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Full text of "Biologisches Zentralblatt"

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Biologisches Zentralblatt 


Begründet von J. Rosenthal 


Herausgabe und Redaktion: 


Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. O. Warburg 


in Berlin 


Zweiundvierzigster Band 
1922 


Mit 67 Abbildungen, 4 Tabellen u. 8 Kurven 





» Leipzig 1922 


Verlag von Georg Thieme. 





Inhaltsübersicht 


des 
zweiundvierzigsten Bandes. 


O = Original; R — Referat. 


Agar, W. E., Cytology with special reference to the Metazoan nucleus. AR. 

Alverdes, Fr., Zur Lehre von den Reaktionen der Organismen auf äußere 
Reize. 0. 

Alverdes, Fr., Ban and Rabaang. R. 

Aue, A. U-E,; Be der Falter von Arctia caja de Fähigkeit zu 1 Terrohleni ? 2) 

Bauch, R., Ko nkiotbeiinkiien und sekundäre Geschlechtsmerkmale bei 
Ustilago violacea. 0. . She 

Böker, H., Die Bedeutung der Ühsskrenzune dr Böhriabelspitzen ie der Gattung 
a Mit 2 Abbildungen. 0. ah Blur 

Buchner, P., Rassen- und Bakteroidenbildung Ba ae OÖ. 

chen Re ae U a a LAAER DB, 0585 

Bütschli, ©., Vorlesungen über Verblelchenge nie NR ENGE; 

Caullery, M., Le Parasitisme et la Symbiose. AR. Em 

Gorrens, €, ER Re nude und Zahlenverhältnis der Geschlechter 
ar (Rumex Acetosa). Mit 1 Abbildung. ©. . 

Deegener, P., Soziologische Beobachtungen an Hyponomeuta a Hb. 0. 

Dingler, M., Eite Schutzeinrichtung bei Aretia caia. 0. i 

Doflein, Kr; Macedonische Ameisen. Beobachtungen. über ihre Tebenuweke: R. 

Duncker, G., Regressionsgleichungen numerischer Merkmale nach Pearsons 
verallgemeinerter Korrelationstheorie. Mit 2 Abbildungen. ©. A 

Eidmann, H., Die Durchlässigkeit des Chitins bei osmotischen Vorgängen Mit 
1 Khbalduns: Ö. 

Eidmann, H., Die Einwirkung ie Überieite auf Bier‘ von an ee aria. Mit 
4 nen. O. 26% 

Eißele, L,, Histologische Atudien an der Sinne einiger en 
Becks NEE ERA bh ER FON NE EA ER an : 

Erdmann, Rh., Art und Artbildung bei Protisten. Mit S Abb. u. 4 Tab. 0. 

Franz, V., Die Vervollkommnung in der lebenden Natur; eine Studie über ein 
sel A, 

Gerretsen, F. C., Einige Notizen abe das Eönehten dad jav Vaniachöu Tenchrkafsee 
(Lueiola Pittata Cast.) 0. SER 

Goetsch, W., Beiträge zum Doslerblichkeitdorebläm ar Metazben, Eu Teil. 
eensdene und geschlechtliche Fortpflanzung bei Hydren. Mit5 Abb. ©. 

Goetsch, W., Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. III. Teil. 
Depressionen und Lebensdauer bei Hydren. Mit 3 Abbildungen O. : 

Goldschmidt, R., Die Reifeteilungen der Spermatozyten in den Gonaden inter- 
sexueller Weibchen des Schwammspinners. Mit 1. Abbildung. O. 

Goldschmidt, R., Über Vererbung im Y-Chromosom. 0. 

Haberlandt, G., Über Zellteilungshormone und ihre Berfehinsen. zur Wind. 
heilung, Berahluee Parthenogenesis und Adventivembryonie. Mit 9 Abb. O. 

Hartmann, M., Über den dauernden Ersatz der ungeschlechtlichen Fortpflanzung 
durch fortgesetzte Regenerationen. 0. 

/ a / 


Seite 
47 


465 
241 
495 
286 


253 


429 


IV Inhaltsübersicht. 


Heikertinger, Fr., Sind die Wanzen (Hemiptera heteroptera) durch Ekelgeruch 
geschützt? O. EEE En an A En N PROBE ER Ze al: 

Herwerden, M. A. von, Der Einfluß der Neben bieten nd des Rindes auf Ge- 
sundheit und Wachstum verschiedener Organismen. 0... 

Heyde, H.C. van der, Studien über organische ee TI. Die nschniezufg 
des Schwanzes der Froschlarven. ©. : 

Hintzelmann, U., Medizinisch-zoologische Se T. Mieteilng. Die ai 
pyretische Wirkung des Regenwurmes und programmatische Hinweise auf 
die allgemein-biologische Bedeutung des Tyrosins. ©. . 

Hirschler, J., Über den Einfluß von Organen mötänideghosierren Arphikien 
auf den Verlauf der Amphibienmetamorphose. 0. Re BER 

Horn, A. Der Schwimmblasenapparat bei Cobitis. Mit 2 Achildensen: re 

Just, G., Wahrscheinlichkeit und Empirie in der Erblichkeitsstatistik. Mit2 Abb. O. 

Kappert, H., Ist das Alter der zu Kreuzungen verwandten Individuen auf die 
Ausprägung der elterlichen Merkmale bei den Nachkommen von Einfluß. O. 

Konsuloff, St., Über die Doppelatmung der Mückenlarven. Mit 3 Abb. O. 

Krause, R., Mikroskopische Anatomie der Wirbeltiere in Einzeldarstellungen. A. 

Küster, E., Anleitung zur Kultur der Mikroorganismen. R. 

Küster, E., Lehrbuch der Botanik für Mediziner. R. 

ine, H., Zur ee und Ökologie der Kobllensa ee naton Mit 
) Aubaldungen OÖ. 

Mayer, P., Zoomikrotechnik. R IR 

Mes hemer: J., Geschlecht und ne im Gere R. 

Molisch, H., Mikrochemie der Pflanze AR... 

Pax, Es, Die Tierwelt Schlesiens. At. ee 

Peter, K, Über den Begriff „Homologie“ und seine one in der Embryo- 
I O. Pa 

Popoff, M., Über ae eng de Geliaehinen! O.. zen 

Pütter, A., Die Frage der parenteralen Ernährung der We DR: 

Roch, PB, Be zur Physiologie der Flugmuskulatur der Insekten. Mit 2 "Ab. 0. 


Schreirerdih ker P., Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie des ' 


Menschengeschlechtes. 0. ? ; 
Schmidt, H., Untersuchungen über den ar im einiger or Polychaeten. 0. 
Schroeder, H., Über die Semipermeabilität von Zellwänden. O0. . . 
Schulze, ‘PB; übe Beziehungen zwischen pflanzlichen und tierischen Skelett- 

substanzen und über Chitinreaktionen. O0. ._. 

Sorauer, P., Handbuch der Pflanzenkrankheiten. A. FREE, 
Steinberger, geb. Hurt, Anna-Luise, Über Regulation de nischen Wertes 

in den Schließzellen von Luft- und Wasserspalten. 0. 

Stumper, R., Quantitative Ameisenbiologie. 0. . ne 
Süffert, Fr., Zur Morphologie und Optik der Seh meter chiippen: OS 
Szymanski, J. S., Drei Lösungsversuche eines Problems. Mit 3 Abbildungen. ©. 
Tollenaar, Statistik und Vogelzug. Mit 3 Abbildungen. ©. 

Ubisch, G. v., Abweichungen vom mechanischen Geschleöhtsnechaltnie bei Melan- 

drium dioieum. O0. . 

Vogel, R., Über die Tonogtaphie der uchen een von Phase ana 

Berner Ö. a . 

Wachs, H, Zur Anakehikeit, der Kuckerkleier Ö. i R 
Ziegelmayer, W., Einige biologische Notizen zu Ödfelepe es ne Be 
Oyclops vulgaris Koch. Mit 2 Abbildungen und S Kurven. 0. 





 Biologisches Zentralblatt 


Begründet von J. Rosenthal 
Herausgabe und Redaktion: 


Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. O. Warburg 


in Berlin 
Veılag von Georg Thieme in Leipzig 
Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 28 











Januar 1922. Nr. 1 


ausgegeben am 2. Januar 1922 


42. Band. 








Der jährl. Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt innerhalb Deutschlands 50 Mk. 


Zu .beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


Den Herren Mitarbeitern stehen von ihren Beiträgen 30 Sonderabdrucke kostenlos zur 
Verfügung; weitere Abzüge werden gegen Erstattung der Herstellungskosten geliefert. 














Inhalt: F. C. Gerretsen, Einige Notizen über das Leuchten des javanischen Leuchtkäfers (Lueiola 
Vittata Cast.). S. 1. 
R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschleehtsmerkmale bei Ustilago violacea. 
8.9. 
P. Buchner, Rassen- und Bakteroidenbildung bei Hemipterensymbionten. 8. 38. 
teferate: P. Mayer, Zoomikrotechnik. Ein Wegweiser für Zoologen und Anatomen. 8. 47. 
W. E. Agar, Cytology with special reference to tbe Metazoan nueleus. $. 47 
V. Franz, Die Vervollkommnung in der lebenden Natur; eine Studie über ein Naturgesetz. 
S. 48. 
Deutsche Gesellschaft für Vererbungswissenschaft. S. 48. 





Einige Notizen über das Leuchten des javanischen 


Leuchtkäfers (Luciola Vittata Cast.). 
Von Dr. F. C. Gerretsen-Groningen, 

Obwohl über den mikroskopischen Bau der Leuchtorgane der 
Lampyriden eine umfangreiche Literatur besteht, sucht man darin ver- 
gebens nach einer zusammenfassenden deutlichen Erklärung des eigent- 
lichen Leuchtprozesses. An der Hand einiger neuer, bei dem java- 

uischen Leuchtkäfer verrichteter Untersuchungen und einer kritischen 

? Verbindung einer Anzahl in der Literatur zerstreuten Daten habe ich 
im folgenden versucht, von der Natur des Leuchtprozesses eine einiger- 
maßen plausible Vorstellung zu geben. 

Bei den weiblichen Exemplaren von Zueiola wittata findet man 
die zwei letzten Abdominalsegmente mit einem sehr dünnen, durch- 
sichtigen Chitinhäutchen bedeckt, während bei den männlichen Exem- 
plaren nur ein einziges Leuchtsegment vorhanden ist. Diese Abdominal- 
segmente leuchten periodisch etwa 60—120 mal pro Minute. Auch die 

42. Band. N! 


u 


a F. ©. Gerretsen, Einige Notizen über das Leuchten usw. 


Eier leuchten; die Behauptung Wielowiejsky’s'!), daß die Eier von 
Lampyris splendidula nur leuchten infolge der Anwesenheit eines an 
der Außenseite haftenden und aus dem Leibe des Muttertieres her- 
rührenden Leuchtstoffes, ıst jedenfalls nicht für Zuciola vitlata zu- 
treffend. Eier, welche mit großer Sorgfalt abgewaschen sind, leuchten 
ebensogut wie die nicht abgewaschenen Exemplare, wie dies auch von 
Bongardt?) bei Zampyris noctiluca konstatiert wurde. Die Wahr- 
nehmung Wielowiejsky’s ıst zweifellos unrichtig, was noch deut- 
licher hervortrat, wenn die Eier längere Zeit beobachtet wurden. 
Während dieselben anfänglich ganz gleichmäßig leuchten, sieht man 
je nachdem sich der Embryo entwickelt, daß dieses Leuchten sich 
immer mehr an einer bestimmten Stelle konzentriert. Sehr merk- 
würdig ist auch die Tatsache, daß einige Tage bevor die Larve aus 
dem Ei hervorkriecht, das Leuchten im Innern des Eies schon perio- 
disch auftritt’und bei genauer Beobachtung innerhalb einiger Minuten 
eine deutliche Verminderung oder Vermehrung der Leuchtkraft zu 
konstatieren ist. Die Larven leuchten nur ein- oder zweimal per Mi- 
nute. Am Tage oder bei hellem Mondschein leuchten die Insekten 
selten, wie dies auch von anderen Untersuchern beobachtet worden ist. 

Die Ursache des periodischen Leuchtens sucht Verworn?°) in 
dem Vorhandensein eines völlig automatischen Nervenzentrums, welche 
Hypothese er soweit durchführt, daß er annımmt, daß die Insekten, 
wenn sie nicht leuchten, schlafen!‘ Eine derart gezwungene Erklärung 
steht in keiner Hinsicht mit den Tatsachen im Einklange; wieder- 
holt habe ich die Insekten am Tage oder abends herumlaufen sehen, 
ohne zu leuchten, und auch folgendes Experiment beweist, daß hier 
von einem völligen automatischen Nervenzentrum keine Rede ist, 
sondern man jedenfalls mit einem Nervenzentrum zu tun hat, das 
ganz nach Willkür des Insektes entweder in Antwort auf äußere Reize 
oder ohne solche Veranlassung, in und außer‘ Tätigkeit gesetzt wird. 

Der Versuch gestaltete sich folgendermaßen: In einem großen 
Stück Pappe wurde in der Mitte ein kleines Loch gemacht. In dieses 
Loch wurde ein gut leuchtender Käfer derart befestigt, daß der Kopf 
an der einen Seite des Kartons kam und das leuchtende Segment an 
der anderen Seite. In einer Entfernung von etwa 75—100 cm vom 
Kopf wurde eine elektrische Lampe angebracht, welche mit einem 
Druckknopf momentan entzündet werden konnte. Der Versuch wurde 
im Dunkeln vorgenommen und das Stück Pappe diente dazu, die Augen 
gegen das helle Licht zu schützen und zugleich um jede direkte Eın- 
wirkung des Lampenlichtes auf dem Leuchtorgan zu verhindern. So- 
bald das Insekt regelmäßig leuchtete, entzündete ıch einen Augenblick 
die Lampe. Fast unmittelbar danach löschte der Käfer das Leucht- 
organ und nach einigen Sekunden Ruhe fing es wieder zu leuchten 





1) Zeitschr. Wiss. Zool. Bd. 37, S. 424. 
2) Zeitschr. Wiss. Zool. Bd. 75, S. 17. 
3) Zentr, f. Physiologie, Bd. 6, 8. 74. 





F. ©. Gerretsen, Einige Notizen über das Leuchten usw. 3 
an. Den Versuch konnte ich mit mathematischer Genauigkeit, immer 
mit demselben Erfolg wiederholen. 

Es ıst verständlich, daß hier die Erklärung Verworn’s, laut der 
man annehmen sollte, der Käfer schläfe beim Entzünden der Lampe 
unmittelbar ein und nach Verlauf einiger Sekunden erwache er wieder, 
absurd sein würde. 

Es liegt auf der Hand, daß das Insekt das Leuchten einstellt, 
sobald es das Licht der Lampe sieht; läßt man die Lampe länger 
brennen, so unterbleibt das Leuchten ebensolange. Das sporadische 
Leuchten am Tage oder bei hellem Mondschein steht damit im Ein- 
klang. Man würde dies sogar als eine rein ökonomische Maßnahme 
betrachten können, wovon sich in der Natur mehrere Beispiele auf- 
finden lassen. 

Der anatomische Bau des Leuchtapparates von ZLxciola vittata ıst 
demjenigen der anderen Lampyriden analog. Die leuchtenden Segmente 
sınd mittels einer vollständig durchsichtigen Chitinplatte von der 
Außenluft abgeschlossen. Gerade an dieser Chitinplatte angelagert 
findet man eine Reihe Zellen, die von einer großen Anzahl, nach allen 
Seiten verzweigten Tracheen durchkreuzt werden, während auch zahl- 
reiche Nerven zu finden sind. Hinter dieser ersten Reihe gibt es eine 
zweite Reihe von Zellen, die sogen. dorsale Uratzellschicht, deren 
Zellen in den von mir untersuchten Exemplaren mit amorphem urin- 
saurem Ammon gefüllt waren, während in der Literatur immer von 
mikroskopischen Kristallen die Rede ist. Dieses urinsaure Ammon 
ist wahrscheinlich ein Sekretionsprodukt, welches schließlich bei der 
Oxydation des, ın der ventralen Zellschicht entstandenen, Leucht- 
stoffes gebildet wurde. Damit in Übereinstimmung ist die Wahr- 
nehmung Weitlaner’s*), daß die Larven und jungen Käfer nur wenig 
von diesem Stoff enthalten und daß mit zunehmendem Alter der In- 
sekten die Menge des urinsauren Ammons zunimmt. Wielowiejski?) 
nimmt denn auch an, daß man nicht mit zwei, sondern nur mit einer 
Zellschicht zu tun hat, welche Annahme aber von Bongardt‘) auf 
Grund seiner anatomischen Untersuchungen bestritten wird. Für die 
Frage, wie das Leuchten zustande kommt, ist der anatomische Bau des 
Leuchtapparates und besonders derjenige der Tracheen, von großer 
Bedeutung. Schulze’) hatte schon 1865 auf eine eigentümliche stern- 
förmige Verzweigung der Tracheen aufmerksam gemacht; am äußersten 
Ende der mit Chitinringen versehenen Tracheen entspringen bei 
Lueiola noetiluca 3—7 Kapillaren, welche keine Chitinringe aufweisen 
und mit einander in eine Zelle eingebettet sind, welche von ihm 
Tracheenendzelle genannt wurde. Schulze vermutete einen Zusammen- 
hang der Nervenenden mit den Tracheenendzellen, welcher Zusammen- 


4) Naturw. Wochenschrift 1911, S. 679. 
5) Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. 37, S. 366. 
6) Zeitschr. f, wissensch. Zool. Ad. 75, S. 17. 
7) Arch. f. mikr. Anatomie. Bd. 1. 
1* 


4 F. ©. Gerretsen, Einige Notizen über das Leuchten usw. 


hang von Wielowiesjkı°) bestritten wurde, aber von Bongardt’) 
zweifellos festgestellt wurde, indem er nachwies, daß die Verzweigungen 
der Nerven sich den Tracheenstämmchen oft so eng anschließen, daß 
die Nervenkerne den Kernen der Matrix der Tracheen oft unmittelbar 
anliegen. 

Diese sternförmigen Verzweigungen lassen sich aber nicht bei 
allen Leuchtkäfern auffinden. Bei Luciola vittata konnte ıch dieselben 
nicht nachweisen, während Bongardt sie bei Lampyris splendidula 
auch nicht fand !°). 

Er unterscheidet daher eine zweite Verzweigungsart, bei welcher 
von den mit Spiralfäden versehenen Tracheenästehen an den ver- 
schiedensten Stellen Kapillaren ausgehen. Er sagt darüber: „Ein 
prinzipieller Unterschied zwischen beiden Verzweigungstypen existiert 
also nicht, auch hier findet man Zellen (protoplasmatische Fortsetzungen 
der Nerven. Verf.) die ın vielen Punkten mit den Endzellen überein- 
stimmen, während diese Zellen auch da liegen, wo mehrere Kapillaren 
von einem Tracheenstamm sich abzweigen.“ Auch bei Zuciola vittata 
waren dieselben nach Maszerierung mit Osmiumsäure leicht aufzu- 
finden. 

Es ist jetzt die Frage: Wie kommt das intermittierende Leuchten 
zustande? 

An erster Stelle war es erwünscht zu untersuchen, inwiefern das 
Nervensystem daran beteiligt sein könnte. Einige Exemplare des 
javanıschen Leuchtkäfers wurden getötet, indem Kopf mit Kopfbrust 
vom Hinterleib getrennt wurden. An die frisch geöffnete Verbindungs- 
stelle legt man einen der Pole eines elektrischen Stromkreises an, 
während man eine feine Nadel, die mıt dem anderen Pol verbunden 
ist, in den an der Bauchseite gelegenen Nerven steckt. Man kann 
jetzt mittels Öffnen und Schließen des Stromes das periodische Leuchten 
vollständig und wiederholt nachahmen!!). Es genügt sogar die Außen- 
seite der Leuchtsegmente mit der Nadel zu berühren, um rings um 
die Berührungsstelle ein Aufleuchten hervorzurufen, falls: man mit 
höherer Spannung arbeitet. 

Es unterliegt also keinem Zweifel, daß das periodische Leuchten 
unter Einfluß von Nervenreizen stattfindet und man kann jetzt an- 
nehmen, daß infolgedessen entweder die Produktion des Leuchtstoffes 
intermittierend aufgehoben wird oder daß die Sauerstofizufuhr jedesmal 
eingestellt wird. 

Die erste Annahme ist nicht mit den Tatsachen in Übereinstim- 
mung; es würde ın diesem Falle immer nur eine sehr geringe Menge 
Leuchtstoff in den Zellen vorhanden sein können, gerade soviel wie 
während eines einmaligen Aufleuchtens verbraucht wird. Dies ist nicht 


8) lc. S7415 
I 1SE.4S.08,. 
10) ı" | 
11) Später erfuhr ich, daß ein derartiger Versuch auch schon von A. Dubois 
u. a. vorgenommen war. (Les Elaterides Lumineux. Bull. Soc. Zool. Ile Annede.) 


| RS Fa Ta a 


F. C. Gerretsen, Einige Notizen über das Leuchten usw. 5 


der Fall, denn wenn man den Leuchtapparat öffnet, kann man dem- 
selben eine ziemlich große Menge Leuchtstoff sofort entnehmen und 
derselbe bleibt stundenlang nachleuchten. Es kommt noch hinzu, daß, 
wenn man bei einem frisch getöteten Insekt, dessen Leuchtapparat 
dunkel ist, letzteren. mit einer scharfen Nadel verwundet, damit Sauer- 
stoff von außen hineindringen kann, das Leuchten in den geöffneten 
Zellen sofort wieder anfängt. 

Dieses Verhalten weist fraglos darauf hin, daß nicht die Produktion 
des Leuchtstoffes, sondern dessen Oxydation, d.h. dıe Sauerstoffzufuhr, 
intermittierend und unter Einfluß vom Willen des Insektes, eingestellt 
werden kann. Es ist jetzt die Frage, inwiefern dies aus dem anato- 
mischen Bau zu erklären sein wird. Ich muß jedenfalls darauf hin- 
weisen, daß es ın den Tracheen nirgends eine Vorrichtung gibt, die 
Sauerstoffzufuhr abzuschließen; die einzigen Stellen, die in dieser Hin- 
sicht möglicherweise eine Rolle spielen könnten, sind die Tracheenend- 
oder -verzweigungszellen. Es wäre nämlich denkbar, daß durch einfache 
Kontraktion dieser Protoplasten die äußerst dünnen Kapillaren zugedrückt 
würden und damit die Sauerstoffzufuhr aufgehoben würde. Es wäre 
damit sogleich der Zusammenhang zwischen dem Nervensystem und 
dem periodischen Leuchten erklärt worden, wie auch das Fehlen von 
Spiralfäden um die Tracheenkapillaren. Die Möglichkeit einer der- 
artigen Kontraktion unter Einfluß von Nervenreizen resp. elektrischen 
Strömen ist u.a. bei den Amöben und Paramecium bewiesen worden; 
man hat beim Schließen des Stromes an der Anode eine kontrakte- 
rısche Erregung und an der Kathode ein stärkeres Hervortreten der 
Expansionsphase beobachtet ??). 

In auffälliger Übereinstimmung mit diesem Verhalten und mit 
der oben geäußerten Hypothese ıst die Wahrnehmung Heineman’s'°), 
daß bei der Berührung des Leuchtapparates eines Leuchtkäfers die 
Erregung, d. h. das Aufleuchten, beim Schließen des Stromes stets 
von der Kathode ausging, während sich an der Anode manchmal eine 
Abschwächung des Phänomens zeigte, infolge der Expansion resp. 
Kontraktion der Tracheenendzellen. 

Aber auch das recht eigentümliche Verhalten dieser Insekten 
bei der Chloroformnarkose ist eine wichtige Stütze für die ange- 
führte Erklärung des intermittierenden Leuchtens. Bringt man 
nämlich ein gut leuchtendes Insekt ın einen mit Chloroform- 
dämpfen gesättigten Raum, dann sieht man, daß einen Augenblick 
nachdem es sich zu regen aufhört, der Leuchtapparat fast auf einmal 
dunkel wird. Schnell wieder in die frische Luft gebracht, erholt der 
Käfer sich jetzt noch innerhalb kürzerer Zeit. Wenn man aber die 
Narkose ununterbrochen fortsetzt, dann sieht man, nachdem also das 
Leuchten erst aufgehalten hatte, den Leuchtapparat anfangs stellen- 
weise, später ganz gleichmäßig wieder aufleuchten. Wird der Käfer 


12) Verworn, Allgem. Physiol. 1915. S. 515. 
13) InaWinterstein, Handb. d. Vergl. Physiol. Bd. IIL,, S. 347. 


6 F. ©. Gerretsen, Einige Notizen über das Leuchten usw. 


jetzt in die frische Luft gebracht, dann erholt er sich nicht mehr, er 
ist getötet, das Leuchten kann aber noch stundenlang fortdauern. Bei 
noch länger fortgesetzter Narkose erlöscht das Licht allmählich und 
kommt es unter keinen Umständen wieder zurück. Wie läßt sich 
dieses Verhalten erklären !*)? 


Demoore!’) konstatierte, daß unter Einfluß von Chloroform die 
protoplasmatischen Ausläufer der Ganglienzellen sich kontrahieren. 
Eine derartige Kontraktion der Tracheenendzellen ist also sehr wahr- 
scheinlich und da die äußerst dünnwandigen Kapillaren in die Tracheen- 
endzellen eingebettet sind, werden dieselben bei der Kontraktion dieser 
Zellen zusammengedrückt, wird folglich der Sauerstoff abgesperrt und 
infolgedessen das Leuchten eingestellt. Es läßt sich schwer eine effek- 
tivere Vorrichtung denken, diesen Zweck zu erreichen; da hier der 
Abschluß an tausenden Stellen zugleich stattfindet und. dies außerdem 
in den sehr dünnen Kapillaren geschieht, ist der Käfer imstande, das 
ganze Leuchtorgan auf einmal erlöschen zu lassen. Bei einer even- 
tuellen Absperrung der großen Tracheen würde ein derartiges plötz- 
liches Einstellen der Sauerstoffzufuhr unmöglich sein, da immer der, 
in den abgesperrten Teil der Tracheen vorhandene, Sauerstoff ver- 
braucht sein muß, ehe das Leuchten aufhört. Wie lange dies dauert, 
kann man beobachten, wenn man einen gut leuchtenden Käfer unter 
ausgekochtes Wasser oder Öl bringt. 


Zerstört man mit einer Nadel das Zellgewebe des Leuchtorgans 
im ersten dunkeln Stadium der Narkose, so trıtt an dieser Stelle auch 
jetzt das Leuchten sofort wieder ein; von einer dauernden Schädigung 
des Leuchtapparates ıst noch gar keine Rede, denn das Insekt erholt 
sich völlig. Wir haben also mit einer vorübergehenden Kontraktion 
der Tracheenendzellen zu tun infolge der Wirkung eines chemischen 
Agens. 


Weil das Leuchten bei fortgesetzter Narkose wieder anfängt, wırd 

die anfängliche Kontraktion der Endzellen offenbar wieder aufgehoben. 
Von Hammarsten!®) wurde ein ganz analoges Verhalten bei der 
Narkose von Muskeln wahrgenommen. Zuerst trat schnell eine Kon- 
traktion der Zellen ein, welche sich in einer sogenannten Muskelstarre 
äußerte, welche Kontraktion aber bei fortgesetzter Narkose wieder 
völlig verschwand, gerade dasselbe was wir beim Leuchtorgan wahr- 
nehmen. 
14) Als ich bei meiner Zurückkehr aus den Tropen wieder in der Lage war, 
mehrere Literaturangaben nachzuschlagen, erfuhr ich, daß das eigentümliche Verhalten 
der Leuchtkäfer bei der Narkose auch von Verworn (Zentr. f. Physiol. Bd, 6, $. 72 
— 74) bei Luciola italica beobachtet worden war Die von ihm gegebene Erklärung 
aber, laut welcher das ganze Phänomen einem „Zerfall der Leuchtsubstanz bei direkter 
Einwirkung des Chloroforms“ zugeschrieben wird, ist m. E. in keiner Hinsieht imstande 
die verschiedenen Stadien, welche bei der Narkose auftreten, zu erläutern. 

15) Arch. de Biologie, T. 14, 1896, 

16) Physiol. Uhemie, S. 486, 


F. C. Gerretsen, Einige Notizen über das Leuchten usw. 7 


Scheinbar. befindet sich der Leuchtapparat in diesem zweiten 
leuchtenden Stadium der Narkose in einer Lage, die sich nicht von 
derjenigen unterscheidet, welche auftritt, wenn man das Insekt einfach 
tötet, in welchem Fall es ebenso stundenlang leuchtend bleiben kann. 
In der Tat besteht aber ein bedeutender Unterschied, denn es gelingt 
jetzt nicht mehr das intermittierende Leuchten mittels des elektrischen 
Stromes hervorzurufen. 


Es scheint mir, daß die Hypothese, nach welcher das normale 
periodische Einstellen des Leuchtens an einer Absperrung der Sauer- 
stoffzufuhr in den Tracheenkapillaren mittels einer Kontraktion der 
Tracheenend- oder -verzweigungszellen, unter Einfluß von Nervenreizen, 


‚zugeschrieben wird, eine derart einheitliche Erklärung einer Anzahl 
ganz verschiedener Tatsachen gıbt, daß man schwer der Annahme der- 


selben entkommen kann. 


Das dritte und letzte Stadium der Narkose, bei welchem das 
Leuchten dauernd verschwindet, findet sein Analogon bei den Leucht- 
bakterien. Wie von Beyerinck!”) zuerst gezeigt wurde, kehrt auch 
hier das Leuchten nicht wieder, sobald die Narkose zu lange gedauert 
hat; es ıst wahrscheinlich, daß die Enzyme, welche in beiden Fällen 
an dem Leuchtprozeß beteiligt sind, bei längerer Einwirkung von dem 
Chloroform irreversibel geschädigt werden. Eine derartige schädliche 
Wirkung des Chloroforms auf Enzyme ist von verschiedenen Autoren 
konstatiert worden '*). Daß ın der Tat Enzyme beim Zustandekommen 
des Leuchtens eine hervorragende Rolle spielen, habe ich in der von 
Dubois!?) bei der leuchtenden Bohrmuschel, Pholas dactylus, ange- 
gebenen Weise nachzuweisen versucht. 


Von etwa sechs Leuchtkäfern wurden die Leuchtorgane heraus- 
präpariert und ın einem kleinen Mörser zerrieben. Man bekommt eine 
gut leuchtende Masse, welche ziemlich lange leuchten bleibt, falls man 
das verdünstete Wasser ab und zu wieder nachfüllt. Nach Verlauf 
von etwa zwei Stunden ist die Flüssigkeit allmählich soweit ver- 
dunkelt, daß sie zum Versuch gebraucht werden kann. 

Jetzt werden sechs andere Käfer schnell bei 65° C. getötet und 
während zwei Minuten auf dieser Temperatur gehalten. Die Leucht- 
organe sind völlig dunkel und bleiben ebenfalls so, wenn man die- 
selben herauspräpariert. 

Bringt man nun ein wenig von dieser auf 65° erhitzten dunkeln 
Masse ın den ebenfalls dunklen Organbrei, dann sieht man das Leuch- 
ten augenblicklich zurückkehren. 

Die auf der Hand liegende Erklärung ıst auch hier, daß das 
Leuchten im Organbrei schließlich aufhörte, weil der vorhandene Leucht- 
stoff völlig verbraucht war, obwohl die Enzyme noch intakt waren. 


17) Arch. Neerlandaises, T. XXIII. 
18) Oppenheimer, Die Fermente, Bd. I, S. 72, 
19) Comp. Rend. Paris, T. ULIII, S. 690, 


S F. C. Gerretsen, Einige Notizen über das Leuchten usw. 


In den bei 65° C. getöteten Zellen war hingegen noch aller Leucht- 
stoff; vorhanden, während die Enzyme getötet waren. Bringt man 
beide Substanzen zusammen, dann sind die Bedingungen für das 
Leuchten wieder erfüllt, d. h. die Anwesenheit eines Enzyms und von 
Leuchtstoff, und tritt das Leuchten sogleich ein. Dies ist ganz analog 
dem Verhalten von Pholas, Ich konnte aber das Leuchten des Leucht- 
stoffes nicht mittels oxydierender Reagenzen, wie KMnO, oder H,O, 
bewerkstelligen, wie dies Dubois bei Pholas gelang. Der Leuchtstoff 
aus den erhitzten Zellen leuchtete ebenfalls schwach auf, als dieselbe 
in einer Suspension von mit Quarzschlamm zerriebenen Leuchtbakterien 
(Photobact. javanense) gebracht wurde ?®). 

An dieser Stelle möchte ich die interessanten Untersuchungen 
Harvey’s erwähnen?'); er fand nämlich, daß das Oxydationsprodukt 
des Leuchtstoffes durch enzymatische, bakteriologische oder rein 
chemische Reduktion wieder in den ursprünglichen Leuchtstoff zurück- 
verwandelt werden kann. In Verband mit der äußerst starken redu- 
zıerenden Wirkung der Tracheenendzellen ist es sehr wahrscheinlich, 
daß, wie Harvey es auch selbst annımmt, in den Leuchtzellen der 
Leuchtkäfer unmittelbar nach dem Aufleuchten, in der finstern Periode, 
der Oxy-Leuchtstoff wieder zum Leuchtstoff reduziert wird und damit 
ist der Leuchtapparat wieder für ein folgendes Aufflackern fertig. 

Die von Harvey gegebene Vorstellung”) kann aber zu dem 
irrtümlichen Schluß führen, daß bei dem Leuchtprozeß kein Stoff ver- 
braucht wird, wenn aber der Leuchstoff reduziert wird, muß jeden- 
falls zugleich ein anderer Stoff ın einer höheren Oxydationsstufe über- 
geführt werden. Es konnte z. B. sein, daß das Insekt ın dieser Weise 
wertvolles Matersal, ı. e. den Leuchtstoff erspart, und daß es gewisse 
andere, in der Blutbahn zirkulierende Stoffe sind, welche schließlich 
oxydiert werden. Nicht völlig im Einklang mit dieser Vorstellung ist 
die Beobachtung, daß das urinsaure Ammon, das Endprodukt der 
Leuchtproduktion, in der dorsalen Zellschicht mit dem Alter der In- 
sekten zunimmt. 

Im Verband mit meinen Untersuchungen an den Leuchtbakterien 
verrichtet, kommt es mir wahrscheinlich vor, daß im allgemeinen die 
Biophosphoreszension ein enzymatischer Vorgang ist und daß daran 
wenigstens zwei Enzyme beteiligt sind. Das erstere bewirkt die Um- 
wandlung der Nährstoffe in Leuchtstoff und wurde von mir damals 
Photogenase??) genannt, das zweite bringt die Oxydation des Leucht- 


0) F. ©. Gerretsen, Über die Ursachen des Leuchtens der Leuchtbakterien, 
Zentr. f. Bakt. Abt. II, Bd. 52, S. 353. Die Bemühungen Piereantoni’s (Scientia 
Vol. XXIII. Suppl. S 50) das ganze Problem der Biophosphoreszention auf eine 
Symbiose mit Leuchtbakterien zurückzuführen, kann ich leider nicht unterstützen. In 
den Leuchtkäfer sind jedenfalls keine Leuchtbakterien aufzufinden, während der Fakt, 
daß aus den Leuchtdrüsen der Cephalopoden Leuchtbakterien zu züchten sind, für eine 
derart weitgehende Hypothese kein Beweis ist, denn die Leuchtbakterien sind aus- 
nahmslos von allen Seetieren zu isolieren. 

21) The Nature of animal Light (Princeton University) 1919. 

22) Ebenda 8. 144. 

23) 1207 8. 300: 


R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. I) 


stoffes zustand und ist die von Dubois gefundene Luciferase. Der 
Prozeß läßt sich also folgendermaßen darstellen: 
Nährstoff — Leuchtstoff = Oxyleuchtstoff +- Licht 
Photogenase Luciferase 

Man achte darauf, daß die Überführung von Leuchtstoff in Oxy- 
leuchtstoff ein reversibler Prozeß ist, daß aber der Leuchtstoff nicht 
wieder in Nährstoff übergeführt wird. Inwieweit die Luciferase sich 
von anderen Oxydasen unterscheidet, ist nicht ohne weiteres zu sagen. 
Dubois fand aber in zahlreichen, nicht leuchtenden Organismen, u.a. 
bei vielen Mollusken und Krustazeen, Enzyme, die gleichfalls den 
Leuchtstoff unter Lichterscheinung oxydieren. 

Fassen wir die obenstehenden Untersuchungen zusammen, dann 
geht daraus hervor: 

1. Die Eier der Lampyriden leuchten anfänglich gleichmäßig und das 
Licht konzentriert sich, je nachdem der Embryo sich entwickelt, an 
einer bestimmten Stelle. In diesem Stadium leuchten die Eier von 
Luciola vittala periodisch, mit einer Periode aber von mehreren Minuten. 

2. Das periodische Leuchten wird durch das Insekt beherrscht 
und ist bei den getöteten Exemplaren mittels des elektrischen Stromes 
nachzuahmen. (Von einem völlig automatischen Nervenzentrum (Ver- 
worn) ist gar keine Rede.) 

3. Das. periodische Leuchten beruht auf einer intermittierenden 
Absperrung der Sauerstoffzufuhr in den Kapillartracheen, mittels einer 
Kontraktion der sogen. Tracheenend- res. -verzweigungsstellen, unter 
Einfluß von Nervenreizen. 

3. Die Narkose der Lampyriden findet in drei, deutlich unter- 
schiedenen Stadien statt, kenntlich an einem reversiblen Erlöschen, 
Wiederaufleuchten und schließlich irreversiblen Erlöschen des Leucht- 
organs. 

5. Man kann in der von Dubois angegebenen Weise das Vor- 
handensein eines spezifischen Leuchtstoffes und wenigstens eines En- 
zyms bei Zaciola vittata nachweisen. 


Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechts- 
merkmale bei Ustilago violacea. 
Von Robert Bauch. Würzburg. 


In seinen „Untersuchungen über den Antherenbrand“ hatte Kniep 
(1919) den für das Sexualitätsproblem wichtigen Nachweis erbracht, 
daß die Sporidien der Ustilago violacea, die morphologisch vollkommen 
gleichwertig erscheinen, ihrem physiologischen Verhalten nach geschlecht- 
lich differenziert sind. Nur Sporidien mit entgegengesetztem Greschlechts- 
charakter treten in den Sexualakt, die Kopulation ein. Die morpho- 
logischen „Isogameten“ sind in Wirklichkeit physiologische Hetero- 
gameten. Zillig (1921) bestätigte in ausgedehnten Infektionsversuchen 


R. Bauch, Kopulationsbedineungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw 
> l gung ; 


die von Kniep ausgesprochene Vermutung, dab die Ustilago violacea 
eine Sammelspezies darstellt. Sie läßt sich in eine ganze Reihe von 
biologischen Rassen aufteilen, die ihren jeweiligen Wirtspflanzen spe- 
zialisiert angepaßt sind. Teilweise lassen sich diese Spezialformen auch 
durch feinere morphologische und besonders durch physiologische Eigen- 
heiten ihrer Sporidien voneinander unterscheiden. So z. B. weisen die 
Sporidien der Form von Saponaria officinalis eine herabgesetzte Kopu- 
lationsfähigkeit auf. Für die Rasse von Dianthus deltoides hatte Kniep 
gewisse Beobachtungen gemacht, die auf das Vorhandensein von sekun- 
dären Geschlechtsmerkmalen der beiden Sporidiengeschlechter hindeuteten. 
Zillig fand gelegentlich die gleichen Erscheinungen. Aufgabe der 
vorliegenden Arbeit war es, diese Frage nach sekundären Geschlechts- 
merkmalen der Dianthus deltoides-Form eingehender zu verfolgen. Da- 
neben wurden noch einige andere Fragen in Angriff genomnien, von 
denen hier die Ergebnisse der Untersuchung über die äußeren Bedingungen 
der Kopulation der Sporidien mitgeteilt seien. 


I. Kopulationsbedingungen. 


In der älteren mykologischen Literatur taucht überall dort, wo 


bei einem Pilz auf eine Zeit üppiger Vermehrung — sei es nun rein 
vegetativ als Myzel oder nach reichlicher Konidien- oder Sporangien- 
produktion — ein sexuelles Stadium folgt, der Gedanke auf,. die sexuelle 


Vermehrung sei veranlaßt durch den eintretenden Mangel an Nährstoffen, 
durch die Erschöpfung des Nährsubstrates. Da meist das Produkt des 
Sexualaktes besonders zum Überstehen von Trockenheit und Nahrungs- 
mangel, allgemein gesagt von für das vegetative Wachstum des Organis- 
mus schlechten äußeren Bedingungen, ausgerüstet ist, so stand hinter 
diesem Gedankengang häufig die Betrachtung — bald direkt ausge- 
sprochen, bald nur zwischen den Zeilen zu lesen —, daß der Pilz bei 
Eintritt von Nahrungsmangel zur Sicherung der Erhaltung der Art 
jetzt zum Sexualakt und den damit verbundenen Dauerzuständen über- 
gehe. Daß Nahrungsmangel den Sexualakt hervorruft, mag für eine 
Reihe von Formen stimmen — als Beispiel sei hier die Pyronema con- 
[Iuens (Claußen 1912) angeführt —, für andere aber wieder nicht. 
Das wiesen z. B. Klebs für Sporodinia gramdis (1898) und Saprolegnia 
mixta (1899), Raciborski (1896) für Basidiobolus ranarım, Char- 
lotte Ternetz (1900) für Ascophanus nach. Für den Antheren- 
brand war die Annahme, daß Nährstoffmangel die Kopulation auslöse, 
zuerst von Brefeld (1883) ausgesprochen worden und ohne genauere 
Nachprüfung von späteren Bearbeitern übernommen. Kniep (1919) 
verwendete auf Grund dieser Annahme nährstoffarme Medien für Ko- 
pulationsversuche, in der Hauptsache 0,1 % Lösung von Malzextrakt. 
Die eingehende Untersuchung ergab nun — um das Resultat gleich vor- 
weg zu nehmen —, daß nicht Nährstoffmangel im Brefeldschen Sinne 
oder die in alten Kulturen eintretende Anhäufung von Stoffwechsel- 
produkten kopulationsauslösend wirken, sondern daß vor allem die Sauer- 





R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 11 


stoffspannung des Mediums das maßgebende Moment darstellt. Die 
nachstehenden Versuche mögen den Beweis dafür erbringen. 
Versuch I. 
Sporidiengemische werden in 0,01 % Malzextraktlösung angesetzt 
1. in Reagenzröhrehen (13 em hoch, 1,5 em Durchmesser) bis dicht 
unter den Wattestopfen mit Malzlösung beschickt = „hoch“; 
. in Röhrchen, die ca. zu 1/, der Höhe mit Flüssigkeit gefüllt sind 
— 1 ARTEN 
3. in Röhrchen mit normalhoher Flüssigkeit, die aber, sobald sich 
die Sporidien in der Kuppe des Reagenzglases abgesetzt haben 

(Y» Tag ca.), bis auf den Kuppeninhalt abgegossen werden — „ab- 

gegossen“; 

4. in Petrischaien mıt ca. 3—D5 cem Flüssigkeit, die sich in dünner 

Schicht über die ganze Schale verteilt. 

Die Versuche wurden mit 3 Stämmen des einen Geschlechtes in Kombination 
mit einem des entgegengesetzten Geschlechtes angesetzt. Zur klareren Darstellung 
mögen die beiden Geschlechter nach dem Vorgange von Zillig (1921) unter den in- 
differenten Bezeichnungen „a“ und „b“ geführt werden und zwar seien die von Kniep 
hauptsächlich zur Geschlechtsprüfung verwendeten Stämme 12d=a und l4d=D ge- 
setzt. Dieser Festsetzung entsprechen auch die Bezeichnungen Zilligs, so daß in 
allen Arbeiten des Würzburger Institutes die Geschlechter gleichartig benannt sind '). 
Die Indizes in den Tabellen geben die laufende Nummer der jeweils benützten Stämme 
wieder, die Zahlen bedeuten die Tage, nach denen die ‘ersten Kopulationen gefunden 
wurden. Die Häufigkeit der Kopulationen wurde nach folgendem Schema wieder- 
gegeben: 


DD 


— überhaupt keine Kopulationen 


+ — Kopulationen selten. 

En — = etwa in jedem 5.—10. Gesichtsfeld. 
++ = D) Tran, an 1.—5. 

+++ = mehrere in jedem Gesichtsfeld. 


— 7 besagt also z. B., daß auch nach 7 Tagen noch keine Kopulationen zu 
finden sind. 


Tabelle 1. 























a, ar b, a,,+ b, | a, mn b, 
= un 
Röhrchen hochgeschichtet +6 + 10 | +3 

„ normal oe ang 
n abgegossen +1 | + 1be0#1l 
|| | | 
Petrischalen Ina m per er 1200 +41 








Die Tabelle zeigt, dab in Petrischalen die Kopulationen bereits 
innerhalb eines Tages und in reichlicher Menge auftreten, dab in den 
Röhrchen die Kopulationen sich teilweise später oder in geringerer 
Menge einstellen. Der Unterschied dieser 4 Anordnungen liegt nur 


l) Reinkulturen beider Geschlechter von verschiedenen Wirtspflanzen sind der 
Zentralstelle für. Pilzkulturen, Baarn (Holl.) Javalaan 4 und Kräl’s bakteriol. Museum 
Wien IX/2, Zimmermannsgasse 3, übersandt. 


12 R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 


in der größeren oder geringeren Möglichkeit, in Gasaustausch mit der 
Luft zu treten. In Analogie zu dem sonstigen Einfluß des Sauerstoffs 
auf alle Lebensvorgänge liegt es nahe, hier speziell in dem reichlicheren 
Zutritt von Sauerstoff die kopulationsauslösende Ursache zu sehen. Der 
Versuch steht nicht als einzelner da, sondern wurde mehrmals mit prin- 
zipiell gleichem Ergebnis wiederholt. Das schnelle und reichliche Auf- 
treten von Kopulationen in Petrischalen wurde in mehreren Hundert 
sebrauchskombinationen des zweiten Teiles der Arbeit immer bestätigt, 
während man in Reagenzglasversuchen erst nach 5-6 Tagen auf Kopu- 
lationen in entsprechender Häufigkeit rechnen kann. 

Gegen die Bewertung dieses Versuches ließe sich im Brefeld- 
schen Sinne einwenden, daß er ja schon mit ganz nährstoffarmen 
Lösungen angestellt wurde. Es war also die Frage zu prüfen, ob der 
gleiche Einfluß des Gasaustausches auch bei Anwendung höher kon- 
zentrierter Flüssigkeiten sich nachweisen läßt. Daß dies der Fall ist, 
zeigt Versuch II, bei dem an Stelle von 0,01 % eine 3 % Malzlösung 
verwendet ist. 


Tabelle 2. 








3% Malzröhrchen abgegossen | +9 7 | 1% 
| 
3% Malz Petrischale May an 37 | Se re 


Das Auftreten von Kopulationen in hochkonzentrierten Nährlösungen 
bereits nach einem Tage, das in Parallelversuchen sich noch häufiger 
ergab, ist mit der Brefeldschen Erschöpfungshypothese unvereinbar. 
Denn es ist schwerlich anzunehmen, daß nach eintägigem Wachstum 
bereits Erschöpfung der Nährlösung eingetreten sein sollte. Das wäre 
erst in bedeutend älteren Kulturen zu erwarten. 

Aber auch lange bewachsene Kulturmedien sind weder durch ihren 
Mangel an Nährsubstanzen noch durch ihren reichen Gehalt an 
Abbauprodukten des Stoffwechsels von Einfluß auf Eintreten und 
Häufigkeit der Kopulation, wenn die Gasaustausch - Verhältnisse 
außer acht gelassen werden. Ein derartiger Versuch wurde mit 
3% und 0,1% Malzextrakt angestellt, der 2!/, Monate lang mit 
der Kultur b, bewachsen war und währenddessen häufig umgeschüttelt 
wurde, um der am Boden des Kulturgefäßes liegenden Sporidienmasse 
immer neue Nährflüssigkeit zuzuführen. Die überstehende Flüssigkeit 
wurde dann vorsichtig, ohne den Satz aufzuwirbeln, abgegossen, steril 
in Röhrchen in normaler Höhe gefüllt und zur Sicherheit eine Stunde 
im Dampftopf übersterilisiert. Dann Beimpfung mit gleichen Mengen 
von a- und b-Kulturen. 

Die Tabelle III bedarf im Vergleich zu I wohl keiner weiteren 
Erläuterung. 


R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 15 


Tabelle 3. 














3% Malz erschöpft 10) +10 
0,1 % Malz erschöpft ar Ic 


Brefeld hatte nun allerdings seine Versuche anders durchgeführt. 
Er war nicht von Sporidienreinkulturen mit bekanntem Geschlecht, son- 
dern von Brandsporenaussaaten ausgegangen. Es hätte ja möglich sein 
können, daß diese Unterschiede irgendwie auf das Endergebnis Einflub 
besitzen. Die Erledigung dieser Fragestellung gibt Versuch IV. 


Versuch IV. 


Brandsporenaussaat in 0,01% und 3% Malzextrakt in Röhrchen 
normaler Höhe und in Petrischalen. 














Tabelle 4. 
Kopulationen nach 
3% Malz in Röhrchen | 15—20 Tagen 
3% Malz in Petrischalen \ 3 Tagen 
0,01% Malz in Röhrchen | 3-4 Tagen 
0,01 % Malz in Petrischalen | 2 Tagen 





Also auch hier keine Abweichung von dem oben geschilderten Ver- 
halten. Die Unterschiede in dem Auftreten von Kopulationen in 0,01 % 
Malzextrakt sind hier gering. Doch mag sich dies aus der Beobachtung 
erklären, daß in stark verdünntem Malz die Brandsporen nicht unter- 
sinken, sondern an der Oberfläche schwimmend keimen und Sporidien 
abschnüren.. Sie besitzen dann natürlich auch im Röhrchen die Mög- 
lichkeit reichlichen Gasaustausches mit der Luft. 

Alle diese Ergebnisse sprechen dafür, daß nicht Erschöpfung der 
Nährstoffe oder Anhäufung von Stoffwechselprodukten die Kopulation 
auslöst. Vielmehr ist der intensivere Gasaustausch mit der Luft, den 
die Petrischalenmethode gegenüber der Röhrchenmethode gestattet, der 
realisierende Faktor. In den folgenden Versuchen wird der Nachweis 
geführt werden, daß tatsächlich, wie von vornherein zu erwarten, der 
leichte Sauerstoffzutritt zu den dünnen Flüssigkeitsschichten die wesent- 
liche Bedingung darstellt. 

Als erste sollte die Frage entschieden werden, wie die Verminde- 
rung des Luftdruckes, damit also auch Verminderung des O-Partiär- 
druckes, auf die Kopulation einwirkt. Die Versuche wurden unter 
Glasglocken mit 2 Zuführungswegen angesetzt. Die eine Zuführung 
war mit der Wasserstrahlluftpumpe, die andere mit einem Hg-Barometer 


[4 R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 


verbunden. Die Diffusion der Gase von Flüssigkeit zu Luft scheint 
ziemlich langsam vor sich zu gehen. Werden die Petrischalen sofort 
mit Sporidiengemischen dem veränderten Luftdruck ausgesetzt, so zeigen 
sie regelmäßig schon nach einem Tag Kopulationen. Werden die beiden 
Sporidienformen dagegen erst getrennt in Petrischalen unter vermin- 
derten Luftdruck gebracht und dann schnell zusammengegossen und 
wieder ins Vakuum gebracht, dann läßt sich eine gesetzmäßige Ein- 
wirkung des Luftdruckes feststellen. Da Kopulationen unter normalen 
optimalen Bedingungen bereits nach einigen Stunden eintreten, erscheint. 
das Verhalten der Sporidiengemische nicht unerklärlich. Der endgültige 
Gleichgewichtszustand zwischen den Flüssigkeitsgasen und den Luft- 
gasen würde also erst später eintreten, als dab der O-Gehalt der Flüssig- 
keit nicht noch zur Kopulation genügt hätte. Das Auftreten von Kopu- 
latıonen ist so beinahe ein Reagenz für die Schnelligkeit der Gasdiffusion. 


Versuch V. 
Sporidien in Petrischalen in 0,01 % Malz, erst 2—3 Tage getrennt, 
dann gemischt. 














Tabelle 5. 
Luftdruck: a+b, | »+b |23,-b; 
normal ee 
auf °/, erniedrigt +1 +1 +1 
auf t/, erniedrigt | —3 — 3 en 
auf !/, erniedrigt —4 —4 — 4 














Bei Ermiedrigung des Luftdruckes auf die Hälfte treten demnach 
keine Kopulationen mehr auf. 


Versuch W.T. 

Nun wurde der Einfluß verschiedener Gase mit der gleichen Ver- 
suchsanordnung durchgeprüft. Die Luft wurde bis auf !/,, ca. ausge- 
pumpt, dann mit dem zu prüfenden Gase unter der Glasglocke wieder 
normaler Druck hergestellt. Die Sporidien wurden wie im vorigen Ver- 
such erst einige Tage getrennt dem Gas ausgesetzt und dann erst mit- 
einander gemischt. 

Tabelle 6. 








\Aatb | .+b | 23,+b, 











Sauerstoffatmosphäre ++-+3 ++3| ++3 
Wasserstoffatmosphäre | —9 —9 —)9 
Kohlensäureatmosphäre | —6 —6 —b 











Stickstoffatmosphäre | —3 —) —) 


R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 15 


Von den untersuchten Gasen treten nur im Sauerstoff Kopulationen 
auf und somit ist der oben aufgestellte Satz bewiesen. 

Nachdem durch die vorhergehenden Versuche ein Optimum der 
Kopulationsbedingungen festgestellt war, Konnten auch weitere Fragen 
über die Bedeutung anderer Außenbedingungen in Angriff genommen 
werden. Durchgehends wurde jetzt die Petrischalenmethode angewendet. 


Versuch VII. 


Einfluß der Konzentration der Nährlösung: Malzextrakt in ver- 
schiedenen Verdünnungen. 




















Tabelle 7. 
a+b, | a, + b, 
3% Malz Re 
1% Malz | se art! 
0,1% Malz een 
0,01% Malz I+++1| +41 
001% Malz 1 Hit tH1 
Aqua dest. | ++1 | Ar 
| 





Die höheren Malzkonzentrationen hemmen also die Kopulationen 
deutlich. Am besten erscheint ungefähr 0,01 %% Malz. 


Versuch VIII 


Einfluß des Säure- und Alkaligehalts. Aqua dest. in Petrischalen 
mit verschiedenem HClI- und NaOH-Zusatz. Die Säuregrade geben an, 
wieviel com n/10-Lösung zur Neutralisation von 10 ccm Flüssigkeit bei 
Phenolphthalein als Indikator verbraucht werden. 























Tabelle 8. 

33R ? |a»+b |, +b 

Aqua dest. 2,5 alkalisch | — 3 —3 
Aqua dest. 1,5 alkalisch | —3 | mn) 
Aqua dest. 0,5 alkalisch hear 
Aqua dest. ganz leicht alkalisch | +++1+1+1 
Aqua dest. neutral \ ++1 ++1 
Aqua dest. 0,5 sauer | | — 4 
Aqua dest. 2,5 sauer | —4 | — 4 
Aqua dest. 4,0 sauer —4 | —4 





16 R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 


Hohe Säure- und Alkalimengen hemmen in gleichem Maße die 
Kopulation, während geringes Alkali sie befördert. Dementsprechend 
wurde für die Gebrauchskombinationen des Il. Teiles der Arbeit die 
verwendete 0,01 %0 ige Malzlösung ganz leicht alkalisch gemacht (1 Trop- 
fen n/l NaOH auf 100 ccm Flüssigkeit). 


Versuch IX. 

Versuch VII hatte gezeigt, daß hohe Malzkonzentrationen die Ko- 
pulation hemmen. Könnte diese Hemmung nicht auf dem höheren Säure- 
grade beruhen? 3% Malzlösung ist ungefähr 0,5 bis 0,8 sauer. Der 
Ansatz geschah in 3% Malz mit verschiedenen Säure- und Alkali- 
eraden in Petrischalen. 

Tabelle 9. 























td + 
3% Malz 1,4 alkalisch —3 +2 
3% Malz 0,5 alkalisch —+2 +1 
3% Malz ganz leicht alkalisch +41 +1 
3% Malz 0,6 sauer (normal) +3 +3 








Das Ergebnis, vielleicht nicht ganz so klar wie im vorhergehenden 
Versuch, zeigt, daß in leicht alkalischer Lösung am frühesten und 
reichlichsten Kopulationen auftreten. Die Hemmung durch konzentrierten 
Malzextrakt wird also wohl ın der Hauptsache auf seinen Säuregehalt 
zurückzuführen sein. 

Diese Anschauung wurde weiterhin bestätigt durch Versuche mit 
reinen Zuckerlösungen. Hierbei waren die Säure-Alkaliverhältnisse so 


gut wie ganz ausgeschaltet — die Reaktion von 3 % Maltose schwankt 
um 1-2 Tropfen n/10 KOH — nur der höhere osmotische Druck kon- 


zentrierter Lösungen war wirksam. Die Ergebnisse waren für alle be- 
nutzten Zuckerarten im allgemeinen gleichartig; deshalb sei hier nur 
der Maltoseversuch als Beispiel angeführt. 


Tabelle 10. 


\atb  a+b 











10%  Maltose Seat 


5% Maltose 1a | +1 
3% Maltose +1 | +1 
1% Maltose +1 +-+1 
0,1% _ Maltose +1 +41 
0,01% Maltose | ++1 | +1 





0,001 % Maltose ++1 ' ++1 











R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 17 


Außer den bisher angeführten Faktoren guter Sauerstoffzutritt, 
leichte Alkaleszenz -- scheint nur noch die Frage des osmotischen 


Druckes für die Kopulation von einiger Bedeutung zu sein. Dab etwa. 
eine bestimmte Stoffgruppe einen besonders befördernden Einfluß hätte, 
wie es Klebs (1898) z. B. für mehrere Kohlehydrate bei der Zygo- 
sporenbildung von Sporodinia nachgewiesen hat, oder dab andere deut- 
lich hemmend wirkten, dafür lieferten diesbezügliche Versuche keine 
Anhaltspunkte. Untersucht wurden von Eiweißstoffen Pepton „Witte“, 
Nutrose, Gliadinpepton (reines Präparat), von Aminosäuren Glykokoll, 
von N-haltigen organischen Verbindungen Asparagin, von Kohlehydraten 
Milchzucker, Maltose, Saccharose, von Alkoholen Glyzerin, immer in 
verschiedenen Verdünnungen von 1% bis 0,001 %. Meist traten in den 
stärksten Konzentrationen die Kopulationen später ein und spärlicher 
als in den: schwächsten, aber eine Bevorzugung eines dieser Stoffe 
in positiver und negativer Beziehung ließ sich nicht nachweisen. Die 
Versuche sind aber zu wenig ausgedehnt worden, um etwa behaupten 
zu können, daß es gar keine Körper gäbe, die die Kopulation hemmten. 
Bei eingehenderer Untersuchung würden sich wohl sicher organische 
Verbindungen auffinden lassen, bei denen man eine Säure-Alkalihem- 
mung ausschließen kann und die trotzdem durch ihre chemische Struktur 
hemmend einwirken. Da es aber unwahrscheinlich war, daß Versuche 
in dieser Richtung etwas wesentlich Neues zu der Hauptfragestellung 
ergeben würden, wurde davon Abstand genommen. Einige Versuche 
mit anorganischen Salzen aber ließen eine Hemmung deutlich erkennen. 
Als Beispiel sei das Verhalten von NaÜl ın Tabelle XI wiedergegeben. 




















Tabelle 11. 
ass see, 
0,01% Malz NaCl mfl I 6 
0,01 % Mala NaClm5 | 6 u: 
0,01% Malz NaCl m/1l0 +6 | +1 
0,01% Malz NaCl m/15 | Zu ei 





Zusatz von m/5 NaCl zur Malzlösung, die eine Erhöhung des 
osmotischen Druckes bedingt, hemmt die Kopulation. Man wird nicht 
fehl gehen, auch die Hemmung der höheren Konzentrationen der eben 
erwähnten Stoffe und der Maltose (siehe Tabelle X) auf Erhöhung des 
osmotischen Druckes zu beziehen. Gleichsinnig würde wohl die Beob- 
achtung zu deuten sein, daß in dem stark kalkhaltigen Würzburger 
Leitungswasser Kopulationen erst nach mehreren Tagen und dann schr 
spärlich auftreten. 

Wichtig ist noch die Bedeutung der Temperatur für den Kopulations- 
vorgang. Tabelle XII gibt eine diesbezügliche Versuchsreihe wieder. 

42. Band, 


) 
- 


AS  R. Bauch, Kopulationsbedingtingen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 
Tabelle 12, 


| a,—+b, a,b, | 2,4 b, 

















im Brutschrank bei 28° —5 —5 —5 
im warmen Zimmer 18—20° +++1/+++1'++-+]1 
im kalten Gewächshaus 10° ++1/+++1/++-+1 
im Freien —5° bis +5° 2 au“ +2 





Das Temperaturoptimum liegt also zwischen 10° und 20°. Allzu 
eroße Entfernung davon nach oben und unten hin hat deutlich hem- 
mende Wirkung. 

Von sonstigen Faktoren hätte vielleicht noch das Licht eine Rolle 
spielen können. Versuche, die unter sonst gleichen Bedingungen ange- 
setzt wurden, nur dab einmal der Ansatz in den frühen Morgenstunden 
oeeschah und die Petrischalen während des ganzen Tages dem zerstreuten 
Tageslicht ausgesetzt waren, dab ım anderen Falle der Ansatz am 
Abend bei elektrischem Licht erfolgte und die Petrischalen dann sofort 
unter sicheren Dunkelsturz gebracht wurden, ergaben keinerlei Unter- 
schiede. 

Fassen wir die Ergebnisse kurz zusammen: 

Der Kopulationsvorgang der Sporidien von Usti- 
lago violacea ist'in erster Linie’ abhäneie von:.dem 
Sauerstoffgehalt der Flüssigkeitoder der Möglichkeit 
cinesintensiven Gasaustausches mit der Luft, wie ihn 
dünne Flüssigkeitsschichten bieten. Erist ferner ab- 
hängig von dem Alkaligehalt des Mediums. Starkes 
Alkali und schon geringe Säuregrade hemmen den Vor- 
sang. Irgend ein besonders befördernder Einfluß von 
Körpern der Eiweiß- oder Kohlehydratgruppeistnicht 
nachgewiesen worden, doch hemmen diese Stoffe in 
hohen Konzentrationendeutlich,ebensowiehoherSalz- 
echalt des Mediums dureh ihre osmotische Wirkung. 
Die Kopulation erfolgt unabhängig vom Licht. Ein 
Temperaturoptimum ist deutlich vorhanden. Eine Ab- 
hängigkeit des Auftretens der Kopulationen von der 
Erschöpfung der Nährlösung bezw. der Anreicherung 
mit Stoffwechselprodukten, wie Brefeld (1833) es an- 
nahm, besteht nicht. All diese experimentell ermit-, 
belten äußeren Bedingungen entsprechen also im all- 
seemeinen denen, wie sıe der Pilz Jauch in der Natur 
vorfinden mag”). 

Bisher ‘wurden immer nur äußere Bedingungen berücksichtigt. Schon 
Knıep (1919) berichtete aber von verschieden guter Kopulationsfähig- 


‘) Die exakte Beherrschung der Kopulationsbedingungen machen den Antheren- 
brand zu einem günstigen Demonstrationsobjekt der „Isogamie“. 


R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 14 


keit seiner Sporidien und beobachtete auch, dab das Kopulationsver- 
mögen nach längerer Kultur nachläßt. Bei meinen Kulturen, die im 
Anfang der Arbeit wahllos aus einer großen Reihe frisch isolierter 
herausgegriffen waren, habe ich eine Abnahme der Sexualfreudigkeit 
nicht feststellen können. Noch jetzt, nachdem sie ca. 3, Jahr ständig 
von Malzagar zu Malzagar gezüchtet sind, kopulieren sie unter opti- 
malen Bedingungen noch ebenso tüchtig wie im Anfang. Auch Petri- 
schalenversuche mit -verschieden alten Kulturen gleicher Abstammung 
(darunter auch schon beinahe vertrocknete) ließen keine Abnahme der 
Kopulationsfähigkeit erkennen. Doch scheinen in gewissen Fällen tat- 
sächlich innere Bedingungen von Einfluß zu sein. Unter den mehreren 
Tausenden auf ihr Geschlecht geprüften Kulturen fanden sich hin und 


wieder einige —- ohne daß ihr Auftreten irgend eine Regelmäßigkeit 
erkennen ließ -——- die als „schlecht kopulierend“ zu bezeichnen waren. 


Erst nach mehrfachem Ansetzen in Röhrchen, der Gebrauchsmethöode 
tür den Massenbetrieb, konnten Kopulationen aufgefunden werden und 
dann meist spärlich. Mitunter führte auch der geduldige mehrmals 
wiederholte Ansatz im Röhrchen nicht zum Ziel. Dann gelang es aber 
immer unter den optimalen Verhältnissen der Petrischalenmethode eine 
Entscheidung über das Geschlecht des betreffenden Stammes zu fällen. 
Meist zeigten diese schlecht kopulierenden Stämme morphologische Ab- 
weichungen von der Norm. Eine größere oder geringere Zahl von 
Sporidien war bedeutend größer als normal, dick mit Reservefettkügel- 
chen angefüllt, häufig zeigen sie Biskuit- oder sogar hantelförmige Ge- 
stalt. Diese großen Formen wurden nie bei der Kopulation beobachtet, 
stets waren die wenigen in solchen Kulturen kopulierenden Individuen 
von normaler Größe. Der Gedanke liegt nahe, in derartigen schlecht 
kopulierenden Kulturen eine pathologische Erscheinung zu sehen, über 
deren Zustandekommen allerdings nicht einmal Vermutungen geäußert 
werden können. Daneben gibt es noch kleinere, individuelle Unter- 
schiede des sexuellen Temperamentes der Sporidien. So fanden sich 
z. B. häufig in dem gleichen Massenansatz unter sonst gleichen Be- 
dingungen (gleiche Nährlösung, gleicher zur Geschlechtsprüfung be- 
nutzter Teststamm) deutliche Unterschiede zwischen solchen Kulturen, 
die massenhaft kopuliert hatten und anderen mit nur wenigen Kopu- 
lationen, die erst nach längerem Suchen aufgefunden werden konnten. 
Wiederholte vergleichend ausgeiührte Versuche mit derartig. extremen 
Stämmen in Petrischalen ergaben fast stets, dab die schlecht kopulierenden 
Stämme auch unter diesen Bedingungen nach einem Tage weniger Ko- 
pulationen ausgebildet hatten als die gut kopulierenden. Doch war bei 
2--3tägiger Beobachtung dieser Vorsprung wieder eingeholt. Diese indi- 
viduellen Unterschiede können also nur geringfügiger Natur sein. 
Alle bisher wiedergegebenen Beobachtungen beziehen sich nur aul 
die Sporidien der Spezialtorm des Antherenbrandes von Dianthus del- 
/oides. Einige andere Spezialformen (Dianthus carthusianorum, Di. 
superbus, Silene nutans, Melandryum album) kopulieren unter den Für 
9% 





3) R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 


die Deltoidesrasse optimalen Bedingungen vbenso kräftig wie diese. 
Ferner lassen sich Bastardierungen z. B. von Di. deltoides mit Melandı. 
album, die im Röhrchen nur schwer zu erzielen sind, in. Petrischalen 
schon nach einem Tage gewinnen. So wird die Behauptung nicht allzu 
oewagt sein, daß die Kopulationsbedingungen der anderen Spezialformen 
die gleichen sind wie die für die Deltoidesform, mit Ausnahme aller- 
dings der von Saponaria offieinalis. Für diese ist schon durch die 
älteren Beobachter festgestellt, dann durch Kniep und Zillig wieder 
bestätigt worden, dab sie nur schwer oder gar nicht zur Kopulation zu 
bringen ist. Auch ich konnte bei verschiedenst variierten Bedingungen, 
auch unter den für die Deltoidesrasse optimalen, weder bei Eigen- 
mischung noch Kreuzungsversuchen mit anderen Rassen eine erhöhte 
Kopulationsfähigkeit erzielen. Vielleicht liegt hier eine Rasse vor, deren 
Kopulationsfähigkeit vermindert ist, oder deren Sexualstadıum ähnlich 
wie bei Ustilago maydis teilweise auf eine andere Stelle des Entwick- 
lungszyklus verlegt ist. 

