewusst, das Hervorgehen eines einzigen Embryo aus
dem Eie als das normale und auch ursprüngliche Verhältnis anzu-
sehen, während in Wahrheit das Entstehen mehrfacher Embryonen
aus einem Eie das ursprüngliche Verhältnis gewesen sein muss, auf
das nicht nur die Riehtungskörper, sondern auch die in allen Tier-
klassen gelegentlich vorkommenden mehrfachen aus einem Ei ent-
stehenden Nachkommen oder Doppelbildungen hinweisen, so dass im
Gegenteile das Hervorgehen nur eines Embryo aus einem Eie den
sekundären und wohl zwecekmäßigern Anpassungsvorgang repräsentiert.
Das Verhältnis, welches ich für Praopus entdeckte, fällt nach
den zur Zeit herrschenden Anschauungen unter den Begriff des Ge-
nerationswechsels. Häckel, welchem das Verdienst gebührt, die
theoretische Durcharbeitung dieses Gebietes zuerst in gründlicher
dem Stande der modernen Entwieklungslehre entsprechender Weise
versucht zu haben, unterscheidet für die geschlechtliche Zeugung
(Amphigonie) zwei Hauptgruppen, je nachdem die Produkte des Bies
ein einziges physiologisches Individuum oder Biont ist (Hypogenesis)
oder aus mehrern Bionten besteht (Metagenesis oder Generations-
wechsel). Nach dieser im wesentlichen noch geltenden Einteilung
fällt die Praopus-Fortpflanzung unter den Begriff des Generations-
wechsels, wobei die proliferierende Eizelle oder Keimblase als Amme
zu gelten hätte. Eine solche Auffassung fügt sich nicht ohne wei-
teres in das bestehende Schema, ist aber logisch berechtigt, da die
Organisationshöhe der Amme für den Begriff des Generationswechsels
irrelevant ist. Wenn es für die Auffassung des Vorganges gleich-
giltig bleibt, ob die Amme die Form der Insekten-Imago oder einer
Salpe erreicht, oder diejenige der Redie oder Sporozyste oder der
Echinokokkusblase, so kann nach dieser Richtung keine Grenze ge-
1) A. Weismann, die Kontinuität des Keimplasmas. Jena 1855.
538 Jhering, Generationswechsel bei Säugetieren.
zogen werden, und es muss die Amme als solehe anerkannt werden,
wenn sie auch nur das Stadium der Gastrula, der Keimblase oder
der Eizelle erreicht.
Anderseits führt eine derartige Auffassung zu der paradoxen
Folgerung, dass die fraglichen Gürteltiere nicht Kinder, sondern
Enkel zur Welt bringen, und dass das menschliche Weib, wenn es
aus einem einzigen Eie entstammenden Zwillingen das Leben gibt,
dadurch nicht Mutter, sondern Großmutter wird. Solche aus den be-
stehenden Begriffen logisch deduzierbare, aber trotzdem widersinnige
Folgerungen weisen darauf hin, dass die bestehenden Begriffe nicht
ausreichen, bezw. der Erweiterung oder Aenderung bedürfen. Seit
dem Erscheinen von Häckel’s „Genereller Morphologie“ sind in der
That viele wesentliche Aenderungen der Auffassung eingetreten. Von
der durch Fr. E. Schulze wieder beseitigten Alloiogenesis abge-
sehen ist namentlich betreffs der Parthogenesis viel Neues und die
Anschauungen Aenderndes hinzugekommen. Indem die ungeschlecht-
liche Fortpflanzung der Aphiden auf Parthenogenesis zurückgeführt
wurde, ist die Grenze zwischen Generationswechsel und Heterogonie
verwischt, und das, wie Claus nachweist, um so mehr, als durch
den Begriff der Larvenfortpflanzung oder Paidogonesis die Beziehungen
noch inniger gestaltet werden. Die Paidogonie der Ceeidomyien
führt in der That zu jener der Trematodenlarven, und der Begriff
des Generationswechsels wird aufgelöst in die Gruppe der durch
Parthenogenesis und Paidogenesis verständlichen Entwicklungszyklen
und in die Gruppe jener Fortpflanzungserscheinungen, in welchen die
ungeschlechtliche Vermehrung der Ammen auf Knospensprossung,
Calycogenesis beruht. Hiermit ist jedoch die Summe der Modi-
fikationen nicht erschöpft, es bedarf eines weitern Begriffes für die-
jenigen Fälle, in denen wie bei Praopus aus einem Ei zahlreiche
sogleich zur Form der Eltern zurückkehrende Nachkommen hervor-
gehen, und ich möchte für diesen auf Teilungsvorgängen an einem Ei
bezw. an dem daraus entstandenen Keime beruhenden Fortpflanzungs-
modus den Namen der Temnogenesis vorschlagen. Letzterer Fall
reiht sich insofern den zuvor besprochenen an, als auch bei ihm aus
dem Ei nicht ein einziges Biont entsteht, sondern eine Anzahl solcher.
Zur Unterscheidung beider Hauptgruppen schlage ich vor, alle Fort-
pflanzungsmodi, bei denen direkt oder mit Metamorphose aus dem
Ei ein einziges Individuum hervorgeht, als hologene zu bezeichnen,
weil die ganze Masse des Eies zur Erzeugung eines Bionten ver-
wendet wird, im Gegensatze zur merogenen Fortpflanzung, bei
welcher nur Teile des Eies zur Erzeugung je eines Individuums Ver-
wendung finden, indem aus dem befruchteten Eie eine ganze Reihe
unter sich gleichartiger oder in Bau und Fortpflanzung ungleichartiger
und dann periodisch alternierender Organismen entsteht.
Danach ergibt sich folgendes System:
>
Möbius, Wimperorgane heterotricher nnd hypotricher Infusorien. 539
I. Hologene Generation.
Aus dem befruchteten Eie entsteht nur ein einziges Individuum,
mit oder ohne Metamorphose. (Hypogenesis nach Häckel).
ll. Merogene Generation.
Aus dem befruchteten Ei entstehen zwei oder mehr Individuen,
welche
A. direkt zur Form und Fortpflanzungsweise der Eltern zurück-
kehren: Temnogenesis,
B. einen Gegensatz von verschiedenartig sich fortpflanzenden
Individuen oder Generationen aufweisen (Generations-
wechsel, Metagenesis).
a. Calycogenesis (Salpen, Medusen).
b. Paidogenesis (Ceeidomyien).
c. Heterogenesis, wobei entweder beide Generationen ge-
schlechtlich entwickelt sind, oder eine oder einige sich
parthenogenetisch vermehren.
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin.
Sektion für Zoologie.
1. Sitzung. Prof. K. Möbius (Kiel) spricht über den Bau der adoralen
Wimperorgane heterotricher und hypotricher Infusorien der
Kieler Bucht und über die Fortpflanzung von Freia ampulla. Nach Fr.
Stein besteht das adorale Wimperorgan der heterotrichen und hypotrichen
Infusorien aus großen Wimpern, welche sich in Rinnen legen, wenn sie ruhen.
Nach Sterki sind diese vermeintlichen Rinnen die Insertionen von Membra-
nellen oder Hautplättchen, deren freier Rand sägeartige Spitzen hat (Zeit-
schrift f. wiss. Zoologie, 31, 1878). Maupas (Arch. de Zool. exper., 2. Ser.,
I, 1883) und G&za Entz (Infus. Golf. Neap., 1884) schließen sich dieser An-
sicht an. Bei drei Arten heterotricher und 9 Arten hypotricher Infusorien der
Kieler Bucht, welche ich genauer untersuchen konnte, besteht das adorale
Wimperorgan nicht aus Membranellen, sondern aus Wimperkämmehen oder
Pektinellen, welche aus sehr vielen feinen Wimpern zusammengesetzt sind,
deren zusammenstoßende Basen die Querleisten des adoralen Wimperorgans
bilden. Dieser Bau der Pektinellen wird erst wahrnehmbar, wenn man Euplotes
harpa Ste., Epiclintes auricularius Clap. Lach., Oxytricha rubra Ehb.,
Stichotricha marina Ste., Condylostoma patens Müll., Stentor auricula Kt.,
Freia ampulla Müll. oder andere Hypotricha und Heterotricha der Kieler
Bucht durch Osmiumsäuredämpfe soweit lähmt, dass die Wimperkämmchen nur
noch langsam schlagen und bald darauf still stehen. Die dieken Bauchwimpern
540 Pringsheim, Zerlegung der Kohlensäure durch Chlorophyll.
der Hypotricha sind aus ebenso feinen Wimpern zusammengesetzt, wie die
Pektinellen. Ueber die Fortpflanzung der Freia ampulla Müll. haben
frühere Untersucher dieses schönen großen marinen heterotrichen Infusoriums
nichts bekannt gemacht. Ich habe eine ungleichhälftige Längsteilung
beobachtet. Der Hinterteil des Körpers, der unter der Schlundregion beginnt,
gibt durch Längsteilung ein überall gleichmäßig bewimpertes Junges ab, welches
die Hülse der Mutter verlässt und fortschwimmt. Am Vorderende desselben
entsteht durch Einkerbung und eine allmählich tiefer gehende Gabelung das
adorale Wimperorgan. Bevor dieses vollkommen ausgebildet ist, beginnt die
Ausscheidung der Hülse am hintern Ende des Körpers. — M. Nussbaum
(Bonn) hat gelegentlich seiner Untersuchungen an Gastrotricha vorax dieselbe
Beobachtung wie der Herr Vorredner gemacht inbetreff der Zusammensetzung
der „Pektinellen“ aus Finzeleilien und gibt der angenehmen Befriedigung Aus-
druck, dass diese Struktur durch Prof. Möbius als ein weit verbreitetes
typisches Vorkommen erkannt wurde. — Prof. F. E. Schulze bemerkt: Es
erinnert diese Zusammensetzung der Bewegungsapparate der eiliaten Infusorien
an die Zusammensetzung mancher Sinneshaare, wie der sogenannten Pinsel-
zellen der Mollusken und der Hörhaare der Wirbeltiere.
Sektion für Botanik.
1. Sitzung. Herr Pringsheim (Berlin) sprach über die neuern Ver-
suche, die Kohlensäure außerhalb der Pflanze durch Chloro-
phyll zu zerlegen. Der Vortragende legte die Resultate einer Reihe von
Versuchen dar, die er unternommen hatte, um den Versuch von Regnard zu
prüfen, nach welchem es gelingen soll, die Kohlensäure außerhalb der Pflanze
durch Papierstreifen, die mit einem Ueberzug von Chlorophyll versehen sind,
zu zerlegen. Er wies nach, dass hier ein Missverständnis und eine irrige Deu-
tung der beobachteten Erscheinungen von seiten Regnard’s vorliegt. Die
von Regnard bemerkte Reaktion, die er als einen Beweis der Kohlensäure-
zersetzung durch das Chlorophyll betrachtet, rührt nachweislich gar nicht vom
Chlorophyll- Ueberzug der Papierstreifen her und ist für die Frage nach der
Chlorophylifunktion daher ohne jede Bedeutung. — Weiter besprach P. noch
den sich hieran anschließenden, neuerdings veröffentlichten Versuch von Timi-
riareff, wonach man mittels Reduktion durch Wasserstoff in statu nascenti
aus dem Chlorophyll einen Körper gewinnen soll, der unter Zerlegung von
Kohlensäure wieder grün wird. Die zur Nachprüfung des Versuches nötigen
genauern Angaben stehen allerdings noch aus, und ein abschließendes Urteil
ist daher noch nicht möglich; allein es darf schon jetzt daran erinnert werden,
dass ein ähnlicher Versuch schon von Berzelius erwähnt wird, der aber
bisher noch immer keine Bestätigung erfahren hat. Ferner aber weist P.
darauf hin, dass, wenn die Angabe von Timiriareff sich bestätigen sollte,
und wenn etwa, wie dieser anzunehmen geneigt scheint, der Reduktionsvorgang
der Kohlensäure auch innerhalb der Pflanze auf einem gleichen Vorgange be-
ruhen sollte, dass dann in diesem Versuche ein Beweis gegen alle bisher von
Timiriareff mit so großer Entschiedenheit verfochtenen Ansichten liegen
würde. Es wäre nämlich grade hierdurch wieder einmal erwiesen, dass es
nicht der Chlorophyllfarbstoff ist, welcher die Kohlensäure zersetzt, sondern
ein Körper, der erst bei der Reduktion der Kohlensäure zu Chlorophyll wird.
Wollheim, Chemische Untersuchungen über den Chlorophylifarbstoff. 541
Dies würde an die ältern Vorstellungen erinnern, dass das Chlorophyll als
Nebenprodukt bei der Kohlensäurezerlegung entsteht. Endlich läge in dem
Versuche von Timiriareff, immer unter der Annahme, dass die Thatsache
und ihre Deutung richtig sind, ebenfalls ein entschiedener Beweis dafür, dass
der Absorptionsstreifen der Chlorophylle im Rot zwischen B und Ü keine
wesentliche Beziehung zur Zersetzung der Kohlensäure hat, da ja der Körper,
welcher nach Timiriareff die Kohlensäure zersetzen soll, diesen Streifen
nach dessen eigner Angabe nicht besitzt, sondern ihn erst infolge der Kohlen-
säurezersetzung erhält. Der Versuch von Timiriareff würde daheı seine
frühern Versuche und Angaben über die Koinzidenz des Maximums der Sauer-
stoffabgabe mit dem Absorptionsstreifen im Rot direkt widerlegen und nur
zur Stütze der Angaben von Pringsheim über die Bedeutung der Absorp-
tionsstreifen im Chlorophyll beitragen, welche Timiriareff bisher so eifrig
bekämpft hat.
2. Sitzung. Herr J. Wollheim (Berlin) sprach über chemische Unter-
suchungen über den Chlorophyllfarbstoff. So genau wir jetzt über
die spektralanalytischen Eigenschaften der Chlorophyligruppe orientiert sind,
so haben doch die zahlreichen chemischen Arbeiten über das Chlorophyll meist
ungenügende und zweifelhafte Ergebnisse gehabt. Es ist nicht einmal gelungen,
bei einem der dargestellten Präparate dessen chemische Individualität zu er-
weisen. Redner hat einige derselben experimentell geprüft. Das Hansen’sche
„Reincehlorophyll“ ist unreines Alkalichlorophyli, wie er, Redner, aus der
Konstanz des nicht entfernbaren Aschengehalts (kohlensaures Natron), sowie
durch Vorlegung der in verschiedenen Stadien der Arbeit aufgenommenen Ab-
sorptionsspektrallinien in Bestätigung der Angaben Tschirch’s nachzuweisen
in der Lage sei. Ebenso hat die Vorschrift von Sachs zu einem nur etwas
weniger zersetzten Natriumchlorophyll geführt Einen konstanten, nicht
entfernbaren Aschenrückstand an ZnO habe auch das von Tschirch aus
Chlorophyllan und Zinkstaub dargestellte Präparat. Man erhält dasselbe
übrigens auch bei Anwendung von Zinkoxyd. In Erkenntnis der zeitigen Un-
möglichkeit, auf direktem Wege zum isolierten Farbstoff zu gelangen, habe er,
Redner, es für das Ersprießlichste gehalten, an die Arbeiten von Tschirch
anknüpfend, die Erlangung eines Derivats des Farbstoffes in reinem Zustande
zu versuchen. Von diesem sollte dann womöglich zu Körpern gelangt werden,
die das gleiche Spektrum wie das Blatt gaben. Uebrigens habe er, Redner,
mittels Ammoniakalkohol einen Chlorophyllauszug erhalten, der ein solches
Reinchlorophylispektrum gebe. Das Hoppe-Seyler’sche Chlorophyllan sei
nicht einwandfrei inbezug auf Reinheit und chemische Individualität. Auch
die von Tschirch vorgeschlagene Baryumverbindung hat sich wegen schwie-
riger Reindarstellung als für den vorliegenden Zweck ungeeignet erwiesen,
ebenso die von demselben Forscher dargestellten Phyllopurpurinverbindungen.
Eine der letztern hat Redner in einen roten und einen violetten Farbstoff ge-
spalten. Er habe bei diesen Arbeiten, namentlich bei Darstellung einer Caleium-
chlorophyliverbindung, Gelegenheit gehabt zu konstatieren, dass Eisen nicht
notwendiger Bestandteil der Körper der Chlorophyligruppe sei. Er stelle über
diese Frage jetzt noch besondere Versuche an. Redner teilt nun mit, dass es _
ihm gelungen sei, die Phyllocyaninsäure, das durch Behandeln des Chloro-
phyllans mit Salzsäure und nachheriges Ausfällen entstehende Chlorophyll-
derivat, unter Modifikation der von Tschirch gegebenen Darstellungsweise
542 His, Entstehung und Ausbreitungsweise der Nervenfasern.
absolut rein zu gewinnen. Die Darstellungsweise bürge für Abwesen-
heit aller die Chlorophyllkörper sonst begleitenden Substanzen.
Gelegentlich habe er auch ein Oxydationsprodukt des Körpers, einen schönen
roten, der Phyllocyaninsäure spektroskopisch und chemisch sehr nahe stehenden
Farbstoff gefunden. Die erhaltene Phylloeyaninsäure enthält ab-
solut kein Eisen und ist aschenfrei. Mit Zinkoxyd gibt der Körper
die entsprechende Zinkoxydverbindung. Die Elementaranalyse gab für beide
Körper die relativ gleichen Resultate. Danach enthält die Phylloeyanin-
Saune: & — 6440, H 78,60, N 7,60, 0, 19,49%,. Die, Zunkoxyd-
asche betrug 13,8°%,. Hieraus hat Redner die empirische Formel der Phyllo-
eyaninsäure bestimmt mit C,,H,,N,0,. Ganz besonders macht Vortragender
darauf aufmerksam, dass von den von ihm vorgelegten Absorptionsspektral-
zeichnungen einerseits sich das Spektrum der reinen Phyllocyaninsäure
identisch erweise mit dem des Chlorophyllans, anderseits auch die salzsaure
Lösung des reinen Phyllocyanins ein identisches Spektrum zeige mit der
alkoholischen Lösung 1) seines Zinkphylloeyanins (B-Chlorophyll
Tscehirceh’s), 2) des Zinkchlorophyllans und — das Wichtigste — die Ver-
schiebung gegen Rot bei dem letzterın abgerechnet — dem Blattspektrum.
Vortragender hofft in einer ausführlichen Publikation demnächst weitere Mit-
teilungen über den Gegenstand machen zu können. — Herr Tschirch (Berlin)
legt vor und bespricht Chlorophylikörper, deren Lösungen fluoreszenzfrei
sind. Dieselben wurden stets erhalten, wenn mit großen Massen gearbeitet
wurde. Näheres über diese merkwürdigste Erscheinung soll demnächst mit-
geteilt werden. — Herr Franz Schwarz (Breslau) weist im Anschluss an
Herın Tschirch darauf hin, dass es Chlorophyll-Lösungen ohne Fluoreszenz
gibt; es sind dies viele Lösungen des Chlorophylis in Oel. Die Fluoreszenz
ist also kein wesentliches Merkmal. — Herr Wollheim (Berlin) teilt seine
Beobachtung mit, dass salzsaures Phyllocyanin in konzentrierter Lösung wenig
„Fluoreszenz zeige, in verdünnter Lösung jedoch sehr stark fluoresziere.
Sektion für Anatomie und physische Anthropologie.
2, Sitzung. Herr His (Leipzig) spricht über die Entstehung und
Ausbreitungsweise der Nervenfasern. Nachdem das Rückenmarksrohr
sich geschlossen hat, macht sich ein Gegensatz geltend zwischen dichten, ge-
lagerten, innern und etwas lockerer liegenden äußern Zellen (Innenplatte
und Mantelschicht). Von Zellen der Innenplatte ausgehend, bildet sich ein
Gerüst (Myelospongium), welches mit seinem äußern Teil die kernhaltigen
Zellentuben überragt und damit das Lager zur Bildung weißer Rückenmarks-
stränge liefert. Die Bildung von Nervenfasern geschieht beim menschlichen
Embryo vom Beginn der 4. Woche ab. Die Zellen der Mantelschicht entwickeln
je einen Axenzylinderfortsatz, der mit konischem Ursprungsstück beginnt und
von früh ab eine fibrillare Streifung zeigt. Die aus der vordern Hälfte der
Mantelschicht entstehenden Fasern verlassen das Rückenmark als motorische
Wurzeln. Die weiter hinten entstehenden Fasern treten in sagittaler Richtung
®=bezw. in bogenförmigem Verlaufe nach vorn (Formatio arcuta). Ein Teil dieser
Fasern geht in die Commissura anterior über, die anfangs nur aus wenigen
Fasern besteht. Zugleich mit den letztern erscheinen auch sparsamer Längs-
faseın als Beginn der Vorderstränge. Verzweigte Ausläufer bilden sich
His, Entstehung und Ausbreitungsweise der Nervenfasern. 543
an den Zellen der Mantelschicht, bezw. an den motorischen Vorderhornzellen,
später als die Axenzylinderfortsätze. Die Ganglienanlagen sind nach erfolgter
Abgliederung vom Rückenmark durchaus geschieden. Ihre Zellen strecken sich
und entwickeln 2 Ausläufer, von denen einer als hintere Wurzel in das
Rückenmark eintritt, der andere peripheriewärts sich entwickelt. Der Kern
der spinalen Ganglienzellen rückt exzentrisch zur Seite, und damit leitet sich
die Bildung T-förmiger Fasern ein. Die Formen sind beim 4—5 wöchentlichen
Embryo deshalb leicht erkennbar, weil bei ihm die Zellen noch keine Endothel-
scheiden besitzen. Die in das Rückenmark dringenden Wurzelfasern sammeln
sich in einem im Anfang sehr dünnen, späterhin stärker werdenden Längsbündel
(ovales Hinterstrangbündel), später eindringende Fasern können dies
Bündel durchsetzen und zwischen die Zellen gelangen. Mögen die Nervenfasern
zentralwärts oder peripheriewärts auswachsen, so geschieht ihre Ausbreitung
nur mit einer gewissen Langsamkeit; in den Extremitäten kann man das sue-
cessive Verschieben der Stämme leicht verfolgen, und es zeigt sich z. B., dass
noch am Schlusse des 2. Monats die Finger und Zehenspitzen nervenfrei sind.
Die peripherisch auswachsenden Stämme bahnen sich ihren Weg in der lockern
Bindesubstanz der Teile, und sie sind anfangs von relativ enormer Mächtigkeit.
Die zentralen Fasern finden ihre Bahn in den Maschen des Myelospongiums
vorgezeichnet. Aus dem Prinzip des Auswachsens ergeben sich sowohl in
Hinsicht der peripherischen als der zentralen Endigungsweise gewisse Folge-
rungen, welche hier nur angedeutet werden können. Das primäre Verhalten
ist jedenfalls immer ein freies Auslaufen der ungeteilten oder geteilten Fasern.
Inwieweit sekundäre Verbindungen mit Zellen eintreten können, das ist sowohl
im Zentrum als an der Peripherie als eine offene Frage zu betrachten. — In
der Diskussion bemerkt Herr Merkel (Göttingen): Er glaube, dass die termi-
nalen Zellen des sensibeln Nervensystemes unter allen Umständen ihre physio-
logische Bedeutung behalten, sei es, dass sie, wie er selbst meint, mit den
herantretenden Axenzylindern verwachsen, sei es, dass sie vielleicht nur in
innigstem Kontakt mit denselben verlötet sind. — Herr W. Wolff erinnert
daran, er habe vor Jahren mitgeteilt, dass die Nerven des Froschlarvenschwanzes
vom Zentrum nach der Peripherie hinwachsen und unter dem Epithel enden. —
Die Stützfasern, die die Auskleidung der Hirnrückenmarkshöhle und eine starke
Limitans bilden, habe er auf Schnitten aus Hirn und Rückenmark von Säuge-
tierembryonen auch gesehen und betrachte sie wie der Vortragende als Anfänge
der Neuroglia.a — Weiter bemerkt Herr His auf eine Anfrage des Herrn
Waldeyer, die Beziehung der Innenplatte und Umgebung des Zentralkanals
betreffend, und der Herren Wiedersheim und Waldeyer, die Beziehung
der Spinalganglien zur Neuralcrista und der letztern zum Rückenmark betreffend,
folgendes: Die Innenplatte werde nicht gänzlich für das Epithel des Zentral-
kanals verbraucht, um so weniger, da grade hier die Zellenvermehrung statt-
finde; vielmehr sei ein Teil auch ihrer Zellen faserbildend. Die Spinalganglien
stammen nicht ab von der Rückenmarksanlage, sondern von einer neben der-
selben gelegenen Anlage, welche neben der Medullarrinne im Ektoderm zu
suchen ist (Zwischenrinne, nach seiner ehemaligen Bezeichnungsweise). Nach
Schluss der Medullarrinne gehe daraus ein an der dorsalen Seite des Medullar-
rohrs zwischen diesem und dem Ektoderm gelegener Strang hervor, welcher
sich weiterhin in Form zweier Stränge neben das Medullarrohr legt und
durch Abgliederung die Spinalganglien liefert. Selbst bei Plagiostomen
sei die Abstammung dieses Zwischenstranges von der Medullaranlage nur eine
54 Berichtigungen.
scheinbare, indem beim Schlusse der Medullarrinne die genannte Anlage in
den dorsalen Ausschnitt desselben hineingezogen werde.
Berichtigungen.
Infolge des auf der Post erfolgten Verlustes der vom Verfasser revidierten
Korrektur sind eine Anzahl Druckfehler in der Arbeit „Kritische Bemerkungen
zu der Arbeit von Wiesner Untersuchungen etc * stehen geblieben.
S. 449 2.1 v. u. zwischen die alten statt den alten
S. 451 Z 24 v. o. und ohne statt und noch weniger
S. 451 Z. 31—32 v. o. muss der Satz heißen: Mit diesen spärlichen An-
gaben ist aber doch eine Organisation der Körper-
chen nicht nachgewiesen, noch —
S. 452 Z. 24 v. o. somit Eiweißkörper führt statt somit Eiweißkörper
bildet
S. 452 Z. S—10 v. u. muss der Satz heißen: d. h. grade denjenigen (Fall),
bei welchem anderseits ihm der Nachweis der Der-
matosomen, d. h. der nach ihm wesentlich-
sten Elemente, nie gelungen ist.
S. 453 Z.1—2 v. 0. welchem, wenn man ihn nur auf Eiweiß um-
rechnet, statt welchem, nur auf Eiweiß bezogen,
S. 453 Z. 17 v. 0. Wie und wo ist nun aber das Kriterium, dieses Proto-
plasma statt Kriterium dieses Protoplasmas.
S. 454 Anmerkung Z. 5 v. o. den Körnchen des Protoplasmas, den Mikro-
somen, statt den Körnchen des Protoplasmas der
Mikrosomen.
In dem Artikel von J. H. List in voriger Nummer soll es heißen auf
Seite 486 Zeile 21 v. u. E 1 Ker l l
eve le Verschmelzung statt Kernschmelzung.
Seite 487 2.3 u. 2 v. u. soll es heißen „wird nun das Eichen“ statt „wird
das nun fertige Eichen“
und in der folgenden Zeile soll es heißen „gebildet“ statt „abgesondert*.
Am Schlusse des Artikels, Anfang des vorletzten Absatzes S. 488, fällt
der Satz „Das Eifach fungiert nun auch als Uterus“ fort. Dafür soll der Ab-
satz anfangen: „Das im Eifach liegende fertige Ei gelangt u. s. w.“
Verlag von Eduard Besold in Erlangen.
Soeben wurde vollständig und ist in allen Buchhandlungen vorrätig:
Lehrbuch
der
Anatomie der Sinnesorgane
von
Dr. Gustav Schwalbe,
o Professor der Anatomie an der Universität Straßburg.
Mit 199 Holzschnitten.
Preis 19 Mark.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
Biologisches CGentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
v1. Band.
Inhalt: His, Die Entwicklung der Zoologische ı Station zu Neapel und das wachsende
Bedürfnis nach wissenschaftlichen Zentralanstalten. — Blochmann, Ueber die
Eireifung bei Insekten. — Loey, Embryologie der spinnen. — Hitzig, Ueber
Funktionen des Großhirns.. — Aus den Verhandlungen gelehrter Geseli-
Schaften. 59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin.
IS Enovemberisse. Nr. 18.
Die Entwicklung der zoologischen Station in Neapel und
das wachsende Bedürfnis nach wissenschaftlichen Zentral-
anstalten.
Vortrag, gehalten von Prof. His aus Leipzig
in der zweiten allgemeinen Sitzung der 59. Versammlung deutscher Natur-
forscher und Aerzte zu Berlin, am 22. September 1886.
Die zoologische Station in Neapel vollendet in diesen Tagen das
13. Jahr ihrer Existenz. Von Herrn Prof. Dohrn ist diese großartig
angelegte Anstalt aus eigner Initiative mit anfangs fast ausschließlich
eignen Mitteln von Grund auf geschaffen worden, und nach dem
ursprünglichen Plane ihres Begründers ist sie bestimmt, den zahl-
reichen auf Meeresstudien angewiesenen Forschern eine mit den Vor-
teilen gnt eingerichteter Laboratorien ausgerüstete Arbeitsstätte und
damit die denkbar günstigsten Bedingungen zu ausgiebigen Unter-
suchungen an der See zu gewähren.
Schwere Hemmnisse jeglicher Art hat Herr Dohrn in zäher Ver-
folgung seiner Ideen siegreich überwunden. Gegen 370 Forscher ver-
schiedenster Richtung haben in diesen 13 Jahren an der Anstalt
gearbeitet, und durch öftere Wiederkehr haben manche derselben be-
wiesen, dass sie sich daselbst wohl befunden haben. Die Zahl der
Arbeiten, zu welchen die zoologische Station Material und Anregung
geboten hat, ist schwer zu übersehen. Zu den in den Zeitschriften
verschiedener Länder zerstreuten Aufsätzen kommen die großen von
der Station selbst herausgegebenen Publikationen, die prachtvolle
VI, 35
546 His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten.
unter dem Titel „Fauna und Flora des Golfes von Neapel“ heraus-
gegebene Monographiensammlung und die bis jetzt 6 Bände umfassen-
den „Mitteilungen aus der zoologischen Station“.
An Darstellungen über das Leben und die Entwicklung der Station
fehlt es zur Zeit nieht. Unter diesen Umständen würde ich der hoch-
verehrten Versammlung kaum etwas Neues bieten, wollte ich auf eine
eigentliche Beschreibung der Station und ihre Einrichtungen eingehen,
es mag mir dafür erlaubt sein, in mehr zusammenfassender Weise
die persönlichen Eindrücke wiederzugeben, die ich bei einem frühern
und bei einem diesjährigen Besuche der Anstalt empfangen habe.
Daran wünsche ich die Diskussion von Gedanken zu knüpfen, welche
eine besondere Entwicklungsrichtung wissenschaftlicher Anstalten be-
treffen.
Mein erster Besuch in Neapel ist in die Osterferien 1876 gefallen.
Die Anstalt hatte damals ein 2!/, jähriges Bestehen hinter sich. Be-
deutende Arbeiten waren von ihr bereits ausgegangen, unter denen
ich nur Balfour’s bahnbrechende Untersuchung über die Haifisch-
entwieklung nenne. Grade in jenen Zeiten sind indess Stimmen laut
geworden, welche die Station für ein völlig verfehltes Unternehmen
erklärt haben. Die also erhobenen Vorwürfe habe ich damals ver-
sucht, möglichst unparteiisch zu prüfen, wobei sich ergab, dass sie
zum Teil auf Uebertreibung beruhten, zum Teil aber auf solche
Uebelstände sich bezogen, welche in der Jugend des Instituts und in
der Neuheit seines Personales ihren Grund hatten. Mit noch mehr
Anerkennung hat sich in jener Zeit mein Arbeitsgenosse, Herr Prof.
Hensen, über die Station ausgesprochen, und derselbe hat grade in
den weitgesteckten Zielen derselben ihren Hauptwert erkannt. Immer-
hin waren vor 10 Jahren auch für die wohlwollendsten Freunde Fort-
dauer und Gedeihen der jungen Anstalt Gegenstand der Besorgnis
und des Zweifels. Von Jahr zu Jahr hat sich seitdem die zoologische
Station lebenskräftiger erwiesen. Die überwältigende Kraft eigner
innerer Ueberzeugung hat Herrn Dohrn befähigt, auch andern die
Dringlichkeit und die Durchführbarkeit der verfolgten Ziele zum Be-
wusstsein zu bringen. Mit den verschiedenen Fortschritten der Station
nicht unbekannt, bin ich gleichwohl bei meinem diesjährigen Besuche
(1886) überrascht worden von der Großartigkeit und dem Umfang der
eingeschlagenen Entwicklung. Noch habe ich denselben Palast vor-
gefunden und dieselben Arbeitsräume mit wenig verändertem Aus-
sehen, aber wie sehr viel reicher ist das Leben darin geworden, und
wie viel fester gegliedert die. gesamte Führung dieses Lebens. Ein
Generalstab von vorzüglichen Assistenten und tüchtig eingeschulten
Gehilfen steht dem Direktor thätig zur Seite. Von den Assistenten
ist ein jeder einem besondern Departement vorgesetzt und für dessen
Führung verantwortlich. Mit voller Sachkenntnis und zugleich mit
liebenswürdigster Zuvorkommenheit gehen alle diese Herren dem Gaste
His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten. 547
in der Station an die Hand, ihn allenthalben mit Rat und mit That
unterstützend. Für den Fremdling in Neapel erstreckt sich die Für-
sorge auch auf die Regelung der Lebensverhältnisse und vor allem
auf die hygieinische Beratung, und es liegt jedenfalls nicht am Mangel
an Belehrung, wenn der eine oder der andere Stationsbesucher den
Tücken der südlichen Großstadt seinen Tribut zu entrichten hat.
Die Einrichtungen sind alle darauf angelegt, den Bedürfnissen der
Arbeitenden wirksam entgegenzukommen. Eine glänzende Bibliothek,
gut geordnet und mit sehr einfachem Ausleihmechanismus, steht den-
selben zu freier Verfügung, eine Sammlung der im Golf lebenden
Tiere ermöglicht die nötige zoologische Orientierung, Chemikalien zur
Härtung und zur Konservierung des Materials sind in reicher Aus-
wahl vorhanden, und es bedarf nur eines ausgesprochenen Wunsches,
um sie in jeder beliebigen Kombination abgemessen und gemischt zu
erhalten.
Die Kunst der Materialkonservierung und Behandlung hat aber
im verflossenen Jahrzehnt grade in der zoologischen Station ausneh-
mende Fortschritte gemacht. Nicht allein weiß die Künstlerhand des
Signor Lo Bianco die zartesten und durchsichtigsten Organismen in
Form und in Farbe auf das zierliehste zu erhalten, sondern es hat
durch die vereinten Bemühungen der Beamten der Anstalt und der in
dieser arbeitenden Forscher die mikroskopische Technik einen sehr
hohen Grad von Vollkommenheit erreicht. Auch der erfahrenste
Mikroskopiker verlässt die Anstalt nicht, ohne nach der einen oder
andern Richtung hin neue Hilfsmittel der Forschung kennen gelernt
zu haben. Darin liegt ein unschätzbarer Vorteil einer solchen An-
stalt, dass Forscher von völlig verschiedener Ausbildung und Richtung
durch sie hindurchgehen und mit ihr eine Zeit lang im Wechsel-
verkehr stehen, wobei sie derselben die Quintessenz eigner Erfahrung
übergeben und die Ausbeute fremder Erfahrungen mit sich von dannen
nehmen.
Die Herbeischaffung eines möglichst reichen und mannigfaltigen
Materials bleibt stets die Hauptaufgabe der Station, allein sie bietet
Schwierigkeiten, deren Ueberwindung auch der allerthätigsten Ver-
‚waltung nicht immer leicht fallen wird. Die Verwaltung der Station
arbeitet mit allen Kräften auf eine Beherrschung der Materialzufuhr
hin. War sie vor 10 Jahren großenteils von fremden Fischern ab-
hängig, so steht sie jetzt auf festen eignen Füßen. Im Besitze zweier
Dampfer betreibt sie in regelmäßiger Weise die Fischerei. Dredsch,
feines Netz und Tauchapparat werden je nach Bedarf zur Verwendung
gezogen, und indem der Golf und seine Umgebung systematisch durch-
sucht werden, gewinnt man eine sehr genaue Kenntnis aller Fund-
stätten und ihrer Ergiebigkeit. Ueber die Ergebnisse der Fischerei
wird in einem besondern Anstaltsdepartement sorgfältig Buch geführt,
und auf eigens angelegten Karten wird die Ausbreitung der marinen
398
548 His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten.
Fauna eingetragen. Ergänzend gesellen sich dazu die Erfahrungen,
welche die Beobachtung der im Aquarium gehaltenen Tiere über deren
Lebensgewohnheiten und gegenseitiges Verhalten gewährt. Bei wei-
terer Verfolgung musste man aber über dieses Ziel weit hinausgeführt
werden. Mit den praktischen Gesichtspunkten musste sich bald die
wissenschaftliche Forderung verknüpfen, den Golf und weiterhin das
gesamte Mittelmeer biologisch zu durchforschen und dabei die Gesetze
zu ermitteln, von welchen die Verteilung der Meeresfauna und Flora
beherrscht wird. Die von der Station publizierten großen Monographien
sind der erste Schritt auf der Bahn dieses weitaussehenden Unter-
nehmens.
Es ist von nicht geringem Interesse, an der Hand der von Herrn
Dohrn veröffentlichten Jahresberichte zu verfolgen, wie die Auf-
gaben, die er sich bei Gründung der Anstalt gestellt hatte, mit zu-
nehmender Entwicklung immer weiter und umfassender geworden
sind. Unter den neuesten Konzeptionen desselben hebe ich zwei als
besonders wichtig hervor, die einer schwimmenden Station und
die einer pbysiologischen Abteilung. Als schwimmende Station
wünscht Herr Dohrn einen größern seetüchtigen Dampfer zu erbauen,
der auf das sorgfältigste mit allen Arbeitseinrichtungen versehen
werden soll. Dadurch kann eine gewisse Anzahl von Naturforschern
befähigt werden, an beliebig gewählten Küsten oder auch in freiem
Meere frisches Material ungehemmt zu bearbeiten. Dieser vielver-
sprechende Plan harrt derzeit noch der nötigen Geldmittel zu seiner
Verwirklichung, wogegen, dank dem Entgegenkommen der Königl.
italienischen Regierung, der Gedanke einer physiologischen Abteilung
der Station rasch seiner Ausführung entgegengeht. Bereits ist zu
dem Zwecke ein stattlicher Flügel dem bisherigen Palaste angebaut
worden, und derselbe wird wohl in nicht allzu langer Zeit dem Ge-
brauch übergeben werden. Der leitende Gesichtspunkt bei Ausdeh-
nung der Station nach dieser Richtung hin ist folgender gewesen:
An Mannigfaltigkeit und zugleich an Massenentwicklung ist das Leben
der Tierwelt im Meere so unermesslich reich, dass dasselbe zahllose
Angriffspunkte für das Studium allgemeiner und besonderer auf Zu-
standekommen und Bestand des Lebens bezughabender Fragen dar-
bietet. Es ist die Tragweite physiologischer Forschungen am Meere
kaum zu übersehen, sicherlich verspricht dieselbe eine außerordentlich
große zu werden.
Noch bleibt von neuern Seiten der Stationsthätigkeit mancherlei
zu erwähnen: Die Materiallieferungen der Station an die verschie-
densten Sammlungen und Gelehrten, die Bedeutung, welche sie für
das Fischereiwesen zu gewinnen sich anschickt, ihr Einfluss auf die
wissenschaftlichen Bestrebungen von Marineoffizieren und die erfreu-
lichen Früchte, welche hiervon bei der Weltumsegelung der kgl. ital.
Korvette „Vettor Pisano“ und den Fahrten des k. ital. Aviso „Vedetta“
His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten. 549
in den schönen Arbeiten der Herren Chierchia und Orsini zutage
getreten sind. Das Mitgeteilte mag indess genügen, um zu erläutern,
wie die unter so schwerer Anfängen entstandene Anstalt binnen kurzer
Zeit zu einem wissenschaftlichen Mittelpunkt sich emporgearbeitet
hat, dem auf gleichem Gebiete kein anderer an Einfluss und an Be-
deutung ebenbürtig ist. In erster Linie verdanken wir dies der
schöpferischen Organisationskraft des Herrn Dohrn und der hin-
sebenden Teilnahme seiner Genossen. Wir verdanken es aber nicht
minder der edeln Freigebigkeit von Privaten, sowie der einsichtsvollen
Teilnahme, welche die wissenschaftlichen Korporationen und die Re-
sierungen verschiedener Staaten Europas dem Unternehmen entgegen-
gebracht haben. Mit einem seltenen Vertrauen und zu unbeschränkter
Verfügung sind dem einen Manne von den verschiedenen Seiten her
reiche Mittel zur Realisierung seiner Gedanken dargeboten worden,
nachdem derselbe durch den Erfolg seiner Bemühungen gezeigt hatte,
dass er nicht allein die Phantasie zum Ausdenken von Plänen, son-
dern auch die Thatkraft zu deren Ausführung besitze.
So wie die zoologische Station heute dasteht, ist sie zu einer
wissenschaftlichen Notwendigkeit geworden, und die Versammlung
deutscher Naturforscher hat vollen Grund, an ihrem Gedeihen den
lebhaftesten Anteil zu nehmen.
Die zoologische Station in Neapel gibt ein Beispiel davon, was
eine Anstalt, welche außerhalb eines Universitätsverbandes steht und
die jeder Lehrverpflichtung ihres Personales enthoben ist, für die
Förderung wissenschaftlichen Lebens zu leisten vermag. In ihrer
gegenwärtigen Organisation bildet sie eine Art von freier Akademie
für Forscher und für Lehrer, eine Zentralstelle des Wissensaustausches
wie der Beobachtung, an welcher jeder zu schöpfen vermag, was ihm
grade not thut. Derartige freistehende Institutionen sind, wie ich
glaube, berufen, im wissenschaftlichen Leben kommender Perioden
eine hervorragende Rolle zu spielen, und es mag mir vergönnt sein,
meine Ansicht hierüber in möglichst übersichtlicher Weise darzulegen.
Uns allen ist der mächtige Aufschwung gegenwärtig, welchen an
unsern Hochschulen während des verflossenen Menschenalters die
wissenschaftlichen Anstalten genommen haben. Eine Hochschule nach
der andern, erst in Deutschland, späterhin auch im Auslande, ist mit
einem Kranz wohl eingerichteter, vielfach sogar luxuriös ausgestatteter
Institute geschmückt worden. An die Erbauung naturwissenschaft-
licher und medizinischer Gebäudekomplexe hat sich die Einriehtung
historischer und philologischer, theologischer und juristischer Semi-
narien angeschlossen. Ein völlig neuer Geist des Unterrichts ist dabei
zum Durchbruch gelangt, indem gegen früherhin allenthalben weit
mehr die persönliche Schulung der Studierenden zu eigner Anschau-
ung und zu eigner Thätigkeit in den Vordergrund getreten ist. Alle
diese Anstalten verfolgen aber hinwiederum neben dem Lehrzwecke
550 His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten.
die Aufgabe, durch Arbeiten ihrer Lehrer, ihrer Assistenten und ihrer
Sehüler fördernd in den Gang der Wissenschaft einzugreifen, und so
erscheint ein jedes gut geführte Institut als ein sprudelnder Quell
stetigen Fortschrittes.
Die Forderung nach einem weitern System von Institutionen, von
Zentralanstalten, wie sie kurzweg heißen mögen, liegt einesteils in
den Ansprüchen der wissenschaftlichen Arbeit selbst, andernteils in
den Bedürfnissen der Hochschulen und ihrer Lehrer.
Die wissenschaftliche Arbeit ist auf manchen Gebieten der
Forschung dahin gelangt, dass sie zwar über sichere Methoden
disponiert, mit Hilfe dieser Methoden aber Arbeitssummen zu bewäl-
tigen hat, welche nach ihrem Umfang die Kräfte eines Einzelnen weit
überschreiten. Auch ist zur Ausübung mancher notwendiger Opera-
tionen eine technische Schulung notwendig, zu welchen die Gelehrten
keineswegs immer am besten qualifiziert sind. Messen, rechnen,
zeichnen, photograpbieren u. s. w. sind Thätigkeiten, welche, falls
es sich um Massenarbeit handelt, am sichersten von solchen ausge-
tührt werden, die darin ihren eigentlichen Beruf suchen. Dazu kommt.
hinzu, dass bei allen auf größerer Basis sich aufbauenden Arbeiten
eine Gleichmäßigkeit und eine Stetigkeit der Arbeitsweise erfordert
wird, wie sie Universitätsanstalten mit ihrem häufigen Personen- und
Systemwechsel nicht zu leisten im stande sind.
Eine Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten, deren Ausführung
von allgemein anerkanntem Nutzen ist, ist seit langem besondern
staatlichen Anstalten zugewiesen. Die topographischen und die sta-
tistischen Büreaus, die geologischen Reichsanstalten, die meteorologi-
sehen Institute, die Seewarte u. a. mehr sind durchweg mit der Aus-
führung von ihrer Natur nach wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt,
und als neue Schöpfung dieser Art begrüßen wir die unter hoch-
herziger Mitwirkung eines Privatmannes in Aussicht gestellte physi-
kalisch-technische Reichsanstalt.
Die Macht derartiger Anstalten liegt in der einheitlichen Organi-
sation ihrer Arbeit, in der Stetigkeit der verfolgten Richtung und in
der besondern technischen Schulung ihres Personales. Unter unsern
Universitätsinstituten kommen die Sternwarten und die botanischen
Gärten in Einriehtung und Arbeitsweise den oben aufgeführten An-
stalten am nächsten, und bei deren Ausstattung pflegt ja auch das
reine Unterriehtsbedürfnis viel weniger im Vordergrunde zu stehen,
als das der sonstigen denselben gestellten Aufgaben.
Die oben entwickelte Rolle zentraler Anstalten bezieht sich auf
Erwerbung, Ordnung und Sicherung wissenschaftlichen Besitztums
als eines festen Kapitalvermögens, dessen Zinsen sowohl der Wissen-
schaft wie dem Leben zu gute kommen. — Nach einer ganz andern
Seite hin lässt sieh aber die Wirksamkeit solcher Anstalten dahin
entwickeln, dass dieselben der geistigen Weiterbildung von Gelehrten
His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten. 551
und von akademischen Lehrern dienstbar gemacht werden. Wie die
Bibliotheken und wie die großen Museen einem jeden eröffnet sind,
der in denselben Belehrung sucht, so sind Stätten errichtbar, an denen
über diesen und über jenen Komplex von Fragen Orientierung ge-
wonnen werden kann dadurch, dass man das bezügliche Material in
geeigneter Form und Vorbereitung einem jeden berechtigten Besucher
zugänglich macht.
Alle unsere Universitätsdisziplinen sind, wie wir wissen, in einem
Prozesse fortschreitender Spezialisierung begriffen. Ein Fach um das
andere gliedert sich ab und beansprucht seine selbständige Stellung.
Binnen weniger Jahrzehnte haben sich daher die Lehrkörper größerer
Universitäten verdoppelt bis verdreifacht, und noch sind wir mitten
in dem Spaltungsvorgang. Der Vorgang zunehmender Arbeitstei-
lung ist ein allzu natürlicher, als dass man daran denken dürfte,
denselben hemmen zu wollen. Dagegen verlohnt es sich allerdings
zu prüfen, ob nicht die Schwierigkeiten kompensiert werden können,
welche sich bei weiterschreitender Vervielfältigung der Lehrkräfte für
den Zusammenhang der Wissenschaften und für die Entwicklung
jüngerer Generationen ergeben.
Die tiefern Bedingungen des Dissoziationsprozesses liegen weniger
in der absoluten Zunahme wissenschaftlichen Stoffes, als in der zu-
nehmenden Komplikation und Verfeinerung wissenschaftlicher Methodik.
In geordneter Form vermag der menschliche Geist große Stoffmengen
zu bewältigen, wogegen die Handhabung der Methoden, das eigent-
liche technische Können, stets nur durch besondere Schulung und
länger andauernde Uebung erworben wird. Ohne Kenntnis der Me-
thoden gibt es aber keine wissenschaftliche Kritik, und derjenige, der
in dieser Hinsicht lückenhaft geschult ist, wird es nicht zu einer
sichern Beherrschung seines Gebietes bringen. Für den Lehrer aber,
der ein größeres Gebiet vertreten soll, liegt die Hauptlast der Stellung
in der Schwierigkeit, beim Fortschreiten seiner Wissenschaft überall
genügend Eimblick in die Methoden und damit genügende Kritik des
Materials zu bewahren. Für umfassendere Disziplinen ist eine völlige
Hebung dieser Schwierigkeiten wohl kaum zu hoffen, wohl aber kann
durch gnt organisierte Zentralanstalten vieles davon gemildert werden.
Zu einer Arbeitsteilung muss es ja sicherlich kommen, allein dieselbe
braucht nicht notwendig auf eine zunehmende Zersplitterung der Dis-
ziplinen hinauslaufen, sie kann auch in der Weise geschehen, dass
dem mit dem Lehramte Beauftragten bei Erwerbung des Wissens-
vorrates, aus dem er schöpfen muss, Erleichterungen geboten werden.
Es ist zur sichern Orientierung in einem bereits durchforschten Ge-
biete durchaus nicht nötig, dass ein jeder alle die Winkel- und Seiten-
wege wieder durchlaufe, durch welche die vorangegangenen Forscher
auf ihrer Bahn zu guten Methoden und zu sichern Ergebnissen hin-
durchgedrungen sind; in vielen Fällen genügt die einmalige Weisung
552 His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten.
des richtigen Weges. Um an ein naheliegendes Beispiel anzuknüpfen,
so sind binnen weniger Jahre die Methoden präziser bakteriologischer
Forschung ärztliches Gemeingut geworden, nachdem einige hervor-
ragende Forscher Ordnung in das Wirrsal vorangegangener jahrzehnte-
langer Bemühungen gebracht haben.
Was ich als Aufgaben wissenschaftlicher Zentralanstalten aufge-
stellt habe sind:
1) Die Bewältigung von größern, über die Kräfte einzelner Forscher
hinausgehenden Aufgaben, vor allem von solchen Aufgaben, welche
ein nach einheitlichem Plane arbeitendes, technisch geschultes Personal
verlangen.
2) Die Sammlung und die Ordnung des Materials bestimmter
Lehrgebiete zu dem Zweck, dass dasselbe nach Art einer Bibliothek
oder eines Museums allen denen zugänglich gemacht wird, die des-
selben zur Förderung ihrer Kenntnisse bedürfen.
Die beiden also präzisierten Aufgaben decken sich, wie man sieht,
nicht; aber sie können in vielen Fällen neben einander hergehend
bewältigt werden; besondere Beispiele aus den mir zunächst liegenden
Gebieten mögen dies illustrieren.
Die genaue Kenntnis des innern Gehirnbaues ist ein Bedürfnis,
gleich dringend für Anatomen und für Physiologen, für Pathologen
und Chirurgen, für Psychiater und für Philosophen. Von verschiedenen
Seiten her vorrückend hat man in der Erforschung des verwickelten
Örganes seit 20 bis 30 Jahren erhebliche Fortschritte gemacht, die
Pathologie, das Experiment und die anatomische Forschung haben
sich wechselseitig fördernd entgegengearbeitet; aber das, was erreicht
worden, ist noch verschwindend wenig gegen das, was erreicht wer-
den muss, und die mit unendlicher Arbeit erworbenen Kenntnisse
sind noch in hohem Grade fragmentarisch. Nun ist das, was vom
innern Hirnbau erforscht ist, ungemein schwer zu lehren und zu
lernen. Einer wirklichen Beherrschung des bereits durchforschten
Stoffes darf sich zur Zeit wohl nur eine verhältnismäßig kleine Zahl
von Spezialforschern rühmen. Die Technik an und für sich ist nicht
schwer, aber sie ist sehr umständlich und zeitraubend. Ein Haupt-
verdienst bei Ausbildung dieser und anderer auf das Gehirn bezüg-
lichen Forschungsmethoden hat sich der durch seinen tragischen
Opfertod uns allen in warmer Erinnerung stehende Gudden erworben,
ein Mann, in dem wir ja den Gelehrten nicht minder als den Arzt
und Menschenfreund betrauern. Durch eigne Bemühungen und durch
diejenigen seiner Assistenten hat Gudden in München eine Samm-
lung von tausenden von Schnitten angelegt, wahrscheinlich weitaus die
größte unter den bestehenden, neben der an andern Orten vereinzelt
noch einige Privatsammlungen existieren. Eine zugängliche öffent-
liche Sammlung von Hirnschnitten gibt es meines Wissens nirgends
in der Welt, Allein wenn auch eine solche Sammlung bestände, so
His, Zoologische Station zu Neapel und wissenschaftliche Zentralanstalten. 553
wäre damit nur ein kleiner Teil des zu Erstrebenden erreicht. Wohl
‚suchen wir uns aus dem vergleichenden Studium der sich folgenden
Schnitte eine plastische Vorstellung von dem Aufbau des zerlegten
Organs zu machen, allein eine solche Vorstellung wird nur dann
sicher und klar sein, wenn sie auf präzisen Messungen und hekon-
struktionen sich aufbant.
Um eine Reihe von Gehirnschnitten wirklich erschöpfend dureh-
zuarbeiten, erscheint es nötig, die Schnitte in vergrößertem Maßstabe
zu Papier zu bringen, sie zu zeichnen oder zu pliotographieren. Als-
dann sind sie sorgfältig auszumessen, und aus den Flächenbildern der
einzelnen Schnitte sind durch synthetische Konstruktionen wieder
plastische Gesamtbilder zu schaffen, die dann verschiedentlich kom-
biniert als Modelle aufzubauen sind. Die Aufgabe liegt klar vor, die
Methoden sind im ganzen sicher ausgebildet, aber die zu leistende
Arbeitssumme ist eine so außerordentlich große, dass der Einzelne,
und wäre er auch der Vorsteher eines bedeutenden Universitäts-
institutes, vor derselben den Mut fallen lässt. Gleich wie zur topo-
graphischen Durchforschung eines Landes, so bedarf es zur topo-
graphischen Durchforschung des Gehirns, falls sie anders zu einem
abschließenden Ergebnisse führen soll, eines unter wissenschaftlicher
Direktion stehenden Büreaus von Zeichnern, Photographen und Mo-
delleuren, und dieselben Grundsätze der Präzision, welche die Geodäsie
zu einem so hohen Grade der Entwicklung geführt haben, werden
auch da zur Anwendung kommen müssen.
Und nun die Benutzung eines solchen Institutes: schon die große
Arbeitsmenge, welche zur Erreichung des Grundmateriales, der Schnitte
nötig ist, wird demjenigen, der dazu weder Zeit noch Fähigkeit hat,
erspart, wenn er Gelegenheit findet, gleich wie in einer Bibliothek
in der betreffenden Anstalt die Schnittreihen einzusehen und zu
studieren. Außerdem muss aber dem die Anstalt besuchenden Ge-
lehrten oder Lehrer durch instruktiv ausgeführte und aufgestellte
Zeichnungen und Modelle sowie durch die vom Personal bereitwillig
zu erteilenden Erläuterungen Gelegenheit geboten werden, sich in den
Gegenstand einzuarbeiten. Mit solehen Hilfsmitteln ist es sicherlich
erreichbar, dass derselbe nach 3—4 an der Anstalt zugebrachten
Ferienwochen eine sehr viel reichhaltigere und klarere Kenntnis des
Organes, über das er lehren soll, sich verschafft hat, als wenn er
ihm in besonderer Arbeit 3—4 Jahre seines Lebens gewidmet hätte.
Was ich soeben über die Vorteile einer Zentralanstalt für das
Gehirnstudium entwickelt habe, findet seine Anwendung nicht minder
auf das Studium der Entwieklungsgeschichte. Diese Disziplin, welche
durch die Breite ihrer Basis und durch die Allgemeinheit ihrer Ge-
sichtspunkte von der fundamentalsten Bedeutung für unser gesamtes
biologisches Wissen geworden ist, hat es auch ihrerseits, wie die
Gehirnlehre, mit dem Verständnis komplizierter körperlicher Formen
554 Blochmann, Eireifung bei Insekten.
zu thun. Sie verfolgt das Werden der Körperformen belebter Wesen
von deren frühesten Anfängen ab bis zur definitiven Gestaltung hin,
und sie hat das Hervorgehen der spätern Formen aus den frühern
nach Verlauf und nach Bedingungen genau festzustellen.
Unter diesen Umständen ist jeder gründlich arbeitende Forscher
genötigt, sein Untersuchungsgebiet verhältnismäßig eng zu umgrenzen,
und doch ist grade das entwicklungsgeschichtliche Studium ein solches,
welches in großem Stile geführt sein will, und bei welchem, wie bei
keinem andern, ein möglichst allseitiger Ueberblick über den Gesamt-
bestand an thatsächlichen Verhältnissen erfordert wird. Bildet nun
schon die erwähnte Zerklüftung des Forschungsgebietes ein Hemmnis
durcehgreifender wissenschaftlicher Vereinbarung, so kommt dazu noch
der Kampf mit der Sprache. Den wechselnden Fluss körperlicher
Formen in Worten klar auszudrücken, das bildet selbst bei größter
Sprachgewandtheit und bei Zuhilfenahme von Zeichnungen eine Auf-
gabe von ausnehmender Schwierigkeit. Auch befinden wir uns heute
hinsichtlich der Entwicklungsgeschichte in der eigentümlichen Lage,
dass bei rasch wachsender Fülle von Detailbeobachtungen die Summe
gemeinsamer Anschauungen eine immer geringere wird. Die Disziplin,
die berufen ist, weitere Gebiete nach einheitlichen Prinzipien zusammen-
zufassen und zu beherrschen, fällt anscheinend einer zunehmenden
Zersplitterung und Verwirrung anheim. Eine feste Organisation der
Arbeit thut hier dringend not und zugleich eine Einrichtung, welche
es dem Einzelnen erlaubt, seinen Auschauungskreis weit über das
eigne Forschungsgebiet hinaus auszudehnen.
Den Grundgedanken von der zweiten Hälfte meines Vortrages
nochmals zusammenfassend, glaube ich, dass dureh Errichtung ge-
eigneter Zentralanstalten die Wissenschaft in wirksamster Weise ge-
fördert und die akademischen Lehrer in ihrem Leistungsvermögen
erheblich gesteigert werden können. Die Aufgabe des Lehrers, einen
reichen Stoff seinen Schülern in gediegener geistiger Verarbeitung zu
übermitteln, wird ihm erleichtert, wenn ihm ein Teil des Stoffes in
technisch bereits vorbereiteter Form dargeboten und er dadurch von
solchen Arbeiten entlastet wird, welche andere in vielen Fällen besser
denn er auszuführen vermögen. Es handelt sich darum, bei allen
verwickelten Wissensgebieten, und so insbesondere bei den biologischen
Wissenschaften, zu einer straffern Organisation der wissenschaftlichen
Arbeit, zu einem festern Ineinandergreifen der dabei wirksamen Kräfte
zu gelangen.
Ueber die Eireifung bei Insekten.
Von Dr. F. Blochmann.
In den nachstehenden Zeilen möchte ich kurz über die wichtigsten
Resultate meiner besonders bei Ameisen und Wespen über die Ei-
Blochmann, Eireifung bei Insekten. 555
reifung angestellten Untersuchungen berichten. Die ausführliche und
von Abbildungen begleitete Arbeit findet sich in der vom natur-
historisch - medizinischen Verein zu Heidelberg zur Feier des 500jähri-
gen Bestehens der Ruperto-Carola herausgegebenen Festschrift !) und
dürfte darum vielleicht weniger zugänglich sein, als es im Interess
der Sache wünschenswert erscheint.
Die Entstehung und Reifung des Eies bei den Insekten ist in der
letzten Zeit vielfach untersucht worden. Die Ansichten der verschie-
denen Forscher sind jedoch in mancher Beziehung so widersprechend,
dass es unmöglich ist dieselben mit einander in Einklang zu bringen.
Die Entstehung des Eies bei den Insekten ist zuletzt von Kor-
schelt?) ausführlich behandelt worden. Korschelt hat die von
Will?) über diesen Punkt aufgestellten Ansichten einer eingehenden
Kritik unterzogen und sie als irrig zu erweisen gesucht. Ich selbst
habe keine speziell auf diese Punkte gerichteten Untersuchungen an-
gestellt, kann aber doch behaupten, dass alles, was ich gelegentlich
beobachtete, mit den Will’schen Resultaten unvereinbar ist; beson-
ders habe ich bei keinem der von mir geprüften Objekte eine An-
deutung der eigentümlichen von ihm beschriebenen Kernvermehrungs-
vorgänge finden können.
Wo im Folgenden nicht besonders auf eine andere Art hinge-
wiesen ist, beziehen sich die Angaben auf Camponotus ligniperda Latr.
Wesentliche Unterschiede haben sich jedoch bei keiner bisher unter-
suchten Ameisenart ergeben; ebenso stimmen die Befunde bei Vespa
vulgaris L. in allen wichtigern Punkten mit denen von Camponotus
überein.
Das junge Ei, das eben als solches erkennbar ist, stellt eine
Zelle mit ziemlich großem, an färbbarer Substanz jedoch armem Kern
dar. Wenn sich das Ei vergrößert, treten in dem Eiplasma rings um
den Kern, dicht an der Oberfläche desselben, eine Anzahl äußerst
kleiner Vakuolen auf, in denen bald ein kleines mit Pikrokarmin
sich färbendes Körnchen bemerkbar wird Die Vakuolen wachsen
allmählich heran und haben dann dureh ihre Struktur und ihre Tin-
gierbarkeit eine große Aehnliehkeit mit echten Kernen; ieh habe sie
vorläufig als „Nebenkerne“ bezeichnet. Es entstehen allmählich immer
1) F. Blochmann, Ueber die Reifung der Eier bei Ameisen und Wespen.
Festschrift d. naturhist.-med. Vers. zu Heidelberg zur Feier des 500 jährigen
Bestehens d. Ruperto -Carola. Heidelberg 1886, Naturhist. T. S. 141—172.
2) E. Korschelt, Ueber die Entstehung und Bedeutung der verschiedenen
Zellenelemente des Insektenovariums. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. XLIU
S. 538—720, 1886.
3) L. Will, Bildungsgeschichte und morphologischer Wert des Eies bei
Nepa cinerea und Notonecta glauca. Zeitschr. f. w. Zool., Bd. XLI, 8. 311—364,
1885. — Ders., Die Entstehung des Eies von Colymbetes fuscus L. Dies. Zeit-
schrift, Bd. XLIII, S. 329—368, 1886.
556 Blochmann, Eireifung bei Insekten.
mehr solehe Nebenkerne, während der Hauptkern immer kleiner wird,
sich jedoch leicht durch sein größeres Tinktionsvermögen von den
Nebenkernen unterscheidet.
Zugleich tritt in dem Eiplasma, das bei den jüngsten Eiern ein-
fach körnig erscheint, eine eigentümliche Struktur auf, die sich am
besten mit dem Aussehen eines vielfach durcheinander geschlungenen
Fadenbündels vergleichen lässt. Diese Struktur erhält sich, bis der
Dotter aufzutreten beginnt. Sie wird bedingt durch regelmäßig in
Züge angeordnete stäbehenförmige Körperchen von 10—12 w Länge !),
die eine große Aehnlichkeit mit Bakterien haben und sich auch durch
Teilung vermehren. Zu der Zeit, wo das Plasma des Eies noch keine
Stäbehen enthält, finden sich solche in den das Ei umgebenden Epi-
thelzellen, die jedoch später keine Spur mehr davon enthalten. Mög-
licherweise gehen also die Stäbehen aus den Epithelzellen in das Ei
über. Gegen die Bakteriennatur der Stäbehen spricht, dass sie durch
5%, Sodalösung aufgelöst werden, ferner das Fehlschlagen von Kul-
turversuchen und endlich ihr Verhalten beim Reifen und bei der Ent-
wicklung des Eies. Mit Beginn der Dotterbildung ziehen sich die
Stäbehen an den hintern Eipol zurück, wo sie unter der äußern von
Dotter freien Protoplasmaschicht, dem sogenannten Keimhautblastem,
eine kontinuierliche Lage bilden. Wenn sich nun der Embryo ent-
wickelt, so gehen die Stäbehen in gewisse am hintern Pol entstehende
Zellen über. Ich konnte sie bei Formica fusca wieder im Ovarium
des Embryos und der Larve und außerdem noch in zwei in der Nähe
liegenden Zellgruppen nachweisen; bei Camponotus fand ich sie bei
der Larve in eigentümlichen Zellen in der Darmwand wieder. Ueber
die Bedeutung dieser eigentümlichen Stäbchen enthielt ich mich in
meiner zitierten Arbeit noch eines Urteils. Inzwischen wurde ich
durch meinen Freund, Herrn Dr. L. Klein in Freiburg i/B., darauf
aufmerksam gemacht, dass sich die von mir in den Ameiseneiern
gefundenen Stäbehen möglicherweise mit ähnlichen bei Pflanzen sieh
findenden Gebilden vergleichen ließen und zwar speziell mit den in
den Knöllchen der Leguminosenwurzeln vorkommenden sogenannten
Bakteroiden. Der neueste Untersucher derselben, Brunchorst?), hat
nachgewiesen, dass sie, entgegen der frühern Auffassung, Keine para-
sitischen Bakterien sind, welehe die Bildung der Knöllchen veran-
lassen, sondern dass die Knöllehen normale Organe der betreffenden
Pflanzen sind, und dass in gewissen Zellen derselben die Bakteroiden
aus dem Plasma sich differenzieren, dass sie also von der normalen
1) Außer bei ©. ligniperda fanden sich solche Stäbchen noch bei Formeca
fusca L., wo sie jedoch nur 4-5 u lang sind. Bei keinem andern Insekt ist
bis jetzt etwas Aehnliches bekannt geworden. Vergl. jedoch meine Arbeit,
S. 160, Anm.
3) F. Brunchorst, Ueber die Knöllchen an den Leguminosenwurzeln.
Ber. d. deutschen bot. Ges., Bd. III, S. 241— 257. 1886.
Blochmann, Eireifung bei Insekten. 557
Pflanze erzeugte, geformte Eiweißkörper sind. Welche Rolle sie im
Haushalt der Pflanze spielen, ist noch nicht festgestellt. Zur Zeit
der Fruchtbildung verschwinden sie aus den Knöllchen, jedenfalls
durch Auflösung. Es wäre zu wünschen, dass die von Brunchorst
in Aussicht gestellte ausführliche Arbeit einigen Aufschluss über ihre
Funktion bringen möchte, da ja die Pflanze dem Experiment viel zu-
gänglicher ist als das tierische Ei. Nach dem Gesagten wird es wohl
vorderhand annehmbar erscheinen, die stäbehenförmigen Körperchen
in den Eiern der Ameisen ebenfalls für geformte Eiweißkörper zu
halten. Für die pflanzlichen Bakteroiden gibt Brunehorst ebenfalls
die Vermehrung durch Teilung an, was ja mit meinen Befunden bei
den Ameisen übereinstimmt.
Den Eikern haben wir auf dem Stadium verlassen, wo er von
einer ganzen Schicht der sogenannten Nebenkerne umgeben ist. In
der Zeit, wo der Dotter im Ei aufzutreten beginnt, zerstreuen sich die
Nebenkerne über die ganze Oberfläche des Eies, wo sie noch lange
zwischen den Dotterbläschen nachweisbar sind, bis sie allmählich
(dureh Auflösung?) verschwinden, denn in reifen Eiern konnte ich bis
jetzt keine Spur derselben mehr auffinden. Die beschriebenen Vor-
gänge stehen bis jetzt ziemlich isoliert da, denn es hat, soweit ich
sehe, nur Korschelt (l. ce.) gelegentlich bei den Eiern von Musca vomi-
toria L. derartiges beobachtet, ich selbst habe an einigen Schnitten
durch Ovarien desselben Tieres mit Sicherheit noch nichts Aehnliches be-
merkt. Ob eine Beziehung zu den von Stuhlmann') bei einer An-
zahl von Insekten beschriebenen Reifungsballen, die vom Eikerne
abstammen sollen, besteht, kann ich bis jetzt noch nicht entscheiden;
ich habe jedoch angefangen diese Verhältnisse selbst zu untersuchen
und behalte mir eine Aeußerung darüber auf später vor.
Hervorheben will ich hier noch, dass die sogenannten Nebenkerne
in keiner Beziehung zu der Bildung des Follikelepithels stehen.
Die Dotterbildung wurde aufs genaueste verfolgt und dabei nach-
gewiesen, dass der Dotter zuerst in den dem Follikelepithel anliegen-
den Partien des Eies auftritt. Es erscheinen hier im Protoplasma des
Eies kleine Bläschen, in denen zuerst einige Körnchen und später
ein Netzwerk von fester, mit Bleu de Lyon intensiv färbbarer Substanz
auftritt. Diese Dotterbläschen wachsen allmählich heran und rücken
in das Innere des Eies, während an der Oberfläche immer noch neue
entstehen, bis allmählich das ganze Ei von Dotter erfüllt ist.
Der Dotter wird also vom Ei selbst gebildet und zwar aus flüs-
sigen Stoffen, die wohl hauptsächlich vom Follikelepithel geliefert
werden. Jedenfalls spielen jedoch die sogenannten Nährzellen auch
eine gewisse Rolle bei der Vergrößerung des Eikörpers, da das Ei
einen Fortsatz zwischen sie hinein sendet, und da sie in demselben
1) Stuhlmann F, Die Reifung des Arthropodeneies. Ber. d. naturforsch.
Ges. zu Freiburg i/B., Bd. I, S. 1—128, 1886. — Biol. Centralbl., Bd. VI, Nr. 13.
558 Blochmann, Eireifung bei Insekten.
Maße an Volumen abnehmen, als das Ei zunimmt, und da sie schließ-
lich vollständig zu grunde gehen.
Sicher auszuschließen ist eine Aufnahme von geformten, festen
Dotterpartikeln aus dem Epithel ins Ei, da in dem letztern niemals
eine Spur von solchen nachzuweisen ist. Erwähnen möchte ich hier
noch, dass ich bei den von mir untersuchten Hymenopteren im hin-
tern Teil der reifern Eier einen eigentlichen Dotterkern beobachtet
habe, wie ihn Stuhlmann ebenfalls für eine Anzahl von Arten
(Anomalon, Ophion ete.) beschrieb. Ausdrücklich muss ich jedoch
hervorheben, dass ich eine Beziehung der Nebenkerne zu diesem
Dotterkern bis jetzt nicht habe konstatieren können.
Wiehtig ist nun noch das Verhalten des eigentlichen Eikernes,
Derselbe behält seine Lage am vordern Pole des Eies bei, und man
findet ihn in den reifen Eiern zu einer Kernspindel umgewandelt,
welche auch in den frisch abgelegten Eiern noch zu beobachten ist.
Ob durch diese Kernteilung eine Bildung von eigentlichen Richtungs-
körperchen veranlasst wird, konnte bis jetzt noch nicht mit Sicherheit
entschieden werden. Es wurde in mehrern Fälien bei Eiern, die schon
eine größere Zahl von Furchungszellen enthielten, am vordern Pol im
Keimhautblastem eine Körnchengruppe beobachtet, welche genau so
aussah wie die eine Hälfte der Kernplatte, und die alse wohl dem
Kern eines Richtungsbläschens entsprechen dürfte; ob vielleicht dieser
Kern unter Abschnürung einer Plasmapartie austritt, oder ob er im
Eiplasma resorbiert wird, konnte bis jetzt noch nicht entschieden
werden.
Während ich nun bei Ameisen und Wespen allgemein diese Um-
wandlung des Kernes nachweisen konnte und kein Stadium in der
Reifung der Eier fand, wo ein Kern entweder in der normalen Gestalt
oder in Teilung nicht nachweisbar gewesen wäre, wird in der schon
angeführten Arbeit von Stuhlmann für eine große Anzahl von In-
sekten angegeben, dass der Kern im reifen Ei verschwunden sei,
d. h. dass er wenigstens mit unsern Färbemitteln nieht mehr nach-
zuweisen sei. Ich war dadurch genötigt, diese Verhältnisse auch
bei Insekten aus andern Abteilungen zu untersuchen. Die Unter-
suchung bestätigte vollständig meine bereits in der Nachschrift zu
meiner zitierten Arbeit ausgesprochene Vermutung, dass auch bei
andern Insekten im reifen Ei der Kern vorhanden sei. Zunächst
untersuchte ich Pieris brassicae L. und fand hier gleich bei den ersten
Präparaten in allen reifen Eiern meist genau am obern Pole eine
äußerst deutliche Kernspindel, genau so wie ich es für Formica
fusca in Fig. 11 abgebildet hatte; in einzelnen Eiern lag sie mehr
seitlich. Als zweites Objekt wählte ich Musca vomitoria L., bei der
Stuhlmann trotz der sorgfältigsten Untersuchung in den reifen Eiern
den Kern nicht finden konnte. Auch hier ließ er sich an einfachen
Boraxkarminpräparaten nachweisen und zwar genau an der Stelle,
Locey, Embryologie der Spinnen. 559
wo ihn Stuhlmann Fig. 96 und 98 abbildet, und wo er dann an-
geblich verschwinden soll, also an der Seite des Eies, etwas hinter
dem vordern Pol. Merkwürdigerweise ist bei Musca in den reifen !)
Ovarialeiern, die ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, das Keim-
bläschen nicht in eine Spindel umgewandelt, sondern erscheint als
rundliches oder etwas längliches, sehr intensiv sich färbendes Kör-
perchen, das nahe unter der Oberfläche des Eies in feinkörnigem
Plasma liegt. Auch in sofort nach dem Ablegen getöteten Eiern habe
ich dasselbe beobachtet. Sollte vielleicht erst ein Spermatozoon in
das Ei eindringen müssen, um den Eikern zur Teilung zu veranlassen,
wie dies ja auch in andern Fällen schon gefunden wurde?
Jedenfalls ist bei beiden zuletzt untersuchten Tieren ebenso wie
bei Ameisen und Wespen im reifen Ei stets ein Kern nach-
weisbar. Da nun für Vertreter von drei verschiedenen Klassen der
Insekten dieser Nachweis geführt ist, so erhält die schon ausge-
sprochene Vermutung, dass dies bei den Insekten allgemein der
Fall sein wird, eine weitere kräftige Stütze.
Ich kann hier noch hinzufügen, dass es mir gelungen ist, für
Musca vomitoria den Nachweis zu führen, dass Richtungskörper
gebildet werden, und zwar prinzipiell in derselben Weise wie bei den
andern Tieren, wo man sie bisher gefunden hat; dass also eine zwei-
malige Teilung des Eikernes stattfindet. Die drei den Richtungs-
bläschen entsprechenden Kerne verschmelzen, soviel ich bis jetzt ge-
sehen habe, zu einer Masse, um dann zu der Zeit, in der sich das
Blastoderm bildet, wahrscheinlich ausgestoßen zu werden. Ich werde
in Bälde darüber ausführlichere Mitteilung machen.
Ueberhaupt scheint alles, was bis jetzt über diese, allerdings
schwer zu untersuchenden Verhältnisse bei Insekten bekannt gewor-
den ist, darauf hinzuweisen, dass die Reifungserscheinungen bei In-
sekteneiern im wesentlichen mit den bei den Eiern anderer Tiere auf-
tretenden Veränderungen übereinstimmen.
W. A. Locy, Embryologie der Spinnen.
Eine recht hübsche Arbeit über die Entwicklung von Agelena
naevia von Locy?) kommt uns aus dem Laboratorium von Professor
Mark zu; dieselbe enthält mehrere Angaben, die ein allgemeineres
Interesse zu erwecken geeignet sind.
Das Ei besteht aus einer Protoplasmamasse, die ein weitmaschiges,
die Dotterkugeln umschließendes Netzwerk, eine zentrale den Kern
1) Ich verschaffte mir die Gewissheit, reife Eier zu erhalten, dadurch, dass
ich die Ovarien von Fliegen, die ich bei der Eiablage beobachtete, zur Unter-
suchung benützte.
2) Bull. Mus. Comp. Zool. XII. 63—103. Pl. I-XIl.
560 Loey, Embryologie der Spinnen.
haltende Ansammlung und eine oberflächliche Blastemaschicht bildet.
Das Ei ist umhüllt von einer dünnen Dotterhaut und einem äußern
diekern körnchentragenden Chorion. Die Eier werden im Herbste
abgelegt; wenige Stunden nach der Ablage erscheint der Dotter schon
kontrahiert, und es lässt sich im Innern desselben der Furchungskern
nachweisen. Zu dieser Zeit geht die sehr auffallende Erscheinung
der falschen Furchung vor sich, indem das Blastem (die verhältnis-
mäßig dieke oberflächliche Protoplasmaschicht) in sechseckige Felder
zerfällt, die auf den ersten Blick ganz wie echte Zellen aussehen.
Ueber das merkwürdige Phänomen ist schon von frühern Beobachtern
berichtet worden. Rathke, Claparede und Emerton haben es
wohl gesehen, aber fälschlicherweise in Verbindung mit der Blasto-
dermbildung gebracht. Balbiani') war der erste, welcher richtige
Beobachtungen über das zerklüftete Blastem lieferte, und seine Be-
schreibung ist von Sabatier?) im wesentlichen bestätigt worden.
Ludwig) dagegen begeht den Irrtum, die Entstehung der Felder
auf das Chorion zu beziehen. Locy macht darauf aufmerksam, dass
die Felder vorübergehende Bildungen sind, und dass sie bei der Ent-
stehung des wahren Blastoderms verschwinden. Sie werden bedingt
durch die großen oberflächlich gelegenen Dotterkugeln, deren jede bei
der Zusammenziehung des Dotters eine entsprechende Hervorwölbung
des sie bedeckenden Teiles des sogenannten Blastemas verursacht.
In der That findet man eine große Kugel im Dotter unmittelbar
unterhalb der Blastemaschicht jedes einzelnen Feldes.
Die wahre Segmentierung fängt mit einer inwendigen Vermehrung
der Kerne an, die erst später in das Blastem einwandern, um hier
die auch bei der äußerlichen Betrachtung sichtbare Furchung der
plasmatischen Rindenschieht hervorzurufen. Loey findet die Lud-
wig’schen radiären Dottersäulen auf den Schnitten wieder.
Vier vortreffliche Tafeln stellen die Formen des werdenden Em-
bryos dar, und im Texte befinden sich die entsprechenden Beschrei-
bungen. Zur Zeit der Erscheinung des siebenten und nachfolgenden
Somiten wachsen schon die dauernden Gliedmaßen hervor, und ihnen
folgen bald die vier Paare der „provisional links“ Balfour
(Quart. Journ. Mierose. Sei. XX, 183) schrieb in 1880: „The four
rudimentary appendages have disappeared, unless, which seems to
me in the highest degree improbable, they remain as the spinning
mammillae.“ Loey dagegen teilt uns in einer Anmerkung (S. 82)
mit, dass er die direkte Umwandlung von zwei Paaren zu den Mam-
millen verfolgt habe; daher seien die Mammillen Anhänge der ab-
dominalen Somiten und homodynam mit den wahren Beinen; und
folglich seien sechs Somiten in dem kleinen Raum zwischen den hin-
4) Balbiani, Ann. Sei. Nat. Zool. XVII, 1873. Art. Nr. 1.
2) Sabatier, Comp. Rendus. XCH, 200, 1881.
3) Ludwig, Zeit. wiss. Zool. XXVI, 470, 1876.
EIERN ar
Loey, Embryologie der Spinnen. 561
tern Mammillen und dem After miteinander verschmolzen; auf der
dorsalen Seite lassen sich noch längere Zeit die Muskulaturen der
sechs Somiten unterscheiden. Diese Beobachtung darf eine hohe Be-
deutung für die Morphologie resp. Phylogenie der Spinnen bean-
spruchen. Die Cheliceren, trotzdem dass ihre Basen in spätern Sta-
dien vor dem Munde zusammenstoßen, sind nicht präoral, sondern
postoral, indem die Mundeinstülpung vor den Cheliceren entsteht.
Der Saugmagen entwickelt sich aus dem Vorderdarm; der Hinter-
darm entsteht etwas später und dient der „Sterkoraltasche“ zum Ur-
sprung. Definitive Angaben über die Entwicklung des Mitteldarms
fehlen noch. Wir wollen aber nicht auf die Einzelheiten eingehen,
sondern, indem wir bezüglich dieser auf das Original verweisen, nur
noch die Entwicklung der Lungen und Augen berücksichtigen.
Die Lungen entstehen als zwei ausgedehnte ektodermale Ein-
stülpungen, und zwar ungefähr gleichzeitig mit dem Hinterdarm. Die
Atmungsblätter entstehen ausschließlich aus dem Ektoderm; jede La-
melle hat zwei Ektodermschichten, deren freie Flächen allmählich
eine bedeckende Cuticula entwickeln. Die Zellen der zwei Schichten
ordnen sich so, dass je zwei Zellen sich verbinden; diese Verbin-
dungen stellen zweizellige Säulen dar, die von der Cuticula der einen
Seite der Lamella senkrecht zur Cutieula der andern Seite laufen;
die Säulen rücken weit auseinander, wodurch ein Netz von Hohl-
räumen gebildet wird, worin, da sie mit den Räumen des Körpers
kommunizieren, das Blut freie Bahn findet. In der That bemerkt
man in den Lamellen Blutkörperchen und geronnenes Blutplasma sehr
oft bei der Untersuchung von Schnitten. Unsere Anschauungen über
den wesentlichen Bau des Epithels haben in letzter Zeit eine gründ-
liche Umwandlung erfahren, indem wir das Epithel jetzt nicht als
kompaktes, sondern als durchdringbares Gewebe betrachten, dessen
zellige Elemente Spalten zwischen sich lassen. Es kann uns also
nicht befremdend vorkommen, wie es wohl vor wenigen Jahren noch
der Fall gewesen wäre, dass ein Epithel gefunden wird, dessen
Spalten stark vergrößert sind, um dem Kreislaufsystem beizutreten.
Ich erinnere hierbei an den Bau der Lumbrieidenepidermis. Es hat
die Entdeckung Locy’s um so größeres Interesse, als sie sich den
zahlreichen, ich hätte fast gesagt zahllosen, Thatsachen zugesellt, die
uns lehren, dass der Gegensatz zwischen Epithel und Bindegewebe
kein scharfer ist. Eigentlich besteht er gar nicht, sondern es findet
sich ein allmählicher Uebergang, wie ich schon an anderer Stelle!) aus-
einandergesetzt habe. Das embryonale Bindegewebe (Mesenchym)
lässt sich als ein mehrschichtiges Epithel mit hypertrophierten Inter-
zellularbrücken auffassen. Ich stehe nicht an, den von den Gebrü-
4) Minot, Wood’s Reference Handbook of the Medical Sciences. Vol. III,
Art. Foetus.
VI: 36
562 Hitzig, Funktionen des Großhirns.
dern Hertwig verteidigten prinzipiellen Unterschied zwischen
Epithel und Mesenchym zu leugnen.
Auffallenderweise ist die Entwieklung der Sinnesorgane bei den
Spinnen von frühern Forschern kaum berührt worden. Grade die
Entwicklung der Augen hat ein hohes Interesse, weil von allen bisher
untersuchten Augen der Wirbellosen diejenigen der Spinnen dem Wir-
beltiertypus ontogenetisch am nächsten stehen. Die erste Anlage des
Spinnenauges ist eine nach innen vorspringende Verdickung des Ekto-
derms; es folgt bald dieser Stufe eine schräge Einstülpung, die die
erwähnte Verdiekung mitgreift. Die Einstülpung nimmt eine gedrückte
Form an; man kann alsdann zwei Blätter an ihr unterscheiden, ein
äußeres diekes, die Retina bildendes, und ein inneres viel dünneres.
In dem nächstfolgenden Stadium liegt die Augenblase dicht unterhalb
des Ektoderms, das an der betreffenden Stelle merklich verdickt wird,
um später dureh Verstärkung der äußern Cuticula die Linse des Er-
wachsenen zu liefern. Die zwischen der Linse und der dicht anbei
liegenden Augenblase gelegenen Epidermiszellen stellen den soge-
nannten Glaskörper dar. Das äußere Blatt der Augenblase nimmt an
Durchmesser sehr zu und wandelt siek durch allmählich fortschrei-
tende Differenzierung in die Retina um. Dabei verlängern sich die
Zellen; die Kerne begeben sich nach der einen Fläche des Blattes,
und die Stäbehen entwickeln sich aus den zegenüberliegenden kern-
losen Hälften der Zellen. Doch sind bei allen Augen die Verhältnisse
nicht gleich, indem bei den vordern mittlern Augen die Stäbchen der
Linse zugekehrt, bei den drei übrigen Augenpaaren aber von der
Linse abgekehrt sind. Das Schicksal des hintern Augenblattes wurde
nicht festgestellt; der Verfasser hält es für wahrscheinlich, dass es
die Pigmentschieht bildet. Da Loecey sich weiterer morphologischer
Spekulationen enthält, wollen wir uns auch nicht in solche verlieren,
zumal die Spinnen unter den Wirbellosen sich dadurch auszeichnen,
dass sie bisher noch von niemand als Vorfahren der Wirbeltiere an-
gesprochen wurden.
S Charles S. Minot (Boston).
Ueber Funktionen des Großhirns.
Vorgetragen in der physiologischen Sektion der 59. Versammlung deutscher
Naturforscher und Aerzte zu Berlin am 20. Sept. 1886
von Prof. Dr. Hitzig in Halle.
Die ungeheure Menge des über die Lokalisationsfrage zusammen-
getragenen Materials, die Kompliziertheit des Gegenstandes und der
breite Raum, weleher hier mehr als bei andern Experimental - Unter-
suchungen der Subjektivität des Forschers gelassen ist, machen die
mündliche Behandlung dieses Gegenstandes außerordentlich schwierig.
Hitzig, Funktionen des Großhirns. 563
Namentlich erscheint es fast unmöglich Missverständnisse zu vermeiden,
soll anders die übliche Zeitdauer eines Vortrags auch nur annähernd
eingehalten werden.
Wenn ich mich ungeachtet dieser und anderer Bedenken ent-
schlossen habe, das Wort in dieser Sache zu ergreifen, so wollen Sie
das vornehmlich aus den Angriffen erklären, die mein verewigter
Freund von Gudden in seiner letzten Publikation auch gegen meiner
Ansicht nach feststehende Thatsachen gerichtet hat. Konnte ein
Forscher von dem Range Gudden’s noch jetzt zu einem solchen
Standpunkte gelangen, so musste mir eine erneuerte mündliche Dis-
kussion dieser Thatsachen wünschenswert erscheinen.
Die heut zu beantwortenden Fragen lassen sich dahin formulieren:
Gibt es motorische Zentren in der Hirnrinde, zunächst
des Hundes, und welches ist ihre Bedeutung?
Die erste Frage hätte noch vor einigen Jahren weiter gefasst
werden müssen. Damals suchte Herr Goltz, unser eifrigster Gegner,
jene Zentren im Kleinhirn und erklärte die nach Eingriffen in das
Großhirn zu beobachtenden Störungen durch traumatische Hemmung
der Kleinhirnthätigkeit. Da Herr Goltz diese Theorie inzwischen
hat fallen lassen und sogar gegenwärtig motorische Störungen durch
Eingriffe in den zuerst von Herrn Fritsch und mir als motorisch
bezeichneten Teil des Großhirns, den vordern Teil desselben entstehen
lässt, so dürfen wir uns alsbald mit der Rinde dieses letztern be-
schäftigen.
Mit Unrecht haben die Herren Schiff, Goltz und ihre Anhänger
die Ergebnisse der Reizversuche als nichts beweisend beiseite
geschoben. Allerdings hatten wir seiner Zeit aus ihnen allein nicht
die Existenz von Rindenzentren beweisen wollen oder können, ja wir
hatten nicht einmal die Erregbarkeit des gangliösen Teils der Rinde,
sondern nur die Erregbarkeit der in dieselbe einstrahlenden Mark-
faserung behauptet.
Dagegen hatten wir die Fernewirkung von Stromschleifen
allerdings ausschließen können, wie wohl niemand, der vorurteilslos
die Reizeffekte vorsichtig angewendeter galvanischer Ströme beobachtet
hat, dem nach dieser Richtung erhobenen Einwande eine Bedeutung
zumessen wird. Es ist bisher auch keinem unserer Gegner gelungen,
den Ort ausfindig zu machen, wo die supponierten Stromschleifen
angreifen möchten. Inzwischen hat diese Seite der Frage durch die
Reizversuche der Herren Bubnoff und Heidenhain, sowie Frank
und Pitres ein neues Gesicht gewonnen. Wenn nach diesen Ver-
suchen die Reaktionszeit bei elektrischer Reizung der unverletzten
Oberfläche des Gehirns wesentlich länger als bei Reizung der sub-
kortikalen weißen Substanz ist, wenn die Zuckungskurve nach Ab-
tragung der Rinde einen total veränderten Verlauf zeigt, wenn end-
lich die durch Morphiumvergiftung eingeführten Veränderungen der
3b
564 Hitzig, Funktionen des Großhirns.
elektrischen Reaktion gleichfalls nach Abtragung der Rinde ver-
schwinden, so ist hiermit der unanfechtbare Beweis für die selbständige
Erregbarkeit der Rinde beigebracht. Und weiter lässt sich schließen,
dass die durch organische Reize ausgelöste Funktion der Rinde im
Prinzip die gleiche sein wird, wie die durch den elektrischen
Reizversuch demonstrierte, d. h. die Vermittlung von Bewegungsvor-
gängen in quergestreiften Muskeln.
Herr Schiff hat neuerdings seine alte Behauptung, der Reizeffekt
sei ein Reflexvorgang, durch eine überaus komplizierte Beweis-
führung zu stützen versucht. Zu diesem Zwecke konstruiert er ein
irgendwo, nur nicht in der Rinde gelegenes Zentrum, das er — ich
weiß nicht aus welehem Grunde — in bisquitförmiger Gestalt zeichnet.
Er lässt zu diesem hypothetischen Zentrum Tastnerven aus den Hinter-
strängen des Rückenmarks auf einem vollkommen unmotivierten Um-
wege, der unter der Hinrinde entlang führt, aufsteigen und wiederum
kinesodische Bahnen aus diesem Zentrum auf dem gleichen unmoti-
vierten Umwege in die Seitenstränge des Rückenmarks hinabgelangen.
Der aufsteigende, nicht der absteigende Schenkel dieses Reflexbogens
sei der den Reiz aufnehmende, die Bewegung auslösende Teil.
Herr Schiff braucht diese Lehre freilich zur Rettung seiner
kinesodischen Substanz. Auch sie wird jedoch durch die eben ange-
führten Versuche, insofern durch dieselben die selbständige Erreg-
barkeit der Rinde erwiesen ist, beseitigt. Ueberdies hat sie, ganz
abgesehen von andern Mängeln, den fundamentalen Fehler, dass sie
in sich unmöglich ist. Denn wenn man — Schiff folgend — solche
Schnitte durch die Windungen legt, welche den Effekt von auf die
Sehnittfläche angebrachten Reizen nicht aufheben sollen, dann hat man
beide Schenkel des Reflexbogens durchschnitten, und die Reizeffekte
müssten folgerecht verschwinden, was der Schiff’schen Prämisse
zuwider und in Wirklichkeit nicht der Fall ist.
Es scheint mir, meine Herren, dass durch den Nachweis von
Rindenterritorien, welche die geschilderte besondere und nur ihnen
zukomme::de elektrische Reaktion besitzen, die Existenz von motorischen
Zentren in der Rinde bereits im höchsten Grade wahrscheinlich
gemacht wird.
In gleicher Weise wie die Resultate der Reizversuche sind von
allen unsern Gegnern die Ergebnisse kleiner Eingriffe, lokalisier-
ter Lähmungsversuche, vernachlässigt worden. Wenn ich an-
führte, dass nur ein ganz bestimmter Teil der Hirnoberfläche
auf solche, also kleine Läsionen, mit Störungen der Muskelbewegung
und, was von andern, zuerst von Herrn Schiff festgestellt ist, auch
der Empfindung antwortet, so hat Herr Goltz gegen die Beweiskraft
dieser Thatsache allerdings zwei Einwände erhoben. Der eine von
diesen ist der vorerwähnten Herbeiziehung von Stromschleifen parallel
zu setzen. Er behauptet die Möglichkeit der mechanischen Beleidigung
Hitzig, Funktionen des Großhirns. 565
fernliegender Teile. Meines Erachtens würde es dem Gegner obliegen,
uns die von ihm gemeinten Teile zu zeigen. Indess habe ich durch
den direkten Versuch diesen Einwand entkräftet. Ich wies nach, dass
seichte Stiche und Einsehnitte, welche lediglich die Rinde verletzen
und Fernwirkungen unmöglich zur Folge haben können, der Art,
wenn auch nicht dem Grade nach, den gleichen Erfolg haben wie
größere Exstirpationen.
Der zweite Einwand, welcher übrigens, auch wenn er begründet
wäre, nicht zutreffend sein würde, behauptet, es sei unmöglich, durch
Rindenverletzungen die Bewegungen eines einzelnen
Gliedes zu alterieren; bei Angriffen auf das Zentrum für das
Vorderbein müsse man die Parese des Hinterbeins mit in den Kauf
nehmen und umgekehrt. Herr Goltz irrt sieh hierin, wie ich durch
neue Versuche festgestellt habe. Ich eröffne die Dura in möglichst
geringer Ausdehnung und verletze die Rinde alsdann durch einen
Schnitt oder Stich mit einem halbstumpfen Instrument an der Grenze
eines der sogenannten Centra. Man wählt also, um das Vorderbein
zu trefien, das laterale Viertel des vordern Schenkels des Gyrus
sigmoides, und, um das Hinterbein zu treffen, das mediale Ende des
hintern Schenkels dieses Gyrus.
Man beobachtet dann, dass der Hund das betreffende Bein mit
dem Dorsum aufsetzen, über den Tischrand dislozieren und herab-
hängen lässt. Mir ist es auch gelungen, diese Symptome am Hinter-
bein auf die Dauer von 8 Tagen zu verfolgen, ohne dass das Vorder-
bein jemals im geringsten affiziert gewesen wäre.
Ich wünsche nun aber nicht, etwa dahin missverstanden zu wer-
den, dass ich mit diesem Nachweis die Ansicht eines isolierten
Nebeneinanderbestehens oder nur einer weitgehenden Differen-
zierung der motorischen Centra für die beiden Extremitäten zu ver-
fechten beabsichtige. Vielmehr halte ich ein ähnliches Ineinander-
greifen der einzelnen Innervationsfelder, wie Herr Paneth dies
neuerdings demonstriert hat, für sehr wahrscheinlich. Außerdem weiß
ich sehr wohl, dass man durch tiefe Eingrifte in das Vorderhirn die
mannigfaltigsten Kombinationen von Erscheinungen hervorbringen
kann. Dagegen halte ich den Nachweis der Existenz von motori-
schen Zentren in der Rinde durch die Gesamtsumme dieser Erfah-
rungen, sowie durch die von gleichen Resultaten gefolgten oberfläch-
lichen Anätzungen der Rinde für hinreichend erbracht. Meine Auf-
fassung dürfte sich mit der des Herrn Exner, der ja auch wohl
Herrn Paneth inspiriert hat, ungefähr deeken. —
Bei weitem schwieriger und komplizierter ist die Lösung der
zweiten Frage, der Frage nach der Bedeutung dieser Zen-
tren. Freilich ist bei ihrer Bearbeitung von auf die Rinde isolierten
Angriffen schon lange nicht mehr die Rede gewesen. Die Hauptrolle
in der Diskussion spielt hier die Restitution, die Erfahrung, dass
566 Hitzig, Funktionen des Großhirns.
Funktionen, welche nach Exstirpationsversuchen verloren gegangen
waren, sich wieder einstellen. Man wird ja den Gegnern, denen sich
hierin auch von Gudden angeschlossen hat, selbstverständlich insoweit
recht geben können und müssen, dass durch die Wiederkehr einer
temporär verloren gegangenen Funktion die fernere Existenz eines
einer solchen Funktion fähigen Organs bewiesen wird. Nicht bewiesen
wird aber damit, dass die entfernte Hirnpartie nicht ursprünglich zum
Teil oder ganz das zur Ausübung jener Funktion bestimmte Organ
war. Thatsächlich kommt es nun aber niemals zu voller
Restitution der nach großen Zerstörungen der motori-
schen Zone verloren gegangenen Funktionen. Freilich geht
Herr Munk viel zu weit, wenn er sagt: „die völlige Zerstörung der
Fühlsphäre eines Körperteils muss dem bleibenden Verlust aller Ge-
fühle und Gefühlsvorstellungen des Körperteils — Rindenlähmung
(Rindenbewegungs- und Rindengefühlslosigkeit) des Körperteils zur
Folge haben“. Die völlige Zerstörung einer solchen Sphäre hebt näm-
lich niemals die sämtlichen Gefühle und Gefühlsvorstellungen des
zugehörigen Körperteils dauernd auf; aber im Prinzip lassen sich
alle Störungen, welche ursprünglich vorhanden gewesen sind, noch
nach beliebiger Zeit, und ich habe solche Hunde absichtlich deswegen
mehrere Jahre lang am Leben erhalten, nachweisen. Die Hunde
bringen die betreffende Extremität in ungewöhnliche Stellungen, sie
lassen mit ihr allerhand Dinge vornehmen, die sie mit der kontra-
lateralen nicht vornehmen lassen, und sie zeigen sogar auch eine
persistente Alteration des Tastsinnes.
Vor allem aber sind sie derjenigen Bewegungungsformen verlustig
gegangen, welche — wie Herr Schiff sich ausdrückt — einem be-
sonders auf sie gerichteten Willensakt ihre Entstehung ver-
danken. Herr Goltz war es selbst, der das erste schlagende hierher-
gehörige Beispiel bekanntgab, indem er fand, dass abgerichtete
Hunde die Pfote nicht mehr geben konnten. Ich rechne die neuer-
dings von ihm gefundene Thatsache, dass der Hund mit doppelseitiger
Verstümmelung des Vorderhirns den Kopf nicht mehr willkürlich an
die Nahrung heranzubringen vermag, gleichfalls hierher. Die Herren
Munk und Schiff haben die Zahl dieser Beispiele seither weiter
vermehrt. Namentlich ist ein von dem letztern Forscher erzähltes
Beispiel sehr drastisch. Ein Affe, der seine Extremitäten zum laufen
und klettern vortrefflich zu gebrauchen verstand, konnte Hand und
Arm ungeachtet aller Mühe, die er sich offenbar gab, behufs Ergrei-
fung einer Frucht nicht in Bewegung setzen.
Auch ich kann die Zahl dieser Beobachtungen um eine, wie mir
scheint, sehr überzeugende vermehren. Bereits in meinen ersten
Publikationen hatte ich auf verschiedene Anomalien aufmerksam ge-
macht, die sich an operierten Hunden beobachten lassen, die man in
der Schwebe hält. Seitdem ist diese überaus fruchtbare Untersuchungs-
Hitzig, Funktionen des Großhirns. 567
methode nun von mehrern andern Forschern, namentlich von den
Herren Schiff, Bianehi und Lueiani angewendet worden, ohne
dass ich jetzt näher auf alles hierher gehörige eingehen könnte?).
Ich muss mich damit begnügen, eine früher bereits von mir an-
geführte Thatsache in ihrem Umfange und ihrer Bedeutung zu erwei-
tern. Ich gab damals an, dass schwebende Hunde, denen man den
linken Gyrus sigmoides genommen hat, auf Berührung der Sohlen
zwar die linke, aber niemals die rechte Vorderpfote fortziehen. Wenn
man nun den Versuch in der Art abändert, dass man eine lange
Nadel einer Pfote nach der andern nähert, als ob man stechen wollte,
so sieht man, nachdem man den Hund einmal gestochen hat, folgen-
des: sobald man die Nadel der linken Pfote nähert, zieht das Tier
dieselbe an den Leib, nähert man sie aber der rechten Pfote, so bleibt
diese, obwohl der Hund der Bewegung der Nadel aufmerksam mit
den Augen folgt, in gestreckter Stellung herabhängen. Ob man die
Nadel nun vor dem linken oder dem rechten Auge vorbeiführt, das
ist ganz gleichgiltig. Wiederholt man den Versuch, so fängt der
Hund an zu winseln, zu bellen oder wohl gar nach der Nadel zu
beißen, aber niemals setzt er die rechte Pfote isoliert in Bewegung.
Dagegen fängt er nach einiger Zeit regelmäßig an, mit allen vier
Extremitäten Schwimm- oder Laufbewegungen in der Luft zu machen.
Selbstverständlich eignet sich nicht jeder Hund gleichmäßig zu diesem
Versuche, da einzelne überhaupt sich apathisch verhalten, andere da-
gegen von vornherein Schwimmbewegungen machen. Dagegen habe
ich niemals einen Hund beobachtet, der die isolierte Fluchtbewegung
1) Es ist in mancher Beziehung nicht gleichgiltig, ob man Hunde, wie ich
dies bei meinen frühern Versuchen that, mit 2 Händen an der Rückenhaut
gefasst in der Schwebe hält, oder ob man sie, wie dies für andere Versuche
erforderlich ist, in einem Apparat aufhängt. Letzteres kann man derart
machen, dass man in ein Stück Sackleinwand 4 Löcher für die Extremitäten
schneidet, die Leinwand über dem Rücken des Hundes zusammenschlägt, sie
mit einigen spitzen Doppelhaken durchbohrt und letztere an einem Längs-
balken aufhängt. — Die anlässlich der Naturforscherversammlung von mehrern
Herren demonstrierten Sehprüfungen veranlassen mich, nebst dieser Methode
auch die Art anzuführen, deren ich mich zur Untersuchung von Sehstörungen
bediene. 1) Dem Hunde, welchem ein Auge verbunden ist, werden ganz kleine
Stückchen Fleisch mit einer Pinzette von hinten her, also über den Kopf weg
zuerst zwischen Nase und Auge gezeigt. Auf diese Weise wird das ganze Ge-
sichtsfeld erst des einen, dann des andern Auges abgesucht. 2) ®& den ein-
zelnen Teilen des Gesichtsfeldes werden nahe dem Auge die Branchen einer
Pinzette schnell und wiederholt geöffnet und geschlossen. Wo der Hund sieht,
folgt in der Regel synchronisches Blinzeln; wo er nicht sieht, bleibt dies
aus. — Die Anwendung der Schwebe empfiehlt sich für diese Methoden, weil
die Hunde in derselben die Beobachtung nicht durch massenhafte Bewegungen
zu stören pflegen, wie dies bei allen Versuchen, die in Berlin gezeigt wurden,
der Fall war.
568 Hitzig, Funktionen des Großhirns.
mit der rechten Pfote wieder gelernt hätte, wenn ihm wirklich der
ganze Gyrus sigmoides genommen war, obwohl ich, wie ich das aus-
drücklich wiederhole, einzelne Hunde über 2 Jahre lang am Leben
erhielt.
Ich hatte die mangelnde Reaktion bei Berührung der Sohle seiner-
zeit auf eine fortbestehende Alteration des Tastsinnes bezogen, und
eine solche ist auch aus andern Gründen nicht auszuschließen. Da-
gegen kann die Bewegungslosigkeit bei Annäherung der Nadel nicht
auf eine Störung des Tastsinns bezogen werden, sie ist vielmehr,
grade wie die vorhin angeführten Beispiele, auf eine Lähmung der
isolierten intentionellen Bewegung zurückzuführen. Ebenso
wenig wie die Fähigkeit, die bedrohte Pfote zurückziehen, habe ich
jemals die Fähigkeit, die Pfote zu geben, wiederkehren oder die
andern vorher geschilderten Anomalien verschwinden sehen, wenn
wirklich der ganze Gyrus sigmoides ausgeschaltet war.
Oft haben kleinere Verletzungen den gleichen dauernden Erfolg gehabt,
was ja natürlich von Zufälligkeiten abhängig ist; wenn die fraglichen
Störungen sich aber gänzlich ausglichen, dann fand sich jedesmal
eine beträchtliche Portion jenes Gyrus erhalten. Ich will hiermit die
Möglichkeit der Restitution der isolierten intentionellen Innervation
des Vorderbeines durch Eintritt der gleichnamigen Hemisphäre, oder
der Nachbarschaft des verletzten Gyrus sigmoides nicht bestreiten.
In meinen Versuchen hat sich aber die Notwendigkeit, diese Erklä-
rung heranzuziehen, noch nicht gezeigt.
Herr Goltz argumentiert nun bekanntlich seit längerer Zeit mit
einzelnen Fällen, bei denen sich ungeachtet gänzlicher Fortnahme
des Gyrus sigmoides und größerer Partien des Vorderhirns einer
Seite alle Störungen vollkommnen verloren haben sollen und
von Gudden hat sich ihm angeschlossen. Hätten sie recht, so wäre
damit die Richtigkeit der Lehre von der gesetzmäßigen Folge von
Ursache und Wirkung, und damit der Boden, auf dem wir alle arbeiten,
erschüttert. Ich glaube deshalb vorläufig noch, dass bei den fraglichen
Versuchen, irgend ein Fehler mit untergelaufen ist.
Jedenfalls sind wir ja gegenwärtig insofern mit Herrn Goltz
einig, als nach dessen neuesten Angaben die Hunde bei doppel-
seitiger tiefer Verletzung des Vorderhirns „die Fähigkeit ver-
lieren, bestimmte Gruppen von Muskelfasern — wie er
sich ausdrückt — zweckentsprechend bei gewissen Hand-
lungen spielen zu lassen“ Mir scheint, die Definition, wenn
auch weniger scharf gefasst, deckt sich ebenso sehr mit der von
Schiff formulierten und von mir vorher angeführten, wie sich die
ihr zu grunde liegende Thatsache, dass die Hunde Knochen nicht
mehr mit den Pfoten zu erfassen vermögen, mit den vorher angeführ-
ten Thatsachen deckt. Es kommt auf das Gleiche hinaus, ob nun
der Hund die Pfote nicht reicht, oder sie vor der drohenden Nadel
Hitzig, Funktionen des Großhirns. 569
nicht zurückzieht, oder den Knochen nicht erfasst, oder ob der Affe
die begehrte Feige mit der rechten Hand nicht zu ergreifen vermag.
So groß, wie es den Anschein hat, sind die bestehenden Differenzen
also gegenwärtig nicht mehr. —
Die nach Eingriffen in die motorische Zone entstehenden Krank-
heitserscheinungen habe ich — in zwei Arbeiten aus den Jahren 1873
und 1876 — insoweit sie damals bekannt waren, als Ausdruck
von Störungen der Vorstellungsthätigkeit betrachtet. Der
Hund bewegt seine Glieder nicht oder unvollkommen, weil er sich
keine oder nur unvollkommene Vorstellungen mit bezug auf diese
Glieder zu bilden vermag. Ich brauche Ihre Zeit für die Wieder-
holung dieser Auseinandersetzungen um so weniger in Anspruch zu
nehmen, als Herr Munk ja, wenn auch erst seit dem Jahre 1878,
der gleichen nur wenig modifizierten Lehre zu größerer Publizität
verholfen hat.
Es versteht sich von selbst, dass keines von diesen Tieren, auch
wenn ihm die größten Verletzungen beigebracht worden sind, so dass
seine Vorstellungsthätigkeit aufs äußerste beschränkt ist, deshalb
Lähmungen im Sinne absoluter Bewegungslosigkeit zeigen
muss. Wenn Kaninchen, denen das ganze Großhirn genommen ist,
noch laufen können, so ist nicht einzusehen, aus welchem Grunde
Hunde, denen nur ein Teil desselben fehlt, nicht laufen oder sich
sonst bewegen sollten. Niemand, auch nicht Herr Munk, hat etwas
Derartiges behauptet. Die bezüglichen Angriffe des Herrn Goltz,
denen v. Gudden sekundierte, sind deshalb gegenstandslos. Ich bin
sogar der Ansicht, dass die nach ganz großen Zerstörungen in den
ersten Tagen beobachteten Hemiplegien nur Shok-Erscheinungen sind.
Sie verlieren sich sehr bald, und es besteht dann zunächst die hoch-
gradigste Regellosigkeit der gesamten Muskelinnervation, bis auch
diese sich, wie bekannt, allmählich bis zu einem gewissen Grade
wieder ausgleicht. Mir scheint die Erklärung für dieses Verhalten
darin zu liegen, dass die niedern Bewegungszentren auf ein bestimmtes
Maß und eine bestimmte Verteilung der zu ihnen gelangenden zerebralen
Reize eingeübt sind und im übrigen für die feinere Regulierung der
Bewegungen der steten Kontrole des Bewegungserfolges durch die
zerebralen Zentren bedürfen. Unzweifelhaft stehen die Reize, welche
bald nach dem Eingriffe zu jenen Zentren — und ich meine vornehm-
lich das Rückenmark — gelangen, in dem größten Missverhältnisse zu
dem Spiele der gewohnten Uebung. Allmählich werden diese Mecha-
nismen aber auf die veränderten Umstände eingeübt kraft des An-
passungsvermögens, das wir diesen Organen ja allgemein zuschreiben,
und damit verschwindet dieser Teil der Störungen. Derjenige
Teil derselben, welcher von dem Ausfall der Kontrole durch die Be-
wegungsvorstellungen abhängt, verschwindet aber nur nach Maßgabe
des Fortbestandes der den Bewegungsvorstellungen dienenden Organe,
570 Nussbaum, Umstülpung der Polypen.
mögen sich diese nun in der verletzten oder der unverletzten Hemi-
sphäre befinden.
Es ist sofort klar, dass durch diese Art der Erklärung das Ver-
ständnis für die Thatsache eröffnet wird, dass das Maß der Restitution
in dem Grade unvollkommen ausfällt, in welchem das geschädigte
Gehirn der einzelnen Tierspecies mehr zu isolierter intentioneller Be-
wegung befähigte Organisationen besitzt. Und aus diesem Grunde
mögen sich die Abweichungen in dem Verhalten der Motilität, welche
man infolge von Läsionen des Affen- und namentlich des Menschen-
gehirns findet, wenigstens zum Teil erklären. Ein anderer Teil der
bei hemiplegischen Menschen zu beobachtenden Abweichungen ist
aber nur scheinbar ein Produkt der Lähmung, erwächst in Wirklich-
keit aber aus einem Reizungssymptom, der durch die absteigende
Degeneration bedingten, auf Irritationszuständen der grauen Substanz
des Rückenmarks beruhenden Kontraktur. Auch der hemiplegische
Mensch vermag in der Regel, wie der Hund, die einfache Lokomotion
relativ gut zu vollziehen, nur dass sich dabei die fatale, das Bein in
eine Stelze verwandelnde Extensionskontraktur einstellt. —
Meine Herren, ungeachtet der großen in den letzten 16 Jahren
auf das Studium der Funktionen des Großhirns verwendeten Arbeits-
kraft sind unsere Kenntnisse von denselben noch höchst rudimentär.
Das gilt auch von dem Thema, das ich heute aus dem Gesamtstoff
— ich möchte sagen — herausgerissen habe. Und gleichwohl bin
ich mir der Unvollkommenheit, welche meine Schilderung dieses Rudi-
mentes an sich trägt, voll bewusst. Um so bereitwilliger erkenne ich
aber die Förderung an, welche unserer Erkenntnis im Kampfe grade
von den Gegnern zuteil geworden ist.
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin.
Sektion für Zoologie.
1. Sitzung. Herr M. Nussbaum hält den angekündigten Vortrag: „Ueber
die Umstülpung der Polypen“ und demonstriert im Anschluss daran
eine Reihe bezüglicher Präparate. An Polypen hat Trembley zuerst experi-
mentiert. Seine Beobachtungen und die Art der Beschreibung sind auch heute
noch wahre Muster trefflicher Detailforschung. Trotzdem hat es, und zwar
mit der Entfernung wachsend, nicht an Stimmen gefehlt, die einige der Trem-
bley’schen Versuche in Zweifel ziehen. Das gilt hauptsächlich von der Um-
stülpung. Erfolgreich bei seinen eignen Bemühungen glaubte Trembley, der
an der Rückkehr zur natürlichen Lagerung seiner Leibesschichten gehinderte
Polyp wandle sein nach außen verlagertes inneres Blatt zum Ektoderm um,
und dieselbe Umänderung vollziehe sich an dem durch die Umstülpung nach
einwärts gekehrten Ektoderm das sich zur innern Hautschicht umbilde. Nach
unsern heutigen Kenntnissen besteht der Leib der Süßwasserpolypen aus zwei
Zellschichten, getrennt dureh eine in ibrer Dicke ungleichmäßige Stützlamelle.
In der äußern Schicht finden sich Muskelzellen, verschiedene Formen von
Nussbaum, Umstülpung der Polypen. ayal
Nesselorganen und im Bereich des Rumpfes, nicht an den Tentakeln, vermeh-
rungsfähige Zellen, die ein Keimlager für die Neubildung abgängiger Elemente,
namentlich der Nesselorgane darstellen und zugleich die Bildungsstätte der
Geschlechtsprodukte abgeben. Die Vermehrung dieser Zellenkomplexe ge-
schieht auf dem Wege der Mitose. Die innere Leibesschicht besteht in den
Tentakeln aus resorbierenden Zellen, im Rumpfteil sind sezernierende Zellen
beigesellt. Das Entoderm flimmert. Die Muskelfasern des Ektoderms sind der
Länge, die des Entoderm der Quere nach geordnet. Der Fuß der Süßwasser-
polypen ist, wie schon Trembley angegeben hatte, durchbohrt. Er wird
außen von Drüsenzellen bekleidet, die aber, meiner Meinung nach, im Ektoderm
auch an allen andern Stellen sich finden; nur ist die Ausbildung der sekreto-
rischen Zone in den Zellen nicht so groß, als am Fußteil. Es stimmen aber
die Granula in den Muskelzellen mit den Körnern in den Drüsenzellen des
Fußes überein. In diesem Falle, wie in vielen andern, häufen sich also die
Funktionen der Zellen. Die Muskelzellen scheiden durch Umwandlung der
Granula die Cutieula ab; die Fußzellen ein weicheres Sekret, wie dies bei
Würmern von den Zellen der Hypodermis bekannt ist. Die verästigten Zellen,
welche Jickeli im Ektodeım aufgefunden und als Ganglienzellen gedeutet
hat, finden sich auch im Entoderm. Durch die Färbung lassen sich bei Hydra
fusca und Hydra viridis Ektoderm und Entoderm mit der Lupe gut unter-
scheiden, so dass die Erfolge der Umstülpung schon mit geringen optischen
Hilfsmitteln zu studieren sind. Wie Trembley angegeben, liegt nun in der
That beim umgestülpten und dann festgehefteten Polypen nach einiger Zeit an
der Außenfläche das charakteristische Ektoderm; die Magenhöhle wird wiederum
vom Entoderm ausgekleidet. Eine Umwandlung hat aber nicht stattgefunden,
sondern eine Umlagerung, indem das Ektoderm namentlich von der Durch-
bohrungsstelle und den Tentakeln aus über das nach außen gestülpte Entoderm
hinüberkriecht. Ist die Umwachsung vollzogen, und entfernt man den Polypen
von dem Fixierungsmittel, so lebt der Polyp fort, als ob er keinen Eingriff
erlitten hätte. Wenn ich noch hinzufüge, dass es mir gleich Trembley nur
gelungen ist, aus Teilstücken des Polypenleibes ganze Polypen wieder heran-
zuzüchten, aus abgeschnittenen Tentakeln aber nicht, so glaube ich die Er-
klärung für diese Erscheinung in dem Mangel von Bildungszellen an den Ten-
takeln finden zu müssen. Inbetreff einer ausführlichen theoretischen Erörterung,
die sich an diese Versuche anschließen würde, sei auf eine demnächst erschei-
nende Arbeit verwiesen und hier nur folgendes hervorgehoben:
1) Die Konstanz der Gewebe ist dieselbe wie die der Arten. Aus Elemen-
ten des Ektoderms kann durch künstliche Bedingungen kein Entoderm gebildet
werden; ebenso wenig findet das Umgekehrte statt.
2) Während bei den einzelligen Individuen zur Restitution des Ganzen ein
Bruchteil von Kern und Protoplasma genügt, ist zum Wiederaufbau eines aus
differenten Zellen zusammengesetzteu Organismus mindestens ein Bruchteil von
Zellen der verschiedenen Leibesschichten erforderlich, und nur mit bezug auf
die Restitution durch die Geschlechtsprodukte gilt die für Protozoen maß-
gebende Norm.
3) Die künstliche Teilung der Protozoen und Polypen, sowie die Umstülpung
der Hydren, sind gewichtige Argumente zu gunsten der von mir begründeten
Iheorie von der Vererbung, die in ähnlicher Form auch Weismann vertritt
und mit dem Namen der Lehre von der Kontinuität des Keimplasmas belegt
hat. — Herr Eimer (Tübingen) bemerkt, dass in seinem Laboratorium seit
längerer Zeit Versuche über die Umstülpung von Hydra ausgeführt worden
572 Tacke, Spaltpilze und Stickstoff im tierischen Stoffwechsel.
sind und zwar mit dem Erfolg, dass die Tiere nachher in derselben Weise wie
vorher weiter lebten. Indess war es zu dem Gelingen des Versuchs notwendig,
dass die Hydren vorher tüchtig gefüttert worden waren; andernfalls gelangen
dieselben nicht. — Herr M. Nussbaum erwidert, die künstliche Fütterung
durch Befreiung des Polypen von seinem fesselnden Draht nach gelungenem
Versuch umgangen zu haben. — Herr Haacke (Adelaide) fragt, wie es sich
mit der Angabe von Engelmann verhalte, welcher behauptet, aus ganz
klelnen Tentakelstücken fünfarmige Polypen erzogen zu haben. — Herr M.
Nussbaum entgegnet, mit dem Wortlaut der Engelmann’schen Mitteilung
zur Zeit nicht vertraut genug zu sein, um eine definitive Entscheidung treffen
zu können betreffend die Erfolge dieses Biologen bei der Züchtung von ganzen
Polypen aus abgeschnittenen T'entakeln. Der Vortragende beruft sich auf die
Divergenz der Meinungen, die schon im vorigen Jahrhundert über diesen Punkt
bestanden hat, verweist auf Trembley, Rösel von Rosenhof und wieder-
holt die von ihm selbst versuchte Erklärung für die negativen Erfolge Trem-
bley’s und seiner selbst. — Herr K. Möbius (Kiel) bemerkt, dass nach
Untersuchungen von A. Meyer (die im Tageblatt der Naturforscher-Versamm-
lung zu Hannover veröffentlicht sind) bei Zucernaria octoradiata nur Teil-
stücke des Rumpfes sich zu ganzen Tieren ergänzen. Teilstücken von
Tentakeln fehlt dieses Vermögen. — Herr M. Nussbaum begrüßt diesen
weitern Beleg für die Schwierigkeit der Aburteilung in dieser Frage ohne
genaue Kontrole der betreffenden Versuche.
Sektion für landwirtschaftliches Versuchswesen.
1. Sitzung. Nach den Vorträgen der Herren Landolt und Hellriegel
sprach Herr Tacke über die Bildung von gasförmigem Stickstoff
im tierischen Stoffwechsel unter dem Einflusse von Spaltpilzen.
Ref. hat vor längerer Zeit Respirationsversuche über die Ausscheidung gas-
förmigen Stickstoffs angestellt. Die durch Trachealfistel mit dem Respirations-
apparate verbundenen Tiere waren unter Wasser versenkt, alle Verschlüsse
durch Glas und Quecksilber gedichtet. Der Sauerstoff wurde unmittelbar aus
der Retorte in den Respirationsapparat geleitet, außerdem durch Analysen
von Gasproben, zu verschiedenen Zeiten des Versuches entnommen, über den
regelmäßigen Verlauf desselben Gewissheit gewonnen.
Es ergab sich, dass Kaninchen meist eine geringe Menge Stickstoff aus-
atmeten, die jedoch die Grenze der Versuchsfehler überschritt. Größer wurden
die Stickstoffmengen, wenn lebhafte Fermentationsprozesse im Darme der Ver-
suchstiere verliefen, so dass dieselben am Ende des Versuches Meteorismus
zeigten. Dieses trat aber namentlich nach Fütterung mit schon in Zersetzung
übergegangenem Futter, Abfallblättern, Kohl ete. ein. Sodann wurde bei einer
Anzahl von Versuchen den Tieren durch eine Schlundfistel salpetersaures und
salpetrigsaures Ammoniak beigebracht, nachdem vorher mehrere Stunden die
Stickstoffausscheidung gemessen war. Nach der Einführung des Nitrates bezw.
Nitrites stieg die Stickstoffausscheidung um ein Bedeutendes. Die Fermenta-
tionsprozesse im Darmkanale sind offenbar der Grund dieser Erscheinung, indem
sie die eingeführten Salze zerlegen.
Um für diese Ansicht einen thatsächlichen Anhalt zu gewinnen und zu
dem über die Entwicklung von gasförmigem Stiekstoff durch Gärung, welche
in manchen Punkten noch zweifelhaft nnd unsicher ist, Aufschluss zu erlangen,
hat Ref. eine Reihe von Gärungs- bezw. Fäulnisversuchen angestellt.
Taeke, Spaltpilze und Stickstoff im tierischen Stoffwechsel. A173
Es liegt bei der großen Wichtigkeit, welche diese Frage hat, eine Reihe
von Untersuchungen vor, welche beweisen, dass in stickstoffhaltigen Substanzen
durch Fäulnis ein bedeutender Stickstoffverlust eintreten kann, selbst wenn
ein Entweichen von Ammoniak durch die Versuchsanordnung unmöglich ge-
macht war. Hieraus hat man geschlossen, dass der Stickstoff als solcher gas-
förmig oder in einer nicht durch Säuren bezw. Alkali absorbierbaren Verbin-
dung entweichen müsse. Die vorhandenen Versuche zeigen im einzelnen manches
Widersprechende. Versuche, bei denen der freigewordene Stickstoff direkt
bestimmt wurde, liegen in geringerer Anzahl vor und sind, weil die Möglich-
keit einer Diffussion mit der Atmosphäre nicht ausgeschlossen war, nicht un-
bedingt beweisend.
Dietzell fand in faulenden Substanzen freie salpetrige Säure und führt
das Auftreten derselben auf eine Oxydation und die Stickstoffverluste auf die
Einwirkung der salpetrigen Säure auf Ammoniak oder amidartige Substanzen,
wie sie sich bei der Fäulnis bilden, zurück. Meusel beobachtete das Ent-
stehen von Nitraten aus Nitriten bei Gegenwart faulender Eiweißstoffe. Ref.
stellte eine Reihe von Fäulnisversuchen in durch Glas und Quecksilber voll-
ständig abgeschlossenen Räumen an. Als Gärmaterial dienten Mehl, Fleisch,
Klee, Rüben u. dergl., als Infektionsmasse Darminhalt von Kaninchen, Erde
aus Abfallgruben, Kloakenschlamm, fauler Käse. Es kam ihm zunächst nicht
darauf an, die nähern Bedingungen der Stickstoffentwicklung kennen zu lernen
und zu untersuchen, ob vielleicht dieselbe nur durch bestimmte Organismen
verursacht werde, sondern es sollte das Vorhandensein derselben überhaupt
sichergestellt werden; deshalb verwendete er zur Erregung der Fäulnis mög-
lichst bakterienreiche Materialien, mit welchen die verschiedenen Substanzen
bald in schwach alkalischer, bald in schwach saurer Lösung versetzt wurden.
Die Gärräume wurden bei den einzelnen Versuchen entweder luftleer gepumpt,
oder mit Sauerstoff, Wasserstoff, Kohlensäure bis zum vollständigen Freisein
von Stickstoff ausgespült. Die gärenden Gemische wurden durch Wasserbäder
auf Temperaturen zwischen 35—40° C gehalten. Die der Fäulnis unterworfenen
Mengen waren, um nicht zu große Apparate zu benötigen und nicht zu große
Gasmengen bewältigen zu müssen, relativ klein (5 —25 g).
Es gelang in keinem der besprochenen Fälle, größere Stickstoffmengen
nachzuweisen; dieselben schwankten zwischen 1—4°/, des kohlensäurefreien
Gases, so dass die absoluten Mengen des entwickelten Stickstoffs gegenüber
den von andern beobachteten Stickstoffverlusten sehr klein waren. Salpetrige
Säure war in den faulenden Gemischen zu Ende der Versuche nicht nach-
weisbar.
Wurden dagegen nitrithaltige Substanzen der Fäulnis unterworfen, so
stellten sich die Ergebnisse anders. Geschabte Rüben lieferten in einem Falle
ein Gas mit 28,49 °/, Stickstoff. In einem andern Versuche wurde eine Fäulnis
(5 g Fleisch) mit faulendem Käse unter Zusatz von kleinen Mengen Salpeter
in Gang gebracht, der Apparat wurde luftleer gemacht und nach 8 Tagen die
erste Gasprobe entnommen. Dieselbe war schwefelwasserstoffhaltig und ent-
hielt 83,3°/, Kohlensäure, das kohlensäurefreie Restgas 15,69 °/, Stickstoff neben
83,09°%/, Wasserstoff und geringen Mengen Kohlenwasserstoff.
Die Gesamtmenge des entnommenen Gases betrug etwa 120 cem; die ab-
solute Menge des kohlensäurefreien Restgases 19,07 cem, die absolute Menge
des darin vorhandenen Stickstoffs 2,99 eem reduziert. Die Gärung kam da-
durch, dass beim Auspumpen durch ein Versehen etwas Quecksilber in das
Gärgefäß gelangte, zum Stillstand.
574 Fürstner, Experimentelle Untersuchungen des zentralen Nervensystems.
Wenngleich die absolute Menge des entwickelten Stickstoffs auch hier
noch sehr gering ist, so ist doch der Unterschied gegenüber den frühern Ver-
suchen auffallend genug und gab Veranlassung, die Fäulnis bei Gegenwart von
salpetersauern Salzen weiter zu untersuchen, um damit zugleich auch über die
im Tierkörper verlaufenden Prozesse Aufschluss zu gewinnen. Es handelt sich
hier offenbar um eine Reduktion, bei welcher der durch Gärung gebildete
Wasserstoff als im Status nascens die Nitrate ebenso wie die schwefelsauren
Salze reduziert.
Wurden Klee, Fleisch, Mehl und Gemische dieser Substanzen der Fäulnis
bei Luftzutritt unterworfen, so war nach kürzerer oder längerer Zeit keine
salpetrige Säure nachweisbar. Wenn dem gärenden Gemische dann eine ver-
dünnte Salpeterlösung zugesetzt wurde, ließ sich nach einiger Zeit (4 —8 St.)
salpetrige Säure in reichlicher Menge nachweisen. Nach mehrern Tagen waren,
wenn die einer energisch verlaufenden Gärung zugesetzte Menge Salpeter nicht
mehr als 0,1—0,2 g auf 6—10 g gärenden Materials betrug, Nitrat und Nitrit
bis auf zweifelhafte Spuren verschwunden. Es handelt sich hierbei also um
eine energische Reduktion, welche die Salpetersäure zu salpetriger Säure und
diese unter Umständen zu Ammoniak bezw. freiem Stickstoff reduziert. Die
Endreaktion der gärenden Gemische war stets schwach sauer.
Da Ammoniak reichlich darin enthalten war, so ist hier außerdem die
Möglichkeit der Entwicklung von gasförmigem Stickstoff in größerer Menge
durch Einwirkung der salpetrigen Säure auf Ammoniak ete. gegeben. Inwieweit
dieses in Lösungen eintritt — beim eintrocknen derartiger faulender Gemische
wird die Entwicklung von gasförmigem Stickstoff durch Zersetzung des salpetrig-
sauern Ammoniaks sicher eintreten — und inwieweit noch niedrigere Oxyda-
tionsprodukte des Stickstoffs entstehen, hat Ref. noch nicht untersuchen
können.
Geschabte Runkelrüben wurden in Gefäßen, welche mittels der Wasser-
strahlpumpe nahezu luftleer gemacht worden waren, der Fänlnis überlassen.
Nach 8 Tagen wurde Luft zugelassen, und es zeigte sich in dem Gärungsgefäße
eine intensive rote Färbung durch Oxydation von Stickoxyd zu Untersalpeter-
säure bezw. salpetriger Säure. Nach nochmaligem Auspumpen und &tägigem
Stehenlasseu war bei Zutritt von Luft die Rotfärbung weniger deutlich, durch
Jodkaliumstärkepapier ließ sich jedoch in der Luft des Gärungsgefäßes das
reichliche Vorhandensein von salpetriger Säure nachweisen. Diese Bildung
von Stickoxyd durch Reduktion vorhandener Salpetersäure, wenn auch nicht
in so reichlicher Menge, wurde schon früher bei Gärung von Melasse bezw.
Zuckersäften nachgewiesen. Die vollständige Reduktion der Salpetersäure und
die Umsetzung der salpetrigen Säure, sowie die Energie, mit welcher die Re-
duktion verläuft, geben für die oft sehr großen Stickstoffverluste eine Erklä-
rung. Die Befunde stützen zudem die Ansicht über die Ausscheidung von
Stickstoff aus dem Tierkörper, besonders nach der Einfuhr von Nitraten, zumal,
da die Versuchstiere dann vorzugsweise große Mengen Wasserstoff neben
geringen Mengen Kohlenwasserstoff ausatmeten, und machen das Verschwinden
großer Mengen eingeführter Salpetersäure, wie es die Versuche von Weyl
und Kossel darthun, erklärlich.
Sektion für Neurologie und Psychiatrie.
1. Sitzung. Herr Fürstner: Ueber experimentelle Untersncehungen
im Bereich des zentralen Nervensystems. Herr Fürstner rekapi-
tuliert zunächst die Drehversuche, die Mendel und Hack anstellten, wobei
Fürstner, Experimentelle Untersuchungen des zentralen Nervensystems. 575
noch 14 Tage klinische Erscheinungen und Symptome, wie Mendel glaubte,
der Paralyse entsprachen. Die zu grunde gegangenen Tiere boten einen älın-
lichen anatomischen Befund wie Paralytiker. Fürstner hat nun Hunde mit dem
Kopf nach der Peripherie auf einer Drehscheibe befestigt, gedreht und zwar
rechts, oder nach links, und zwar in möglichst geringer Itensität 1—2 Minuten
des Tags, dann öfter 60—80 Drehungen in der Minute. Fürstner erzielte
auf diese Weise bei Tieren, die 5/, Jahre, 9 Monate gedreht waren, doppel-
seitige Degeneration der Seitenstränge, außerdem Degeneration eines bestimm-
ten Abschnittes der Hinterstränge, bei andern war nur ersteres erkrankt. Die
Degeneration ist eine primäre; bei nach rechts gedrehten Tieren ist sie links
stärker und umgekehrt geht auch durch die Medulla weiße und graue Substanz,
im übrigen intakt. Fürstner fand ferner Veränderungen des Augenhinter-
grundes, in einem Fall beginnende atrophische Prozesse im Opticus Im Hirn
fand Fürstner ähnliche Veränderungen wie Mendel beim Hunde. Klinisch
hebt Fürstner hervor das leichtere Benommenwerden der Tiere, welche
längere Zeit gedreht, vermehrte Speichelsekretion, Durst, paralytische Anfälle;
später nach Monaten treten klinische Erscheinungen in Extremitäten auf, die
als spinal bedingt anzusehen sind. Es gelingt also ohne direkte Verletzung
der Nervensubstanz mit dieser Methode zu erreichen eine Degeneration der
Pyramiden- und partiell der Hinterstränge, vielleicht atrophische Prozesse im
Optieus. Fürstner hebt ausdrücklich hervor, dass alle diese Fragen noch ge-
nauen Studiums bedürften, er habe nur die Anregung zu erneuten Versuchen auf
diesem Gebiete geben wollen. — Herr Mendel bemerkt, dass seine bisherigen
Publikationen nur den Ckarakter einer vorläufigen Mitteilung hatten. Er freue
sich im übrigen, dass im wesentlichen seine Beobachtungen und Befunde an
den gedrehten Hunden durch Fürstner bestätigt worden sind. Einzelne Ab-
weichungen ergaben sich aus den nicht ganz gleichen Methoden. Dass Störungen
im Bellen und Urinlassen eintraten, was Fürstner nicht beobachtete, hat
an seinen Hunden Professor Munk bestätigt. Was den pathologisch - anatomi-
schen Befund anbetrifft, so werde er hoffentlich noch im Laufe der Sektions-
sitzungen Gelegenheit haben, zu demonstrieren, dass GHefäßneubildungen wie
Degeneration der Ganglienzellen in der Hirnrinde stattfinden. Was speziell
die von Fürstner angezweifelte Degeneration der Ganglienzellen bei der
Paralyse betreffe, so ist dieselbe auf der irrenärztlichen Versammlung in Leipzig
vor zwei Jahren ohne Widerspruch von ihm demonstriert worden. Speziell
habe der verstorbene Gudden ausdrücklich erklärt, dass dieselben noch viel
intensiver und häufiger seien nach seinen neuern Untersuchungen, als Herr
Mendel angegeben. Augenspiegeluntersuchungen sind auch bei seinen Hunden
von Herrn Professor Hirschberg mit ganz negativem Befunde gemacht wor-
den. Im übrigen bemerkt er, dass ein Zustand von diffuser Hirnerkrankung
mit dem psychischen Charakter des Blödsinns und Lähmungssymptomen, wie
er bei Hunden nach jenen Versuchen eintritt, dem paralytischen Blödsinne
beim Menscheu verglichen werden müsse. Einzelne Abweichungen von dem
Bilde wären ebenso erklärlich, wie z. B. auch die Tuberkulose beim Hunde
einen andern Verlauf nehme, als die beim Menschen. — Herr Heimann:
Herr M. hat durch Drehung der Hunde in erster Linie Hyperämie des Gehirns
erzeugt und diese als erstes und ursächliches Moment zur Entstehung der wei-
tern Entartungen des Gehirns angesehen. Wenn nun Herr F,. seine Versuchs-
tiere in gleicher Lage wie Herr M. gedreht hat, so muss demnach hier Anämie
des Rückenmarks entstanden sein. Da ich nun selbst im Jahre 1884 ähnliche
Drehungsversuche angestellt habe, bei denen ich grade infolge anderer Lage
576 Fürstner, Experimentelle Untersuchungen des zentralen Nervensystems.
der Tiere auf der Drehscheibe partielle Anämie des Gehirns erzeugte, und
ebenfalls Lähmungen erhielt, so gestatte ich mir die Frage, welches ätiologische
Moment zur Entstehung der Rückenmarkserkrankung der betreffenden Versuchs-
tiere Herr F. annimmt? — Herr Adamkiewicz: Die Erscheinungen der
Paralyse in akutester Form lassen sich bei Tieren auch durch Injektionen
differenter Flüssigkeiten in die Hirngefäße erzielen, wie Redner in seinen
Arbeiten über „Hirndruck* gezeigt hat. — Herr Mendel bemerkt dagegen,
dass es sich in den Adamkiewiez’schen Untersuchungen um akute vorüber-
gehende Zustände gehandelt habe, die mit den von ihm erzeugten chronischen
nicht direkt verglichen werden können. — Herr Fürstner erwidert Herrn
Heimann, dass er mit Begriffen Anämie und Hyperämie nicht rechnen könne,
er beschränke sich auf die Thatsachen, ohne vorläufig eine Erklärung geben
zu können.
Medizinischer Verlag von J. F. Bergmann in Wiesbaden.
Die Natur des Milzbrand-tGiftes. Von Dr. Albert Hoffa, Privatdozent an der
Universität zu Würzburg. Preis: Mk. 1.60.
Der Mikroorganismus der Gonorrhoischen Schleimhaut-Erkrankungen „Gono-
kokkus-Neisser“. Nach Untersuchungen am Weibe und an der
Conjunetiva der Neugebornen. Von Dr. Ernst Bumm, II. Assistenz-
arzt an der Gynäkologischen Klinik zu Würzburg. Mit zahlreichen litho-
graph. Abbildungen. Preis: M. 6.—
Die Technik der Sputum-Untersuchung auf Tuberkel-Baeillen (Baeillus tuber-
euloseus Kochii) nach bisherigen Methoden und nach eignen Erfahrungen.
Von Dr. med. Peter Kaatzer, II. Arzte des Königl. Bades Rehburg. —
Zweite Auflage. Preis: 8) Pf.
Die Ptomaine oder Cadaver- Alkaloide. Von Dr. H. Oeffinger, Grossherzogl.
Bezirksarzt in Eberbach am Neckar. Preis: M. 1.60.
Ueber Mikroorganismen bei den Wundinfektionskrankheiten. Eine Monographie.
Von Dr. F. J. Rosenbach, Professor an der Universität Göttingen. Mit
Tafeln in Farbendruck. Preis: M. 6.—
Die Fadenpilze. Medicinisch-botanische Studien auf Grund experi-
menteller Untersuchungen. Von Dr. F. Siebenmann in Brugg. Mit Vor-
wort von Dr. A. Burckhardt-Merian, Professor an der Universität in
Basel. Mit 23 Abbildungen. Preis: M. 4.60.
Der Rotlauf der Schweine, seine Entstehung und Verhütung (Schutzimpfung
nach Pasteur) nach amtlichen Ermittlungen im Großherzogtum Baden im
Auftrage des Großherzl. Ministeriums des Innern bearbeitet von Dr. A.
Lydtin, Grossherzoglich Badischer Medizinalrat und Dr. M. Schottelius,
Professor an der Universität Freiburg. Mit 23 Tafeln. Preis: Mk. 12.—
Jahresbericht über die Fortschritte der physiologischen und pathologischen
Chemie. Unter Mitwirkung von Dozent Dr. Rudolph Andreasch in
Graz, Professor Dr. P. Fürbringer in Jena, Dozent Dr. A. Poehl in
St. Petersburg, Dr. Olaf Hammarsten, Universitäts-Professor in Upsala,
Professor Dr. Giacosa in Turin, Professor Dr. Soxhlet in München,
Professor Dr. Max Gruber in Graz, Dr. Erwin Herter, Dozent in
Berlin, Professor Dr. B. J. Stokvis in Amsterdam, herausgegeben von
Professor Dr. Richard Maly in Graz. Fünfzehnter Band: Ueber das
Jahr 1885. Preis: M. 18.—
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
Biologisches Gentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 9 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
v1. Band. 1. Dezember 1886. Nr. 19.
Inhalt: Engelmann, Zur Technik und Kritik der Bakterienmethode. — Madrid-
Moreno, Ueber die morphologische Bedeutung der Endknospen in der Riech-
schleimhaut der Knochenfische. — List, Ueber Strukturen der Drüsenzellen. —
Rosenthal, Ueber das elektrische Leitungsvermögen tierischer Gewebe. — Aus
den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften ; 59. Versammlung deutscher
Naturforscher und Aerzte zu Berlin. -—— Kirchner und Blochmann, Die
mikroskopische Pflanzen- und Tierwelt des Süßwassers.
Zur Technik und Kritik der Bakterienmethode.
Von Th. W. Engelmann').
Das am Schlusse meiner Untersuchungen über die quantitativen
Beziehungen zwischen Absorption des Lichtes und Assimilation in
Pflanzenzellen [Onderz. (3) IX S. 25] gegebene Versprechen einer aus-
führlichen Darstellung meiner bisherigen auf Bakterienmethode und
Assimilation bezüglichen Untersuchungen habe ich aus gesundheit-
lichen Gründen leider noch nicht einlösen können. Auch jetzt bin
ich zu meinem Bedauern noch nicht im stande, die beabsichtigte zu-
sammenfassende Darstellung für die nächste Zeit in Aussicht zu
stellen. Doch veranlasst mich der Aufsatz von Pringsheim
„Ueber die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikrospektrum“ (Be-
richte d. d. bot. Ges., 1885, II, Heft II, und Pflüger’s Archiv,
Bd. XXXVIIL, S. 142) wenigstens einige Punkte schon jetzt ausführ-
licher zu besprechen, welche für die Beurteilung und Anwendung des
von mir eingeführten Verfahrens von besonderem Gewicht sind. Er-
sehe ich doch aus den thatsächlichen Angaben wie aus den kritischen
Bemerkungen des ausgezeichneten Berliner Botanikers, dass das Ver-
ständnis und die Technik der Methode größern Schwierigkeiten be-
gegnen, als ich voraussetzen zu dürfen glaubte. Indem ich diese
Schwierigkeiten zu beseitigen versuche, hoffe ich damit nicht nur
1) Onderzoekingen, gedaan in het Physiologisch Laboratorium der Utrechtsche
Hoogeschool. X, 1. Utrecht, 1886.
VI. 37
578 Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode.
weitere Nachuntersuchungen wesentlich zu erleichtern, sondern auch
einer weitläufigern Polemik vorzubeugen, mit welcher der Sache wenig
genützt sein möchte.
Pringsheim kommt unter Anwendung der Bakterienmethode zu
dem Resultat, dass die von mir behauptete „Koinzidenz der Maxima
der Sauerstoffabgabe grüner Organismen im Mikrospektrum mit den
Maximis der Lishtabsorption im Chlorophyll“ nicht stattfinde. Wie
aus den von ihm angeführten Thatsachen hervorgeht, stützt sich
dieser Ausspruch wesentlich, wo nicht ausschließlich, auf Beobach-
tungen nach der von mir so genannten Methode der simultanen
Beobachtung [Onderzoek. (3) VII S. 193].
Ich muss nun zunächst betonen, dass ich diese Methode zur
strengen Entscheidung jener fundamentalen Frage nie für hin-
reichend gehalten, noch zu den hierfür erforderlichen quantitativen
Bestimmungen benutzt oder empfohlen habe, aus dem einfachen Grunde,
weil sie mit einigen unvermeidlichen Fehlerquellen behaftet ist, welche
das Gesetz der Abhängigkeit zwischen Wellenlänge und Sauerstoff-
ausscheidung nicht rein zutage treten lassen. Diese Fehlerquellen
schienen mir so offen darzuliegen, dass ich sie in meinen bisherigen,
möglichst kurz gehaltenen Mitteilungen nicht hervorhob.
Den Hauptwert des Verfahrens erblicke ich darin, dass es auf
höchst einfachem Wege, mit einem Blick, ein annähernd richtiges,
sehr anschauliches Bild von der relativen assimilatorischen Wirkung
der verschiedenen Spektralregionen zu erhalten gestattet.
Der Hauptgrund, weshalb dies Bild im allgemeinen kein völlig
richtiger Ausdruck der Beziehungen zwischen Wellenlänge und Assi-
milation sein kann, ist offenbar der, dass die Größe der Sauerstoff-
spannung an jedem Punkte der Oberfläche des Objektes nicht nur
von der an diesem Punkte stattfindenden Sauerstoffausscheidung, son-
dern auch von der Sauerstoffentwicklung entfernterer und zwar in
erster Linie der zur Seite gelegenen, von andern Wellenlängen
getroffenen Stellen abhängt. Wechseln, wie thatsächlich der
Fall — hierüber herrscht ja Einstimmigkeit — Stellen stärkerer mit
Stellen schwächerer Sauerstoffabgabe längs des Spektrums mit ein-
ander ab, so muss infolge dieser seitlichen Superposition der
Sauerstoffspannungen die Wirksamkeit der schwächer assimi-
lierenden Stellen zu groß erscheinen und umgekehrt.
Dies ist beispielsweise die Ursache, weshalb — auch bei sehr
engem Spalt, genügende Lichtstärke vorausgesetzt — Bakterienanhäu-
fung und -bewegung bis ins Ultrarot hineinreichen, obschon doch
letzteres — wiederum nach den übereinstimmenden Erfahrungen aller
Untersucher — gar keine assimilatorische Wirksamkeit besitzt. Ebenso
ist, da die assimilatorische Wirkung von Rot nach Orange und Gelb
hin sehr viel weniger steil als nach dem Ultrarot hin sinkt, es
hieraus leicht begreiflich, wenn das Maximum der Anhäufung und
Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode. 579
die größte Energie der Bewegung häufig nicht an der Stelle der
stärksten Absorption im Rot, zwischen B und C, sondern mehr nach
dem Orange hin fällt. Letztere von Pringsheim mit Unrecht für
besonders wichtig gehaltene Thatsache habe ich, wie die vorige, schen
in meiner oben zitierten Mitteilung bemerkt, indem ich sagte, dass bei
von Null an wachsender Lichtstärke die Bewegung gewöhnlich zwischen
B und C oder nahe bei € beginne. Mit „nahe bei C“ ist natürlich,
wie aus dem Gegensatz „zwischen B und ©“ hervorgeht, jenseits €,
von B an gerechnet, gemeint.
Dieser verschiebende Einfluss der seitlichen Superposition der
Sauerstoffspannungen wird bis zu einer gewissen Grenze mit der
Dieke und dem Chlorophyligehalt des Objektes wachsen müssen.
Letztere beiden Umstände kommen aber auch insofern noch besonders
in betracht, als von ihnen eine vertikale Superposition von
Sauerstoffspannungen abhängt.
Diese nun unterstützt insofern die von der seitlichen Superposition
abhängige Verschiebung der Maxima und Minima, als mit der Dicke
der farbigen, assimilierenden Schicht sich der Betrag der Liehtabsorp-
tion und damit des assimilatorischen Effektes für verschiedene Wellen-
längen in verschiedenem Grade, und zwar, wie ich schon am Schluss
meines erwähnten Aufsatzes hervorhob, zu gunsten der schwächer
absorbierten, weniger wirksamen Strahlengattungen ändert.
Hierbei ist aber noch weiter der Umstand zu beachten, dass die
Sauerstoff entwickelnden Chromophyliteilchen zur Steigerung der Sauer-
stoffspannung an der Oberfläche der Zelle cet. par. umsoweniger bei-
tragen, je weiter sie von derselben entfernt sind. Im allgemeinen
wird ihr Anteil für jeden Punkt proportional dem Quadrat ihrer Ent-
fernung von diesem Punkte abnehmen. Nur dann würde dieser Um-
stand bedeutungslos sein, wenn die Differenzen des Abstandes der zur
Wirkung kommenden assimilierenden Teilchen von der Stelle an der
Zellenoberfläche, an welcher die Bakterienreaktion angestellt wird,
gegen diesen Abstand selbst vernachlässigt werden dürften. Dies ist
aber im allgemeinen nicht erlaubt.
Dieser Einfluss ungleicher Entfernung wird sich nun in verschie-
dener Weise mit dem von der Aenderung der relativen Absorptions-
größe mit der Dicke herrührenden Einfluss kombinieren. Er wird ihm
entgegenwirken, wenn die Reaktion an der untern, dem Lichte zuge-
wandten Fläche der Zelle angestellt wird, ihn unterstützen, wenn man
auf die über der Zelle angesammelten Bakterien einstellt. Wie außer-
ordentlich die Verschiebung im letztern Falle werden kann, lässt
sich aus dem von mir (a. a. O. S. 198) angeführten Beispiel einer
Cladophora-Zelle von 0,028 mm Dieke entnehmen, wo das Maximum
der Assimilationsenergie über der Zelle im Gelbgrün zwischen D
und E, unter der Zelle im Rot zwischen B und C gefunden
wurde.
31 *
580 Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode
Schon die bisher angeführten Umstände genügen, wie ich glaube,
völlig, um zu erklären, weshalb das Maximum bei der simultanen
Beobachtung grüner Zellen nicht immer an der nämlichen Stelle,
speziell nicht an der Stelle des Absorptionsbandes I, sondern meist
mehr oder weniger weit nach © hin oder selbst jenseits © beobachtet
wird. Es gibt aber noch verschiedene andere Umstände, welche ver-
schiebend auf die Lage der Maxima und Minima wirken können.
Beispielsweise — es gibt aber noch mehr — Ungleichheit in der
Verteilung des Chlorophylis (ursprünglich vorhandene oder während
des Versuchs entstandene), Unterschiede in der spezifischen Färbung
(bei grünen Zellen vermutlich auf Mischung des grünen und gelben
Farbstoffs in verschiedenen Verhältnissen beruhend), partielles Ab-
sterben der Zelle, verschiedene Durchsichtigkeit der Zellmembran an
der dem Lichte zugekehrten Seite (durch aufsitzende Organismen,
Ablagerungen von farbigen oder farblosen Stoffen und dergl.). Aus
einigen dieser Umstände wird auch das Vorkommen von Verände-
rungen in der Lage der Maxima beim nämlichen Objekt begreif-
lich, eine Erscheinung, die mir übrigens (abgesehen natürlich von
den durch Aenderung der Spaltweite, der Lichtstärke und der Ein-
stellungsebene bedingten) nur ganz ausnahmsweise vorgekommen ist
und dann stets aus einem jener Umstände genügend erklärt werden
konnte.
Ich muss nach alledem behaupten, dass die Angaben von Prings-
heim, soweit sie die Erscheinungen im roten bis grünen Teil des
Mikrospektrums bei grünen Zellen betreffen, nicht das Geringste gegen
die von mir behauptete Koinzidenz beweisen, noch auch nur, wie
Pringsheim meint, mit meinen thatsächlichen Angaben irgendwie
in Streit sind.
Dasselbe gilt aus denselben Gründen bezüglich der allerdings sehr
kurz gehaltenen Bemerkungen Pringsheim’s über braune und rote
Algen.
Was dagegen das Verhalten grüner Zellen im blauen Teil des
Spektrums angeht, so muss ich mich in der That wundern, dass
Pringsheim, auch wenn er nur nach der Methode der simultanen
Beobachtung arbeitete, das von mir beschriebene zweite Maximum, im
Blau bei F, nicht zu Gesicht bekommen zu haben scheint. Es tritt
allerdings, wie ich sogleich in meiner ersten Mitteilung (a. a. O. S. 194)
hervorgehoben, im prismatischen Spektrum nur bei Anwendung von
Sonnenlicht, nicht in dem von Gaslicht in die Erscheinung und ist
— schon wegen der bei Anwendung meines Apparates bei F' fast
dreimal größern Dispersion — immer viel weniger auffällig als das
im Rot. Vermisst habe ich es aber auch bei Anwendung der simul-
tanen Beobachtungsmethode bei sorgfältiger Anstellung des Versuchs
niemals und will es gern jederzeit bei günstigem Licht demonstrieren,
wie ich es denn auch verschiedenen Forschern schon zeigte. Gewiss
Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode. 981
werden sich auch leicht überzeugende photographische Aufnahmen
gewinnen lassen, für die mir leider bisher die Vorrichtungen fehlten.
Ich verfahre in der Regel so, dass ich erst bei maximaler Spalt-
weite und genügender Lichtstärke eine sehr starke Bakterienansamm-
lung in der ganzen Länge des Spektrums sich ausbilden lasse. Dann
verengere ich allmählich den Spalt — nicht zu langsam, damit die
Bakterien nicht Zeit haben, nach dem Rot hin zu wandern — bis die
Bewegung im Grün grade verlöscht: fast ausnahmslos ist sie dann
am Anfang der starken „Endabsorption“ im Blau, bei F, noch äußerst
deutlich und erhält sich auch hier lange Zeit, wenn nicht weiter ver-
dunkelt wird. Auch kehrt sie, falls der Spalt zu weit zugedreht war,
beim Erweitern hier meist merklich früher zurück als im anstoßenden
Grün und Gelbgrün.
Es kommt hier begreiflicherweise viel auf vorsichtige Handhabung
des Spaltes an, damit man den entscheidenden Punkt nicht verpasse.
Auch darf das Spektrum bei nur einigermaßen beträchtlicher Dicke
des Objekts ja nicht zu klein sein, weil sonst die Bakterien auch bei
schnellem Verengern des Spaltes sich leicht noch vom Blau hinüber
ins Rot begeben. Objektiv € von Zeiss ist deshalb als Projektions-
system im allgemeinen nicht anzuraten. Bei Anwendung von System
B oder A ist aber der vom Grün eingenommene Raum so breit, dass
er nicht leicht von den im Blau befindlichen Bakterien in der Rich-
tung nach Rot hin überschritten wird, wenn der Spalt einmal so weit
zugedreht ist, dass die Wirkung im Grün unmerklich wird.
Nicht minder entscheidende Resultate gibt hinsichtlich dieses
Punktes die Methode der successiven Beobachtung, welche
vor der der simultanen als wichtigsten Vorzug den voraus hat, dass
der störende Einfluss der seitlichen Superposition der Sauerstoff-
spannungen bei ihr in Wegfall gebracht werden kann. In richtiger
Weise angewandt, gestattet sie außerdem brauchbare Zahlenwerte für
die relative Größe der Sauerstoffausscheidung in den verschiedenen
Regionen des Spektrums zu erhalten. Alle meine numerischen An-
gaben über diese Größe sind nach dieser Methode gewonnen. Wenn
Pringsheim der Bakterienmethode die Brauchbarkeit zu genauen
quantitativen Bestimmungen abstreitet, so ist mir dies nur daraus er-
klärlich, dass er die Methode der successiven Beobachtung nicht in
der richtigen Weise handhabte. Es kommen bei derselben sehr viele
Umstände in betracht. Eine hinreichend genaue Beschreibung des
Verfahrens ist deshalb nicht kurz zu geben. Aus diesem Grunde be-
schränkte ich mich in meinen vorläufigen Mitteilungen darauf, einen
Maßstab zur Beurteilung der Zuverlässigkeit der Methode zu gewähren
durch Mitteilung mehrerer Zahlenbeispiele und der objektiven Beweise,
welche in den aufgrund dieser Methode erhaltenen photometrischen
Vergleiehungen von Sonnen- und Gaslicht zufällig zutage traten. Mir
scheint auch jetzt noch, dass dies für den beabsichtigten Zweck voll-
582 Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode.
ständig genügte, und ich bin auf den Versuch, diese Belege zu ent-
kräften, in der That gespannt. Um jedoch für die Zukunft eine
genaue Nachprüfung meiner Ergebnisse zu ermöglichen, will ich mein
Versuchsverfahren hier genauer, immerhin in möglichster Kürze be-
schreiben.
Die wesentlichsten Punkte, auf deren Beachtung es ankommt,
sind folgende:
Der Tropfen soll nur eine einzige Art von Bakterien enthalten,
also einer Reinkultur entstammen. Namentlich dürfen nicht Formen
von sehr verschiedenem Sauerstoffbedürfnis, also beispielsweise nicht
neben Bacterium termo noch gewöhnliche Spirillen vorhanden sein.
Die Gründe sind aus meinem Aufsatz „Zur Biologie der Schizomyceten“
[Onderzoekingen (3) VII S. 110] leicht zu entnehmen. Stammt das
zu prüfende Objekt wie gewöhnlich aus einer nicht bakterienfreien
Flüssigkeit, so muss es vorher durch wiederholtes Abspülen mit bak-
terienfreiem Wasser oder mit einer genügenden Menge der die Ver-
suchsbakterien enthaltenden Flüssigkeit gründlich gereinigt werden.
Am besten nimmt man im allgemeinen Bakterien von ziemlich
hohem Sauerstoffbedürfnis. Die Reaktion tritt dann ceteris paribus
bei größern Spaltweiten, also bei größerer Helligkeit ein, was für die
Schärfe der Beobachtung nicht gleichgiltig ist. Nur bei sehr kleinen
oder wenig Chromophyll enthaltenden Zellen können empfindlichere
Bakterien unter Umständen den Vorzug verdienen.
Die Bakterien sollen weder zu groß noch zu klein sein. Kokken
von 1—2 u Durchmesser, oder Stäbchen von 2—3 u Länge und gegen
1 « Breite entsprechen den Anforderungen in der Regel am besten.
Kleinere werden bei der sehr geringen Helligkeit, bei der oft noch
wahrgenommen werden muss, leicht nicht mehr deutlich genug ge-
sehen, um eine scharfe Bestimmung des Momentes, worin die Be-
wegung aufhört, zu gestatten, namentlich nieht wenn die Messung im
Rot geschehen muss. Zu große Bakterien reagieren meist nicht schnell
und gleichmäßig genug.
Die Individuenzahl der Bakterien muss in jedem Falle so .groß
sein, dass sich rasch mächtige Ansammlungen um die Sauerstoffquellen
ausbilden können. Der Tropfen darf dementsprechend bei Betrach-
tung mit bloßem Auge schwach getrübt erscheinen.
Durch sorgfältige Verkittung der Ränder des Deekglases mit
Paraffin oder Vaselin muss Verdunstung während der Versuchsdauer
völlig ausgeschlossen sein. Obschon hiermit auch der Sauerstoffzutritt
von außen in der Regel genügend aufgehoben ist, empfiehlt es sich
doch, das zu prüfende Objekt möglichst weit vom Rande des Deck-
glases zu lagern. Auch soll es sich dem Boden des Tropfens so nahe
wie möglich befinden, am besten denselben berühren. Liegt es zu
hoch, so sinken die Bakterien, wenn sie infolge der Sauerstoffabnahme
u nn u _ _
Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode. 583
ihre Bewegungen einstellen, in die Tiefe und sammeln sieh dann bei
Erweiterung des Spaltes nicht schnell genug wieder um das Objekt an.
Sorgfältig ist ferner aus leicht ersichtlichem Grunde darauf zu
achten, dass das Objekt so weit isoliert liege, dass bei seiner Ver-
schiebung längs des Spektrums in keinem Falle ein anderer, der
Sauerstoffausscheidung im Lichte fähiger Organismus ins Bereich des
Mikrospektrums komme. Es dürfen aus demselben Grunde auch keine
frei umherschwimmenden grünen Sporen, Flagellaten u. s. w. im Tropfen
vorhanden sein.
Um das Objekt schnell und sicher in immer gleicher Lage an
jeden beliebigen Ort des Spektrums einstellen zu können, muss es
durchaus unbeweglich im Tropfen liegen und muss der Objektträger
mittels einer Schraube bewegt werden. Ich benutze zu dem Zweck
den von Zeiss konstruierten, im Preisverzeichnis von 1885 unter
Nr.56 erwähnten kleinen Apparat. Er wird durch Klemmen auf dem
Tisch des Mikroskops festgehalten und auf ihm der Objektträger
durch etwas Fett oder Vaselin fixiert. Die Verschiebung muss genau
senkrecht zur Richtung der Spaltränder erfolgen, da wegen der un-
vermeidlichen kleinen Unregelmäßigkeiten an den Schneiden (Staub-
partikelchen u. dergl.) die Lichtstärke auf verschiedenen Punkten der
Höhe des Spektrums bei der nämlichen Wellenlänge ungleich ist, wie
besonders anschaulich die kurz vor dem völligen Schluss jedes Spaltes
auftretenden bekannten Längsstreifen und Längsbänder zeigen. Der
Einfluss dieser Fehlerquelle ist natürlich um so größer, je enger der
Spalt beim Eintritt der Reaktion ist, also am größten bei den wirk-
samsten Wellenlängen. Hier könnte er, wenn das assimilierende Objekt
sehr klein ist, auch bei größtmöglicher Sauberkeit der Schneiden eine
sehr merkliche Gröäe erreichen.
Welche Eigenschaften das Objekt selbst haben soll, um scharfe
und möglichst weit theoretisch verwertbare Messungen zu gestatten,
ergibt sich zum Teil schon aus dem früher Gesagten. Damit der
Einfluss der seitlichen Superposition der Sauerstoffspannungen unmerk-
lich werde, muss es wenigstens in der Richtung senkrecht zu den
Fraunhofer’schen Streifen sehr schmal sein, um so schmäler natür-
lich, ein je kleineres Mikrospektrum man verwendet, mit andern
Worten, je stärker das zur Projektion benutzte Objektivsystem ist. Die
Größe des Abstandes der Streifen B und C zu überschreiten dürfte
nicht ratsam sein, falls man sich nicht auf Messungen im stark brech-
baren Teil des Spektrums beschränkt. — Ist das Objekt zylindrisch
oder doch länglich, so muss es selbstverständlich mit der Längsaxe
genau horizontal und parallel den Spalträndern gelagert werden.
Auch sein vertikaler Durchmesser soll möglichst gering sein,
damit der oben bei der Methode der simultanen Beobachtung bereits
besprochene Einfluss ungleicher Entfernung der assimilierenden Teilchen
von den reagierenden Bakterien sich möglichst wenig geltend mache.
584 Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode.
Dabei ist es wünschenswert, dass die Färbung intensiv, der Ge-
halt an Chromophyll also möglichst groß sei. Es gelingt sonst nicht
leicht, eine zur Anstellung scharfer Reaktion genügende Menge von
Bakterien um die Zelle zu versammeln. Da schon ein einziges Chloro-
phylikorn im Lichte sehr merkliche Wirkungen äußert, braucht die
Dicke der wirksamen Schicht einige Tausendstelmillimeter nicht zu
überschreiten.
Dass die Liehtquelle während der Versuchsdauer in jeder Beziehung
konstant sein müsse, bedarf nicht besonderer Hervorhebung. Ebenso-
wenig, dass das Spektrum möglichst scharf, genau in der horizontalen
Durchschnittsebene des Objekts entworfen werden soll. Weniger
überflüssig dürfte eine die absoiute Stärke der Lichtquelle betreffende
Bemerkung sein. Diese ist so zu wählen, dass die Spaltweiten, bei
welchen die Reaktion eintritt, weder außerordentlich gering, noch sehr
groß ausfallen. In nächster Nähe des Nullpunktes — dessen Lage
immer vorher genau zu kontrolieren ist — haben schon sehr kleine
Fehler großes Gewicht, gleichviel ob sie von unrichtiger Einstellung,
Irrtümern beim Ablesen oder falscher Lage des Nullpunktes herrühren.
Auch können, bei Anwendung von Sonnenlicht, die Fraunhofer’schen
wie die dazu senkrechten, von Ungleichmäßigkeiten der Spaltränder
herrührenden Streifen und Bänder stören. Zu große Spaltweiten sind
anderseits wegen des unten noch zu besprechenden Einflusses der
Superposition verschieden brechbarer Strahlengattungen zu vermeiden.
Sonnenlicht muss in jedem Fall vorher abgeschwächt werden. Ich
schalte zu dem Zwecke zwischen Heliostat und Spiegel des Mikroskops
unmittelbar vor letzterem eine oder zwei Scheiben von rein weißem
mattem Glase ein.
Um alles etwa von unten her neben dem Objektiv des Mikro-
spektralapparates einfallende Licht auszuschließen, wird unmittelbar
unter dem Objekttisch ein nur mit einer zentralen Durchbohrung für
das projizierende System versehener undurchsichtiger Schirm angebracht.
Durchaus nötig ist weiter, dass die Beobachtungen in der Duukel-
kammer und außerdem im Dunkelkasten vorgenommen werden. Es
wird dann nicht nur eine Störung durch seitlich von oben auf das
Objekt fallendes Licht ausgeschlossen, sondern namentlich auch die
Empfindlichkeit des Auges so bedeutend gesteigert, dass noch bei
viel geringerer Spaltweite als sonst deutliches Unterscheiden mög-
lich ist.
Aus letzterem Grunde kann es wünschenswert sein, das Spektrum,
mit Ausnahme des schmalen Bezirks, in dem grade beobachtet wird,
abzublenden. Zu dem Zweck habe ich im Okular, unmittelbar unter
dem die Mikrometerteilung tragenden Diaphragma, eine passende
Schiebervorrichtung anbringen lassen.
Noch ein anderer Punkt kommt hier in betracht. Der Eintritt
der Reaktion ist im allgemeinen um so schwieriger scharf zu beobach-
Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode. 585
ten, je geringer im entscheidenden Augenblicke die physiologische
Helligkeit der entsprechenden Spektralpartie. Bei sehr geringer Hellig-
keit kann deshalb die Bewegung früher aufzuhören scheinen, als in
der That der Fall ist. Sehr auffällig zeigt sich dieser Einfluss, wenn
man durch ein zwischen Auge des Beobachters und Okular einge-
schaltetes farbiges oder Rauchglas das Bild plötzlich verdunkelt. Es
entsteht dann der Eindruck, als ob die Bakterienbewegung plötzlich
abnehme. Umgekehrt wird beim Wegziehen eine Beschleunigung der
Bewegung vorgetäuscht. Hierzu kommt noch, dass bei geringer, aber
übrigens gleicher Helligkeit die Schärfe der Unterscheidung merklich
von der Farbe abhängig, im Rot beispielsweise geringer als im Grün
ist. Es erwächst hieraus einige Gefahr, für die dunklern, namentlich
die roten Partien des Spektrums zu große Spaltweiten einzustellen.
Um zu prüfen, inwieweit etwa hierdurch die Ergebnisse beein-
flusst werden könnten, habe ich die Helligkeiten möglichst gleich zu
machen gesucht, indem ich für die Messungen im Gelb und Grün blau
bezw. rot gefärbte Gläser zwischen Auge und Okular einschaltete und
speziell abwechselnd mit und ohne Glas an den nämlichen Stellen
des Spektrums beim gleichen Objekte Messungen anstellte. Bei einiger-
maßen scharfem Beobachten der Bakterien zeigte sich jedoch kein
deutlicher Einfluss, wie ich durch viele Zahlenbeispiele belegen könnte.
Wenn nun alles für den Versuch gehörig vorbereitet ist, schreitet
man zu den Messungen. Hierbei verfahre ich folgendermaßen.
Das Objekt wird zunächst bei maximal erweitertem Spalt im
Orange oder Gelb, gewöhnlich bei D, eingestellt und hier so lange
stehen gelassen, bis sich eine sehr starke Ansammlung schwärmender
Bakterien um dasselbe ausgebildet hat. Hierzu genügen meist wenige
Minuten. Man wartet nun weitere 5— 10 Minuten, um sich zu über-
zeugen, ob der Schwarm sich in unveränderter Mächtigkeit und unge-
schwächter Bewegung erhält. Ist dies, wie bei gesunden Zellen ge-
wöhnlich, der Fall, so wird der Spalt im Lauf von 1—1!|, Minute erst
schnell, dann immer langsamer zugedreht, bis die Bewegung an den
Rändern des Objekts völlig aufgehört hat. Jetzt wird rasch der Stand
der Mikrometerschraube (Spaltweite) abgeiesen, der Spalt sofort wie-
der maximal erweitert und gewartet, bis sich der frühere Zustand
maximaler Anhäufung und Bewegung wieder hergestellt hat, wozu es
meist nur 1—2 Minuten bedarf. Dann wird das Objekt nach einer
andern Stelle des Spektrums verschoben, der Spalt in derselben Weise
allmählich verengert, bis Stillstand eingetreten, schnell abgelesen, der
Spalt sofort wieder maximal erweitert, das Objekt in die Anfangs-
stellung (bei D) zurückgebracht, aufs neue gewartet, bis der stationäre
Zustand maximaler Anhäufung sich ausgebildet hat u. s. f. Jedesmal
wird also vor Beginn der Versuche ein stationärer Zustand abgewartet
und zwischen je zwei Messungen derselbe wieder hergestellt. Hierauf
ist das allergrößte Gewicht zu legen.
586 Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode.
Verfährt man in der hier beschriebenen Weise, so wird man nach
einiger Uebung sich leicht von der Brauchbarkeit der Methode zu
quantitativen Bestimmungen überzeugen. Man findet dann häufig selbst
bei stundenlang am nämlichen Objekt fortgesetzten Messungen die
Spaltweite, bei welcher die Bewegung aufhört — die kritische Spalt-
weite — für jede geprüfte Stelle des Spektrums konstant, die Ab-
weichungen vom Mittel wenigstens so gering, dass sie gegen die von
der Wellenlänge abhängigen Unterschiede im allgemeinen nicht in
betracht kommen.
Diese Konstanz beweist, dass in solchem Falle die Reaktion an
allen untersuchten Stellen des Spektrums dann eintritt, wenn die
Sauerstoffspannung auf den nämlichen absoluten Wert herabgesunken
ist. Da die Sauerstoffspannung am Orte der Reaktion, bei Erfüllung
der oben mit Rücksicht auf den Einfluss des Abstandes der assimi-
lierenden Teilchen von den Bakterien gestellten Bedingung, in jedem
Falle der gesamten vom Objekt gelieferten Sauerstoffmenge direkt
proportional ist, darf der relative assimilatorische Effekt der Licht-
arten verschiedener Wellenlänge, die von mir mit A bezeichnete Größe,
dann im allgemeinen den Spaltweiten umgekehrt proportional gesetzt
werden, bei welchen für die betreffenden Wellenlängen die gleiche,
also in unserem Falle diejenige Sauerstoffspannung erzeugt wird, bei
welcher die Bakterienbewegung eben aufhört. Es ist dies jedoch nur
erlaubt, weil die Erweiterung des Spaltes symmetrisch geschieht, und
weil die absoluten Werte der kritischen Spaltweiten im allgemeinen
so niedrige sind, dass die von der Uebereinanderlagerung verschie-
dener und deshalb verschieden wirksamer Wellenlängen herrührende
Störung vernachlässigt werden darf. Letzteres gilt streng nur für die
Gegenden des Spektrums, an denen die auf die Wellenlängen als
Abszisse bezogene Kurve der Assimilationsgröße einen gradlinigen
Verlauf zeigt. Bei hinreichend geringer Breite des Objekts dürfte
der Fehler aher auch an den Stellen stärkster Krümmung der Kurve
unmerklich werden.
Im besondern gilt dies bei Anwendung von Sonnenlicht. Hier
liegen die Werte der kritischen Spaltweiten für meine Versuche durch-
schnittlich zwischen 0,01 und 0,15 mm. Für Gaslicht rücken die
Grenzen natürlich weiter auseinander, schon wegen der größern Dif-
ferenzen der aktuellen Energie in den verschiedenen Teilen des sicht-
baren Spektrums, speziell wegen des viel steilern Sinkens der lebendigen
Kraft des Lichtes nach dem stärker breehbaren Ende hin. Die untere
Grenze lag hier durchschnittlich bei 0,015, während die obere (für
grüne Zellen) im Blau bei F, im Mittel bei 0,38, im Violett bei noch
erheblich größern Werten erreicht ward. Im Blau und Violett sind
jedoch wegen der größern Dispersion Störungen weniger zu fürchten.
Wenn es nicht darauf ankommt, Zahlenwerte zu gewinnen, sondern
nur auf Entscheidung der Frage, ob die assimilatorische Wirkung an
ve
Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode. 587
einer bestimmten Stelle des Spektrums stärker als an einer andern
sei, so ist eine Modifikation der Methode der successiven Beobach-
tung ausreichend und zugleich sehr anschaulich, welche ich das Ver-
fahren der alternierenden Beobachtung nenne.
Man wolle beispielsweise entscheiden, ob die Wirkung des Blau
bei F' stärker als die des Grün bei E sei. Zu dem Ende wird —
immer nach vorhergehender Entwicklung eines stationären Zustandes
maximaler Bakterienanhäufung — das Objekt auf E eingestellt und
nun der Spalt langsam zugedreht, bis die Bewegung eben erlöscht.
Alsbald wird das Objekt nach F' hin verschoben, wobei man dann,
falls mit Sonnenlicht und an einer chlorophyligrünen Zelle gearbeitet
wird, sofort einen Wiederbeginn der Bewegungen beobachtet. Beim
Zurückschrauben nach # tritt Stillstand ein, wieder nach F' gebracht,
erwachen die Bakterien aufs neue. Die Erscheinung ist in der Regel
so auffällig, dass ein Gedanke an Täuschung gar nicht aufkommen kann.
In derselben Weise überzeugt man sich leicht, dass bei grünen
Zellen das Maximum der Wirkung im Rot stets an der Stelle des
Absorptionsbandes I, niemals nach dem Orange hin liegt u. s. w.
Es ist jedoch nicht meine Absicht, hier auf spezielle Fragen und
Versuchsresultate näher einzugehen. Ich würde auch wesentlich nur
früher Mitgeteiltes zu wiederholen, bezüglich viele neue Zahlenbeispiele
beizubringen haben. Dazu aber dürfte diese Zeitschrift nicht der ge-
eignete Ort und überdies um so weniger Grund vorhanden sein, als
die bereits in frühern Aufsätzen von mir publizierten Zahlen, wie ich
glaube, völlig genügen, um das fundamentale Gesetz der, wenigstens
höchst annähernden, Proportionalität zwischen Absorption und assimi-
latorischer Wirkung des Lichtes streng zu beweisen, und zwar nicht
nur für chlorophyligrüne, sondern für alle wie immer gefärbte
chromophyllhaltige Zellen und, wie ich auch andern neuern
Autoren gegenüber hervorheben muss, für alle Strahlengattungen
des sichtbaren Spektrums. Am allerwenigsten kann dies auf zahl-
reiche genaue Messungen der Assimilationsgröße und der Liehtabsorp-
tion in lebenden Zellen gegründete Ergebnis durch auf bloßer Schätzung
nach dem Augenschein beruhende Angaben, wie sie Pringsheim
gibt, widerlegt werden.
Es wird auch die Giltigkeit dieses Grundgesetzes nicht dadurch
aufgehoben, dass — wie ich leider Pringsheim zugeben muss —
die Formel nicht richtig ist, welche ich in meinem letzten Aufsatz
[Onderzoekingen ete. (3) IX 8. 17] als Ausdruck der Beziehungen
zwischen aktueller Energie (E), assimilatorischer Wirkung (A) und
Absorptionsgröße (n) des Lichtes in der Voraussetzung aufgestellt
habe, dass unter den bei Anwendung der Bakterienmethode zur Mes-
sung von A realisierten Bedingungen die gesamte absorbierte Energie
des Lichtes zu Assimilationsarbeit benutzt werde. Ich muss für die
bei der Ableitung dieser Formel begangenen, mir heute schwer be-
588 Engelmann, Technik und Kritik der Bakterienmethode.
greiflichen Versehen, unter Hinweisung auf den im Eingang ange-
deuteten persönlichen Umstand um Entschuldigung bitten. Den rich-
tigen Ausdruck für jene Beziehungen und seine Begründung gab ich
am Schlusse meines Aufsatzes „Farbe und Assimilation“ |Onderzoek.
(3) VIL S. 231]. Hiernach ist für jede Wellenlänge
N == & und nicht # = ri.
n n
Wie aus der Vergleichung der beiden Formeln unmittelbar er-
sichtlich, müssen jetzt die Differenzen größer werden, welche einerseits
zwischen den aus meinen Versuchen an verschiedenfarbigen Zellen
berechneten zusammengehörigen Werten von E unter sich, wie ander-
seits zwischen diesen und den auf rein physikalischem Weg mittels
Thermosäule und Bolometer gefundenen bestehen. Die wesentlichste
Uebereinstimmung bleibt jedoch erhalten: denn in allen Fällen erreicht
die Energie ihren Maximalwert sehr nahe bei Fraunhofer’s Streif
D und sinkt von hier nach beiden Enden des Spektrums hin allmäh-
lich ab.
Ich stelle hier die nach der verbesserten Formel aus der Gesamt-
zahl meiner Versuche für # berechneten Werte mit denen zusammen,
welche sich aus den Versuchen von Lamansky und Langley er-
geben haben:
we 680 | 622 | 600 | 589 | 573 558 | 522 | 486 | 431
Lamansky ss | 99 , 100 |99,5| 98 | 96,5: 90 | 77 | 66
LaneleyI . . . . 89,5! 96,5| 98 |99,5| 100, 96 | 89 | 78 | 48
„1 .....86 |98,5| 100| 99 |98,5197,5| 92.| 73 147,5
Enselmann: .,.,. 69 | 95 | 99. |100 | 95 | 90 | 71 | 56 | 29
Für die mittlern, hellern Partien des Spektrums, vom Orange bis
ins Gelbgrün ist, wie man sieht, die Uebereinstimmung noch immer
eine nahezu vollkommene. Die größern Abweichungen, welche sich
gegen die Enden hin zeigen, möchten schon in anbetracht der größern
Schwierigkeiten, welche sich hier der scharfen Bestimmung von A
und » in den Weg stellen, kaum genügen, um die Voraussetzung
direkter Proportionalität zwischen absorbierter Energie und Assimila-
tionsarbeit auch nur für diese Spektralregionen unhaltbar erscheinen
zu lassen.
Nachschrift.
Vorstehende Zeilen waren gedruckt, als mir Pringsheim’s aus-
führliche Mitteilung „über die Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikro-
2 er
Madrid-Moreno, Endknospen in der Riechschleimhaut der Knochenfische. 589
spektrum“ (Sitzungsberichte der k. preuß. Akademie der Wissensch.
zu Berlin, 4. Februar 1886; Biologisches Centralbl., VI, Nr. 3—5)
zuging. Dieselbe bestätigt meine Befürchtung, dass der verehrte Ver-
fasser die wichtigsten Fehlerquellen nicht erkannte und deshalb nicht
vermied, welche einer Verwertung der Bakterienmethode zur Ermitt-
lung des Zusammenhangs zwischen Lichtabsorption und Sauerstoff-
ausscheidung im Wege stehen. Dem, wie oben gezeigt, nur unter
ganz bestimmten Bedingungen, mit starken Einschränkungen brauch-
baren Verfahren der simultanen Beobachtung wird ein fast blindes
Vertrauen geschenkt, die Methode der successiven Beobachtung in
einer, der meinigen wesentlich entgegengesetzten, zu quantitativen
Bestimmungen, wie ich bestätigen kann, durchaus unbrauchbaren
Weise angewendet und dementsprechend verurteilt. Neue thatsäch-
liche Bemerkungen, die weitere Entgegnung an dieser Stelle erforder-
ten, finden sich nicht. Alle Differenzen erledigen sich, soweit ich
sehe, durch den Inhalt meiner vorstehenden Mitteilung. Hervorhebung
möchte verdienen, dass Pringsheim das von mir gefundene zweite
Maximum der Sauerstoffausscheidung im Blau doch auch „hin und
wieder“ bei simultaner Beobachtung grüner Zellen im Sonnenspektrum
gesehen hat.
Jose Madrid-Moreno, Ueber die morphologische Bedeu-
tung der Endknospen in der Riechschleimhaut der Knochen-
fische.
Bericht von ©. Emery (Bologna).
In folgenden Zeilen gebe ich im Auszug eine in meinem Labora-
torium ausgeführte Arbeit wieder, welche bald in spanischer Sprache
ausführlich veröffentlicht werden soll.
Eine vor kurzem erschienene Abhandlung von J. Blaue (Archiv
f. Anat. u. Phys., Anat. Abt. 1884. S. 231—309, Taf. 12—14) behan-
delt die Struktur der Nasenschleimhaut der Knochenfische sehr aus-
führlich. Schon früher hatte Sofie Pereyaslawzeff in der
Nase einiger Fische Gebilde beschrieben, welche mit Nervenknospen
die größte Aehnlichkeit haben. Derartige Riechknospen fand Blaue
mehrfach in verschiedenen Gattungen. Besonders interessant ist der
Befund bei Belone, wo das Riechorgan des erwachsenen Tieres noch
die embryonale Gestalt als offene Grube bewährt: die Nasenschleim-
haut dieses Fisches wird von einem wimperlosen Pflasterepithel über-
zogen, in welchem die Riechknospen eingebettet erscheinen, so dass
sie auf Flächenansichten nur durch kleine kreisrunde Löcher sichtbar
bleiben. Bei Trigla ist das Riechorgan nach gewöhnlichem Per-
coiden-Typus gebaut; seine Schleimhaut hat aber ungefähr die gleiche
Struktur wie bei Belone. Bei vielen andern Fischen sind die Riech-
590 Madrid-Moreno, Endknospen in der Riechschleimhaut der Knochenfische.
knospen durch das Pflasterepithel nur unvollständig getrennt, oder
sie hängen auf größern Flächen mit einander zusammen; oder die
Schleimhaut bietet gar keine Andeutung von Endknospen, da die
Sinneszellen im Epithel gleichmäßig verteilt erscheinen. Aus seinen
Untersuchungen schließt Blaue, dass das Riechorgan einer Anhäufung
von Endknospen entspricht, und dass die Struktur der Riechschleim-
haut, wie sie bei Belone und Trigla auftritt, als die primäre zu be-
trachten ist; dass andere Formen, wo die Knospen minder abge-
schlossen oder gar nicht nachweisbar sind, durch Zusammenfließen
von ursprünglich diskreten Knospen entstanden gedacht werden sollen.
ÖOntogenetische Untersuchungen konnte Blaue an Knochenfischen
wegen Mangel an Material nicht anstellen: es standen ihm nur wenige
zu Junge Stadien von der Forelle zur Verfügung.
Falls die Blaue’sche Ansicht richtig wäre, so sollten in der
ÖOntogenie solcher Fische, welche im erwachsenen Zustand keine
Riechknospen haben, solche Knospen, oder doch Spuren davon während
der Jugend auftreten. Bei den Arten, welche Riechknospen besitzen,
sollten sie sehr frühzeitig erscheinen. Die Frage, deren Lösung ich
Herrn Madrid anvertraute, war also eine Prüfung der Blaue’schen
Ansichten aufgrund der Ontogenie. Das zu bearbeitende Material
bestand aus ziemlich vollständigen Reihen von Belone acus, Trigla
hirundo und Carassius auratus, die beiden erstern Fische im er-
wachsenen Zustand mit höchst differenzierten Riechknospen, letzterer
mit gleichmäßiger Riechschleimhaut. Außerdem standen verschiedene
Stadien von Zoarces viviparus und Cyprinodon calaritanus zur Ver-
fügung.
Die Resultate der Untersuchung waren nun den Voraussetzungen
Blaue’s durchaus nicht güustig. In der Entwicklung des Riech-
organs von Carassius war in keinem Stadium irgendwelche Spur von
einer Knospenbildung oder Knospendifferenzierung zu bemerken. Die
Differenzierung der Riechknospen konnte dagegen bei Belone und
Trigla Schritt für Schritt verfolgt werden.
Die Riechgrube von Belone besitzt ursprünglich in ihrem Grunde
eine gleichmäßige Sinnesepithelscheibe, die Riechschleimhaut. Bald
entsteht in der Mitte dieser Scheibe eine kleine etwas erhabene Insel
von Pflasterepithel; dieselbe entspricht einer später auftretenden Falte.
Andere Inseln entstehen ferner zerstreut auf der Schleimhaut, dringen
in die Tiefe des Epithels ein, dehnen sich aus und fließen endlich
mit einander zusammen, so dass sie das Riechepithel in mehrere dis-
krete Felder teilen, welche durch Pflasterepithelwülste gegen einander
abgegrenzt sind. Diese Teilung wird fortgesetzt, und die einzelnen
Felder, die wir „Riechfelder“ nennen können, werden immer kleiner
und zahlreicher, bleiben aber noch sehr lange flach und offen, und
die sie zusammensetzenden Stütz- und Sinneszellen stehen einander pa-
rallel, zur Basalfläche senkrecht. Erst in beinahe erwachsenen Exem-
ass In AN
u A nen
Madrid-Moreno, Endknospen in der Riechschleimhaut der Knochenfische. 594
plaren bekommen diese Zellen die charakteristische an den Enden
konvergierende Knospenstellung und werden dann vom Pflasterepithel
derart umgeben und bedekt, dass sie nur noch je durch ein enges Loch
mit der Außenwelt in Verbindung stehen. Diese Differenzierungen
beginnen immer in der Mitte der Riechschleimhaut und sind daselbst
immer weiter vorgeschritten als am Rande, was wohl nicht der Fall
sein dürfte, falls nach Blaue’s Ansicht die Knospenbildung der
Teilung einer wachsenden Urknospe entspräche. Bei Trigla geht die
Entwieklung der Endknospen in gleicher Weise vor sich: die Schleim-
haut bildet zahlreiche Falten, wovon einige schon in den jüngsten
zur Untersuchung gekommenen Stadien vorhanden waren. Die Firsten
dieser Falten wurden mit Pflasterepithel bedeckt getroffen, während
die dazwischen liegenden Thäler mit gleichmäßigem Riechepithel über-
zogen waren. Nach und nach entstanden neue Falten, über welche
das Epithel pavimentös wurde. Dann erstreckte sich das Pflaster-
epithel nach und nach in die Thäler, das Riechepithel in einzelne
Felder teilend, welche auf dem Grunde der Thäler immer größer waren
als auf den steilen Wänden der Falten. Ganz wie bei Delone wur-
den erst im beinahe erwachsenen Tier die Riechfelder zu wirklichen
Endknospen.
Zoarces hat selbst im erwachsenen Zustand keine Riechknospen, aber
die Schleimhaut bietet Falten, deren Firste mit Pflasterepithel bedeckt
ist. — Bei Cyprinodon hat die Nasenschleimhaut nur wenige Falten
und wird dureh Pflasterepithelleisten in einzelne Riechfelder geteilt,
ganz wie bei der jungen Belone. — Diese beiden Fische wiederholen
im erwachsenen Zustande ontogenetische Stadien von Belone und
Trigla. — Im der Nasenhöhle von Cyprinodon wurde mehrmals eine
kleine parasitische Copepode gefunden. Dieser Schmarotzer verur-
sacht eine pathologische Veränderung der Schleimhaut, indem er das
Riechepithel zum größten Teil zum Schwunde bringt, während das
Pflasterepithel eine ungewöhnliche Verbreitung bekommt.
Letztere Thatsache sowie der Umstand, dass die normale Bildung
des Pflasterepithels immer auf den erhabenen Falten der Schleimhaut
beginnt, d. i. an den Stellen, welche der Reibung oder sonst mecha-
nischen Insulten am meisten ausgesetzt sind, werfen einiges Licht
auf die Bedeutung jener Veränderungen des Epithels. — Wir können
annehmen, dass das Pflasterepithel als Schutzvorrichtung für die
zarten Sinneshärchen entwickelt wurde und zuerst infolge patholo-
gischer Reaktion auf mechanische Reize entstand. Es sei aber diese
Erklärung richtig oder nicht, so deutet die erst spät auftretende
Differenzierung der Riechknospen der Knochenfische darauf hin, dass
dieselben kein uraltes Erbstück sind, sondern erst spät durch An-
passung an besondere Verhältnisse gebildet wurden. Die Aehnlich-
keit, welche zwischen Endknospen der Haut von Fischen und Am-
phibien, Riechknospen einiger Knochenfische und Geschmacksknospen
599 List, Strukturen von Drüsenzellen.
der Säugetiere besteht, ist gewiss nicht durch Vererbung aus primi-
tiven indifferenten Knospenformen, sondern durch konvergente An-
passung zu erklären. In allen diesen Sinnesorganen bildet das um-
gebende Pflasterepithel eine Schutzvorriehtung für die in der Knospe
konzentrierten Sinneszellen.
Durch die Resultate Madrid’s wird die Ansicht Beard’s, dass
das Riechorgan der Reihe der „branchialen“ Sinnesorgane gehöre,
weder bekräftigt noch erschüttert. Es steht nichts gegen die An-
nahme, dass sich das Riechorgan durch höhere Ausbildung eines in-
differenten Sinneshügels entwickelt haben möge. Bei primitiven For-
men des Amphibienstammes mag sogar dieser Sinneshügel sich durch
Randknospung vermehrt haben, wie die ontogenetischen Beobachtungen
Blaue’s für Urodelen zeigen. Die Riechknospenbildung der Knochen-
fische darf aber nicht auf diese Zustände zurückgeführt werden.
Ueber Strukturen von Drüsenzellen.
Von Dr. Joseph Heinrich List.
Nach einem auf der 59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu
Berlin in der anatomischen Sektion gehaltenen Vortrage.
Wenn ich zum Thema meines heutigen Vortrages den feinern
Bau von Drüsenzellen gewählt habe, so kann es nicht meine Absicht
sein, diesen schwierigen Gegenstand umfassend zu erörtern. Was ich
bezwecken will, ist, Ihnen eine Darstellung des Baues von schleim-
bereitenden Drüsenzellen — Zellen der Schleimdrüsen sowohl als
‚auch der sogenannten Becherzellen — zu geben, um im Anschlusse
daran einiges über den Sekretionsprozess mitzuteilen.
Die allgemeinen Formverhältnisse der betreffenden Drüsenzellen
setze ich wohl als bekannt voraus, um nicht weiter bei ihnen ver-
weilen zu müssen. N
Dass in den mukösen Drüsenepithelien und den Becherzellen ein
Teil der Zellsubstanz in Form eines Gerüstwerkes angeordnet ist, wer
wollte dies nach unsern heutigen Erfahrungen bezweifeln? Heiden-
hain’s, Klein’s, Schiefferdeceker’s und zum Teil auch meine
bescheidenen Arbeiten haben in den in Rede stehenden Gebilden
Bauverhältnisse kennen gelehrt, denen zufolge ein Teil der Zellsub-
stanz, die Filarmasse, in der Drüsenzelle in Form eines aus homogen
erscheinenden Strängen bestehenden Maschenwerkes angeordnet ist,
während der größte Teil der Zellsubstanz, die Interfilarmasse,
zwischen den Maschen zu liegen kommt.
Die Filarmasse erscheint nun bei allen Schleim sezernierenden
Gebilden (Zellen der echten Schleimdrüsen, Becherzellen und einzelligen
List, Strukturen von Drüsenzellen. 593
Drüsen der Mollusken) aus im frischen Zustande homogenen und
stärker das Licht breehenden dünnen Strängen gebildet, welche sich
zu einem aus mehr rundlichen oder polygonalen Maschen bestehenden
Gerüstwerke zusammensetzen.
Die einzelnen die Maschen bildenden Stränge zeigen verschiedene
Länge und auch Dicke und bilden an den Maschenecken gewöhnlich
knotige Anschwellungen, von welchen nach allen Richtungen des
Raumes Stränge abgehen. Die Stränge selbst sind häufig grade, ge-
bogen, oder auch geknickt. Auf diese Weise wird ein Gerüstwerk
gebildet, welches sich aus den mannigfachsten Polyedern zusammen-
setzt, und welches die ganze innere Fläche der Drüsenzellenmembran
umstrickt.
Wenn sieh nun diese Anordnung der Filarmasse bei allen aus-
gebildeten Schleim sezernierenden Drüsenzellen konstatieren lässt, so
finden sich doch, abgesehen von den Formverhältnissen, typische Unter-
schiede vor.
Während man in den Becherzellen sehr häufig am Grunde der
Theca eine dichte Ansammlung von Filarmasse findet, so zwar, dass
die einzelnen Stränge, dicht beisammen liegend, sich nach oben hin
mit einer Ausbauchung abgrenzen und sich rings an der Theeawand
emporziehen, gelang es mir nicht, in den Zellen der echten Schleim-
drüsen dies Verhältnis zu beobachten.
Auch die großen einzelligen, Schleim sezernierenden Drüsen der
Mollusken (im Fuß von Tethys z. B.) zeigen, was Anordnung der
Filarmasse betrifft, analoge Verhältnisse wie die Becherzellen.
Die Filarmasse erscheint als eine zähe, ziemlich konsistente Masse,
welche, namentlich nach Behandlung mit verschiedenen Härtungs-
mitteln, gewisse Farbstoffe, besonders Anilinfarben, wie Bismarckbraun,
salpetersaures Rosanilin ete. sehr begierig aufnimmt und in diesem
Sinne gewissermaßen als chromoleptische Substanz der Drüsenzelle be-
zeichnet werden kann.
Das ganze Gerüstwerk der Filarmasse ist als eine einzige zu-
sammenhängende, organische Masse zu betrachten.
Die Interfilarmasse, welche den weitaus größten Teil der Zell-
substanz bildet, erscheint als eine homogene zähflüssige Masse, in
welcher das Gerüstwerk der Filarmasse eingebettet ist.
Dieselbe nimmt Farbstoffe weit weniger begierig auf als die
Filarmasse und erleichtert infolgedessen das Studium der letztern an
tingierten Objekten bedeutend.
An tingierten Präparaten kann man häufig bemerken, dass die
Interfilarmasse in einzelnen Maschen dunkler gefärbt ist, ein Verhal-
ten, welches bei Becherzellen besonders in der Nähe des Kerns zu
beobachten ist. Dies weist offenbar darauf hin, dass sich in einzelnen
Teilen der Interfilarmasse: chemische Veränderungen vollziehen, die
uns zur Zeit noch völlig unbekannt sind.
VI. 38
594 List, Strukturen von Drüsenzellen.
Ein Verhältnis möchte ich noch besprechen und zwar das Ver-
halten des Kerns gegenüber der Filarmasse. Klein behauptete auf
grund seiner Untersuchungen (Magenepithelzellen von Triton, die er
für Becherzellen anspricht), dass die Filarmasse der Zelle (intercellular
network) in direkter Verbindung mit dem Reticulum des Kerns
(internuclear network) stünde.
Nach meinen Erfahrungen findet dies in keiner Drüsenzelle statt;
man kann häufig die Stränge der Filarmasse bis an den Nucleus
ziehen und daselbst mit einer Anschwellung enden sehen. Für die
Selbständigkeit des Maschenwerkes der Filarmasse in den Becher-
zellen habe ich schon früher einmal den Befund mitgeteilt, dass es
mir an Schnitten (Kloakenepithel von Plagiostomen) gelang, das Ge-
rüstwerk von Membran und Kern getrennt zu beobachten.
Was nun den Kern der Drüsenzelle betrifft, so ist schon die Lage
desselben für die Zelle selbst charakteristisch; er liegt sowohl bei
Becherzellen als auch den Zellen der Schleimdrüsen in der Regel am
Grunde der Membran entweder dicht an, oder derselben genähert.
An mit Stoma versehenen Zellen liegt er demselben gegenüber oder
ist etwas zur Seite gelagert. An den Becherzellen ist derselbe oft so
abgeplattet, dass er an Isolationspräparaten als eine glänzende, halb-
mondförmige Masse erscheint, eine Form, welche allerdings auch-
manchmal in den Schleimdrüsenzellen beobachtet werden kann.
Auch ein Retieulum kann man in dem Nucleus bemerken, welches
allerdings in den oft sehr abgeplatteten Kernformen der Becherzellen,
namentlich an Isolationspräparaten, sehr undeutlich zu sehen ist. Es
ist mir nicht unwahrscheinlich, dass mit forschreitender Sekretion in
dem Kerne sich wesentliche Veränderungen vollziehen, welche viel-
leicht als Degenerationsprozesse zu deuten sind.
Ich habe bis nun Bauverhältnisse von Drüsenzellen besprochen,
welche man in der ausgebildeten und bereits in Funktion stehenden
Zelle beobachten kann.
Etwas anders verhält es sich mit noch unentwickelten und noch
nicht fanktionierenden Zellen.
Geschichtete Pflasterepithelien, ir, welchen Becherzellen vorkommen,
sind höchst geeignete Objekte, um über dies Verhältnis einigermaßen
zur Klarheit zu kommen. In vielen in den tiefsten Schichten gelegenen
Becherzellen kann man nun häufig an gut tingierten Präparaten kein
so ausgebildetes Gerüstwerk beobachten, wie an den bereits an die
Oberfläche gerückten.
Viele Maschen erscheinen in solchen Zellen nicht geschlossen,
und an der innern Oberfläche der Theca bemerkt man knotige Ver-
diekungen, die Ansatzpunkte der sich erst zu bildenden Stränge der
Filarmasse. Je höher die Becherzelle hinaufrückt und sich der Ober-
fläche nähert, desto ausgebildeter wird das Maschenwerk, um vor
Auftritt des Stomas den Höhepunkt in der Ausbildung zu erreichen.
List, Strukturen von Drüsenzellen. 595
Eigentümlicherweise gibt es aber auch Becherzellen, welche
sezernieren, ohne die beschriebenen Bauverhältnisse zu zeigen. In
der Oberhaut von Forellenembryonen kommen Becherzellen vor, welche
zeitlebens kein ausgebildetes Gerüstwerk der Filarmasse besitzen,
sondern einen eigentümlich granulierten Inhalt führen. Diese Becher-
zellen befinden sich konstant in einem Entwicklungsstadium, wie
man dasselbe bei den in den tiefsten Schichten von Pflasterepithelien
vorfindlichen Zellen finden kann.
Nach Besprechung der allgemeinen Bauverhältnisse der in Rede
stehenden Drüsenzellen möge es mir gestattet sein, zu erörtern, welche
von den beiden Substanzen in der Drüsenzelle das Hauptagens beim
Sekretionsprozesse ist.
Schon vor einiger Zeit habe ich die Beobachtung mitgeteilt, dass
man in der lebenden Becherzelle eine eigentümliche aber äußerst
schwierig zu verfolgende Bewegung der Filarmasse bemerken kann;
die einzelnen Knotenpunkte des Gerüstwerkes scheinen sich langsam
zu nähern und dann wieder zu entfernen. Dies kann man bereits in
geschlossenen, also noch nicht zur Funktion gekommenen Becherzellen
beobachten.
Nun war es Rindfleisch, welcher vor Jahren die Hypothese
aufstellte, dass man die Bewegungsvorgänge der lebenden Substanz
in der Zelle zurückführen könne auf Funktionen geänderter Adhäsion
zwischen den beiden chemisch differenten Substanzen. Ich muss ge-
stehen, dass mir diese Ansicht für die Drüsenzellen äußerst plausibel
erscheint. Dass man die Bewegungen der Filarmasse beobachten kann,
wäre dann auf das Uebermaß der vorhandenen Interfilarmasse zurück-
zuführen, und die Attraktionszentren wären in den Knotenpunkten des
Gerüstwerkes der Filarmasse gelegen. Thatsächlich kann es demnach
in der Drüsenzelle auch kein Ruhestadium geben, wie auch jüngst
Merk mit Recht betont hat.
So dunkel uns noch diese Vorgänge in der Drüsenzelle sind, einen
Schritt, glaube ich, sind wir doch näher gerückt bei Beurteilung der
beiden Substanzen, wenn wir die Mechanik des Sekretionsprozesses
ins Auge fassen.
Ich muss hier wieder bei den Becherzellen anknüpfen, an ein
Objekt, welches geeignet ist, über manche Fragen in der Biologie
der Drüsenzelle Bescheid zu geben und bisher leider viel zu wenig
gewürdigt worden ist.
Betrachten wir eine geöffnete und in Sekretion gestandene Becher-
zelle an einem mit Chromsäure fixierten und sodann tingierten Objekte,
so sieht man gewöhnlich über dem Stoma einen Pfropf, das ausge-
stossene Sekret, der sehr verschiedene Größe zeigt und häufig die
umliegenden Epithelzellen bedeckt. Das Innere der Theea erscheint
in der Weise verändert, dass die Stränge der Filarmasse gegen das
Stoma zu konvergieren, während die queren Verbindungsstränge zum
3a
596 Rosenthal, Leitungsvermögen tierischer Gewebe.
großen Teile gerissen sind. Im Pfropfe selbst kann man nun die
ausgestossenen und gezerrten Maschen der Filarmasse bemerken,
allein es überwiegt die Interfilarmasse bedeutender als in der Theca.
Ich nehme deshalb an, dass die Volumenzunahme der Interfilar-
masse das Hauptagens beim Sekretionsprozesse ist, während die Filar-
masse anscheinend eine mehr passive Rolle spielt.
Ein Verhältnis möchte ich noch erörtern und zwar das der Zell-
substanz zu den Sekretmassen. Wenn, wie es mir höchst wahrschein-
lich ist, die Becherzellen sich aus gewöhnlichen Epithelzellen hervor-
bilden, so sollte man in der gebildeten Becherzelle doch noch
ursprüngliche Zellsubstanz finden. Allein mir ist es nicht gelungen
einer solchen Becherzelle ansichtig zu werden. Was ich früher für
ursprüngliche Zellsubstanz zu halten geneigt war, hat sich als dichte
Ansammlung von Filarmasse herausgestellt. Es scheint demnach schon
in den frühesten Stadien eine vollständige Umwandlung der Zell-
substanz in Sekretmasse stattzufinden — in der ausgebildeten Drüsen-
zelle kann man nur mehr letztere finden.
Soweit unsere Erfahrungen reichen, finden sich ähnliche Bau-
verhältnisse wie bei den Schleim bereitenden Drüsenzellen auch in
andern Drüsen vor. So ist in den mukösen Speicheldrüsen und der
Parotis schon lange eine retikulierte Struktur beschrieben, ebenso wie
in den Speicheldrüsen verschiedener Insekten. Leider sind aber noch
viel zu wenig Objekte daraufhin untersucht, um Generalisierungen
aufzustellen, und es wird Sache künftiger Forschung sein, mit Hilfe
der modernen Technik, die uns bereits zu so wertvollen Entdeckungen
geführt, nachzuweisen, inwieweit die besprochenen Bauverhältnisse
für die verschiedensten Drüsenzellen Geltung besitzen.
Ueber das elektrische Leitungsvermögen tierischer Gewebe.
Von Prof. Dr. J. Rosenthal.
Die „Untersuchung des Leitungsvermögens tierischer Gewebe ge-
winnt ein bedeutendes physiologisches Interesse, wenn sich Unter-
schiede zwischen lebendem und totem Gewebe nachweisen lassen,
wie dies Joh. Ranke für den Muskel angibt, oder Unterschiede je
nach der Richtung des Stromes zu der Gewebestruktur, wie sie
L. Hermann beim Muskel auffand. In den Untersuchungen dieser
beiden Forscher stellte aber die Polarisation der exakten Wider-
standsbestimmung große Schwierigkeiten entgegen. Diese lassen
sich überwinden, wenn man über genügend empfindliche Gal-
vanoskope verfügt, so dass man bei Anwendung der Wheat-
stone’schen Brücke mit kurzdauernden und möglichst schwachen
Strömen arbeiten kann. Auf solche Art habe ich mit dem von
mir konstruierten sogenannten Mikrogalvanometer neue Versuche
Kny, Aufnahme tropfbar- flüssigen Wassers durch Pflanzen. 597
an Muskeln und Nerven angestellt und bin zu dem Schlusse ge-
kommen, dass die von meinen Vorgängern gefundenen Unterschiede
nicht existieren. Das Leitungsvermögen lebender und toter Muskeln
ist vollkommen gleich; wenn J. Ranke Unterschiede fand, so können
diese nur durch eine größere Polarisierbarkeit des lebenden Muskels
bedingt ein. Ebenso fand ich keine oder doch nur sehr geringe Un-
terschiede im Leitungsvermögen der Muskeln und Nerven in der Längs-
und Querrichtung. Schon Hermann hatte die von ihm gefundenen
Unterschiede auf eine größere Polarisierbarkeit der Muskeln in der
Querrichtung geschoben, und es kann daher nicht wundernehmen,
dass ich solehe Unterschiede nicht fand, da ich die Polarisation aus-
schloss. Ich muss jedoch bemerken, dass in meinen Versuchen auch
bei dauerndem Schluss des Stromes die Polarisation sowohl in der
Richtung der Muskelfaser, als auch in der darauf senkrechten Rich-
tung nur eine geringe war, was natürlich nicht ausschließt, dass bei
Anwendung stärkerer Ströme die Polarisation viel beträchtlicher aus-
fallen und den von Hermann beobachteten scheinbaren Unterschied
des Leitungsvermögens verursachen kann. Ich. will aber auf die
Frage der Polarisation hier nicht weiter eingehen, da über diesen
Gegenstand von anderer Seite neue Untersuchungen angekündigt wor-
den sind.
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin.
Sektion für Botanik.
2. Sitzung. Herr L. Kny (Berlin) spricht über die Anpassung der
Pflanzen gemäßigter Klimate an die Aufnahme tropfbar-flüs-
sigen Wassers durch oberirdische Organe. Nachdem durch den
Fundamentalversuch von Mariotte erwiesen war, dass gewisse landbewohnende
Blütenpflanzen befähigt sind, Wasser in tropfbar-flüssiger Form durch beblätterte
Sprosse aufzunehmen und den Verdunstungsverlust nicht benetzter, mit ihnen
in Verbindung stehender oberirdischer Teile desselben Stockes hierdurch bis
zu einem gewissen Maße zu decken, hat sich die Forschung einerseits bemüht,
die Mengen des aufgenommenen Wassers nach Gewicht und Volumen genauer
zu bestimmen; anderseits musste die Frage entstehen, ob und wieweit etwa
gewisse Pflanzen infolge der klimatischen Verhältnisse ihrer Heimat oder in-
folge eigeuartiger Lebensweise auf die Wasseraufnahme durch oberflächliche
Internodien oder Blätter angewiesen seien. Eine entschiedene Anpassung
an diese Form der Wasseraufnahme besteht nach den Untersuchungen von
Duchartre, Cailletet und A. F. W. Schimper bei den epiphytischen
Bromeliaceen, nach Wiesner bei Sarracenia, nach Volkens bei einer Anzahl
von Küchenpflanzen, nach E. Gregory bei mehrern durch Bekleidung mit
Filzhaaren ausgezeichneten Bewohnern des Kaps der guten Hoffnung und der
Mittelmeerländer. Auch bei einer größern Zahl von Pflanzen dieses Klimas
war von verschiedenen Seiten, in weitestgehender Weise von Lundström,
598 Kny, Aufnahme tropfbar-flüssigen Wassers durch Pflanzen.
auf Einrichtungen hingewiesen worden, welche in erster Linie der leichtern
Zufuhr, dem Festhalten und der Aufnahme von Regenwasser und Tau durch
oberirdische Organe dienen sollten. Bei gewissen Pflanzen, wie den Arten von
Dipsacus und Silphium, wird Regenwasser in Behältern gesammelt, welche
durch Vereinigung benachbarter Laubblätter desselben Knotens zu stande kom-
men; oder es wird solches zwischen den untersten Fiederblättchen (Hydro-
phyllum virginicum) oder zwischen Nebenblättern (Thalctrum simplex, Rabus
chamaemorus) festgehalten. In andern Fällen dienen Grübchen (untere Blatt-
seite von Vaccinium Vitis Idaea) der Ansammlung beziehungsweise Leitung
des Wassers. Ganz besonders groß ist nach Lundström die Rolle,
welche Haarbekleidungen in Form von Rändern und Büscheln in dieser Be-
ziehung spielen. Die Untersuchungen Lundström’s geben meist nicht
über die Deutung des anatomischen und morphologischen Befundes hinaus.
Die von ihm angestellten Versuche sind sehr gering an Zahl und entbehren
der Genauigkeit. Da es a priori nicht grade wahrscheinlich ist, dass so zahl-
reiche und weitgehende Anpassungen an die Aufnahme von Regenwasser durch
oberirdische Organe innerhalb einer Flora sich ausgebildet haben sollten, deren
Pflanzen durch ihr normal ausgebildetes Wassersystem der Regel nach Wasser
in genügender Menge zugeführt erhalten und, wie aus dem Mariotti’schen
Versuche und seinen Wiederholungen hervorgeht, zum großen Teile auch ohne
solche Einrichtungen befähigt sind, geringe Mengen von Regen und Tau durch
Internodien der Blätter aufzunehmen, nahm ich im letzten Sommer einige schon
in frühern Jahren begonnene Versuchsreihen wieder auf. Betreffs der Methode
muss wegen Beschränktheit des hier zur Verfügung stehenden Raumes auf die
an anderer Stelle demnächst erscheinende ausführlichere Veröffentlichung ver-
wiesen werden. Als Versuchspflanzen dienten: Stellaria media, Leonorus Üar-
diaca, Ballota nigra, Fraxinus excelsior, Fr. oxycarpa, Alchemilla vulgaris,
Trifolium repens, Silphlum ternatum, 8. perfoliatum, Dipsacus Follonum, D.
laciniatus. Als Resultat hat sich ergeben, dass unter den gewonnenen Arten
allein bei Dipsacus laciniatus und D. Fullonum von einer besondern Anpassung
der oberirdischen Organe an die Aufnahme tropfbar-flüssigen Wassers die Rede
sein kann. Von beiden Dipsacus-Arten tritt, soweit die durch das Material
bedingte geringe Zahl von Versuchen (im ganzen 7 mit je 4 Pflanzen) ein
Urteil gestattet, diese Anpassung deutlicher bei Dipsacus Fullonum als bei
D. laciniatus und bei beiden deutlicher an jungen, noch in Entwicklung der
Terminalknospe begriffenen als an erwachsenen, mit Blütenköpfen ausgestatteten
Pflanzen hervor. Das geringe Quantum des aus den Blatt-Trögen aufgenommenen
Wassers kommt zum kleinsten Teile den erwachsenen Blättern, weit mehr dem
obern Teile des Stengels und durch diesen den Blättern der Terminalknospe
und den Blütenköpfen zugute. Bei einem Teile der von ihm angestellten Ver-
suche hatte Vortragender sich der Unterstützung des Herrn Dr. Wieler zu er-
freuen. — Herr Johow (Bonn) teilt mit, dass er in West-Indien an Bignonia-
ceen und Capparideen wasseraufsaugende Triehome beobachtet habe;
er weist ferner auf die in Neu-Seeland epiphytisch lebenden Astelieen hin
und empfiehlt dieselben als Untersuchungsobjekte. — Herr Warming (Kopen-
hagen): könnte auch die Richtigkeit der Lundström’schen Untersuchungen
nicht bestätigen, soweit er Gelegenheit gehabt, sie nachzuuntersuchen. Er
habe zuerst die (von Lundström nicht erwähnten) Rhododendron lapponicum
und Cassiope tetragona experimentell untersucht, weil bei diesen, jedenfalls bei
derselben Art, Haare vorkommen, die mit denen der Bromeliaceen große Ueber-
einstimmung haben; das Resultat war absolut negativ, was Wasseraufnahme
a o
EERBET TE NEE.
EZ ee er
Kräpelin, Süßwasserbryozoen. 599
betrifft. Später habe er Alchemilla vulgaris genauer nachuntersucht, habe aber
die Angaben von Lundström unzuverlässig oder unbewiesen gefunden. Die
Form des Blattes könne natürlich nicht als eine Anpassung an Regen be-
trachtet werden, weil selbst bei submersen Wasserpflanzen etwas Aehnliches zu
finden ist. Die Haarbüschel, die unten die Spreite abschließen sollen, fehlen
sehr oft, z.B. unter 45 Pflanzen bei 16, welche ganz glatt waren. Die Drüsen-
haare sind sehr sparsam und können kaum die angegebene Bedeutung haben.
Dass das Sekret, welches Lundström erwähnt, von der Pflanze stammt, ist
nicht bewiesen und nicht wahrscheinlich; dass es hygroskopisch sei, ist auch
gar nicht bewiesen; durch das Anhauchen wird es wahrscheinlich ganz einfach
von dem verdichteten Wassergas aufgelöst. Dass das Sekret weiter als Schutz
gegen Transpiration dient, ist ebenso unbewiesen wie unwahrscheinlich. —
Herr Tschirch (Berlin) bemerkt, dass auch Dr. Wille zu andern Resultaten
als Lundström gekommen sei. Die Resultate werden demnächst publiziert. —
Herr Volkens (Berlin) glaubt behaupten zu können, dass Safthaare, solche,
die in allen ihren Zellen plasmaerfüllt sind, ganz im allgemeinen niemals der
Wasseraufnahme dienen. Absorptionshaare sind nach seinen Erfahrungen ana-
tomisch immer dadurch charakterisiert, dass sie in ihren Endgliedern Luft
führen oder durchaus solid sind, an ihrer Basis besondere, meist durch Dünn-
wandigkeit ausgezeichnete „Saugzellen* aufweisen.
Sektion für Zoologie.
1. Sitzung. Herr Kräpelin (Hamburg) spricht über die Phylogenie
und Ontogenie der Süßwasserbryozoen. Redner, der seit mehrern
Jahren die Bryozoenfauna Deutschlands zum Gegenstand seiner Studien ge-
macht, bespricht zunächst die Mannigfaltigkeit der Formen und deren phylo-
genetische Entwicklung. Er kommt zu dem Schlusse, dass die Ahnen der
heutigen Phylactolämen unter den Ötenostomen zu suchen sind, und zwar unter
Formen, die wie die jetzt lebenden Gattungen Arachnidium nnd Viectorella
kriechende Ausläufer mit knollenförmigen Verdickungen besessen haben. Aus
solchen entwickelten sich zunächst die Paludicellen (Pal. erecta Potts,
Pal. Ehrenbergii), deren Hibernacula oder Winterknospen wahrscheinlich mit
jenen knollenförmigen Anschwellungen der Wurzelfäden in Parallele zu stellen
sind. Die Hibernacula, welche sowohl an den auf der Unterlage kriechenden,
wie an den aufrechten Zweigen zur Entwicklung kommen, sind echte Knospen,
deren Embryo aus Entoderm und Ektoderm der Cystidwand gebildet wird; sie
entsprechen daher völlig den Statoblasten der Phylactolämen, und zwar zu-
nächst denen der F'redericella, welch letztere nicht mehr wie Paludicella Ehren-
bergiüi gegenwärtig verzweigt ist, sondern an Stelle des einen Seiten-
zweiges im Innern der Cystidröhre je einen schwimmringlosen, später
gleich den.Hibernacula am Orte seiner Entstehung mit zweiklappiger
Schale sich öffnenden Statoblasten entwickelt hat. Wie bei Paludicella
die Winterknospen in solche, die der Unterlage anhaften, und solche, die an
den aufreehten Röhren sitzen, unterschieden werden können, so sehen wir auch
die Statoblasten der Frredericella in sitzende, der kriechenden Cystidwand und
somit der Unterlage angeleimte und in freie, in den aufrechten Röhren steckende
sich differenzieren. Die Scheidewände der Fredericella sind wie die der Palu-
dicella wohl entwickelt, an Stelle der 16 Tentakel der letztern sind 24 ge-
600 Kräpelin, Süßwasserbryozoen.
treten, und diese sind, zur Vergrößerung der Fläche, nicht mehr im Kreise,
sondern in schwach ausgeschweiftem Hufeisen angeordnet. Die F'redericella
sultana ist daher nicht, wie Jullien neuerdings behauptethat, eine „monstruosite“
der Plumatella, sondern eine höchst wichtige Uebergangsform, welche allein
uns den Zusammenhang der übrigen Phylactolämen mit den Ctenostomen ver-
ständlich macht. Die weitere Entwicklung aus der Fredericella ist leicht zu
verfolgen und lässt sich lediglich auf größere oder geringere Festigkeit (scil.