Vergleichen wir noch, ob die für den Kopulationsakt der Ustilago 
violacea als überragend festgestellte Rolle des Sauerstoffs sich auch bei 
anderen Organismen wiederfindet. Die Bedingungen des Sexualaktes 
niederer Organismen sind im allgemeinen wenig eingehend abgesehen 
von den groß angelegten Untersuchungen Klebs - bekamt, die 0-Frage 
im speziellen nicht aufgerollt. Sowohl für Sporodinia wie für sämt- 
liche Mucorineen gilt der Satz, daß Zygoten nur in Luft, nie im Nähr- 
substrat gebildet werden. Das Gleiche trifft nach Racıiborski (1596) 
für Basidiobolus ranarum, nach Ternetz (1900) für Ascophanus, nach 
Claußen (1912) für Pyronema confluens und nach dem sonstigen 
Auftreten von Sexualprodukten der Ascomyzeten meist nur an der Luft- 
oberfläche ihres natürlichen Substrates für die große Mehrzahl der 
Ascomyzeten zu. Dem schließt sich die Beobachtung von Kniep (1915) 
über die Schnallenbildung gewisser Basidiomyzeten an, die auch nur 
ini Luftmyzel, nie in untergetauchten oder innerhalb des Substrates 
wachsenden Fäden auftreten. Für Sporidinia steht dieser Anschauung 
allerdings ein Klebsscher Versuch (1898) entgegen, wo Zygoten noch 
in einem Vakuum von 20--25 mm entstanden, unter Verhältnissen also, 
wo der Sauerstoffpartiärdruck nur noch minimal sein kann. Nicht 
ausgeschlossen wäre es aber, daß bei all den Formen mit Luftmyzel die 
Transpirationsverhältnisse von maßgebenderer Rolle sind als der Sauer- 
stoffzutritt. Doch liegen darüber bisher noch keine Untersuchungen vor. 


II. Sekundäre Geschleehtsmerkmale. 


Für die Spezialform des Antherenbrandes von Dianthus deltordes 
hatte Kniep (1919) ein merkwürdiges Verhalten mitgeteilt. Er ließ 
die Brandsporen in verschiedenen Nährböden keimen und isolierte dann 
aus diesen Brandsporenaussaaten in der üblichen Weise durch Platten- 
süsse Einsporidienkulturen. Diese wurden durch Kombination unter- 
einander auf ihr Geschlecht geprüft. Bei den Rassen aller untersuchten 








R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschleehtsmerkmale usw. >] 


Wirtsformen fanden sich die beiden Geschlechter ungefähr in einem 
Verhältnis von 50:50. Nur bei der Di. deltoides-Form kamen Ab- 
weichungen so bedeutender Art vor, daß sie nicht auf Rechnung des 
Z/ufalls zu schreiben waren. In einigen Versuchen. wo Malz- und 
Peptonzuckergelatine als Medium der Sporidienisolierung benutzt wurde, 


war nur das eine Geschlecht gezüchtet worden -- die Verhältniszahlen 
lauteten 190a:0b — in anderen das entgegengesetzte, in anderen da- 


gegen beide in ungefähr normalem Verhältnis. Kniep deutete diese 
Erscheinung bereits darin, daß sich die beiden Geschlechter irgend 
welchen Stoffen in den benutzten Nährmedien gegenüber verschieden 
verhalten, daß sie sich also nicht nur durch ihre geschlechtliche Ten- 
denz, sondern auch durch anderweitige Eigenheiten unterscheiden, kurz 
dab es sich hierbei wohl um sekundäre Geschlechtscharaktere physio- 
logischer Natur handele. Diese Frage soll im Vorliegenden eingehender 
untersucht werden. 

Die im Nachfolgenden gegebenen Zahlen beziehen sich auf das Verhältnis der 
als Einsporidienkulturen isolierten Geschlechter a:b; so.bedeutet z. B. 30:0, daß in 
diesem Falle 30 Kulturen des a-Geschlechtes und keine Kulturen des b-Geschlechtes 
gezüchtet wurden. Die Technik der Untersuchungen gestaltete sich gleichlautend der 


von Kniep angewendeten. Zuerst wurden die steril aus der Knospe entnommenen 
Brandsporen auf künstlichen Nährsubstraten zum Keimen und Sporidienbildung ge- 


bracht — „Brandsporenaussaat“ — und von den hier entstandenen Sporidienmassen 
dann Plattengüsse in Petrischalen hergestellt — „Sporidienisolierung“. Von den dabei 


gewachsenen Kolonien wurden in jedem Versuch 30 fortlaufend numeriert auf Schräg- 
agarröhrchen (3% Malz, 2% Agar) übergeimpft und nach genügendem Wachsen mit 
Teststämmen bekannten Geschlechts in Röhrchen mit 0,01 % Malzlösung (leicht alkalisch) 
kombiniert. Nach einem Tage hatten die Sporidien sich am Boden des Röhrchens .ab- 
gesetzt, die überstehende Flüssigkeit wurde abgegossen und nach 5—6 Tagen der Boden- 
satz auf Kopulationen untersucht. Die Petrischalenmethode, die ja schon nach einem 
Tage endgültige Ergebnisse liefert, wurde im allgemeinen wegen ihrer etwas größeren 
technischen Umständlichkeit nicht angewendet, nur dort, wo es sich darum handelte, 
schnell den Ausfall eines Versuches abzulesen. Wenn bei einer Kultur die Kombination 
mit dem a-Teststamm Kopulationen ergeben hatte, so wurde sie als b bezeichnet, ohne 
daß erst noch auf das Ausbleiben von Kopulationen bei Kombination mit dem b-Stamm 
geprüft wurde. Gab eine Kultur mit a keine Kopulationen, so wurde sie mit b kombi- 
niert und erst bei positivem Ausfall als a geführt. Keine Geschlechtsprüfung wurde 
abgeschlossen, ehe nicht mit einem der beiden Teststämme Kopulationen erzielt waren. 
Gelegentlich hätte es vorkommen können, daß die isolierte Kultur nicht einem Spo- 
ridium entstammte, sondern schon aus beiden Geschlechtern gemischt bestand. In 
diesem Falle wären von vornherein in der Kultur Kopulationen zu erwarten. Doch 
traten derartige „selbstkopulierende“ Stämme zu selten auf, um auf sie besondere Rück- 
sicht nehmen zu müssen. Auf 2160 mit beiden Geschlechtern geprüften Stämmen 
kamen im ganzen 15 selbstkopulierende. Dieser Fehler von 0,7% wurde aber durch 
die große Anzahl der in jedem Versuch isolierten Kulturen ausgeglichen. 


Die Beobachtungen von Kniep wurden in großem Umfange nach- 
geprüft. Dies geschah in vollständiger Anlehnung an seine Versuche 
durch Kompination von 1) 3% Malzlösung, 2) 3%, Malz, 10%, Gela- 
time, 3) 3%, Malz, 2%, Agar, 4) 0,5% Pepton. 3% Saecharose, 
10 % Gelatine zur Brandsporenaussaat und soweit sie fest waren, zur 
Sporidienisolierune. Das Resultat gibt Tabelle I. N 


99  R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 


Tabelle 1. 




















Brandsporenaussaat | DREIER 
in | Malzgelatine nn Malzagar 
3% Malz 28.20 28:0 11 »42 
Malzgelatine 22:3 188.0 4:20 
Peptonzuckergelatine 26:0 DEE RO 
Malzagar ER. 22 : 4 9:14 











Immer, wenn Gelatine gleich welcher Zusammensetzung zur Spo- 
ridienisolierung benutzt wird, treten nur a-Kulturen auf bezw. es er- 
gibt sich ein bedeutendes Überwiegen von a gegen b, während die 
Sporidienisolierung mit Malzagar entweder ein ungefähr gleiches Ver- 
hältnis von a zu b liefert oder im Gegenteil eine Verschiebung zugun- 
sten von b. Ohne besonderen Einfluß erscheint dabei das Nährsubstrat 
der Brandsporenaussaat. Auf den Medien, die hierfür benutzt waren, 
traten ‘später Kopulationen auf, in Malzagar schon nach 5 Tagen reich- 
lich, in den anderen nach 15-20 Tagen. wenn auch spärlicher. In den 
Brandsporenaussaaten waren also beide Geschlechter vertreten — ein 
Hinweis, daß die Verschiebung des Geschlechtsverhältnisses nicht auf 
dem Stadium der Brandsporenaussaat, sondern erst auf der Phase der 
Sporidienisolierung eingetreten war.  Endeültige Klarstellung dieser 
Frage geben eine Reihe weiterer Versuchsserien. 

Zuerst wurden an Stelle des 3 %0 Malz verschiedene andere Flüssig- 
keiten zu: Aussaat benutzt (Tabelle II). 


Tabelle 2. 














Brandapolikeneasat Sporidienisolierung mit 

in Malzgelatine a | Malzagar 
3% Saecharose 30.220.271 00.28) 0SU a SEE) 
3 %. Lactose 305.0 | — 10.519 
3.% Maltose 18:0. 0 May ee: 
3 % Mamnit | 18%:712 — Uı22 
3 % Imulin = | — RS 
3% Malz +3 % Giyzerin |, 18:11 | Zu 0: 50 
3% Malz +2 % Pepton | — = 1218 
3.%'Malz-+5.% Glykokall| 22.6 |: | 10.20 
Knopsche Lösung 23.26 — | 10420 

| 








R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 23 


Die Bedeutung der fett gedruckten Zahlen wird später eingehend 
erörtert werden. Einstweilen sei gesagt, daß diese Abweichungen von» 
dem geschilderten Bild nur scheinbar sind, sich in Wirklichkeit voll- 
kommen in dem gleichen Sinne — Hemmung des Wachstums des einen 
Greschlechtes —- deuten lassen. 

Worauf schon das Ergebnis des ersten Versuches hindeutete, das 
läßt dieser klar erkennen: Die Unterdrückung des einen Geschlechtes 
geschieht nicht in den Medien der Brandsporenaussaat, sondern erst 
in den Nährsubstraten, die zur Sporidienisolierung benutzt werden. Dieser 
Satz wird durch eine Reihe von Versuchen von anderen Gesichtspunkten 
ausgehend vollkommen bestätigt. Sie seien hier kurz geschildert. 


Versmeh Tl lT. 
Beeinflußt die Konzentration der Nährflüssigkeit bei der Brand- 
sporenaussaat das Geschlechtsverhältnis? Durchprüfung mit verschie- 
denen Konzentrationen von Malzextrakt. 


Tabelle 3. 











Sporidienisolierung mit 

















Brandsporenaussaat 
in Malzgelatine | er | Malzagar 
RT FRE eos | 950 6:24 
nn | 28:0 28:0.) 5.18 
BAR EE Il 29:0 30:0 10,219 
ER N | ey Ball) DER) NOS) 





Ergebnis: Die Konzentration des Aussaatmediums ist für die Ge- 
schlechtsverschiebung ohne Bedeutung. 


Versuch IV. 


Hat das Alter der Brandsporenaussaat Einfluß auf die Geschlechts- 
verschiebung? Es wäre denkbar, daß die Ausbildung der beiden Spo- 
ridiengeschlechter an den Promyzelien zeitlich verschieden erfolgte, oder 
auch, dab die Vermehrungsgeschwindigkeit des einen Geschlechtes größer 
wäre als die des anderen. Beides müßte sich an dem kleinen Ausschnitt 
der tatsächlichen Verhältnisse, den die 30 jeweils durchgeprüften Kul- 
turen bieten, als Verschiebung bemerkbar machen. Bisher war die Ab- 
impfung von der Brandsporenaussaat immer nach 5—6 tägigem Wachs- 
tum vorgenommen, jetzt geschah sie in bestimmten Zeitintervallen, aus- 
gehend von 2tägigem Wachstum in 2—-3tägigem Zwischenraum bis zu 
21 Tagen und schließlich nochmals am 43. Tage. Kombiniert wurden 
3% Malz, Malzgelatine, Malzagar als Medium der Brandsporenaussaat 
mit Malzgelatine und Malzagar zur Sporidienisolierung. Die Aufstel- 


7 


94  R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 
lung ist zu umfangreich, um sie im Druck wiederzugeben. 23 Einzel- 
versuche mit 638 durchgeprüften Sporidienkulturen ließen nur eine Deu- 
tung in dem oben gekennzeichneten Sinne zu. Auch das Alter der Brand- 
sporenaussaat ist ohne Wirkung auf die Geschlechtsverschiebung. 


Versuch V. 

Bedingt der Säure- oder Alkaligehalt des Mediums der Brand- 
sporenaussaat die Geschlechtsverschiebung? Ausgeführt wurde der Ver- 
such mit verschieden alkalisch und saurer 3% iger Malzlösung. Die 
Bezeichnungen geben wie bei den Kopulationsversuchen relative Werte, 
die Menge n/10 Säure oder Alkali, die 10 ccm der Flüssigkeit bei Phenol- 
phthalein als Indikator neutralisieren ; es bedeutet „4,0 alkalisch” dem- 
nach: 4 cem n/10 HCl werden verbraucht, um 10 ccm der Malzlösung 
zu neutralisieren. 


Tabelle 5. 








: Sporidienisolierung mit 
Brandsporenaussaat 








in Malzgelatine ee Malzagar 
3-% Malz 4,0 alkalisch 300 — | 
3% Malz 2,5 alkalisch _ _ BE20 
3 % Malz 1,0 alkalisch BOT 310). 8.0) 2:50 
; % Malz neutral 390 308 Sal) 141%:915 
3% Malz 0,5 sauer MDB) 28,0 12 
3% Malz 2,5 sauer — SZ, — 











Auch der Ausfall dieses Versuches steht ganz im Einklang mit 
dem der vorigen. 

Eine weitere Serie, die die Frage klären wollte, ob vielleicht durch 
Züchtung bei verschiedenen Temperaturen Abweichungen von dem bis- 
her Festgestellten eintreten (Brandsporenaussaat in 3% Malz bei 349, 
28°, 20°, 10° Sporidienisolierung mit Malzgelatine und Malzagar) ergab 
ebenfalls nichts Entgegensprechendes. 

Aus den Versuchen 1-5 geht somit klar hervor, daß in der Brand- 
sporenaussaat die beiden Geschlechter zu gleichen Teilen vorhanden sind. 
Die Verschiebung des Geschlechtsverhältnisses muß also während der 
Phase der Sporidienisolierung stattfinden, d. h. durch irgend welche 
Finflüsse des betreffenden Nährmediums müssen die Sporidien des einen 
Geschlechts entweder vollkommen abgetötet oder zum mindesten in ihrer 
Wachstumsenergie geschwächt werden. Welcher Art könnten nun die 
Eintlüsse der verschiedenen Nährböden sein? 

Überschauen wir kurz die Gesamtergebnisse, so gab Gelatine, gleich- 
eültig ob mit Malzextrakt oder Pepton und Zucker versetzt, fast durch- 


R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale ww. 25 


weg nur das a-Geschlecht, Malzagar dagegen entweder ein normales Ver- 
hältnis beider Geschlechter oder ein Überwiegen der b-Form. Das ver- 
schiedene Verhalten wird also in erster Linie auf Unterschiede der 
beiden gallertgebenden Substanzen, der Gelatine und des Agars zurück- 
zuführen sein. Die Unterschiede könnten sich nach zwei Richtungen 
hin erstrecken: 1) Nach chemisch-physikalischer Seite hin, 2) als rein 
chemische Differenzen. 

Die chemisch-physikalischen Unterschiede könnten sich auf den Kol- 
loidzustand, die mechanischen Verhältnisse der Spannung, des Zuges und 
Druckes innerhalb des Mediums, verschiedene Durchlässigkeit und Ab- 
sorptionsfähigkeit für Gase erstrecken. Es erscheint von vornherein 
etwas unwahrscheinlich, daß die Abtötung oder Hemmung des einen 
Geschlechtes mit diesen Mitteln erzielt wurde. Praktisch ist es fast 
unmöglich, z. B. den Kolloidzustand in weitgehenderem Grade zu ver- 
ändern, ohne daß das Medium nicht auch seine gallertgebenden Eigen- 
schaften verlieren würde. So konnte diese Frage experimentell nicht 
bearbeitet werden. Da es aber tatsächlich gelang, eine bestimmte Kör- 
pergruppe für die Verschiebung verantwortlich zu machen. so wird der 
Schluß nicht allzu gewagt erscheinen, die chemisch-physikalischen Unter- 
schiede der beiden Gallerten aus dem Ursachenkomplex der Geschlechts- 
verschiebung auszuschalten. 

Aber ein anderer Punkt muß hier noch erörtert werden. In der 
technischen Ausführung; des Isolierungsverfahrens bestanden doch noch 
Unterschiede zwischen den beiden Medien. Die Gelatine wurde immer 
im flüssigen Zustande beimpft, also Gußverfahren, während der Agar nach 
dem Erstarren durch Verteilung des Impfmaterials mit einem Glasspatel 
beimpft wurde. Daß aber diese Unterschiede ohne Bedeutung sind, zeigt 
Tabelle VI, in der beide Medien sowohl in Strich- wie in Gußmethodik 
beimpft wurden ?). 

Tabelle 6. 








zgelatine gegossen ZEE0 

Malzgelatine gego 28:2:0 

Malzgelatine gestrichen 30:0 
H 

Malzagar gegossen 56218 

Malzagar gestrichen Dee 








Somit mußte die Jagd nach den Ursachen der Geschlechtsverschie- 
bung bei den chemischen Verschiedenheiten beider Gallerten ansetzen. 
Da mußte sich zuerst der Gedanke aufdrängen, rein die Unterschiede im 
Säuregehalt der beiden Medien könnten die Unterdrückung des einen 
Geschlechts bewirken. In der Tat sind die Differenzen recht erheblich. 
2) Hier wie in sämtlichen weiteren Versuchen wird das Medium der Brand- 
sporenaussaat nicht mehr besonders angegeben. Es handelt sich dann immer um d—6 
Tage alte Brandsporenaussaaten in 3 % Malzextrakt. 


96 R.-Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 


Malzagar (nach der oben benutzten Wertangabe) schwankt zwischen 
0,6-—0,8 sauer, während Malzgelatine Werte von 2,4—2,3 sauer auf- 
weist, Peptonzuckergelatine etwas niedriger 2,3 sauer. 


Versuch. VM. 

Welchen Einfluß hat der Säuregehalt des Mediums der Sporidien- 
isolierung auf die Unterdrückung des einen Geschlechts? Sporidien- 
isolierung in „agarsaurer“ (relatine. „Gelatinesaurer“ Agar wird nicht 
mehr fest, auch nicht bei Verwendung von 5 % Agar. Dieser Versuch 
mußte somit ausfallen. 


Malzgelatine 2,5 sauer 28:0 


Malzgelatine 0,5—0,5 sauer 29451 


Spielte der Säuregrad hier eine Rolle, dann hätte in 0,3 0,5 saurer 
Gelatine das gleiche Verhältnis, wie es für Agar typisch ist, auftreten 
müssen. Das ist aber nicht der Fall. 

Die Unterdrückung des b-Geschlechtes durch Gelatine — nur diese 
soll in Folgendem behandelt werden, nicht die gelegentlich auf Malzagar 
auftretende Hemmung der a-Sporidien läßt sich weder durch chemisch- 
physikalische (mit Vorbehalt allerdings), noch durch Säuregradunter- 
schiede zwischen Gelatine und Agar erklären. Sondern in der Gelatine 
müssen irgend welche Stoffe vorhanden sein, die dem Agar fehlen und 
die die b-Sporidien in ihrem Wachstum hemmen, vielleicht sogar abtöten. 
Licht warfen auf diese Verhältnisse Versuche mit Gelatinesorten ver- 
schiedener Herkunft. In den ersten Versuchsserien waren auf den Gela- 
tineplatten stets annähernd gleichgroße Kolonien aufgetreten, die mit 
verschwindenden Ausnahmen dem a-Geschlecht angehörten. Eine später- 
hin in Gebrauch genommene Gelatinesorte (Friedensware, die ich der 
Liebenswürdigkeit von Frau Dr. Harder verdanke, wofür auch an 
dieser Stelle verbindlichster Dank gesagt sei) gab ein ganz verändertes 
Bild. Auf den 10-14 Tage alten Platten (Zimmertemperatur 18—20 ) 
waren Kolonien in ungefähr gleicher Anzahl von ganz auffallend ver- 
schiedener Größe gewachsen. Die großen Kolonien erwiesen sich bei 
der Geschlechtsprüfung sämtlich als a, die kleinen sämtlich als b. Hier 
war also die in den ersten Versuchen beobachtete vollkommene Uuter- 
drückung der b-Sporidien nicht eingetreten, die b-Kolonien waren nur 
gegenüber den a-Kolonien ganz erheblich in ihrem Wachstum gehemnit. 
Verschiedene Gelatinesorten verhalten sich hierin ganz verschieden. Die 
Tabelle VIII, in der, wie auch schon in den vorhergehenden, die kleinen 
Kolonien durch fette Zahlen wiedergegeben sind, zeigt ein stufenförmiges 
Absteigen von solchen Sorten, auf denen die Sporidien überhaupt nur 
sehr schlecht gedeihen, über solche der ersten Versuche, wo nur a-Formen 
wachsen, zu anderen, auf denen a als große und b als kleine Kolonien 
auftreten. An den Anfang dieser Reihe ließen sich noch Sorten stellen, 
aul denen weder a noch b zur Entwicklung kommt. Dab Größenunter- 
schiede der Kolonien bei den Sorten IT und II und Verschiedenheit der 


R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 2% 


Geschlechter parallel laufen, haben mehrfache Versuche immer wieder 
bestätigt. In 11 Versuchen unter verschieden veränderten Bedingungen 
wurden im ganzen 317 Kulturen isoliert. von denen genau den 214 »in 
den Protokollen als groß bezeichneten Kolonien 214 a-Stämme und den 
93 kleinen Kolonien 93 b-Stämme entsprachen. Bei zwei weiteren Ver- 
suchen traten Abweichungen auf, die in einem Falle darin bestanden, 
daß b nur unter den kleinen neben a auftrat, im anderen, daß auch unter 
die großen Kolonien einige wenige b eingesprengt waren, während die 
kleinen nur aus b bestanden, Abweichungen also, die im Prinzip dem 
oben geschilderten Bilde entsprechen. 


‚Tabelle 8. 








abstechbar | schiede der | 
nach ' Kolonien 


Wachstum 


| 
le Kolonien -|Größenunter- Geschlecht: 
| verhältnis 
| 








| Fr fr 
3 % Malz + 10 % Gelatine IV gehemmt 122 Tagen | unwesentlich 20:0 





3% Malz—+ 10 % Gelatine O0 gut 10-12  „ ec. unwesentlich 308 0 
3 % Malz + 10 % Gelatine I | eut 10-12 „ ee.| sehr scharf BAUER) 
3% Malz+ 10% Gelatine II | gut 10-12 „ee. sehr scharf 14266 


Besonders anziehend und interessant eestaltete sich diese Beob- 
achtung durch die Tatsache, daß die Sporidienkolonien auf Malzagar 
gerade das entgegengesetzte Verhalten zeigen. Auch hier sind mitunter 
deutlich große und kleine Kolonien zu unterscheiden, doch. gehören die 
sroßen dem b-Geschlecht und die kleinen dem a-Geschlecht an. Typisch 
für Malzagar ist im allgemeinen aber ein gleich gutes Wachstum von 
a- und b-Sporidien. Eine eingehende Durcharbeitung der Hemmung 
des Malzagars wurde noch nicht versucht. Es erübrigt sich also im 
Augenblick weiter darauf einzugehen. Jetzt soll nur über die Hemmung 
des b-Geschlechtes durch Gelatine Klarheit gewonnen werden. 

Durch diese Feststellungen war also der Kernpunkt des ganzen 
Problems verlagert. Nicht mehr handelt es sich darum, festzustellen, 
ob überhaupt nur das eine oder das andere Geschlecht vorhanden ist, 
sondern auf verschiedene Größe der Kolonien und auf die Frage, wel- 
chem Geschlecht die großen Kolonien, welchem die kleinen entsprechen, 
mußte geachtet werden. Nicht mehr die in den Tabellen wiedergegebenen 
Zahlen stellen das Wesentliche daran dar, sondern die durch Fettdruck 
bezeichnete Lage der kleinen Kolonien. Man hat es dabeı natürlich 
der Hand, bald nur große, bald nur kleine Kolonien abzustechen und so 
durch Ausfall der einen Sorte eine vollkommene Geschlechtsverschiebung 
zu erzielen. Das tatsächliche Geschlechtsverhältnis gibt jetzt nur die 
Zahl der auf den Platten gewachsenen großen und kleinen Kolonien 
wieder. Dieses Verhältnis war in der großen Mehrzahl der Fälle gleich 
1:1, eine weitere Bestätieune für den vorher erbrachten Nachweis, dab 


38 R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre &eschlechtsmerkmale usw. 


die Brandsporenaussaaten gleiche Mengen von a- und b-Sporidien. ent- 
halten. In 9 Versuchen nur weisen die Protokolle die Bemerkung auf: 
(roße Kolonien weniger als kleine, oder selten und umgekehrt. Das 
Protokoll weist aber in allen diesen Fällen nach, daß aus dem gleichen 
Röhrchen mit gekeimten Brandsporen eine Reihe von Sporidienisolie- 
rungen auf anderen Nährsubstraten vorgenommen war, und dab bei 
diesen ein Überwieeen von großen oder kleinen Kolonien und damit eine 
Verschiebung des tatsächlichen Geschlechtsverhältnisses nicht eintrat. 
Dies deutet auf irgend welche Zufälligkeiten hin, die außerhalb der 
Macht des Experimentators liegen. 

Die Beobachtung, daß die verschiedenen Gelatinesorten verschieden 
reich an dem .„Hemmungskörper“ sind, erlaubten, seine chemische Natur 
enger zu umgrenzen. Die Gelatine (Glutin) ist ein echtes Protein (siehe 
Cohnheim 1911). * Gewonnen wird sie durch Auskochen von Kol- 
lagen, der Grundsubstanz von Knochen und Knorpel. Wie die echten 
Eiweiße kann sie hydrolytisch oder durch eiweißlösende Fermente über 
Albumosen und Peptone zu Aminosäuren gespalten werden. Der voll- 
kommene Abbau bis zu Aminosäuren ergibt einen auffallend hohen Ge- 
halt von Glykokoll, ..Leimsüß“ (19 g in 100 g Glutin), ferner einen 
hohen Anteil von Glutaminsäure (14 &). Die anderen Aminosäuren ver- 
schwinden hinsichtlich ihrer Menge hinter diesen beiden. Das käuf- 
liche Handelsprodukt ist natürlich noch mit allerhand mehr oder weni- 
ser scharf chemisch faßbaren Substanzen verunreinigt. Sie enthält ferner 
verschiedene Salze. 

So war nun die Frage zu entscheiden: Welcher der 3 Bestandteile 
des Handelsproduktes, das Glutin, die organischen Verunreinigungen, 
oder die Salze bedingen die Hemmung des b-Geschlechtes? 

Beginnen wir mit der Frage nach der Bedeutung der Salze. Darüber 
brachte folgende Versuchsanordnung Klarheit. 


Versuch, 1X: 

20 2 Gelatine werden 3 Tage lang in der Kälte mit 100 ccm Aqua 
dest. ausgezogen. Die Annahme ist erlaubt, daß nach dieser Zeit durch 
Diffusion zwischen dem Salzgehalt der Gelatine und des Wassers sich 
ein Gleichgewichtszustand eingestellt hat. 50 ccm dieses Gelatine- 
wassers werden mit 300 Malz und 2% Agar zum Nährboden ver- 
arbeitet. Die hierin enthaltene Menge von Salzen entspricht also der 
sonst in 10 % Gelatine befindlichen. Die Platten wiesen keine beson- 
deren Größenunterschiede auf. Das Geschlechtsverhältnis betrug 16:13, 
also nichts von Hemmung und Unterdrückung der b-Sporidien. Die 
Salze der Gelatine sind somit für unsere Frage wohl bedeutungslos. 

Nun die Rolle der organischen Verunreinigungen, die die Herstel- 
lungstechnik des Handelsproduktes mit sich bringt. 

Diese können je nach dem Ausgangsmaterial und der Fabrikations- 
art verschiedenster Natur sein. Doch erübrigt es sich, näher darauf 
einzugehen. Es mußte versucht werden, sie durch weitergehende Reini- 


R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 20 


eung zu entfernen. In der physiologischen Chemie *sind verschiedene 
Methoden zur Herstellung reiner Glutinpräparate üblich. Als bestes 
wird das von Sadikoff (1916) veröffentlichte Verfahren angegeben. 
Es besteht in einem Auswaschen mit 20 % MgSO,-Lösung, Auflösen 
darin, Ausfällen’ des Glutins mit HCl, Auswaschen und Lösen ın Aqua 
dest., Fällen mit Alkohol, Neutralisieren der Säure mit‘ NH,, wieder- 
holtem Auswaschen der Alkoholfällung, die dann gebrauchsfertig ist. 
Die nach dieser Methodik gereinigte Gelatine erstarrte bei Zimmer- 
temperatur nicht mehr, erst bei ca. 10%. Die Platten mußten daher im 
kalten Gewächshaus gehalten werden, dementsprechend war das Wachıs- 
tum der Kolonien verzögert. Erst nach 40 Tagen waren 'sie reif zum 
Abstechen. Gewisse Größenunterschiede waren zwar entwickelt, doch 
nicht sehr ausgesprochen. Die Prfüung gab das Verhältnis 30:6. Nur 
unter den kleinen Kolonien war b vertreten, daneben aber auch 4 a-Kul- 
turen. Die eroßen bestanden nur aus a. Im. Prinzip stimmt das 
Resultat also mit dem sonst bei Gelatine üblichen überein. Die Tat- 
sache, daß trotz Elimination der Verunreinigungen doch die Hemmung 
des b-Geschlechtes erhalten bleibt, beweist klar, daß diese Verunreini- 
oungen ohne Einfluß auf die Hemmung sind. 

Das wirksame Agens müssen wir also in den Eiweißstoffen des 
Glutins selbst suchen. Der Weg, um der Bedeutung der Eiweibstoffe 
beizukommen, bot die Benutzung von Agar- und  Greelatinegemischen. 
Gibt man gewöhnlichem Malzagar einen. Zusatz von 10% Gelatine, so 
tritt in den Endresultaten nur die Wirksamkeit der Gelatine hervor. 
Wir erhalten wieder die typische Hemmung bezw. Unterdrückung der 
b-Sporidien. Eine quantitative Auswertung derartiger Mischnährböden 
eibt Versuch X. 


Tabelle 10. 


Malzagar+ 10 % Gelatine 








60:0°u. 2456 


Malzagar-+9 % Gelatine | 16 : 18 

Malzagar-+8% Gelatine |) 26 249 

Malzagar—+7 % Gelatine | 142,18 

Malzagar +5 % Gelatine A025 

Malzagar+1 % Gelatine | 6: 24 
| 


Zusatz von 700 Gelatine zum Malzagar vermag noch das b-Ge- 
schlecht zu hemmen, bei einer Mischung von 5 % Gelatine mit Malzagar 
ist 'aber der Hemmungskörper nicht mehr im genügenden Maße vor- 
handen. Hier kommen jetzt die Stoffe des Malzagars zur Wirkung, die 
das a-Geschlecht hemmen. Diese Methodik erlaubte, den Einfluß ver- 
schiedener Veränderungen der Gelatine durchzuprüfen. Wie weit kann 
die Gelatine abgebaut werden, bis sie in Mischung mit Agar die b-Form 
nicht mehr hemmt? , 


. 


30 R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 


Der Abbau wurde einmal auf einem schonenden Wege durchgeführt. 
Bei längerem Erhitzen im Dampttopf wird die_ Gelatine teils durch die 
Wärme, teils auch durch ihren Säuregehalt zu Albumosen eventl. Pep- 
tonen aulgespalten und erstarrt dann nicht mehr. Einen Versuch dieser 
Art eibt Tabelle X1. R 


Tabelle 11. 








Ri; || 
Malzagar + 10 % Gelatine 24 Stunden im Dampftopf | 16 : 13 
Malzagar + 10 % Gelatine 5 Stunden im Dampftopf 6924 


Es gelingt also durch längeres Erhitzen das Glutin soweit abzu- 
bauen, daß es seine hemmende Wirkung auf die b-Sporidien nicht mehr 
ausübt. Wie weit hierbei der Abbau gegangen ist, liebe sich erst ana- 
Iytisch feststellen. Mit einer gewissen Sicherheit kann man aber Spal- 
tung bis zu Aminosäuren durch Hydrolyse mit starken Säuren an- 
nehmen. 

Verstich X IT. R 


50 cem 1% Gelatinelösung wurden mit 1 ccm konz. HÜl 1 Stunde 
lang gekocht, dann mit KOH bis fast an den Neutralpunkt herangebracht 
und mit 3% Malz und 4% Agar zum Nährboden verarbeitet. Die 
Platten wiesen zwar deutlich unterschiedliche Kolonien in sleicher An- 
zahl auf, aber die beiden Geschlechter waren nicht auf große oder 
kleine beschränkt —- 8:22. Die hemmende Wirkung der Gelatine war 
also durch den Abbau bis zu Aminosäuren bezw. noch weiteren Spalt- 
produkten aulgehoben worden. Schon dieses Ergebnis weist darauf hin, 
daß der Hemmungskörper oberhalb der Aminosäuren zu suchen sein wird. 

Ein dritter Abbauversuch wurde mit dem peptischen Enzym der 
Sporidien vorgenommen. Ein Kölbchen mit 100 ecm Malzgelatine wurde 
mit einem Sporidiengemisch beider Geschlechter beimptt. Nach 2 Mo- 
naten war die Verflüssigung so weit fortgeschritten, dab 5) cem davon 
unter nochmaligem Zusatz von 3% Malz mit 2% Agar zum Nähr- 
substrat verwendet werden konnten. Sehr deutliche Unterschiede in der 
Größe der Kolonien traten auf, die Geschlechtsprüfung zeigte aber den 
Agartyp — 10:10. Auch hier hat die fermentative Spaltung die 
Hemmung aufgehoben. 

Diese Abbauversuche erlauben natürlich nur ungefähre Vermutungen 
iiber den dabei erzielten Grad der Spaltung des Glutins auszusprechen. 
Eine bestimmte Umgrenzung der letzten noch wirksamen Abbaustufe 
war erst von Versuchen mit reinen Präparaten zu erwarten. Derartige 
reine Präparate von Spaltprodukten sowohl des Glutins als auch anderer 
Biweibkörper verdanke ich der Liebenswürdigkeit von Herrn Geheimrat 
Abderhalden (Halle), wofür auch an dieser Stelle herzlichster Dank 
gesagt sei. Kine Mischung von 1% Glutinpepton mit Malzagar 2. B. 
gibt noch deutlich die kleine Hemmung wie Gelatine — 15:15. Die 
beiden quantitativ am meisten hervortretenden Aminosäuren der Gela- 


> 


R Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 31 


tine, das Glykokoll und die Glutaminsäure®) hemmen aber die b-Spo- 
ridien nicht mehr. Tabelle XIII zeigt eine Versuchsreihe mit diesen 
beiden Substanzen. 


Tabelle 13. 








Malzagar+5 % Glykokoll 6:23 
Malzagar-+2 % Glykokoll DB’ 25 
Malzagar+1 % Glykokoll 12,218 
Malzagar+0,5 % Glykokoll 6: 24 
Malzagar +2 % Glutaminsäure 218 


Die Hemmungswirkung der (Gelatine ist durch diesen Versuch 
nach unten hin einigermaßen umgrenzt. Eine noch schärfere Umeren- 
zung wäre vielleicht mit Polypeptiden zu erreichen gewesen, doch standen 
mir derartige Kostbarkeiten nicht zur Verfügung. Offen bleibt aber 
noch die Frage, ob das unabgebaute Glutin als solches schon hemmt, oder 
ob die Hemmung bei Benutzung der Handelsgelatine etwa nur durch 
die darin stets enthaltenen bezw. bei der Sterilisation entstehenden 
Albumosen oder Peptone ausgeübt wird. Diese Frage konnte nicht direkt 
geprüft werden. Sondern nur indirekt konnten aus dem Verhalten anderer 
Eiweibkörper Schlüsse gezogen werden. In Tabelle XIV sind die Ergeb- 
nisse von Versuchen mit anderen Eiweißbkörpern, teils reinen Präpa- 
raten, teils Rohprodukten, zusammengestellt. 

Das wichtigste Ergebnis dieser Versuchsserie liegt darın, dab man 
auch durch Zusatz einer ganzen Reihe anderer Eiweibarten als Gelatine 
zum Agar eine Hemmung des b-Geschlechtes erreichen kann. Von den 
senuinen Eiweiben ist das Edestin als einziges wirksam. Doch läbt 
sich dieses Ergebnis nicht als Beweis dafür anführen, daß den nativen 
Eiweiben als solchen die Hemmungswirkung zukommt. Denn bei der 
Bereitung des Edestinagar war es nicht zu umgehen, die hohe Tempe- 
ratur des Dampttopfes darauf einwirken zu lassen, wobei das Eiweib 
koagulierte und sicherlich teilweise weiter aufgespalten wurde. Erst 
(diese Spaltprodukte könnten die b-Sporidien unterdrückt haben. Das 
Alkalialbuminat dagegen, das beim Kochen nicht mehr gerinnt, gibt 
auch in höheren Konzentrationen als den sonst angewendeten keine 
Hemmung. Von den reinen Albumosen- und Pepton-Präparaten und 
ebenso von den daran reichen Nährpräparaten sind alle mit Ausnahme 
des Plasmon wirksam. Diese Ergebnisse führen also zu der Anschau- 
ung, dab nicht die nativen Eiweibkörper auf die b-Sporidien schädigend 
einwirken, sondern dab erst ihre Spaltprodukte der Albumosen- und 
Peptonstufe hemmen. Eine Stütze findet diese Anschauung in den Be- 
obachtungen der Tabelle VIII, daß die verschiedenen Gelatinesorten 


3) Diese verdanke ich dem freundlichen Entgegenkommen von Herrn Prof. 
Ackermann (Würzburg). 


39 __R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 


Tabelle 14. 





























; a:b 
a _ — _ _ — = = r= = = = u — —— —— 
3% Saccharose 2% Agar 1% Kasein nach Hammersten N zer 
BD, r ANA NE Nolte a 5 e 16 728 
BR 2% „1% Edestin (Merck) 21,248 
3% 2%. 40. 1,%  Alkalialbuminati(Grübler) 12 : 10 
3 „ 2 % ” > % „ » 2109 
Bn% R 2% „1% Deuteroalbumose (Abderhalden) 2:10 
3% ei 2 „ 1% Protalbumose (Merck) 182141 
3% e DEN „ 1% Dysalbumose (Merck) hl 
3% ee 2% ,„0,5 % Seidenpepton (Abderhalden) 1741 
30 ® 2% „0,5 % Gliadinpepton (Abderhalden) 172 
3% RN 2% „0,5 % Pepton aus Eiereiweiß (Abderhalden) 24:6 
90% . 2% _ ,„ Alkalialbuminatserum nach Klein (4: 1) POWER 
207% > 2% ,„.1% Materna (Dr. Klopfer-Dresden) Era 
87% & 2,0%. 9891,9%67 Nutrose Er 
3% > 2% „25. .% Urkraft (Oettker-Werke-Bielefeld) 17:12 
BA x BER un al, lasımon 14416 
30% x DE en RDRNR 7 10 : 20 
3% an 2.% 50,94% VPepton ,(Witie) 66:21 
230 er 27% „ mit Fleischbrühe als Grundlage Dame] 
3% re 20% „ kondensierte Milch 1:5 verdünnt Do 


in verschiedenem Grade hemmend wirken. Wäre das native Glutin, das 
den Hauptbestandteil der Handelsgelatine ausmacht, das wirksame Prin- 
zip, so ließe sich diese verschiedene Wirksamkeit schwer einsehen. Der 
Anschauung aber, daß die Albumosen-Peptonaufspaltung je nach Um- 
ständen sehr schwanken kann, stehen keine Schwierigkeiten im Wege. 
Eine weitere Stütze lieigt in den quantitativen Auswertungen der ein- 
zelnen Eiweiße. Ein 5 % Gelatinezusatz zum Agar war bereits unwirk- 
sam, während die Albumosen und Peptone noch in 0,5 bezw. 0,25% Zu- 
sätzen wirksam sind (siehe Tabelle XV). Hoher Peptongehalt (1% 


Tabelle 15. 














3% Saecharose 2% Agar 1% Pepton (Witte) | 23:7 
%Y } 2% „ 0,5 % Pepton 16.066:53.21 
3% N 2%.%,20,25%: Pepton 1% 15.245 
3% A 2:97 0 Penton | 15 : 8 
3% # 2%... „ 0017%7-Pepton 127017 
3% r DROR Saze 1 % Nutrose, I. 


3% 7 2% 110 N Narirose I 


R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 33 


bis 1,5 %) schädigt überhaupt das Wachstum beider Geschlechter. Erst 
nach ungefähr 1 Monat waren auf den Platten ganz kümmerliche Kolonien 
gewachsen, — ein Parallelfall zu den Gelatineproben, die überhaupt keine 
Sporidien aufkommen ließen. SoistdieAnschauungzwarnicht 
direkt bewiesen, doch indirekt durch Vergleich mit 
anderen Eiweißartenwohlbegründet,daßdaswirksame 
Prinzip der Handelsgelatine nicht das native Glutin 
ist, sondern daß es die in geringen Mengen darin vor- 
handenen Spaltprodukte des Glutins der Albumosen- 
oder Peptonstufe darstellen. 

Zur äußersten Vorsicht, um Vergleichsergebnisse bei dem doch recht 
diffizilen Arbeiten mit Eiweißkörpern in der Hand zu haben, wurden 
noch Versuche mit einer anderen Gallert gebenden Substanz als Agar, 
der Kartoffelstärke, ausgeführt. 8% Kartoffelstärke, die durch vor- 
sichtiges Erhitzen auf dem Wasserbade von 70-80 verkleistert wird, 
ojbt eine brauchbare Gallerte, ohne daß Flockenbildung dabei stets zu 
vermeiden ist. Auch hierbei hemmt der Peptonzusatz (0,5 % das b-Ge- 
schlecht — 18:7 — während in reiner Stärkegallerte beide Geschlechter 


oleichmäßie —- 34:19 -—- auf erößere und kleinere Kolonien verteilt 
sind. 


Nachdem die Bedeutung der Eiweibkörper für die Hemmung des 
b-Geschlechts klargestellt war, ergab sich die Frage, ob nicht noch 
anderen Stoffen diese Hemmung zukäme. Die Protokolle einiger Stich- 
proben mit organischen Körpern gibt Tabelle XVI wieder. Keiner der 
untersuchten Stoffe hat eine hemmende Wirkung auf das b-Geschlecht. 


Tabelle 16. 








Malzagar + 1% Asparagin | 11:19 


Malzagar + 0,01 % Phenol | GL 
Malzagar + 0,005 % Phenol | 8::"19 
Malzagar + 1 % Dextrin | 9:21 
Malzagar + 3 % Gilyzerin 6:23 
3 % Mannit 2% Agar 9220 
3 % Inulin 2% Agar | 1.1219 
3 % Maltose 2% Agar | 12:8 


Ein positives Ergebnis brachten aber entsprechende Versuche mit 
verschiedenen Salzzusätzen zum Malzagar. Tabelle XVII zeigt, daß von 
allen untersuchten Salzen allein das Dinatriumphosphat in 2% Zusatz 
das Wachstum der b-Kolonien zurückhält. Der Versuch wurde mehrmals 
mit gleichsinnigem Resultat angestellt. Auffallend ist es, dab das ent- 
sprechende Dikaliumphosphat, sowie Ammon-Magnesium-Oalciumphos- 
phat ohne Wirkung bleiben. Die Hemmung kommt allein den Na,HPO, 

42 Band, 3 


A 
fi 


34 R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 


zu. Die Tabelle zeigt noch als Nebenbefund, daß bei Zusatz gewisser 
Salze (5%, NaCl, 1% Kaliumferrozyanid) die Hemmung der a-Spori- 
dien, die mitunter dem Malzagar eigen ist, zu einer absoluten Unter- 
(lrückung der a-Kolonien gesteigert werden kann. 

Dieser Befund ließ den Verdacht aufkommen, dab die Hemmung 


der Eiweiße überhaupt nur auf ihrem seinerzeit nicht kontrollierten Ge- 


halt an Natriumphosphat beruhe. Für einige der ungereinigten Handels- 
präparate wird von den Herstellern ein erheblicher Gehalt an Phos- 
phaten angepriesen. In einigen der reinen Eiweiße aber ließ sich auf ana- 
lytischem Wege kein Phosphat nachweisen. Daneben entkräftete aber ein 
Versuch mit veraschtem Eiweiß diesen Verdacht. Ein Zusatz von 3 % 
Asche von Materna (vom Hersteller als besonders phosphatreich be- 
zeichnet) zum Zuckeragar brachte ein normales Verhältnis beider Ge- 
schlechter —- 13:17. Damit ist dieser Einwurf widerlegt. 


Tabelle 17. 





Malzagar 2.59% Na®l 10 : 10 
mn. NaQl | 0:30 
n + 5% KCl 67:21 
„+ 1% NaHPo, 19:11 

+ 2% Na,HPO, 57.2: 719 
2 + 3% Na,HPO, 54:6 
„ 22% RHPO, 22 36 
x NK HPO, Pa ERS 9 
6; + 1% KH,PO, 13219 

En ON REPORT 12:15 
„ + 3% KH,PO, 9:20 
a +05% K,PO, 12 2\18 
3 + 2% MsHP0, 11: 19 
„. + 3% MeHP0, 26:10 
% ai 9a NE, HBRO N. 212.246 
u + 1% (NH,,HPO, 11 :718 
> + 3% R,S0, | 623 
y. + 3% KNO, 5:24 
5 + 5% KCI0O, 6: 24 
» +: 1% K,Fe(CN), 0:18 








Alle diese etwas weitschweifigen Exkursionen in die physiologische 
Uhemie haben gleichzeitig die Hauptfragestellung nach sekundären Ge- 
schlechtsmerkmalen der Sporidien geklärt. Fest steht, daß verschiedene 
Eiweißkörper und Dinatriumphosphat in bestimmten Konzentrationen 
die Kolonien des b-Geschlechtes in ihrem Wachstum gegenüber den 
a-Kolonien hemmen oder sogar vollkommen unterdrücken. Die beiden 





TE 


R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 


c 
= 


Geschlechter reagieren also unter sonst gleichen Außenbedingungen auf 
den gleichen Stoff verschieden, unterscheiden sich somit außer in ihrer 
geschlechtlichen Tendenz noch durch physiologische Eigentümlichkeiten. 
In Analogie zu den Erscheinungen bei Tieren und höheren Pflanzen ist 
man berechtigt, auch hier von sekundären Geschlechtsmerkmalen, aber 
physiologischer Natur zu sprechen. Daß diese Merkmale genotypisch 
verankert sind, dafür spricht die Beobachtung, dab auch Brandsporen- 
material von Dianthus chinensis, die durch Zillig mit Sporidien der 
Spezialform von Di. deltoides infiziert worden war, das typische Bild 
der Unterdrückung des einen Geschlechts aufwies. Die Passage über 
einen neuen Wirt und das Durchlaufen des diploiden Brandsporen- 
stadiums hatte also diese Merkmale nicht verwischt. Die Verhältnisse 
beim Antherenbrand gleichen darin in manchen Beziehungen denen der 
heterothallischen Mucorineen. Für verschiedene von ihnen hatte schon 
Blakeslee ein reicheres üppigeres Wachstum des einen Greschlechts 
(-) festgestellt gegenüber dem anderen (-). Orban (1919) hat 
dann diese nur bei eingehender Betrachtung bemerkbaren Unterschiede 
bei Phyeomyces niltens durch Auswahl besonderer Nährbodenzusammen- 
setzungen noch verschärfen können. So bildete das -—- Geschlecht auf 
Malzagar mit Eosinzusatz bereits nach 2 Tagen zahlreiche Sporangien, 
während der — Stamm noch keine autwies. Die schärfsten Unterschiede 
bestanden in der Schnelligkeit der Sporenkeimung. Auf Malzagar mit 
IS 0 KNO, oder 7% NaCl keimen — Sporen überhaupt nicht mehr, 
während -- Sporen ungehindert zu Myzelien auswachsen — ein Ver- 
halten, das an die vollkommene Unterdrückung der b-Kolonien durch 
gewisse Gelatinesorten erinnert. Ob es möglich ist, das Geschlecht eines 
Phycomyces-Stammes nicht durch Kombination mit Stämmen bekannten 
Geschlechtes, d. h. auf dem Wege der Geschlechtsprüfung, sondern 
rein aus seinen sekundären Merkmalen zu bestimmen, hat Orban nicht 
untersucht. Einige diesbezügliche Versuche beim Antherenbrand seien 
hier wiedergegeben. 

Nach den vorherigen Resultaten hätte man erwarten können, dab 
dıe b-Sporidien auf gewissen Grelatinesorten überhaupt nicht wachsen 
würden. Das war aber nicht der Fall. Bei Beimpfung von Gelatine, 
die sonst die b-Sporidien vollständig unterdrückte, mit Reinkulturen 
wuchsen die b-Stämme ebenso gut wie die a-Stämme. Die Impfung einer 
Gelatine, auf der sonst die b-Kolonien gehemmt waren, mit genau aus- 
gezählten Mischungen beider Geschlechter (Auszählen der Sporidien- 
Aufschwemmungen im T'homa-Zeiß-Blutkörperchenzählapparat, Mischen 
der Aufschwemmungen zu gleichen Teilen, Abimpfen von der gründlichst 
seschüttelten Mischung) lieferte auch nicht das erwartete Bild. Ein 
Versuch, der von einer Mischung im Verhältnis 110:96 ausging, bot 
ein Verhältnis von 17:11, ein anderer mit 53:64 ein Verhältnis von 
26:32, ohne daß in den Platten die sonst gewohnten scharfen .Größen- 
unterschiede aufgetreten wären. Hier mag vielleicht die Kultur auf 
künstlichem Nährsubstrat, die sich bei den benutzten Stämmen auf über 

3r 


365 R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 

6 Monate belief, die sekundären Unterschiede verwischt haben. Paral- 
lelen dazu könnte man z. B. in der allmählichen Anpassung mancher 
pathogenen Bakterien wie Meningokokken, Gonokokken usw. an die Kultur 
sehen. Das gleiche negative Resultat wie die Gelatineversuche gaben 
Nährböden anderer Zusammensetzung (2%, 1%, 0,1% Pepton; 3 % 
Glyzerin; 2% Glykokoll; 1,5% Stärke; 1% Lävulose; 10% Inulin; 
10 Milchzucker: 1% Traubenzucker; 1% Harnstoff. Malzagar mit 
Zusatzi'von:" 1,9% »Deuteroalbuimose:77,5% 2,3%, 132, RNO:: 7252, 
Na,HPO,; 7,50%, 5% Na0l; 1% Ky,Fe (CN),)- Nie war bei Be- 
impfung mit je einer Öse einer ganzen Reihe von Stämmen beider Ge- 
schlechter ein ausschließliches Wachstum des einen zu beobachten. Be- 
sondere Hoffnungen waren auf den Deuteroalbumoseagar gesetzt worden. 
Auf den Platten der Versuchsreihe XIV waren seinerzeit die Unter- 
schiede zwischen großen und kleinen Kolonien besonders scharf gewesen. 
Bei obertlächlicher Betrachtung zeigten die 13 Tage alten Platten nur 
Kolonien von ungefähr gleichem Durchmesser, wie sie sonst als „erob“ 
bezeichnet wurden. Erst genaueres Hinsehen ließ daneben noch win- 
zieste Pünktchen erkennen, die sich unter dem Mikroskop als Kolonien 
erwiesen. Diese winzigen Kolonien waren erst nach 25 Tagen zu der 
Größe herangewachsen, wie sie sonst die gehemmten b-Sporidien zeigten. 
Aber auch mit diesem Deuteroalbumoseagar ließen sich die Geschlechter 
nicht unterscheiden. Eine Prüfung der Geschlechtstendenz der Spori- 
dien mittels ihrer sekundären Geschlechtscharaktere läßt sich also im 
Augenblick vielleicht wegen einer allmählichen Verwischung der Unter- 
schiede durch die Kultur nicht durchführen. 

Weiteres Interesse beanspruchte die Frage, ob sich die Sporidien 
nicht noch durch andere Merkmale sekundärer Art als in ihrem Ver- 
halten gegen Eiweißkörper und Natriumphosphat unterscheiden. Ein 
weiteres Merkmal haben die obigen Versuche bereits beigebracht. Auf 
Malzagar tritt gelegentlich das umgekehrte Verhältnis ein als auf-Ge- 
latine oder Eiweißagar, das durch NaÜUl-Zusatz noch verstärkt werden 
kann. Hier sind dann die a-Sporidien gehemmt oder ganz unterdrückt, 
die b-Sporidien zu großen Kolonien ausgewachsen. Doch wurde diese 
Hemmung der a-Sporidien noch nicht einer eingehenderen Untersuchung 
unterzogen. Einige Stichproben auf weitere sekundäre Merkmale wur- 
den unternommen, lieferten aber keine brauchbaren Resultate. Sie er- 
streckten sich auf: Widerstandsfähigkeit gegen höhere Temperaturen 


und Desinlizientien (Phenol), kapillares Steigvermögen in Filtrierpapier 


und Katalasegehalt. Trotz dieser negativen Ergebnisse besteht eine ge- 
wisse Wahrscheinlichkeit, daß geduldiges Suchen weitere sekundäre Ge- 
schlechtsmerkmale zutage fördern wird. 
Zusammenfassung von Teil IL*). 
Andeutende Beobachtungen von Kniep (1919) über ein verschie- 


denes physiologisches Verhalten der beiden Geschlechter der Sporidien 
von Ustilago violacea !. sp. Dianthus deltoides wurden dahin erweitert: 


*) Zusammenfassung von Teil I siehe $. 18. 


R. Bauch, Kopulationsbedingungen und sekundäre Geschlechtsmerkmale usw. 37 


1. Impft man Brandsporen auf Malzlösungen, so werden gleichviel 
Sporidien der beiden Geschlechter gebildet. 

2. Isoliert man aus diesen „Brandsporenaussaaten“ die Sporidien 
mittelst Plattenverfahren mit Malzgelatine, so erhält man je nach Gela- 
tinesorte nur Kolonien des a-Geschlechtes oder beide Geschlechter zu 
gleichen Teilen, wobei im letzten Falle die b-Kolonien gegenüber den 
a-Kolonien in ihrem Wachstum bedeutend gehemmt sind. 

3. Die gleiche Wirkung, Hemmung der b-Kolonien, erzielt man auch 
bei Benutzung von Malzagar mit verschiedenen Eiweibßzusätzen. Gre- 
nuines Eiweiß hemmt nicht, Eiweißabbauprodukte der Albumosen- und 
Peptonstufe sind wirksam, Aminosäuren geben die Hemmung nicht mehr. 
Gleichen Erfolg erreicht man bei Malzagar mit 2% Na,HPO,-Zusatz, 
nicht mit dem entsprechenden Kaliumsalz. 

4. Es ist wahrscheinlich, daß die Hemmung bezw. Unterdrückung 
der b-Sporidien durch Gelatine nicht durch das native Glutin, sondern 
durch ihren Gehalt an Glutinabbauprodukten der Albumosen- und Pepton- 
stufe beruht. 

5. Diese Unterschiede im physiologischen Verhalten der beiden Ge- 
schlechter haben sich an einem großen Zahlenmaterial genügend konstant 
erwiesen, um hier von sekundären Geschlechtsmerkmalen physiologischer 
Natur sprechen zu können. 

6. In längere Zeit auf Nährböden gezüchteten Kulturen verwischen 
sich die anfänglich starken Unterschiede. Es gelingt nicht, mit Hilfe 
der sekundären Geschlechtsmerkmale die primäre geschlechtliche Tendenz 
einer lange Zeit gezüchteten Sporidienreinkultur zu bestimmen. 


Zum Schluß ist es mir eine angenehme Ptlicht, Herrn Prof. Kniep 
ür die Überlassung des Themas und für das stete Interesse, das er der 
Arbeit entgegenbrachte, herzlichst zu danken. Herrn Dr. Zillig bin 
ich für die liebenswürdige Überlassung von reichlichem Brandsporen- 
material ebenfalls zu großem Dank verpflichtet. 

Würzburg, Botanisches Institut, Mai 1921. 


Literatur. 

Brefeld, O., 1883. Die Brandpilze. Untersuchungen a. d. Gesamtgebiete der Myko- 
logie. Heft 5. Münster i. W. 

Claußen, P., 1912. Zur Entwickelungsgeschichte der Ascomyzeten. Pyronema con- 
fuens. Zeitschrift für Botanik 4, S. 1. 

Cohnheim, O., 1911. Chemie der Eiweißkörper. Braunschweig. Friedr. Vieweg 
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Klebs, G., 1898. Zur Physiologie der Fortpflanzung einiger Pilze I. Sporodinia 
grandis Link. Jahrb. f. Wiss. Bot. 32, S. 1—70. 

Klebs, G., 1899. Jahrb. f. Wiss. Bot. 33. 

Kniep, H., 1918. Über die Bedingungen der Schnallenbildung bei den Basidiomyzeten. 
Flora N. F. 11—12, S. 380— 39. 

Kniep, H., 1919. Untersuchungen über den Antherenbrand (Ustilago violaced Pers.). 
Ein Beitrag zum Sexualitätsproblem. Zeitschr. f. Bot. 11, S. 275—284. 


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38 - P. Buchner, Rassen- und Bakteroidenbildung bei Hemipterensymbionten. 


Orban, G., 1919. Untersuchungen über die Sexualität von Phycomyces nitens. Bei- 
hefte z. bot. Zentralbl. I. Abtlg. 36, S. 1—59. 

Raciborski, 1896. Über den Einfluß äußerer Bedingungen auf die Wachstumsweise 
von Basidiobolus ranarun. Flora 8, S. 107—132. 

Sadikoff, 1906. Untersuchungen über tierische Leimstoffe. 5. Mitteilung. Zeitschr. 
f. physiol. Chemie 38, S. 138. 

Ternetz, Ch. 1900. Protoplasmabewegung und Fruchtkörperbildung bei Ascophanus 
carneus Pers. Jahrb. f. Wiss. Bot. 35, S. 273— 309. 

Aullie,. 3,2921. Über spezialisierte Formen beim Antherenbrand, Ustilago violacea 
(Pers.). Fuck. Zentr.-Bl. f. Bakteriol. II. Abt. 53, S. 33—74, 


Rassen- und Bakteroidenbildung bei 
Hemipterensymbionten. 


Von Paul Buchner, München. 


Zu den interessantesten Erscheinungen des vielseitigen Symbiose- 
gebietes gehören die Fälle, in denen zwei oder gar drei verschieden- 
artige pflanzliche Organismen gleichzeitig ın den Zellen eines tierischen 
Wirtes leben. Zum Teil handelt es sich dann um ganz heterogene 
Symbionten, so etwa, wenn ın einem Cölenteraten Zooxanthellen, also 
Cryptomonaden, und Leuchtbakterien zusammentreffen oder, wie bei 
vielen Homopteren, hefeartige Gebilde mit solchen, in denen wir, wie 
im folgenden dargetan werden soll, Bakteroiden bildenden Schizomyzeten 
sehen müssen. Daneben aber begegnen wir bei einer Reihe von 
Symbiontenträgern der Tatsache, daß in ihnen zwei oder drei einander 
systematisch sehr nahe stehende Symbionten gedeihen. Pieranton! 
beschreibt, wie in den Leuchtorganen bezw. akzessorischen Nidamental- 
drüsen der Cephalopoden regelmäßig drei morphologisch und physio- 
logisch sich unterscheidende, in gesonderten Bezirken lebende Bakterien 
zu finden sind, von denen nur ein einziges wirklich leuchtet, und gibt 
auch von Lampyris an, daß hier zweierlei Bakterientypen vorkommen. 
Ist es bei heterogenen Symbionten selbstverständlich, daß solche eben 
unabhängig voneinander zu verschiedenen Zeiten aufgenommen wurden, 
so liegt ähnliches natürlich auch in den letztgenannten Fällen nahe. 
Daß hier aber noch eine andere Erklärungsmösglichkeit ın Frage kommt, 
lehren Erscheinungen bei Cicadarien und Psylliden, in denen eben- 
falls teils sehr häufig (Cicadarien), teils stets (Psylliden) ein Symbionten- 
paar gedeiht. Auf die hier vorliegenden, z. T. sehr komplizierten 
Verhältnisse sei zunächst etwas näher eingegangen!). 

Die in Frage stehenden Symbionten, ich habe vorgeschlagen, sie 
im Gegensatz zu daneben nicht selten vorkommenden akzessorischen 
hefeartigen Formen als genuine zu bezeichnen, wohnen stets in eigenen 


l) Die nachstehenden Überlegungen stellen einen weiteren Ausbau meiner in 
„Tier und Pflanze in intrazellularer Symbiose“ (Berlin 1921) schon mitgeteilten Vor- 
stellungen dar, zu dem mich seitdem gemachte Beobachtungen veranlassen, 


s 


P. Buchner, Rassen- und Bakteroidenbildung bei Hemipterensymbionten. 39 


Pilzorganen (Mycetomen), deren Bau recht verschieden sein kann. Bei 
Ptyelus lineatus liegt im Abdomen jederseits eine etwa '/, mm lange 
Masse, die bei genauerem Zusehen zweigeteilt erscheint; die obere, 
intensiv karminrot, mit pilzfreiem, die Farbkörnchen bergenden Epithel 
und pilzhaltigen Zellen, die darunterliegende kleinere ohne Epithel, 
blaß ockerfarben, ein Syneytium mit Pilzen. Die rundlichen, ovalen 
oder zumeist wurstförmigen Insassen beider Teile aber unterscheiden 
sich deutlich, die ım kleineren Organ sind nur !/, so groß, teilen sich 
etwas anders, färben sich weniger intensiv und sind ärmer an ge- 
wissen stark lichtbrechenden, wohl metachromatischen Einschlüssen 
(Sule.). Vergleicht man die Organe einer Aphrophora, so konstatiert 
man einerseits eine zunehmende Vereinigung beider Teile zu einem 
geschlossenen Organ, indem die Syneytien von dem in Zellen auf- 
geteilten Abschnitt großenteils umgriffen werden, findet aber im übrigen 
ganz die gleichen Charaktere wieder. Es liegen andere Symbionten 
vor, aber wiederum eine Sorte, die kleiner, schwächer färbbar, ärmer 
an Einschlüssen ıst. und eine andere mit den entgegengesetzten 
Charakteren, ünd die Beschaffenheit der Wohnstätten ist eine im 
gleichen Sinne verschiedene wie bei Pfyelus. Das Vorhandensein 
zweier solcher Parallelformen bei Cercopiden ist eine ganz durch- 
gängige Regel. Es sei, um dies zu erhärten, nur noch eine tropische 
Form, Tomaspis rubra aus Surinam herangezogen ?), die prinzipiell 
gleiches bietet, nur daß hier zahlreiche rundliche, intensiv rote 
Mycetome und ebensolche längliche blaßgelbe dicht unter der Bauch- 
wand liegen, ohne daß geschlossene Organe gebildet werden. Histo- 
logischer Charakter und entsprechende Differenzen der Bewohner sind 
ganz die gleichen, wie bei den europäischen Cercopiden. 

Im allgemeinen scheint jedoch die Natur eine noch innigere Ver- 
einigung beider Wohnstätten anzustreben, als sie bei Aphrophora ver- 
wirklicht ist. So enthalten alle Psylliden ein stattliches unpaares 
Organ, dessen zentraler Teil von einem Syneytium eingenommen wird, 
in dem wieder die kleinere Symbiontensorte lebt, während seine Ober- 
fläche von einem Zellbelag umzogen wird, der die größere beherbergt. 
Daß ähnliches bei den Cicadariern auch vorkommen kann, geht aus 
meinen Beobachtungen an einer afrikanischen Cikade hervor, die 
beiderseits ım Abdomen eine Menge rundlicher Mycetome_ besitzt, 
deren jedes aus einem mittleren, mächtigen Syncytium mit dem kleinen 
Typus, einem oberflächlichen Sypeytium mit dem größeren und einem 
pilzfreien Epithel zusammengesetzt ist?). 

Handelt es sich bei diesen jeweils gekoppelten Symbiontenformen 
nun wirklich um zwei selbständige Arten oder liegen vielleicht nur 
verschiedene Entwicklungsstadien desselben Pilzes vor? Als Sule zum 


2) Das Material danke ich der Liebenswürdigkeit Herrn A. Reynes von der 
holländischen Versuchsstation in Paramaribo. 

3) Eine Cikade aus Bangalore (Indien), die ganz ähnliche Mycetome besitzt, ver- 
danke ich der Liebenswürdigkeit von Herrn Mahdihassan daselbst. 


40 P. Buchner, Rassen- und Bakteroidenbildung bei Hemipterensymbionten. 


ersten Male etwas von diesen Dingen sah, mußte er diese Frage 
offen lassen; ein anderer Autor, Pıierantoni, beging den Fehler, bei 
der von ihm studierten Schaumeikade die eine Form für den infektions- 
bereiten Zustand der anderen anzusehen. Die Frage konnte nur durch 
ein genaues Studium der Übertragungsweise entschieden werden. Wie 
bei allen anderen Hemipteren infizieren auch hier die Symbionten 
bereits die Eizellen und hierbei konnte ich nun feststellen, daß jedes- 
mal beiderlei Insassen selbständig, wenn auch gleichzeitig in diese 
übertreten. | 

In beiden Organen, bezw. Organteilen, werden hierbei spezilische 
Infektionszustände ausgebildet, längere Schläuche werden zu rund- 
lichen und ovalen Gebilden, wobei cystenartige Verbände und Zerfall 
in diesen eine Rolle spielen. Hier wie dort laufen diese Prozesse ın 
ganz analoger Weise ab, ja, wo beide Sorten so eng benachbart sınd, 
wie bei jener afrıkaniıschen Cikade, werden sie in benachbarten Teilen 
durchgeführt, so daß eine lokale Durehmischung beider infektions- 
bereiter Körperchen keine Schwierigkeiten bietet. Gemeinsam treten 
sie hierauf in bestimmte Follikelzellen am Hinterende des Eies ein 
und von diesen ın das Eiplasma selbst. 