Wassergehalt) des Chitins der Ektocyste wie auf Vermehrung der Tentakel-
zahl zurückführen. Letztere muss natürlich eine weitere Ausbildung des Lopho-
phors zur Folge haben. Es entstehen Formen mit 40, 50, ja 60 Tentakeln, die
nun weit besser für die Ernährung des Tieres sorgen können. Die Einzeltiere
werden größer, die Produktion von überschüssigem Material zur Nachkommen-
bildung wird gestattet. So entsteht in jedem Zweigabschnitt nicht, wie bei
Fredericella, nur ein Statoblast, sondern eine ganze Summe derselben, die nun
nicht mehr an Ort und Stelle zur Entwicklung gelangen können, sondern aus
den Röhren herausfallen und mittels eines Schwimmringes geeignete Stellen
zur Gründung einer neuen Kolonie aufsuchen. Daneben wird die Erhaltung der
Form an der einmal als günstig befundenen Oertlichkeit durch die schwimm-
ringlosen, basalen, sitzenden Statoblasten gewährleistet. Solchen Stadien
der Entwicklung entsprechen etwa die Plumatellen, die aber augenschein-
lich nach zwei verschiedenen Richtungen sich weiter differenzierten, ohne dass
es bis jetzt nach der einen Richtung zu scharfer Abgrenzung von Arten ge-
kommen wäre. Steigert sich nämlich die Festigkeit der chitinösen Ektoeyste,
so wird die Ausbildung vertikaler Cystidröhren in den Vordergrund treten;
aus den hirschgeweihartigen Plumatellen unserer Seerosenblätter werden die
Alcyonella-Formen, die aus gewaltigen Massen dicht aneinander gelagerter
vertikaler Oystidröhren auf kurzen, gedrungenen Kriecheystiden bestehen, und
bei welchen die Verschiedenheit von sitzenden und Schwimmringstatoblasten
ihre höchste Stufe erreicht hat (z. B. Alec. Benedeni auf Paludina vivipara).
Wird jedoch das Chitin der Ektoeyste wassereicher, flüssiger, so schwindet die
Möglichkeit vertikaler Cystide ; es entstehen jene hyalinen Kriechformen, die
neuerdings Jullien ungerechtfertigterweise als „Dyalonella* genetisch ab-
gegrenzt hat und die im weitern Verlauf zu den sogenannten Gallertformen,
den Lophopus, Peetinatellen und endlich den Cristatellen geführt haben.
Die sitzenden Statoblasten, welche an der weichen, leicht zersetzbaren Cystid-
wand keinen genügenden Halt mehr fanden, sind verschwunden; dagegen wurde
die Behauptung der einmal okkupierten Lokalität durch Hinzufügung von Ankern
(Dornen) an die Schwimmringstatoblasten gewährleistet. Mit dieser Weiter-
entwicklung ist abermals eine Vergrößerung der Individuen, der Tentakelzahl
(bis 100), der Statoblasten ete. Hand in Hand gegangen. -- Redner teilt sodann
noch kurz einige Resultate seiner ontogenetischen Untersuchungen mit.
In bezug auf die geschlechtliche Fortpflanzung ist hervorzuheben, dass die
Spermatozoen direkt aus membranlosen Spermatiden sich entwickeln,
die sich als gewöhnliche Zellen des „Entoderms“ darstellen. Die Entwicklung
des Spermakopfes aus dem Kern der Spermatide wurde auf das bestimmteste
beobachtet. Beim Schluss der Entwicklung bleibt ein „Restkörper* übrig. —
Die Eier, ebenfalls Derivate der „Entodermzellen“, aber nicht des Funieulus,
sondern der Cystidwand, sind von einem „Entodermepithel* überkleidet und
bilden so als Hauf ein Ovarium einfachster Art. Sie gelangen nicht in die
Leibeshöhle, sondern werden im Ovarium befruchtet. Die Annahme Meczni-
koff’s und Nitsche’s von der Aufnahme des Eies durch eine Polypidknospe
EBEN TER
ee
Kräpelin, Süßwasserbryozoen. 601
ist unrichtig. Das befruchtete Ei wird vielmehr nur vom stark wuchernden
Eierstockepithel umkleidet. Die Furchung scheint zunächst eine Summe gleich-
artiger Zellen zu liefern; bald aber differenzieren sich diese in zwei Gruppen,
deren eine allein den künftigen Embryo liefert, während die andere der Wan-
dung der maternalen Embryonalhülle sich anlagert und allmählich rückgebildet
wird. Der zum Embryo sich entwickelnde Zellhauf bildet zunächst eine ein-
schichtige Blastula mit weiter Zentralhöhle. Durch eine noch nicht ganz klar
erkannte Form von Embolie wird sie zweischichtig, so dass der Embryo nun-
mehr eine durch eine Art Placenta mit der mütterlichen Embryonalhülle ver-
bundene „Gastrula“ mit weiter Höhlung darstellt. Diese so gebildete „Gastral-
höhle“ ist die spätere Leibeshöhle, seine Schichten sind das „Ektoderm“ und
„Entoderm* des „Cystids“. Durch Einstülpung am vordern Pol entstehen dann
in derselben Weise die Polypide, wie am erwachsenen Cystid. Das „Ektoderm“
wird hierbei, wie schon Nitsche beobachtete, zum Darmepithel, aus dem sich
durch Abspaltung das Ganglion bildet. Der Darmkanal ist in seiner ganzen
Länge eine einfache Einstülpung der Cystidwand und somit dem
Munddarm der Cölenteraten an die Seite zu stellen. Sein Durchbruch
in die Tentakelscheide (d. h. eigentlich in sich selbst zurück) wird durch Auf-
wärtskrümmung vorbereitet, mit welcher die Bildung dreier dorsaler Ein-
stülpungen in den Hohlraum der zweischichtigen Polypidknospe parallel geht,
von denen zwei seitliche den Lophophor erzeugen, während eine mediane eben
jene Knickung des Enddarms gegen den Oesophagus darstellt. — Die Auf-
fassung der Leibeshöhle als Archenteron, des Darmepithels als Ektoderm
erscheint so lange unanfechtbar, als man das Hypoblast der zweischichtigen
Gastrula lediglich als Homologon des Entoderms anspricht. Weit klarer
aber und den Entwicklungsformen der höhern Tiere sich anschließend erscheinen
die Verhältnisse, wenn man die Zellen des Hypoblast als eine der Entoderm-
anlage voraufgehende Mesodermbildung auffasst. Alsdann wäre das ver-
meintliche Archenteron ein Enterocöl gleich dem der höhern Tiere, das
Darmepithel der Polypidknospe hingegen echtes durch Gastrulation entstandenes
Entoderm. Die Theorie von der Doppelnatur des Bryozoenkörpers (Cystid,
Polypid) wäre alsdann endgiltig widerlegt; gleichzeitig würden sich die Bryozoen
mit ihrem in sich selbst zurückkehrenden Darm als ein willkommenes Binde-
glied zwischen Cölenteraten und Enterocölien darstellen. —- Der flimmernde
Embryo verlässt die Leibeshöhle durch die Mündung des benachbarten in-
zwischen abgestorbenen Polypids durch einen „Prolapsus uteri“. — Die Ent-
wicklung der Statoblasten verläuft im wesentlichen so, wie Nitsche sie
geschildert. Hervorzuheben nur ist, dass auch sie aus den beiden Schichten
des Funieulus (und somit indirekt der Leibeswandung) angelegt werden, und
dass ein Teil des hierzu verwandten „Ektoderm“ die Chitinschale, ein anderer
direkt die äußere Schicht der Leibeswand der Statoblastenembryonen bildet,
in welehem dann die Knospung der Polypide ganz ähnlich wie beim erwach-
senen Stock verläuft. Die Entwicklung der sitzenden Statoblasten ist derjenigen
der Schwimmringstatoblasten völlig konform, unter rudimentärer Ausbildung
des Schwimmringes und Anlegung der Bildungsschicht der Schale an die Endo-
cyste der Cystidwand, worauf auch diese den Statoblasten festleimende Chitin-
massen ausscheidet. — Schließlich bittet der Vortragende um Zusendung von
Material, um die geographische Verbreitung der Formen und die so schwierige
Frage nach der Begrenzung der Arten weiter verfolgen zu können. — Herr
Hatschek (Prag) erwähnt, dass er durch neuere Beobachtungen in der An
sicht bestärkt ist, dass die Bryozoenknospe nicht an beliebiger Stelle entstehen
602 Albrecht, Brustbeinhandgriff der Brüllaffen.
könne, sondern nur dort, wo embryonales Material zurückgeblieben ist, dessen
Schichten in anderer Weise aufgefasst werden, als dies vom Herrn Vorredner
geschieht. — Herr Kräpelin (Hamburg) betont dagegen, dass die Bildung
der Muskellage erst später erfolge, und dass seine Präparate die Knospen-
bildung aus zwei durchaus von einander verschiedenen Zelllagen auf das deut-
lichste erkennen lassen.
Sektion für Anatomie.
5. Sitzung. Nach Schluss der Sitzung demonstriert Herr Albrecht (Ham-
burg) zunächst und zwar hauptsächlich an Präparaten des vergleichend - anato-
mischen Museums zu Berlin die im Laufe der phylogenetischen Ent-
wicklung entstandene angeborne, sei es partielle, sei es totale
Spalte desBrustbeinhandgriffes der Brüllaffen. Er glaubt, dass
die Sternoschisis praemanubrii bezw. manubrii dieser Tiere der
erste positive Beweis für die Anpassungs- und Vererbungs-
theorie Darwin’s ist.
Es gibt nämlich 1) Brüllaffen, welche ein ungespaltenes Manubrium sterni
wie alle übrigen Säugetiere besitzen, es gibt 2) Brüllaffen, welche zwar ein
gespaltenes Praemanubrium, aber ein noch ungespaltenes Postmanubrium!) auf-
weisen, und es gibt 3) Brüllaffen, bei denen bereits das ganze Manubrium in
ein rechtes und ein linkes Hemimanubrium gespalten vorliegt.
Der 2. Fall ist der bei den heutigeu Brüllaffen bei weitem am häufigsten
vorkommende Zustand, der 1. und 3. sind heutzutage selten. A. bezeichnet
daher den 2. Fall, also den der Praemanubrioschisis, als den derzeitig normalen
oder besser als den aktuellen Zustand des Manubrium sterni der Brüllaffen.
Da aber die Brüllaffen offenbar ursprünglich von Säugetieren abstammen, welche
ein ungespaltenes Manubrium besaßen, so bezeichnet A. denjenigen seltenen
Zustand, in welchem die Brüllaffen noch heutzutage ein ungespaltenes Manu-
brium aufweisen, als den atavistischen, hingegen denjenigen andern sel-
tenen Zustand, in welchem bereits heutzutage bei diesem oder jenem Exem-
plare ein total gespaltenes Manubrium sterni vorliegt, als epigonen Zustand
des Brustbeinhandgriffes der Brüllaffen. Die Sternoschisis praemanubrii und
die Sternoschisis manubrii der Brüllaffen kann nur in der Weise erklärt wer-
den, dass durch die bereits in der ca. 7. Embryonalwoche dieser Tiere vor-
liegende kolossale Entwicklung ihres Zungenbeinkörpers und Schildknorpels
deren Hemipraemanubrien resp. Hemimanubrien sich nicht zu dieser Zeit des
Embryonallebens in der Mittellinie vereinigen konnten. Eine solche Ver-
größerung des Brüllapparates kann aber nicht durch die Embryonen selbst
erworben, sondern lediglich durch Vererbung von seiten ihrer Vorfahren, die
sich den kolossalen Brüllapparat im Laufe ihrer postembryonalen Entwick-
lung anbrüllten, auf sie übertragen sein. Die Sternoschisis praemanubrii resp.
1) Das Postmanubrium der Primaten ist nach A. ein diossischer Komplex,
bestehend aus der jederseitigen Copula zwischen der jederseitigen 1. und 2.
Rippe; das Praemanubrium hingegen ein oktossischer Komplex bestehend aus
dem jederseitigen Hemipostomosternum, der Copula 0, d.h. der Copula zwischen
dem ventralen Ende der 7. Halsrippe und dem der 1. Brustrippe, dem Praepara-
sternale und dem Parasternale.
ERETRR
LE
Albrecht, Morphologischer Wert der Wirbelgelenke. 603
manubrii der hiermit behafteten Brüllaffen ist ein klassisches Beispiel für eine
— sit venia verbo — normale teratologische Spalte; es ist nämlich klar,
dass die normale Spalte des Brustbeinhandgriffes der Brüllaffen an demselben
morphologischen Orte liegt, wo bei den übrigen Säugetieren sich nur terato-
logisch die Sternoschisis manubrii vorfindet. Ferner ist die Spalte des Brust-
beinhandgriffes der Brüllaffen aus dem Grunde von großer Wichtigkeit, weil
wir hier im stande sind, den epigonen Zustand eines Skeletstückes bei einem
bestimmten Tiergenus mit beinahe absoluter Gewissheit vorauszusagen. Denn,
da die Brüllaffen offenbar von Säugetieren mit postembryonal ungespaltenem
Manubrium sterni abstammen, der aktuell häufigste Zustand ihres Manubriums
der der Sternoschisis praemanubrii ist, hin und wieder aber, sei es ein unge-
spaltenes Manubrium, sei es ein total gespaltenes Manubrium bei ihnen vor-
kommt, so ist es wohl sicher, dass durch die immer noch zunehmende Ver-
größerung des Brüllapparates in zukünftigen Zeiten eine Sternoschisis manu-
brii totalis bei den Brüllaffen zur Norm werden wird !).
Herr Albrecht (Hamburg) spricht ferner über den morphologi-
schen Wert der Wirbelgelenke. Nach A. gibt es zweierlei Arten von
Wirbelgelenken, nämlich 1) Axialgelenke, welche ventral von den Spinalnerven
und 2) Zygalgelenke, welche dorsal von den Spinalnerven liegen. Die Axial-
gelenke werden von den Wirbelkörpern, die Zygalgelenke von den Processus
obliqui gebildet.
Was zunächst die Axialgelenke anbetrifft, so ist ein jedes Axialgelenk
zusammengesetzt zu denken aus einem Zentralgelenk und aus einem jeder-
seitigen Zentroidalgelenk. Die Zentralgelenke werden gebildet von den Wir-
belzentren, die jederseitigen Zentroidalgelenke von den jederseitigen Zentroid-
stücken.
Zwischen fast allen Wirbeln sind die Axialgelenke syntektisch, das
heißt das eine Zentralgelenk bildet mit dem jederseitigen Zentroidalgelenk ein
einziges kontinuierliches Gelenk. Anders hingegen ist dies zwischen Epistro-
pheus und Atlas sowie zwischen Atlas und Oceipitale. Hier lösen sich die
Axialgelenke in je ihre ursprünglichen 5 Bestandteile auf.
Zwischen Epistropheus und Atlas nämlich geht das Zentralgelenk durch
Synostose des Epistropheuszentrum mit dem Atlaszentrum zu grunde, während
die Zentroidalgelenke unabhängig von einander weiter bestehen. Es sind dies
eben die ventral von dem 2. Halsnerven gelegenen, von den Superfieies arti-
eulares superiores des Epistropheus und den Superficies articulares inferiores
des Atlas gebildeten Gelenke.
Zwischen Atlas und Oceipitale verödet das Zentralgelenk, während die
Zentroidalgelenke die ventral von den ersten Halsnerven gelegenen, von den
Superficies articulares superiores des Atlas und den Kondylen des Hinter-
hauptes gebildeten Gelenke sind.
1) Die Einzelheiten der vorstehenden Untersuchung sind veröffentlicht in
P. Albrecht: Ueber die im Laufe der phylogenetischen Entwicklung ent-
standene, angeborne Spalte des Brustbeinhandgriffes der Brüllaffen. Sitzungs-
berichte der königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1885,
S. 337 u. ff. Wegen der morphologischen Konstituenten des Manubrium sterni
vergleiche auch P. Albrecht: Sur les &l&ments morphologiques du manu-
brium du sternum chez les mammiferes. Avec 19 gravures intercalees dans
le texte. Brüssel, Manceaux, 1884.
604 Albrecht, Abschnitte des Canalis Fallopiae.
Die Zygalgelenke beginnen beim Menschen zwischen dem Epistropheus
und dem 3. Halswirbel und enden zwischen dem 5. Sakralwirbel und 1. Steißwirbel.
Vor dem Epistropheus gibt es bei Säugetieren (mit Ausnahme einiger Ceta-
ceen, welche ein wahres dorsal vom Nervus cervicalis II gelegenes Zygal-
gelenk zwischen Epistropheus und Atlas besitzen) kein Zygalgelenk, hinter
dem 1. Steißwirbel beim Menschen (bei den meisten übrigen Säugetieren gehen
die Zygalgelenke erheblich weiter) ebenfalls keines. Alle Zygalgelenke ohne
Ausnahme aller Fische, Amphibien, Reptilien und Vögel sindinder Weise gerichtet,
dass durch das rechte und das linke Zygalgelenk gleicher Höhe gelegte Axen
sich ventralwärts schneiden. A. bezeichnet diese Richtung als katatrop.
Bei allen Säugetieren (mit Ausnahme der Cetaceen, die ebenfalls nur kata-
trope Zygalgelenke besitzen) kommt jedoch mehr oder weniger weit ausge-
dehnt in der Brustwirbelregion eine Strecke vor, in der die Gelenkfortsätze
derart gerichtet sind, dass durch sie gelegte Axen sich dorsalwärts schnei-
den. A. bezeichnet dieselben als anatrope Zygalgelenke.
A. sucht nun nachzuweisen, dass diese anatropen Gelenkfortsätze den
katatropen Gelenkfortsätzen nicht homolog sind, dass sie lediglich den
Säugetieren mit Ausnahme der Cetaceen zukommen und durch Anpassung er-
worbene ihnen eigentümliche Gebilde sind.
Als letzte Reste der katatropen Gelenkfortsätze in der anatropen Region
der Säugetierwirbelsäule spricht A. die in dieser Region mehr oder weniger
ausgedehnt noch vorkommenden, keine Gelenkflächen mehr tragenden Pro-
cessus mammillares an.
Die anatropen Gelenkfortsätze der Säugetiere sind also nicht den kata-
tropen Gelenkfortsätzen der Fische, Amphibien und Amnioten homolog. Sie sind,
nach A., Pseudozygalfortsätze, während die letztern Euzygalfortsätze sind.
Man muss daher nach A. die Zygalgelenke der Säugetiere (mit Ausnahme der
Cetaceen, welche nur Euzygalgelenke besitzen), in Eu- und Pseudozygalge-
lenke unterscheiden.
Herr Albrecht (Hamburg) spricht ferner über den morphologischen
Wert der einzelnen Abschnitte des Canalis Fallopiae der Säuge-
tiere. Zu diesem Zwecke macht A. zunächst darauf aufmerksam, dass es an
der Wirbelsäule der WirbeltierekeineForaminaintervertebralia
gibt. Die Spinalnerven jeder Seite verlassen den Wirbelkanal nicht, wie man
überall in-den Lehrbüchern findet, zwischen 2 Wirbeln, sondern sie durchbohren
den jederseitigen dorsalen Bogen d. h. die jederseitige Neurapophyse eines
Wirbels. Dies ist besonders gut an den Wirbeln von Fischen sowie an den
Brustwirbeln von Wiederkäuern zu sehen. Eine jede Neurapophyse entspringt
also mit einer vordern (kranialen) und hintern (kaudalen) Wurzel, welche
den austretenden Spinalnerven zwischen sich fassen. Und zwar durchbohrt
nach Albrecht bei den Anamnien der n., bei den Amnioten der n +
1. Spinalnerv die Neurapophyse des n. Wirbels.. Es kommt häufig in der
Reihe der Wirbeltiere, z. B. beim Menschen, vor, dass lediglich die vor-
dere Wurzel der Neurapophyse ossifiziert, die hintere dagegen chondroliga-
mentös bleibt. Dies ändert selbstredend an dem morphologischen Wert
dieses Gebildes als hinterer Wurzel der Neurapophyse nichts. Bei der Maze-
ration fault aber diese chondroligamentös gebliebene hintere Wurzel der Neura-
pophyse weg, und so ist der Aberglaube entstanden, die Spinalnerven hätten
einen intervertebralen Austritt aus dem Wirbelkanale. Da man nun in dieser
Weise glaubte, dass die Spinalnerven intervertebral den Wirbelkanal verlassen,
so schloss man hieraus, dass auch am Schädel die Spinalnerven oder Spinal-
Albrecht, Abschnitte des Canalis Fallopiae. 605
nervenkomplexen entsprechenden Gehirnnerven immer nur „zwischen 2 Knochen“
den Schädel, intervertebral oder interbranchial gelegen, verließen. An dieser
unglücklichen Ansicht kranken nach A. alle augenblicklich be-
stehenden Wirbeltheorien des Schädels. Nein; grade wie an der
Wirbelsäule die Spinalnerven so durchbohren auch am Schädel die Gehirnnerven
nach A. die Neurapophysen; ja der Schädel ist noch bedeutend konservativer
als die Wirbelsäule, indem weit seltener am Schädel als an der Wirbelsäule
Neurapophysenwurzeln ehondroligamentös bleiben und auf diese Weise weit
seltener ein interossischer Austritt der Gehirnnerven vorgetäuscht wird. Die
Art und Weise, wie der Nervus hypoglossus an einer oder mehrern Stellen
das Exoceipitale durchbohrt, hätte allein schon die Anatomen auf den intra-
ossischen Durchtritt der Gehirnnerven bringen müssen! —
Der Trigeminus tritt bei den nicht-mammalen Wirbeltieren, wie man sich
ausdrückt, entweder durch das Prooticum, oder er verlässt von dem Prooticum
kaudal begrenzt den Schädel. Dies kommt nach A. auf dasselbe heraus, denn
das letztere Verhalten ist ebenfalls wiederum nur ein scheinbares, der Nervus
trigeminus durchbohrt auch in diesem Falle in Wirklichkeit das Prooticum, mit
dem alleinigen Unterschied, dass die vordere Wurzel des Prooticum nicht mehr
zur Verknöcherung gelangt, sondern chondroligamentös geblieben ist. Für die
Säugetiere nahm man bisher an, dass die Spinallöcher des Trigeminus die
Fissura orbitalis superior, das Foramen rotundum und das Foramen ovale seien.
A. behauptet, dass dies Pseudospinallöcher sind; der wirkliche Austritt des
Nervus trigeminus liegt nach A. auch noch bei Säugetieren im Prooticum, nur
gelangt die vordere Wurzel des Prooticum bei vielen Säugetieren nicht mehr
zur Verknöcherung, sondern bleibt chondroligamentös. Verknöchert sie hin-
gegen, so stellt sie dasjenige Gebilde dar, das man als Vagina ossea nervi
trigemini bezeichnet hat. Dass die Fissura orbitalis superior, das Foramen
rotundum und ovale keine wirklichen Spinallöcher, sondern Pseudospinallöcher
sind, beweist A. dadurch, dass nach seiner Ansicht der große Keilbeinflügel
überhaupt kein Schädelknochen, sondern ein Gesichtsknochen, nämlich das
Ektopterygoid der Fische, und der ganze zwischen Dura mater einerseits, der
vorderen Fläche des Felsenbeins, der dorsalen Fläche des Alisphenoides und
der hinteren Kante des Orbitosphenoides andererseits gelegene Raum, d.h.
das Cavum Meckelii, ein extracranialer, in specie ein facialer Raum ist.
Dass der große Keilbeinflügel nicht von wirklichen Spinallöchern durchbohrt
wird, und ein dem spondylen Schädel fremdes Element ist, geht nach A. eben-
falls daraus hervor, dass er in der absteigenden Reihe der Säugetiere immer
einfacher wird, bis er schließlich eine von keinem Canale mehr durchbohrte
einfache Knochenplatte darstellt.
Was schließlich den Canalis Fallopiae anbetrifft, so teilt A. denselben in
2 Abschnitte, einen ersten oder den eishiatischen Abschnitt, welcher vom
Grunde des Meatus auditorius internus bis zum Hiatus reicht, einen 2. oder
den transhiatischen Abschnitt, der sich vom Hiatus bis zum Foramen stylo-
mastoides erstreckt. Der cishiatische Abschnitt ist nach A. das Foramen
spinale des Nervus facialis, während der transhiatische ein außerhalb des
Schädels liegender Raum ist, der lediglich in Anpassung an das dem Ge-
sichte angehörende Mittelohr sich von diesem abgesetzt hat. Während der
cishiatische Abschnitt des Canalis Fallopiae, also das Foramen spinale des
Nervus facialis, gewöhnlich vorne wie hinten knöchern begrenzt ist, kann da-
durch, dass die vordere Begrenzung nicht mehr zur Verknöcherung gelangt,
auch dieses Foramen spinale eine vordere chondroligamentöse Begrenzung er-
606 Albrecht, Vorderes Ende der Chorda dorsalis.
halten, das dann bei der Mazeration fortfällt. So erklärt sich die von A. ge
fundene Thatsache, dass am mazerierten Schädel der meisten Pinnipedier und
am mazerierten Schädel menschlicher Hemicephalen der cishiatische Abschnitt
des Canalis Fallopiae uns nicht als Tunnel, sondern als Rinne entgegentritt'!).
Herr Albrecht (Hamburg) spricht ferner über das vordere Ende
der Chorda dorsalis. Nach den bisherigen Anschauungen liegt das vordere
oder kraniale Ende der Chorda dorsalis am Dorsum sellae, nach A. hingegen
am eranialen Ende des spheno-ethmo-rhinoidalen Theiles der Schädelbasis.
Dies geht auf das Unumstößlichste aus der Figur 308 der 2. Auflage der
v. Kölliker’schen Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höhern
Tiere hervor. Die Hauptfrage, um welche es sich bei der Analyse dieser
vortrefflichen Figur handelt, ist folgende: v.Kölliker behauptet, ms sei der
Ort der primitiven, ch der Ort der definitiven Sattellehne; A. hingegen be-
hauptet, ms sei sowohl der Ort der primitiven wie der definitiven Sattellehne.
Dass ms auch der Ort der definitiven Sattellehne ist, beweist A. dadurch,
dass ms an derselben morphologischen Stelle liegt, wo noch beim Erwachsenen
die definitive Sattellehne sich befindet, nämlich zwischen Mittelhirn und
Zwischenhirn. Ist aber ms auch der Ort der definitiven Sattellehne, dann
ist die Strecke zwischen ms und ch in der Figur 308 der spheno-ethmo-
rhinoidale Abchnitt der Schädelbasis, und da in der Figur 308 die Chorda
bei ch am Ektoderme endet, so ist dieses ihr vorderes Ende eben am vor-
deren oder eranialen Ende des spheno - ethmo - rhinoidalen Abschnittes der
Schädelbasis gelegen. Was geht aber hieraus hervor? Dass Chorda
und Zentralnervensystem ursprünglich nicht nur bis an das
kaudale, sondern auch bis an das kraniale Ende der Wirbelsäule
reichen. Chorda und Zentralnervensystem reichen also ursprünglich von der
Spitze des Schwanzes bis zur Spitze des Nasenseptums!?) Und das alles lehrt
uns eine Analyse der von Kölliker’schen Figur 308!
Herr Albrecht (Hamburg) bringt schließlich den Nachweis, dass von
einem vordern und hintern Zwischenkiefer im Sinne Biondi’s
nicht dieRede seinkann. Biondi hat das Endognathion als hintern,
das Mesognathion als vordern Zwischenkiefer bezeichnet, A. hingegen das
Endognathion als vordern, das Mesognathion als hintern Zwischenkiefer ange-
sprochen). Ein Blick auf den Pferdeschädel, in welchem A. die 4 Zwischen-
kiefer fand, genügt, um dies zu beweisen. Das Endognathion ist in der Thas
der vordere, das Mesognathion der hintere Zwischenkiefer. Auch musste dies
so sein, da der vordere Zwischenkiefer von einem weiter kranialwärts liegenden
Nerven, dem Nervus ophthalmicus, der hintere Zwischenkiefer von einem wei-
ter kaudalwärts liegenden Nerven, dem Nervus supramaxillaris, versorgt wird.
4) Die vorstehenden Ansichten, mit Ausnahme derer über den Canalis
Fallopiae, sind veröffentlicht in: P. Albrecht, Sur les spondylocentres Epipitui-
taires du eräne, la non-existence de la poche de Rathke et la prösence de la
chorde dorsale et de spondylocentres dans le cartilage da la cloison du nez
des vertebres. Bruxelles, Manceaus, 1884.
2) In der genannten v. Kölliker’schen Figur bei ch gelegen.
3) Endognathion — Praeintermaxillare A.; Mesognathion — Postinter-
maxillare A. Siehe Compte rendu de la section d’anatomie du eongres inter-
nationale periodique des sciences m&dicales. Copenhagen, 1884, p. 64.
Gad, Bisher unbeachtete Eigenschaft des Lungengewebes. 607
Beide Nerven hält A. für wahre Spinalnerven bezw. Spinalnervenkomplexe,
nicht aber, wie Gegenbaur dies thut, den Nervus ophthalmieus für den Ramus
dorsalis des Nervus supramaxillaris.
Sektion für Physiologie.
2. Sitzung. Herr Biedermann (Prag) macht die angekündigte Mitteilung
zur Histologie und Physiologie der Schleimsekretion. Bei
Untersuchung im frischen Zustande besteht eine auffallende Aehnlichkeit
zwischen einzelnen Zellen der frisch untersuchten Nickhautdrüsen und solchen
der Zungendrüsen des Frosches. Beide Zellformen sind in einem gewissen
Entwicklungszustande durch eine dunkelkörnige Innenzone und einen hyalinen
Basalteil ausgezeichnet, und daher liegt die Annahme einer funktionellen
Gleichwertigkeit nahe. Unter dieser Voraussetzung waren auch gleichartige
morphologische Veränderungen bei lang anhaltender Thätigkeit zu erwarten.
Die direkte elektrische Reizung der ausgeschnittenen Nickhaut ergab in dieser
Beziehung keine ganz überzeugenden Resultate; dagegen gelang der Nachweis
einerseits durch Pilokarpinvergiftung, anderseits durch vergleichende Unter-
suchung anderer schleimbereitender Zellen im frischen Zustande in verschie-
denen Stadien der Thätigkeit. Es stellte sich dabei eine vollkommene Ueber
einstimmung der nur sehr allmählich sich entwickelnden morphologischen
Veränderungen der Zellen der Nickhaut und Zungendrüsen einerseits, der
Becherzellen und Epithelien der Zungenpapillen anderseits heraus. Immer
treten zunächst im Vorderteil der Zellen dunkle Körnchen auf, die später unter
mehr oder weniger reichlicher Bildung durchsichtiger vakuolenähnlicher Tropfen
und deutlicher Quellungserscheinungen in Mucin umgewandelt werden. Aktive
Gestaltsveränderungen der Zellen sind niemals nachweisbar. Die erwähnte
Vakuolenbildung wird durch Einwirkung von Pilokarpin (sowohl vom Blute
aus, wie auch bei direkter Einwirkung auf ausgeschnittene überlebende Organe)
enorm gesteigert, wie sich besonders schön an dem Epithel der Zungenpapillen
des Frosches zeigen lässt. — Herr Heidenhain bemerkt hierzu, dass Herr
Biedermann in der Auffassung der die Zellen erfüllenden Tropfen ohne
Zweifel recht habe. Man könne solche Schleimtropfen in dem entleerten Sekret
der Submaxillaris in großer Menge antreffen, wenn man zuerst lange den Sym-
pathieus und dann die Chorda reizt. Unter dem Einfluss des Sympathicus
werde im Sekret Sehleim in Tropfen gebildet, die durch den Erguss reich-
licher wässeriger Flüssigkeit bei der Chordareizung auseinander gespült und
dadurch sichtbar werden. Ist eine geringe Menge wässerigen Chordasekrets
abgeflossen, so verschwinden jene Schleimtropfen, weil der Schleim mit dem
Wasser sich gleichmäßig mischt. — Herr Knoll erwähnt, dass er die von
Biedermann beschriebenen Vakuolen auch in den Blutkörperchen von nicht
vergifteten Fröschen und in farblosen Rundzellen des menschlichen Harn-
sediments beobachtet hat.
Herr Gad spricht über eine bisher unbeachtete Eigenschaft des
Lungengewebes. Wenn man die Lunge frisch getöteter Tiere so in einen
von festen Wänden abgegrenzten Raum hängt, dass die Alveolenluft durch
die Trachea mit einem Druckschreiber, der Luftraum zwischen Lunge und
Wand mit einem Volumenschreiber in Verbindung steht, nachdem vorher die
Lunge mit Kohlensäure ausgewaschen war, so kann man die Druckänderungen,
608 Kirchner und Blochmann, Mikroskopische Pflanzen- und Tierwelt.
welche die allmähliche Herstellung der Atelektase begleiten, verfolgen. Um
die Absorption der CO, zu beschleunigen, gibt man in den Raum, in dem die
Lunge hängt, einige angefeuchtete Stücke kaustischen Kalis. Der negative
Druck, der zu beobachten ist, so lange noch das Volumen der Lunge abnimmt,
mag mit Wahrscheinlichkeit auf einen elastischen Widerstand bezogen werden,
den die Alveolenwände der Verkleinerung der Alveolen über den Zustand bei
Herausnahme aus dem Thorax hinaus entgegensetzen. Die negativen Druck-
werte, die bei fortgesetzter Verkleinerung des Lungenvolums beobachtet wer-
den, sind (absolut genommen) nicht kleiner als die Werte, die bei demselben
Tier der Donders’sche Druck zeigte. Der Versuch gibt dasselbe Resultat
wie an der ganz frisch herausgenommenen Lunge, auch einen Tag später, wenn
etwaige Todesstarre sich gelöst haben möchte.
O.Kirchner und F. Blochmann, Die mikroskopische Pflanzen-
und Tierwelt des Süßwassers. Teil II: Blochmann, Die
mikroskopische Tierwelt.
Mit 7 Tafeln. Braunschweig, Gebr. Häring. 1886.
Weil das Werk zu weitläufig geworden wäre, wenn Verfasser die ganze
mikroskopische Tierwelt des Süßwassers systematisch bearbeitet hätte, so hat
er sich auf die Protozoen und Rotatorien beschränkt als diejenigen Abteilungen,
welche den größten Teil der mikroskopischen Süßwassertiere umfassen. Es
ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die noch fehlenden Abteilungen, beson-
ders die Entomostraken, in einem Sonderheft behandelt werden.
Wie in dem botanischen Teil des Gesamtwerkes nichts Neues geboten
wird, so geschieht dies auch hier nicht. Das aber soll auch eben nicht sein.
Zweck des Buches ist, zum „eingehenden Studium der mikroskopischen Fauna
unserer Süßwässer anzuregen“, und diesen Zweck wird es voll und ganz er-
füllen. Mit eingehender Sachkenntnis behandelt und in trefflich übersichtlicher
Form gehalten bringt es neben systematischer Aufzählung und Bestimmungs-
schlüsseln einleitende allgemeine Abschnitte über Bau uud Entwicklung der
besprochenen Tiere und ermöglicht somit dem Anfänger oder Liebhaber, welcher
das Buch benützt, auch einen gewissen Grad zoologisch - wissenschaftlicher
Kenntnis zu erwerben. Die Abbildungen, dicht gedrängt auf 7 Tafeln (in
Quart) gegeben, sind vorzüglich — dieselben wurden hergestellt in der
lithographischen Anstalt von Werner und Winter in Frankfurt a. M. Wenn
auch manche Einzeldinge daran etwas schärfer auf der Abbildung hervor-
gehoben sind, als man dieselben meist in Wirklichkeit beobachten kann, so
wird dies zur Erleichterung des Verständnisses nur vorteilhaft sein. Wir
wissen nicht, ob diese Art der Zeichnung mit Absicht geschah. Auch dem
ältern Naturwissenschaftler wird das Werk als Nachschlagebuch nützlich
sein können, und nicht minder als Unterrichtsmittel. iin.
Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün-
schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an-
zugeben.
Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man
an die „Redaktion, Erlangen, phy siologisches Institut“ ZU richten.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
Bioloegisches Gentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
94 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
v1. Band. 15. Dezember 1886. Nr. 20.
Inhalt: Barfurth, Experimentelle Untersuchungen über die Verwandlung der Frosch-
larven. — Tafani, Beziehungen zwischen Mutter und Fötus. — Knoll, Ueber
die Druckschwankungen in der Cerebrospinalflüssigkeit und die wechselnde
Blutfülle des zentralen Nervensystems. — Pasteur, Ueber die Prophylaxe
der Tollwut. — Fol, Bacillus der Hundwut. — Aus den Verhandlungen
gelehrter Gesellschaften: 59. Versammlung deutscher Naturforscher und
Aerzte zu Berlin.
Experimentelle Untersuchungen über die Verwandlung der
Froschlarven.
Von Dr. phil. et med. D. Barfurth,
Privatdozent und Assistent am anatomischen Institut in Bonn.
Vortrag, gehalten in der anat. Sektion der 59. Versammlung deutscher Natur-
forscher und Aerzte zu Berlin.
Im Sommer 1885 hatte ich eine Anzahl kräftiger Quappen der
Rana fusca in einem Zylinderglase isoliert und zum Zwecke von
Glykogenstudien längere Zeit hungern lassen. Nach einiger Zeit
waren bei den meisten Quappen die Hinterbeine und bald darauf bei
allen auch die Vorderglieder entwickelt, während gleich große Ge-
nossen, die in einem andern Behälter gefüttert wurden, wie mir schien,
in der Entwicklung weniger weit vorgeschritten waren.
Da ein erheblicher Temperaturunterschied des Wassers in beiden
Gefäßen nicht vorausgesetzt werden konnte, so lag hier ein physio-
logisches Paradoxon vor, welches ich durch sorgfältiger anzustellende
Versuche aufzuklären unternahm.
Als Versuchstiere dienten fast ausschließlich die Quappen des
braunen Grasfrosches; nur einigemal habe ich auch die von Bufo
vulgaris und von Rana esculenta verwandt.
Als Behälter für die Tiere benutzte ich Glaskufen, oder weit
häufiger den außerordentlich zweckmäßigen von la Valette’schen
Fischbrutapparat.
VI, 39
610 Barfurth, Verwandlung der Froschlarven.
Derselbe ist deshalb so bequem, weil sich der siebartige Einsatz
aus dem Untersatz herausnehmen und in einen andern mit frischem,
durchwärmtem Wasser gefüllten wieder einsetzen lässt; auf diese
Weise kann man einen Wasserwechsel bewerkstelligen, ohne dass ein
Temperaturwechsel stattfindet.
Zur Herstellung einer möglichst gleichen Temperatur, auf die bei
diesen Versuchen alles ankommt, habe ich besondere Einrichtungen
getroffen, auf die ich hier nicht eingehe; die Temperatur des Wassers
in den Gefäßen wurde morgens und sehr oft abends mit einem in
Fünzigstelgrade eingeteilten Thermometer gemessen.
Bei diesen vergleichenden Zuchtversuchen war es ferner ein Haupt-
erfordernis, Tiere von gleicher Entwicklung zu verwenden. Das sicherste
Merkmal dafür liefert nicht die Größe, sondern die mehr oder weniger
fortgeschrittene Entwicklung der Hintergliedmaßen.
Ich habe die Tiere einzeln mit einer Glasröhre herausgehebert,
genau gleichmäßig verteilt und durch das Los entschieden, welche
Abteilung z. B. zum Hungern und welche zur Fütterung bestimmt sein
sollte. Zur Fütterung wurde Froschfleisch verwandt.
Die Ergebnisse der Versuche waren folgende:
1) Die schon bekannte Thatsache, dass niedrige Temperatur die
Verwandlung verlangsamt, wurde durch einen einzigen Versuch er-
härtet. 150 R. fusca wurden in 3 Partien geteilt; von zwei bei ca.
20°C. gehaltenen Partien war nach 14 Tagen die Mehrzahl der Tiere
verwandelt, von der dritten bei ea. 13° gehaltenen hatte kein einziges
Tier auch nur die Hinterfüße entwickelt.
2) Die Pflüger’sche Beobachtung, dass die Verwandlung ver-
zögert wird, wenn die Tiere durch mechanische Erschütterungen be-
unruhigt werden, dass also Ruhe die Verwandlung begünstigt, wurde
ebenfalls durch einen Versuch bestätigt. Von 36 R. fusca wurde eine
Hälfte in Zylindergläsern isoliert und mit diesen Gläsern in die
größern Behälter gesetzt, in denen die übrigen Tiere vereinigt lebten.
Von den isolierten Tieren waren nach 6 Tagen 17, von den vereinig-
ten nur 10 verwandelt.
3) Die eingangs mitgeteilte Beobachtung wurde durch 12 Ver-
suche dahin bestätigt, dass die letzten Stadien der Verwand-
lung durch Hunger in der That abgekürzt wurden. Diese
Versuche lehrten folgendes.
Sind die Versuchstiere zwar groß und kräftig, aber noch ohne
Spur von Hintergliedmaßen, so sind in den ersten 3 Tagen nach
Beginn der Verwandlung die Hungertiere, nachher die gefütterten im
Vorteil.
Dr
Barfurth, Verwandlung der Froschlarven. 611
Am Ende des 3 Tages:
Hunger Futter
14 6
Am Ende des Versuchs:
Hunger Futter
53 76
2 Versuche mit 360 Tieren
Sind bei den eingesetzten Versuchstieren die Füße und Unter-
schenkel der Hinterglieder vorhanden, so haben in den drei ersten
Tagen die Hungertiere einen Vorsprung, am Ende des Versuchs steht
die Partie gleich.
Verwandelt am 3. Tage:
Hunger Futter
9 3
2 Versuche mit 154 Tieren
Am Ende des Versuchs:
Hunger Futter
sl 31
Sind bei den Versuchstieren die Hinterglieder vollständig vor-
handen, so haben die Hungertiere vor den gefütterten nicht nur wäh-
rend der ersten Tage, sondern während des ganzen Versuchs den
Vorteil schnellerer Verwandlung.
Verwandelt am 3. Tage:
Hunger Futter
56 4
8 Versuche mit 482 Tieren
Am Ende des Versuchs:
Hunger Futter
119 79
4) Abschneiden des Schwanzes bleibt ohne Einfluss auf die Ver-
wandlung, oder verlangsamt sie. In zwei mit Hunger- und Futter-
tieren angestellten Versuchen blieb die Zahl der Verwandelten bei den
Unverletzten gleich der bei den Verstümmelten, denen die Hälfte des
Schwanzes weggeschnitten war. Bei einem dritten Versuch waren
die Unverletzten im Vorteil. Merkwürdigerweise aber regenerierten
sämtliche Tiere den Schwanz, falls sie nicht schon am 1. oder
2. Tage verwandelt waren. Es ist dies ein Analogon zu den vergeb-
lichen Versuchen, durch welche man künstliche Verstümmelungen zu
vererben gesucht hat. Da diese Verstümmelung nicht einmal die Ent-
wicklung des Individivums beeinflusst, kann sie auch auf die Art
keine Einwirkung haben.
Unter den verwandelten Tieren wurde stets eine große Zahl von
solehen gefunden, bei denen nur das rechte oder das linke Vorder-
39>
612 Barfurth, Verwandlung der Froschlarven.
bein entwickelt oder vielmehr durchgebrochen war, während z. B.
Kollmann bei Pelodates fuscus nie eine dreibeinige Larve beobachtet
hat. Merkwürdigerweise überwiegen bei R. fusca und wahrscheinlich
auch bei R. esculenta die Rechtser ganz außerordentlich. Ich habe
von den letzten Versuchen in diesem Sommer 81 Rechtser und nur
19 Linkser gesammelt, also 4:1.
Nach dem Ergebnis der Versuche über den Einfluss des Hungers
glaubte ich zuerst, dass hierbei eine Auslese nach dem Prinzip der
natürlichen Züchtung geschähe; weitere Beobachtungen, namentlich
die anatomische Untersuchung aber haben mich zu einer andern,
einfachern Lösung des hier vorliegenden physiologischen Rätsels ge-
führt. Diese Lösung liegt darin, dass bei den Hungertieren
die Vorderglieder deshalb schneller zum Vorschein ge-
langen, weil der sie bedeckende Hautlappen der Kiemen-
höhle beim Hungern schneller resorbiert wird, als beim
Füttern. (Bekanntlich liegen die Vorderbeine längst fertig gebildet
unter der Haut, bevor man außen eine Spur von ihnen sieht.)
Für diese Erklärung spricht 1) die allgemein physiologische Er-
wägung, dass bei den Hungertieren in den letzten Stadien der Meta-
morphose alle überflüssigen Teile: Kiemen, gewisse Teile des Darmes,
Schwanz, Haut über den Kiemenhöhlen u. s. w. schneller resorbiert
werden müssen, als bei den gefütterten. 2) Die Thatsache, dass bei
den Hungertieren verhältnismäßig noch viel mehr Rechtser vorkommen,
als bei den gefütterten, denn auch von den Kiemen geben frühere
Autoren, z. B. Leydig an, dass dieselben rechts früher resorbiert
werden, als links. 3) Die anatomische Beobachtung, dass bei Hunger-
tieren die Haut über den Vordergliedern dünner ist, als bei gefütterten
desselben Stadiums.
Das Ergebnis meiner Versuche wird in eigentümlicher Weise be-
leuchtet durch die weitere Beobachtung, dass auch die gefütterten
Tiere während der Verwandlung weniger fressen, als vorher, wie
denn auch Marie von Chauvin von den Urodelen angibt, dass sie
während der Metamorphose normaler Weise fasten. Ich habe also
durch meine Versuche den natürlichen Vorgang nur gesteigert und
dadurch seinen tiefern Grund aufgedeckt.
Das freiwillige oder erzwungene Fasten zwingt die Larven zu
schnellerer Resorption solcher Körperteile und Gewebe, die für das
verwandelte Tier überflüssig und schädlich sind, befördert also die
Verwandlung, das heißt die Ueberführung in den vollkommenen Zu-
stand.
Ein freiwilliges oder erzwungenes Fasten zum Zweck der Resorp-
tion und Umbildung kommt auch sonst in der Natur vor. Ich erinnere
hier ganz kurz an das Puppenstadium der Insekten und an den
Wintersalm, der große Mengen Fett und Eiweiß seines Körpers resor-
biert, aus diesem Material die Ausbildung der Geschlechtsstoffe be-
Tafani, Beziehungen zwischen Mutter und Fötus. 613
streitet und dabei während seines ganzen Aufenthaltes im Rhein, d.h.
8—15 Monate lang, keine Nahrung zu sich nimmt.
In diesen Thatsachen liegt eine etwas freie aber sehr schöne
Anwendung des Pflüger’schen „allgemeinen Prinzips der Selbst-
steuerung der lebendigen Natur“. Der Hunger ist die Ursache des
Bedürfnisses nach dem fertigen Zustande der Verwandlung und Um-
bildung und zugleich die Ursache der Befriedigung des Bedürfnisses.
So versteht die Natur also selbst den Hunger als förderndes Prinzip
zu verwerten.
Alessandro Tafani, Sulle condizioni uteroplacentari della
vita fetale. Nuove indagini embriologiche comparate.
Estratto dei publicazioni del R. Istituto di studi superiori pratici e di per-
fezionamento in Firenze. 8°. XVII. 152 p. Con 8 Tavole chromolitografate.
Firenze, Con tipi dei successori Le Monnier. 1886.
Nach einer Vorrede und Darstellung der Untersuchungs- und
Injektionsmethoden handelt der Verfasser in sechs Kapiteln von den
Beziehungen zwischen Mutter und Fötus. Man weiß, dass die Neu-
zeit die scharfen schematischen Unterschiede zwischen verschiedenen
Arten und Klassen zu verwischen strebt. Schon ist bei den Selachiern
eine rudimentäre Placenta aufgefunden, noch im vorigen Jahre hat
Duval kleine Zotten an der häutigen Umhüllung des Vogeleies als
homolog einer rudimentären Placenta gedeutet. Am wichtigsten aber
ist die Uterinmilch, über deren Herkunft und Bedeutung verschiedene
Ansichten existieren.
Das I. Kapitel (S. 1—4) enthält eine kurze historische Uebersicht
über die in der Monographie abgehandelten Fragen. Die Lehre, wo-
nach direkte Kommunikationen zwischen dem mütterlichen und dem
fötalen Blutgefäßsystem stattfinden, ist verlassen, man erkennt meistens
nur den Austausch flüssiger Bestandteile auf endosmotischem Wege
an. Es kommt aber die Uterinmilch in Frage, sei letztere nur ein
Produkt der Gl. utrieulares oder von einem besondern drüsigen Organ
gebildet. Colin und Werth hielten jene Milch für eine Leichen-
erscheinung, Ercolani und Hoffmann leiteten sie vom Zerfall
(disfacimento) der Deeiduazellen ab, und Bonnet behauptete, sie
entstehe aus fettig degenerierten Wanderzellen. Es soll das befruchtete
Ei sich grade so ernähren, wie das Eierstocksei, nämlich durch Auf-
nahme von Leukocyten.
Anscheinend ist die Differenz bedeutend, welche die Säuger von
den übrigen Vertebraten trennt, insofern bei letzteren die das Ei er-
nährenden Substanzen erst nach und nach vom Uterus geliefert werden.
Dennoch existiert gleichsam ein verbindender Ring zwischen den
beiden anscheinend so verschiedenen Einrichtungen; denn in der
614 Tafani, Beziehungen zwischen Mutter und Fötus.
kurzen Zeit, während welcher die Selachier ihre Embryonen bei sich
in der Bruttasche tragen, bildet sich mittels Faltenbildung seitens
deren Wandung, sowie seitens des Embryos eine besondere, echte,
wenn auch rudimentäre Placenta. Die Placenta der Vögel wurde oben
schon erwähnt; unter den Mammalien bieten die Marsupialien die
einfachste Form, indem eine kleine absorbierende fötale Placenta,
welche nur den Gefäßen der Vesicula umbilicalis entspricht, einer
großen mütterlichen, aus der fettig degenerierenden Uterinschleimhaut
gebildeten Partie gegenübersteht; die letztere hat nutritive Funktionen.
Von dieser einfachen Anordnung kommt man zur Placenta diffusa,
wobei das Chorion mit Zotten besetzt ist, die sich in kleine Follikel
oder Krypten der Uteruswandung hineinsenken. Wenn die Zotten
ästig werden, sich an bestimmte Stellen konzentrieren und in verästelte
Follikel hineinsenken, haben wir die verschiedenen Formen der Pla-
centa cotylodenata; hierbei können die Cotyledonen ringförmig ange-
ordnet sein und zusammenfließen: Placenta zonata. Endlich die
Placenta discoidea ist gegeben, wenn die Zotten auf einen kreis-
förmigen Raum des Chorions sich beschränken, dabei stark verästelt
sind, und wenn zugleich mehrfache Einbiegungen der Uterus -Innen-
wand stattfinden. i
Die Arbeiten von Ercolani und Turner haben gezeigt, dass
die Placenta discoidea des Menschen durch ganz allmähliche Ueber-
gänge aus der Placenta diffusa hervorgeht.
Das II. Kapitel (S. 5—28) handelt von der Placenta diffusa.
Sie findet sich beim Schwein, Pferd, Esel, Dromedar, HAyenmoschus
aquaticus, Orca gladiator und einigen frugivoren Edentaten. Speziell
beschrieben wird nach eignen Untersuchungen die Placenta von Sus
scrofa domesticus und verglichen mit denjenigen von Hiöppopotamus,
Hyenmoschus aquaticus, Orca gladiator, Equus caballus und Tragalus
Stanleyanus. Was die erstere anlangt, so verbreitet sie sich fast über
die ganze innere Oberfläche jeder Abteilung des trächtigen Uterus,
welche einen Fötus enthält. In den Abteilungen ist eine zentrale
Partie zu unterscheiden, die einigermaßen von den seitlichen differiert.
Ferner werden die Areolen von Eschricht und die Mündungen
der Uterindrüsen, die Krypten von Turner und die Lage der Kapil-
laren in den Furchen des Epithels, welches sie bedeckt, beschrieben.
Die Areolen scheinen besonders für die Ernährung des Fötus, die
Krypten für dessen Respiration geeignet zu sein. An den Enden
jeder Abteilung des Uterus ändert sich allmählich der Bau der mütter-
lichen Placenta. Dieselbe verliert die Charaktere, welche den Gas-
austausch begünstigen würden, und nimmt diejenigen eines sezernieren-
den Organes an. Analoge Modifikationen finden sich in der fötalen
Placenta, so dass eine gegenseitige Anpassung des Chorions und der
mütterlichen Placenta stattfindet. Die Zotten der Eschricht’schen
Areolen, die dem Fötus angehören, sind ähnlich denjenigen des Dünn-
Tafani, Beziehungen zwischen Mutter und Fötus. 615
darmes; jedoch senkt sich beim erstern das Kapillarnetz in Furchen,
welche in ihrem Epithel-Ueberzug speziell ausgehöhlt sind. Entsprechend
den verschiedenen Stadien der Trächtigkeit zeigt die Placenta Diffe-
renzen im Vergleich mit ihrem Bau bei vollkommener Ausbildung.
Behandelt man Durchschnitte der Placenta mit Ueberosmiumsäure
und Kaliumbichromat, oder mit Jodserum oder mit jodiertem Glyzerin,
so erkennt man Glykogen nur in den Epithelien der fötalen Placenta.
In der zentralen Form ist dasselbe auf die Zottenbasis beschränkt,
an den Enden jeder Uterusabteilung aber findet sich dasselbe überall
in den Epithelzellen, auch in solchen der tiefern Schicht. Die Zone
rings um den Kern bleibt frei davon. Außerdem sind Fetttröpfehen
in den Zellen vorhanden, welche an Durchmesser dem Kern gleich-
kommen können. Neu und wichtig aber ist die Beobachtung — nicht
nur beim Schwein, sondern auch beim Schaf, bei der Kuh, der Hündin
und bei allen Nagern — von einer Auflösung des Zellenkernes. Letz-
terer erscheint ganz homogen, färbt sich lebhaft und gleichmäßig mit
nucleinophilen Farbstoffen, das Kernfadenwerk wird unkenntlich,
manchmal zeigen sich die durch Flemming von Kernen der Mem-
brana granulosa am Eierstocksei beschriebenen Veränderungen.
Die Zellen, deren Kern so verändert ist, fallen dann ab, auch
lösen sich die Kerne auf, die Substanz der ganzen Zellen wird
dabei safranophil. Offenbar tragen sie zur Bildung der Uterinmilch
bei, was aber bei Wiederkäuern leichter zu erkennen ist. Der Ersatz
für diese Zellen erfolgt auf dem Wege der Teilung nach Karyomitosis.
Placenta eotyledonata. Von Wiederkäuern werden im III. Ka-
pitel (S. 23—47) das Rind und Schaf näher besprochen. Die Placenta
der Cervus mexicanus ist teilweise diffus, teilweise eine cotyledonata;
letztere ist bestimmter ausgesprochen bei der Giraffe. Das Rind steht
zwischen dieser und dem mit einer entschiedenen Placenta cotyledo-
nata versehenen Schaf in der Mitte. Während letzteres und das Rind
mütterliche Cotyledonen im nicht-schwangern Uterus besitzen, fehlen
solche bei den Cervus-Arten. Abgehandelt werden die nicht mit
Cotyledonen versehenen Teile der Placenta und die mütterlichen Coty-
ledonen in den verschiedenen Perioden der Trächtigkeit, die Krypten
oder zusammengesetzten Follikel, das sehr reiche Kapillarnetz, welches
bis unmittelbar an die Epithelialzellen reicht, die fötalen Cotyledonen
in jenen verschiedenen Perioden, die Zotten und ihre Anpassung an
die mütterlichen Follikel, die Beziehungen zwischen mütterlichen und
fötalen Kapillaren, das Aussehen und der Bau der Uterusinnenfläche,
sowie das Chorion in den intercotyledonalen Zwischenräumen, endlich
das Epithel und das Kapillarnetz unter dem letztern.
Was die Uterinmilch des Schafes und Rindes anbetrifft, so wird
sie von den Uterindrüsen abgesondert, befindet sich zwischen der
mütterlichen und fötalen Placenta und enthält drei Arten von Form-
elementen. Die einen sind rundliche Zellen, welche mehr oder weniger
616 Tafani, Beziehungen zwischen Mutter und Fötus.
der Fettkörnchen entbehren; andere Gebilde sind Zellendetritus oder
auch ganze Zellen, die aber in ihrem Aussehen sich sehr verändert
haben. Jene Fragmente enthalten durch Safranin oder Karmin leicht
tingierbare, homogene Nukleinsubstanz. Diese, die ganzen Zellen,
sind abgelöste Epithelien der Mutter, ebenfalls homogen und mit
diffuser chromatophiler Substanz in ihrem Zentrum gefüllt. Umgekehrt
zeigen sich die Elemente der dritten Art etwa wie mikroskopische
Eiformen, glänzend, sehr verschieden gefärbt, bald gelbgrünlich, bald
leicht oder intensiv rötlich, sie enthalten also größere oder kleinere
Mengen von rotliebendem Nuklein, welches in ihrem Zentrum mehr
oder weniger diffus verteilt ist. Andere eiförmige Massen bieten in
ihrem Zentrum kleine, intensiv gefärbte Kugeln. Alle diese eiähnlichen
Formen entstehen durch Zusammenballung und Zerfall mehrerer (müt-
terlicher) Epithelzellen. Glykogen ließ sich nirgends, auch nicht im
Uterus und Chorion auffinden.
Das IV. Kapitel (S. 49—75) ist der Placenta zonata des
Hundes und der Katze gewidmet. Es gibt zwischen dieser und der
Placenta diffusa, sowie der Placenta eotyledonata Uebergänge. Hierher
ist Elaphus indicus zu rechnen; ferner werden die Placenten von
Lutra vulgaris, Mustela vulgaris, Phoca bicolor und Halicverus griphus
kurz erörtert. Die Placenta der Katze zeigt nahe der Oberfläche die
Charaktere eines besonders gefäßreichen Organes, während in der
Tiefe mehr diejenigen einer sezernierenden Drüse hervortreten. Die
Zottenepithelien lassen verschiedene Modifikationen nach den verschie-
denen Epochen der Schwangerschaft erkennen. In den placentafreien
Uterusabschnitten sind ebensolche zu bemerken, sowie an dem Chorion,
wo sich das letztere an der Placentabildung nicht beteiligt. Die
Uterinmilch enthält wie bei andern Tieren koagulierbare Eiweiß-
substanzen und viele, zum Teil fettig degenerierende, zum Teil mit
homogenem, intensiv chromatophilem Kern versehene Zellen.
Entgegengesetzt der gewöhnlichen Meinung differiert die Placenta
des Hundes erheblich von derjenigen der Katze. Erstere ist zarter,
schwieriger in ihrer Lage zu konservieren, insbesondere aber finden sich
daran zwei hervorragende, abgerundete, dunkelgrüne Säume, deren
Farbe von einer besondern, teils vom Uterus, teils vom Fötus her
abgesonderten Substanz abhängt. An diesen Rändern taucht eine
Anzahl fötaler Zotten in eine bräunliche weiche Substanz (potiglia)
ein, ähnlich derjenigen, welche sich an den kraterförmigen Oeffnungen
der Cotyledonen des Schafes beobachten lässt. Die Uterinmilch wird
in der Weise gebildet, dass die Epithelzellen sich in die Länge
strecken, homogen werden, während ihr Kern seine chromatophile
Substanz verliert, ebenfalls homogen wird und sich mit dem Zellen-
körper vermischt; schließlich fallen die Zellen ab und verschmelzen
auch unter einander.
Die Vesieula umbilicalis des Hundes und der Katze konserviert,
Tafani, Beziehungen zwischen Mutter und Fötus. 617
wie schon Needham angab, ihre Charaktere als große, längliche, in
der Längsrichtung jeder Uterinabteilung sich ersteckende Blase, ob-
gleich sie schließlich ein wenig an Größe abnimmt, und wenn ihr
Inhalt resorbiert ist, gleicht sie der Tuniea chorioidea cerebri.
Im V. Kapitel (S. 76—108) werden die Placentae discoideae
von Mus decumanus, M. musculus, Cavia cobaya, Lepus cuniculus, Lepus
timidus, Vesperugo Kuhlüi, Vespertilio murinus, Miniopterus Schreibersti
und endlich die menschliche Placenta beschrieben. Differenzen zeigen
sich in der Ausbildung der Vesieula umbilicalis. Bei den Nagern er-
scheint die Dotterblase als bestimmtes Organ, auch wird eine sehr
beschränkte periplaeentare Zone beim Kaninchen von den Allantois-
gefäßen versorgt. Mit den Nagern stimmen die Phylostomidae unter
den Fledermäusen überein. Bei den übrigen Chiropteren erlangt die
Dotterblase eine verhältnismäßig beträchtliche Entwicklung, nur bei
den Primaten bleibt sie rudimentär. Die Uterinmilch entsteht bei
den Nagern in der gewöhnlichen Weise, sehr deutlich ist dabei die
Auflösung der Kerne unter Verteilung ihrer chromatophilen Substanz
in den gequollenen Zellenkörpern.
Sodann werden die Placenten der oben genannten Species einzeln
geschildert. Diejenige von Cavia cobaya erscheint ausschließlich durch
Blutgefäße der Allantois vaskularisiert.
Am meisten Interesse erweckt naturgemäß die Erörterung der
menschlichen Placenta. Trotz der großen scheinbaren Differenzen
gelingt es dem Verfasser, eine vollständige Homologie mit den Ver-
hältnissen bei den übrigen Säugetieren, namentlich unter Berücksich-
tigung der Wiederkäuer und Murinen, herzustellen. Der placentare
Kuchen setzt sich aus Cotyledonen zusammen, deren Grenzen freilich
nur durch eine gute Anzahl von Furchen oder Gruben angedeutet
sind. Die regelmäßige Anordnung der fötalen Blutgefäße, welche in
Abständen in jene Cotyledonen eintreten, ist damit in Uebereinstim-
mung. Charakteristisch ist nun ferner für die menschliche Placenta
eine enorme Erweiterung der mütterlichen Bluträume, die einem Kavernen-
system entsprechen, während die Chorionzotten sich stark verästeln, mit
den Wänden des letztgenannten Systems sich berühren und damit ver-
schmelzen. Grade wie bei den Murinen fehlt die anderswo konstatierte
epitheliale Bekleidung der Zotten, und diejenige der Uteruswandung
ist auf ein Minimum reduziert. Es ist klar, dass diese Einrichtungen
den Stoff-Austausch zwischen mütterlichem und fötalem Blut begünstigen.
Jedoch ist die Mausplacenta monocotyledon, die menschliche aus vielen
Cotyledonen zusammengesetzt.
Auch die Uterinmilch fehlt der menschlichen Placenta nicht, nur
ist sie nicht an dem Orte, nämlich in der Serotina, zu suchen, wo sie
Hoffmann durch Aspiration mit einer Pravaz’schen Spritze erhal-
ten zu haben glaubte. Im Gegenteil liegen, wenigstens beim 6monat-
lichen Fötus (die Italiener rechnen nach Sonnenmonaten, Ref.), in
618 Knoll, Druckschwankungen in der Cerebrospinalflüssigkeit.
den Maschen der Decidua vera ganz dieselben, wenngleich sparsamern
Formelemente, die oben von verschiedenen Tieren, besonders bei den
Wiederkäuern beschrieben wurden: wie bei diesen modifiziert sich das
Epithel der Uterindrüsen auf dem Wege der Chromatolitosis.
Das VII. Kapitel (S. 109—128) gibt einen Epilog und ein Resume.
Die Abstufungen in der Ausbildung der verschiedenen Placenten wur-
den bereits erwähnt; dann folgen Betrachtungen über die spezielle
Verteilung und die Anpassung der mütterlichen und fötalen Kapillaren,
den Charakter und die Entstehungsweise der Uterinmilch, sowie Hypo-
thesen über die Ernährungsverhältnisse des Embryos und Fötus. Was
die Glykogenbildung anlangt, so findet sich letzteres in dem fötalen
Teile beim Schwein, in den Zellen der Caruncole amniotiche bei den
Wiederkäuern, es fehlt bei den Feliden, Chiropteren u. s. w. Bei den
Mäusen und dem Meerschweinchen ist es sparsam vorhanden, in
größerer Menge im Genus Lepus. — Den Schluss des Werkes bildet
ein bibliographisches Verzeichnis, welches sieben Seiten einnimmt, mit
Aristoteles beginnt und bis auf Lombardini (1886) hinabreicht.
Die chromolithographierten Tafeln sind sehr schön ausgeführt
und instruktiv, die letzte bezieht sich auf die Bildung der Uterinmilch.
Abgesehen von der ersten sichern Nachweisung des Entstehens der-
selben auch beim Menschen bringt die Monographie durch Hervor-
hebung des phylogenetischen Zusammenhanges der verschiedenen
Placenten unter einander einen wesentlichen Fortschritt unserer Kennt-
nisse und bildet auch sonst eine Zierde der italienischen Literatur.
W. Krause (Göttingen).
Ueber die Druckschwankungen in der Cerebrospinalflüssig-
keit und die wechselnde Blutfülle des zentralen Nerven-
systems.
Von Ph. Knoll.')
Die Atem- und Pulsbewegungen des bloßgelegten Gehirns haben
bekanntlich schon in alter Zeit die Aufmerksamkeit der Aerzte auf
sich gezogen, und in den letzten Jahrzehnten wurden von mehrern
Seiten Methoden zu einer genauern Beobachtung dieser Erscheinung,
insbesondere mittels graphischer Hilfsmittel angegeben. Als einfachste
dieser Methoden erscheint die zuerst von Magendie in Anwendung
gezogene Befestigung einer Kanüle in der Membrana atlanto - oceipi-
talis, die vor mehrern Jahren von Bochefontaine zu allerdings
ganz fehlerhaften Versuchen benützt wurde, die mit den Atem- und
Pulsbewegungen wechselnden Druckhöhen in der Cerebrospinal-
flüssigkeit mittels eines Quecksilbermanometers zu bestimmen.
1) Nach dem in der Sektion für allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie der 59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin
gehaltenen Vortrag.
Knoll, Drucksehwankungen in der Cerebrospinalflüssigkeit. 619
Sehr leicht anwendbar ist diese Methode, wenn man die bloßge-
legte Membrana atlanto- oceipitalis mittels einer konisch geformten,
an dem einen Ende stark nach der Fläche gekrümmten und abge-
platteten in ein Stilett auslaufenden Kanüle, die an der Konvexität
mit einer Oeffnung versehen ist, quer durchsticht und diese Kanüle
mit einer sehr empfindlichen Marey’schen Schreibtrommel durch
einen Kautschukschlauch verbindet. Wenn man durch Neigen des
Kopfes des Versuchstieres die Membrana atlanto- oeeipitalis etwas
straffer gespannt hat, so sitzt die Kanüle fest und schließt die Stich-
öffnungen genügend ab, und man kann selbst bei Kaninchen, nament-
lieh aber bei Hunden eine sehr anschauliche Darstellung der in der
Cerebrospinalflüssigkeit sich vollziehenden Druckschwankungen ge-
winnen. Behufs Bestimmung der Druck werte selbst müssten natür-
lich statt der Marey’schen Schreibtrommel besondere manometrische
Vorrichtungen mit der in der Membrana atlanto -oceipitalis stecken-
den Kanüle verbunden werden.
An dem mittels der Marey’schen Schreibtrommel gewonnenen
Bilde prägen sich alle durch die wechselnde Blutfülle des zentralen
Nervensystems bedingten Veränderungen des in der Cerebrospinal-
flüssigkeit herrschenden Druckes sehr deutlich aus. Die beträcht-
lichen Schwankungen, welche dieser Druck unter dem Einflusse der
Atembewegungen erfährt, bestehen nach Verschluss der Kopfschlag-
adern unverändert fort ‚und sind daher vorzugsweise venösen Ur-
sprunges. Man sieht denn auch selbst bei seltenen Atemzügen ge-
wöhnlich während der ganzen Dauer der Einatmung den Druck in
der Cerebrospinalflüssigkeit sinken und während der ganzen Aus-
atmung steigen. Nur wenn die Einatmung zu starker Beschleuni-
gung des Herzschlages und folgeweise zu erheblicher Steigerung des
Blutdruckes in den Arterien führt, erhöht sich der Druck in der
Cerebrospinalflüssigkeit noch während der Einatmung. Im allge-
meinen aber spiegeln sich die intrathorakalen Druckschwankungen in
jenen der Cerebrospinalflüssigkeit getreulich ab, und dem entsprechend
kommt es auch bei aktiven Exspirationen, so beispielsweise beim
Husten und Schreien, zur intensivsten Steigerung des letztern Druckes,
eine Beobachtung, die uns einen Ausblick in den Einfluss eröffnet,
welchen gehäufte aktive Exspirationen auf die Blutfülle und damit
auch auf die Ernährung des zentralen Nervensystems nehmen können.
Auch bei Nachahmung der Wirkungen der Bauchpresse durch Druck
von außen kommt es zu einem starken Ansteigen des Druckes in
der Cerebrospinalflüssigkeit, was gleichfalls vorzugsweise durch stär-
kere Füllung der Venen in der Schädelrückgratshöhle bedingt ist,
wie besondere Versuche lehren. Man kann denn auch bei Verschluss
der Vena cava superior trotz Sinkens des arteriellen Blutdruckes ein
allmähliches, unter Umständen sehr beträcbtliches Ansteigen des
Druckes in der Cerebrospinalflüssigkeit wahrnehmen, und selbst bei
620 Knoll, Druckschwankungen in der Cerebrospinalflüssigkeit.
Reizung der Hemmungsnervenfasern des Herzens prägt sich das allmäh-
liche Anwachsen der Füllung der Venen in der Schädelrückgratskapsel
durch ein beträchtliches Ansteigen des Druckes in der Cerebrospinal-
flüssigkeit während des Anhaltens der Vaguspulse und des sehr nie-
drigen Standes des arteriellen Blutdruckes aus.
Anderseits macht sich aber auch der große Einfluss der arteriellen
Blutfülle in der Schädelrückgratskapsel auf den Druck in der Cerebro-
spinalflüssigkeit in dem starken Absinken der letztern zu Beginn der
Reizung des Herzvagus und bei Verschluss der das zentrale Nerven-
system versorgenden Arterien geltend. Am wirksamsten ist dies-
bezüglich aus naheliegenden Gründen der Verschluss der Kopfschlag-
adern; bei Beseitigung dieses Verschlusses steigt aber der Druck in
der Cerebrospinalflüssigkeit nicht bloß auf die ursprüngliche Höhe
wieder an, sondern über diese, und zwar oft weit hinaus. Letztere
Erscheinung erklärt sich aus dem Umstande, dass, wie besondere
Versuche und die unmittelbare Beobachtung der Arterien des zen-
tralen Nervensystems lehren, eine selbst ganz kurz dauernde
Anämisierung der Arterien eine Erschlaffung derselben beim Wieder-
einströmen des Blutes bedingt, wenn dieses unter genügendem Drucke
erfolgt, eine Thatsache, die sich auch an andern Arteriengebieten
experimentell feststellen lässt und keineswegs auf eine eingetretene
Ernährungsstörung der Gefäßwand bezogen werden kann. Inwieweit
die auf diese Weise zu stande kommende postanämische Hyperämie
des zentralen Nervensystems an der Auslösung der beim Wiederein-
strömen des Blutes in die vorher verschlossenen Kopfschlagadern
auftretenden nervösen Reizerscheinungen beteiligt ist, muss dahin-
gestellt bleiben.
Sehr bemerkenswert ist ferner die Thatsache, dass die auf reflek-
torischem Wege oder durch Dyspnoe herbeigeführte Verengerung der
kleinen Arterien zu einem unter Umständen sehr beträchtlichen An-
steigen des Druckes in der Cerebrospinalflüssigkeit führt. Nähere
Erwägung der einschlägigen Verhältnisse und die unmittelbare Beob-
achtung der Arterien des zentralen Nervensystems, wozu sich die
isoliert verlaufende Arteria spinalis posterior besonders eignet, er-
geben, dass jene Thatsache darauf zurückzuführen ist, dass die Ar-
terien des zentralen Nervensystems an der Verengerung der übrigen
Arterien sich nicht beteiligen, und bei letzterer daher stärker mit
Blut gefüllt werden, also in den Zustand der collateralen Hyperämie
geraten. Die schon von Donders und Ackermann beobachtete
Hyperämie des zentralen Nervensystems bei der Erstickung ist dem-
nach zum Teil wenigstens eine arterielle, collaterale, und es fragt
sich, ob derselben mit Rücksicht auf das Sauerstoffbedürfnis der
Oblongata nicht ein regulatorischer Einfluss zuzuschreiben ist. Bei
plötzlichen großen Blutverlusten wird sich eine derartige regula-
torische Wirkung der eintretenden Erregung des vasomotorischen
Pasteur, Prophylaxe der Tollwut. 21
Zentrums und dadurch bedingten Verengerung der außerhalb der
Schädelrückgratshöhle verlaufenden kleinen Arterien gar nicht be-
zweifeln lassen, während anderseits die Thatsache, dass reflektorische
Erregung der Vasomotoren nicht zu Anämie, sondern zu Hyperämie
des zentralen Nervensystems führt, der Erklärung schwerer nervöser
Anfälle aus einer reflektorisch erregten Hirnanämie jede Berechtigung
raubt.
Einer allzu beträchtlichen Erhöhung des Druckes in der Schädel-
rückgratskapsel infolge eingetretener Hyperämie aber wird allem
Anscheine nach durch ein Uebertreten von Cerebrospinalflüssigkeit in
die Lymphscheiden der Hirnrückenmarksnerven vorgebeugt. Wie ein
leichter Druck auf den Bulbus, ja selbst ein kräftiger spontaner Lid-
schlag, durch Uebertritt von Lymphe aus der Opticus-Scheide in die
Hirnrückenmarkshöhlen nachweislich ein Ansteigen des Druckes in
der Cerebrospinalflüssigkeit bedingt, wird umgekehrt auch eine Zu-
nahme des Druckes in letzterer Flüssigkeit zu einem Abströmen der-
selben nach den Lymphscheiden der Hirnrückenmarksnerven führen
müssen, und es wird auf diese Weise, ähnlich wie durch die Wirkung
eines Sicherheitsventils, innerhalb gewisser Grenzen ein allzu starkes
Anwachsen des Druckes in der Schädelrückgratskapsel verhütet wer-
den können.
Ueber die Prophylaxe der Tollwut.
Mitteilung des Herrn Pasteur an die Academie des sciences
am 2. November 1886.
Dieser Bericht umfasst drei Abteilungen. Die erste enthält die
statistischen Resultate, welche während eines Jahres aus der An-
wendung der prophylaktischen Behandlung der Tollwut sich ergaben;
die zweite enthält gewisse Veränderungen der Methode; die dritte
bringt neue Versuche an Tieren zur Kenntnis.
14
Vor einem Jahr, am 26. Oktober 1885, habe ich eine Methode
veröffentlicht, die Hundswut nach dem Biss prophylaktisch zu be-
handeln !). Zahlreiche Versuche an Hunden gaben mir die Be-
rechtigung, sie auch am Menschen anzuwenden. Seit dem 1. März
waren in meinem Laboratorium von Prof. Grancher 350 Personen
behandelt worden, welche zum größten Teil von ausgemacht tollen
Hunden, einige von der Tollwut verdächtigen Hunden gebissen wor-
den waren. Angesichts der glücklichen Resultate, die wir erhalten
hatten, schien mir die Errichtung einer Impfanstalt gegen Tollwut
notwendig. Bis heute den 31. Oktober 1886 sind 2490 Personen nach
Paris gekommen, um sich der Impfung zu unterziehen. Die Behand-
4) Vgl. Biol. Centralbl. V, 18 u. 19, ferner VI, 3.
622 Pasteur, Prophylaxe der Tollwut.
lung war im Anfang bei dem größten Teil der Gebissenen die gleiche,
trotz der großen Verschiedenheiten in bezug auf Alter und Geschlecht,
Zahl der Bisse, Lage und Tiefe derselben und die Zeit, die zwischen
dem Biss und dem Beginn der Behandlung lag. Diese Gleichmäfßig-
keit war in dem ersten Beobachtungsjahr gewissermaßen geboten.
Die Behandlung umfasste zehn Tage: die gebissene Person erhielt
täglich eine Einspritzung von Kaninchenmark; man begann mit Mark
vom vierzehnten Tag und endigte mit Mark vom fünften Tag.
Die 2490 Personen gehören folgenden Nationalitäten an:
England 80, Oesterreich- Ungarn 52, Deutschland 9, Belgien 57,
Spanien 107, Griechenland 10, Holland 14, Italien 165, Portugal 25,
Russland 191, Vorderindien 2, Rumänien 22, Türkei 7, Schweiz 2,
Vereinigte Staaten von Amerika 18, Brasilien 3, Frankreich und
Algier 1726.
Da die Totalsumme der Franzosen aus Frankreich und Algerien
eine bedeutende ist und bis zu diesem Augenblick mehr als 1700 Fälle
umfasst, so können wir uns begnügen die Wirkung der Methode nur
an auf diese Kategorie von Gebissenen bezüglichen Fällen zu prüfen.
Unter diesen 1700 Behandelten waren es 10, an denen die Be-
handlung wirkungslos blieb.
Diese sind: Die Kinder Lagut, Peytel, Clediere, Moulis, Astier,
Videau. Die Frau Leduc (70 Jahre alt), Marius Bouvier (30 Jahre
alt), Cherjot (30 Jahre alt), Magneron, Norbert (18 Jahre alt).
Ich reehne zwei andere Personen nicht mit, deren Tod der zu
späten Ankunft im Laboratorium zugeschrieben werden muss: Louise
Pelletier 36 Tage und Moermann 43 Tage nach dem Biss.
10 Tote auf 1700, 1 auf 170, das ist für Frankreich und Algier
das Resultat der Methode im ersten Jahre ihrer Anwendung.
Im ganzen genommen beweist diese Statistik die Wirksamkeit
der Methode, die Wirksamkeit wird aber auch durch den verhältnis-
mäßig- häufigen Tod zahlreicher gebissener nicht geimpfter Personen
bewiesen. Man kann sicherlich behaupten, dass von den im Jahre
1885—1886 gebissenen Franzosen sehr wenige nicht ins Laboratorium
der Ecole normale gekommen sind. Nun von dieser geringen Min-
derheit sind siebzehn Fälle von Hundswut mit nachfolgendem Tod
zu meiner Kenntnis gelangt.
Zu allen diesen Thatsachen unserer Statistik kommt noch nach-
folgender Beleg.
Die Zahl der Personen, welche in Paris in den Spitälern an
Hundswut sterben, ist aufs genaueste gekannt, besonders seit fünf
Jahren.
Auf Anordnung des Polizeipräfekten werden alle Fälle von Hunds-
wut, welehe in Pariser Spitälern vorkommen, von den Leitern der-
selben unverzüglich Herrn M. Dujardin-Beaumetz, Mitglied des
Gesundheitsrats der Seine gemeldet, dessen Amt es ist, einen Bericht
Pasteur, Prophylaxe der Tollwut. 623
darüber an diesen Rat zu erstatten. Daher weiß man mit aller
Sicherheit, dass in den letzten 5 Jahren 60 Personen in den Pariser
Krankenhäusern an Hundswut gestorben sind: das macht im Mittel
zwölf im Jahre. Kein Jahr verlief, das nicht mehr oder weniger
zahlreiche Tote aufzuweisen hatte. Im letzten Jahre waren es 21.
Seit dem 1. November 1885 jedoch, d. h. seitdem die Impfmethode
gegen Hundswut in meinem Laboratorium eingeführt ist, sind nur
2 Personen in den Pariser Spitälern an Wut gestorben, die nicht
geimpft waren, und eine dritte, die geimpft war, aber nicht auf die
intensive mehrfache Weise, von der ich später sprechen werde.
Wenn man die vorhergehenden Thatsachen betrachtet, wird man
finden, dass die größere Anzahl derjenigen, welche trotz der Behand-
lung unterlagen, Kinder sind, welche im Gesicht gebissen worden
waren. Diese Kinder waren der einfachen Behandlung unterworfen
gewesen. Nun habe ich die Ueberzeugung gewonnen, dass die Be-
handlung, besonders bei Bissen dieser Art, ungenügend sein kann.
Unglücklicherweise konnte diese Ueberzeugung nur langsam Platz
greifen, da wegen der bei einzelnen Fällen ausnahmsweise langen
Inkubationszeit auch lange Zeit erforderlich war, um Schlüsse zu
ziehen.
Die Geschichte der Smolensker Russen war eine erste Lehre.
Als wir im Hötel Dieu drei dieser von einem tollen Wolf ge-
bissenen Russen sterben sahen, von denen einer noch in voller Be-
handlung war, während die beiden andern kurz zuvor aus der Be-
handlung entlassen waren, wurden wir, Herr Grancher und ich,
sehr beunruhigt. Werden die andern sechzehn auch der Krankheit
erliegen? Ist die Methode angesichts der durch Wölfe übertragenen
Hundswut ohnmächtig? Da erinnerten wir uns, dass alle mit Erfolg
geimpften Hunde mit dem Extrakt eines ganz frischen Marks von
demselben Tage geimpft waren, und dass beim ersten Geimpften,
Josef Meister, die Behandlung mit dem Extrakt eines Marks vom
vorhergehenden Tage beendigt wurde; so unterwarfen wir denn die
16 Russen einer zweiten und dritten Kur und gingen allmählich zum
frischesten Mark über, zu solchem von vier, von drei und zwei Tagen.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Heilung der 16 Russen der wie-
derholten Impfung zuzuschreiben ist. Ein heut morgen vom Bürger-
meister von Beloi erhaltenes Telegramm meldet, dass sie sich noch
immer wohl befinden.
1:
Durch diese Resultate und durch neue Experimente, die ich so-
gleich näher besprechen werde, ermutigt, habe ich die Behandlungs-
weise abgeändert, indem ich sie zugleich schneller und wirkungs-
voller für alle Fälle machte und noch schneller und energischer für
die Bisse im Gesicht oder für die tiefen komplizierten Bisse auf frei-
liegenden Teilen.
624 Pasteur, Prophylaxe der Tollwut.
Uebersicht der 6 unter 1700 behandelten Franzosen ge-
Tag | Zeit der
Namen Alter Bisse und ihre Lage 4 es Bisses | Behandlung
Videau 3 Jahre | Rechtes Handgelenk, | 24. Febr. | 27. Februar
rechter Augenbrauen- bis 7. März
bogen
Lagut 11 Jahre Unterlippe 18. Mai 24. Mai bis
2. Juni
Clediere 21 Monate | Handteller und zwei 47. Juni 4. Juni bis
Finger der rechten 30. Juni
Hand
Peytel 6 Jahre | Ringfinger und Mittel- | 98, Juni 30. Juni bis
finger der rechten 9. Juli
Hand. Zwei Bisse am
Lippenband. Biss an
der Unterlippe, an dem
linken Augenlid und
der linken Wange
Moulis 6 Jahre | Drei Bisse am Vorder- | 34, Juli 6. bis 19.
arm. Großer Substanz- August
verlust
Astier 2 Jahre | Beide Wangen unter | 4. August 5. bis 21.
den Angen. Sechs August
Bisse an den Lippen
und Kratzwunden an
den Händen
Pasteur, Prophylaxe der Tollwut.
storbenen Kinder im ersten Jahr (1885 — 86).
Impfung.
Mark von 14 bis 6 Tagen
(Eine Lymphe im Tag)
Mark von 14 bis 5 Tagen
Mark von 14 bis 5 Tagen
(Einmal im Tag)
Mark von 14 bis Tagen
dann von 10 bis 5 Tagen
(Einmal im Tag)
Mark von 14 bis 4 Tagen
(Einmal im Tag)
Mark von 12 bis 5 Tagen
dann von 8 bis 3 Tagen
dann von 8 bis 3 Tagen
dann von 3 und 2 Tagen
(Einmal im Tag)
VI
Todestag
24. Sept. 1886
17. Juni
17. August
17. Juli
8. September
16. September
]
|
1
Bemerkungen
Die Behandlung war un-
genügend und hatte nur
einen unvollkommenen
Sehutz bewirkt
Desgl].
Desgl.
Man hätte sollen drei Kuren
in den ersten 10 Tagen
machen, indem man bis zu
Mark vom zweiten und
selbst vom ersten Tage
vorging
Ungenügende Behandlung
Angesichts der schweren
und zahlreichen Bisse hätte
die erste Behandlung nur
1 oder 2 Tage dauern
dürfen und hätte mehrere
mal auf intensive Weise
wiederholt werden
müssen.
40
626 Pasteur, Prophylaxe der Tollwut.
Uebersicht der 10 Kinder, welche im Gesicht und am Kopf gebissen wur-
| 5 : : Tag
Namen | Alter Bisse und deren Lage Rees
Degoul 2'!/, Jahre | Starke Bisse am Kopf | 29. August
Baillet (Elise)
®
Cuningham
Tattersall
Sykes
Champion
Masson
-
Berthelot
Lesceure
Dubarry
3'/, Jahre
7 Jahre
40 Jahre
11 Jahre
91, Jahre
42 Jahre
144 Jahre
8 Jahre
21/, Jahre
!
und an den Schenkeln.
24 Bisse und Kratzer
Bisse unterhalb des
linken Auges
Bisse am linken Arm
und linken Ohr
Starker Biss auf der
Wange unter demlinken
Auge
Ausgedehnte Wunde auf |
der linken Wange
Bisse unter dem linken
Auge und an der Ober- |
lippe
Biss am mittlern Teil
der Oberlippe
Biss an der rechten
Seite der Nasen-
scheidewand
Biss am äußern Winkel
der rechten Augenbraue
Biss in Oberlippe und
Schleimhaut
20. August
23. August
7. August
22. August
30. August
26. August
25. August
13. August
20. August
Pasteur, Prophylaxe der Tollwut. 627
den, und welche der intensiven wiederholten Behandlung unterworfen wurden.
= oe N ERBR ENDET NEN 1 ENEEPTIE PERRPIERBERN VERTNES 2 GEBR ERTER TER RN BA RPRERSERN
Zeit der Be-
_ handlung
30. Aug. bis
2. Oktober
22. Aug. bis
4. Oktober
26. Aug. bis
23. September
12. Aug. bis
13.September
30. Aug. bis
2. Oktober
1. Septbr. bis
2. Oktober
1. Septbr. bis
3. Oktober
2. Septbr. bis
22.September
24. Aug. bis
23. September
25. Aug. bis
1. Oktober
Impfung
Mark von 10 bis 3 Tagen
verabreicht in 3 Tagen
Mark von 8 bis 2 Tagen
= „’ 8 bis 1 Tagen
3 »„ 6 bis 1 Tagen
Mark von 14 bis 2 Tagen
verabreicht in 3 Tagen
Mark von 8 bis 1 Tagen
% »„..,6 bis,.d Tagen
Mark von 14 bis 2 Tagen
R „. 8 bis 2 Tagen
a „ 8 bis 1 Tagen
Mark von 14 bis 3 Tagen
n » 8bis 2 Tagen
R. 1 "8x6bis)2
a „ 8 bis 2 Tagen
Mark von 14 bis 2 Tagen
verabreicht in 3 Tagen
Mark von 8 bis 2 Tagen
R « 8Sbis 1 Tagen
B »aNı6 bis llTagen
Mark von 12 bis 2 Tagen
verabreicht in 3 Tagen
Mark von 8 bis 1 Tagen
» „ 6 bis 1 Tagen
a „ 6 bis 1 Tagen
Mark von 10 bis 2 Tagen
verabreicht in 3 Tagen
Mark von 8 bis 2 Tagen
n „br bis. 1 Tagen
4 »„ 3 bis 1 Tagen
Mark von 12 bis 2 Tagen
verabreicht in 3 Tagen
Mark von 8 bis 2 Tagen
- „ 5 bis 1 Tagen
= „ 4 bis 1 Tagen
Mark von 12 bis 2 Tagen
verabreicht in 3 Tagen
Mark von 10 bis 2 Tagen
3 »„ S bis 3 Tagen
h „ 4 bis 1 Tagen
Mark von 14 bis 2 Tagen
verabreicht in 3 Tagen
Mark von 8 bis 2 Tagen
M »„ 6 bis 1 Tagen
4 „bis 1 Tagen
Bemerkungen
Bis 1. November waren
63 Tage seit dem Biss
verstrichen
Ebenso 72 Tage
% 69 Tage
& 35 Tage
n 70 Tage
5 62 Tage
5 66 Tage
N ‘9 Tage
70 Tage
40%
628 Pasteur, Prophylaxe der Tollwut.
Heute lassen wir die Impfungen .bei Gesichts- und Kopfwun-
den und bei tiefen Wunden an den Gliedmaßen sehr schnell auf-
einanderfolgen, um rasch zum frischesten Mark zu gelangen.
Am ersten Tag z. B. impfen wir mit zwölf, zehn und acht Tage
altem Mark um 11, um 4 und um 9 Uhr; am zweiten Tage mit
sechs, vier und zwei Tage altem Mark zu den gleichen Stunden; am
dritten Tage mit einen Tag altem Mark. Dann wird die Behandlung
von neuem angefangen: am vierten Tage mit acht, sechs und vier
Tage altem Mark. Am fünften Tage mit drei und zwei Tage altem
Mark. Am sechsten Tage mit einen Tag altem Mark. Am siebenten
Tage mit vier Tage altem Mark. Am achten Tage mit drei Tage
altem Mark. Am neunten Tage mit zwei Tage altem Mark. Am
zehnten Tage mit einen Tag altem Mark.
Man macht somit drei Kuren in zehn Tagen und führt jede bis
zum frischesten Mark fort.
Wenn die Bisse nicht verheilt oder wenn die Gebissenen sehr
spät zur Behandlung gekommen sind, kommt es vor, dass wir
nach einer Ruhepause von zwei und mehr Tagen von neuem die
Behandlung aufnehmen und sie über vier und fünf Wochen aus-
dehnen, welche Zeit für die im Gesicht gebissenen Kinder die ge-
fährlichste ist ').
Diese Art der Impfung wird für die schwer Gebissenen seit zwei
Monaten angewandt, und die Resultate sind bisher sehr günstig. Um
den Beweis dafür zu geben, genügt es, die Umstände einander
gegenüber zu stellen, die einerseits beim Biss und bei der Impfung der
sechs Kinder gewaltet haben, die bei der einfachen Behandlung nicht
erhalten worden sind; und anderseits diejenigen, welche bei zehn
Kindern stattfanden, die ebenso schwer im letzten Monat August
gebissen worden sind und der intensiven Behandlung unterzogen
wurden. (Liste der 6 Kinder siehe S. 624.)
Da es selten ist, dass die gefährliche Periode für im Gesicht und
am Kopf gebissene Kinder die Zeit von vier bis sechs Wochen über-
steigt, so habe ich das Vertrauen, dass diese zehn Kinder jetzt nicht
mehr von der Wut befallen werden können. (Liste der 10 Kinder
siehe S. 626.)
Diese neue Behandlungsweise hat eine größere Anzahl behan-
delnder Aerzte erfordert. Die Herren Dr. Terrillon, Dozent bei
der medizinischen Fakultät, Dr. Roux, zweiter Direktor an meinem
Laboratorium, Dr. Chanternesse, Hospitalarzt und Dr. Charrin
4) In denjenigen Fällen, wo die Bisse kompliziert und sehr schwer sind,
könnte die erste Behandlung an einem einzigen Tage erfolgen und müsste an
den folgenden Tagen wiederholt werden. Versuche an Hunden rechtfertigen
diese Praxis. In Russland kommen solche Bisswunden sowohl durch Wölfe
als durch Hunde vor.
Fol, Bacillus der Hundswut. 629
haben Herrn Dr. Graneher und mir ihre aufopferndste Hilfe zuteil
werden lassen.
IIR
Zum Schluss habe ich der Akademie noch die Resultate der
neuen Versuche an Hunden vorzulegen. Man konnte dem üblichen
Verfahren der Impfung am Menschen nach dem Biss, welche auf
die Impfung der Hunde vor dem Biss gegründet war, den Vorwurf
machen, dass die Immunität der Tiere nicht genügend nachgewiesen
war nach ihrer sichern Infektion durch das Wutgift. Um diesem
Einwand zu begegnen, genügt es, den Zustand der rasenden Wut
zu erzeugen durch Trepanation und Inokulation des Straßenwutgifts
in den Schädel. Die Trepanation ist die sicherste Art der Infektion
und ihre Wirkung ist die konstanteste.
Meine ersten Versuche über diesen Punkt wurden im August 1885
unternommen. Der Erfolg war ein teilweiser. Im Lauf der letzten
Monate habe ich die Versuche wieder aufgenommen, sobald ich die
Zeit neben der Behandlung der Erkrankten dazu fand. Folgende
Bedingungen sind zum Erfolg notwendig: die Impfung muss kurze
Zeit nach der Inokulation gleich vom folgenden Tage an vor sich
gehen, und man muss schnell damit fortfahren, indem man die ein-
zelnen Gaben des den Schutz bewirkenden Marks innerhalb vierund-
zwanzig Stunden und selbst noch in kürzerem Zeitraum verabreicht;
dann wiederholt man die Behandlung von zwei zu zwei Stunden ein
oder zweimal.
Wenn Dr. v. Frisch in Wien mit Versuchen dieser Art keinen
Erfolg hatte, so ist dieser Misserfolg der langsamen Methode, deren
er sich bedient, zuzuschreiben. Um ans Ziel zu gelangen, muss man,
ich wiederhole es, schnell verfahren, in wenigen Stunden müssen die
Tiere geimpft werden und von neuem geimpft werden. Man könnte
die Bedingungen des Erfolgs oder Misserfolgs aus diesen Versuchen
folgendermaßen formulieren: der Erfolg der Impfung der Tiere nach
ihrer Infektion durch Trepanation hängt von der Schnelligkeit und
Intensität der Impfung ab.
Die unter solchen Bedingungen verliehene Immunität ist der beste
Beweis für die Vorzüglichkeit der Methode.
Hermann Fol, Der Bacillus der Hundswut.
Nach einer Mitteilung an die Schweizerische naturforschende Gesellschaft.
Obwohl es bis jetzt für fast sicher galt, dass die Hundswut eine
parasitische Krankheit ist, so war es bisher noch niemand ge-
lungen, auf experimentellem Wege die Art der Bacillen festzustellen,
welchen wir die Uebertragungsfähigkeit zuschreiben müssen.
Herr Fol hat sehon in einer frühern Veröffentlichung die Me-
thode angegeben, die er anwendet, um im Gehirn eines wutkranken
630 Fol, Bacillus der Hundswut.
Tieres den Bacillus zu färben: sie ist eine Modifikation der Wei-
gert’schen Methode. Entgegen den Behauptungen der Herren Cornil
und Babes und nach wiederholten Versuchen hält Herr Fol daran
fest, dass diese Methode bis jetzt die beste ist, und dass diejenige
von Gramm keine ausschließliche, ja nicht einmal eine charak-
teristische Färbung des in Rede stehenden Baecillus hervorbringt.
Die Impfungsversuche haben 169 Tieren das Leben gekostet.
Das Gift war mehrern Hunden entnommen, von denen vier wirk-
lich als wutkrank sich erwiesen haben. Die Kulturen waren mit
einer Flüssigkeit hergestellt, die man erhält, indem man die zerrie-
benen Gehirne und Speicheldrüsen von Tieren auspresst, nachdem sie
einige Stunden mit kohlensaurem und phosphorsaurem Kali mazeriert
worden sind. Dieser Saft wurde durch Filtration und nicht durch
Kochen sterilisiert und als Flüssigkeit oder im Agar-Agar eingerührt
verwendet.
Von acht mit ersten Kulturen geimpften Tieren sind fünf mit
sehr ausgesprochenen Wutsymptomen krepiert. Von acht andern,
welche mit zweiten Kulturen geimpft worden waren, sind vier,
worunter ein Hund, an Hundswut verendet. Die Impfungen wurden
immer am Gehirn vorgenommen, bei den Ratten durch Perforation
der Augenhöhle, bei Kaninchen und Hunden durch Trepanation. Die
mit Erfolg geimpften Kulturen enthielten einen nach Aussehen und
Färbung ähnlichen Bacillus wie derjenige ist, den man im Gehirn
wutkranker Tiere findet.
Dennoch blieb die letzte Kulturenreihe ohne Erfolg; sie enthielt
einen Mikrokokkus von denselben Dimensionen wie die andere, der
aber viel leichter die Anilinfarben aufnahm. Die mit diesen Kulturen
von Herrn Fol geimpften Tiere blieben gesund, und Herr Pasteur,
der die Güte hatte mit dieser Kultur Versuche anzustellen, hat die
gleichen negativen Erfolge gehabt, während er mit einer frühern
Sendung positive Resultate erzielt hatte.
Es gibt also einen Baeillus, der dem Wutbaeillus sehr ähnlich,
aber unschuldig ist, und man muss sich hüten die beiden zu ver-
wechseln.
Indem Herr Fol darauf von der Präventivbehandlung Herrn
Pasteur’s spricht, nimmt er sich dieser Methode gegen die seiner
Meinung nach ungerechten Angriffe an. Es ist leicht mit den Zahlen
in der Hand zu beweisen, dass diese Behandlung schon mehr als
hundert Personen das Leben gerettet hat, und dass die dadurch er-
zeugte Immunität vollständiger ist, als bei den Impfungen gegen
Pocken und Milzbrand.
Herr Fol hat sich bemüht ein flüssiges Antisepticum aufzufin-
den, das weniger schmerzhaft für den Kranken und unüberwindlicher
für den Bacillus ist als das Glüheisen.
Aus seinen Versuchen folgt: 1) dass Wasserstoffsuperoxyd selbst
Frank, Mikroorganismen des Erdbodens. 651
im konzentrierten Zustand keine Wirkung auf das Wutgift ausübt;
2) dass Quecksilberchlorid von Y/g99 nicht genügt, um Wutmark zu
desinfizieren und dass die Lösung von !/,.. noch keine sichere Wir-
kung hat. Man müsste also so starke Lösungen anwenden, dass die
Behandlung unausführbar würde; 3) dass Terpentinöl schon bei
ungemein schwacher Dosis wirkt. Wasser, das einfach mit einigen
Tropfen davon geschüttelt worden ist, wirkt sicherer als Sublimat-
lösung von !/,o; dieses Terpentinwasser hat ausgereicht, um Mark
in sechs Fällen von sieben zu desinfizieren.
Das Terpentinöl empfiehlt sich nach Herrn Fol durch seine
Unschädlichkeit und die Leichtigkeit, mit der es überall zu haben
ist, ganz besonders der Beachtung der Aerzte für die Behandlung
tiefer Bisse am Kopfe.
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin.
Sektion für Botanik.
Letzte Sitzung. Herr Frank (Berlin) spricht über die Mikroorganis-
men des Erdbodens. Die Frage, welche niedern Pilzformen im natürlichen
Erdboden vorhanden sind, wurde beantwortet, indem minimale durch Zerklei-
nerung und Sieben des Bodens gewonnene Teilchen desselben in nach den
gebräuchlichen Methoden hergestellte Pilzkulturen, nämlich in sterilisierte Nähr-
gelatine oder in Pflaumendekokt im hängenden Tropfen auf den Mikroskop-
Objektträger gebracht wurden. Zur Verwendung kamen: 1) ein humusreicher
Kalkboden, der Jahrhunderte lang Buchenwald trägt, 2) ein humöser Sandboden
mit nachweislich wenigstens zwei Jahrhunderte lang fortgesetzter Kiefern-
kultur, 3) ein Wiesenmoorboden, 4) ein Lehmboden des Marschlandes der Unter-
elbe, 5) Boden vom Gipfel der Schneekoppe. Es wurden gefunden in wech-
selndem, nicht regelmäßigem Auftreten verschiedene Hyphomyeceten,
nämlich ein Oidium, ein Cephalosponium, eine Torula, eine kleine einfache
Botrytis-Form, in einem Boden eine Mucorinee. Konstant in allen Böden
aber zeigte sich ungefähr am zweiten Tage der Kultur ein Spaltpilz, bei allen
Böden ein und derselbe. Zuerst erscheint er in Form langer ungegliederter
Leptothrixfäden. Sehr bald tritt in denselben Gliederung ein, wodurch
sie oft ziekzackförmig brechen in längere oder kürzere Fadenstücke, die
Bacillusform. Dann folgt noch weitere Teilung in kurze zylindrische oder
ovale Zylinder, die Bakterienform. Nach mehrern Tagen schließt regel-
mäßig die Entwicklung ab mit der Sporenbildung unter allmählicher Ver-
gallertung der Membran der Fäden oder Stäbchen. An den Sporen wurde in
Objektträgerkultur wiederum Auskeimung in kurze Stäbchen beobachtet, die
vor der Teilung entweder grade bleiben oder auch sich krümmen und so die
Form des Kommabacillus annehmen. Der Entwicklungscyklus liegt also
vollständig vor. Innerhalb desselben zeigten sich noch folgende Variationen:
4) Inbezug auf Beweglichkeit, indem Fäden, Bacillen und Bakterien entweder
starr bleiben können oder flexil werden, nicht selten auch lebhaft durch ein-
ander wimmelnde Bewegung annehmen; 2) inbezug auf die Dicke der Individuen,
indem dieselben bei der üppigen Ernährung im Beginn der Kultur 1,2—1,8 u
632 Zäslein, Dauerformen des Koch’schen Kommabaeillus.
stark sind, bei fortgesetzter Vermehrung oft dünner werden bis zu 0,8 und
selbst 0,6 « Durchmesser. Uebergänge der verschiedenen Diekegrade in dem-
selben Faden sind konstatiert. Damit ist eine neue Bestätigung der von Zopf
gegenüber den herrschenden Meinungen der Bakteriologen vertretenen Ansicht
gegeben, dass die morphologischen Merkmale der Spaltpilze, nach denen man
bisher Gattungen nnd Arten nnterschied, hierzu unbrauchbar sind, vielmehr
nur Entwicklungsstadien eines und desselben Pilzes darstellen können. Natur-
historisch müsste man den Bodenspaltpilz daher als Leptothrix terrigena,
Bacillus terrigenus, Bacterium terrigenum bezeichnen, je nachdem er in diesem
oder jenem Entwicklungszustande sich befindet. Vortragender geht nun auf
die chemischen Prozesse im Erdboden über, die man bisher hypothetisch der
Thätigkeit von Mikroorganismen zugeschrieben hat, und zwar auf die zuerst
von Schlösing und Müntz vermutete Nitrifikation von Ammoniakverbin-
dungen. In sterilisierte Lösungen von 0,008 g Chlorammonium auf 100 cem
Wasser nebst etwas Pilznährstoff wurden die durch Reinzüchtung gewonnenen
Pilzformen eingeimpft und dann nach dem Auftreten von Salpetersäure (geprüft
mit Diphenylamin) und nach dem Verschwinden des Ammoniaksalzes (geprüft
mittels des Nessler’schen Reagens) die Fähigkeit oder Unfähigkeit, Nitrifi-
kation zu bewirken, ermittelt. Die Kontrolversuche mit frischem unsterilisiertem
Boden ergaben nach 4 Wochen starke Abnahme des Chlorammoniums, nach
8 Wochen nur noch eine Spur, nach 10 Wochen vollständiges Verschwunden-
sein desselben. Dagegen trat in den mit den verschiedenen Bodenpilzen be-
säten Lösungen in keinem Falle Nitrifikation ein. Weiter ergab sich, dass
auch der sterilisierte, ja sogar der geglühte Erdboden bei der gleichen Ver-
suchsanstellung Ammoniaksalz in Nitrat oder Nitrit umwandelt. Es folgt
daraus, dass die im Erdboden lebenden Pilze nicht im stande sind, Ammoniak-
salze zu nitrifizieren, dass dieser Prozess im Boden vielmehr ein anorganischer
ist, der an die Nitrifikation durch Platinmoor oder durch Ozon erinnert.
Sektion für innere Medizin.
2. Sitzung. Herr Zäslein (Genua) spricht über die Dauerformen des
Koch’schen Kommabaecillus und gibt einige Notizen über sein
Wachstum im 3. Jahre seines Imports in Europa. Es wurden Kul-
turen in sehr verdünnten Nährmedien gemacht, welche in folgender Reihe zeit-
lich geschieden die verschiedenen Formen zur Entwicklung kommen ließen:
Komma und bloße Kugeln, Bacillenketten; diese Formen sterben nach 2—5 Mi-
nuten dauernder Austrocknung. Später treten Spirillen und an denselben die von
Hüppe beschriebenen Arthrosporen auf; sie übertreffen den Spirillus an Breite
wenig, sind rund, stark glänzend und werden zuerst endständig, dann frei;
sie widerstehen der Austrocknung bis 3 Stunden und 20 Minuten. Sowohl die
Bildung als das Auskeimen derselben wurde öfters direkt beobachtet. Erst
später treten die degenerativen Formen, welche teils als Sporen beschrieben
wurden, auf; solche Kulturen widerstehen der Austrocknung nicht länger als
die frühern. Es wird somit die Hüppe’sche Spore, da sie länger als der
Kommabaeillus der Austrocknung widersteht, und entsprechend ihrer botani-
schen Stellung als eine Dauerspore aufzufassen sein, wenn auch nicht gleich-
zeitig mit einer endogenen. Es wird noch bemerkt, dass in diesem Jahre der
Koch’sche Baecillus unregelmäßiger gewachsen ist und sich öfter rascher, doch
nie so rasch wie der Finkler’sche entwickelt hat. — Herr Paul Guttmann
(Berlin) teilt mit, dass nach Untersuchungen im Laboratorium des städtischen
Emmerich, Heilung von Infektionskrankheiten. 633
Krankenhauses Moabit sich aus mehrere Monate alten Choleragelatinekulturen,
die bei wiederholten mikroskopischen Untersuchungen keine Cholerabaeillen
enthielten, bei Ueberimpfung auf Gelatine wieder Cholerabacillen entwickelten.
Wenn hingegen alte Cholerakultur auf die Deckgläser gestrichen, 24 Stunden der
Brutschranktemperatur ausgesetzt und hierauf in die Nährgelatine oder Bouillon
gebracht wurde, so trat keine Kulturentwicklung ein. Die erstgenannte Be-
obachtung scheint dafür zu sprechen, dass Dauerformen der Cholerabaeillen
existieren. — Herr Finkler: Vor 2 Jahren haben wir zuerst diese Beobach-
tungen beschrieben, dass in alten Kulturen nur noch Kömer zu finden sind,
welche in der That wieder zu Kommabacillen auswachsen. Wir haben die
Resistenz des Materials aus alten Kulturen gegen Erwärmen, gegen Austrocknen
hervorgehoben und dieses Material als bestehend aus der Dauerform des Komma-
bacillus bezeichnet. Ob man dieselbe als echte Sporen auffasst oder als den
Rückstand der lebensfähigen Materie, die sich am Baeillus gruppiert, wird
jetzt ja weiter diskutiert werden, auf alle Fälle existiert Dauerform. Ich weiß
aus bestimmten Beobachtungen, dass die Dauer der Erhaltung der Lebens-
fähigkeit noch länger ist, als hier gesagt wurde, und finde die Dauerform
ebensowohl bei Koch’s Bacillus als bei dem von mir und Prior gefundenen
Vibrio, der sich als regelmäßiges Vorkommnis bei Cholera nostras auch jetzt
wieder in Bonn erwiesen hat.
Sektion für allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie.
1. Sitzung. Herr Emmerich (München) spricht über Heilung von In-
fektionskrankheiten (Vernichtung von Milzbrandbacillen im Organismus).
Redner machte zufällig die Beobachtung, dass man Meerschweinchen, welche mit
Erysipelkokken-Reinkulturen infiziert worden waren, pathogene Bakterien ver-
schiedener Art injizieren kann, ohne dass die Tiere zu grunde gehen. Werden
die Meerschweinchen nach der Infektion getötet, so findet man nur Erysipel-
kokken in den Organen, während von den nachträglich injizierten Bakterien
nichts vorhanden sei. In großer Zahl wurden Versuche mit Milzbrandbacillen
ausgeführt und zwar 1) Vorimpfungen mit Erysipelkokken und nachträgliche
Injektion von Milzbrandbaeillen. 2) Gleichzeitige subkutane Injektion von
Erysipelkokken und Milzbrandbacillen. 3) Injektion von Milzbrandbaeillen und
nachträgliche subkutane und intravenöse Injektion von Erysipelkokken. Bei
jedem Versuch wurde eine gleiche Zahl von Tieren zur Kontrole nur mit
Milzbrandbaeillen infiziert. Diese Kontroltiere hatten das gleiche oder ein
höheres Körpergewicht als die mit Erysipel behandelten Tiere, und die Zahl
der zur Milzbrandinfektion verwendeten Bacillen war die gleiche. Von 9 mit
Erysipelkokken vorgeimpften Kaninchen starben nur 2 (an Erysipel), während
7 am Leben blieben und sämtliche 9 Milzbrandkontroltiere der Injektion er-
lagen. Ungünstigere Resultate ergaben die Versuche, die ausgebrochene Milz-
brandinfektion durch subkutane Erysipelkokken-Injektion zu heilen, während
durch intravenöse Injektion günstige Erfolge erzielt wurden. Von 10 mit
intravenösen Injektionen behandelten Tieren starben nur 4, und 6 wurden ge-
heilt. Die Vernichtung der Milzbrandbacillen im Körpergewebe kommt nicht
durch die Erysipelkokken selbst zu stande, sondern durch die unter dem Ein-
fluss der Erysipelkokkeninvasion hochgradig irritierten (entzündeten) Körper-
zellen, so dass Hoffnung vorhanden ist, dass auf dem gleichen Wege die Hei-
lung anderer Infektionskrankheiten gelingen wird.
634 Schrön, Tuberkelbacillen und Tuberkelspore.
Herr von Schrön (Neapel): Ueber Tuberkelbacillen und
Tuberkelspore. 1) Der Tuberkelbacillus ist in seinem Jugendzustand
eine Torulakette. 2) Mit fortschreitendem Wachstum des Bacillus entfernen
sich die Körnchen der Kette und sind durch ein Band verbunden. 3) Die
Intercellularsubstanz des Bacillus ist ein Sekretionsprodukt dieser Körnchen,
welche durch Apposition sich bildet. 4) Bei der regressiven (schleimigen)
Metamorphose des Bacillus werden die Körnchen der Torulakette als Baecillen-
sporen frei. 5) Diese freigewordenen Sporen werden durch successive Ver-
größerung zu Muttersporen, welche eine Kapsel und Inhalt besitzen. 6) Der
feinkörnige Inhalt der Mutterspore wird zu Tochtersporen. 7) Die Tochter-
sporen sprengen die kontraktile Kapsel und treten entweder einzeln oder als
Torulakette (junger Bacillus) aus der Mutterspore. — Im Anschluss und zur
Bekräftigung des Demonstrierten zieht v. S. eine Reihe von Analogien an aus
seinem Studium von 34 Arten von Mikroorganismen, unter denen er einige
gefunden hat, deren Entwicklung mit jener des Tuberkelbacillus Aehnlichkeit
hat. Er spricht namentlich von seinen Kulturen in hängenden Tropfen, an
denen er die successive Umbildung verschiedener Bacillen durch vierzehn
Monate hindurch verfolgt hat; ferner konstatiert er den schon bekannten dop-
pelten Modus der kontinuierlichen Entwicklung des Bacillus im Gegensatz zu
der aus der Spore, von ihm in allen Stadien der Entstehung verfolgt. Zum
Schluss berichtet er über einen im Choleradarm vorkommenden Bacillus,
dessen verschiedene Entwicklungsphasen der Redner schon seit 2 Jahren im
Gewebe des Darms mit besondern Färbungsmethoden verfolgt und welchen er
in lebenden Kulturen dargestellt hat. Er konstatierte endlich die Umbildung
des ganzen Baecillus in ein schlauchartiges Gebilde, von Kokken und ganz
kleinen Baeillen (je nach dem Stadium) erfüllt, die sofort die lebhafteste Be-
wegung annehmen, wenn man sie in Kontakt mit der Luft bringt nnd ihnen
eine dem Blutserum ähnliche Flüssigkeit zusetzt, woraufhin die kontraktilen
Schläuche ihren wirbelartig sich bewegenden Inhalt auspressen. — Herr Ko-
walsky (Wien) erkennt auf grund eigner Erfahrungen dem Tuberkelbacillus
nur eine beschränkte Wachstumsvariabilität zu. Der Bacillus zeigt eine_ ge-
wisse Länge, eine Hülle, innerhalb dieser regelmäßig angeordnete Glieder mit
5—9 Sporen, welche jedoch durch starke Färbung leicht verdeckt werden.
K. hält die kleinsten Glieder zugleich auch für die jüngsten und glaubt, dass
sie sich durch Teilung vermehren. Zur Erläuterung werden selbstgefertigte
Photogramme sporenhaltiger Bacillen demonstriert.
In der folgenden Sitzung teilt Herr v. Schrön im Anschluss an seinen
ersten Vortsag und zur Erläuterung seiner vorliegenden mikroskopischen Prä-
parate über seine Cholerabrutkapseln mit, dass der von ihm im Choleradarm
beobachtete Bacillus in einigen Punkten Aehnlichkeit mit dem Kommabacillus
von Koch hat. Redner betont, dass der von ihm demonstrierte Bacillus der
während des Choleraprozesses im Darm verbreitetste ist. Schon vor 2 Jahren
hat Ref. alle Phasen der Entwicklung dieses Bacillus an gehärteten und ge-
färbten Darmschnitten beobachtet. Erst in diesem Jahre (1836) ist es ihm ge-
lungen, im hangenden geschlossenen Gelatinetropfen die eigentümlichen Kokken-
und Bacillenschläuche, die dieser Bacillus bildet (nicht aus einer Spore) dar-
zustellen und in allen Stadien der Entwicklung zu verfolgen. Wichtig erscheint
ihm der Umstand, dass der betr. Mikroorganismus zu seiner Entwicklung das
Bindegewebe (eine kollagene Substanz) aufsucht, sowie seine unter dem Mikro-
skop darstellbare Belebung in den charakteristischen Schlösschen durch eine
a LT,
ni
Ribbert, Untergang pathologischer Schimmelpilze im Organismus. 635
Flüssigkeit, die dem Bintserum näher steht als Gelatine (z. B. Koch’sche
Fleischbrühe). Redner knüpft hieran Schlussfolgerungen, die die allgemeine
Infektion des Körpers durch die Brut des Bacillus betreffen. Die weitgehende
Verbreitung von Kokken, die mit dem aus den Utrikeln austretenden die
größte Aehnlichkeit haben, und das massenhafte Auftreten derselben in den
perivasalen Lymphränmen des Zentralnervensystems, sowie im Gewebe der
Nieren, der Leber und der Lungen machen die Zusammengehörigkeit dieser
Elemente mit dem demonstrierten Bacillus wahrscheinlich, sowie sie die Mög-
lichkeit nicht ausschließen, dass die gefürchteten Ptomaine am Aufenthaltsorte
der Kokken d.h. in den Geweben selbst gebildet werden. Letzteres ist selbst-
verständlirh hypothetisch, da für die genannten Kokken bis jetzt weder eine
spezifische Färbungsmethode existiert, noch mit absoluter Gewissheit nach-
gewiesen werden kann, dass dieselben in genetischer Beziehung zum Cholera-
prozess stehen.
2. Sitzung. Herr Ribbert (Bonn) spricht über den Untergang patho-
gener Schimmelpilze im Organismus: Bei Injektion geringer Sporen-
menge stirbt das Kaninchen nicht, sondern wird gesund. Die Untersuchung
der Organe in verschiedenen Intervallen nach der Injektion ergibt, dass in
solehen Fällen eine regelmäßige Keimung der Sporen nicht eintritt. Man findet
sie schon 6 Stunden nachher von Leukocyten umgeben, besonders deutlich in
der Leber. Die Ansammlung weißer Blutkörperchen, zwischen denen die Sporen
im Verlauf von Tagen zu grunde gehen, führt zur Bildung kleiner Knötchen,
Dilatation der Kapillaren und Kompression der Leberzellen. Mit dem Ab-
sterben der Pilze zerfallen und verschwinden die Leukoeyten, die kompri-
mierten Leberzellen ıegenerieren sich vielfach unter Bildung von Riesenzellen,
welche häufig Sporenreste enthalten. Auch aus der Lunge werden Riesenzellen
aus den desquamierten Epithelien gebildet und nehmen gleichfalls zum Teil
die Pilze auf. In beiden Organen bringen es die Sporen nur zu einer unvoll-
kommenen Keimung in Gestalt einer allseitigen feinen Umstrahlung. Die
regelmäßige Enfwicklung wird eben durch die protoplasmatische Einhüllung,
in erster Linie durch die Leukoeyten verhindert.
Letzte Sitzung. Herr Schottelius (Freiburg) berichtet über eine Reihe
von Uebertragungsversuchen, welche derselbe in Gemeinschaft mit Herm
Bäumler über Lepra-Impfung vorgenommen hat. Das Resultat dieser Ver-
suche ist deshalb von allgemeinerem Interesse, weil die Uebertragungen unter
den denkbar günstigsten äußern Bedingungen stattfanden, und weil der Infek-
tionsmodus von dem bisher angewandten abweicht. Die Versuche wurden an-
gestellt an Affen und an einer großen Zahl anderer Tiere. Das Impfmaterial
wurde zwei Kranken mit hochgradiger Lepra tuberosa entnommen, von
denen der eine in Brasilien, der andere in Java die Krankheit sich zugezogen
hatte. Die Exzision etwa 6 cm langer und 3 cm breiter lepröser Hautstücke
nahm Herr Kraske in Freiburg vor; das herausgeschnittene Material wurde
sofort in 40° warmer Bouillon und in 40° warmem Blutserum aufgefangen,
unter gleichmäßiger Erhaltung dieser Temperatur zu einer Emulsion verrieben
und unmittelbar darauf zur Infektion der Tiere verendet. Die Impfungen
wurden in der Weise vorgenommen, dass mit einer Spritze an zahlreichen
Stellen in und unter die Haut den Tieren die (ganz enorme Massen von Lepra-
bacillen enthaltende) Flüssigkeit eingespritzt wurde. Das Resultat dieser Ver-
636 Cantani, Giftigkeit des Cholerapilzes.
suche war ein durchweg negatives; der letzte Affe, dem am 20. Juli außer
den subkutanen Injektionen in eine Hautvene des rechten Armes eine ganze
Pravaz’sche Spritze voll Lepra-Emulsion eingebracht und unter die Haut des
linken Oberarms ein bohnengroßes Stück lebenswarmen Lepragewebes einge-
näht wurde, ist noch jetzt am Leben und völlig gesund. Die angestellten
Kulturversuche fielen gleichfalls negativ aus. Gelegentlich dieser Versuche
wurden auch einige Beobachtungen über die Einwirkung der Licht- und Wärme-
strahlen auf die Bewegung der Bacillen angestellt: Licht- und Wärmestrahlen
bewirken bei den sonst bewegungslosen Leprabaeillen nicht nur eine Oseillation,
sondern auch eine auf physikalischem Wege zu erklärende Bewegung im Sinne der
Lokomotion. Bei dem zur histologischen Untersuchung reservierten Teil der
ausgeschnittenen Hautstücke fanden sich die durchschnittlich in Zellen liegen-
den Baecillen regelmäßig — wenn auch nur in einzelnen Exemplaren oder in
kleinen Gruppen — im Epithel. — Diskussion: Herr Arning bestätigt, dass
es ihm ebenfalls nicht gelungen sei, irgendwelches Versuchstier mit Lepra zu
impfen, weder von der Augenkammer noch von der Bauchhöhle, noch von den
Venen aus. Selbst an einem Menschen gelang ihm die Impfung nicht, bei
diesem aber ist das Experiment noch nicht abgelaufen, da nach 14 Monaten
noch Bacillen an der Stelle der Impfung gefunden wurden. Reinkulturen sind
ihm ebenfalls nicht gelungen, dagegen wuchsen die Baeillen in fauligen Sub-
stanzen. — Herr Schottelius verdankt einer Mitteilung des Herrn Prof.
M. Gavarry in Leyden die Nachricht, dass ihm auf Java von einem spon-
tanen Vorkommen der Lepra oder einer der Lepra ähnlichen Krankheit nichts
bekannt ist.
Herr A. Cantani (Neapel) spricht über die Giftigkeit der Cholera-
bacillen. Woher kommt die Choleragefahr? Die Bluteindiekung reicht nicht
hin, dieselbe zu erklären, man muss bei Leuten, die an Cholera siecca oder mit
raschestem Kollaps zu grunde gehen und in der Leiche nicht zu dickes Blut
zeigen, eine Vergiftung annehmen. Das Gift kann von Ptomainen, von Sekre-
tion der Koch’schen Baeillen, von Giftigkeit der Baecillen selbst kommen.
Experimente an Hunden ergaben, dass die größte Wahrscheinlichkeit für letz-
tere existiert: Reinkulturen von Cholerabacillen in Peptonfleischbrühe, welche
durch Erhitzung auf 100° sterilisiert wurde und somit nur tote Bacillen ent-
hielt, brachte, ins Peritoneum injiziert, die Symptome einer Choleravergiftung
hervor, während einfache (sterile) Fleischbrühe bei Kontrolversuchen die Tiere
ganz munter ließ und während auch die Injektion der Fleischbrühe mit leben-
den Bacillen nicht immer choleraartige Symptome hervorbrachte. Dies lässt
als wahrscheinlich erscheinen, dass die toten Cholerabaecillen, resorbiert, den
Körper vergiften, wie dies genossene giftige Schwämme thun. Wie immer
aber das Choleragift zu stande kommt, gewiss muss man annehmen, dass je
mehr Cholerabaeillen da sind, desto mehr Gift erzeugt wird und in das Blut
gelangt. Die therapeutischen Indikationen werden daher sein: 1) Beschränkung
der Vermehrung der Cholerabacillen im Darmkanal; 2) Förderung der Aus-
scheidung des aufgenommenen Giftes. Der ersten Indikation entspricht die
(heiße) gerbsaure Enteroklyse besser als andere bisher versuchte Mittel, um
so mehr als Experimente über die Einwirkung der Gerbsäure auf die Kulturen
der Cholerabaeillen bei 37° ergaben, dass 1/,—1 °, Gerbsäure hinreicht, die
Bacillenvermehrung zu unterdrücken und die bereits vorgeschrittenen Kulturen
steril zu machen für das Uebertragen in andern geeigneten Nährboden. Der
zweiten Indikation entspricht die Hypodermoklyse, welche, wenn sie nicht die
Soyka, Grundwasserschwankungen von Berlin und München. 637
auf die Annahme der Gefahr durch Bluteindickung gestützten großartigen Er-
folge gab, doch die Mortalität der schweren Cholerafälle auf die Hälfte
herabsetzte, indem sie eine Mortalität von 40°], gegen 60°/, Genese bei den
allerschwersten Fällen ergab. Uebrigens auch die gerbsaure heiße Enteroklyse,
da sie wieder urinieren macht, dient dieser Medikation und kann bis zu einem
gewissen Grade die Hypodermoklyse substituieren.
Sektion für Hygieine.
2. Sitzung. Herr Prof. Soyka (Prag): Die Grundwasserschwan-
kungen von Berlin und München, nach ihren klimatischen und
epidemiologischen Beziehungen. S$. geht zunächst von der Thatsache
aus, dass wir in den Grundwasserschwankungen einen Maßstab für die Schwan-
kungen der Bodenfeuchtigkeit, besonders der oberflächlichen Bodenschicht, zu
suchen haben; da nun alles Wasser im Boden schließlich den atmosphärischen
Niederschlägen entstamme, so muss doch ein Zusammenhang zwischen diesen
und dem Grundwasserstande bestehen. Die direkte Beobachtung lässt diesen
Zusammenhang vielfach vermissen, besonders z. B. in Berlin, wo Minimum des
Niederschlags und Maximum des Grundwassers koinzidieren. Aehnlich auch in
Bremen. Eine Untersuchung dieser Verhältnisse, wie sie an verschiedenen
Orten bestehen, zeigt nun, dass sich doch gewisse gesetzmäßige Beziehungen
zwischen den meteorischen Faktoren und dem Grundwasser ableiten lassen.
S. schlägt hierbei folgenden Weg ein. Er fasst eine längere Beobachtungs-
periode zusammen, in Berlin 16 Jahre (1870— 1885), in München 28 Jahre
(1856 — 1883), stellt für diese Jahre die Mittelwerte für die einzelnen Werte
und konstruiert auf diese Weise die Jahresperiode. An der Hand von graphi-
schen Darstellungen wurden dann diese Verhältnisse demonstriert. InMünchen
ergibt sich bei dieser Betrachtung eine innige Beziehung zwischen der Periode
des Grundwassers und der des Niederschlags, besonders was die Maxima an-
belangt, welche bei beiden in die Monate Juni bis August fallen. Das Minimum
des Grundwassers eilt jedoch dem Minimum des Niederschlags voraus; es tritt
bereits im November ein, und von da beginnt wieder ein Ansteigen des Grund-
wassers, während das Minimum des Niederschlags erst im Februar eintritt.
S. erklärt dies aus der geringen Verdunstung, die in den Monaten November-
Februar herrscht, wodurch die relativ immer noch hohen Niederschlagsmengen
den Verlust des Grundwassers reichlich überkompensieren und "also ein An-
steigen des Grundwassers veranlassen. In Berlin nun ist zwischen Nieder-
schlag und Grundwasser gar keine direkte Uebereinstimmung zu erkennen, das
Maximum des Grundwassers koindiziert mit dem Minimum der Niederschläge
(April), und das Maximum der Niederschläge (Juli) bewirkt keinen Stillstand
in dem starken Absinken des Grundwassers. 8. erklärt dies mit der viel ge-
ringern Niederschlagsmenge Berlins (um 29°), weniger als in München) und
mit der unregelmäßigen, unrhythmischen Verteilung. Während in München
eine Regenperiode scharf ausgeprägt ist und dem entsprechend die Amplitude
der Niederschlagsschwankung 82,3 mm beträgt, fehlt diese typische Gestaltung
der Berliner Kurve, die Amplitude beträgt nur 34,1 mm, also noch nicht einmal
die Hälfte der Münchener. Als dominierend für die Grundwasserschwankungen
in Berlin tritt dagegen ein anderer Faktor in die Erscheinung, der wieder in
München nicht zur Geltung kommt, das sogenannte Sättigungsdefizit bezw. die
in ihm sich aussprechende Trockenheit der Luft und Verdunstung. Die Kurve
638 Hüppe, Ueber Wildseuche.
des Sättigungsdefizits und die des Grundwassers sind in Berlin in vollständiger
Uebereinstimmung, nur geht die erstere der letztern voran, da die Resultate
der Verdunstung sich nur allmählich und verspätet im Grundwasser äußern
können. In München dagegen tritt die sekundäre Erscheinung auf, dass das
Maximum des Grundwasserstandes mit dem Sättigungsdefizit, also der Trocken-
heit, koinzidiert. Es erklärt sich dieses wieder durch die relativen Verhält-
nisse von München und Berlin. In Berlin ist ein sehr hohes Sättigungsdefizit,
eine große Trockenheit der Luft, die im Mittel um ca. 75°, höher ist als in
München, ebenso ist auch die Amplitude der Schwankung in Berlin 1,5 mal so
groß als in München. Dagegen treten grade in der Zeit des Minimums des
Sättigungsdefizits in München (Juni— August) die starken Niederschläge mit
ihrem Maximum ein und überkompensieren so den Einfluss des Sättigungs-
defizits in B. Auch in der Beziehung zwischen Grundwasser- und Flusswasser-
stand sprechen sich die geographischen und klimatischen Unterschiede von
Berlin und München aus. In Berlin ist hier ein vollständiger Parallelismus zu
konstatieren, sowohl der Zeit als auch der Intensität nach; die Spree geht nur
(um einen Monat) voraus. In München sind dagegen die Schwankungen der
Isar Dmal so groß als die des Grundwassers, infolge des mächtigen oberfläch-
lichen Zuflusses aus dem Gebirge. Soyka zeigt ferner, dass diese Verhält-
nisse von Berlin und München in einem gewissen Sinne als typisch angesehen
werden können, und weist dies an zwei andern Städten, Salzburg und Bremen,
nach, von denen Salzburg genau mit München, Bremen genau mit Berlin über-
einstimmt. Soyka geht nun weiter auf die Beziehungen zwischen Grund-
wasserschwankung und Typhusfrequenz ein. Indem er den Typhus nach seiner
prozentualen Verteilung auf die einzelnen Monate untersucht, konstatiert er,
dass sowohl in München als auch in Berlin die höchste Typhusfrequenz mit
dem niedrigsten Grundwasserstand und umgekehrt koinzidiert; dem entsprechend
ist in Berlin die höchste Typhusfrequenz in den Monaten August, September,
Oktober — in München, wo die Typhuskurve der des Grundwassers etwas nach-
geht, in den Monaten, Dezember, Januar, Februar. Als besonders beachtens-
wert hebt Soyka hervor, dass entsprechend der größern Amplitude der
Grundwasserschwankung in Berlin (2,2 mal so hoch als in München) auch die
Amplitude der Typhuskurve eine viel höhere ist (1,6 mal so hoch als in
München). Bremen, das in seinen Grundwasser- und meteorologischen Verhält-
nissen mit Berlin so vollständig übereinstimmt, zeigte diese Uebereinstimmung
auch in seinem Typhusrhythmus. Die Zeiten der Maxima und Minima sind
genau dieselben wie in Berlin, und entsprechend der größern Amplitude der
Grundwasserschwankung ist auch die Amplitude der Schwankung an der
Typhusfrequenz eine noch größere.
3. Sitzung. Herr Hüppe (Wiesbaden) spricht über Wildseuche. Die
Wildseuche, Septihaemia haemorrhagica, kommt in epidemischer Ausbreitung
unter Rot- und Schwarzwild vor und im Anschlusse an derartige Epizootien,
aber auch ohne Vorausgehen derselben, unter den Haustieren. Sie befällt
Pferde, Rinder, Schweine spontan und ist experimentell übertragbar auf meh-
rere andere Tierarten, besonders auf Kaninchen. Bei spontanem Vorkommen
sind 3 Formen auseinanderzuhalten: eine rein septikämische bei kutaner Infek-
tion, eine pneumonische durch Einatmung und eine als Intestinalmykose sich
äußernde bei Aufnahme des Virus bei der Fütterung. Diese Formen lassen
sich experimentell ineinander überführen und kombinieren sich in verschiedener
Weise. Das Virus ist eine Kokkoceenart, welche bei Zimmer- und Blut-
Fischer, Drehungsgesetze beim Wachstum tierischer Organismen. 639
temperatur leicht kultiviert werden kann auf Gelatine, Agar, Blutserum, Kar-
toffeln. Bei Zimmertemperatur vermehrt es sich auch in schlechtem Wasser
und in gewachsenem Boden bei mittlerem Feuchtigkeitsgehalt. Die Bakterien
gehören zu den Arthrosporenarten und sind fakultative Parasiten. Sie werden
durch Sublimat, Karbolsäure, Aseptol und siedendes Wasser sicher vernichtet
und sind beim Austrocknen nicht sehr resistent. Die Wildseuche ist eine aus-
gesprochen miasmatische kontagiöse Krankheit im ältern Sinne des Wortes.
Experimentell lässt sich zeigen, dass über die Form des Auftretens, ob mias-
matisch oder kontagiös, nur der Modus der Infektion entscheidet. Und zwar
ist das miasmatische Moment, die Abhängigkeit von örtlich-zeitlichen Umständen,
bedingt durch die Aufnahme des Virus durch Atmung und Fütterung und nur
abhängig von der allgemeinen individuellen Disposition, welche nach den Arten
der befallenen Tiere schwankt. Das kontagiöse Moment erfordert neben dieser
allgemeinen Disposition der Arten und Rassen noch eine besondere durch
vorausgegange Verwundung (bezw. Insektenstiche) uud tritt deshalb bei den
Epizootien gegen das miasmatische zurück. Im Gegensatze zum Milzbrand ist
die Intestinalform nicht an eine besonders resistente Dauerform gebunden,
sondern erfolgt schon durch die einfachen Bakterien. Der Gegensatz im Ver-
halten der Milzbrandbaecillen und der Wildseuchekokken lehrt, dass das, was
die Epidemiologie als miasmatisch-kontagiös oder ektogen auffast, biologisch
in ganz verschiedener Weise erreicht werden kann. Das Hineininterpretieren
eines ganz bestimmten Schemas in die Biologie der Parasiten der miasmatisch-
kontagiösen Infektionskrankheiten ist deshalb als voreilig und zum Teil un-
richtig von der Hand zu weisen und für jede derartige Krankheit (z. B. auch
für Typhoid und Cholera) das Verhalten gesondert zu ermitteln. — Herr
Rubinsohn (Grätz) fragt, ob Erkrankungen nach dem Genusse von Schweinen
die an Rotlauf zu grunde gingen, vorgekommen sind. — Herr Köttnitz
(Greiz) führt aus, dass er Magen- und Darmkatarrhe beobachtet hat, die zwar
nicht tödlich verliefen, aber von langer Dauer waren. — Herr Löffler (Berlin)
frägt den Vortragenden, wie der Organismus der Wildseuche, welcher inbezug
auf sein Verhalten zur Nährgelatine und Blutserum durchaus mit dem Organis-
mus der Schweineseuche übereinstimmt, Meerschweinchen gegenüber sich ver-
halte, namentlich ob sich bei den subkutanen Impfungen von Meerschweinchen
das für den Organismus der Schweineseuche so charakteristische blutige OQedem
der Unterhaut entwickle. — Herr Hüppe: Die Meerschweinchen zeigten die
angegebene lokale Affektion. Die Mortalität derselben ist aber gering.
Sektion für Anatomie und physische Anthropologie.
1. Sitzung. Herr E. Fischer (Straßburg) sprach über die Drehungs-
gesetze beim Wachstum tierischer Organismen. Die Hauptsätze,
welche derselbe aufstellt, lauten: 1) Axendrehung ist eine Funktion der leben-
digen Zelle; 2) das Wachstum der Organismen findet unter beständigen spira-
ligen Axendrehungen statt; 3) die bilateral-symmetrischen Organismen besitzen
auf der rechten Körperhälfte linksspiralige, auf der linken rechtspiralige Wachs-
tumsdrehungen. Als allgemeine Erkennungszeichen spiraliger Beschaffenheit
gelten die äußern Knochenformen (Knochenkrümmungen), die spiralige Drehung
der Knochenkanten und -flächen, der spiralige Verlauf der längsleistigen oder
Knochenfasern auf der Knochenoberfläche, die spiralige Beschaffenheit der
Balkensysteme der Spongiosa, die Spaltbarkeit der Knochen, die Form und
640 Hase, Besondere Schuppenbildungen bei Schmetterlingen.
Richtung der Gefäß- und Nervenöffnungen der Knochenoberfläche, die konzen-
trische Anordnung der Knochenfasern besonders bei platten Knochen, der
schräge Verlauf der Balkensysteme zwischen den Endflächen platter Knochen,
und schließlich die spiralige Drehung der Säulchen der Knorpelkörperchen bei
den sogenannten Richtungsphänomenen derselben. F. demonstriert eine große
Anzahl von Zeichnungen und Versuchspräparaten, welche die obigen Sätze
erweisen sollen. — Herr Albrecht bemerkt hierzu, dass ihm das Vorgetragene
gänzlich unbegreiflich erscheint. Nach seiner Ansicht ist es z. B. gradezu
unmöglich zu behaupten, dass die rechte Seite eines Wirbelkörpers links, die
linke rechts gewunden ist. F. könne überhaupt nicht aussagen, dass ein
Knochen rechts oder links gewunden sei, da derselbe in einem Sinne betrachtet
rechts, im andern links spiralig erscheint. Es gibt überall Pseudospiralen am
Skelette (auch am Humerus), die lediglich durch schräge Lage von Muskel-
ansatzleisten vorgetäuscht werden. — Herr Bardeleben (Jena) macht darauf
aufmerksam, dass er schon 1874 für die Wirbel und 1878 für Arterien und
Venen die spiralige Drehung nachgewiesen habe. Bei letztern ist sie an Ab-
gangsstellen der Aeste erkennbar. — Herr Joseph (Breslau) macht auf die
spiraligen Drehungen aufmerksam, welche sich sehr klar'und deutlich bei der
Trochella der Insekten undLarven wahrnehmen lassen. — Herr Fischer (Straß-
burg) verweist anf seine Schrift über das Drehungsgesetz beim Wachstum der
Organismen, Straßburg 1886, bei welcher die einschlägige Literatur (und auch
die Arbeit von Bardeleben) erwähnt seien.
Sektion für Entomologie.
2. Sitzung. Herr Erich Hase: Ueber besondere Schuppenbil-
dungen bei Schmetterlingen. Vortragender bespricht von solchen be-
sondern epidermoidalen Bildungen zuerst den Schienensporn, dessen Entwick-
lung, wie Vortragender 1835 nachwies, im Verhältnis steht zu der gegenseitigen
Annäherungs-Möglichkeit beider Geschlechter. So fehlt er bei besonders aus-
gebildeten Fühlern der Männchen, während er den flügellosen plumpen Weibchen
der Spanner fehlt und bei beiden Geschlechtern der Heteroceren nur dann
vorkommt, wenn dieselben beide flugtüchtig sind und zu gleicher Tageszeit
fliegen; bei wenigen Hepialiden besitzen ihn nur die Weibchen. Eine im Sporn
gelegene Drüse scheint die in die Fühler eingesenkten Geruchsorgane zu be-
feuchten. Weitere besondere Schuppenbildungen sind die Männchenschuppen,
welche, wenn sie verborgen sind und von einem riechenden Sekret benetzt
werden, als Duftschuppen eine Reizwirkung auf das erworbene Weibchen aus-
zuüben scheinen. Ihre größere Entwicklung bewirkt oft eine besondere Form der
Flügel, so bei den Männchen von Ornithoptera und vielen Papilionen. Das Duft-
sekret wird entweder durch lange, willkürlich bewegliche Büschel von Strahl-
schuppenhaaren zerstreut oder (Huplaea) durch sogenannte Reibeflecke verrieben.
Andere harte Schuppenbildungen scheinen bei der indischen Gattung Hypsa bei
beiden Geschlechtern znr Erzeugung eines Schrillgeräusches zu dienen, während
sonst solche Geräusche als sexuelle Charaktere nur bei den Männchen von Theco-
phore fovea vonRogenhofer, und bei denen der indischen Corista membranacea
jetzt vom Vortragenden nachgewiesen wurden.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
er
er
re
Biologisches Centralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark
Zu beziehen dureh alle Buchhandlungen und Postanstalten.
vl. Band. 1. Januar 1887. Nr. 21.
Inhalt: Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie. — Baur, Ueber
das Quadratum der Säugetiere. — Morin, Zur Entwicklungsgeschichte der
Spinnen. — Nusbaum, Zur Embryologie der Schizopoden. — Verhandlungen
gelehrter Gesellschaften: 59. Versammlung deutscher Naturforscher und
Aerzte zu Berlin. — Physiologische Gesellschaft zu Berlin.
Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie.
Von Wilhelm Haacke.
1%
In St. Vincent’s Golf, auf den zur Ebbezeit auch für den waten-
den Sammler zugänglichen, teilweise mit Seegras und Tang be-
wachsenen Sandbänken in unmittelbarer Nähe des einsamen Miniatur-
hafenortes Port Vincent auf York’s Peninsula lebt eine Seeigelart,
die durch ihre eiförmige Gestalt, ihre dünnen kurzen Stacheln und
ihre hellgrünlich-lehmgelbe Grundfarbe bei violetter Färbung der den
Ambulakralfüßchen zunächst stehenden Stachelreihen ausgezeichnet ist.
Sie gehört der australischen Gattung Amdlypneustes an und führt den
Namen A. ovum. Man findet ihre Vertreter eben unterhalb der Grenze
des niedrigsten Ebbestandes. Eine andere Art, der A. formosus, lebt
einige Faden tiefer. Er besitzt eine dunkel grünlichgraue Grund-
farbe, welche sich auch auf sämtliche Stacheln erstreckt, dunkel
braunrote, nicht hellgelbe, Ambulakralfüßchen und weniger eiförmige,
mehr gedrückte Schalenform sowie gedrungenere Stacheln als A. ovum.
Beide Formen habe ich, die erstere mit der Hand, die andere mit
dem Schleppnetze, häufig erbeutet. Uebergänge zwischen beiden habe
ich, obwohl tausende von Exemplaren durch meine Hände gegangen
sind, und trotzdem dass die horizontalen und vertikalen Verbreitungs-
bezirke beider Arten unmittelbar aneinander stoßen, nie gefunden.
Die Verschiedenheit in der Form und Färbung der beiden Amdly-
pneustes- Arten lassen sich auf Anpassung an verschiedene Aufent-
haltsorte zurückführen. Nur in Tanghainen findet man A. formosus;
v1. 41
642 Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie.
nur auf Seegraswiesen A. ovum. Von letzterer Art will ich vorzugs-
weise sprechen.
Dem grünlichgelben Lichte der Seegraswiesen, die für ihre Be-
wohner das sind, was für uns etwa ein Bambushain ist, ist A. ovum
vortrefllich angepasst durch seine Färbung. Ganz besonders interes-
sierten mich diese Seeigel aber durch ihre Gewohnheit, im dichten
kurzen Seegrase senkrecht in die Höhe zu klettern, wie der Schorn-
steinfeger im Schornsteine. Die bald nach dem Mundpole, bald nach
dem Scheitelpole hin parabolisch verjüngte Schalenform unseres See-
igels ist hierzu vortrefflich geeignet; wie ein eiförmiger Keil rückt er,
sich allseitig mit dem Saugfüßchen an den Seegrasblättern festhal-
tend, allmählich in die Höhe. Da er aber bald herauf, bald herab
steigt, so schwankt seine Schalenform zwischen zwei Extremen.
Frei auf dem Sande liegend sind die Vertreter beider Ambly-
pneustes-Arten gänzlich hilflos, und ich habe sie außerhalb der Seegras-
wiesen und Tanghaine nur an solehen Orten gefunden, wohin sie mit
der Brandung geraten sein konnten; die von mir unbeholfen auf
unbewachsenem Grunde liegend angetroffenen lebenden Exemplare
waren immer mehr oder weniger verletzt und würden wahrscheinlich
über kurz oder lang zugrunde gegangen Sein.
Die vorstehend mitgeteilten Beobachtungen, die bei unsern überaus
spärlichen Kenntnissen von den Lebensgewohnheiten der Seeigel immer-
hin einen schon berechenbaren Beitrag zu diesen Kenntnissen hinzu-
fügen, sind schon an und für sich interessant und sollten zu ausge-
dehntern Beobachtungen Anlass geben; sie haben aber noch eine
weitere, bei der Beurteilung der Tiefseetiere und Fossilien in betracht
kommende Bedeutung.
IE
Dass die Lebensgewohnheiten der Seeigel, die wir doch nur an
den das seichte Küstenwasser bewohnenden Arten in befriedigender
Weise studieren können, etwas mit der Tiefseefauna und gar mit der
Paläontologie zu thun haben sollen, dürfte manchem gesucht er-
scheinen; gleichwohl kann ich versichern, dass sich mir die nach-
folgenden Betrachtungen, welche an jene gelegentlich gemachten
kleinen Beobachtungen anknüpfen, ganz ohne mein Zuthun aufge-
drängt haben. Durch ihre Mitteilungen will ich nichts weiter be-
zwecken als einen Hinweis auf die vielen meiner zoologischen Fach-
genossen noch nicht ganz klare Notwendigkeit, von Zeit zu Zeit Mi-
kroskop und Reagenskasten, Mikrotom und Präpariermesser, Zellen-
theorie und Systematik sich selber zu überlassen und sich dafür mit
Fernrohr und Flinte, Angelrute und Kätscher, Waidmannskunst und
Fischergewerbe zu befassen.
Zu welchen Ungereimtheiten die von vielen Fachzoologen nicht
nur geübte, sondern wohl gar im stillen gerühmte Vernachlässigung
Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie. 643
des Studiums der sich selbst überlassenen Natur führt, werde ich
aus den nachfolgenden Zeilen ersichtlich zu machen suchen. Wer
aber gelernt hat, stets auch die Lebensgewohnheiten der Tiere mit in
Rechnung zu ziehen, bleibt vor manchen Irrtümern bewahrt, findet
aber auch, dass sich die meisten wissenschaftlichen Probleme nicht
kurzer Hand lösen lassen.
Als durch die Tiefseeuntersuchungen der Neuzeit eine Reihe an
Fossilien erinnernder oder gar mit solchen identischer Tierformen in
die Museen gelangten, aber auch schon vorher, da hieß es: Natürlich!
Denn durch die gleichmäßigen Existenzbedingungen in den Meeres-
tiefen mussten viele Zeitgenossen früherer Erdepochen in nahezu
unveränderter Form erhalten werden! — Nun mache man sich es
einmal klar, welche Unverträglichkeiten in einer solchen Ansicht ent-
halten sind.
Jede Tiefseetierart lebt in manchen Beziehungen unter denselben
Lebensbedingungen wie jede andere Tiefseetierart; die hierbei in
betracht kommenden Verhältnisse sind sehr einfach. Jede Tierart
des seiehten Wassers oder des Landes lebt dagegen unter andern
Bedingungen, als jede andere dorthin gehörige Tierart; die Land-
und Seichtwasserfauna weisen also sehr komplizierte Verhältnisse auf.
Dieser Unterschied zwischen der Tiefseefauna einer- und der Land-
und Seichtwasserfauna anderseits gestattet nur den einen Schluss,
dass die Arten der Tiefsee manche Analogien aufweisen werden, die
wir bei den Arten des seichten Wassers und des Landes vermissen.
Solche Analogien sind nun in der That vorhanden; ich erinnere an
die Haftnäpfe der Tiefseemedusen, an die rote Farbe der Tiefsee-
krabben, an die Tast- und Fühlorgane einer großen Anzahl von Tief-
seetieren.
Statt zu diesem Resultate kam man aber, wie wir gesehen haben,
zu einem ganz andern. Man verwechselte die gleichmäßigen Lebens-
bedingungen der lieht-, wärme- und pflanzenlosen Tiefsee mit einem
Zustande unveränderter Fortdauer der Lebensbedingungen früherer
Erdepochen und zog dann den immerhin gerechtfertigten Schluss,
dass jene Fortdauer ein teilweises Ueberleben auch der Fauna dieser
alten Erdepochen verursacht habe. Hiernach müsste man doch folge-
richtig annehmen, dass die gleichmäßigen und eigentümlichen Lebens-
bedingungen der heutigen Tiefsee, die vielleicht erst während der
Silurzeit entstanden ist, zu dieser Zeit auch im seichten Küstenwasser
geherrscht hätten. Diese Annahme ist aber ganz unhaltbar. Wir
wissen jetzt, dass es zur Silurzeit schon Skorpione, somit eine Land-
fauna und jedenfalls auch eine reich entwickelte Land- und Meeres-
flora gab, und es wird im seichten Küstenwasser der Silurzeit kaum
anders gewesen sein als in der Gegenwart mit ihren Seegraswiesen,
Tangwäldern, Austerbänken und Korallenriffen. Wollte man aber
annehmen, dass die Seichtwassertiere der Silurzeit und der darauf-
Al
644 Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie.
folgenden Erdperioden in die Tiefe gewandert seien, um uns ihr Ab-
bild in ziemlich unveränderten Nachkommen aufzubewahren, so würde
man dadurch nur in große Verlegenheit geraten. Ueberall sonst, wo
verschiedene und verschiedenen Existenzbedingungen angepasste Tiere
gemeinschaftlichen Existenzbedingungen sich unterziehen, sehen wir
die betroffenen Tierarten in hochgradiger Weise und gewöhnlich nach
derselben Richtung hin verändert. Ich erinnere nur an die Parasiten.
In den Echinokokken, Entokonchen und Sakkulinen wird man doch
wohl kaum Vertreter uralter Tierformen erblicken wollen. Dann
durfte man dieses auch nicht in den Bewohnern der Tiefsee; viel-
mehr bilden diese, wie wir gesehen haben, keine Ausnahme von der
Regel.
Hier komme ich nun wieder auf unsern die Seegraswiesen von
Port Vincent bewohnenden Amblypneustes ovum zurück. Wie wir
wissen, stimmt seine eiförmige Gestalt aufs beste zu seiner Gewohn-
heit, im dichten Seegrase in die Höhe zu klettern, und man wird mir
nicht widersprechen, wenn ich behaupte, dass er an die Seegrasregion
gebunden ist. In der That sind sämtliche Arten der Gattung Ambly-
pneustes Bewohner des seichten Wassers, und von den nächstver-
wandten Gattungen gilt dasselbe. Neumayr hat, um die übrigens
schon vorher ziemlich hinfällige Ansicht vom altertümlichen Charakter
der Tiefseefauna zu zerstören, darauf aufmerksam gemacht, dass die
phylogenetisch alten regulären Seeigel, wozu Amblypneustes gehört,
in der Nähe der Küsten weit besser vertreten sind, als in der Tiefsee.
Erinnert man sich an unsern Amblypneustes, so hat man die wahr-
scheinlichste Erklärung gefunden. Wahrscheinlich üben viele Seeigel
des seichten Wassers die Kunst des Kletterns zwischen Seegras und
Tangen; für solehe Seeigel ist aber die reguläre Form die beste.
Da nun Pflanzen in der Tiefsee fehlen, so kann uns die beschränkte
Anzahl regulärer Tiefseeigel nicht wundern. Die Echinoiden der
Tiefsee sind ebenso ihrem Aufenthaltsorte angepasst, wie diejenigen
des seichten Wassers. Wer sich hiervon überzeugen will, braucht
nur die Abbildungen in Agassiz’ schöner Monographie der Challen-
ger-Echinoiden durchzusehen; er wird finden, dass die Tiefseeigel
der Lokomotion auf Flächen angepasst sind. Die Seeigel lehren uns
also, dass die alten Formen vorwiegend im seichten Wasser, die
jüngern dagegen auch in der Tiefe gefunden werden müssen, und
dass diese Art der bathymetrischen Verbreitung durch die verschie-
denen äußern Verhältnisse bedingt ist, zu welcher Annahme nur das
vergleichende Studium der Gestalt und der Lebensweise der Seeigel
führt.
II.
Bedeutende zeitgenössische Naturforscher, Vertreter verschiedener
Disziplinen, stimmen heute darin überein, dass die Konfiguration der
Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie. 645
Kontinente in den ältesten Erdepochen im wesentlichen dieselbe war
wie heute. Wenn aber dieses der Fall ist, so gelangen wir zu einigen
lehrreichen auf meinen Gegenstand bezüglichen Schlussfolgerungen,
welche zeigen, mit welcher Umsicht man bei Beurteilung der Tief-
seefauna verfahren muss. Um diese Schlussfolgerungen klar zu
stellen, müssen wir, was vorher nicht geschehen, nicht bloß zwischen
Seichtwasser und Tiefsee mit ihren entsprechenden Faunen, sondern
zwischen der Litoral-, der Kontinental- und der Abyssischen Zone
unterscheiden. In der letztern, also in den von 900 bis 1000 Meter
Wasser überlagerten Meereschichten leben die eigentlichen Tiefsee-
tiere, in der Litoralzone die Bewohner der Küsten; zwischen beiden
finden wir die Bewohner der Kontinentalzone.
Wenn nun die Kontinente relativ beständig sind, so kann es
keinem Zweifel unterliegen, dass uns fosstlienführende in der Abyssal-
zone früherer Erdepochen gebildete Ablagerungen überhaupt nicht
bekannt sind. Dieselben sind wie ehedem so noch heute in den Tiefen
des Ozeans begraben. Einem Vergleiche der heutigen abyssischen
Fauna mit der Fauna der Versteinerungen führenden Erdschichten ist
aber jeder Grund und Boden entzogen, denn wir dürfen nur Tiefsee-
tiere mit Tiefseetieren vergleichen. Inbezug auf die abyssische Fauna
der Jetztwelt und der Vorwelt haben wir nur eine Seite der Gleichung
vor uns; die andere ist gleich x.
Aehnlich ist es mit der Litoralfauna. Obwohl wir sicher eine
Reihe fossiler Litoraltiere kennen, so sind doch die Bedingungen für
fossile Erhaltung, welche die Litoralzone ihren Bewohnern gewährt,
verhältnismäßig ungünstige. Ebbe, Flut und Brandung in Verbin-
dung mit den Oscillationen der Küste lassen eine ausgedehnte Schich-
tenbildung hier nieht aufkommen, und dasselbe gilt für die obersten
Schichten der Kontinentalzone. Inbezug auf Seeigel möchte ich hier
einige einschlägige Beobachtungen anführen. Stirbt aus irgend welchen
Ursachen ein Seeigel des seichten Wassers, so entwickeln seine ein-
gekapselten Weichteile Fäulnisgase, welche das spezifische Gewicht
der Leiche um ein bedeutendes vermindern, so dass sie vom Wasser
in die Höhe getrieben wird. Die Seeigel werden nun, ehe sie durch
das Entweichen der Fäulnisgase wieder zum Untersinken gebracht
werden, von Wind und Wogen ans nahe Ufer gespült. Bei den Amdly-
pneustes von Port Vincent lassen sich dieses bestätigende Beobach-
tungen leicht machen, wie ich es oft gethan habe. Das Ufer bietet
aber meistens wenig Gelegenheit für fossile Aufbewahrung. Die san-
digen Buchten von Port Vincent sind zwar mit Amblypneustes-Schalen
besät, aber diese Schalen sind dem vollständigen Zerfall geweiht.
Gräbt man im Sande nach solchen Schalen, so sucht man vergebens.
Natürlich können die Leichen von Seichtwasser-Seeigeln auch ins
Meer hinausgetrieben werden, wo sie nach Entweichen der Fäulnis-
gase untersinken können; indess viele derselben, wenn nicht die
646 Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie.
meisten, werden ans Ufer verschlagen. In der Nähe des Ufers habe
ich nicht selten treibende Seeigelleichen gefunden; nicht so in wei-
terer Entfernung vom Ufer, geschweige denn auf hoher See. Meine
Reisen haben mich zu Schiffe von Hamburg nach Tristan d’Acunha
und Neuseeland, von Neuseeland nach Tasmanien und Melbourne,
von Sydney nach Neu-Guinea und zurück und fünfmal die Linie
Adelaide - Melbourne entlang geführt, immer habe ich fleißige Ausschau
nach treibenden Tangen und pelagischen Tieren gehalten, aber ich
erinnere mich nicht, jemals einen treibenden Seeigel oder irgend eine
andere Tierleiche gesehen zu haben. Uebrigens haben die toten See-
igel des tiefern Wassers schon deshalb mehr Aussicht auf fossile
Erhaltung, weil sich wegen der in größern Tiefen herrschenden ge-
ringern Wärme bei ihnen keine Fäulnisgase entwickeln können. Wie
bei den Seeigeln, so ist es aber auch bei den meisten andern Tieren
des seichten Wassers; ihre Aussichten auf fossile Erhaltung sind be-
deutend geringer als diejenigen der Tiefwassertiere. Hieraus folgt,
dass die Anzahl uns fossil überkommener Bewohner der Litoralzone
und der obern Kontinentalzone früherer Erdepochen verhältnismäßig
gering sein muss, wodurch ein Vergleich zwischen den lebenden und
ausgestorbenen Bewohnern derselben auf sehr schwache Füße gestellt
wird.
Ein solcher Vergleich ist viel eher möglich bei der untern
Kontinentalzone. Für Aufspeicherung von Fossilien bietet sie die
günstigsten Aussichten, und viele der in der untern Kontinentalzone
in frühern Erdepochen abgelagerten Gesteinsschichten sind uns heute
zugänglich. Die meisten Fossilien, welche wir kennen, sind hier ein-
gebettet worden. Bis vor kurzem nun kannten wir viele lebende Be-
wohner dieser Zone noch nicht. Sie sind uns erst durch die Tiefsee-
untersuchungen der Neuzeit bekannt geworden und brachten uns
allerdings eine Reihe „lebender Fossilien“. Sie mussten es; denn da
die meisten der uns bekannten ausgestorbenen Tiere Bewohner der
untern Schichten der Kontinentalzone waren, so sind lebende und
wenig veränderte Nachkommen derselben vorzugsweise an diese Zone
gebunden. Für die Seeigel ist dieses durch Neumayr bestätigt
worden.
Ganz allgemein können wir für das Aufsuchen „lebender Fossilien“
den Satz aufstellen, dass die teilweise Fortdauer der Zustände
früherer Erdepochen allerdings die Ueberlieferung alter Formen be-
günstigt hat, dass eine solche Fortdauer aber nicht ausschließlich in
den tiefsten Tiefen des Ozeans, sondern für Landtiere auf dem Lande,
für Süßwassertiere in ihrem Medium, für Litoraltiere in der Litoral-
zone, für die Bewohner der Kontinentalzone in dieser, und nur für
eigentliche Tiefseetiere in der abyssischen Region stattfindet. Als die
Tiefsee-Expeditionen uns mit einer Reihe bis dahin unzugänglicher und
unbekannter lebender Vertreter phylogenetisch alter Tierformen be-
nr De et
Haacke, Seeigelgewohnheiten, Tiefseefauna und Paläontologie. 647
kannt machten, da hätten wir nur gleich fragen sollen, ob dieselben
nicht vermöge ihres Baues von jeher an tieferes Wasser gebunden
waren, uns also früher, wenn überhaupt, nur als Fossilien bekannt
sein konnten.
Will man, wozu ich hier die Anregung geben möchte, über die
geologische und bathymetrische Verbreitung lebender und ausgestor-
bener Seetiere Tabellen aufstellen, welche die Lebensweise und die
auf sie bezughabende Gestalt der Seichtwassertiere, die über die Le-
bensweise aufklärenden Gestaltungsverhältnisse der Tiefseetiere und
der Fossilien sowie die Verwandtschaftsverhältnisse aller in betracht
kommenden Formen berücksichtigen, so wird man, glaube ich,
manches interessante Resultat erhalten. Die Zusammenstellung solcher
Tabellen hat aber mit Umsicht zu geschehen, wie die folgende Be-
trachtung lehren mag. Wie wir wissen, haben die meisten Tiere der
Litoralzone verhältnismäßig wenig Aussicht auf fossile Erhaltung.
Es kann demnach der Fall eintreten, dass ihre in die für fossile
Aufbewahrung günstige Kontinentalzone eingewanderten und durch
die verschiedenen Lebensbedingungen abgeänderten Nachkommen
schon fossil abgelagert sind, während jene noch unverändert in der
Litoralzone fortleben. Wird es den litoralen Stammeltern nun durch
veränderte Meeresströmungen oder andere Umstände ermöglicht, ihre
Leichen im Bodensatze der Kontinentalzone zu begraben, so ent-
stehen Schichten, von denen paradoxerweise die ältern die Epi-
gonenform, die jüngern die Ahnenform bergen. Diese Ahnenform
würde sich durch ihren Bau als litorales Tier dokumentieren
müssen.
Erwägungen wie die eben gemachte, überhaupt aber alles vor-
stehend nur in den gröbsten und absichtlich kühnen Zügen Erörterte,
wobei ich nicht auf Einzelheiten und etwaige mir wohl möglich schei-
nende Einwände eingehen konnte, dürften geeignet sein, uns die
Schwierigkeiten phylogenetischer Untersuchungen und die Notwendig-
keit großer Umsicht vor Augen zu führen, was gleichmäßig für Freunde
und Feinde solcher Untersuchungen gilt. Ganz besonders werden wir
aber darauf geführt, die Wechselbeziehungen zwischen Wohnort, Le-
bensweise und Gestalt eines Tieres zu berücksichtigen. Wer dieses
thut, wird sich nieht mehr wundern, dass die Tiefsee nicht, wie viele
erwarteten, lebende Fossilien in großer Menge birgt. Sie ist Jünger
als das seichte Wasser und hat vermöge ihrer Eigentümlichkeiten die
meisten alten Lebeformen, die aus dem letztern in sie einwanderten,
teils aussterben lassen, teils in hochgradiger Weise umgestaltet.
648 Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere.
Ueber das Quadratum der Säugetiere').
Von Dr. G. Baur in New-Haven, Conn.
In welchem Skeletstück der Mammalia ist das Quadratum der
Sauropsiden und Ichthyopsiden zu suchen? ist eine Frage, welche die
verschiedensten Beantwortungen nach sich gezogen hat.
In neuerer Zeit nun sind einige Arbeiten erschienen, welche diese
Frage gelöst, und zwar auf eine neue Weise gelöst wissen wollen.
Es sind einige Arbeiten von Albrecht?) und eine solche von Dollo?).
Ich wende mich nun zuerst zu einer kurzen Besprechung der
Albrecht’schen Arbeiten.
Albrecht bringt die verschiedenen Anschauungen über die Arti-
kulation des Unterkiefers der Vertebraten vor, und stellt dieselben
auf folgender Tabelle zusammen.
Unterkieferartikulation der Vertebra- Unterkieferartikulation der Säuge-
ten mit Ausschluss der Säugetiere tiere
Artieulatio quadrato -artieularis Artie. squamoso-artieularis (Huxley)
Artic. squamoso - dentalis (Gegen-
baur, Kölliker, Wieders-
heim)
Während also Huxley annimmt, der Unterkiefer der niedern
Wirbeltiere sei homolog dem Unterkiefer der Säugetiere, sehen Gegen-
baur, Kölliker und Wiedersheim im Unterkiefer der Säugetiere
nur das Dentale des Unterkiefers der übrigen Wirbeltiere.
1) Ber. d. Ges. f. Morph. u. Phys. zu München.
2) Albrecht P., Sur la valeur morphologique de Vartieulation mandibu-
laire, du cartilage de Meckel et des osselets de l’ouie avec essai de prouver
que l’ecaille du Temporal des mammiferes est composse primitivement d’un
squamosal et d’un quadratum. Bruxelles 1883.
Ders., Sur le erane remarquable d’une idiote de 21 ans. Bruxelles 1883.
Ders., Sur la valeur morphologique de la trompe d’Eustache et les deriv6s
de Vare palatin, de are mandibulaire et de l’are hyoidien des vertebres.
Bruxelles 1884.
Auszüge dieser Arbeiten sind zu finden in:
Albrecht P., Ueber den morphologischen Wert der Gehörknöchelehen
und des Unterkiefergelenkes der Wirbeltiere. Vortrag, gehalten in der anato-
mischen Sektion der zu Freiburg i. Br. abgehaltenen 56. Versammlung deutscher
Naturforscher und Aerzte. Amtlicher Bericht dieser Versammlung. Freiburg
1884 8. 143.
Ders., Ueber den morphologischen Wert des Unterkiefergelenkes, der
Gehörknöchelehen und des mittlern und äußern Ohres der Säugetiere. Bericht
über den dritten internationalen otologischen Kongress in Basel vom J. 1884,
Basel 1855, 8 Seiten.
3) Dollo L., On the malleus of the Lacertilia and the malar and quadrate
bones of Mammalia. Quart. Journ. Microse. Se. Oct. 1883.
any
Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere, 649
In der nächsten Tabelle stellt Albrecht die verschiedenen An-
schauungen über die Entwicklung der Gehörknöchelehen bei den
Säugetieren zusammen.
I. Kiemenbogen II. Kiemenbogen Gehörkapsel
Reichert Hammer, Ambos Steigbügel
Günther Hammer, Ambos
Steigbügel
Gegenbaur | Hammer = Articulare Os lenticulare (Sym-
Ambos = Quadratum | pleeticum) Steigbügel—
Hyomandibulare
Huxley Hammer = Quadratum | Ambos = Hyomandibu-
lare, Os lenticulare,
Steigbügel
Parker id. id.
Parker und id. Ambos —= Hyomandibu- | Steigbügel
Bettany lare
Salensky | Hammer, Ambos, Steig-
I. Theorie bügel Steigbügel !)
Salensky Hammer, Ambos |
II. Theorie
Kölliker Hammer = Articulare
teigbügel
Ambos = Quadratum Steigbüge
Wieders- id.
heim
Fraser Hammer Ambos, Os lentieulare |Steigbügel !)
Eine vollständigere Zusammenstellung findet sich bei Fraser?).
Gegenbaur, Kölliker, Wiedersheim halten also den Ham-
mer für das Articulare, den Ambos für das Quadratum, Huxley,
Parker und Bettany den Hammer für das Quadratum, den Ambos
für das Hyomandibulare. Für die erstern ist also die inkudo-mallear-
Artikulation eine quadrato-artikular-Artikulation, für die letztern eine
hyomandibulo - quadrat - Artikulation.
Albrecht kann sich weder mit der einen, noch mit der andern
Anschauung befreunden und kommt auf berechnendem Wege zum
Resultat, dass bei allen Wirbeltieren die Unterkiefer-Artikulation die-
selbe ist, nämlich eine Quadrato-Artikularartikulation. Er geht sodann
1) Aus dem periarteriellen Gewebe.
2) Fraser A., On the development of the ossieula auditus of the higher
Mammalia. Philos. Trans. vol. 173 Part. III. London 1883.
650 Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere.
wieder zu den Gehörknöchelchen über. Bei den Sauropsiden, Cöcilien
und Urodelen findet man die Columella. Sie beginnt an der Membrana
tympani und endet an der Membrana ovalis, (so nennt Albrecht
die Membran, welche die Fenestra ovalis schließt). Bei den Anuren
finden sich in derselben Lagerung vier mehr oder weniger verknöcherte
Knorpelstückchen. Diese vier Knorpelstückchen sind homolog der
Columella. Bei den Säugetieren berührt der Hammer die Membrana
tympani, der Steigbügel erreicht die Fenestra ovalis; folglich schließt
Albrecht: Die Columella ist homolog der Reihe der Ge-
hörknöchelehen der Säugetiere. Sicher bildet die Columella
das Suspensorium des Unterkiefers. Der Hammer der Säugetiere ge-
hört dem extramandibularen Teil des Meckel’schen Knorpels an,
dieser Teil aber ist homolog dem Ligamentum symplectico-articulare
der Teleostea, dem columello -articular- Ligament der Amphibien und
Sauropsiden, folglich ist das Suspensorium des Unterkiefers bei allen
Wirbeltieren dasselbe.
Wenn nun die Unterkieferartikulation der Säugetiere homolog ist
jener der übrigen Wirbeltiere, wo sie eine quadrato - artikular- Artiku-
lation darstellt, so muss an dem Teil des Säugetierschädels, mit
welchem der Unterkiefer artikuliert, das Quadratum zu suchen sein.
Dieser Teil ist bei den Säugetieren das Schläfenbein, folglich
muss im Schläfenbein das Quadratum der Sauropsiden
und Ichthyopsiden enthalten sein.
Albrecht findet nun wirklich bei einem neugebornen Kinde,
welehes mit doppelter Hasenscharte und doppeltem Wolfsrachen be-
haftet ist, dass das Schläfenbein in zwei Teile getrennt ist, und zwar
in den Processus zygomaticus und die eigentliche Schuppe. Im
Processus zygomaticus findet Albrecht das Quadratum
der übrigen Vertebraten. Dasselbe Verhalten findet Albrecht
bei einem neugebornen Pferd und bei einer einundzwanzigjährigen
Idiotin am rechten Schläfenbein.
Dol'lo behandelt denselben Gegenstand, rekapituliert zuerst
Albrecht’s Befunde und geht dann zu seinen eignen Untersuchungen
über. Er wirft sich die Frage auf: Ist es möglich, dass das Qua-
dratum einen Teil der interfenestralen Kette der Gehörknöchelchen
bilden kann? Wenn es uns gelingt, ein Wirbeltier zu finden, dessen
Unterkiefer aus den sechs normalen Elementen bestände, bei welchem
aber zugleich ein wahres Quadratum und ein Hammer vorhanden
wäre, so ist es unmöglich, dass das Quadratum irgend einem der
Gehörknöchelehen homolog sein kann. Denn es kann
1) nicht mit dem Hammer verglichen werden, da ein solcher schon
vorhanden ist,
2) wäre es noch unmöglicher, dasselbe mit einem der übrigen
Gehörknöchelehen zu identifizieren, da es ja außerhalb des Hammers
liegen und keines der übrigen Gehörknöchelchen berühren würde.
f
j
H
h
3
%
“
Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere. 651
Es hängt also davon ab, einen Hammer aufzufinden, der die ge-
nannten Bedingungen erfüllen würde. Dollo will nun bei einigen
Lacertiliern, Leiolepsis, Uromastix und Verwandten ein Skeletstück
gefunden haben, welches den morphologischen Wert eines Hammers
haben soll.
Dollo’s Beweise hiefür sind:
1) Das Stück hat die Form eines Hammers, und es lassen sich
an demselben alle charakteristischen Teile eines solchen unterscheiden.
2) Das Stück hat dieselben Verbindungen. Es ist der Membrana
tympani in der Art angeheftet, dass das Manubrium parallel der
Membran ist. Seitlich ist es, und zwar in der Gegend des Cervix,
knorplig mit dem Rest der Gehörknöchelehen verbunden. Mit dem
Quadratbein steht es in derselben Verbindung, wie der Hammer der
Säugetiere mit Albrecht’s „Quadratbein“.
3) Mit dem Artikulare des Unterkiefers ist es durch ein malleo-
artikular-Ligament, Albreeht’s extramandibularen Teil des Meckel’-
schen Knorpels verbunden.
4) Es ist kaum daran zu zweifeln, dass dieser Hammer mit dem
von Peters bei Krokodilen beschriebenen identisch ist.
5) Der Hammer der Säugetiere dient dem Tensor tympani zur
Insertion, dasselbe soll nach Parker beim „Malleus“ der Lacertilien
der Fall sein.
Dies sind Dollo’s Argumente. Er schließt nun folgendermaßen:
So glaube ich denn bei Lacertilien einen wahren Hammer ent-
deckt zu haben, welcher dem Hammer der Säugetiere homolog ist,
eine Stütze für Albrecht’s Theorie. Die Columella der Sauropsiden
würde also nicht, wie Albrecht meint,. homolog sein dem malleus
—+- ineus — os lentieulare —- stapes, sondern nur den drei letzten
Stücken. — Albrecht bezeichnet später das Homologon dieser
3 Stücke mit dem Namen Columellina.
Unterziehen wir nun zuerst Albrecht’s Arbeiten einer kleinen
Prüfung. Vor allem ist da zu bemerken, dass seine Ansicht: Das
Quadratum der Sauropsiden ist homolog dem Processus zygomatieus
der Säugetiere, absolut nicht neu ist.
Schon 1810 sagt Tiedemann in seinem bekannten Werk:
„Anatomie und Naturgeschichte der Vögel“, Bd. I, S. 191: „Die bei-
den Quadratknochen (der Vögel) sind dem Gelenkteil des Schläfen-
beins des Menschen und bei den Säugetieren analog, nämlich der
Gelenkgrube, der Gelenkerhabenheit und dem Jochfortsatz des Schläfen-
beins, die sich als ein besonderer Knochen vom Schläfenbein los-
gerissen haben“. Ferner hat Platner!) diese Anschauung aufs
entschiedenste vertreten.
4) Platner F., Bemerkungen über das Quadratbein und die Paukenhöhle
der Vögel. Dresden und Leipzig 1839.
652 Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere.
Auch Köstlin!) ist dieser Ansicht.
Aber auch das Getrenntsein des Processus zygomaticus von der
Schläfenschuppe ist schon vor Albrecht gesehen worden. Duver-
noy führt in der zweiten Ausgabe von Cuvier’s lecons d’anatomie
comparee einen derartigen Fall an. Bd. IV, 1, p. 98: „Nous sommes
porte & comparer l’os carre & cette portion du temporal, qui fournis
la fossette glenoidale, et nous nous fondons sur ce que cette portion
du temporal est separce du rocher et de la caisse, ainsi que de la
portion Eeailleuse du temporal dans une tete de cabiai (Hydrochoerus),
que nous avons sous les yeux“.
Also Duvernoy ist schon vor über vierzig Jahren, zum
Teil aus denselben Gründen wie Albrecht zu demselben
Resultaten gekommen wie dieser.
Ich gehe nun zu Dollo’s Untersuchungen über. Er sagt: Es ist
mir gelungen, bei Uromastix und Verwandten einen Hammer zu
entdecken, welcher dem der Säugetiere homolog ist. Leider kann
ich Herrn Dollo das Recht, dies zuerst entdeckt zu haben, nicht zu-
gestehen. Dieses gehört Peters. Dieser Forscher hat schon vor
10 Jahren genau dasselbe und zwar grade bei Uromastix sehr
deutlich gefunden).
Nachdem Peters nachgewiesen, dass bei Sphenodon (Hatteria)
ein wahrer Hammer vorhanden ist, welchen Huxley (Proc. zoolog.
soec. London 1869: „On the malleus and meus.... .“) als äußern
Stapes-Knorpel gedeutet hatte, fährt er fort S. 43—44:
„Bei Gelegenheit dieser Untersuchung habe ich zur Vergleichung
ein Exemplar von Uromastix spinipes aus Aegypten benutzt, bei
welchem die Beziehungen des von mir als Hammer bezeichneten
Knorpels zu dem Unterkiefer oder dem Meckel’schen Knorpel fast
ohne Präparation so klar liegen, dass jeder an dieser sehr gemeinen
Art, welche kaum in irgend einer Sammlung fehlen dürfte, sich leicht
dureh eigne Anschauung ein Urteil über die in Rede stehende Frage
wird bilden können. Wenn man den Kopf losgelöst hat, sieht man
sogleich den Steigbügel in ähnlicher Weise, wie bei Sphenodon neben
dem Os oceipitale externum bloß liegen. Er liegt aber bei Uromastix
diesem Knochen nicht so nahe, wie bei Sphenodon und entfernt sich
namentlich mit seinem äußern Ende mehr von demselben, um unter
dem innern Rande des Quadratbeins sich durch eine Gelenkgrube mit
dem Gelenkkopf des knorpligen Hammers zu verbinden. Der Körper
des Hammers bildet einen zylindrischen Stiel, welcher sich nach dem
Trommelfell hin festsetzt und hier in eine schmale Platte ausgeht,
Wirbeltiere. Stuttgart, 1884, S. 212—213.
3) Peters W., Ueber die Gehörknöchelchen und ihre Verhältnisse zu dem
ersten Zungenbeinbogen bei Siphenodon punctatus. Monatsber. d. k. preuß.
Akad. d. Wiss. Berlin 1874. S. 40.
Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere. 653
deren längere Hälfte nach vorn gerichtet ist, während das kürzere
Ende sich dem Rande des Os mastoideum nähert. An der Stelle aber,
wo sich der Hammer mit dem Stapes verbindet, geht von ihm in
einem rechten Winkel nach vorn und unten ein langer Fortsatz
(Processus longus mallei) ab, welcher an der innern Seite des Qua-
dratbeins herabsteigt, um sich dann zwischen dem Quadratbein und
dem hintersten Ende des Os pterygoideum hindurchdrängend sehnig
geworden vor dem innern Rande der Gelenkgrube des Unterkiefers
in diesen hineinzusenken“.
Peters gibt Abbildungen dieser Verhältnisse. Dass diese wich-
tige Arbeit Peters’ Dollo entgangen ist, ist um so auffallender, da
Balfour in seinem Handbuch der vergleichenden Embryologie, Bd. II,
S. 523 dieselbe zitiert, da Hoffmann in seinen Reptilien (Bronn’s
Klassen und Ordnungen des Tierreichs) S. 605 Peters’ Mittheilung
wörtlich wieder gibt, ja sogar die Figuren kopiert.
Doch dies ist nicht die einzige Arbeit Peters’, in welcher die
Anschauung, dass die Sauropsiden einen Hammer, homolog dem der
Mammalia besitzen, vertreten wird. Schon in der von Dollo!) zitierten
Arbeit spricht sich Peters ganz entschieden hierüber aus. Er konnte
bei einem jungen Alligator von 13 em Kopflänge einen in einer häu-
tigen Scheide liegenden Knorpelfaden, welcher vom Meckel’schen
Knorpel des Unterkiefers ausging, durch die Oeffnung, welche sich
auf dem hintern innern Teile der obern Fläche des Quadratum be-
findet, nicht allein bis zum hintern Rande der Membrana tympani
verfolgen, sondern sich auch noch davon überzeugen, dass er im Zu-
sammenhang mit einer Knorpelplatte steht, welche mit ihrer schmalen
Mitte nach innen gegen die Columella gebogen war, deren äußerstes
Ende mit derselben in Gelenkverbindung stand. Diese Knorpelplatte,
fährt Peters fort, ist nichts Anderes, wie der Hammer, wie er schon
von Breschet als solcher bei den Vögeln gedeutet wurde. Noch
viel klarer konnte Peters diese Verhältnisse an einem 70 mm langen
Embryo vom Krokodil sehen. Auch bei einem Straußembryo war
die Sachlage dieselbe. S. 595 spricht sich Peters ganz entschieden
und deutlich aus: „Es dürfte den mitgeteilten Thatsachen gegenüber
nun auch die Ansicht, nach welcher das Gelenkstück des Unterkiefers
und das Quadratbein der Amphibien dem Hammer und Ambos der
Säugetiere homolog sein sollen, jede Basis verlieren“.
In einer weitern Mitteilung: „Ueber die Gehörknöchelchen der
Schildkröten, Eidechsen und Schlangen“, Monatsber. d. Berl. Akad,
1369, Jan., teilt Peters mit, dass bei einem Embryo von Hemidactylus
der vom Hammer ausgehende Knorpelfaden sich dicht an das Qua-
1) Peters W., Ueber die Gehörknöchelehen und den Meckel’schen
Knorpel bei den Krokodilen. Monatsber. d. k. preuß. Akad. d. Wiss., Novbr.,
1868, S. 592.
654 Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere.
dratum anschmiege und sich dann in den Unterkiefer einsenke.
Peters hat demnach lange vor Dollo den Hammer der Sauropsi-
den erkannt.
Ich gehe nun zu meinen eignen Untersuchungen über.
Bekanntlich ist heute beinahe allgemein, namentlich in England,
die Ansicht verbreitet, dass die Columella „und ihre Anhänge“ Modi-
fikationen des zweiten und nicht des ersten Kiemenbogens seien. So
sagt Parker!) noch in neuester Zeit: „After long years of labour
and much vacillation of mind on the matter, I am now quite satisfied
that the stapes, or little stirrup-bone of the ear-drum, is the uppermost
element of the second, or hyoid arch“.
Zu dieser Anschauung haben namentlich Huxley’s?) Unter-
suchungen über den Stapes von Sphenodon beigetragen.
Nach Huxley steigt der Zungenbeinknorpel hinter dem Quadra-
tum in die Höhe, bis er fast den Schädel erreicht hat, und scheint
dann plötzlich in Form einer kleinen Rolle mit binterer Konkavität
gebogen zu sein. Diese Rolle wird durch die Verbreiterung des
Zungenbeinhorns bedingt, welche eine knorplige Platte bildet. Nach
innen setzt sich diese Platte in den Stamm des Stapes fort und
ossifiziert bald. Es ist also nach Huxley der obere Stapesknorpel
nichts Anderes, als das innere Ende des Zungenbeinbogens. Der Stapes
und seine Anhänge stehen ausschließlich zu diesem Bogen in Beziehung
und haben mit dem Unterkieferbogen absolut nichts zu thun.
Anders Peters:
Nach ihm ist die Verbindung des Zungenbeinbogens mit dem
Stapesknorpel (Malleus) nicht eine primäre, sondern eine sekundäre.
Der Zungenbeinbogen legt sich nur an den Hammer an, ist mit ihm
durch Bindegewebe verbunden, teilweise vielleicht auch an ihn an-
gewachsen. Dieses Verhalten ist auch aus der verschiedenen Be-
schaffenheit der Knorpel zu erkennen. Die Fasern des Zungenbein-
bogens sind weicher und haben eine andere Richtung als die des
Stapesknorpels (Hammers), dessen härtere Fasern sich mit denen des
Zungenbeinbogens kreuzen. Die Anschwellung des Zungenbeinbogens
an der Stelle, wo er dem äußersten Teile des Hammers anliegt, ist
nur eine scheinbar vorhandene, nicht von dem Knorpel, sondern von
dem Bindegewebe herrührende. Mit dem innern Fortsatz des Hammers
verbindet sich der Zungenbeinbogen nach Peters gar nicht, sondern
er geht über denselben hinweg, ohne ihm angeheftet zu sein, so dass
auch der Ausschnitt zwischen dem äußern und innern Hammer nicht,
wie Huxley meint, durch die Vereinigung in ein Foramen umge-
wandelt wird. Mit diesem innern beilförmigen Fortsatz des Hammers
4) Parker W.K., On mammalian descent. London 1885. p. 43.
2) Huxley T. H., On the representative of Malleus and Incus of the
Mammalia on the other vertebrates. Proc. Zool. Soe., London, p. 391, 1869.
Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere. 655
hing nach ihm ohne Zweifel früher der Meckel’sche Knorpel durch
einen an der innern Seite des Quadratums herabsteigenden Faden
zusammen.
Nach Peters entsteht also der Stapesknorpel d.h. der
Hammer von Sphenodon aus dem ersten Kiemenbogen.
Man sieht, dass die Ansichten über diesen sehr wichtigen Punkt
sehr verschieden sind. Sonderbar ist, dass auch Parker in seinen
vielen Arbeiten über die Entwicklung des Schädels der Wirbeltiere
dieser Arbeit von Peters keine Erwähnung thut. Außer Hoffmann
(l. e.) spricht sich auch noch Balfour über dieselbe aus; 1. e. S. 525
sagt er: „Das stärkste Zeugnis zu gunsten der Ansicht von Huxley
und Parker über die Natur der Columella ist die Verschmelzung
des obern Endes des Hyoidbogens mit der Columella bei den aus-
gewachsenen Sphenodon (Huxley). Nach genauer Prüfung eines
Exemplars im Cambridge-Museum möchte ich aber fast vermuten,
dass diese Verschmelzung sekundär sei; ich war jedoch nicht in der
Lage, die Verbindung von Hyoid und Columella auf dem Querschnitt
zu untersuchen.“
Balfour schließt sich also mehr der Peters’schen Ansicht an.
Ich kann dasselbe thun. Peters hat in der That recht. Der
Hammer (Stapesknorpel) entsteht nicht vom Hyoidbogen
aus; die Verbindung mit demselben ist sekundär; der
Hammer von Sphenodon und aller Sauropsiden ist ein
Derivat des ersten Kiemenbogens.
Mein Material bestand aus drei in Alkohol konservierten Exem-
plaren von Sphenodon. Zwei, a. b. aus dem Yale College Museum,
verdanke ich Herrn O. C. Marsch, ce. Herrn Prof. B. 6. Wilder
in Ithaca.
a misst (der Schwanz ist regeneriert) circa 360 mm, b 290 mm,
e 210 mm.
Von dem Exemplar a habe ich die betreffenden Teile auf beiden
Seiten herauspräpariert, an b und e nur die rechte Seite. Unter der
Lupe untersucht zeigte sich, dass der Zungenbeinbogen sich dicht an
den knorplichen Teil des Stapes anlegte, ja zum Teil mit demselben
verwachsen war. Um nun ganz sicher zu gehen, wurden von den
Präparaten von a und b Schnittserien hergestellt. Es zeigte sich,
dass der Zungenbeinbogen vom eigentlichen Hammer frei war, trotz-
dem, dass er sich eng an den vordern Rand des Stapesknorpels an-
legte. Die Verhältnisse sind hier allerdings auch an Schnitten nicht
so deutlich, als ich erwartet hatte. Und die Untersuchung von Spheno-
don allein hatte für mich eine Entscheidung der Sache unmöglich
gemacht. Dass aber der Zungenbeinbogen in der That mit dem
Stapes nichts zu thun hat, ist sehr deutlich bei Tarentola annularis
(Ptatydactylus aegyptiacus) zu beobachten. Hier ist der Zungenbein-
bogen grade so vollständig wie bei Sphenodon; nur tritt er nicht in
656 Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere.
so intime Verbindung mit demselben. Von dem Processus longus des
Hammers (Infrastapedial Parker) aber geht ein dünner Faden nach
unten, um sich in den Unterkiefer einzusenken, dies ist der epiman-
dibulare Teil des Meckel’schen Knorpels (Ceratohyale Parker).
Hier haben wir also genau dieselben Verhältnisse, wie sie Parker!)
beim Krokodil abgebildet hat.
Es unterliegt also nach dem soeben Mitgeteilten wohl keinem
Zweifel mehr, dass auch der Hammer von Sphenodon und somit aller
Sauropsiden nicht aus dem Zungenbeinbogen entsteht, sondern aus
dem Mandibularbogen. Schon Albrecht?) hat aus logisch - theore-
tischen Gründen behauptet, dass das fälschlich so genannte Hyo-
mandibulare, Ceratohyale nichts Anderes als der dorsale Ab-
schnitt des ersten Viszeralbogens, also des Meckel’schen Knorpels ist.
Meine Untersuchungen an Sphenodon und namentlich an Gecko
bestärken diese Ansicht. Bei beiden ist der Zungenbeinbogen voll-
ständig, hat aber mit dem Hammer absolut nichts zu thun. Durch
den Nachweis aber, dass das Hyomandibulare — dem Epimandi-
bulare ist, wird die andere Hypothese von Albrecht, dass das
Quadratum ursprünglich zum Palatirbogen und nicht zum Mandibular-
bogen gehört, bestärkt.
Ich komme nun auf das eigentliche Quadratum zu sprechen.
Dass es nicht in einem der Gehörknöchelchen gesucht werden kann,
liest nach dem Vorhergehenden auf der Hand.
Nach Tiedemann, Platner, Köstlin, Duvernoy und
Albrecht ist das Quadratbein der Säugetiere — dem Processus
zygomaticus der Schläfengruppe. Ich schließe mich dieser Ansicht
vollkommen an. Zu den von Albrecht und Duvernoy ge-
gebenen Beispielen einer wirklichen Trennung kann ich ein weiteres
hinzufügen. Bei einem totgebornen Tiger finde ich an dem rechten
Schläfenbein genau dieselben Verhältnisse, wie sie Albrecht an
dem Schädel eines neugebornen Kindes abgebildet hat. Der Pro-
cessus zygomaticus ist durch eine „Sutur“, welche beinahe durch die
ganze Schuppe verläuft, getrennt. Im obern Teil haben wir das
eigentliche Squamosum, im untern das Quadratum zu erblicken.
Alle diese Teilungen des „Squamosum“ müssen als atavistisch
bezeichnet werden. Dass sie es zweifellos sind, geht aus Cope’s
Untersuchungen über die Pelycosauria der Permformation hervor.
Cope betrachtet diese Reptilien als die Ahnen der Säugetiere. (Ich
habe an einem andern Ort (Morphologisches Jahrb.) nachzuweisen
versucht, dass dieselben etwas zu spezialisiert sind, um diesen An-
forderungen entsprechen zu können, dass sie aber zu den wirklichen
4) Parker W.K., On the Structure and Development of the Skull in
the Crocodilia. Trans. Zool. See. vol. XI. pars IX. 1883. Taf. 68. Fig. 19.
2) Albrecht P., Sur la valeur morphol. de la trompe d’Eustache. Bru-
xelles 1884, u. 8. w.
Baur, Ueber das Quadratum der Säugetiere. 657
Ahnen der Säugetiere in sehr nahen verwandtschaftlichen Beziehungen
stehen.) Ich gebe Cope’s Bemerkungen über das Quadratum dieser
interessanten Formen wörtlich wieder !).
„Although the malar bone is out of place in the speceimen de-
scribed, examination of the skull of the Clepsydrops natalis,
where it is preserved in position, shows that this horizontal ramus
of the quadrate is nothing more than the zygomatie process of the
squamosal bone of the mammalia, forming with the malar bone the
zygomatie arch.“
Für mich unterliegt es also keinem Zweifel mehr, dass im Pro-
cessus zygomaticus der Säugetiere das Quadratum der andern Verte-
braten enthalten ist.
Nach Albrecht und Dollo (l. e.) ist im Malare (Jugale) das
Quadratojugale enthalten; durch die Verhältnisse, welche ich an einem
sehr jungen Schädel von Dasypus vorfand, ist mir die Richtigkeit
dieser Behauptung zweifelhaft geworden. An diesem Schädel findet
sich nämlich, und zwar auf beiden Seiten, am Processus zygoma-
tieus eine senkrechte Spalte, welche die Gelenkfläche des Fortsatzes
mit dem Jugale abzutrennen strebt; ich glaube, dass dieses halb-
abgespaltene Stück das Quadratojugale der Sauropsiden repräsentiert;
für mich ist es also wahrscheinlicher, dass das Quadratojugale im
Quadratum als im Jugale enthalten ist. Eine Stütze erhält diese An-
nahme durch die Verhältnisse bei Sphenodon. Hier verwächst im
Alter das Quadratojugale mit dem Quadratum, während es bei jungen
Tieren frei ist.
Die Resultate dieser Mitteilungen fasse ich folgendermaßen zu-
sammen:
1) Die von Breschet und Peters aufgestellte, von
Dollo wiederholte Behauptung, dass der knorplige
distale Teil der Columella (Stapes) der Sauropsiden dem
Hammer der Säugetiere homolog ist, ist richtig.
2) Der Hammer entsteht bei Sauropsiden und Säu-
gern aus dem ersten und nicht aus dem zweiten Viszeral-
bogen, d. h. aus dem epimandibularen Teil des Meckel-
schen Knorpels.
3) Das sogenannte Hyomandibulare, Ceratohyale ist
nichts Anderes wie der epimandibulare Teil des Meckel’-
schen Knorpels. (Peters, Albrecht, Baur.)
4) Der „Quadratknorpel“ gehört wahrscheinlich nicht
zum Mandibularbogen, sondern zum Palatinbogen.
(Albrecht behauptet dies sicher.)
1) Cope, E. D., The Relations between the Theromorpheus Reptiles and
the Monotreme Mammalia. Proc. Am. Assoc. Adv. Se. vol. 33. Philadelphia
Meeting. Sept. 1884. Salem. Mass. 1885. p. 473.
VI, 42
658 Morin, Zur Entwicklungsgeschichte der Spinnen.
5) Die von Tiedemann, Platner, Köstlin, Duvernoy,
Albreeht und Cope behauptete Homologie des Quadra-
tums der Sauropsiden mit dem Processus zygomaticus
des Schläfenbeins ist richtig.
6) Wahrscheinlich stellt das vordere Ende dieses
Fortsatzes das Quadratojugale vor.
Zur Entwiceklungsgeschichte der Spinnen.
Von I. Morin in Odessa.
Hiermit will ich in kurzem die Ergebnisse meiner Beobachtungen
über Entwieklung der Spinnen mitteilen, welche ich im Laboratorium
des hochgeehrten Herım Prof. Kowalevsky an der Odessa’er Uni-
versität ausgeführt habe. Ich untersuchte in dieser Hinsicht Arten
von Theridion, Pholeus, Drassus und Lycosa.. Am eingehendsten ist
Theridion untersucht worden, und auch Pholeus gab mir wichtige
Resultate; darauf folgen Drassus und Lycosa. Darum werde ich in
meiner Mitteilung meistens von Theridion sprechen, die Abweichungen
der andern Arten dabei erwähnend.
Das bald nach dem Ablegen untersuchte Ei von Theridion be-
sitzt zwei Eihüllen: das Chorion und die Dotterhaut. Der Ei-Inbalt
besteht meistens aus Dotterschollen und Oeltröpfehen. Im Zentrum
des Eies findet man das Keimbläschen, welches mit feinkörnigem
nach allen Riehtungen in den Dotter strahlenartige Ausläufer senden-
dem Protoplasma umgeben ist. Ein paar Stunden nach dem Ablegen
teilt sich das Keimbläschen und die es umgebende Protoplasmamasse
in zwei Teile. Die dadurch entstandenen zwei Segmente oder Zellen
teilen sich weiter: wir bekommen vier und endlich acht Zellen oder
Segmente. Soweit blieb der Nahrungsdotter des Eies unsegmentiert.
Jetzt aber, nachdem der Bildungsdotter in acht Zellen sich geteilt
hat, geschieht eine totale Furehung des Dotters, welcher auch in acht
Furehungskugeln oder Pyramiden zerfällt: im Zentrum des Eies ent-
steht eine Furchungshöhle. Die Dottersegmente sind rosettenartig,
wie es bereits Ludwig bei Philodromus beobachtete. Jedes Segment
besitzt in seiner Mitte einen Kern, welcher von feinkörnigem Proto-
plasma umgeben ist. Die acht Segmente teilen sich nun weiter in
sechszehn derartig, dass zuerst in jedem Segmente der Kern, darauf
das ihn umgebende Protoplasma und dann erst die ganze Pyramide
eine Zweiteilung eingeht. Die somit entstandenen sechszehn Segmente
teilen sich weiter in 32, 64 u. s. w. Jedes Segment besitzt nur einen
Kern, und niemals beobachtete ich „polynukleare“ Pyramiden, wie es
Schimkewitsch behauptet!). Mit der Vermehrung der Segmente
1) Zoolog. Anzeiger, Nr. 174, 1884.
Morin, Zur Entwicklungsgeschichte der Spinnen. 659
rücken ihre Kerne, zusammen mit dem sie umgebenden Protoplasma,
immer näher an die Oberfläche des Eies; sie erreichen sie endlich
bei Theridion, sobald die Zahl der Segmente 128 ist, und dann trennt
sich in jedem Segmente sein Kern und das ihn umgebende Proto-
plasma vom Dotter. Somit ist das Blastoderm schon ausgebildet, es
besteht also aus einer Schicht sternartiger Zellen. Die übrigen Teile
der Segmente bezw. die Pyramiden zerfallen wieder und fließen zu-
sammen; im Innern des Eies bleiben also wieder nur Dotterschollen
und Oeltröpfehen; von Zellen oder Kernen ist dort keine Spur mehr
vorhanden.
Nachdem das Blastoderm ausgebildet ist, versammeln sich die
Blastodermzellen an der Bauchfläche des Eies bedeutend dichter als
auf der Rückenfläche und bilden hier eine Blastodermverdickung,
welche aus hohen zylindrischen Zellen besteht und die Anlage des
ganzen Körpers des Embryos darstellt. Bald darauf trennen sich vom
Zentrum der Blastodermverdickung einige Zellen, von denen einige
unmittelbar unter derselben, zwischen der obern Zellschicht und dem
Dotter bleiben, die andern aber weiter in den Dotter eindringen. Der
Embryo besteht jetzt also aus dreierlei Zellen. Die äußere, das ganze
Ei umziehende Zellschicht stellt das Ektoderm dar, die unmittelbar
unter derselben liegenden Zellen das Mesoderm, die weiter in den
Dotter eingedrungenen Zellen das Entoderm.
Der zuerst von Claparede beschriebene „Cumulus primitif“,
welchem Balfour und Schimkewitsch eine sehr wichtige Rolle
in der Bildung der Keimblätter zuschrieben, entsteht nach meinen
Beobachtungen erst, nachdem die drei Keimblätter gänzlich aus-
gebildet sind; also beteiligt er sich an der Keimblätterbildung gar
nicht. Außerdem ist er nicht bei allen Arten vorhanden. Bei Theri-
dion konnte ich ihn nicht auffinden, obschon ich ihn sehr fleißig
suchte. Von übersehen kann hier kaum die Rede sein; denn das
Gebilde ist mir sehr gut bekannt, da ich den Cumulus vielfach und
sehr leicht bei Pholcus und Drassus beobachtete. Bei Pholcus ist sehr
leicht zu beobachten, wie von der Blastodermverdiekung auf der Ei-
oberfläche ein birnartiger Anhang (Cumulus) auswächst, welcher das
Blastoderm sehr stark erhebt. Wenn man diese Erscheinung auf
Schnitten untersucht, überzeugt man sich, dass der birnartige Anhang
(Cumulus) aus einem Klumpen von Mesodermzellen besteht, welche
von der gesamten Masse des Mesoderms sich trennen. Die Mesoderm-
zellen erheben das sie überziehende Ektoderm, welches hier also nur
eine passive Rolle spielt. Zu Anfang ist der Cumulus mit der Haupt-
masse des Mesoderms noch durch einen dünnen Strang von Meso-
dermzellen verbunden, später sondert er sich gänzlich ab und rückt
von der Blastodermverdickung immer weiter auf die Rückenfläche hin.
Die den Cumulus bildenden Mesodermzellen werden bald größer und
rund, und dasselbe geschieht auch mit ihren Kernen. Nachdem schon
AD
e 74
660 Morin, Zur Entwicklungsgeschichte der Spinnen.
die Anlagen der Körpersegmente und ihrer Anhänge ausgebildet sind,
zerstreuen sich die den Cumulus bildenden Mesodermzellen, welcher
dann schon auf die dorsale Seite des Embryos überwandert ist,
zwischen Ektoderm und Dotter. Nach der Bildung des Herzens ver-
wandeln sich diese Zellen in Blutkörperchen. Die nämlichen Zellen
kann man auch bei Theridion beobachten, aber viel später als bei
Pholeus — nach der Ausbildung der Leibeshöhle. Außerdem entstehen
sie dort nieht vom Cumulus (der fehlt hier ganz), sondern auf eine
ganz andere Weise.
Nach der Bildung der Keimblätter bei Theridion ist eine starke
Vermehrung der Zellen der Blastodermverdiekung bezw. des Keim-
streifens zu beobachten. Die Zellen werden sehr hoch zylindrisch,
außerdem wächst der Keimstreifen auch nach vorn aus. Er wird
bald dreieckig mit abgerundeten Winkeln. Dann kann man schon
zwei verschiedene Teile des Keimstreifens unterscheiden. Der Gipfel
des Dreiecks besteht aus hohen zylindrischen Zellen und stellt die
Anlage des Abdomens dar; er entspricht demjenigen Teile der Blasto-
dermverdiekung, aus welchem das Mesoderm und das Entoderm sich
trennten, und ich benenne ihn Hinterlappen. Der übrige Teil des
Dreiecks, das heißt seine Basis besteht aus etwas weniger hohen
Zellen; er stellt uns die Anlage des Cephalothorax dar, und ihn be-
nenne ich Vorderlappen.
Der Vorderlappen wächst weiter nach vorn, und nach und nach
trennen sich von demselben mittels Querfurchen die Brustsegmente.
Zuerst trennt sich das sechste Segment, darauf das fünfte, dann das
vierte ete. Zuletzt teilt sich das erste die Mandibeln tragende Seg-
ment ab. Der Rest des Vorderlappens kann jetzt Kopflappen
genannt werden, da aus ihm das Gehirn und die Augen sich ent-
wickeln.
Auf ähnliche Art entstehen die Segmente des Abdomens vom
Hinterlappen. Derselbe wächst hinterwärts, und zuerst trennen sich
von ihm mittels Querfurchen das erste und das zweite abdominale
Segment, darauf trennt sich das dritte, vierte ete.
Entsprechend dieser äußern Segmentierung des Keimstreifens
zerfällt auch das Mesoderm in eine Reihe von Segmenten. In jedem
Segmente besteht das Mesoderm aus einer Schicht spindelförmiger Zellen.
Die Segmentanhänge bilden sich, sobald die Brustsegmente aus-
gebildet sind. Zuerst entwickeln sich die Anlagen der vier Paar
Gangbeine als hügelartige Ausstülpungen des Ektoderms, in welche
auch das Mesoderm eindringt. Dann erscheinen auf nämliche Art die
Anlagen der Maxillen und zuletzt die Anlagen der Mandibeln. Von
den Abdominalsegmenten tragen, wie es schon bekannt ist, nur die
vier ersten Segmente knopfartige Anhänge.
Die Ausbildung der Leibeshöhle beginnt mit dem Erscheinen der
ersten Spuren der Extremitätanlagen. Unter den letztern geht dann
Morin, Zur Entwicklungsgeschichte der Spinnen. 661
eine starke Zellteilung des Mesoderms vor sich, und unter jeder Ek-
todermausstülpung entsteht ein mehrschichtiger Haufen von Meso-
dermzellen, in welchem bald eine Spalte sich bildet, die die Anlage
der Leibeshöhle darstellt. Gleichzeitig zerfällt in jedem Segmente
das Mesoderm in zwei symmetrische Hälften. Die Spalte vergrößert
sich immer mehr, und wir bekommen endlich anstatt derselben eine
bedeutende Höhle, welche von einer Schicht spindelförmiger Meso-
dermzellen umgeben ist.
Nachdem die Anlagen der Gliedmaßen schon ausgebildet sind,
beobachtet man bei Theridion links und rechts vom Keimstreifen,
zwischen Ektoderm und Dotter, in nächster Nachbarkeit mit den
Mesodermsomiten große runde Zellen mit großen runden Kernen,
welche mit den oben, bei Pholcus als vom Cumulus abstammenden
erwähnten Zellen identisch sind, da solche sich später auch in Blut-
körperchen verwandeln. Da ich sie in nächster Nachbarschaft mit den
Mesodermsomiten auffand, vermute ich, dass sie von letztern ab-
stammen, das heißt, dass sie sich von den Mesodermsomiten trennen.
Ein nämlicher Prozess ist von Kowalevsky und Schulgin!) un-
längst beim Skorpion beschrieben worden.
Die ersten Spuren der Bauchganglien erscheinen, nachdem alle
Extremitätanlagen schon sehr gut sichtbar sind, als paarige Ver-
diekungen des Ektoderms. In den Kopflappen (Balfour’s proce-
phalie lobes) entstehen später zwei semizirkulare Falten oder Rinnen,
welche zuerst von Salensky beobachtet wurden. Die Ränder der
Falte schließen sich später zusammen. Die Falte schnürt sich dann
vom Ektoderm ab und vereinigt sich mit dem Gehirn.
Der Embryo erfährt bald sehr wichtige äußere Veränderungen.
Die beiden Hälften des Keimstreifens wachsen zur gleichen Zeit dor-
salwärts, bis sie dort endlich zusammenstoßen und sich vereinigen.
In diesem Wachstumsprozesse der Segmenthälften nehmen auch die
Mesodermsomiten teil; sie treffen endlich auf dem Rücken zusammen
und vereinigen sich dort auch.
In engstem Zusammenhange mit dem Zusammenschließen der
Mesodermsomiten auf dem Rücken des Embryos steht die Entwick-
lung des Herzens. Während des Wachstums der Mesodermsomiten
dorsalwärts versammeln sich die oben bes@hriebenen, zwischen Ekto-
derm und Dotter zerstreuten und später ih Blutkörperchen sich ver-
wandelnden Zellen meistens auf dem Rücken des Embryos. Sie ver-
sammeln sich hauptsächlich in der abdominalen Abteilung des Em-
bryos und bilden endlich in der Mittellinie des Rückens einen dichten
Zellstrang, welcher das Zusammenschließen der Mesodermsomiten ver-
hindert. Die letztern umwachsen den Zellstrang mit ihren dorsalen
Enden ringsum auf solche Weise, wie z. B. bei den Anneliden die
4) Abhandlungen der Neurussischen Naturforschergesellschaft. Bd. XI.
Erste Lieferung, 1886 (russisch), und Biolog. Centralblatt Bd. VI, Nr. 17.
662 Morin, Zur Entwicklungsgeschichte der Spinnen.
Mesodermsomiten das Darmdrüsenblatt umwachsen, und vereinigen
sich endlich über und unter ihm. Der Zellstrang erscheint jetzt also
in einer aufs neue entstandenen Höhle liegend, deren Wandungen aus
Mesodermzellen gebildet sind. Das ist die Höhle des Herzens, welche
also hier einen Rest der Furchungshöhle darstellt. Auf solche Weise
entwickelt sich das Herz auch beim Skorpione, wie es Kowalevsky
und Schulgin beschrieben haben.
Nach dem Zusammenschließen der Mesodermsomiten auf dem
Rücken des Embryos bildet das Darmfaserblatt im Abdomen eine
Reihe von Falten (Balfour’s Septae), welche tief in den Dotter ein-
wachsen und denselben in viele Lappen teilen, die die Anlagen der
Leberlappen darstellen.
Das Stomodaeum entwickelt sich aus einer Ektodermeinstülpung,
welche zwischen den Kopflappen zur Zeit, wo die Gliedmaßen gegen
einander zu wachsen beginnen, erscheint.
Die Entwieklung des Proktodaeums beginnt sehr spät, nach-
dem das Herz schon ganz ausgebildet ist. Es entsteht dann auf dem
letzten Postabdominalsegmente eine Ektodermeinstülpung, welche die
Anlage des Proktodaeums darstellt.
Die Entwicklung des Mitteldarms und der Leber beginnt noch
später, ein paar Tage vor dem Ausschlüpfen der jungen Spinne. Die
Entodermzellen, welche im Dotter zerstreut sind und sich stark ver-
mehrt haben, trennen sieh von dem letztern in zwei Stellen, an den
innern Enden des Stomodaeums und des Proktodaeums. Sie bilden
dort zwei Röhren, welche mit ihren offenen Enden gegen einander
wachsen. Von den Seiten gehen sie stufenweise in die Leberlappen-
anlagen über, wo ein nämlicher Prozess vor sich geht. Die Entoderm-
zellen trennen sich auch! dort vom Dotter und legen sich neben ein-
ander auf die Wandungen der Einwüchse des Darmfaserblattes (Septae).
Bei der erst ausgeschlüpften jungen Spinne sind der Mitteldarm
und die Leber noch nicht völlig ausgebildet, und die Entwicklung
dieser Organe geht ein paar Tage nach dem Ausschlüpfen vor sich.
Darum nehmen die soeben ausgeschlüpften Spinnen einige Zeit keine
Nahrung auf.
Die Lungen entwickeln sich aus zwei ektodermalen Einstülpungen
an der Basis des ersten Paars Abdominalanhänge, welche sich selbst
in die äußern Decken der Lungen verwandeln.
Das zweite Paar Abdominalanhänge verschwindet.
Das dritte und das vierte Paar Abdominalanhänge verwandeln
sich in Spinnwarzen, wie es schon von Salensky beobachtet wurde.
In jeder Spinnwarzenanlage stülpt sich in ihrem Zentrum das Ekto-
derm ein. Aus diesen Ektodermeinstülpungen entwickeln sich die
Spinndrüsen.
Die Malpighi’schen Röhren entwickeln sich aus zwei Ausstül-
pungen der Wandungen des Proctodaeums.
Nusbaum, Zur Embryologie der Schizopoden. 663
Anhang. Nachdem ich schon diese Zeilen geschrieben hatte,
erhielt ich die Arbeit von Herrn W. A. Locy — „Observations on
the development of Agelena naevia“ (Bullet. of the Museum of Com-
parative Zoology, Cambridge, 1886 — besprochen von Herrn Minot
in Boston in Bd. VI Nr. 18 dieses Blattes). Auf seiner Fig. 39
Taf. VI ist sehr gut sichtbar, wie das Meso- und Entoderm von einer
Blastodermverdickung sich trennen, welche er aber „Cumulus primitif“
nennt. Wie ich schon oben mitgeteilt habe, sind dies (die Blastoderm-
verdickung, aus welcher sich die Keimblätter differenzieren, und der
Cumulus) zwei verschiedene Bildungen. Die äußern Veränderungen
des Keimstreifens sind von ihm richtig beschrieben; die Verwandlung
von zwei Paar Abdominalanhängen in Spinnwarzen ist auch von
ihm beobachtet.
Zur Embryologie der Schizopoden (Mysis Chameleo).
Von Jözef Nusbaum in Warschau,
Magister der Zoologie.
Während meines Aufenthaltes an der zoologischen Station zu
Roscoff (im vergangenen Sommer) hatte ich Gelegenheit, die Embryo-
logie der Mysis Chameleo zu studieren.
Eine ausführliche Arbeit mit Abbildungen werde ich darüber in
den „Archives de Zoologie Experimentale“ veröffentlichen
und gebe hier nur eine kurze Mitteilung über die ersten Entwicklungs-
stadien dieses Schizopoden.
In einem der Segmentation voraufgehenden Stadium enthält das
Ei eine große Menge Nahrungsdotter, der aus homogenen Kügelchen
und Körnchen besteht; auf dem Bildungspole des Eies finden wir
eine Anhäufung feinkörnigen Plasmas mit einem großen runden Kerne
in der Mitte. Auf der ganzen Außenfläche des Dotters ist eine sehr
dünne Schicht des homogenen Plasmas zu bemerken, das ohne Zweifel
einen gewissen Anteil an der Bildung des Blastoderms nimmt.
Der Kern teilt sich in zwei Teile. Ein Teil desselben bleibt
unter der Eimembran liegen, der andere vertieft sich nach innen mit
einem Teile des Bildungsplasmas und vermehrt sich hier (siehe wei-
ter unten). Aus den Produkten des peripherischen Kernes und des
ihn umgebenden Plasmas entwickelt sich eine kleine Blastoderm-
scheibe, aus zylindrisch-kubischen Zellen gebildet.
In der Mitte dieser Scheibe finden wir einige Zellen, die viel
größer als die benachbarten sind und durch eine tangentiale Teilung
kleinere Zellen bilden, die sich unter der Scheibe anhäufen. Manche
Zellen der Scheibe unterliegen einer radiären Teilung und vertiefen
sich keilföürmig in den Dotter. Alle diese Zellen bilden unter der
Blastodermscheibe eine Zellenanhäufung, die sich auf diese Weise auf
664 Nusbaum, Zur Embryologie der Schizopoden.
zweierlei Art gebildet hat: 1) aus den Produkten eines Teiles des
Segmentationskernes (siehe oben) und des ihn umgebenden Plasmas,
und 2) aus den Zellen der Blastodermscheibe, die sich tangential
teilen oder keilförmig in den Dotter eindringen. Alle diese Zellen
werde ich aus Gründen, die wir später ersehen werden, als „Vitello-
phagen“ bezeichnen.
Die Ränder der Blastodermscheibe umwachsen allmählich den
ganzen Dotter als eine Schicht platter Blastodermzellen. Die verdickte
Blastodermscheibe ist, wie gesagt, aus einer Schichte zylindrisch-
kubischer Zellen gebildet und liegt auf der Bauchfläche des hintern
Teiles des Eies. Die Scheibe erweitert sich und zerfällt in drei Teile:
einen hintern unpaarigen Teil (s) und zwei seitliche, die sich dann
nach vorn verlängern und den zwei verdickten, paarigen Hälften des
Bauchstreifens (5) den Anfang geben (Fig. 1). Die zwei hinten fast
Fig. 1.
Fig. 1. Ein Mysis-Ei von der Oberfläche
gesehen.
o — Die Eimembrane.
s — Die Schwanzscheibe.
b,b — Die verdickten Ränder des Bauch-
streifens.
L,L — Die Kopflappen.
d,d — Die Anlagen des Rückenorganes.
zusammenstoßenden, nach vorn divergierenden Hälften des Bauch-
streifens sind von zylindrisch-kubischen Zellen gebildet, gleich der
hintern unpaarigen Schwanzscheibe, während der Teil des Blastoderms
in der Mitte des Bauchstreifens, also zwischen den beiden verdicekten
Rändern desselben wie der ganze Rest des Blastoderms von platten
Zellen gebildet ist.
Das Ento- und Mesoblast bilden sich folgendermaßen. An der
hintern Schwanzscheibe erscheint eine seichte Invagination; die Zellen
des Bodens des invaginierten Teiles unterliegen einer energischen
Vermehrung und bilden eine solide Anhäufung der Entodermzellen.
Ein Teil der Schwanzscheibe hinter dieser Invaginationsstelle bildet
sehr früh eine Anlage des Abdomens [Schwanz der Larve] !).
Das Mesoderm entsteht aus paarigen Anlagen längs der zwei ver-
diekten Ränder des Bauchstreifens. Auf Querschnitten sieht man, dass
die Zellen dieser Ränder sich tangential und radiär teilen, und in
4) 8. v. Beneden: „Recherches sur l’Embryogenie des Crustaces“, Bull.
de l’Acad. R. de Belgique, 1869.
Nusbaum, Zur Embryologie der Schizopoden. 665
diesem letzten Falle vertiefen sie sich keilförmig nach innen. Auf
diese Weise entsteht unter jedem der beiden Ränder des Bauchstreifens
eine solide Anhäufung der Mesodermzellen (Fig. 2). Diese paarigen
Fig. 2.
Fig. 2. Ein Teil eines Querschnittes durch das Mysis-Ei, auf demselben Ent-
wicklungsstadium wie Fig. 1. (Der Querschnitt ist auf der Höhe der Linie m—n
geführt.)
d,b — Die verdiekten Ränder des Bauchstreifens.
m — Die Mesodermzellen.
v — Die Vitellophagen.
d,d — Die Anlagen des Rückenorgans.
Anhäufungen stellen zur Zeit der Erscheinung der Extremitätenanlagen
drei solide den letztern entsprechende Verdiekungen vor. Etwas
später, wenn die Mesodermzellen anfangen sich zu zerstreuen und in
ein splanchnisches und ein somatisches Blatt sich zu differenzieren,
reduzieren sich diese Segmente. Diese Mesodermsegmente der Mysiden
entsprechen meiner Ansicht nach ganz genau den Mesodermsomiten
anderer Enterocölier, obwohl sie hier nieht stark differenziert sind
und keine distinkteHöhlen des künftigen Cöloms einschließen: man muss
annehmen, dass hier die Bildung des Cöloms etwas später und nicht
gleichzeitig mit der Bildung der eigentlichen Somiten hervortritt.
Die „Vitellophagen“ dringen in den Dotter hinein. Zuerst sieht
man sie nur auf der Bauchseite des Embryos, unter dem Bauch-
streifen (Fig. 2 v), später auf der ganzen Oberfläche und im Innern
des Dotters. Sie vertiefen sich allmählich in den Dotter, füllen sich
mit Dotterkörnchen und bilden große und körnchenreiche, blasen-
förmige runde Zellen. Auf diese Weise wird der Dotter mehr und
mehr durch diese Zellen resorbiert. Die Kerne der Vitellophagen
werden unkenntlich, die Zellen, sich allmählich vergrößernd, verlieren
ihre Konturen, und das Innere des Eies füllt sich mit einer körnchen-
reichen Dottermasse, in welcher hier und da, sehr spärlich, einzelne
Kerne liegen bleiben, und in der unter Wirkung der Reagentien viele
runde Höhlen entstehen.