Es liegen also zwei, unabhängige, in sich geschlossene Lebens- 
cyklen dieser Symbionten vor. Trotzdem scheint es mir im höchsten 
Grade unwahrscheinlich zu sein, daß das Wiırtstier dıese einzeln der 
Reihe nach in seinen Körper aufgenommen hat. Denn eine ver- 
gleichende Betrachtung der vorliegenden Beobachtungen lehrt zweier- 
lei. Erstens sind es stets die gleichen Merkmale, die eine Form von 
der anderen unterscheiden (Größe, Färbbarkeit, Einschlüsse) und be- 
gleiten sie fast durchweg die gleichen Reaktionen des Wirtsorganismus 
(Epithellosigkeit, Syneytien, wenig Pigment, Tendenz zu zentraler 
Lagerung einerseits; epitheliale Umhüllung, einkernige Wohnzellen, 
reichlich lebhaft gefärbtes Pigment, Neigung zu oberflächlicher Lage- 
rung in den Organen andererseits)*); und zweitens hat jeweils das ın 
einem Tier vereinte Symbiontenpaar eine Anzahl gemeinsamer Charak- 
tere. Vergleicht man die beiden Formen bei ferner stehenden Tieren, 
etwa einer Psyllide und einer Oicade und einer Cercopide, so liegt dies 
auf der Hand, Aber auch bei einem genaueren Studium einzelner 
näherstehender Symbiontenträger dürtte sich dies immer wieder fest- 
stellen lassen. 

Wie sollte man sich angesichts dieser Umstände vorstellen, daß 
jede Wirtsspezies zu dem einen Symbionten immer gerade noch das 
entsprechende Supplement gefunden hat? Es dünkt mich dies schlechter- 
dings unmöglich und es scheint mir nur eine zweite Erklärung 
in Frage zu kommen, die annimmt, daß beide Formen erst ım 
Wirtsorganismus aus einer ursprünglich allein vorhandenen ent- 

4) Nur die komplizierten Cikadenmycetome, die aus zwei Syneytien aufgebaut 
sind, machen eine Ausnahme. 


P. Buchner, Rassen- und Bakteroidenbildung bei Hemipterensymbionten. 4 


standen sind. Wir kennen bereits eine Reihe von Fällen, wo ın 
Kulturen von Mikroorganismen, vornehmlich Bakterien und Hefen, 
spontan neue, morphologisch und physiologisch sich unterscheidende 
Rassen aufgetreten sind. Gerade die ungewöhnlichen Ernährungs- 
bedingungen, unter denen sich diese Hemipterensymbionten befinden, 
mögen dazu Anstoß gegeben haben und die gleichgerichteten Varianten, 
die aufgetreten sind, dürften sich durch die gleichartigen Kultur- 
bedingungen erklären. Auf die hierbei erstehende Frage, welche der 
beiden Rassen, die größere, die wir die a-Rasse zu nennen vorschlugen, 
oder die kleinere, die wir die -Rasse nennen wollen, die ursprüng- 
lichere sein mag, sei zunächst nicht eingegangen. Auch kann zurzeit 
noch nicht entschieden werden, ob es sich um echte, auch unter ver- 
änderten Bedingungen erbliche Mutationen oder lediglich um Modifi- 
kationen handelt. 


Betrachtet man die oben skizzierte Reihe aufsteigender Kompli- 
kation der Mycetome, so möchte man daraus die Vermutung ableiten, 
daß die in primitiven Organen spärlich vorhandene, in komplizierteren 
an Masse überwiegende f-Variante von dem Wirte in größerer Menge 
gewünscht und benötigt wird. 

Innerhalb der Cicadarien ist eine solche Spaltung unter Umständen 
unterblieben, so bei der Oicada orni und einer verwandten japanischen 
Form, sowie bei Macropsis mierocephala. Alle diese besitzen jedoch 
neben der einen genuinen Form noch einen heterogenen akzessorischen 
Symbionten, der sich durch rege Knospung verimehrend ganz wie ein 
Saecharomycet anmutet’) und nicht wie die erstere ın einem Mycetom 
wohnt, sondern Fettgewebe und Lymphe durchsetzt. Da andererseits 
nur ein einziger, noch nicht genügend studierter Fall vorliegt, ın dem 
neben einer genuinen a- und f-Rasse noch ein akzessorischer Symbiont 
vorkommt (Aphalara caltha nach Sule), so möchte man daraus den 
Schluß zu ziehen wagen, daß vielleicht die Anwesenheit eines akzesso- 
rischen Symbionten die Entstehung einer zweiten Rasse innerhalb des 
genuinen unterbinde. Aber es bedarf noch eines umfassenderen Be- 
obachtungsmaterials, um derartiges mit einiger Sicherheit zu folgern. 


Stets unterblieb jedoch die Spaltung bei zwei Familien der Schild- 
läuse, in denen wir Mycetome finden, deren Inhalt ich mit den ge- 
nuinen Cicadariensymbionten identifizieren möchte (Coceinen und 
Monophlebinen), ohne daß etwa noch Hefepilze neben ihnen vor- 
handen wären.-. Auch hier bilden die rundlichen bis wurstförmigen 
Insassen spezifische Infektionsstadien, bezüglich der sowie der übrigen 
anatomischen Einzelheiten auf mein oben zitiertes Buch verwiesen sei. 

5) Ohne daß ich ihn deshalb ohne weitere Prüfung hier einreihen möchte, nach- 
dem zurzeit unter Leitung Prof. Burgeffs im botanischen Institut München ange- 
stellte Untersuchungen die überraschende Tatsache ergeben, daß die seit Lindner 
für echte Hefepilze erklärten Schildlaussymbionten tatsächlich anderweitig unterzu- 
bringen sind, 


42 P. Buchner, Rassen- und Bakteroidenbildung bei Hemipterensymbionten. 

Um das Verständnis der verwickelten Verhältnisse weiter zu ver- 
tiefen, ist es aber nötig, daß wir uns mit der mutmaßlichen syste- 
chen Stellung derselben befassen. Sulc ist der Meinung, daß es 
sich auch beı an ausschließlichen Mycetombewohnern um Hefen 
handelt und bezeichnet sie als Oicadomyces; Pierantoni bezeichnet 
die Symbionten von /cerya (Schildlaus) ebenfalls als Saccharomyeeten 
und denkt nur bei den Insassen von Pseudococeus an die Möglichkeit, 
daß es sich um Bakterien handeln könne. Hier sind nun zwei Funde 
von ausschlaggebender Bedeutung, die ich bei Coceinen einerseits, 
Cicadarien andererseits gemacht habe. Als ich die Mycetome zweier 
Pseudococcus-Arten verglich, die sich außerordentlich nahe stehen 
— Pseudococcus citri und Pseudococcus adonidum —, stieß ich auf 
einen überraschenden Unterschied. Die Mycetome beider Tiere gleichen 
sich äußerlich vollkommen, es sind große, eiförmige, lebhaft gelb pig- 
mentierte Gebilde, die in der Einzahl unter dem Darm ım Abdomen 
liegen, wie alle Hemipterenmycetome mit Tracheen reich versorgt. 
Der histologische Aufbau ist ein völlig identischer, die Mycetocyten 
selbst gleichen sich durchaus, aber bei P. eitri liegen in ihnen rund- 
liche und längliche Schleimballen, erfüllt von den typischen bläschen- 
und wurstförmigen, deutlich wabig aufgebauten Gebilden, bei P. ado- 
nidum in ebensolchen Verbänden schlanke, feine Stäbehen und Fäd- 
chen, offenkundige durch Querteilung sich vermehrende Bakterien. 
Vergleicht man die Einzelheiten der Infektion, so sind auch diese 
identisch; die gleiche Stelle des Eies wird zur gleichen Zeit von den 
Symbionten angegriffen, beide Male sind sie auch hierbei in rundliche 
Gallertpakete vereinigt. 

Ein derartig u meikle. Verhalten der Symbionten und 
eine solche in beiden Fällen identische Reaktionsweise des Wirtes auf 
dieselben kann nur dadurch erklärt werden, daß diese ın beiden 
Fällen wesensgleich sind, oder mit anderen Worten, wir müssen den 
Schluß ziehen, daß die Bewohner von Ps. eitri und damit zunächst 
die der übrigen Coceinen und wohl auch Monophlebinen umgewandelte 
Bakterien sind und daß somit hier ein Vorgang vorliegt, wie.er ın 
der sogen. Bakteroidenbildung sein Gegenstück findet, wie sie aus 
den Wurzelknöllchen der Leguminosen bekannt ist. Hier verändert 
ja der stäbehenförmige Baeillus radicicola Beiyer. nach einer lebhaften 
Vermehrungsperiode im Plasma des pflanzlichen Wirtes schließlich 
seine Gestalt in ganz entsprechender Weise, quillt auf, so daß eine 
vorher nicht erkennbare, wenn auch wohl vorhandene Wabenstruktur 
des Plasmas deutlich zum Vorschein kommt, und nimmt die ver- 
schiedensten Formen an, wenn er zu Schläuchen, Würsten, ovalen 
oder rundlichen Gebilden wird, die ım hohen Grade die Neigung 
haben, gabelförmige Verästelungen zu treiben. Morphologisch ent- 
sprechen diese Bakteroiden der Leguminosen also ganz den typischen 
Symbionten der Coceinen, an denen ich, wenn auch nur selten, sogar 
die typische Gabelung feststellen konnte. 


P. Buchner, Rassen- und Bakteroidenbildung bei Hemipterensymbionten. 45 


Früher hat man in den Bakteroiden Involutionsformen ım eigent- 
lichen Sinne des Wortes gesehen, das heißt, Endstadien eines Ent- 
artungsprozesses, die nicht mehr lebensfähig sind, sondern notwendig 
von der Wirtspflanze als Eiweißlieferanten resorbiert werden. Neuer- 
dings ist es jedoch einer Reihe von Botanikern gelungen, die Bakte- 
roiden ın künstlichen Nährböden zu züchten, sie also sehr wohl als 
teilungs- und lebensfähig zu erweisen, ja selbst eine Rückentwicklung 
aus solchen entarteten Riesenstadien in typische Bazillen zu beob- 
achten. Wir dürfen darnach die Bakteroiden lediglich als infolge 
ungewöhnlicher Ernährungsbedingungen außerordentlich vergrößerte 
Bakterien definieren, die nur ım speziellen Fall der Leguminosen- 
knöllchen dem Untergang zu verfallen pflegen. Zu ganz ähnlichen 
Schlüssen führen uns ja auch die Beobachtungen an den Bakteroiden 
in tierischen Geweben, denn hier sind sie in hohem Grade ver- 
mehrungsfähig und werden keineswegs vom Insekt resorbiert, ja sie 
werden in solchem Zustand, gewöhnlich allerdings etwas modifiziert, 
durch die Eier von einer Generation zur anderen weitergegeben. Hierin 
liegt ein weiterer Unterschied zwischen den Mycetombewohnern und 
denen der Wurzelknöllchen, welch letztere jeweils als Stäbchen die 
Wurzeln neu infizieren und erst "nach heftiger Vermehrung in ihnen 
sich umwandeln. 

Daß eine derartige Deutung auch auf die Cicadariensymbionten 
ausgedehnt werden darf, belegt die zweite hierher gehörige Beob- 
achtung. Sie bezieht sich auf eine kleine, sehr häufige Jasside, Tetti- 
gonia, viridis. Im Prinzip liegen die Verhältnisse hier wie bei der 
oben kurz geschilderten Cercopide Piyelus lineatus, d. h. es ist jeder- 
seits ım Abdomen ein größeres, zweimal eingeschnürtes Mycetom vor- 
handen, das, von einem pilzfreien Epithel umzogen, im Innern aus 
großen Mycetocyten mit riesigen unregelmäßigen Kernen aufgebaut 
und lebhaft gelb pigmentiert ist. Außer diesem kommt jederseits eın 
zweites, viel kleineres, rundliches Organ vor, das nur blaß gelb getönt 
erscheint, keinen epithelialen Überzug besitzt und ein einziges Syn- 
cytium mit relativ wenigen großen, annähernd ovalen Kernen darstellt. 
Die Tracheenversorgung ist, insbesondere in dem größeren Organ die 
gewohnte vorzügliche. Darin, daß das kleinere Mycetom vor diesem 
kopfwärts gelegen ist, unterscheidet sich Tettigonia von Ptyelus. Nach 
der ganzen Sachlage müßte man erwarten, daß in dem letzteren die 
übliche -Rasse, in ersterem die a-Rasse leben würde. Ich war in- 
folgedessen nicht wenig erstaunt, in dem kleinen Mycetom ausschließ- 
lich regelrechte Stäbehen und Fädchen zu finden, deren Länge ziem- 
lich stark varnerte, z. T. beträchtliche Maße erreicht. Das ganze 
Organ gleicht einem dichten Fadenknäuel, das Wirtsplasma ist auf 
ein kaum erkennbares Minimum reduziert. Also abermals ein Vika- 
rıieren von Bakterien und Bakteroiden, das völlig dem bei den Schild- 
läusen beobachteten entspricht. Prüft man das größere Mycetom, so 
findet man in ihm die gewohnten Würste mit allen Merkmalen der 


44 P. Buchner, Rassen- und Bakteroidenbildung bei Hemipterensymbionten. 


a-Rasse, deutlich ın je eine Plasmawabe eingeschlossen, nach der 
Peripherie zu ın etwas größere, rundliche und ovale Formen über- 
gehend, die sich in der Folge als die infektionstüchtigen erweisen, 
konstatiert aber weiterhin, daß die Trennung keine ganz sauber durch- 
geführte ist. Denn vereinzelte Zellen finden sich auch hier, scheinbar 
nur im mittleren Abschnitt, in denen Stäbchen wohnen. Sie unter- 
scheiden sich aber in den mir vorliegenden Präparaten von den Fäden 
des anderen Mycetoms, ındem sie kürzer, in Bündel vereinigt, in 
eigenen Vakuolen des Wirtsplasmas liegen ®). 

An der Infektion beteiligen sich, wie zu erwarten, Bazillen und 
Bakteroiden. Schon an jungen Eizellen, die eben erst Dotter zu 
bilden begonnen haben, sondert sich am hinteren Ende im Follikel 
ein einreihiger Kranz von Zellen ab, und ın deren distalem, plasma- 
reichen Teil, der sich über die Umgebung vorwölbt, treten alsbald 
die ersten Symbionten, von Vakuolen umschlossen, auf. Es liegt hier 
einer der seltenen Fälle vor, daß die Infektion vorbereitende Eın- 
richtungen des Wirtes morphologisch in die Erscheinung treten, was 
in weitgehendstem Maße bei den vivipar erzeugten Aphidenembryonen 
der Fall ist (vgl. Buchner, Tier und Pflanze, p. 212ff.). Der Zuzug 
dauert eine Weile an, der Kranz nun symbiontenerfüllter Buckel wird 
immer markanter, die Kerne werden unregelmäßig und an dıe Wand 
gedrückt und nun konstatiert man neben einer Überzahl von Bakte- 
roiden vereinzelte Bündel von Stäbchen, wie wir sie von dem größeren 
Mycetom her kennen. Schließ'ich platzen diese infizierten Follikel- 
zellen nach innen zu und der Inhalt tritt allmählich ın einen zwischen 
Follikel und Ei sich bildenden terminalen Raum über. Das End- 
stadium stellt hier eine kappenförmige Ansammlung beiderlei Sym- 
biontentypen dar; vereinzelte mögen noch im Follikel zurückgeblieben 
sein, dessen Durchgangszellen sich nun wieder erholen, d. h. erneut 
dichteres Plasma und rundliche Kerne bekommen. Wie die Symbionten 
schließlich in das Eiplasma selbst gelangen, habe ıch bis jetzt nicht 
verfolgt. Damit wırd zum ersten Male die Infektion bei einer Jasside 
beschrieben. Das Stadium, das ıch früher von einer Aphrophora ab- 
bildete, fügt sich gut ein, nur wird hier nicht ein einreihiger Ring 
von Follikelzellen infiziert, sondern ein breiter Gürtel und man findet 
natürlich statt der Stäbchenbündel die typische bakteroide -Rasse. 

Die Beobachtungen an Tettigonia bekräftigen so nicht nur auf 
ideale Weise unsere Annahme von der Bakteroidnatur der hier vor- 
liegenden Symbionten, sondern lassen weitere Schlüsse über das gegen- 
seitige Verhältnis der a- und ß-Rasse zu. Man kann aus ihnen die 
Folgerung ziehen, daß vielleicht allgemein die a-Rasse sich früher ın 
die a-Bakteroiden umwandelte und die $-Rasse erst später den analogen 


6) Dieser Umstand ist insofern von Bedeutung, als er den Schluß zuläßt, daß 
nicht etwa verschiedenartige, vom Wirte gebotenen Wohnstätten den Anstoß zur Bildung 
neuer Rassen darstellen, sondern die histologische Differenzierung des tierischen Ge- 
webes sich offenbar erst in zweiter Linie einstellt. 


P. Buchner, Rassen- und Bakteroidenbildung bei Hemipterensymbionten. 


ae 
_ 


Prozeß durchgemacht hat. Damit steht unter Umständen im Zusammen- 
hang, daß sich ihre Volumenzunahme in bescheideneren Grenzen hält”). 
Wenn man einmal eine größere Formenreihe überschaut, wird man 
möglicherweise auch die Frage entscheiden können, ob sich zuerst 
ein Bacillus in zwei stäbehenförmige Rassen gespalten hat und diese 
dann vielleicht teils gleichzeitig, teils hintereinander sich in Bakteroiden 
umgewandelt Haben, oder üb eine einförmige Art zunächst einen 
Bakteroidentypus abgespalten hat und später der Restbestand sich ın 
einen zweiten entwickelte. Man wird vor allem weitere Jassiden 
studieren müssen, um zu sehen, ob die Bakterien bei Tettigonia hier 
ebenso vereinzelt sind, wie unter den Coceinen bei Pseudococerus ado- 
nidum oder ob solche ursprüngliche Zustände ein Merkmal der ganzen 
Gruppe sind°). 

Jedenfalls bringt die Annahme einer Spaltung des genuinen Üica- 
dariensymbionten in zwei Rassen innerhalb des Wirtes und die Deutung 
derselben als Bakteroiden schon heute Licht in die verwickelten Ver- 
hältnisse und gestattet zum Schluß folgende Reihe aufsteigender 
Komplikation als eine dem wirklichen historischen Gang der Ent- 
wicklung annähernd entsprechende aufzustellen: 

1. ein einheitlicher Bacillus teils in einzelnen Mycetocyten (Or- 

thexia), teils in einem Mycetom (Psewdococeus adonidum). 

2. eine einheitliche Bakteroidenform in einem Mycetom (Üoceinen, 
Monophlebinen). 

3. ein Baeillus + eine a-Bakteroidenform in gesonderten Myce- 
tomen (Tettigonia viridis). 

4. eine a- + eine ß-Bakteroidenform in getrennten Mycetomen 
(Ptyelus, Tomaspis). 

5. eine a- +4 eine f-Bakteroidenform in locker oder innig ver- 
einigten Mycetomen (Aphrophora, Psylliden, Cieaden). 

6. eine einheitliche Een in einem Mycetom — ein 
akzessorischer hefepilzartiger Symbiont ı ım Fettgewebe (Crcada 
orni; Macropsis). 

7. eine a- 4 $-Bakteroidenrasse + ein akzessorischer azotobacter- 
ähnlicher Symbiont (Aphalara?). 

Daß mit den hier herangezogenen Formen die Bakteroidenbildung 
in Tieren erschöpfend umschrieben wird, ist sehr unwahrscheinlich. 
Wenn hier weitere Vermutungen geäußert werden dürfen, so gehen 
diese dahin, daß die recht ähnlich anmutenden Schläuche, die in 
sämtlichen Pediculiden leben, ebenso zu deuten sind und daß auch 
die Leuchtsymbionten der Pyrosomen hierher zu rechnen sind. Gestalt 
und feinerer Bau derselben harmoniert damit aufs beste, wozu kommt, 


) In meinem Buche hatte ich, bevor ich die Sachlage so überschaute, die Ver- 
mutung ausgesprochen, daß sich die $-Rasse als eine Verlustmutante der «-Rasse ent- 
wickelte. Tettigonia widerspricht dem aber entschieden. 

8) Inzwischen habe ich ganz ähnliche Verhältnisse wie bei Tettigonia viridis 
auch bei einer weiteren verwandten Form gefunden. 


46 P. Buchner, Rassen- und Bakteroidenbildung bei Hemipterensymbionten. 


daß alle übrigen Leuchtsymbionten Stäbchen darstellen und Beijerinck 
von Bacterium phosphorescens angıbt, daß es sehr schöne Bakteroiden 
(Stäbchen, Kokken, Bläschen und zweiarmige Zustände) zu bilden ver- 
mag. (An der Bakteriennatur derselben kann nach inzwischen er- 
schienenen Untersuchungen Pierantonis nicht gezweifelt werden.) 
Hier harren für den Botaniker und den Physiologen noch zahl- 
reiche lockende Probleme. Die Reinkultur der besprochenen Orga- 
nismen vermag vielleicht meine Vorstellungen dadurch zu erhärten, 
daß sie die Symbionten, einmal unter andere Bedingungen gebracht, 
zur Rückverwandlung ın die alte Stäbchenform veranlaßt. Weiterhin 
wäre es wünschenswert etwas über das Verhalten der beiden Parallel- 
rassen auf künstlichen Nährböden zu erfahren, die möglicherweise 
auch. untereinander durch ein Symbioseverhältnis verbunden sind. Nur 
Stoffwechselversuche an solchen getrennten und gemischten Kulturen 
werden auch eines Tages Antwort auf die Frage nach der physio- 
logischen Bedeutung eines solchen seltsamen Dreibundes geben können. 
Weiterhin wird es Aufgabe der Bakteriologen sein, die spezifischen 
Infektionsstadien richtig zu bewerten, deren Bedeutung vielleicht darin 
liegt, daß in ihnen die Folgen zu weitgehender Entartung, die für 
das Ausgangsmaterial einer erneuten. Vermehrungsperiode ungünstig 
wären, herabgemindert werden. Der Umstand, daß hierbei z. T. sehr 
lang gewordene Schläuche wieder gedrungen werden und daß das 
Plasma wieder ein dichteres Gefüge bekommt (erhöhte Färbbarkeit), 
deuten darauf hin. Würde man einmal eine Form finden, bei der 
eine Umwandlung in regelrechte Stäbchen zwecks Infektion vorkommt, 
so würde das hierfür beweisend sein. Jedenfalls glaube ich ım Voran- 
gehenden gezeigt zu haben, daß es keine müßıge Arbeit ist, immer 
weitere Arten auf ihre Symbionten hin zu prüfen, denn bereits aus 
rein morphologischen Beobachtungen lassen sich, wenn sie vergleichend 
verwertet werden, wesentliche Schlüsse ziehen- 


Literatur. 

Beijerinck, M. W., Die Bakterien der Papilionaceen-Knöllchen. Botanische Zeitung. 
46. Jahrg. 1888. 

suchner, P., Tier und Pflanze in intrazellularer Symbiose. Berlin 1921. 

Pierantoni, Umb., Struttura ed evoluzione dell’ organo simbiotico di Pseudococeus 
citri Risso, e eiclo biologieco del Öoceidomyces dactylopii Buchner. Arch. Proti- 
stenk. Bd. 31. 1913. | 

Sule, K., „Pseudovitellus“ und ähnliche Gewebe der Homopteren sind Wohnstätten 
symbiontischer Saccharomyceten. Sitzungsberichte kgl. böhm. Gesellsch. Wiss. 
Prae 1910. 


P. Mayer, Zoomikrotechnik. — W.E. Agar, Cytology with special reference usw. 4 


—e 


Referate. 


Paul Mayer: Zoomikrotechnik. Ein Wegweiser für 
Zoologen und Anatomen. 
516 S. Berlin. Gebr. Bornträger 1920. Geb. 64 Mk. 

Der „Lee und Mayer“, der jedem Biologen längst ein unentbehrliches Hilfs- 
mittel geworden ist, war seit 1910 nicht mehr in neuer Auflage erschienen. Die nun 
vorliegende Zoomikrotechnik, die nur noch den Namen des bekannten Neapeler Mikro- 
technikers trägt, stellt eine sorgfältige Neubearbeitung desselben dar. Die Anlage des 
ganzen Werkes ist die bewährte, alte geblieben, überall ist es jedoch entsprechend den 
Erfahrungen der letzten zehn Jahre bereichert worden. Die pathologisch-anatomische 
Literatur findet man in weitem Umfang verwertet, die Untersuchungsmethoden für die 
Lebendbeobachtung besonders ausgebaut. Derart verbessert wird das Buch in jedem 
zoologischen, anatomischen, pathologischen, neurologischen Institut an die Stelle der 
„Grundzüge“ von Lee und Mayer treten müssen und dank der reichen technischen 
Erfahrungen des Verfassers und seiner unermüdlichen Sammeltätigkeit in den mannig- 
fachen mikrotechnischen Fragen kaum je umsonst zu Rate gezogen werden. 

P.,Buchner-München, 


Agar, W.E.: Cytology with special reference to the 
f Metazoan nucleus. 
224 S. London, Macmillan u. Co. 1920. 


Das Buch, das mit 91 guten Abbildungen ausgestattet ist, will dem Studenten 
das Eindringen in das vielseitige Gebiet der Zellenlehre erleichtern, berücksichtigt aber 
‚eigentlich fast ausschließlich die Geschlechtszellkunde und beschränkt sich auch hier 
vornehmlich auf Chromosomenverhältnisse. Es charakterisiert so deutlich, welche Ge- 
biete hier augenblicklich sich der Mode erfreuen. Das ganze tatsachenreiche Kapitel 
der Entstehung typischer und atypischer Spermien wird auf einer Seite erledigt, be- 
ziehungsweise gar nicht berührt, nach einer Erwähnung der apyrenen und oligopyrenen 
Spermien sucht man vergebens, die Vorgänge im Plasma wachsender Eier werden mit 
wenigen Worten abgetan, über spezifisch determinierte Eiplasmen findet man fast gar 
nichts, über den achromatischen Teil der Mitose nur das Elementarste. Man kann 
dann aber das Buch nicht als Cytologie bezeichnen, sondern nur als ein Lehrbuch der 
Chromosomenkunde. Als solches hat es zweifellose Vorzüge. Hier geht es genügend 
tief in die Einzelheiten ein und beherrscht in hohem Maße die reiche Literatur; für 
uns, die wir während und nach dem Kriege die fremden Neuerscheinungen nur not- 
dürftig verfolgen können, ist es dabei insofern noch von besonderem Wert, als viele 
ausländische Untersuchungen dieser Jahre herangezogen und z. T. auch mit Abbil- 
dungen vertreten sind. P. Buchner-München. 


48 V. Franz, Die Vervollkommnung in der lebenden Natur u. s. w. 


Franz, Victor: Die Vervollkommnung in der lebenden 


Natur; eine Studie über ein Naturgesetz. 
138 S. Jena. G. Fischer. Geh 15 Mk. 


Franz untersucht die Frage, ob die stammesgeschichtliche Entwicklung der 
Organismen mehr bedeutet als eine bloße Zunahme an Kompliziertheit und inwieweit 
wir in ihr eine wirkliche Vervollkommnung im eigentlichen Sinne des Wortes sehen 
dürfen. Zu diesem Zweck geht er im ersten Teil zunächst der Geschichte des Ver- 
vollkommnungsgedankens nach, der im Altertum kaum vorhanden, sich im Mittelalter 
und der Renaissance, vornehmlich durch die kirchliche Lehre von der bevorzugten 
Stellung des Menschen belebt, Bahn bricht. Auch nachdem sich eine Loslösung seines 
religiösen Inhaltes vollzogen hatte, behauptet er sich in den Gedankengängen eines 
Lamarck, Oken, Cuvier, Geoffroy, Goethe und Häckel. Den Biologen unserer 
Tage liegt es allerdings näher, ein Protozoon und ein Säugetier für gleich vollkommen 
zu erklären und scharf zwischen Differenzierung und Vollkommenheit zu unterscheiden. 
Franz selbst hat sich in früheren Arbeiten auf diesen Standpunkt gestellt, bekennt 
aber, daß er, nachdem er mit der Vorstellung jahrelang gerungen, sich die Goethe- 
Häckelsche Anschauung zu eigen gemacht habe, nach der in der harmonischen Ver- 
einigung von Differenzierung und Zentralisation, die ein Übergewicht im Kampfe ums 
Dasein im Gefolge hat, das Wesen der Vervollkommnung beruht. Es ist hier nicht 
der Platz, den Franzschen Ausführungen im Einzelnen zu folgen, die in Nutzanwen- 
dungen für den Menschen gipfeln, aber daß der Autor den Berufsoffizier als die höchste 
erreichbare Stufe der Vollkommenheit ansieht, möchte ich dem Leser doch nicht vor- 
enthalten. P. Buchner-München. 


. 





Deutsche Gesellschaft für Vererbungswissenschaft. 


Vom 3.—5. August fand in Berlin die Gründungsversammlung der 
Deutschen Gesellschaft für Vererbungswissenschaft statt. Als Vorsitzen- 
der wurde Geheimrat Gorrens-Dahlem, als Vorsitzender des nächsten - 
Jahres Hofrat v. Wettstein-Wien gewählt. Ein ausführlicher Bericht 
über den Verlauf der Versammlung, die auch vom Ausland gut besucht 
war, wird in der Zeitschrift für induktive Abstammungs- und Ver- 
erbungslehre erscheinen und den Mitgliedern zugehen. Aufnahmebe- 
dingungen sind: Verschlag durch zwei Mitglieder und Zahlung eines 
‚Jahresbeitrages von 10 Mark für Reichsdeutsche, von 20 Kronen für 
Deutsch-Osterreicher und Deutsche aus den übrigen Teilen des alten 
Osterreich-Ungarn, für -alle anderen Ausländer 5 Schweizer Franken. 
Als Ort der nächstjährigen Tagung ist Wien und als Zeit die zweite 
Septemberhälfte vorgesehen. Anmeldungen zur Mitgliedschaft und An- 
fragen sind an den Schriftführer der Gesellschaft, Privatdozent Dr. H. 
Nachtsheim, Berlin N4, Invalidenstr. 42, Institut für Vererbunes- 
forschung, zu richten. 











Gedruckt bei Junge & Sohn in Erlangen 


BR: ir Er * 


jologisches Zentralblatt 


Begründet von J. Rosenthal 
Herausgabe und Redaktion: 


Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Eörtons 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. OÖ. Warburg 


in. Berlin 
Veılag von Georg Thieme in Leipzig 
Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 28 





42. Band. Behrusr 1922. Nr. 2 


uses en am 1.. Februar 1922 











Der N Bari spieis (12 Heite) beirzet Inderhalb Deutschlands 50 Mk. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


Den Herren Mitarbeitern stehen von ihren Beiträgen 30 Sonderabdrucke kostenlos zur 
Verfügung; weitere Abzüge werden gegen Erstattung der Herstellungskosten geliefert. 














Inhalt: Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten. Mit 8 Abbildungen u. 4 Tabellen. S. 49. 
G. Just, Wahrscheinlichkeit und Empirie in der Erblichkeitsstatistik. Mit 2 Abbildungen. S. 65. 
A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der Wassertiere. 8. 72. 
H. Böker, Die Bedeutung der Überkreuzung der Schnabelspitzen bei der Gattung Loxia. Mit 
2 Abbildungen. S..87. 
Referate: P. Buchner, Tier und Pflanze in intrazellularer Symbiose. S. 93. 
P. Sorauer, Handbuch der Pflanzenkrankbeiten. S. 9. 
‘ E. Küster, Anleitung zur Kultur der Mikroorganismen. S. 9%. 
H. Molisch, Mikrochemie der Pflanze. S. 96. 





Art und Artbildung bei ‚Protisten. 


Von Rhoda Erdmann, Berlin. 

Mit 8 Textabbildungen und 4 Tabellen. 

Die Mannigfaltiskeit der Lebenskreise bei nichtzelligen Organis- 
men — bei den Protisten — erschwert das Studium der Erblichkeits- 
verhältnisse. Die im allgemeinen strenge Geschlossenheit der Lebens- 
kreise der Metazoen und Metaphyten, bei denen Fortpflanzungs- und 
Sexualakt eng verknüpft sind, erlaubt einheitlichere Untersuchungen. Da, 
wo bei Metazoen diese Geschlossenheit fehlt, wie bei den Cladoceren und 
Rotatorien, hat auch‘ die Klärung der Erblichkeitsverhältnisse jahr- 
zehntelang gedauert und ist wohl auch heute nicht beendet. 

Bei den Protozoen kommen Lebenskreise mit rein vegetativer Ver- 
mehrung vor. Zweiteilung folgt auf Zweiteilung, ein Geschlechtsakt 
ist nicht bekannt. Weiter folgt nach einer Reihe von vegetativen Tei- 
lungen ein amphimiktischer Prozeß, sei es Kopulation, Konjugation oder 
Autokaryomixis, oder vegetative Teilungen wechseln mit einem endo- 
miktischen Vorgang, sei es Parthenogenese im engeren oder weiteren 

Band 42. 4 


50 Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten. 


Sinne, ab. Aber auch vegetative Teilung, Amphimixis, vegetative Tei- 
lung, Endomixis wechseln miteinander ab. Daher erfordert das Pro- 
blem der Artbildung eine Reihe getrennter Untersuchungen. Folgt 
die Aufspaltung der reinen Linie den Mendelschen Gesetzen bei 
amphimiktischen Vorgängen? Welche Aufspaltung findet bei den 
endomiktischen Vorgängen statt? Sind Aufspaltungen bei sogenannten 
rein vegetativen Teilungen möglich? Sind die so entstandenen Auf- 
spaltungen erblich? Kann durch Kumulation etwaig auftretender 
kleiner erblicher Verschiedenheiten bei gerichteter Selektion der 
Durchschnittswert der in Frage kommenden Eigenschaften stark geändert 
werden? Welche der bei den Metazoen und Metaphyten vor- 
kommenden Arten von Variationen, also Kombinationen, Modifikationen 
und Mutationen, sind bei Protozoen beobachtet? 

Um diese Fragen zu beleuchten — zum Entscheiden ist noch 
nicht genügendes Tatsachenmaterial beigebracht — möchte ich, um allen 
Mißverständnissen vorzubeugen, einige richtunggebende Begriffserklä- 
rungen voranstellen. Wir besprechen hier nur die Ergebnisse, die an 
sogen. reinen Linien gewonnen sind. Ob unser Material 
homozygot ist, können wir nicht a priori wissen. Denn wie ge- 
langen wir in den: Besitz einer solchen Linie? Wir wählen uns 
aus der Natur oder den in einem Laboratorium befindlichen Zuchten 
einen Organismus aus, dessen vorangegangene individuelle Ge- 
schlechts- und Fortpflanzungsgeschichte wir nicht kennen und 
züchten ihn dann in „reinen Linien“'). Dieser Ausdruck ist für die 
Protozoen daher nur rein technisch zu bewerten, er sagt also nichts 
darüber aus, ob nicht vor einer Reihe von Generationen eine Bastar- 
dierung des Ausgangstieres stattgefunden hat. Unter reiner Linie wollen 
wir eine Generationenfolge von Einzeltieren verstehen, die durch Zwei- 
teilung aus einem Stammtier entstanden. Ausgangstier A spaltet sich 
in Tier A,, A,, A, in A, ,undA, u.s.w. Die Anzahl, der "Deilschritte 
zwischen zwei Reorganisationsvorgängen bezeichnen wir als Genera- 
tionenfolge. Es wäre falsch, die Summe aller Teilschritte zwischen zwei 
Reorganisationsvorgängen eine Generation zu nennen, denn manche Pro- 
tısten haben weder Amphimixis noch ist bei ihnen Endomixis bekannt. 
Es muß von vornherein darauf aufmerksam gemacht werden, daß bei 
der Aufzucht in Einzell-Linien stets nur eine zufällige Auswahl von 
Linien untersucht wird. Klon ist nach Johannsen 1913 die Summe 
aller Tiere der gezüchteten, vegetativ entstandenen Einzell-Linien, welche 
von einem Ausganstiere stammen. .‚Jennings sagt mitunter dafür 


1) Die meisten Autoren folgen hier Jennings Namengebung 1908, indem sie 
Jennings Einschränkungen von 1911 als bekannt voraussetzen und die Ausführungen 
desselben Autors 1912 über die Homozygotie oder Heterozygotie bei reinen Linien von 
Protozoen billigen. Also „pure line“, besser „pure bred line“ oder „pedigreed line“ 
und „reine Linie“, „Einzell-Linie“, „Individual-Linie‘ sind synonym zu brauchen. 
Schon Jennings setzte 1916 den Ausdruck „reine Linie“ in Anführungsstriche und 
ich bin ihm darin in meiner Arbeit 1919 gefolgt, um gleich darauf aufmerksam zu 
machen, daß bei dem Gebrauch Vorsicht notwendig ist. 


- 


Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten. Ay 


„Familie“ 1916, früher mitunter auch „Strain“ und „Race“. Diese 
drei letzten Ausdrücke sind besser zu vermeiden. Alle Nachkommen 
eines einzelmen Ausgangstieres sind noch niemals aufgezogen wor- 
den, hierzu würde man einen Stab von Experimentatoren brauchen. 
In jeder Linie sterben nun Einzeltiere. Entweder hat nun diese 
Linie für das Experiment auszufallen oder man interpoliert von andern 
benachbarten, nahe verwandten Linien. Ich mache besonders darauf 
aufmerksam, daß bei strengster Versuchsanordnung kein Interpolieren 
stattfinden soll, denn hierdurch wird das Resultat einer etwaigen Auf- 
spaltung verschleiert. Bei Beginn der Versuche mit Protisten hat man 
sehr häufig Massenkulturen benutzt und einfach diese Massenkultur 
von einem Einzeltier angesetzt. Dadurch glaubte man alle Nach- 
kommen dieses betreffenden Tieres zu erhalten, bedachte aber nicht, dab 
jeder unbeobachtete amphimiktische und endomiktische Vorgang neue 
Aufspaltungen schaffen kann, die dann wieder die auftretenden Charak- 
tere dieser von einer Stammform ausgehenden Massenkultur ver- 
schleiern können. Man vergaß auch auf das Sterben der Individualtiere 
in einer solchen Kultur zu achten. Man muß also Massenkulturen 
wählen, bei denen man die Intervalle zwischen zwei Reorganisations- 
prozessen, ein solcher ist auch die Amphimixis, studiert. Oder man 
muß von einem Reorganisationsprozeß bis zum andern genau das Schick- 
sal der reinen Linien in Einzell- und Massenkulturen zugleich 
verfolgen und es wieder nach dem nächsten Reorganisationsprozeb stu- 
dieren und es vergleichen, wie es z. B. von Jennings für die Kon- 
jugation getan worden ist. 


Also einwandfreie Aufzucht und die genaueste Kenntnis der 
Sexual- und Fortpflanzungserscheinungen der zu studierenden Formen 
sind Vorbedingungen einer erfolgreichen Lösung der Probleme. Aber 
hier gerade liegt die Schwierigkeit. Ich scheide alle Bastardierungs- 
versuche mit sogen. reinen Linien (Pascher [1] und Burgeff |2|]), 
bei denen eine Mendelspaltung berichtet worden ist, als nicht zum Thema 
gehörig aus. Ich greife nur die Arbeiten für diese Besprechung her- 
aus, die wenigstens dem Stande der heutigen Anforderungen an Technik 
einigermaßen entsprechen. Merkwürdigerweise sind die Rhizopoden und 
die holotrichen und hypotrichen Infusorien weitaus am meisten zu 
Experimenten benutzt. Leider ist von den studierten Formen unter den 
Rhizopoden der Sexualakt bei manchen von ihnen unbekannt, bei andern 
mangelhaft untersucht, jedenfalls aber nicht willkürlich experimentell 
auslösbar. Dagegen ist der amphimiktische Vorgang bei den Infusorien, 
die Konjugation, genau bekannt und oft experimentell auslösbar (Jen- 
nings [3], Enriques [4], Zweibaum [5]). Die Enzystierung 
ist bei manchen Formen zytologisch ausreichend studiert und unter 
Umständen sogar experimentell- (Menghini [6]) zu erzwingen. 
Aus dem Flagellatenkreise ist nur eine ältere Arbeit Dallingers 
|7| 1887 einschlägig, der in Massenzuchten, von einem Individuum 
ausgehend, bei Monadinen, durch jahrelange Aufzucht in immer höheren, 


D gr 


E 


59 Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten, 


sraduell gesteigerten Temperaturen die Entstehung einer neuen Rasse bei 
rein vegetativer Vermehrung zu beobachten glaubte. Nach dem Analogon 
bei Metazoen würden wir nur dann von einer Neuerwerbung vererbbarer 
Figenschaften reden dürfen. wenn nach einem Geschlechtsakt unter Tieren 
der gleichen reinen Linie oder seinem physiologischen Ersatz sich die 
neuerworbenen Eigenschaften in den neuen Grenerationsfoleen wieder 
zeigen. Das ist nicht von Dallinger getan. Ich untersuche vorläufig 
nicht, ob dieses Kriterium ohne weiteres auf die Erscheinungen bei 
Protozoen anwendbar ist, da bei vielen kein Reorganisationsvorgang 
bekannt ist, sondern berichte erst Ergebnisse, die aus neuen, technisch 
in vielen, aber nicht allen Punkten einwandfreien Arbeiten zusammen- 
gestellt sınd. 

Die Abbildungen geben in rascher Übersicht die Tatsachen; die 
Ansicht des Forschers über seine Resultate und meine Kritik folgt 
nach jeder Arbeit. Hier sind zuerst die Versuche Jennings |8| an 
Difflugia corona 1916 zu erwähnen. Nicht interpolierte Einzellkulturen 
sind von einem Tier angelegt. Vier Linien 198, 197, 324, 323 sind 
in Abb. 1. gezeigt. Die Di/flugia eignet sich durch ihre meßbaren 
variablen Charaktere vortrefflich zu Aufspaltungsexperimenten. Man 
kann die Zahl der Schalenzacken, die Länge der Schalenzacken, den 
Durchmesser der Schale und der Mundöffnung bequem messen. Es 
spaltet sich das Stammtier ın Generationenfolgen, die sich durch die 
Anzahl der Schalenzacken unterscheiden (Abb. 1, Familie 198): und 
auch mit gewissen Einschränkungen dauernd erhalten bleiben. Unter 
diesen während des Experiments auftretenden Verschiedenheiten sind 
aber die einen vererbbar, die andern nicht. Es ist nicht ohne weiteres 
erkenntlich, welche der kleinen oder größeren meßbaren Verschieden- 
heiten vererblich oder nicht vererblich sind. 

Getadelt wird an der Jenningsschen Arbeit die nicht gleich- 
mäßig dosierte Nahrung (Detritus, dessen chemische Zusammensetzung 
vechseln kann, wenn er auch stets aus denselben Teichen stammt), und 
dab Schalenmerkmale, nicht Körpermerkmale als Selektionsmerkmale ge- 
wählt wurden. Ein vorläulig im Objekt liegender Fehler ist der nicht auf- 
tretende Geschlechtsakt, wenn man den Tieren dazu Gelegenheit geben 
würde. Das Auftreten von Linien mit vererbbaren Merkmalen, die durch 
vegetative Teilung entstanden sind, erklärt Jennings durch die eigen- 
artige Struktur der chromatischen Bestandteile dieses Tieres. Dij- 
Iugia hat kein geschlossenes Kernsystem, sondern ein Chromidialnetz, 
das sich bei jeder Teilung, vielleicht nicht ganz identisch gleich, auf 
die beiden Schwestertiere verteilt und so nach unseren heutigen theo- 
retischen Beeriffen eine Aufspaltung des genotypischen Materials er- 
laubt. Mir selbst erscheint nur das eine bedeutsam, daß Jennings 
serade ein solches Tier gewählt, bei dem man nicht einen amphimikti- 
schen oder endomiktischen Vorgang zum Beeinn des Experiments setzen 
konnte. 


ir‘ EN he 


Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten. 53 





Abb. 1. Difflugia corona. Glieder 4 verschiedener „Familien“ aus einem Ausgangstier 
entstanden. Familien 198 und 197, 324 und 323 entsprechen also ‚reinen Linien‘, 


von denen viele Einzeltiere länger am Leben erhalten und untersucht wurden. 
Linie 324 hat dauernd große Tiere mit großen Fortsätzen, Linie 323 große Tiere 


mit kleinen Fortsätzen, Familie 198 besteht aus Tieren mit kleinen Durchmessern 
und vielen Fortsätzen, Familie 197 zeichnet sich durch größeren Durchmesser 
und Fortsatzarmut aus. Jennings, Life and Death, Heredity and Evolution in 
unicellular Organisms. Boston 1920 Abb. 21 (vergl. Jennings 1916 ausführ- 
liche Arbeit). 


Ähnlich geht Root |9| 1918 bei der Aufzucht von Centropy.ris 
aculeala vor (Abb.2): und hat gleiche Resultate wie Jennings. Er 
kann aus einem Ausgangstier Linien mit wenigen und Linien mit vielen 
Schalenzacken aufziehen. Im Gegensatz zu Jennings kann er in den 
Monaten Februar - März ein Abtlauen der Teilungsgeschwindiekeit dieser 
Tiere beobachten; es folgt dann die Umwandlung des Gesamtplasmas 
des Tieres ın kleine Flagellaten, die vielleicht kopulieren. Eine Auf 
zucht dieser Flagellaten und eine Prüfung, ob die Charaktere der Aus- 
gangslinie nach diesem amphimiktischen Akt erhalten bleiben, konnte er 
aus technischen Gründen nicht ausführen. Aber hier scheint doch die 
Möslichkeit vorhanden, bei diesem Tier den ganzen Lebenskreis einer 
reinen Linie vererbungstheoretisch zu untersuchen. Auch hier ist die 


54 Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten. 


Nahrung nicht dosiert und exoplasmatische Merkmale sind Selektions- 
merkmale. 

Einen Schritt weiter kommt Hegner 1919 [10, 11]. Er studiert 
zuerst alle jene Einflüsse, die die Schalengröße und die Zahl der 
Schalenzacken bei der Aufzucht verändern können. Sein Objekt ist 
Arcella in vier verschiedenen Spezies. Die meisten seiner Studien sind 
an Arcella dentata ausgeführt, die sich sogar durch einen im Leben 
sichtbaren Kern — es gibt einkernige und zweikernige Tiere — 


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2 > 


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N 
Abb. 2. Zwei durch Selektion aus einem Ausgangstier von Centropyzxis aculeata‘ent- 
standene „reine Linien“, die obere mit zahlreichen Fortsätzen, die untere mit einer 
geringeren Anzahl von Fortsätzen. Am Schlusse der gerichteten Selektion be- 
trug der Durchschnittsunterschied zwischen der + und der — selezierten Linie 


in der Zackenzahl eins, ein hoher Wert, da die Anzahl der Zacken überhaupt 
gering ist (6—7 als Höchstzahl) nach Root 1918 Abb. 6. 


vorteilhaft von den anderen Formen auszeichnet. Abbildung 3 zeigt 
nun ein Aufspalten der Ausgangslinie von Arcella dentata, die Selektion 
ist hier auf die Anzahl der Schalenzacken gerichtet worden, da diese 
sich proportional der Kerngröße verhalten und nicht durch Aufzuchts- 
bedingungen verändert werden wie die Zackenlänge. Diese Selektion ist 
für 64 Tage 22 Generationen lang, nach entgegengerichteten Zielen aus- 
geführt worden, während der Unterschied in der Durchschnittszackenzahl 
am Anfang des Versuches minus 0,07 betrug, ist er nach 64 Tagen auf 
1,16 gewachsen. Nun wird mit der Selektion aufgehört, während 35 Tagen 
sind die Linien sich selbst überlassen, der Unterschied fällt ein wenig, 


Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten. 55 


bleibt aber doch im Vergleich zum Ausgang erhalten. Er beträgt jetzt 
0,43. ‚Jetzt fängt Hegner wieder an zu selezieren, die Minus-Linie 
spaltet sich nun wieder auf in eine Linie mit fast ebenso hoher Zacken- 
zahl, wie die plus selezierte Linie und eine Linie, die ziemlich geringe 








Keine Selektion ; "}45 Selektion | 


Plus Selektion 0 - W100 10 a2 169 er i 
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6: 2% :Minus Selektion ' 

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Minus Selektion : Keine Selektion ' r a 
: Minus Selektion 


Abb. 3. Zeigt das Ergebnis der auf + gerichteten Selektion der Schalenzackenzahl bei 
Arcella dentata der Familie 58 Jedes abgebildete Dreieck oder Viereck stellt 
eine bestimmte Periode des Experiments dar. Die Zahl in den Dreiecken 
stellt die Anzahl der Tiere dar, die aus einem Tier entstanden war, aus denen 
dann wieder seleziert wird. Die Zahl in den Rechtecken deutet den Bestand 
an Tieren an, auf welchen während der Perioden, in welchen nicht seleziert 
wurde, die betreffende Familie gehalten wurde. Die Zahlen über den Drei- und 
Vierecken ist die Durchschnittszackenzahl dieser betreffenden Periode notiert. 
Die in der Mitte für jede Periode errechneten Zahlen zeigen die Differenz 
der Schalenzackenzahl der Plus und Minus selezierten Linie im Durchschnitt an. 
(Siehe auch Text.) Nach Hegner 1919 Abb. 11. 


Durchschnittszackenzahl hat. Dies zeigt Abb. 3, doch mub gesagt wer- 
den, daß die Verhältnisse noch nicht geklärt sind. Das Wiederanstei- 
sen der Durchschnittszackenzahl während der nicht unter Selektion 
stehenden Periode kann nicht ohne weiteres hingenommen werden. Aber 
das geht klar aus diesen Versuchen hervor, daß eine Aufspaltung der 
(renerationenfolgen, die aus einem Ausgangstier entstehen, sichtbar ist. 
Da auch hier die geschlechtliche Individualgeschichte des Ausgangs- 
tiers nicht bekannt ist und auch bei Heener Perioden vorkommen, 
bei denen keine rasche Vermehrung der Einzeltiere stattfindet, so mub 
zusleich mit der nichtdosierten Nahrung das Urteil dahin lauten, dab 
eine Nachuntersuchung dringend nötig Ist, um die bei vegetativer Teilung 
experimentell entstandene Kumulation der gewählten plus sele- 
zierten Eigenschaft sicher zu stellen. 

Das wiederholte Sichautspalten derselben Linie während der 
langen Periode der vegetativen Vermehrung kann vielleicht durch die 
Jetzt zu schildernden Verhältnisse bei Paramecium erklärt werden, die 





56° Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten. 





schon seit dem Jahre 1908 Bu worden sind. Schon im Jahre 
1908 untersuchte Jennings [12] die Erblichkeitsverhältnisse von 
Paramecium candatum und Panel aurelia, er fand, dab die Durch- 
schnittslängen, nachdem einmal „reine“ Linien aus einer Population ge- 
funden waren, konstant bleiben. Jennings stützte also damals 
Johannsens Anschauung über die Konstanz der reinen Linie. Er 
selbst konnte aber nichts über die Entstehung dieser Linie aussagen 
Aber wie ich schon im Anfang erklärt habe, sind die Massenkulturen 


65 










50 





55 





50 











































































































0-3 ER»: — D— > 
E06 108 72 WO TEE 008 TUO TUT 750 707 768 175 W2 36 5 112 79 126 7133 WO MI 154 101 168 175 702 189 


Abb. 4 u. 5. Wirkung der Endomixis bei Paramecium aurelia. Aufspaltung der 
Linie O bei der 896. Generation in zwei Linien mit verschiedenen Durchschnitts- 
längen, die sich bei der kleineren Durchschnittslänge 140 « 2 weitere Reorgani- 
sationsprozesse konstant bei gerichteter Selektion “hielt. Die Linie mit der 
größeren Durchschnittszahl 154 « spaltet sich nach der 981. Generation noch 
einmal auf. (Erdmann 1920.) 


nach unseren heutigen Kenntnissen nicht einwandfrei angelegt. Die 
Reorganisationsprozesse sind nicht beachtet und so ist das Auftreten 
von vererbbaren Verschiedenheiten verschleiert. : Ich selbst konnte schon 
im Jahre 1919 — die ausführliche Arbeit ist erst 1920 im Archiv für 
Entwicklungsmechanik erschienen — nachweisen, daß bei vegetativer 
Vermehrung, nach dem von Woodruff und mir 1914 gefundenen endo- 
miktischen Reorganisationsprozeß, einer diploiden Parthenogönese eine 
Aufspaltung in verschiedene Linien stattfindet, die durch e«erichtete 
Selektion erhalten bleiben (Abb. 4, 5). Das Richten kann entweder der 
Experimentator oder die Natur besorgen (Abb. 6), oft sind die auftreten- 
den Kombinationen nicht lebensfähig. Da die Temperatur und Nahrung 
gleich (gleiche Art von Bakterien und sterile Nahrung der Bakterien 
dosiert) sind, so kann hier nur eine innere Verschiedenheit das Absterben, 
der Einzeltiere verursachen. Dieses kann entweder sofort nach dem 
Umordnungsprozeß vorkommen oder aber kurz vor dem nächsten Um- 
ordnungsprozeß. Während also nach dem endomiktischen Prozeß fast 
mit Sicherheit das Anufspalten der Ausgangslinien beobachtet worden 
ist, das sich alle 60 Generationen bei Paramecium anrelia und 120 Gene- 
rationen bei Paramecium candatum wiederholt und immer wieder neue 





Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten. 57 


Kombinationen schafft, sind auch nach der Konjugation, also dem amphi- 
miktischen Vorgang, Aufspaltungen (Jennings 1913 |19]) be- 
schrieben; auch hier sterben viele Kombinationen, aber doch dient die 
Konjugation, wie die Parthenogenese dazu, die Zahl der Variationen zu 
vermehren und trägt so indirekt zur Erhaltung der Spezies bei. Ich 
habe hier mit Absicht bei Paramecium den nach der Konjugation und der 
Endomixis auftretenden Aufspaltungen den Namen Kombinationen 
gegeben. Daß sie es nach der Konjugation sind, ist wohl sicher, da die 


















































56 73 a m 84 97 95 WS M2 79 126 733 MO W7 159 

Abb. 6. Anscheinende Konstanz der Durchschnittslängen während 1525 Generationen 
der vegetativen Aufzucht einer Einzell-Linie von Paramecium aurelia (AE). 
(Siehe Text.) (Erdmann 1920). 





Erbmassen zweier Individuen der Ausgangslinie umgruppiert werden ; 
doch nach der Endomixis wird auch die Erbmasse in dem Einzeltier 
umgeordnet. Diese Kombinationen bleiben aber nur in der Periode 


zwischen zwei Konjugationsvorgängen — also bei manchen Rassen so- 
sar nur 1—2 Monate, Jennings 1911 — oder zwischen zwei Endo- 


mixisvorgängen erhalten. ‚Jeder Reorganisationsvorgang läßt wieder 
neue Kombinationen entstehen. 

Die Verhältnisse bei Paramecium werden von Jollos |20) (1913. 
1914, 1916 und 1920) anders gedeutet. Jollos unterscheidet das 
Auftreten von Modifikationen, Dauer-Modifikationen und Mutationen 
in Einzell-Linien bei vegetativer Vermehrung bei Paramecium. Er hat 
aber in seinen Massenkulturen in der ersten Arbeit nicht beachtet, dab in 
genau festgesetzten Perioden die Linie sich aufspaltet und dab man 
also von einer Dauermodifikation nicht sprechen kann, wenn sich die 
entstandene Modifikation alle 60 Generationen verändern kann. Das 
scheinbare Konstantbleiben seiner an Arsen gewöhnten Linien verdankt 
er eben dem Reorganisationsprozeß selbst. Als die Tiere an das Gift 
gewöhnt wurden, starben nach seinen eigenen Worten viele, also die 
Tiere machten sofort, wie sie es bei jeder starken Veränderung des 
Milieus tun (Woodruff und Erdmann 1914, p. 482; Woodruff 
1917), den Reorganisationsprozeß durch und es blieben sofort die sogen. 
arsenfesten bestehen. Da das Medium zuerst dasselbe blieb. so er- 
hielten bei den nächsten Reorganisationsprozessen die für dieses Milteu 
am geeignetsten angepabten Linien. Hörte die Gittwirkung auf, so 


58 Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten. 


klang das erworbene Vermögen der Giftbeständigkeit nach Jollos 
langsam ab. Nach meiner Auffassung (vgl. Erdmann 1920) heißt 
es, dab nach jedem neuen Reorganisationsprozeß, den Jollos damals 
nicht getunden hatte, auch Linien erhalten bleiben konnten, die nicht 
an das Gift gewöhnt wurden, zugleich mit solchen, die an das Gift 
gewöhnt waren. Ich würde also nicht hier von Dauermodifikationen 
nach meiner Auffassung sprechen können, da die Giftgewöhnung nicht 
in der neuen Umgebung hinderlich war. Daß eine Mutation in einer 
Massenkultur, wie Jollos auch weiter behauptet, vorkommen könnte, 
wage ich nicht in Abrede zu stellen, aber das, was in Jollos Massen- 
kultur als Mutation angesehen ist, ist nur eine Kombination, die un- 
beobachtet endomiktisch entstanden und bei der als Kriterium dienenden 
folgenden Konjugation von Tieren der gleichen Linie, sich wieder zeigte. 
Jennings vererbbare Verschiedenheiten, die größer oder kleiner, auf- 
fallend oder weniger auffallend, sein können und von kleinen Sprüngen 
bis zu einem ganz großen Sprung gehen können, sind, wenn sie erblich 
sind, dasselbe wie Jollossche Mutationen, also Kombinationen. 
Aber das muß ich wieder betonen, alle diese Sprünge bleiben, soweit 
unsere Erfahrungen reichen, innerhalb der Variationsbreite dieser Spe- 
zies. Es kann sich nur um ein Verschieben des genotypischen Moduls 
nach der einen oder anderen Richtung handeln, wenn wir nur die so- 
senannte reine Linie studieren. Über bastardierte ‚reine Linien“ mit 
genau bekannten analysierten Eigenschaften fehlt uns ja fast jede Er- 
fahrung. 

Aufspaltung in Einzell-Linien — also ohne Hinzutreten von indi- 
viduumfremdem Chromatin — ist von vielen Autoren sowohl für 
Paramecium als auch für andere Infusorien [21—25] berichtet; aber nicht 
immer für unsere Zwecke ausreichend studiert worden. Paramecium- 
linien mit überzähligen Vakuolen (Hance 1917), mit überzähligen Mikro- 
nuclei (Powers und Mitchell), mit fehlendem Mikronucleus (Lan- 
dis 1920, Woodruff 1921) sind beobachtet worden. Diese Tiere 
können in Einzell-Linien aufgezogen werden. Auch bei Didinium Tan- 
den sich Linien ohne Mikronucleus (Patten 1921 [25]) die aber bis 
jetzt nur 600 Generationen lebensfähig sind. 

Bei Oxytricha hymenostoma treten plötzlich Doppeltiere auf, die 
auch in Einzell-Linien gezüchtet werden können (Dawson [26 1917). 
Wann diese abweichenden Individualtiere, die den Ausgangspunkt wieder 
zu neuen Linien bilden. erscheinen, ist nicht geklärt. 

Und doch schien eine Autdeckung dieser wichtigen Vorgänge nach 
der auisehenerresenden Arbeit von Middleton 27 1915 leicht, wenn 
hier wirklich durch das Experiment die Zerlegung der Ausgangslinie 
von Stylonychia pustulata in eine sich schnell teilende und sich lang- 
sam teilende gelungen wäre. Mast |28' 1917 berichtet das Auftreten 
einer sich schneller als die Ausgangslinie sich teilende Linie bei Didinium 
nasutum. Sie entstand 721 Generationen nach der Konjugation und 197 
nach der Enzystierung. Mast faßt dies als Mutation auf. Middle- 


\ 


Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten. 59 


ton aber spricht von erfolgreicher Selektion. Middleton ging so 
vor (Abb. 7): stets wurde das langsamer sich teilende Tier oder das 
schneller sich teilende Tier (Minus- oder Plusselektion) zum Fortsetzen 
der betreffenden Linie gewählt. 






Abb. 7. Zeigt die Methode der Selektion Middletons. Linke Seite Tiere, die im 
gleichen Zeitraum 4 Teilungsschnitte durchgemacht, rechte Seite Tiere mit 
nur 2 im gleichen Zeitraum. (Aus Jennings 1920 nach Middleton.) 


Abb. 8 zeigt den Erfolg und selbst das strenge Kriterium der 
Vererbungstheoretiker ist bei einem anderen Experiment erfüllt. Midd- 
leton konnte das Erhaltenbleiben der Charaktere auch nach der Kon- 
jugation beobachten. Und doch befriedigt die Arbeit nicht ganz. Sty- 


Plus selezierie Linien 


= Minus selezierte Linien 


Abb. 8. Teilungsrate der schnellen und der langsamen Linien Middletons in einem 
Zeitraum von 130 Tagen. Ordinaten, Generationenzahl, Abszissen, 10 tägige 
Periodenzahl. Die Tiefstände der Teilungszahl bei 50 und 110 sind zu beachten. 
Nach Middleton 1915 Abb. 3. 


lonychia kann sich enzystieren und weiter ist auf die Schwankungen 
der Teilungsrate der einzelnen Linien (Middleton S. 478). nicht 
überall genügend geachtet worden. Es ist sicher, trotz der gegenteiligen 
Behauptung, daß er die Enzystierung übersehen hat oder-daß langsamer 
sich teilende Linien mit geringer Ausgangsvitalität gewählt wurden. 
Weiter verhalten sich ‘die langsamen Linien nach der Konjugation so, 
als ob sie schnelle wären und erst nach 5 Tagen zeigt die schnelleLinie 
ihren Charakter und produziert mehr Generationen als die langsame. 
Auch steht die Zahl der Selektionsschnitte in keinem Verhältnis zu den 
Resultaten, wie ich schon 1920 S. 142/143 ausgeführt habe. Ich habe 


60 Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten. 


Tabelle. 1. 


Versuch I vom 28. Oktober 1920 Ausgang (Middleton) „Wildes Tier‘. 
Zeigt das Ansteigen der Pluswerte in der ersten 30-Tage-Periode. 
Durchschnitt 


Linie: Summe: ade 
pro Linie: 
Tag 1—10 
—- Selektionen' 24 3 
(Generationen 152 19 
— Selektionen 28 3.5 
Generationen 140 1765 
Überschuß i2] 190 
Kontrolle 145 18.125 
Tag 11—20 
—- Selektionen 5 4.25 
Generationen 21] 26.375 
— Selektionen 35 4.375 
(Generationen 186 23.75 
Überschuß 25 13.125 X 
Kontrolle 229 28.625 


Tag 21—30 


—+- Selektionen 3 3.875 
Generationen 207 25.875 

— Selektionen 3 4,25 

. Generationen 147 18.375 
Überschuß DRS 
Kontrolle 210 26.25 
Summe aller. 30 Tage 

—- Selektionen sy 11 125 
Generationen 570 71.25 

— Selektionen 97 12.125 
(fenerationen 473 59.25 
Überschuß 225° 
Kontrolle 584 73 


nun meinem Schüler Stolp eine Nachuntersuchung genau nachMiddle- 
tons Vorschrift an einem hypotriechen Infusor Kuplotes longepenmnis 
ausführen lassen. Dieses Tier zeigt genau, wie Uroleptus mobelis 
(Calkins [29, 30] 1918, 1919), daß, um die Linien dauernd zu er- 
halten, unbedingt Enzystierung oder Konjugation eintreten muß. und daß 
sich, je näher die Zeit kommt, in der sich eigentlich die Konjugation ab- 
spielen müßte, die Teilungsgeschwindigkeit bei allen Linien, sowohl lang- 
samen und schnellen Linien als auch Kontrollinien, senkt. Tabelle | 
zeigt einen solchen Versuch, genau wie Middleton ihn anstellte, aber 
an Euplotes. Sein Ausgangstier war, ein sogenanntes ..wild animal“, wäh- 
rend Stolp sowohl von einem Exkonjuganten als auch von einem „wild 
animal“ ausging (Tabelle 1 und 2). Man sieht, wie der Uberschuß an 





b 
u 
2 


Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten. 61 


Tabelle 2. 


Versuch I vom 22. November 1920 Ausgang von einem 


Exkonjuganten. 


Zeigt das Ansteigen der Pluswerte in der ersten 30-Tage-Periode. 


Zur besseren UÜber- 


sicht ist auch die Anzahl der Generationen in beiden Tabellen den Kontrollen beigefügt. 


Linie: 


Tag 1—10 


Summe: 


Durchschnitt 
pro Linie: 





—+- Selektionen 34 +.25 
(Generationen 200 25 

— Selektionen at 3.875 
Generationen 179 22.375 
Überschuß il 2.625 X 
Kontrolle 187 23.819 
Tag 11—20 

—- Selektionen 3 3.875 
Generationen 121 15.125 

— Selektionen 29 3.625 
Generationen 93 11.625 
Überschuß 28 IX 
Kontrolle 72 9 
Tag 21—30 

—- Selektionen 36 4.5 
(zenerationen 95 12.25 

— Selektionen 25 3.125 
(renerationen 55 6.875 
Überschuß [#3 5.373 X 
Kontrolle 51 6.375 

Summe in allen 30 Tagen 

—- Selektionen 101 12.625 
(Tenerationen 419 52.375 

— Selektionen 82 10.25 
Generationen 2. 40.875 
Überschuß 12] 1150..% 
Kontrolle 310 38.75 


Generationen bei beiden Versuchsreihen ın der ersten 30-Tage-Periode 
wächst, sowohl für das „wild anımal“, wie auch den Exkonjuganten. 
Man sieht aber auch weiter, daß die sogenannten Langsamlinien solche 
Linien sind, die keine Lebenstähigkeit haben und daß, wenn eine lang- 
same Linie sich erholt, sie sich enzystiert oder zur Konjugation zuge- 
lassen wurde. Ich selbst habe im Juli 1921 die Cystenbildung eines Ein- 
zeltieres in Einzell-Linien von Ewplotes beobachten können, das vier 
kleine Ciliaten aus sich entstehen ließ. Da Stolp schon im März 
5 Oysten gefunden, die aber nicht ausschlüpften, so wird ja auch wohl 
bei Stylonychia die Enzystierung nachweisbar sein. Hat doch auch 


69 Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten. 


Tabelle 3. 
Durchschnittswerte der Generationenzahlen von den sogen. schnellen, langsamen und 
Kontrollinien von Euplotes für je 8 nicht interpolierten Linien nach 10tägigen Perioden 
getrennt berechnet. 


Ausgang von einem wilden Tier nach Middletons Versuchsanordnung. 
(Versuch vom 28. Oktober 1920.) 


Periode Pluslinie Minuslinie Kontrolle Bemerkungen 
1—10 Tage 19 179 18.125 
11—20 „, 26.375 23.05 28.625 
21-30 , 25.875 18.375 26.25 
31—40 „ 30.75 0 27 Minuslinien sterben 
A H0ER 22 Sr 21 schon vor Tiefstand aus. 
51—60 „, 15 19 
61—70 „, 22 16 
zi= 80%, 30 | 25 
812902, 30 29 
9 200, 27 21 
101—110 „, 3 8 
111—120 ‚, B) 5 Erster Tiefstand des 
121—130 „, 3 3 Lebenskreises zwischen 
131—140 „, 1 0 dem 100. und 120. Be- 
141—150 „, 2 0 obachtungstage. 
151—160 1 0 


Calkins bei seiner Form im Laufe von drei Jahren ‚zweimal Enzy- 
stierung gefunden in Einzell-Linien. Hätte Middleton die Schick- 
sale jeder Einzell-Linie länger beobachtet (seine Versuche mit dem- 
selben Ausgangstier erstrecken sich über vier Monate) und nicht das 
Schicksal seiner Kultur im ganzen studiert, die ja auch nicht über Jahre 
hinaus ohne Reorganisationsprozeß hätte leben können, da er ja selbst 
eine. Veränderung der Vitalität der Abkömmlinge seines ersten „wild 
animals“ konstatiert und zu seinen letzten Versuchen wieder ein Tier 
von außerhalb, aus der freien Natur nimmt, dann hätte er geschlossen, 
daß er nicht Tiere, die sich langsamer teilen, ausgewählt hätte, sondern 
Tiere mit herabgesetzter Vitalität (vergl. Stolps Tabellen 3 und 4), 
wie sie ohne Selektion in jedem Experiment erscheinen (vergl. auf 
Tabelle 1 die Gesamtanzahl der —-selezierten Tiere mit der der Kon- 
trollen, die bei Middleton fehlen). Diese Verschiedenheiten sind aber 
sicher durch die dem Experimentator unbekannten, vorangegange- 
nen Reorganisationsvorgänge — sei es Konjugation oder Enzystierung 
— bedingt und werden durch die durchlaufenen vegetativen Teilungen 
manifest und durch gerichtete Selektion nur akzentuiert. 

Um also die im Eingang aufgestellten Fragen lösen zu können, 
müssen wir Formen wählen, bei denen wir die ganzen Lebenskreise 
kennen und beherrschen. Nur dann werden sich gesicherte Resultate 
ergeben, nur dann werden wir sehen, ob die während des vegetativen 


Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten. 63 


Tabelle 4. 
Durchschnittswerte der Generationenzahlen von den sogen. schnellen, langsamen und 
Kontrollinien von Euplotes für je 8 nicht interpolierten Linien nach 10tägigen Perioden 
getrennt berechnet. 


Ausgang von einem Exkonjuganten. 
(Versuch A vom 22. November 1920.) 


Periode Pluslinie Minuslinie Kontrolle Bemerkungen 
1—10 Tage 25 22.375 23-300 Die anscheinende 
I 200% 19.125 11.625 1) Gleichheit der Teilungs- 
21—30 ,„ 12.25 6.875 0.375 rate kurz nach der Kon- 
31—40 30.375 17.125 31:25 jugation ist auffallend. 
41—50 „ 21 1725 20.75 
51—60 ,„ 24.25 14.75 23.75 
6170 „, 29 24 28.25 
71—80 ‚, 11.9. 9.25 12.50 
81905, 1.75 1.75 5.25 
91—100 „, 1:75 0 2 
101—110 ‚, 1.5 >09 3 Aussterben der Minus- 
111—120 ‚, 2:75 0.75 tiere in dem ersten Tief- 
1212 1902 16.50 1.5 stand zwischen 100. und 
131—140 ‚, 21.50 22.25 120. Tag. 
141—150 ‚, 15.75 15 
151—160 ‚, 18 5 
161-170, % 20 10 Zwischen dem 220. 
171-180, 27 7 und 240. DBeobach- 
181—190 „, 32 30.5 tungstage erneutes Aus- 
191—200 ,, 21 22.79 sterben der Einzeltiere 
Y \ und Enzystierung. 


Lebens auftretenden Verschiedenheiten nach der Amphimixis oder ıhrer 
Ersatzerscheinung, wenn diese Phänomene vorkommen, erhalten 
bleiben. Ich glaube, daß Jennings und ich recht haben, daß ein 
Aufspalten von „reinen“ Linien nach jeder Amphimixis oder ihrem Er- 
satz stattfindet und daß diese Vorgänge der Reorganisation die im der 
vegetativen Periode auftretenden Verschiedenheiten ausgleicht und viele 
neue Linien schafft, die dann der natürlichen oder gerichteten 
Selektion in der neuen Periode unterliegen. Gleich nach der Konju- 
sation sind, wie Jennings schon 1911 und 1913 für Paramectum ge- 
zeigt, auch diese Verschiedenheiten nicht sichtbar, sie werden erst im 
Laufe der intermiktischen Periode erkenntlich. 


Literatur. 


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2. Burgeff, H., 1915. Flora, Bd. 107 u. 108. 

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Nat. Vol. 45. 

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5. Zweibaum, J., 1912. Archiv f. Protistenkunde. Vol. 26. 


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64 Rh. Erdmann, Art und Artbildung bei Protisten. 


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9, Root, F. M., 1918. Geneties. Vol. >. 

10. Hegner, W., 1919. Genetics. Vol. 4. 

11. Hegner, W., 1919. Proc. of National Academy of Seience. Vol. 5. 

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3. Erdmann, Rh., 1919. Proc. Soc. Exp. Med. and Biol. Vol. 16. 

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16. Woodruff, L.L. u. Erdmann, Rh,, 1914. Journ. exp. Zool. Vol. 17. 

17. Erdmann, Rh. u. Woodruff, L. L., 1916. ibidem. Vol. 20. 

18. Erdmann, Rh., 1915. Sitzungsber. Nat. Freunde, Berlin. Nr. 7. 

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20. Jollos, V., 1913 u. 1916. Biol. Zentralbl. Bd. 33 u. 36. 1914 u. 1929 2. £. ind. 
Vererbungs- u. Abstammungslehre. Bd. 12 u. 24°). | 

. Powers, J. H. and Mitchell, C -W., 1910. Biol. Bull. Vol. 19. 

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3. Landis, E. M., 1920. American Naturalist. Bd. 54. 


DD DD 
Do 


DD 


[i 


24. Woodruff, L. L., 1917. Biol. Bull. Vol. 33 und 1921, Proe.. Soe. exp. Med. and 
Biol. Vol. 18. 

25. Patten, E., 1921. ibidem.. Vol. 18. 

26. Dawson, A., 1919. Journ. exp. Zool. Vol. 29. 

27. Middleton, A. R., 1915. ibidem. Vol 19. 

28. Mast, S. O., 1917. Journ. exp. Zool. Vol. 23. 

29. Calkins, 'G. N;, 1919. Journ. exp. Zool. Vol. 29. 

30. Calkins, G. N., 1920. Journ. exp. Zool. Vol. 31. 


2) Dieser am 3. August 1921 in der Deutschen Gesellschaft für Vererbungs- 
wissenschaft gehaltene Vortrag wurde von mir Mitte August zum Druck gegeben, 
ehe mir die große, seine eigenen Resultate aus den Jahren 1913—1920 zusammen- 
fassende, wiederholende und erweiternde Arbeit von Jollos zugänglich war. Ein Ein- 
gehen auf sie während der Korrektur hätte die Einheitlichkeit meiner Darbietungen 
gestört. Ich werde an anderer Stelle auf diese Arbeit ausführlich zurückkommen, in- 
soweit die Ergebnisse und Auffassungen des Autors nicht schon in meiner großen 
Arbeit 1920 „Endomixis and size varlations in pure bred lines of Paramaeeium“ Archiv 
.für Entwieklungsmechanik 1920, Bd. 46, d. h. also, Parthenogenese im weiteren 
Sinne oder Endomixis in Beziehung zu Größenveränderungen bei Einzell-Linien 
von Paramaeeinum gebilligt oder zurückgewiesen worden sind. 





u 


j 


G. Just, Wahrscheinlichkeit und Empirie in der Erblichkeitsstatistik. 65 


Wahrscheinlichkeit und Empirie in der 
Erblichkeitsstatistik. 


Empirische Materialien zur Weinbergschen @esehwister-Methode. 


Von Günther Just. 
(Kaiser Wilhelm-Institut für Biologie, Berlin-Dahlem, Abt. Goldschmidt.) 


Der vorliegende Aufsatz berichtet, teils referierend, teils im Sinne 
einer ug Mitteilung über einen Versuch, mit den Mitteln des 
experimentierenden Biolosen an eine mathematisch- statistische Me- 
thode der Erbforschung beim Menschen prüfend heranzutreten. Zur 
Ausschaltung des Rezessiven-Überschusses, der sich bei der Bearbei- 
tung als rezessiv anzusehender menschlicher Erbanlagen störend geltend 
macht, hat Weinberg zwei auf gleichem Prinzip ruhende Methoden 
angegeben, die Geschwister- und die Probanden-Methode. Ein paar 
Worte an Hand des beigedruckten Schemas mögen die Gedanken- 
gänge, die den Methoden Weinbergs zugrunde liegen, in Kürze dar- 
legen, damit unsere weiteren Ausführungen sofort verständlich seien. 

Unter einer Anzahl von Ehen heterozygoter Personen unter- 
einander (DR x DR), als deren Nachkommen 25% DD+50% DR 
25% RR zu erwarten wären, müssen sich stets auch solche befinden, 
die kein einziges rezessives Kind besitzen, weil bei der Kleinheit der 
menschlichen Familie nur ein sehr geringer Teil der möglichen Ga- 
ineten-Kombinationen zur Verwirklichung kommt. Der Vererbungs- 
statistiker aber, der oft genug die Heterozygotie der Eltern erst aus 
dem Auftreten von Rezessiven unter ihren Kindern rückwärts zu er- 
schließen vermag, übersieht diese Familien, in denen Eltern wie 
Kinder ausschließlich den dominanten Typ zeigen. Die Familien mit 
rezessiven Kindern dagegen bekommt er mehr oder weniger vollzählig 
zu Gesicht: so dee Rezessiven-Überschuß zustande, Er läßt 
sich auf Grund der Überlegung ausschalten, daß von einer Gesamtheit 
von Familien, die bei genügender Größe in ihrem Aufbau den Zufalls- 
gesetzen folgt und somit einen regelmäßigen Charakter besitzt, jeder 
gesetzmäßig herausgelöste Teil genau die gleiche Zusammensetzung 
zeigt wie die Gesamtheit selber. So ist in unserem Schema, das die 
Kinder von 64 heterozygoten Elternpaaren mit je 3 Kindern darstellt, 
jede der drei Spalten genau der anderen gleich, — nur die Reihen- 
folge der dominanten und rezessiven Kinder wechselt. Schneidet man 
also aus den 64 Familien jeweils das 1. oder auch das 1. und 2. Kind 
weg, so besitzt das weggeschnittene Stück ebenso wie der verbleibende 
Rest immer wieder ein Verhältnis von 75%, Dominanten zu 25 %, Re- 
zessiven. Das gleiche gilt für den Rest, der bei Wegschneiden eines 
richtig gewählten Teils der 1. Spalte, etwa nur der Dominanten 
oder nur der Rezessiven, übrigbleibt. Schneiden wir etwa die links 
von dem senkrechten Strich gezeichneten Rezessiven weg, d. h. sämt- 
liche Rezessiven der 1. Spalte, und erfassen wir so die Familien 1—7 

42. Band. > 


66 G. Just, Wahrscheinlichkeit und Empirie in der Erblichkeitsstatistik. 


und 11—19 (im Schema rechteckig umrahmt), so muß der nach Weg- 
fall der Rezessiven verbleibende Rest, d. h. die Spalten 2 und 3 inner- 
halb der beiden Rechtecke, das Zahlenverhältnis 75 :25 ergeben. Eine 
Auszählung unter Berücksichtigung aller 3 Kinder in den Rechtecken er- 
gibt 24 Dominante und 24 Rezessive, also einen Rezessiven-Überschuß, 
bei Berücksichtigung nur der 2. und 3. Spalte 24 Dominante und 8 Re- 
zessive,. d. h. das richtige Verhältnis. Damit haben wir das Prinzip 
der Weinbergschen Probanden-Methode, auf die wir im übrigen hier 
nicht näher eingehen, erfaßt: Ausgehend von einem nach bestimmten 
Gesichtspunkten ausgewählten Teil der Rezessiven untersucht man 
deren Geschwister und nur diese; sie ergeben die Zahlenverhält- 
nisse der Gesamtheit. — Hätten wır nun aber nicht nur !/,, sondern 
2/, der Rezessiven in die Untersuchung einbeziehen können, so müssen, 
damit das Ganze richtig bleibt, in den Familien 1—4, die links vom 
Doppelstrich je zwei Rezessive besitzen, dementsprechend auch deren 
Geschwister doppelt gezählt werden; also in Familie 2 z. B. muß man 
rechnen: jeder der beiden Rezessiven hat 1 dominantes und 1 rezes- 
sives Geschwister, zusammen haben sie daher 2 dominante und 2 re- 
zessive Geschwister. Bei dieser Rechnungsart, die ja nichts anderes 
ist als eben die Verdoppelung unserer ersten Rechnung, erhalten wir 
für die Geschwister der Rezessiven in Familie 1—28 statt der falschen 
unmittelbar zu zählenden 45:39 das richtige Verhältnis 48:16. Nehmen 
wir schließlich die Gesamtheit der 37 Familien mit rezessiven Kindern 
als Ausgangspunkt, haben wir also alle Rezessiven, so schalten wir 
den Rezessiven-Überschuß aus, indem wir jedes Kind so oft zählen, 
als es Geschwister eines Rezessiven ist. Dieser letzte Fall, 
die Zählung der Geschwister aller Rezessiven, stellt als Grenzfall der 
Probanden-Methode die Geschwister-Methode Weinbergs dar. Sie 
allein soll uns im folgenden beschäftigen. 

Der Empiriker wird auf unsere eben beendeten Ausführungen hin 
die folgende Frage stellen: Dieses ganze Methoden-Gebäude geht doch 
von der Voraussetzung aus, daß die Gesamtheit der Familien ein regel- 
mäßiges Gefüge besitzt. Trifft das denn in Wirklichkeit zu? Oder 
spielen auch beim einfachsten biologischen Material Faktoren mit, die 
diese vorausgesetzten Zahlenverhältnisse verschieben und damit auch 
die mittels der Methode zu gewinnenden Zahlen in der gleichen Rich- 
tung abändern? Eine Antwort auf diese Frage läßt sich dadurch ge- 
winnen!), daß man ein und dasselbe Material in doppelter Weise 
untersucht: einmal auf dem üblichen Wege Mendelscher Analyse, 
daneben dann nach entsprechender Aufbereitung mit Hilfe der Ge- 
schwister-Methode. 

Die Nachkommenschaften von zwanzig Drosophila-Pärchen stellten 
das Ausgangsmaterial für eine solche empirische Prüfung. Zehn Reihen 


1) Auf die methodologische Seite unserer Untersuchung geht das Schlußkapitel 
der in der Zeitschr. für ind. Abst. u. Vererbungslehre erscheinenden Hauptarbeit aus- 
führlich ein. 


G. Just, Wahrscheinlichkeit und Empirie in der Erblichkeitsstatistik. 67 


zeigten für das Merkmalspaar Rot- und Weißäugigkeit die Spaltungs- 
zahlen 75%, :25%, die zehn anderen als Rückkreuzungsreihen') die 


Abb. 1. 











ocean an 


OEOZ0OFOZTOEOFO ON G 










. 


BIeRS ER EE KR LESS 


oOoOo00900000 00000000 
ONOTOEOAOE OO HFOT OFOLONOFATONOMO 02 00 © 


{} 


2597907050705979 0070.00 000 oo el oe 








8 
OE02020M0707020802:902.070. 0207305 0=20..0.07°02 0807, 0002080 © 
97 078097792 08708030:03 0407 02,020 0404 080207.0%2.0208026:0.0.0 


®) 
O ® 63 
o “ E 
o [} 
5 % Verteilung der dominanten und Rexessiven 
Si in ot aus IRADR-Knuguung herworgegangenen Drei- 
o A Kinderschaften- r 
(6) [) 
O = dominant. = rezessiv. 


Zahlen 50:50. Jede einzelne, Reihe aber war, als die Fliegen sich 
noch auf dem Puppenstadium befanden, in dem eine Unterscheidung 
der Augenfarben noch nicht möglich ist, in eine größere Anzahl kleiner 


1) Diese Reihen haben mehr theoretisches Interesse, da praktisch die Geschwister- 
Methode für Rückkreuzungsfälle weniger in Frage kommt. 


= 


5* 


ur 





68 G. Just, Wahrscheinlichkeit und Empirie in der Erblichkeitstatistik. 


Gruppen zerlegt worden, die gleichsam „Familien“ darstellten und 
deren „Kinderzahl“ im allgemeinen zwischen 2 und 7 lag. 

Die Frage des regelmäßigen Aufbaus, die Frage also, um sie an 
Hand unseres Schemas in möglichster Einfachheit auszusprechen: ob 
unter den Familien mit beispielsweise 3 Kindern diejenigen mit 0, 
1, 2 und 3 Rezessiven in derjenigen Häufigkeit auftreten, wie es zu- 
fallstheoretisch für eine Gesamtheit zu erwarten ist, in der insgesamt 
25% der Kinder rezessiv sind, diese Hauptfrage ließ sich an den 
Familien mit gleicher Kınderzahl empirisch untersuchen. Von fünf 
Familien-Reihen, deren Mendel-Zahlen einen solchen Genauigkeitsgrad 
besitzen, daß ihre Abweichungen von der idealen Proportion 3:1 inner- 
halb der Grenzen des einfachen mittleren Fehlers liegen, wurden sämt- 
liche Familien mit 1, 2, 3, 4, 5, 6 und 7 Kindern ausgesucht und 
zusammengestellt, und die genannte Untersuchung an ihnen durch- 
geführt. Sie hatte ein positives Ergebnis. Innerhalb geringerer oder 
größerer Schwankung zeigen die empirischen Rezessiven-Verteilungs- 
zahlen Übereinstimmung mit den theoretisch erwarteten Zahlen, ja in 
besonders günstigen Fällen ist diese Übereinstimmung geradezu ver- 
blüffend (Tab. 1). 


Tab: 1: 


Jıahl der Familien mit je 6 Kindern aus Reihe I und II allein. 





























Rezessivenzahl |Familien- Theoretische | Empirische | Mittlerer 
der Familie zahl Erwartung | Abweichung | Fehler 
0 3 5,0 — 2,0 +:2,0 
1 ı 10,0 212.10 als 
2 1%) 8,3 +0,7 + 234 
3 / 4 I + 0,3 +18 
4 1 0,9 +01 ei 0,9 
Zusammen | 28 | 27,9 


Entsprechend der mehr oder weniger großen Annäherung der 
Zahlen an die theoretische Erwartung ist nun auch das Ergebnis der 
Geschwister-Methode, angewendet auf diese einzelnen Gruppen mit 
gleicher Kinderzahl, mehr oder weniger genau (Tab. 2). Selten nur 
ist es so abweichend, daß sich kein sicherer Schluß mehr auf die 
ursprünglichen Zahlen ziehen läßt. 


Tab. 2. 
Geschwister-Methode, auf das Material der Tab. 1 angewandt. 
‚ Ursprüngliche | „Ermittelte“ | Die Rezessiven haben 
Kinder- Rezessiven- | Kinder- Rezessiven- Gehen rezessive 
zahl zahl zahl zahl (PR a Geschwister 


1680 =: 45 150 : 45 | 225 i 54 





j 
% 


if, 


TE EEE U 


G. Just, Wahrscheinliehkeit und Empirie in der Erblichkeitsstatistik. 69 


Zerlegt man die Gruppen mit gleicher Kinderzahl nun wieder 
und teilt die einzelnen Familien jeweils ihrer ursprünglichen Reihe 
zu, so gewinnt man von neuem die fünf Ausgangsreihen, auf die an- 
gewandt die Geschwister-Methode die in Tabelle 3 aufgezeichneten 
Zahlen gibt. Vier Reihen (II—V) besitzen so gute „Weinberg-Zahlen“, 
daß deren Abweichung von der ıdealen Mendel-Proportion innerhalb 
des einfachen mittleren Fehlers liegt. Eine Reihe dagegen (I), deren 
ursprüngliche Zahlen 459 :114 von eminenter Genauigkeit sind, weicht 
in ihrem Weinherg-Resultat so stark ab, daß die Zahlen aus den 
üblichen’ Fehlergrenzen (des dreifachen mittleren Fehlers) herausfallen, 
also einen Schluß auf die ursprünglichen Zahlen nicht mehr mit 
Sicherheit erlauben. 


Tab. 3. 
Ergebnisse der Geschwister-Methode bei Reihe I—V. 
































| Ursprüngliche | Ermittelte l irise 

„! P | < Ba | Die Rezessiven haben | | : 
oo. | nas-|l 0 |aS{ weichung | Mittlerer 
Reihe | 33 | Sog 55 SEE Ge- rezessive | der errech- ı Fehler 

So '& = | schwister | Geschwister | neten Zahlen 

= = u ——— — 1 = = — — = n- — - - — —— 
I |.459 |. 114 || 408 | 114 636 122 | +0233 | + 0,069 
II 304 | 74 | 223 | 74 285 70°: | #:0,028 | +.0,102 
III 195 51165 | ;5DL 228 54 || .+.0,053 + 0,115 
IV I A11 | 95. 280 95 352 34 | +0045 | +.0,092 
NelRast 738317248 83 309 70%‘ |. 0,094 | + 0,099 
Zos.: | 1700 | 217 1383 | 417 | 1813: | 400 | +o117 | #004 





Rezessiven-Überschuß 


Die erstgenannten vier Resultate sınd eindeutig und klar. Was für 
Schlüsse wären wır aber ım letzten Falle zu ziehen berechtigt, wenn 
wir dıe Zahlen tatsächlich bei der Bearbeitung eines anderweitig der 
Untersuchung nicht zugänglichen Materials erhalten hätten? Wann 
dürften wir aus solchen Zahlen den Schluß auf ursprünglich bereits 
abweichende Zahlenverhältnisse ziehen, — wo wır im vorliegenden Fall 
doch wissen, daß nur die errechneten Zahlen abweichen, die Mendel- 
schen Ausgangszahlen aber sogar völlig genau sind? 

Einer empirischen Verfolgung dieser Frage muß ein umfang- 
reicheres Material als das bisher besprochene zugrunde gelegt werden, 
zusammengestellt ohne jede Rücksicht darauf, ob die ursprünglichen 
Mendelschen Zahlen den Ideal-Proportionen 75:25 bezw. 50:50 mehr 
oder weniger angenähert sind, und die Frage muß präziser als vor- 


‘her dahin gestellt werden, wieweit die mittels der Geschwister- 


Methode errechneten Zahlen mit den — wie auch immer lautenden — 

empirischen Ausgangszahlen der einzelnen Reihen übereinstimmen. 
Die Gesamtheit unserer 20 Reihen mit ihren insgesamt nahezu 

6000 Individuen bot ausreichendes Zahlenmaterial zur bindenden Be- 


70 G. Just, Wahrscheinlichkeit und Empirie in der Erblichkeitsstatistik. 


antwortung dieser Frage. Die beiden folgenden Tabellen (Tab. 4 
und 5) stellen von allen 20 Reihen die Mendel-Zahlen und die Resul- 
tate der Geschwister-Methode nebeneinander und geben zum Ver- 
gleich beider Proportionen eine Umrechnung in Prozente für die 
Rezessiven. Deutlich tritt in einer Anzahl von Reihen die Annäherung 
der beiderlei Prozentzahlen aneinander hervor; andere Zahlen wieder 
liegen weiter auseinander. Keine Zahl aber fällt aus dem Rahmen des 
dreifachen mittleren Fehlers heraus ') — mit Ausnahme wieder jener 
einen Reihe. 
































Tab. 4. Tab. 5. 
Zehn Reihen 100 : 25. Zehn Reihen 100: 50. 

ach og Prozentzahlen er | 0. | Prozentzahlen 
SR - ©. der Rezessiven nen | 2.2 | der Rezessiven 

N as | 38 El 2 N Be RE 

282 | ES 382) 553 232 | 85 538 53 

BE as |” 78 BE | ai E08 
1 |459:114 |636:122 || 24,84 | 19,18 1 1230 :106 | 522 :250 || 46,09 | 47,89 
2130477471288: 70.1, 24,34.1 24,31 2 1291:151 | 676:358 || 51,89 | 52,96 
31195: 51 |228: 54 || 26,15 | 23,68 3 1305 ::155 | 772 ::394 || 50,82 | 51,04 
4 1411: 95 |352: 84 || 23,11 | 23,86 41191: 90 |345:158 || 47,12 | 45,80 
5 1331: 83 |309: 70 || 25,08 | 22,65 5 1336: 164 | 640: 304 || 48,81 | 47,50 
6 |290: 72 |293: 74 || 24,83 | 25,26 6 |222:113 |352:188 || 50,90 | 53,41 
7 1294: 57 |225: ‚32 || 19,39 | 14,22 7 1200: 97 |385:174 || 48,50 | 45,19 
8 Is48: 7a |319: 72 | 2126 | 22,57 8 1276: 118 | 468: 194 | 42,75 | 41,45 
9 1356: 92 1373: 86 || 25,84 | 23,06 9 1365:192 |704:364 || 52,60 | 51,70 
10 1230: 48 |177.: 34 || 20,87 |. 19,21 10 1166: 73 |289:108 || 43,98 | 37,37 














Ja, noch mehr: Untersucht man die Abweichungen der Weinberg- 
Zahlen von den Ausgangsproportionen variationsstatistisch näher?), 
so ergibt sich, wie unsere letzte Tabelle (Tab. 6) veranschaulicht, 
daß sie sich in Form einer Zufallskurve um die Ausgangsproportion 
gruppieren: es zeigen nämlich so viel Reihen eine kleine, mittlere 
oder große Abweichung (innerhalb !/, m, 1 m usw.), wie es zu erwarten 
ist, wenn keine Einwirkungen anderer als nur zufälliger Art auf die 
‘Resultate der Geschwister-Methode Einfluß haben. 


1) Hierbei. wurde die empirische Abweichung des errechneten von dem ursprüng- 
lichen Prozentverhältnis mit dem mittleren Fehler der ursprünglichen Prozentzahlen 
für die errechnete Individuenzahl verglichen. 

2) Man betrachtet die empirische Abweichung jeder errechneten Zahl als eine 
Variante in einer Variationsreihe, deren Mittelwert durch die Mendelsche Ausgangs- 
proportion und deren Streuung durch den nach Anm. 1 berechneten mittleren Fehler 
gegeben ist. Die Resultate von je 10 Reihen legt man zusammen, als bezögen sie sich 
auf 10 Varianten einer und derselben Variationsreihe. 


Kr 


Ira 


ne 


G. Just, Wahrscheinlichkeit und Empirie in der Erblichkeitsstatistik. 1A: 


Tab. 6 


36 -?26 6 0) +6 +26 +36 


























Es liegen innerhalb | !/,m Iim | 1!,m| 2m 121, m | 3m | 3!/,m 
theoretisch ss | 68 | 87 | 9,6 | 9,9 | 100 | 100 
in den 10 Reihen 100: > ae ER Pe 
IT ÄREETERER a! 9 SE EU | | Zr 10 I 


in den 10 Reihen 100:50 3 a | 10 


Der Nachweis, daß die Abweichungen mit großer Genauigkeit 
den Zufallsgesetzen folgen, erlaubt die Aussage, daß — wofern nicht 
Komplikationen besonderer Natur vorliegen — das Ergebnis der Ge- 
schwister-Methode als Spiegel des jeweiligen empirischen Mendel- 
Verhältnisses angesehen werden darf. Eine so „unwahrscheinliche* 
Zahl wie in Reihe 7 der Tab. 4, wo für die Rezessiven 14,22 %, 
errechnet wurden, stellt sich als extremer „Weinberg-Abweicher“ 
von einer Ausgangsproportion dar, die mit ihren 19,39 %, selber wieder 
nichts anderes ist als ein extremer „Mendel-Abweicher* von der 
idealen Zahl 25 %,; und die Zahl 14,22 Un ist somit kein Beweis gegen 
die erwartete Mendel-Proportion, sondern ein Zeugnis dafür. ber 
natürlich ist zur richtigen Auswertung eb hr Zahlen, zumal 
solcher von geringem Umfang, vorsichtiges Urteil vonnöten. 

Die vorstehenden Mitteilungen haben vielleicht auch über den 
(Gresichtskreis erbmethodischer Arbeit hinaus Interesse: als kleines 
Bausteinchen für den Satz, daß biologisches Geschehen sich überall 
da, wo es messend analysiert werden kann, als von Maß und Zn 
beherrscht zeigt. 


Literatur. 

Johannsen, W., Elemente der exakten Erblichkeitslehre. 2. Aufl. Jena 1913. 
Just, G., Der Nachweis von Mendel-Zahlen bei Formen mit niedriger Nachkommen- 
zahl. 1. Teil. Archiv f. mikr. Anat. Festschrift Hertwig. 1920. 
Weinberg, W., Weitere Beiträge zur Theorie der Vererbung. 4. Archiv f. Rass. Ges. 

Biol. 9, 1912. 
— —, Auslesewirkungen bei biologisch-statistischen Problemen. Ebda. 10, 1913, 


2 A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der Wassertiere. 


Die Frage der parenteralen Ernährung der Wassertiere. 
Von Dr. phil. et med. August Pütter, Bonn. 


Vor einiger Zeit!) ist in dieser Zeitschrift eine Arbeit von Kurt 
Lantzsch (aus der biologischen Versuchsanstalt für Fischerei, Mün- 
chen) erschienen, die sich in ablehnender Weise mit meiner Theorie 
der parenteralen Ernährung der Wassertiere beschäftigt. Die Tatsache 
des ablehnenden Standpunktes des Verfassers würde mich nicht zu 
einer Entgegnung veranlassen, aber die Arbeit enthält so schwere sach- 
liche Mißverständnisse, daß ich glaube, dazu nicht schweigen zu dür- 
fen, zumal die allgemeinen Anschauungen des Verfassers wohl auclı 
die sind, die in dem Institut für richtig gelten, aus dem die Veröffent- 
lichung hervorgegangen ist. 

Der Angelpunkt der ganzen Frage ist die Lehre von der Be- 
ziehung der Stoffwechselintensität zur Stoffaustauschfläche. 

Die Erfahrung lehrt, daß die Intensität des Stoffwechsels bei den 
verschiedenen Lebewesen, bezogen auf die Masseneinheit, Unterschiede 
von 4 bis 5 Potenzen von 10 zeigt, und daß dabei die absolut Kleinen 
Organismen den raschesten Stoffwechsel haben. Sie lehrt weiter, dab 
die Unterschiede der Stoffwechselintensität etwa um 3 Potenzen von 
10 geringer werden, wenn man sie auf eine Größe von der Dimension 
der Fläche bezieht, und daß bei einer solchen Vergleichung die absolut 
kleinen Wesen nicht mehr durch besonders hohe Stoffwechselintensi- 
täten ausgezeichnet sind, d. h. also, daß die — immer noch beträcht- 
lichen °— Unterschiede der Stoffwechselintensität pro Flächeneinheit 
nicht mehr als Funktion der absoluten Größe erscheinen. Die genauere 
Untersuchung einzelner Tiergruppen hat dann weiter gelehrt, daß die 
sroßen Unterschiede, die der Umsatz pro Masseneinheit zeigt, ganz 
oder fast ganz verschwinden, wenn als Beziehungsgröße die Einheit 
der Stoffaustauschfläche (Lungenfläche, Kiemenfläche) gewählt wird. 

Die besondere Form, die diese Gesetzmäßigkeit bei den Homoi- 
thermen annimmt, beschäftigt uns hier nicht, wo von der Ernährung 
der Wassertiere die Rede ist. Bei den Fischen habe ich?) (1909) ge- 
zeigt, daß eine enge Beziehung zwischen Lineardimension und Umsatz 
besteht, was später auch von Lindstedt?°) (1914) gefunden worden 
ist. Denselben Nachweis habe ich für Krebse (1909) geführt und 
auch durch den Vergleich des Umsatzes von Kaulquappe und Frosch 
die enge Beziehung des Umsatzes zu einer Größe von der Dimension 
der Fläche aufgezeigt ®). 

Jn allen den angeführten Fällen kann der Sauerstoffver- 
brauch als Maß für die Intensität des Stoffwechsels benutzt werden. 
Dieses Maß ist nicht allgemein anwendbar, denn es gibt ja Lebewesen, 


1)..Bd. 41 Nr. 3.0.11. März 192%. 

2) Z. f. allgem. Physiol. Bd. 9, 1909, S. 148—242. 

3) Z. f. Fischerei Bd. XIV, Heft 3, 1914, S. 193—245. 
4) Vergleichende Physiologie. Jena, G. Fischer, 1911, 








“ar 9, 


A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der Wassertiere. 13 


die lebhaften Stoffansatz, aber keinen Sauerstoffverbrauch haben 
(Anaörobier). Auf alle Fälle aber gibt die Größe des Sauerstofl- 
verbrauchs stets einen Minimalwert für den Bedarf an Nährstoffen. 
Wird alle Nahrung oxydiert und zwar vollständig, d. h. der Kohlen- 
stoff bis zur Kohlensäure, der Wasserstoff bis zum Wasser und der 
Stickstoff bis zur Salpetersäure, so mißt die Größe des Sauerstofl- 
verbrauchs unmittelbar den Nahrungsbedarf. Sind dagegen außer den 
Oxydationen auch noch Spaltungen an der Bildung der ausgeschiedenen 
Stoffwechselendprodukte beteiligt (wie z. B. bei den Gärungserregern), 
so wird der Nahrungsbedarf durch Bestimmung des Sauerstoffver- 
brauchs zu niedrig bestimmt. Ebenso wird der Nahrungsbedarf dureh 
Bestimmung des Sauerstoffverbrauchs unterschätzt, wenn die Oxydation 
der Nährstoffe unvollständig ist. Das ist in manchen Fällen leicht 


av 


1616) 
erkennbar. wenn der respiratorische Quotient (5) auffallend nıed- 


rig ist (Ss. U.). 

Nehmen wir zunächst den Sauerstoffverbrauch allein als Maß für 
den Nahrungsbedarf, so finden wir, daß dieser Bedarf, bezogen auf 
die Masseneinheit, um so größer wird, je kleiner die Organismen sind. 
Die folgenden Zahlen sollen nur als Beispiele diese Grundtatsache der 
vergleichenden Physiologie des Stoffwechsels erläutern. Der Bacillus 
fluorescens liquefaciens verbraucht in jeder Stunde auf 1 kg seines 
Lebendgewichtes 3,9 kg Sauerstoff, ein (alanus nur 3,59 g und eine 
Scorpaena gar nur 0,123 g. Das sind Unterschiede, die sich wie 
1:31700 verhalten. Beziehen wir aber den Umsatz auf die Einheit 
der Fläche, durch die der Sauerstoff aufgenommen wird, so beträgt 
die Aufnahme durch 1 m? der aufnehmenden Fläche in einer 
Stunde bei dem Bazillus 500 mg, bei Calanus 480 und bei Scorpaen« 
547 mg, d. h. die Größe der Sauerstoffaufnahme ist in den drei Fällen 
praktisch gleich. 











Sauerstoffverbrauch 











Tempe- 5 
en. | { RER- pro 1 m? 
Gewicht | ratur | prolkgin | Miichei 
. i Stunde RER TE 
ur “= | 1 Stunde 
mg | mg 
_— = ee — — RE _ _— —— — ——— T — — — 
; | 
Bacillus fluorescens an 2 | 0 | 
Calanus spec. 0,210 LE 1ER 3 570 480 
Scorpaena porcus 122.101! « 22,3 Bar 547 ' Kiemenfläche 
1 1 : | Ss - 
| = 27,5 cm? 
177 . | | antläche 
Mensch (bei Zimmer 7.0.107% « 37,5 458 955 | Lungenfläch« 
ruhe) — 90 m? 


Was lehrt diese Tatsache für die Frage der Möglichkeit emer 
Ernährung durch Resorption gelöster Nährstoffe, die durch die gleiche 
Fläche wie der Sauerstoff resorbiert werden? 


4 A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der Wassertiere. 


Wenn eine solche Ernährung überhaupt möglich ist, so ist sie 
grundsätzlich für Tiere aller Größen möglich, denn die absolut kleinen 
Formen sind zwar pro Masseneinheit mit mehr resorbierender Fläche 
versorgt, als die großen, aber in demselben Verhältnis ist auch ıhr 
Nahrungsbedarf größer, so daß sicb an dem Verhältnis der resor- 
bierenden Fläche zum Nahrungsbedarf nichts ändert. 

Diesen Punkt hat Lantzsch völlig mißverstanden. Er knüpft 
an die bekannte Tatsache an, daß sich die Bakterien durch Resorption 
gelöster organischer Verbindungen ernähren und bemerkt dazu, sie 
seien „am günstigsten gestellt im Verhältnis ihres Volumens zur wirk- 
samen, stoffaustauschenden Oberfläche“. Es handelt sich aber für die 
vorliegende Frage nicht um das Verhältnis des Volumens zur Ober- 
fläche, sondern um das des Nahrungsbedarfs zur Oberfläche. 

Lantzsch erörtert dann weiter die Frage, ob die Protozoen wohl 
für eine Ernährung durch unmittelbare Resorption gelöster Nährstoffe 
geeignet seien und kommt zu dem Ergebnis, sie seien an geformte 
Nahrung gebunden, weil es in dem von ihm angeführten Versuchen 
von Öhler nicht gelungen ist, Amöben, Flagellaten und Ciliaten ohne 
Bakteriennahrung zu züchten. Diesem negativen Ergebnis stehen aber 
heute positive gegenüber: Es ist R. A. Peters?) gelungen, Paramaecium 
in sterilen Kulturen monatelang zu züchten, wobei sie als Nährstoffe 
Glucose, Histidin, Arginin und Leucin sowie etwas Ammoniumlaktat 
erhielten. Durch Zucht im hohlgeschliffenen Objektträger ım sterilen 
Medium wurde die Isolierung erreicht und die Tiere dann in Reagens- 
gläser übergeimpft. Das Kulturmedium, das außer den genannten 
Nährstoffen ein ausgeglichenes Salzgemisch von bestimmter Reaktion 
enthielt, wurde bei 80° C an drei aufeinanderfolgenden Tagen sterili- 
siert. Die Sterilität der Paramaecienkultur wurde durch Züchtung auf 
den üblichen Nährböden geprüft, wobei kein Wachstum von Bakterien 
auftrat. In einigen Versuchen wurde schon die wichtige Frage nach 
der Verwertung einzelner Nährstoffe erörtert, wobei sich z. B. ergab, 
daß bei Verabreichung von nur einer Aminosäure als N.-Quelle, 
Histidin, Leuein und Arginin ein rascheres Wachstum ergeben als 
Tryptophan, und daß Glucose durch Fruktose und Galaktose ersetzt 
werden kann, nicht dagegen durch Maltose. 

In der gleichen Kulturflüssigkeit ist es neuerdings Peters?) ge- 
lungen, auch Colpidium colpoda rein zu züchten. Die Kulturen blieben 
monatelang steril. Die Dichte der Kulturen betrug im Durchschnitt 
8s—10000 Organismen in 1 cem. Sämtliche Kulturen stammen von 
einem einzigen Individuum, das aus einem Heuinfus isoliert und erst 
6mal in steriler Nährflüssigkeit gewaschen wurde, ehe es in die Kultur- 
flüssıgkeit kam, in der es sich teilte. 

5) Nutrition of the protozoa: The growth of paramoeeium in sterile culture medium. 
Journ. of. Physiol. Bd. 53, Nr. 6, S. CVIIL 

6) The substances needed for the growth of a pure culture of Oolpidium colpoda, 
Journ. of. Physiol. Bd. 55, Nr. 1/2, S. 1—32, 1921. 





A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der W assertiere. 10% 


Hier haben wir aussichtsreiche Anfänge von wirklichen Rein- 
kulturen von Protozoen, die für die Erforschung der Physiologie 
dieses Stammes ebenso bedeutungsvoll werden dürften, wie sie es bei 
Bakterien und Pilzen geworden ed 

Wenn also Dont in Bezug auf die Protozoen sagt: „Sind 
diese Formen, die durch das elle Oberfläche : Volum relativ gün- 
stig stehen, bereits an geformte Nahrung gebunden, so müssen die be- 
deutend größeren Formen der Rotatorien und Cruster viel schlechter 
abschneiden“, so ist dazu zu bemerken: 1. Die angeblich unmögliche 
Ernährung von Ciliaten-Infusorien durch gelöste organische Verbin- 
dungen unter Ausschluß von Bakterien ist bei Paramaecium und 
Colpidium gelungen. 2. Diese Infusorien gehören zu den stattlichsten 
Vertretern des Protozoenstammes, Paramaecium übertrifit manche 
Rotatorien und Nauplien an Größe und steht in seinen großen Exem- 
plaren kleinen Arten der Copepoden an Größe nicht nach. 3. Es ist 
ein Irrtum, die Möglichkeit einer Ernährung durch direkte Resorption 
gelöster Nährstoffe von einer bestimmten Größe abhängig zu machen. 

Wenn ich betont habe’), daß besonders die absolut kleinen For- 
men aller Stämme sich durch unmittelbare Resorption gelöster Stoffe 
ernähren müssen, so lag die Bedeutung dieses Hinweises darin, daß 
die kleinen Formen in Bezug auf die Aufnahme geformter Nahrung 
besonders ungünstig stehen. Man denke sich einmal einen Organis- 
mus von 10 u?, der täglich das 140fache seines Bestandes an organı- 
schen Stoffen zu sich nehmen soll (wie es bei einem Sauerstoffver- 
brauch von 500 mg pro 1m? und 1 Stunde nötig ist). Ihre Resorption 
durch die Oberfläche bieten ebensowenig Schwierigkeiten, wie die 
Resorption des gelösten Sauerstofis. Soll aber die gleiche Stoffimenge 
in Form von Br ganismen oder von Detritus aufgenommen werden, 
bei denen nicht ie organische Substanz allein, sondern das mehr- 
fache ihrer Menge an Wasser aufgenommen werden muß, so kommt 

man 'zu der Hordeune, dieses er müsse in etwa 10 Minuten 
Nahrung aufnehmen, deren Volumen 10 „?, d.h. ebensoviel beträgt, 
wie das Volumen des Organismus selber. 

In Bezug auf die Bewältigung geformter Nahrung besteht in 
der Tat eine Abhängigkeit von der absoluten Größe, denn die maxı- 
male Menge von Nahrungsbrocken, die zur Zeit in einem Organismus 
ei werden kann, hängt von seinem Volumen, nicht von 
seiner Oberfläche ab. Es kann immer nur ein gewisser prozen- 
tualer Anteil des ganzen Organismus aus Nahrung bestehen, die eben 
verdaut wird. Da nun der Bedarf pro Masseneinheit um so geringer 
wird, je größer der Organismus ist, so wird die Möglichkeit einer 
Ernährung durch geformte Nahrung um so eher gegeben sein, je 
größer das Tier ist. 

Die Sache liegt nicht so, daß nur die kleinsten Wesen sich durch 


?) Die Ernährung der Wassertiere usw. Jena 1909, S. 147. 


76 A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der Wassertiere. 


Resorption gelöster Nährstoffe erhalten können, sondern vielmehr so, 


daß erst für relativ große Formen — ceteris paribus, d. h. bei ähn- 
licher Stoffwechselintensität -—- eine Ernährung durch geformte Nah- 


rung überhaupt möglich wird, während die Bedingungen für die Er- 
nährung durch unmittelbare Resorption gelöster Stoffe bei Wasser- 
tieren aller Größen stets die gleichen sind, wie für die Resorption 
von Sauerstoff. 

Bei welcher absoluten Größe die Grenze liegt, unterhalb deren 
eine Ernährung durch geformte Nahrung nicht mehr möglich ist, das 
läßt sich allgemein gar nicht sagen, denn das hängt von der spezifi- 
schen Intensität des Stoffwechsels ab, und daß diese — auch bezogen 
auf die Oberfläche — immer 'noch bedeutende Unterschiede bei ver- 
schiedenen Arten und Familien zeigt, wurde schon betont. 

Es erwächst also die Aufgabe, den Nahrungsbedarf der Or- 

ganismen, um die es sich bei einer bestimmten Lebensgemeinschaft 
had möglichst genau zu ermitteln. 

(sehen wir dabei von der Ermittlung des Sauerstoffverbrauches 
aus, so können wir an kleinen Organısmen, die hier ın Betracht 
kommen, nur Onlanus spec. und COyclocypris spec. anführen, für. die 
solche Bestimmungen vorliegen und die Annahme vollständiger Oxy- 
dation der Nährstoffe nahe liegt. Die Stoffe, die als Stoffwechsel- 
material in erster Linie in Betracht kommen, eiweißartige, Kohle- 
hydrate und Fette, erfordern, bei einer mittleren Mischung, etwa 
1,23 mg Sauerstoff zur vollständigen Oxydation von 1 mg Substanz. 
Da der Gehalt der Tiere an organischer Substanz etwa 18%, beträgt, 
kann man bei Kenntnis des Sauerstoffverbrauches leicht berechnen, 
wieviel Prozent des Stoffbestandes täglich als Nahrung zugeführt‘ 
werden müssen. Ein Calanus von 0,731 mg Frischgewicht, ent- 
sprechend 0,132 mg organischer Substanz verbraucht bei 17,7° täglıch 
0,0627 mg Sauerstoff. Durch diese Menge werden 0,051 mg organische 
Substanz vollständig oxydiert, d.h. 38,7%, des eigenen Stoffbeständes. 
Diese Menge muß demnach als Nahrung zugeführt werden. 

Eine Uyelocypris von 0,01 mg Frischgewicht entsprechend 0,0018 mg 
organischer Substanz enah bei 18° pro Tag 0,00086 mg Sauer- 
stoff, durch die 0,0007 mg organische Substanz vollständig oxydiert 
werden, d. h. 59,0%, des eigenen Stoffbestandes. 

Ein anderer Weg zur Ermittelung des Nahrungsbedarfs besteht 
in der Beobachtung der Abnahme an organischer Substanz im Hunger. 
Als Beispiel für eine Form, deren Umsatz hier von Bedeutung: ist, 
lasse ich eine solche Berechnung über Daphnia nach Zahlen von 
Kerb°) folgen. Es wurde je eine gewisse abgemessene (nicht ge- 
zählte) Menge der Tiere in Gefäße mit 1 Liter Leitungswasser getan 
und ım Laufe von 11 Tagen 10 Bestimmungen gemacht. Der Ver- 
such wurde vom 10. bis 21. Dezember ausgeführt bei einer nicht 


3) Internat. Revue d. Hydrobiol. u. Hydrographie. Bd. 3, 1911, S. 496 —50. 








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A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der Wassertiere. RM 


näher mitgeteilten Zimmertemperatur. Bestimmt wurde die Menge 
der Trockensubstanz, die in der ganzen Menge der Tiere enthalten 
war. Da derselbe Autor die Trockensubstanz einer Daphnia auf 
0,127 mg angıbt, müssen in dem Versuch etwa je 1500 bis 1600 Tiere 
enthalten gewesen seın. 

Die Erfahrungen über den Verlauf des Hungers lehren, daß in ıhm 
täglich ein bestimmter Prozentsatz des Stoffbestandes umgesetzt wird, 
und daß der Nahrungsbedarf eines Tieres, d.h. dıe Menge von Nähr- 
stoffen, die geeignet ist, das Tier ins Stoffwechselgleichgewicht zu 
bringen, stets größer ıst als der Umsatz zu Anfang des Hungers. 

Die erste dieser Erfahrungen bestätigt sich gut an den Zahlen 


über die hungernden Daphnien, wenn man bedenkt, daß die Art der 


Bestimmung Fehler von mindestens 0,0176 g als wahrscheinlich zu- 
läßt. Zu Beginn des Versuchs, dem zwei andere mit anderen Be- 
dingungen parallel gingen, wurde die Stoffmenge festgestellt zu: 
0,2076 g, 0,1994 g und 0,1900 g, also ım Mittel 0,1990 g mit der er- 
wähnten Fehlerbreite. 

Wenn täglich ein bestimmter Prozentsatz des Bestandes umge- 
setzt wırd, so beträgt (bei konstanter Temperatur) der Bestand y zur 
Zeit t, die. in Tagen zu messen ist: 

Ye) Are. 

Hier bedeutet A den Stoffbestand zu Beginn des Versuches, e die 
Basıs der natürlichen Logarıthmen und k die Beizahl, die die Ge- 
schwindigkeit des Stofiverbrauches mißt. Wie die folgende Tabelle 
zeigt, läßt sich der Verlauf des Abhungers mit einem k = 0,17 recht 
gut darstellen. Für die ersten drei Tage, ın denen der Stoffverlust 
größer ıst, als dem Durchschnitt der ganzen Zeit entspricht, würde 
k = 0,243 zu setzen sein. Der Verlauf des Hungers ist also derartig, 
daß täglich etwa 17%, in den ersten Tagen vielleicht sogar 24,3 %, 
des Bestandes veratmet werden. Die Übereinstimmung zwischen der 
Beobachtung und Berechnung könnte besser sein, wenn die Fehler 
verringert würden, die sich daraus ergeben, daß es nicht eine be- 
stimmte Anzahl von Tieren ıst, die dem Versuch unterworfen wurden, 
und wenn für Konstanz der Temperatur ım Verlauf des ganzen Ver- 
suches gesorgt worden wäre. Es macht den Eindruck, als sei die 
Temperatur in der zweiten Hälfte des Versuches niedriger gewesen 
als in der ersten. 

‘ Die mittlere Zimmertemperatur im Dezember wird man auf nicht 
mehr als 14° Ü veranschlagen dürfen. Bei dieser Temperatur würde 
es also nicht möglich sein, eine Daphnia mit einer täglichen Nahrungs- 
zufuhr von 17 bis 24%, ihres Stofibestandes im Stoffwechselgleich- 
gewicht zu erhalten. Nach den allgemeinen Erfahrungen der Stoff- 
wechsellehre wird man mindestens 20% mehr an Nahrung zuführen 
müssen, um Gleichgewicht zu erreichen, d. h. 20,5 bis 29,3%. Da 
dieser Wert sich auf eine Temperatur von ca. 14° bezieht, wären 
bei 17,7% — beı der der Verbrauch von Cnlanııs bestimmt ist — etwa 





78 A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der Wassertiere. 


40%, mehr, d.h. 39 bis 41%, Bedarf zu erwarten. Daphnia und Calanus 
sind nahezu gleich groß und der Verbrauch bei Calanus beträgt 
38,7%. Wir haben also auf beiden Wegen einen Nahrungsbedarf von 
gleicher Größe gefunden. 


Verlauf des Stoffverbrauches im Hunger bei Daphnia. 
Trockensubstanz der Daphnien 


beobachtet berechnet ° 

Tag 0 0,1990 g 0,2100 g 
1 0 1A1B,-, 0,1760 „ 
a: — 0,1500 „ 
00T 0,1266 „ 
20 :0.1300.-, 0,1070 „ 
) 0.11 767, 0,0900 „ 
69. 2.0.0918) 0,0760 „ 
7 220,1010%, 0,0636 „ 
28%..70.0870°% 0,0540 „ 
27G 55 0,0455 „ 
*.10.:°.:.0.0686., 0,0383 „ 
N 0,0472 „ 0,0322 „ 


Wie bedeutend man den Nahrungsbedarf unterschätzen kann, 
wenn man sich nur auf die Bestimmung des Sauerstoffverbrauchs 
beschränkt, mag ein Beispiel zeigen, das auch von unmittelbarer Be- 
deutung für unsere Frage ist. Den Sauerstoffverbrauch von Colpidium 
colpoda fand Wachendorff?) zu 2523 mg für 1 kg und 1 Stunde 
bei 17°. Daraus ergibt sich, daß ein Tier von 0,000153 mg Frisch- 
gewicht pro Tag 0,0000093 mg Sauerstoff verbraucht. Der Wasser- 
gehalt von Colpidium ist nicht bekannt, dürfte aber mit 85%, eher zu 
niedrig als zu hoch angenommen sein. Es würde dann ein Tier 
0,0000228 mg organische Substanz enthalten. Würde der Sauerstoff 
zur vollständigen Oxydation von Nährstoffen verbraucht, so könnten 
mit den 9,30. 107 mg Sauerstoff, die täglich von einem Tier verbraucht 
werden, 7,55-10-° mg Nahrung verbrannt werden, d. h. 33%, des Be- 
standes an Körperstoffen. 

Dann müßte aber der respiratorische Quotient etwa 0,8 bis 0,9 
sein. Tatsächlich beträgt er bei 17° im Mittel nur 0,34. Das be- 
deutet, daß der Sauerstoff nicht zur vollständigen Oxydation der 
Nährstoffe verbraucht wird, sondern daß Stoffe als Endprodukte 
übrig bleiben, die noch weiteren Sauerstoff verbrauchen würden, 
um in Kohlensäure übergeführt zu werden. Die Menge der verarbeiteten 
Nahrung muß also größer sein, als 33%, des Bestandes. 

Zur Ermittelung des wirklichen Stoffverbrauches hilft uns hier 
wieder die Kenntnis der Abnahme des Sauerstoffverbrauchs im Hunger. 
Der angeführte Wert für den Sauerstoffverbrauch stammt aus einem 


9) Z. f. allgem. Physiol. Bd. 13, 1911, S. 105—110. 





A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der Wassertiere. 79 
Versuch von 6,5 Stunden Dauer. In Parallelversuchen wurde bei 
Tieren gleicher Herkunft der Verbrauch in 22 bezw. 23 Stunden er- 
mittelt. Da ergab sich folgendes. 1 Million Tiere verbrauchen: 
ım Mittel der Stunden 0 bis 6,5 pro Stunde 0,386 mg 
im Mittel der Stunden | “= Fr sn | 0,15 mg 

Damit haben wir den Verbrauch in zwei Punkten einer Hunger- 
kurve und können daraus berechnen, wie groß der Verbrauch im Be- 
ginne des Versuches ist und mit welcher Geschwindigkeit er abnimmt, 
denn der Verbrauch (y) ıst ja beim Hunger der jeweilig vorhandenen 
Menge der Körperstoffe proportional, ist also in jedem Zeitpunkte (t) 

Nez 
wenn A den Verbrauch für t= 0 bedeutet und k die Beizahl, die 
die Geschwindigkeit der Abnahme mißt. Zur Bestimmung von A 
und k haben wir die beiden Gleichungen 
0,386 — A-e-335 k 
0,150 = A-e-1s5 K, 

Die Auflösung der Gleichungen ergibt A=0,5, k= 1,97. Das be- 
deutet, daß Colpidium im Augenblick der Nahrungsentziehung nicht 
0,386 mg (pro 1 Million Tiere und 1 Stunde) verbraucht, sondern 0,5, 
daß also der Nahrungsbedarf, berechnet aus dem Sauerstoffverbrauch, 
nicht 33%, beträgt, sondern 42,5%. Die Beizahl k = 1,97 aber lehrt 
uns, daß bei einer Stoffwechselintensität, wie sie im Augenblick der 
Nahrungsentziehung besteht, pro Tag 197%, d. h. etwa das Doppelte 
des eigenen Stoffbestandes verarbeitet werden würde, also 4,65mal 
soviel, als wir aus dem Sauerstoffverbrauch berechnet hatten. Ziehen 
wir nun weiter in Betracht, daß alle diese Zahlen sich auf Hunger- 
stoffwechsel beziehen und daß zur Erhaltung des Stoffwechselgleich- 
gewichtes etwa noch 20% mehr an Nährstoffen erforderlich sind, so 
ergibt sich der wirkliche tägliche Nahrungsbedarf eines Colpidiums 
von etwa 100 u Länge und 0,000153 mm? Volumen zu 235%, des 
eigenen Stoffbestandes. Es müssen also etwa 10%, des eigenen Be- 
standes an Stoffen in jeder Stunde aufgenommen werden, wenn kein 
Verhungern eintreten soll. 

Wir haben also für 4 Tiere, die als Repräsentanten wichtiger 
Gruppen des Zooplanktons anzusehen sind, eine sichere Basis für die 
Beurteilung ihres Nahrungshedarfs, und dieser beträgt bei: 


Gattung Volumen täglicher Nahrungsbedarf 

Oalanus ß 0,731 mm? 38,7%, des eigenen Stoffbestandes 
Daplınia 0,7 nm? 21-299, x 5 
Oyelocypris 0,01 mm? 390, ,-, e e 
Colpidium 0,000153 mm? 239, x d 


En 





S0 A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der Wassertiere. 


Vermag das Pflanzenplankton, vermag besonders das Nannoplankton 
des Süßwassers ein solches Nahrungsbedürfnis zu befriedigen? 

Lantzsch kommt zu dem Resultat: „Die Nahrungszufuhr, das 
Mindestmaß des Konsums beträgt für die Zooplanktonten etwa 59, 
des Eigenvolumens.“ Gibt aber für den Mansfelder See, den Colditz 
untersucht hat, Werte bis zu 40%, des Eigenvolumens und für die 
Teichgewässer nach Dieffenbach gar bis 60% des Eigenvolumens 
als Sen aus dem Nannoplankton an. 


Diese Zahlen kommen durch ein höchst seltsames Rechenkunst- 
stück heraus, das an zwei Beispielen erläutert werden mag: 


Im Zuger See findet Lantzsch ın 5 m Tiefe: 
ım Tagfang 58850 u? 
ur Nachtfang 646800 ", an Zooplankton ın 1 cem 
an Nannoplankton im Tagfang 58000 u’ 
f u im Nachtfang 40200 u®. 


Er schließt nun: das Nannoplankton hat in der Nacht abgenommen: 
wenn wir annehmen, daß ın 3 Tagen und Nächten, ohne Wirkung der 
Vernichtung, eine Verdoppelung stattfände, so müßte es von 58000 
auf 77200 u’ zugenommen haben; es hat auf 40200 abgenommen, 
also sind 77200—40200 —= 37000 u? gefressen worden und zwar von 
646808 u? Zooplanktonten, 

Die Unmöglichkeit, auf: diese Weise sinngemäße Zahlen zu er- 
halten, ist leicht einzusehen: Was würde Lantzsch über die Ver- 
nichtung der Nannoplankton durch Fraß der Zooplanktonten in einer 
Lebensgemeinschaft sagen, in der er Tag und Nacht gleiche Mengen 
Nannoplankton fände? Er würde natürlich sagen, es sei ım Laufe 
eines ganzen Tages !/, des Bestandes gefressen worden. Das ıst aber 
keine Berechnung aus den beobachteten Zahlen, sondern nur eine 
ganz grobe Schätzung der Vermehrungsgeschwindigkeit des Pflanzen- 
planktons, die außerdem wahrscheinlich viel zu hoch ist, denn da die 
Teilungen anscheinend überwiegend in den Nachtstunden vor sich 
gehen, müßte man dann !/, aller Nannoplanktonten ın Teilung finden, 
was meines Wissens nicht mit der Erfahrung übereinstimmt. Findet 
er aber gar, daß beim Vergleich des Nachtlanges mit dem Tagfange, 
dem er folgt, das Volumen des Nannoplankton zugenommen hat, so 
kann er gar nıchts über die Zehrung durch das Zooplankton sagen. 
Dies trifft in dem letzten 7 nlenberepiet das Lantzsch anführt, tat- 
sächlich zu, und er sagt: „Hier überwiegt der Überschuß, d. h. es 
wird weniger gefressen an Nannoplanktoh als durch Teilungs- 
geschwindigkeit und Zufuhr aus den oberen Schichten produziert 
wird.“ Mit diesen letzten Worten ist aber ein Punkt von grund- 
legender Wichtigkeit zaghaft gestreift! Die kleinen Lebensbezirke, 
die Lantzsch betrachtet, stehen in dauerndem Austausch mitein- 
ander, die Nannoplanktonten sinken ab oder werden durch Konvektions- 
ströme verschoben, die Zooplanktonten, besonders die größeren, 








A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der Wassertiere. S1 


wandern auf und ab und so findet man sie bald in dieser, bald ın 
jener Schicht. Sinngemäßerweise kann man daher nur die Fänge von 
derselben Stelle, die zu Tag- und Nachtzeit in verschiedenen "Tiefen 
gemacht sind, zu Mittelwerten zusammennehmen und z. B. sagen: 
Nach den Stichproben, die je bei Tag und Nacht aus 5 und aus 10m 
Tiefe im Zuger See entnommen sind, ergibt sich als Tagesmittel der 
ganzen Schicht ein Bestand von 504425 u? Zooplankton (in 1 ccm) 
und 37 925 «u® Nannoplankton. Wenn wir den Vermehrungsfuß — will- 
kürlich — auf !/, pro Tag ansetzen, so steht der Zooplanktonmenge 
ein Volumen von 12642 u? als tägliche Nahrung zur Verfügung, das 
bedeutet für den Tag 2,5%, des Eigenvolumens. Für den Mansfelder 
See findet man auf diese Weise, daß dem Zooplankten 21,5%, des 
Eigenvolumens als tägliche Nahrungsmenge zur Verfügung stehen und 
in dem von Dieffenbach untersuchten Teich 20 %. 

Aber sind diese Zahlen über die maximale Menge geformter 
Nahrung, die ein Gewässer liefern kann, wirklich brauchbar? Darf 
man sagen, der Zuger See stelle seinen Zooplanktonten täglich 2,5%, 
ihres Eigenvolumens an Nahrung zur Verfügung, die kleinen anderen 
Gewässer 20—22%,? 

Daß der Vermehrungsfuß des Nannoplankton bei dieser Schätzung 
sehr hoch angesetzt ist, habe ich schon betont, will aber an diesen 
Punkt keine weitere Kritik ansetzen, sondern etwas anderes als weit 
wichtiger herausstellen. Der Berechnung der Produktion an geformter 
Nahrung liegt die Voraussetzung zugrunde, daß alle Formen des 
Nannoplankton unterschiedslos quantitativ von den Zooplank- 
tonten, d.h. hier von den Rotatorien und Kleinkrebsen verdaut werden. 
Diese Annahme aber ist falsch. Man kann sich doch nicht einfach 
über die sorgfältigen Darmuntersuchungen von Einar Naumann!) 
hinwegsetzen, in denen in bündigster Weise gezeigt worden ist, daß 
nur einige wenige besonders hinfällige Formen des Zwergenauftriebs 
bei der Aufnahme in den Darm der Kleinkrebse zerstört und dann 
aufgelöst werden, daß aber die ganze große Masse des Nannoplankton 
den Darm der Entomostraken passiert ohne verdaut zu werden, 
daß sie im Enddarm genau so unverändert anzutreffen sind, wie im 
Anfangsteil des Darmes. Wie viele Prozente des ganzen Bestandes 
an Nannoplankton die Formen ausmachen, die regelmäßig verdaut 
werden, wie viele von den Formen, die für gewöhnlich unverdaut 
bleiben, doch infolge zufälliger Verletzungen im Darm zugrunde gehen 
und somit ausgenutzt werden können, darüber lassen sich keine sicheren 
Zahlenangaben machen. Nach Naumanns Beobachtungen kann es 
sich jedenfalls nur um einen recht geringen Anteil handeln, 

Für die Ernährung des Zooplankton kommen also nicht die 2,5 
bis 22%, des Eigenvolumens in Betracht, sondern nur ein geringer 
Bruchteil hiervon, der !/,, wohl kaum erreichen dürfte. 


10) Lunds Universitets Arskrift N. F. Acd. 2. Bd. 14. Nr. 31. Lund 1918. 


42. Band, 6 


Gh, . 


83 A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der Wassertiere. 


Gegenüber einem Nahrungsbedarf, der für die größten der Formen, 
die hier in Frage kommen, schon 21 bis 39% des Eigenbestandes 
beträgt, bei noch recht stattlichen Formen, wie Colpidium, schon 235 % 
reicht und nach den Gesetzen der physiologischen Ähnlichkeit bei 
kleineren Arten noch ganz bedeutend größer sein muß, vermag das 
Nannoplankton als geformte Nahrung nur Bruchteile eines Prozentes 
bis (im äußersten Falle) vielleicht 2% des Eigenvolumens zur Ver- 
fügung zu stellen. 


Die Zahlen, durch die Lantzsch meine Anschauung von der 
parenteralen Ernährung der Wassertiere widerlegen zu können glaubt, 
führen bei kritischer Bewertung abermals zu de Resultat, ds ich 
seit 1907 mehrfach verteidigt habe: daß die Leiber der Plankon 
pflanzen keine genügende Nahrung für die Planktontiere 
bilden. Mit seiner Anschauung setzt sich Lantzsch auch zu Nau- 
mann in Gegensatz, der auf Grund seiner Studien, die dem Süß- 
wasser gelten, zu dem Resultat kommt, daß die von mir rechnerisch 
erwiesene Unzulänglichkeit der Nahrung im alten Sinne, „experimentell 
noch mehr pointiert worden“ sei. 

Für die bisherigen Frörterungen war es gleichgültig, ob die Tiere, 
deren Nahrungsbedarf untersucht wurde, in einem faulenden Heuauf- 
guß, ın Tümpeln, Teichen oder Seen ae im Meere leben, mit anderen 
Worten, ob sie in einem unabhängigen beben berieben, der in sich 
alle Bedingungen zur Erhaltung eines Gleiehgewichtes von Verbrauch 
und Neubildung organischer Stoffe enthält, oder in einem abhängigen, 
dem in Form von organischem Detritus oder gelösten Stoffen Energie- 
und Stoffquellen en 


Wenn die Physik der Atmosphäre sıch die Betrachtung der mete- 
orologischen Erscheinungen dadurch vereinfacht, daß sie die Vorgänge 
als adiabatisch betrachtet, also so, als ob er, die Grenzen des Gas- 
volumens hindurch, das gerade untersucht wird, kein Energieaustausch 
stattfindet, so entspricht dem die Vereinfachung der Prokleme, die 
sich ergibt, wenn man das Verhältnis der Produzenten zu den Kon- 
sumenten im Plankton eines unabhängigen Lebensbezirkes unter- 
sucht, bei dem in der Beobachtungszeit keine merkbare Menge 
organischer Stoffe von außen in das untersuchte Volumen hinein- 
gebracht wird, oder aus ihm hinausgeht. 


Für einen solchen Lebensbezirk, für das Meer, habe ich die Frage 
nach der Herkunft der organischen Nahrung der Zooplankton erörtert, 
und bin zu dem Ergebnis gekommen, daß die Lieferung der Nahrung 
eine Funktion är Fläche der Planktonalgen ist. Der Gang 
des Beweises ist folgender: Die Leiber der Planktonalgen (und Bak- 
terien) sind als Nahrung unzureichend. Detritus, der aus den Leibern 
der Phyto- und Zooplanktonten entsteht, kann nur einen geringen 
Zuschuß bedeuten, solange es sich um einen unabhängigen Lebens- 
bezirk handelt. Die Planktonalgen liefern, wie experimentell erwiesen, 


Ba a > ) 


en" 


A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der Wassertiere. 83 


durch Zerlegung von Kohlensäure soviel Sauerstoff, daß sich daraus 
eine Zuckerproduktion berechnen läßt, die das vielfache des Volumens 
der Planktonalgen beträgt. Es kann also nur ein kleiner Teil der 
Assimilate in den Leibern der Algen gespeichert werden, 
der weitaus größte Teil muß an das Wasser abgegeben werden. 
Daß diese Leistung der Algen einer Größe von der Dimension der 
Fläche proportional ist, das ergibt sich ebenso aus stoffwechsel- 
physiologischen Überlegungen, wie aus der Erwägung, daß die zuge- 
strahlte Sonnenenergie auf die Chlorophylikörner entsprechend deren 
Querschnitt auftrifit, also ihre Wirkung proportional einer Größe von 
Flächendimension entfaltet. Ich freue mich feststellen zu können, 
daß Einar Naumann!!) bis zu diesem Punkte meiner Beweisführung 
zustimmt. Wenn er sich die Stoffe, die von den Algen ausgeschieden 
werden, als solche vorstellt, die im Wasser ausgeflockt werden, so 
vermag ich dieser Ansicht allgemein nicht zuzustimmen, möchte aber 
doch darauf hinweisen, daß auch ich'!?) diese Möglichkeit erwogen und 
versucht habe, die mögliche Bedeutung solcher Schleimproduktion abzu- 
schätzen, wobei ich zu dem Ergebnis kam, daß diese Stoffquelle zwar 
nicht vernachlässigt werden darf, daß sie aber doch kaum auch nur 
!/, der gesamten Menge abgegebener Assimilate betragen dürfte, wenn 
man von einzelnen Ausnahmefällen absieht, wie etwa die Meerver- 
schleimung im Triester Golf nach Cori. 