666 Nusbaum, Zur Embryologie der Schizopoden.
Die oben beschriebene Entstehungsweise der Embryonalblätter
der Mysis scheint mir sehr interessant zu sein, da sie sich innig an
den Typus der Embryonalblätterbildung der Tracheaten knüpft.
Bei den Insekten (Hydrophilus, Lepidopteren, Blatta) bildet sich
in der Mitte des Bauchstreifens eine Rinne, die sich in einen Kanal
schließt. Dieser Kanal wandelt sich dann zu einem soliden Mesoderm-
streifen um, der in eine linke und rechte Hälfte zerfällt.
Bei Mysis entsteht das Mesoderm auch aus dem Ektoblast und
bildet zwei solide Anlagen. Wären die zwei verdiekten Ränder des
Bauchstreifens der Mysis sehr nahe aneinander gelagert, dann
müsste das Mesoderm von Anfang an einen anscheinend unpaarigen
Streifen vorstellen. Der bei Mysis von mir beobachtete Entwicklungs-
modus des Mesoderms entspricht genau der Entwicklung dieses Blattes
bei Gryllotalpa nach Korotneff!), wo auch keine „Primitivrinne“
vorhanden ist, und das Mesoderm bildet sich aus dem Ektoderm „nur
seitwärts von der Medianlinie, diese selbst entbehrt solcher“.
Die zwei verdiekten Ränder des Bauchstreifens vereinigen sich,
wie gesagt, an dem hintern Ende des Eies mit der unpaarigen Schwanz-
scheibe, wo das Entoderm durch obenerwähnte seichte Invagination
sich bildet. Wenn wir diese zwei verdickten Ränder des Blastoderms
samt der sie vereinigenden, mittlern, hintern Scheibe als Gastrula-
Lippen betrachten wollen, dann wird die Embryonalblätterbildung bei
Mysis ganz genau derjenigen bei den Insekten entsprechen. Denn auch
bei den letztern bildet nach Kowalevsky?) der mittlere Teil der
sich schließenden Rinne der Gastrula das Entoderm, die lateralen
Teile das Mesoderm; bei den Insekten erscheint das Entoderm an
dem vordern und hintern Ende des Embryos, bei Mysis aber nur am
hintern.
Es bleibt noch eine wichtige Frage zu erörtern, und zwar die:
was für eine morphologische Bedeutung sollen wir den Vitellophagen
zuschreiben? Ich selbst konstatierte deren Vorhandensein auch bei
Oniscus®), und nach Kowalevsky dienen die Dotterzellen der In-
sekten und des Skorpions *; auch nur zur Auflösung des Dotters und
spielen keine unmittelbare Rolle in der Bildung der Organe.
Der einfachste und primitivste Typus der Entwicklung des Ento-
derms bei den niedrigsten Metazoen (Spongien, Medusen) ist eine
Auswanderung einzelner Zellen aus der Wand der Blastophäre. Bei
höhern Metazoen, wo die Bildung des Ento- und Mesoderms lokalisiert
ist, bleibt diese frühzeitige Bildung der Wanderzellen vielleicht als
eine ererbte morphologische Eigenschaft, und diese behalten ihre pri-
1) Zeitschrift f. wiss. Zoologie, 1885.
2) Biologisches Centralblatt, Bd. VI, Nr. 2 u. 3.
3) Zoologischer Anzeiger, Nr. 228, 1836.
4) „Zapiski Novoroth. Obschez. Jestestwoispytatelj“ 1886 (russisch) und
Biol. Centralbl., Bd. VI, Nr. 17.
Zacharias, Zusammensetzung der pelagischen Fauna in den nordd. Seen. 667
mitive Rolle der Phagocyten im Sinne Meeznikoff’s, indem sie sich
von den Dotterkegeln ernähren und somit zur Auflösung derselben
dienen.
Aus dem Entoderm bilden sich die paarigen Anlagen der Wan-
dungen der Leberschläuche, die den Dotter allmählich von unten
nach oben umwachsen, und auch ein Teil des Mitteldarmes. Der
ganze Rest des Verdauungskanales bildet sich aus Prokto- und Stoma-
daeum. An beiden Seiten des Bauchstreifens entstehen sehr frühzeitig
zwei symmetrische, scheibenförmige Verdickungen des Ektoderms, von
zylindrischen Zellen gebildet. Diese Scheiben vertiefen sieh in der
Mitte nach innen (Fig. 2, d) und schließen sich zu zwei symmetrischen,
ovalen Schläuchen. Die Wandungen derselben werden dann von
sehr hohen pyramidalen Zellen gebildet. Die innere Höhle wird von
einer dichten homogenen Substanz erfüllt, und so bilden sich zwei
solide, ansehnliche ektodermische Organe, die sehr innig mit der
Haut zusammenhängen. Diese Organe schieben sich dann mehr nach
oben zu, nähern sich der Mittellinie der Dorsalfläche des Embryos
und sind nicht von bleibendem Bestand. Sie entsprechen den sattel-
förmigen Organen des Oniscus, der Ligia oceanica, dem Rückenorgane
des Asellus und Orchestia.
Die Entwicklung einzelner Organe werde ich in meiner ausführ-
lichen Arbeit beschreiben, wo ich auch die Einzelheiten über die ersten
Entwicklungsstadien zufügen werde.
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin.
Sektion für Zoologie.
1. Sitzung. Dr. Otto Zacharias (Hirschberg i. Schl.) spricht über die
Zusammensetzung der pelagischen Fauna in den norddeutschen
Seen: Die Darlegungen des Vortragenden gründen sich auf die Ergebnisse
einer achtwöchigen Forschungsreise in Ost-Holstein, Mecklenburg, Pommern
und Westpreußen, deren Ausführung durch eine von der königl. Akademie zu
Berlin gewährte Subvention und durch das freundliche Entgegenkommen des
Herrn Direktor H. Conwentz (vom westpreußischen Provinzial- Museum) in
hohem Grade gefördert wurde. Im ganzen wurden von Dr. Zacharias 46 große
und 10 kleinere Wasserbecken inbezug auf ihre pelagische Fauna durchforscht.
Das Resultat dieser Studien war ein sehr befriedigendes und allgemein interes-
santes. Es stellte sich heraus, dass die Seen Norddeutschlands eine noch
mannigfaltigere Zusammensetzung pelagischer Organismenwelt besitzen, als
sie in den schweizerischen und oberitalischen Wasserbecken vorhanden ist. Zu
den als „Seeformen“ bereits bekannten Cladoceren (Daphnia brachyura,
D. Cederströmü, D. galeata, D. Kahlbergensis ete.) gesellte sich eine neue
Species von (eriodaphnia, und eine der D. Cederströmii verwandte, aber bisher
nicht bekannte Cladocere, welche demnächst unter dem Namen D. procurva
beschrieben werden wird. Hierzu kommen 4 Species von Bosminiden, welche
668 Zacharias, Zusammensetzung der pelagischen Fauna in den nordd. Seen.
lediglich die Mitte der Seen bewohnen. Am häufigsten ist Bosmia longirostris ;
dann folgt in beinahe ebenso großer Individuenzahl Bosmia Coregoni Baird.
Dieses Krebschen ist für die deutsche Fauna neu. Es lebt übrigens nicht bloß
in den norddeutschen Seen, sondern kommt auch im Kunitzer See bei Liegnitz
vor. Außer diesen beiden Species wurden von Dr. Zacharias noch zwei
völlig neue Arten vonBosminiden (B. elongata und B. Thersites) konstatiert,
deren Verbreitung sich bis in die Havel- und Spree-Seen nach Süden hin ver-
folgen lässt. Die zweitgenannte neue Bosmina ist merkwürdig wegen der
riesenhaften buckelartigen Auftreibung ihres Rückens, in Vergleich zu welcher
die ähnliche Hervorwölbung der Schödler’schen B. gibbera gar nicht er-
wähnenswert erscheint. Schödler, der in den sechziger Jahren so eifrig in
der Umgebung von Berlin fischte, scheint jene interessanten Formen übersehen
zu haben. Dr. Zacharias zeigte Abbildungen derselben vor. Von ganz be-
sonderem Interesse war es, dass in mehrern Seen auch die Anwesenheit von
Dythotrephes longimanus, dieses Hauptrepräsentanten der pelagischen Fauna,
nachgewiesen werden konnte. Leptodora hyalina fand sich in fast allen unter-
suchten Seen vor. Ebenso zeigte sich an den flachen Ufern Polyphemus pediculus
sehr häufig. Wie in den skandinavischen Seen, so ist auch in den größern
norddeutschen Heterocope appendiculata zu finden, während Heterocope robusta
fehlt. Der vorherrschende Diaptomus ist aber nicht D. castor, wie in der
Schweiz, sondern D. gracilis. Auch in den Havel- und Spree-Seen ist der
letztgenannte Diaptomus in ungemein großer Massenhaftigkeit vorhanden. Dass
auch die Rotatorien ihre Vertretnng in der pelagischen Fauna haben, zeigte
sich in der Anwesenheit von Conochilus volvox und zahlreicher Species der
Gattung Anuraea. Die für die schweizerischen und oberitalienischen Seen
konstatierten Formen (Anuraea longispina Kellicott, A. cochlearis Gosse und
die schöne Asplanchna helvetica) — alles fand sich genau so in Norddeutsch-
land vor. Auf pelagischen Entomostraken zeigte sich hier und da auch die
leicht kenntliche Vorticelline Epistylis lacrustis Imhof — ganz wie in den
großen Schweizer Seen. Eine spezielle Vergleichung zwischen der pelagischen
Fauna der letztern und derjenigen der norddeutschen Seen gedenkt der Vor-
tragende in einer demnächst erscheinenden Abhandlung vorzunehmen. Auf
grund seiner Forschungen glaubt Dr. Zacharias die Behauptung aufstellen
zu können, dass die Seen Norddeutschlands inbetreff ihrer pelagischen Orga-
nismenwelt eine Mittelstellung zwischen den skandinavischen und heiveto-
italischen Wasserbecken einnehmen. Vor den letztern scheinen sie sich aber
durch eine größere Mannigfaltigkeit der Entomostraken-Fauna auszuzeichnen.
Zum Schluss verlas der Vortragende das Verzeichnis der von ihm gesammelten
Kruster Norddeutschlands; es enthält 24 verschiedene Formen. — Prof. F. E.
Schulze: Nach den von mir gemachten Erfahrungen kommt Leptodora hyalina
in großer Menge in mehrern Seen nahe bei Berlin vor, so z. B. im Tegeler
See, im Schlachtensee und andern Havelseen. — Herr v. Martens berührt
die Frage, ob die Erscheinung, dass eine Art in den norddeutschen Seen ober-
flächlich und in den Schweizerseen in der Tiefe lebt, bei andern Arten sich
wiederholen möge. — Dr. Zacharias bestätigt dies und fügt hinzu, dass
nach seinen persönlichen Wahrnehmungen die Tages: oder Nachtzeit keinen
Unterschied in der Massenhaftigkeit des Auftretens verursache. Redner könne
die Angaben der Herren Forel und Weismann in dieser Beziehung nicht
bestätigen.
Biedermann, Einwirkung des Aethers auf Muskeln und Nerven. 669
Sektion für Physiologie.
2. Sitzung. W. Biedermann: Ueber die Einwirkung des Aethers
auf einige elektromotorische Erscheinungen an Muskeln und
Nerven. Versuche über die elektromotorischen Erscheinungen an marklosen
Nerven hatten ergeben, dass in dieser Beziehung sehr wesentliche Unterschiede
zwischen marklosen und markhaltigen Nerven bestehen, indem Elektrotonus
in dem herkömmlichen Sinne, d. i. galvanische, durch eine eigenartige, physi-
kalisch vermittelte Ausbreitung des Reizstromes bedingte Veränderungen der
extrapolaren Strecken bei jenen ganz fehlt, während dagegen „physiologischer
Elektrotonus“, d.i. elektromotorische Wirkungen, welche durch gegensätzliche
von den Polen her sich fortpflanzende Veränderungen verursacht werden, auch
hier vorhanden ist. Es legte dies die Vermutung nahe, dass auch die elektro-
tonischen Erscheinungen an markhaltigen Nerven nur zum Teil physikalisch,
andernteils aber physiologisch vermittelt, also doppelten Ursprunges sind,
eine Ansicht, welche Prof. Hering seit lange vertritt. — Von diesem Gesichts-
punkte aus stellte ich Versuche an, bei welchen ohne wesentliche Aenderung
der Struktur der markhaltigen Nervenfasern dieselben vorübergehend leitungs-
unfähig und unerregbar gemacht werden sollten, um dann die elektrotonischen
Erscheinungen in diesem Zustande zu untersuchen. Dieses Ziel. ist leicht zu
erreichen durch lokale Einwirkung von Aetherdämpfen. Um jedoch zunächst
über die hier in betracht kommende Wirkungsweise des Aethers etwas Näheres
zu erfahren, wurde zunächst der Einfluss der lokalen Narkose auf die Lebens-
eigenschaften des quergestreiften Muskels geprüft. Es stellte sich daher vor
allem heraus, dass die Spannungsdifferenz zwischen Längsschnitt
und künstlichem Querschnitt (der Demarkationsstrom) zu einer
Zeit, wo unter dem Einfluss der Aetherdämpfe alle sichtbaren
Erregungserscheinungen fchlen, nicht in irgend erheblichem
Grade vermindert erscheint, woraus geschlossen werden muss, dass die
chemische Konstitution der Muskelsubstanz während der Narkose nicht wesent-
lich gestört sein kann. Dafür sprieht auch die weitere Thatsache, dass unter
dem Einfluss äußerer Reize an dem Aethermuskel nach wie vor galvano-
metrisch nachweisbare Veränderungen eintreten, die sich vor allem durch
Negativwerden der gereizten Stellen verraten. So bleibt insbesondere bei
elektrischer Reizung die positiv-anodische Polarisation als galvanischer Aus-
druck der Oeffnungserregung, sowie auch die negativ-kathodische Polarisation
als Nachwirkung der Schließungserregung unverändert erhalten zu einer Zeit,
wo der Aethermuskel auch nicht spurweise mit Kontraktion reagiert. Es
gerät also der quergestreifte Muskel unter dem Einfluss der Aetherdämpfe in
einen Zustand, in welchem er bei Reizung keinerlei direkt wahrnehmbare Ver-
änderungen erkennen lässt, während dagegen an der Reizstelle galvano-
metrisch nachweisbare Veränderungen in gleicher Stärke wie
vor der Narkose als Ausdruck der Erregung hervortreten, die
sich jedoch infolge des aufgehobenen Leitungsvermögens nur
lokal zu äußern vermögen. — Nach diesen Erfahrungen schien es ein
Leichtes, den markhaltigen Nerven, der sich dem Aether gegenüber ganz wie
der Muskel verhält, vorübergehend ohne Störung seiner normalen Struktur
derart zu verändern, dass infolge des aufgehobenen Leitungsvermögens bei
erhaltener örtlicher Reaktionsfähigkeit alle jene Wirkungen der elektrischen
Erregung, die auf einer Fortleitung örtlich bewirkter Veränderungen be-
670 Biedermann, Einwirkung des Aethers auf Muskeln und Nerven.
ruhen, vollkommen ausgeschlossen erscheinen. Damit ist aber auch sofort
die Möglichkeit geboten, der oben berührten Frage bezüglich des doppelten
Ursprungs der elektrotonischen Erscheinungen näher zu treten. Ohne an dieser
Stelle näher darauf einzugehen, will ich vorher nur erwähnen, dass eine ganze
Reihe von elektromotorischen Wirkungen, welche man insbesondere bei An-
wendung schwächster Kettenströme in möglichster Entfernung von der durch-
flossenen Strecke an markhaltigen Nerven zu beobachten Gelegenheit hat, sehr
entschieden zu gunsten der vorerwähnten Anschauung spricht, indem sich dabei
vor allem herausstellt, dass der physiologische Erregungsvorgang unter Um-
ständen ganz wesentlich an dem Zustandekommen der katelektrotonischen
Wirkungen mitbeteiligt ist; viel schwieriger ist es aber, Anhaltspunkte für
eine Sonderung des physikalischen und physiologischen Anelektrotonus zu ge-
winnen. Grade mit Rücksicht hierauf bieten nun die Versuche am ätherisierten
Nerven Interesse. Es zeigt sich daher zunächst, dass alle sonst in größerer
Entfernung von der polarisierten Strecke hervortretenden elektromotorischen
Wirkungen (im Sinne des Kat- und Anelektrotonus) schon nach kurzer Ein-
wirkung von Aetherdämpfen ausbleiben, während in der Nähe anfangs keinerlei
Veränderungen des Elektrotonus bemerkbar wird. In der Folge gleicht sich
jedoch dann allmählich der ursprünglich sehr bedeutende Größenunterschied
der kat- und anelektrotonischen Ablenkungen mehr und mehr aus, und zwar
derart, dass die letztern bei stets gleicher Reizung rasch an
Größe abnehmen, während die Wirkungen des Katelektrotonus
zunächst ganz unverändert bleiben oder sogar an Stärke zu-
nehmen. Es werden daher schließlich die kat- und anelektrotonischen Ab-
lenkungen vollkommen gleich und bleiben es auch bei jeder beliebigen Stromes-
intensität. Bei Fortsetzung der Narkose nehmen dann beiderlei Wirkungen
ganz gleichmäßig ab. Nach erreichter Gleichheit nehmen dagegen bei Er-
holung des Präparates die anelektrotonischen Wirkungen bei Gleichbleiben der
katelektrotonischen Ablenkungen rasch wieder zu. Bezüglich der Deutung
dieses Verhaltens erscheint es als nächstliegende Annahme, dass der Anelektro-
tonus markhaltiger Nerven das Resultat zweier gleichzeitig wirkender Ursachen
darstellt: einerseits der physikalisch zu erklärenden Ausbreitung des Reiz-
stromes, und anderseits gewisser von der Anode aus sich durch Leitung ver-
breitender physiologischer Zustandsänderungen des Nerven. Nur diese letz-
tern, durch deren gleichzeitiges Vorhandensein das Ueberwiegen des Anelektro-
tonus über den Katelektrotonus unter normalen Verhältnissen bedingt erscheint,
werden zunächst durch die Narkose beeinflusst, während der „physikalische
Elektrotonus* so lange unverändert bleibt, als die normale Struktur des Nerven
nicht wesentlich gestört ist. Dass endlich der Katelektrotonus markhaltiger
Nerven durch die Aetherbehandlung nur wenig oder gar nicht beeinflusst wird,
ist darauf zurückzuführen, dass die „physiologische Komponente“ desselben,
d. i. die fortgeleitete Erregung bei seiner Entstehung in der Mehrzahl der
Fälle nur eine geringe Rolle spielt, indem ein länger anhaltender Erregungs-
zustand während der Schließungsdauer des Kettenstromes im ganzen doch nur
ausnahmsweise vorhanden ist und auch dann nur einen geringen Einfluss auf
die Erscheinungen des Katelektrotonus besitzen kann, wenn die Verhältnisse
der Ausbreitung und des Abklingens ähnliche sind, wie bei dem marklosen
Muschelnerven. Mit dieser Auffassung der Thatsachen steht der Umstand in
guter Uebereinstimmung, dass bei Aetherisieren markloser Nerven sowohl die
katelektrotonischen wie auch die anelektrotonischen Wirkungen gänzlich ver-
schwinden, da beide hier rein physiologischen Ursprunges sind.
Holmgren, Zur Bestimmung der Grundfarben. 671
Physiologische Gesellschaft zu Berlin.
Verhandl. d. Physiol. Ges., 1885—86, Nr. 17 und 18.
Herr A. König verlas vor Eintritt in die Tagesordnung folgende ihm von
Herm Frithiof Holmgren (in Upsala) unter Beziehung auf den Sitzungs-
bericht des 8. internationalen medizinischen Kongresses [Kopenhagen, August
1884] ') eingesandte Mitteilung: Da man bei allen bisherigen Versuchen zur
Bestimmung der Grundfarben nur Objekte bezw. Retinabilder von solcher
Größe benutzt hat, dass dabei gleichzeitig mehrere Netzhautelemente gereizt
wurden und dass also unter Voraussetzung des Vorhandenseins spezifisch ver-
schiedener Elemente im Sinne der Young-Helmholtz’schen Hypothese immer
nur gemischte Empfindungen (Mischfarben) beobachtet wurden, erschien es mir
nötig, um den einfachen elementaren Empfindungen auf die Spur zu kommen,
womöglich die Elemente einzeln zu reizen. Hierzu waren zunächst Objekte
von anderer Größenordnung als die bisher gebrauchten erforderlich, und zwar
so kleine, dass ihre Retinabilder höchstens den Querschnitt eines Seh-
elementes deckten. Diese in praktischer Beziehung schwierige Aufgabe wurde
mit Hilfe des Fernrohres glücklich gelöst und zwar in verschiedener Weise.
Die geeignetsten Objekte scheinen mir ganz kleine Löcher zu sein, welche mit
Licht von beliebiger Farbe und passender Intensität beleuchtet werden können.
Bei geeigneter Anordnung, auf welche hier nicht näher eingegangen werden
soll, lassen sich Lichtpunkte für die Beobachtung herstellen, welche wohl als
minimal bezeichnet werden können, und deren interessante Erscheinungsweise
die Benennung „elementare“ Lichtempfindung wohl berechtigen möchte. Diese
elementaren Punkte können im einzelnen Falle einfach oder mehrfach ange-
wendet und mit weißem, homogenem oder beliebig gemischtem Lichte be-
leuchtet werden. Hier soll zunächst der Kürze wegen nur von Spektralfarben
die Rede sein. Ich stellte mir also die Aufgabe zu untersuchen, welche von
den Spektralfarben einfach (Grundfarben) und welche zusammengesetzt (Misch-
farben) sind. Die Lösung versuchte ich nach folgender Ueberlegung. Es müsste
eine Spektralfarbe, welche als minimaler Punkt immer und überall, wo sie
überhaupt als farbig gesehen wird, in demselben Farbenton erscheint und sich
also nicht von den Retinaelementen weiter zerlegen lässt, eine einfache, also
eine Grundfarbe sein. Dagegen müsste jede Spektralfarbe, welche unter den-
selben Umständen mehr als eine elementare Farbenempfindung hervorrufen
kann, demgemäß eine zusammengesetzte Farbe, also eine Mischfarbe sein. Es
können natürlich bei diesen Versuchen alle Spektrallichter so sehr abgeschwächt
bezw. in so großer Entfernung gesehen werden, dass sie nicht mehr farbig
erscheinen, sondern nur einen farblosen, undefinierbaren Lichteindruck geben.
Es lässt sich aber in jedem Falle eine Anordnung treffen, bei welcher die
elementaren Farbenerscheinungen am deutlichsten hervortreten. Man darf sich
aber doch weder vorstellen, dass die Empfindungen, um welche es sich hier
handelt, sofort klar oder überhaupt sehr stark und deutlich sind, noch dass
die Untersuchung selbst sehr leicht und bequem ist; im Gegenteil, es bewegt
sich hier das Auge auf der äußersten Grenze seiner Leistung und zwar mit
einer Anstrengung, welche auf die Dauer unangenehm wirkt. Trotzdem dart
ich aber an der Richtigkeit der folgenden Resultate festhalten. Als einfache
Farben, welche sich nicht weiter bei der elementaren Analyse spalten lassen
und also als Grundfarben zu betrachten sind, haben sich bei meinen Unter-
suchungen Rot, Grün und Violett (etwa Indigoviolett) bewährt, also grade
-1) Ann. d’Oculistique, Tome 92 (13. Ser. T. 2), p. 134, 1884,
672 Holmgren, Zur Bestimmung der Grundfarben.
die von Thomas Young angegebenen Grundfarben. Der mit einer von diesen
Spektralfarben erleuchtete elementare Punkt erscheint bei passender Anordnung
an jeder Stelle der Fovea centralis immer, abgesehen von der überhaupt er-
höhten Sättigung, worauf hier nicht näher eingegangen werden kann, in un-
verändertem Farbenton. Hinsichtlich der übrigen Spektralfarben werde
ich mich hier auf Gelb und Blau beschränken, welche Farben ja doch aus
leicht ersichtlichen Gründen vor allen andern einer elementaren Analyse unter-
worfen werden müssen. Das Resultat ist von größtem Interesse. Stellt man
das elementare Pünktchen bei übrigens geeigneter Anordnung im Gelb des
Spektrums ein, z. B. genau an der D-Linie, so sieht man dasselbe beim Orien-
tieren im Gesichtsfelde um den Fixationspunkt herum an verschiedenen Orten
entweder bald Rot, bald Grün oder farblos, niemals jedoch deutlich gelb.
Es ist hier zu bemerken, dass sich bei diesem Versuche verschiedene Augen
verschieden verhalten, nämlich in der Weise, dass bei der angegebenen Ein-
stellung einige Personen das Pünktchen nur rot, andere Personen nur grün
sehen können. Verschiebt man aber das Pünktchen etwas im Spektrum, und
zwar im ersten Falle nach der grünen, im zweiten nach der roten Seite hin,
so werden auch für diese Augen die beiden Farben deutlich. Es lässt
sich also erstens Gelb in seine zwei Elemente auflösen, und es zeigt sich
zweitens dabei, dass verschiedene sonst normale Augen eine ungleiche Em-
pfindlichkeit für die betreffenden Farben besitzen. Wie man hieraus ersehen
kann, und wie auch die Erfahrung mir vielfach gezeigt hat, lassen sich die
elementaren Punkte ausgezeichnet praktisch verwerten. — Ich behalte mir eine
Mitteilung über diesen Punkt für eine spätere Gelegenheit vor. — In analoger
Weise wie Gelb lässt sich auch Blau in Grün und Violett zerlegen. Die hierauf
bezügliche Beobachtung ist aus mehrern Gründen, welche ich hier übergehen
muss, viel schwieriger als bei Gelb. Die obigen kurz dargelegten Ergebnisse
scheinen zu der Vorstellung zu führen: 1) dass es in der That in Ueberein-
stimmung mit der Young’schen Hypothese dreierlei spezifische Elemente in
dem Sehnervenapparate gibt, welche den drei elementaren Grundempfindungen
Rot, Grün und Violett entsprechen, und 2) dass die Endapparate dieser Ele-
mente auf der Retina bei meiner Versuchsweise einzeln gereizt werden können.
Um die Haltbarkeit dieses Schlusses näher zu prüfen, habe ich eine Art quanti-
tativer Analyse zu der eben erwähnten qualitativen hinzugefügt. Ich habe
nämlich zu bestimmen gesucht, wie viele Zapfen im einzelnen Falle von dem
Lichte getroffen werden müssen, um diese oder jene Farbenempfindung zu
veranlassen. Zu diesem Zwecke berechnete ich die Größe des Retinabildes
nach den bekannten Formeln und verglich dieselbe mit dem angeblichen Quer-
schnitte eines Zapfens. Das Resultat dieser Untersuchung war in kurzen
Worten folgendes: Gelb kann als Rot und Grün gesehen werden, auch wenn
das Retinabild beträchtlich viel kleiner ist als der Querschnitt eines Zapfens;
um aber Gelb als deutliches Gelb zu sehen, ist es nötig ein Retinabild von
solcher Größe zu haben, dass es wenigstens zwei oder drei Zapfenquerschnitte
deckt. In ganz analoger Weise verhält es sich mit Blau und seinen Elementen
Grün nnd Violett. Ich will hier noch bemerken, dass zur Erzeugung eines
farbigen negativen Nachbildes ein Retinabild erforderlich ist, welches wenigstens
12 bis 30 Zapfenquerschnitte deckt. Einzelheiten aller dieser Untersuchungen
müssen einer ausführlichern Veröffentlichung vorbehalten bleiben. Es sei hier
nur noch hervorgehoben, dass alles vorstehend Erwähnte sich zunächst auf die
Erscheinungen in der Fovea centralis bezieht.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
en Dei ln ee
Biologisches Centralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je > Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
v1 Band. 15. en 188%. Nr. 22.
Inhalt: Plateau, Die Palpen bei den Myriopoden und Arachniden. — Steiner, Ueber
das Großhirn der Knochenfische. — Steiner, Die gegenwärtige Verknüpfung
der Zentren des verlängerten Markes. — Frenzel, Verdauung lebenden Ge-
webes und Selbstverdauung. — Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. —
Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: 59. Versammlung deutscher
Naturforscher und Aerzte zu Berlin. — Physiologische Gesellschaft zu Berlin.
Felix Plateau, Experiences sur le Röle des Palpes chez
les Arthropodes Maxilles. Palpes des Myriopodes et des
Araneides.
Bulletin de la Soc. Zool. de France 1886. 4e Partie pag. 512.
In einer frühern Untersuchung (s. dieses Centralbl. Bd. VI S. 12)
hatte Verf. den Beweis erbracht, dass die Palpen der kauenden In-
sekten bei der Nahrungsgewinnung ganz unbeteiligt sind, d. h. dass
sie weder bei der Auswahl der Nahrung noch bei der Einführung
derselben in die Mundhöhle Verwendung finden. Verf. hat diese
Versuche zunächst an Myriopoden und Arachniden fortgesetzt. Von
erstern kommen hier nur die Chilopoden in betracht. Die Mund-
anhänge der Chilopoden (Lithobius, Scolopendra ete.) sind verschieden
gedeutet worden. Es finden sich hier bekanntlich zwei Paar Unter-
kiefer, auf welche ein Paar zangenartiger, mit einer Giftdrüse ver-
sehener Kieferfüße folgt. Während das erste Kieferpaar gewöhnlich
tasterlos ist, hat das zweite dreigliedrige palpenartige Anhänge.
Plateau nennt sie direkt Palpen, indem er das ganze Organ mit
den Unterkiefern der Insekten vergleicht.
Nach H. Milne-Edwards bedienen sich die Chilopoden der
Palpen, um die Nährstoffe zwischen die Mandibeln zu bringen, und
Pagenstecher betrachtet sie als Organe des Geschmacksinnes.
Auch Ludwig Koch hält sie für bestimmt, die Bissen in die Mund-
höhle zu schieben.
Plateau hat dagegen die Art des Fressens bei den Chilopoden
schon 1876 in der Weise geschildert, dass die Palpen nur dazu dienen,
VI, 45
674 Plateau, Palpen bei den Myriopoden und Arachniden.
die mit den giftführenden Kieferfüßen ergriffene und festgehaltene
Beute in der geeignetsten Weise hin und her zu wenden, damit die-
selbe von den Mandibeln zerschnitten werden könnte. Die Rolle der
Palpen würde also hier zwar immer noch sehr bescheiden, aber doch
etwas wichtiger sein, als bei den Insekten.
Die neuen Versuche, welche Plateau anstellte, drehten sich zu-
nächst um die Frage, ob die Chilopoden ohne Schaden die Palpen
beim Fressen entbehren könnten.
Er schnitt einigen Lithobien die Palpen ab, setzte sie in ein Glas,
das mit einer Schicht feuchten Sandes sowie einigen als Versteck-
plätze dienenden Schieferstücken versehen war, und ließ sie vier Tage
hungern. Dann gab er ihnen lebende Fliegen, die er der Flügel und
Tarsen beraubt und in deren Hinterleib er Karminpulver eingeführt
hatte. Dies wurde einige Tage fortgesetzt. Nachdem sodann noch
durch Annäherung von Terpentinöl an die Tiere festgestellt war,
dass der Geruchssinn durch die Entfernung der Palpen nicht beein-
trächtigt war, wurden die Lithobien seziert, und es ergab sich, dass
bei allen das Blut rosa und der Darminhalt durch das Karmin rot
gefärbt war. Bei frisch gefangenen Lithobien besaß dagegen die
Flüssigkeit der allgemeinen Körperhöhle eine bräunliche oder vivlette
Färbung, während der Darminbalt braun war.
Die Palpen sind also für die Ernährung unnötig.
Dagegen benutzen die Chilopoden ihre Palpen als
Bürsten zur Reinigung der Fühler. Man kann nämlich häufig
beobachten, wie sie ihre Fühler nach einander unter das Maul zurück-
legen und sie langsam zwischen den Tasterenden hindurchziehen.
Zuweilen reinigen sie auch ihre Füße auf dieselbe Weise.
Die sogenannten Kiefertaster !) der eigentlichen Spinnen haben
bekanntlich bei den Männchen die Funktion, den Samen zu über-
tragen. Ueber ihre physiologische Aufgabe bei den Weibchen weiß
man wenig. V. Andouin sah in ihnen sehr empfindliche Tastorgane.
J. Blackwall und Emil Blanchard glauben, dass sie mehr oder
minder dem Ergreifen und Festhalten der Beute dienen. Claus in
seinem Lehrbuch lässt sie bei der Herstellung des Netzes eine Rolle
spielen. F. Dahl hat „Hörhaare“ an den Palpen und Füßen be-
schrieben, sowie auf Sinnesorgane an den Füßen aufmerksam ge-
macht, welche sich durch Chitinfalten bemerkbar machen. Schim-
kewitsch hat dieselben näher beschrieben. Da sie sich, wie der-
selbe gezeigt hat, an den meisten Gliedern der Füße und Taster
finden, so können sie den letztern keine besondere Bedeutung ver-
leihen und daher für die vorliegende Untersuchung nicht in betracht
kommen.
1) Beiläufig sei bemerkt, dass Verf. die „Kieferfühler* den Oberkiefern,
die Kiefertaster den Unterkiefern der Insekten homolog setzt.
Plateau, Palpen bei den Myriopoden und Arachniden. 675
Plateau’s Aufgabe beschränkte sich also darauf, festzustellen,
ob Spinnenweibchen, welche der Palpen beraubt wurden, noch ein
normales Netz weben, und ob sie die Insekten wie sonst ergreifen
und verzehren.
Die sehr langwierigen und viel Geduld erfordernden Versuche
erstreckten sich auf folgende fünf Arten: Tegenaria domestica, Amau-
robius ferox, Agelena labyrinthica, Epeira diadema und Meta seg-
mentata.
Die Tegenarien wurden nach der Amputation in ein großes Glas
gebracht, welches auf dem Boden eine Schicht feuchten Sandes ent-
hielt und mit einer im rechten Winkel gefalteten und aufrecht ge-
stellten Platte von Furnierholz versehen war, an der sie ihr Netz
befestigen konnten. In ähnlicher Weise wurden auch die andern
Spinnen unter Verhältnissen beobachtet, die möglichst ihren natür-
lichen Lebensbedingungen entsprachen.
Das Ergebnis war, dass die tasterlosen Spinnen normale
Gewebe machen und die Insekten ergreifen und aussau-
gen, ganz wie die unversehrten Tiere. Zwei Amaurobien
wurden so 77 beziehentlich 99 Tage am Leben erhalten. Dahingegen
hatten die mit Phalangiden und Skorpionen (Phalangium Opilio und
Androctonus occitanus) angestellten Versuche ein negatives Resultat.
Die Tiere nahmen keine Nahrung zu sich.
Plateau schließt aus seinen Untersuchungen, dass die Palpen
sowohl bei den nagenden Insekten, wie bei den weiblichen Arachniden
und bei den Myriopoden in die Kategorie der nutzlos gewor-
denen Organe gehören.
Da die Annahme, dass die kauenden Arthropoden von den sau-
genden abstammen, durch die paläontologischen Befunde widerlegt
wird, welche beweisen, dass die Sauger viel später auftreten, als die
Nager, so bleibt nach Plateau nur noch folgende Erklärung: Die
noch unbekannten Urformen, von welchen die unserer Forschung zu-
gänglichen fossilen und lebenden Gliedertiere abstammen, entfernten
sich nur wenig von einem embryonalen Typus und hatten demzufolge
einen gänzlich in identische Segmente oder Metameren geteilten und
mit entsprechenden gleichartigen, vielgliedrigen Fußpaaren versehenen
Körper. Bei den Nachkommen haben sich später einige der ersten
postoralen Segmente modifiziert; die Basalglieder der dazugehörigen
Gliedmaßen wurden zu Kiefern, während die Endglieder, die nun
nicht mehr als Lokomotionsorgane fungierten, mit der Zeit jede Be-
deutung verloren. In einzelnen Fällen, wie bei den männlichen Spinnen,
den Skorpionen ete. haben sich diese Organe neuen Funktionen an-
gepasst.
F. Moewes (Berlin).
43%
676 Steiner, Großhirn der Knochenfische.
J. Steiner, Ueber das Großhirn der Knochenfische.
Sitzungsberichte der königl. Akademie der Wissenschaften in Berlin. Sitzung
vom 7. Januar 1886.
Nachdem ich für den Frosch den allgemeinen Plan entworfen
hatte, nach welchem das Zentralnervensystem funktioniert (Unter-
suchungen über die Physiologie des Froschhirns. Braunschweig 1885),
ging ich darauf aus, dasselbe für die Fische zu leisten, bei welchen
das Zentralnervensystem voraussichtlich nach noch einfachern Gesetzen
funktionieren könnte. Indess sollte es sich vorläufig nur um das
Studium der Funktionen des Groß- oder Vorderhirns handeln, als
welches die Autoren denjenigen Abschnitt des Gehirns bezeichnen,
der vor den sogenannten Lobi optiei liegt (dieser Abschnitt umfasst
auch die experimentell vom Großhirn nicht zu trennenden Riechlappen).
Bei der Ausführung von Operationen im Gehirn der Fische treten
uns aber wesentliche Schwierigkeiten dadurch in den Weg, dass die
einmal eröffnete Schädelhöhle mit ihrem Inhalte dem Einflusse des
umspülenden Wassers, in welches man ja die Fische nach der Opera-
tion wieder bringen muss, ausgesetzt bleibt, wodurch die Resultate
sehr beeinträchtigt erscheinen müssen. Denn die Tiere überleben
diese Operation nur um wenig Zeit, innerhalb welcher ein Ausheilen
der Wunde ganz unmöglich ist. In der That lebten operierte Fische
nur wenig mehr als einen Tag mit Ausnahme jener von Baudelot,
welcher das freigelegte Gehirn mit einem Tropfen warmen Fettes
bedeckt hatte.
Eine hier neu zu schaffende Methode musste gestatten, die Hirn-
höhle nach geschehener Operation wieder so zu verschließen, dass
kein Wasser in dieselbe eindringen konnte und die operierten Tiere
so lange am Leben erhalten werden, bis eine völlige Ausheilung er-
möglicht war, damit die etwaigen Ausfallserscheinungen rein zutage
treten könnten. Diese Methode ist die folgende: Mit einer Knochen-
zange hebt man die Schädeldecke in einem viereckigen Stücke heraus,
lässt dasselbe aber rückwärts durch die Haut mit dem Körper in
Verbindung, klappt den Knochenlappen nach hinten über, macht mit
passendem Instrumente die Abtragung, legt den Deckel in sein altes
Lager wieder zurück und befestigt ihn vorn durch eine Naht. Darauf
wird die Wunde mit feinem Fließpapier getrocknet, die Schnittkanäle
mit einer warmen Gelatinelösung ausgegossen und diese Gelatine-
kappe mit konzentrierter Tanninlösung bepinseit, um sie gegen das
Wasser resistent zu machen. Die ganze Prozedur geschieht natürlich
außerhalb des Wassers, aber unter künstlicher Respiration, durch
welche der Fisch in völliger Ruhe erhalten wird. Die künstliche
Respiration wird ausgeführt, indem man einen Gummischlauch einer-
seits an dem Hahn der Wasserleitung ansetzt, während das andere
OH Eee
Steiner, Großhirn der Knochenfische. 577
Ende in das Maul des Fisches geschoben und dort von dem
Assistenten gehalten wird, der zugleich den Fisch selbst hält.
Wenn die Operation beendet ist, so bringt man den Fisch schon
in gutem Zustande ins Wasser. Zwar fällt die Gelatinekappe etwa
nach 2 Tagen infolge der Kopfbewegungen ab, indess ohne Scha-
den, denn mittlerweile haben sich schon die Schnittkanäle mit fester
Masse gefüllt und sind undurchdringlich geworden.
Wenn man den Fisch, selbst gleich nach der Operation, be-
trachtet, so &ieht man, dass er sich vollkommen frei bewegt und nicht
die geringste Störung zeigt. Bald schwimmt er ohne äußere Anregung
umher, bald steht er auf dem Grunde oder schwebt in irgend welcher
Höhe im Wasser, dem Spiele seiner Flossen überlassen, d. h. er ent-
spricht in keiner Weise den bisher gemachten Voraussetzungen oder
Beobachtungen, entweder völliger Bewegungslosigkeit oder einer
maschinenförmigen Bewegung, welche bis zur Ermüdung, als Folge
des peripheren Reizes, fortgesetzt werden sollte (Vulpian, Ferrier).
Indem man den des Großhirns beraubten Fisch in beliebigem Wechsel
von Ruhe und Bewegung sieht, folgt daraus, dass bei demselben der
Wille erhalten ist, wodurch sich der Fisch von allen über ihm
stehenden Wirbeltieren unterscheidet, welche nach Entfernung ihres
Großhirns ewiger Thatenlosigkeit verfallen.
Dass solche Fische sehen, ist schon früher von Vulpian und
Baudelot angegeben worden und ist leicht zu bestätigen.
Wirft man unserem Fische 3 Tage nach der Operation einen
Regenwurm hin, so schießt er auf denselben zu, erfasstihn
mit dem Maule und verschlingt ihn, ein Experiment, das man
öfter wiederholen kann. Wirft man ihm ein Stück eines Bindfadens
von gleichen Dimensionen hin, so schießt er ebenfalls auf denselben
zu, dreht aber kurz vor demselben um, oder erfasst ihn mit dem
Maule, um ihn bald wieder fallen zu lassen. Diese Versuche gelingen
etwa zwei und selbst einen Tag nach der Operation; als notwendige _
Bedingung bleibt aber ein Bassin mit fließendem Wasser.
Daraus folgt, dass unser Fisch spontan seine Nahrung zu suchen
im stande bleibt und unbeschränkt fortleben könnte, wie in der That
diese Fische mehrere Monate am Leben blieben und nur durch ele-
mentare Unglücksfälle zu grunde gingen. Alle über den Fischen
stehenden Wirbeltiere sterben ohne Großhirn mitten unter reichlichster
Nahrung den Hungertod.
Der Fisch, an welchem diese Beobachtungen gemacht wurden,
ist Squalius cephalus (Siebold), ein in den Flüssen Mitteleuropas
sehr häufiger Cyprinoide. Somit fehlen dem Großhirn der Fische
jene kardinalen Funktionen, welche man bisher bei allen über den
Fischen stehenden Wirbeltieren als dem Großhirn eigentümlich be-
trachtet hatte.
Diese Versuche sind einige Monate darauf durch Herrn Vulpian
678 Steiner, Verknüpfung der Zentren des verlängerten Markes.
in Paris an Karpfen vollständig bestätigt worden (Sur la persistance
des mouvements ete. Compt. rend. Sitzung vom 28. Juni 1886).
Betrachtet man die Funktionen des Großhirns in der gesamten
Wirbeltierreihe, so findet man nunmehr folgendes:
1) Bei den Fischen sind willkürliche Bewegung und die Fähig-
keit, selbständig Nahrung zu suchen, an das Mittelhirn bezw. an hinter
dem Großhirn gelegene Abschnitte des Gehirns gebunden.
2) Bei den Amphibien sind jene Funktionen an das Großhirn
geknüpft, während „Sehen“ bezw. zweckmäßige Verwertung der Ge-
sichtseindrücke dem Mittelhirn verbleiben.
3) Bei den Vögeln ist die Funktion des Sehens schon an das
Großhirn geknüpft, während das Zentrum für die Sinnesempfindungen
der Haut noch im Mittelhirn liegt.
4) Bei den Säugetieren sind auch die Sinnesempfindungen der
Haut teilweise an das Großhirn gebunden.
Daraus folgt der allgemeine Satz: „es wandern in der Wirbel-
tierreihe Funktionen des Mittelhirns in das morphologisch definierte
Großhirn, oder die phylogenetische Entwicklung des Großhirns beruht
auf einer Anhäufung von Funktionen, welehe dorthin aus dem Mittel-
hirn nach und nach eingewandert sind“.
J. Steiner (Heidelberg).
Die gegenseitige Verknüpfung der Zentren des verlängerten
Markes.
Teilweise nach „Schluck- und Atemzentrum“ von J. Steiner in Du Bois-
Reymond’s Archiv f. Physiologie, 1883.
Man nennt den Teil des Zentralnervensystems, welcher sich
zwischen dem Rückenmark und dem Gehirn befindet, das verlängerte
Mark. Die hervorragende Bedeutung dieses Zentralteiles folgte schon
aus anatomischen Untersuchungen, welche zeigten, dass eine große
Anzahl von Nerven, welche zu lebenswiechtigen Organen verlaufen,
daselbst ihren Ursprung haben. Entweder ist es ein einzelner Nerv
oder es sind deren mehrere, welche aus dem Punkte entspringen, in
welchem eine Anhäufung von Ganglienzellen, d. h. der spezifischen
Elemente des Nervensystems vorhanden ist. Soweit konnte die Ana-
tomie vordringen; erst das physiologische Experiment aber lehrte,
dass in der That von jenen Punkten im allgemeinen Einflüsse aus-
gehen, welche Funktionen beherrschen, die für den Bestand des Lebens
unerlässlich sind. Solehe Punkte wurden in der Folge „Zentren“ ge-
nannt und ihre Leistung dahin definiert, dass in ihnen eine Vielheit
organischer Kräfte zu bestimmten komplizierten Funktionen zusammen-
gefasst werden. Die Zerstörung gewisser unter diesen Zentren pflegt
Steiner, Verknüpfung der Zentren des verlängerten Markes. 679
im allgemeinen in kürzerer oder längerer Zeit den Tod des Indivi-
duums zur Folge zu haben. Solche Zentren sind das Atmungszentrum
(Zusammenfluss der Atemnerven), das Gefäßnervenzentrum, das Schluck-
zentrum, das Kauzentrum u. a.
So wichtig das verlängerte Mark ist, so kompliziert erscheint sein
Bau, und es ist der anatomischen Untersuchung unmöglich mit Sicher-
heit anzugeben, ob die dort vorhandenen Zentren mit einander in
Verbindung stehen, und welches die Art und Weise ihrer Verknüpfung
etwa sein könnte. Das ist eine Aufgabe, deren Lösung naturgemäß
auch wieder der Experimentalphysiologie zufallen musste. Aber auch
ihre Mittel sind zur Zeit noch beschränkt, so dass die Kenntnis der
Verhältnisse immerhin noch eine geringe ist.
Was im allgemeinen die Art und Weise betrifft, in welcher diese
Zentren zur Thätigkeit angeregt werden, so können einige von ihnen
zeitweise durch den Willen beeinflusst werden, andere sind automa-
tisch thätig, aber alle können auf reflektorischem Wege d. h. durch
von der Peripherie her einwirkende Reize angesprochen werden. Da
diese Art der Erregung für das Studium der hier zu betrachtenden
Erscheinungen die sicherste und bequemste ist, so wird auch regel-
mäßig von derselben Gebrauch gemacht.
Wenn auf diese Weise ein Zentrum erregt wird, so kann sich
die Erregung durch eine sogenannte interzentrale Verbindung nicht
selten auf ein benachbartes Zentrum übertragen, und von diesen Vor-
gängen, welche man als assoziierte Bewegungen oder als sekundäre
Reflexbewegungen bezeichnen kann, wollen wir hier reden.
Am längsten bekannt scheint die Verbindung zu sein, welche
zwischen dem Atmungs- und Gefäßzentrum besteht und auf welche
Traube zuerst aufmerksam gemacht hat: wenn man bei einem
kurarisierten und künstlich respirierten Hunde, dessen Blutdruck man
mittels des Wellenzeichners aufschreiben lässt, die Atmung unterbricht,
so bleiben in der Blutdruckkurve nicht allein die kleinen Wellen be-
stehen, welche von der Herzthätigkeit herrühren, sondern auch die
großen Wellen, welche man dem Einflusse der Atembewegungen zu-
schreibt. Daraus folgt, dass vom Atmungszentrum periodische An-
regungen auf das Gefäßzentrum übergehen müssen. Deshalb nannte
Hering diese Erscheinung die Atembewegungen des Gefäßsystems.
Eine ebenso innige Verbindung scheint zwischen dem Gefäß- und
Speichelzentrum zu bestehen, denn die Reizung des zentralen Stumpfs
des Hüftnerven macht nicht allein den Blutdruck steigen, sondern regt
auch die Speichelabsonderung an. Eine weitere Verknüpfung scheint
zwischen dem Gefäßzentrum und dem regulatorischen Herznerven-
zentrum zu bestehen, denn die Reizung des zentralen Stumpfes des
N. depressor cordis verursacht nicht allein ein Sinken des Blutdruckes,
sondern auch eine Verlangsamung des Herzschlages. Da nach Vagus-
durchschneidung der Blutdruck ebenfalls sinkt, ohne dass der Puls
680 Steiner, Verknüpfung der Zentren des verlängerten Markes.
sich verlangsamt, so kann es sich um eine gleichzeitige reflektorische
Erregung beider Zentren handeln, doch ist nicht mit Sicherheit aus-
zuschließen, dass nicht in diesem Falle vom N. depressor zwei ge-
sonderte Verbindungen zu den beiden Zentren hinführen.
Genau verfolgt konnte das Verhältnis werden, in welchem
Atmungs- und Schluckzentrum zu einander stehen. Wenn man näm-
lich den obern Kehlkopfnerven reizt, welcher exspiratorischen Atmungs-
stillstand erzeugt, so sieht man auf der Kymographientrommel diesen
Stillstand von kleinern Kurven unterbrochen, welche periodisch wieder-
kehren und je einem Atemzuge entsprechen würden. Bidder, welcher
diese Erscheinung zuerst sah, bezog sie richtig auf die Schluck-
bewegungen, welche durch denselben Nerven gleichzeitig ausgelöst
werden. Aber er verfiel in einen Irrtum, als er jene Kurven nach
querer Durchschneidung des Kehlkopfes und des Oesophagus fortfallen
sah. Dieselbe Erscheinung ist später von Kronecker und Meltzer,
ferner von Knoll gesehen, sowie sehr ausführlich von mir studiert
worden. Insbesondere konnte ich durch vielfache Versuche nach-
weisen, dass nach vollkommener Trennung des Atmungs- von dem
Digestionsapparate die Schluckatembewegungen bleiben und erst ver-
schwinden, wenn man die Zwerchfellnerven durchschneidet. Daraus
aber folgt, dass vom Schluckzentrum auf interzentraler Bahn eine
Erregung des Atmungszentrums stattfindet. Welche Bedeutung diese
Schluckatembewegung im Mechanismus des Schluckaktes hat, konnte
nicht eruiert werden. Neuerdings wird in einer sehr ausgedehnten
unter Kronecker’s Leitung von M. Marckwald gemachten Unter-
suchung über die Innervation der Atembewegungen beim Kaninchen
mit Bezug auf die Schluckatembewegung bemerkt (Zeitschrift f. Bio-
logie 1886 Bd. 23. S. 244): „so ist es beinahe sicher, dass es sich
bei den sogenannten Schluckatmungen um keine eigentliche Atmung
handelt, sondern nur um eine passive Bewegung des Zwerchfelles,
bedingt durch die im Oesophagus infolge des Schluckens ablaufende
Kontraktionswelle, welche das Zwerchfell mit nach unten zieht“.
Ob der Verf. den sich notwendig anschließenden Versuch der Durch-
schneidung des Oesophagus gemacht hat, hat er unterlassen uns mit-
zuteilen, so dass wir, abgesehen von der Unsicherheit, welche in dem
Ausdrucke „beinahe sicher“ liegt, auf unserer durch viele Versuche
mit Durchschneidung des Oesophagus gewonnenen Ansicht auch künftig
werden stehen bleiben müssen, die sogenannten Schluckatmungen als
aktive Erscheinung anzusprechen.
Ich will zum Schluss noch bemerken, dass man die Schluck-
atmung als aktiven Vorgang nachweisen kann auch ohne quere
Durcehschneidung des Oesophagus, und zwar mit Hilfe einer That-
sache, welche von Kronecker und Meltzer selbst gefunden wor-
den ist. Dieselbe lehrt, dass, wenn man eine Anzahl’ von Schluck-
bewegungen in rascher Folge hinter einander auslöst, der Schluck-
Frenzel, Verdauung lebenden Gewebes und Selbstverdauung. 681
vorgang auf den Oesophagus nur nach der letzten Schluckbewegung
übergeht. Wenn das richtig ist, so müssten die Schluckatembe-
wegungen auf Reizung des obern Kehlkopfnerven nur einmal und
zwar am Schlusse der Reizung auftreten, was thatsächlich gar nicht
der Fall ist, vielmehr entspricht, wie schon Bidder gefunden hatte,
jeder einzelnen Schluckbewegung auch eine Schluckatemkurve, wie
rasch auf einander jene sich folgen mögen.
J. Steiner (Heidelberg).
Verdauung lebenden Gewebes und Selbstverdauung.
Von Dr. Johannes Frenzel.
Man findet nicht selten an Leichen, welche erst einige Zeit nach
Eintritt des Todes geöffnet werden, dass die Verdauungsorgane, be-
sonders aber der Magen, aufgelöst oder sonstwie verändert sind,
während die andern Organe noch in normalerem Zustande verharren.
Hieraus hat man den Schluss gezogen, dass diese „Magenerweichung“,
wie man sie nannte, die Begleiterscheinung einer postmortalen
Selbstverdauung sei. Das Gleiche lässt sich auch im gesamten
Tierreiche feststellen, so z. B., wie ich mich häufig überzeugen konnte,
an gewissen Darmabschnitten der Insekten, ferner an den als kräftige
Verdauungsorgane wirkenden Mitteldarmdrüsen, den sogenannten
Lebern der Crustaceen und Mollusken !); ja es ist wohl nicht unwahr-
scheinlich, dass so manche Amöbe und so manches Infusor dadurch
besonders schnell ihrer Auflösung und völligen Zerstörung anheim-
fallen, dass sie sich noch nach ihrem Tode mittels der während des
Lebens produzierten Enzyme selbst verdauen. Allerdings pflegt man
immer allgemeiner die Fäulnisbakterien als das zerstörende Prinzip
zu betrachten. Eine Beobachtung jedoch, welche ich beim Essig-
älchen (Anguillula aceti) machte, wird uns eine gewisse Vorsicht auf-
erlegen müssen. Bei diesen Tierchen, die in sehr starkem sogenanntem
Spritessig lebten, in welchem ich keine Mikroben bemerken konnte,
sah ich nämlich nach dem Tode einen sehr schnellen Verfall der Ge-
webe mit Ausnahme der kutikularen Abscheidungen, wobei besonders
die Muskelsubstanz in Fett überführt wurde, und ich bin der Ansicht,
dass hierbei zum Teil wenigstens die Sekrete der Verdauungsdrüsen
eine Rolle spielten.
Wie bekannt, warf schon John Hunter im vorigen Jahrhundert
die naheliegende Frage auf, warum eine solehe Selbstverdauung sich
nicht schon im lebenden Organismus vollziehe. Meist mochte
man sich damals aber wohl mit der Erklärung zufrieden geben, dass
1) Vergl. die Untersuchungen Hoppe-Seyler’s, Frederieg’s, Kruken-
berg’s, Max Weber’s, Barfurth’s und die meinigen.
682 Frenzel, Verdauung lebenden Gewebes und Selbstverdauung.
lebendes Gewebe als solches überhaupt nicht verdaut werde, sondern
dass es sich vermöge der ihm innewohnenden Lebenskraft gegen
derartige Angriffe zu schützen wisse. Allein Claude Bernard und
Pavy suchten die Hinfälligkeit dieser Lehre darzuthun, ersterer,
indem er den Schenkel eines lebenden Frosches, letzterer, indem er
das Ohr eines lebenden Kaninchens in eine Magenfistel brachte. Beide
sahen nun eine „teilweise“ ') Auflösung der dem Magensafte aus-
gesetzten Teile, und sie schlossen daraus, dass hier in der That
lebendes Gewebe verdaut werde.
Immerhin kann man aber diese Versuchsanordnung nicht als eine
ganz vollkommene bezeichnen, da es einerseits an einem entsprechen-
den Kontrolversuche mangelte und ferner mit der Auflösung der
Eiweißsubstanzen noch nicht eine Verdauung d. h. eine Umwand-
lung in Pepton bewiesen ist. In schwacher Salzsäure (2 pro mille)
quillt bekanntlich Eiereiweiß, Blutfibrin ete. stark auf, Milchkasein
und dergleichen wird sogar gelöst. Anderseits lässt sich dann noch
zeigen, dass das oben genannte Resultat nur ein halbes war, da nicht
nur eine teilweise, sondern sogar eine völlige Auflösung eintreten
kann, womit eine weiter unten noch zu besprechende Ansicht Pavy’s
als irrtümlich verlassen werden muss.
Zu einem ganz unzweideutigen Resultate gelangt man nämlich,
wenn man die Verdauung des lebenden Gewebes, wie es ja nahe
liegt, in künstlicher Weise bewerkstelligt. Ich befestigte zu diesem
Zwecke einen Frosch auf einem gabelförmigen Brette so, dass je ein
Hinterbein auf einer Zinke desselben lag, und steckte das eine Bein
in ein Gefäß, welches Pepsin ?) und Chlorwasserstoffsäure (2 pro mille)
enthielt, während das andere Bein nur mit solcher Säure in Berührung
kam. An dem erstern traten nun schon nach kurzer Zeit bei 38° C.
deutliche Veränderungen ein; die Oberhaut löste sich in Fetzen los
und das Muskelfleisch schwand mehr und mehr, namentlich dort, wo
vorher die Epidermis entfernt worden war. An diesen Stellen waren
schon nach etwa 1!/, Stunden die Knochen völlig blosgelegt. Im
weitern Verlaufe wurden auch sie durchgefressen und zerstört. Nicht
anders erging es gleichzeitig den Blutgefäßen: ihre Wandungen
barsten und das Blut floss heraus, worauf es sofort gerann, um dann
als dunkelbraune Masse wieder gelöst zu werden. Als schließlich
nach Beendigung des Versuches die Flüssigkeit geprüft wurde, ergab
sich eine deutliche Peptonreaktion, womit also aufs schlagendste be-
wiesen ist, dass lebendes Gewebe verdaut werden kann. Es sei noch
hinzugefügt, dass der andere in Salzsäure getauchte Schenkel keine
wesentliche Veränderung zeigte, außer dass die obersten Schichten
der Epidermis ein wenig aufquollen. Dagegen trat an einer freige-
1) efr. Lehrbuch der Physiologie des Menschen etc. von Prof. L. Landois.
2. Auflage. S. 314.
2) Pepsinum absolutum von Finzelberg’s Nachfolg., Andernach a/Rh.
ee
Frenzel, Verdauung lebenden Gewebes und Selbstverdauung. 683
legten Stelle eine Quellung des Muskelgewebes nicht ein, wie auch
in der Verdauungsflüssigkeit eine solche Erscheinung nieht statthatte.
Sehen wir somit, dass sich die Salzsäure allein völlig indifferent ver-
hält, so werden wir das Gleiche finden, wenn wir an ihrer Stelle
eine neutrale Pepsinlösung anwenden, wie weiter unten noch zu
erwähnen sein wird.
Wenn in obigem der Ausdruck „lebendes Gewebe“ gebraucht
wurde, so soll damit nicht behauptet sein, dass dies Gewebe auch
noch während der Verdauung lebe, denn sonst könnte jemand
vielleicht auf den Einfall geraten, dass aus lebendem Eiweiß bei
diesem Vorgange nun auch lebendes Pepton gebildet werden
müsse. Man kann sich aber den ganzen Prozess so vorstellen, dass
zunächst das Gewebe abgetötet, d. h. dass das Protoplasma in
koaguliertes Eiweiß übergeführt werde und nun erst die eigentliche
Verdauung vor sich gehe. Es fragt sich aber, welchem von den bei-
den Bestandteilen man die abtötende Rolle zuschreiben soll. Das
Pepsin für sich allein besitzt diese Kraft nicht; denn wurde eine
Froschlarve in eine (neutrale) Lösung dieser Substanz versetzt, so
lebte sie darin tagelang ungestört weiter. Von der Verdauungssäure
hingegen wird behauptet, dass sie durch Herbeiführung eines starken
Aufquellens die Verdauung vorbereite und einleite. Schon oben aber
zeigte sich, dass am lebenden Froschsehenkel eine solche Quellung
gar nieht eintritt. Auch lässt sich hier jener bekannte Vorlesungs-
versuch nicht ausführen, welcher darin besteht, dass man etwas Eier-
eiweiß erst in Salzsäure aufquellen lässt, um es sodann in einer neu-
tralen Pepsinflüssigkeit verdauen zu lassen. Der Froschschenkel
nimmt überhaupt auch bei mehrstündiger Einwirkung kaum eine Spur
von Salzsäure auf, was man daran erkennt, dass er völlig unverän-
dert bleibt, wenn man ihn nachträglich mit neutralem Pepsin be-
handelt. Mir erscheint demnach kein Schluss berechtigter als der, dass
erst durch das Zusammenwirken jener zwei Substanzen, des Pepsins
und der Salzsäure, die Verdauungsprozesse in Gang gesetzt werden.
Kann demnach lebendes Gewebe durch Salzsäure-Pepsin abge-
tötet und peptonisiert werden, so wäre hiermit die Möglichkeit einer
vitalen Selbstverdauung gegeben. Dass dieselbe nun normaler-
weise nicht stattfindet, sollte in zwei Gründen liegen. Erstens glaubten
Pavy und Virchow, was ja auch allgemein angenommen ist, dass
in der Magenwandung die Alkaleszenz des Blutes abstumpfend auf
die Säure des Magensaftes wirke und ihm daher seine verdauende
Eigenschaft benehme. Fand doch auch Pavy nach Unterbindung der
Magengefäße eine „Erweichung“ des Magens! Gegen diese Erklärung
müssen nun aber der eigne Versuch Pavy’s, sowie der Claude
Bernard’s und der oben vom Froschschenkel mitgeteilte sprechen,
da doch auch hier alkalisches Blut in Menge vorhanden ist, ohne die
Verdauung auch nur im mindesten zu stören. Allerdings wäre noch
684 Frenzel, Verdauung lebenden Gewebes und Selbstverdauung.
ein Ausweg denkbar. Man könnte nämlich behaupten, die Säure sei
in diesem Falle in einem so großen Ueberschusse vorhanden, dass
sie hinreiche, um das gesamte Blut des Froschkörpers zunächst zu
neutralisieren, um dann erst in Gemeinschaft mit dem Pepsin in Thä-
tigkeit zu treten. Dagegen spricht aber schon die fast momentane
Wirkung der Verdauungsflüssigkeit, von welcher man sich noch besser
überzeugt, wenn man eine Froschlarve hineinwirft. Diese wird schon
bei gewöhnlicher Temperatur sofort getötet und rapide gelöst. Ferner
genügt schon eine so geringe Menge von Säure, um die Verdauung
einzuleiten, dass dieselbe in gar keinem Verhältnis zur Gesamtblut-
menge steht. Denn betupft man bei angemessener Temperatur (im
Wärmeschrank) eine bloßgelegte Stelle des Froschschenkels mit nur
einigen Tropfen der Verdauungsflüssigkeit, so kann man auch hier
schon die Verdauung eintreten sehen. Schließlich sei denn noch
darauf hingewiesen, dass sich in dem mitgeteilten Froschschenkel-
versuche die Blutgefäße und ihr Inhalt nicht im geringsten resistenter
verhielten, als die übrigen vielleicht nicht so alkalischen Gewebe.
Immerhin mag ja das Blut die Verdauung etwas verlangsamen können;
wir werden aber mit vollem Rechte schließen müssen, dass es nicht
im stande sei, dieselbe zu verhindern. Wenn nun bei Unterbindung
oder Verstopfung (R. Virchow) der Gefäße eine Selbstverdauung
eintritt, so wird sich diese als eine sekundäre Erscheinung recht
wohl begreifen lassen, wie an einer andern Stelle weiter ausgeführt
werden soll.
Gehen wir nun zum Dünndarm über, so liegen hier die Ver-
hältnisse so, dass die auf den Magen angewendete Erklärungsweise
ihre Giltigkeit verliert, indem ja sowohl Pankreas- wie auch Darm-
saft alkalisch sind, nicht also durch die Blutflüssigkeit neutralisiert
werden können. Claude Bernard half sich daher mit der zweiten
Erklärungsweise, nämlich dass er die Schleimschicht als Schutz-
decke für die Schleimhaut ansah. Doch auch diese Aushilfe scheint
mir nicht stichhaltig zu sein, und dass sie eben nur ein Notbehelf
ist, kann man schon daraus erkennen, dass man sich ihrer inbetreff
des Magens nicht bediente, wo man eine bessere zu haben glaubte.
Auch die Schleimhaut des Magens ist von einer solehen Schleimschicht
überzogen. Ferner liegt doch kein Grund vor, warum nicht der Ma-
gensaft sowohl wie der Pankreassaft durch diese Schicht hindurch
diffundieren könnte. Und durchlässig muss dieselbe doch sein, da ja
durch sie hindurch die Resorption des Peptons u. s. w. in das Darm-
epithel hinein stattfinden soll. Betrachtet man ferner diese Verhält-
nisse von einem allgemeinern Standpunkte, ich möchte sagen vom
vergleichend-physiologischen, wenn es solch ein Ding heute gäbe, so
findet man beispielsweise im Darm der Insekten !) keine solche Schleim-
1) ef. Einiges über den Mitteldarm der Insekten ete. von Johannes
Frenzel, Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. XXVI S. 229 ff.
Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 685
schicht, keine neutralisierende Blutflüssigkeit, und dennoch tritt auch
hier keine Selbstverdauung ein! Sollten hier wieder andere Verhält-
nisse maßgebend sein, oder sollte nicht etwa eine so allgemeine
Frage auch eine allgemeine Beantwortung erheischen? Pavy und
Claude Bernard würden doch in die größte Verlegenheit geraten,
wenn man sie früge, warum sich ein Infusor oder ein Cölenterat
nicht schon bei lebendigem Leibe verdaue. Welches nun zwar der
eigentliche Grund sei, dass dies nicht eintrete, werden wir freilich
nicht so ohne weiteres beantworten können. Vielleicht aber werden
wir einmal auf dem Wege der vergleichenden Forschung dazu
gelangen, in diese Frage mehr Licht zu bringen.
L. Brieger, Untersuchungen über Ptomaine.
L. Brieger, Ueber Ptomaine. Berlin 1885.
5 H ‚ Weitere Untersuchungen über Ptomaine. Berlin 1885.
u B ‚ Untersuchungen über Ptomaine. Dritter Teil. Berlin 1886.
Bekanntlich nehmen eiweißhaltige Substanzen sowohl tierischen
wie pflanzlichen Ursprungs unter dem Einfluss von Fäulnis und Ver-
wesung toxische Eigenschaften an. Wenn, wie wir durch die Unter-
suchungen Schwann’s wissen, als Erreger und Begleiter jedes
Gärungs- und Fäulnisprozesses Mikroorganismen anzusehen sind, so
lag es nahe, auch die durch putride Infektion hervorgerufenen Krank-
heitserscheinungen einer direkten Einwirkung von Bakterien zuzu-
schreiben. Diese Vermutung wurde indess von Panum!) experimentell
widerlegt, welcher nachwies, dass der Symptomenkomplex der Ver-
giftung durch Faulflüssigkeit nicht durch Mikroorganismen, sondern
durch ein chemisches Gift bedingt sei. Dieses chemische Gift Pa-
num’s zeigte sich als ein ziemlich resistenter, durch Kochen nicht
zersetzlicher, in Wasser löslicher, in Alkohol unlöslicher Körper, dessen
toxische Wirkungen an diejenigen des Kurare- und des Schlangen-
giftes erinnerten. Zu demselben höchst bemerkenswerten Resultat
d. h. zu der Erkenntnis der chemischen Natur der Fäulnisgifte ge-
langten nach Panum bald eine Reihe anderer Autoren, und damit
fiel die Aufgabe der Erforschung der Zusammensetzung und der
Eigenschaften dieser Gifte der Chemie anheim. Neben dieser Frage
war und ist noch eine zweite zu lösen, die Frage nach der Entstehung
jener Substanzen, und hierbei muss die Chemie die Hilfe der Bak-
teriologie in Anspruch nehmen. Ohne Zweifel ist die Bildung der
Fäulnisgifte durch die Einwirkung niederer Organismen bedingt, etwa
in der Weise, dass durch die Vegetation der Bakterien aus den
komplexen Molekülen der Eiweißkörper direkt jene Gifte abgespalten,
4) Jahrb. d. ges. Medizin, 101, $S. 123; Panum, die putride Infektion in
Virchow’s Arch., 60, 8. 301.
686 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine.
oder dass chemische Prozesse angeregt werden, welche zur Synthese
jener Gifte führen. Es wird fernerhin von besonderem Interesse sein,
festzustellen, ob diese Spaltungen oder synthetischen Prozesse in
ihrem Verlauf unabhängig sind von der Art der sie einleitenden Bak-
terien, oder ob eine bestimmte Bakterienspeeies immer nur ein bezw.
mehrere spezifische Fäulnisgifte hervorzubringen vermag.
Es würde an dieser Stelle zu weit führen, auf die Arbeiten aller
nach Panum mit dem Studium der ehemischen Produkte putrider
Zersetzungen beschäftigten Forscher einzugehen; die bezügliche Litera-
tur ist außerordentlich umfangreich. Vortreffliche historische Ueber-
sichten sind von Husemann!) und Kobert?) gegeben worden, auf
die hier verwiesen sein mag. Der Gegenstand hatte in kurzer Zeit
um so größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als die Fäulnisgifte
sowohl in ihren chemischen Reaktionen wie in ihren physiologischen
Wirkungen eine überraschende Aehnlichkeit mit gewissen Pflanzen-
alkaloiden zeigten, ein Umstand, welcher für den bei forensischen
Untersuchungen als Sachverständiger fungierenden Chemiker höchst
bedeutungsvoll sein musste, und der thatsächlich in mehrern Kriminal-
fällen für das Urteil des Gerichtshofes von tragischer Bedeutung ge-
wesen ist. Diese Aehnlichkeit, zufolge welcher die Fäulnisgifte auch
als Fäulnis- oder Kadaver-Alkaloide bezeichnet worden sind, hat nament-
lich in einigen Giftmordprozessen in Italien eine hervorragende Rolle
gespielt, bei denen die erstinstanzlichen Experten den Nachweis von
Delphinin, Morphin und Strychnin in Leichenteilen geführt zu haben
glaubten, während in jedem Falle von Selmi gezeigt wurde, dass
nur Kadaver-Alkaloide vorlagen. Für letztere hat Selmi die seither
allgemein adoptierte Bezeichnung Ptomaine (von raue — das gefallene
Tier) eingeführt.
So große Verdienste der genannte italienische Gelehrte sich um
die Erforschung der Fäulnisvorgänge und ihrer Produkte erworben hat,
und soweit gleichzeitig mit ihm und direkt oder indirekt von ihm
angeregt andere Forscher auf diesem Gebiete gearbeitet haben, von
einer methodischen Abscheidung chemischer Individuen unter den
Ptomainen und deren scharfer Charakterisierung war man bis vor
wenigen Jahren weit entfernt. Man pflegte Faulflüssigkeiten, gefaulte
tierische oder menschliche Organe oder Nahrungsstoffe mit irgend
einem Extraktionsmittel — Aethylalkohol, Aether, Benzol, Chloroform,
Amylalkohol — zu erschöpfen, aus dem Extrakt das Lösungsmittel
zu verjagen und den syrupösen Rückstand auf sein Verhalten gegen
Alkaloidreagentien und auf seine physiologischen Effekte zu prüfen.
Versuche, die extrahierten Verbindungen zu reinigen, durch Anwendung
4) Husemann, Ann. d. Pharm., Bd. XXI, Heft 6, 1883.
2) Kobert, Jahrb. d. ges. Med., Bd. 186 S. 123; Bd. 189 S. 219; Bd. 191
S» 3: Bd..195. 8: 3:.Bd. 19628.°0:,Bd., 20178. 3:
Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 687
verschiedener Lösungsmittel die einen von den andern zu trennen,
wurden allerdings unternommen, fast niemals aber so weit fortgesetzt,
bis ein wohl zu kennzeichnender, chemisch einheitlicher Körper ge-
wonnen war.
In ihren allgemeinen Eigenschaften!) haben sich die Ptomaine
sehr verschieden gezeigt: gleich den Pflanzenalkaloiden von mehr
oder minder ausgesprochen basischer Natur, sind die einen in hohem
Grade giftig, die andern ungiftig; die einen flüssig und leicht flüchtig,
die andern flüssig und nicht flüchtig; andere endlich fest, auch wohl
krystallinisch. Sie haben scharfen, bisweilen bittern Geschmack.
Ihrer Löslichkeit nach verhalten sie sich durchaus ungleich; Selmi
glaubte sie folgendermaßen einteilen zu können:
1) Ptomaine, die aus saurer Lösung in Aether übergehen
2) 5 » » Alkalischer a N h
3) ” „ ” „ ” „ Chloroform „
4) » a. 2... Amylalkohol „
5) „ die von Seen ee Lösungsmittel aufgenommen werden.
Von den genannnten Flüssigkeiten vermag Amylalkohol am meisten
Ptomaine zu lösen. Für die Analyse von Fäulniskörpern ist die Ein-
teilung Selmi’s nur von bedingtem Werte.
Fast alle Ptomaime wirken stark reduzierend; z. B. verwandeln
sie rotes Blutlaugensalz sehr schnell in gelbes Blutlaugensalz, was
sich bei gleichzeitigem Zusatz eines Ferrisalzes an der Bildung von
Berlinerblau zu erkennen gibt. Von Boutmy und Brouardel?),
welche besonders die im menschlichen Kadaver vorkommenden Fäul-
nisbasen untersucht haben, ist diese Reaktion als ein Characteristieum
der Ptomaine hingestellt worden: mit Unrecht, da einerseits zahlreiche
Pflanzenalkaloide in derselben Weise reagieren, anderseits, wie
Brieger dargethan hat, gewisse Ptomaine im Zustande chemischer
Reinheit die in Rede stehende Blaufärbung nicht geben. Ebensowenig
haben sich eine Reihe anderer für den Nachweis von Ptomainen em-
pfohlener Reagentien — Jodjodwasserstoff, Jodsäure, Nitroprussid-
natrium und Palladiumnitrat — als sichere Erkennungsmittel bewährt.
Das Verdienst, zuerst eine chemisch reine Fäulnisbase isoliert
und ihre Zusammensetzung analytisch festgestellt zu haben, gebührt
Nencki?). Derselbe gewann im Jahre 1876 aus Gelatine, welche er
5 Tage lang mit Ochsenpankreas hatten faulen lassen, eine ölige Base
von nicht unangenehmem aromatischen Geruch, die an der Luft stark
Kohlensäure absorbierte und schließlich in ein blättrig krystallinisches
Karbonat überging, ein gut krystallisierendes Chlorhydrat und Chloro-
platinat lieferte und der Formel C,H,,N entsprach d. h. mit Collidin
1) efr. Otto, Ausmittelung der Gifte, S. 38 u. 89. Braunschweig 1884.
2) Annales d’hygiene publique et de med. legale [3]. 4. pag. 335.
3) M. Nencki, Ueber die Zersetzung der Gelatine und des Eiweißes bei
der Fäulnis mit Pankreas. Bern 1876.
688 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine.
isomer war. Nencki vermutete, dass die Base als Isophenyläthyl-
amin C,H, — CH
nahm er!) später noch einmal Veranlassung zurückzukommen, nach-
dem Gautier und Etard?) zwei Ptomaine aus gefaulten Makrelen
dargestellt hatten, Parvolin C,H,;N und Hydrocollidin C,H,,N, und
sprach sich für die Identität dieses Hydrocollidins mit der von ihm
aus Gelatine gewonnenen Base aus.
Es mag noch angeführt sein, dass E. und H. Salkowski?°) aus
sefaultem Fleisch und Fibrin eine Verbindung von der Formel C,H,,NO,
extrahiert haben, die nicht merklich alkalisch reagierte und auf Ka-
ninchen und Meerschweinchen nicht toxisch wirkte. Die Autoren
glauben daher eine Amidosäure in Händen gehabt zu haben.
Die in den letzten 3 Jahren ausgeführten Untersuchungen L. Brie-
ger’s brachten unserer Kenntnis der Fäulnisbasen eine wesentliche
Bereicherung. Durch sorgfältige Verarbeitung der Extrakte gefaulter
Massen: Befolgung geeigneter analytischer Methoden und Fernhaltung
zersetzender Einflüsse gelang es Br., eine Reihe gut charakterisierter,
teils neuer, teils wohlbekannter chemischer Verbindungen zu isolieren,
von denen einige exquisit toxisch wirken und wahrscheinlich als Er-
reger gewisser bei putriden Infektionen in Szene tretender Vergif.
tungserscheinungen anzusehen sind. Es liegt auf der Hand, dass die
Reindarstellung der Ptomaine sogleich einem praktischen Interesse
begegnen muss; denn nur wenn experimentell die Eigenschaften und
Wirkungen der Fäulnisgifte erforscht sind, vermag die Therapie
die Mittel zu finden, welche den. von jenen bedrohten menschlichen
Organismus schützen.
Abgesehen von Autorreferaten über Einzelresultate hat Br. die
Ergebnisse seiner Versuche in den am Eingange genannten Mono-
graphien niedergelegt.
auszusprechen sei. Auf diese Untersuchung
Die erste Monographie berichtet nach einer historischen Ueber-
sicht über die bisherigen Ptomain - Untersuchungen über
a) Ptomaine bei der Fibrinverdauung
b) „ aus faulem Fleisch
c) „ bei der Fischfäulnis
d) " aus Käse
e) „ aus faulem Leim
f) " aus fauler Hefe.
Hieran reihen sich zum Schluss theoretische Betrachtungen über
Genese und allgemeine Eigenschaften der Ptomaine.
4) Journ. f. prakt. Chemie, 26, S. 47, (1882).
2) Comptes rendus, 94, pag. 1601.
3) Ber. d. deutsch. chem. Ges., XVI, S. 1191 u. 1798.
Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 689
Wie bereits von andern Forschern beobachtet, hat auch Br. ge-
funden, dass giftige Basen nur im ersten Stadium der Fäulnis ent-
stehen; nach 8—10tägiger Fäulnis konnte er derartige Produkte nie
mehr nachweisen.
a) Ptomaine bei der Fibrinverdauung.
Die mehrfach konstatierte Thatsache, dass Pepton, das erste
Umwandlungsprodukt des Eiweißes, toxisch wirke, veranlasste Br.
nach dem giftigen Prinzip des Peptons zu suchen. Durch Magensaft
peptonisiertes Fibrin wurde mit Alkohol gekocht und nach dem Ver-
jagen des Alkohols mit Amylalkohol erschöpft. Aus dem durch
mehrere chemische Operationen gereinigten Auszug schied sich schließ-
lich eine schwer kıystallisierende, sehr resistente Substanz ab, die
Frösche und Kaninchen schon in sehr geringen Dosen tötete. Br.
nennt die Substanz Peptotoxin. Analysiert wurde dieselbe nicht; es
bleibt also unentschieden, ob ein oder mehrere Gifte vorliegen. Daraus,
dass das Peptotoxin mit Millon’schem Reagens einen beim Kochen
sich rötenden Niederschlag gibt, kann auf ein amidiertes oder hydro-
xyliertes Benzolderivat geschlossen werden. Bei längerer (Stägiger)
Fäulnis tritt Zersetzung des Giftes ein. Nicht allein aus Fibrin, auch
aus andern Eiweißkörpern wie Kasein, Gehirnsubstanz lässt sich
Peptotoxin gewinnen.
Troeknes Witte’sches Pepton, von dem Br. hervorhebt, dass es
selbst ungiftig sei, lieferte nach Digerieren mit Magensaft ebenfalls
Peptotoxin.
b) Ptomaine aus faulem Fleisch.
Zerhacktes Pferdefleisch, Rindfleisch oder menschliches Muskel-
fleisch wurde 5—6 Tage bei Brüttemperatur der Fäulnis überlassen,
die breiige Masse aufgekocht, filtriert und das Filtrat mit Quecksilber-
chlorid gefällt. Aus dem mit Schwefelwasserstoff zerlegten Nieder-
schlage erhielt Br. das in langen Nadeln krystallisierende (dem Harn-
stoff ähnlich) salzsaure Salz einer neuen Base. Die Analysen dieses
Salzes sowie des in platten Nadeln krystallisierenden Platinats lieferten
übereinstimmend Zahlen, welche der empirischen Formel C,H,;,No
entsprachen. Br. nennt den neuen Körper Neuridin, da derselbe dem
Neurin nahe zu stehen scheint. Das Neuridin ist das erste aus
tierischen Geweben gewonnene Diamin; es verdient um so mehr Beach-
tung, als es weiter verbreitet (im frischen Gehirn, in den Eiern) zu
sein und für den Haushalt des Tierkörpers eine gewisse Rolle zu
spielen scheint.
Das nur in Wasser leicht lösliche salzsaure Salz gibt mit einigen
Alkaloidreagentien charakteristische Niederschläge; im Zustande der
Reinheit ist es ungiftig'; beim Kochen mit Natronlauge zerfällt es in
Di- und Trimethylamin. Die freie Base riecht ähnlich dem mensch-
lichen Sperma, krystallisiert nicht und zersetzt sich leicht.
v1. 44
690 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine.
In den vom Neuridin befreiten Laugen findet sich als zweites
Ptomain der Fleischfäulnis das äußerst giftige Neurin C,H,,NO
(Trimethylvinylammoniumhydroxyd). Behufs Abscheidung desselben
werden die Laugen durch mehrfache Fällungen gereinigt, eingedampft,
die syrupösen Rückstände mit absolutem Alkohol ausgezogen und aus
der alkoholischen Lösung die Base mittels Platinchlorid gefällt. Durch
analytische Belege — Analyse des Platinats und des Aurats, welche
beide gut krystallisieren, jenes in wohl ausgebildeten Oktaädern, dieses
in flachen Prismen — und genaue Vergleiche der physikalischen
Eigenschaften, Reaktionen und physiologischen Wirkungen hat Br.
die Identität dieses Neurins mit der in dem gleichnamigen Präparat
des Handels vorliegenden Base nachgewiesen.
Bemerkenswert ist die große Virulenz des Neurins. Frösche ver-
fallen wenige Minuten nach Einverleibung des Giftes in einen läh-
mungsartigen Zustand und gehen, wenn 2 mg des salzsauren Salzes
injiziert wurden, stets zu grunde. Bei Säugetieren — Br. experimen-
tierte an Mäusen, Kaninchen, Meerschweinchen und Katzen — werden
Erscheinungen hervorgerufen, die an Muskarinvergiftung erinnern;
doch ist die Empfindlichkeit der genannten Tierklassen gegen das
Neurin ungleich: so bleiben Meerschweinchen indifferent gegen Dosen,
welche auf Katzen eklatant wirken. Tödlich für ein Kaninchen von
1 kg Gewicht ist eine Gabe von 0,04 g. Die Vergiftung kennzeichnet
sich stets durch profuse Speichelsekretion und Dyspnoe, daneben tritt
bisweilen Pupillenverengerung ein, welch letztere nach Einträufelung
des Giftes im das Auge nie ausbleibt. Als ausgezeichnetes Antidot
erwies sich Atropin.
c) Ptomaine bei der Fisch fäulnis.
Der Brei zerkleinerter und ohne jeden Zusatz 5 Tage lang der
Fäulnis überlassener Dorsche wurde mit verdünnter Salzsäure erwärmt
und filtriert. Aus dem Filtrat isolierte Br. durch Fällung mit Queck-
silberchlorid und demnächst wiederholte Fällungen mit Platinchlorid
nach einander fünf verschiedene Ptomaine, von denen das erste aus
Mangel an Material chemisch nicht näher charakterisiert werden
konnte.
Die zweite Base wurde als Neuridin rekognosziert.
Der dritten, einer toxischen Substanz, welche mit Alkaloidreagen-
tien bezeichnende Niederschläge lieferte, gut krystallisierende Salze
bildete und unzersetzt destillierte, war die Formel C,H,N, zuzuschreiben.
Da diese Substanz nach Zusammensetzung und Eigenschaften dem
Aethylendiamin u überraschend glich, so hielt sie Br. zuerst
2
mit letzterer Verbindung für identisch, bis ein späterer kontrolierender
Vergleich mit reinem synthetischem Aethylendiamin jener Annahme
widersprach. Vielleicht liegt hier ein Aethylidendiamin vor,
Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 691
Die toxische Wirkung der Verbindung C,H,N, auf Kaninchen
besteht wesentlich in heftiger Dyspnoe und in Pupillenerweiterung.
Das vierte Ptomain erkannte Br. als Muskarin C,H,,NO, sowohl
durch Analyse des Platinsalzes als auch durch Tierversuch. Minimale
Dosen verursachten bei Fröschen totale Paralyse und diastolischen
Herzstillstand; Kaninchen boten nach Aufnahme des Giftes das be-
kannte Bild der Muskarinvergiftung.
Eine fünfte Base, von Br. Gadinin genannt (Gadus callarias,
Dorsch), deren Platinat sich nach Ausfällung des Muskarins in gold-
gelben Blättechen abschied, differiert in der Zusammensetzung nicht
wesentlich von der Amidoönanthsäure, der nächsthomologen des
Leueins:
C;H,,NO, C,H,,NO,
Gadinin. Amidoönanthsäure.
Das Gadinin scheint nicht giftig zu sein.
Nach Abtrennung dieser Base erhielt Br. aus den letzten Filtraten
bei der Destillation mit Kali Triäthylamin (C,H,);N. Es bleibt dahin-
gestellt, ob dies Amin sich als Ptomain aus den faulenden Dorschen
gebildet hatte, oder erst durch die Destillation aus einer komplexern
Verbindung abgespalten war.
d) Ptomaine aus Käse.
Weicher käuflicher Kuhkäse blieb, mit wenig Wasser und Schlemm-
kreide verrührt, 6 Wochen bei Sommertemperatur stehen, bis totale
Zersetzung eingetreten war. Die Masse wurde schwach angesäuert
und filtriert. Im Filtrat fanden sich zwei Fäulnisbasen: Neuridin und
Trimethylamin.
e) Ptomaine aus faulem Leim.
Von Ref. ist oben erwähnt worden, dass Nencki aus Gelatine,
die er 5 Tage lang bei 40° mit Ochsenpankreas faulen ließ, eine mit
Collidin isomere Verbindung C,H,,N erhalten hatte. Br. wiederholte
diesen Versuch mit der Abänderung, dass eine mit Schlemmkreide ver-
setzte Lösung von Tischlerleim nach Infizierung mit gefaultem Eiweiß
10 Tage lang einer Temperatur von 35° überlassen wurde. Aus dieser
Faulflüssigkeit konnte Br. jedoch die Nencki’sche Base nicht ge-
winnen. Es resultierten dagegen Neuridin, Dimethylamin und in
geringer Menge eine muskarinähnliche Substanz.
F) Ptomaine aus fauler Hefe.
Die mit Wasser und etwas Schlemmkreide angesetzte und mit
faulem Eiweiß infizierte Hefe unterlag 4 Wochen lang der Einwirkung
der Sommertemperatur. Alsdann wurde angesäuert und filtriert. Die
Verarbeitung des Filtrats lieferte nur eine Base: Dimethylamin.
Die vorbeschriebenen Versuche Br.’s haben ergeben, dass bei
42®
692 Ludwig, Alkoholgärung lebender Eichbäume.
der Fäulnis eiweißhaltiger Substanzen folgende Verbindungen als
Ptomaine auftreten können:
Peptotoxin (?), Neuridin C,H, ,N,, Neurin C,H,,NO, die Base C,H,N,,
Muskarin C,H, ,NO,, Gadinin C,H,-NO,, Triäthylamin C,H, ‚N, Trimethyl]-
amin C,H,N, Dimethylamin C,H-N.
Von diesen sind das Neurin, die Base C,H,N, und das Muskarin
heftige Gifte.
Am häufigsten wurde Neuridin unter den Fäulnisprodukten ge-
funden. Diese Thatsache gewinnt noch dadurch an Bedeutung, dass
das Neuridin, wie Br. konstatieren konnte, auch im frischen mensch-
lichen Gehirn und im Eigelb vorkommt, im letztern freilich nur in
geringer Menge. Im frischen Fleisch ist es nicht angetroffen worden;
doch darf man annehmen, dass es in demselben in einer dem Leeithin
ähnlichen Verbindung vorhanden ist, aus welcher es durch den Fäul-
nisprozess in Freiheit gesetzt wird.
Auch Neurin hat Br. im frischen Gehirn nachgewiesen, als er
zur Darstellung von Cholin größere Mengen menschlicher Gehirne mit
Baryt kochte Wurden dagegen die Gehirne mit verdünnter Salz-
säure digeriert, so enthielt der Säureauszug kein Neurin. Hieraus
darf man schließen, dass ein Teil des Cholins durch Kochen mit
Baryt in Neurin übergeführt wird, während Salzsäure das Cholin
intakt lässt. Zudem lehrt ein Blick auf die Formeln des Cholins und
Neurins, dass letzteres nur um ein Minus von H,O von ersterem ver-
schieden ist:
Cholin C,H,,NO,
Neurin C,H,,NO; eine Abspaltung von Wasser aus dem
Cholin könnte daher zum Neurin führen. Künstlich d. h. durch che-
mische Operation lässt sich diese Abspaltung von Wasser, also die
Umwandlung des Cholins in Neurin in der That erreichen. Es liegt
daher, was die Genese anderes des Neurins bei der Fleischfäulnis betrifft,
nichts näher als die Auffassung, dass durch die lebhaften chemischen
Vorgänge des Fäulnisprozesses das Cholin in Neurin übergeführt
werde. Somit erscheint auch dieses Ptomain als ein Abkömmling
des Leeithins, dessen eine Komponente ja das Cholin ist.
(Fortsetzung folgt.)
Oskar Schulz (Berlin).
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin.
Sektion für Botanik.
1. Sitzung. Herr Ludwig (Greiz) spricht über Alkoholgärung und
Schleimfluss lebender Eichbäume etc., verursacht durch eine neue
Species der Exoascus-Gruppe und einen Zeuconostoc: An zahlreichen Eichen
um Greiz, Langenwelzendorf, Ebersdorf, Gottliebsthal, Gera, Schmölln ete.,
Ludwig, Alkoholgärung lebender Eichbäume. 695
seltener an Pappeln, Birken u. s. w., tritt eine alkoholische Gärung mit nach-
folgendem Schleimflusse auf, die die Rinde und zuweilen auch das Holz ver-
nichten und die Eichenkultur nicht unwesentlich beeinträchtigen. Der nach
Bier riechende Schaum enthält der Hauptsache nach einen Fadenpilz und dessen
Zergliederungsprodukte, die die Gärung einleiten und auch in gärungsfähigen
Substanzen lebhafte Alkoholgärung hervorrufen, der Schleim daneben Saccharo-
myces-Formen und Leuconostoc. Diese drei Elemente: Fadenpilz, Saccharomyces-
Form, Zeuconostoc, sind allenthalben (ersteres besonders im Anfang der Gärung)
an den erkrankten Bäumen vorhanden. Der Fadenpilz zeichnet sich aus durch
eine sympodiale, meist einseitige Verzweigung: die Hyphenenden verschmälern
sich in ihrer Fortsetzung und werden später durch sekundäre Aussprossungen
von größerem Durchmesser zur Seite gedrängt, letztere setzen die Hauptaxe
fort. Die ungeschlechtliche Fortpflanzung findet einmal und regelmäßig statt
durch eine basipetale Gonidienbildung (Oidiumgeneration) oder durchgehende
Querzergliederung des Myceliums, dann durch innere Gemmenbildung und
Bildung verdickter Zellen („Knospen“ Grawitz). Die Zergliederungsstücke
rufen durch lebhafte Sprossung eine alkoholische Gärung hervor, die allem
Anschein nach später unterstützt wird durch die Saccharomyces-Formen. Auf
die Bildung dieser Hefezellen, die wahrscheinlich gleichfalls von dem Faden-
pilz abstammen, soll hier nicht näher eingegangen werden. Nur sei bemerkt,
dass sie, wie Prof. Magnus und Dr. G. v. Lagerheim zuerst an Gelatine-
kulturen fanden, ich an dem vertrockneten Eichenschleime anfangs August
beobachtete, Endosporen bilden (meist vier, von denen öfter je zwei mit ein-
ander verbunden bleiben). Die geschlechtliche Fortpflanzung, der allem An-
schein nach eine geschlechtliche Befruchtung vorangeht, geschieht durch freie,
am Ende kürzerer oder längerer Aeste, meist aber mehr oder weniger dicht
stehende, verkehrt eiförmige Asci mit je 4 eigentümlich gestalteten, hut- bezw.
mützenförmigen Sporen. Die Asci verschleimen zuletzt, und es bleiben dann die
gelbbraunen reifen Sporen in dem Schleime liegen. Es gehört der Fadenpilz
zu den Exoasci und zwar zur Gattung Endomyces. Ich habe ihn Endomyces
Magnusii benannt. Derselbe scheint mir berufen, eine wichtige Rolle in der
Mykologie zu spielen, abgesehen von seiner Fähigkeit, die Alkoholgärung zu
erregen, und seinen zerstörenden Wirkungen bei lebenden Bäumen. Einmal
gleicht seine ungeschlechtliche Entwieklung derjenigen der gefürchteten Krank-
heitserreger, des Favus- und Soorpilzes, deren Zugehörigkeit bisher unbe-
kannt blieb, derart, dass die Entdeckung seiner vollen Entwieklungsgeschichte die
jener Pilze bereits vermuten lässt und wohl bald folgen lassen wird. Zweitens
aber scheint er mir berufen, die Frage nach dem Ursprung und der Zugehörigkeit
echter Hefen (Saccharomyces Reess) zu entscheiden. Der Pilz des Schleim-
flusses, der schleimigen Gärung, ist ein Zeuconostoe — nieht wie bei der von
F. v. Thümen u. a. beobachteten Cellulosegärung Bacillus amylobacter. Die
kettenartig an einander gereihten Kokken, die Herr Dr. G. v. Lagerheim
zuerst bemerkte, besitzen ähnliche gallertige Hüllen, nur von geringerer Kon-
sistenz wie der Froschlaichpilz der Zuckerrüben. Dieselben scheinen zunächst
an den Endomyces-Fäden aufzutreten und deren Zellwände zu zerstören. Auch
die Entwicklung des lebenden Endomyces scheint der Leuconostoc in verschie-
dener Weise zu beeinflussen. (Auffällige Verdünnung der Sprosse, sehr weit-
gehende Querzergliederung, ob auch bezüglich der Hefesprossung?) Ich habe
den Pilz, dessen Entwicklung gleichfalls noch näher zu studieren ist, Leuco-
nostoc Lagerheimii benannt. Die „bierbrauenden“ Bäume ziehen zahlreiche
Gäste herbei: Schmetterlinge, Hirschkäfer (die sich in optima forma bezechen),
694 Wittmack, Ueber unsere jetzige Kenntnis vorgeschichtlicher Samen.
Cetonien ete. und vor allen Hornissen. (An einer Eiche, die ich wohl 30 mal
besuchte, fand ich z. B. stets an dem Gärflecke 2 Hormissen saugend.) Die
Verbreitung des Pilzschleimes und damit die Uebertragung der Baumkrankheit
geschieht durch Insekten, welche die Pilze an frischen Verletzungen der Rinde
(Risse, Bohrlöcher, Astbrüche) übertragen. Letztere wuchern subkortikal wei-
ter nnd können mehrere Jahre lang an demselben Baume zerstörend wirken.
2. Sitzung. Herr Wittmack (Berlin): Ueber unsere jetzige Kennt-
nis vorgeschichtlicher Samen. Dieselbe ist neuerdings bedeutend ge-
fördert worden und zwar extensiv durch Entdeckung neuer Fundstellen, intensiv
durch Verbesserung der Untersuchungsmethoden, durch Schärfung der Kritik.
Dadurch aber sind wieder ganz neue Gesichtspunkte über die Heimat mancher
Gewächse gewonnen. Die wichtigste Quelle ist noch immer Aegypten, über
dessen neu aufgefundene Schätze Schweinfurth (Sitzungsberichte der
deutschen botanischen Gesellschaft 1885) eingehend gesprochen, nachdem
früher bereits Al. Braun viele Pflanzenreste kritisch beleuchtet hatte, eine
Arbeit, die Ascherson und Magnus nach seinem Tode herausgaben. Hinzu-
gekommen sind im Orient Troja (Hissarlik) durch die Ausgrabungen von
Schliemann und Virchow, Tiryns (Schliemann), Kreta (Schliemann).
Referent, dem die betreffenden Funde zur Bestimmung übergeben, fand, dass
die Samen aus Troja Weizen, Erbsen und Saubohnen, die aus Tyrins Wein-
traubenkerne, die aus Herakleia auf Kreta Linsen und Saubohnen sind. Die
Pfahlbauten, die Ringwälle und Gräberfelder haben in den letzten Jahren zwar
mancherlei, aber wenig Neues geliefert, nur scheint das Vorkommen der Sau-
bohne in norddeutschen Gräbern ete. beachtenswert. Von der neuen Welt sind
besonders die Funde in den altperuanischen Gräbern beachtenswert. Sie um-
fassen ca. 60 Arten, von denen einzelne aber wohl zweifelhaft, während in
Aegypten ca. 50 gefunden sind. Das Alter der peruanischen Gräber ist aber
bei weitem nicht so hoch als das der ägyptischen, höchstens 500 Jahre. Von
besonderer Bedeutung erscheinen die Funde von Gartenbohnen und Kürbis-
kernen, aus denen zu schließen, dass Phaseolus vulgaris, die (artenbohne,
Cucubisa mazxima und ©. moschata, zwei Kürbisarten, in Amerika einheimisch
sind. Auch Asa Gray und Hamond Trumbull nehmen als Vaterland
mancher Kürbisse sowie der Gartenbohne Amerika an und beweisen das auf
historischem und linguistischem Wege.
Herr Klebs (Tübingen): UTeber das Wachstum plasmolysierter
Zellen. Zygnemen- und Oedogonienzellen, welche in 10°), Glykose plasmo-
lysiert worden sind, bleiben in diesem Zustande lange lebend und zeigen
Wachstumserscheinungen. Die stark kontrahierten Protoplasten umgeben sich
in der Zuckerlösung mit neuen, stark geschichteten Zellhäuten, nehmen bei
lebhaftem Längenwachstum die mannigfaltigsten, abnormsten Gestalten an und
teilen sich in gewohnter Weise. Die Vedogonien bilden in 10°], Glykose
ebenfalls neue geschichtete Membranen, wachsen kaum in die Länge, teilen
sich nach Art von Cladophora, nicht nach dem gewöhnlichen Typus. Diese
Erscheinungen treten nur an Rohr-, Trauben-, Milch-Zucker und Manmnit ein.
Notwendig ist ferner das Licht. Zygnema in 10°, Glykose im dunkeln bildet
keine neue Zellhaut, wächst auch nicht in die Länge; sie erhalten sich jedoch
viele Wochen lebend, bis sie allmählich verhungern. Bei der Plasmolyse lang
gestreckter Zygnema-Zellen zerreißt das Protoplast in zwei Hälften, von denen
die eine den einzigen Kern enthält, die andere kernlos ist. Nur die kernhal-
a 2 er
Korschelt, Bildung des Chitins bei Ranatra. 695
tigen Teilstücke der Zellen bilden Membran, wachsen in die Länge und
regenerieren die ganzen Zellen. Die kernlosen Hälften sind nicht fähig, Zell-
haut zu bilden, noch in der Lage, zu wachsen; dagegen erhalten sie sich lange
lebend, nehmen gleichmäßig an Volumen zu und bilden Stärke. — Herr
Magnus (Berlin) erinnerte an die interessanten Erscheinungen, die Famintzin
als Wirkung anorganischer Salze auf Confervaceen etc. kennen gelehrt hat.
Die dadurch hervorgerufenen Palmellazustände mit reichlicher, geschichteter
Membranbildung scheinen einige Analogie mit den von Dr. Klebs geschilder-
ten Erscheinungen zu bieten. Hier sind weit geringere Prozente, als bei Gly-
kose angewendet; auch treten diese palmellaartigen Zustände bei Kulturen in
verdunstenden Gefäßen leicht ein, z. B. bei ötigeoclonum, Chaetophora etc.,
so dass diese Modifizierung der Vegetatoren der Algen bei sehr geringer
Steigerung des Salzgehaltes sich bereits vollzieht. — Herr Pfeffer (Tübingen):
Algen wachsen in Salzlösungen nur, wenn keine Plasmolyse eintritt. Dagegen
können sich Pflanzen, z. B. Pilze, in der Weise akkomodieren, dass in Salz-
lösungen die Zellen weniger leicht kontrahierbar sind.
Sektion für Zoologie.
Herr E. Korschelt (Freiburg i. B.): Ueber eine abweichende Bil-
dungsweise des Chitins bei Ranatra. Die Bildung des Chitins erfolgt
in den meisten Fällen in Form einer kutikularen Abscheidung an der Ober-
fläche einer Epithelschicht. So bilden sich z. B. der Hautpanzer und die Ei-
schale der Insekten. Erhabenheiten und Anhänge, welche die Oberfläche des
Chitins mannigfach bedecken, nehmen dadurch ihren Ursprung, dass die Ab-
scheidung von Chitin an verschiedenen Stellen der Zelloberfläche eine ver-
schieden starke ist, oder dass von den Zellen Fortsätze ausgesendet werden,
welche in ihrer Umgebung Chitin absondern. Es ist diese Art der Chitin-
bildung also ebenfalls eine kutikulare. Nicht alle Anhänge des Chitins ent-
stehen aber nach diesem typischen Bildungsmodus. Die umfangreichen Anhänge
z. B., welche sich an den Eiern einiger Wasserwanzen, bei Ranatra und Nepa,
finden, entstehen nicht in Form einer kutikularen Abscheidung an der Ober-
fläche von Zellen, sondern sie bilden sich vielmehr im Innern eigentümlich
modifizierter Epithelzellen. — Die erwähnten Anhänge der Eier der beiden
Wasserwanzen stehen als lange fadenförmige Fortsätze an dem obern Pole des
Eies. Sie dienen demselben so zu sagen als Atemröhren, da das Ei bei der
Ablage in das fleischige Gewebe von abgestorbenen Pflanzenstengeln versenkt
wird. Nur die Atemröhren ragen noch aus dem Gewebe hervor. An ihrem
obern Ende luftdurchlässig, führen sie in ihrem pneumatischen Innern dem
ebenfalls pneumatischen Chorion Luft zu. Das Ei ist infolge dieser Einrich-
tung immer mit einer Luftschicht umgeben. Während sich das Chorion der
beiden Wasserwanzen auf die gewöhnliche Art als kutikulares Abscheidungs-
produkt der Epithelzellen des Follikels bildet, entstehen die Strahlen im Innern
eigentümlich modifizierter Epithelzellen. Bei Ranatra ist der Vorgang folgen-
der: es bildet sich eine Verdieckung der obern Eikammerwandung, die anfangs
aus gleichartigen Zellen besteht. Später vergrößert sich eine Anzahl der hier
liegenden Kerne. Von ihnen wachsen besonders vier sehr enorm. Zwischen
je zwei dieser Kerne, in deren Umgebung sich ein distinkter Plasmahof (Doppel-
zelle) abgegrenzt hat, bildet sich dann das Chitin der Strahlen. Es entsteht
durch direkte Umwandlung des Zellplasmas, in dem zuerst kleine, stark licht-
brechende Chitinkörnchen auftreten, bis der Strahl in seiner ganzen Kontinuität
696 Der gegenwärtige Stand der Gasträafrage.
gebildet ist. Dabei nehmen die Kerne der Doppelzellen ein ganz eigentüm-
liches, rhizopodoides Aussehen an, indem sie feinere und stärkere Fortsätze
aussenden. Diese Fortsätze sind nach dem Ort der Chitinbildung hin gerichtet
und bleiben so lange erhalten, bis die Chitinbildung zu Ende geführt ist.
Diese Erscheinung steht jedenfalls in engem Zusammenhang mit der Chitin-
bildung, und es kommt durch sie der direkte Einfluss zum Ausdruck, welchen
hier der Kern auf die Thätigkeit der Zelle ausübt. Bei Nepa sind nicht, wie
bei Ranatra, nur 2, sondern 7 Eistrahlen vorhanden, die hier im Innern von
7 Doppelzellen ihren Ursprung nehmen. Diese entstehen bei Nepa durch Zu-
sammentreten von 14 vergrößerten, einfachen Zellen des Eikammerepithels.
Die Eigentümlichkeiten der Kernveränderung und Chitinabscheidung treten auch
hier in ähnlicher Weise auf, wie bei Ranatra. — Herr Karsch (Berlin)
bemerkt, dass nach Untersuchungen von Tichomirow im physiologischen
Institute der Universität Berlin das Chorion der Insekteneier nicht aus Chitin,
sondern einem sich chemisch anders verhaltenden Stoffe bestehen soll. Diese
Untersuchungen möchten noch nicht veröffentlicht sein. — Herr Korschelt
entgegnet, dass die Abweichung der Substanz, welche die Eischale der Insekten
bildet, von der Zusammensetzung dessen, was man unter Chitin versteht, wohl
keine sehr bedeutende sein würde, obwohl er darüber keine Versuche ange-
stellt hat. Geringe chemische Verschiedenheiten mögen wohl bestehen. Die
Bildung und äußere Beschaffenheit beider Substanzen ist jedenfalls eine sehr
ähnliche. Bisher hat man beide gleicherweise unter dem Namen von Chitin
zusammengefasst, wie man auch vieles Andere als „chitinöse Substanz“ be-
zeichnet. — Herr Prof. F. E. Schulze macht auf die großen Veränderungen
aufmerksam, welche bei der Chitinbildung die Zellkerne nach der Darstellung
des Herrn Dr. Korschelt erfahren, woraus auf eine intensive Beteiligung auch
der Kerne bei diesem Prozesse zu schließen ist. Herr Korschelt erwähnt
noch kurz, dass eine ähnliche Anteilnahme der Kerne an der Thätigkeit der
Zelle auch bei den Nährzellen der Insekten zu bemerken sei, indem auch diese
Kerne während der Funktionierung der Nährzelle Fortsätze aussenden und eine
rhizopodoide Gestalt annehmen.
Sektion für Anatomie.
2. Sitzung. Herr Waldeyer eröffnet die Sitzung, an welcher auch die
zoologische Sektion teilnimmt, mit einem einleitenden Vortrage über den gegen-
wärtigen Stand der Gasträafrage, namentlich mit bezug auf die mesoblasti-
schen Wirbeltiere. Nach einem kurzen geschichtlichen Ueberblicke werden
namentlich die Ansichten von Häckel, Götte, Balfour, Rauber, Kupffer,
Kollmann, Sarasin, E. van Beneden, Selenka, Rückert undM. von
Kowalevsky besprochen und deren Differenzen hervorgehoben. Der Vor-
tragende erinnert daran, dass es vor allem nötig sei, um zu einer einheitlichen
Auffassung zu gelangen, genau das zu umgrenzen, was man „Gastrula“ nennen
wolle. — Der Vorsitzende spricht Herrn Waldeyer den Dank der Versamm-
lung für seinen lichtvollen Vortrag aus und eröffnet die Diskussion über die
Gasträafrage.