Für abhängige Lebensbezirke, wie Teiche oder Tümpel, ja auch 
noch kleinere Binnenseen sie wohl meist darstellen, liegen die Dinge 
verwickelter, denn hier muß immer mit dem Zustrom von Detritus 


oder gelösten Stoffen gerechnet werden, deren organischer Anteil aus 
anderen Lebenskezirken stammt. 


Würde z. B. ein Vergleich zwischen der produzierenden Algen- 
fläche eines solchen kleinen Gewässers und der konsumierenden Fläche 
des Zooplankton zu dem Ergebnis führen, es sei zu wenig Produktions- 
fläche da, so könnte hieraus nicht der Schluß abgeleitet werden, daß 
die Anschauung über die Abgabe der Assimilate der Algen an das 
Wasser und deren Verwertung durch die Tiere falsch sei, sondern 
nur der, daß der Lebensbezirk abhängig sei, und Zuschüsse von außen 
erhalten müsse. 


In dem Bestreben, meine Anschauungen über das Verhältnis von 
Produzenten und Konsumenten zu widerlegen, läßt sich Lantzsch 
zu Erörterungen verleiten, die nicht unwidersprochen bleiben können. 

Zunächst teilt er eine Reihe von Erfahrungen mit, aus denen die 
räumliche und zeitliche Abhängigkeit der Entwicklung des Zooplanktons 
vom Nannoplankton hervorgeht. Was diese zur Entscheidung der 
Frage in seinem Sinne beitragen können, ist mir nicht erfindlich, denn 





11) Biol. Zentralbl. 39. Bd. 1919. 
12) Ernährung der Wassertiere u. s. w. Jena 1909, S. 130. 


B* 


84 A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der Wassertiere. 


gleichviel, ob die ernährungsphysiologische Beziehung zwischen Nanno- 
plankton und Netzplankton, zwischen Produzenten und Konsumenten 
derart ist, daß die Produzenten von den Konsumenten gefressen 
werden, oder so, daß die Produzenten die Fabriken darstellen, von 
deren Fabrikaten die Konsumenten leben, stets werden räumliche und 
zeitliche Beziehungen zwischen den beiden Gruppen bestehen müssen. 

Es wäre übrigens verführerisch doch auf dieses Verhältnis etwas 
näher einzugehen, und zu zeigen, daß die zeitlichen und räumlichen 
Grenzen für die Wirkung gesteigerter Abgabe von Assimilaten an das 
Wasser viel weiter gesteckt sind, als für die Volumenzunahme der 
Nannoplanktonalgen. Denn wenn sich z. B. das Maximum der Clado- 
zerenentwicklung so weit gegen das Nannoplanktonmaximum „ver- 
schieben“ kann, daß das Cladozerenmaximum mit dem: Nanno- 
planktonminimum zusammenfällt, wie VGolditz gezeigt hat, so wirkt 
der Satz, den Lantzsch an die Erwähnung dieser Tatsache schließt: 
„doch dokumentiert die Betrachtung der Jahreskurve deutlich die Ab- 
hängigkeit beider Formengruppen“, als recht matt in einer Beweis- 
führung gegen eine Anschauung, die viel eher imstande ist, solch zeit- 
liches Auseinanderfallen der Maxima zu erklären, als die von Colditz 
oder Lantzsch. 


Auf eine Frage der räumlichen Beziehung von Produzenten und 
Konsumenten, seı noch hingewiesen. Lantzsch schreibt: „kann man 
annehmen, daß ın Tiefen unter 100m das Phytoplankton noch Sekrete 
ausscheidet, die den Urustern das Leben fristen lassen?“ und fährt 
fort: „..... die Annahme, daß die Konvektionsströmungen genügend 
gelöstes Material aus den oberen dichter bevölkerten Schichten in die 
Tiefe tragen, wird ebenfalls nicht ausreichen, da die Verdünnung immer 
stärker wird und die gelöste organische Substanz für die wenig ange- 
paßten Copepoden und andere Kleinkrebse kaum nutzbar sein wird.“ 

Da haben wir ım kleinen die Frage aufgerollt, die im Meere in 
Form des Problems der Ernährung der Tiefseetiere auftritt, und zur 
Rettung der üblichen Anschauung von der Ernährung der Tiere mittels 
geformte Nahrung, durch das bekannte „Märchen vom Nahrungsregen“ 
beantwortet wird. Seltsamerweise ist ein Gesichtspunkt in der Er- 
örterung dieser Frage nieht berücksichtigt worden: woher stammt 
denn der Sauerstoff der tiefen Schichten? Er kommt doch ganz sicher 
aus Oberflächenschichten, dıe ıhm entweder aus der Luft aufnehmen, 
oder — und das ıst wohl das häufigere — durch die Tätigkeit der 
Planktonalgen mit ıhm angereichert werden. Warum findet Lantzsch 
die Beförderung gelöster organischer Stoffe durch Konvektion unwahr- 
scheinlich, die für den Sauerstoff sicher ist? Und was die Menge an- 
langt, so wolle man sich doch endlich klar machen, daß sich gegen die 
Möglichkeit genügender Mengen gelöster Nährstoffe ın der Tiefe so 
lange nichts stichhaltiges einwenden läßt, wie genügend Sauerstoff für 
die Tiere vorhanden ist. Sie verwenden ja doch den Sauerstoff bei 
der „Atmung“ dazu, organische Stoffe, Nährstoffe, zu oxydieren, und 


‘ 


A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der Weassertiere. 8 


Di | 


) 


brauchen immer etwa 25%, Sauerstoff mehr, als Nährstoffe. Kommt 
also in die Tiefe des Wassers so viel Sauerstoff, wie zur Erhaltung des 
Stoffwechsels der Tiere erforderlich ist, so liegt kein Grund vor, für 
gelöste organische Verbindungen diesen Weg als ungangbar zu be- 
zeichnen. 


Sehr befremdlich sind die Ausführungen, die Lantzsch an den 
Vergleich zwischen den Flächen der Produzenten und Konsumenten 
knüpft. Ich habe hier zuerst erfahren, daß ich einen „Oberflächen- 
satz“ aufgestellt habe, nach dem die Flächen der Produzenten gleich 
der der Konsumenten sein sollen. Dieser Oberflächensatz hat sich, 
wie Lantzsch mitteilt, für das Süßwasser nicht bewährt, denn durch 
eine recht grobe Überschlagsrechnung findet er, daß die Fläche der 
Produzenten etwa 25 mal so groß wie die der Konsumenten ist. 

Wie steht es mit diesem Vergleich ? 


Im Jahre 1909 schrieb ich!?) bei Berechnung der Flächen für 
Produzenten und Konsumenten im Plankton von Laboe: „Die mittlere 
Fläche der Produzenten übertrifft . . . die mittlere Fläche der Kon- 
sumenten um das vierfache, und wir würden den Schluß ziehen, daß 
die Produktion in der untersuchten Oberflächenschicht von 15m Dicke 
den Bedarf der Konsumenten nicht nur deckt, sondern viermal so viel 
Stoffe liefert, daß also °/, der produzierten Stoffe für andere, ärmere 
Meeresteile disponsibel würden.“ 

„Nun darf man diese Zahl freilich nicht überschätzen, ist sie doch 
hervorgegangen aus einer ganz schematischen Grundannahme, daß 
nämlich die Produktion pro Flächeneinheit der Algen ebensogroß sei, 
wie der Verbrauch pro Flächeneinheit der Tiere und Bakterien. Wır 
können also ebensogut jetzt am Schluß sagen: Zur vollständigen 
Deckung des Stoffbedarfs der chromophylifreien Algen, der Bakterien, 
Protozoen und Metazoen im Plankton von Laboe, reicht es aus, wenn 
die Algen pro Flächeneinheit '!/, der Stoffmenge produzieren, wie die 
Tiere verbrauchen.“ 

Von der Forderung einer Gleichheit der Konsumenten und Pro- 
duzentenfläche kann gar keine Rede sein. Die Gegenüberstellung der 
beiden Flächengrößen soll nur zeigen, daß da, wo die Volumina der 
Produzenten nicht hinreichen um den Nahrungsbedarf der Konsu- 
menten zu decken, doch ihre aktive Oberfläche größer ist als 
die der Verbraucher, so daß sie den Bedarf decken können, so- 
fern ihre Ausscheidung verwertbarer Stoffe pro Flächeneinheit von 
der gleichen Größenordnung ist, wie der Verbrauch der Konsu- 
menten pro Flächeneinheit. 

Wäre die Zahl, die Lantzsch für das Verhältnis der Flächen 
gibt, richtig, so hätten wir es entweder mit Produzenten zu tun, die 
pro Flächeneinheit sehr wenige Assimilate abgeben, oder es müßte 


13) Die Ernährung der Wassertiere und der Stoffhaushalt der Gewässer. Jena 1909, 
8. 135. 


s6 A. Pütter, Die Frage der parenteralen Ernährung der Wassertiere. 


die Produktion aus Nährstoffen den Verbrauch weit übertreffen. Die 
Rechnung, die Lantzsch aufstellt, hat aber grundsätzliche Fehler. 
Ich sehe davon ab, daß es wohl besser gewesen wäre, die kleine Mühe 
aufzuwenden, die eine etwas mehr ins einzelne gehende Berechnung 
der Flächen erfordert hätte, und verweise nur auf zweı Punkte: 
1. läßt der Autor in seiner Berechnung der Zehrer die Bakterien ganz 
fort und 2. trennt er Bezirke, die unbedingt zusammengefaßt werden 
müssen, denn die Forderung kann, gerade wenn es sich um die Aus- 
nutzung gelöster Stoffe handelt, keinesfalls sein, daß zu jeder Zeit in 
jedem Teil einer Wassersäule die Produzentenfläche von der Größen- 
ordnung der Konsumentenfläche sei, sondern nur, daß der Mittelwert 
der sich aus den Stichproben ergibt, die in verschiedenen Tiefen zu 
verschiedenen Tageszeiten gemacht werden, dieser Bedingung genügt. 
Fassen wir, um einen solchen Wert zu bekommen, die Angaben für den 
Zuger See (S. 130) zusammen, so ergibt sich der mittlere Durchmesser der 
Nannoplanktonten zu 4,7 u und die Produzentenfläche ist nur 4,55 mal 
so groß als die des Zooplankton. Wie groß aber ist die ganze Fläche 
der Konsumenten ? Außer den Zooplanktonten sind ja die Bakterien, 
die Lantzsch vergessen hat, da, und erfordern viele organische ge- 
löste Nahrung. Für Laboe konnte ich es wahrscheinlich machen, daß die 
aktive Oberfläche der Bakterien im Jahresmittel fast ebenso groß ist, 
wie die Gesamtfläche aller anderen heterotrophen Organismen, Proto- 
zoen und Metazoen, zusammengenommen. Zahlenangaben für das 
Süßwasser zu machen bin ich nicht in der Lage, doch sind ja die 
hohen Bakterienzahlen bekannt, die in Flüssen und Seen und gar erst 
in Teichen und Tümpeln zu finden sind. Setzen wir die aktive Fläche 
der Bakterien auch nur gleich der der Zooplanktonten, so bleibt in 
dem Beispiel des Zuger Sees nur ein Verhältnis der produzierenden 
zur verbrauchenden Fläche wie 1:2,3. Jedenfalls zeigt die Flächen- 
vergleichung für das Süßwasser, daß auch da, wo die Volumina des 
Nannoplankton den Nahrungsbedarf des Zooplankton nicht zu decken 
vermögen — denn dies gilt, wie ich oben gezeigt habe, für die hier 
besprochenen Gewässer — die Fläche der Nannoplanktonorganismen 
größer ıst als die des Zooplanktons und daher auch die Ernährung 
bedeutender Mengen von Bakterien zu bestreiten vermag, wie sie in 
den Gewässern vorhanden sind. 

Gegenüber den Ausführungen von Lantzsch muß ich also meine 
Anschauungen über die Ernährung der Wassertiere und den Stoff- 
haushalt der Gewässer in vollem Umfange aufrecht erhalten. 





H. Böker, Die Bedeutung der Überkreuzung der Schnabelspitzen usw. 57 


Aus dem anatomischen Institut der Universität Freiburg. 
Die Bedeutung der Überkreuzung der Schnabelspitzen 
bei der Gattung Loxia. 
7 Von Privatdozent Dr. Hans Böker. 

Wenn man in der reichen ornithologischen Literatur über den 
Schnabel der Gattung Zoxia nachliest, erkennt man, daß alle Autoren 
von der Überzeugung geleitet wurden, daß die Überkreuzung der 
starken und langen Schnabelspitzen den „Kreuzschnäbeln“ beim Auf- 
brechen der Zapfen von Notwendigkeit sein muß. Ohne diese Über- 
kreuzung müßte es ihnen unmöglich sein, die Früchte der Nadelhölzer, 
die den wichtigsten Bestandteil ihrer Nahrung ausmachen, zu erlangen. 
Wohl jeder, der diese interessanten Tiere zum erstenmal beobachtet, 
wird zuerst derselben Ansicht verfallen. Unwillkürlich wird man in dieser 
eigenartigen Schnabelform eine sehr zweckdienliche Anpassung an die Art 
des Nahrungserwerbes sehen. Und doch beruht diese Ansicht meines 
Erachtens auf einem Vorurteil. Die Überkreuzung halte ich für eine, 
fast möchte ich sagen ganz belanglose Nebenerscheinung, die mit 
dem Nahrungserwerb an sich nichts zu tun hat. Die starken langen 
Schnabelspitzen, Haken genannt, sind natürlich von Bedeutung, nicht 
aber ist es die bei geschlossenem. Schnabel auftretende Überkreuzung 
dieser Haken. 

Was die Kreuzschnäbel von den anderen Vögeln unterscheidet 
ist weniger die Schnabelform, als die Art wie sie ıhren Kieferapparat 
benutzen. Sie sind, soweit mir bekannt, die einzigen Vögel, die ım- 
stande sind den Unterschnabel mit Kraft und großer Exkursionsweite 
seitlich zu verschieben. Mit Hilfe dieser Fähigkeit vermögen sie die 
Schuppen der Zapfen zu lüften und dadurch die Samen freizulegen. 
Diese Tatsache ist längst bekannt, wie die Beschreibungen bei 
Friderich und Nitzsch!) erkennen lassen, aber dennoch hat sie bis- 
her nicht die nötige Würdigung erfahren. Ja, einige Autoren, wie 
Brehm Vater, Marshall in der 4. Auflage von Brehms Tierleben, 
Naumann, Duerst und Hilzheimer, der sich den vorigen eng an- 
schließt, erwähnen die seitlichen Bewegungen des Unterschnabels so 
gut wie gar nicht, sondern betonen mehr eine seitlich hebelnde Be- 
wegung des ganzen Kopfes. Viel zu wenig Wert haben die ornitho- 
logischen Schriftsteller deshalb auch auf die interessanten Asymmetrien 
ım Bereich der Kopfmuskulatur und des Kieferskeletts gelegt, die zu- 
letzt von Duerst 1909 ausgezeichnet beschrieben worden sind. Um 
so auffallender ist es, daß Duerst selbst eine ausführliche Beschreibung 
der Vorgänge gibt, wie sie sich beim Entsamen der Tannenzapfen 
durch Kreuzschnäbel abspielen, die jedoch das Richtige zweifellos nicht 
trifft und das dabei Wichtige nicht hervorhebt. 

Nach ihm soll die Hypertrophie der bestimmten Kaumuskeln, 


y 1) Zitiert nach Duerst und Naumann. 


tere} H. Böker, Die Bedeutung der Überkreuzung der Schnabelspitzen usw. 


M. temporalis und M. apertor rostri major der Hakenseite, M. pteryyordeus 
der Gegenseite, dadurch zustande kommen, daß der Vogel den geöffnet 
und wie einen Keil zwischen die Zapfenschuppen eingeschobenen 
Schnabel mit großer Gewalt schließt, die Schnabelspitzen also wieder 
kreuzt und so die Schuppen auseinander treibt. Bei der Schließ- 
bewegung müßte die eine Hälfte der Muskeln, da sie gegen einen 
Widerstand anarbeitet, stärker beansprucht werden als die andere, 
und daher hypertrophieren. Daß Duerst mit der Annahme einer 
Schließbewegung nicht Recht hat, kann man leicht durch Beobachtung 
erkennen, wenn man einen gekäfigten Kreuzschnabel, wie ich es oft 
getan habe, eine kleine Pappschachtel oder andere zerreißbare Gegen- 
stände in den Käfig legt, an denen die Vorgänge leichter zu erkennen 
sind, als am Tannenzapfen. Der immer auf Zerstörung erpichte 
Kreuzschnabel sucht sofort Spalträume an diesen Gegenständen, in 
die er seinen geöffneten Schnabel hineinschieben kann. Man sieht 
dann, wie er mit oft wiederholten kräftigen Seitenbewegungen 
des Unterschnabels den Spalt sehr schnell erweitert, bis er auf die 
übliche Weise aller Vögel Fetzen des Gegenstandes erfassen und ab- 
reißen kann. Von einem Schließen des Schnabels nach seiner Ein- 
führung in den Spalt kann nie die Rede sein. Das beweisen wohl 
auch folgende Beobachtungen, die ich an meinen Vögeln oft machen 
konnte. 

Auf der Suche nach erweiterungsfähigen Spalträumen gelangte 
ein Vogel an das lose herabhängende, senkrecht verschiebbare Türchen 
des Drahtkäfigs. An der unteren Querstange der Tür wurde nun der 
Schnabel eingeschoben und die ganze Tür mit dem Unterschnabel um 
mindestens 5 mm gehoben. Die Überkreuzung der Schnabelhaken 
macht aber nur etwa 3 mm aus! Oder, der Vogel setzt sich auf eine 
Sitzstange in der Nähe des Gitters. Mit einem Fuß hält er sich am 
Gitter fest, steckt den Schnabel zwischen Sıitzstange und Drahtunter- 
lage, und hebt nun sich selbst mit der Sitzstange durch die Seiten- 
bewegungen im Kiefergelenk hoch. Weiter, ein Weibchen, das ich 
längere Zeit besaß und das sich durch besondere Zutraulichkeit und 
stärkere Neigung zur spielerischen Betätigung gegenüber den beiden 
Männchen auszeichnete, lernte sehr bald den Mechanismus einer Futter- 
sparkugel, die ich als Futternapf in den Käfig gestellt hatte, verstehen. 
Wenn im Futtertrog kein Hanfkorn mehr war, sondern nur noch 
andere Sämereien, die weniger beliebt waren, wurde erst mit kräftigen 
seitlichen Kopfbewegungen im Trog Platz geschaffen, dann steckte es 
seinen Schnabel zwischen er und Porzellantrog, dort wo die 
Kugel in den Tubus übergeht, der in den Aufsatz des Troges ein- 
gesteckt ist. Durch einige kräftige Bewegungen mit dem Unterschnabel 
wurde die Kugel gehoben und schnell fallen gelassen, wodurch natür- 
lich neue Futterkörner in den Trog kamen. Niemals versuchte übrigens 
der Kreuzschnabel durch das Glas hindurch gegen ein Hanfkorn zu 
picken, wie es weniger intelligente Tiere zweifellos tun werden, sondern 


H. Böker, Die Bedeutung der Überkreuzung der Schnabelspitzen usw. 89 


es wurde der Mechanismus des Apparates mit ausgesprochener Ziel- 
sicherheit, die natürlich die Folge der Sucht war, überall Spalten zu 
sehen, die erweitert werden müssen, in Gang gesetzt. Bei diesen 
mehr spielerischen Betätigungen waren die Bewegungen des Unter- 
schnabels dauernd sichtbar, und nicht wie beim Zapfenöffnen verborgen, 
so daß eine Schließbewegung leicht hätte erkannt werden müssen. 

Neben den seitlichen Bewegungen, die nur der Unterschnabel 
ausführt, gebraucht der Kreuzschnabel, wie oben schon angedeutet, 
seinen Schnabel noch in’ mehrfacher Weise, wie es jeder andere 
Körnerfresser auch tut. Er faßt vor allem die Schuppen und andere 
Gegenstände wie mit einer Zange und zerbeißt sie durch Schließen 
der Kiefer. Dabei durchbohrt der Haken des Unterschnabels oft eine 
Schuppe, die dadurch wie angespießt ist. Kräftiges Heben des Kopfes 
bei geschlossenem Schnabel muß dann ein Aufschlitzen der Schuppe 
bewirken. Auf diese Weise erfolgt die regelmäßig zu beobachtende 
typische Zerfaserung der Zapfenschuppen. Die etwas konstruiert er- 
scheinende Erklärung von Duerst, wonach die Schuppe zerfasert 
wird, wenn der Vogel den geschlossenen Schnabel zwischen den 
Schuppen wieder hervorzieht, weil dabei der Haken des Unterschnabels 
sich in der Schuppe verhakt, kann nicht befriedigen. Von ausschlag- 
gebender Bedeutung für meine eingangs aufgestellte Behauptung von 
der Bedeutungslosigkeit der Überkreuzung ist nun aber die Tatsache, 
daß der Schnabel bei allen Verwendungsarten stets halbgeöffnet ge- 
halten wird, wodurch die Verbreiterung der Schnabelspitze infolge der 
Überkreuzung aufgehoben ist. Nur bei Untätigkeit sind die Schnabel- 
spitzen überkreuzt, im Gebrauch benutzt ihn der Kreuzschnabel so 
als ob überhaupt keine Überkreuzung vorhanden wäre! 

Warum und auf welche Weise ıst nun aber die Schnabelüber- 
kreuzung entstanden? Um diese phylogenetische Frage beantworten 
zu können, müßte man den ontogenetischen Werdegang der Bildung 
in seinen Einzelheiten kennen. Bekannt ist, daß die nestjungen Vögel 
noch einen geraden Schnabel besitzen, also keine „Krummschnäbel“ 
sind. Marshall schreibt: „Es wäre äußerst interessant, wenn es an- 
ginge, nestjunge Kreuzschnäbel bei anderem Futter aufzuziehen, ohne 
ihnen je Tannenzapfen zu verabfolgen. Wenn die Schnäbel sich beı 
ihnen doch krümmten, so würde das auf Vererbung zurückzuführen 
sein. .... Es könnte aber auch sein, daß jedes Kreuzschnabelindivi- 
duum diese Asymmetrie selbständig erwirbt.“ Da es mir bisher nicht 
gelungen ist, nestjunge Kreuzschnäbel zur Aufzucht zu bekommen, 
kann ich keine Angaben über die ontogenetische Ausbildung des 
Schnabels machen. Aber es lassen sich auf Grund von Überlegungen 
doch begründete Ansichten aussprechen. 

Jeder Vogel muß seinen Kreuzschnabel selbständig erwerben, da 
ihm die Lust an der Erweiterung von Spalträumen, was Duerst auch 
ausgesprochen hat, angeboren ist, Angeboren, also vererbt ist auch 
der Trieb die Spalten durch seitliche Verschiebungen des Un. 


90 H. Böker, Die Bedeutung der Überkreuzung der Schnabelspitzen usw. 


terschnabels zu öffnen. Erblich nicht festgelegt ist die Richtung, 
nach welcher der Unterkiefer bewegt wird, denn es kommen sowohl 
„Rechts“- als auch „Linksschnäbler“ zur Beobachtung. Möglicherweise 
hängt das von dem Bau der Zapfen ab, die als zufällig erste von dem 
jungen Vogel in Angriff genommen werden. Zurateziehen der bota- 
nischen Literatur über die Zapfen hat mir aber keine Anhaltspunkte 
dafür gegeben; und für den Satz, den ich bei Friderich S. 196 lese: 
„Und wie es Zapfen mit rechts und links sich deckenden Schuppen 
gibt, so gibt es auch Kreuzschnäbel, deren Spitzen sich vorn rechts 
oder links kreuzen“ kann ich keine Erklärung finden. Und wenn 
Bechstein sagt: „Bald schlägt der Oberkiefer zur rechten Seite am 
unteren vorbei, bald zur linken, je nachdem sie noch weich in der 
Jugend auf diese oder jene Seite gewöhnt wurden*, so liegt darin 
auch noch keine Erklärung. 

Die tiefere Ursache für die sehr auffällige Tatsache der Rechts- 
und Linksschnäbeligkeit kann aber auch im feineren Bau des Gehirns 
liegen, ähnlich wie beim Menschen für die Rechts- oder Linkshändig- 
keit. Richtig muß sein, daß ein Jungvogel die zuerst gewählte Rich- 
tung der Schnabelbewegung immer beibehält. Die Folge davon ist 
dann einmal die bekannte Asymmetrie der Muskulatur von Kopf und 
Hals, sowie der Kiefergelenke, und zweitens eine notwendige Ver- 
änderung der Schnabelspitzen, die ja bei jeder seitlichen Verschiebung 
beim Spalterweitern gegen ein Hindernis gedrückt werden. Dadurch 
werden nun die Spitzen nicht dem Druck ausweichend abgebogen, wie 
es Marshall meint, wenn er sagt: „Der Widerstand des Objektes 
drückt den Schnabel auf die Seite“, sondern der seitliche Druck wirkt 
beim Jungvogel als Wachstumsreiz auf die Epidermiszellen der Horn- 
scheiden, so daß die Schnabelspitzen sich dem Hindernis gerade ent- 
gegen richten. Ist die Schnabelbildung soweit gediehen, dann werden 
sich die Schnabelspitzen beim Schließen der Kiefer nicht mehr be- 
rühren, sondern nebeneinander vorbeisehen und sich überkreuzend 
aneinander vorbeiwachsen. Nimmt man an, daß von vornherein der 
Öberschnabel hakenförmig über die Unterschnabelspitze hinweggegangen 
ist, dann ist es einleuchtend, daß infolge des gleichen Wachstums- 
reizes, der die Verbiegung nach der Seite beim Unterschnabel bewirkt, 


der Unterschnabel jetzt auch hakenförmig wird, so daß dann der 


Schnabel aus den auffallenden zwei starken Haken besteht, die neben- 
einander liegen. Beobachtungen am lebenden Objekt müssen diesen 
Überlegungen die tatsächlichen Grundlagen noch geben, aber sie werden 
zu keinem anderen Ergebnis führen, wenn man als das Primäre beim 
ganzen Vorgang die seitlichen Exkursionen des Unterschnabels erkennt. 

Über die Phylogenese der Kreuzschnabeligkeit und damit der 
Gattung Loxia hat sich Duerst ausführlich verbreitert. Er ıst der 
Ansicht, daß die Überkreuzung, die auch Marshall als „ursprünglich 
pathologische Erscheinung“ auffaßt, durch eine Mißbildung bei gerad- 
schnabeligen Ahnen entstanden ist. Und zwar soll sich diese Miß- 





H. Böker, Die Bedeutung der Überkreuzung der Schnabelspitzen usw. 91 


bildung, wie man sie ja tatsächlich vielfach bei den verschiedensten 
Vogelarten finden kann, (Lindner) „durch embryonale Deformation 
infolge einer Schnabelverletzung“ bilden. Um dies experimentell zu 
beweisen, hat Duerst junge Hühnchen im Ei freigelegt und ihnen 
den Oberkiefer gebrochen. 50%, aller operierten Tiere starben bald 
ab, 30 % hatten einen geraden und nur 20 %, einen gekreuzten Schnabel. 
Das heißt, bei einer geringen Anzahl heilten die Knochenbrüche schief 
aus, während bei den übrigen der überhaupt überlebenden Tiere die 
Verletzung normal verheilte. Aber beweisen diese Experimente etwas? 
Kann man einen durch schlecht verheilten Oberkieferbruch ent- 
standenen „Kreuzschnabel“ mit einem durch Funktion erworbenen 











vergleichen, der auf Veränderung des Unterschnabels beruht?! Dabeı 
ist außerdem gar nicht bedacht, daß die Abweichung bei den Schnäbeln 
der Gattung Loxia vom vormalen Verhalten, wie es alle anderen Kegel- 
schnäbler zeigen, so gut wie nur auf eine Veränderung der Horn- 
scheide des Unterschnabels beruht, während die Hornscheide 
des Oberschnabels und die knöchernen Skelette beider Schnabelhälften 
nur geringe Asymmetrien aufweisen (siehe Textfig.). Diese anatomische 
Tatsache kann nicht überraschen, wenn die oben versuchte Schilderung 
der Ausbildung der Kreuzschnabeligkeit beim Jungvogel richtig ist, 
ja sie ist Vorbedingung für ihre Richtigkeit. Jedenfalls widerlegt diese 
Tatsache, auf die merkwürdigerweise bisher kein Gewicht gelegt 
worden zu sein scheint, und obwohl Duerst sie in einer Abbildung 
des Schädelskeletts richtig wiedergibt, die alte Ansicht von der patho- 
logischen Ursache der Überkreuzung bei Loxia allein zur Genüge. 


92 


me 


H. Böker, Die Bedeutung der Überkreuzung der Schnabelspitzen usw. 


Eine Dohle mit krankhaftem Kreuzschnabel konnte ich im Forst- 
zoologischen Institut der Universität Freiburg untersuchen. Sie zeigte 
im Gegensatz zu den Kreuzschnäbeln der Gattung ZLoxia eine starke 
Asymmetrie im Oberkieferskelett, während die Hornscheiden und der 
knöcherne Unterkiefer nur wenige Veränderungen aufwiesen. Die 
Dohle war als gesundes Tier aus dem Nest genommen und dann 
künstlich Senn worden. Beim gewaltsamen Öffnen des Schnabels 
muß dem Vogel ein Oberkieferbruch beigebracht worden sein. Duerst 
will durch ein weiteres Experiment beweisen, daß die Mißbildung, 
die „Skoliose“ des Schnabels die Ursache für die Ausbildung der 
übrigen anatomischen Merkmale am Kopf bei der Gattung Lowa ge- 
wesen sein muß, und er schreibt: „Damit man mir ja keinen Einwand 
hiergegen erheben kann, habe ich mehreren jungen Kreuzschnäbeln 
den Haken des Schnabels weggeschnitten, und die Tiere zwei Jahre 
lang so gehalten, indem immer beim Nachwachsen wiederum die 


Schnabelspitze ganz glatt geschnitten wurde. Bei allen diesen Vögeln. 


konnte ich keine deutlich hypertrophische Muskulatur beobachten.“ 
Duerst sagt nicht, wie diese Vögel sich ernährt haben, ob sie Ver- 
suche gemacht haben, Spalten zu erweitern und Tannenzapfen zu ent- 
samen. Ich möchte annehmen, daß diese verstümmelten Tiere immer 
nur aus dem Futternapf gefressen haben, und daß sie gar nicht den 
Versuch gemacht haben, sich an Zapfen heranzumachen, weil die 
kranken Schnabelspitzen (doch wohl des Unterschnabels?) sicher ganz 
ungeeignet waren, sich Hindernissen mit Erfolg entgegenstemmen zu 
können. Wenn sie den Unterschnabel also nicht mit Kraft seitlich 
verschieben konnten, mußte die Asymmetrie der Muskulatur auch 
ausbleiben! \ 

In dem Hakengimpel, Pinicola enucleator L., möchte Duerst den 
Ahnen der Gattung Loxia sehen, weil dessen dicker und mit scharfem 
Oberschnabelhaken versehener Schnabel bei einer zufällig aufgetretenen 
krankhaften Kreuzschnabeligkeit besonders gut geeignet gewesen sein 
mußte auch die noch unreifen Tannenzapfen zu entsamen. Ganz ab- 
gesehen von der ja längst abgelehnten Auffassung der Möglichkeit 
von Vererbung erworbener en und der en Überlegung, 
daß sonst auch heute noch jeder oe halle Häken: 
simpel der Stammvater einer neuen ZLoxia-Art werden müßte, wird 
von Duerst nicht beachtet, daß ein Pinicola enueleator mit „Rostro- 
skoliosis traumatica“ damit noch nicht die Fähigkeit besitzt den Unter- 
schnabel seitlich zu bewegen, was vor allem erst die Gattung Loxa 
charakterisiert. Will man trotzdem den Hakengimpel als Stammvater 
der Kreuzschnäbel anerkennen, dann muß man annehmen, daß infolge 
von Idiovariation, Mutation, bei einem einmal die Neigung, den 
Unterschnabel nach einer und zwar stets gleichen Richtung seitlich 
zu verschieben aufgetreten ist, und daß nun die Nachkommen dieses 
Vogels diese erbliche Variante weiter durch Übung ausbildeten, weil sie 
ihnen beim Nahrungserwerb gut zustatten kam. Wie wir oben gesehen 





P. Buchner, Tier und Pflanze in intrazellularer Symbiose. 93 


haben, mußte aber bei solchen Vögeln ganz automatisch eine Asym- 
metrie der Muskulatur und der Kiefergelenke und eine Überkreuzung 
der Schnabelspitzen die Folge der Seitenverschiebung des Unter- 
schnabels sein. 


Literatur. 
Altum, Forstzoologie 1850. 
Bauer-Fischer-Lenz, Menschl. Erblichkeitslehre 1921. 
J. M. Becehstein, Gemeinnützige Naturgesch. Deutschlands. 4. Bd. 1795. 
Brehms Tierleben, III. und IV. Auflage. 1901 und 1911/13. 
Bronns Klassen und Ordnungen, Sadow-Selenka Vögel Bd. 6. 4. Abtlg. 1891. 
Duerst, Patholog. Difformität als gattungs-art- und rassebildender Faktor. Mitteilungen 
d. Naturf. Gesellsch. Bern 1909. 
Floerieke, Deutsches Vogelbuch 1907. 
Friderich, Naturgesch. d. deutschen Vögel. 1905. 
Hilzheimer, Biologie der Wirbeltiere. 1913. 
Lindner, Kreuzschnabelmißbildungen. Ornithol. Monatsschrift XXVII. 1902. 
Marshall, Der Bau der Vögel. 1895. 
Naumann-Hennicke, Naturgesch. d. Vögel Mitteleuropas. 1905. 
Reichenow, Die Vögel. Bd. 2. 1914. 


Referate. 


P. Buchner: Tier und Pflanze in intrazellularer Symbiose. 
Mit 103 Abb. und 2 Tafeln. Berlin, Gebr. Bornträger, 1921. Preis geh. 114 Mk. 


Unsere Kenntnisse von den intrazellularen Symbionten der Tiere finden zum 
ersten Male von berufener Seite eine zusammenfassende Darstellung. Wer das Buch- 
nersche Werk zur Hand nimmt, wird sich überzeugen, daß hier, wie der Verf. im Vor- 
wort bemerkt, „fast über Nacht ein ganz neues Spezialgebiet erstanden ist“, und zwar 
ein Gebiet, das uns für die Physiologie der Tiere zahlreiche neue wichtige Gesichts- 
punkte erschließt. 

Der erste Abschnitt behandelt das Vorkommen von Zoochlorellen und Zooxan- 
thellen bei Protozoen, Schwämmen und Coelenteraten, der zweite deren Vorkommen 
bei Würmern. Bei diesen uns seit langem bekannten Fällen der Algensymbiose ist es 
das Hauptverdienst des Verf., das große, in zahlreichen Einzelbeobachtungen verstreute 
Material übersichtlich und kritisch zusammengestellt zu haben. Die Entwicklung der 
Algensymbiose zeigen uns die verschiedenen Grade der gegenseitigen Beeinflussung: 
von fakultativen Symbiontenträgern, die auch ohne ihre Gäste gut gedeihen können, 
bis zu solchen Wirten, die ohne den Besitz der Algen schnell zugrunde gehen. 

Im dritten Abschnitt werden die vereinzelten Befunde von Algen bei Bryozoen, 
Eehinodermen und Gastropoden zusammengestellt und anschließend die Symbiose von 
Bakterien mit der Schnecke (yelostoma elegans und von Pilzen mit der Ascidiengruppe 
der Molguliden besprochen. 

Der vierte Abschnitt behandelt die intrazellulare Symbiose bei Insekten. Er ist 
der Hauptteil des Buches und gleichzeitig das eigentliche eigene Arbeitsgebiet des Verf. 
Die bisher bekannten Tatsachen werden hier durch zahlreiche noch unveröffentlichte 
Befunde Buchners (besonders bei Coceiden, Pedieuliden, Anobien und bei der Bett- 


94 P. Buchner, Tier und Pflanze in intrazellularer Symbiose. 


wanze) und seiner Schüler (bei Aphiden und Blattiden) vervollständigt. Die neuere 
Forschung hat eine ungeahnte Verbreitung der Symbiose mit Pilzen bei den Insekten 
aufgedeckt; wir kennen Fälle von Coleopteren, Hymenopteren, Lepidopteren, Dipteren, 
Hemipteren, Orthopteren und Corrodentien. Während aus manchen Ordnungen, wie 
Coleopteren, Hymenopteren und Dipteren, nur einzelne Arten oder Gattungen als Sym- 
biontenträger bekannt sind, finden wir in anderen sämtliche Vertreter großer arten- 
reicher Gruppen, wie Phytophthiren, Cicaden, Blattiden und Pedieuliden, mit Pilzen 
versehen. Die Symbiose hat eine hohe Vollendung erreicht durch das Vorhandensein 
besonderer pilzführender Organe, deren Anordnung und Bau äußerst verschiedenartig 
ist. Wohl das anziehendste Kapitel der Insektensymbiose ist die große Mannigfaltig- 
keit der Einrichtungen, durch die eine sichere Übertragung der Symbionten auf die 
Nachkommenschaft gewährleistet wird. Der Nutzen der Insekten von der Symbiose 
liegt zweifellos vorwiegend auf ernährungsphysiologischem Gebiet in der Ausnutzung 
von den Pilzen gebildeter Fermente. Besonders bei den holzfressenden Formen haben 
wir hierin offenbar eines der zahlreichen Hilfsmittel zu erblicken, durch die im Tier- 
reich die Cellulosespaltung und damit die Verwertung pflanzlicher Nährstoffe ermög. 
licht wird. Für manche Symbionten wird auch die Fähigkeit, Luftstickstoff zu assi- 
milieren, angenommen. Bei den blutsaugenden Insekten (Culieiden, Pediculiden, Bett- 
wanze) vermutet Buchner im Anschluß an eine frühere Beobachtung Schaudinns die 
Erzeugung von Fermenten durch die Pilze, die eine lokale Hyperämie an der Stich- 
stelle hervorrufen. Ferner scheint auch die Farbstoff- und Lackerzeugung bei Schild- 
läusen auf die Symbionten zurückzugehen. Immerhin bleibt für das physiologische 
Verständnis der Einrichtung noch das meiste zu tun. 

Erst vor wenigen Jahren wurde durch Pierantoni bei Leuchtkäfern, durch 
Buchner bei der Tunicatengruppe der Pyrosomen festgestellt, daß die Leuchtfähig- 
keit auf symbiontische Bakterien zurückzuführen ist. Dieses jüngste Gebiet der Sym- 
biontenforschung, die Leuchtsymbiose, behandelt der fünfte Abschnitt des Werkes. 
Seither hat Pierantoni gezeigt, daß auch in den hochentwickelten Leuchtorganen der 
Cephalopoden die Lichtquelle auf Bakterien beruht, und Buchner hat für das Leuchten 
bei Otenophoren und Pennatuliden, sowie bei dem planktonischen Gastropoden Phyl- 
lirrhoe den gleichen Ursprung nachgewiesen. Auf Grund der bisher bekannten Tat- 
sachen hält der Verf. schon heute die Vermutung für berechtigt, daß es ein selbstän- 
diges Leuchten der Tiere überhaupt nicht gibt. 

Im letzten Abschnitt geht Buchner auf ‚„Irrwege der Se 
ein und beleuchtet das luftige Hypothesengebäude Portiers, das sich auf der Vor- 
stellung gründet, daß die im Tierreich allgemein verbreiteten Mitochondrien nichts 
anderes als symbiontische Bakterien seien. Die Unhaltbarkeit dieser Vorstellung, zu 
der Portier dadurch geführt wurde, daß er aus verschiedenen Organen zahlreicher 
Wirbeltiere Bakterien züchten konnte, wird überzeugend dargetan. 

Der reiche Inhalt des Buchnerschen Werkes konnte hier nur angedeutet werden. 
Die zahlreichen vorzüglichen Textfiguren und die beiden Tafeln erleichtern wesentlich 
das Verständnis der oft sehr verwickelten Zusammenhänge. Erst aus dieser umfassen- 
den Bearbeitung wird uns deutlich, wo unsere Kenntnisse auf diesem Gebiete noch die 
empfindlichsten Lücken aufweisen. Daher werden Zoologen, Botaniker und Physio- 
logen aus dem Buche viele Anregungen zu weiteren Forschungen schöpfen. 

E. Reichenow (Hamburg). 


2 BERN NE 
W I a 


P. Sorauer, Handbuch der Pflanzenkrankheiten. yH 


Sorauer, P.: Handbuch der Pflanzenkrankheiten. 


I. Band. Die nichtparasitären Krankheiten. Bearb. v. P. Gräbner. 4. vollständig 
neubearbeitete Auflage. Verlag Paul Parey, Berlin 1921, XV u. 959 Seiten, 264 Text- 
abb., Preis geb. 150 Mk. 


Bei der Neubearbeitung dieses Bandes des bekannten Buches wurde von Gräbner 
eine wesentliche Umstellung und Neuanordnung des umfangreichen Materiales vor- 
genommen. Dadurch hat die Übersichtlichkeit gegenüber der alten Auflage sehr ge- 
wonnen. Dem jetzt als erstem, vorangestellten Kapitel über Geschichtliches folgt 
der frühere allgemeine Teil über das Wesen der Krankheit und dann ein Ab- 
schnitt über Wachstumsänderungen durch verschiedene geographische 
Lage des Standorts, in dem diese Beziehungen in allgemeiner Form aus dem 
speziellen Teil herausgelöst zu einheitlicher Darstellung gebracht sind. Dadurch ist 
dieses Kapitel sehr übersichtlich geworden, andererseits ist auch für den speziellen 
Teil eine Klärung gewonnen. In diesem ist die unglückliche Trennung in ungünstige 
physikalische und chemische Bodenbeschaffenheit weggeblieben und dafür im Kapitel 
über Krankheiten durch ungünstige Bodenverhältnisse der umfangreiche 
Stoff disponiert in Luftarmut des Bodens, Wasser- und Nährstoffmangel, Wasser- und 
Nährstoffüberschuß. Dann folgt neu zusammengefaßt Luftfeuchtigkeit und Luft- 
bewegungen, Wärme und Licht. Stark erweitert ist die Abteilung Wunden, 
worin das neue Kapitel über vegetative Vermehrung eine Lücke des früheren Buches 
ausfüllt, hier findet sich auch das umfangreiche Material über Veredelung und Pfrop- 
fung. Die Abteilungen über Gase und Flüssigkeiten, enzymatische Krank- 
heiten sind im wesentlichen gleich geblieben. 

Durchgehends hat der Inhalt Veränderungen erfahren, Längen wurden gekürzt, 
neue Untersuchungen einbezogen. So ist der Abschnitt über die Pfropfhybridenfrage 
neu eingeschoben und die neuen Arbeiten über die Chimärenfrage, die in der alten 
Auflage. nicht glücklich behandelt war, berücksichtigt. Das Kapitel über Albicatio 
ist umgearbeitet, die teils etwas eigenartigen Vorstellungen über diese Erscheinung in 
der früheren Auflage sind revidiert, doch sind hier noch wichtige Arbeiten der letzten 
Jahre unberücksichtigt gelassen. Leider sind auch die ganz unhaltbaren theoretischen 
Betrachtungen über Erblichkeit, die ohnehin aus dem Rahmen des Buches fallen, ge- 
blieben und Ref. kann sich nicht mit dem neu bearbeiteten Kapitel über Degeneration 
einverstanden erklären. Wir haben heute doch wirklich exakt durchgeführte Versuche 
zum Problem des Alterns und die daraus geführten „sehr künstlichen Deduktionen 
ohne jede Beweiskraft“ haben meiner Ansicht nach mehr Beweiskraft als die heute 
immer noch stark den Charakter von Anekdoten tragenden Angaben über das Aus- 
sterben verschiedener Kulturrassen, der Pyramidenpappeln u. a. 

Das wertvolle Buch hat durch die Neubearbeitung, durch ihre klare Disposition 
noch gewonnen und wird wie bisher ein unentbehrliches Nachschlagewerk bleiben. 
Vielleicht könnte in einer nächsten Auflage noch ein Register beigegeben werden, das 
gerade diesem Charakter des Buches mehr entgegenkommt, da die kurze Fassung jetzt 
manchmal im Stiche läßt. Die Ausstattung wurde durch eine größere Zahl neuer Ab- 
bildungen, vor allem sehr instruktiver Photographien, bereichert. 

Fritz v. Wettstein, Berlin-Dahlem. 


96 E. G Pringsheim, Referate. 


E. Küster: Anleitung zur Kultur der Mikroorganismen. 


3. Aufl. 233 S. mit 28 Abb. im Text, Leipzig und Berlin 1921, geh. M. 21.—, geb. 
M. 24.— und 120 Proz. Teuerungszuschlag. 

Das Küster’sche Buch, das nun schon in 3. Auflage erscheint, hat seinen Charakter 
als ein aus der Laboratoriumspraxis hervorgegangenes Rezeptbuch bewahrt. Als solches 
ist es nicht nur dem Anfänger unentbehrlich, dem es freilich die persönliche Anleitung 
nicht ersetzen kann und soll, sondern wird auch dem selbständigen Forscher täglich 
zur Hand sein, dem es durch die Betonung der physiologischen Fragen von besonderem 
Wert ist. 

Der Verfasser hat sich bemüht, das Buch auf die Höhe der Zeit zu bringen, was 
an den Literaturzitaten überall zu erkennen ist. Leider macht es sich aber doch be- 
merkbar, daß er der mikrobiologischen Arbeit seit längerer Zeit ferner steht. Viel Über- 
flüssiges wäre zu streichen. Methoden, die sich nirgends eingeführt haben (Schoutens 
Isolierapparat, Spitta- und Müller’s Spritzmethode, Barbers Isolierpipette) sind 
ausführlich beschrieben, der Ausstrich auf der Agarplatte mit Öse oder Glasspatel durch 
den heute fast alle Bakterienreinkulturen hergestellt werden, ist nicht erwähnt. Kochs 
Verdünnungsmethode ist nicht an die Gelatine gebunden, sondern kann auch mit Agar 
ausgeführt werden. Die Herstellung von Kieselgallerte ist viel bequemer geworden. Die 
Angaben über Zyanophyceen sind mehrfach irreleitend u. s. f. Es wäre zu wünschen, 
daß eine neue Auflage sich noch mehr als bisher der Hilfe sachverständiger Spezial- 
forscher zu erfreuen hätte, damit dieses so vorzüglich angelegte Werk die fortschreitende 
Wissenschaft nicht im Stich läßt. E. G. Pringsheim-Dahlem. 


H. Molisch: Mikrochemie der Pflanze. 
2. Aufl. 434 S. mit 135 Abb. im Text. Jena 1921, brosch. M. 58.—, geb. M. 68.—. 


Die erste Auflage dieses Werkes ist in acht Jahren vergriffen worden, trotzdem 
der Krieg dazwischen kam und die Ausfuhr verboten war und trotzdem die gleichzeitig 
erschienene Pflanzenmikrochemie von Tunmann dieselben Zwecke verfolgte. Darin 
kann wohl der Beweis dafür gesehen werden, daß es in ganz vorzüglicher Weise seiner 
Aufgabe gerecht wurde. Tatsächlich hat es sich in zahlreichen Laboratorien bei täg- 
licher Benutzung immer bewährt und der mikrochemischen Forschung einen Don gar 
nicht abzusehenden Anstoß gegeben. 

In der Zwischenzeit hat der Verfasser nicht nur eine ganze Anzahl neuer mikro- 
chemischer Mitteilungen veröffentlicht, sondern auch die von anderen Forschern an- 
gegebenen Methoden fortlaufend nachgeprüft. Das kommt der neuen Auflage sehr zu- 
gute, die außerdem die Ergebnisse Willstätters über Pflanzenfarbstoffe als wichtigsten 
neuen Bestandteil enthält und auch die stark in Fluß befindliche Gerbstofforschung 
verwertet. | 

Gerade die durch ein solches Werk ermöglichte leichte Übersicht über das Er- 
reichte zeigt allerdings, daß wir heute noch die wichtigsten Pflanzenstoffe, wie z. B. ge- 
löste Kohlehydrate und Aminosäuren, sowie viele andere, entweder gar nicht mikrochemisch 
nachweisen oder doch nicht in der Zelle lokalisieren können. Von weiteren Fortschritten 
auf diesem Gebiete wird die Erforschung des Stofftransportes und anderer wichtiger 
Fragen abhängen. Möge es dem Verfasser vergönnt sein in einer späteren Auflage 
Erfolge in dieser Richtung zu buchen. E. G. Pringsheim-Dahlem. 








_— = 
Junge & Sohn, Univ.-Buchdruckerei, Erlangen 


- Biologisches Zentralblatt 


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Herausgabe und Redaktion: 
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R, Goldschmidt und Prof. Dr. OÖ. Warburg 


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42. Band. März 1922. Nr. 3 


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Inhalt: H. Eidmann, Die Einwirkung der Überreife auf Eier von Rana temporaria. Mit4 Abb. 8. 97. 
M. A. v. Herwerden, Der Einfluß der Nebennierenrinde des Rindes auf Gesundheit und 
Wachstum verschiedener Organismen. 8. 109. 
G. v. Ubisch, Abweichungen vom mechanischen Geschlechtsverhältnis bei Melandrium dioieum. 
S. 112. 
A. Horn, Der Schwimmblasenapparat bei Cobitis. Mit 2 Abb. S. 118. 
L. Eissele, Histologische Studien an der Schwimmblase einiger Süßwasserfische. Mit 5 Abb. 
S. 125. t 
R. Vogel, Über die Topographie der Leuchtorgane von Phausis splendidula Leeonte. S. 138. 
A. U. E. Aue, Besitzt der Falter von Arectia caja die Fähigkeit zu leuchten? S. 141. 
G. Jegen, Entgegnung. 8. 143. 
Referate: F. Alverdes, Rassen- und Artbildung. S. 143, 
Weitere Referate. S. 144. 





Die Einwirkung der Überreife auf Eier von Rana temporaria. 
Von Dr. Hermann Eidmann, 


Assistent am zoologischen Institut der Universität München. 
Mit 4 Abbildungen. 


Die Untersuchungen Richard Hertwigs über die Geschlechts- 
bestimmung bei Fröschen führten zu dem Ergebnis, daß Überreife 
der Eier die Bildung des männlichen Geschlechts befördert. Je größer 
der Abstand zwischen der ersten, normalen und der nächstfolgenden 
Befruchtung gewählt wurde, desto mehr verschob sich das Sexual- 
verhältnis zugunsten der Männchen. Schließlich gelang es Kuscha- 
kewitsch, durch eine Eierüberreife von 89 Stunden, den Prozentsatz 
der Männchen von 53 auf 100 zu steigern. Da die Sterblichkeit in 
seiner Kultur 4—6%, nicht überschritten hatte, ist auch der früher 
wiederholt gemachte Einwand hinfällig geworden, es möchte das ver- 
schiedene Resultat der einzelnen Befruchtungen durch die größere 

42. Band f: 


98  H. Eidmann, Die Einwirkung der Überreife auf Eier von Rana temporaria. 


Sterblichkeit der Weibchen hervorgerufen sein. Dadurch ist erwiesen, 
daß Überreife der Eier, sobald sie ein gewisses Maß erreicht hat, zu 
einer rein männlichen Nachkommenschaft führt. Es gelang Hertwig 
auch, den Nachweis zu führen, daß gealtertes, überreifes a 
keinerlei Einfluß auf das lan. hat. Die Überreife macht 
also ihren Einfluß lediglich bei den Eiern geltend, und diese müssen 
eine Veränderung erleiden, die ihnen die Tendenz zur Bildung männ- 
licher Individuen verleiht. Es [ragt sich nun, ob das Plasma oder 
die Kernsubstanz der Eier in erster Linie durch diese Beeinflussung 
betroffen werden. Hertwig nahm anfangs das letztere an und dachte 
daran, daß die Richtungskörperbildung durch die Überreife beeinflußt 
würde. Daß eine solche Beeinflussung möglich ist, geht aus der 
Beobachtung hervor, daß auch bei hochgradig überreifen Eiern der 
2. Richtungskörper. erst nach der Befruchtung, resp. nach der Ent- 
leerung ins Wasser abgeschnürt wird. Zur Erklärung, in welcher 
Weise die Ki kiunzekhrnerlaktin unter dem Einfluß der Überreife 
vor sich geht, wäre es nötig, zu wissen, ob beim Frosch das männ- 
liche oder weibliche Pesaeehe ren ist. Leider sind wir aber 
bis jetzt noch nicht genau über die Chromosomenverhältnisse bei den 
Fröschen orientiert. Hertwig hat daher für beide Fälle eine Erklärung 
zu geben versucht, die ıch wiederholen möchte. 

Am een würde sich die Wirkungsweise der Überreife bei 
Annahme einer Heterogametie des weiblichen Geschlechts erklären 
lassen. Es würden dann unter normalen Verhältnissen gleichviel Eier 
mit und ohne x-Chromosom gebildet werden. Die Spermatozoen würden 
dagegen alle von der gleichen Konstitution sein und das x-Chromosom 
besitzen. Bei der Befruchtung ergäben die Eier mit x 50%, homo- 
gamete Männchen, die Eier oh x würden 50 %, heterogamete Weibchen 
liefern. Diese letzteren würden bei den Überreifekulturen fehlen. 
Nehmen wir nun an, daß die Überreife den Verlauf der Reifeteilungen 
in der Weise modifiziert, daß das Chromosomensortiment ohne das 
x-Element in den Richtungskörper gerät und damit eliminiert wird, 
so blieben nur noch Eier mit x-Chromosom übrig, dıe dann eine rein 
männliche, homogamete Nachkommenschaft ergeben würden. 

Nun hat es sich aber herausgestellt, daß alle Wirbeltiere, deren 
Spermiogenese bisher genauer untersucht wurde, im weiblichen Ge- 
schlecht homogamet, im männlichen heterogamet sind. Es liegt kein 
Grund vor, für die Frösche das Umgekehrte anzunehmen. Dann ist die 
Chromosomenformel des Männchens, wenn wir alle Autosomen durch 
einen Strich ausdrücken —x—0o, die des Weibehens —x—x. Die Eier 
würden also alle das x-Element enthalten, die Spermatozoen jedoch 
nur zu 50%, während die andere Hälfte durch Fehlen des x-Chromo- 
soms ausgezeichnet wäre. Eine normale Befruchtung würde also den 
alten Bestand, 50%, homogamete Weibchen und 509%, heterogamete 
Männchen herstellen. Wenn nun aber die Überreife den Ablauf der 
Reifeteilungen in der Weise beeinflussen würde, daß die beiden x-Ele- 





H. Eidmann, Die Einwirkung der Überreife auf Eier von Rana temporaria.. 99 


mente mit den Richtungskörpern ausgestoßen würden, dann würden 
nur Eier von der Formel —o entstehen. Diese ergäben bei der Be- 
fruchtung 50%, Individuen mit der Chromosomenformel —x—o und 
50% mit der Formel -—-o o. Erstere wären normale, heterogamete 
Männchen, die letzteren dagegen Individuen, wahrscheinlich Männchen, 
deren Chromosomenbestand durch gänzliches Fehlen des x-Elementes 
ausgezeichnet wäre. Es fragt sich, ob solche Tiere überhaupt lebens- 
fähig wären. 

Sollte eine dieser beiden Hypothesen sich bewahrheiten, so hätten 
wir hier keine Geschlechtsumstimmung vor uns. Es wäre vielmehr 
eine Verschiebung des Geschlechtsverhältnisses dadurch, daß nur eine 
(Gametensorte ausgebildet wırd, während die andere (in unserem Fall 
wäre es der Richtungskörper) zugrunde geht, wie es in ähnlicher Weise 
bei den Aphidenmännchen der Fall ıst, Es müßten also von vorn- 
herein in den Überreifekulturen nur Männchen auftreten, ohne daß 
es zur Ausbildung indifferenter Formen käme, wie sie normalerweise 
bei Fröschen häufig vorkommen. Sollte es aber gelingen, in Über- 
reifekulturen indifferente Formen nachzuweisen, die sich erst nach- 
träglich in Männchen verwandeln, so würde das viel eher für eine, 
durch die Überreife veranlaßte Umstimmung des Geschlechtes sprechen, 
die durch Beeinflussung des Protoplasmas hervorgerufen ist. Wie ich 
von Herrn Geh. Rat v. Hertwig persönlich erfahren habe, ist er selbst 
von seiner früheren Ansicht auf Grund seiner Experimente ın den 
letzten Jahren zurückgekommen. Er hatte die Güte, mir sein unver- 
öffentlichtes Manuskript zur Verfügung zu stellen und faßt darin die 
Resultate seiner Untersuchung mit folgenden Worten zusammen. 


„1. Die Überreife beschleunigt die Differenzierung der Hoden. 
Während es bei der Normalkultur noch über die Zeit der Metamor- 
phose hinaus nicht möglich war, mit Sicherheit Männchen und Weibchen 
zu unterscheiden, ıst es bei Überreife schon auf einem frühen Stadium 
möglich, wenigstens für die Hälfte der Kultur typische Hoden nach- 
zuweisen. Dies entspricht einer Erfahrung, die ich wiederholt gemacht 
habe, daß bei normal gezüchtetem Froschmaterial die eine Hälfte der 
Individuen schon Hoden hatte, die andere Hälfte, — offenbar die 
Hälfte, welche bestimmt war, Weibehen zu liefern — noch Indifferenz 
der ae aufwies. 

. Die Resultate der besprochenen Kultur widerlegen die früher 
von mir vertretene Deutung von der Wirkung der Überreife; daß die- 
selbe Veränderungen ın de Verlauf der Eirifs bedinge, daß die 
Weibchen das heterogamete Geschlecht repräsentieren, daß bei der 
Eireife das Geschlechtschromosom ın den Richtungskörper gerate und 
daher nur Männchen erzeugende Eier gebildet werden.“ 

Da Hertwigs Versuche sich nur auf Aana esculenta beziehen, ver- 
anlaßte er mich in diesem Frühjahr, die Verhältnisse bei ik, tem- 
poraria zu untersuchen. 


400 H. Eidmann, Die Einwirkung der Überreife auf Eier von Rana temporaria., 


Ehe ich über die Ergebnisse meiner Versuche berichte, möchte 
ich der Darstellung der Methoden einen breiteren Raum. widmen, da 
sich Rana temporaria ın vieler Beziehung als schlecht geeignet für 
Überreifeexperimente erwies. Schuld daran war wohl nicht allein das 
Objekt, sondern auch das schlechte Material, das mir zur Verfügung 
stand, und die ungünstigen Witterungsverhältnisse, die gerade ın 
diesem Jahr während der Laichzeit geherrscht haben. Die Frösche, 
die ich zu meinen Versuchen benutzte, stammten zum größten Teil 
aus der Gegend von Röhrmoos, einem kleinen Orte bei Dachau, 
nördlich von München. Sie wurden in copula gefangen und getrennt 
transportiert. An Ort und Stelle angekommen wurden sie in einen 
großen Behälter zusammengesetzt, wo sich dann ın kurzer Zeit wieder 
Copulae bildeten, die sofort isoliert wurden. Eın großer Fehler war 
es, daß ich mir das Material durch einen Froschfänger besorgen ließ, 
der die Tiere wahrscheinlich getrennt und zum Teil einige Zeit auf- 
bewahrt hatte, ehe er sie brachte. Dadurch war die Möglichkeit einer 
Überreife schon von vornherein gegeben, da man sich auf gegenteilige 
Angaben nicht verlassen kann. 

Etwa ein Drittel meines Materials bestand aus Tieren,. die im 
Institut überwintert hatten. Da Rana temporaria das Laichgeschäft 
beginnt, ohne vorher Nahrung aufgenommen zu haben, so waren diese 
Frösche für Überreifeversuche noch besser geeignet, als die im Freien 
gefangenen, da bei ihnen der Zeitpunkt der Bildung der Copula genau 
festgestellt werden konnte. 

Die ersten Copuläae wurden am 8. März gefangen. Die Laichzeit 
erreichte ihren Höhepunkt zwischen dem 13. und 18. März, um gegen 
Ende des Monats aufzuhören. Die Pärchen wurden in viereckigen 
Glasbehältern isoliert, die etwa handhoch mit Wasser gefüllt waren. 
Um den Tieren Gelegenheit zu geben, aufs Trockene zu gehen, wurden 
die Gefäße schräg gestellt, oder einige Ziegelsteine eingelegt. Das 
Wasser .wurde stets nach einigen Tagen durch neues ersetzt, das 
schon Zimmertemperatur angenommen hatte. Das Zimmer, in dem die 
Aquarien aufgestellt waren, wurde möglichst vor Beunruhigung ge- 
schützt, die Gefäße eventuell mit Tüchern zugehängt. Da Rana tem- 
poria im Gegensatz zu Rana esculenta die Eier in sehr kurzer Zeit 
absetzt, war eine sehr genaue Kontrolle erforderlich. Trotzdem ge- 
lang es nicht immer, den Moment der Eiablage zu erwischen und die 
Tiere zu trennen. Zu dieser Schwierigkeit gesellte sich noch der Um- 
stand, daß die Frösche meist des nachts ablaichten. Von den 42 Pärchen, 
die ich zu meinen Versuchen benutzte, laichten nur 13 am Tage, 26 
in der Nacht, und 3 Copulae gingen auseinander, ohne die Eier ab- 
gesetzt zu haben. Es war daher erforderlich, den Überwachungsdienst 
auch auf die Nacht auszudehnen. War es schließlich gelungen, ein 
Pärchen im geeigneten Moment, nachdem eine kleine Portion Eier 
abgelegt war, zu trennen, so ergab sich erst die Hauptschwierigkeit. 
Das Weibchen legte nämlich fast stets, auch ohne Copula, den Rest 





H. Eidmann, Die Einwirkung der UÜberreife auf Eier von Rana temporaria. 101 


der Eier, der sich noch ım Uterus befand, allein ab. Um dies zu 
verhindern, setzte ich späterhin die Weibehen nach der Trennung in 
trockene Gefäße und stellte diese in fließendes Wasser von 10° C. 
Durch die Kälte und Trockenheit dachte ich, die weitere Eiablage zu 
verhindern. Aber auch das gelang meistens nicht, und als ich die 
Tiere zur Vornahme der künstlichen Befruchtung tötete und öffnete, 
in der Hoffnung, es sei noch eine Portion Eier im Uterus zurück- 
geblieben, da sah ich mich auch hier enttäuscht. Es gelang 
mir auch niemals, ein getrenntes Pärchen zu einer zweiten oder 
gar dritten Copula zu veranlassen und so Überreifekulturen 
mit natürlicher Befruchtung zu erzielen, was Hertwig bei 
Rana esculenta wiederholt erfolgreich gemacht hatte. Meine Überreife- 
kulturen wurden daher auf dem Wege der künstlichen Befruchtung 
erhalten. Wie diese ausgeführt wird, ist bereits von Richard Hertwig 
ausführlich beschrieben worden. Zur Bezeichnung der verschiedenen 
Kulturen benutzte ich farbige Glasperlen, eine Methode, die von 
Hertwig eingeführt wurde, und die sich als ganz außerordentlich 
praktisch erwiesen hat. Die Aufzucht der Larven erfolgte in der alt- 
bewährten Weise, wie ich sie früher schon geschildert habe. Konser- 
viert wurden die Tiere in Sublimat-Eisessig und in 70%, Alkohol auf- 
bewahrt. Diese Fixierung war auch für die mikroskopische Unter- 
suchung der Gonaden, die nach den bekannten Methoden erfolgte, 
ausgezeichnet. 

Die Dauer der Copula variiert ziemlich, soll jedoch keinen Ein- 
fluß auf das Sexualverhältnis haben. Meist währte sie 4—6 Tage. 
Eine Copula trennte sich nach 5 Tagen ohne abgelaicht zu haben. 
Als ich däs Weibchen öffnete, waren die Eier noch im Ovar. Ein 
anderes Pärchen ging nach 7tägiger Copula auseinander. In der folgen- 
den Nacht laichte das Weibchen allein ab. Der Laich verdarb natür- 
lich, da er nicht befruchtet war. Die Untersuchung des Weibchens 
ergab, daß es völlig abgelaicht hatte, kein einziges Eı war noch ım 
Uterus oder Ovar. Diese Beobachtung zeigt, daß bei Rana temporaria 
die Eier, wenn sie erst einmal in den Uterus übergetreten sind, auch 
ın der Regel ohne Mitwirkung des Männchens ee, worden! eine 
Tatsache, ni wie ich schon bemerkte, das A u un von Über- 
reife außeror dentlich erschwerte. 

Das Ablaichen erfolgt, wie ıch bereits erwähnt habe, in verhält- 
nısmäßig kurzer Zeit. Wie lange es dauert, darüber kann ich keine 
genauen Angaben machen, da es mir darauf ankam, die Pärchen 
während der Eiablage zu trennen. Auch werden die Eier nicht ın 
verschiedenen kleinen Portionen abgesetzt, wıe bei Rana esculenta, 
sondern in einem einzigen, großen, formlosen Ballen. Dieser sinkt 
zuerst unter, um später, wenn die Gallerte gequollen ist, an die Ober- 
fläche emporzusteigen. Es kommt nun häufig vor, daß in dem kom- 
pakten Laichklumpen die Gallerte der im Innern gelegenen Eier nicht 
aufquillt, oder doch nicht in dem Maße, wie ın den Randpartien, so 


402 H. Eidmann, Die Einwirkung der Überreife auf Eier von Rana temporaria. 


daß in dem Eiballen ein fester Kern aus dicht nebeneimanderliegen- 
den Eiern bestehen bleibt. Auch die Entwicklung geht im Innern 
in der Regel viel langsamer vor sich, als in den äußeren Partien, 
woran zweifellos die geringere Sauerstoffversorgung schuld ist. 

In einer Kultur waren die Eier, die am 13. III, abgelaicht waren, 
sämtlich gut orientiert, also befruchtet. Am 16. III. hatten sich die 
an der Oberfläche gelegenen Eier zu dreiteiligen Embryonen entwickelt, 
während ım Innern des Ballens erst großzellige Blastulae vorhanden 
waren. Am nächsten Tag waren jene schon ausgeschlüpft, während 
diese noch auf dem Stadium der kleinzelligen Blastula standen. Da- 
zwischen konnte man, je nach der Lage, alle embryonalen Entwick- 
lungsstadien verfolgen. Schließlich starb ein Teil der ungünstig ge- 
legenen Eier, vielfach schon auf ziemlich vorgerücktem Entwicklungs- 
stadium ab. Daß diese Verhältnisse auch in der Natur die Regel zu 
sein scheinen, konnte ich selbst im Freien vielfach beobachten. Auch 
Laichballen, die im Freien eingesammelt waren, entwickelten sich im 
Laboratorium in der geschilderten Weise. Man kann aber die Ent- 
wicklung gleichmässig gestalten, indem man mit einer Scheere den 
Laichklumpen in kleine Portionen zerschneidet. 