Herr Selenka (Erlangen) sprieht über die Gastrulation der Knochenfische
und der Amnioten. Bei Makropoden (Goldfischeier) strömt das gesamte Proto-
plasma des Eies unmittelbar nach dem Eindringen des Spermatozoon an der
Stelle zusammen, wo dies geschehen ist. Der Keim furcht sich in der Weise,
Der gegenwärtige Stand der Gasträafrage. 697
dass die Blastula bald aus zwei Zelllagen, die eine flache Furchungshöhle
zwischen sich lassen, besteht. Am hintern Ende der Keimscheibe bildet sich
eine Einstülpung, die nicht, wie Kupffer will, die Allantois, sondern die
Mesentoblasthöhle darstellt (Primitivrinne). Von ihr nach vorn entstehen die
Chorda und zwei seitliche Cölomlappen. Am Boden der Höhle bildet sich der
Darmentoblast. Genau dasselbe Schema ist auf den Keim des Vogeleies an-
wendbar.
Herr Rückert (München) legt Präparate über die Gastrulation der Selachier
vor und entwickelt an derselben die in seiner Arbeit: „Ueber die Keimblatt-
bildung bei Selachiern“ (Sitzungsberichte der morphol.-physiol. Gesellschaft,
München 1835) veröffentlichten Resultate über die Entstehung der beiden pri-
mären Keimblätter. Am mesoblastischen Ei tritt nach Furchung der Keim-
scheibe eine Blastulahöhle auf zwischen der Morula des Keims und dem sie
umgebenden Nahrungsdotter. — Der letztere enthält noch unverbrauchtes Zellen-
material in Form von amöboiden, mit großen Kernen versehenen Zellen (Meso-
eyten), welche als Homologa der dotterreichen vegetativen Blastomeren
holoblastischer Eier angesehen werden müssen. Aus ihnen sprossen echte
Embryonalzellen hervor, und diese bilden durch eine Modifikation des Invagi-
nationsprozesses den Entoblast. Der Urmundrand muss in der gesamten Peri-
pherie der Keimscheibe gesucht werden; je weiter nach vorn, um so rudimentärer
erscheint er, und um so mehr verliert er den ursprünglichen Charakter eines
Umschlagsrandes. Die Entstehung des mittlern Keimblattes, über die R. neue
Mitteilungen macht, geht wie die der untern gleichfalls vom Urmundrande aus
in einer Form, welche als eine Arbeit der Cölombildung aufzufassen ist. Es
findet zunächst eine lebhafte Zellenwucherung am Umschlagsrande statt. Die
hier entstehenden Zellen dringen als erste Anlage des mittlern Keimblattes
zwischen die beiden primären Blätter zentripetal vor, dabei werden die Ento-
blastzellen im Bereich der Wucherungszone zur Bildung des Mesoblast teil-
weise aufgebraucht, und so entsteht hier ein Zellendefekt, welcher die bei der
typischen Cölombildung stattfindende Einstülpung repräsentierte. Von der
echten Cölombildung unterscheidet sich dieser Vorgang nur insoweit, als der
Charakter eines einheitlichen epithelialen Zellenblattes verloren geht, und die
Zellen die Gestalt von Mesenchymzellen annehmen. Dieser Ursprung des mitt-
lern Keimblattes erstreckt sich zu beiden Seiten der Mittellinie, woselbst
sich weiterhin die Chorda aus dem Entoblast bildet, nach vorn über den ge-
samten Rand der Keimscheibe, indem er je weiter nach vorn um so rudimen-
tärer erscheint. Das mesoblastische Selachierei schließt sich also auch inbezug
auf die Bildung des mittlern Keimblattes direkt an den Typus des holoblasti-
schen Wirbeltieres (Amphioxus) an, insofern vom Grunde des, allerdings hier
noch weiter, Blastoporus und Cölomsäcke zwischen die beiden primären Blätter
eindringen. Was den Verschluss des Blastoporus anlangt, so wird nur die
hintere Hälfte in den Bereich des Embryo eingezogen, und zwar in der Weise,
dass das am Rande befindliche Zellmaterial von beiden Seiten her gegen die
Mittellinie hin verschoben wird. Am Mesoblast des Hinterrandes lässt sich
dies direkt erweisen, insofern an demselben die ersten Spuren einer Gliederung
in eine Anzahl seitlich neben einander stehender Metameren kenntlich sind.
Nachdem dieser Abschnitt in die axiale Embryonalanlage aufgenommen ist,
bleibt nur noch ein schmaler Bezirk des Hinterrandes als letzter Rest des
Umschlagrandes bestehen und schließt sich zum Canalis neurenterieus. Der
übrige Rand der Keimscheibe stellt einen entogenetisch modifizierten Urmund-
695 Cohn, Helligkeit für Arbeitsplätze.
rand dar, er führt die Umwachsung des Nahrungsdotters von vorn und von
den Seiten her aus und kommt schließlich auf der Rückseite des Eies hinter
dem Embryo zum Verschluss.
Im weitern Fortgang macht Herr Hatschek (Prag) folgende thatsäch-
liche Mitteilung zur Entwicklung des Amphioxus: Bei Amphioxus krümmt sich
das Hinterende des Medullarrohrs um das Chordaende ventralwärts herum und
hängt anfangs mit dem Darmrohr zusammen. Dieser Zusammenhang wird zu
Ende der Embryonalzeit aufgehoben; die Bildung selbst aber bleibt während
des ganzen Larvenlebens erhalten und bildet das Material für das Fortwachsen
des Medullarrohrs bei der fortgesetzten Vermehrung der Metameren. Erst
nachdem das letzte Metamer gebildet ist, grenzt sich der Neurointestinalkanal
vom Medullarrohr ab und degeneriert.
Herr Kollmann betont, dass nach allen Erfahrungen bei den Wirbellosen
und bei den Vertebraten mit holoblastischen Eiern, namentlich aber bei dem
Amphioxus, das Grundprinzip bei der Gastrulation in der Herstellung des Ento-
blasts besteht. Die einfache Gastrula des Amphioxus gibt die Anhaltspunkte
für die Beurteilung der gleichwertigen Stufen bei der Entwicklung der Verte-
braten mit mesoblastischen Eiern; der Rand der Gastrula ist Urmund und
existiert als sogenannter Umschlagsrand der Keimscheibe bei Selachiern, Rep-
tilien und Vögeln. — Herr Waldeyer fragt, was Herr Selenka beim Ei der
Knochenfische als Prostoma auffasse. Herr Selenka entgegnet, dass die Ein-
stülpungsstelle ein Teil des Prostoma sei, dass dieses aber selbst sich am Ei
der Makropoden nicht abgrenzen lasse. — Herr Hasse (Breslau) fragt, wie
die bisherigen Vortragenden sich die mechanischen Ursachen der Gastrulation
vorstellen. — Herr Häckel (Jena) entgegnet, dass die Gasträa phylogenetisch
aus der Blastulaform durch Arbeitsteilung entstanden sei, indem die einschich-
tige Blase in eine Gasträa sich umwandelte mit einem deckenden äußern und
einem resorbierenden innern Blatte Für ihn seien durch die in der heutigen
Sitzung gemachten Mitteilungen die Schwierigkeiten beseitigt, welche einer
einheitlichen Auffassung der Gastrulation der Wirbeltiere bisher noch im
Wege gestanden hätter.
Sektion für Hygieine.
1. Sitzung. Herr Hermann Cohn (Breslau): „Veber die für die
Arbeitsplätze notwendige Helligkeit“. Bei der Berechnung der für
Arbeitsplätze nötigen Helligkeit handelt es sich nicht darum, bei wie schwacher
Beleuchtung man noch allenfalls im stande ist zu lesen oder zu schreiben,
sondern bei welchem Lichtquantum man leicht und ohne Anstrengung lesen
kann. Der Vortragende stellte daher fest, wie rasch man bei verschiedenen
Beleuchtungsgraden eine Tafel lesen könne, auf welcher 36 Haken mit Oefl-
nungen nach rechts, links, oben und unten vorhanden sind. (Diese Tafel ist
von Priebatsch’s Buchhandlung verlegt.) Die Helligkeit der Tafel wurde nach
Meterkerzen mittels Weber’s vorzüglichem Photometer bestimmt. (Dieses ist
von Schmidt & Hänsch zu beziehen.) Mit 1 MK (Meterkerze) bezeichnet
Weber die Helligkeit eines Papiers, welches 1 m gegenüber von 1 Normal-
kerze aufgestellt wird. Der Vortragende fand nun bei der Prüfung einer An-
zahl von Aerzten, dass von den 36 Haken gelesen wurden bei
nn
j
4
i
Landolt, Kleine Organismen im Boden. 699
1 MK: 0—12 Haken in 40—60 Sek. mit sehr vielen Fehlern,
Se 364, „48—73 „ mit vielen Fehlern,
10 sus Söeh „ 30—60 „ mit einzelnen Fehlern,
ROSE, a „ 22—26 „ richtig,
aD 5 36,1 „ 17—25 ,„ richtig, wie bei gutem Tageslicht.
Wünschenswert sind also für Arbeitsplätze 50 MK; als Minimum verlangt der
Vortragende 10 MK. Es existiert eine innige Beziehung zwischen der Tages-
beleuchtung eines Platzes und dem Raumwinkel, welchen man mit einem
sinnreichen Instrumente von Weber messen kann. Zum leichtern Verständ-
nisse der etwas schwierigen stereometrischen Verhältnisse, um die es sich
beim Raumwinkel handelt, konstruierte der Vortragende zwei Modelle, welche
er vorlegt. Man misst den Raumwinkel in Quadratgraden. Aus Hunderten
von Messungen des Raumwinkels und des Tageslichtes kam der Vortragende
zu dem Schluss, dass man an Plätzen, welche weniger als 50 Quadratgrade
Raumwinkel haben, an trüben Tagen weniger als 10 MK Helligkeit zu erwarten
hat. Man braucht also in einer Klasse, einem Arbeitssaal, einer Werkstatt ete.
nur mit dem Raumwinkelmesser zu prüfen, welche Plätze noch 50 Quadratgrade
geben, und kann so in wenigen Minuten bestimmen, welche Plätze zur Arbeit
noch zu gestatten sind. Für künstliches Licht müssen ebenfalls 10 MK als
Minimum gefordert werden. Die Messungen des Vortragenden haben aber er-
geben, dass bei den gebräuchlichen Gas-, Petroleum- und Glühlampen selbst
die besten Glocken das Papier nur so beleuchten, dass es nur in einer Ent-
fernung von !/, Meter von der Flamme noch eben 10 MK hat. Darauf
ist also bei der Abendarbeit sorgsam Rücksicht zunehmen. Mehr Licht schadet
gewiss nicht. Natürlich bleibt es sich gleich, ob Gas, Petroleum oder elek-
trisches Licht verwendet wird, wenn es nur nicht zuckt und nicht zu heiß ist.
Das neue Auer’sche Gasglühlicht, welches vorgezeigt wird, teilt mit
dem elektrischen die Kühle, übertrifft es aber dadurch, dass es nicht zuckt.
Allerdings hat es bei den jetzigen Bunsen-Brennern, die allerdings auch be-
deutend weniger Gas brauchen, noch eine geringere Lichtintensität als die
modernen Albert-Brenner. In jedem Falle achte man darauf, dass kein
Arbeitsplatz weniger als 10 MK Helligkeit habe.
Sektion für landwirtschaftliches Versuchswesen.
1. Sitzung. Herr Landolt (Berlin): Ueber die chemischen Um-
setzungen im Boden unter dem Einflusse kleiner Organismen.
Redner betont die chemische Seite. Derselbe teilt die Resultate einiger
Versuche betreffs der Frage mit, ob Bildung von Nitriten und Nitraten bei
Einwirkung von Ammoniak und Luft auf Alkalien auch ohne Gegenwart von
Organismen stattfinden kann, wie dies nach frühern Angaben von Dumas der
Fall zu sein schien. Es ergab sich, dass bei vollständiger Sterilisierung aller
Materialien niemals Salpeter entsteht. Von fein zerteilten Körpern wirkt allein
das Platinschwarz nitratbildend. Ackererde verursacht im sterilisierten Zu-
stande die Oxydation des Ammoniaks nicht, im gewöhnlichen dagegen sowohl
im Dunkeln wie im Lichte. — Korreferent Herr Frank (Berlin) hat durch die
in der Mykologie üblichen Kulturmethoden die im Erdboden lebenden Organismen-
formen und deren Entwicklung zu ermitteln gesucht. Geprüft wurden Natur-
böden und zwar ein humusreicher Kalkboden, humoser Sandboden, Lehmboden
(Marsch-), Wiesenmoor, Boden von der Schneekoppe. Außer wechselnden
700 Hellriegel, Stickstoffquellen der Pflanze.
Hyphomyceten findet sich konstant ein und derselbe Spaltpilz in folgenden
nacheinander auftretenden Zuständen: Leptothrix, Bacillus, Bacterium, bisweilen
auch Zoogloea-Bildung; zuletzt regelmäßige Sporen, die dann wieder zu neuen
Bacillen oder Bakterien auskeimen. Uebergangszustände zwischen den Dicke-
graden 0,6—1,3 « sind konstatiert. Ref. sieht darin eine neue Bestätigung
der morphologischen Wandelbarkeit der Spaltpilzformen. Die Frage, ob die
im Erdboden stattfindende Nitrifikation des Ammoniaks durch die Thätigkeit
dieser Organismen erfolgt, ist in der Weise untersucht worden, dass in reine
sterilisierte Chlorammoniumlösung mit den nötigen Pilznährstofflösungen etwas
von reingezüchtetem Material von Bodenpilzen eingeimpft wurde; das Resultat
war allgemein negativ. Auch wenn sterilisiertes Kalkkarbonat zugesetzt war,
nitrifizierten die Bodenpilze nieht. Wenn in die mit dem Pilze infizierte Chlor-
ammoniumlösung Erdboden gebracht wurde, so fand allerdings Nitrifikation statt,
aber derselbe Boden zeigte auch im sterilisierten Zustande, und selbst, nach-
dem er geglüht war, ohne Zusatz des Pilzes Salpetersäurebildung. In allen
Fällen war also der Erdboden, und nicht seine Mikroorganismen, das 'T'hätige
bei der Nitrifikation.
Herr Hellriegel: Welche Stickstoffquellen stehen der Pflanze
zugebote? Die Gramineen sind mit Bezug auf ihre Stickstoffnahrung auf
den Boden allein angewiesen. Die einzige Form, in der sie den Stickstoff auf-
nehmen, ist die der salpetersauren Salze. In dieser Form ist der Stickstoff
für die Gramineen direkt assimilierbar und seine Wirkung quantitativ, d.h.
die Produktion steht immer in gradem Verhältnisse zur gegebenen Menge
Salpeterstickstoff. Die Uruciferen, Chenopodiaceen und Polyponeen verhalten
sich den Gramineen gleich (näher geprüft der weiße Senf, Rübsam, Zucker-
rüben und gemeiner Buchweizen). Die Papilionaceen sind mit dem Bezug der
Stickstoffnahrung nicht auf den Boden angewiesen. Die Stickstoffquellen,
welche die Atmosphäre bietet, können allein schon genügen, dieselben zu einer
normalen, ja üppigen Entwicklung zu bringen. Es sind nicht die in der Luft
vorhandenen geringen Mengen gebundenen Stickstoffs, welche die Ernährung
der Papilionaceen bewirken, sondern der elementare Stickstoff der Atmosphäre
tritt hierbei in Mitwirkung; und zwar stehen mit der Assimilation desselben
die sogenannten Leguminosenknöllchen in direkter Beziehung. Leguminosen-
knöllchen und Wachstum der Papilionaceen in stickstofffreiem Boden lassen
sich willkürlich hervorrufen durch Zusatz von geringen Mengen Kulturboden
und verhindern durch Ausschluss von Mikroorganismen. Bei verschiedenen
Papilionaceenarten wirkt nur der Zusatz von gewissen Bodenarten Knöllchen
bildend und Wachstum fördernd. Salpetersaure Salze werden zwar auch von
den Papilionaceen assimiliert, ob aber eine ganz normale Entwicklung der
Pflanzen allein mit Hilfe derselben möglich ist, erscheint noch fraglich. (Diese
Sätze werden durch Vorlage von Zahlen und Beweispflanzen erläutert, welche
Missverständnisse, die aus den kurzen Sätzen entstehen könnten, vermeiden,
leider aber des geringen gebotenen Raumes wegen nicht hier Platz finden
können.) — Korref. Herr Franck gibt eine historische Entwicklung der bis-
her vorhandenen Resultate bezüglich der Stickstoffaufnahme der Pflanzen. —
Herr E. von Wolff bestätigt unter Mitteilung eigner Versuche im wesent-
lichen an Hafer, Sanderbsen, Rotklee, Ackerbohnen und Kartoffeln die von
Hellriegel gefundenen Resultate.
Biedert, Eiweißkörper der Menschen- und Kuhmilch. 701
Sektion für Pädiatrie.
2. Sitzung. Herr Biedert (Hagenau): Mitteilungen über die Eiweiß-
körper der Menschen- und Kuhmilch (insbesondere nach von Dr. Schrö-
ter am Hagenauer Bürgerspital angestellten Untersuchungen). Durch einen von
Hoppe-Seyler begonnenen Streit über Fällung der Menschenmilch durch
Magnesiumsulphat angeregt, haben die Untersuchungen Ergebnisse von wei-
terem Interesse gehabt, weshalb sie mitgeteilt werden. Redner weist die be-
deutenden Unterschiede in dem Verhalten von Menschen- und Kuhmilch ein-
gehend nach. Speziell bilde sich damit nur höchst geringe Ausscheidung ge-
wisser Stoffe Nr. I, nachher noch Nr II = Paraglobulin (mit Essigsäure),
Nr. IT = Laktalbumin durch Kochen, Nr. IV = vielleicht Pepton (mit Tannin).
Bei einer quantitativen Bestimmung der einzelnen Stoffe stellt sich die Unbrauch-
barkeit des von Tolmatscheff angegebenen Verfahrens heraus. Als wich-
tiger Befund aber ergibt sich, dass in der Menschenmilch die durch Magnesium-
sulphat nicht fällbaren Stoffe Nr. II, III und IV merklich erheblicher sind, als
in der Kuhmilch, und ebenso die durch Magnesia fällbaren Stoffe Nr. I über-
treffen, während umgekehrt in der Kuhmilch Nr. I sogar das Fünffache von
Nr. I, II und IV zusammen beträgt. Unter allen Umständen zeigt demnach
diese außerordentliche Verschiedenheit des Mengenverhältnisses der einzelnen
Stoffe in der Menschen- und Kuhmilch eine wesentliche Verschiedenheit des
Gesamteiweißkörpers beider Milcharten an. Dies ist der wesentliche, von
Biedert schon lange als Grund der verschiedenen Verdaulichkeit beider
Milcharten nachgewiesene Pnnkt, der sich auch bei allen frühern Autoren mit
ununterbrochener Regelmäßigkeit ergeben. Dogiel hat versäumt, die Mengen-
verhältnisse des von ihm mit Säure gewonnenen Körpers zu untersuchen; dass
aber durch Säurebehandlung das Menscheneiweiß dem der Kuhmilch sehr ähn-
lich wird, hat Biedert früher schon gefunden. Die Anschauung Dogiel’s,
dass es nur auf den Salzgehalt ankomme, wird durch sein eignes Ergebnis
widerlegt, dass nach entsprechender Salzausgleichung in der Menschenmilch
zwar gröbere Koagulationen entstehen, aber doch nur die bei erhöhter Tem-
peraturfüllung möglich ist, nach E. Pfeiffer, wie in der unversetzten Menschen-
milch. Ausgezeichnet wird die unbedingte Verschiedenheit des Menschen- und
Kuhmilcheiweißes erwiesen durch die beträchtlich verschiedenen Resultate der
Verdauungsversuche Dogiel’s zu ungunsten der letzten. Aus allen von
1869—1885 gleichlautenden Untersuchungsresultaten geht demnach die Zweifel-
losigkeit des von Biedert aufgestellten Satzes über die Verschiedenheit von
Menschen- und Kuhmilch-Eiweiß hervor. — Herr Pfeiffer (Wiesbaden): Die
Fällung durch Magnesia sulfuriea ist für die praktische Analyse nicht zu ver-
wenden, da sie zu unsicher ist. Praktisch ist es am besten, die Ritthausen’-
sche Methode anzuwenden. — Herr Soltmann (Breslau) kann Pfeiffer’s
Untersuchungen vollauf bestätigen. Das B-Kasein der Kuhmilch, identisch
mit dem Muttermilchalbumin, ist kein Albumin, wie man leicht beweisen kann.
Aber die Darstellung des B-Kaseins kann vielleicht auch auf mechanischem
Wege hergestellt werden aus Kuhmilch und diese dann leichter verdaulich
machen. Inbezug auf die Gerinnbarkeit wenigstens wissen wir, dass Kochen
inSoltmann’s Apparat das Kasein wesentlich leichtflockiger und dünnflockiger
gerinnen macht und damit auch verdaulicher. S. fragt, ob darüber Erfahrungen
vorliegen. — Herr Biedert (Hagenau) bestätigt noch aufgrund der mit-
702 Biedert, Eiweißkörper der Menschen- und Kuhmilch.
geteilten Untersuchungen, dass Albumin nieht oder höchst geringfügig in der
Milch nachweisbar ist, insbesondere in der Kulhmilch. Herrn Soltmann
gegenüber weist er auf eigne und andere Versuche hin, welche die Schwer-
verdaulichkeit auch der feinkoagulierten Kuhmilch beweisen. (Eine wirklich
wirksame Feingerinnung wird nur durch die Untermischung von feinemulgiertem
Fett des Rahmes erreicht.) — Herr Happe (Hamburg): Das halbstündliche
Kochen der Kuhmileh macht dieselbe verdaulicher; dabei muss die Wasser-
menge berechnet werden, die verkocht wird und zur Verdünnung notwendig
ist. Dann muss man von demselben Quantum Milch, welches täglich verbraucht
wird, ebenso viel Milch dazu abrahmen, um eine leicht verdauliche Milch zu
bekommen. — Herr Thomas (Freiburg i. B.) macht auf die Soxhlet’schen
Mitteilungen aufmerksam, die darin gipfeln, dass Kuhmilch stets stark ver-
unreinigt, Muttermilch rein in den Magen des Kindes kommt. Der Wert des
Kochens beruht auf der Zerstörung der Keime, wenigstens eines größern Teiles
der Keime. — Herr Biedert: Die Soxhlet’sche Annahme von der alleinigen
Bedeutung der Pilzverunreinigung der Milch ist schon einmal dagewesen bei
Hessling u. a. und abgethan worden. Auch trinken am Euter von Ziegen,
deren Milch auf die Kuhmilch herauskommt (nicht Eselinnen), ist trotz dieser
Analogie mit der Brusternährung missglückt. — Herr Raudnitz (Prag) ver-
tritt die Anschauungen Soxhlet’s. — Herr Heubner (Leipzig): Ich möchte
doch davor warnen, ein allzu großes Gewicht auf die sogenannte Gerinnbarkeit
in großen Flocken als Ursache der schlechten Verdaulichkeit der Kuhmilch
anzusehen. Die allervornehmlichste Ursache der so sehr mangelhaften Verdau-
lichkeit beruht doch wohl auf der Verunreinigung der Kuhmilch durch die
vielen Manipulationen, die mit ihr vorgenommen werden, nachdem sie das Euter
verlassen. Der Hauptnutzen der sogenannten Trockenfütterungsmilch in den
großen Städten scheint mir der zu sein, dass die Milch, ohne umgeschüttet zu
werden, in das für das Kind bestimmte Kochgefäß kommt. Die grobe Koagu-
lation der Milch kommt auch bei Ernährung mit Muttermilch vor, wie man an
den Entleerungen konstatieren kann. Trotzdem gedeihen solche Kinder ge-
wöhnlich ganz gut. — Herr Bernheim (Würzburg): Die hier debattierte
Frage: „Worin liegt die Ueberlegenheit der natürlichen Ernährung gegenüber
der künstlichen?“ ist nach Soxhlet’s schönen Arbeiten vielmehr so zu fassen:
„Würde die Frauenmilch der Kuhmilch gegenüber diese Ueberlegenheit zeigen,
wenn sie unter denselben Infektionsbedingungen wie die Kuhmilch in den
Handel käme?“. Dies ist zu verneinen. — Als sprechendes Beispiel für das
Unwichtige des stofflichen Unterschiedes diene als allbekanntes Beispiel aus
der landwirtschaftlichen Praxis: Kälber, welche künstlich mit Kuhmilch auf-
gezogen werden, erkranken grade so häufig an gefährlichen Diarrhöen wie
Kinder, welche künstlich genährt werden. Die beste Therapie dagegen ist das
Anlegen an das Euter, grade wie bei Kindern das Anlegen an die Brust. —
Herr Henoch (Berlin) macht auf die Fälle von gemischter Ernährung auf-
merksam, in denen gar keine Dyspepsie eintritt, eine Thatsache, welche auch
gegen die große Bedeutung der chemischen Unterschiede spricht. — Herr
Thomas erinnert an die Pariser Beobachtungen bei hereditär-syphilitischen
Kindern, welche ja sonst bei der gewöhnlichen künstlichen Ernährung sehr
große Mortalität aufweisen, aber gedeihen, wenn sie direkt an die Euter von
Kaschmirziegen (Zuruf: Eselinnen!) regelmäßig angelegt wurden. — Herr Dorn-
blüth (Rostock) hat beobachtet, dass ein Kind, welches gewöhnlich gekochte
Milch nicht vertrug, pasteurisierte gut verdaute und dabei gedieh, und dass
Wechsel in dieser Behandlung der Milch wiederholt die gleichen Folgen hatte. —
Krause, Veränderungen der Nerven und des Rückenmarks. 703
Herr Biedert (Hagenau): Sämtliche Reden von Herrn Heubner ab, die für
Erhitzung der Milch gegen mich zu sprechen glauben, sprechen nach falscher
Richtung. Ich habe mich heute programmmäßig auf die chemische Seite be-
schränkt. Niemand in Deutschland schätzt höher das Intakthalten der Kuh-
milch. Aber auch wo dies tadellos geschieht, machen sich praktisch die Unter-
schiede von der Muttermilch geltend. Nicht Zersetzung oder chemische Ver-
schiedenheit beeinträchtigen die Kuhmilch, sondern Zersetzung und chemische
Verschiedenheit.
Sektion für Otiatrie.
1. Sitzung. Herr Jos. Gruber (Wien): Zur Anatomie des Hör-
organs. Redner bespricht die anatomischen Verhältnisse in der Gegend des
runden Fensters der Schnecke. Er weist nach, dass die bisherigen Anschau-
ungen, wonach der Labyrinthraum am mazerierten Schläfenbeine mit der
Trommelhöhle einzig und allein durch das runde Fenster kommuniziere, un-
richtig ist. Es zeigt sich nämlich, dass auch der Vorhof und die obere Treppe
der Schnecke durch einen am Boden der Trommelhöhle befindlichen Spalt auf
dem Wege der Nische des runden Fensters mit der Trommelhöhle kommuni-
ziere. Im frischen Zustande wird dieser Spalt durch den Anfangsteil des
Duetus cochlearis, welcher nach unten von der Auskleidungsmembran der
Nische des runden Fensters überzogen ist, ausgefüllt. Eine schwache Schweins-
borste kann im Normalen mit größter Leichtigkeit von der Nische des runden
Fensters aus in den Vorsaal geführt werden, wo man sie dann nach Wegnahme
des Steigbügels wiederfindet. Gruber weist auf die Wichtigkeit dieser Ver-
hältnisse, welche an getrockneten und frischen Präparaten demonstriert werden,
in physiologischer, pathologischer und therapeutischer Beziehung hin und be-
tont ganz besonders, dass man in klinischer Beziehung der Nische des runden
Fensters die größte Aufmerksamkeit zuwenden möge.
Sektion für Chirurgie.
1. Sitzung. Herr F. Krause (Halle): Ueber Veränderungen der
Nerven und des Rückenmarks nach Amputationen. Nach Ampu-
tationen atrophieren nur sensible Nervenfasern in den Nerven der Stumpfe.
Die Atrophie besteht darin, dass das Mark seine normalen Beschaffenheiten
und Reaktionen verliert und erheblich im Durchmesser verringert wird. Auch
der Axenzylinder atrophiert, bleibt aber selbst nach 10 Jahren noch nachzu-
weisen. Diese qualitative Veränderung geht bis zum Spinalganglion, oberhalb
desselben ist nur eine quantitative Veränderung vorhanden und zwar eine Ver-
schmälerung der Hinterstränge (nach Amputation einer Unterextremität im
Lenden- und Brustmark, nach Armamputation im Halsmark). Ferner nehmen
die Ganglienzellen in den Clarke’schen Säulen nach Beinamputationen an
Zahl ab, ebenso die Ganglienzellen in der hintern lateralen Gruppe des Vorder-
horns der Lendenanschwellung. Nach Armamputation ist die Verschmälerung
des Hinterstrangs im ganzen Halsmarke sehr deutlich.
704 Zuntz, Alkohol und Stoffwechsel.
Physiologische Gesellschaft zu Berlin.
Sitzung vom 10. Dez. 1886.
Herr N. Zuntz hält den angekündigten Vortrag: Ueber die Einwir-
kung des Alkohols auf den Stoffwechsel des Menschen (nach
Versuchen mit Dr. Berdez aus Lausanne). Der Widerspruch, welchen Bod-
länder (Zeitschrift f. klin. Medizin, XI, H. 5—6) gegen die von Wolfers im
Laboratorium des Referenten gefundene Steigerung des O-Verbrauches nach
Alkoholzufuhr erhoben hat, gab Anlass zu einer neuen Untersuchung der Frage.
Es sollten die frühern Tierversuche ergänzt und kontroliert werden durch
Versuche am Menschen. Das Arrangement der letztern basierte auf einem
vom Vortragenden im Verein mit Herrn Dr. Geppert ausgearbeiteten Ver-
fahren. Das Volum der Luft, welche der durch ein Mundstück und passende
Ventile atmende Experimentator exspiriert, ward durch eine Gasuhr gemessen
und ihr Gehalt an Sauerstoff und Kohlensäure durch genaue Analyse einer
Durchschnittsprobe festgestellt. Es wurde sorgfältig darauf geachtet, dass
während des Versuchs keine Muskelthätigkeit stattfinde. Das Ergebnis war
im Einklang mit den Befunden von Wolfers eine Zunahme des Volums der
Atemluft um 9°/,, des Sauerstoffverbrauchs und der Kohlensäure-Ausscheidung
um 3,5%, unter der Einwirkung von 20—30 cc Alkohol. Diese Steigerung dürfte
geringer sein, als die, welche man nach Aufnahme einer größern Menge fester
Nahrung beobachtet (vgl. Henrijean, Bullet. de l’Acad. belg., 1883), so dass
sie nur bei Vergleich der Respiration nach Alkoholzufuhr mit der im nüch-
ternen Zustande bemerkbar wird, während der Alkoholisierte, verglichen mit
dem Zustande der Verdauung nach Aufnahme einer reichlichen Mahlzeit, viel-
leicht geringern Sauerstoffverbrauch zeigt.
Im Verlage von Paul Frohberg in Leipzig erscheint:
Anthropologie
Dr. Paul Topinard.
Nach der dritten französischen Auflage
übersetzt
von
Dr. Richard Neuhauss.
Mit 52 in den Text gedruckten Abbildungen.
In 6 Lieferungen a 1 Mark 80 Pf.
Lieferung 1 liegt in allen Buchhandlungen zur Ansicht aus.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
Biologisches Gentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Prof. der Physiologie in Erlangen.
24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
VL Band. Nr. 23.
hnehruar 1asd
Inhalt: Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. — Imhof, Poren an
Diatomaceenschalen und Austreten des Protoplasmas an die Oberfläche. —
Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in nicht geschlossener oder geschlossener
Strombahn? — Brieger, Untersuchungen über Ptomaine (Fortsetzung). —
Aus den Verhandlungen gelehrter %esellschaften: 59. Versammlung
deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin.
Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie.
Von Wilhelm Haacke in Adelaide.
In nieht allzu ferner Zeit gedenke ich unter dem Titel „Biöko-
graphie, Museenpflege und Kolonialtierkunde“* ein Werkchen heraus-
zugeben, welches drei Zwecke verfolgt. Es will erstens auf die hohe
Bedeutung der Biökographie oder der Wissenschaft von den Wechsel-
beziehungen der Tiere zu Tieren, der Pflanzen zu Pflanzen, der Tiere
zu Pflanzen und der Organismen zu Anorganen hinweisen, eine Wis-
senschaft, welche noch ziemlich unangebaut daliegt; es will zu zeigen
versuchen, von welcher hohen Bedeutung diese Disziplin nicht nur
für die Gesamtwissenschaft, sondern auch für Staatsbürgererziehung
und Pädagogik ist. Zweitens aber will mein Werkchen darauf hin-
weisen, dass die Biökographie zweckmäßigerweise besonders durch
die naturkundlichen Museen zu pflegen ist, wie denn überhaupt die
Aufgaben der Museen, ihre zweckentsprechende Einrichtung und die
Organisation des Museumwesens in Verbindung mit Reformvorschlägen
besprochen werden sollen. Endlich will ich die Notwendigkeit her-
vorheben, dass die von Deutschland, England und Frankreich neuer-
dings erworbenen jungfräulichen Länder von vornherein einem sorg-
fältig ausgearbeiteten Erforschungsplane entsprechend aufzuschließen
sind für alle Wissenschaften und nach jeder Richtung hin. Wie dies
insbesondere für die Zoologie, eine Wissenschaft, die von ihr fern
Stehenden nur zu leicht unberücksichtigt gelassen wird, zu geschehen
hat, werde ich einer speziellen Besprechung unterziehen.
VI. 45
706 Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie.
Zum Zwecke der Begriffsbestimmung und Gebietsabgrenzung der
Biökographie erschien es mir notwendig, das Verhältnis der Biologie
zu andern Wissenschaften und ihrer Teile zu einander zu erörtern,
eine Aufgabe, welche mir überhaupt eines erneuten Lösungsversuches
zu bedürfen scheint. Ich bin dabei zu einigen unvorhergesehenen
Resultaten gekommen, die mir auch für weitere Kreise einiges Interesse
darzubieten scheinen. Deshalb glaube ich im Biologischen Central-
blatte die Veröffentlichung der folgenden Blätter, die ursprünglich
die Einleitung zu meiner geplanten Abhandlung über Biökographie
bilden sollten, mir jetzt aber für diesen Zweck einer Umarbeitung zu
bedürfen scheinen, wagen zu dürfen. Ich habe nur die unerläss-
liehsten Aenderungen vorgenommen; eine Reihe von Fragen, die sich
dem Leser vielleicht aufdrängen werden, wird er später in meinem
Werkchen selbst beantwortet finden.
Die Biökographie ist ein Teil der Biographie. Diese Wissen-
schaft kann sowohl als ein Zweig der Biologie wie der Geographie
betrachtet werden. Mit Biologie bezeichnen wir die Gesamtwissen-
schaft von den Lebewesen, den Pflanzen und Tieren; wollen wir aber
den Gegenstand der Geographie mit wenigen Worten angeben, so
befinden wir uns sofort in beträchtlicher Verlegenheit. Das Gleiche
widerfährt uns, wenn wir die Biökographie einem der gegenwärtig
gewöhnlich unterschiedenen beiden Hauptzweige der Biologie zuweisen
wollen. Wir wissen nicht von vornherein, ob wir sie als Teil der
Morphologie, der Wissenschaft von den Gestaltungsverhältnissen der
Organismen, oder der Physiologie, der Wissenschaft von ihren
Lebensthätigkeiten, zuweisen sollen. Vielleicht möchten beide die
Biökographie mit Beschlag belegen, vielleicht auch will keine mit ihr
etwas zu thun haben. Inbezug auf Unsicherheit ihrer Zugehörigkeit
hat aber die Biökographie eine Schicksalsgenossin an der Ontogenie,
der Wissenschaft von den Gestaltungen, welche der sich entwiekelnde
Tier- und Pflanzenkörper vom Ei bis zur Reife durchläuft. In dieser
Wissenschaft haben die Morphologen bis jetzt die Hauptarbeit ge-
than, wofür ihnen von einigen Physiologen dadurch gedankt wird,
dass man ihnen Imkompetenz vorwirft. Da sich auch mit der Biöko-
graphie besonders die Morphologen beschäftigt haben, so wird der-
selbe Vorwurf vielleicht noch einmal wiederholt werden. Und wie
stellt sich zu unserer Wissenschaft die Geographie, von der viele
nicht wissen, ob sie zur Geologie oder zur „Weltgeschichte“ gehört,
und die es außerdem noch mit Astrographie, Hydrographie und Aero-
graphie, wie Botanik, Zoologie und Anthropologie zu thun hat?
Neuere Versuche, das Verhältnis der Morphologie zur Physiologie
und beider zur Ontogenie festzustellen, haben zu keinem befriedigen-
den Ergebnisse geführt. Es befinden sich diese Wissenschaften immer
noch in einem unerquicklichen Zustande ungenügender gegenseitiger
Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 707
Abgrenzung, und dasselbe gilt von der Geographie, deren Gebiet von
einer Reihe anderer Wissenschaften für sich in Anspruch genommen
wird. Haben auch die berufenen Vertreter der Geographie ihre Auf-
gabe voll und ganz erkannt, so ist es doch, wie mir scheint, noch
keinem gelungen, eine bündige Begriffsbestimmung seiner Wissenschaft
zu liefern. Fragen wir endlich, was Physik und Chemie über unsere
und andere Wissenschaften zu sagen haben, so müssen wir uns
vielleicht auf ein mitleidiges Achselzucken gefasst machen. Nicht
alle Wissenschaften können, wie Chemie und Physik, mit Maß und
Zahl arbeiten, und viele Vertreter der letztern wollen nur ihre Methode
als wissenschaftlich gelten lassen. Wollen wir also unsern Bestre-
bungen zugunsten der Biökographie Berücksichtigung erkämpfen,
so müssen wir nachweisen, dass sie ein integrierender Zweig einer
allumfassenden Weltkunde ist. Wir dürfen, wollen wir zur Klarheit
gelangen, den Versuch nicht scheuen, das ganze Gebiet menschlicher
Wissenschaft mit einem Blicke zu umfassen. Zu diesem Zwecke hat
sich mir ein neuer Weg empfohlen: ich will zunächst eine Reihe von
Wissenschaften mit einer umfassenden Maschinenkunde vergleichen.
Um eine spezielle Maschine, etwa eine Lokomotive, vollständig
zu verstehen, müssen wir zuvörderst ihre Bewegungen durch die Ge-
setze der Physik und Chemie zu erklären suchen. Sind uns die in
betracht kommenden Gesetze unbekannt, so haben wir zunächst da-
nach zu streben, sie uns zu eigen zu machen. Aber wenn uns dieses
auch vollständig gelungen ist, so fehlt uns noch fast alles zum voll-
ständigen Verständnisse unserer Maschine. Die Gesetze der physi-
kalisch- chemischen Mechanik gelten für alle Maschinen. Unsere Ma-
schine ist aber vielleicht von allen andern verschieden. Es gilt daher,
ihren Bau zu erkunden, ihre einzelnen Teile und die Gruppierung
derselben kennen zu lernen. Indess, wie der Stab nur dann ein
Hebel ist, wenn durch ihn eine Kraft auf eine Last einwirkt, so
existiert die Maschine nur dann, wenn sie Arbeit leistet, wenn sie
sich bewegt. Bei der Bewegung verschieben sich aber die einzelnen
Teile der Maschine gegen einander, sie durchlaufen eine zusammen-
hängende Reihe von verschiedenen Gruppierungsmodifikationen, deren
letzte von einer der ersten gleichen gefolgt wird. Wir fordern den
Nachweis, dass jedes Glied dieser Reihe durch das vorhergehende
bedingt ist und das nachfolgende bedingt. Erst wenn dieser Nach-
weis erbracht ist, ist uns die Maschine kein Fremdling mehr. Wenn
wir aber auch danach forschen müssen, welche Naturgesetze bei
unserer Maschine in betracht kommen, so bleibt sie uns doch unver-
ständlich, so lange wir nieht die immer wiederkehrende Reihe von
Bewegungskomplexen kennen, welche die Maschine uns vorführt.
Wir wollen eben die vor uns stehende Maschine, nicht nur die Gesetze
der Physik und Chemie kennen lernen, und so dankbar wir dem
Lehrer auch sind, der uns die letztern kennen lehrt, so darf doch
45*
08 Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie.
darum unsere Dankbarkeit gegen den Mann, der uns einen Einblick
in das verwickelte Getriebe der Maschine gestattet, keine geringere
sein; nötig haben wir beide, oder vielmehr einerseits eine Maschinen-
gesetzeskunde, die auf alle Maschinen ihre Anwendung findet, ander-
seits eine Maschinenbeschreibung, die für jede Art von Maschinen
eine andere ist. Mit andern Worten, wir müssen eine generelle und
eine spezielle Maschinenkunde unterscheiden. Physiker und Chemiker
können nur die erstere, Maschinenkundige müssen nur die letztere
liefern. Aber während jene nicht verschieden von der Physik und
Chemie überhaupt sein kann, da uns, wollen wir nicht häufig in Ver-
legenheit geraten, eine vollständige Kenntnis der elementaren Natur-
gesetze nötig ist, so darf diese uns nicht bloß Augenblicksbilder der
verschiedenen Maschinen liefern, vielmehr muss uns eine erschöpfende
Maschinenbeschreibung sämtliche Phasen eines jeden Bewegungs-
systems, das wir Maschine nennen, vor Augen führen und in Kausal-
nexus bringen.
Mit der Kenntnis der Naturgesetze und einer Beschreibung der
fertigen Maschinen ist es aber noch nicht genug. Wir wollen wissen,
wie die Maschine hergestellt wird. Zu diesem Zwecke begeben wir
uns in die Werkstätten der Maschinenbauer und betrachten die Reihen
von Umformungen, welche das Rohmaterial zu durchlaufen hat, bevor
es sich zur Maschine zusammenfügt. Wir gewinnen eine Beschreibung
des verwickelten Ganges dieser Prozesse und ziehen Chemie und
Physik zur Erklärung heran.
Haben wir so das Werden der Maschinen aus dem Rohstoffe
verfolgt, wie wir früher das Werden der einen Bewegungsphase der
Maschine aus der vorhergehenden verfolgten, haben wir in allen
beobachteten Prozessen das Naturgesetz erkannt, so könnte unsere
Aufgabe damit als beendet erscheinen. Gleichwohl ist sie es nicht.
Wohl wissen wir, wie eine Maschine entsteht und arbeitet; wollen
wir aber die hohe Vollendung verstehen, zu der viele Maschinen ge-
langt sind, so müssen wir an der Hand der Geschichte die vollen-
deten Maschinen unserer Tage mit ihren weniger vollendeten Vor-
läufern und den primitiven Erstlingsversuchen der Maschinenbauer
vergleichen. Keine noch so sorgfältige Beschreibung der heutigen
Maschinen, keine noch so tief gehende Kenntnis der Mechanik lehrt
uns die Maschinen ganz verstehen, die historische Forschung muss
hinzukommen. Auf Grundlage der Kulturgeschichte lernen wir erst
verstehen, warum heute solche und keine andern Maschinen — denn
die Zahl der denkbaren Maschinen ist ja unendlich — gebaut
werden.
Eine umfassende Maschinenkunde hat also zu der Kenntnis von
den Gesetzen und der eingehenden Beschreibung der Maschinen und
ihrer Herstellung noch eine Geschichte des Maschinenwesens hinzu-
zufügen.
Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 709
Vergleichen wir jetzt mit einer solchen Maschinenkunde zunächst
die Biologie. Der Organismus des Tieres oder der Pflanze ist mit
einer Maschine vergleichbar. Wie bei der Maschine, so suchen wir
auch beim Organismus alle Erscheinungen auf physikalische und
chemische Gesetze zurückzuführen. Wie die an der Maschine sich
offenbarenden Gesetze ein Gegenstand der Chemie und Physik sind,
so sind es nicht minder die Gesetze, welche den Organismus be-
herrschen. Einer Maschinengesetzeskunde können wir also eine Lehre
von den Gesetzen, auf die sich alle Erscheinungen zurückführen lassen,
gegenüberstellen. Diese Lehre, die wir Bionomie nennen wollen,
ist aber nur eine physikalisch -chemische Disziplin.
Der Maschinenbeschreibung steht die Beschreibung der Organismen
gegenüber. Der Organismus bietet, wie die Maschine, eine Reihe von
periodischen Bewegungserscheinungen dar, und eine erschöpfende Be-
schreibung hat die ganze Reihe zu berücksichtigen und ihre einzelnen
Phasen kausal mit einander zu verknüpfen. Freilich ist die Ent-
wicklungsgeschichte des Organismus gar sehr von derjenigen der
Maschine verschieden, nicht wesentlich aber für unsern Vergleich.
Besitzen wir eine erschöpfende Kenntnis vom Baumateriale des Or-
ganismus und eine nicht minder genügende der in betracht kommen-
den Umstände und physikalisch-chemischen Gesetze, so können wir
uns die Entwicklung des Organismus aus dem Ei und die Bildung
dieses letztern durch den Elternorganismus durchaus ebenso befrie-
digend erklären, wie wir uns die Fabrikation der Maschine aus dem
Rohmaterial erklären können. Der Umstand, dass wir heute noch
nicht dazu im stande sind, ändert nichts an der Stichhaltigkeit unseres
Vergleiches. In der That gehört die Entwicklung des Organismus
zu den an den Organismen beobachteten periodischen Bewegungs-
erscheinungen; sie ist ein Gegenstand der Organismenbeschreibung,
der Biographie.
Aber die sorgfältigste Beschreibung sämtlicher am Organismus
verlaufenden Bewegungserscheinungen und die genaueste Bekannt-
schaft mit den zur Erklärung heranzuziehenden physikalischen und
chemischen Gesetzen vermag uns keine Antwort zu geben auf die
Frage, warum wir auf unserem Planeten in der Gegenwart hier diese,
dort jene, aber eben solehe und keine andern Organismen finden.
Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir die lebenden Tier- und
Pflanzenarten mit den ausgestorbenen, die gegenwärtige Verbreitung
der Organismen mit der frühern vergleichen und überhaupt die ganze
Erdgeschichte in betracht ziehen. So erst entsteht eine Geschichte
des Organismenreiches, eine Biogenie.
Die hier vorgeschlagene Einteilung der Biologie in Bionomie,
Biographie und Biogenie ist neu; durch einen Vergleich mit den
ältern werde ich sie zu rechtfertigen suchen.
Nach bisherigem Gebrauche teilte man die Biologie ein in Mor-
710 Haacke, Biologie, Kesamtwissenschaft und Geographie.
phologie und Physiologie, in die Wissenschaft von den Formen und
in die Wissenschaft von den Lebensthätigkeiten der Organismen.
Man bezeichnete die Morphologie als Statik, die Physiologie als Dy-
namik der Organismen. Erstere, sagte man, habe es mit den Gleich-
gewichtszuständen, letztere mit den Bewegungszuständen im Orga-
nismenreiche zu thun. Aber beide Wissenschaften wollten die am
Lebewesen beobachteten Erscheinungen auf physikalische und che-
mische Gesetze zurückführen.
Dieser Einteilung der Biologie in Statik und Dynamik hat nun
aber von jeher der Umstand Schwierigkeiten in den Weg gelegt,
dass der Organismus sich entwickelt. Die Entwieklung des Tieres
oder der Pflanze führt uns ganz ebenso wie die Organthätigkeit eine
Reihe verschiedener Zustände des Organismus vor Augen, macht uns
mit Bewegungsprozessen bekannt. Danach also würde sie Gegenstand
der Physiologie sein. Nun hat sich aber sehr bald fast ausschließlich
die Morphologie der Entwicklungsgeschichte angenommen und be-
hauptet, dass die Entwicklung der Formen von ihr erforscht werden
müsse, während allerdings die Entwicklung der Funktionen der Or-
gane von der Physiologie zu studieren sei. Man hat aber hierbei
vergessen, dass die Funktionen der Organe durchaus an ihre Form
gebunden sind, und dass eine Entwicklungsgeschichte der Formen
notwendigerweise die zeitliche Reihenfolge der Funktionen ergibt.
Die Funktionen können nicht unabhängig von den Formen bestehen;
kein Muskel kann sich znsammenziehen, kein Auge kann Licht, kein
Ohr Schall empfinden, wenn ihre Struktur nicht eine ganz bestimmte
ist; eine Aenderung der Funktion eines Organs ist in allen Fällen
durch die Aenderung seiner Form bedingt. Es kann aber ebenso
wenig von einer Entwicklung der Funktionen die Rede sein wie
etwa von einer Entwicklung der Gravitation, der Elektrizität, der
chemischen Wahlverwandtschaft. Wohl kann und soll die Physio-
logie den Stoffwechsel, die Muskel-, Nerven- und Sinnesthätigkeit
des unentwickelten Organismus zum Gegenstande ihrer Forschungen
machen, aber eine Entwicklung der Funktionen existiert für sie ebenso
wenig wie für irgend eine andere Wissenschaft.
Demnach wäre aber in der That die Entwiecklungsgeschichte ein
Teil der Formenwissenschaft, der Morphologie. Gewiss kann es sich
einzig und allein nur um die Entwicklung der Form handeln; aber
die Entwicklung führt uns die organische Materie nicht im Zustarde
des Gleichgewichtes, sondern in steter Bewegung vor Augen, sie ist
also nicht Gegenstand der Statik, sondern vielmehr ein Objekt der
Dynamik der Organismen und muss also doch vor das Forum der
Physiologie verwiesen werden. Auf welche Art wir uns dieser Ver-
legenheit auch zu entledigen suchen, es wird uns nie gelingen, so
lange wir an der bisherigen Einteilung der Biologie in Morphologie
und Physiologie, in Statik und Dynamik festhalten.
Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. all
Bei allen Untersuchungen über Organismen, die darauf hinaus-
gehen, im Lebensprozesse die physikalischen und chemischen Gesetze
der anorganischen Natur wiederzuerkennen, kommt die Statik ebenso
häufig in betracht wie die Dynamik. Bei dem Studium der Funktion
der Knochen und Muskeln, des Nervensystems und der Sinnesorgane,
des Darmsystems und der Kreislaufsorgane stoßen wir ebenso oft
auf Gleiehgewichts- wie auf Bewegungszustände; nicht minder auch
bei der Entwicklung des Embryos und beim Inhalt der Zelle. Die
Statik ist ja nur ein Teil der Mechanik, das Gleichgewicht nur ein
spezieller Fall unter allen jenen Fällen, wo Kräfte aufeinander ein-
wirken, und wo es sich um die Erforschung von Naturgesetzen han-
delt. Statik und Dynamik sind also zusammengehörige und unzer-
trennliche Teile der Mechanik, in der Biologie nicht minder wie in
der Maschinenlehre, in der Hydraulik, in der Pneumatik. Deshalb
wollen wir eine Mechanik der Lebenserscheinungen, die Bionomie,
unterscheiden, die ebenso sehr die Gesetze des Gleichgewichtes wie
jene der Bewegung ins Auge zu fassen hat. Sie soll die im Orga-
nismenreiche beobachteten Vorgänge als physikalische und chemische
nachweisen.
Doch wir wissen schon, dass die Bionomie allein uns nicht ge-
nügen kann. Die Gesetze, welche sie uns kennen lehrt, sind die-
selben für alle Organismen. Wir aber wollen mit jeder einzelnen
Organismenart bekannt sein, wir wollen bei jeder jeden unterscheid-
baren Sonderzustand kennen lernen und mit andern Zuständen sowie
mit den jeweiligen Zuständen der umgebenden Natur kausal verknüpft
sehen. Diese Aufgabe fällt der Biographie zu, die also nicht sowohl
ihr gutdünkende Momentanzustände herauszugreifen und zu fixieren,
als vielmehr sämtliche Bilder, welche uns das Organismenreich un-
serer Erde im Wechsel der Jahreszeiten darbietet, uns vor Augen zu
führen und durch den Nachweis zu erklären hat, dass jedes derselben
im Verein mit der übrigen Natur das nachfolgende bedingt, durch
das vorhergehende bedingt wird. Die Biographie soll uns klar
machen, dass sämtliche auf unserer Erde verlaufenden Lebensprozesse
Glieder periodisch sich ändernder Reihen sind, dass die einzelnen
Perioden jeder Reihe einander gleichen, und dass, wenn man alle
verschiedenen Reihen sich der Länge nach aneinander gelegt denkt,
man gleichwohl ein Bündel erhält, dessen Querschnitte periodisch
wiederkehrende Konfigurationen sind, alle miteinander ursächlich
verbunden.
Die Biographie fasst also, wie die Bionomie, Aufgaben zusammen,
welche man früher teils der Morphologie, teils der Physiologie zu-
wies. Sie ist wohl eine beschreibende, aber ebenso sehr eine er-
klärende Disziplin, sie beschreibt und erklärt die periodischen Er-
scheinungen des Lebens.
Indess der Organismus ist ebenso wenig unveränderlich wie die
742 Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie.
mw
Erde. Keine Periode der Erde ist der darauffolgenden oder der
vorhergehenden absolut gleich. Da aber die Unterschiede bei nahe
gelegenen Perioden kaum merklich sind, so hat die Biographie von
diesen Unterschieden abzusehen; wie die Bionomie die Gesamtheit
des Lebens auf der Erde als ein Konglomerat von Einzelprozessen
auffasst, in deren jedem das Naturgesetz zu erkennen ist, so fasst
die Biographie dieselbe als eine Kette sich gleichbleibender Perioden
auf; eine Rücksichtnahme auf die kleinen Unterschiede derselben
würde sie nur verwirren und ist ihrem Wesen fremd. Hier setzt nun
die Biogenie ein. Sie fasst die Gesamtheit der Lebewesen als sich
stetig ändernd auf und weist nach, dass das, was ist, noch nicht da
war, und das, was war, bis jetzt noch nicht wiedergekehrt ist, kurzum,
dass der jeweilige Gesamtzustand der Organismenwelt in rgend einem
andern Moment der Erdgeschichte seines gleichen nicht hat. Von der
Periodizität aller Lebenserscheinungen sieht sie ab; sie hat es mit
einer Reihe von Erscheinungskomplexen zu thun, die sich stetig
ändert, so zwar, dass das zweite Glied dieser Reihe mehr als das
erste dem letzten ähnlich ist, das vorletzte mehr als das letzte dem
ersten gleicht. Zur Erklärung dieser stetig fortschreitenden Verän-
derung zieht auch sie alle Umstände in betracht und physikalische
und chemische, statische und dynamische Gesetze heran.
Bei unparteiischer Würdigung meiner Einteilung der Biologie
wird man mir zugestehen müssen, dass sie dem Wesen dieser Wissen-
schaft besser entspricht als die bisherige Einteilung in Morphologie
und Physiologie, und dass unter den drei Zweigen, die sie unter-
scheiden, Kompetenzstreitigkeiten nieht wohl vorkommen können, dass
alle drei gleich wichtig sind und gleich hoch stehen.
Indess liegt mir die Absicht fern, an der thatsächlichen Ver-
teilung des biologischen Arbeitsmateriales rütteln oder sie auch nur
tadeln zu wollen. Die akademische Unterscheidung z. B. der „Zoo-
logie“, „Anatomie“ und „Physiologie“ hat sich historisch entwickelt
und ist aus praktischen Gründen gerechtfertigt. Nur wollte ich zei-
gen, dass die Inhaber der verschiedenen akademischen Lehrstühle
keinen Grund haben, sich gegenseitig herabzusetzen. Bei wissen-
schaftlichen Problemen kommt die theoretisch zu rechtfertigende Un-
terscheidung der verschiedenen Disziplinen in betracht, nicht die Art
und Weise, wie Stücke derselben auf verschiedene Lehrstühle verteilt
sind. Dass aber die theoretische Einteilung eine mehr und mehr
gesicherte und unanfechtbare werde, muss jeder wünschen, dem der
Fortschritt der Wissenschaft am Herzen liegt.
Ich verspreche mir von meiner am Beispiel der Maschinenkunde
sewonnenen Einteilung der Biologie umsomehr Bestand, als ich glaube
nachweisen zu können, dass auch Astrologie und Geologie, Stereo-
logie, Hydrologie und Aerologie sich demselben Einteilungsprinzipe
fügen.
N
HE Zar
Pe RT pr WE
erg,
Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 18
Bei der Anordnung und Bewegung der Gestirne gilt es, zunächst
die Gesetze aufzufinden, die jene Anordnung erhalten, diese Bewegung
regeln, die Gesetze, welche das Getriebe der Himmelsmaschine be-
herrschen, welche dem Licht- und Wärmestrahl seine Bahn weisen,
nach welchen die Arbeiten in dem chemischen Laboratorium, das
jede Sonne darstellt, ausgeführt werden. Diese Gesetze sind wie-
derum keine andern als die, welche uns Physik und Chemie auch
sonst kennen lehren, und unsere Aufgabe ist es, im Weltenraum nach
Bestätigung dessen zu suchen, was wir aus unsern Experimenten
glauben erkannt zu haben. Die Wissenschaft, welcher wir dadurch
dienen, ist der erste Teil der Astrologie, die Astronomie.
Die Astrographie dagegen, wie die Biographie, hat es mit
der Reihe der periodisch wiederkehrenden Erscheinungsgruppen zu
thun. Indem sie alle Konstellationen einer Periode ursächlich mit
einander verknüpft, gestattet sie uns einen Einblick in den Kreislauf
derselben.
Doch die Bahnen der Gestirne bleiben nicht immer dieselben;
nicht alle Himmelskörper haben zu allen Zeiten eine gesonderte
Existenz geführt, nicht alle werden in Zukunft eine solche führen.
Kometen erscheinen, um nicht wiederzukehren, andere sind als Fremd-
linge gekommen, um dauernd an unser Sonnensystem gefesselt zu
werden. Sonnen leuchten auf und erlöschen; kurz, die so zuverlässige
Periodizität der siderischen Erscheinungen, die beispiellose Pünkt-
lichkeit der Himmelskörper, die uns als bester Wegweiser auf unserer
Erde dient, ist keine absolute. Wie das Leben auf der Erde, so ist
auch die Bewegung der Gestirne einem steten Wechsel unterworfen;
auch hier, wie überall, gelten Göthe’s Worte: „Was da ist, war noch
nie; was war, kommt nicht wieder“. Dieser ewige Wechsel ist der
Gegenstand der Astrogenie, die ihn uns kennen und verstehen
lehrt.
Wie am Himmel, so auf der Erde; ist ja doch die Erde nur ein
Teil des Himmels. Hier wie dort herrschen dieselben Gesetze; freilich
verborgen in mancherlei Gestalt. Sie uns kennen zu lehren ist die
Aufgabe der Geonomie.
Die Periodizität der Himmelserscheinungen verursacht den regel-
mäßigen Kreislauf, den die Erscheinungen auf der Erde darbieten.
Diesen Kreislauf bis in seine Einzelheiten kennen und verstehen zu
lehren fällt der Geographie zu.
Mit ihr werden wir uns weiter unten noch einen Augenblick auf-
halten müssen; vorerst wollen wir bemerken, dass wir hier unter
Geologie die Gesamtwissenschaft von der Erde verstehen, und dass
das, was man sonst unter Geologie versteht, sich im großen und
ganzen mit unserer Geogenie deckt. Die Geogenie lehrt uns, dass
die Erde heute anders ist, als ehedem, dass auch sie eine Entwick-
lung durchgemacht hat, und dass sie trotz des Neuerwachens der
714 Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie.
Natur im nächsten Frühling seit dem letzten Lenze um ein Jahr
gealtert sein wird.
Wie wir in der Astrologie neben der oben gegebenen Einteilung
auch etwa die in Heliologie, Planetologie und Kometologie vornehmen
müssen, so ist es zweckmäßig, in der Planetologie der Erde, in der
Geologie, nieht nur Geonomie, Geographie und Geogenie zu unter-
scheiden, sondern auch noch Stereologie, Hydrologie, Aero-
logie und Biologie. Die erstere Einteilung ist durch die Ver-
schiedenartigkeit der drei möglichen Betrachtungsweisen, die letztere
durch die Verschiedenartigkeit des Gegenstandes, hier aber des
Aggregatzustandes, bedingt. Praktische Gründe machen die letztere
Einteilung ebenso notwendig, wie theoretische die erstere, die ihrer-
seits wieder auf jede der vier Wissenschaften, die wir nach der Ver-
schiedenartigkeit des Aggregatzustandes unterscheiden können, An-
wendung findet. Von der Biologie, die die Erscheinungen des fest-
schleimigen, quellbaren oder plasmatischen Aggregatzustandes zum
Objekte hat, ist dieser schon gezeigt worden; weniger leicht ist es,
den Nachweis auch für Aerologie, Hydrologie und Stereologie zu
liefern; doch wir werden zu zeigen versuchen, dass es möglich ist.
Dass es sich in der Aerologie, die die Zusammensetzung der
Erdatmosphäre und die in ihr stattfindenden Bewegungen zum Gegen-
stande hat, zunächst um die Wiederauffindung der Naturgesetze,
weiterhin aber um die Erkenntnis von periodischen Erscheinungen
handelt, dass es demnach eine Aeronomie und eine Aerographie
geben muss, ist leicht verständlich. Ganz das Gleiche gilt von der
Hydrologie. Auch hier können wir eine Hydronomie und eine
Hydrographie unterscheiden. Sowohl die Bewegungen in der
Atmosphäre wie in der Hydrosphäre werden durch den Wechsel von
Sommer und Winter, von Vollmond und Neumond, von Tag und Nacht
zu periodischen; eben dieser Wechsel bedingt, dass jene Bewegungen
rhythmische sind. Daher sind sie Gegenstand einer Aerographie und
einer Hydrographie.
Ob es aber auch eine Aerogenie und eine Hydrogenie gibt,
diese Frage lässt sich nicht so leicht beantworten. Zwar wissen wir,
dass die Bewegungen im Luft- und Wasserreiche abhängig sind von
der Gestalt und Verteilung der Kontinente und Ozeane, der Ebenen
und Gebirge, und dass diese nicht immer so waren wie sie heute
sind, dass demnach die Bahnen der Luft- und Wasserströmungen
früher anders waren als gegenwärtig; wir brauchen nur daran zu
denken, dass die Hochgebirge erst in der Tertiärzeit entstanden sind,
dass in der Urzeit die Atmosphäre viel reicher an Wasserdampf und
vielleicht auch an Kohlensäure war als heute. Atmosphäre und
Hydrosphäre haben also allerdings eine Geschichte, und der Versuch
ist in vieler Beziehung lehrreich, sich ihren Zustand in verschiedenen
Abschnitten der Erdgeschichte vorzustellen; gleichwohl ist damit die
TEE. DS
Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 15
Frage nach der Existenzberechtigung der Wissenschaften der Aero-
genie und Hydrogenie nicht entschieden, denn die einstigen Wasser-
und Luftbahnen wurden wie die heutigen durch das Relief der Erd-
feste bedingt, ihre Aenderung ging Hand in Hand mit der Aenderung
des Erdskeletes.
Wenn das alles nun auch der Fall ist, so ist trotzdem die Frage
nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten, ob die Strömungen im Wasser
und in der Luft sich simultan mit den Veränderungen der Erdkruste
von Grund aus geändert haben, oder nicht. Kurzes Nachdenken über
die verschiedene Natur des Festen, Flüssigen und Luftförmigen muss
uns überzeugen, dass diese Frage zu verneinen ist. Das Gesetz der
Beharrlichkeit zwingt uns zu der Anerkennung, dass im Reiche der
Luft und des Wassers die Nachwirkungen früherer Zustände noch
heute sich fühlbar machen; ob freilich durch menschliche Beobach-
tung nachweisbar, diese Frage müssen wir dahingestellt sein lassen.
Aber wie das Meer während der Windstille nach einem heftigen
Orkane noch lange auf und nieder wogt, wie der Staub in einem
Zimmer, durch dessen momentan geöffnetes Fenster eben ein kalter
Luftzug gedrungen ist, auch nach Schließung der Fenster noch lange
durcheinander wirbelt, so müssen auch die Luft- und Wasserströmungen
verflossener Erdepochen für eine mächtigere Wissenschaft als die
unserige noch jetzt nachweisbar sein; noch heute müssen sich für
eine solche Wissenschaft in Luft und Wasser Bewegungen wahrnehmen
lassen, die nicht durch Jahres-, Mondes- und Stundenwechsel erklär-
bar sind und somit einer Aerogenie und Hydrogenie zu ihrer Er-
klärung bedürfen.
Werden sich vielleicht nun auch diese beiden Wissenschaften für
immer einer exakten Behandlung entziehen, so muss der Philosoph
doch die Anerkennnng prinzipieller Berechtigung der Forderung nach
ihnen verlangen, und wir Biologen möchten an Aerologen und Hydro-
logen die Bitte richten, die hypothetische Rekonstruktion der Bilder,
welche Luft und Wasserströmungen in frühern Erdabschnitten dar-
boten, zu wagen. Möglich, ja wahrscheinlich, dass uns dieselben einen
Schlüssel des Verständnisses liefern für manche Verhältnisse in der
gegenwärtigen Verbreitung der Organismen, deren Erforschung der
Biogenie zufällt. Die Biogenie bedarf einer Aerogenie und Hydro-
genie eben mehr wie einer Entwicklungsgeschichte der festen Erd-
rinde.
Von dieser letztern handelt die Stereogenie; ein Blick auf die
verschiedenen Schichten der Erdrinde ergibt ihre Berechtigung. Nicht
minder berechtigt ist die Stereonomie, die Lehre von den physika-
lischen und chemischen, statischen und dynamischen Gesetzen, welche
die Gestaltung und Zersetzung der Mineralien und Gesteine, die
Hebungen und Senkungen, die Ruhe und die gewaltsamen Erschütte-
rungen der Erdrinde beherrschen. Aber wie uns vermöge der Natur
16 Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft nnd Geographie.
des Luftförmigen und Tropfbar-Flüssigen in der Aerologie und Hydro-
logie die Berechtigung einer Aerogenie und Hydrogenie zweifelhaft
erschien, so in der Stereologie, vermöge der Natur des Festen, eine
Stereographie, eine Wissenschaft, welche von den rhythmischen Be-
wegungen der festen Erdrinde zu handeln hätte.
Die Existenzberechtigung dieser Wissenschaft kommt aber wirk-
lich nur scheinbar in Frage. Ein unzweifelhafter Nachweis von rhyth-
mischen Bewegungen der Erdrinde fehlt zwar, aber die Beschreibung
der Erdrinde und ihrer Teile und Baustoffe, auch wenn dieselben
keine periodischen Bewegungen ausführen, ist ja ohnehin eine Auf-
gabe eben der Stereographie, und der Parallelismus dieser Wissen-
schaft mit der Aerographie, Hydrographie und Biographie würde
gleichwohl bestehen. Denkt man sich z. B. den Kreislauf des Was-
sers auf der Erde symbolisch dargestellt durch eine Wellenlinie mit
einander gleichen Abszissen und positiven und negativen Ordinaten, so
zwar, dass die Ördinaten 1, 5, 9, 13... gleich + 0, die Ordinaten 3,
7,11, 15... beziehungsweise gleich m, —m m, —m..,,
und die Ordinaten 2, 4, 6, 8, 10, 12... beziehungsweise gleich + n,
+1,—n1,-—-n,-+2n,-+n...sind, und lässt man dann sämt-
liche Ordinaten sich allmählich auf + O reduzieren, aber so, dass
das gegenseitige Größenverhältnis der Ordinaten dasselbe bleibt, so
geht unsere Wellenlinie stetig in eine grade Linie über; die allgemeine
analytisch-geometrische Gleichung für eine Wellenlinie vom Charakter
der unserigen und diejenige für eine grade Linie sind identisch. Wie
wir aber die grade Linie als eine Wellenlinie mit gleichen positiven
und negativen Abszissen auffassen können, so können wir auch die
Erscheinungen der Erdfeste als einen periodischen Prozess auffassen,
unbekümmert darum, dass wir ihn vielleicht nur durch eine grade
Linie symbolisch darstellen können. Uebrigens ist aber unter anderem
die Periodizität der Erdbeben behauptet worden; bei der Frage nach
derselben haben wir es zu thun mit einem stereographischen Problem.
So sehen wir, wie Astrologie und Geologie, Stereologie und Hydro-
logie, Aerologie und Biologie sich alle der Einteilung in eine gesetzes-
kundliche, beschreibende und geschichtliche Disziplin fügen. Mögen
wir die Himmelskörper, mögen wir die Erdfeste, die Wasserteile oder
die Atmosphäre der Erde, mögen wir endlich Pflanzen- und Tierwelt
zum Gegenstand unserer Beleuchtung machen, sie alle lehren nur,
dass die beschreibenden Disziplinen so nötig sind und so hoch da-
stehen wie diejenigen, welche sich mit der Erforschung der einzelnen
Naturgesetze befassen, und dass die Gruppe der geschichtlichen Dis-
ziplinen nicht minder wichtig ist als die beiden andern.
Fassen wir nun aber schließlich die Welt nur als ein System von
Atomen auf, so kommen wir nach kurzem Nachdenken zu demselben
Ergebnis. Physik und Chemie lehren uns wohl die Gesetze der
Atomenmechanik kennen; aber bei bloßer Kenntnis der Gesetze bleibt
Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie. 747
uns ewig der unleugbare Rhythmus des Weltprozesses, bleibt uns für
immer das stetige Auftreten neuer, noch nie dagewesener und nie
wiederkehrender Formen der Gesamtkonstellationen der Atome ver-
schlossen. Kosmonomie, Kosmographie und Kosmogenie
sind gleich nötige und gleich wichtige Zweige einer allumfassenden
Kosmologie.
Für keine auf Universitäten und anderswo gepflegte und gelehrte
Wissenschaften scheinen mir schon jetzt die obigen Erörterungen von
solcher Wichtigkeit zu sein, wie für die Geographie. Bekannt ist
es, wie sich die Vertreter dieser Wissenschaft bemüht haben, sie gegen
andere hin abzugrenzen. Aber mir wenigstens ist es nicht bekannt,
dass ein einziger Versuch vollständig gelungen wäre. Aufgrund aber
unseres Wissenschaftssystemes ist die Abgrenzung eine leichte und
ihr Resultat ein durchaus befriedigendes, das uns einen vortrefflichen
Einblick in das Wesen der Geographie gewährt. Ich wenigstens sehe
auf einmal ganz klar, wohin alle jene Bemühungen gezielt haben.
Verstehen wir unter Geologie im Gegensatze zu der landläufigen
Auffassung eine allumfassende Erdwissenschaft, so ist die Geographie
derjenige Teil derselben, welcher Stereographie, Hydrographie, Aero-
graphie und Biographie umfasst. Die Biographie, beispielsweise, ist
nicht nur ein Teil der Biologie, sondern auch der Geographie; sind
doch sowohl Biologie wie Geographie Teile einer umfassenden Erd-
kunde.
Die Geographie ist aber, wie ihr Name sagt, eine erschöpfende
Erdbeschreibung; sie hat alle diejenigen Erscheinungen des Erd-
prozesses zum Gegenstande, welche den Rhythmus, die Periodizität
derselben ausmachen oder, wenn sie nicht daran teilnehmen, sich
stetig gleichbleiben, wie dieser Rhythmus selbst.
Aber wie in allen andern Wissenschaften, so müssen wir auch
in der Geographie zwischen Synoptikern und Spezialisten unterschei-
den; es darf uns indess nicht beirren, dass beispielsweise der Biograph
zu gleicher Zeit ein Spezialist für die Synoptik sowohl der Geographie
wie der Biologie ist.
Das einheitliche Wesen der Geographie erkennen wir an dem
Umstande, dass Hydrographie und Aerographie auf einander Rück-
sicht nehmen müssen, wie beide auf die Stereographie und auf alle
die Biographie. Sei es, dass wir den Kreislauf des Wassers, oder
der Luft, oder des Lebens zum Brennpunkte unserer Untersuchungen
machen, die Untersuchungen führen zu nichts, wenn wir nicht stets
dessen eingedenk sind, dass alle auf unserem Planeten sich befind-
lichen Sonderexistenzen Teile eines und desselben Individuums, Glieder
unserer Mutter Erde sind.
Zweckmäßig aber ist es, überall das Ganze und seine Teile, oder,
besser gesagt, Individualitäten höherer und niederer Wertigkeit zu
unterscheiden.
18 Haacke, Biologie, Gesamtwissenschaft und Geographie.
Nicht minder ist eine Sonderung der Individuen nach Arten,
Familien, Klassen vorzunelimen, und endlich ist überall zwischen dem
gegebenen konkreten Individuum und demjenigen Teile seiner Eigen-
schaften zu unterscheiden, den es mit allen andern Individuen seiner
Kategorie gemeinsam hat.
So unterscheiden wir in der Hydrographie eine Ozeanographie,
eine Potamographie, die Hydrographie der Nordsee, des Rheines; in
der Biographie eine Zellen-, Organ- und Personenbeschreibung, die
Biographie der Wirbeltiere, der Säuger, der Menschen, des Waldes
und der Steppe, der Kontinente und der Inseln, Afrikas und Neusee-
lands.
Betrachtungen wie die obigen schützen den Forscher vor Ein-
seitigkeit und die Wissenschaft vor Zerfahrenheit. Viel versprechend
machen sie die Beschäftigung mit der Biökographie, auf welche ich
an dieser Stelle jedoch nicht näher eingehen kann. Als teilweise
Rekapitulation des Gesagten mag aber noch eine Uebersicht der
geologischen Wissenschaften folgen.
| | | &
Geologie | Geonomie | Geographie | Geogenie x
oder Panodologie oder Monodologie oder Periodologie | oder Epiodologie
der Erde. | der Erde. der Erde. der Erde.
Gesamtwissenschaft Wissenschaft von Wissenschaft von |, Wissenschaft von
von der Gaea. | den Weltgesetzen dem Rhytlımus der der Geschichte der
in den Erderscheinungen. _ Erderscheinungen.
' Erderscheinungen. | 5
|
Die Stereologie |
erforscht die | Stereonomie Stereographie Stereogenie.
Stereogaea. |
Die Biologie |
erforscht die | Bionomie Biographie Biogenie.
Biogaea.
Die Hydrologie |
erforscht die Hydronomie Hydrographie Hydrogenie.
Hydrogaea.
Die Aerologie |
erforscht die Aeronomie ' Aerographie Aerogenie.
Aerogaea. |
Imhof, Poren an Diatomaceenschalen. 119
Poren an Diatomaceenschalen und Austreten des Protoplasmas
an die Oberfläche.
Von Dr. Othm. Em. Imhof.
In der hochinteressanten Abhandlung von Max Schultze!) „Die
Bewegung der Diatomeen“ finden wir am Eingange folgenden Passus:
Die Ursache der gleitenden oder kriechenden Bewegungen, welche
die zahlreichen Arten der schiffehenförmigen Diatomeen, welche süßes
wie salziges Wasser bevölkern, im Leben darbieten, ist bekanntlich
noch gänzlich in Dunkel gehüllt. Wie viele Beobachter dieser zu
den Lieblingen der Mikroskopiker gehörenden Organismen werden,
wenn sie das schnelle Vor- und Rückwärtskriechen, das plötzliche
Anhalten und das wie zögernde Wiederbeginnen der Bewegung, den
öftern Wechsel in der Lage von der breiten auf die schmale Seite,
das Aufrichten auf eine Spitze und die auf dieser ausgeführten
drehenden Bewegungen aufmerksam verfolgten, mit der festen Ueber-
zeugung das Mikroskop verlassen haben, hier müsse irgend ein äußeres
Bewegungsorgan vorhanden sein. Bekanntlich sind alle Versuche, ein
solches aufzufinden, vollständig gescheitert.
Auf S. 381 der genannten Abhandlung heißt es: Die schnellen
Bewegungen, welche sie (Pleurosigma angulatum und P. balticum) wie
alle Navikularien des Meerwassers ausführen und welche kaum von
denen des süßen Wassers erreicht werden, verbunden mit ihrer ansehn-
lichen Größe, veranlassten mich zunächst wieder nach äußern Be-
wegungsorganen zu suchen. Die Mühe war aber, trotzdem ich mich
ausgezeichneter Linsensysteme bediente, auf direktem Wege eine
vergebliche.
Da O. Kirchner in seinem 1885 erschienenen Werke: „Die
mikroskopische Pflanzenwelt des Süßwassers“, auf S. 25 sagt: Die
freilebenden Baeillariaceen zeigen beständig oder zeitweise eine eigen-
tümliche gleitende Bewegung, indem sie an der Oberfläche anderer
Gegenstände hinkriechen; Bewegungsorgane unbekannt, so darf ich
vielleicht annehmen, dass ein positiver Nachweis von Oefinungen an
Diatomaceenschalen und das Hervortreten von Protoplasma an die
Oberfläche der Schalen — somit direkt mit dem Wasser in Berührung
gelangend, wie die ausgezeichneten Beobachtungen von Max Schultze
mit höchster Wahrscheinlichkeit vermuten ließen — bisher noch nicht
erbracht worden ist.
Bei meinen Untersuchungen über die mikroskopische Organismen-
welt der hochalpinen Seen fand ich in dem hochgelegenen Cavlocciosee
(1908 m ü. M.) im Ober-Engadin bedeutende Mengen von Diatoma-
ceen. Unter denselben zeigten sich einige durch ihre Größe auffallende
Surirella- Arten und eine Campylodiscus - Species.
1) Archiv für mikroskopische Anatomie, Bd. I, S. 376—402,
720 Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in geschlossener Strombahn ?
Zuerst an der größten Form des Genus Surirella (Länge bis zu
0,272 mm), dann auch bei den kleinern, wo auch die Flügel nicht so
stark ausgebildet sind, gelang es mir bei günstiger Stellung der leeren
Schalen, auf der Längenkante der Flügel eine Reihe von sehr kleinen
elliptischen Oeffnungen zu konstatieren. Nur wenn die Flügel senk-
recht gegen das Deckgläschen gerichtet sind, können diese Poren mit
Sicherheit erkannt werden. Diese verlangte Stellung erreicht man
ziemlich leicht, wenn man die Schalen in Glyzerin-Gelatine einschließt
und beim Erstarren der Einschlussmasse durch Verschieben des Deck-
gläschens bei Kontrolierung unter dem Mikroskop die Schalen richtet.
Aber nicht nur dieses Verhältnis kam zu direkter Beobachtung,
sondern auch das Hervortreten des Protoplasmas. Der genauere Sach-
verhalt ist folgender: die vier Flügel besitzen eine große Zahl feiner
konischer Kanälchen, zu den bekannten Zeichnungen auf der Seite
der Flügel in einem bestimmten Verhältnis stehend. Diese Kanälchen
münden wie eben erwähnt auf der Kante der Flügel aus. Ueber die
Kante hinweg läuft ferner eine Rinne von geringer Tiefe. Das Proto-
plasma der Zelle entsendet nun durch die Röhrchen je einen Fortsatz,
der bis in die Rinne des Flügels reicht. Alle diese Ausläufer sind
dann noch durch einen in der ganzen Länge der Rinne sich hinziehen-
den Protoplasmastrang miteinander in Verbindung. Dieser Nachweis
des Heraustretens des Protoplasmas war durch dessen Färbung er-
leichtert, es war hier namentlich bei der großen Surirella- Art mit
einem grünen Ton behaftet. An Dauerpräparaten gelang es mir stellen-
weise das ausgetretene Protoplasma zu konservieren.
Bei dem Genus Campylodiscus ist die Struktur der Flügel eine
ganz ähnliche wie bei Surirella. Ich werde diese Organisationsverhält-
nisse auch bei andern Diatomaceen noch verfolgen und gebe obige
Notiz als vorläufige Mitteilung.
Verläuft der Nervenstrom in nicht geschlossener, oder ge-
schlossener Strombahn, und wie gelangt er, wenn letzteres
der Fall ist, zum Sitze der elektromotorischen Kraft zurück ?
Von Professor Dr. Paul Albrecht in Hamburg.
Dass die Energie, welche uns im Nervenstrome entgegentritt,
elektrische Energie ist, darüber kann, meiner Meinung nach, ange-
siehts der bei Fischen auftretenden elektrischen Organe kein Zweifel
obwalten.
Ist aber die Energie, welehe uns im Nervenstrome entgegentritt,
elektrische Energie, so kann die Nervenwirkung entweder auf elektro-
statischen, oder auf elektrodynamischen Vorgängen beruhen!).
i WEN Die Ausdrücke „elektrostatisch“ und „elektrodynamisch“ sollen hier im
gewöhnlichen, physikalischen Sinne gebraucht werden, das heißt, ich nenne
Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in geschlossener Strombahn ? 791
Ist der Vorgang elektrostatisch,
so befindet sich an einem oder mehreren Punkten der Nerven-
bahn die Elektrizitätsquelle, und die Enden des Nerven
sind ähnlich wie Kondensatorplatten die Ansammlungs-
stellen der Elektrizität, wobei es qualitativ unwesentlich
ist, ob das eine Ende des Nerven durch Ableitung zur
Erde auf dem Potential 0 erhalten wird, oder nicht,
so muss die Wirkung jedesmal eintreten, wenn das Potential
der angesammelten Elektrizität geändert wird,
so verläuft der ganze Vorgang in nicht geschlossener Strom-
bahn.
Ist der Vorgang hingegen elektrodynamisch,
so befindet sich ebenfalls an einer oder mehreren Stellen der
Strombahn die elektromotorische Kraft,
so muss die Wirkung jedesmal eintreten, wenn die Stärke
des in der Strombahn fließenden elektrischen Stromes ge-
ändert wird,
so verläuft der ganze Vorgang in geschlossener Strombahn.
Da wir wohl unter allen Umständen während des Lebens perma-
nent elektrische Ströme im Nerven besitzen!), so scheint mir nicht
wahrscheinlich, dass die Nervenerregung in nieht geschlossener Bahn
verläuft: ich nehme also an, dass die Nervenwirkung auf elektro-
dynamischen Vorgängen beruht.
Nach meiner Ansicht ist ferner ein essentieller Unterschied zwi-
schen kinetischen ?) und ästhetischen ?) Nervenfasern überhaupt gar
nicht vorhanden; für beide, kinetische wie ästhetische, Nervenfasern
liegt, nach meiner Ansicht, der Sitz der elektromotorischen Kraft in
der Ganglienzelle, von der sie ausgehen; in beiden, kinetischen wie
„elektrostatisch“ diejenigen Wirkungen (Kondensatorwirkungen), welche von
angesammelter, ruhender Elektrizität, „elektrodynamisch“ hingegen diejenigen
Wirkungen, welche von strömender Elektrizität ausgeübt werden.
1) Dies scheint mir, trotz aller hiergegen erhobenen gegenteiligen Behaup-
tungen aus dem 'Tonus der animalischen Muskeln und aus dem Tonus des
Dilatator pupillae, der Sphinkteren und Arterien hervorzugehen. Den Grund
dafür, dass an den natürlichen Nervenfaserenden bis jetzt kein Strom mit
Sicherheit nachgewiesen ist, sehe ich darin, dass man, meiner Ansicht nach,
bei diesen Versuchen sowohl den zentrifugalen Hinstrom wie den zentripetalen
Rückstrom, von dem weiter unten im Texte die Rede sein wird, zwischen die
beiden Enden des stromanzeigenden Bussolenbogens gefasst hat.
2) Kinetische Nervenfasern nenne ich die bisher mit dem direkt un-
richtigen (denn das Leitungsvermögen aller Nervenfasern ist doppelsinnig)
Namen der „zentrifugalleitenden Fasern“ belegten motorischen, elektrischen,
sekretorischen und trophischen Nervenfasern.
3) Aesthetische Nervenfasern nenne ich die bisher mit dem direkt
unrichtigen Namen der „zentripetalleitenden Nervenfasern“ belegten sensibeln
und exzitomotorischen Nervenfasern.
VL 46
122
Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in geschlossener Strombahn ?
ästhetischen, Nervenfasern läuft, nach meiner Ansicht, unaufhörlich
ein zentrifugaler elektrischer Strom von eben dieser Ganglienzelle
durch die periphere Leitung nach dem Endapparate hin und kehrt
von diesem,
sei es durch eine zweite Nervenfaser,
sei es durch zentripetalleitende Fibrillen derselben Nerven-
faser, welche für den zentrifugal laufenden Strom nicht
benutzt wurden,
sei es durch den tierischen Körper selbst, der hier wie die
Erde zwischen den Kupferplatten einer Telegraphenleitung
benutzt wird,
zum Quellsitze der elektromotorischen Kraft in der Ganglienzelle
wieder zurück.
Wir hätten auf diese Weise kinetische wie ästhetische Strom-
bahnen, welche in allem Wesentlichen durchaus gleichartig konstituiert
wären, mit dem alleinigen, aber unwesentlichen Unterschiede, dass
die Aenderung der Stromintensität oder, wie ich sie nennen will, die
Metallaxis !) bei der kinetischen Nervenfaser von der Elektrizitäts-
quelle, bei der ästhetischen Nervenfaser gemeiniglich von dem peri-
pheren Endapparate, unter Umständen aber auch von irgend einem
Punkte der peripheren Nervenbahn ausgeht. Man kann daher die
kinetischen Strombahnen als zentrometallaktische Strombahnen, die
ästhetischen Strombahnen als periphero- oder noch kürzer als peri-
metallaktische Strombahnen bezeichnen.
Wir wollen uns zunächst mit den ästhetischen oder perimetallak-
tischen und hierauf mit den kinetischen oder zentrometallaktischen
Strombahnen beschäftigen.
1) Die ästhetischen oder perimetallaktischen Strom-
bahnen.
Wie soll man — frage ich — sich vorstellen, dass am peripheren
Endapparate der ästhetischen Nervenbahn vorgehende Veränderungen
eine Veränderung in der Intensität des ästhetischen Nervenstromes
hervorbringen ?
Antwort: Auf sehr einfache Weise; die ästhetischen Strombahnen
sind — einerlei ob der Strom vom Endapparat durch eine zweite
Nervenfaser, oder durch Fibrillen derselben Nervenfaser, oder durch
den Körper selbst zum Sitze der elektromotorischen Kraft zurück-
kehrt — nach meiner Ansicht, in allen wesentlichen Stücken genau
so gebaut, wie eine Strombahn, in welche ein Edison ’sches Batterie-
telephon eingeschaltet ist.
Eine solche ist in der Weise konstituiert, dass zunächst in einer
geschlossenen Strombahn unaufhörlich ein konstanter elektrischer
1) 5 uerallafıs, die Aenderung.
ES EEE
ee a en
ar
Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in geschlossener Strombahn? 7923
Strom von der zentralen Batterie durch die periphere Leitung zur
zentralen Batterie zurückströmt. An einer Stelle der peripheren Lei-
tung ist eine Kohlenplatte eingeschaltet, wodurch die ganze geschlos-
sene Strombahn in 4 verschiedene Abschnitte, nämlich
1) den Batterieabschnitt,
2) den ziskarbonischen,
3) den karbonischen und
4) den transkarbonischen Absehnitt, wie ich sie nenne, zerfällt.
Wird jetzt auf die Kohlenplatte, also den karbonischen Abschnitt
der Strombahn, ein erhöhter Druck ausgeübt, so nimmt der Wider-
stand der Kohle ab, wodurch die Stromstärke in der Strombahn
wächst; wird umgekehrt der auf der Kohlenplatte lastende Druck
vermindert, so nimmt der Widerstand der Kohle zu, wodurch die
Stromstärke in der Strombahn abnimmt.
In der Nervenstrombahn können, wie ich bereits ausgeführt habe,
drei verschiedene Möglichkeiten inbezug auf die Rückleitung oder,
wie ich dieselbe gleich vornweg hier nennen will, inbezug auf den
transkarbonischen Strom vorliegen, nämlich
a) der transkarbonische Abschnitt der ästhetischen Nervenbahn
wird durch eine zweite Nervenfaser gebildet,
5) der transkarbonische Abschnitt der ästhetischen Nervenbahn
wird durch Fibrillen derselben Nervenfaser gebildet,
y) der transkarbonische Abschnitt der ästhetischen Nervenbahn
wird durch den tierischen Körper selbst gebildet.
Diese 3 Fälle sind besonders zu betrachten.
a@) Der transkarbonische Abschnitt der ästhetischen Nervenbahn wird
durch eine zweite Nervenfaser gebildet.
Betrachten wir die nachstehende Figur, und nehmen an, dass
die Gehörnervenfaser a von einer Ganglienzelle A, die Gehörnerven-
faser a’ von einer Ganglienzelle A’ im Gehirne herkäme, dass
ferner A und A’ im Gehirne durch verästelte Fortsätze mit ein-
ander verbunden sind und auf diese Weise eine dielementare Bat-
terie bilden, welche ich X nennen will, so würde, nach meiner An-
sicht, und in aller Kürze ausgedrückt, das feinste Fibrillennetz!) d
das in der Strombahn A, a, 2, a‘, A sein, was die Kohle in derjenigen
Strombahn, in welche ein Edison’sches Batterietelephon einge-
schaltet ist. Ein konstanter Strom geht, nach meiner Ansicht, von U
1) Es gibt, nach der von mir gewählten Nomenklatur, zwei verschiedene
Arten von Nervenplexus, nämlich symperipatetische und syntektische.
In den symperipatetischen (n ovunegınarmoıs, das gemeinsame Herum-
gehen) Plexus treffen sich die Nervenfasern bezw. Nervenfibrillen und gehen
längere oder kürzere Strecken mit einander, ohne mit einander zu verschmelzen,
in den syntektischen (7 odvrn£ıs, die Verschmelzung) Plexus hingegen findet
ein Zusammenfließen in Substantia statt.
46 *
724 Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in geschlossener Strombahn ?
durch a, 6, « nach X zurück, jetzt wird d mechanisch erregt, hier-
durch wird der Widerstand in dem Fibrillennetz 2, hierdurch die Strom-
intensität in der Strombahn %, a, d, a‘, A verändert, und dies wird
vom Sensorium — vermutlich mittels der hierdurch in einer Neben-
schließung zwischen A und 4‘ hervorgerufenen Aenderung der Strom-
intensität — bemerkt.
Fig. 1. Akustische Endorgane des
Gehörnerven in den Vorhofssäckchen
nnd Ampullen der Bogengänge nach
Rüdinger.
aa‘ (sehörnervenfasern, bei 5b ein
feinstes Fibrillarnetz bildend, von dem
Fasern in die Hörzellen cc‘ eintreten.
dd‘ Hörstäbehen.
(Kopiert mit teilweise veränderter
Figurenbezeichnung nach J. Ranke,
Der Mensch, Leipzig 1886, I. Band,
S. 563.)
Die Rückleitung des transkarbonischen Stromes durch eine zweite
Nervenfaser könnte man für Auge, Ohr, Zunge, die Nerven der Kornea
der Wirbeltiere und die Nase der Amphibien und Amnioten annehmen).
ß) Der transkarbonische Abschnitt der ästhetischen Nervenbahn wird
durch Fibrillen derselben Nerven faser gebildet.
Bei dieser Anordnung würde der Nervenstrom durch eine Anzahl
1) Bei allen den im Texte angeführten Organen handelt es sich um einen
direkt diesseits der Endorgane gelegenen syntektischen Nervenplexus, in wel-
chem ganz wie in der Figur 1 bei b mittels Erregung der Endorgane von
seiten der Außenwelt die Stromänderung nach meiner Ansicht hervorgerufen
wird. Beim Auge spreche ich hierfür das Nervennetz der beiden granulierten
Schichten der Retina an, beim Ohre das subepitheliale Nervennetz der Maculae
und Cristae acusticae nnd das subepitheliale Nervennetz, das spiralförmig die
ganze Schnecke durchzieht, bei der Zunge das subepitheliale Nervennetz der
Glossopharyngeusfibrillen, bei der Kornea das sub- und intraepitheliale Nerven-
netz und bei der Nase der Amphibien und Amnioten das Exner’sche sub-
epitheliale Nervennetz der Olfaktoriusfibrillen. Wenn auch die Syntexis einiger
dieser Gebilde de facto noch nicht erwiesen ist, so scheint mir dieselbe doch
theoretisch absolut vorausgesetzt werden zu müssen.
Albrecht, Verläuft der Nervenstrom in geschlossener Strombahn? 725
von Fibrillen einer Nervenfaser bis zum peripheren Ende derselben
gehen, der karbonische Abschnitt dieser Bahn würde durch das
Medium, welches die ziskarbonischen Fibrillen mit den transkarboni-
schen Fibrillen derselben Nervenfaser verbindet, gegeben sein, wäh-
rend die Rückleitung des Nervenstromes zum Sitze der elektromotorischen
Kraft eben dureh diese transkarbonischen Fibrillen derselben Nerven-
faser stattfindet?).
Die Rückleitung des transkarbonischen Stromes dnrch Fibrillen
derselben Nervenfaser nehme ich für die von Max Schultze aus
der Nasengrube des Hechtes ?) beschriebenen Nervenprimitivbündel an.
y) Der transkarbonische Abschnitt der ästhetischen Nervenbahn wird
durch den tierischen Körper selbst gebildet.
Bei dieser Anordnung würde der ziskarbonische Nervenstrom von
dem Sitze der elektromotorischen Kraft bis gegen den peripheren
Endapparat der ästhetischen Nervenfaser hinziehen, dort wo die Mark-
scheide vor dem Endapparate aufhört, ausbrechen, und auf dem
nächsten Wege dureh den Körper selbst zu dem Sitze der elektro-
motorischen Kraft zurückkehren.
Die Rückleitung des transkarbonischen Stromes durch den Körper
selbst nehme ich für die zu Terminalkörperchen gehenden ästhetischen
Nervenfasern an.
2) Die kinetischen oder zentrometallaktischen Strom-
bahnen.
Was die kinetischen oder zentrometallaktischen Strombahnen
anbetrifft, so bin ich der Ansicht, dass, nachdem die Kontraktion
einer Muskelfaser oder die Auslösung eines elektrischen Stroms oder
die Sekretion einer Drüsenzelle mittels einer durch Steigerung der
elektromotorischen Kraft in der Ganglienzelle hervorgerufenen Strom-
verstärkung bewirkt worden ist, der Nervenstrom ebenfalls auf dem
nächsten Wege durch den Körper zum Sitze der elektromotorischen
Kraft zurückkehrt.
Das Ergebnis des Vorstehenden ist:
1) die Nervenwirkung beruht auf elektrodynamischen Vor-
gängen;
14) Es ist klar, dass unter solchen Umständen die beiderseitigen Fibrillen
von Stellen der Ganglienzelle abgehen müssen, welche elektrisch einander
entgegengesetzt sind; es ist somit nicht undenkbar, dass das Zellplasma dem
Kernplasma entgegengesetzt elektrisch ist, und dass durch diesen Gegensatz
überhaupt der ganze Nervenstrom in Erscheinung tritt; es ist ebenfalls nicht
undenkbar, dass die einen Fibrillen aus dem Zellplasma, die andern aus dem
Kernplasma ihren Ursprung nehmen.
2) Siehe Schwalbe, Lehrbuch der Neurologie, Erlangen 1881, S. 298,
Fig. 194.
7126 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine,
2) die Elektrizitätsquelle befindet sieh sowohl bei den kinetischen
wie bei den ästhetischen Strombahnen in den als galvanische
Elemente fungierenden Ganglienzellen;
3) sowohl bei den kinetischen wie bei den ästhetischen Strom-
bahnen bewegt sich von der Ganglienzelle aus ein zentri-
fugaler Strom durch den peripheren Nerven hin, der entweder
durch eine zweite Nervenfaser, oder durch Fibrillen derselben
Nervenfaser, oder durch den tierischen Körper selbst zum
Sitze der elektromotorischen Kraft in der Ganglienzelle zu-
rückkehrt;
4) die Funktion der kinetischen oder zentrometallaktischen Strom-
bahnen beruht auf Aenderung der elektrischen Stromstärke
infolge Veränderung der elektromotorischen Kraft in der
Ganglienzelle, die Funktion der ästhetischen oder perimetal-
laktischen Strombahnen auf Aenderung des Leitungswider-
standes im peripheren Teil der Strombahn durch Einwirkung
von seiten der Außenwelt.
L. Brieger, Untersuchungen über Ptomaine.
(Fortsetzung.
Die Thatsache, dass bei dem natürlichen Verwesungsprozess
menschlicher Leichen giftige Ptomaine gebildet werden, ist vielfach
konstatiert worden. Boutmy und Brouardel!), Sonnenschein
und Zülzer?), Schwanert?) u.a., namentlich aber Selmi*) haben
das Vorkommen derartiger Kadaveralkaloide nachgewiesen. Indess
blieb der Nachweis dieser Substanzen, wie Ref. bereits früher an-
deutete, darauf beschränkt, dass nur die Eigenschaften syrupöser
Extrakte von Leichenteilen, d. h. ihre physiologischen Wirkungen und
ihre Fällbarkeit durch Alkaloidreagentien festgestellt wurden; die
Isolierung chemisch reiner einheitlicher Verbindungen wurde entweder
nicht versucht oder nicht erreicht.
Eine genaue Kenntnis der Kadaveralkaloide wäre nicht allein für
die forensische Chemie, sondern auch für die Pathologie von höchster
Bedeutung; für letztere insofern, als eine erfolgreiche Untersuchung
der durch die Thätigkeit pathogener Bakterien im menschlichen Or-
ganismus gebildeten toxischen Substanzen, wie solche bei allen Infek-
tionskrankheiten auftreten, erst dann möglich wird, wenn man die
Produkte der natürlichen Verwesung erforscht und von jenen Sub-
stanzen zu unterscheiden und zu trennen gelernt hat.
1) Annales d’hygiene publique et de med. legale [3] IV 335.
2) Berliner klin. Wochenschrift, 1869, 123.
3) Ber. d. deutsch. chem. Ges., 1874, 1332.
4) efr. Husemann, Arch. f. Pharm., Bd. 216-222.
nes
REERZERTE
en 2 a 17,100 „Zee
Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 7127
Br. hat in einer größern Reihe von Versuchen, über welche er
in der zweiten Monographie berichtet, die Natur der Kadaveralkaloide
festzustellen gesucht.
Er überließ zerkleinerte und in der Regel in lose bedeckten
Fässern über einander geschichtete Leichenteile, denen durch Umrühren
Luftsauerstoff zugeführt werden konnte, bei Zimmer- oder Keller-
Temperatur kürzere oder längere Zeit der Fäulnis. Die gefaulten
Massen wurden alsdann mit schwach salzsäurehaltigem Wasser auf-
gekocht oder heiß extrahiert, die eingedampften Extrakte mit Alkohol
erschöpft und die alkoholischen Auszüge mit Quecksilberchlorid ge-
fällt. Bisweilen führte nun schon die verschiedene Löslichkeit der
Quecksilberverbindungen der Kadaverbasen zu einer teilweisen Tren-
nung; weiterhin wurde nach Eliminierung des Quecksilbers durch
Schwefelwassersioff die Scheidung mit Hilfe von Platinchlorid, Gold-
chlorid oder auch Pikrinsäure bewerkstelligt. Durch Umkrystallisieren
und wiederholte Fällung gelang es Br., die isolierten Basen so weit
zu reinigen, bis sich dieselben durch übereinstimmende analytische
Zahlen als chemische Individuen erwiesen. Er konstatierte, dass bei
der Leichenverwesung folgende — teils bekannte, teils neue — Ver-
bindungen entstehen:
Cholin C,H,;NO,, Neuridin C,H,,N;, Kadaverin C,H,,N,, Putresein
C,H,>N;, Saprin C,H,,N;, Trimethylamin C,H,N, Mydalein —.
Eine Uebersicht über die einzelnen Versuche gibt folgende Skizze:
Versuch I.
Die zerkleinerten innern Organe von frischen Leichen (24—48 Stun-
den post mortem) wurden mit schwach salzsäurehaltigem Wasser ge-
kocht. Das Filtrat enthielt von basischen Produkten nur Cholin und
auch hiervon nur geringe Mengen. Ref. hat früher hervorgehoben,
dass Br. aus Gehirnen durch Kochen mit 2°/, Salzsäure Cholin nicht
gewinnen konnte. Daraus ergibt sich, dass das aus frischen Leichen
erhaltene Cholin nicht etwa bei deren Verarbeitung erst durch die
Behandlung mit Salzsäure entstanden, sondern in den Leichen prä-
formiert vorhanden ist.
Versuch I u. II.
Därme, Lungen, Herzen, Leber, Milz und Nieren von 4 (Vers. II)
und von 3 (Vers. III) Leichen, welche nach dreitägigem Liegen in
mäßig warmen Räumen bereits ausgesprochenen Fäulnisgeruch zeigten,
wurden zerkleinert und mit salzsäurehaltigem Wasser ausgezogen. In
den Extrakten fand sich Neuridin und Cholin.
Versuch IV.
Dieselben Organe von 3 Leichen wurden zerhackt und in einem
Fasse 3 Tage der Fäulnis überlassen. Im Extrakt fand sich Neuridin
und eine geringe Menge von Cholin.
128 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine.
Versuch V.
Der Extrakt von 5 Lebern und 5 Milzen, die 3 Tage gefault
hatten, enthielt neben Cholin Trimethylamin, jedoch kein Neuridin.
Versuch VI.
Aus einer größern Quantität innerer Organe, die 3 Tage lang in
einem Fasse bei Zimmertemperatur gefault hatten, wurde gewonnen
Kadaverin in geringer Menge und Neuridin.
Versuch VI.
Sechs Lebern und sechs Milzen gelangten nach siebentägiger
Fäulnis zur Verarbeitung. Im Extrakt fand sich Kadaverin und
Trimethylamin.
Versuch VII.
Aus elf Lebern und sieben Milzen wurden nach elftägiger Fäulnis
Kadaverin und Putresein erhalten.
Versuch IX.
Zwölf Lebern und elf Milzen blieben 14 Tage sich selbst über-
lassen. Der Fäulnisbrei wurde täglich durchgerührt. Die Verarbeitung
ergab reichliche Mengen von Kadaverin und Putresein. Die Mutter-
laugen dieser Basen enthielten Spuren einer toxisch wirkenden Sub-
stanz, welche mit Platinchlorid ein leicht lösliches Doppelsalz mit
41.30°/, Pt. lieferte.
Versuch X.
Aus fünfzehn Lebern und zwölf Milzen, die 3 Wochen lang ge-
fault hatten, wurden gewonnen Putresein, Kadaverin, eine mit dem
Kadaverin isomere Verbindung und außerdem eine stark giftige Base,
das Mydalein, dessen Zusammensetzung noch nicht festgestellt werden
konnte.
Das Ergebnis dieser Versuchsreihe lässt sich dahin zusammen-
fassen, dass die verschiedenen Stadien der Verwesung menschlicher
Kadaver von der Bildung verschiedener Ptomaine begleitet werden,
dergestalt, dass die gleich nach dem Tode oder im Beginn der Fäulnis
auftretenden Basen bei fortschreitender Zersetzung allmählich ver-
schwinden, und dass andere Basen in gewisser Aufeinanderfolge an
ihrer Stelle erscheinen.
Vor Beginn merkbarer Fäulnis findet sich nur Cholin, die eine
Komponente des Leeithins, dessen Zerfall mit dem Erlöschen des
Lebens eingeleitet zu werden scheint. Nach kurzer Zeit tritt daneben
Neuridin auf, dem sich, während das Cholin schwindet, Trimethylamin
zugesellt. Bemerkenswert ist, dass, so lange Cholin noch vorhanden,
ein giftiges Ptomain nicht gebildet wird; erst nach dem Verschwinden
dieser Base lassen sich toxische Substanzen nachweisen.
Wenn die Fäulnis schon etwas vorgeschritten ist — am vierten
Tage — so begegnet man zuerst einem bisher unbekannten Ptomain,
Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 129
dem Kadaverin C,H,,N,. Sehr bald gestaltet sich die Ausbeute an
dieser Verbindung so reichlich, dass sie unschwer isoliert werden
kann. Die neue Base, ein Diamin, ist eine mit Wasserdämpfen flüch-
tige, bei 115—120° siedende, wasserklare Flüssigkeit von unange-
nehmem, an Koniin erinnerndem Geruch, die an der Luft Kohlensäure
anzieht und sich dabei in ein krystallinisches Karbonat verwandelt;
sie bildet wohl krystallisierende Salze mit Schwefelsäure und Salz-
säure, mit Platinchlorid und Goldehlorid und wird durch gewisse
Alkaloidreagentien gefällt. Ihrer Zusammensetzung nach unterscheidet
sie sich vom Neuridin C,H,,N, durch den Mehrgehalt von 2 H; ein
hydriertes Neuridin scheint sie indess nicht zu sein, da es nicht mög-
lich ist, Neuridin durch Behandlung mit naszierendem Wasserstoff in
Kadaverin überzuführen.
Neben dem Kadaverin findet sich stets, in größerer Quantität
allerdings erst vom elften Tage ab, ein zweites neues Ptomain, das
Putresein C,H,,N,. Die Trennung beider Verbindungen gelingt am
besten in der Weise, dass man den Quecksilberchloridniederschlag
mit Schwefelwasserstoff zerlegt, das salzsaure Filtrat eindampft und
den Rückstand mit Alkohol auszieht: dabei geht das salzsaure Ka-
daverin in Lösung, während das Putreseinchlorhydrat zurückbleibt.
Das freie Putresein ist eine wasserklare Flüssigkeit, welche sperma-
ähnlich riecht, bei etwa 135° siedet und an der Luft unter Kohlen-
säureabsorption zu einem Karbonat erstarrt. Mit Wasserdämpfen ist
es wenig flüchtig. Es bildet ein in Alkohol schwer lösliches Chlor-
hydrat und ein in Wasser schwer lösliches Platin- und Goldsalz,
sämtlich gut krystallisierend.
Bei dem Versuch X fand Br. eine mit dem Kadaverin isomere
Base, welche er vorläufig Saprin nennt. Dieselbe unterscheidet sich
vom Kadaverin dadurch, dass sie ein an der Luft beständiges Chlor-
hydrat liefert und sich nieht mit Goldehlorid verbindet, während das
Kadaverin ein an der Luft zerfließendes Chlorhydrat und ein in pracht-
vollen Nadeln krystallisierendes Goldsalz bildet.
Kadaverin, Putresein und Saprin sind ungiftig. Von toxischen
Ptomainen konnte Br. aus faulen menschlichen Leichen nur zwei
isolieren. Das erste trat nach vierzehntägiger Fäulnis auf; es wirkte
anregend auf die Darmperistaltik, alterierte jedoch sonst den Or-
ganismus nicht. Zur Feststellung seiner Zusammensetzung reichte
die gewonnene Quantität nicht aus; die Platinverbindung enthielt
430, Pt:
Dem zweiten Gift begegnete Br. in dem Extrakt von Leichen-
teilen, welche 3 Wochen gefault hatten. Dasselbe blieb bei der Queck-
silberchloridfällung zum größten Teil in Lösung und konnte aus dem
Filtrat nur mit Mühe abgeschieden werden, da seine Quecksilber-
verbindung sich äußerst leicht löste und sein salzsaures Salz schwer
krystallisierte. Die Analyse des Platinsalzes ergab 38,74°/, Pt. —
150 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine.