Trotz meines großen Ausgangsmaterials erhielt ich im Ganzen nur 
2 Überreifekulturen. Die erste, die ich als Kultur I bezeichnen will, 
stammte von einem Pärchen aus Röhrmoos. Die Copula wurde am 
13. III. isoliert. Am 17. III. 4 Uhr nachmittags wurden die Tiere 
getrennt, nachdem sie einen kleinen Laichballen abgesetzt hatten. Von 
den Eiern dieser ersten, normalen Befruchtung schlüpften etwa 40%, 
aus, die zur Aufzucht verwendet wurden. 

Das Weibchen wurde sofort nach der Trennung in Kälte (10° C) 
und Trockenheit gebracht. Trotzdem laichte es noch eine Anzahl 
Eier allein ab. "Als ich es am 20. III. 11 Uhr vormittags tötete, waren 
aber noch genügend Eier im Uterus, um die künstliche Befruchtung 
vorzunehmen. Von diesen gelangten etwa 20%, zur Entwicklung und 
weiteren Kultur. Die Überreife betrug 67 Stunden. 

Die Kultur II. nimmt ihren Dicprene von 2 Institutstieren, die 
am 21. III. kopuliert hatten. Am 24. III. wurden sie beim Ablaichen 
getrennt. Von den Eiern, die sie bereits abgesetzt hatten, entwickelten 
sich etwa 30%. Auch hier laichte das Weibchen trotz der beschriebenen 
Vorsichtsmaßregeln noch eine Menge Eier allein ab. Als ich es am 
29. III., genau 5 Tage (120 Stunden) nach der Trennung tötete, waren 
im Uterus nur noch relativ wenige Eier zur künstlichen Befruchtung 
zurückgeblieben. Diese, es waren 173, ergaben 62 Kaulquappen, also 
26%, und von diesen gelangten nur 14 zur Metamorphose. Die Sterb- 
lichkeit in der zweiten Überreifekultur war also sehr groß, durch die 
lange Überreife von 120 Stunden war die Entwicklungsfähigkeit schon 
erheblich geschädigt. 

Kar den an beschriebenen Kulturen zog ich noch 6 weitere 
auf, die aus normalen Befruchtungen hervorgegangen waren, um über 


- * 
7 


H. Eidmann, Die Einwirkung der Überreife auf Eier von Rana temporaria. 103 


die Sexualverhältnisse im allgemeinen, besonders über das Auftreten 
indifferenter Formen besser orientiert zu sein. 

Die einwandfreie Feststellung des Geschlechts der Fröschchen 
während oder kurz nach der Metamorphose ist außerordentlich schwierig. 
Die äußere Gestalt der Gonaden ist durch das Auftreten zahlreicher 
Übergangsformen sehr variabel, so daß man oft zwischen Indifferenz 
einerseits und weiblich oder männlich andererseits schwankt. Hier 
liefert auch die mikroskopische Untersuchung nicht immer einwand- 
freie Resultate. Nur lange Übung kann schließlich zu einem einiger- 
maßen sicheren Urteil führen. Hier sei noch eine Beobachtung von 
Witschi erwähnt, die ich bestätigen und die manchmal in Zweifels- 
fällen den Ausschlag geben kann. „Es ist eine Eigentümlichkeit der 
Hoden von Rana temporaria, daß unter dem sie umhüllenden Perito- 
neum Pigmentzellen auftreten können. Ihr Vorkommen ist aber leider 
sehr unkonstant, sonst würde die Bestimmung des Geschlechts eine 
leichte Sache sein; denn diese Pigmentzellen, welche durch das Peri- 
toneum durchscheinen, lassen sich nie in Ovarıen beobachten.“ 


Abb. 2. 


Abb. 1. 





Abb. 1. Indifferente Gonade. 
Abb. 2. Typischer Hoden, pigmentiert. 


Über die äußere Gestalt der Geschlechtsdrüsen läßt sich folgen- 
des sagen. Als indifferent haben sich die Tiere mit langgestreckter, 
leistenförmiger Gonade erwiesen, die nur eine geringe Dicke hatte. 
Sie zeigten niemals die perlschnurartige Ausbildung, die bei Rana 
esculenta als charakteristisch für den indifferenten Zustand beschrieben 
wird und hier durch das Auftreten zentraler Hohlräume, die blasen- 


104 H. Eidmann, Die Einwirkung der Überreife auf Eier von Rana temporaria. 


artige Hervorwölbungen des Keimepithels verursachen, hervorgerufen 
wird. Die mikroskopische Untersuchung zeigte, daß die Hohlräume 
klein und spaltförmig waren, so daß dadurch an der äußerlich glatten 
und gleichmäßigen Oberfläche der Gonade nichts geändert wurde. 
(Abb. 1.) Die Tendenz zur Bildung von Männchen machte sich be- 
merkbar in einer Konzentration der Gonadenmasse cranialwärts und 
Neigung zur Ausbildung des typischen, spindel- oder keulenförmigen 
Hodens, der, wie erwähnt, prigmentiert sein kann, und dann sicher 
als solcher anzusprechen ist. (Abb. 2.) Die Ovarien waren entweder 
dick und walzenförmig, mit glatter Oberfläche (Abb. 3), oder sie waren 
gelappt und gefaltet und mit Einschnürungen versehen (Abb. 4). Die 
erste Form stellt einen besonderen Typus dar, auf den ich später 
noch zurückkommen werde. Ich möchte noch erwähnen, daß die rechte 
Gonade der linken meist ın der Entwicklung voraus ist, wie dies auch 
für Rana esculenta beschrieben wird. Besonders gut läßt sich das bei 
in Umwandlung begriffenen Formen beobachten. Hier war manchmal 
die rechte Keimdrüse schon zum typischen Hoden entwickelt, während 
die linke noch den indifferenten Charakter bewahrt hatte. 


Abb. 4. 





Abb. 3. Walzenförmiges Ovar, Kultur VI-VIII. 
Abb. 4. Typisches gelapptes Ovar. 
Vergr. 15:1], Zeichenapparat Abbe. 


In der folgenden Tabelle gebe ich eine Übersicht über die Sexual- 
verhältnisse in den beiden Überreifekulturen. 


H. Eidmann, Die Einwirkung der UÜberreife auf Eier.von Rana temporaria. f 
8 














— NZ 
ee 1 Be Ho 


N ..2 009 m ad VRR 





Die Zahlen I und II bezeichnen die beiden Kulturen, die ara- 
bischen Ziffern die zwei Befruchtungen, zwischen denen der jeweilige 
Grad der Überreife in Stunden angegeben ist. In der ersten Befruch- 
tung der Kultur I herrscht ein eaeh normales Sexualverhältnis. 
Wir haben nur einen geringen Überschuß an Männchen. In der 
zweiten Befruchtung an die Zahl der Männchen, wie zu er- 
warten war, ganz beträchtlich, aber auch die indifferenten Formen 
sind ne bedeutend zahlreicher geworden. Ihre Zahl ist 
von 5%, auf 39%, der Gesamtzahl angewachsen. Diese Tatsache könnte 
so erklärt werden, daß die Männchen der Überreifekultur aus indiffe- 
renten Tieren durch Umwandlung entstehen. Wir hätten es hier also 
mit solchen, in Umwandlung begriffenen Formen zu tun, die dem- 
entsprechend zahlreicher als in der Normalkultur sein müssen. Auch 
das häufige Auftreten von Tieren, deren rechte Keimdrüse schon zum 
Hoden entwickelt war, während die linke noch indifferenten Charakter 
hatte, zeigt, daß in der Kultur eine intensive Umbildung zu Männchen 
im Gange war. Ganz besonders überzeugend spricht aber für diese 
Ansicht ein Vergleich der verschiedenen, zeitlich aufeinander folgen- 
den Abtötungen in der Überreifekultur, die in der nächsten Tabelle 
zusammengestellt sind. 

















fixiert ® er 
VE 2 4 4 
26.28. V.|| 0 De 
30.31. 7.0 ae AO 














Es ist hier ohne weiteres ersichtlich, daß die Zahl der Indiffe- 
renten mit dem Alter der Kultur zugunsten der Männchen abnımmt. 
Es tritt also zweifellos eine Umwandlung von Formen mit ursprüng- 
lich weiblicher Tendenz in Männchen ein, so daß schließlich die ganze 
Kultur männlich wird. Den Anstoß zu dieser metagam erfolgenden 
Umbildung liefert offenbar die Überreife. Ich will noch erwähnen, 
daß die zwei Weibchen der ersten Abtötung Gonaden besaßen, die 
ich äußerlich für Ovarien hielt. Die mikroskopische Untersuchung 
zeigte aber, daß sie in Umbildung zu Hoden begriffen waren, so daß 
sie auch in die Rubrik Indifferente eingereiht werden könnten. 


{06 H. Eidmann, Die Einwirkung der Überreife auf Eier von Rana temporaria. 


Die Kultur II hat von vornherein stark indifferenten Charakter, 
der sich in der großen Zahl indifferenter Formen in der ersten Be- 
fruchtung ausprägt. Die Zahlen sınd jedoch so gering, daß es nicht 
richtig wäre, weitere Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Sie wider- 
sprechen jedoch nicht meiner oben geschilderten Ansicht, denn die 
beiden Männchen der 2. Befruchtung gehören der letzten Abtötung 
an. Daß so viele Indifferente vorhanden sind, erklärt sich vielleicht 
daraus, daß die erste Abtötung, die nur Zwitter enthielt, früher er- 
folgte, als bei Kultur I. Die Umbildung war also noch nicht so weit 
fortgeschritten wie ın der 1. Kultur. 

Der Nachweis indifferenter Formen in meinen Überreifekulturen 
und die allmähliche Abnahme derselben zeigt, daß das Geschlecht 
nicht durch Ausbildung nur einer Gametensorte von vornherein un- 
verrückbar bestimmt ist. Vielmehr haben wir hier eine metagame 
Umstimmung des Geschlechts vor uns, wie sie auch anderwärts ım 
Tierreich schon beobachtet wurde. Ich denke dabei an die Verhält- 
nisse bei Bonellia viridis. Auch hier treten gewissermaßen indifferente 
Formen auf, die sowohl die Möglichkeit haben, sich zu Männchen 
wie zu Weibchen zu entwickeln. Je nachdem, ob sich die Larven am 
Rüssel der Mutter festsetzen oder nicht, entstehen männliche oder 
weibliche Tiere. Hier wird also die ursprünglich weibliche Tendenz 
durch den Übergang zur parasitischen Lebensweise metagam abgeändert. 
Bei den Fröschen wird die weibliche Entwicklungsrichtung in dem 
gleichen Sinne durch die Überreife umgestimmt. Die Überreife be- 
einflußt direkt nur die Geschlechtsprodukte und zwar, wie aus früheren 
Untersuchungen Hertwigs hervorgeht, lediglich die Eier. Wir können 
nun die weitere Einschränkung machen, daß nur das Protoplasma des 
Eies und nicht die Kernsubstanz betroffen wird. Hiermit läßt sich 
auch sehr gut die Tatsache vereinigen, daß gealtertes Sperma keinen 
Einfluß auf das Sexualverhältnis hat. Das Spermatozoon besitzt so gut 
wie kein Protoplasma, kann also auch nicht einer Einwirkung auf das 
Protoplasma unterliegen, zumal da die geringe Plasmamenge des Samens 
bei der Entwicklung keine Rolle spielt. Wenn wir nun die Annahme 
machen, daß bei den Fröschen, wie bei den anderen Amphibien und 
den bisher untersuchten Wirbeltieren überhaupt, das männliche Ge- 
schlecht heterogamet ıst, also nur ein x-Chromosom besitzt, so muß 
bei der Umwandlung ursprünglich weiblicher Tiere in Männchen, 
metagam, das zweite Heterochromosom zugrunde gehen. Offenbar wird 
der Chromosomenapparat in diesem Sinne sekundär durch das von 
der Überreife beeinflußte Protoplasma korrigiert. 

Hertwig, dessen Untersuchungen an Rana eseulenta zu dem gleichen 
Ergebnis geführt haben, schreibt hierüber in dem bereits erwähnten 
Manuskript: 

„Dieses Verhalten (die Umstimmung des Geschlechts: der Frösche) 
erinnert an die Vorkommnisse, die wir für manche hermaphrodite 
Tiere kennen, bei denen zunächst homogamete Weibchen entstehen, 








H. Eidmann, Die Einwirkung der Überreife auf Eier von Rana temporaria. 107 


bei denen im Lauf der Entwicklung die Möglichkeit Hoden zu er- 
zeugen dadurch geliefert wird, daß in einem Teil der Geschlechtszellen 
das eine von den beiden x-Chromosomen in Verlust gerät. Und so 
möchte ich das Verhalten auch deuten. Ich nehme an, daß das männ- 
liche Geschlecht bei den Fröschen heterogamet ist, wie es auch, wenn 
auch auf Grund nicht ganz einwandfreier Beobachtungen für Frösche, 
wie auch für andere Amphibien und Wirbeltiere überhaupt behauptet 
wird. Demgemäß müssen beı der Befruchtung zweierlei Eier zu gleichen 
Teilen entstehen, sogenannte Männcheneier mit einem x-Ohromosom 
und Weibcheneier mit 2 x-Chromosomen. Letztere erfahren ım Lauf 
der Entwicklung eine Umstimmung, sei es, daß das 2. x-Chromosom 
ganz rückgebildet oder in seiner Wirkung abgeschwächt wird. Ich 
halte es für wahrscheinlich, daß die Einflüsse, welche die Umstimmung 
des Chromosomenapparats bedingen, vom Protoplasma ausgehen, wie 
das ja auch für Hermaphrodite gilt, und nicht nur für diese, sondern 
auch für Tiere, wie die Daphniden, Aphiden, bei denen im Laufe ihrer 
Generationsfolge ebenfalls eine geschlechtliche Umstimmung, ein Über- 
gang vom weiblichen zum männlichen Geschlecht sich vollzieht.“ 

Wie sich nun die Wirkungsweise der Überreife auf das Proto- 
plasma des Eies zu denken ist, darüber kann ich keine Angaben 
machen, zumal da Untersuchungen hierüber am hiesigen Institut im 
Gange sind, die vielleicht Aufklärung bringen werden. 








Kultur Sexualverhältnis Ursprung 








II.| 379 3J 42 5‘ | Röhrmoos 
IV. 92 8J 26 d‘ | Röhrmoos 
v.| 19 309 8 Jg | Röhrmoos 
ER ISSROIHIARL | Institut 
vl. 16 2 _ — | Röhrmoos 








vIm.| 30@ 19 15% | Röhrmoos 


Ehe ich schließe, möchte ich noch auf die Sexualverhältnisse ın 
den andern, normalen Froschkulturen eingehen, da sich einige 
Betrachtungen daran knüpfen lassen. In obiger Tabelle habe ich 
die darauf bezüglichen Zahlen zusammengestellt. Es handelt sich dabei 
um ausgebildete Fröschehen kurz nach der Metamorphose. 

Kultur III hat ganz normalen Charakter und entspricht in ihrem 
Sexualverhältnis ungefähr der ersten Befruchtung von Kultur I. Es 
waren nur 3 Indifferente vorhanden, alle andern waren gut differen- 
ziert, so daß die Bestimmung des Geschlechts keinerlei Schwierig- 
keiten machte. Sie weicht von den andern Kulturen insofern ab, als 
nur in ihr die typischen, gelappten Ovarien auftraten, von denen 


10S H. Eidmann, Die Einwirkung der Uberreife auf Eier von Rana temporaria. 


Abb. 4 eins darstellt. Die Kulturen IV und V zeichnen sich durch 
starken Überschuß an Männchen aus. Offenbar lag hier schon von 
vornherein Überreife vor, aus den anfangs erwähnten Gründen. 
Kultur V enthält fast nur Indifferente, während die letzten Kulturen 
ganz eigenartige Geschlechtsverhältnisse aufweisen. Sie sind durch 
auffallendes Uberwiegen der Weibeben ausgezeichnet. Kultur VII hatte 
sogar rein weiblichen Charakter. Die Ovarien dieser Tiere zeigten 
alle den eigenartigen Typus, wie er auf Abb. 3 dargestellt ist. Sie 
waren walzenförmig mit glatter Oberfläche. Hertwig beschreibt die 
gleichen Ovarien aus rein weiblichen Kulturen von Rana_ esculenta. 
Er konnte feststellen, daß solche Kulturen dann entstanden, wenn 
die beiderlei Geschlechtsprodukte, die zur Befruchtung kamen, die 
Neigung zur Indifferenz besaßen. Diese Beobachtung erlaubt den Rück- 
schluß, daß auch hier die Eltern Eier, resp. Samen mit indifferenter 
Tendenz erzeugten. Es hat sich nun herausgestellt, daß die Indifferenz 
nicht durch äußere Einflüsse während der Entwicklung hervorgerufen 
wird, sondern daß es Lokalrassen gibt, deren Nachkommenschaft den ın- 
differenten Charakter hat, und solche deren Nachkommen durch früh- 
zeitige sexuelle Differenzierung ausgezeichnet sind. Die Köhrmooser 
Frösche bilden demnach eine „indifferente“ Rasse und waren also in 
dieser Hinsicht günstig für meine Versuche. 


Literatur. 
Eidmann, H., Über Wachstumsstörungen bei Amphibienlarven. Arch. f. Entw. 
Mechanik. Bd. 49, 1921. = 
Goldschmidt, R., Mechanismus und Physiologie der Geschlechtsbestimmung. Ber- 
"lin 1920. 
Hertwig, G., Das Sexualitätsproblem. Biol. Zentralbl. Bd. 41, 1921. 
— — R., Über das Problem der sexuellen Differenzierung. Verhdlg. d. Deutsch. 
Zool. Gesellsch. 1905. 
— — Weitere Untersuchungen über das Sexualitätsproblem. Verhdig.d. Deutsch. 
7001. Gesellsch. 1906/07. 
— — Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems nebst eigenen Unter- 
suchungen. Biol. Zentralbl. Bd. 32. 1912. 
Kuschakewitsch, S., Über den Ursprung der Urgeschlechtszellen bei Rana escu- 
lenta. Sitz. Ber. math. phys. Kl. Kgl. Bayr. Akad. der Wissenschaften. Bd.38, 1908. 
—  — Die Entwieklungsgeschichte der Keimdrüsen von Rana esculenta. ' Festschr. 
f. R. Hertwig, Bd. 2. Jena 1910. 
Schmitt-Marcel, W., Über Pseudo-Hermaphroditismus bei Rana temporaria. Arch. 
f. mikr. Anatomie, Bd. 72, 1908. 
Witschi, E., Uber Geschlechtsdifferenzierung bei Rana temporaria. Sitz.Ber. d. 
Gesellsch. f. Morphologie und Physiologie, München 1913. 
— — Experimentelle Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte der Keim- 
drüsen von Rana temporaria. Arch. f. mikrosk. Anatomie Bd. 85, Abt II, 1914. 
— — Studien über die Geschlechtsbestimmungen bei Fröschen. Archiv. f. mikrosk. 
Anatomie, Bd. 86, Abt. II.. 1914. 


TR 


% 


M. A. v. Herwerden, Der Einfluß der Nebennierenrinde des Rindes u. s.w. 109 


Der Einflufs der Nebennierenrinde des Rindes auf 
Gesundheit und Wachstum verschiedener Organismen. 


Von Dr. M. A. van Herwerden. 


(Aus dem embryologischen-histologischen Laboratorium der Universität Utrecht.) 


Während eines Versuchs über den Einfluß von Organextrakten 
auf die Fortpflanzung von Daphnia pulex beobachtete ich, daß die 
Nebennierenrinde des Rindes in minimaler Quantität dem Kultur- 
wasser zugesetzt die allgemeine Gesundheit, das Wachstum und 
die Fertilität dieser Cladoceren fördert, in einer Weise, wie weder 
ähnliche Quantitäten Schilddrüse, Hypophysis (pars anterior), noch 
Nebennierenmark zu tun vermögen. Ich habe seitdem in Versuchen 
bei Daphnia, bei Limnaes und ebenfalls im Frühling bei Kaul- 
quappen diesen Befund näher geprüft. Die ausführliche Arbeit mit 
photographischen Beilagen wird später erscheinen; ich möchte an 
dieser Stelle bloß eine kurze Übersicht über die Resultate meiner 
Arbeit geben. 


Daphnia pulex'). 


Das Material eignet sich besonders gut zu Ähnlichen physiologi- 
schen Versuchen, weil Geschwister aus derselben Brut immer zur 
Verfügung stehen (seit 12 Jahre parthenogenetische Fortpflanzung im 
Laboratorium, also genotypisch identische Geschwister vom selben 
Alter). 

Die Rinderorgane wurden frisch vom Schlachthaus bezogen, zer- 
hackt und im Brutofen bei einer Temperatur von 60° C. während 
24 Stunden getrocknet; ca. 1 mgr. der getrockneten Substanz wird 
für den Versuch benutzt. Die Kontrollkultur enthält dieselbe Quan- 
tität Grubenwasser und eine ähnliche Quantität einzellige Algen?). Die 
Jungen einer Brut werden über die Versuchs- und Kontrollgläser ver- 
teilt, nach vorheriger Messung mit dem Okularmikrometer. Es ergab 
sich, daß in allen Versuchen Zusatz von 1—2 mgr. getrocknete Neben- 
nierenrinde zu 10—15 cm? Grubenwasser das Wachstum fördert, 
die Geschlechtsreife schneller eintreten läßt und die Ge- 
nerationen schneller einander nachfolgen läßt als in den 
Kontrollkulturen oder in den Nebennierenmarkkulturen der Fall war. 

Bemerkenswert ist der Befund, daß schädliche Lebensumstände 
oft besser vertragen werden, falls der Kultur diese geringe Quantität 
Nebennierenrinde zugesetzt ist. Mehrzellige Fadenalgen werden z.B. 
sehr schlecht von Daphnia pulex vertragen; eine Depression tritt ein 


1) Eine vorläufige Mitteilung über die Daphnia-Versuche erschien diesen Sommer 
in den „Verslagen der Koninklyke Academie der Wetenschappen“ Deel. XXIX, Nr. 9. 

2) Weil die Nebennierenrinde das Wachstum der Algen fördert, wurde bei den 
länger währenden Versuchen darauf geachtet, daß diese Quantitäten übereinstimmend 
gehalten wurden. 


410 M.A.v. Herwerden, Der Einfluß der Nebennierenrinde des Rindes u. s. w. 


und ohne Erneuerung des Kulturwassers sterben die Daphnien ab. 
Zusatz von 1—2 mgr. Nebennierenrinde genügt, damit die Tiere in 
vollkommener Gesundheit in einem Konvolut von langfädigen Algen 
längere Zeit am Leben bleiben. Ja sogar Pilzmycelia, welche sonst 
die Daphnien schnell zugrunde richten, werden in den Nebennieren- 
rinde-Kulturen, wo Pilze oft üppig wachsen, gut vertragen, ohne daß 
die Tiere zugrunde gehen. Ich habe in dieser Weise während der 
Sommerferien die ungenügend gereinigten Daphnienkulturen am Leben 
gehalten. 

Das Studium des Adrenalins hat längere Zeit die Bedeutung der 
Nebennierenrinde in den Hintergrund geschoben, bis von späteren 
Autoren z. B. von A. Biedl die letztere wieder hervorgehoben wurde. 
Neben dem Zusammenhang zwischen der Rinde und der Geschlechts- 
funktion ist ebenfalls auf die antitoxische Wirkung der Neben- 
nierenrinde hingewiesen. Wie Oobragift ın vitro von der Rindensub- 
stanz entgiftet wird, wäre es möglich, daß hier endogene toxische 
Substanzen von der Nebennierenrinde unschädlich gemacht werden. 

Welcher Substanz der Nebenniere sind diese merkwürdigen Ein- 
flüsse zuzuschreiben? Das Adrenalin spielt hier jedenfalls keine Rolle, 
denn erstens ist das Nebennierenmark nicht oder viel weniger wirk- 
sam und zweitens fehlt der von mir bereiteten getrockneten Cortex 
die bekannte Adrenalinreaktion, welche mit dem getrockneten Mark 
sofort nachweisbar ist?). 

Vorläufig läßt sich bloß sagen, daß diese wirksame Substanz der 
Nebennierenrinde löslich in Wasser ist und bei einer zweistündigen 
Erhitzung im Autoklav auf 110°—120° nicht vernichtet wird. 


Limnaea ovata. 


Als speziell für ähnliche Versuche geeignetes Material wurde 
auch die Süßwasserschnecke, Limnaea, gewählt. Es läßt sich näm- 
lich der gelatinöse Eiabsatz, den man im Frühjahr an Wasserpflanzen 
findet, in 2 oder mehrere Teile schneiden, welche man über ver- 
schiedene Gläser mit demselben Wasserquantum und übereinstimmender 
Algennahrung verteilt. Als Zusatz wurde jede 3 Tage 5— 10 mgr. 
getrocknete Substanz oder 1 cm’-extrakt (0,5 gr. in 50 cm? destilliertes 
Wasser) benutzt. Zusatz von Nebennierenmark hat in den meisten 
Kulturen schädlich gewirkt und die Embryonen oft schon vor dem 
Verlassen der Eihüllen zugrunde gerichtet. 

Bloß in einem Markversuch haben die jungen Schnecken sich 
entwickelt, ohne ın erheblicher Weise bei der Rindenkultur zurück- 
zubleiben. Ich halte es nicht für unmöglich, daß es sich ın dem 
Fall um Beimischung von Rindernubstanz handelt; es ist nämlich 
äußerst schwer beim Herauspräparieren des Nebennierenmarks das- 
selbe immer frei von Rindengewebe zu erhalten ?). 


3) Nämlich die Rosarotfärbung in wässeriger Lösung bei Anwesenheit von Sauerstoff. 
4) Im Gegenteil läßt sich die Rinde gut ohne Markbeimischung präparieren. 





M. A. v. Herwerden, Der Einfluß der Nebennierenrinde des Rindes u. s.w. 111 


Der Größenunterschied der Rindekultur-Schnecken den Kontroll- 
schnecken (demselben Fiabsatz entnommen) gegenüber, ist ganz be- 
deutend, sowohl was die Schale als den Körper betrifft. Auch beı 
diesem Schneckenversuch ergab es sich wie bei Daphnia pulex, daß 
der wirksame Bestandteil wasserlöslich ist und sehr gut eine zwei- 
stündige Erhitzung auf 110—120° verträgt. 

Es versteht sich, daß in allen Versuchen für übereinstimmende 
Temperatur, Beleuchtung und Nahrung gesorgt wurde. Auffallend war 
der bräunliche Darminhalt der mit Nebennieren mark -Zusatz behan- 
delten Schnecken, der hellgrünen Farbe bei den Rinde- und Kontroll- 
kulturen gegenüber, was sich schon beim lebenden Tiere durch die 
transparente Schale hindurch beobachten läßt °). 


Rana esculenta. 

Froschlarven einem selben Eiabsatz entnommen und Larven von 
1cm Länge an derselben Stelle im Gruben (zu derselben Zeit) ge- 
fangen — sind zu verschiedenen Versuchen von Ende April bis Juli 
benutzt. Als Nahrung wurde in allen Versuchen Fleisch und Hühner- 
eiweiß gegeben. Außerdem (ausgenommen in den Kontrollgläsern) 
dreimal wöchentlich der Zusatz von der getrockneten oder extra- 
hierten obenerwähnten Substanz. Bloß in einem Versuch, in welchem 
der Einfluß von ähnlichen Mengen getrocknete Hypophysis (pars anterior) 
und Nebennierenrinde verglichen wurde, (täglich 10 mgr.) habe ich 
keine sonstige animalische Nahrung zugesetzt. 

Im allgemeinen läßt sich sagen, daß der geringe Nebennieren- 
rinde-Zusatz zu den Kulturgläsern die Tiere kräftiger und größer, 
auch lebhafter macht als die Kontrolltiere. Ebenfalls in den Hypo- 
physiskulturen befinden sich größere Kaulquappen als in den Kontroll- 
kulturen; es bleiben aber viel mehr Larven im Wachstum zurück als 
in der Nebennierenrindekultur, in welcher alle Exemplare. kräftig 
sind. Die Metamorphose wird weder von dem Hypophysis-, noch von 
dem Nebennieren-Zusatz bei diesen geringen Quantitäten beeinflußt °). 

Von einer antitoxischen Wirkung der Nebennierenrinde, wie in 
den Daphnienkulturen, gibt es auch im Kaulquappenversuch eine An- 
deutung — es fehlen aber noch diesen Punkt betreffend genügend 
Beweise. 

Schnecken und Froschlarven wurden zu verschiedenen Zeiten zwecks 
mikroskopischer Untersuchung fixiert. Es versteht sich, daß bei 
den von mir untersuchten Invertebraten, denen — so weit wir wissen”) — 


5) Diese Durchsichtigkeit gestattet sogar die Herzfrequenz bei den jungen, an der 
Glaswand haftenden Schnecken mit der Lupe zu zählen, während sie sich also in 
ihrer natürlichen Lage im Kulturglas befinden. 

6) Schon bei einem Zusatz von 15 mgr. pro Woche (getrocknete Substanz) war 
der günstige Einfluß auf das Wohlbefinden der Larven bemerkbar. 

7) Nach der Mitteilung von W. Harms (Arch. f. Entwickelungsmechanik Bd. 47, 
S. 308) über das Vorkommen eines mit dem Interrenalorgan der Fische vergleichbaren 
(Gewebes bei der Sipuneulide, Phycosoma Lanzarotae, wäre es allerdings geraten, jeden 
definitiven Ausspruch vorläufig zu vermeiden. 


412 G.v.Übisch, Abweichungen vom mech. Geschlechtsverhältnis bei Melandrium dioieum. 


die mit denjenigen der Vertebraten vergleichbaren endoerinen Drüsen 
abgehen — einheitlichere Resultate zu erwarten sind, als bei den 
auch in dieser Hinsicht mehr komplizierten Froschlarven. Eine 
günstige Wirkung von geringen Quantitäten Nebennierenrinde, bei 
einer genügenden sonstigen Nahrung, läßt sich aber ohne Zweifel 
auch für die letzteren nachweisen. 


Abweichungen vom mechanischen Geschlechtsverhältnis 
bei Melandrium dioicum. 


Von 6. v. Ubisch, Heidelberg. 


Durch viele Versuche an Tieren und Pflanzen ist bewiesen worden, 
daß sich das Geschlecht nach dem Mendelschema vererbt, wie es der 
Rückkreuzung eines einfach mendelnden Bastardes mit dem rezessiven 
Elter entspricht; also AaxXaa—= Aa--aa. Die Frage istnun die, welches 
der beiden Geschlechter das homogametische (aa), welches das hetero- 
gametische (Aa) ist. Bei den Tieren hat man beide Fälle feststellen 
können, bei den wenigen Versuchen mit Pflanzen hat sich bisher stets 
das männliche Geschlecht als heterogametisch erwiesen. Da die meisten 
Pflanzen Zwitter sind, ist es schwer, geeignete Versuchsobjekte zu 
finden. Den einwandfreien Beweis, daß die Geschlechtstrennung bei 
der Reduktionsteilung vor sich geht, haben Untersuchungen von 
Strasburger(1)an dem Lebermoose Sphaerocarpus terrestris gebracht, 
bei dem aus den vier Sporen einer zusammenhaftenden Sporen- 
tetrade je zwei männliche und zwei weibliche Pflänzchen hervorgehen. 
Bastardierungsversuche mit Bryonia und Melandrium(2) hatten schon 
ergeben, daß man es mit einer Sorte Eiern, aber’ zwei Garnituren 
Pollenkörnern, männchen- und weibehenbestimmenden, zu tun hat. 

Nach diesem einfachen Vererbungsschema sollte man annehmen, 
daß das Zahlenverhältnis, in dem die beiden Geschlechter auftreten, 
stets 1:1 sein müßte, und aus allen Versuchen geht tatsächlich her- 
vor, daß dies der Fall ıst, wenn nicht Störungen irgend welcher Art 
eintreten, die das mechanische Geschlechtsverhältnis nachträglich ver- 
schieben. Ein Fall ist besonders genau darauf hin analysiert, nämlich 
die Abweichungen, die bei Melandrium dioicum auftreten. Es liegen 
da besonders große Zählungen vor; von Strasburger, der in der 
Nähe von Bonn unter 10662 Pflanzen 43,83%, Männchen fand, 
von G. H. Shull, in dessen Kulturen unter 11197 Pflanzen 
43,13%, Männchen auftraten (3). Correns(4) hat nun zeigen können, 
daß diese Abweichungen vom mechanischen Geschlechtsverhältnis zum 
größten Teile dadurch bedingt sind, daß die weibchenbestimmenden 
Pollenschläuche eine etwas größere Wachstumsgeschwindigkeit auf 
ihrem Wege zu den Samenanlagen entwickeln als die männchen- 
bestimmenden. Da nun in der Natur fast stets mehr Pollenkörner auf 


EN 


G.v. Übisch, Abweichungen vom mech. Geschlechtsverhältnis b. Melandrium dioieum. 113 


die Narben gelangen, als Samenanlagen vorhanden sind, werden mehr 
weibehen- als männchenbestimmende Pollenkörner die Befruchtung 
vollziehen. 

In einem krassen Gegensatze zu diesem Resultate stehen die 
Versuche von Shull mit derselben Versuchspflanze, die er in seiner 
Arbeit: Sexlimited inheritance in ZLychnis dioica L.(5) veröffentlicht 
hat. Für diese Versuche möchte ich versuchen, hier eine Deutung 
zu geben. 

Die Sachlage ist folgende: Shull kreuzt ein normales Melandrium 
album-Weibchen mit der von E. Baur(6) in der Nähe von Berlin 
gefundenen schmalblättrigen Mutante und erhält in F, lauter breit- 
blättrige Pflanzen, von denen 72 Männchen, 8 Weibchen waren. 
Kreuzte er nun die Geschwisterpflanzen untereinander, so erhielt er 
als F, 32 breitblättrige Weibchen, 11 breitblättrige Männchen und 
7 schmalblättrige Männchen. 


Aus diesen Zahlen schließt er, daß breitblättrig dominiert, daß 
das männliche Geschlecht heterogametisch ım Geschlechtsfaktor ist, 
und daß sich die Schmalblättrigkeit geschiechtsbegrenzt vererbt. Er 
nimmt als genetische Formel in bezug auf die beiden uns hier ıinter- 
essierenden Faktoren an, daß das breitblättrige normale Weibchen 
FBFB heiße, die schmalblättrige Mutante männlichen Geschlechtes 
Fbfb, (wobei die Bögen die absolute Koppelung zwischen dem Ge- 
schlechtsfaktor und der Blattbreite bedeuten) und schließlich, daß das 
gewöhnlich auftretende breitblättrige Männchen in der Blattbreite 
heterozygotisch sei, also FBfb heiße. (Hierbei bedeutet B breites, 
b schmales Blatt; FF den weiblichen Geschlechtsfaktor, Ff den männ- 
lichen. [Shull schreibt hier also für das weibliche Geschlecht FF, 
für das männliche Ff, während in Analogie zu unserem obengewählten 
Vergleich der Rückkreuzung mit dem rezessiven Elter das Männchen 
Mm, das Weibchen mm geschrieben werden müßte. Da es für unsere 
Ausführungen ohne Belang ist und den Vergleich mit der Shullschen 
Arbeit erleichtert, mag dessen Bezeichnungsweise beibehalten werden]). 

Da auf diese Formeln hier alles ankommt, seien seine Kreuzungs- 
ergebnisse in ihnen wiedergegeben. 

Breitblättriges normales 9 X schmalblättriges = FBFBxX Fhfb 
gibt in F —=FBEFb:FBfb=1 br. 9:1 br. d. 

Shull erhält statt dessen 8 br. 9:72 br. Q. | 

F, = FB Fb x FBib= FBFB-+ Fb FB + FB + Fbib = 1 br. 9 
homoz.: 1 br. @ heteroz.: 1 br. d' heteroz.: 1 schm. d.. 

Shull kreuzt nun die verschiedenen Typen aus F, miteinander. 
Es seien die von ihm erwarteten und experimentell erhaltenen Werte 
wiedergegeben; (siehe unten). Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, 
daß mit Ausnahme von a) keine einzige Versuchsserie seinen Erwartungen 
entspricht... F, und b) könnte man noch halbwegs gelten lassen, wenn 
nicht die Abweichungen beide Male ganz genau in derselben Richtung 

42. Band, S 


414 G@.v.Übisch, Abweichungen vom mech. Geschlechtsverhältnis b. Melandrium dioieum. 


lägen: nämlich Überschuß an Weibchen, zu wenig schmalblättrige 
gegen breitblättrige Männchen, dazu ın b) das Auftreten eines schmal- 
blättrigen Weibchens (das Shull ım übrigen als erneute Mutante an- 
sieht, dem er also keine Bedeutung beilegt). 


Kreuzungen innerhalb F,. 
a) Homozygotisches breitbl. 0 X heterozygotisches breitbl. 4. 
FBFBxX FBfb=FBFB--FBfb=1obr.:1G br. 
Shull erhielt 399 0 br.:401 d br. 
b) heteroz. 9 br. X heteroz. g br. wie F,. 
FBFb X FBfbD=FBFB--FbFB-+ FBfb-+Fbfb=2 br. 9 : 0 schm.9 
:1’br: & 2 l:sehm.tg: 
Shull fand 819 br. 9:1 schm. 9: 395 br. d': 339 schm. d‘. 
c) homoz. br. 9 X schm. d. 
FBFBxX Fbfb=FBFb+- FBP=1hr. 9:1 br. G. 
Shull fand i2 br. 9: 1644 br. g.. 
d) heteroz. br. o X schm. d.. 
FBFb X Fbfb=FBFb--Fb Fb+ FBfb-+- Fbfb =1 br.9:1schm. 9 
it br.’g.:-l schm. d. 
Shull fand 2 br. 9: 630 br. : 463 schm. d: 1 br. d : 1 schm. d. 
= + 


(Bei Betrachtung dieser Formeln ist zu beachten, daß die vom Ei 
herrührende Gamete stets an erster Stelle geschrieben ist. Also z. B. 
FBFb gibt an, daß FB vom Ei, Fb vom Pollenkorn herstammt; 
FbFB, daß Fb vom Ei, FB vom Pollenkorn herstammt. Darauf ist 
ungemein großes Gewicht zu legen.) 


Man könnte daraus schließen, daß die Formeln Shulls falsch 
seien; ich glaube aber, daß sie (mit einer kleinen Änderung, die das 
Zahlen- und Typenverhältnis kaum berührt, und auf die ich weiter 
unten zurückkomme), geeignet sind, den Tatsachen gerecht zu werden, 
wenn man die von Correns(4) gefundenen Verhältnisse bei Melandrium 
berücksichtigt. 


Correns schließt ebenso wie Shull, daß das weibliche Geschlecht 
homogametisch, das männliche heterogametisch ist, daß also zwei 
Sorten von Pollenkörnern gebildet werden, aus jeder Tetrade zwei 
weibchenbestimmende, zwei männchenbestimmende. Aus seinen Ver- 
suchen geht mit Sicherheit hervor, daß diese sich in der Wachstums- 
geschwindigkeit ihrer Pollenschläuche unterscheiden (oder durch die 
Keimungsgeschwindigkeit, was hier auf dasselbe herauskommt). Es 
gelang Correns, das Geschlechtsverhältnis durch Aufhebung der 
Konkurrenz dem mechanischen Geschlechtsverhältnis sehr nahe zu 
bringen, also mehr Männchen als in der Natur auftreten, hervor- 
zurufen. Andererseits konnte er durch Stutzung der Griffel geeignete 
Zeit nach der Bestäubung die Zahl der Männchen vermindern, die den 
langen Weg nach den Samenlagen noch nicht hatten zu Ende zurück- 
legen können. 


G.v. Übisch, Abweichungen vom mech, Geschlechtsverhältnis b. Melandrium dioieum. 145 


Wir wissen nicht, was die geringere Geschwindigkeit des männchen- 
bestimmenden Pollenschlauches bewirkt, ein Heterochromosom ist bei 
Melandrium nicht festgestellt worden, und der eine längere Geminus, 
den Strasburger (loc. cit. pag. 454) ın den Pollenmutterzellen fand, 
kann für die Unterschiede nicht aufkommen, da alle Pollenkörner ihn 
besitzen. Nachdem Sakamura(7) bei einer größeren Anzahl der ver- 
schiedensten höheren Pflanzen die einzelnen Chromosomen identifizieren 
konnte, muß man überdies wohl annehmen, daß die verschiedenen 
Chromosomen vielfach verschiedene Gestalt haben. 

Es hieße sich die Sache recht leicht machen, wollte man postulieren, 
daß eine größere Geschwindigkeit durch eine sichtbare geringere Masse 
der Chromosomen bedingt sein müßte. Es können da auch gut Ein- 
flüsse chemischer Natur, Katalysatoren oder dergl. einwirken. Einen 
solchen Einfluß scheint mir nun der Faktor B, resp. b der Breit- resp. 
Schmalblättrigkeit bedingt, auf den Geschlechtslaktor F resp, f aus- 
zuüben. Sehen wir uns nämlich die Fälle in den Shullschen Kreuzungen 
an, wo ein anomales Geschlechtsverhältnis auftritt, so werden wir dies 
stets dann und nur dann finden, wenn im männlichen Geschlechte 
die Gene Fb gekoppelt sind. Die Annahme, die uns erlaubt, die 
ganzen Versuche Shulls zu deuten, lautet nun folgendermaßen: Die 
Genenkombination im Pollenkorn FB ist etwas schneller 
als fb, fb ist aber bedeutend schneller als Fb. Im weiblichen 
Geschlecht, wo die Geschwindigkeit keine Rolle spielt, nehmen wir 
zweckmäßig einen geringen schädigenden Einfluß der ungünstigen 
Kombination Fb an. 

Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt nun einmal die Resul- 
tate Shulls, so erhalten wir folgendes: 

BB, — FBFBx Pbfib=FBFb--FBih. 

Bi sind im Pollenkorn die beiden Gameten Fb und fb enthalten, 
von denen fb bedeutend schneller ist als Fb, deshalb müssen bedentsnd 
mehr Männchen auftreten als Weibehen. Shull erhielt 8 Weibchen 
auf 72 Männchen. 

— FBFbx FBfb—=FBFB:FbFB: FB fb: Fbfb. 

Ind haben wir im Pollenkorn nur die Gameten FB und fb, von 
denen FB etwas schneller als fb ist, also müssen etwas mehr Weib. 
chen als Männchen auftreten und da die Gamete FB im Ei etwas 
günstiger als Fb ist, etwas mehr breitbl. Männchen als schmalbl. 
Shull erhielt 32 br. @: 11 br. :7 schm. d‘. 

Dasselbe gilt für Kreuzung b) innerhalb F,, hier tritt auch das 
erwartete Verhältnis ein, nämlich 819 br. 9:395 br. J :339 schm. d‘, 
dazu ein schm. 9, auf das ich noch zu sprechen komme. 

Die übrigen Kreuzungen innerhalb F, ergeben folgendes: 

a) homoz. br. 9: heterez. br. d = FB in x FBfb=FBFB: FBfh. 

Hier ist die Gamete FB etwas schneller als fb, es müßten also 

g* 


4116 G.v.Ubisch, Abweichungen vom mech. Geschlechtsverhältnis b. Melandrium dioicum. 


etwas mehr Weibchen als Männchen auftreten, tatsächlich treten gleich- 
viel auf, nämlich 399 0: 401 d. 

c) homoz. br. 9 X schm. d. FBFBxX Fbib=FBFb:FBfb. 

Die Gamete Fb ist bedeutend langsamer als fb, es treten also 
bedeutend mehr Männchen als Weibchen auf. Shull erhielt 12 9:1644'. 

d) heteroz. br. © X schm. g‘. FBFb x Fbfb=FBFb:FbFb: FBfb 
: Fb fb. 

Die Gamete Fb ist bedeutend langsamer als fb, es treten also 
bedeutend weniger Weibchen als Männchen auf; die weibliche Gamete 
Fb ist etwas schwächer als FB, es treten also etwas weniger schm. d 
als br. d auf. Shull erhielt 2 br. 9: 630 br. 5 :463 schm. 9:2 d.. 


Wir sehen also, daß diese einfache Annahme alle Resultate Shulls 
hinreichend erklärt. Es liegen nun aber verschiedene Gründe vor, 
die mich veranlassen, nicht wie Baur und Shull eine absolute 
Koppelung des Geschlechtsfaktors mit dem Blattbreitenfaktor anzu- 
nehmen, wie wir es bisher ın unserer Rechnung getan haben. Für 
eine starke, wenn auch nicht absolute Koppelung spricht 1. das Auf- 
treten des schmalbl. Weibchens in b). 


In Fällen der nicht absoluten Koppelung muß hier das Verhältnis 
breitbl. 9 : schmalbl. 9 : breitbl. $ :schmalbl. £ 
2n 1 1 de n 
Da das schmalbl. 9. aber die ungünstige Genenzusammensetzung Fb Fb 
hat, muß es sehr viel weniger als a mal ım Verhältnis zum 
breitbl. 0 auftreten, kann aber gelegentlich doch erscheinen. 

2. spricht für geschlechtskorrelative statt geschlechtsbegrenzter 
Vererbung, daß CGorrens(4) z. B. 1921 p. 352 gelegentlich Männchen 
fand, deren Pollenschläuche das mechanische Geschlechtsverhältnis 
ergaben, sie sowohl wie ihre Brüder. Es muß also gelegentlich ein 
Männchen mit der Genenformel FB{B vorkommen. 


3. hat Correns 1921 gefunden, daß mit dem Alter des Pollens 
die Zahl der Männchen zunimmt. Das könnte sein Analogon in der 
von Bridges(8) bei Drosophila gefundenen Verschiebung des Koppe- 
lungsgrades bei verschiedenen Gelegen, bei Temperatureinflüssen e. c.t. 
haben. 

Iclhı glaube, daß obiger Deutungsversuch geeignet ıst, Licht in die 
Versuchsresultate Shulls einerseits, Oorrens andererseits zu bringen. 
Es gäbe noch eine andere Erklärungsmöglichkeit, nämlich die, daß 
durch den Einfluß des Faktors B resp. b die Stärke der weiblichen 
Tendenz also die Valenz der weibchenbestimmenden Pollenkörner 
herabgesetzt, die männliche erhöht würde, da offenbar die Potenzen 
für Beides vorhanden sind. Ein ähnliches Resultat würde dadurch 
auf ganz anderem Wege erzielt werden; während nämlich bei unserer 
Annahme jedes weibehenbestimmende und jedes männchenbestimmende 





G.v.Ubisch, Abweichungen vom mech. Geschlechtsverhältnis b. Melandrium dioiecum. 117 


Pollenkorn seine geschlechtliche Valenz behält, nur eine Konkurrenz 
unter ihnen eine Auslese bewirkt, wird in diesem Falle ein Teil 
weibehenbestimmender Pollenschläuche männchenbestimmend werden. 
Doch scheint es mir nicht möglich, auf diese Weise dıe Zahlenver- 
hältnisse Shulls zu erklären. Auch müßte man eine ganze Anzahl 
Zwitter als Übergangsformen finden, wie sie Goldschmidt(9) bei 
Verschiebung des Drehpunktes durch Kreuzung nicht zueinander 
passender Rassen erzielte. Daß auch manchmal dieser Fall eintritt, 
scheint mir nach einer anderen Arbeit Shulls (10) nicht unwahr- 
scheinlich. 

Unser Erklärungsversuch ist einer exp. Nachprüfung bis zu einem 
gewissen Grade wohl zugänglich Wie Oorrens gezeigt hat, besteht 
nicht eine bestimmte Geschwindigkeit für alle weibehenbestimmenden 
Pollenschläuche (von der Formel FB) bei Kreuzung normaler Weibchen 
und Männchen eine andere etwas geringere für alle männchenbe- 
stimmenden (fb), sondern auch hier haben wir es mit Variationskurven 
zu tun, deren Gipfel etwas gegeneinander verschoben sind. Bei dem 
geringen Unterschied beider und der Form der Narben wird es nie 
möglich sein, beide ganz zu trennen. Anders bei unsern sehr ver- 
schiedenen Geschwindigkeiten Fb und fb. Schon bei normaler Be- 
stäubung ist das Verhältnis beider mindestens wie 1:10, man müßte, 
wenn man schnell genug nach der Bestäubung beobachtet, direkt den 
männchenbestimmenden Pollenschlauch dem weibehenbestimmenden 
vorauseilen sehen, bei Konkurrenz, etwa Stutzversuchen müßte man 
das weibliche Geschlecht ganz ausschließen können. Vielleicht gelänge 
es dann auch einen Unterschied in den männchen- und weibchen- 
bestimmenden Pollenschläuchen zu sehen, nachdem man weiß, welche 
Tendenz sie haben müssen. Ferner würde man auch die Entscheidung 
darüber treffen können, ob es sich tatsächlich um eine verschiedene 
Wachstumsgeschwindigkeit oder etwa um eine verschiedene 
Keimungsgeschwindigkeit handelt, was nach den Versuchen von 
Correns und Shull m. E noch dahin gestellt bleiben muß. 

Vor allen Dingen müßte erst festgestellt werden, ob tatsächlich 
die männlichen Melandrien in der überwiegenden Mehrzahl im Faktor 
für Blattbreite heterozygotisch sind. Es wäre mir sehr erwünscht, 
wenn ich ein schmalblättriges Melandrium-Männchen für diese Ver- 
suche erhalten könnte und ich würde den Kollegen, die ein solches 
unter ihren Versuchspflanzen haben und nicht selbst die Nachprüfung 
machen wollen, für Überlassung desselben zu großem Dank ver- 
pflichtet sein. 

Mit der Annahme, daß die Pollenschläuche mit den Genen- 
kombinationen FB, fb und Fb verschieden schnell zu den Samenan- 
anlagen gelangen, ist wohl eine Arbeitshypothese geschaffen, die uns 
erlaubt, die Frage experimentell zu prüfen. Tatsächlich sind wır aber 
damit nur einen kleinen Schritt vorwärts gekommen, denn wir wissen 
nichts darüber, warum die Faktoren diese Wirkung aufeinander aus- 


118 A. Horn, Der Schwimmblasenapparat bei Cobitis. 


üben, und das ıst die Hauptfrage. Wenn wir nach Analogien in 
der Literatur suchen, so erscheint es wahrscheinlich, daß wir es hier 
mit Faktoren zu tun haben, die gut resp. schlecht aufeinander abge- 
stimmt sind. Wir müssen uns nur darüber klar sein, daß mit dieser 
Feststellung sehr wenig gewonnen ist, denn bei dem heutigen Stand 
unserer mikrochemischen Kenntnisse ist es unwahrscheinlieh, daß wir 
sıe werden beweisen können. Immerhin hat sie das für sich, daß sie 
den Zusammenhang dieser „Faktorenfrage“ mit den anderen Problemen 
der Entwicklungsphysiologie betont. 


Literatur. 


1. E. Strasburger, Über geschlechtsbestimmende Ursachen. (Pringsheims Jahrb. 48, 
p. 432, 1910.) 

2. C. Correns, Die Bestimmung und Vererbung des Geschlechtes. Bornträger. 1907. 

3. Zitiert nach C. Correns, Ein Fall von experimenteller Verschiebung des Geschlechts- 
verhältnisses. (Sitzber. pr. Ak. Wiss. 1917, pr. 697 u. 698.) 

4. ©. Correns. (Sitzber. pr. Ak. Wiss. 1917, p. 685—717. — 1918, p. 1175— 1200. — 
1921, p. 330—354.) 

5. G. H. Shull, Sex-limited inheritance in Lyehnis dioica L. (Ztschr. ind. Abst. u. 
Vererb.lehre. 12. 1914, p. 265—302.) 

6. E. Baur, Ein Fall von geschlechtsbegrenzter Vererbung bei Melandrium album. 
(Ztschr. ind. Abst. u. Vererb.lehre. 8. 1912, p. 335—336.) 

‘. Sakamura, Exp. Studien über die Zell- und Kernteilung mit besonderer Berück- 
sichtigung der Chromosomen. (Journ. of the Coll. of Science. Tokyo 39, 1920, 
p. 1—221.) 

8. Physical Basis of Heredity (1920, p. 142). 

9. R. Goldschmidt, Quantitative Grundlagen von Vererbung und Artbildung (p 15, 
1920). 

10. G H. Shull, Reversible sex-mutants. (Bot. Gaz. 1910.) 


Der Schwimmblasenapparat bei Cobitis. 
Von Alfred Horn. 


(Aus der Bayerischen Biologischen Versuchs-Anstalt für Fischerei und dem zoologischen 
Institut der tierärztlichen Fakultät der Universität München.) 


Mit 2 Abbildungen. 


Die Schwimmblase von Cobitis ist nur noch in einem Rudiment 
erhalten, das in eine knöcherne Kapsel eingeschlossen ist. Die Aus- 
bildung und Form dieser Knochenkapsel erkannte bereits Weber 
(1820) und er stellte auch als erster fest, daß sich eine Reihe kleiner 
umgewandelter Wirbelstücke zwischen die Schwimmblase und den Utri- 
culus legen, die später nach ihm benannten „Weberschen Knöchelchen*. 

Die Herkunft der Knochenkapsel war oft Gegenstand von Unter- 
suchungen und Erörterungen. Hatte Huschke geglaubt, sie ent- 
stehe dureh Verknöcherungen der äußeren Lamelle der Schwimmblase, 
so sieht sie Rathke (1820) „als den Wirbelbeinen angehörig“ an. 
Leydig (1853) wiederum spricht sie als verknöcherte äußere Binde- 
gewebsschicht der Schwimmblase an, die mit dem 3. Wirbel ver- 
wachsen ist, Nach ihm ist die Knochenkapsel ein siebartiges Knochen- 


A. Horn, Der Schwimmblasenapparat bei Cobitis. 119 


gitter, das wie verknöcherte Bindegewebssubstanz aussieht. An der 
eigentlichen Schwimmblase der Fische überhaupt unterscheidet er zwei 
Häute, eine innere, seröse und eine äußere dickere Haut, welche bald 
weich, bald knorpelig oder selbst ganz verknöchert ist (wie bei 
Cobitis). Im wesentlichen die gleiche Ansicht wie Leydig vertritt 
Schulze (1877). Nußbaum und Sidoriak (189%) beschäftigen sich 
mit den Beziehungen der Schwimmblase von Cobitis fossilis mit dem 
Gehörorgan, besonders mit den lymphatischen Räumen derselben. 
Nach ihnen leiten sich die Verknöcherungen von den Wirbeln und 
Rippen ab. 

Bloch (1900) liefert die eingehendste Untersuchung sowohl der 
Schwimmblase, als der Knochenkapsel, als der „Weberschen Knöchel- 
chen“. Er faßt die Resultate seiner Arbeit in 14 Punkten zusammen, 
von denen uns hier folgende interessieren: 

Der 2. (falsche) Wirbel ist aus Verschmelzung des 2. und 3. 
(wahren) Wirbels hervorgegangen. 

Die Knochenkapsel, in welcher die Schwimmblase eingeschlossen 
ist, steht in Verbindung mit dem zweiten (falschen) und dem vierten 
(wahren) Wirbel. 

Die Knochenkapsel besitzt fünf Öffnungen. 2 laterale, 2 mediale 
und eine unpaare hintere, welche auf dem knöchernen Querkanal ge- 
legen ist. 

Der Rand der 5. unpaaren Öffnung umgrenzt das Homologon des 
Isthmus. 

Es entspricht also die ın die Knochenkapsel eingeschlossene Blase 
nicht der wahren Schwimmblase, sondern nur dem paarig gewordenen 
Divertikulum der normalen Cyprinoidenschwimmblase. 


Die Knochenkapsel ıst aufzufassen als eine Verknöcherung der 
Pleura und sehr wahrscheinlich deren parietalen Blattes. Die Löcher 
der Knochenkapsel sind von Bindegewebe erfüllt. Das Bindegewebe 
der Lücken überzieht auch die Balken. Daß die Knochenkapsel das 
verknöcherte Bindegewebe ist, geht daraus hervor, daß man bei 
Flächenschnittpräparaten alle Übergänge von der einfachen Binde- 
gewebszelle bis zum Knochenkörperchen auffinden kann. Auf diese 
verknöcherte Bindegewebsschicht folgen nach innen zwei weitere binde- 
gewebige Häute, von denen die äußere Haut weiß und atlasglänzend, 
die innere bläulichweiß ist. 

Die äußere der Innenfläche der Kapselwand anliegende Schwimm- 
blasenhaut besteht aus ungefähr zwei gleichmächtigen Schichten, die 
sich aus straffen, bisweilen geknickten Bindegewebsfasern zusammen- 
setzen, einer äußeren, welche wohl dem visceralen Blatt der Pleura 
entsprechen dürfte und eine ihr enge anliegenden inneren, deren 
starre Fasern im großen und ganzen in der Richtung zur Körperachse 
verlaufen. Diese einzelnen Schichten sind umzogen von Membranen, 
die aus kernlosen breiten Fasern bestehen, 


120 A. Horn, Der Schwimmblasenapparat bei Cobitis. 


Die innere bläulichweiße Haut (Tunica interna) besteht aus lockigem 
Bindegewebe. Sie enthält spärlich Blutgefäße. Der Binnenraum der 
Schwimmblase ist von einer dünnen Lage Plattenepithel ausgekleidet, 
welche Jakobs schon festgestellt hat. 

Die GCobitididen sind im Besitze eines Weberschen Apparates. 

Die Cobitididen sind alle Physostomen. Der Ductus pneu- 
matikus ıst zu einem bindegewebigen Strang obliteriert. 

Thilo (1913) behauptet, daß bei den Schlammpeitzgern die ganze 
äußere Hülle verknöchert ist. Nach ihm beginnt die Verknöcherung 
stets am vorderen Teile der Schwimmblase und zwar verknöchern 
zuerst die Bänder, welche die Blase an die Wirbelsäule befestigen. 
Hierauf verbreitern sich die Fortsätze und bilden ein knöchernes 
Dach. Endlich verknöchert die äußere Haut des hinteren Teils der 
Blase. 

Zwei Ansichten, die die Herkunft der Knochenkapsel zu erklären 
versuchen, stehen also noch heute einander gegenüber. Nach der 
einen ist sie das Produkt der verbreiterten Rippen und Wirbel der 
ersten vier Körpersegmente, nach der anderen soll sie durch Ver- 
schmelzung von Teilen der Wirbelkörper mit Verknöcherungen inner- 
halb der Schwimmblasenhäute zustande kommen. 

Um diese Frage entscheiden zu können, ging ich von der Über- 
legung aus, daß, falls die Schwimmblase durch Verknöcherung ihrer 
Wand die Knochenkapsel liefere, Teile derselben umgewandelt sein 
müßten, d. h. daß bei der Schwimmblase von Cobitis nicht mehr alle 
drei Schichten, die normalerweise die Schwimmblase bei den meisten 
Fischen zusammensetzen, vorhanden sind. Als Material für meine Unter- 
suchungen wurde Cobitis fossilis und Cobitis barbatula verwandt. Kleinere 
Exemplare wurden mit geöffneter Leibeshöhle in toto in Formol, 
Sublimat-Eisessig oder Sublimat nach Petrunkewitsch fixiert, wäh- 
rend bei größeren Tieren nur der abgeschnittene Kopf-Brustteil fixiert 
wurde. In der Hauptsache wurde auf Schnitten untersucht, wenn- 
gleich auch auf mikroskopische Präparation nicht verzichtet und aus 
ihr manche Erkenntnis geschöpft wurde. 

Zur Herstellung der Schnitte wurden die im 70%igem Alkohol 
plus 5 Y,ıger Salpetersäure entkalkten Stücke in Zelloidin eingebettet 
— Paraffın erwies sich nicht als genügend — und gewöhnlich 20—30 u 
dicke Schnitte durch den ganzen Körper angefertigt. Nur zur ge- 
naueren Einsicht in die Histologie wurden noch kleinere Teile der 
Kapsel in Paraffın 7 « dick geschnitten. Als Farben kamen zur Ver- 
wendung Haemalaun nach Delafield, Haematoxylin nach Heiden- 
haın, Orcein, Eosin und Pikrin- Wasserblau. 

Betrachtet man eine Grundel von der Seite, so bemerkt man in 
der Höhe der Seitenlinie, dicht hinter der Brustflosse am oberen 
Rande des Kiemenlekble eine Stelle mit dunklerer Pigmentierung. 
Beim Abziehen der Haut sieht man, daß unter dieser Stelle die dor- 
sale und ventrale Seitenrumpfmuskulatur nicht zusammenstoßen, und 


A. Horn, Der Schwimmblasenapparat bei Cobitis. +21 


daß sich hier eine kleine Öffnung befindet, die die Form einer zu- 
sammengedrückten Elipse hat. Wie schon Bloch abbildet und be- 
schreibt, werden die Ränder derselben durch feine Knochenleisten 
etwas aufgeworfen. Wir haben hier die äußersten Teile der die 
Schwimmblase einschließenden Knochenkapsel (Abb. 1, KK) vor uns und 
können durch diese äußere, seitliche Öffnung derselben (vgl. Bloch) 
in die Höhlung der Kapsel blicken. Durch diese (Abb. 1, KO) Öffnung 
schimmert uns eine bläulichweiße Membran entgegen, die von Leydig, 
Bloch, Nußbaum u. a. als die äußere Schwimmblasenwand ange- 
sehen wurde. Wir werden noch erfahren, daß dies nicht der Fall ist. 


Bei vorsichtiger Präparation unter der binokularen Lape erkennt 
man nämlich schon, daß die äußere Haut, an der Stelle, an der die 
eben beschriebene Öffnung liegt, etwas fester haftet als an der übrigen 
Muskulatur. Untersucht man die abgezogene Haut, so findet man, 
daß an der Stelle, an der man äußerlich den Pigmentfleck wahrnehmen 
konnte, nach innen der Haut ein eigentümliches, dünnes Häutchen 
anhängt. Bei großen Exemplaren von Cobitis fossilis erkennt man 
ein deutliches, kleines Säckchen, das hier von der inneren Fläche der 
Haut absteht und anscheinend sich an die seitliche Öfnung in der 
Knochenkapsel anlegt. 


Es wurde nun an Serienschnitten tatsächlich folgender Befund 
festgestellt. Etwas hinter der erwähnten Öffnung der Kapsel stülpt 
sich die äußere Haut sowohl Epithel als Cutis mit einem feinen Porus 
(Abb. 2,I) an der Grenze des vierten Wirbels ein und bildet einen 
engen Kanal, der unter der Oberfläche nach vorne zieht, sich all- 
mählich erweitert, in der Höhe des hinteren Randes der Öffnung 
nochmals mit einem engeren, feineren Porus nach außen abzweigt und 
sich nachinnen schließlich ampullenartig erweitert (Abb. 1, A, Abb. 2, A). 
Mit seiner breitesten Basis legt sich das Säckchen an die seitliche 
Öffnung der Knochenkapsel. Dieses Säckchen ist bisher übersehen 
worden. Das Säckchen wird von einer bindegewebigen Hülle um- 
kleidet (Abb. 1, Cul), die von dem subkutanen Gewebe der Haut ge- 
bildet wird. Kurz vor dem Herantreten dieses Stranges an das 
Säckchen zweigt davon eine Lamelle ab (Abb. 1, Cu2), die sich vor 
die Kapselöffnung legt. Das an der Kapselöffnung liegende Binde- 
gewebe ist mit den Kapselrändern, die nicht knöchern, sondern knorpelig 
bleiben und von einer dicken Bindegewebsschicht umhüllt sind, fest 
verwachsen. Auf diese Weise wird die Kapselöffnung durch eine 
straff gespannte Membran (Abb. 1, M) abgeschlossen. Zweifellos wurde 
diese von Leydig, Bloch, Nußbaum, Jakobs u. a. als Schwimm- 
blasenwand angesehen. Jedoch völlig zu Unrecht. Denn wie wir 
uns auf Serienschnitten überzeugen können, ist die Schwimmblase 
selber weit davon entfernt, den ganzen Hohlraum der Kapsel auszu- 
füllen. Nur an der inneren, dem Wirbel zugekehrten Fläche sehen 
wir die Reste einer Schwimmblase (Abb. 1, Sb). 


122 


Nur 


A 


A. Horn, Der Schwimmblasenapparat bei Cobitis. 


Bloch hat schon überzeugend nachgewiesen, daß wir ın der 
Schwimmblase der Cobitididen nur den Rest des vorderen Diverti- 
culums der zweigeteilten Cyprinoidenschwimmblase vor uns haben. 


Abb. 1. 





all 


Il 


Ampulle (Säckchen). 
Bindegewebe. 

Cutis. 

Cutis. 

Epidermis. 
Knochenkapselporen. 
Kapselöffnung 
Knochenkapsel. 
Lymphraum. 
Lymphflüssigkeit. 


Ill 


Ill 


Membran. 

Oberer Wirbelbogen. 
Plattenepithel. 

Querkanal (Verbindungskanal 
der beiden Schwimmblasen- 
reste). 

Rückenmark. 

Schwimmblase. 
Wirbelkörper. 

Blutgefäß. 





Hintere Ampullenöffnung. 
Ampulle. 
Epithel. 


Eu ses@utis: 


(OL 


— Qutis. 


ist die Schwimmblase viel kleiner als die Knochenkapsel. Die 
Schwimmblasenreste bei Cobitis fossilis und Cobitis barbatula stellen 
nur noch zwei hohle Kugelkalotten dar, die ventral durch einen 


A. Horn, Der Schwimmblasenapparat bei Cobitis 123 


(knöchernen) Querkanal verbunden sind (Abb. 1, @K). Auf dem Quer- 
schnitt bieten die Schwimmblasenreste das Bild eines fest der medianen 
Innenfläche der Knochenkapsel angeschmiegten Halbmondes (Abb. 1,SB). 
Die dem Wirbel zugekehrte Kalotte liegt der Kapsel nicht ganz bis 
zur Mitte an und knickt dann im spitzen Winkel ab, um so die kon- 
kave Außenfläche zu bilden. 

Was den Aufbau der Schwimmblasenwand betrifft, so sind in der 
konkaven also auch in der konvexen Wand die gleichen Schichten, 
die schon Nußbaum und Sidoriak feststellten (p. 222). Es war 
nicht schwer unter Wasser die Schwimmblase in zwei Schichten zu 
trennen. Die äußere Schwimmblasenhaut besteht aus zwei Lagen, die 
durch lockeres Bindegewebe miteinander verbunden sind. Beide Mem- 
branen bestehen aus dicht nebeneinander verlaufenden Faserbündeln. 
In der äußeren Membran verlaufen alle Faserbündel zirkulär, in der 
inneren dagegen in der Richtung der langen Achse der Blase, d.h. 
von rechts nach links. Die innere Schwimmblasenhaut besteht eben- 
falls aus zwei Membranen; sie werden von derbem, faserigem und 
elastischem Bindegewebe gebildet. Die Fasern verlaufen unregelmäßig. 
Die innere Membran wird von einer dünnen Schicht Plattenepithel 
ausgekleidet. Beide Membranen sind miteinander durch eine dünne, 
faserige Bindegewebsschicht verbunden. Auch ich stimme mit Nuß- 
baum und Sıdoriak überein, wenn sie die Ansicht Jakobs als 
falsch bezeichnen, da dieser augenscheinlich beide Schichten ver- 
wechselt hat. 