10,83 %/, © — 3,23°/, H, Zahlen, welche vorläufig die Aufstellung einer
Formel nicht gestatten.
Die physiologische Wirkung dieses von Br. Mydalein genannten
Ptomains ist eklatant. Injiziert man Meerschweinchen etwa 0.5 cg
des Giftes, so tritt nach kurzer Zeit reichliche Thränen- und Speichel-
sekretion auf, die Pupillen erweitern sich und die Körpertemperatur
steigt um 1—2°. Bald erfolgen profuse Diarrhöen, das Tier atmet
heftig und keuchend, sinkt um und geht, indem die Körpertemperatur
allmählich fällt und die Bewegungen aufhören, zu grunde. Im wesent-
lichen dieselben Erscheinungen beobachtete Br. bei einer kleinen
Katze, welcher er 5 mg des salzsauren Mydaleins eingespritzt hatte.
Es kann befremden, dass außer diesen beiden toxischen Substanzen
andere Leichengifte nicht erhalten worden sind. Anscheinend sind
die giftigen Ptomaine sehr unbeständig und zerfallen während der
Verarbeitung der Extrakte, die ja nach Br.’s Beobachtung allmählich
an Giftigkeit verlieren. Ferner scheint der Zutritt von Sauerstoff zu
den faulenden Massen, der die Ausbeute an Ptomainen außerordent-
lich steigert, die Bildung ungiftiger Basen zu begünstigen. In neuern,
später anzuführenden Versuchen hat Br. darauf bedachtgenommen,
die Luftzufuhr erheblich zu vermindern.
Wenn, wie die vorerwähnten Versuche zeigen, durch die Thätig-
keit der Fäulnisbakterien eine größere Anzahl giftiger und ungiftiger
Basen aus menschlichen Kadavern gebildet wird, so ist ein ähnlicher
Effekt auch von der chemischen Energie der pathogenen Bakterien zu
erwarten. Die durch diese Mikroorganismen hervorgerufenen chemi-
schen Zersetzungen sind bisher nur wenig studiert. Man weiß, dass
die pathogenen Bakterien Koch’sche Nährgelatine verflüssigen und
eventuell stinkende Fäulnis erregen können. Br. selbst hat gezeigt,
dass der nach Friedländer und Frobenius als Urheber der
krupösen Pneumonie anzusehende Kokkus aus Kohlehydraten Ameisen-
säure, Essigsäure und Aethylalkohol abspaltet und ferner, dass ein
aus menschlichen Fäces gezüchteter, für Meerschweinchen sicher töd-
licher Bacillus in Lösungen von Traubenzucker die Bildung von Propion-
säure bewirkt.
Zur weitern Aufklärung der chemischen Prozesse, welche die
Erreger der Infektionskrankheiten hervorrufen können, stellte Br. zu-
nächst einige Versuche mit dem Koch-Eberth’schen Typhusbaeillus
an. Aus sterilisierten Lösungen von Traubenzucker und Stärke spaltet
dieser Bacillus Aethylalkohol und Gärungsmilchsäure ab; auf Bouillon
oder Fleischbrei ausgesät, bewirkt er die Bildung einer giftigen, in
Gestalt eines schwer löslichen Goldsalzes rein darzustellenden Base,
welche bei Meerschweinchen Speichelfluss, Beschleunigung der Atmung,
Lähmunng der Extremitäten und Diarrhöen hervorruft und eventuell
in 24 bis 48 Stunden zum Tode führt.
Ein Versuch mit dem Staphylococcus pyogenes aureus Kosen-
|
x
EEE 5 ER
Wiedersheim, Ueber das Gymnophionen-Gehirm. 131
bach, mit welchem ein Brei von Rindfleisch infiziert wurde, ergab
kein mit Quecksilberehlorid fällbares Ptomain. Dagegen enthielten
die Laugen neben reichlichen Mengen Ammoniak eine Base, die als
Platinverbindung — 32,93 %/, Pt. — abzutrennen war, jedoch kein
Goldsalz lieferte. Diese Base schien ungiftig zu sein; nähere Charak-
terisierung derselben musste spätern Experimenten überlassen bleiben.
(Schluss folgt.)
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin.
Sektion für Zoologie.
2. Sitzung. Herr R. Wiedersheim (Freiburg i. Br.) spricht im Namen
seines Schülers Dr. Waldschmidt über das Gymnophionen -Gehirn: Der
Schwerpunkt der ganzen Hirnorganisation der Gymnophionen liegt in der
außerordentlich starken Ausbildung des sekundären Vorderhirnes sowohl,
wie anderseits in der starken Zusammenschiebung der einzelnen Hirnabschnitte.
Von der Seite betrachtet zeigt das Gymnophionen-Gehirn bezüglich der Niveau-
Verhältnisse der Medulla oblongata zu den weiter nach vorn gelegenen Hirn-
partien Anklänge an das Ganoiden- und Dipnoer-Gehirn, ein speziellerer Ver-
gleich lässt sich indess nicht durchführen. Bemerkenswert ist die starke Ent-
wieklung der Riechlappen, welche wahezu ein Drittel der ganzen Hemi-
sphären-Masse ausmachen, und die sich, entsprechend ihrer hohen physiologischen
Aufgabe, durch einen großen Gefäß-Reichtum auszeichnen. Durch den hier
allein in der ganzen Vertebraten-Reihe vierfach auftretenden Nervus
olfaetorius, sowie durch die außerordentlich komplizierte Struktur der
Nasenhöhle (die von Blaue für Fische und Urodelen festgestellt, auf ursprüng-
liche Hautsinnesorgane zurückweisende histologische Struktur der Riechschleim-
haut kann ich für die Gymnophionen in etwas modifizierter Weise bestätigen)
erreicht das Riechorgan der Gymnophionen eine Ausbildung, welche es
befähigt, für die nur kümmerlich entwickelten übrigen höhern Sinnesorgane
(Gesicht und Gehör) ergänzend einzutreten. — Entgegen der frühern Wieders-
heim’schen Anschauung, dass es sich bezüglich der Riechnerven bei den
Gymnophionen um die Fortdauer eines ursprünglichen Verhaltens
handele, derart, dass das dorsale Nervenpaar der hintern, das ventrale der
vordern Wurzel eines Spinalnerven entspreche, scheint mir die ventrale
Olfaktoriuswurzel die ursprüngliche, diejenige zu sein, welche den Riech-
nerven aller übrigen Wirbeltiere homolog ist. Die dorsale Faser dagegen
halte ich für ein sekundäres, erst später aufgetretenes Gebilde, welches in die
Erscheinung trat, als das Riechorgan in Anpassung an die veränderte Lebens-
weise das Uebergewicht über die übrigen Sinnesorgane gewann. Das Zwischen-
hirn der Gymnophionen ist als scharf begrenzter Abschnitt kaum vorhanden
und geht Hand in Hand mit dem rudimentären Charakter der Epiphyse. Es
ist dieser letztere Umstand um so überraschender, weil die Wiedersheim’-
schen Untersuchungen es mehr als wahrscheinlich gemacht hatten, dass in den
Schleichenlurehen der letzte, allerdings stark modifizierte Rest der Stego-
cephalen aus der Kohlenperiode zu erblicken ist. Nun besitzen aber bekannt-
132 Fritsch, Corallobothrium solidum.
lich alle Vertreter dieses alten Molchgeschlechtes auf der Schädeloberfläche
ein wohl ausgeprägtes Foramen parietale, und letzteres berechtigt, wie
dies in jüngster Zeit für zahlreiche rezente Saurier festgestellt ist, zur An-
nahme eines wohl entwickelten Parietalauges. Hiervon ist bei den Gym-
nophionen nicht nur keine Spur mehr nachzuweisen, sondern die Epiphyse
befindet sich sogar in einem viel stärkern Grade der Rückbildung, als dies bei
irgend einem andern heute lebenden Amphibium zu konstatieren ist. Alle
Genera der Gymnophionen haben keine Andeutung dieses Scheitelbogens, son-
dern vielmehr ein hermetisch geschlossenes Schädeldach. Aus alledem erhellt,
dass dieser Amphibiengruppe das dritte Auge schon vor sehr langer Zeit
verloren gegangen ist, und dass dabei das nächtliche Leben desselben eine
wesentliche Rolle gespielt haben wird. — Herr F. E. Schulze fragt, ob wirk-
lich der Hörnerv gut erhalten ist, während sein Endapparat fehle? — Herr
Hasse (Breslau) bemerkt, dass das Labyrinth bei den Cöcilien vollkommen
entwickelt ist. Es wäre demnach wunderbar, wenn der Nervus acustieus binde-
gewebig umgewandelt wäre. Auffällig und wenig dafür sprechend erscheint
der Umstand, dass das zentrale Ende des Hörnerven normal ausgebildet und
nur das periphere Ende verändert erscheint. — Herr Wiedersheim erwidert,
dass er sich diesen Einwand selbst gemacht habe. Er habe deshalb die Schnecke
und die Bogengänge an Schnittserien studiert, aber nichts in denselben vor-
gefunden.
4. Sitzung. Herr Fritsch legt der Versammlung Präparate und Abbil-
dungen einiger Parasiten vor, welche von ihm vor einiger Zeit in den Sitzungs-
berichten der königl. Akademie der Wissenschaften (Sitzung v. 28. Jan. 1886)
beschrieben wurden. Er wünscht, dass die dafür sich interessierenden Herren
bezüglich der von ihm Corallobothrium solidum genannten Form eine Meinungs-
äußerung dahin abgeben, ob sie die Anfügung dieser Form als novum genus
an die Bothriocephalen als das Geeignetste erachten, wie es der Vor-
tragende thut, oder vielleicht die Bildung einer besondern Familie, die zwischen
Bothriocephalen und Täniaden zu stellen wäre, geeigneter hielten, oder
endlich sie den Tänien anreihen möchten. Gleichzeitig macht er auf das
Auftreten eingekapselter Nematoden in den Organen des Zitterwelses aufmerk-
sam, die trotz der mächtigen elektrischen Funktion bis in die elektrischen
Organe selbst eindringen. — Herr Hertwig (München) fragt, nach welchem
Typus der weibliche Geschlechtsapparat gebaut sei, ob der Uterus eine be-
sondere Ausmündung besitze, wie bei den Bothriocephaliden, oder nicht, wie
bei den Tänien, ob die Eier zusammengesetzte sind, und ob eine Differenzierung
von Keim - und Dotterstock vorliegt. Im allgemeinen scheine es, dass das
Corallobothrium sich den Tänien anschließe. — Herr Schauinsland (München)
sprieht die Ansicht aus, dass die Zusammensetzung der Eier ein Kriterium ab-
geben würde, ob der fragliche Parasit zu den Tänien oder zu den Bothrio-
cephalen zu stellen sei. Die Bothriocephalen besitzen zusammengesetzte
Eier, bei denen die Dotterelemente meistens noch in Gestalt von intakten
Zellen vorhanden sind und haben außerdem eine primäre meist gedeckelte
Chitinschale. Bei den Tänieneieın dagegen ist der Dotter wohl nie mehr
zellenhaltig, und ihre Chitinschale ist eine sekundäre. — Herr Eduard
van Beneden (Lüttich) schließt sich der Ansicht nieht an, dass man auf die
Zusammensetzung der Eier einen großen Wert legen darf. Bei Tänien existiert
Joseph, Ueber das zentrale Nervensystem der Bandwürmer. 135
um die Keimzelle herum eine flüssige Schicht, die nach seiner Meinung vom
Dotterstock abstammt und die der Schicht Dotterzellen der Bothriocephaliden-
Eier entspricht. Bei Trematoden findet man auch Formen, bei welchen die
Elemente des Dotterstockes sich als Zellen um die Keimzellen legen, andere,
wo diese zelligen Elemente nicht mehr zu erkennen sind. Aber er teilt die
Meinung des Prof. Hertwig insofern, dass auch ihm aus dem Charakter des
Kopfes und demjenigen des Geschlechtsapparates hervorzugehen scheine, dass
Corallobothrium zu den Täniaden gehört. — Herr Fritsch erwidert, dass bei
Corallobothrium die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane getrennt
seien, und dass hinsichtlich der Organisation eine Annäherung an Triaenophorus
zu erkennen sei. Im übrigen halte er die Entscheidung der Frage nach der
Stellung von Corallobothrium offen und sei nach keiner Richtung präokkupiert.
Herr Gustav Joseph (Breslau) spricht über das zentrale Nerven-
system der Bandwürmer. Sein Vortrag gipfelte in folgenden Sätzen:
1) Die beiden Hirnganglien der Tänien sind bei manchen Arten (Taenia trans-
versalis des Murmeltieres, T. rophalocera des Hasen) nicht wie bei vielen Arten
nur durch eine einzige, nämlich dorsale, Kommissur verbunden, sondern durch
2 Kommissuren, eine dorsale und eine ventrale, die durch Grundsubstanz und
Muskelausstrahlungen getrennt sind. Bei T. crassicollis ist die ventrale Kom-
missur nahe an die dorsale geschoben, aber noch von derselben geschieden.
Schon bei den Trematoden ist die ventrale Kommissur dünn. 2) Jedes der
Hirnganglien ist aus 3 Ganglien, nämlich einem mittlern großen und je einem
dorsalen und ventralen kleinern zusammengesetzt, die am deutlichsten bei 7.
crassicollis, und zwar durch Muskelausstrahlungen von einander getrennt sind.
Jeder der beiden Seitennervenstämme hat daher drei Wurzeln. Ersteres Moment
erhellt aus Querschnitten dureh den Kopf der T. saginata var. triquetra; letz-
teres aus Querschnitten durch den Hals der 7. crassicollis. 3) In dem Stadium
der Finne, in welchem die Ausstülpung des Haftapparates noch nicht statt-
gefunden hat, ist das zentrale Nervensystem in 6 äquatorial gestellten Ganglien-
zellenhaufen (Ganglienzelle von 0,012 mm Durchmesser, Kern derselben 0,0046 mm
Durchmesser) angelegt, die später durch Auswachsen bipolarer Fortsätze zu
einem Nervenring mit 2 aus je 3 Ganglienhaufen bestehenden Verdickungen
sich verbinden.
Herr Lindner (Kassel) sprach über eine anscheinend noch nicht bekannte,
jedoch wohl charakterisierte Gattung von Infusorien aus der Abteilung der
Peritrichen, welche in der Gegend von Kassel sehr gemein ist und parasi-
tische Eigenschaften besitzt. Er entdeckte dieselben zuerst vor etwa 2 Jahren
(Juli 1884) in einem mit organischen Zersetzungsstoffen sehr verunreinigten
Brunnenwasser dortiger Gegend, dessen Genuss bei 2 Personen nach ärztlichem
Urteil eine typhöse Infektion bewirkt hatte. Bei weiterem Nachforschen fanden
sich die nämlichen Ciliaten in und bei Kassel fast konstant in den Schmutz-
und Abfallwässern aus menschlichen Haushaltungen und aus Viehställen, im
Kanalwasser u. s. w., sehr oft in Gesellschaft von kleinern und größern Schrauben-
Bakterien, vom Punctum saltans an bis zu den längern Spirillen und Spiro-
chäten. Sie fanden sich ferner in dem Cökalinhalte von Schweinen (unter
5 Fällen 2 mal), sowie in den Dejektionen von Typhuskranken (unter 6 auf
Infusorien untersuchten Fällen 4 mal) und bei einem von diesen Kranken auch
734 Beneden, Untersuchungen an den ersten Entwicklungsstadien von Säugetieren.
im Urin. Die vollständig entwickelten Infusorien der qu. Gattung kamen
übrigens sowohl in der freien Natur, wie in dem Darminhalte der genannten
Tiere und der typhuskranken Menschen in der Regel noch nicht bei der ersten
mikroskopischen Untersuchung, sondern gewöhnlich erst nach 5 bis Stägiger
Beobachtung der betreffenden Nährsubstrate zum Vorschein, während in den
ersten 2 Tagen meist nur eingekapselte Infusorien und demnächst lebende
Monaden und Uvellen sichtbar waren. Die qu. Ciliaten gehören nach Mit-
teilung des Herrn Prof. Bütschli, welcher die Güte hatte, dieselben vor
einiger Zeit näher zu untersuchen, zu den freischwimmenden stiellosen Vorti-
cellen, welche — wie es scheint — niemals einen Stiel bilden, jedoch mit
ihrem hintern Wimperkranze gelegentlich sich hier und da festheften. Im
übrigen besitzen sie denselben innern Bau, wie die gestielten Vorticellen und
weichen nur in der äußern Form ein wenig davon ab. Sie schwimmen sehr
behende mit dem hintern Körperende voran und drehen sich hierbei gern um
ihre Längsaxe. Beim Austrocknen ihres Nährsubstrates oder beim Einwirken
von andern ihre Existenz bedrohenden Einflüssen bilden sie Dauerkapseln,
wobei sie sich zuerst abwechselnd kräftig kontrahieren und wieder ausdehnen,
sodann ihre Cilien einziehen, sich meist kugelförmig abrunden und äußerlich
eine feste, sehr widerstandsfähige Hülle abscheiden. Hierbei vereinigen sich
gewöhnlich mehrere Individuen zu kleinern oder größern sareineartigen Gruppen,
indem sie sich zwischen einander schieben und durch eine kittartige Schleim-
substanz fest mit einander verbinden. Ihre Vermehrung erfolgt teils durch
Längsteilung des ganzen Individuums, teils und hauptsächlich durch Kopulation
mit nachfolgender mehrfacher Teilung des Nucleus. Ihre Nahrung besteht teils
aus flüssigem Eiweißstoff, teils aus organischem Detritus und aus kleinsten
Bakterien, von denen sie nicht bloß die indifferenten Fäulnispilze, wie Bac-
terium termo, sondern auch virulente Spaltpilzarten ohne Nachteil für ihre
Existenz zu verzehren scheinen. Sie gedeihen nämlich in den verschieden-
artigsten, tierisches Eiweiß enthaltenden Flüssigkeiten, mögen dieselben frisch
oder bereits in faulige Gärung übergegangen sein Ebenso lieben sie anima-
lische Lymphe und flüssiges Blut, ja sie gedeihen sogar in allen eiweißhaltigen
Se- und Exkretionen vom gesunden und vom kranken menschlichen Organismus,
sowie in den verschiedenen Krankheitsprodukten, wenn dieselben nur nicht
freie Säure enthalten. — In den bacillenhaltigen Dejektionen von Typhus-
kranken gezüchtet, zeigten sie eine eminente Fruchtbarkeit, sowie sie über-
haupt in geeigneten Nährsubstraten sich sehr rasch vermehren. Des Lichtes.
bedürfen sie zu ihrem Gedeihen nicht. — Wegen ihrer vorwaltend schlauch-
förmigen Gestalt dürfte der Name „Askoidien“ für diese Peritrichen-Gattung
bezeichnend sein. Dieselben ‘gehören entschieden zu den am höchsten ent-
wickelten Infusorien, welche wahrscheinlich auch weit verbreitet sind, da sie
nach den wiederholt gemachten Beobachtungen des Vortragenden von den ge-
stielten Vorticellen — namentlich von Vorticella mikrostoma — abzustammen
scheinen, welche durch bloße Veränderung ihres Nährsubstrates allmählich
ihren Stiel verlieren.
Sektion für Anatomie.
4. Sitzung. Herr E. van Beneden (Lüttich) berichtet über seine Unter-
suchungen an den ersten Entwicklungsstadien von Säugetieren (Kaninchen,
Maus, Vespertilio murinus). 1) Le canal cordal que Lieberkühn a decouvert
Gottschau, Entwicklung der Säugetierlinse. 7135
chez la Taupe (Talpa europaea) et le Cobaye (Cavia cobaya) se trouve remar-
quablement d&velopp& chez V. murinns, mais n’existe que virtuellement, sauf
en arriere, chez le Lapin. 2) La route du canal est form6e par une eouche
de cellules eylindriques dispos&ees en une plaque adjacente et intimement unie
a la plaque medullaire au fond du sillon dorsal („Rückenrinne“ sillon median
de van Bambeke). C’est exclusivement au depens de cette plaque homologue
au chorda-entoblast de 0.Hertwig que se forme la notocorde. 3) La plaque
notocordale se continue A droite et A gauche, avec la couche externe du
mesoblaste (somatopleure). 4) Le plancher du canal est form& par une masse
cellulaire qui se continue sur les cötes avec la couche profonde du m&soblaste
(splanchnopleure). Cette derniere se soud plus tard avec l’hypoblaste sous-
Jacent, le long de la ligne mediane. 5) Le canal cordal s’ouvre ä l’exterieur,
a l’extr&mit& anterieure de la ligne primitive chez le Lapin comme chez le
Murin. En avant de cette ouverture la plaque medullaire s’inflöchit en dedans
pour se continuer avec la plaque notocordale. Cette ouverture repond au
futur canal neurenterique. 6) Le sillon primitif est delimit& & droite et &
gauche par une levre suivant laquelle l’&piblaste epaissi se continue avec la
couche externe du me&soblaste. 7) Le fond du sillon primitif est forme par
une masse cellulaire qui & l’extremit6 anterieure de la ligne fait saillie au
dehors. Elle se continue sur les cötes avec la couche profonde du me&soblaste
qui constitue le plancher du canal cordal. Cette masse cellulaire est homo-
logue au „Dotterpropf“ des Amphibiens. — Hieraus folgert Herr van Beneden,
dass der Chordakanal der Gastrula-Einstülpung der Amphibien entspreche und
„dass der Primitivstreifen dem Blastoporus gleichzusetzen sei“. Auch in der
Bildung des Mesoblasts und des Cöloms bestehen bei Säugetieren Verhältnisse,
die mit denen der Amphibien übereinstimmen.
Letzte Sitzung. Herr Gottschau stimmt nach seinen Befunden in der
Entwieklung der Säugetierlinse bei Kaninchen, Schaf, Rind, Schwein
den Ansichten von Arnold und Michalkoviez bei, erblickt in den Zell-
haufen im Grunde der noch offenen Linsenblase ein Produkt des äußern Teils
des Ektoderms, welches während der Abschnürung der Linse eine transitorische
Rolle spielt. Die Zellen dieses Haufens vergrößern sich bis zur Abschnürung
und füllen den innern Raum der Linsenblase aus, gehen dann aber unmittelbar
nach der Abschnürung sehr schnell zu grunde.
Herr Fritsch spricht über die Elemente des Zentralnervensystems der
elektrischen Fische und versucht den Nachweis, dass als Axenzylinder ver-
laufende Fasern durch Verschmelzung von Protoplasmafortsätzen entstehen
können. Der Ursprung des Axenzylinders aus der Zelle bildet zuerst einen
kegelförmigen Vorsprung, der durch Verschmelzung breiter Fortsätze entstanden
ist nnd von Gefäßen durchsetzt wird (Gymnotus, Lophius piscatorius, Malop-
terurus electricus). Bei Ganglienzellen (Spinalganglien) von Lophius gehen
außer dem Axenzylinder feine Fortsätze durch die Kapselwandung und ver-
schmelzen außerhalb derselben. Danach ist man berechtigt, auch da eine
Verschmelzung feiner Fortsätze der Nervenzellen zu Axenzylindern anzunehmen,
wo die Feinheit derselben den Nachweis unmöglich macht. — Herr Waldeyer
macht darauf aufmerksam, dass er in seiner Arbeit über den Ursprung des
Axenzylinders eine Entstehung von Axenzylinderfortsätzen aus einer Ver-
136 Kadyi, Blutgefäße des menschlichen Rückenmarks.
schmelzung feiner Fortsätze beschrieben habe. — Herr Kollmann spricht
seine Freude über die Entdeckung des Herrn Fritsch aus, möchte aber für
die betr. Nervenfasern, namentlich im Hinweis auf Golgi’s Arbeiten, nicht
als Axenzylinderfortsätze bezeichnen. — Herr Ehrlich unterscheidet an
Ganglienzellen, die intra vitam mit Methylenblau tingiert wurden, 3 verschieden-
artige Fortsätze: 1) Oberflächennetz, 2) grade Fortsätze, 3) Protoplasmafort-
sätze. — Herr Rawitz bemerkt, dass bereits vor Jahren von Courvoisier
und dann von ihm die bezüglichen Verhältnisse beschrieben worden seien.
Herr Kadyi (Lemberg): Ueber die Blutgefäße des menschlichen
Rückenmarks. Für das Rückenmark bestimmte Gefäße (Arteriae et venae
radiales medullae spinalis anteriores et posteriores) sind an allen Nervenwurzeln
angelegt, jedoch nicht überall ausgebildet. Die Art. vertebralis ist der Summe
einer vordern und einer hintern Wurzelarterie des Rückenmarks gleichwertig.
In der Pia mater bilden die Arterien Netze, unter welchen Längsketten her-
vortreten. Die Venen des Rückenmarks sind hinsichtlich des Verlaufs und der
Verbreitungsweise von den Arterien unabhängig. Die Arterien sind, soweit
sie ins Rückenmark eintreten, Endarterien im Sinne Cohnheim’s. Dagegen
kommen venöse Anastomosen im Innern des Markes zahlreich und stark vor.
Die Kapillarnetze des Rückenmarks bilden ein einziges zusammenhängendes
Ganze; nur die Diehtigkeit und Form der Maschen ist in verschiedenen Partien
verschieden. Es gibt drei differenzielle Netzformen. Eine Unterscheidung von
Stromgebieten auf dem Rückenmarksquerschnitt ist unmöglich. — Herr Al-
brecht bemerkt, dass es keine interkostalen und intervertebralen Arterien
gibt, dieselben sind kostal und interprotovertebral. — Herr Kadyi entgegnet,
dass er ja den morphologischen Standpunkt gar nieht berührt habe.
Herr Roux (Breslau) teilt mit, dass die erste Furche durch den Be-
fruchtungsmeridian bestimmt werde, und dass das Ursächliche dabei
nach dem gegenwärtigen Stande der Untersuchung wohl in der Kopulations-
richtung des Spermakernes und des Eikernes zu suchen sei. — Derselbe teilt
ferner mit, dass er Pilzkanäle in Knochen der Rhytina Slelleri gefun-
den habe.
Verlag von Paul Frohberg in Leipzig.
Anatomische Untersuchungen
über freilebende
Nordsee-Nematoden
von
Dr. J. G. de Man.
Mit dreizehn lithographierten Tafeln.
10 Bogen, gr. Folio.
Preis kartoniert M. 28.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
%
>
Biologisches Üentralblatt
unter Mitwirkung von
Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka
Prof. der Botanik Prof. der Zoologie
herausgegeben von
Dr. J. Rosenthal
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten.
VI. Band. 15. Februar 1889. Nr. 24.
Inhalt: Ludwig, Ein neuer Fall verschiedener Blütenformen bei Pflanzen der näm-
lichen Art und ein neues mutmaßliches Kriterium der Schmetterlings- und
Hummelblumen. — Brieger, Untersuchungen über Ptomaine (Schluss). —
Gierke, Färberei zu mikroskopischen Zwecken. — Schwalbe, Lehrbuch der
Anatomie der Sinnesorgane. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesell-
sehaften: 59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin.
Ein neuer Fall verschiedener Blütenformen bei Pflanzen der
nämlichen Art!) und ein neues mutmaßliches Kriterium der
Schmetterlings- und Hummelblumen.
Der erste Fall der Dientomophilie, d.h. der Anpassung ein und
derselben Blumenspecies an verschiedene Insekten, ist meines Wissens
von Hermann Müller bei Iris Pseudacorus beschrieben worden,
bei welcher eine der Bestäubungsvermittlung durch Hummeln und eine
der Bestäubung durch Rhingia angepasste Blütenform, jede auf be-
sonderem Stocke, existiert. Ein neuer Fall dürfte sich nach den
Beobachtungen von C. Aurivillius?) bei Aconitum Lycoctonum finden,
derselben Pflanze, welche in den Alpen nach den schönen Beobach-
tungen von Dalla Torre u. a. durch die langrüsseligen Weibchen
der heterotrophen?) Hummel Bombus Gerstäckeri bestäubt wird (wäh-
rend die kurzrüsseligen Arbeiter und Männchen desselben Insektes nur
die blauen Aconitum - Arten, besonders A. Napellus, besuchen). —
Aurivillius fand in Jämtland im mittlern Schweden bei Aconitum
Lyecoetonum zweierlei Stöcke, von denen die Blüten des einen einen
4) Vgl. Biol. Centralbl., IV. Band $. 225—235, Bd. V 8. 561-568.
2) Botaniska Säleskapet i. Stockholm 17. Febr. 1886; Bot. Centralblatt
XXX S. 125.
3) Biol. Centralbl. V S. 744 fi. In den Alpen findet sich diese Hummel
nur an dem genannten Aconitum, und zu den Dimensionen der Blüte des A.
Lycoctonum passen nur B. hortorum und B. Gerstäckeri Mor. der Rüssellänge
nach. In der That wurden aber auch nur diese beiden Arten auf A. Lycoc-
tonum bisher beobachtet.
VI, 47
738 Ludwig, Verschiedene Blütenformen bei Pflanzen der nämlichen Art.
kurzen stärkern, fast graden stumpfern (Form «), die des andern
einen engern gegen die Spitze verschmälerten nach aufwärts (zu-
weilen fast im Halbzirkel) gebogenen Sporn haben (Form ß).
Nach den Beobachtungen von Aurivillius scheint die Form $ eine
engere Anpassung an Hummeln darzustellen und einen Ausschluss
anderer langrüsseliger Insekten (Schmetterlinge), welchen die Form a
zugänglich ist, zu bewirken. Derselbe fand nämlich, dass eine Hum-
mel an Aconitum-Blüten, deren Spornspitzen abgeschnitten waren, die
Spitze ihrer Saugzunge nach allen Richtungen bewegen und biegen
konnte, und dass sie dieselbe folglich ohne Schwierigkeit in den frei-
liegenden Nektarien der Spornspitze auch da einstecken konnte, wo
der Sporn mehr oder weniger aufwärts gebogen war. Der Saugrüssel
der Schmetterlinge dagegen kann zwar auch ausgestreckt werden bis
er ganz grade wird, kann aber vom Schmetterlinge nicht nach
oben gebogen werden. Aurivillius ist daher der Ansicht, dass
bei der Form 8 von Aconitum Lycoctonum die Schmetterlinge durch
die Biegung des Sporns und die Lage des Honigs von der Blüte ganz
ausgeschlossen sind. Erweist sich diese Ansicht von der Beweglich-
keit des Schmetterlingsrüssels als richtig, so kann die Richtung des
Honigweges als ein wichtiges Kriterium einer wirklichen Schmetter-
lings- (bezw. Hummel-) Blume betrachtet werden.
Ob und in welcher Weise in der Form $ das spiralige Honig-
gefäß in dem Sporn eine Aenderung erfahren hat, ist nicht angegeben.
In Deutschland wurde als regelmäßiger Bestäuber der gelben
Eisenhüte B. hortorum L., in den Alpen, wie bereits erwähnt, BD.
Gerstäckeri Mor. ausschließlich angetroffen. In Jämtland beobach-
tete Aurivillius gleichfalls als legale Befruchter nur B. hortorum L.
und — noch häufiger — B. consobrinus Dahlb.!). Beide suchen die
streng proterandrischen Blumen von den untersten (2) des Blüten-
standes an aufwärts ab, so dass sie nur xenogamisch befruchten
können. Die Zahl der im Laufe eines Tages, oder des Tages und der
Nacht zusammen — denn die Hummeln befinden sich in diesen Gegenden
auch einen guten Teil der lichten Sommernacht in Bewegung — einer
einzigen Hummel besuchten Blumen ist eine sehr große, wenn auch
schwankende.
4) Einer brieflichen Mitteilung unseres besten Apidenkenners Dr. O.
Schmiedeknecht zufolge ist Bombus consobrinus Dahlb. (Bombi Scand.
49, 30) eine nordische Form des B. hortorum L., bei welchem die gelben
Haare des Thoraxrückens die schwarzen ganz verdrängt haben. Thomson
führt ihn als selbständige Art auf, ohne aber stichhaltige Unterschiede zu
bringen und hält ihn möglicherweise mit B. Gerstäckeri Mor. für identisch,
was aber nicht der Fall ist. — Dr. Schmiedeknecht hat häufig beobachtet,
dass auch Bombus hortorum, der Aconitum und Delphinium mit Vorliebe be-
sucht, diese Blumen nicht selten unten aufbeißt, also gleichfalls Einbruchdieb-
stahl verübt.
WERTE EEE Rn re
Fre
Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 7139
Es machte BD. hortorum L. am 5. Juli in 5 Minuten 80 Besuche
d. h. pro Stunde 960 Besuche, am 11. Juli in 2 Minuten 40 Besuche
d. h. pro Stunde 1200 Besuche und B. consobrinus Dahlb. am 5. Juli
in 1 Minute 24 Besuche d. h. pro Stunde 1340 Besuche, am 5. Juli
in 7 Minuten 80 Besuche d. h. pro Stunde 685 Besuche.
B. terrestris besuchte in Jämtland die Pflanze zwar gleichfalls
häufig, verübt aber nur, wie in den Alpen B. mastrucatus, Einbruch-
diebstahl (am 24. Juni fand A. bei 86 Blumen der Form « 33,7 9/,,
am 4. Juli bei 668 Blüten der Form $# 3°/, am Sporn durchlöchert).
Schließlich besucht noch B. schrimshiranus Dahlb. die Aconitum-
Blüte, aber nur, um daselbst Pollen zu suchen, also nur die jungen
noch nicht befruchtungsfähigen Blüten, so dass sie für die Befruchtung
bedeutungslos ist. F. Ludwig (Greiz).
L. Brieger, Untersuchungen über Ptomaine.
(Schluss.)
Im verflossenen Jahre, nicht lange vor dem Erscheinen der dritten
Monographie Brieger’s, sind von A. Gautier!) Untersuchungen
publiziert worden, welche die aus frischen tierischen Geweben zu
gewinnenden alkaloidartigen Körper zum Gegenstand haben.
Die Gautier’schen Basen, vom Darsteller wegen ihrer engen
Beziehung zum Eiweiß Leukomaine genannt, beanspruchen bei der
Frage nach der Entstehung der Ptomaine insofern einiges Interesse,
als sie vielleicht das Material zu deren Bildung hergeben, sei es dass
sie unter dem Einfluss der Fäulnisbakterien direkt in Ptomaine über-
gehen, oder dass ein Teil ihrer Elemente zur Synthese solcher ver-
wendet wird.
Gautier erhielt die Leukomaine nach folgendem Verfahren:
Frisches Rindfleisch und Liebig’sches Fleischextrakt wurden mit
oxalsäurehaltigem Wasser erschöpft, die Auszüge in vacuo bei 50°
eingedampft und die Rückstände mit Alkohol aufgenommen. In den
alkoholischen Lösungen rief Aether eine syrupöse, zum Teil krystalli-
sierende Fällung hervor. Aus diesem Niederschlage ließen sich durch
umkrystallisieren aus Alkohol und Wasser sechs basische Verbin-
dungen abtrennen:
1) Xanthokreatinin C,H,,N,O ; schwefelgelbe Blättchen ; dem
Kreatinin ähnlich; physiologische Wirkung äußert sich in
Niedergeschlagenheit, hochgradiger Müdigkeit und wieder-
holtem Erbrechen.
1) Armand Gautier, sur les alcaloides deriv6s de la destruction bac-
terienne ou physiologique des tissus animaux. Paris 1886.
AUT
740 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine.
2) Crusokreatinin C,H,N,O; gelb; durch ein Plus von CNH vom
Kreatinin verschieden.
3) Amphikreatinin 0,H,,N,-0;-
4) Pseudoxanthin C,H,N,O; dem Xanthin ähnlich.
5) Die Base C,,H,.N,0;-
6) Die Base 0,,H,,N,10;.
Diese Basen scheinen ziemlich verbreitet zu sein; Gautier fand
sie noch im Harn, im Speichel und im Blut. Br. ist denselben im
Laufe seiner Untersuchungen nicht begegnet.
Den Leukomainen können das Paraxanthin C,H,N,O, und das
Heteroxanthin O;H,N,O,, welche G. Salomon!) aus menschlichem
Harn isoliert hat, an die Seite gestellt werden.
Bei vergleichender Betrachtung der Zusammensetzung der Gau-
tier’schen Basen, des Kreatins, des Kreatinins und der Xanthin-
körper muss es auffallen, wie häufig sich der Atomenkomplex CNH,
das Molekül der Blausäure, als Differenz zweier Formeln oder Formel-
kombinationen ergibt. Wenn aber dieser Atomkomplex bei einer
solchen Reihe von Verbindungen, welche als erste Zersetzungsprodukte
tierischer Gewebe anzusehen sind, immer wiederkehrt, so wird man
vermuten dürfen, dass die Blausäure oder die Cyangruppe (CN) bei
dem Aufbau des Tierleibes eine nicht untergeordnete Rolle spielt.
Zu gunsten dieser Auffassung spricht auch die Thatsache, dass aus
dem Nuklein des Zellkerns, wie Kossel?) ermittelt hat, eine Sub-
stanz von derselben elementaren Zusammensetzung wie die Blausäure
dargestellt werden kann, das Adenin C,H,N,. Diese nach den Unter-
suchungen Kossel’s in allen zellenreichen Geweben, tierischen wie
pflanzlichen, vorkommende Base verhält sich bei energisch eingreifen-
den ehemischen Operationen derartig, dass auf ein Vorhandensein
von Cyangruppen im Adeninmolekül notwendig geschlossen werden
muss.
Um neue Momente zur Beurteilung der Genese der Ptomaine zu
gewinnen, hat Br. die Fäulnisversuche mit menschlichen Leichen-
teilen und mit Pferdefleisch wiederholt mit der Modifikation, dass die
zerkleinerten und in Tonnen aufgeschichteten Massen während der
Wintermonate in einem allseitig abgeschlossenen Raum, dessen Tem-
peratur zwischen — 9 und + 5° schwankte, der Fäulnis überlassen
wurden. Der Verwesungsprozess schritt dabei außerordentlich lang-
sam vor; die Sauerstoffzufuhr war auf ein Minimum beschränkt.
Ferner wurde auf Br.’s Veranlassung das Studium der Fisch-
fäulnis, welches Br. selbst mit der Untersuchung der in faulenden
Dorsehen vorkommenden Basen begonnen hatte, von O. Bocklisch
wieder aufgenommen.
1) Salomon, Ber. d. deutsch. chem. Ges. XVI 195 u. XVII 3406.
2) Kossel, Zeitschrift f. physiol. Chemie X 248.
UT
Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 741
Die Verarbeitung auf Ptomaine geschah im wesentlichen nach
der von Ref. bereits mitgeteilten Methode; nur wurde zur Entfernung
einer in fast alle Lösungsmittel übertretenden, die Krystallisationen
der Basen verunreinigenden eiweißartigen Substanz vor der Behand-
lung mit Quecksilberchlorid mit alkoholischem neutralen Bleiacetat
gefällt. Aus dem mit Schwefelwasserstoff entbleiten Filtrat konnte
nun ein Teil der Ptomaine durch Quecksilberchlorid niedergeschlagen
werden. Der Niederschlag wurde aus heißem Wasser umkrystallisiert
oder von Quecksilber befreit und die salzsaure Lösung mit Platin-
oder Goldehlorid behandelt. Es erwies sich weiterhin als zweckmäßig,
die in dem Filtrat von der Quecksilberfällung enthaltenen Ptomaine
nach Eliminierung des Quecksilbers an Phosphormolybdänsäure zu
binden, diese Doppelverbindung in bekannter Weise mit neutralem
Bleiacetat zu zerlegen und endlich die Trennung der einzelnen Pro-
dukte durch fraktionierte Fällung mit Gold- oder Platinchlorid zu
bewirken.
Zwei Zentner innerer Organe vom Menschen wurden nach vier-
monatlicher Fäulnis verarbeitet. Zunächst ließen sich beträchtliche
Mengen Kadaverin und Putresein gewinnen. Außerdem resultierten
zwei neue Basen, beide jedoch nur in geringen Quantitäten, Myda-
toxin C,H,;NO,, ein schwaches Gift, und Mydin C,H,,NO, eine ungif-
tige Verbindung.
Das Mydin wirkt stark reduzierend; sein Pikrat krystallisiert in
breiten, bei 195° schmelzenden Prismen. Die freie Base riecht am-
moniakalisch; beim Destillieren zersetzt sie sich.
Wider Erwarten konnte bei diesem Versuch ein heftiges Gift nicht
erhalten werden.
In dem Extrakt von einem Zentner Pferdefleisch, das ebenfalls
vier Monate lang gefault hatte, fand sich neben Kadaverin und Putresein
ein Körper von der Zusammensetzung C-H,-NO,, welcher schwach
sauer reagierte, welcher mithin nicht den Ptomainen beigezählt wer-
den darf, sofern Ptomain synonym ist mit Fäulnisbase.
Der Körper C,H,-NO, ist keine Amidosäure; durch Eisenchlorid
wird er weder gefärbt noch gefällt. Er ist giftig. Auf Frösche wirkt
er kurareähnlich. Bei Meerschweinchen rufen Dosen von 0,05—0,3 g
starke Pupillenerweiterung hervor; klonische Krämpfe treten auf;
Körpertemperatur und Atemfrequenz sinkt; nach mehrern Stunden
sterben die Tiere im Zustande völliger Kraftlosigkeit.
Die Isolierung des Körpers C,.H,-NO, geschieht am besten in
Gestalt seines in Blättchen krystallisierenden, in Wasser schwer lös-
lichen Goldsalzes. Der Schmelzpunkt des reinen Salzes liegt bei 176°.
Die von dieser eigenartigen Verbindung befreiten Laugen ent-
hielten noch Mydatoxin, das sich nicht mit Goldcehlorid, wohl aber
mit Platinchlorid paart. Das Platinat schmilzt bei 193°. Die Gift-
wirkung des Mydatoxins gleicht derjenigen des Körpers 0,H,,NO;;
742 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine.
nur spielen sich die einzelnen Intoxikationserscheinungen viel lang-
samer ab.
Dem Quecksilberchloridfiltrat war schließlich nach Fortschaffung
des Quecksilbers durch Phosphormolybdänsäure eine Base zu ent-
ziehen, die durch Analyse und Vergleich mit einem künstlichen Prä-
NH. CH,
NE;
Methylguanidin giftig ist, haben bereits Baumann und Gergens
durch Experimente an Fröschen nachgewiesen. Bei einem Meer-
schweinchen beobachtete Br. nach Injektion von 0,2 g der Base
Pupillenerweiterung, reichlichen Stuhl- und Urinabgang, gewisse Läh-
mung der Extremitäten, Dyspnoe und endlich allgemeine Krämpfe,
unter welchen das Tier zu grunde ging.
Bezüglich der Entstehung des Methylguanidins wird man annehmen
müssen, dass es aus dem Kreatin hervorgegangen ist. Die Umwand-
lung des letztern in jene Verbindung geht glatt von statten, aber
nur durch Oxydation:
NH: Gone CHR Us 200, NH CS En + C,0,H,;
in vorliegendem Falle haben mithin die Fäulnisbakterien oxydierend
gewirkt.
Zum Beweise, dass die von ihm dargestellten neuen Ptomaine
nicht etwa schon im ungefaulten Fleisch vorhanden sind, hat Br.
frisches Pferde- und Rindfleisch auf diese Verbindungen geprüft. Er
fand nur Xanthinkörper und Kreatinin.
Die Untersuchung der bei der Fischfäulnis auftretenden Ptomaine
ist von OÖ. Bocklisch weitergeführt worden. Den von Br. ange-
gebenen Methoden folgend, verarbeitete Bo. größere Quantitäten ge-
faulter Barsche, Häringe, Hechte und Dorsche.
Der Extrakt von 15 kg Barsche, die im Hochsommer 6 Tage
gefault hatten, enthielt Kadaverin, Neuridin, Dimethylamin und
Trimethylamin. Die letzten Laugen wirkten noch exquisit toxisch,
doch war das giftige Prinzip nicht zu fassen.
Aus gefaulten frischen Häringen erhielt Bo. Kadaverin, Putresein,
Methylamin, Trimethylamin und eine durch starkes Reduktionsvermögen
sich auszeichnende Base. Das Platinsalz der letztern wurde analy-
siert: 28,56°/, Pt. Zur nähern Charakterisierung reichte das Material
nicht aus. In der Häringslake fand Bo. außer Methylamin und Tri-
methylamin, deren Vorkommen in der Lake schon seit längerer Zeit
bekannt ist, Dimethylamin und erhebliche Mengen von Cholin.
Ein Versuch mit 50 kg Hechte, die nach sechstägiger Fäulnis im
Sommer zur Verarbeitung gelangten, ergab Kadaverin, Putresein,
Methylamin uud Diäthylamin.
In gefaulten Dorschen hatte Br., wie von Ref. früher bereits
angeführt, u. a. Muskarin, die Base C,H,(NH,), und Gadinin auf-
parat als Methylguanidin NH:C erkannt wurde. Dass das
A E
ww:
Bla
er
Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 143
gefunden. Bei Wiederholung des Experiments wurden von Bo. jedoch
nur Kadaverin, Putresein und Methylamin ermittelt. Der Grund für
dieses abweichende Resultat liegt wohl darin, dass Bo. wegen der
durch Wintertemperatur verursachten Verzögerung des Fäulnisprozesses
den Fischbrei über 2 Monate sich selbst überlassen musste, während
Br. in fünf Tagen ausgesprochene Fäulnis erzielt hatte.
Hinsichtlich der Ausbeute an den einzelnen Ptomainen wiesen alle
Versuche von Bo. gleichmäßig ein Ueberwiegen von Kadaverin und
Putresein auf. Gleicherweise zeigte sich die Faulflüssigkeit von allen
Fischgattungen stark giftig; aber niemals glückte es, des Giftes oder der
Gifte habhaft zu werden. Diese Substanzen ließen sich weder durch
Reagentien niederschlagen, noch durch Ausschütteln mit Extraktions-
mitteln den Laugen entziehen; bei der Destillation mit Alkalien zer-
setzten sie sich. Die heftigste Giftwirkung war den frischen Aus-
zügen der gefaulten Massen eigen. Im Gang der chemischen Operationen
schwächte sich dieselbe allmählich ab, und zwar anscheinend in
gleichem Maße wie das Reduktionsvermögen der Laugen, so dass die
Zerstörung der Gifte als das Werk einer stetigen Oxydation zu be-
trachten war.
Den vorerwähnten Untersuchungen hat Br. eine ausführliche Mit-
teilung über die in der giftigen Miesmuschel auftretenden Basen an-
geschlossen. Den äußern Anlass zur Aufnahme des Studiums des
Muschelgiftes fand Br. in jener vielbesprochenen Massenvergiftung in
Wilhelmshafen vom Oktober 1885. Ueber die Resultate seiner Unter-
suchungen hat er früher in einem Vortrage Bericht erstattet, welcher
auch im Biologischen Centralblatt zum Abdruck gelangt ist (Bd. VIN. 13).
Die nach dem Genuss giftiger Miesmuscheln in Szene tretenden
Intoxikationserscheinungen sind different: am häufigsten wurden dif-
fuse, exsudative Erytheme oder über den ganzen Körper verbreitete
Urtiearia, verbunden mit Angina und Dyspnoe, beobachtet; weniger
häufig gastrische, choleraähnliche Beschwerden; endlich am seltensten
schwere paralytische, meist zum Tode führende Erkrankungen. Letz-
tern Charakter trugen die genannten Wilhelmshafener Fälle.
Ueber die Entstehung des Giftes ist viel debattiert worden. Einige
Autoren glauben, die Miesmuscheln nähmen während der in die Som-
mermonate fallenden Befruchtungsperiode toxische Eigenschaften an,
indem ihr Fleisch einer gewissen, von unangenehmem Geruch und Ge-
sehmack noch nicht begleiteten Zersetzung verfalle. Nach andern wird
die Giftigkeit dadurch verursacht, dass die Muscheln giftige Seesterne ver-
zehren. Eine dritte Ansicht endlich stellte eine besondere Spezies giftiger
Miesmuscheln auf, welche sich u. a. durch geringere Größe, mattere
Färbung, langsameres Wachstum, kurz durch eine Reihe atrophisch-
albinistischer Merkmale von den ungiftigen unterscheiden sollten.
Dieser Auffassung neigte Virchow zu, während die Zoologen
F. E. Sehulze, Möbius, v. Martens derselben entgegentraten.
744 Brieger, Untersuchungen über Ptomaine.
Die Annahme, dass Fäulnisvorgänge an der Bildung des Giftes be-
teiligt sind, wird durch die von Schmidtmann in Wilhelmshafen
gemachten Beobachtungen gestützt. Nur in dem stagnierenden Wasser
des Hafens und des Hafenkanals fanden sich giftige Muscheln ; die-
selben büßten ihre Giftigkeit ein, sobald sie in frisches Wasser ver-
pflanzt wurden, und nahmen, nach ihrem alten Standort zurückge-
bracht, in vierzehn Tagen jene Eigenschaft wieder an. Auch Vir-
chow stellte fest, dass giftige Muscheln in einem Seewasseraquarium
innerhalb vier Wochen ungiftig werden.
Die chemische Natur des Giftes hat zuerst H. Salkowski')
aufzuklären gesucht. Nach seinen Erfahrungen ist das Gift mit
Wasserdämpfen nicht flüchtig und wird durch Kochen mit kohlen-
sauern Alkalien zersetzt, während es in saurer Lösung ohne Schaden
zur Trockne eingedampft und sogar sieben Minuten lang auf 110°
erhitzt werden kann. Die Reindarstellung des Mytilotoxin genannten
Giftes ist Br. nach folgendem Verfahren gelungen: die zerquetschten
Muscheln wurden mit salzsäurehaltigem Wasser ausgekocht, der fil-
trierte Extrakt eingedampft und der Rückstand wiederholt mit Alkohol
erschöpft. Der alkoholische Auszug wurde alsdann durch Versetzen
mit Bleiacetat von störenden Verunreinigungen befreit, entbleit und
mit alkoholischem Quecksilberchlorid gefällt, das Filtrat entqueck-
silbert und eingedampft, der Rückstand in Wasser aufgenommen und
nach Neutralisation mit Soda und Ansäuern mit Salpetersäure das
Gift durch Phosphormolybdänsäure niedergeschlagen. Zerlegen der
Doppelverbindung mit neutralem Bleiacetat, Eindampfen des entbleiten
Filtrats nach geringem Zusatz von Salzsäure, Aufnehmen in abso-
lutem Alkohol und Fällen mit absolut-alkoholischem Quecksilber-
chlorid führte zu einer leicht löslichen Quecksilberverbindung des
Mytilotoxins. Aus dieser durch Umkrystallisieren gereinigten Ver-
bindung wurde das bei 182° schmelzende Goldsalz dargestellt und
durch dessen Analysen die Formel C,H,,NO, für das Gift eruiert.
Das freie Mytilotoxin riecht widerlich; an der Luft zersetzt es sich
leicht.
Aus der Masse der ungiftigen Basen isolierte Br. das Betain
(Oxycholin) C,H,,NO,. Die Experimente, welche darauf abzielten,
Mytilotoxin durch Faulenlassen gesunder Miesmuscheln zu erzeugen,
blieben bisher ohne Erfolg; die Faulflüssigkeit enthielt Kadaverin,
Putresein und Trimethylamin.
Die Erforschung der Ptomaine pathogener Bakterien weiter ver-
folgend, wiederholte Br. die Kulturversuche mit dem Staphylococeus
pyogenes aureus Rosenbach, ohne jedoch neue Resultate zu ge-
winnen.
Auch der Streptococcus pyogenes Rosenbach bewirkte in diekem
4) Virchow’s Archiv CH. 578.
;
h
1
Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. 745
Fleisehbrei, in Bouillon und in Blutserum nicht die Bildung eines
Toxins, sondern nur von Ammoniak und Trimethylamin.
Anders der Koch-Eberth’sche Typhusbaeillus, der zwar ebenso
wie der Staphylococcus pyogenes Glykogen völlig intakt lässt, aber,
auf Fleischbrei gezüchtet, eine stark giftige Base hervorbringt. Den
Analysen des Goldsalzes zufolge — Sehmlzp. 176° — hat diese Base
die Zusammensetzung C,H,-NO,; sie ist isomer, nicht identisch mit
der in faulem Fleisch auftretenden Verbindung (s. o.). Br. nannte
sie Typhotoxin. Ihre physiologischen Wirkungen konnten wegen der
geringen Ausbeuten noch nicht genügend studiert werden.
Um das als letzte Ursache des Tetanus anzuseheude chemische
Gift zu fassen, stellte sich Br. aus Rindfleisch Massenkulturen von
Tetanusbakterien, denen allerdings geringe Mengen anderer Mikroben
beigemischt waren, her und verarbeitete den Fäulnisbrei nach 8 Tagen
auf basische Produkte. In der That konnte er aus dem Quecksilber-
cehloridfiltrat durch Platinchlorid eine Base isolieren, welche sich durch
ihre Eigenschaften augenfällig als spezifisches Krampfgift dokumen-
tierte. Das Platinsalz der neuen Tetanin genannten Verbindung löste
sich äußerst leicht in Alkohol und musste durch Aether ausgefällt
werden. Die Analysen ergaben für das Tetanin die Formel C,,H,,N50;-
Die physiologische Wirkung des Giftes ist eklatant. Minimale Dosen
bleiben allerdings ohne merkbaren Effekt; stärkere verursachen zu-
nächst Abgeschlagenheit, dann aber heftigste Krämpfe, denen die Tiere
meist erliegen. Der Symptomenkomplex gleicht dem durch die Te-
tanusmikrobie hervorgerufenen.
In einer kürzlich erschienenen Mitteilung!) berichtet Br., dass
er das Tetanin auch in menschlichen Leichenteilen, welche monate-
langer Fäulnis überlassen waren, gefunden habe, und ferner, dass in
Tetanuskulturen neben diesem Gift ein zweites ähnlich wirkendes
Ptomain auftrete. Die Trennung beider Basen wird am besten durch
Destillation im Dampfstrom erreicht, wobei das zweite Ptomain über-
geht, während Tetanin unverändert zurückbleibt. Die Zusammen-
setzung jenes zweiten Krampfgiftes entspricht der Formel U,H,,N.
Das leicht lösliche Goldsalz schmilzt bei 130° und das Chlorhydrat
bei 205° Die freie Base ist flüchtig und siedet um 100°; mit Pi-
peridin, das ja ebenfalls die Formel C,H,,N besitzt, ist sie nicht
identisch.
Im letzten Kapitel seiner dritten Monographie bespricht Br. die
Konstitution der Ptomaine, deren Erforschung sich uns als unum-
gänglich aufdrängt, wenn wir uns das Verständnis der durch die che-
mische Energie der Bakterien angeregten synthetischen Prozesse er-
schließen wollen. Erst die Kenntnis der Radikale im Molekül des
Ptomains weist uns auf die Muttersubstanzen des letztern und deutet
1) Ber. d. deutsch. chem. Ges. XIX 3119.
746 Gierke, Färberei zu mikroskopischen Zwecken.
die Spaltungen an, welche die komplexen Moleküle der Bestandteile
des Organismus erlitten haben müssen.
Die Konstitution einer Reihe von Ptomainen ist bereits bekannt;
so die der einfachen Aminbasen, ferner des Cholins, Betains, Neurins
und Methylguanidins; unbekannt war bis dahin u. a. diejenige des
Kadaverins und des Putreseins.
Ein genauer Vergleich des Kadaverins mit dem unlängst von
Ladenburg synthetisch dargestellten Pentamethylendiamin hinsicht-
lich ihrer Eigenschaften, Salze und Reaktionen ergab die zweifellose
Identität beider Verbindungen. Ladenburg selbst hat durch Ueber-
führung des Kadaverins in Piperidin, zu dessen Synthese er vom
Pentamethylendiamin aus gelangt ist, diese Identität bestätigt. Die
Konstitution des Kadaverins ist mithin: |
NH, — CH, — CH, — CH, — CH, — CH, — NH;,.
Für das Putresein lassen die mit demselben vorgenommenen
chemischen Umwandlungen zwei aufgelöste Formeln zu:
CH, -— NH — CH, _NH — C,H,
ME und CH, _ ;
CH, -— NH— CH, NH — CH,
zwischen denen neu anzustellende Versuche zu entscheiden haben
werden.
Die Frage nach der Konstitution der von Br. entdeckten Toxine
ist noch nicht berührt, auch eine Erörterung darüber, in welchen
Organteilen die Quelle einzelner Fäulnisbasen zu suchen sei, nicht
angestellt. Wir dürfen hoffen, dass auch nach diesen Richtungen hin
den fortgesetzten Untersuchungen Br.’s, welche bisher wertvollste
Aufsehlüsse über die Ptomaine gebracht und ein fruchtbares Studium
dieser Körper dureh Ausbildung exakter Forschungsmethoden ermög-
licht haben, der Erfolg nicht fehlen wird.
Oskar Schulz (Berlin).
Hans Gierke, Färberei zu mikroskopischen Zwecken.
Braunschweig, Harald Bruhn. (Separatabdruck aus Zeitschrift für wissen-
schaftliche Mikroskopie und für mikroskopische Technik Bd.1I, II (1884, 1385),
nebst einem Nachtrage).
Besprochen von Dr. Joseph Heinrich List.
Seit Einführung der Anilinfarben in die Mikroskopie hat die
Tinktionstechnik einen solehen Umfang angenommen, dass es selbst
dem mitten in der histologischen Forschung Stehenden gradezu un-
möglich ist, auf dem weiten Gebiete Umschau zu halten. Mit um so
größerer Freude muss deshalb eine Arbeit, wohl die erste ihrer Art,
eines leider allzu früh verstorbenen Forschers begrüßt werden, die
sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur eine möglichst vollständige
Uebersicht nebst Geschichte über die Verwendungsart der in der
EEE Fe in ernennen
ee A
Gierke, Färberei zu mikroskopischen Zwecken. 747
Mikroskopie gebräuchlichsten Farbstoffe zu geben, sondern auch den
noch so wenig gekannten Vorgängen bei der Tinktion näher zu treten.
Das vorliegende Werk, das zuerst in Form mehrerer Abhand-
lungen in der Zeitschrift für wissenschaftliche Mikroskopie erschien,
war ursprünglich nicht zur Herausgabe in Buchform bestimmt, wie
der Verfasser im Vorwort mitteilt, und dies muss auch als Ent-
schuldigung für die grade nicht sehr übersichtliche Anordnung des
Inhalts gelten.
Das erste Kapitel gibt eine historische Uebersicht über die Ent-
wicklung der Tinktionstechnik. Die fließende, elegante, mit zahl-
reichen trefflichen Bemerkungen gewürzte Darstellung behandelt nach
einer Einleitung den wichtigsten Farbstoff, das Karmin. Die erste
Verwendung desselben in der tierischen Histologie durch Gerlach
wird ausführlich geschildert, und Gierke wird auch Hartig’s Ver-
diensten um die Verwendung desselben Farbstoffes in der Pflanzen-
histologie völlig gerecht. Nach ausführlicher Besprechung über die
Bereitung von Karmin, die nicht allein für den Forscher interessant
sein dürfte, wird die Verwendungsweise desselben als karmin-
saurer Ammoniak und essigsaurer Karmin behandelt.
Hierauf folgt eine Unterbrechung der historischen Darstellung,
und in Tabellen findet sich die ganze Literatur über Tinktionen und
Imprägnationen zusammengestellt. Dieselben dürften an Vollständig-
keit wohl ihres gleichen suchen und werden den auf dem Gebiete
der Färbetechnik Arbeitenden höchst willkommen sein. Der erstaun-
liche Fleiß des Verfassers gibt sich hier am besten zu erkennen.
Welche Mühe es kostet, die in den verschiedensten Fachzeitschriften
zerstreuten Abhandlungen zusammenzusuchen, wird mancher aus
eigner Erfahrung am besten zu beurteilen wissen! Auf S. 89 findet
sich sodann die Fortsetzung der historischen Uebersicht. Es werden
der Reihe nach salpetersaures Silberoxyd, Osmiumsäure,
Goldehlorid, Palladiumehlorid und die Versuche mit verschie-
denen Metallsalzen besprochen. Namentlich die Geschichte der drei
ersten höchst wichtigen Reagentien wird ausführlich abgehandelt.
Was die Versuche mit Metallsalzen anlangt, so wäre eine eingehen-
dere Darstellung über die Verwendung des in neuerer Zeit immer
mehr und mehr zu größerer Anerkennung gelangten Sublimats
(Quecksilberchlorids) gewiss am Platze gewesen.
Auf die ausführliche höchst interessant geschriebene Geschichte
der Tinktion mit Anilinfarben folgt eine solehe über die verschiedenen
Doppelfärbungen und eine Darstellung der Vervollständigung der
Karmin- und Hämatoxylinfärbung. Als Schluss dieses Kapitels findet
sich eine trefflich geschriebene, völlig zutreffende Kritik über den
von M. Lavdowsky „warm empfohlenen“ Pflanzenfarbstoff, den
sogenannten Myrtillus.
Ein weiteres größeres Kapitel (S. 138) behandelt die Naturge-
748 Gierke, Färberei zu mikroskopischen Zwecken.
schichte und die Herstellungsweise der verschiedenen Farbstoffe (aus-
genommen Karmin, das schon früher beschrieben worden). Neben
den Pflanzenfarbstoffen (Campecheholz, Alcanna, Orseille, Lakmus,
Indigkarmin) werden die Anilinfarben ausführlich behandelt. Hierauf
folgt eine Tabelle über die Teerfarben, welche neben der populären
Bezeichnung oder den Fabriksmarken die chemische Bezeichnung und
Formel, Farbe, Form, Löslichkeitsverhältnisse und Reaktionen, Bil-
dung und Bemerkungen über die Fabrikation enthält.
Diese Tabelle wird namentlich jenen sehr willkommen sein, die
sich näher über den gebrauchten Anilinfarbstoff orientieren wollen.
An diese fügt sich eine Besprechung der Metalle Silber, Gold, Os-
mium, Palladium und ihrer in der Histologie eine Rolle spielenden
Salze.
Das Schlusskapitel handelt eingehend von dem Wesen der
Tinktion. Ich glaube, die Darstellung, die Gierke gibt, dürfte ein
erhöhtes Interesse schon deshalb beanspruchen, weil sie zum großen
Teil auf eingehenden eignen Versuchen des Verfassers beruht. Soviel
wir heutzutage mit Farbstoffen hantieren, der Vorgang bei der Tinktion
liegt noch sehr in Dunkel gehüllt. Gierke pflichtet mit Recht der
Anschauung bei, dass wir es bei den Tinktionen wohl in der Mehrzahl
der Fälle mit dem Prozess der Flächenattraktion zu thun haben, wo-
bei zum Teil aber auch gleichzeitig chemische Vorgänge eine große
Rolle spielen. Für das Nähere muss auf das Original selbst verwiesen
werden.
Als Anhang finden wir noch „Nachträge zur tabellarischen Ueber-
sicht der Literatur und der Färbemethoden“ aus den Jahren 1883,
1884 und 1885, von denen ich besonders die Tabellen über die in
neuester Zeit sehr verwendeten Doppelfärbungen und die Tinktion
der Bakterien erwähnen möchte.
Eine Empfehlung des reichhaltigen Werkes dürfte nach dem
Gesagten wohl überflüssig sein, wenn ich auch bekennen muss, dass
eine praktischere Anordnung des Inbaltes dem Buche sehr zu statten
gekommen wäre. Die Arbeit ist, wie bereits mehrfach erwähnt, in
außerordentlich anziehender, fließender Sprache geschrieben. Die
kleinen Abschweifungen, die dem Verfasser in der historischen Ueber-
sicht unterlaufen, mögen gerne verziehen sein. Eine Anerkennung
für die mühevolle Arbeit kann freilich dem in der Blüte seiner Jahre
dahingegangenen trefflichen Histologen nieht mehr zuteil werden.
Möge ihm die Mit- und Nachwelt ein um so dauernderes Andenken
bewahren!
Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. 749
G. Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane.
8°. Zweite Lieferung. Erste Hälfte. 1885. S. 217—392. Mit 43 Holzschn. —
Zweite Hälfte. 1886. 8. I—XI u. 393- 559. Mit 52 Holzschn. Erlangen bei
E. Besold.
Schwalbe hatte nach dem Tode Hoffmann’s die Vollendung
der zweiten Auflage der deutschen Uebersetzung von Quain’s Ana-
tomie des Menschen übernommen und die Nervenlehre bereits früher
zu einem Lehrbuch der speziellen Neuroiogie (vgl. dieses Centralbl.,
1881, Bd. I, S. 56 u. 429; 1884, Bd. III, S. 750) umgestaltet. Inu
analoger Weise ist nun die Lehre von den Sinnesorganen zu einem
selbständigen, jetzt vollendeten, 559 Seiten umfassenden Lehrbuch
geworden, während eine kürzere Darstellung als Abschluss der
Quain-Hoffmann’schen Anatomie durch A. Rauber bearbeitet
und in demselben Verlage erschienen ist.
Die Abbildungen wurden zum Teil der frühern Auflage oder
sonstigen Abhandlungen entlehnt, 106 von 199 im ganzen sind aber
neue Originalzeicehnungen und sehr hübsch ausgeführt. Die Darstel-
lung ist selbstverständlich durchaus umgeschrieben, und in der Vor-
rede führt der Verf. als besonders durchgearbeitete Abschnitte die
Beschreibung der Faseien der Orbita, der Augenmuskeln, der Lid-
bewegungen, des knöchernen Labyrinths, des N. acusticus, der Oto-
lithen, Cochlea und Paukenhöhle auf. Die Literaturverzeichnisse sind
sehr vollständig, sie reichen bis 1884 resp. Mitte 1886; in der Dar-
stellung ist auch den besondern Bedürfnissen von Spezialisten, näm-
lich der Ophthalmologen und Öhrenärzte Rechnung getragen. Ref.
beschränkt sich hier zunächst darauf, bei denjenigen Punkten, in
welehen Kontroversen schweben, hervorzuheben, auf welche Seite der
Verf. sich gestellt resp. durch neue Untersuchungen die Sachlage auf-
geklärt hat.
Auge. Der Hauptabfluss des Humor aqueus an der Grenze
zwischen Cornea und Sklera findet durch den Fontana’schen Raum
d. h. die Spalten des Lig. pectinatum und den Schlemm’schen Kanal
s. Circulus venosus ciliaris in die Vv. eiliares anteriores statt.
Auf dem Wege der Diffusion gelangen aus der vordern Augenkammer
verschiedene Substanzen, namentlich gelbes Blutlaugensalz in das
Gewebe der Cornea. Man schließt daraus (Leber), dass auf diesem
Wege die Ernährung wenigstens der hintern Schichten der Hornhaut
vermittelt wird. Einen Abflussweg des Kammerwassers aber hierin
zu sehen ist ebenso wenig statthaft, als aus der Thatsache, dass vom
Petit’schen Kanal (an dessen Existenz der Verf. festhält) aus zu-
nächst die äquatorialen Bezirke der Linse von Ernährungsflüssigkeit
durehtränkt werden, zu entnehmen, die Substanz der Linse sei ein
Abflussweg intraokularer Flüssigkeit. Uebrigens sprach Pflüger (1882)
dem Humor aqueus jede Bedeutung für die Ernährung der Cornea ab,
750 Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane.
ebenso wie Denissenko (1882) dieselbe von den die letztere um-
gebenden Blutgefäßen aus stattfinden lässt.
Die Tenon’sche Fascie oder die Fascia bulbi verbindet (wie
von alters her bekannt ist, vgl. Bonnet 1841; Pappenheim 1842)
die Sehnen der graden Augenmuskeln durch Adminieula, wie Schwalbe
diese Verbindungen aufführt, mit der Sklera. Die Abgrenzung des
Fettes der Augenhöhle gegen die Augenlider nennt S. Fascia palpe-
brarum oder Septum orbitale von Henle; letzteres grenzt aber keines-
wegs die Conjunetiva gegen das erwähnte Orbitalfett ab, sondern
vielmehr erstere gegen den M. orbieularis palpebrarum. Da der letz-
tere Muskel vor der betreffenden Fascie, der Rand des äußern Orbital-
fettes aber Zinter der Fascie liegt, so scheint dem Ref. der Wider-
spruch mehr in den Worten zu existieren.
Was die Augenmuskeln betrifft, so betont S., dass unterhalb
des M. rectus medialis ein Teil der Fissura orbitalis superior außer-
halb des Augenmuskelkegels gelegen sei und nach hinten gegen die
Schädelhöhle seinen Abschluss durch die Dura mater finde. Der
untere erweiterte Teil des medialen Bezirkes der genannten Fissur
wird durch eine fibröse Brücke in zwei Gebiete zerlegt: ein kleineres
oberes und ein geräumiges unteres. Diese Brücke ist ein Teil des
sehnigen Ursprunges des M. rectus lateralis. Letzterer entspringt,
vom lateralen Rande des Ursprungs des M. recetus inferior an, längs
einer nahezu vertikal gestellten Linie, unten vom fibrösen Ursprungs-
streifen des M. rectus inferior, weiter oben von der Ala magna des
Keilbeines bis zur Spina orbitalis superior s. reetis lateralis hinauf,
also in diesem Gebiete als eine kontinuierliche Platte. In der Gegend
der genannten Spina zweigt sich ein an seiner innern Fläche ent-
stehendes Sehnenbündel als ansehnlicher fibröser Streifen unter Ueber-
brückung der Fissur zum Knochen-Isthmus zwischen letzterer und
dem Canalis opticus ab (d. h. der M. rectus lateralis entspringt auch
von der Wurzel des Processus elinoideus anterior oss. sphenoidei, Ref.).
Dieser sehnige Streifen wird zu einem zweiten Kopfe des M. rectus
lateralis dadurch, dass er wenigstens in seiner lateralen Hälfte Muskel-
bündel entstehen lässt, die sich den übrigen kontinuierlich anschließen.
Unter diesen Sehnenbogen des M. rectus lateralis treten in das Innere
des Augenmuskelkegels die Nn. nasociliaris, oeulomotorius, abducens
und die V. ophthalmicea superior, auch gelangt die mit dem N. optieus
ankommende A. ophthalmica in diesen Raum hinein; oberhalb des
Sehnenbogens betreten die Orbita, somit von vornherein außerhalb
des Augenmuskelkegels gelegen: die Nn. supraorbitalis, laerymalis
und trochlearis. — Die Kenntnis des zweiten innerhalb der Schädel-
höhle entspringenden Kopfes des M. rectus lateralis, welche verloren
gehen zu wollen schien (Ref.), dürfte damit gesichert sein; die Spina
orbitalis superior, welche G. J. Schultz (1852, 1854) entdeckt hat,
ist bekanntlich nieht konstant.
Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. 151
Die Trochlea des M. obliquus superior oculi besteht nach 8.
(S. 233) aus hyalinem Knorpel, während Ref. nur Faserknorpel findet.
Was die Bewegungen der Augenlider anlangt, so hält S. die Schwer-
kraft nicht für ausreichend zur Erklärung der Senkung des untern
Lides. Letzteres senkt sich nämlich stets nur beim Abwärtsblieken,
also bei Thätigkeit des M. reetus inferior, dessen Fascienzipfel, d. h.
das an der untern Fläche seiner Fascie beginnende und zum Tarsus
des untern Augenlides verlaufende Bindegewebe inkl. des aus glatten
Muskelfasern bestehende M. palpebralis inferior von H. Müller
(M. tarsalis inferior des Ref.), das gleichzeitige Senken des untern
Lides erklärt. Das einfache Oefinen der Lidspalte ohne Hebung der
Blickebene besorgt der M. levator palpebrae superioris, wobei durch
die laterale Verbindung des obern und untern Lides letzteres mit
seinen lateralen Rande etwas in die Höhe gezogen wird. Beim Heben
der Blickebene wird die Lidspalte noch weiter, indem nun die Ver-
bindung des M. rectus superior mit dem obern Lide zur Geltung
kommt; dieselbe wird durch einen mit den Fascien der Mm. levator
palpebrae superioris und reetus superior zusammenhängenden, an den
Tarsus des obern Lides hinter dem (glatten) M. palpebralis s. tarsalis
superior sich anheftenden sog. Fascienzipfel hergestellt.
Die Lympbhfollikel der menschlichen Conjunctiva,
welche Ref. zuerst (die terminalen Körperchen der einfach sensiblen
Nerven, 1860, S. 114) als normale Bildungen beschrieben hatte, hält
S. ebenfalls für normale Vorkommnisse, die bei Tieren konstant sind,
beim Menschen aber nur vereinzelt und nicht in allen Fällen gefunden
werden (ebenso wie die Solitärfollikel des Darmkanales, Ref.). Die
acinösen Drüsen der Conjuncetiva reichen (am obern Augen-
lide, Ref.), bis zum Rande des Tarsus dringend, zwischen die obern
Enden der Meibom’schen Drüsen hinein; Ref. hatte sie (1854) für
wässerige Flüssigkeit absondernde accessorische Thränendrüsen erklärt
und sie in der Caruneula lacrymalis sowie am Rande des obern Tarsus
bis zur Anzahl von 42 nachgewiesen; von Klein (1872) und Wolf-
ring (1872) wurde denselben (irrtümlich) ein tubulöser Bau zuge-
schrieben. Jene Drüsen in der Caruneula laerymalis sind der Har-
der’schen Drüse der Säugetiere homolog (S. 251), und zum wenigsten
viermal unter 548 Fällen sah Giacomini (1878) ein 2 mm langes,
hyalines, nach außen konvexes Knorpelplättchen, in der Plica semi-
lunaris, wonach die von frühern Autoren auch dem Menschen zu-
geschriebene Knorpelplatte als Varietät in 0,6—0,7°/, thatsächlich
vorhanden ist. Was die Conjunetiva tarsi anlangt, so finden sich
zahlreichere und längere Epitheleinsenkungen, Zubulöse Drüsen der
Conjunetiva, wenn reichliche follikuläre Konzentrationen von retiku-
lärem Bindegewebe, also Lymphfollikel (Ref.) sich vorfinden. Offenbar
beschreiben nach dem Verf. verschiedene Autoren dieselben Dinge
unter verschiedenen Namen; die Frage würde nur die sein, ob Epithel-
752 Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane.
Einsenkungen in der Tiefe zwischen Schleimhautpapillen, mögen sie
nun länger oder kürzer sich ausdehnen, als Drüsen aufgefasst werden
können, wenn erstere sonst nichts Charakteristisches und nach Maß-
gabe von Flächenschnitten nicht einmal eine zylindrische Form auf-
zuweisen haben.
Die Thränenkanälchen münden gesondert in den Thränen-
sack, aber in eine kleine Erweiterung oder Ausbuchtung des letztern
(sog. Sinus Maieri), woraus sich die über diesen Punkt schwebenden
Kontroversen erklären. An der Grenze zwischen Thränensack und
Thränenkanal liegt zuweilen die Valvula lacrymalis (inferior) oder
Krause’sche Klappe (C. Krause 1836), sie wird auch B&raud’sche
Klappe (1851) genannt. Im Epithel des Thränenkanales fand S. keine
Flimmerzellen, wohl aber zerstreute Becherzellen bei einem Hingerich-
teten, doch will S. das sporadische Vorkommen ersterer nicht in Ab-
rede stellen.
Gehörorgan. Das Trommelfell bildet sich an der primitiven
Verschlussstelle der ersten Schlundspalte aus, woselbst die entoder-
male Ausstülpung der ektodermalen Einstülpung entgegenwächst; ob
jemals eine Vereinigung beider Einsenkungen, also eine Perforation
der ursprünglich nur aus einer Ektoderm- und einer Entodermlage
bestehenden Verschlussstelle erfolgt, ist zweifelhaft. — Das einzelne
größere (0,5 mm) bekanntlich am lateralen Ende des Meatus auditorius
internus befindliche Loch, durch welches der N. ampullaris inferior
zur Macula cribrosa inferior gelangt, nennt der Verf. Foramen singu-
lare. Der Nerv verläuft in einem Knochenkanälchen von ca. 4 mm
Länge. — Die beiden Canales semieireulares laterales liegen
fast genau in derselben Horizontalebene, diese letztere ist gegen die
durch Vereinbarung festgestellte anthropologische Horizontalebene um
ein Geringes nach unten und lateralwärts geneigt. Hieraus würde
folgen (Ref.), dass die Ebenen der Kanäle der beiderseitigen Gehör-
organe um das Doppelte von einander abweichen müssen. Die Länge
der drei Canales semieireulares gibt S. nach Sappey auffallend hoch
zu 12—15 -18 mm im Mittel an; es sind jedoch die Ampullen dabei
mitgerechnet. (Auf S. 310 Z. 24 v. unten findet sich ein Druckfehler:
„feinste“ statt „fernste“.) An der Einmündungsstelle der nicht mit
einer Ampulle versehenen Enden des Canalis semiecireularis lateralis
membranaceus in das Vestibulum findet sich in der Norm eine
leichte Erweiterung, die nicht mit einer überzähligen Ampulle zu ver-
wechseln ist. Die Macula cribrosa quarta von Reichert konnte 8.
nicht finden; es scheint nach Middendorp eine Verwechslung des
N. ampullaris inferior mit einem nach Reichert zum Septum zwi-
schen den Saceuli gehenden Nerven vorzuliegen.
In der Darstellung der Nervenendigung in den Maeculae
acusticae folgt der Verf. Retzius, wonach an den Seiten der
Haarzellen feine variköse Nervenfasern emporsteigen, welche auch
Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. 53
deren basales Ende kelehförmig umgeben. In den Otolithen ist ein
kleines zentrales Kügelehen, vielleicht eine Vakuole vorhanden, welche
der Abbildung nach nur etwa 0,0005 mm Durchmesser haben würde.
Das Neuro-Epithel besteht nur aus Haarzellen und Fadenzellen oder
Zylinderzellen, die letztern wurden von M. Schultze, Olenius,
von Ebner, Rüdinger, die erstern von Hasse, von Grimm,
Retzius, Schwalbe für terminale Ganglienzellen gehalten; früher
ließ man die Nervenfasern in der Axe der Zellen verlaufen; in den
Haarzellen nach v. Grimm (1870), in den Zylinderzellen nach Rü-
dinger (1872), jetzt umfassen die Nervenfibrillen seitlich die Zellen-
körper — wie oben gesagt, nach Retzius. Dass die Nervenendigung
in den Maculae und Cristae acusticae nichts weniger als aufgeklärt
ist, leuchtet hiernach von selbst ein, und es kommt noch hinzu, dass
Ref. (1876) die Haarzellen mit einem gezähnelten Fuße der Basal-
membran aufsitzen sah. Eine Cupula terminalis, die Lang, Kuhn,
Retzius, P. Meyer als präexistierend ansehen, erklärt S. mit
Hensen für ein Kunstprodukt.
Cochlea. Die Stria vascularis hält Retzius für eine gefäß-
haltige Epithelschieht, während Gottstein die tiefern Zellenlagen
von eigentümlich modifizierten Bindegewebszellen herleitet; S. scheint
mehr geneigt, der erstern Auffassung beizupflichten. Wahrscheinlich
wird die Endolymphe von der Stria vaseularis abgesondert.
Das osteogene Bindegewebe der Orista spiralis des Labium vesti-
bulare, ebenso ihre Vorsprünge und Gehörzähne sind von Blutgefäßen
frei; dagegen e&xistiert bei Säugetieren ein spiraliges Kapillargefäß
in der periostalen Schicht des Labium vestibulare, welches Gefäß
spiralige Schlingen zur Spitze des Labium vestibulare abgibt. Durch
Retzius und Voltolini wurden auch beim Menschen Blutgefäße
daselbst nachgewiesen.
Die Lamina basilaris besteht aus fünf Schichten. Nach der Scala
tympani hin liegt eine Bindegewebsschicht, dann folgt eine dünne
homogene Schicht, auf welcher die radiären Fasern ruhen. Nach der
Scala vestibuli hin sind letztere von einer dickern homogenen Schicht
bedeckt, die man an Flächenschnitten nicht würde sehen können, und
auf dieser ruht eine kutikulare Schicht oder ein kutikulares Häutchen,
das die Radiärfasern von den Fußstücken der Außen- und Innenpfei-
ler u. s. w. trennt. Letztere haben den Wert von je einer Epithel-
zelle; allerdings zeigen sich im Kopf, sowohl der Außen- als
der Innenpfeiler ellipsoidische homogene Einlagerungen, die aber
nicht chromatophil sind wie Kerne. Eine Verschiebbarkeit in dem
Gelenke zwischen beiden Pfeilern bestreitet S., weil eine durch Silber
sich schwärzende Kittsubstanz sich darin befindet. Es würde dabei
diese eigentümliche Gestaltung ganz unaufgeklärt bleiben (Ref.), wäh-
rend von jener Kittsubstanz doch nicht behauptet werden kann, dass
sie während des Lebens sich im festen Aggregatzustande befindet.
VI, 45
754 Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane.
Die innern Deckzellen betrachtet S. als Neurogliakerne, die zu
den Nervenfasern gehören. — Die äußern Haarzellen enthalten den
merkwürdigen Spiralkörper, welchen S. achromatophil fand, einen
umwiekelnden Spiralfaden konnte Retzius nicht nachweisen. — Die
äu/sern Deckzellen sind prismatisch, mit einem nach dem Lumen
des Ductus eochlearis hin gerichteten Faden oder Phalangenfortsatz
versehen. Der unterhalb des Kernes gelegene Teil des Zellenkörpers
erscheint häufig schmal, was Ref. aus einer Abplattung desselben,
S. aus einer Schrumpfung infolge seines Wasserreichtumes erklärte,
wonach die äußern Deckzellen dann spindelförmig erscheinen. Im
Innern verläuft durch die ganze Zelle ein Stützfaden, der als „innere
Ausscheidung“ der betreffenden Zelle, analog der homogenen Substanz
der Pfeiler gedeutet werden soll.
In betreff der Membrana tectoria ist S. zweifelhaft, ob die Dicke
ihrer mittlern Zone wirklich so beträchtlich ist, wie sie erscheint,
zumal Middendorp derselben an allen Stellen nur 0,001 mm Dicke
zugeschrieben hat. Indess entspricht an sehr feinen Radiärschnitten
die Dicke der Membran keineswegs der Dicke des Schnittes: erstere
bleibt beträchtlich größer, und so muss man die Verdiekung wohl für
reell halten. Ref. würde mehr geneigt sein, an diehtgedrängte Radiär-
falten zu denken, deren Längsschnitte den scheinbaren Diekendureh-
messer vermehren könnten. — Wenigstens im embryonalen Zustande
scheint die Membran an den äußersten Deckzellen befestigt zu sein.
Beim Meerschweinchen enthält das Ganglion spirale cochleae zwei
Sorten von Ganglienzellen: größere, helle, spindelförmige und kleinere,
dunkle mehr kuglige; die Durchmesser sind 0,0285 resp. 0,0132 mm
Breite auf 0,0475 resp. 0,0152 mm Länge.
Aeußeres Ohr. $. schließt sieh der Ansicht Darwin’s an,
wonach eine kleine Hervorragung am umgeschlagenen Rande der
Helix, die Spina Darwinüi, eine atavistische Bildung ist; sie stellt
entwicklungsgeschichtlich die eigentliche Ohrspitze dar,
zu vergleichen den Enden der zugespitzten Ohren mancher Säugetiere.
Den Ohrindex oder das Verhältnis der Breite zur Länge des Ohres
fand S. bei Deutschen von 54—68,5 °/, varlierend. Ein breiteres Ohr
würde sich dem Affenohr annähern. Lässt man das Öhrläppchen,
dessen Länge von 9—20 mm schwankt, außer Rechnung, so wird
jener Index = 74—94,8 |y.
Interessanterweise behauptet S., dass die Ohrenschmalzdrüsen ihren
Namen mit Unrecht tragen, dass sie eine mit den gelblichen oder
bräunlichen Farbstoffkörnchen des Ohrenschmalzes versehene Flüssig-
keit liefern, die sich dem von den Talgdrüsen gelieferten Fett bei-
mischt. Dass das Talgdrüsensekret im Ohrenschmalz mitenthalten
ist, hat Ref. (1876) bereits hervorgehoben, und es ist auch die ge-
wöhnliche Vorstellung gewiss sehr irrtümlich, dass die Drüsen das
Ohrenschmalz so absondern, wie es beim Lebenden aus dem Gehör-
Lo
u ee 2
en En e
Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. 755
gange genommen werden kann. Vielmehr wird das Wasser dieser
Emulsion schon in der trocknen Luft des Ganges verdunstet sein. —
In der Haut des äußern Gehörganges der Vögel kommen Herb st’sche
Körperchen vor, ob diese dem Ref. unbekannt gebliebene Angabe etwa
von Moldenhauer herrührt, geht aus dem Text nicht hervor.
Im Trommelfell fand S. dreimal unter 15 Fällen bei vorsich-
tigem Sondieren mittels einer Borste ein Foramen Rivini und zwar in einer
Stelle der Membrana flaceida, welche nach hinten und oben von der
Prominentia mallei gelegen ist; da das betreffende Kanälchen schief
über den Processus brevis nach unten und vorn verläuft, so erklärt
sich, weshalb z. B. Injektionsmassen nicht von der Tuba Eustachii
her in den äußern Gehörgang eindringen.
Die Neigung des Trommelfelles gegen eine durch die Längsaxe
des äußern Gehörgangs gelegte Ebene nennt S. die Deklination; sie
beträgt 40°, aber die Partialdeklination der vordern Hälfte 85°, die
der hintern Hälfte 155°. Als Inklination wird die Neigung gegen die
Horizontalebene bezeichnet: das Trommelfell bildet mit letzterer einen
lateralwärts offenen Winkel von 45—55°; dieser Winkel soll bei Mu-
sikern besonders groß sein. Da die Beschäftigungsweise mit rhyth-
mischen Schallwellen doch unmöglich einen anatomischen Winkel
ändern kann, so müsste man in dessen Vergrößerung einen angebornen
Vorzug des musikalischen Ohres sehen (Ref.).
Durch Auftröpfeln von Ueberosmiumsäure kann man nachweisen,
dass das Trommelfell mit einer dünnen, sich hierbei schwärzenden
Fettschicht überzogen ist, die aus dem Ohrenschmalz stammt; rätsel-
haft erscheint dabei nur, wie sie auf der äußern Oberfläche des
Trommelfelles so gleichmäßig verteilt wird. (Dem Ref. scheint die
Kapillar-Attraktion zur Erklärung ausreichend zu sein.) Kleine Tiere
besitzen ein verhältnismäßig größeres Trommelfell, doch gilt dies nur
im allgemeinen: so hat dasjenige von Vesperugo noctula 3,3 mm
Durchmesser, dagegen fand sich nur 1,6 mm für die viel größere
Vespertilio murinus (Hufeisennase). Das absolut größte Trommelfell
besitzt, so viel bekannt, der Löwe (17 mm).
Paukenhöhle. Die große Axe derselben bildet mit einer durch
den obern Rand der Jochbogen gelegten Horizontalebene einen Winkel
von 30°, nicht von 40° (C. Krause). Die Differenz beruht auf ver-
schiedener Annahme der Horizontalebene (Ref.). Mit der Axe des
äußern Gehörganges bildet die Axe der Tuba Eustachii in der Hori-
zontalprojektion einen vorn offenen Winkel von 150°, die Tuben-
Paukenhöhlenaxe mit der Medianebene einen Winkel von 45—50°.
Die bei aufrechter Stellung am meisten abwärts befindliche Gegend
der Paukenhöhle liegt 9 mm unter dem Niveau der Einmündung
der Cellulae mastoideae oder des Recessus epitympanicus, dagegen
4 mm unter dem Ostium tympanicum der Tube; folglich können
sich Flüssigkeitsmengen im untern Teile der Paukenhöhle ansammeln.
48*
756 Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane.
Die Lückenbildungen im Tegmen tympani sind an macerierten Knochen
häufiger, als an frisch untersuchten.
Als Pelvis ovalis bezeichnet S. die elliptische Grube, welche oben
durch den Facialiswulst, unten durch das Promontorium, vorn vom Pro-
cessus cochlearis, hinten von der Eminentia papillaris und öfters der von
dieser zum Promontorium hinüberziehenden Knochenspange, welche 8.
Ponticeulus promontorii zu nennen vorschlägt, begrenzt wird. Die engste
Stelle der Paukenhöhle, Angustia tympani, zwischen dem Promontorium
und dem Umbo des Trommelfelles hat nur 1—2 mm Weite. Die Ein-
pflanzungsstelle des Processes styloideus in die Paukenhöhle wird als
Protuberantia styloidea bezeichnet.
Der größere vordere Abschnitt der Membrana tympani secundaria
hat eine Neigung nach hinten und lateralwärts, der hintere kleinere
Teil nach unten und lateralwärts. Die Ebene der Membran steht also
derjenigen des Trommelfelles durchaus nicht parallel, und die erstere
scheint nicht einer direkten Fortleitung der Schallwellen durch die
Luft der Paukenhöhle auf die Schnecke zu dienen, sondern es wird
erstere indirekt vom Steigbügel in Bewegung gesetzt. Sie steht also
in Abhängigkeit von den Bewegungen der Gehörknöchelchen, lässt
sich von der Scala tympani aus stark gegen die Paukenhöhle vor-
treiben, nicht aber umgekehrt gegen letztere eindrücken.
Den M. fixator stapedis hat Ref., wie aus den betreffenden An-
gaben hervorgeht, selbst untersucht und danach die Angaben Rü-
dinger’s bestätigt Die Columella homologisiert S. mit Albrecht
der ganzen Kette der Gehörknöchelehen, nicht den Steigbügel allein,
beide aber dem Hyomandibulare und Sympleeticum. Sie scheinen
nach Dohrn’s entwicklungsgeschichtlichen Ermittlungen einem Teile
eines zwischen Unterkiefer- und Zungenbeinbogen eingeschalteten
Kiemenbogens anzugehören.
Der M. mallei (internus) wird vom R. tertius n. trigemini durch
Vermittlung des Ganglion otieum innerviert. Ueber den M. mallei
externus (Varietät) ist zu bemerken (Ref.), dass quergestreifte Muskel-
fasern durch mikroskopische Untersuchung in demselben in einzelnen
Fällen nachgewiesen sind.
Die obere Trommelfelltasche nennt S. den Prussak’schen Raum
und schließt sich Helmholtz an, insofern der Raum über dem Pro-
cessus brevis hauptsächlich der hintern Trommelfelltasche zufällt.
Außer den drei Taschen unterscheidet S. noch eine vordere Hammer-
bucht vor dem Caput mallei, sowie eine obere und untere Ambos-
bucht.
Die Rückbildung der Schleimhaut der Paukenhöhle beim Neu-
gebornen geht unabhängig von Inspirationen vor sich, und es erhellt
hieraus, wie der Wert der sogenannten „Öhrenprobe“ in forensischer
Beziehung zu taxieren ist.
Die Tuba Eustachii stellt im Ruhezustande eine vertikale, ge-
Schmitz, Fruchtbildung der Florideen. 757
schlossene Spalte dar; bei ihrer Eröffnung unterstützt der M. levator
veli palatini den M. tensor veli.
Gerlach (1858) gelang es durch Injektion von den Aa. carotides
internae aus, nach Unterbindung der beiden Aa. vertebrales, das
Schleimhautnetz des Trommelfelles zu injizieren, vermöge der Anasto-
mosen der A. auditiva interna mit Arterien der Paukenhöhle (R. pe-
trosus superficialis; A. stylomastoidea). S. sucht die Erklärung der
Thatsache in der Existenz von direkten Zweigen der A. carotis interna
(R. earotieo-tympanieus, Ref.) zur Schleimhaut der Paukenhöhle. Bei
den Gerlach’schen feinen Injektionen haben sich aber unzweifelhaft
jene Kollateralbahnen ebenfalls gefüllt (Ref.).
Der Raum gestattet nicht, auf die zahlreichen Erläuterungen ein-
zugehen, welche die Schwalbe’sche Darstellung der Entwicklungs-
geschichte entnommen hat, um die verwickelten Verhältnisse beim
Erwachsenen durchsichtiger zu machen. Sehr wertvoll sind die aus-
führlichen Beschreibungen, welehe den Neugebornen betreffen. Wenn
das Lehrbuch, wie oben gesagt, beabsichtigte, den Anforderungen auch
des Spezialisten, außer den gewöhnlichen des praktischen Arztes und
pathologischen Anatomen zu genügen, so lässt sich darüber sagen,
dass dies im vollsten Maße gelungen ist und ersteres auch in dieser
Hinsicht warm empfohlen werden kann. Druck und Ausstattung sind
vortrefflich.
Vielleicht wird das Lehrbuch dazu beitragen, die auffallende
Erscheinung zu beseitigen, dass die kleinen Handbücher der medi-
zinischen Spezialwissenschafte: nicht etwa topographisch-anatomische
oder physiologisch- anatomische Notizen, die dankbar aufzunehmen
wären, sondern umfassende anatomische Beschreibungen des Baues
der betreffenden Organe enthalten. Meist sind diese langatmigen
Beschreibungen noch dazu ohne gründliche Kenntnis der anatomischen
Literatur aus einigen Handbüchern und den neuesten Journalartikeln
leichten Herzens zusammengestellt, was den Studierenden nur ver-
wirren kann.
W. Krause (Göttingen).
Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften.
59. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Berlin.
Sektion für Botanik.
Letzte Sitzung. Herr Schmitz (Greifswald) besprieht die verschiedenen
Variationen, welche die Fruchtbildung bei den Florideen aufweist, indem er
die Entwicklung der Frucht bei den fünf Ordnungen der Rottange (Nemalinen,
Caulacanthinen, Sphärococeinen, Cryptoneminen und Rhodyme-
ninen) näher darlegt. Er hebt dabei besonders das ganz eigenartige Auf-
treten eines doppelten Befruchtungsaktes bei der Fruchtbildung zahlreicher
Florideen hervor. — Herr Pringsheim (Berlin) bemerkt hierzu, dass es ihm
scheine, als ob kein genügender Grund vorhanden sei, bei den Florideen einen
158 Frank, Mikroorganismen des Erdbodens.
zweiten Befruchtungsakt anzunehmen; er hält es für richtiger, den interes-
santen Verschmelzungsakt, dessen Formen bei den Florideen der Vorredner
darlegt, als einen Hilfsvorgang der Ernährung der entstehenden Spore zu be-
zeichnen. — Herr Schmitz (Greifswald) erwidert darauf, dass alle einzelnen
Thatsachen des sogenannten zweiten Befruchtungsaktes durchaus überein-
stimmen mit anderweitig beobachteten Befruchtungsakten, so dass er glaubt,
auch auf den vorliegenden Vorgang die Bezeichnung Befruchtungsakt anwenden
zu müssen.
Herr Frank (Berlin) spricht über die Mikroorganismen des Erd-
bodens. Die Frage, welche niedern Pilzformen im natürlichen Erdboden vor-
handen sind, wurde beantwortet, indem minimale durch Zerkleinerung und
Sieben des Bodens gewonnene Teilchen desselben in nach den gebräuchlichen
Methoden hergestellte Pilzkulturen, nämlich in sterilisierte Nährgelatine oder
in Pflaumendekokt im hängenden Tropfen auf den Mikroskop-Objektträger ge-
bracht wurden. Zur Verwendung kamen: 1) ein humusreicher Kalkboden, der
Jahrhunderte lang Buchenwald trägt, 2) ein humöser Sandboden mit nachweis-
lich wenigstens zwei Jahrhunderte lang fortgesetzter Kiefernkultur, 3) ein
Wiesenmoorboden, 4) ein Lehmboden des Marschlandes der Unterelbe, 5) Boden
vom Gipfel der Schneekoppe. Es wurden gefunden in wechselndem, nicht
regelmäßigem Auftreten verschiedene Hyphomyceten, nämlich ein Oidium,
ein Cephalosponium, eine Torula, eine kleine einfache Botrytis-Form, in einem
Boden eine Mucorinee. Konstant in allen Böden aber zeigte sich ungefähr
am zweiten Tage der Kultur ein Spaltpilz, bei allen Böden ein und derselbe.
Zuerst erscheint er in Form langer ungegliedeter Leptothrixfäden. Sehr
bald tritt in denselben Gliederung ein, wodurch sie oft zickzackförmig brechen
in längere oder kürzere Fadenstücke, die Bacillusform. Dann folgt noch
weitere Teilung in kurze zylindrische oder ovale Zylinder, die Bakterien-
form. Nach mehrern Tagen schließt regelmäßig die Entwicklung ab mit der
Sporenbildung unter allmählicher Vergallertung der Membran der Fäden
oder Stäbehen. An den Sporen wurde in Objektträgerkultur wiederum Aus-
keimung in kurze Stäbchen beobachtet, die vor der Teilung entweder grade
bleiben oder auch sich krümmen und so die Form des Kommabaecillus an-
nehmen. Der Entwicklungscyklus liegt also vollständig vor. Innerhalb des-
selben zeigten sich noch folgende Variationen: 1) Inbezug auf Beweglichkeit,
indem Fäden, Bacillen und Bakterien entweder starr bleiben können oder flexil
werden, nicht selten auch lebhaft durch einander wimmelnde Bewegung an-
nehmen; 2) inbezug auf die Dicke der Individuen, indem dieselben bei der
üppigen Ernährung im Beginn der Kultur 1,2—1,3 « stark sind, bei fortgesetz-
ter Vermehrung oft dünner werden bis zu 0,8 und selbst 0,6 « Durchmesser.
Uebergänge der verschiedenen Dickegrade in demselben Faden sind konstatiert.
Damit ist eine neue Bestätigung der von Zopf gegenüber den herrschenden
Meinungen der Bakteriologen vertretenen Ansicht gegeben, dass die morpho-
logischen Merkmale der Spaltpilze, nach denen man bisher Gattungen und
Arten unterschied, hierzu unbrauchbar sind, vielmehr nur Entwieklungsstadien
eines und desselben Pilzes darstellen können. Naturhistorisch müsste man den
Bodenspaltpilz daher als Leptothrix terrigena, Bacillus terrigenus, Bacterium
terrigenum bezeichnen, je nachdem er in diesem oder jenem Entwicklungs-
zustande sich befindet. Vortragender geht nun auf die chemischen Prozesse
im Erdboden über, die man bisher hypothetisch der Thätigkeit von Mikro-
organismen zugeschrieben hat, und zwar auf die zuerst von Schlösing und
Erich Haase, Verwandtschaftsbeziehungen der Myriapoden. 759
Müntz vermutete Nitrifikation von Ammoniakverbindungen. In sterilisierte
Lösungen von 0,008 g Chlorammonium auf 100 eem Wasser nebst etwas Pilz-
nährstoff wurden die durch Reinzüchtung gewonnenen Pilzformen eingeimpft
und dann nach dem Auftreten von Salpetersäure (geprüft mit Diphenylamin)
und nach dem Verschwinden des Ammoniaksalzes (geprüft mittels des Ness-
ler’schen Reagens) die Fähigkeit oder Unfähigkeit, Nitrifikation zu bewirken,
ermittelt. Die Kontrolversuche mit frischem unsterilisiertem Boden ergaben
nach 4 Wochen starke Abnahme . des Chlorammoniums, nach 8 Wochen nur
noch eine Spur, nach 10 Wochen vollständiges Verschwundensein desselben.
Dagegen trat in den mit den verschiedenen Bodenpilzen besäten Lösungen
in keinem Falle Nitrifikation ein. Weiter ergab sich, dass auch der sterilisierte,
ja sogar der geglühte Erdboden bei der gleichen Versuchsanstellung Ammoniak-
salz in Nitrat oder Nitrit umwandelt. Es folgt daraus, dass die im Erdboden
lebenden Pilze nicht im stande sind, Ammoniaksalze zu nitrifizieren, dass dieser
Prozess im Boden vielmehr ein anorganischer ist, der an die Nitrifikation durch
Platinmoor oder durch Ozon erinnert.
Herr Frank Schwarz (Breslau): Ueber die chemische Unter-
suchung des Protoplasmas. Der morphologischen Differenzierung des
Protoplasmas entspricht eine chemische Differenzierung. Durch die bisherigen
Untersuchungen ist dies nicht nachzuweisen, wohl aber wenn man die Methode
der partiellen Lösung anwendet. Es wurden hauptsächlich jene Substanzen als
Reagentien verwendet, welche zur Unterscheidung der Eiweißstoffe gebraucht
wurden, Wasser, Neutralsalze verschiedener Konzentration K, HPO, und Na,
NPO, Kalkwasser, Kalilauge, Essigsäure und Salzsäure verschiedener Konzen-
tration, ferner Pepsin und Trypsinverdauung und einige Metallsalze. Redner
geht auf die einzelnen Resultate, welche sich daraus ergeben, näher ein und
bespricht noch im speziellen die Eigenschaften des Chromatins, welches sich
als der relativ leichtest lösliche Körper im Kern erwies mit Ausnahme im
Verhalten gegen Säuren.
Herr Sorauer (Proskau) legte Blüten von gefüllten Regionen vor, deren
Füllung durch Umwandlung der Griffel in Blumenblätter entstanden. Die Blumen
waren ihrer Stellung und Entwicklung nach männliche Blüten. Auf den in
Blumenblätter umgewandelten Griffelästen saßen reichlich Ovula in verschie-
denen Stadien der Verlaubung. Ferner waren Blumen von Cinerarien vorge-
zeigt, bei denen die Füllung willkürlich sich durch Verschiebung der Vegeta-
tionszeit hatte erzeugen lassen.
Sektion für Zoologie.
3. Sitzung. Herr Erich Haase (Dresden): Ueber Verwandtschafts-
beziehungen der Myriapoden. Von den großen Ordnungen der Arthro-
poden haben, wie Vortr. 1881 nachwies, Insekten und Myriapoden die innigsten
Verwandtschaftsbeziehungen, sodass sich die Frage nach dem Zusammenhang
beider dahin präzisieren lässt, welche von beiden als die ältere und Vorläuferin
der andern Ordnung aufzufassen ist. Ausgehend von Scolopendrella, der ein-
zigen Vertreterin der Myriapodenordnung der Symphylen, sucht Vort. die
großen Ordnungen der Myriapoden sowie die der Apterygoten, der niedrigsten
Insekten, von einem ‚Scolopendrella verwandten Typus abzuleiten, indem er
160 Schulze, Mittel zur Lähmung von Tieren.
hauptsächlich die Ventralanhänge, „Hüftspornen“ und „Hüftdrüsen“, als morpho-
logische Merkmale herbeizieht. Erstere Endspornen homolog finden sich als
einfache Epithelialbildungen und unbeweglich (bei Scolopendrella und vielen
Chilopoden) an den meisten Beinen, manchmal in eigentümlich verschobener
Lage (bei Machilis, Blatta an den 2 letzten Beinpaaren); den Hüftspornen ent-
sprechende an den Abdominalsegmenten bei Machilis ete. besonders entwickelte
Anhänge, meist als Parapodien bezeichnet, dienen zur Fortbewegung, während
die echten Extremitäten selbst verkümmert sind; Hüftdrüsen, auch bei Peripatus
nachgewiesen, finden sich außer bei Scolopendrella noch bei Machilis, Campo-
dea ete., von den Diplopoden bei Oraspedosoma und Lysiopedalium ; bei Lithobius
an den letzten 4 (selten 5) Segmenten oft in zahlreichen Reihen; bei den Ckil.
epimorpha endlich, bei denen die Hüften reduziert werden, auf den Pleural-
platten des letzten beintragenden Segments. Sie sondern einen klebrigen faden-
ziehenden Saft aus und dienen zum Anhaften an glatten Flächen oder zum
Befestigen der Spermatophoren (Geophilus) ete. So sind denn entgegen Brauer
symphylenähnliche Myriapoden als die Stammeltern der Myriapoden und In-
sekten aufzufassen, zumal besonders die epimorphe Campodea und Japyz auf
engste Verwandtschaft mit hemimetabolen (anamorphen) Hexapoden hinweisen
und von letztern durch vergleichende Uebersicht des eigentlichen Wesens
der Verwandlung mittels der unvollkommnern Metamorphose gewisser Käfer-
familien (Lampyriden, Phengodes) zu den holometabolen (metamorphen) Insekten
ein Uebergang gefunden werden kann.
Letzte Sitzung. Herr F. E. Schulze (Berlin): Ueber die Mittel,
welche zur Lähmung von Tieren dienen können, um dieselben
im erschlafften, ausgedehnten Zustande erhärten oder ander-
weitig konservieren zu können. Dice Aufgabe, Tiere in möglichst natür-
lichem ausgedehntem Zustande zu fixieren, ist gleich wichtig für die Forschung
wie für die Darstellung. Ich hielt es daher für zweckmäßig, dieses, alle
Zoologen der verschiedensten Richtung gleichmäßig interessierende Thema
hier zur Diskussion zu stellen, in der Hoffnung, dass so ein nützlicher Aus-
tausch von Erfahrungen und eine fruchtbare Vergleichung von Präparaten
ermöglicht werden könnte, welche von verschiedenen Bearbeitern nach ver-
schiedenen Methoden hergestellt sind. Freilich wird für die speziellen Zwecke
des Forschers oder Präparators das in jedem einzelnen Falle anzuwendende
Verfahren nicht immer das gleiche sein dürfen, und häufig genug wird der
Zoologe in die Lage kommen, sich zur Lösung einer bestimmten Aufgabe eine
brauchbare Methode erst selbst ausbilden oder ganz neu erfinden zu müssen.
Im allgemeinen wird man die zur Fixierung der Tiere im ausgedehnten Zu-
stande dienenden Methoden in zwei Gruppen bringen dürfen, nämlich erstens
solche, welche darauf abzielen, in normaler Ausdehnung befindliche Tiere durch
irgend welche Einwirkungen so plötzlich zu erhärten, dass sie gar keine Zeit
haben, sich noch vor der Fixierung zusammenzuziehen, das sogenannte Ueber-
raschungsverfahren, und zweitens solche Methoden, bei welchen durch
die angewandten Mittel die Lähmung langsam eintritt und allmählich erst zu
einer vollständigen Erschlaffung führt, nach welcher dann die Erhärtnng vor-
genommen werden kann. Ueber die verschiedenen Ueberraschungsverfahren,
wie das plötzliche Uebergießen mit Alkohol absolutus, Osmiumsäure, Sublimat-
lösung, Chromsäure und anderer Mineralsäuren, welche Reagentien teils kalt,
teils in erwärmtem Zustande oder selbst kochend anzuwenden sind, will ich
hier nicht reden; doch möchte ich darauf hinweisen, dass in manchen Fällen
Schulze, Mittel zur Lähmung von Tieren. 761
vielleicht die Tötung mittels eines elektrischen Schlages zu versuchen wäre.