Was für ein Gebilde stellt nun der übrigbleibende, nicht von der 
Schwimmblase ausgefüllte Knochenkapselraum dar? Auf Schnitten 
ist er ausgefüllt von einem feinen Gerinnsel (Abb. 1, LF), das seiner 
Struktur nach auf eine Iymphatische Flüssigkeit schließen läßt und 
die im gleichen Gerinnungszustand in den Iymphatischen Gängen des 
Utrieulus sich findet. Nun machten es dıe Untersuchungen von Nuß- 
baum und Sidoriak sehr wahrscheinlich, daß lymphatische Kanäle 
an die Schwimmblasenkapsel heranziehen. Diese Forscher (p. 215) 
schreiben: „Das Webersche Cavum sinus imparis, in dessen vorderem 
Teile der die Verbindung der beiden Labyrinthe vermittelnde Ductus 
endolymphaticus samt seiner sackförmigen hinteren Verlängerung ver- 
läuft, bildet den ersten Iymphatischen Raum. Dieser Raum kommuni- 
ziert hinten direkt mit zwei engen Kanälen, die auf der Dorsalseite 
des ersten Wirbelkörpers verlaufen und mit zwei vertieften Öffnungen 
in die zwei ansehnlichen Iymphatischen Räume, die wir als submem- 
branöse Gänge bezeichnen, frei münden. Diese Gänge, die mit einer 
Schicht abgeplatteter Epithelzellen ausgekleidet sind, kommunizieren 
nun noch mit den lymphatischen Räumen, welche jederseits zwischen 
Stapes und Claustrum eingeschlossen sind. Durch die Ductus sub- 
membranacei wird also eine Verbindung zwischen den Atria sinus 
imparis (das sind Hohlräume zwischen Stapes und Olaustrum) und den 
hinteren Verlängerungen des Cavum sinus imparis hergestellt. So 


l 


194 A. Horn, Der Schwimmblasenapparat bei Cobitis 


sehen wir, daß also eine Verbindung zwischen Schwimmblase und 
Gehörgang besteht.“ 

Meine Vermutung, daß wir es in dem größeren Teile der Kapsel- 
höhlung mit einem endolymphatischen Raum zu tun haben, wird be- 
stätigt durch den Vergleich der Innenauskleidung von diesen mit den 
weiter kopfwärts gelegenen Lymphräumen. Hier wie dort finden wir 
ein niederes Plattenepithel (Abb. 1, PEp), unter dem eine strafle 
Bindegewebslage hinzieht. 

Eine direkte offene Verbindung zwischen diesen großen Lymph- 
räumen mit denen des Utriculus konnte ich nicht finden, zweifle aber 
nicht, daß sie ın den von Nußbaum und Sıdorıak beschriebenen 
submembranösen Gängen (Abb. 1, LR) tatsächlich besteht oder ge- 
stützt. Die Bindegewebsmassen, die um die Knochenhöhlen der Kapsel- 
wand sowohl als auch der Iymphatischen Gänge liegen, fasern beim 
Schneiden meistens etwas auf, so daß es mir unmöglich war, kleinere 
Gänge durch mehrere Schnitte hindurch zu verfolgen. 

Aral wir uns noch nach der Herkunft vr Knochenkapsel. 
Nachdem, wie wir gesehen haben, die Schwimmblase gar nicht den 
ganzen Innenraum der Kapsel ausfüllt, wird man wohl auch kaum 
deren Wand für die Bildung der Verknöcherung verantwortlich machen 
können. Bloch bringt in seiner Abhandlung eine rein schematische 
Darstellung der Entwicklung der Schwimmblase und der Kapsel, den 
Beweis aber für diese Hypothese führt er nicht. Ich stehe wie Nuß- 
baum und Sidoriak und auch teilweise wie Thilo auf dem Stand- 
punkt, daß die mit den Wirbeln äußerst fest verwachsene Knochen- 
kapsel das Produkt aus Wirbeln und Rippen ist, wofür ja besonders 
das Auftreten von Knorpel in derselben spricht. 

Den Wert des komplizierten Apparates dürfen wir wohl in einer 
Hilfsvorrichtung zur Aufnahme geringer Druckunterschiede sehen. Wie 
Bloch eingehend beschrieben hat, ist der Webersche Apparat bei 
den COobitis-Arten recht kompliziert. Nußbaum und Sıdoriak haben 
festgestellt, daß die Stapedes den nach innen vorn gelegenen Kapsel- 
löchern (Abb. 1, KP) aufsitzen und hier Verbindung mit der eigent- 
lichen Schwimmblasenwand erreichen. Ich kann diese Verhältnisse 
bestätigen. Wir sehen also hier einen komplizierten Übertragungs- 
apparat zwischen der Schwimmblase und dem Gehörorgan. Auf der 
anderen Seite der Schwimmblase dagegen sehen wir einen kugeligen 
Hohlraum mit Flüssigkeit gefüllt. Der Hohlraum ist infolge der 
knöchernen Umhüllung kaum veränderlich und ist an der einzigen seit- 
lichen Öffnung, denn die anderen kleinen Löcher finden sich im Bereich 
der Schwimmblase (Abb. 1, M), durch eine elastische Membran (Abb. 1, M) 
abgeschlossen, auf die der äußere Druck durch das eingestülpte Haut- 
säckchen direkt wirken kann. Die geringsten Druckschwankungen 
von außen müssen sich dieser mikrophonartigen Membran mitteilen 
und werden durch die allseits umschlossene Flüssigkeitsmenge auf die 
Hohlkalotte Schwimmblase übertragen und müssen die ıhnen auf- 





L. Eißele, Histologische Studien an der Schwimmblase einiger Süßwasserfische. 125 


sitzenden Weberschen Knöchelchen in Bewegung bringen, wodurch 
die Schwingungen sofort den Utrieulus und von da dem Zentralorgan 
mitgeteilt werden. Es ist ja bekannt, daß die Cobitididen sehr 
scharf auf Wetterschwankungen reagieren und Cobitis fossilis sogar 
als Wetterprophet im Aquarium gehalten wird. Aller Wahrschein- 
lichkeit nach dürfen wir in dem hier beschriebenen Apparat das Organ ' 
sehen, das ıhn zu diesem Verhalten befähigt. 


Literaturverzeichnis. 
Bloch, L., 1900. Schwimmblase, Knochenkapsel und Weberscher Apparat von Nema- 
ehilus barbatula, Günth.; in: Jen. Zeitschr. f. Naturw. 
(Hier findet sich ein genaues Literaturverzeichnis der älteren Arbeiten.) 
Jakobs, Ch., 1898. Über die Schwimmblase der Fische. Diss. Tübinger zoolog. 
Arbeiten, Leipzig. 
Nußbaum, J. und S. Sidoriak, 1900. Das anatomische Verhältnis zwischen dem 
Gehörorgan und der Schwimmblase bei dem Schlammbeißer (Cobitis fossilis); in: 
Anat. Anzeiger vol. 16. 
Sidoriak, $., 1899. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des endolymphatischen 


Apparates des Fisches; in: ibid. vol. 15. 
Thilo, ©., 1913. Verknöcherte Schwimmblasen; in: Zool. Anzeiger vol. 41. 


Histologische Studien an der Schwimmblase einiger 
Süfswasserfische. 
Aus der Bayerischen Biologischen Versuchsanstalt für Fischerei und dem Zoologischen 
Institut der tierärztlichen Fakultät der Universität München. 
Von Ludwig Eißele. 
Mit 5 Abbildungen. 


Über kein Organ des tierischen Körpers wurden wohl so ver- 
schiedene Ansichten, Funktion und den Bau betreffend, im Laufe der 
Zeit geäußert, als über die Schwimmblase der Fische. Schon Arısto- 
teles kennt das Vorhandensein von Luft in den Eingeweiden der 
Fische und glaubt, daß dieselbe dem Hervorbringen von Tönen diene. 
Im Mittelalter sollte die Schwimmblase zunächst ein Hilfsorgan für 
die Verdauung sein, wofür das Vorhandensein eines Luftganges 
zwischen Schwimmblase und Darmtractus sprach. Diese Auffassung 
mußte fallen, da viele Fische (Physoklysten) keinen solchen Duetus 
pneumatieus besitzen. In der Folgezeit kristallisierten sich vier An- 
schauungen heraus, die alle eine wechselnde Zahl von Anhänger fanden: 

1. Die Schwimmblase bewirkt rein mechanisch durch Volumwechsel 
aktiv die Vertikalbewegung des Fisches. 

2. Sie ist ein Teil des Gehörorgans. 

3. Sie ist Respirationsorgan, und endlich 

4. Sie ist Hilfsorgan des Blutkreislaufes. 

Die erste, allmählich zur klassischen Anschauung gewordene An- 
sicht stammt von Borelli (1704. Er sagt ın seinem Werke: 


4296  L. Eißele, Histologische Studien an der Schwimmblase einiger Süßwasserfische. 


„De motu animalium“: „Die Schwimmblase der Fische ist eine physi- 
kalische Einrichtung, welche auf- und niedersteigende Bewegungen 
des Tierkörpers nach Art des Cartesianischen Tauchers im Wasser 
dadurch bewirkt, daß ihr Volumen und dem entsprechend das ganze 
spezifische Gewicht des Fisches durch Ausdehnung bezw. Kompression 
ihrer Wände infolge von Muskeltätigkeit der Flanken und des Rumpfes 
geändert wird“. 

Weber (1820) schreibt auf Grund seiner anatomischen Studien 
über die später nach ihm benannten Weberschen Knöchelchen, die 
die Schwimmblase einiger Fische mit dem Labyrinth verbinden, der- 
selben eine Hörfunktion zu. Nachdem heute sicher ist, daß die meisten 
Fische nicht hören und das Labyrinth ein Gleichgewichtsempfindungs- 
organ ist, fällt auch diese Ansicht. 

Die Ansichten 3 und 4 fußen auf der Tatsache, daß bei vielen 
Fischen in der Schwimmblase oder in dem Ductus pneumatieus eine 
reiche Blutgefäßversorgung vorkommt. Diesen Wundernetzen kommt 
aber sicher in ihrer Hauptsache eine andere Funktion zu. 

Es hat auch nicht an Stimmen gefehlt, die der Schwimmblase 
eine besondere Funktion überhaupt absprachen, während andere ihr 
mehrere Funktionen gleichzeitig zuschrieben. 

So nützt nach Rathke (1838) „die Schwimmblase zu dreierlei: 
Zur Erleichterung des Schwimmens, zur Unterstützung des Hörens 
und zu besonderen Umänderungen in den Mischungsverhältnissen des 
Blutes; bei der einen Fischart aber mag die eine, bei der anderen 
eine andere Tätigkeit vorwaltend sein“ (p. 438). 

Müller (1843) sagt: „Unter allen Organen zeichnet sich die 
Schwimmblase durch die große Mannigfaltigkeit und gänzliche Ver- 
schiedenheit der organischen und physikalischen Einrichtungen aus, 
welche sie in einzelnen Familien und Gattungen darbietet. Die 
Schwimmblase hat nicht eine Funktion allein, die Natur verwendet 
sie zu mehreren ganz verschiedenen Zwecken, die sie mit innerer, im 
Körper selbst erzeugter Luft erzielen kann“ (p. 136). 

Leydig (1853) beschreibt die Schwimmblase unter dem Abschnitt 
„Respirationsorgane“ der Wirbeltiere. 

In neuerer Zeit hat Moreau (1876) durch exakte Versuche die 
Ansicht Borellis und seiner Anhänger widerlegt. Moreau zeigte, 
daß die Veränderung der Größe der Schwimmblase von dem äußeren 
Druck, der in der Umgebung des Fisches herrscht, abhängig ist, und 
der Fisch passiv der äußeren Druckwirkung folgt, also gerade das 
Gegenteil von dem der Fall ist, was Borelli gelehrt hatte. Nach 
Moreau hat die Schwimmblase die Aufgabe das spezifische Gewicht 
des Fisches dem Werte 1 zu nähern und diesen durch passive 
Volumensänderung an den jeweiligen Wasserdruck anzupassen und 
den Fisch so in den Stand zu setzen, sich in einer bestimmten Wasser- 
höhe dem „plan des moindres efforts‘ mit minimalem Kraftaufwand 
seiner Muskeln zu halten und in der Horizontalen fortzubewegen. 


oe E 


L. Eißele, Histologische Studien an der Schwimmblase einiger Süßwasserfische. 497 


In neuester Zeit versuchte Jäger (1905) die alte Anschauung 
Borellis mit derjenigen Moreaus zu vereinigen, wobei er jedoch 
wieder beweisen will, daß die Fische durch Muskeltätigkeit aktıv 
das Schwimmblasenvolumen variieren können; die endgültige Ein- 
stellung des Fisches auf ein bestimmtes Niveau übernähmen dann 
andere Organe der Schwimmblase. 

Demgegenüber hat Baglıoni (1909) einwandfrei dargetan, daß 
unter den verschiedensten Versuchsergebnissen keines ist, das die 
Borellische Theorie bestätigt, sondern vielmehr alle übereinstimmend 
zur Ansicht Moreaus führen. Die Schwimmblase besitzt eine hydro- 
statische Funktion, indem sie durch Verminderung des spezifischen 
Gewichts den Fisch ın den Zustand setzt, in einer gewissen Wasser- 
schicht mit geringstem Muskelkraftaufwand seine Körperlage zu be- 
haupten und Horizontalbewegungen auszuführen. Diese Wasserschicht 
kann gewechselt werden, wobei die Erhöhung des Gasdruckes durch 
echte Sekretion von Gasen (in der Hauptsache Sauerstoff) stattfindet, 
die Druckverminderung entweder durch Resorption (Physoklysten) 
oder durch Abgabe von Gas durch den Ductus pneumaticus (Physo- 
stomen) geregelt wird. Außerdem muß man der Schwimmblase noch 
die Bedeutung eines eigentümlichen, spezifischen, hydrostatischen 
Sinnesorganes zusprechen, dessen adäquate Erregungen zweckmäßige 
reflektorische Schwimmbewegungen auslösen. Die Regelung des Gas- 
inhaltes in der Schwimmblase steht direkt unter dem Einfluß des 
Nervensystems und geschieht als ein den äußeren Bedingungen ent- 
sprechender Reflexvorgang. 

Der Ansicht Baglionis schließen sich nach einigen Versuchen 
Guy&not, Musy und Popta an. 

Vor Moreau wurde, wie schon erwähnt, angenommen, daß das 
spezifische Gewicht des Fisches durch Ausdehnung bezw. Kompression 
der Schwimmblasenwände infolge von Druck der Flanken- oder Rumpf- 
muskulatur verändert werde. Eine Ausnahme machte Müller (1843). 
Er schreibt: „Die mehrsten Fische sind nicht imstande, willkürlich 
ihre Schwimmblasen zu erweitern und die Luft derselben zu verdünnen. 
Die Muskeln der Schwimmblase sind der Verdichtung der Luft be- 
stimmt“ (p. 147). Nur bei emigen Fischen soll beides möglich sein. 
Bei einigen Gattungen von Welsen will Müller einen Springfeder- 
apparat entdeckt haben, und zwar arbeite derselbe so, daß die Ver- 
dichtung beständig wirksam ist und von der Elastizität einer Feder 
berührt, die Verdünnung aber von der Aktion und Ausdauer der 
Muskelkräfte abhängt, welche die Feder außer Erfolg setzen. Die 
gleiche Möglichkeit aktiver Muskelwirkung auf die Volumensänderung 
der Schwimmblase glaubt Müller bei den Cypriniden gefunden zu 
haben in dem kombinierten System einer vorderen elastischen und 
hinteren unelastischen Schwimmblase, wodurch der Fisch imstande 
wäre, den vorderen oder hinteren Teil leichter zu machen und die 
horizontale Gleichgewichtslage des Fisches zu ändern. Müller stützt 


498  L. Eißele, Histologische Studien an der Schwimmblase einiger Süßwasserfische. 


seine Ansicht auf das Vorhandensein eines Schließmuskels zwischen 
beiden Abteilungen der Schwimmblase. Weiter schreibt er: „Es reicht 
also bei einem Fisch eine geringe Zusammendrückung der Schwimm- 
blase, sei es durch ihre eigenen Muskeln oder, wenn sie keine besitzt, 
durch die Muskeln der Seitenwände des Tieres hin, um den Fisch 
steigen oder sinken zu lassen“ (p. 167). Wie vorhin erwähnt, nımmt 
auch Jäger eine aktive Muskeltätigkeit an und vertritt die Ansicht, 
daß die Cypriniden ihre Schrägstellung beim Auf- und Niedersteigen 
durch aktive Volumensänderung in beiden Blasen ermöglichen, wobei 
die hintere Blase nur die Rolle eines Luftreservoirs spiele. Auch er 
stützt sich darauf, daß beide Blasenteile an ihrer Basis einen Schließ- 
muskel hätten. 

Deineka (1904) erklärt das Steigen und Fallen des Karpfen 
folgendermaßen: „Ist der Schwerpunkt des Fisches aus irgendeinem 
Grunde zum Schwanze hin verschoben, so wird das in der Schwimm- 
blase enthaltene Gas durch starke Muskelkontraktionen ihrer Wandung 
in die näher zum Schwanz gelegene Abteilung, im Falle einer Ver- 
lagerung des Schwerpunktes zum Kopfe in umgekehrter Richtung 
übergeführt“ (p. 152). 

Die Ansicht Thilos!) (1903) wird in einem Referat von Janson 
(1905) so dargelegt: „das Zusammendrücken der Schwimmblase wird 
durch die Rückenmuskeln bewirkt, die Ausdehnung dagegen besorgt 
die in der Schwimmblase unter Druck stehende Luft“. 

Endlich schreibt Hesse (1912) den Muskeln der Schwimmblasen- 
wand die Fähigkeit zu, Druck und Volumensschwankungen zu regulieren. 

Es sind also hauptsächlich zwei Anschauungen, die die Möglich- 
keit einer aktiven Muskelwirkung auf die Variation des Schwimm- 
blasenvolumens wahrscheinlich zu machen versuchen. Einerseits wird 
die Körpermuskulatur des Fisches, andererseits die Muskulatur der 
Schwimmblasenwand dafür haftbar gemacht. Wenn die erstere Auf- 
fassung zutreffen sollte, müßte gefordert werden, daß die Wände der 
Schwimmblase allseits einem gleichen Druck ausgesetzt werden. Die 
Körpermuskulatur der Fische aber mit ihrer eigentümlichen Anordnung 
und verschiedenen Verteilung in der Umgebung der Schwimmblase 
dürfte einen derartigen Druck nicht ausüben können; weiterhin wäre 
zu bedenken, ob durch einen solchen Druck nicht auch andere Organe 
in Mitleidenschaft gezogen würden und z. B. besonders der Darm so 
gedrückt werden würde, daß ihn keine Nahrung mehr passieren könne, 
daß sogar ein Druck auf die Schwimmblase erst wirksam werden 
konnte, wenn die Eingeweide schon stark gepreßt sind. Außerdem 
gibt es Fische, deren Schwimmblase nicht von allen Seiten von der 
Körpermuskulatur umgeben ist und solche, deren Schwimmblase ın 
eine Knochenkapsel eingehüllt ist. Aus diesen Gründen machen andere 


1) Thilo scheint selber in seinen verschiedenen Schriften zu einer nicht ganz 
einheitlichen Ansicht über diesen Punkt gelangt zu sein. 


L. Eißele, Histologische Studien an der Schwimmblase einiger Süßwasserfische. 429 


Autoren, die eine aktive Volumänderung der Schwimmblase annehmen, 
die Muskelschichten in ihr selbst dafür verantwortlich. 

Deshalb unternahm ich es, die histologische Struktur der Schwimm- 
blasenwand eingehend zu untersuchen und dabei besonders auf das 
Vorhandensein von Muskulatur und elastischem Gewebe zu achten. 
Bei der Auswahl der mir zur Verfügung stehenden Fische ging ich 
von dem Gesichtspunkte aus, möglichst verschiedenartige Formen der 
Schwimmblase zu betrachten und sowohl Vertreter der Physostomen, 
als auch der Physoklysten zu berücksichtigen. 

Folgende Arten wurden untersucht: 

Als Vertreter der Fische mit einfacher Schwimmblase mit Ductus 
pneumaticus (Physostome): Trutta iridea W. Gibb. mit einfacher 
Schwimmblase ohne Ductus pneumaticus (Physoklyst): Perca flunma- 
tihs L.; 

mit längs geteilter Schwimmblase und Ductus pneumaticus: Silurus 
glanis L.; 

mit quer geteilter Schwimmblase und Ductus pneumaticus: Oypri- 
nus carpio L., Tinca tinca L., Barbus barbus L. und Alburnus lueidus 
Heck. 

Kleinere Fische wurden mit geöffneter Bauchhöhle in toto fixiert, 
bei größeren wurde die Schwimmblase herauspräpariert und bald ge- 
schlossen, bald ın Stücken ın die Flüssigkeiten gebracht. Als Fixie- 
rungsmittel wurden verwendet: Sublimat nach Petrunkewitsch, 
Formol-Sublimat-Eisessig oder Formol-Alkohol-Eisessig. Eingebettet 
wurde in Paraffin. Ich habe sowohl Serienschnitte durch den ganzen 
Tierkörper bei jungen Fischen, als auch bei größeren Exemplaren 
durch einzelne Teile der Schwimmblasenwand gemacht. Gefärbt 
wurden die Schnitte in Delafields Hämatoxylin-Eosin und zum Nach- 
weis elastischer Fasern in Orcein-Wasserblau. 

Die anatomischen Verhältnisse der Schwimmblase sind so zahl- 
reich und eingehend beschrieben, daß sie hier nur kurz Erwähnung 
zu finden brauchen. Dagegen sind die Angaben über ihre Histologie 
teilweise sehr unvollkommen und widersprechend. In der Hauptsache 
fand die Blutgefäßversorgung, die Bildung von Blutdrüsen und Wunder- 
netzen eingehende Beschreibung. Histologische Daten finden sich ın 
den Werken von Joh. Müller, Leydig, Stannıius, Moreau, Oor- 
ning, Bridgeand Haddon, Jakobs, Jaquet, Jäger, Deinneka, 
Nußbaum und Reis, Oppel, Beaufort und Tracy. Auf einzelne 
dieser Angaben werde ich in der nun folgenden Beschreibung meiner 
eigenen Untersuchungen einzugehen haben. 


Trutta iridea W. Gibb. 


Die Schwimmblase der Forelle stellt einen einfachen länglıchen 
Sack dar, der sich durch die ganze Leibeshöhle erstreckt. Sie besitzt 
einen kurzen Ductus pneumaticus, der von ihrer ventralen Seite zum 

42. Band ) 


130  L. Eißele, Histologische Studien an der Schwimmblase einiger Süßwasserfische. 


Darm führt, und dort dorsal mündet. Die obere Fläche der Schwimm- 
blase ist von den Nieren bedeckt, während die ventrale vom Perito- 
neum umhüllt ıst, das lateralwärts unter Bildung einer Längsfalte, ın 
der Blutgefäße zur Schwimmblase führen, auf die Körperwand über- 
geht. Die Schwimmblase liegt also außerhalb der Peritonealhöhle. 
Der Peritonealüberzug der Schwimmblase besteht aus einer ein- 
fachen Lage von Plattenepithel und ist fest mit der eigentlichen 
Schwimmblasenwand verbunden. (Abb. 1.) Die äußerste Schicht der- 
selben besteht aus einer derben, bei makroskopischer Betrachtung 
silberglänzenden, fibrösen Lage von Bindegewebsfibrillen mit längs, 





Abb. 1. Querschnitt durch die Schwimmblasenwand von Trutta iridea W. Gibb. 

a) Cölomepithel; db) längsverlaufende; ce) zirkulär verlaufende Fasern der 

«() äußeren fibrösen Schicht; e) längs und f) zirkulär verlaufende glatte 

Muskelfasern der g) Muskularis; A) innere Epithellage; i) elastische Fasern. 
quer und schräg verlaufenden Fasern. Stellenweise läßt sich eine 
äußere Längs- und innere Querfaserung feststellen. Die äußere fibröse 
und die folgende innere Schicht sind durch zarte, elastische Binde- 
gewebszüge, die in parallelen Lamellen angeordnet sind, nur locker 
miteinander verbunden. Beide Schichten lassen sich leicht von- 
einander trennen und lösen sich schon durch die Fixierung und Alkohol- 
behandlung leicht von einander ab. (Siehe Abb. 1.) Die innere 
Membran enthält eine Muskellage, die sich aus peripher längs und 
innen quer verlaufenden Zügen glatter Muskelfasern zusammensetzt. 
Darauf folgt, das Lumen der Schwimmblase auskleidend, eine ein- 
schichtige Lage kubischen Epithels. Sowohl in der äußeren, fibrösen 
Hülle als auch in der Muskularıs sind zahlreiche elastische Fasern 
eingelagert, die in derselben Richtung verlaufen, wie das betreffende 
(sewebe, in der sie vorkommen. Beide Schichten nehmen an der 
ventralen Hälfte der Schwimmblase an Dicke etwas zu, sie stehen 
gegenseitig an Dicke im Verhältnis von zwei zu eins. Uber die Blut- 
gefäßversorgung sind von Corning ausgedehnte Studien gemacht 
worden, denen ich nichts hinzuzufügen habe. 

Die Forelle besitzt also eine kontinuierlich durch die ganze Wan- 
dung der Schwimmblase sich erstreckende, dünne Muskularis, be- 
stehend aus parallel gerichteten glatten Muskelfasern, die in der Außen- 
lage längs und in der Innenlage zirkulär verlaufen. 


L. Eißele, Histologische Studien an der Schwimmblase einiger Süßwasserfische. 1.3 


Perca fluviatilis L. 


Die Schwimmblase des Barsches ist allseitig geschlossen, stellt 
einen länglichen Sack ohne Einschnürung dar und liegt retroperitoneal. 
Die Ventralseite ist vom Peritoneum umhüllt, das zahlreiche schwarze 
Pigmentzellen aufweist. Der Peritonealüberzug ist fest mit der äußeren 
derb-fibrösen Haut verbunden und läßt sich nicht von ihr abziehen. 
Die Blutdrüsen und Wundernetze, die sich über die ganze Ausdehnung 
der Schwimmblase erstrecken, desgleichen das an der hinteren dor- 
salen Wand liegende Oval, sowie deren Funktion, sind von Corning, 
Jäger, Nußbaum und Reis eingehend beschrieben worden. Die 
Schwimmblasenwand (siehe Abb. 2) ist bei Perca außerordentlich dünn 
und durchsichtig, so daß an vielen Stellen „die roten Körper“ oder Blut- 
drüsen, deren ich bei meinen Exemplaren 8 bis 10 feststellen konnte, 





Abb. 2. Querschnitt durch die innere Wandschicht der Schwimmblase von Pura 
fluriatilis L. a) Blutgefäßknäuel; d) Blutdrüse; e) „zelliger Saum“; «d) innere 
Plattenepithellage. 


hindurchschimmern. Bei der Präparation lassen sich leicht zwei Schich- 
ten voneinander trennen. Die äußere Schicht ist etwas derb und 
fibröser Natur und mit dem Peritoneum fest verwachsen. Serien- 
schnitte quer durch die Wandung zeigen zunächst von außen nach 
innen eine einfache Lage von Plattenepithel (Cölomepithel), dann folgt 
eine strukturlose, fibröse Haut. Die innere äußerst feine Membran 
ist mit der äußeren fibrösen Haut nur locker verbunden, so daß sie 
sich schon durch die Fixierung abhebt. Sie besteht aus feinen binde- 
gewebigen Zügen, die parallel zur Oberfläche der Schwimmblase ver- 
laufen und zirkulär gerichtet sind. Diese Schicht weist einen außer- 
ordentlichen Gefäßreichtum auf; in ihr liegen die von Corning be- 
schriebenen „Blutdrüsen, zelligen Säume und Wundernetze“. An der 
Stelle, wo das Oval (Corning) liegt, ist das Bindegewebshäutchen 
unterbrochen. Als Abschluß gegen das Lumen zu findet sich endlich 
eine einfache Lage Plattenepithels, das auf die „zelligen Säume“ über- 
geht und vom Epithel des Peritoneums nicht zu unterscheiden ist. 
Elastische Fasern ließen sich hier nicht nachweisen. Eine zusammen- 
hängende Muskularis, wie sie bei den Salmoniden besteht, fehlt beim 
Barsch vollständig. Es finden sich nur einige spärliche Züge glatter 
g* 


D L. Eißele, Histologische Studien an der Schwimmblase einiger Süßwasserfische. 
Ur [o oO 


Muskelfasern im Bereich des Ovals, wie sie Corning beschrieben hat. 
Diese Fasern haben jedoch nur lokale Bedeutung für die Funktion 
des Ovals selbst und kommen bei der hier zu behandelnden Frage 
sicher nicht in Betracht. 

In der Schwimmblase des Barsches sind also keine kontraktilen 
Elemente vorhanden. 


Silurus glanis L. 

Die Schwimmblase der Wels weicht von den bisher beschriebenen 
Formen insofern ab, als sie durch eine Scheidewand in eine links- 
und rechtsseitige Abteilung zerlegt wird. Die seitliche Trennung zeigt 
sich auf der Außenfläche deutlich durch zwei longitudinale Furchen. 
Die Scheidewand geht jedoch nicht, entgegen den vielen diesbezüg- 
lichen Literaturangaben, durch die ganze Länge der Schwimmblase, 
sondern trennt nur etwa vier Fünftel und zwar den hinteren Teil; im 
vorderen Fünftel kommunizieren beide Blasenteile; dieser Teil ıst 
durch eine leichte Einschnürung der Schwimmblase deutlich abgesetzt, 
so daß man auch von einer kleineren vorderen (ein Fünftel) und 
hinteren (vier Fünftel) Abteilung sprachen kann, wobei letztere 
wiederum in zwei seitliche Abteilungen zerfällt (Abb 3). An der 
Stelle, wo die Scheidewand vorne absetzt, entspringt im vorderen 





Abb. 3. p = Ursprungsstelle des Ductus pneumatieus. s = Scheidewand, 


Teil der Blase der kurze Ductus pneumaticus. Die Schwimmblase 
liegt außerhalb des Bauchfelles, ihre ventrale Seite ist von diesem 
überzogen und geht von da aus zu den Nieren bezw. zur Körperwand 
über. Am vorderen dorsalen Ende ist die Schwimmblase durch eine 
Reihe von Knöchelchen fest mit der Wirbelsäule verbunden; über 
diese Verbindung und deren Funktion (Webersche Knöchelchen) 
sind von Müller, Sagemehl, Jaquet, Bridge and Haddon und 
Thilo genaue Angaben gemacht worden. Querschnitte durch die 
Schwimmblasenwand in longitudinaler Richtung (siehe Abb. 4) zeigen, 
von außen nach innen gehend, einen sehr dünnen, leicht abziehbaren 
serösen Überzug, bestehend aus mehrschichtigem Plattenepithel, das 
durch lockere Bindegewebszüge mit der folgenden äußerst derben 
festen Bindegewebsschicht verbunden ist. Diese erscheint weiß und 





L. Eißele, Histologische Studien an der Schwimmblase einiger Süßwasserfische. 1395 


silberglänzend. Ihre Bindegewebsfasern laufen in dieken Bündeln ın 
der äußeren, dünneren Lage hauptsächlich längs, in der inneren dicken 
Lage zirkulär. Die letztere Querlage geht an der Stelle, wo makro- 
skopisch die Längseinschnürung der Schwimmblase sichtbar ist, die 
Scheidewand bildend, in diese über. In deren Aufbau sind dement- 





Abb. 4. Längsschnitt durch die Schwimmblasenwand von Silurus glanis L. a) Seröser 
Überzug; b)lockeres Bindegewebe; c) derb-fibröse Schicht; d) innere Membran ; 
e) innere Plattenepithellage. 


sprechend deutlich zwei getrennte parallele (ein links- und rechts- 
seitiger) Bindegewebsbeutel zu erkennen. Zu innerst folgt endlich 
das ganze Lumen auskleidend eine membranartige dünne Schicht aus 
feinen parallelen, lockeren Bindegewebszügen, denen in einfacher Lage 
ein Plattenepithel aufliegt. Die innere Membran geht auch auf die 
Scheidewand über; sie ist sehr reich an Blutgefäßen und es kommt 
besonders über der Scheidewand häufig zur Bildung von Gefäßknäueln. 
In der dicken Bindegewebsschicht laufen zahlreiche elastische Fasern. 
Muskelfasern konnte ich nirgends feststellen. 


Cypriniden. 


Ich habe die Schwimmblasen von Oyprinus carpio L., Tinca 
tinca L., Barbus barbus L. und Alburnus lucidus Heck. untersucht 
und gefunden, daß die anatomischen und histologischen Verhältnisse 
der einzelnen Arten ziemlich dieselben sind. Dies berechtigt die 
Familie der Cypriniden einheitlich zu behandeln. Sie besitzt bekannt- 
lich eine doppelte, in zwei hintereinander liegende Abteilungen ge- 
trennte Schwimmblase. Beide Abteilungen kommunizieren durch einen 
kurzen engen Verbindungsgang, den sogenannten Isthmus. An der 
Basis der hinteren Blase, kurz hinter dem Verbindungsgang, entspringt 
an der ventralen Seite der lange, enge Ductus pneumatieus, der in 
den Ösophagus mündet. Die Lageverhältnisse der Schwimmblase ent- 
sprechen denen der bereits beschriebenen Arten; die Schwimmblase 
liegt auch retroperitoneal. An der Wandung (siehe Abb. 5) lassen 
sich deutlich zwei Schichten voneinander trennen. Die äußere, sehr 


134  L. Eißele, Histologische Studien an der Schwimmblase einiger Süßwasserfische. 


derbe, silberglänzende Haut löst sich schon bei der Konservierung 
sehr leicht von der inneren dünnen durchsichtigen festen Membran. 
An der Stelle, wo die Schwimmblase mit Skeletteilen (Webersche 
Knöchelchen) verwachsen ist, löst sie sich kaum ab, so daß es schwer 
ist, diese mit gänzlich unversehrter äußerer Hülle herauszupräparieren. 
Die äußere Schicht ist dreimal so dick wie die innere. An der hinteren 
Abteilung kommt es nicht zu einer selbständigen Trennung der beiden 
Schichten; auch ist der histologische Aufbau der Blasenwand der 





Abb. 5. Querschnitt durch die Schwimmblasenwand von Barbus barbus L. a) längs- 
und 5) querverlaufende Fibrillen der e) äußeren derb-fibrösen Haut; d) innere 
Membran; darin eingelagert e) elastischer Zug; f) lockeres Bindegewebe 
zwischen den Schichten c) und d); g) zahlreiche Blutgefäße. 

beiden Abteilungen verschieden. Betrachten wir zunächst die Schichten 

der vorderen Schwimmblase: Die äußere, derbe Haut besteht aus zwei 

übereinander gelagerten Bindegewebsschichten: Die Fibrillen der 
äußeren Schicht sind in Längsrichtung gelagert, während die innere 

Lage zirkulär gerichtete Bindegewebsfasern aufweist. Die innere 

Membran der Schwimmblase zeigt eine lockere, aus parallelen Binde- 

gewebszügen bestehende Schicht, in die ein zusammenhängender Be- 

lag von welligen, elastischen Fasern und zahlreiche Blutgefäße ein- 
gelagert sind. Die Gefäßversorgung ist von Corning und Jacobs 
ausführlich beschrieben worden. Als Abschluß folgt eine Lage von 

Plattenepithel. Die hintere Blase zeigt insoferne eine andere Struktur, 

als der äußeren fibrösen Hülle eine dünne Lage glatter Muskelfasern 

aufliegt. Der von Müller und Jäger angenommene „Schließmuskel*“ 
zwischen beiden Abteilungen der Schwimmblase ist jedoch nicht 
vorhanden. Vielmehr zeigt sich auf Serienschnitten, daß der Ver- 
bindungskanal zwischen den beiden Schwimmblasenabteilungen den- 
selben Bau wie die vordere aufweist; die fibröse Hülle ist an dieser 

Stelle besonders derb und fest. Auch sind Klappen oder ähnliche 

Einrichtungen, die einen Verschluß des Kanals bewirken könnten, 

nicht vorhanden. Die hintere Blase ist unelastisch, während die vordere 

sich bei Druck auf die hintere Schwimmblase um etwa ein Drittel 
ihres Volumens erweitern kann. Die Verschiedenheit in der Elastizität 


L. Eißele, Histologische Studien an der Schwimmblase einiger Süßwasserfische. 135 


der beiden Blasenteile zeigt sich nach Jäger auch im Vakuum. Bei 
Abnahme des Luftdruckes dehnt sich die vordere Blase so stark aus, 
daß sie platzt, während die hintere ihr Volumen nahezu unverändert 
bewahrt. Die oben beschriebenen elastischen Züge ın der inneren 
Membran des vorderen Schwimmblasenabschnittes stehen somit ın 
Einklang mit diesen physiologischen Tatsachen. 

Bei den Cypriniden ist also die vordere Abteilung der Schwimm- 
blase frei von Muskulatur; sie besteht teilweise aus elastischem Ge- 
webe; die hintere Abteilung hat mehr fibrösen Charakter und besitzt 
einen dünnen Belag von glatten Muskelfasern. 


Als Ergebnis aus obigen Untersuchungen wird somit festgestellt: 

Nicht alle Schwimmblasen besitzen kontraktile Elemente. Muskulatur 
kommt nur in manchen Gattungen und Familien vor. Wo solche 
auftritt, besteht sie (mit wenigen in der Literatur beschriebenen Aus- 
nahmen, wo quergestreifte Muskulatur festgestellt wurde, die einer 
Nachprüfung bedürften, mir aber nicht zugänglich waren) aus glatten 
Muskelfasern. Die Anordnung ist nicht einheitlich und läßt kein be- 
stimmtes System erkennen. Ferner sei auf die physiologischen Eigen- 
schaften der Muskulatur hingewiesen: quergestreifte Muskulatur findet 
ihren Ansatz und Ursprung zwischen Knochen und ist vom Willen 
abhängig; glatte Muskulatur hat Ansatz und Ursprung zwischen Weich- 
teilen oder ist ringförmig angeordnet und ist vom Willen unabhängig 
(Wegener). Die gemachten Ausführungen schließen somit eine 
aktive Volumensänderung der Schwimmblase durch Muskelkompression 
ihrer Wände aus; sie bestätigen vielmehr die Auffassung Moreau- 
Baglıonı. 

Zum Schlusse möchte ich auf die viel diskutierte Funktion der 
doppelten Schwimmblase, wie sie als Charakteristikum für die Oypri- 
niden vorkommt, hinweisen. Die von Müller, Jäger und anderen 
vertretene, eingangs schon mitgeteilte Ansicht dürfte durch obige Er- 
wägungen, besonders aber durch das Fehlen eines „Schließmuskels* 
hinfällig geworden sein. Nach einfachen, mechanischen Gesetzen müßte 
verlangt werden, daß, wenn der vordere bezw. hintere Teil des Fisch- 
körpers durch Verschiebung der Luft nach der vorderen oder hinteren 
Blase steigen oder sinken sollte (z. B. wenn der Karpfen beim „Grün- 
deln“ kopfsteht), die Kommunikation der Schwimmblase mit dem 
Schwerpunkt des Fisches zusammenfallen müßte. Nach von mir aus- 
geführten Schwerpunktsbestimmungen ist dies jedoch nicht der Fall; 
dieser liegt bald vor, bald hinter der Höhe des Verbindungskanals. 
Außerdem gibt es Individuen, bei denen die ganze Schwimmblase ent- 
weder weit vor oder hinter dem Schwerpunkt des Fisches liegt 
(Deineka p. 171). Zu dieser Frage schreibt Sagemehl, daß es 
doch sonderbar wäre, warum diese anscheinend so nützliche Einrichtung 
einer doppelten Schwimmblase nicht bei einer größeren Anzahl von 
Fischen, die sich doch in statischer Beziehung gleich verhalten, durch- 


136 1. Eißele, Histologische Studien an der Schwimmblase einiger Süßwasserfische. 


geführt wäre, sondern nur einer kleinen Gruppe zukäme. Warum 
findet sich dann außerdem bei anderen Fischen (Welsen) eine Längs- 
teilung in zwei seitliche Abschnitte? Die Fische mit geteilten Schwimm- 
blasen verhalten sich ın statisch-funktioneller Beziehung genau so wie 
die Fische mit einfachen Blasen. Beim Karpfen erklärt Thilo (1908) 
den Vorteil der geteilten Schwimmblase mechanisch so, daß kleinere 
Blasen einen bedeutend stärkeren Druck aushalten, als größere bei 
“ derselben Wandstärke; sie gewähren eine günstigere Körperform. Beim 
Wels hat die Scheidewand dieselbe Bedeutung, wie die Zwischen- 
wände von Luftkissen aus Gummi und von Dampfkesseln. Sie dienen 
zur Erhalturg der flachen Form und zur Verstärkung gegen den Innen- 
druck der in ihnen komprimierten Gase. 

Nach Sagemehls Meinung besteht der Vorteil der Zweiteilung 
bei den Cypriniden darin, daß die durch veränderte Druckverhältnisse 
des umgebenden Mediums bedingte Volumenzunahme oder Abnahme 
der in der ganzen Blase enthaltenen Luft bei dem eigentümlichen Bau 
fast ausschließlich in einer entsprechenden Volumensschwankung der 
vorderen sehr elastischen Abteilung ihren Ausdruck finden wird, 
während die hintere unelastische davon kaum betroffen wird. Auf 
diese Weise würden noch Veränderungen vermittelst der W eberschen 
Knöchelehen dem Fische zur Wahrnehmung gelangen können, die, 
wenn die Elastizität der Wände eine gleichmäßige wäre, unter der 
Wahrnehmungsschwelle gelegen hätten. Daß hierdurch, wie Sage- 
mehl meint, „atmosphärische Druckschwankungen und die im Gefolge 
derselben auftretenden Wetterschwankungen“ zur Wahrnehmung ge- 
langen würden, scheint mir der Nachprüfung bedürftig. Vielmehr 
werden, wie ich glaube, dem Fisch Wasserdruckschwankungen und 
damit die Wasserhöhe angezeigt, in der er sich befindet, und es ihm 
so ermöglicht, mittelst seiner Flossen seine günstige Wasserschicht 
(plan des moindres efforts nach Moreau) aufzusuchen. 


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allg. Physiol. Bd. 10. 


Die mit * bezeichneten Werke sind mir nur aus Referaten bekannt, 


158 R. Vogel. Über die Topographie der Leuchtorgane von Phausis splendidnla Leconte. 


Über die Topographie der Leuchtorgane von Phausis 
splendidula Leconte. 


Von R. Vogel (Tübingen). 


Nachdem ich ın früheren Arbeiten die Topographie der Leucht- 
organe unserer einheimischen Lampyris noctiluca und einiger aus- 
ländischen Lampyriden klargestellt hatte, möchte ich im folgenden 
das gleiche mit unserer zweiten häufigeren einheimischen Lampyris- 
art, Phausis splendidula Leconte, versuchen. Die dritte bei uns vor- 
kommende Lampyrisart, Phosphaenus hemipterus, ıst recht selten, ich 
habe sie lebend überhaupt noch nicht gesehen. Sie ist auch weniger 
interessant, weil bei ıhr die Imagines keine besonderen Leuchtplatten 
besitzen, sondern, nach C. Verhoeff, die ım 8. Abdominalsegment ge- 
legenen, knollenförmigen lateralen Organe der Larven beibehalten. 

Leuchtorgane der Larven. Die bisherigen Angaben über die 
Topographie der kleinen paarigen, dorsolateralen Leuchtorgane der 
Larven sind verwirrend und es mag manchem sonderbar vorkommen, 
daß darüber noch keine Klarheit herrscht. Aber die Sache ist wirk- 
lich verwickelter, als man zunächst glauben möchte Kölliker 
gıbt an, die erwähnten Organe befänden sich in den ersten 6 Ab- 
dominalsegmenten, nach Bongardt und Wielowjewski sollen sie 
in allen Abdominalsegmenten mit Ausnahme des letzten vorkommen, 
während Verhoeff behauptet, den Larven kämen nur 3 Paare late- 
raler Organe zu, „eines hinter dem Metathorax, eines vor dem Ende 
des Körpers, das dritte zwischen diesen beiden Paaren nahe hinter 
dem vorderen“. Wie reimen sich diese verschiedenen Angaben? Ich 
suchte die Aufgabe nicht nur, wie die vorgenannten Autoren, am 
lebenden, leuchtenden Tier, sondern vor allem vermittels der Schnitt- 
methode zu entscheiden. Diese kann allein sichere Auskunft geben, 
da die lateralen Leuchtorgane nicht immer gleichzeitig leuchten und 
außerdem Reflexerscheinungen an dem, den Leuchtorganen benach- 
barten, mit Kristallen von harnsaurem Ammoniak angefüllten Fett- 
körper eine sichere Abgrenzung der Organe erschweren. Meine 
Studien ergaben nun, daß Köllikers, Bongardts und Wielow- 
jewskys Angaben nicht zutreffen, daß dagegen C. Verhoeffs An- 
gabe, wonach nur 3 Paare von Leuchtorganen vorhanden sind, von 
denen das vordere und hintere Paar stets die größten sind, für etwa 
?/, der Tiere gilt, das übrige Drittel hat mehr Leuchtorgane. Die 
oben bemerkte Lagenangabe Verhoeffs für die Larven mit 3 Paar 
Organen ist freilich nicht genau. Ich fand in 8 Fällen 3 Paar Leucht- 
organe und zwar ın 4 Fällen davon im 2., 5. und 6. Segment, ın 4 
weiteren Fällen im 2., 4. und 6. Segment. In 4 weiteren Fällen fand 
ich mehr als 3 Paar Organe, nämlich 3 mal 4 Paare und zwar im 2., 4., 
5. und 6. Segment. Einmal fand ich auf einer Seite sogar 5 Organe, 


R. Vogel, Über die Topographie der Leuchtorgane von Phausis splendidula Leconte. 139 


nämlich merkwürdigerweise im 1. und 3., wo man sie sonst vermißt, 
und im 4., 5. und 6. Segment. Leider verunglückte die Schnittserie 
von der anderen Seite dieses Tieres. In einigen Fällen könnte ich 
die frühere Beobachtung Köllikers, daß die Leuchtorgane unserer 
Art nicht immer streng symmetrisch angeordnet seien, bestätigen. 


Eine Erklärung für die erwähnten Unregelmäßigkeiten ın Zahl 
und Anordnung der Leuchtorgane bei der Larve von Ph. s. kann ich 
bisher nicht geben. Es bedarf umfassender, sehr zeitraubender Unter- 
suchungen, um das hier aufgedeckte Problem zu lösen. Vielleicht 
gelingt es mit Hilfe von Züchtungen, Einblick in die Sache zu er- 
langen. 


Mit dem Geschlecht scheint die verschiedene Ausbildung der 


Larvenorgane nicht zusammen zu hängen. — Die Annahme, daß es 
sich bei dem Leuchtgewebe nur um Bakterieninfektion handle, hat 
etwas Bestechendes für den vorliegenden Fall. — In neuerer Zeit tritt 


ja U. Pierantoni mit Entschiedenheit dafür ein, daß es sich bei den 
Leuchtorganen aller in Frage kommenden Tiergruppen, insbesondere 
auch bei den Lampyriden um Bakterieninfektion handle. Auch 
P. Buchner schließt sich, ‘entgegen seiner früheren Meinung, ın 


seinem kürzlich erschienenen Symbiontenwerk — wenn auch etwas 
zögernd — der Auffassung Pierantonis an, daß das Leuchtgewebe 
der Käfer auf Bakterieninfektion beruhe. — Ich habe Pierantonis 


Untersuchungen an Lampyris noctilıca 9 an gleicher Art nachunter- 
sucht!), aber mit völlig negativem Ergebnis. Weder im Ausstrich 
des Eies — das nach Pierantoni bereits die Leuchtbakterien enthalten 
soll — noch der Leuchtorgane konnte ich Bakterien nachweisen. 
Zahlreiche mit Einhalt und Leuchtgewebe auf alkalischem Agar 
(Schrägröhrchen) angelegte Kulturen blieben steril. Einige wenige 
enthielten Verunreinigungen mit Pyocyaneus und Heubazillen, welche 
vielleicht aus den Tracheen stammten. — Ich hoffe, nächsten Sommer 
(1922) die Versuche auf Phausis splendidula auszudehnen. 


Leuchtorgane der Imagines. Die Männchen besitzen große, 
kreideweiße Leuchtplatten auf der Ventralseite des 6. und 7. Ab- 
dominalsegmentes. Die Angaben, daß es sich um das 5. und 6. 
(Bongardt, Verhoeff) Segment handle, berücksichtigen nicht, daß 
das erste Abdominalsegment nur von der Dorsalseite zu sehen ist. 
Es wird während der Metamorphose ventral stark verkürzt und dicht 
an den Metathorax herangezogen, wie bei Z. noctiluca. Was wird 
nun aus den Larvenorganen bei den Männchen? Aus den Beobach- 
tungen von C. Verhoeff und V.Knoche (s. Mangold) geht hervor, 
daß die männlichen Puppen beständig mit den Larvenorganen weiter- 


1) Die bakteriologischen Untersuchungen machte ich in Gemeinschaft mit Herrn 
Dr. Lutz, Assistent am hiesigen hygienischen Institut, dem ich auch an dieser Stelle 
für seine Hilfe meinen besten Dank ausspreche. 


140 R. Vogel, Über die Topographie der Leuchtorgane von Phausis splendidula Leconte. 


leuchten. Bei den fertigen, bis auf die kreideweißen Leuchtplatten 
bekanntlich schwärzlichen Männchen scheinen diese Organe geschwun- 
den zu sein. Nur Knoche macht die bemerkenswerte Angabe, daß 
in seltenen Fällen auch beim Männchen im 1. Abdominalsegment (es 
handelt sich in Wirklichkeit um das 2.) paarige leuchtende Organe 
vorhanden seien. Ich überzeugte mich auf Schnitten davon, daß beim 
Männchen tatsächlich sämtliche Larvenorgane, wenn auch in etwas 
verändertem Zustand, erhalten sind. Die Zellen erscheinen gegen- 
über den kompakten Larvenorganen gelockerter, auch ist ıhr fein- 
körniger eososinophiler Inhalt iii so dicht wie bei jenen. Daß diese 
toteralen Organe des Männchens bisweilen leuchten, geht, wie gesagt, 
aus der Beobachtung Knoches hervor. Meistens wird das Leuchten 
dieser Organe beim g' aber wohl durch das schwarze Pigment des 
Körpers insbes. auch durch die Elytren verdeckt werden. 

Die Weibchen übernehmen die knollenförmigen Larvenorgane 
in unverändertem, funktionstüchtigem Zustand. Dazu entwickeln sich 
während der Metamorphose Leuchtplatten, und zwar eine große unpaare 
auf der Ventralseite des 7. Abdominalsegmentes, wie beim Männchen, 
und 2 kleinere, median getrennte auf der Ventralseite des 6. Ab- 
dominalsegmentes. Diese Teilung in 2 Platten ist wohl ein sekun- 
därer Zustand, abzuleiten aus dem beim Männchen bestehenden ein- 
heitlichen. In vergleichend-anatomischer Beziehung ist bemerkens- 
wert, daß sich die Leuchtplatten von Phausis splendidula wie die der 
früher untersuchten Lampyriden ı imagines nur im 6. und 7. Abdominal- 
segment entwickeln, ein Verhalten, das, wenn nicht völlige Rück- 
bildung eintritt (F Lampyris noetiluca) für alle Lampyriden imagines 
zu gelten scheint. 


Literatur. 


Literaturverzeichnis bis 1910 in: 

Winterstein: Handbuch der vergleich. Physiologie III. Bd. 2.H. Jena 1910—1Y14. 
E. Mangold: Die Produktion von Licht. 

Spätere Literatur. 

Buchner, P.: Tier und Pflanze in intracellularer Symbiose. Berlin 1921. 

Pierantoni, U.: Sulla luminosita e gli organi luminosi di lampyris noetiluca L. 
Bolletino della Societa di Naturalisti in Napoli Vol. 27. 1914. 

Ders.: La luce de gli insetti luminosi e la simbiosi ereditaria. Rend. della R. Aca- 
demia delle Seienze fisiche et matematiche di Napoli 1914. 

Vogel, R.: Zur Topographie und Entwieklungsgeschichte der Leuchtorgane von 
Lampyris noctiluca. Zool. Anz. Bd. 41. 1913. 

Ders.: Bemerkungen zur Topographie und Anatomie der Leuchtorgane von Luciola 
chinensis L. Jen. Z. f. Naturw. N. F. Bd. 50. 1921. 


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A. U. E. Aue, Besitzt der Falter von Arectia caja die Fähigkeit zu leuchten? 141 


Besitzt der Falter von Arctia caja die Fähigkeit zu 
leuchten? 
Von A. U. E. Aue, Frankfurt a. M. 

Im Jahre 1916 erschien ın Heft 5 dieser Zeitschrift eine Abhand- 
lung von Herrn Isaak, die sich mit der Leuchtfähigkeit des Falters 
des Braunen Bären, Arctia caja L., beschäftigt, und in der ausgeführt 
wird, wie dieser Falter infolge mechanischer Reizung gegen den Kopf- 
abschnitt diesen senke, so daß eine sonst kaum sichtbare grellrote 
Brille am Vorderteile des Thorax zum Vorschein komme. Hier nun 
befinden sich die Mündungen der ein leuchtendes Sekret aus- 
scheidenden Drüsen. Die Leuchtdauer sollte bei kräftigen Individuen 
bis zu 10 Sekunden betragen. 

Die Kunde von der Leuchtfähigkeit dieses gemeinen Falters hat 
nun die Runde durch zahlreiche Zeitschriften, ja selbst Tageszeitungen, 
gemacht, irgend ein Widerspruch gegen die Feststellungen lIsaaks 
sind nicht zu meiner Kenntnis gelangt. 

Im Oktober 1917 schlüpfte mir nun ein überaus lebhaftes Männ- 
chen von caja. Es begann sehr bald nach dem Schlüpfen am hellen 
Tage im Puppenkasten herumzuflattern, was für diesen Bären ziem- 
lich ungebräuchlich ist, und als ich es berührte, um es dem Kasten 
zu entnehmen, da bemerkte ich, wie rechts und lınks der Brust, also 
genau an der von Isaak bezeichneten Stelle, zwei nicht ganz linsen- 
große, kristallhelle Tropfen erschienen, die bald wieder verschwanden. 
Ich wollte nun natürlich auch das Leuchten der glücklich einmal fest- 
gestellten Tropfen beobachten, indessen gelang es mir merkwürdiger 
Weise nicht wieder, den Falter zum Heraustretenlassen der Tropfen 
zu bewegen. Auf Druck und Stoß reagierte er nur noch durch Ein- 
nehmen der Trotzstellung. Ebensowenig gelang es mir, die anderen 
damals schlüpfenden Falter, z. T. recht kräftige und lebhafte Tiere, 
zum Ausscheiden des Sekrets zu veranlassen. 

Von dem reagierenden Männchen und einem sehr kräftigen Weib 
zog ich nun sehr zahlreiche Nachkommen, deren weitaus größter Teil, 
vielleicht infolge von Vererbung, bei nur geringer Belästigung die 
Tropfen hervortreten ließ, und zwar so oft, als es mir beliebte, nicht 
nur einmal. Bei Tageslicht leuchteten diese Tropfen nun ebenso wenig, 
wie bei dem ersten Versuchsobjekt, vielmehr erschienen sie mir als 
wasserhell und farblos. Ebensowenig aber vermochte ich im Dämmer- 
licht, bei Nacht und im völlig gegen die Außenwelt abgeschlossenen 
Zimmer irgend eine Leuchtwirkung wahrzunehmen. So trat ich mit 
einem Falter, der sehr stark reagierte, ins dunkle Zimmer, reizte ihn 
hier und schaltete, als ich längere Zeit keine Leuchtwirkung wahr- 
nahm, das elektrische Licht ein. Da konnte ich gerade noch die 
Tropfen wieder verschwinden sehen. Der Falter hatte also reagiert, 
ohne indessen eine Leuchtwirkung hervorzubringen. Ähnliche Ver- 
suche habe ich damals mit einer ganzen Reihe von Faltern wohl 
10--20mal wiederholt, stets mit negativem Erfolg, soweit es das 


449 A.U.E. Aue, Besitzt der Falter von Arctia caja die Fähigkeit zu leuchten ? 


Leuchten betraf. Einmal blieb einer der Tropfen an meinem Zeige- 
finger hängen. Ich schaltete das Licht aus, konnte aber wiederum 
keine Leuchtwirkung wahrnehmen. Beim Wiedereinschalten des 
Lichtes fand ich den Tropfen noch an ' meinem Finger haftend vor. 
An die Zunge gebracht rief das Sekret ein Brenngefühl ohne eigent- 
lichen Geschmack hervor. Auch vereinzelte Falter einer späteren, 
nicht verwandten Zucht ließen wohl die Tropfen hervortreten, aber 
auch hier fehlte jede Leuchtwirkung. 

An der Hand meines reichen Materials stellte ich weiter fest, 
daß die Flüssigkeit einen penetranten Geruch ausströmte, der dem 
des Marienkäferchens (Coceinella) glich oder ähnelte, und so stark 
war, daß sechs solcher ım Giftglase abgetöteten Falter den intensiven 
Zyankaligeruch unterdrückten. 

Verkrüppelte und verdorbene Falter pflegte ich damals, nachdem 
ich sie getötet, meinem Rotkehlchen ins Bauer zu setzen, und ich 
konnte feststellen, daß der Vogel eigentlich jeden der ihm ange- 
gebotenen Falter zu zerkleinern und zu fressen versuchte. Als ich 
ihm aber solch einen mit Tropfen reagierenden Bären vorsetzte, da 
zog sich das Kehlchen unter heftigem Kopfschütteln in die andere 
Ecke seiner Behausung zurück, verhielt sich also genau so, wie wenn 
es einem Marienkäferchen zu nahe gekommen wäre. 

Nach zahlreichen Versuchen mit im Ganzen weit über 300 Faltern 
glaube ich folgendes als erwiesen ansehen zu dürfen: 

1. Die Reaktion durch Tropfen ist nur einzelnen Individuen von 
caja möglich. Dafür spricht der Umstand, daß erst eine ganz ver- 
schwindend geringe Zahl von Personen die Tropfen überhaupt wahr- 
genommen hat, wiewohl caja in Unmengen gezogen wird. Hätte 
jeder Falter die Reaktionsfähigkeit, so könnte es kaum einen Züchter 
von caja geben, dem die Tropfen fremd wären. Alle von mir be- 
fragten Züchter hatten aber die Tropfen noch nie bemerkt. 

2. Die Tropfen leuchten nicht. Wenn Herr Isaak schreibt, er 
habe das Phänomen des Leuchtens bei vielen Individuen und nach 
Belieben wiederholt hervorrufen können, so ıst mir das unerklärlich. 

Bezüglich der Aufgabe, die die Tropfen zu erfüllen haben, 
vermute ich, daß sie Feinde des Falters durch Geruch und 
Geschmack abzuschrecken bestimmt sind. Dazu bedarf es aber der 
Leuchtwirkung als weiteren Faktors kaum, wıe das Verhalten meines 
Rotkehlchens als eines gewiß klassischen Zeugen beweist. Seinem 
entrüsteten Kopfschütteln konnte man den Ekel geradezu ansehen. 

/um Schlusse möchte ich noch eines interessanten Literatur- 
hinweises Erwähnung tun, den Günther Just, angeregt durch zwei 
frühere Veröffentlichungen von mir, in dankenswerter Weise im 
32. Jahrgange der „Entomologischen Zeitschrift“ mitteilt. Danach 
wurde der Tropfen bei caja bisher von folgenden Herrn Erwähnung 
getan: Vor mehr als 100 Jahren von Degeer, danach noch von 
Paul Schulze, von Isaak, Soldanski und von mir. 


G. Jegen, Entgegnung. 145 


Entgegnung auf die von H. Nachtsheim, Berlin im Biologischen Zentralblatt, Band 41, 
Nr. 10 Seite 475 u. 476 veröffentlichte Besprechung meiner Arbeit über: 


Die Geschlechtsbestimmung bei Apis mellifica. 


Zur Orientierung über den Sachverhalt der von Nachtsheim 
einer Kritik unterworfenen Arbeit sei kurz folgendes festgestellt: 

1. Die von mir vertretene Auffassung über die Nichtzeugungs- 
fähigkeit der abnormalen Drohnen stützt sich auf zahlreich und 
sorgfältig ausgeführte Experimente, die es jederzeit gestatten, den 
Sachverhalt nachzuprüfen. Die zytologischen Beweise zu meiner Be- 
hauptung gründen sich auf heute noch vorhandene selbst hergestellte 
Präparate. Die Zuverlässigkeit meiner diesbezügl. Aussagen kann 
also auch nach dieser Seite hin bequem nachgeprüft werden. 

2. Meine Auffassung über die Samenreifung normaler Drohnen 
basiert ebenfalls auf einer großen Zahl von Präparaten, die von mir 
aufbewahrt werden und jederzeit nachgeprüft werden können. 

3. Ebenso beweisen ganze Schnittserien die Richtigkeit meiner 
Beobachtung über die Fortentwicklung der kleinern Spermatide, so- 
weit ich meine Ansicht in meiner Arbeit festgelegt habe. Auch hierin 
ist eine Durchsicht des Materials möglich. 

Dies gegen die Kritik meiner Veröffentlichung durch Herrn 
H. Nachtsheim. Den Beweis meiner ernsten und gewissenhaften 
Forschung auf dem besagten Gebiete zu erbringen, bin ıch also jeder 
zeit ın der Lage. G. Jegen. 


Referaäte. 
F. Alverdes: Rassen- und Artbildung. 


(Abhandlungen zur theoretischen Biologie, herausgegeben v. Schaxel, Heft 9). Berlin, 
Bornträger, 1921. (118 S.), M. 32.—. 

Verfasser behandelt in sechs Kapiteln die Probleme der Rassen- und Artbildung. 
Er erörtert das Zusammenspiel der inneren und äußeren Faktoren sowie den Begriff 
und das Wesen der reinen Phänovariationen, der Mutationen und der durch Faktoren- 
kombination zustandekommenden Genovariationen. In einem Schlußkapitel faßt er die 
bisherigen Ergebnisse zusammen und zeigt die Wege, die die Abstammungsforschung 
in nächster Zukunft gehen muß. Seine besondere Aufmerksamkeit wendet er der Frage 
zu, wie sich die verschiedenen Forscher mit der Hauptschwierigkeit der ganzen Ent- 
wicklungslehre abgefunden haben, nämlich mit der Tatsache, daß trotz der offensicht- 
lichen Konstanz der Arten dieselbe geleugnet werden muß. Überall betrachtet er es 
als seine vornehmste Aufgabe, zwischen Theorie und gesichertem Besitz zu scheiden, 
und die bisher gemachten Voraussetzungen auf ihre Leistungsfähigkeit hin zu prüfen. 

Das Buch ist geistreich und mit gesunder Kritik geschrieben. Uberall. versucht 
der Verfasser die Fragestellung der auftauchenden Probleme aufs äußerste zu ver- 
schärfen, und er versteht es hierdurch, die Lektüre seines Buches anregend und frucht- 
bar zu machen. Ein besonderer Vorzug des Werkes liegt ferner in dem Umstand, daß 
Verfasser mehrere wichtige skandinavische und amerikanische Arbeiten, die sonst schwer 
zugänglich sind, ausführlich herangezogen hat. Das Buch enthält sechs instruktive 
Abbildungen zur Veranschaulichung der Selektionswirkung und ein fünf Seiten um- 
fassendes Literaturverzeichnis. Siemens (München.) 


144 Ö. Correns, Referate. 


Miehe, H, Taschenbuch der Botanik, II. Teil, Systematik 2. Aufl., 114 Abbild., 768. 
Leipzig, Dr. Werner Klinkhardt, 1920. 

Dies als Heft 4 der Klinkhardtschen Kolleghefte erschienene Hilfsbuch für 
Studierende ist in der zweiten Auflage wesentlich erweitert worden, besonders was die 
Kryptogamen anbetrifft. Zahlreiche Abbildungen sind neu hinzugekommen, die alten 
Abschnitte sind sehr stark umgestaltet und den neuen Anschauungen angepaßt. Dabei 
ist der Umfang kleiner geworden, teils durch gedrängten Druck, teils durch Beschränkung 
der für Notizen bestimmten Papierflächen. Die Physiologie ist aus dem II. Teil in 
den I. verlegt worden. 

Lieske, Rudolf, Morphologie nnd Biologie der Strahlenpilze. 112 Abbild. und 

4 farbigen Tafeln. Leipzig. Gebr. Bornträger, 1921. 

Der Verf. hat auf Grund eigener, eingehender Untersuchungen nach den ver- 
schiedensten Richtungen die interessante und für den Pathologen wichtige Gruppe der 
Strahlenpilze (Actinomyceten) sorgfältig monographisch bearbeitet, wobei besonderes 
Gewicht darauf gelegt wurde, die biologische und die medizinische Seite möglichst 
gleichwertig zu gestalten. Er stellt sie zwischen Hyphomyceten und Spaltpilze, jenen 
näheren sie sich nur, während sie durch die Mycobakterien direkt in diese übergehen. 
Auf die Einzelbeobachtungen und die kritische Besprechung der Literatur soll hier 
nicht eingegangen werden. Die von ihm untersuchten 112 Sippen, „Stämme“, der 
Strahlenpilze bezeichnet Verf. vorsichtig nur mit Zahlen, weil eine Artbenennung, 
zur Zeit wenigstens, infolge der Veränderlichkeit der Stämme und des Überganges 
mancher ineinander unmöglich sei. Refer. stimmt dieser Nummerierung nicht ganz zu. 
Der Name soll doch eigentlich, wie die Zahl, nur als Verständigungsmittel dienen und ist 
unleugbar viel bequemer als diese letztere. „Ochraceus“, „cinnabarinus‘ oder 
„mutabilis“ läßt sich leichter als Bezeichnung eines bestimmten: Stammes merken als 
92, 96 und 102. Man braucht bei den Namen nur zu wissen, daß sie in der vor- 
liegenden Gruppe keine — guten oder schlechten — Arten bezeichnen sollen. 

Die Ausstattung des Werkes, dessen Erscheinen durch eine Unterstützung der 
Heidelberger Akademie ermöglicht wurde, ist ausgezeichnet, die Abbildungen, fast aus- 
schließlich Originale, und die farbigen Tafeln sind sehr gut. C. 
Molisch, Hans, Populäre biologische Vorträge. 280 S., 63 Abbild. Jena, Gustav 

Fischer, 1920. 

Eine Sammlung von 17 Vorträgen, für ein gebildetes Laienpublikum bestimmt, 
leicht verständlich und gut zu lesen. Ein großer Teil ist noch dadurch von besonderem 
Interesse, daß darin über Gebiete berichtet wird, auf denen der Verfasser selbst sehr 
eingehend gearbeitet hat (Leuchten der Pflanzen, Pflanzentreiben, Ultramikroskop, 
Erfrieren und Wärmeentwickelung der Pflanzen, Radiumwirkung u. s. w.). 

Molisch, Hans, Anatomie der Pflanze. 126 Abbild. und 144 S. Jena, Gustav 
Fischer, 1920. 