Von den zahlreichen Methoden dagegen, welche auf allmähliche Einwirkung
lähmender Mittel beruhen, mögen zuerst einige rein physikalisch wirkende Er-
wähnung finden. Dahin gehört die langsame, bis zur Empfindungslosigkeit
fortgesetzte Abkühlung, sowie anderseits das ganz langsame bis zum Ein-
tritt der Wärmestarre oder bis zum Tote fortgesetzte Erwärmen. In einigen
Fällen wird das vollständige Ausdehnen des Tieres auch einfach durch Er-
sticken in ausgekochtem Wasser erzielt. Zahlreich sind die narkotisch
wirkenden Substanzen, mittels deren man die Tiere langsam lähmt, um sie
dann im ausgedehnten Zustande durch Härtungs- oder Konservierungsmittel zu
fixieren. Dahin gehört der Alkohol, welchen man entweder in dünner Schicht
auf dem die lebenden Tiere enthaltenden Wasser ausbreitet, oder direkt in
verschieden starker Verdünnung anwendet, das Chloroform in sehr schwacher
wässriger Lösung oder in Dampfform, Schwefeläther, Blausäure, Kohlensäure,
Atropin, Nikotin oder Tabaksrauch, Strychnin, Chloralhydrat, Cocain und ähn-
liche Mittel. In anderer Weise, aber mit ähnlichem Erfolge, wirken pyro-
schwefligsaures Kali, Eisenchlorid und andere Metallsalze. Es scheint mir
nun zweckmäßig, hier die in betracht kommenden Tiergruppen in der Weise
durchzunehmen, dass ich für jede einzelne Gruppe die gebräuchlichsten oder
mir näher bekannten Lähmungs- und Erhärtungsmittel nenne und darauf die
geehrten Herren bitte, ihre eignen Erfahrungen mitzuteilen. 1) Rhizopoden.
Ein brauchbares Verfahren zur Fixierung der ausgestreckten Pseudopodien be-
steht in der Ueberraschung mittels Osmiumsäure und nachfolgender Behand-
lung mit Pikrokarmin, ferner in der Ueberraschung mit Alcohol absolutus,
Sublimat oder Chromsäure, welche eventuell warm anzuwenden sind. — Herr
Hertwig (München) macht auf Chinin aufmerksam, da dasselbe das Proto-
plasma schon in schwachen Lösungen lähme. Um zu verhüten, dass die Pseudo-
podien der Rhizopoden, welche nach dem Abtöten den Turgor vitalis verlieren,
sich durcheinander wirren, empfiehlt sich der Transport des Objekts von einem
Reagens in das andere mittels Kapillarröhrchen. Die Osmiumschwärzung wird
vielfach besser als durch ammoniakalische Karminlösungen durch chromsaure
Salze verhindert; besonders möchte sich chromsaures Ammoniak empfehlen.
2) Infusorien. Eine ganz befriedigende Methode, um weiche ciliate oder
flagellate Infusorien bezw. Acineten in ausgedehntem Zustande so zu lähmen,
dass sie gut gehärtet werden können, scheint noch nicht gefunden zu sein.
Von Braun ist kohlensäurehaltiges Wasser (etwa Soda- oder Selterwasser)
empfohlen. Zur Lähmung des Cilienschlages wandte Herr Stud. Verworrn
im Berliner zoologischen Institute mit gutem Erfolge chloroformhaltiges Wasser
an. Das bisher von mir und vielen andern vorwiegend geübte Verfahren zum
Fixieren der Infusorien besteht in der Ueberraschungsmethode unter Anwen-
dung der Osmiumsäure, Sublimat, Alcohol absolutus, Chloralhydrat. — Herr
R. Hertwig (München) erwähnt, dass für die Untersuchung von Infusorien
Kochsalzlösung zu empfehlen sei, in welcher die Tiere lebend sich erhalten,
aber gelähmt werden; ferner empfehle sich die Quetschmethode, welche in
der Weise anzuwenden sei, dass das Deckgläschen durch Wachsfüßchen unter-
stützt werde und durch Abschmelzen der Wachsfüßchen mit erhitzten Nadeln
eine leicht zu regulierende Kompression des Objektes erzielt werde. — Herr
F. E. Schulze (Berlin) bemerkt, dass man durch Regulierung der unter dem
Deckplättchen befindlichen Wassermasse eine systematische Kompression aus-
üben könne,
762 Schulze, Mittel zur Lähmung von Tieren.
3) Spongien und Cnidaria. Von der Anwendung der Narcotica habe
ich bei Spongien oder Spongienlarven bisher noch keine nennenswerten Erfolge
zu berichten. Bei den Hydromedusen, Scyphomedusen und Ctenophoren hat
sich die Osmiumsäure als Ueberraschungsmittel seit langer Zeit gut bewährt.
Ich erlaube mir, Ihnen hier einige mit dieser Methode von mir schon 1869
fixierte Medusen vorzulegen, welche die Befürchtung mancher Zoologen mit
Erfolg widerlegen dürften, dass dieses neue Präparationsverfahren keine be-
ständigen Präparate liefere. Glänzende Resultate sind bei den Siphonophoren
mittels der der eigentlichen Erhärtung vorausgehenden Lähmung mittels Chloral-
hydrat erzielt, einer Methode, welche zuerst an der zoologischen Station in
Neapel ausgeübt und seither bis zu meisterhafter Vollendung ausgebildet ist.
Die letztere Behandlung erzielt auch bei den Anthozoen vorzügliche Resultate,
besonders da, wo sie mit dem prallen Anfüllen des Gastrovaskularsystems
durch Injektion verbunden werden kann. Ob die zoologische Station in Neapel
noch eigenartige Methoden der Art zur Herstellung ihrer schönen Präparate
verwendet, ist mir nicht bekannt. — Herr Hertwig (München) ist der Ansicht,
dass man bei der Konservierung der Anthozoen unterscheiden müsse, zu wel-
chem Zweck die Tiere dienen sollen. Für Sammlungspräparate würde es sich
empfehlen, die Tiere plötzlich mit energischen Reagentien abzutöten (Eis-
essig etc.); für histologische Untersuchung würde wohl eine vorhergehende
Lähmung nicht zu umgehen sein. Herr von Brunn (Hamburg) erwähnt, zur
plötzlichen Abtötung von Polypen werde in Neapel mit bestem Erfolg eine
kochende Mischung von Sublimat und Essigsäure zu gleichen Teilen ange-
wandt. — Herr Pfeffer (Hamburg) teilt mit, dass bei Pennatuliden mit großen
Polypen, z.B. Renilla, allmähliches Zusetzen von süßem Wasser bis zur völligen
Aussüßung mit Vorteil anzuwenden sei, um dieselben in ausgestrecktem Zu-
stande als Sammlungsexemplare zu konservieren. — Herr R. Hertwig hat die-
selbe Methode bei Zucernaria mit Erfolg angewendet. — Herr Ed. v.Beneden
(Lüttich) teilt die Resultate seines Schülers Föttinger über die Wirkung
des Cocains und des Chlorals auf Hydroiden und Actinien mit. Die Lähmungs-
mittel geben bei Hydroiden keine Resultate, insofern als ganz kleine Quanti-
täten Cocain oder auch Chloral die Tiere zur Kontraktion bringen, worauf sie
sich nicht mehr ausbreiten. Die Actinien deformieren sich sehr, sobald die
Lähmungsmittel auf sie emwirken. — Herr Schneider (Breslau) bestätigt,
dass die Quellungsmethode (längeres Liegen in süßem Wasser) gute Resultate
gibt (bei Nematoden, Echinorhyrchen).
4) Würmer. Bei den verschiedenen Gruppen der Würmer hat sich in
vielen Fällen die Lähmung der im Wasser befindlichen Tiere mit einer Deck-
schicht von Alkohol oder mittels chloroformhaltigen Wassers gut bewährt,
während dieses Verfahren in andern Fällen nicht genügt, und man mit der
Ueberraschungsmethode durch Anwendung von warmer Sublimatlösung oder
Pikrinschwefelsäure weiter kommt. Ein besonders schwieriges Objekt für die
Erhärtung im ausgedehnten Zustande bilden die Rädertiere. Im hiesigen
zoologischen Institut sind einige ziemlich gut gelungene Versuche mit Chloral-
hydrat, Cocain und nachfolgender Osmiumhärtung ausgeführt worden, deren
Ergebnisse ich Ihnen hier vorlege. Bssser noch wirkt eine in Eis gekühlte
Coeainlösung. — Herr Schneider (Breslau) erklärt, dass das kohlensäure-
haltige Wasser für das Lähmen von Rädertiereren in ausgestrecktem Zustand
vorzüglich zu verwenden sei. — Herr H. v. Brunn (Hamburg) bemerkt:
Nermertinen dehnen sich so vollkommen wie möglich in Chloralhydrat aus,
wobei sie den Rüssel oft in seiner vollen Länge ausstülpen. Für Trematoden
ge u
Schulze, Mittel zur Lähmung von Tieren. 7165
empfiehlt es sich, das Tier in einem kleinen Tropfen Wasser unter dem Deck-
glas etwas breit zu drücken und so ganz plötzlich über der Spiritusflamme zu
erhitzen, oder dies in dem Augenblick vorzunehmen, wo sich das Tier selbst
eben am vollkommensten ausgedehnt hat. Sehr gute Resultate liefert für
Polychäten Diffusion mit Alkohol. Für die Lähmungsmethode ist es sehr
wichtig, den besten Zeitpunkt der Tötung abzupassen, um einerseits Mazeration,
anderseits Wiederzusammenziehung des Tieres zu verhüten. — Von großer
Wichtigkeit würde eine systematische Ausprobierung verschiedenster Konzen-
trationen der Lähmungsmittel auf die einzelnen Tiere sein, so ist z. B. die
Wirkung von Chloralhydrat danach äußerst verschieden.
5) Bryozoen. Auch die Bryozoen sind nicht leicht im ausgestreckten
Zustande zu fixieren. Wir haben indess nach Chloral- oder Cocain - Lähmung
und Erhärtung in Alkohol oder Osmiumsäure von der in unsern Seen häufigen
Oristatella mucedo und auch bei Aleyonella fungosa ganz leidliche Präparate
erhalten, von welchen ich Ihnen hier einige vorlege. — Herr Ed. v. Beneden
(Lüttich) teilt mit, dass die Anwendung des Chlorals bei See-Bryozoen im
allgemeinen keine guten Resultate gibt. Trotzdem hat Dr. Föttinger durch
diese Lähmungsmittel bei einigen Seeformen, z. B. Laguncula repens und L.
elongata, sehr schöne gut ausgestreckte Stöcke bekommen.
6) Mollusken. Um Mollusken im ausgestreckten Zustande zu fixieren,
kenne ich kein besseres Mittel, als sie in Wasser in einem geschlossenen Glase
zu ersticken. — Herr v Brunn (Hamburg) teilt mit, zur Untersuchung von
Phyllirhoe im lebenden, gelähmten Zustande sei Chloralhydrat zu empfehlen. —
Herr v. Martens (Berlin) bemerkt, dass beim Ersticken in Wasser die Fühler
unserer Landschnecken nur halb ausgestreckt bleiben, so dass die Augen nicht
sichtbar sind, und dass für Nacktschnecken auch das Töten durch Tabaksqualm
empfohlen worden ist. — Herr Pfeffer (Hamburg) bemerkt, Sublimat in Kon-
zentration sei bei Schnecken, besonders für Limax, zur raschen Tötung ver-
wendbar. Sochaczewer hat kriechende Schnecken mechanisch fixiert.
Chromsäure ist durchaus zu verwerfen, da die mit Chromsäure konservierten
Objekte brüchig werden und in Krümel zerfallen. Ein Abschneiden von Fühlern
ist nicht zu empfehlen, da sich auch abgeschnittene Teile noch ganz stark
kontrahieren. — Herr R. Hertwig (München) hat die gleichen schlechten Er-
fahrungen an dem Chromsäure-Material der Challenger-Expedition gemacht. —
Herr Weltner (Berlin) teilt mit, er habe Präparate von Prof. Carriere
gesehen, die zum Studium des Auges an Helix pomatia angefertigt waren.
Hier war der Fühler total ausgestreckt und das Auge lag an seiner Spitze. —
Herr C. Hasse (Breslau) fragt, ob man Morphium zur Ueberwindung der Kon-
traktionserscheinungen des Schneckenfühlers angewendet habe. — Herr Hert-
wig (München) bemerkt, dass Protozoen gegen Morphium sehr unempfindlich
seien; auch bei Actinien ist Morphium wirkungslos. Je weiter wir in der
Tierreihe der Wirbellosen herabsteigen, um so weniger empfindlich finden wir
sie für die bei den Wirbeltieren wirksamen spezifischen Nervengifte.
7) Arthropoden und Wirbeltiere. Bei diesen Tiergruppen kann
zwar die Lähmung, sowie sie durch Narcotica verschiedener Art sich erzielen
lässt, häufig sehr nützlich werden, um Beobachtungen lebender Tiere (beson-
ders an kleinen Krustern, Fischehen, Batrachier- und Tritonlarven ete.) anzu-
stellen, doch dürfte hier eine Lähmung im ausgedehnten Zustande selten not-
wendig werden. — Herr Wilhelm Müller (Greifswald) teilt mit, dass man
Seesterne, welche beim Absterben ihre Arme abwerfen, daran verhindern
könne, indem man sie in Sand eingräbt. — Herr Pfeffer (Hamburg): Für
764 Röhmann, Milchsäurebildung bei der Thätigkeit des Froschmuskels.
trockene Seesterne ist zur Erhaltung der Farbe kurze Behandlung (6 Stunden)
mit Wickersheimer’scher Flüssigkeit zu empfehlen. — Herr Eduard v.
Beneden (Lüttich) bemerkt bezüglich der Konservierung der Tunikaten, dass
man, um sie im ausgestreckten Zustande zu erhalten, Glasrohre in die beiden
Körperöffnungen bei großen Species (Phallusia mamillata o. P. mentula) ein-
bringt und, nachdem die Tiere sich ausgebreitet haben, mittels eines Trichters
Eisessig, Alkohol oder Kleinenberg’sche Flüssigkeit eingießt. Bei kleinen
Species (Molguliden, Cynthiaden, sozialen oder zusammengesetzten Ascidien)
bringt man eine Schicht Alkohol oder Alkohol und Kleinenberg’sche
Flüssigkeit auf die Wasserfläche und tötet durch allmähliche Ausbreitung der-
selben im Wasser die Tiere ab. — Herr Korschelt (Freiburg i. B.) möchte
die Frage in Erwähnung bringen, ob durch die Konservierung kleinerer Gewebs-
stücke (z. B. der Insektenovarien) mit Sublimat eine Missbildung der histo-
logischen Verhältnisse hervorgebracht wird. Rühren die sonderbaren Bildungen
des Chromatins im Innern der Kerne des Insektenovariums von der Einwirkung
des Sublimats her, oder sind sie naturgemäß? Bei längerer Einwirkung ist
ersteres wohl möglich, bei vorsichtiger Anwendung des Sublimats aber bleiben
die histologischen Details sehr wohl erhalten, wie man durch Vergleichung
mit frischen Objekten erkennt. — Herr Schneider (Breslau) bemerkt, dass
die von dem Vorredner erwähnten und von Will beschriebenen Veränderungen
der Kerne des Insektenovariums Alterserscheinungen sind, und nicht auf die
Einwirkung des Reagens zurückzuführen seien.
Sektion für Physiologie.
4. Sitzung. Herr Kronecker berichtet über Ergebnisse von Versuchen
der Herren Lamb und Lubarsch, betreffend die Verteilung und Bildung von
Wärme im Darmkanale. Mittels Hautthermometer zeigt Herr Lamb, dass bei
rückwärts aufgebundenen Kaninchen die Temperatur im Rectum viel schneller
sinkt, als am Dünndarm oder Kolon, ja dass oft die Darmtemperatur etwas
steigt. Alle Mittel (besonders aber Chloral), welche die Blutgefäße des
Splanchnicussystems erweitern, steigern anfänglich die Darmtemperatur,
mindern die Rectaltemperatur, worauf der Dünndarm sich abkühlt. Herr Lu-
barsch fand, dass Reizung des Corp. striatum beim Kaninchen, sowie der
Vorderhirnoberfläche bei der Katze die Darmtemperatur um mehrere Grade
steigern kann. Achnlich wirken: Anämie der Gehirne durch Entleerung der
Sinus ven., sowie auch durch Drehung des Tieres auf der Centrifuge mit
peripher gelagertem Kopfe. Auch bloße Aufregung der Katzen (ohne wesent-
liche Bewegung) steigerte beträchtlich die Darmtemperatur. Hierdurch sind
Ausgangspunkte von Drüsennervenbahnen im Gehirn wahrscheinlich gemacht
und die Ursachen der Erwärmung durch psychische Erregung in den Drüsen
erwiesen.
Herr v. Basch erinnert an Versuche, die in seinem Laboratorium von
Herrn Bettelheim über das Antipyrin angestellt worden. Diese Versuche
lehrten, dass die Hauttemperatur anstieg, während die des Reetums absank,
was wohl darauf beruht, dass die die Haut durchströmenden Blutmengen an-
wachsen.
Herr Röhmann spricht über Milchsäurebildung bei der Thätig-
keit des Froschmuskels. In ähnlicher Weise wie Böhm nachgewiesen
Günther, Elliptische Lichtstreifen, 765
hat, dass bei der Totenstarre sich Milchsäure bildet, ohne gleichzeitigen
Schwund von Glykogen, lässt sich zeigen, dass bei der Thätigkeit ebenfalls
Milchsäure entsteht, während das Glykogen abnimmt. Die im Muskel gebildete
Milchsäure geht zu einem kleinen Teil, welcher durch die Vena renalis advehens
der Niere direkt zugeführt wird, in den Froschharn über, der größere Teil
gelangt zur Leber und wird dort zerstört.
Herr Head: Ist Collaps der Lunge ein inspiratorischer Reiz?
Die Untersuchungen sind mit der in dieser Sektion in Hamburg beschriebenen
Methode gewonnen worden. Es ist aus folgenden Gründen wahrscheinlich, dass
Collaps der Lunge einen wirklichen inspiratorischen Reiz hervorruft: a) Eine
Verkleinerung des Lungenvolumens wirkt stärker als die reizlose Durchtrennung
der Vagi. b) Wiederholte Verkleinerungen rufen ein Summieren der inspira-
torischen Wirkungen hervor. c) Man lässt die linke Lunge vollständig kolla-
bieren und durchschneidet den rechten Vagus — gesetztenfalls die Vagi nicht
beträchtlich kreuzen. Eine Aufblasung ruft eine Stauung hervor, da eine
starke Inspiration beim Oeffnen der Trachea folgt. Dieser starke inspirato-
rische Tonus bleibt meistens aus, wenn man den linken Vagus während der
Aufblasung reizlos durchtrennt, was man durch Durchfrieren oder lokale Be-
handlung mit Aetherdampf zuwege bringen kann.
Herr E. Grumach teilt die Resultate seiner Untersuchung über die
Fortpfanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle in elastischen
Röhren mit. Zu den Versuchen wurden einerseits Kautschukschläuche von
verschiedener Qualität, anderseits Aorten des Pferdes benutzt. Als wesent-
liches Ergebnis der Untersuchung fand Vortr., dass die Dehnungskurve der von
ihm untersuchten Kautschukröhren sich durchaus entgegengesetzt zu der der
Arterie verhält. Bei den erstern nahmen bei Drucksteigerung die Delnungs-
werte zu, also der Elastizitätskoeffizient zugleich ab. Damit fand Abnahme
der Pulsgeschwindigkeit statt. Bei den Arterien nahm bei Drucksteigerung
der Elastizitätskoeffizient und zugleich damit die Pulsgeschwindigkeit zu. Der
Einfluss des Durchmessers und der Wanddicke auf die Pulsgeschwindigkeit ist
gegenüber dem des Elastizitätskoeffizienten nur als untergeordnet zu betrach-
ten. Nach den an lebenden Arterien gemachten Beobachtungen sowie den
heute mitgeteilten können wir wohl den Schluss ziehen, dass die Dehnungs-
kurve der lebenden Arterie sich ebenso wie die der toten verhalten wird, dass
also bei Drucksteigerung Zunahme des Elastizitätskoeffizienten und infolge
davon auch Zunahme der Pulsgeschwindigkeit eintreten muss.
Herr Günther lenkt die Aufmerksamkeit auf die von Purkinje bereits
beschriebene subjektive Gesichtserscheinung der „elliptischen Licht-
streifen“, welche man von einem im Dunkeln mit einem Auge fixierten leuch-
tenden Körper nach der Schläfenseite hin ausgehend in dem bläulichen Eigen-
lichte der Retina beobachtet. Diese Liehtbögen verlaufen stets in den blinden
Fleck. Sie kommen durch eiuen unbekannten Vorgang innerhalb der nervösen
Apparate der Retina zu stande, nicht durch katoptrische oder dioptrische Vor-
gänge. Nur bestimmte Punkte der Retina, die schläfenwärts von dem Fixations-
punkte liegen, lösen die Erscheinung aus. Herr Günther studierte die Er-
scheinung mit Hilfe eines vertikal gestellten Platindrahtes, der durch den
galvanischen Strom glühend gemacht wurde. Noch in 9 Winkelgraden Ent-
fernung von dem Fixationspunkte auf der Retina schläfenwärts gerechnet, kam
766 Zuntz, Gehalt des strömenden Blutes an geformten Bestandteilen.
die Erscheinung zu stande, während zwischen dem Fixationspunkte und dem
Sehnerveneintritt das Bild des leuchtenden Körpers die Bögen nicht mehr
erscheinen lässt. 2 helle Spalte bringen 2 Bogensysteme zu stande. Vielleicht
sind die die Erscheinung auslösenden Stellen der Retina als Umschlagsstellen
der zur Fovea centralis verlaufenden Nervenfasern aufzufassen. An den Vor-
trag schloss sich eine Demonstration. — Herr Exner weist auf das allgemein-
physiologische Interesse hin, das sich an die besprochene Erscheinung knüpft,
indem sie auf dem einzigen ihm bekannten Beispiel einer Ausnahme vom Ge-
setze der isolierten Nervenleitung beruht.
Letzte Sitzung. Herr N. Zuntz: Ueber die Ursache der Apnoe des
Fötus — nach Versuchenmit Herrn Cohnstein.— Beidem durch Sectio caesarea
bloßgelegten Schaffötus, dessen Plazentarzirkulation intakt ist, gelingt es durch
Hautreize nicht, Atembewegungen auszulösen. Die widersprechenden Beobach-
tungen Preyer’s erklären sich aus der bei Kaninchen, Meerschweinchen etc.
der Eröffnung des Uterus folgenden Störung des Plazentarkreislaufs. Erstes
Symptom dieser Störung ist scharlachrote Farbe des Nabelvenenblutes, welche
jedesmal zu stande kommt, wenn eine kleine Blutmenge langsam die Placenta
durchfließt und so Zeit zu vollkommener Sättigung findet. Dasselbe Blut,
welches beim Fötus die Apnoe fortbestehen lässt, würde beim reifen Tiere
schon vermehrte Atmung auslösen. Der Unterschied ist zum Teil in einer
verminderten Erregbarkeit der Atemeentra beim Fötus, welche während der
ersten Zeit post partum fortbesteht, begründet. Tiere in den ersten Lebens-
tagen reagieren auf denselben Reiz (CO,) rascher als ältere. — Dazu kommt
als weiteres Moment, welches die Atmung vor der Geburt erschwert, der
hemmende Reflex bei Berührung der Nase mit Flüssigkeit, der jedesmal aus-
gelöst wird, sobald der Fötus eine Atmung intendiert.
Herr N. Zuntz spricht über den wechselnden Gehalt des strö-
menden Blutes an geformten Bestandteilen und seine Ursachen
— nach Versuchen mit Herrn Cohnstein. — Man ist vielfach geneigt, die
im septischen Fieber und bei vielen andern Störungen bemerkbaren raschen
Aenderungen der Blutkörperchenzahl auf massenhafte Zerstörung und Neu-
bildung dieser Formelemente zu beziehen, weil man glaubt, dass die Momente,
welche dem Blute Flüssigkeit zuführen bezw. entziehen, die Filtration, Resorp-
tion und Diosmose zur Erklärung der beobachteten Aenderungen nicht aus-
reichen. Die extremsten Schwankungen der Blutkörperchenzahl beobachtete
man nun nach hoher Rückenmarksdurchschneidung, welche in wenigen Minuten
eine Abnahme der roten Blutkörperchen von 5 auf 3 Millionen im cbmm be-
wirken kann. Reizung des Rückenmarks bringt mit dem Blutdruck auch die
Körperchenzahl wieder auf die alte Höhe. Hier an Zerstörung und rasche
Regeneration der Blutkörperchen zu denken ist unmöglich. Aber auch die
Filtration und Resorption sind, wie besondere Versuchsreihen lehrten, viel zu
langsame Prozesse. Die mikroskopische Beobachtung durchsichtiger Teile lehrt,
dass in der Norm viele Kapillaren sehr arm an Blutkörperchen sind; nach der
Rückenmarkstrennung sind alle diese Kapillaren vollgepfropft, bei Reizung des
Rückenmarks werden sie wieder so eng, dass sie wesentlich Plasma beher-
bergen. Selbstverständlich entspricht einem Plus an Blutkörperchen in den
Kapillaren ein Minus in den großen Gefäßen. — Zwischen größern Arterien
und Venen besteht kein Unterschied der Blutkörperchenzahl.
Liebreich, Reaktionserscheinung in Beziehung zur Zellenthätigkeit. 767
Sektion für Chemie.
Letzte Sitzung. Herr Liebreich: Ueber eine eigentümliche Reak-
tionserscheinung in Beziehung zur Zellenthätigkeit. Das im
Jahre 1832 von Liebig entdeckte Chloralhydrat wurde 1869 von dem Vor-
tragenden als Heilmittel in die Medizin eingeführt, weil er die Wirkung des-
selben aus seiner Reaktion zu Alkalien auch im lebenden Organismus vermutete.
Es spaltet sich Chloralhydrat mit Alkalien zu Chloroform und ameisensaurem
Natron. Diese Reaktion verläuft ebenfalls im Organismus, wofür von ihm und
andern Beweise beigebracht worden sind. Unter gewissen Umständen als ab-
norme Erscheinung oder in minimalen Quantitäten vielleicht normal, tritt im
Harn eine vom Chloralhydrat sich ableitende Säure auf, welche von v. Meh-
ring dargestellt wurde. Da der größte Teil des Chlorals als Salzsäure im
Harn wiedergefunden wird, so ist, wie bei vielen andern Substanzen, das Auf-
treten geringer Mengen Urochloralsäure nicht gegen die Chloroformtheorie
sprechend, verdient aber immerhin Beachtung. Wie ist es möglich, dass eine
mit Alkalien so leicht sich zerlegende Substanz wie das Chloralhydrat die
alkalischen Säfte des tierischen Organismus unzerlegt passieren kann? Denn
wir können die Flüssigkeiten des Organismus als alkalische Flüssigkeiten be-
zeichnen, wenn auch, wie du Bois Reymond es gezeigt hat, eine saure
Reaktion bei der Funktion der Muskeln eintreten muss. Ohne die Spaltungs-
theorie des Chloralhydrates weiter zu behandeln, hat die Erforschung dieser
Frage zu einer Entdeckung geführt, welche, wie es scheint, eine größere Trag-
weite hat. Nach der ersten Einführung des Chloralhydrats in die Medizin
wurde eine besondere Aufmerksamkeit in allen Kreisen durch den Hinweis
A.W.Hofmann’s geweckt. Es folgten eine Reihe chemischer Untersuchungen
durch A. v. Baeyer, Viktor Meyer und andere, als deren Resultat zu ver-
zeichnen ist, dass die als Chloralhydrat bezeichnete Substanz nicht Triehloral-
dehydhydrat, sondern wahrscheinlich Trichloräthylidenglykol ist. Alle diese
Untersuchungen sind zu einer Zeit ausgeführt worden, als das Chloralhydrat
nur in Platten gegossen bekannt war. Durch Benzol erleiden diese Platten
eine eigentümliche Umlagerung in lose Kıystalle, welche von Martius in
größerem Maßstabe früher, jetzt von Schering dargestellt werden. Diese
beiden Substanzen, Platten und Krystalle, scheinen jedoch verschiedene Sub-
stanzen zu sein. Die Platten lösen sich unter Kontraktion der Lösung, die
Krystalle unter Ausdehnung der Lösung im Wasser. Durch Schmelzen werden
die Krystalle in Platten übergeführt. Bei der Vermutung, dass Platten und
Krystalle ein ungleiches Verhalten zu Alkalien zeigen, wurden Untersuchungen
angestellt, welche ergaben, dass bei chemischen Reaktionen ein toter Raum
entsteht, in welchem eine Reaktion nicht zu beobachten ist. Gleichgiltig, ob
man Lösungen von Krystallen oder Platten von Chloralhydrat in Wasser an-
wendet, mit Natriumkarbonat-Lösung entsteht je nach der Konzentration und
Temperatur der Lösungen mehr oder weniger spät eine nebelartige Ausschei-
dung des Chloroforms. Wendet man Röhren an, so begrenzt sich die Aus-
scheidung unterhalb des Meniscus mit einer dem Meniscus entgegengesetzten
Krümmungsfläche. Füllt man Kapillarröhren, welche horizontal gelagert werden,
so tritt der tote Raum an beiden Enden ein; nimmt man in das Kapillarrohr
nur so viel Flüssigkeit auf, dass die Länge der Säule kürzer ist, als die Längen
der beiden toten Räume, so tritt überhaupt keine Reaktion ein. Für die
Vorgänge in der Zelle musste es von Wichtigkeit sein, ob bei einem Verschluss
768 Liebreich, Reaktionserscheinung in Beziehung zur Zellenthätigkeit.
des vollständig gefüllten Rohres mit elastischen Membranen der tote Raum
noch zu beobachten ist. Die Frage konnte im bejahenden Sinne entschieden
werden. Zugleich wurde eine Verzögerung der Reaktion überhaupt in engen
Röhren beobachtet. Denken wir eine Zelle als einen von einer elastischen
Membran begrenzten Raum oder als eine bewegliche Masse selbst ohne Mem-
bran, eine Zelle im abstrakten Sinne, wie Virchow sich ausdrückt, so würde
bei manchen Mischungen chemischer Substanzen in diesem kleinen Raume ent-
weder gar keine Reaktion oder nur eine solche im Zentrum vor sich gehen,
und es ist nicht unschwer einzusehen, dass bei solcher Lage der Dinge eigen-
tümliche Reaktionen zu stande kommen können, deren Eintritt sonst nicht zu
beobachten sein würde. Auch für die Darstellung von Substanzen aus Zellen-
gewebe ist die Beobachtung des toten Raumes bei chemischen Reaktionen von
Bedeutung. Man denke sich kleine Glasperlen, ohne dass sie außen benetzt
werden, mit einer Mischung von Chloralhydrat und Natriumkarbonat-Lösung
gefüllt. So lange die Lösung in den kurzen Kapillarröhren der Perlen ver-
weilt, wird keine Reaktion eintreten. Bei der Aufgabe, den Inhalt der Perlen
zu untersuchen, wird man dieselben zerstoßen oder mit Wasser auslaugen.
Bei dieser Untersuchung müsste die Bildung von Chloroform und ameisen-
saurem Natron eintreten, und man würde als Chemiker angeben, der Inhalt der
Perlen sei letztgenannte Substanzen, während in der That Chloralhydrat und
Natriumkarbonat als Inhalt vorhanden war. Die Bildung des toten Raumes
kann auch bei andern Substanzen gezeigt werden. Ich benutzte dann die von
Herın Landolt zu seinen Untersuchungen verwertete Reaktion der Aus-
scheidung von Jod beim Zusammenbringen von Jodsäure mit schwefliger Säure.
Das Auftreten des Jod bei Gegenwart von Stärke ist durch die Blaufärbung
ungemein scharf kenntlich. Es zeigt sich hier das plötzliche Eintreten nur bis
zu einer bestimmten Stelle unter dem Meniskus der Flüssigkeit. Der tote
Raum bleibt mehrere Sekunden klar und farblos. In Röhren zeigt sich die
Reaktion als dünner Faden, und erst allmählich färbt sich das ganze Rohr.
Auch bei der Chloroform-Reaktion kann man in langen Röhren den seitlichen
toten Raum beobachten. Um zu klaren Bildern zu gelangen, müssen die
Lösungen so gestellt werden, dass der Eintritt der Reaktion erst nach 5 bis
25 Minuten zu beobachten ist. Eine Erklärung für die Entstehung des toten
Raumes dürfte mit Sicherheit vorerst nicht gegeben werden können; aber die
Versuche, welche bis jetzt vorliegen, führen zu der Annahme, dass der tote
Raum bei chemischen Reaktionen auf Kohäsions-Erscheinungen zurückzuführen
ist. Jedenfalls wird die chemische Reaktion in Kapillaren für Physiker, Che-
miker und besonders für die physiologischen und pharmako-dynamischen Be-
trachtungen von Bedeutung sein müssen.
Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün-
schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an-
zugeben.
Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man
an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘ zu richten.
Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen.
Alphabetisches Namen -Register.
Die Namen von Verfassern von Arbeiten, welche in diesem Bande enthalten
sind, sind durch ein * ausgezeichnet.
Abeles 465.
Ackermann 620.
Adamkiewiez 21—22, 576.
Adams 258.
Aeby 435.
Agassiz, L., 213, 272, 334,
644.
* Albrecht, P., 79— 82,
121 — 123, 204 — 212,
720 — 726.
Albrecht, P., 175, 177, 133,
353, 355, 358, 403—404,
602—607, 648—651.
Andouin, V., 674.
Anrep 308.
Archer 257.
Aristoteles 288, 532, 618.
Arnold,(G.;€., 175:
Ascherson 694.
Asper 478.
Astaschewsky 312.
Aurivillius 737—738.
Azara 532.
Baelz 322.
Baer 357.
* Baginsky, B., 152—155.
Baker 166.
Balbiani 402, 560.
Balfour 173, 182—176, 271,
318, 530, 546, 560, 653,
662, 696.
Bardeleben, K., 177, 640.
* Barfurth, D., 609—613.
Barker 257.
Bary, de, 279.
Baudelot 677.
Baumann 379—380, 742.
* Baur, G., 332—342, 353
— 363, 648—658.
Bavay 434.
Bayliss, W., 478—479.
Beard 592.
Beaume 176.
Beelard 57.
Bell, Chr., 342.
Bell, Th., 175.
Benecke 318.
Beneden, E. van, 696.
Benedict 342.
Bennet 358.
Bergh 20.
Bernard, Cl., 236, 240,
464—465, 682—685.
Bernhardt 342.
Bernheim 702.
Bernstein 23, 342.
Bernthsen 220— 221.
Berthelot 385.
Bert, P., 272, 492—493.
Berzelius 540.
Bettany 649.
Bevan 2838.
Bianchi 567.
Bidder 228, 680—681.
* Biedermann 21—26.
Biedermann 304, 607—608,
669—670.
Biedert 701.
Binschedler 222.
Biot 378.
Blackwall, J., 674.
Blanchard, Em., 12, 674.
Blaue 589—592.
Bleile 465—471.
Blix 383.
* Blochmann, F., 554—559.
Blochmann 402, 608.
Blumenbach 105, 132—136,
RL.
Bobretzky 53, 524.
Bochefontaine 618.
Bocklisch 740.
Bodlaender 704.
Bois-Reymond du 37, 58,
232:
Bongers 377.
Bonnet 167, 613, 750.
* Bonnier, Gaston, 385 —
388.
Bonnier 493.
Bonsdorff 12.
Boocker 287, 310.
Born 226.
Borszow 257.
Bourne, Al., 9.
Boussingault 243.
Boutmy 687, 726.
49
770 Alphabetisches Namenregister.
Bradford, J., 478—479.
Brass 6.
Braun, A., 232, 300, 424,
426, 694.
Braun, M., 300 — 304.
Brechet 653, 657.
Brehm 271.
* Brieger, L., 406—410.
Brieger, L., 685 — 693,
726 — 731, 739 — 746.
Brockema, L., 273.
Bronn 7, 186, 493, 197,
199, 653.
Brouardel 687, 726.
Brown - Sequard 44.
Brücke 417.
Brull& 12.
Brunhorst, B., 254 — 255,
557.
Brunton 319.
Bubnoff 563.
Buchner 414.
Budge 432.
Buffon 511.
Bülow 226.
Bumm 322.
Bunge, G., 435—438.
Bunsen 63.
Burmeister 532—535.
Bütschli 6, 7, 182—183,
461, 514, 515, 513, 734.
Cailletet 597.
Canini- Gaul 180.
Carus, © G., 12.
Carus, V., 99.
Cavolini 14, 20.
Chaniewski 245, 247.
Charpentier 351—352.
Chatin, J., 12.
Chauvin, Maria von, 612.
Chauvin 102.
Chiaje, Delle 19, 20.
Chiercha 549.
Christiani 287, 310, 311.
Claus 12, 538.
Cleve 257.
Cohn, F., 232, 234, 448.
Cohn, H., 698—699.
Cohn, R., 372.
Cohnheim 215.
Colin 613.
Comparetti 12.
Conrad, Joh., 444.
Cope 332—333, 339—341,
353—363, 656.
Cornalia 12.
Costantin, J., 388-397.
Couty 3 2.
Cowper 212.
Cox 258.
Credner 332 — 333.
Crosnier de Varigny 58.
Cuningham, D. J., 358.
Custor 435.
Cuvier 12, 19, 359.
Dahl, J., 674.
Dalton 465.
Danilewsky 346.
Dareste, Ch, 165.
Darwin 34, 37, 39—42, 47,
98—108, 133—135, 162,
167, 174, 230, 366, 490
—491, 502, 511.
Deby 257, 258.
Decandolle 424.
Deiter 154, 293.
Delage, Yves, 14—19.
Delpino 483.
Dewitz 46, 192.
Dieterici 88, 91.
Dietzell 573.
Dilg 173.
* Dogiel, Alex., 4238—431.
Dogiel 701.
Dohrn 182, 545 —546.
Döll 250.
Dobrowolsky 91, 95.
Dollo 333, 648— 657.
Donders 620.
Dönhoff 512.
Dornblüth 702.
Drasch 125.
Driesch 12.
Duchenne 342, 343.
Düsing 506.
Duchartre 597.
Dufour, Leon, 12.
Duges 12, 230.
Dujardin - Beaumetz 623.
Dumas 243.
Dumtril, A. M. C., 12.
Dupuy, E., 31—32.
Duval 57, 613.
Duvernoy 652, 856.
Ebel, G., 281.
Eberth 180.
Ebner 753.
Eckstein, K., 230.
Edinger 189, 224.
Edwards, Milne 535.
Egerton 336, 341.
* Ehrlich, P., 214—234.
Eichler 64.
Eimer 168, 285—286, 571
—5I7.
Emerton 560.
* Emery, C., 14—19, 589
—592.
Emmerich 633.
* Engelmann, W., 57 —
589.
Engelmann 66—68, 108—
120, 137,145, 147,148,
251,.502,.972%
Engler 258.
Entz, Geza, 539.
Ereolani 613—614.
Erb 342.
Ermenghem, E. van, 258.
Errera, L., 4—5.
Eschtricht 614.
Etard 688.
Eulenburg 342, 383.
* Exner, S., 126—128.
Exner 58, 60, 290, 344,
383—384, 430.
Fabini 171.
Fano 371, 377.
Ferrier 342, 677.
Fick 23, 404—405.
Filehne 372, 375, 376.
Finkbeiner 30.
Finkler 632— 633.
* Fisch, C.,, 71—74, 288.
Fisch, C., 253— 254.
Fischer, E., 61—64.
Flechsig 330.
Fleischer, M., 244.
FE IENDT
Alphabetisches Namenregister.
Flemming 81, 153, 238,
241, 615.
Flotow, v., 232.
* Fol, H., 629-631.
Fol 523.
Forel 10, 153, 201 — 204,
462.
Foster 319.
Fraisse, P., 225—230.
Francois-Frank 307, 308.
Frank 254, 563, 631—632,
699— 700.
Franz 306.
Fraser 649.
Fraunhofer 66—69.
* Frenzel, J., 681—685.
Frerichs 241.
Frey 12.
Friedländer 730.
Fries 3.
Frisch, v., 629.
Fritsch 56, 332, 339—341,
353 — 363, 563, 732—733.
Frobenius 730.
Funke 342.
Fürstner 574—576.
Gad 306, 607.
Gage, Susanna Phelps 213
— 214.
Galeh 136. 307.
Gall 292.
Ganin 401.
Ganser 297—321.
Garland 214.
Gaudıy 332 — 333, 339—
341,
Gaule 345—356.
Gautier 688, 739—740.
Gegenbaur 12, 169, 173,
207, 359, 649.
Gensch 284.
Geoffroy St. Hilaire 12,
101.
* Geppert, J., 54—56.
Gergens 742.
Gerlach, Leo, 165,
163—169, 747.
Gervais, P., 176, 178.
Gierke, H., 286—2837, 746
—748.
167,
Gilbert 244.
Giovannini 229.
Girard, M., 12.
Godron 39%,
Götte 37, 281—282, 360,
515 —516, 696.
Goldschneider 383.
Goltz 326, 328, 411—413,
563— 565.
Gottstein 752.
Graber 12, 49-50, 489—
502, 493 — 501.
Gräfe, v., 297—298.
Gräfe 92, 342, 344.
Graff, v., 302—304.
Grancher 82, 621, 623.
Graham 308, 309.
Grashey 322.
Grassmann 482.
Gray, Asa, 694.
Gregory, E., 597.
Grenier 390.
Griffini 125.
Grimm 753
Grobben 397.
Grube, E., 9.
* Gruber, A., 5—8.
* Gruber, M., 438—448.
Gruber, J., 703.
Grunow 257, 258.
Grünwald 171.
Grützner 123, 126, 240.
Gscheidlen 189.
* Gudden, v., 152, 280—
298, 321—332.
Gudden, v., 563, 566, 569,
575:
Günther, A., 355.
Guttmann, P., 632.
Haab 352.
* Haacke, W., 363—370,
641—647, 705— 718.
Haberlandt, 395.
Häckel 42, 101, 401, 514,
519,.523, 537, 538,698.
Hallez, P., 234.
Hamberger 404.
Hannover 30.
Hansen 541.
Hanstein 257,
a
Happe 702.
Harting, BJ.12 127%:
Hase 640.
Hasse 698, 753.
Hatscheck 53—54, 698.
Hauer, Ritter von, 128.
Hauser 462.
Head, Henry 413—414.
Heckel 334, 336.
Heidenhain 376, 563, 592,
607.
Heider, K., 181—186.
Heimann 575, 576.
Heine 332.
Heineke 272.
Helmholtz, v., 88—91, 94
—95, 156, 332, 342, 756.
Hellriegel 572, 700.
Henle 62, 750.
Henneberg 244, 248.
Henneguy 316, 318.
Henoch 702.
Hensen 37, 162—163, 179
—180, 258, 259, 315.
Herbst 755.
Hering 93, 95, 342, 679.
* Hermann, F., 23i—22.
Hermann, F., 414—415.
Hermann, L., 596—597.
Hertwig 53, 170, 562.
Herzen, A., 381—383.
Hessling 702.
Heubner 702— 703.
Heurck, van, 258.
Heuscher 478.
Heyd 343.
Hieronymus 234.
Hildebrandt 392.
Hirschberg 92, 575.
* His 545—557.
His 37, 48, 317, 542-—543.
* Hitzig 562—570.
Hitzig 56, 342, 412.
Hoeck 397.
Hoffmann 617, 655.
Hoffmeister 502.
Hofmann, F., 239, 240.
Hogsg, J., 258.
Holtzendorff, v., 136.
Hoppe -Seyler 152.
Horst, R., 230.
49*
a2 Alphabetisches Namenregister.
Hösslin, R. v., 242. Koestlin 652. Lebert 13.
Hunter, J., 166, 172, 681. Kollmann 33—35, 176, 229, Lee, Bolles, 463.
Hüppe 632, 638—639. 283, 314—319, 697. Legallois 287.
Husemann 687. Korotneff 666, Lehmann, C., 243—249.
Huxley 182%, 649, 652, Korschelt 485, 555, 557, Lemoine 57, 60.
654—655. 695 —696. Lendenfeld, R. v., 181,
Hyrtl 359. Koseritz, C. v., 256. 187, 199—201.
*Iherne H Kossel 740. Lenhossek, v., 212.
Ihering, H. v., 532—539. x Kowalevsky, A.,49—54, Leo, H., 241.
RR Eh AN Ei 7179, 525—532. * Leod, Julius Me., 431—
2 Tg * Kowalevsky, N. 312— 433.
720. 314. Lepinay, de, 157160.
Jaeger, G., 359, 490. Kowalevsky,N., 286—287, Leuckart 12, 14, 182, 282
Jensen, Olav., 303. 461, 658, 666. — 283, 284, 302, 433.
Jickeli 571. Kraepelin 462, 602. Leyden 342, 344, 376.
Johnston 181. Kraske 635. * Leydig, F., 462—464.
Jolly 322. Kratschmer 465. Leydig 180, 229, 612.
Jones, Th., 12. * Krause, W., 613—618, Lewakoffski 393.
Jordan, K. F., 298—299. 749— 756. Lewinski 342.
Joseph 376, 733. Krause 490. Lieberkühn 224, 315.
Julien 600. Krieger 251. Liebig 244.
* Just, Alb, 123—126. Krohn 20. Liebreich 224.
Kronecker 376, 680. Lilljeborg 14.
Kandaracki 307. Kuhn 753. Lievin 443.
Kant 48. Kühn, G., 244. Linnaeus 271.
Karsch, A., 352, 696. Künckel, J., 74. * List, J. H., 485—488,
Kaufmann 430—431. Künckel d’Hereulais 12. 5IR—596, 746—749.
Kennel 397. Kupffer 317, 318, 696. List 488—489.
* Kellermann 4—5. Kussmaul 306. Lister 272.
Key, Axel 22, 207. Lombardini 618.
Kielmeyer 132. Lacaze Duthiers, H. de, Lotze 342.
Kirchner 517, 608, 719 19—21. Löw, E., 481—483.
Kirchhoff 63. Lacerda, de, 310. Lubbock, John, 288, 492—
* Klebs, G., 449- 455. Lachlan, Mm., 490. 494.
Klein, E., 319—320. Lacordaire 12. Lucas 136, 388.
Klein, L., 556, 592. Ladenburg, A., 257. Luchsinger 372, 375.
Kleinenberg 536. Lagerheim, G. v., 693. Lueiani 370, 567.
Knoch 12. Lamansky 120, 588. Ludwig 282, 428, 658, 7
* Knoll, Ph., 304— 311, Lamarck 12, 40—41. 692 — 694 .
618 — 621. Landolt 572, 699— 700. * Ludwig, F., 1—3, 3—4,
Knoll 378, 607, 680. Lang 301, 753. 64, 120-121, 191--192,
Kny, L., 597—599. Lange 257. 289—300, 481—184, 513
Kobert 686. Langer 175. —514, 737—739.
Koch, L., 673. * Langendorff, O., 188— Lueders 266.
Koch 632, 634—635. —191, 370—379. Lundström 597—599.
* Kölliker, A., 179—181. Langendorft, O., 224, 287, Lydekker, R., 355, 358.
Kölliker, Th., 79—82, 121 308, 310. Lyonnet 12.
—123, 238, 315, 533, 649. Langley 120.
König, A ,88—92, 93—95, Lauth 220. Madrid-Moreno, J., 589—
156—160, 510, 671—672. Lavdowsky 747. 592.
Koeroesi 438—448. Lawes 244. Magendie 618.
Alphabetisches Namenregister.
Maggi 6.
Magitot 174—175.
Magnus 693, 694.
Makri 20.
* Man, de, 433—435.
Man, de, 302—303.
Mandelstamm 91.
Maraldi 510.
Marcacei 57, 60.
Marck 559.
Marey 618.
Margö 182.
Marilaun, v., 484.
Markwald 376, 680.
Marsch, ©. C., 655.
* Marshall, W., 8—10,
10 — 12.
Marshall, W., 181—184.
Martens, v., 668, 743.
Martin, E., 164, 287, 310.
Martinetti 173.
Maupas, M., 477, 539.
Maxwell 90.
Mayr, G., 120—121.
Meckel, J.F., 20, 104— 105,
107, 131—135, 166, 170,
172—173, 650, 651, 654
—657.
Meeznikoff 514, 515, 527,
530, 600, 667.
Meinert 10.
Meissl, E., 26—29, 247.
Meltzer 680.
Mendel 575.
Mereschkowsky 257, 493.
Mering, v., 465—466.
Meusel 573.
Meyer, A., 572.
Meyer, H. v., 332 — 337,
341, 353— 363.
Meyer, P., 753.
Meynert 294, 330, 342,
343.
Middendorp 752.
Miescher 349.
Milne Edwards 12.
* Minot, Ch. S., 559—562.
* Mislawsky, N., 236—287.
Mitschel 342, 344.
Mivart 404.
* Moebius, K., 95.
Moebius, K., 256, 539, 572,
743.
Moeller 255 —256.
* Moewes, F., 12—14,
388—397, 423 —428, 455
—458, 673 — 675.
Monakow, v., 153—155,
322, 330, 331.
Montegazza 173.
* Morin, J, 658—663.
Mosso 171, 377.
Müllenhof 510—512.
Müller, 'F., 2,.3, 14,19,
120 — 121, 191—192, 300,
481—483, 513.
Müller, H., 166, 191, 491.
Müller, J., 167, 332, 335,
336, 342, 359.
Müller, O., 257, 258.
Munk, J., 237, 291, 298,
342—343, 411, 566, 569,
579.
Naegeli 38—39, 286, 417
—418, 423, 439, 449, 450.
Nasse, H., 237—238, 241.
* Nasse, O., 235 — 243.
Nasse, O., 469.
* Nassonow 458—462.
Needham 617.
Nencki 237, 687, 691.
Neumann 192.
Neumayr 644, 646.
Newport 12, 230.
Nieati, W., 157—160.
Nissl 293, 294.
Nitsche 600—601.
Noll 279.
Normand 434.
Nothnagel 58, 342.
* Nusbaum, J., 663— 667.
Nussbaum, M., 168, 540,
570—572.
Obersteiner 60.
Oellacher 285, 317.
Oerley, Lad., 433—435.
Ohlmüller 414.
Olenius 753.
Onderdone 258.
Onufrowiez 153.
773
Orsini 549.
Otto 20.
Owen 12, 337 —339, 359—
360.
Pagenstecher 283, 284, 673.
* Paneth, J., 56—60.
Paneth 565.
Pansch, Ad., 95—96.
Panum 165, 685.
Pappenheim 750.
Pappus 510.
Paquard 12.
Parker, W. K., 404, 649,
654 —656.
Pasteur 8&2—87, 621—629,
630.
Pavy, F. W., 464, 682-—-685.
Pawlow, Joh., 22—26.
Payen 244.
Peacock 170.
Peince 91.
Penzoldt, F., 61—64.
Pereyaslawzeff, Sofie, 589.
Perls 242.
Perris 12.
Peters 651—657.
Petit 30, 257, 258.
Pettenkofer 26, 244, 247,
248.
Pfeffer 145, 417, 482, 695.
Pfeiffer, E., 701.
Pfitzer 255, 257, 258, 264.
Pfitzner 179—180.
Pflüger 169, 274, 342, 577,
613.
Pitre 563.
Piceone, A., 455 —458.
Plate, L., 231.
Plateau, F., 12—14, 512,
673—675.
Platteretti 166.
Platner 651, 656.
Plauta, A. v., 512.
Plieninger 334.
Plöchl 380.
Polejaeff, N., 181, 187—
488, 193, 196—199.
Potts, E., 8-9,
Pouchet 231, 272, 273.
Preyer 90.
714
* Pringsheim, N., 65—70,
108—120, 137 — 152.
Pringsheim, N., 258.
Prinz, W., 258.
* Rabl-Rückhard 274—276.
Ranke, Joh., 595 — 597,
724.
Ranvier 22.
Rathke 14, 335, 357, 560.
Rauber 165, 315, 342, 696.
749.
Raudnitz 702.
Ray -Lankester 532.
Reaumur 510.
Rechenberg, v., 239.
Reck 443.
Reess 251--252, 693.
Regnard 540
Reichert 257, 752.
Reinhardt 257.
Reinke 109, 145,
492.
Remak 180.
Retzius 217, 753—755.
Ribbert 635.
Riley 483.
Rindfleisch 59.
* Ritzema- Bos, J., 270—
273:
Röhrig 238.
Rokitansky, P., 32.
Romberg 342.
Rosenbach, O., 372, 730,
744.
Rosenberg, E., 357.
* Rosenthal, J., 213— 214,
403—405, 478—479, 596
—597.
Rosenthal, J., 55, 306, 310,
343, 379.
Rossbach 58.
Rouget 57.
Roux 168-169, 274—276.
Rubner, M, 243—249.
Rudolphi 19, 20.
Rueckert 696—697.
Ruedinger 724, 753.
Russow 420.
Ryder, John A., S—10.
Rynault 386.
151 —
Sabatier 560.
Sachs 342, 474.
Sager, A., 213.
* Salensky, W., 514 — 525.
Salensky 661, 662.
Salkowski 380, 406, 409,
688, 744.
Salomon, G., 740.
Sanderson 319.
Sandifort 175.
Sappey 752.
Sarasin 696.
Schenk, H., 258, 388, 391,
399.
Schieferdecker 592.
Schiel, A., 156.
Schiff 342, 376, 563 — 567.
Schiller 329.
Schimkewitsch 658 — 659,
674.
Schimper, A. F. W., 597.
Schliemann 694.
Schlösing 632.
Schmarda 12.
Schmidt, M., 227.
Schmidt, O., 181, 187, 194,
195, 282.
Schmidtmann 406, 409,
410, 744.
* Schmidt -Mülheim 435 —
438.
Schmitz 253,
267, 450.
Schoedler 698-701.
Scehottelius 635.
Schröder 423—428.
Schrön, v., 634.
Schröter 250.
Schuchardt 189.
* Schulz, O., 685—692,
726—731, 739—746.
Schulz, A., 3.
* Schulgin, M., 525—532.
Schulze, B., 245.
Schulze, M., 429, 719, 725.
Schulze, E., 245.
Schulze, Fr. E., 180-181,
196 —197, 538, 540, 696.
* Schütt, F., 257—270.
Schützenberger 240.
Schwalbe, G., 749—757.
257,258;
Alphabetisches Namenregister.
Schwanert 726.
Schwann 21—22, 685.
Schwarz, F., 542.
Schweinfurth 694.
Sedgwick 136, 397.
* Seegen, J., 464— 477.
Selenka 283—284, 696—
698.
Selmi 410, 688, 726.
Semper 20, 231, 272.
Serres, M. de, 12.
Shaw 485—488.
Sicard 394.
Siebert 372.
Siebold, v., 12, 166, 172,
677.
Simon, H., 213—214.
Smith, H.L.,. 257.
Snellen vanVollenhofen 12.
Sokolow 372, 375.
Sollas 182.
Soltmann 56—57, 60, 701.
Sonnenschein 726.
Soxhlet 245.
Soyka 637—638.
Spallanzani 166, 230,
Spencer, H., 363.
* Spengel. J. W., 19—21.
Spiess 342.
Spitzer, H., 36, 37.
Sprengel 491.
Stahl 255—256, 39, 4832.
Steenstrup 14, 271.
Stein, Fr., 539.
* Steiner 676—678, 678—
681.
* Sternberg, M., 342—34.
Sterki 539.
Stieda 153—155.
Stilling 153.
Stohmann 244.
Strahl 318.
Strasburger, E., 249— 250,
258, 269, 279—281, 417
—418, 423, 450, 481—
482, 502.
Straus-Dürkheim 12.
Strieker 317, 342.
Strohmer, F., 247.
* Stuhlmann, F., 397—
402.
> 2.7 Kung
; u ae El > ai Re
SE
Alphabetisches Namenregister,
Tacke 572-574.
Tafani 613—618
Tangl 418.
Tartschanoff 56 —57.
Tenner 306.
Thiel, H., 162.
Thiolliere 336.
Tiehomirow 461, 696.
* Tiebe 489—502.
Tiedemann 651, 656, 658.
Timiriareff 540—541.
Tizzoni 229.
Thompson, J. V., 14.
Thümen, F. v., 693.
Tolmatscheff 701.
Tomes 175.
Tonge 173.
Traube 306, 372, 376, 379,
679.
Trelease, W., 481—482.
Trembley 166, 230, 570—
572:
Tscherwinsky 245, 246.
Tschirch 541, 599.
Turner 175, 614.
Tyndall 74.
Uhthoff, W., 93, 157.
Valentin 61—63.
Vareth 383—384.
Vater 342.
Velden, v. d., 380.
Verani 20.
Vetter 173, 271.
Vierordt 342.
Virchow, R., 41—43, 48,
97, 108, 129—137, 161
—178, 212, 406, 409,
683—684, 694.
Virchow, H., 29—31.
Vogt, Carl 136.
* Voit, C. v., 243—249.
Voit, v., 469.
Voit, E., 243—249.
Volkens, G., 71—74, 597
—599.
* Vosmaer, G. C. J., 181
—188, 193—201.
Vulpian 58, 677.
Waldeyer 533, 543, 696 —
697:
Wallace 490.
Wallich 7—8.
Warming 255.
Weber 698.
Weber, E. H., 342.
Weigert 153, 293— 294.
Weir 342, 344.
Weiske 245.
* Weismann, A., 33—48.
Weismann 49, 50, 74—76,
97—107, 134, 286, 397,
401.
Wejdowski 461.
Wenkelbach 285.
Wernicke 343.
Werth 613.
Wertheimer, E., 32, 351.
Wettstein v. Westerheim
484.
Wheatstone 596.
Wiedemann 92.
Wiedersheim 543,
731—732.
Wiesner 417 — 423, 449 —
445. 597.
Widowiejski 485.
* Wilckens, M., 26 — 29,
503 — 510.
Wilder, B. G., 356, 655.
Wildt 245.
649,
779
* Wilhelm, C., 417 — 423.
Wilhelm 450.
Will 10—12, 400, 402, 485,
520, 555.
Wille 599.
Winslow 170.
Wittelshöfer 438.
Wittmach 271.
Wittmack 694.
Wittrock, V. B., 64.
Wolff, E. v., 245, 700.
Wolff, M., 406.
Wolff, W., 543.
Wolffberg, L., 158.
Wollheim, J., 541—542.
Wooldridge, L. C., 479.
Wortmann, J., 276—279.
Wundt 342, 344.
Yarell 270.
Young 89, 91, 94—95, 672.
* Zacharias, O., 225—230,
230— 235, 300—304, 488
—489.
Zacharias, O,,
667 — 668:
Zaeslein 632—633.
Zeiss 581, 583.
Ziegler, H. E., 284—285,
317.
Ziemssen 58.
Zimmermann, E. H., 4, 277,
231.
Zopf 632.
Zuckerkandl 176.
Zülzer 726.
* Zuntz, N., 54—56.
192, 250,
Alphabetisches Sachregister.
A.
Absorptionsspektrum der Chlorophyll-
stoffe 65.
Abstammung der Säugetiere 283 fg.
Acanthoglossus 367.
Accentor alpinus, A. modularis 456.
Accipenser 336.
Acer platanoides, A. campestris, A. Ne-
gundo 64.
Acheloma 341.
Achimenes grandiflora 280.
Acineten 477.
Aconitum Lycoctonum 737 fg.
Acridier 14.
Actinien 14.
Actinodon 339 fg.
Acusticuskern 153 fg.
Acustieuswurzel 154.
Adorale Wimperorgane heterotricher
und hypotricher Infusorien 539 fg.
Aepocerus inflaticeps, emarginatus 121.
Aepyornis 366.
Aerologie, Aeronomie, Aerogenie 714.
Aether, Einwirkung des Aethers auf
Muskeln und Nerven 669 fg.
Aetherschwefelsäuren des Harns 379g.
Agapanthus umbellatus 280.
Agelena labyrinthica 675.
Alchemilla vulgaris 598 fg.
Alcyonella Benedeni 600, A.fungosa 763.
Alcyonium 183.
Alisma plantago, A. graminifolia, A.
natans 390 fg.
Alkohol in Beziehung zum Stoffwechsel
des Menschen 704.
Alkoholgärung 692 fg.
Allantonema mirabile 283, 434.
Alligatoren, periodisches Atmen bei
A837T.
Alnus 254 fg.
Alytes 180.
Amaurobius ferox 675.
Amblypneustes ovum, A. formosus 641 fg.
Ambyteles 405.
Ameisen 10.
—, Lebensdauer der A. 288.
—, Reaktion der A. auf Farben 493.
Ameisensäure, antiseptische Wirkung
der A.''512.
Amidosäuren im Tierkörper 379 fg.
Amnioten, Wirbelsäule der A. 332 fg.
Amoeba guttula 232.
Amphibien, Geruchsorgan der A. 428 fg.
Amphiblastula 523.
Amphioxus 401, 698.
Amyda mutica 213.
Anatomie, Grundriss der A, (von Ad.
Pansch) 9 fg.
— des Hörorgans 703.
— der Sinnesorgane (vonG.Schwalbe)
749 fg.
Anchusa ochroleuca 484.
Ancoriniden 195.
Androctonus occitanus 675, A. ornatus
525 fg.
Angelena naevia 559.
Angiostomum nigrovenosum 434.
Sachregister.
Anguis fragilis 225.
Anisodexis 341.
Anodonta 23, 192.
Anomalon 402,
Anpassungsfähigkeit der Honigbiene
52
Anthemis Cotula, A. arvensis 4.
Anthropomorphe Affen 136.
Anuraea longispina, A. cochlearis 668.
Aphiden, vipipare 397 fg.
Apistische Mitteilungen 510 fg.
Aplysinidae 196 fg.
Apnoe, Entstehung der A. 413 fg.
— beim Fötus 766 fg.
Apteryx 366.
Arachniden 673 fg.
Arbutus unedo 456.
Archegosaurus 434 fg.
Archentera 182, 694.
Archipterygium 177.
Arctocebus calabariensis 368.
Arctomys marmota 436.
Arnebia echiodes 483 fg.
Arten, Entstehung von A. 282 fg.
Arthropoden, Reifung des Eies der A.
367 fg.
—, Hautsinnesorgane der A. 462 fg.
Askoidien 734.
Asperula odorata 424.
Aspidonectes spirifer 213.
Asplanchna helvetica 668.
Aster parviflorus, salignus 2.
Asteracanthion rubens 502.
Astragalus 71.
Astronomie, Astrographie, Astrogenie
Yas%
Atavismus 130 fg.
Atmung, Cheine-Stoke’sche 370 fg.
—, Mechanismus der A. 404 fg
—, Innervation der A. 304 fg.
—, Zentrum der A. 286 fg.
—, Natur der normalen Atemreize
54 fg.
—, Herabsetzung der Erregbarkeit des
Atemzentrums 387 fg.
—, Atmungscentra desRückenmarks 32.
—, Atembewegungen, nach Abtrennung
der Med. oblongata 351.
Atriplex 75.
Auer’sches Gasglühlicht 699.
Aulena villosa 201.
7
Aurelia aurita 281 fg.
Austrocknungsfähigkeit der Pflanzen
423 fg.
B.
Bacillus amylobacter 693.
Bacillus der Hundswut 629 fg.
Bacterium termo 582.
Bärtierchen 232.
Bäume, bierbrauende 693.
Bakterienmethode, Technik und Kritik
der B. 577 fg.
— (von Engelmann) 66 fg.
Balanus 493.
Ballota nigra 598.
Banchus 402.
Bandwürmer, zentrales Nervensystem
der-B: 733.
Barbula muralis 425.
Bartsia alpina 484.
Basische Produkte in der Miesmuschel
406 fg.
Befruchtungsmeridian 736.
Befruchtungswerkzeuge, Stellung der
B. in den Blumen 298 fg.
Belone 589 fg., B. acus 5%.
Beobachtungsweise, simultane, suc-
cedane (von Engelmann) 66 fg.
Bestäubung, fremdartige B. der Pflanzen
279 Tg.
Bestäubungseinrichtungen der Pflanzen
481 fg.
Betonica grandiflora 483.
Bienen, Reaktion derB. auf Farben 493.
Bignoniaceen 598.
Biologie, Gesamtwissenschaft und Geo-
graphie 705 fg.
Bionomie, Biographie, Biogenie 709.
Blastodermieca 182.
Blastophaga brasiliensis 121.
Blütenformen, verschiedene Bl. bei
Pflanzen nämlicher Art 737 fg.
Blütenstände 1 fg.
Blumen, Stellung der Honigbehälter und
der Befruchtungswerkzeuge 298 fg.
Blut, Gehalt an geformten Bestand-
teilen 766.
Blutfülle im zentralen Nervensystem
618 fg.
Blutgefäße des menschlichen Rücken-
marks 736.
718
Blutkörperchen, Entstehen der Bl. bei
Knochenfischembryonen 284 fg.
Blutzirkulation in der Haut 312 fg.
Boden, chemische Umsetzungen im B.
699 fg.
Bohnen 386.
Bombus. Gerstäckeri, B. hortorum, B.
consobrinus 738, B. terrestris, BD.
mastrucatus, B. schrimshiranus 739.
Bosmia longirostris, B. Cosegoni, B.
elongata, B. Thersites, B. gibbera 668.
Bosminiden 668.
Bothromesostoma 301, B. Essenü, B.
marginatum, B. lineatum 313.
Bradypus tridactylus 211.
Branchiale Sinnesorgane 592.
Brasilianische Mäuse und Mäuseplagen
256.
Brüllaffen, angeborne Spalte des Brust-
beinhandgriffs der Br. 403 fg.
Bufo cinerea 126, 180, B. vulgaris 225,
619.
Bythotrephes longimanus 668.
C.
Cachexia montana 435.
Cacospongia 197.
Caladium 513.
Calcarea 183.
Calluna 512.
Calycogenesis 538 fg
Caminus osculosus, C. vulcani, 0. apia-
rium 194, 281.
Campelia 2.
Campodea 760, C. staphylinus 459 fg.
Campylodiscus 719.
Canalis Fallopiae der Säugetiere 604 fg.
Capparideen 598.
Cara mimosa 513.
Carabus, C. auratus 13, 398.
Carcinus moenas 15.
Cardamine pratensis 393.
Carrassius auratus 590.
Carteriospongia 197.
Caryolopha sempervirens 484.
Cassiope tetragona 598.
Caulacanthinen 757.
Oavia cobaya 617.
Cecidomya 397 fg.
Centaurea 712, C. nigra 490.
Cephalobolus appendiculatus 434.
Sachregister.
Cephalopode Mollusken 272.
Ceratina 187.
Oeratium hirundinella 187.
Ceratodus 177.
Cercopithecus 436.
Cerebrospinalflüssigkeit, Druckschwan-
kungen in der C. 618 fg.
Cerinthe 512.
Cetochilus 397.
Cetodrilus 399.
Chaetodon arthriticus 178.
Chalina limbata 187.
Challenger - Echinoiden 644.
Cheine -Stoke’sches Phänomen 570 fg.
Cheliceren 561.
Chelydosaurus 433 fg.
Chelydra 213.
Chemotaxis 482.
Chemotropismus 482.
Chilopoden 673 fg.
Chimaera 336.
Chiromys madagascariensis 367.
Chitin bei Ranatra 695 fg.
Chlamydococcus plwvialis 232, 300.
Chlamydomonas obtusa, Ch. pulviscu-
lus 425.
Chlorogonium euchlorum 426.
Chlorophyll, Zerlegung der Kohlen-
säure durch Chl. 540 fg.
Chlorophyllan 541.
Chlorophylifarbstoff 541 fg.
Chlorphenol, Empfindlichkeit gegen
Chl 62 fg.
Choanoflagellaten 132.
Cholerabacillus 427.
—, Giftigkeit des Ch. 636 fg.
Chorda dorsalis, vorderes Ende der Ch.
606.
Chromatische Funktion 272.
Chromatolitosis 618.
Chromatophoren 772 fg.
Chrysemis 213.
Chrysochloriden 369.
Cicindela hybrida 13.
Ciliaten 477.
Cireumnutation 277 fg.
Cirripedien - Männchen, supplementäre,
prämordiale 14, 19.
Cladoceren 667.
Cladophora 69, 117 fg.
Cladophoren - Arten 112.
Sachregister.
Olaviceps purpurea 5.
Clepsidrops 338.
Clitocybe nebularis 5.
Cocconema Üistula 266 fg.
Coceottraustes vulgaris 456.
Cochinchina - Diarrhöe 435.
Coelenterat, ein neues Süßwasser-Üoel.
von Nordamerika 8 fg.
Collaps der Lunge 765.
Columellina 651 fg.
Colympytes fuscus 13.
Colyosticus longicaudis 121.
Componotus ligniperda 555 fg.
Condylostoma patens 539.
Conochilus volvox 668.
Convallaria latifola 280.
Corallobothrium solidum 732 fg.
Corista membranacea 640.
Cornacuspongiae 183.
Cortiecium 194.
Corvus frugilegis, C. corone, C. cornix
457.
Corydalis 424.
Coscinoderma 196 fg.
Costrada 301, C. acuta, ©. Hofmanni,
C. chlorea, C. granea, O. pellucida 303.
Cotylorhiza borbonica 2831 fg.
Craspedosoma 760.
Crataegus oxycantha 456.
Cricotus 338 fg.
Cristatellen 600.
Oritogaster 482 fg., (. singularis, C.
piliventris, C. nuda 483.
Crocus 191.
Cryptonemium 757.
Otenanthe 2.
Cucubisca maxima, Ü. moschata 694.
Cumulus primitif 659 fg.
COyprinodon calaritanus 590 fg.
Cystococcus humicula 425.
Cystopus 253.
Cytozoen, Bedeutung der C. für die
tierischen Zellen 345 fg.
D.
Daphnia brachyura, D. Üederströmii,
D. galeata, D. Kahlbergensis 667.
Darwinellidae 196 fg.
Datura Stremonium 249.
Deecidua vera 618.
Dectieus verrucivorus 14.
779
Dekapoden -Krebse 14.
Dendrilla 197.
Dermatomosen 419, 449 fg.
Derostoma 301, D. balticum 303.
Desmaecidonidae 193.
Deszendenz und Pathologie 97 fg.
Deverra 71.
Diaptomus castor, D. gracilis 668.
Dias longiremis 493.
Diatomaceenschalen 719 fg.
Diatomeen, ihr Leben und Bau 257 fg.
Didelphys virginiana, D. californica 367.
Dinornis 366.
Diomorus variabilis 121.
Dioscoreen 513.
Diplogaster 434.
Diplotaxis 73.
Diplovertebron 341.
Diplozoon paradoxum 172.
Dipsacus 484, D. Fullonum, D. lan-
ciniatus 598.
Distalchorda 463.
Dochmius duodenalis 433
Doppelbildungen 163 fg.
Doppelmissbildung, eine menschliche
D. 444 fg.
Dotterkern, diffuser, eigentlicher 402.
—, Entstehung des D. bei den Hyme-
nopteren 401 fg.
Dotterschollen 486.
Draparnaldia 69.
Drassus 658 fg.
Drehungsgesetze beim Wachstum tieri-
scher Organismen 639 fg.
Dromaeus 366.
Drüsensekretion 478.
Drüsenzellen, Strukturen von Dr. 692g.
Dytiscus 398, D. marginalis 13.
E.
Echidna 367.
Echinops 1.
Echium rosolatum 484.
Eetosarkschicht 38.
Eetyonidae 193.
Ehrenpreis 491.
Ei, der Arthropoden 397 fg.
Eichhornia 300, E. cerassipes 428.
Einfluss der Wohlhabenheit und der
Kellerwohnungen auf die Sterblich-
keit 438 fg.
780
Eireifung bei Insekten 554 fg.
Eiweißkörper der Menschen- und Kuh-
milch 701 fg.
Ektoplasma 6.
Elaegnaceen 254 fg.
Elaphomyces granulatus 251 fg.
Elaphus indicus 616.
Elatine Alsinastrum 388.
Elektrische Fische 735.
— Erscheinungen bei Drüsensekretion
478.
Elektrisches Leitungsvermögen _ tieri-
scher Gewebe 596 fg.
Elektromotorische Erscheinungen an
Muskeln und Nerven 669 fg.
Elementarorganismen Brücke’s 417.
Elliptische Lichtstreifen 765.
Embryo, Entwicklungsmechanik des E.
274 Tg..
Embryologie der Spinnen 559 fg.
Enaliosauria 337.
Endknospen in der Riechschleimhaut
der Knochenfische 589 fg.
Endomyces Magnusü 693.
Endoplasma 6.
Entomostraken 397.
Entstehung der Dotter- und Eizellen
bei Orthezia cataphracta 485 fg.
Entwicklungsgeschichte des Skorpions
525 fg.
Epeira diadema 675.
Ephialtes 402.
Epibolie 519.
Epiclinites auricularius 539.
Epilobium hirsutum 395.
Epispadie des Menschen 204 fg.
Epistylis lacustris 668.
Epithemia Zebra 267.
Equisetum 255 fg. 259.
Equus caballus 614.
Erbsen 386.
Eretmochelys imbricata 361.
Erica 512.
Erinaceus 360.
Eriocaulon 231.
Eristalys 74.
Erodien 73.
Erodium circutarium, E. pimpinelli-
folium 4.
—, Macrodenum, E. manescavi 483.
Eryops 339 fg.
Sachregister.
Erythacus rubecula 456.
Esox lucius 456.
Euchirosaurus 339 fg.
Eucope 8.
Eupitheria absinthiata 49%.
Euplotes patella 477, E. harpa 539.
Euspongia 197 fg, E. cannaliculata 201.
F.
Färberei zu mikroskopischen Zwecken
746 fg.
Falcaria sicoides 4.
Farbensehen und Farbenblindheit 88 fg.
Farbensinn der Tiere 489 fg.
Farbentheorie von Young-Helm-
holtz 89 fg.
Farbenwechsel, in verblühenden Blüten-
ständen 1 fg.
Farselia 71.
Fauna, der Schweizer Seen 201.
—, pelagische F. in den norddeutschen
Seen 667 fg.
Favuspilz 693.
Feigenwespen 120 fg.
Feijoa 191 fg.
Felis 533.
Fettbildung im Tierkörper 243 fg.
Fettleber, physiologische 238 fg.
Fettzersetzung, Fettanhäufung im tieri-
schen Körper 235 fg.
Fische, Geruchsorgan der F. 428 fg.
Flagellaten 232.
Flattermaki 367.
Flimmerepithel 123 fg.
Flora, Zur Fl. der ägyptisch-arabischen
Wüste 71 fg.
Florideen, Fruchtbildung bei den Fl,
757 fg.
Foetus, Ursache des ersten Atem-
zuges des F. 31 fg.
—, Beziehung des Fötus zur Mutter
613 fg.
Formica fusca 288, 556 fg.
Fontinalis squamosa 302.
Fortpflanzung, hologene, merogene 538.
Fossilien, lebende 646.
Fragaria vesca 456.
Fraxinus excelsior F. oxycarpa 598.
Fredericella sultana 599 fg.
Fregilus gracilis 457.
Sachregister.
Freia ampulla 539.
Fringilla coelebs 458.
Froschlarven 179 fg.,
der F. 619 fg.
Fruchtbildung bei den Florideen 757 fg.
Fruchtknoten, Verfärbung im F. 2.
Frustulia 267 fg.
Verwandlung
Gadinin 691.
Gadus callarias 661.
Galeopithecus volans 367.
Galium uliginosum 39.
Gallwespen 397 fg.
Ganocephala 338 fg.
Ganoiden 338 fg.
Ganosoma 121.
Garulus glandarius 4.
Gastraea-Theorie von Häckel 514 fg.
Gastrotricha vorax 540.
Gastrulation der Knochenfische 696 fg.
— der Selachier 697 fg.
Gecko verticillatus (G. verus) 353.
Gehirn, Reaktion der grauen Substanz
188 fg.
Gehirnverstümmelung an Hunden 411 fg.
Generationswechsel bei Säugetieren
532 fg.
Genista 512.
Genitocöl 516.
Genitogastrula 525.
Geocentrophora sphyrocephala 302.
Geonomie, Geographie, Geogenie 713.
Geophilus 402.
Geotropismus 277 fg.
Geotrupes vernalis 13.
Gerinnung, intravaskulare 479.
Geruchsorgan bei Fischen und Amphi-
bien 428 fg.
Geruchsinn, seine Empfindlichkeit 61 fg.
Geschlechtsbildung der Haustiere 513fg.
Geschlechtsleben der Haustiere 503 fg.
Gesichtssinn der Zulukaffern 156 fg.
—, Urteilstäuschung im G. 126 fg.
Gespenstaffen 368.
Gierke’sche Bündel 286 fg.
Glomeris 399, 402.
Gloriosa superba 483, 514.
Glykogen, Vorkommen in der Bier-
hefe 4 fg.
— in der Leber 464 fg.
781
Goldmullen 369.
Grantessa sacca 200.
Graue Substanz, die chemische Reak-
tion der g. S. 188 fg.
Grimmia pulvinata 427.
Großhirn, Funktionen des G. 562 fg.
—, der Knochenflsche 676 fg.
Großhirnrinde, Lokalisation der Funk-
tionen der Gr. 290 fg.
Grundfarben, Bestimmung der G. 671 fg.
Grundwasserschwankungen von Berlin
und München 637 fg.
Gryllotalpa 666.
Gymnocarpum 71.
Gymnophionen - Gehirn 731 fg.
Gymnotus 735.
Gynodimorphismus 3.
Gypsophila 72.
H.
Haematococcus pluvialis 232 fg.
Halichondrina 193.
Halicoerus griphus 616.
Halme globosa 201.
Hasenschartenkieferspalte, ihr morpho-
logischer Sitz 79 fg.
Hatteria 359.
Haustiere, Untersuchung über das Ge-
schlechtsleben und die Geschlechts-
bildung der H. 503 fg.
Haut, Blutzirkulation in der H. 312 fg.
Hautsinnesorgane der Arthropoden
462 fg.
Hedera Helix 456.
Heliotropium undulatum 72.
Helix pomatia 763.
Helligkeit der Arbeitsplätze 698 fg.
Helligkeitssinn der Tiere 489 fg.
Hemidactylus frenatus 228.
Hesperomys 256.
Heterandrium longipes 121.
Heteranthera 300.
Heterocope appendiculata, H. robusta
668.
Heteroplastiden, Urform der H. 514 fg.
Heteroxanthin 740.
Himantidium 363 fg.
Hippalectryo 366.
Hippoglossus maximus 271.
Hippopotamus 614.
Hippospongia 197.
782
Hippuris vulgaris 388 fg.
Hircinidae 196.
Hirnoberfläche des Hundes, motorische
Rindenfelder in der H. 383 fg.
Histologie, Grundzüge der H. (von
Klein) 319 fg.
Hörorgan, Anatomie 703.
Homotype Keimstreifen 316.
Honigbehälter, Stellung der H. in den
Blumen 298 fg.
Honigbiene, Anpassungsfähigkeit der
H: 512.
Hormidium parietinum 424.
Hummelblumen 737 fg.
Hunde, die Erregbarkeit der Hirnrinde
neugeborner H. 56 fg.
Hundswut, Bacillus der H. 629 fg.
Hyalinknorpel 431 fg.
Hyalonella 600.
Hyalospongiae 194.
Hydatula varia 20.
Hydra fusca, H. viridis 571.
Hydrodictyon 425.
Hydroidpolyp 9.
Hydrologie, Hydronomie, Hydrogenie
714.
Hydrophilus 54.
Hydropyllum virginieum 598.
Hwyenmoschus aquaticus 614.
Hyla 180, H. arborea 225.
Hylobius piei 434.
Hylomys 369.
Hymenopteren 10.
Hyperodapedon 358.
Hyperostose, lokale 178.
Hyphomyceten 631.
Hypocentrum der Wirbel 323 fg.
Hypospadie des Menschen 204 fg.
I.
Ichneumoniden 397 fg.
Ichthyoden 228.
Ichthyosaurus 336.
Imaginalscheiben 54.
Infektionskrankheiten, Heilung von 1.
633.
Infusorien, Wimperorgane der I. 539 fg.
—, Bewegungsorgane der ciliaten I. 540.
Inokulation der Sacceulina 17.
Insekten, Geschmacksorgan der 1.10 fg.
—, Palpen der nagenden I. 12 fg
Sachregister.
Insekten, Eireifung der I. 554 tg.
Insektenorgane 458 fg.
Intercentrum der Wirbel 333 fg.
Intravaskulare Gerinnung 479.
Invagination 518 fg.
Iphiena 71.
Iris 386, I. pseudacorus 737.
Ischiopagus tetrapus 414 fg.
Ischioxiphopagus tetrapus 415.
Isoetes setacea 424.
J.
Jaguatiräo 2.
Janthella 196.
Juga semialata 513.
Juglans regia 64.
Juniperus communis, J. nana 458.
K.
Kadaver - Alkaloide 686.
Kältesinn 381 fg.
Karbonisierung 418.
Karnivore Pflanzen, zwei
deutschen Flora 484.
Keimplasma, Kontinuität des K. 55.
Keimsubstanz 35 fg.
Kentrogoniden 19.
Kentrogene Larve der Sacculina 17.
Keratosa 196 fg.
Kichererbsen 386.
Kieselschwämme 183.
Kiwi 367.
Knochenfische, Endknospen in der
Riechschleimhäut der K. 589 fg.
—, Großhirn der K. 676 fg.
—, Embryonen der K. 284 fg.
Knöllchen an den Wurzeln von Alnus
und den Elaegnaceen 254 fg.
Königskerze 491.
Kohlehydrate, Reservestoffe der Pilze
aus der Klasse der K. 4 fg.
Kohlensäure, durch Chlorophyll zer-
legt 540 fg.
Kommabaeillus 631, Dauerformen des
K. 632.
Kompositen 2.
Kosmographie, Kosmogenie, Kosmo-
logie 717.
Kresse 386.
Kuhmilch 701 fg.
Kynoblast 519.
neue der
Sachregister.
L.
Lacerta agilis, L
L. muralis 228.
Lähmung von Tieren 760.
Laguncula repens, L. elongata 763.
Lamium Orvala, L. garganicum 483.
Lampronata 402.
Landfauna, der Nordpol als Schöpfungs-
zentrum der L. 363 fg.
Lasius niger 288.
Lathraea squammaria 484.
Lathyrus 512, L. montanus 280.
Lazertilier 651.
Lebensfähigkeit von Samen und Rhi-
zomen 513.
Lebertia insignis 192.
Leguminosen-Knollen 254.
Leiolepsis 551.
Lemuria 367.
Leonorus Cardiaca 598.
Leontiasis ossea 178.
Lepidopteren 399.
Lepra tuberosa 635.
Leptodora hyalina 668.
Leptothrix terrigena 632.
Leptothrixfäden 631.
Lepus cuniculus, L. timidus 617.
Leucaltis Helena 201.
Leucandra saccharata, L. meandrina
200.
Leucetta microraphis 201.
Leucon 199.
Leuconostoc 692 fg.
Leukomaine 739.
Lichtstreifen, elliptische 765.
Ligia oceanica 667.
Limax agrestis 169.
Limnanthemum nymphaeoides 424.
Limnocharis Humboldti 393.
Limnocodium 9, 10.
Lina populi 399.
Linaria 512.
Lithiistina 194.
Lithobius 673, 766.
Loligo 272.
Lophantus rugosus 483.
Lophius piscatorius 735.
Lophogus 600.
Lotus 512.
Lucernaria octoradiata 572.
ocellata 226 fg.,
Lufaria 196 fg.
Lumbrieulus variegatus 226.
Lumbrieus trapezoides 536.
Lunge, Collaps der L. 765.
Lungengewebe 607.
Lupine 386.
Lupinus 512.
Lutra vulgaris 616.
Lyeium 74, 512.
Lycosa 658 fg.
Lyrurus 658 fg.
Lysimachia nummularia 389 fg.
Lysiopedalium 760.
M.
Mackilis 760.
Macroscelides 368.
Macrostoma 300.
Mactilis 558 fg.
Mais 386.
Malleus der Lacertilien 651.
Mallopterurus electricus 755.
Malva silvestris, M. rotundifolia 491.
Mangarito 513.
Maraldi’sche Pyramiden 512.
Marantaceen 2.
Marsilia quadrifolia 389 fg.
Material, aus dem die Leber Zucker
bildet 464 fg.
Matricaria 490.
Mayaca fluviatilis 300, 428.
Mechanik des Windens der Pflanzen
276 fg.
Medicago minima 389.
Mehrbildungen 163.
Melastomeen 2.
Melibe 20.
Melosira 266 fg.
Menschenmilch 701 fg.
Mephitis 533.
Mercaptan, Empfindlichkeit gegen M.
62 fg.
Mercurialis annua 64.
Meroblastier 314 fg.
Merulius lacrimans 253.
Mesembryanthemum erystallinum 75.
Mesocarpus- Arten 112.
Mesostoma 300, M. platycephalum,
M. rhynchotum, M. punctatum, M.
nigrirostrum, M. raugeense, M. lan-
ceola 303.
784 Sachregister.
Meta segmentata 675.
Metazoa 182 fg. N.
Methylenblaureaktion, der lebenden Nagetiere 369.
Nervensubstanz 214 fg.
Miesmuschel, basische Produkte in der
M. 406 fg.
Mikrogalvanometer von Rosenthal
596.
Mikrohydra Ryderi 8.
Mikroorganismen des Erdbodens 631g,
758.
Milchsäurebildung
764.
Milzbrandbaeillus 427.
Miniopterus Schreibersü 617.
Moa 366.
Moina 397 fg.
Mollusken, Zeichnung der M. 285 fg.
Monactillidae 187.
Monotus relietus 303.
Monsonia nivea 73.
Monticola saxatilis 458.
Morphogenie der Wirbelsäule der Am-
nioten 332 fg.
Morphologie, generelle M. Häckel’s
538.
Morus alba 458.
Mucor mucedo 426.
Müller’sche Lösung 21.
Mund der Cölenteraten 184.
Mus decumanus, M. musculus 617.
Musca 399 fg., M. vomitoria 557 fg.
Muschel, Schaleneröffnung der M. 221g.
Musciden, embryonale Entwicklung der
M. 49 fg.
—, Verhalten während der Metamor-
phose 74 fg.
Mustela vulgaris 616.
Mycetes ursinus 403 fg.
Myelospongium 542.
Myogale 369.
Myozus avellanarius 377.
Myriapoden, Verwandtschaftsbezieh-
ungen der M. 759 fg.
Myriophyllum vertieillatum 389 fg.
Myriopoden 230, 673 fg.
Myrmecophaga tetradactyla 534.
Myrtus communis 456.
Mysis Chameleo 663 fg.
Mytilotoxin 409.
Mytilus edulis 406.
im Froschmuskel
Nannocerus 121.
Nasturtium officinale, N. amphibium
389.
Naturforscherversammlung ,
Berlin 415 fg.
Nauplius - Brut, der Saceuliniden 14.
Nebenkerne 555.
Nebria brevicollis 13.
Necrophorus 400.
Nemalinen 757.
Nematoden 234.
Nepa 696.
Nepata Mussini, N. melissaefolia, N,
macrantha 483.
Nervenfasern, Entstehung und Aus-
breitungsweise der N. 542 fg.
Nervenkörperchen 21 fg.
Nervenstrom, seine Verlaufsweise 720f.
Nervensubstanz, Methylenblaureaktion
derselben 214 fg.
Nervensystem, zentrales 574 fg.
—, zentrales, der Bandwürmer 733.
Nervus acusticus des Kaninchens 152 fg.
Neuridin 691.
Neurin 690.
Neuroepithelien 429.
Neutraler Punkt (beim Sehen) 90.
Nitraria 71.
Nitzschia 478.
Nordpol, der N. als Schöpfungszentrum
der Landfauna 363 fg.
Nuphar luteum 389 fg.
Nyceticebus 368.
5Ite zu
0
Oedogonien - Arten 112.
Oenanthe Phellandrium 389.
Olea europaea 457.
Öligochäten 461.
Olynthus 19.
Omaseus melanurus 13.
Oniscus 666 fg.
Ononis 512.
Ooblasten 485.
Opalina 401.
Ophion 402.
Opossum, Embryologie des O0. 283 fg.
Opuntia 424.
Sachregister.
Orca gladiator 614.
Orchestia 667.
Orchis fusca, O0. Morio 280.
Organisation der vegetabilischen Zell-
haut 417 fg., 449 fg.
Ornithorhynchus 367.
Orthezia cataphracta 485 fg.
— —, Vorkommen der O. im Riesen-
gebirge 488 fg.
Orthosira 266 fg.
Öscarella 184.
OÖsculina 195.
Oxytricha rubra 539.
P.
Pachygaster tauinsignitus 192.
Pachymatisma 194.
Paidogenesis 538 fg.
Paläontologie 641 fg.
Palpen der nagenden Insekten 12.
Palpen bei Myriopoden und Arach-
niden 673 fg.
Paludina vivipara 600.
Paludicellen (Pal. erecta, P. Ehren-
bergüi) 599.
Panicum 71.
Panmixie 45 fg.
Papilioneen 640.
Papillella 195.
Paramecium caudatum 477.
Paraxanthin 740.
Parazoa 182 fg.
Parenchymula - (Phagocytella-) Theorie
von Mecznikoff 514 fg.
Parietaria arborea 424.
Parthenogonidien 516.
Parus major 456.
Passer italiae 458.
Pectinellen 540.
Pelagische Fauna in den norddeutschen
Seen 667 fg.
Pelagische Organismenwelt, die 478.
Pelobates 180, P. fuscus 225.
Pelomyxa 7.
Pelycosauria 358.
Penieillium glaucum 426.
Penis des Menschen, sein morpholo-
gischer Wert 209 fg.
Penischisis des Menschen 204 fg.
Penniscetum 71.
Pepton, toxische Wirkung des P. 689.
785
Peripatus 397 fg., P. Edwarsü 399.
Periplaneta 502, P. orientalis 13.
Perisomatische Höhle 18.
Peritrichen, neue Gattung der P. 733 fg.
Perizonium 265.
Perodictius potto 368.
Petit’scher Kanal, sein Bau 29 fg.
Petrodromys 368.
Petromyzon 401.
Peziza vesiculosa 5, P. baccarum 250.
Pflanzen, zwei neue karnivore P. der
deutschen Flora 484.
— , Wärmemengen der Pf. 385 fg.
— , Austrocknungsfähigkeit der Pf,
423 fg.
— , Bestäubungseinriehtungen der Pf.
481 fg.
— , Aufnahme von Wasser seitens der
Pf. 597 fg.
— , Stiekstofiquellen der Pf. 700.
— , Pf. nämlicher Art mit verschie-
denen Blütenformen 737 fg.
Pflanzenverbreiter, Vögel als Pf. 455 fg.
Pflanzenwelt, die mikroskopische, des
Süßwassers 608.
Phagogenitoblast 518 fg.
Phagogenitocöl 519.
Phalangium Opilio 675.
Phallus impudieus 5.
Phaseolus vulgaris 694.
Philodina roseola, Ph.
231. Te:
Philodromus 658.
Philomela Luscinia 456.
Phlomis Russeliana 483.
Phoca bicolor 616.
Phoenicurus redivivus 19 fg.
Pholcus 658 fg.
Phycomyces nitens 5.
Phyllirea angustifolia 457.
Phylloeyaninsäure 541 fg.
Phyllodactylus europaeus 228.
Phyllum 182.
Phylogenetische Entwicklung 403 fg.
Physothorax disciger 121.
Phytelephas 418.
Phytolacca decandra 457.
Pica caudata 456.
Pilze, Reservestoffe der P. 5 fg.
Pimpla 402.
Pinselzellen der Mollusken 540.
50
cinnabarina
786
Pirrhocorax alpinus 456.
Pirus Aria, P. Aucuparia 456.
Pistia 300.
Pithekoide Menschen 136.
Placenta diffusa 614, P. zonata 616.
Plagiostoma Lemani 303.
Plagiostome 543.
Plakinidae 194.
Plakula- Theorie v. Bütschli 514 fg.
Planaria ocellata 20.
Plantago 73.
Planula - Stadium 8.
Planula- Theorie von Ray -Lankester
514 fg.
Plasmaschichten im Weichkörper der
Rhizopoden 5 fg.
Plasmodiophora Brassicae 254 fg.
Plasmolysierte Zellen 694 fg.
Platessa vulgaris, P. flesus, P. l-
manda, P. microcephalus, P. liman-
doides 271.
Platydactylus facetanus 225, P. verus
228.
Plectranthus glaucocalyx 484.
Pleroma Sellowianum 2.
Pleuronectiden 270 fg.
Pleurosigma angulatum, P. balticum
K19.
Plumatellen 600.
Pollen, Gewinnung des P. 512.
Polydaktylie 176.
Polygonum amphibium 392 fg.
Polymastia 195 fg.
Polynukleare Pyramiden 658.
Polypen, Süßwasser 8.
—, Umstülpung der P. 570 fg.
Polyphemus 397 fg., P. pediculus 668,
Polyphyletische Deszendenzhypothesen
363 fg.
Polyporus fomentarius 421, 452.
Polythelie 164.
Poren an Diatomaceenschalen 719 fg.
Posoqueria 514.
Potamogaliden 369.
Potamogeton lucens 389, P. rufescens
392 fg., P. natans 393.
Praeponderanz, männliche 286.
Praopus hybridus 532 fg., P. novem-
cinetus 534 fg.
Primitivstreifen bei den Meroblastiern
314 fg.
Sachregister.
Prodorus 482.
Pronuba Yuccasella 482.
Prorhynchus 300, P. curvistylus 302,
P. stagnalis 302.
Protoplasma, Austreten des Pr. 719g.
—, chemische Untersuchung des P. 759.
Protoplastica 182.
Protohydra 9.
Protozoen 5.
Prunus avium, P. Cerasus 455.
Psammascus 197.
Psammoclema 196 fg.
Psammopemma 496 fg.
Pseudotetraxonina 194.
Psidium pomiferum 191.
Psilostemum orientale 484.
Ptilocerus 369.
Ptomaine 410, 685 fg.
Pulmonaria 1.
Pulswelle, Fortpflanzungsgeschwindig-
keit 765.
Pupillenreflex 352.
Putrescin 728.
Pyenanthemum pilosum, P. lanceola-
tum 484.
Pyramiden, polynukleare 658.
Pyrophthalma melanocephala 456.
Pyrrhula rubicilla 455.
Pythium 455.
Q.
Quadratum der Säugetiere 648 fg.
R.
Raja clavata 204 fg.
Rana esculenta 123, 180, 225, 346, 275.
— temporaria 126, 225, 346.
— fusca 180, 275, 619.
Ranatra 695 fg.
Ranunculus aquatilis 388 fg., R. lu-
tarius 394.
Reaumuria 71, 72.
Regeneration von Geweben und Or-
ganen bei den Wirbeltieren, beson-
ders Amphibien und Reptilien 225g.
Reifungsballen 399.
Reinchlorophyll Hansen’s 541.
Relative Intensität der Todesursachen
438 fg.
Rhabditiden 433 fg.
Sachregister.
Rhabditis aceti 234.
Rhabdonema strongyloides 434 fg.
Rhachitomus 338 fg.
Rhamnus frangula 455.
Rhea americana, R. Darvinii 366.
Rhizocephala 14.
Rhizome, Lebensfähigkeit der Rh. 513.
Rhizopoden, Plasmaschichtenim Weich-
körper der R. 5 fg.
Rhizopoide Verdauungsorgane
fangender Pflanzen 484.
Rhizosolenia alata 264 fg.
Rhododendron lapponicum 598.
Rhodymeninen 757.
Rhombus maximus, R. laevis, R. me-
gastoma 271.
Rhyneocyon 368
Rhytina Stelleri 736.
Ribes aureum 1, R. rubrum 456.
Richardia 386.
Rieinus 386, 513.
Riechfelder 590.
Riechschleimhaut
589 fg.
Riechzellen 428 fg.
Richtungskörper 537.
Robinia 386.
Rotatorien, Austrocknung derselben
230 fg.
Rotifer vulgaris 235.
Rubus chamaemorus 598.
Rubus fructicosus 389.
Rubus discolor, R.
Idaeus 456.
Rückengefäß der Musciden 74 fg.
Rückenmark, Blutgefäße des mensch-
lichen R. 736.
Ruticilla phoenicura, R. thityis 456.
Rynault’sches Kalorimeter 386.
tier-
der Knochenfische
tomentosus, R.
S.
Saccharomyces 693.
Sacculina, Entwicklung der &. 14 fg.
Säugetiere, Abstammung der 8. 283 fg.
—, Zeichnung der $. 285 fg.
—, Generationswechsel der S. S.532 fg.
—, Quadratum der $. 648 fg.
Sagitta 388 fg.
Sagittaria 388.
Salamandra maculata 126, 227, 346.
Salamandrine 228.
787
Salix fragilis 425.
Salmo Salar 285.
Salvia glutinosa 484.
Sambucus nigra 456.
Samen, Lebensfähigkeit von 8. 513.
—, vorgeschichtliche 694.
Saprolegnia-Schläuche 114.
Sarothamnus 512.
Sarracenia 597.
Sauerstoffabgabe der Pflanzen im Mikro-
spektrum 65 fg.
Sauropside 655 fg.
Scenedesmus obtusus 425.
Schildkröten, periodisches Atmen bei
Sch. 377.
Schimmelpilze, Untergang pathogener
635.
Schizoblastulae 522 fg.
Schizolobium 514.
Schizopoden, zur Embryologie der S.
663 fg.
Schleimfluss lebender Eichbäume 692 fg.
Schleimsekretion, Histologie und Phy-
siologie 607.
Schleimzellen 428,
Schmelzlose Rudimente der Zähne 176.
Schmetterlinge, Schuppenbildung der
Sch. 640.
—, Zeichnung der Sch. 285 fg.
Schmetterlingsblumen 737.
Schuppenbildung bei Schmetterlingen
640.
Schwämme 181 fg.
Schwann’sche Scheide 21 fg.
Schwein, Stoffwechsel des Sch. 26 fg.
Sceirpus lacustris 396.
Sclerotien der Pilze 5.
Seolopendra 673.
Scolopendrella 759.
Scyphistoma 281.
Seeigelgewohnheiten 641 fg.
Segmentalorgane der Würmer 458 fg.
Sehschärfe 157 fg.
Seidenraupe 461.
Selbstdifferenzierung, formale, quali-
tative 276.
Selbstverdauung 681 fg.
Selektion 34.
Sempervivum caespitosum 424.
Senecio Jacobaea 490.
Silpha 398 fg.
188
Silphium perfoliatum 484, 598, $. ter-
natum 598.
Sinnesorgane, branchiale 592.
Siredon 180, S. pisciformis 225 fg.
Skorpion, Entwicklungsgeschichte des
Skorpions 525 fg.
Solea vulgaris 271.
Solenodon 369.
Soorpilz 693.
Spaltpilze, Einfluss der Sp. auf den
tierischen Stoffwechsel 572 fg.
Sparagmites 341.
Spermatiden, membranlose 600.
Spermophilus eitillus 436.
Spezifisches regulatorisches Nerven-
system der Atmung 309.
Sphaerococeinen 757.
Siphaerularia bombi 282 fg.
Siphargis 361.
Siphenodon 433, 652 fg.
Sphenosauridae 341.
Sphenosaurus 336 fg.
Sphinz, S. ligustri 398 fg.
Spieulispongiae 194.
Spinax acanthias 431 Tg.
Spinnen, Entwicklung der S. 658 fg.
—, Embryologie der S. 559 fg.
Spiraea opulifolia 2.
Spirogyren - Arten 112.
Spongelia 197.
Spongidae 196 fg.
Spongillidae 193, 196 fg.
Squalius cephalus 677.
Staphylococcus pyogenesaureus 30.
Staphylinus olens 13.
Statoblasten 601.
Stegocephali 340.
Stellaria media 598.
Stelospongia 197.
Stenops 368.
Stenostoma 300.
Stephanosphaera pluwvialis 232 fg.
Stereologie 714.
Sterkoraltasche 561.
Stentor auricula 539.
Stetheophyma grossum
grossus) 14.
Stichotricha marina 539.
Stickstoff, gasförmiger $. im tierischen
Stoffwechsel 572 fg.
Stickstoffquellen der Pflanzen 700.
(Mecosthetos
Sachregister.
Stieta pulmonaria 427.
Stiftehenzellen in der Epidermis von
Froschlarven 179 fg.
Stoffwechsel, Stickstoff im 8. 572 fg.
Stratiotes 395, S. alvides 389.
Streptochaeta 2.
Stromanthe Tonckat 2, 3.
Struthio camelus 366.
Stützzellen, Verhältnis der St. zu den
Neuroepithelien 428 fg.
Stylonichia 235.
Suberitidae 187.
Suctoria 14.
Süßwasserbryozoen, Phylogenie und
Ontogenie der 8. 599 fg.
Surirella 719.
Suritella 478.
Sus scropha domesticus 614.
Sycandra arborea 199 fg., $. pila 200.
S'ycon 186.
Sylvia atricapilla 455 fg., S, cinerea
456, S. conspieillata 456.
Symphytum cordatum, S. grandiflorum,
S. asperrimum, 8. offieinale 484
Synedria 478.
Syringia 386.
al
Tachyglossus 367.
Taenia transversalis, T. rophalocera,
T. crassicollis, T. sagittata 733.
Tagschmetterlinge 483.
Tamarix 73.
Tardigraden, Austrocknung derselben
230 fg.
Tarentola annularıs 355, 655.
Tarsius spectrum 368.
Tecophore fovea 640.
Tegenaria domestica 675.
Temnogenesis 538.
Temperatursinn, Spaltung des T. in
zwei Sinne 381 fg.
Tentorium 19.
Teratologie 131.
Tethya 182.
Tetragonaspis 121.
Tetrameres haemorrhous 283.
Tetraxonina 194
Thamnophilus 192.
Theridion 658 fg.
Theromorphie 131.
Sachregister,
Thetys 20.
Throphotropismus 482.
Thymus chamaedrys Fries 3 fg.
— angustifolius 3.
Tiefseefauna 641 fg.
Tiere, Helligkeits- und Farbensinn der
Tiere 489 fg.
Tierische Gewebe, das elektrische Lei-
tungsvermögen derselben 596 fg.
Tierwelt, die mikroskopische, des Süß-
wassers 608.
Tilletia 253.
Tollwut, Methode gegen die Ansteckung
der T. (Pasteur) 82 fg.
—, Prophylaxe der T. 621 fg.
Tradescantia virginica 2.
Tragalus Stanleyanus 614.
Trapa natans 392.
Trematoden 14.
Tribulus 72.
Trichaulus 482 fg.
Trifolum repens 598.
Trigla 589 fg., T. hirundo 590.
Trimerorhachis insignis 338 fg.
Triton taeniatus, Tr. eristatus, Tr. hel-
veticus, Tr. marmoratus 225, 346.
Trogus 402.
Tuber melanospermum, T. aestivum 5.
Tuberella 194 fg.
Tuberkelbacillen 634.
Tupaia 368.
Turbellarien, die rhabdocölen T. Liv-
lands 300 fg.
Turdus merula, T. viscivorus 455 fg.
T. torquatus, musicus, pilaris, iiacus
456 fg.
Tylenchus 282.
Ulothrix 69.
Ulotricheen- Arten 112.
Urform der Heteroplastiden 514 fg.
Urocystis 253.
Urodelen 592.
Uromastix 651 fg.
Uroplates 355.
Uroplatidae 358.
Urostigma 121.
Ustilago 253.
189
V,
Vaccinium Myrtillus, V. Vitis Idaea,
V. Oxycoccos, V. uliginosum 250 fg.
457, 598.
Vademecum botanicum von Karsch
352.
Vegetarianismus 435 fg.
Velinea 197.
Verdauung lebenden Gewebes 681 fg.
Vererbung erworbener Eigenschaften
33 fg.
Vergoldungsmethode (Cohnheim) der
peripheren Nervenendigungen 215.
Verongia 196 fg.
Veronica Sandersoni 1.
Vertumnmus thetidicola 20.
Verwandlung der Froschlarven 619 fg.
Vespa vulgaris 10, 555.
Vespertilio murinus 617.
Vesperugo Kuhlü 617.
Vespus A402.
Viburnum Tinus A456.
Vieia 512.
Viola 512.
Vitellophagen 664 fg.
Violettblindheit, ein Fall von V. 93 fg.
Vögel als Pflanzenverbreiter 455 fg.
Volvocine, plattenförmiges Gonium-
stadium der V. 519.
Volvox 515 fg.
Vorstellungen. über die Lage unserer
Glieder 442 fg.
Vortex 301, V. penicillus 303.
Vorticella mierostoma 734.
Vosmaeria gracilis 200.
W.
Wachs 511.
Wachstum tierischer Organismen, Dreh-
ungsgesetze beim W. 639 fg.
Wärme im Darmkanale 764.
Wärmemengen der Pflanzen 385 fg.
Wärmesinn 387.
Wanderglykogen 5.
Wasseratmung bei weichschaligen
Schildkröten 213 fg.
Wasserpflanzen, Keimfähigkeit der
Samen der W. 299 fg.
—, Blätter der W. 388 fg.
70
Weberella 19.
Weihnachtsblume 2.
Weizen 386.
Wildseuche 638 fg.
Wimperorgane der Infusorien 539 fg.
Winden der Pflanzen 276 fg.
Wirbel, rhachitome 341.
Wirbelgelenke, morphologischer Wert
der W. 603 fg.
Y.
Yucca filamentosa 482.
2.
Zähne, Zahl der Z. 174 fg.
Zatrachis 339 fg.
Zeichnung der Säugetiere, Schmetter-
linge und Mollusken 285 fg.
Zellen, Bedeutung der Cytozoen für
die Z. 345.
Zellenthätigkeit 767.
Sachregister. i
Zellhaut, Organisation der vegetabili-
schen Z. 417 fg. 449 fg.
Zellkerne in fusionierenden Pilzzellen
253 fg.
Zentralanstalten, Bedürfnis nach wis-
senschaftlichen Z 545 fg.
Zentralnervensystem der elektrischen
Fische 735.
Zentrales Nervensystem,
Blutfülle in ihm 618 fg.
Zentren des verlängerten Markes
678 fg.
Zilla 71.
Zoarkes viviparus 590.
Zonula, Bau der Z. 29 fg.
Zoologische Station in Neapel 545 fg.
Zootomische Präparate, Anfertigung
und Aufbewahrung 192.
Zuckerbildung der Leber 464 fg.
Zwischenkiefer 606.
Zygaena 399 fg.
Zygnema 69, 694.
Zygophylium 74.
wechselnde
Mi,
os a"
U
a N IR &
N ya ‘ Ye
BR =) 4 a Br ;
RR a ER
P x Pan“ 7 )
EA N a
#
BD
En
F
a
Es “
N
%
BY
Fi
3%
" ak
x EEE
e
Fr A! v “
Ä 2 a 2
2 le “ ®
Ey
Ex
a
of ? e
=
B EN
Du a
N “
Kr “
io “ .
y ö
a
F °
>
1 139 WB 20 IA Da KL, g SE A BE A AC;k; ‚ a N Pa A TE
ER a N I ee ON AR)
EU 4 EINE
K
en
2 era e
»
ig
N
B
vr
}
fi
a
}