Auf den Wunsch seiner Hörer hin hat sich der Verfasser entschlossen eine „kleine 
Anatomie“ der Pflanzen zu schreiben. Bei dem Umfang von 144 Seiten kann es sich 
natürlich wirklich nur um einen Abriß handeln, aber den eines Gebietes, auf dem Verf. 
selbst sehr tätig war. Sehr anzuerkennen ist die große Zahl von Originalabbildungen. 
In einer zweiten Auflage würde besser das Bild eines Zystolithen von Freus elastica 
(Abb. 34A) durch ein gelungeneres ersetzt werden, ebenso die Parenchymzellen der 
Georginenknolle (Abb. 39) als Beispiel für Membranstreifung etwa durch das einer 
Apocyneen-Faser, weil es sich bei der Georginenknolle um Membranverdiekungen 
handelt. Die ‚direkte‘ Kernteilung kann nach den Untersuchungen Schürhoffs auch 
nicht mehr wohl durch die bekannte Abbildung Strasburgers aus dem Stengel von 
Tradescantia (Abb. 10) illustriert werden. 

Giesenhagen, K., Lehrbuch der Botanik. VIII. Aufl., 560 Textfiguren. Leipzig, 
B. G. Teubner, 1920. 

Die neue Auflage des sehr verbreiteten Lehrbuches für Studierende bedarf keiner 
besonderen Empfehlung mehr. Der Preis (18 Mk. geheftet mit 120 % Teuerungs- 
zuschlag des Verlegers) ist für das Gebotene gering. 








‘Gedruckt bei Junge & Sohn in Erlangen. 


Biologisches Zentralblatt 


Begründet von J. Rosenthal 
Herausgabe und Redaktion: 


Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. ©. Warburg 


in Berlin 
Verlag von Georg Thieme in Leipzig 
Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 28 








42. Band. April 1922. Nr. 4 








Der jährl. Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt innerhalb Deutschlands 50 Mk. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


Den Herren Mitarbeitern stehen von ihren Beiträgen 30 Sonderabdrucke kostenlos zur 
Verfügung; weitere Abzüge werden gegen Erstattung der Herstellungskosten geliefert. 











Inhalt: G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone und ihre Beziehungen zur Wundheilung, Befruchtung, 
Parthenogenesis und Adventivembryonie. Mit 9 Abb. S. 145. 
H. Schroeder, Über die Semipermeabilität von Zellwänden, 8. 172. 
St. Konsuloff, Über die Doppelatmung der Mückenlarven. Mit 3 Abb. S$. 188. 








Über Zellteilungshormone und ihre Beziehungen zur 
Wundheilung, Befruchtung, Parthenogenesis und 
Adventivembryonie. 


Von 6, Haberlandt, Berlin. 
Mit 9 Abbildungen. 


18 


Die Untersuchungen, über die ich hier zusammenfassend berichte, 
schließen sich an Kulturversuche an, die ich schon vor 20 Jahren mit 
künstlich isolierten Zellen von höher entwickelten Pflanzen angestellt 
habe. Es handelte sich mir damals darum, festzustellen, was die Zelle 
als „Elementarorganismus“ zu leisten vermag und neue Aufschlüsse 
über die Wechselbeziehungen zu gewinnen, die zwischen den Zellen als 
Elementarorganen des Pflanzenkörpers bestehen. 

Die mit mechanisch isolierten grünen Palisaden- und Schwamm- 
parenchymzellen, mit Haar- und Spaltöffnungszellen in verschiedenen 
Nährlösungen ausgeführten Versuche haben ergeben, daß diese Objekte 
oft wochenlang am Leben bleiben, auch mancherlei Wachstum zeigen, 
das sie im normalen Gewebsvetband unterlassen, daß sie aber nie- 
mals Zellteilungen eingehen. Ich schloß daraus, dab mög- 

42. Band. 10 


146 G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 


licherweise „Wuchsenzyme* im Sinne von Beijerinck bei den Tei- 
lungen eine Rolle spielen, die den Zellen erst zugeführt werden müssen. 
Die experimentelle Prüfung dieser Vermutung konnte ich erst 1912 
in Angriff nehmen. Zu diesem Zwecke stellte ich Kulturversuche mit 
kleinen plättchenförmigen Gewebsfragmenten der Kartoffelknolle 
an, die zu dem Ergebnis führten, daß in dünnen Plättchen aus dem 
Mark der Knolle die zur Wundkorkbildung führenden Zellteilungen 
fast ausnahmslos nur dann eintreten, wenn die Versuchsobjekte ein 
Leitbündelfragment enthalten; es genügt, wenn dieses aus Leptom, d.h. 
aus Siebröhren mit ihren Geleitzellen besteht. Auch in Plättchen aus 
der Knollenrinde kommt der begünstigende Einfluß des Leptoms sehr 
deutlich zur Geltung. Wurden bündellose Plättchen mittels einer dünnen 
Agarschicht auf bündelhaltige geklebt, so traten über den Leptombündeln 
der letzteren auch in den ersteren vereinzelte Zellteilungen auf. Daraus 
durfte gefolgert werden, daß aus dem Leptom ein Reizstoff, ein „Zell- 
teilungshormon‘“, in die bündellosen Plättchen hinüberdiffundierte 
und hier in Kombination mit dem Wundreiz die Zellteilungen auslöste. 
Es lag ferner nahe, anzunehmen, dab die plasmareichen „Geleitzellen“ 
die Elementarorgane dieser ‚inneren Sekretion“ sind und daß das 
Teilungshormon (vielleicht sind es auch mehrere) in den Siebröhren 
weitergeleitet wird. 

Versuche, die ich dann später mit Gewebsfragmenten der Stengel 
von Sedum spectabile, Althaea rosea und der Kohlrabiknolle (Brassica 
oleracea gongylodes) ausgeführt habe, ergaben gleichfalls die Abhängig- 
keit der Zellteilungen von den Gefäßbündeln, resp. ihren Leptomteilen. 
Noch überzeugender waren aber die Ergebnisse von Kulturversuchen 
mit kleinen Blattstückchen verschiedener Peperomia-Arten und Orassuü- 
laceen (Bryophyllum, Kalanchoe, Crassula), die von meinem Schüler 
Lamprecht angestellt wurden. Wenn man tangential gespaltene 
Blattstückchen unter gleichen Außenbedingungen kultiviert, so zeigt 
nur die bündelhaltige Lamelle Zellteilangen, nie aber die bündellose. 
Werden dagegen die beiden Lamellen mit feuchten Schnittflächen wieder 
zusammengelegt, so treten auch in der bündellosen tangentiale Zell- 
teillungen auf, zuerst über den Gefäßbündeln der anderen Lamelle, 
später auch über die ganze Wundtläche hin. Das gleiche Ergebnis hatten 
auch Transplantationsversuche. Dieselben gelangen besser auf der dem 
Leptom zugekehrten Unterseite des Blattes, woraus wieder zu folgern 
war, daß der „Zellteilungsstoff‘“ aus dem Leptom stammt. Er ist nicht 
arteigen, sondern wirkt auch zwischen verwandten Arten, bisweilen 
sogar zwischen nahe verwandten Gattungen (Bryophylium und Ka- 
lanchoe). — 

Das Hauptergebnis dieser Untersuchungen war also, daß bei den 
untersuchten Pflanzen die zur Wundkorkbildung führenden Zelltei- 
lungen fast ausnahmslos nur dann eintreten, wenn sich der Wundreiz 
mit der Einwirkung eines aus dem Leptom der Gefäßbündel stammen- 
den Reizstoffes, eines Zellteilungshormons, kombiniert. Es ist sehr wahr- 


G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 447 


scheinlich, daß dieser Satz für alle höher entwickelten Pflanzen gilt, 
soweit sie Gefäßbündel besitzen und mechanische Verletzungen mit Zell- 
teilungen beantworten. 


II. 

Meine nächste Aufgabe war nun, das Wesen des bisher so rätsel- 
haften Wundreizes, sofern er Zellteilungen auslöst, aufzudecken. 
Daß aus den verletzten Zellen stammende Stoffe „als die Ursache 
der Umwandlung der Dauerzellen in Folgemeristemzellen zu betrachten“ 
seien, ist zuerst von Wiesner vermutet worden. Schon in meiner 
Abhandlung über „Kulturversuche mit isolierten Pflanzenzellen*“ 
habe ich dann mit der Möglichkeit gerechnet, daß beim Wund- 
reiz die Zersetzungsprodukte der bei der Verletzung zerstörten Proto- 
plasten eine bedeutsame Rolle spielen könnten. Dieser Gedanke ist 
seither auch von anderen Forschern geäußert worden. Namentlich 
Küster hat ihn mehrmals vertreten; auch Tierphysiologen und Chi- 
rurgen, unter letzteren vor allen A. Bier, haben dafür verschiedene 
Beobachtungstatsachen geltend gemacht, allein ein experimenteller 
Beweis für die Richtigkeit jener Annahme wurde bis auf meine 
Untersuchungen über diesen Gegenstand nicht erbracht. 

Ich ging bei meinen Experimenten von folgender Voraussetzung 
aus. Wenn auf Wundflächen gewisse Zersetzungsprodukte der ge- 
töteten und verletzten Zellen als teilungsauslöende „Wundhor- 
mone“ fungieren, so muß es gelingen, durch ausgiebiges Abspülen 
frisch hergestellter Schnittflächen die Plasmareste der verletzten Zellen 
mehr oder minder vollständig zu entfernen und so durch Einschränkung 
oder Verhinderung der Hormonbildung die Zellteilungen unter der Wund- 
fläche der Zahl nach zu verringern oder ganz unmöglich zu machen. 
Bei den hauptsächlich mit der Kohlrabiknolle ausgeführten Ver- 
suchen wurden gewöhnlich 1—2 cm hohe Querscheiben in je drei Sek- 
toren geteilt. An zwei Sektoren wurde die obere Wundfläche unter 
der Wasserleitung 10—20 Minuten lang mittels eines kräftigen Strahles 
abgespült. An einem Sektor trug man auf die abgespülte Fläche eine 
dünne Schicht eines Gewebebreis auf, der aus der Versuchsknolle durch 
Abschaben oder Zerreiben gewonnen wurde. Der dritte Sektor blieb 
unabgespült und diente als Kontrollobjekt. Alle drei Sektoren wurden 
in einer Glasschale auf feuchtem Fließpapier kultiviert und nach 
8—10 Tagen mikroskopisch untersucht. Oft wurden auch drei Scheiben 
aus ein und derselben Knolle der gleichen Behandlung unterworfen. 

Das Ergebnis dieser Versuche war ganz klar. Unter den abge- 
spülten Wundflächen traten die Zellteilungen bedeu- 
tend spärlicher, oder wenigstens in einer geringeren 
Anzahl von Zellschichten auf, als unter den nicht ab- 
gespülten (Abb. 1A,B). Wurden aber die abgespülten Wundflächen 
mit einer dünnen Schicht von Gewebebrei überzogen, so fanden darunter 
meist ebenso zahlreiche, zuweilen sogar noch reichlichere Zellteilungen statt 

10* 


148 G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 


als unter den nicht abgespülten Flächen (Abb. 1C). Damit war die 
Wirksamkeit von Zersetzungsprodukten der getöte- 
ten Zellen als teilungsauslösende Wundhormone ex- 
perimentell bewiesen. Es ist mir freilich nach dieser Methode 
nicht gelungen, die Zellteilungen ganz zu verhindern; eine restlose Ent- 
fernung der abgestorbenen Plasmateile ist eben durch das Abspülen 
der Wundflächen nicht zu erzielen. Das war auch der Grund, weshalb 
die Versuche mit der Kartoffelknolle meist ein negatives Ergebnis 
lieferten. Die Plasmaschläuche haften hier den Zellwänden besonders 





Abb. 1. Zellteilungen unter den Wundflächen von vier Sektoren aus einer Kohlrabi- 
knolle. A Wundfläche nicht abgespült. 5 Wundfläche mit Wasser abgespült. 
© Wundfläche abgespült und mit Kohlrabibrei bedeckt. D Wundfläche abge- 
spült und mit Kartoffelbrei bedeckt. 


fest an und auch die Stärkekörner erschweren das Herausspülen der 
Plasmareste. Dazu kommt, daß sich beim Anschneiden die Interzellular- 
räume durch kapillare Saugung streckenweise mit Zellsaft und Plasma- 
teilen füllen, ein Übelstand, der sich auch bei der Kohlrabiknolle 
geltend machte. 

Besonders beweiskräftig waren die nach anderer Methode mit den 
Laubblättern verschiedener Crassulaceen (Sempervivum mon- 
tanum, Echeveria secunda, Crassula lactea und Bryophyllum crenatum) 
angestellten Versuche. Wenn man ein ausgewachsenes, aber noch jüngeres 


G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 149 


Blatt der Länge oder der Querenach durchschneidet, so treten unter 
den Wundflächen schon nach wenigen Tagen reichliche Zellteilungen 
auf. Das Abspülen der Wundflächen hat keinen Erfolg, da das Meso- 
phyli sehr locker gebaut ist und der Inhalt der angeschnittenen Zellen 
in die Interzellularen eindringt. Wenn man aber an der Blattspitze 
einen ganz kleinen Längsschnitt anbringt und dann das Blatt der 
Länge nach langsam und vorsichtig entzwei reißt, so erhält man 
bei seinem lockeren Bau relativ ebene, trockene Rißflächen; die Tren- 
nung geht ganz glatt längs der Interzellularspalten und in den Mittel- 
lamellen der Scheidewände vor sich, die Zellen werden dabei nicht ver- 
letzt. Das Ergebnis war ein überraschendes: während sich unter den 
sich bräunenden Schnittflächen die Zellen schon längst reichlich 
geteilt hatten, blieben unter den grün gebliebenen Rißbflächen die 
Teilungen vollständig aus. Nur die unmittelbar an die zerrissene Epi- 
dermis grenzenden Mesophyllizellen teilten sich manchmal. Wurden die 
Rißflächen mit Gewebesaft aus einem Blatt derselben Pflanze benetzt, 
so stellten sich wieder reichliche Teilungen ein. Benetzung mit Wasser 
blieb wirkungslos. 

Mit Crassulaceen-Blättern wurden auch Versuche angestellt, um 
zu erfahren, ob die teilungsauslösenden Wundhormone art-, gattungs- 
oder familieneigene Stoffe sind. Es ergab sich, dab Gewebe- 
säfte innerhalb der Familie oft Teilungen auslösen, während Säfte 
aus anderen Familien meist unwirksam oder schädlich sind (Abb. 1D). 
Jedenfalls herrscht kein Parallelismus zwischen Wirksamkeit der Ge- 
webesäfte und systematischer Verwandtschaft.. 

An der Bildung der auf Wundflächen so häufig auftretenden Kal- 
lusblasen, die durch bloßes Auswachsen der oberflächlichen Zellen 
entstehen, sind Wundhormone entweder unbeteiligt (Crassulaceenblätter ) 
oder ihr Einfluß auf jenen Wachstumsvorgang ist nachweisbar (Kohl- 
rabiknolle). In letzterem Falle können die Wundhormone mithin als 
Teilungshormone oder als Wuchshormone fungieren. Ob diese stofflich 
identisch oder verschieden sind, bleibt dahingestellt. 

Die chemische Natur der Wundhormone ist bis auf weiteres 
unbestimmt. Für wahrscheinlich halte ich es, dab sie in den getöteten 
oder verletzten Protoplasten durch autolytische Vorgänge entstehen. 
Wenn man abgespülte Kohlrabischeiben mit abgekochtem Gewebe- 
brei bedeckt, so treten unter den Wundflächen weit weniger Zelltei- 
lungen auf als wenn unabgekochter Gewebebrei verwendet wird. Das 
spricht dafür, daß an der Bildung der Wundhormone Enzyme beteiligt 
sind, die autolytische Prozesse einleiten. 


II. 


Eine Reihe von Versuchen wurde zu dem Zwecke angestellt, um 
einzelne Zellen und Zellgruppen hinsichtlich ihres Verhal- 
tens nach mechanischen Verletzungen zu prüfen. Als Versuchsobjekte 
wurden ein- und mehrzellige Haare, Epidermiszellen 
und die Schließzellen der Spaltöffnungen benützt. 


450 G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 


Wenn man die an den Stengelknoten von Coleus hybridus und 
Rehneltianus in Querreihen auftretenden mehrzelligen Haare mit einer 
Schere entzweischnjeidet, so geht in der Regel nicht nur die 
angeschnittene, sondern auch “lie angrenzende, unverletzt gebliebene 
Zelle des Haarstumpfes zugrunde. Nur in diesem Falle teilt sich häufig 
die nächste lebende Zelle, ohne vorher Wachstum zu zeigen, in ihrem 
apikalen Teile durch 1—4 zarte Querwände. Die Tochterzellen weisen 
kräftige Plasmakörper mit großen Zellkernen auf. Daß die Teilungen 
im apikalen Teil der Haarzelle vor sich gehen, kann der Ausdruck 
ihrer Polarität sein; es kann dies aber auch darauf beruhen, daß der 
ursprünglich weiter unten gelegene Kern vor der Teilung traumatrop 
gegen die Wunde zu wandert. Wahrscheinlich wirken beide Ursachen 
gleichsinnig. Daß auch bei diesen Teilungen Wundhormone auslösend 
wirken, geht mit großer Wahrscheinlichkeit aus der oben erwähnten 
Tatsache hervor, daß Teilung nur dann eintritt, wenn die an die ent- 
zwei geschnittene Zelle angrenzende intakte Zelle abstirbt. Die erstere 
trocknet zu rasch aus, als daß Wundhormone in genügender Menge 
gebildet werden könnten. 

Bei der Gesneracee Saintpaulia ionantha wurden die an den Blatt- 
stielen auftretenden mehrzelligen Haare durch Abreiben mit den 
Fingern mechanisch verletzt. Dabei kam es häufig vor, daß nur die 
unterste Zelle des Haarkörpers an ihrer Basis durch Querfältelung 
ihrer Außenwand beschädigt wurde, ohne danach abzusterben. Die 
verletzte Zelle teilte sich und zwar trat die Querwand jetzt im unteren 
Teil der Zelle auf, also der geschädigten Stelle genähert. Wir ent- 
nehmen daraus die für die nachfolgenden Erwägungen und Versuche 
wichtige Tatsache, daß eine ausgewachsene vegetative 
Pflanzenzelle, die nur von intakten Zellen umgeben 
ist, durch eine streng lokale mechanische Verletzung 
experimentell zur Teilung angeregt werden kann. In 
diesem Falle muß also die sich teilende Zelle das Wundhormon selbst 
produziert haben. 

Sehr mannigfaltig sind die Erscheinungen, die sich an durch Ab- 
reiben beschädigten ein- oder mehrzelligen Haaren jüngerer Blüten- 
standsachsen und Blattstiele von Pelargonium zonale beobachten lassen. 
Die Verletzung der steifen Haare tritt meist an ihrer Basis auf. Ist 
sie gering, so bleiben die Zellen am Leben und teilen sich häufig durch 
eine senkrechte oder schräge Querwand. Nicht selten kommt es nur 
zur Kernteilung. Bei stärkerem Druck der Finger sterben oft mehrere 
Zellen über der Basalzelle ab; dann teilt sich diese oft durch mehrere 
Wände. Geht auch diese oder das ganze einzellige Haar zugrunde, so 
wachsen bisweilen die angrenzenden Epidermiszellen schlauchförmig in 
das Lumen des Haares hinein; die Schläuche teilen sich dann ein- 
oder mehrere Male. Stirbt in der Basalzelle des Haares nur ein Teil des 
Protoplasmas ab, so tritt durch Bildung einer Membrankappe eine Ab- 
kapselung der am Leben bleibenden Plasmaportion samt dem Kerne 


G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 451 


ein; dieselbe kann wieder durch typische Kern- und Zellteilung mehr- 
zellig werden. — Wenn man die Spreiten junger Blätter auf ihrer 
Oberseite mit mäßigem Druck abbürstet, so wachsen die an verletzte 
Haare grenzenden Epidermiszellen fast immer zu kurzen, unregelmäßig 
gestalteten Keulenhaaren aus, die ein- oder mehrzellig sein können. 
Auch an anderen Stellen der Blattoberfläche werden einzelne Epidermis- 
zellen oder ganze Gruppen solcher zu derlei Haaren umgebildet, die 
lebhaft an Kallushaare oder auch an Erineumhaare erinnern, wie solche 
auf Ober- und Unterseite der Blätter verschiedener Pflanzen von Erio- 
phiden bewirkt werden. 

Alle diese mannigfaltigen Wachstums- und Zellteilungsvorgänge, 
die sich an Haaren und Epidermiszellen nach mechanischer Beschädi- 
gung beobachten lassen, werden nur verständlich, wenn man annimmt, 
daß in den absterbenden, aber auch in den zwar verletzten, doch am 
Leben bleibenden Zellen Wundreizstoffe entstehen, die als Teilungs- 
hormone fungieren. 


IV. 


Wenn die Entwicklungserregung der Eizelle, die zu 
ihrer Teilung führt, prinzipiell ebenso zu erklären ist, wie der Anreiz 
zur Teilung einer Dauergewebszelle oder überhaupt einer Somazelle, so 
beruht die traumatische Parthenogenesis nach mechanischer 
Verletzung der Eizelle darauf, daß in ihr Wundhormone entstehen, die 
ihre Teilung auslösen. Dieser Satz ist eine naheliegende Folgerung aus 
den Ergebnissen der vorstehend mitgeteilten Versuche. 

Bekanntlich ist es Bataillon im Jahre 1910 gelungen, reife 
Eier von Rana fusca durch Anstechen mit einer feinen Glas- oder Platin- 
nadel zur Entwicklung anzuregen und parthenogenetische Froschlarven 
aus ihnen zu züchten. Bei den höheren Pflanzen ist dieser Versuch 
schon wegen der Kleinheit der Eizellen technisch unmöglich. Vielleicht 
ist es aber gar nicht nötig, die Eizellen direkt anzustechen. Da oft 
eine Ausbreitung (des Wundreizes durch Diffusion der Wundhormone 
statthat, so könnte es genügen, durch Anstechen oder sonst eine mecha- 
nische Verletzung der Samenanlagen oder des Fruchtknotens die Bil- 
dung von Wundhormonen in der Nachbarschaft der Eizellen zu ver- 
anlassen und so traumatische Parthenogenesis auszulösen. Auch die 
Bildung von Adventivembryonen, insbesondere von Nuzellar- 
embryonen könnte auf diese Weise erreicht werden. 

Von diesem Gedanken ausgehend habe ich im Sommer und Herbst 
1921 mit Oenothera Lamarckiana eine Reihe von Versuchen angestellt. 
Die Pflanzen wurden in einem sonnig gelegenen Beet gezogen und fast 
täglich ausgiebig begossen. Die Kastrierung erfolgte durch einen Schnitt 
3—5 mm über der Röhre der Blütenknospe. Da bei Oenothera La- 
marckiana die Antheren gewöhnlich schon in der Knospe sich öffnen 
und Pollen entleeren, so mußte diese Fehlerquelle entsprechend berück- 
sichtigt werden. Sie kommt übrigens kaum in Betracht; von über 100 


452 G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 


r- 


kastrierten Vergleichsblüten lieferte nur eine einen Fruchtknoten, der 
sich etwas weiter entwickelte und erst nach einigen Wochen abfiel. 
Alle übrigen zeigten kein Wachstum, vergilbten, fielen leicht ab und 
waren nach 8—10 Tagen vertrocknet. 

Die mechanische Verletzung der kastrierten Fruchtknoten, resp. der 
Samenanlagen, erfolgte auf zweierlei Weise: die Fruchtknoten wurden 
entweder gequetscht, indem man sie zwischen Daumen- und Zeige- 
finger einen Moment lang mehr oder minder stark preßte. Oder die 
Fruchtknoten wurden mittels einer feinen Stahl- oder Glasnadel mehr 
oder minder tief angestochen. Gewöhnlich wurden 6 Stiche an- 
gebracht, zuweilen 10—12. Die Zahl der operierten Fruchtknoten jeder 
Versuchsreihe betrug 6—15 an ebensovielen Blütenständen. Jedesmal 
wurde der Kontrolle halber die benachbarte Knospe bloß kastriert. 

Die Mehrzahl der operierten Fruchtknoten ging zwar nach 1—3 
Wochen zugrunde, zeigte aber doch gegenüber den Vergleichsfrucht- 
knoten insofern ein verschiedenes Verhalten, als sie häufig länger grün 
blieben und später vertrockneten als diese. Eine wenn auch geringe 
Zahl der operierten Fruchtknoten wies aber fast in jeder Versuchsserie 
ein mehr oder minder ausgiebiges Wachstum auf. Sie wurden ein, zwei 
oder auch mehr Wochen nach der Operation an ihrer Basis abgeschnitten 
und in die Fixierungsflüssigkeit, Chromessigsäure, gelegt. Die Mikrotom- 
schnitte wurden mit Eisenhämatoxylin oder mit Gentianaviolett ge- 
färbt. 

Gequetschte Fruchtknoten überdauern die Operation in der 
Regel sehr gut, und zwar auch dann, wenn sie noch etwas jünger sind. 
Wenn man kastrierte Fruchtknoten, deren Embryosäcke sich noch im 
Zweikernstadium befinden, mäßig stark quetscht, so zeigt sich nach 
8S—14 Tagen, daß die Embryosäcke die Operation überraschenderweise 
besser überstanden haben als die Mehrzahl der Nuzelluszellen. Von 
diesen ‘sind die meisten abgestorben und kollabiert. Zwischen ihnen 
befinden sich fast immer einzelne am Leben gebliebene Zellen, die sich 
zu rundlichen Blasen. erweitern, oft reichlich Plasma und größere Zell- 
kerne besitzen und sich manchmal auch teilen. Der ganze Nuzellus ge- 
'winnt so ein unregelmäßiges traubiges Aussehen. Seine am Leben 
bleibenden Zellen erinnern lebhaft an die von Strasburger entdeckten 
nuzellaren Initialzellen der Adventivembryonen von Citrus aurantium. 
Doch habe ich ihre Weiterentwicklung zu Nuzellarembryonen ebenso- 
wenig beobachtet wie ihre Ausgestaltung zu aposporen Embryosäcken, 
die Rosenberg in den Samenanlagen einiger parthenogenetischer 
Hieracien gefunden hat. 

Sehr verschieden war das Verhalten der Embryosäcke und 
ihres Inhalts. Manche entwickelten sich ungestört weiter und zeigten 
dann den typischen Bau: zwei große, etwas gestreckte Synergiden 
mit manchmal gut entwickeltem Fadenapparat; ihnen vorgelagert die 
große, blasige Eizelle und im Zytoplasma des Embryosacks den sekun- 
dären Embryosackkern. Antipoden kommen bei Oenothera nicht vor, 


4 A 


A Pe 


G Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 153 


In einigen wenigen Fällen ließ sich bei solcher Ausbildung ein Ansatz 
zur parthenogenetischen Weiterentwicklung der Eizelle 
beobachten. Dieselbe umkleidete sich mit einer Zellmembran und nahm 
wie eine befruchtete Eizelle die charakteristische Flaschenform an, wo- 
bei der Zellkern in die kopftförmige Ausstülpung einrückte (Abb. 2, A, B). 
In einem Falle war letztere durch eine Querwand vom Suspensor ab- 
getrennt (Abb. 2C). Eine weitere Entwicklung und Teilung der eigent- 
lichen Embryoanlage wurde nicht beobachtet. Sie blieb wohl. deshalb 
aus, weil der junge Embryo, von abgestorbenen Nuzellarzellen umgeben 
und so von jeder Stoffzufuhr abgeschnitten, verhungern mußte. 

Meine Vermutung, daß zur Auslösung der traumatischen Par- 
thenogenesis einer angiospermen Eizelle die Zufuhr von Wundhor- 
monen aus ihrer Umgebung genügen müßte, hat sich also als richtig 
erwiesen, wenn auch der Erfolg des Versuchs bisher nur ein recht be- 
scheidener war. 





A 

Abb. 2. Ansätze zur parthenogenetischen Entwicklung der Eizellen in Samenanlagen 

gequetschter Fruchtknoten von Oenothera Lamarckiana. A u. B die Eizellen 

unter den Synergiden haben Flaschenform angenommen. Ü  zweizelliger 
Embryo; der Embryosack hat sich geteilt. 


9% 


Die Embryosäcke junger kastrierter und gequetschter Fruchtknoten 
konnten aber auch eine andere Entwicklung einschlagen. Manche von 
ihnen teilten sich, worauf dann die größere Tochterzelle zu einem 
sekundären Embryosack werden konnte. Solche Fälle lassen allerdings 
auch eine andere Deutung zu: unter dem Einfluß des Wundreizes 
könnte sich von den vier Tochterzellen, in die die Embryosackmutter- 
zelle zerfällt, außer der, die normalerweise zum Embryosack wird, 
auch noch eine zweite weiter entwickeln und so eine Teilung des Em- 
bryosackes vortäuschen. Derartiges dürfte tatsächlich vorkommen, doch 
ist nicht zu bezweifeln, daß sich manchmal der junge Embryosack tat- 
sächlich teilt (Abb. 2C). In einem Falle waren in dem der Mikropyle 
zugekehrten Ende des Embryosacks mehrere gleichartige „vegetative“ 


154 G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 


Zellen entstanden, von denen die oberste zweikernig war. Die Aus- 
bildung eines Eiapparates unterblieb hier gänzlich. Ich möchte das 
derart entstandene Wundgewebe als „Wüundendosperm“ be- 
zeichnen. Wir werden ein solches später auch bei einigen Kompositen 
kennen lernen. — 

Wenn man jüngere oder ältere Fruchtknoten von Oenothera La- 
marckiana mehrere Male mit einer Nadel ansticht, so treten an 
den Wundflächen aber auch noch in geringerer oder größerer - Ent- 
fernung von diesen mannigfache Kalluswucherungen auf, die 





Abb. 3. 4A Nuzelluszellen, die sich blasig in den Embryosack einer angestochenen 
Samenanlage von Oenothera Lamarckiana vorgewölbt haben. B Querschnitt 
durch den Embryosack einer angestochenen Samenanlage eines nicht kastrierten 
Fruchtknotens; papillöse Vorwölbung der Nuzelluszellen; rechts Anlage eines 
Nuzellarembryo. 


die Gestalt einzelliger Blasen, verzweigter mehrzelliger Haare mit 
keulenförmigen Auswüchsen, oder rundlicher, unregelmäßig gestalteter 
Gewebepolster besitzen. Sie treten nicht nur an den Innenseiten 
der Fruchtknotenwände, an den Scheidewänden und Plazenten auf, sondern 
auch an verletzten Samenanlagen. Sowohl die beiden Integu- 
mente, wie auch der Nuzellus, können solche Wucherungen bilden. Wenn 
nun diese Kallusblasen, -haare oder -polster vom Nuzellus aus in den 
Embryosack hineinwachsen, so werden sie in der Regel plasmareich, 
sroßkernig und nehmen zuweilen die Gestalt von monströsen oder auch 
typisch gestalteten Adventivembryonenan. Es gibt dann mancher- 
lei Übergänge von einzelligen Blasen (Abb. 3), die sich nicht weiter ent- 


G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 155 


wickeln, und sonderbar gestalteten mehrzelligen Haaren von embryo- 
nalem Charakter (Abb. 4A) bis zu Gebilden, die man bereits als mon- 
ströse Embryonen ansprechen darf (Abb. 4B). Den Schluß der Reihe 
bilden typische Embryonen mit einem ein- oder zweizelligen Suspensor 
und regelmäßiger Quadranten- und Oktantenteilung (Abb. 5). Natür- 
lich wurde bei der Untersuchung auf den Zusammenhang dieser Nuzellar- 
embryonen mit dem Nuzellusgewebe besonders geachtet, um ihre Ent- 
stehungsweise vollkommen sicherzustellen. 





Abb 4. A in den Embryosack einer angestochenen Samenanlanlage hineingewachsenes 
Nuzellushaar; rechts einzellige Blase. B montröser Nuzellarembryo, Suspensor 
blasig, plasmareich. Eigentlicher Embryo plasmaarm, abgestorben. 


Nicht nur der Nuzellus, auch das innere Integument der Samen- 
anlage kann Wucherungen bilden, die das Nuzellusgewebe durchbrechend 
polsterförmig in den Embryosack hineinwachsen. Sie nehmen gleich- 
falls embryonalen Charakter an und lassen an ihrer Oberfläche die höcker- 
förmigen Anlagen von Integumentembryonen erkennen. 

Die besprochenen Entwicklungsvorgänge stellten sich nur in Samen- 
anlagen ein, die von der Nadel direkt, doch nicht zu stark, verletzt 
worden waren. Da nun jeder Fruchtknoten nur 6-12 mal angestochen 
wurde, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß eine Samenanlage. von der 


156 G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 


Nadel richtig getroffen wurde, sehr gering gewesen. Dementsprechend 
gingen die meisten kastrierten und angestochenen Fruchtknoten, vom 
Ansatz zur Parthenokarpie abgesehen, zugrunde, ohne in ihrem Em- 
bryosäcken etwas besonderes zu zeigen. Typische Adventivembryonen 





Abb. 5. Zwei Nuzellarembryonen, die im Embryosack einer angestochenen Samenan- 
lage von Oenothera Lamarckiana einander gegenüber entstanden sind. 


traten nur sehr selten auf. Ich fand nur zwei, und zwar in ein und 
demselben Embryosack, die diese Bezeichnung vollauf verdienten. Mon- 
ströse Embryonen waren dagegen relativ häufiger. Parthenogenesis 
wurde überhaupt nicht beobachtet, auch nicht ein Ansatz dazu. Bei 
der Wiederholung dieser Versuche wird also vor allem die Anstich- 


G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 457 


methode zu verbessern sein; es wird den Fruchtknoten mit viel feinerer 
Nadel eine größere Anzahl von Stichen beigebracht werden müssen, 
um die Aussicht, daß eine größere Anzahl von Samenanlagen erfolg- 
reich verletzt wird, zu erhöhen. Auch wird es sich empfehlen, die 
Blüten nicht zu Kastrieren, sondern die Narbe mit nur wenigen Pollen- 
körnern zu belegen, da gewisse Erfahrungen, die ich erst gegen das 
Ende meiner Versuche gemacht habe, es wahrscheinlich' erscheinen lassen, 
daß der Bestäubungs- resp. Befruchtungsreiz die Ausbildung von Ad- 
ventivembryonen in angestochenen Fruchtknoten begünstigt. 

In den Embryosäcken verletzter Samenanlagen mit Nuzellushaaren 
und Nuzellarembryonen kommt es zur Entwicklung eines partheno- 
genetischen Endosperms mit haploiden Kernen. Die Adventiv- 
embryonen dagegen besitzen, wie zu erwarten war, diploide Kerne. 
(Bei Oenothera Lamarckiana und anderen Arten beträgt die haploide 
Chromosomenzahl 7, die diploide 14. Diese Zahlen gelten auch für 
meine Versuchspflanzen.) — 

Die Kalluswucherungen, die in Form von Blasen, Haaren und 
Gewebepolstern in die Embryosäcke angestochener Samenanlagen hinein- 
wachsen, werden zweifellos durch Wundhormone ausgelöst .Daß sie aber 
die Tendenz zeigen, einen embryonalen Charakter anzunehmen, ja zu 
wirklichen Embryonen zu werden, ist sicher nur dem besonderen Ein- 
fluß zuzuschreiben, dem jene Wucherungen im ‘'Embryosack unterliegen. 
Ein solcher Einfluß ist schon von verschiedenen Forschern, wie Stras- 
burger, Pfeffer u. a. angenommen worden. Es kann wohl nicht 
zweifelhaft sein, daß es sich um eine chemische Beeinflussung handelt, 
die, um mit Sachs zu sprechen, von besonderen „embryobildenden 
Stoffen“ ausgeht, welche im Embryosack enthalten sind. Von welchen 
Zellen des Embryosackes diese hypothetischen Reizstoffe gebildet wer- 
den, ist völlig ungewiß. Vielleicht werden sie übrigens dem Embryo- 
sack von der Chalaza her zugeführt. 

Die experimentelle Erzeugung von Adventivembryonen bei Oeno- 
Ihera Lamarckiana wirft natürlich auch ein Licht auf das Zustande- 
kommen der natürlichen Adventivembryonie. Einen inter- 
essanten Übergang zu dieser hat Cunningham bei Fieus Roxburghü 
Wall. entdeckt. Ein Insekt, eine Eupristis-Art, übernimmt hier die 
Rolle des Experimentators und sticht, in die weiblichen Rezeptakeln 
eindringend, mit seiner Legeröhre zahlreiche Fruchtknoten an; es sucht 
seine Eier abzulegen, was ihm hier freilich mißlingt. Der Erfolg ist 
die Entwicklung von Nuzellarembryonen. Wenn auch das Insekt mit 
Pollen beladen ist, so wird doch dieser beim Eindringen in die weib- 
lichen Rezeptakel fast völlig abgestreift. Der Bestäubungsreiz kann es 
somit nicht sein, der die Entwicklung von mehreren tausend Samen 
mit Nuzellarembryonen auslöst. Mit Recht macht Cunningham die 
zahllosen Insektenstiche dafür verantwortlich. Er denkt dabei an 
einen durch sie bewirkten vermehrten Nahrungszufluß, während von 
mir die Wundhormone zur Erklärung herangezogen werden. Der Nah- 


158 G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 


rungszufluß ist dann die Folge, nicht die Ursache der Anlage von 
Nuzellarembryonen. 

Bei der natürlichen habituellen Adventivembryonie 
spielen meines Erachtens Nekrohormone dieselbe Rolle wie bei der 
künstlichen die Wundhormone. Unter „Nekrohormonen“ verstehe 
ich als Reizstoffe fungierende Zersetzungsprodukte von Zellen, die nicht 
infolge einer äußeren Verletzung, sondern spontan aus inneren uns un- 
bekannten Gründen absterben. Die Art und Weise, wie manche Nuzellar- 
embryonen angelegt werden, erinnert in der Tat an die Entstehung ge- 
wisser Wundgewebe, flacher Kalluswucherungen und einzelner Kallus- 
blasen. Wenn man die Literatur über Nuzellarembryonie seit Stras- 
burgers Untersuchungen durchsieht, findet man immer wieder An- 
gaben über ein Absterben und Auflösen des Eiapparates, der Antipoden 
und eines Teiles des Nuzellargewebes, das der Bildung der Adventiv- 
embryonen vorausgeht. Daß in manchen Fällen, so nach Strasburger 
bei Funkia ovata und Nothoscordum [ragrans, nach Ganong bei Opun- 
fia vulgaris und wahrscheinlich auch bei Citrus aurantium, die Ausbil- 
dung von Nuzellarembryonen an die Bestäubung, vielleicht auch an die 
Befruchtung geknüpft ist, hängt wahrscheinlich damit zusammen, daß 
vom Pollenschlauch, bezw. der befruchteten Eizelle, ein Reiz ausgeht, 
der die Weiterentwicklung der Samenanlage auslöst. Nur in diesem Falle 
finden die Nuzellarembryonen, die unter dem Einfluß von Nekrohor- 
monen angelegt werden, die günstigen Bedingungen für ihre wei- 
tere Entwicklung. Bei Caelebogyne ilieifolia, Euphorbia duleis nach 
Hegelmaier, Aanthoxylum Bungei nach Longo ist aber Bestäu- 
bung zur Ausbildung der Adventivembryonen nicht notwendig. Der 
von diesen auf die Samenanlagen ausgeübte Reiz ist intensiv genug, 
um ihre Weiterentwicklung herbeizuführen. 


V. 


So wie bei der Adventivembryonie sind nach der von mir ver- 
tretenen Auffassung auch bei der natürlichen Parthenogene- 
sis Nekrohormone als wirksam anzunehmen. Sie lösen die Entwick- 
lung der unbefruchteten Eizelle aus und regen sie zur Teilung an. Diese 
Nekrohormone müssen der Eizelle aus ihrer Umgebung zugeführt werden. 

Die parthenogenetischen Eizellen der Pflanzen besitzen bekanntlich 
diploide Kerne. Strasburger setzt sie deshalb gewöhnlichen vege- 
tativen Körperzellen gleich und nimmt an, daß sie keines weiteren 
Reizes mehr bedürfen, um sich zu 'teilen und weiter zu entwickeln. 
Die Unhaltbarkeit dieser Annahme ist von H. Winkler überzeugend 
dargetan worden. Die Entwicklungsfähigkeit einer Zelle ist unabhängig 
davon, ob sie den einfachen oder doppelten Ohromosomensatz besitzt. 
Wenn sich die diploide Eizelle parthenogenetisch weiter entwickelt, 
so bedarf sie dazu ebensosehr eines bestimmten Anreizes, wie die haplo- 
ide befruchtungsbedürftige Eizelle. Dieser Reiz wird, wie erwähnt, 
durch Nekrohormone ausgeübt. 


Ban, 
N y ve “ 


G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 459 


Um die Richtigkeit dieser Annahme zu prüfen, habe ich aus der 
ziemlich großen Anzahl habituell parthenogenetischer Pflanzen einige 
ausgewählt und in zytologischer Hinsicht genauer untersucht. 

Zunächst sollen die Ergebnisse besprochen werden, die die Unter- 
suchung einiger Kompositen geliefert hat. 

Von Raunkiaer wurde bekanntlich mittels der Kastrations- 
methode gezeigt, daß verschiedene Taraxacum-Arten parthenogenetisch 
sind. Die Embryonen gehen, wie Kirchner zeigte, aus Eizellen her- 
vor, die, da die Reduktionsteilung unterbleibt, nach Juel diploid sind. 
Bei Taraxacum offieinale wird, wie bei anderen Kompositen, der Em- 
bryosack nach Resorption des Nuzellus von der innersten Zellage des 
Integuments begrenzt, die aus radial gestreckten plasmareichen, grob- 
kernigen Zellen besteht und als Tapetenschicht oder Epithel be- 
zeichnet wird. Sie kommt auch in anderen Pflanzenfamilien vor; ihre 
Funktion ist unbekannt. Während nun bei den amphimiktischen, befruch- 
tungsbedürftigen Cichorieen, wie Lactuca perennis, Mulgedium alpinum, 
Sonchus oleraceus, Hypochaeris radicata die Tapetenzellen vor der Be- 
fruchtung noch sämtlich am Leben sind und keinerlei Desorganisations- 
erscheinungen zeigen, sterben sie bei Taraxacum offieinale zum groben 
Teil schon frühzeitig ab, besonders neben der unteren Hälfte des Em- 
bryosacks. Schon im Vierkernstadium des letzteren lassen sich stark 
geschrumpfte, von den benachbarten Zellen zusammengedrückte des- 
organisierte Tapetenzellen mit ihrem intensiv tingierbaren, homogenen, 
stark lichtbrechenden Inhalt beobachten (Abb. 6). Daß es hauptsäch-. 
lich die absterbenden Tapetenzellen sind, welche die Nekrohormone 
liefern, kann meines Erachtens um so weniger zweifelhaft sein, als die 
beiden langgestreckten Synergiden zur Zeit, als sich die Eizelle teilt, 
noch keine Veränderung zeigen. Die Antipoden sind freilich schon 
desorganisiert, doch ist dies auch bei amphimiktischen Cichorieen der 
Fall. 

Auch verschiedene Arten der Gattung Hieracium, die den Unter- 
sattungen Pilosella und Archieracium angehören, sind, wie Raun- 
kiaer und Ostenfeld mittels ‘der Kastrationsmethode nachgewiesen 
haben, parthenogenetisch. Rosenberg hat dann die merkwürdige Tat- 
sache festgestellt, daß bei H. flagellare, excellens und aurantiacum eine 
Zelle des Nuzellus oder der Chalazaregion oder des Integuments zu 
einem „aposporen‘“ Ersatzembryosack heranwächst, der den degenerieren- 
den Nuzellus samt seiner Makrosporentetrade, bezw. den typischen Em- 
bryosack, verdrängt und einen normalen Eiapparat mit diploider Eizelle 
und Synergiden, sowie auch Antipoden und Endosperm ausbildet. 
Außer diesen aposporen Embryosäcken werden aber bei H. flagellare, 
noch häufiger bei H. excellens auch typische Embryosäcke mit haploiden 
Eizellen gebildet. 

Bei der Nachuntersuchung von H. flagellare und aurantiacum, Wo- 
bei ich die Angaben Rosenbergs im wesentlichen bestätigen Konnte, 
richtete ich mein Augenmerk hauptsächlich auf eventuelle Absterbe- 


160 G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 


und Desorganisationserscheinungen. Schon bei der Anlage des apo- 
sporen Embryosacks stellen sich solche Vorgänge ein, sei es, daß der 
typische Embryosack frühzeitig abstirbt, oder daß sich in seiner Nach- 





Abb. 6. Abb. 7. 


Abb. 6. Junger Embryosack von Taraxacum offieinale. Von seinen 4 Kernen sind 
3 in Teilung begriffen. Mehrere Zellen der Tapetenschicht sind bereits abge- 
storben. 

Abb. 7. A Embryosack von Hypochaeris radicata mit Wundendosperm. B oberer 
Teil dieses Embryosacks stärker vergrößert. Die Membrankappe, die das abge- 
storbene Protoplasma des Embryosackes vom lebenden trennt, ist mit Poren- 
kanälen versehen. 


barschaft der absterbende Nuzellus oder degenerierte Taapetenzellen be- 
finden. Für die Entwicklungserregung der parthenogenetischen Eizelle 
kommen außer den beiden schon frühzeitig degenerierenden Synergiden 


@. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 161 


hauptsächlich der typische Embryosack mit seinem nekrotischen Inhalt 
und ferner wie bei Taraxacum die in großer Zahl schon sehr früh ab- 
sterbenden Tapetenzellen in Betracht. — Bei einer befruchtungsbedürf- 
tigen Form von H. umbellatum aus dem Subgenus Archieracium waren 
zur Zeit der Eireife außer den Synergiden auch die Tapetenzellen fast. 
ausnahmslos noch am Leben. Nur in der Ohalazagegend waren einzelne 
abgestorbene Protoplasten zu sehen. Auch bei den Hieracien ist also 
in bezug auf den fraglichen Punkt, soweit meine Untersuchungen rei- 
chen, der Unterschied zwischen -amphimiktischen und apomiktischen 
Formen sehr auffallend. 

Bei den untersuchten Kompositen ließen sich hin und wieder zwei 
merkwürdige Erscheinungen beobachten, die von demselben Gesichts- 
punkte aus zu betrachten sind wie die Entwicklungserregung der par- 
thenogenetischen Eizellen. Es ist das die Bildung von Wundendo- 
sperm und von Endospermembryonen. 

In einer abnormen Samenanlage von Hypochaeris radicata mit zwei 
nebeneinander gelagerten, aber durch eine dünne Schleimzellschicht von- 
einander getrennten Embryosäcken zeigte der eine den typischen In- 
halt, der andere dagegen wies in seinem der Mikropyle zugekehrten 
schlanken Ende eine kleine abgestorbene Plasmapartie auf (Abb. 7). 
Das lebende Plasma des Embryosacks hatte sich ihr gegenüber mittels 
einer dicken, von einigen Porenkanälen durchzogenen Membrankappe 
abgekapselt. Es enthielt 15 große Zellkerne, die alle gleich beschaffen 
waren und typischen Endospermkernen glichen. Weder ein Eiapparat 
noch Antipoden waren vorhanden. Es kann wohl keinem Zweifel unter- 
liegen, dab hier im Prinzip dieselbe Erscheinung vorliegt, wie bei dem 
oben erwähnten experimentell hervorgerufenen Wundendosperm von 
Oenothera Lamarckiana, und so mag denn auch in diesem Falle von 
„Wundendosperm“ gesprochen werden, obgleich ja das Teilungshormon 
kein Wund-, sondern ein Nekrohormon gewesen ist, das durch die Poren 
in die Membrankappe hindurchdiffundierte. Doch auch der Vergleich 
mit den eingekapselten Plasmaportionen mechanisch verletzter Pelar- 
gonium-Haare liegst nahe, die sich ja gleichfalls mehrere Male teilen 
können. 

Ein zweiter Fall von Wundendospermbildung wurde in einem 
typischen Embryosack von Hieracium flagellare beobachtet (Abb. 8). 
Im obersten Teil desselben war wieder das Protoplasma abgestorben. 
Hier hatten sich "hintereinander mehrere halbmondförmige Zellulose- 
kappen gebildet, an die sich unregelmäßige Zelluloseschollen anreihten. 
Im lebenden Teil des Zytoplasmas des Embryosacks fanden sich zahl- 
reiche Endospermkerne vor, zwischen denen im unteren Teil des Sacks 
auch schon Zellwände auftraten. Besonders auffallend war aber der 
frei im Plasma liegende wenigzellige Adventivembryo, der also 
nicht etwa ein Nuzellarembryo war, sondern sich zweifellos aus einer 
Endospermzelle entwickelt hatte. Solche Endospermembryonen, die übri- 
gens schon Rosenberg auffielen, habe ich in typischen wie aposporen 

42, Band in) 


4162 G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 


Embryosäcken nicht selten beobachtet. Meist waren es kugelige oder 
birnenförmige Zellkörper, zuweilen mit der Andeutung eines Suspen- 





Abb. 8. 
Abb. 8. Embryosack von Hieracium flagellare mit Wundendosperm und einem Endo- 
spermembryo. 


Abb. 9. Eizelle von Marsilia Drummondii. Darüber die abgestorbene Halskanal- 
und Bauchkanalzelle. Die letztere ist bei der Fixierung von der Plasmabrücke 
im Loch der Scheidewand abgerissen. 

sors. Sie kamen auch neben echten BEiembryonen vor, scheinen aber 

nicht lange am Leben zu bleiben. Ihre Existenz verdanken sie meines 


G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 163 


Erachtens einerseits dem Auftreten von Nekrohormonen, andererseits 
dem von „embryobildenden Stoffen“ im Embryosack. 

Es dürfte sich verlohnen, auch noch andere Angiospermen mit 
somatischer (diploider) Parthenogenesis in bezug auf die Produktion 
von Nekrohormonen in der Umgebung der Eizelle zu untersuchen. 

Unter den Pteridophyten ist die stark polymorphe Marsilia Drum- 
mondii A. Br., wie zuerst W. R. Shaw feststellte, häufig parthenor 
genetisch. Die von Strasburger untersuchten Formen waren es 
durchaus und da bei ihnen die Reduktionsteilung ausblieb, besaßen sie 
diploide Eizellen. Bei Betrachtung der Strasburgerschen Abbil- 
dungen fiel mir auf, dab in manchen Prothallien zwischen der Bauch- 
kanal- und der Eizelle eine Zellwand ausgespannt ist, die sich gegen 
die Mitte zu allmählich verdickt und hier ein ziemlich großes Loch 
aufweist. Durch dieses Loch hindurch steht die abgestorbene Bauch- 
kanalzelle mittels einer Plasmabrücke mit der Eizelle in Verbindung. 
Oft ist diese Brücke infolge der Fixierung entzwei gerissen. Stras- 
burger läßt diese sonderbare Struktureigentümlichkeit im Texte seiner 
Abhandlung unerwähnt. Da sie mich natürlich sehr interessieren mußte, 
habe ich Herrn Prof. Fitting in Bonn gebeten, mir die Stras- 
burgerschen Präparate behufs einer Nachuntersuchung zur Verfügung 
zu stellen. Er ist diesem Wunsche in dankenswerter Weise nachge- 
kommen. 

Die Art und Weise wie bei Marsilia Drummondii die Kanalzellen 
ausgebildet sind und sich an die Eizelle anschließen, ist sehr verschieden. 
Außer der Halskanalzelle werden eine oder zwei Bauchkanalzellen ge- 
bildet, die der Eizelle entweder flach aufsitzen oder sich tief in sie 
hineinwölben. Im ersteren Falle ist die oben erwähnte Scheidewand 
mit ihrem zentralen Loch vorhanden, in dem die Plasmabrücke die un- 
mittelbare Verbindung der abgestorbenen, meist intensiv tingierten Bauch- 
kanalzelle mit der Eizelle herstellt (Abb. 9). Hier können also die in 
dieser entstandenen Nekrohormone direkt in die Eizelle hinüberdiffun- 
dieren und diese zur Teilung anregen. Dieser Vorgang scheint seinen 
sichtbaren Ausdruck in der längsfaserigen Struktur der Plasmabrücke 
zu finden, sowie in einem zarten Fibrillensystem, das sich mehr oder 
minder deutlich vom Loch in der Scheidewand im oberen Teil der 
Eizelle radial ausbreitet. Daß der Fibrillenverlauf die Bahnen angibt, 
in denen sich die Nekrohormone in der Eizelle verteilen, wird um so 
wahrscheinlicher, als ähnliche Strukturen, denen eine analoge Bedeu- 
tung zugeschrieben wird, auch sonst in pflanzlichen und tierischen 
Zellen nicht selten vorkommen. Es sei hier an den bekannten ‚Faden- 
apparat“ der Synergiden und an die fibrillären Plasmastiele gewisser 
tierischer Eier, so bei Aktinien und Nematoden erinnert, für die R. und 
O0. Hertwig eine stoffleitende Funktion behufs Ernährung der Eier 
als wahrscheinlich betrachten. 

Es ist nicht anzunehmen, daß das Loch in der Scheidewand zwischen 
Bauchkanal- und Eizelle mit seiner Plasmabrücke eine Anpassung zum 

Jule 


164 | G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 


Zwecke des erleichterten Durchtritts der Nekrohormone darstellt. Es 
ist vielmehr von vornherein wahrscheinlich, daß hier ein Funktions- 
wechsel vorliegt und daß jenes Loch ursprünglich als „Mikro- 
pyle“ im Sinne der Zoologen zum Durchtritt des Spermatozoids ge- 
dient hat. In der Tat habe ich bei der amphimiktischen Marsilia vestita 
dieselbe Scheidewand mit dem Loch in der Mitte vorgefunden und in 
einem Präparate unmittelbar unter dem Loch im „Empfängnisfleck“ das 
schraubenförmige Spermatozold. — 

Schon oben wurde erwähnt, daß sich die Bauchkanalzellen bei 
Marsilia Drummondii auch mehr oder minder tief in die Eizelle hinein- 
wölben können. In diesem Falle ist nur eine schwach verdickte Scheide- 
wand ohne Loch, aber mit einem großen flachen Tüpfel, oder nur eine 
zarte Wand oder auch gar keine vorhanden. Die Nekrohormone diffun- 
dieren dann jedenfalls ohne Schwierigkeit in die Eizelle hinüber. 

Wie die so verschiedene Art des Anschlusses der Bauchkanalzellen 
an die Eizelle zu erklären ist, muß hier dahingestellt bleiben. Doch 
kann als wahrscheinlich bezeichnet werden, daß M. Drummondii ein 
Bastard ist. | An 

Im Vorstehenden habe ich nur die unmittelbare Ursache der 
Entwicklungserregung parthenogenetischer Eizellen erörtert. Über die 
tiefer liegende primäre Ursache, die bei den Angiospermen ver- 
schiedene Teilprozesse im Gefolge hat, wird damit nichts weiter 
ausgesagt. Diese Teilprozesse sind die häufige Degeneration des Pollens, 
das Unterbleiben der Reduktionsteilung und im Zusammenhang damit 
die Diploidie der Eizellen und das frühzeitige Absterben von Zellen in 
der Umgebung der Eizellen. Diese Störungen sind sicherlich die Folge 
einer einzigen Grundursache; man wird kaum fehlgehen, wenn man 
sie auf Stoffwechselstörungen im weitesten Sinne des Wortes 
zurückführt, die sich in der empfindlicheren generativen Sphäre des 
Organismus früher einstellen als im Bereich der vegetativen Organe 
und Gewebe. Worauf dann wieder diese Stoffwechselstörungen beruhen, 
ist schwer zu sagen. Man wird vielleicht geneigt sein, mit Ernst u.a. 
Bastardierung für sie verantwortlich zu machen, durch die Idioplasmen 
miteinander vereinigt werden, die nicht ganz harmonisch zusammen- 
wirken. Doch können erbliche Stoffwechselstörungen auch auf andere 
Weise zustande kommen. Ich erinnere nur an die von Oorrens bei 
Mirabilis Jalapa entdeckte, nach den Mendelschen Regeln erbliche 
Blattkrankheit ,„Sordago“, ferner an manche Stoffwechselkrankheiten 
des Menschen. — 

Ob und inwieweit die hier vorgetragene Ansicht über die unmittel- 
bare Ursache der pflanzlichen Parthenogenesis auch für parthenogene- 
tische Tiere gilt, wird von Zoologen näher zu prüfen sein. Vielleicht 
geben genauere Untersuchungen über das Verhalten der Richtungs- 
körper parthenogenetischer Eier gewisse Aufschlüsse. Bei den par- 
thenogenetischen Blattwespen und Schlupfwespen könnten von den 
pflanzlichen oder tierischen Wirten gelieferte Reizstoffe, die vielleicht 


G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 165 


Wund- oder Nekrohormone sind, parthenogenesisauslösend wirken. Ahn- 
liches ist ja bereits von anderen Forschern, so von van Rossum 
und Winkler vermutet worden. 


VI. 


Es ist nur konsequent, wenn wir die auf Grund von Beobachtungs- 
tatsachen gewonnenen Vorstellungen über die unmittelbaren Ursachen der 
traumatischen und natürlichen Parthenogenesis auch auf die Ent- 
wicklungserregung der befruchtungsbedürftigen Ei- 
zelle übertragen. Es wird demnach anzunehmen sein, daß sich die be- 
fruchtete Eizelle deshalb teilt, weil sie beim Eindringen des Sperma- 
tozoons, bezw. des Spermakerns, mechanisch verletzt worden ist und 
teilungsauslösende Wundhormone gebildet hat. Wir bewegen uns aber 
noch innerhalb des hier entwickelten Gedankenkreises, wenn wir er- 
sänzend hinzufügen, dab in manchen Fällen vielleicht auch Abbaupro- 
dukte von Plasmateilen des in die Eizelle eingedrungenen Spermatozoons 
oder vom entleerten Pollenschlauchinhalt als entwicklungserregende 
Nekrohormone dienen oder daß das Spermatozoon Stoffe ausscheidet, 
die das Plasma der Eizelle schädigen und so zur Bildung von Teilungs- 
hormonen Veranlassung geben. 

Es fragt sich nun, ob aus den Vorgängen bei der Befruchtung und 
aus dem Verhalten der männlichen und weiblichen Geschlechtszellen 
bei Pflanzen und Tieren Argumente zugunsten dieser Hypothese ab- 
geleitet werden können. | 

Schon Bataillon hat angenommen, daß bei der normalen Be- 
fruchtung das in das Ei k*indringende Spermatozoon dieselbe Rolle 
spielt wie bei der traumatischen Parthenogenesis die Nadel und später 
haben diesen Vergleich auch OÖ. Hertwig u. a. gezogen. Natürlich 
akkomodierte sich dann die Erklärung der Entwicklungserregung durch 
Befruchtung der Art der Erklärung der traumatischen Parthenogenesis. 
Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, daß dieser Vergleich in allen 
Fällen richtig sein wird, in denen das Spermatozoon mit einem scharfen 
Spitzenstück als Perforatorium sich aktiv in die Eizelle einbohrt. Da 
kommt es sicher mindestens zu einer Verletzung der Plasmahaut der 
Eizelle und wohl auch noch (der angrenzenden Zytoplasmapartien, sofern 
dieselben eine bestimmte Struktur aufweisen. Wenn auch entsprechend 
der geringfügigen Verletzung die Menge der erzeugten Wundhormone 
eine sehr kleine sein wird, so ist doch nicht zu vergessen, daß manche 
Hormone schon in minimalster Menge wirksam sind. Auch darf wohl eine 
sroße Empfindlichkeit der Eizelle für diese Reizstoffe angenommen 
werden. Solche zum aktiven Eindringen in die Eizelle geeignete Sper- 
matozoen sind bekanntlich im Tier- und Pflanzenreiche sehr verbreitet. 
Es ist wohl überflüssig, Beispiele anzuführen. In manchen Fällen 
scheinen tierische Spermatozoen geradezu besondere Einrichtungen zu 
besitzen, um den Eizellen, relativ stärkere Verletzungen beizubringen. 
Das interessanteste Beispiel dieser Art sind die Spermatozoen des Meer- 


166 G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 


schweinchens (Cavia cobaya). Hier ist nach Meves der Spermatozoen- 
kopf in der Flächenansicht breit schaufelförmig. In der Profilansicht 
sieht man, daß sich der flache Kopf aus zwei Abschnitten zusammen- 
setzt, die in entgegengesetzter Richtung gekrümmt sind. Die scharfen 
Ränder dieser beiden Abschnitte sind gleichfalls umgebogen und zwar 
wieder in entgegengesetzter Richtung. So bildet der ganze Kopf eine 
sonderbare scharfkantige Doppelschaufel, die beim Eindringen in das 
Ei besonders geeignet sein muß, dieses relativ stark zu verletzen. Auch 
der starre „Stachelapparat“ der Samenzellen von Galathea, Maja u. a. 
könnte so zu deuten sein, besonders wenn dieselben in den Eizellen, 
wie bei den Dromiden, noch lebhafte Bewegungen ausführen. Es dürfte 
sich verlohnen, die so außerordentlich mannigfaltigen Formen der tier- 
ischen Spermatozoen einmal von diesem Gesichtspunkte aus näher zu 
betrachten. Vielleicht werden dann manche Eigentümlichkeiten des 
Baues verständlich, die bisher ganz rätselhaft waren. 

In einer zweiten Gruppe von tierischen Spermatozoen ist der Kopf 
“nicht spitz oder scharfkantig, sondern stumpf, ja sogar kugelförmig. 
Wenn dazu noch die Geißel nur schwach ausgebildet ist oder ganz fehlt, wie 
bei verschiedenen Crustaceen, insbesondere der Oladoceren, bei Milben 
und Nematoden, dann ist es natürlich ganz ausgeschlossen, daß die 
kugel-, keulen- oder stäbchenförmige Samenzelle aktiv in das Ei ein- 
‘dringt und dieses dabei verletzt. Hier muß wohl angenommen werden, 
daß infolge des Kontaktreizes oder infolge eines chemischen Reizes, 
der von der Samenzelle ausgeht, das Plasma der Eizelle das Sperma- 
tozoon gewissermaßen umfließt und aktiv in ihr Inneres hineinzieht. Aber 
auch in diesem Falle, wenn das Spermatozoon sich vollkommen passiv 
verhält, wird es bei seiner Beförderung durch das Zytoplasma der Ei- 
zelle, relativ feste Strukturen desselben zerstören oder wenigstens schä- 
digen müssen. Vielleicht kommen hier aber neben den Wundhormonen 


auch noch die Nekrohormone zur Geltung, die durch die Desorgani-. 


sation der plasmatischen Bestandteile der Samenzellen, eventuell der 
mit eingedrungenen Geißel gebildet werden. Auch daran ist zu denken, 
daß von den eingedrungenen Samenzellen eine Giftwirkung ausgeht, 
die die benachbarten Plasmapartien der Eizelle zur Bildung von Tei- 


lungshormonen veranlaßt. Das kegelförmige Spermatozoon von Ascaris 


megalocephala weist in seinem hinteren Abschnitt einen entsprechend 
geformten Körper auf, der bei der Befruchtung mit in das Ei einge- 
führt und in diesem anscheinend aufgelöst wird. Vielleicht besteht 
dieser Körper aus einer Substanz, die das Nekrohormon liefert oder 
die Eizelle auf chemischem Wege zur Bildung des teilungsauslösenden 
Wundhormons zwingt. Vielleicht ist aber diese Substanz selbst der 
fragliche Reizstoff. Man sieht, daß in diesen wie in anderen ähnlichen 
Fällen mit verschiedenen Möglichkeiten zu rechnen ist. 

Gehen wir jetzt zu analogen pflanzlichen Objekten über, so sind 
vor allem die großen, plumpen Spermatozoiden der Cycadeen zu er- 
wähnen. Bei Oycas revoluta stößt nach Ikeno das rasch schwimmende 


G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 167 


Spermatozoid anscheinend so heftig an die Eizelle, daß sie an dieser 
Stelle eingedrückt wird. Eine besonders bevorzugte Stelle für das, Ein- 
dringen scheint nicht zu bestehen. Sofort nachdem das Spermatozoid 
in die Eizelle gelangt ist, streift es seinen Zytoplasmamantel ab, 
„welcher sich schnell desorganisiert“. Gewöhnlich dringen mehrere Sper- 
matozoiden in die Eizelle ein, von denen nur eins in das Eiinnere ge- 
langt; die anderen bleiben an der Oberfläche, ‚um dort allmählich zu 
zerfallen“. Bei Zamia streift das Spermatozoid nach Webber im Ei- 
plasma sein Zilienband ab, an dem Reste des Zytoplasmas des ersteren 
hängen bleiben. 

Bei den Koniferen dringt bald das ganze Pollenschlauchende, 
bald nur ein Spermakern in die Eizelle ein. Nach Coulter und Land 
bricht bei Torreya taxifolia der Pollenschlauch in die Eizelle ein, verletzt 
sie also sehr stark. Die größere Spermazelle nähert sich dem Eikern, 
dem sich schließlich der Spermakern anlegt. Beide Geschlechtskerne 
werden vom Zytoplasma der Spermazelle umhüllt. In einer Ecke der 
Eizelle befinden sich die desorganisierten Reste der zweiten kleineren 
Spermazelle, der sterilen Schwesterzelle und des Pollenschlauchkerns. 
Es ist also in diesem wie in den früheren Fällen reichlich Gelegenheit 
zur Bildung von Wund- und Nekrohormonen gegeben. 

Bei den Angiospermen entleert bekanntlich, soweit unsere im 
ganzen noch recht spärlichen Erfahrungen hierüber reichen, der Pollen- 
schlauch seinen Inhalt gewöhnlich in eine der beiden Synergiden, mit 
deren Plasma er sich vermengt. Dieses Plasmagemisch umfließt dann die 
Eizelle. Wie der eine der beiden Spermakerne in die Eizelle gelangt, ist 
unbekannt; ebensowenig läßt sich sagen, ob Pollenschlauchplasma mit 
eindringt. Ausgeschlossen ist es natürlich nicht. Wenn nun selbst der 
Eintritt des nackten Spermakerns ohne nennenswerte Verletzung der 
Eizelle erfolgen sollte, so könnten doch aus dem absterbenden Plasma- 
gemisch, das die Eizelle umgibt, Zersetzungsprodukte durch Diffusion 
in die Eizelle gelangen. Die Annahme, daß es sich dabei vielleicht um 
spezifische Reizstoffe handelt, die nur in der verletzten Eizelle und in 
dem sie umgebenden Plasma entstehen, hat wenig Wahrscheinlichkeit 
für sich. Haben wir doch oben gesehen, daß bei Oenothera Lamarckiana 
der Anreiz zur künstlichen Parthenogenesis von den getöteten Nuzellus- 
zellen der gequetschten Fruchtknoten ausgeht. Zu einer analogen Folge- 
rung nötigen auch die Beobachtungen Bataillons, wonach die An- 
stichversuche mit Froscheiern besonders günstige Resultate liefern, wenn 
dabei etwas Blut oder Lymphe oder auch kleine Gewebspartikelchen 
in das Ei hineingelangen. Dieselben können sogar artfremd sein. Diese 
von Herlant, Voß u. a. bestätigte Beobachtung spricht nicht für eine 
besondere Eigenart der die Teilung der Eizelle auslösenden Hormone. 
Doch könnten sich in dieser Hinsicht verschiedene Organismen ver- 
schieden verhalten. 

Es fragt sich jetzt, ob gewisse Veränderungen, die das Protoplasma 
der Eizelle nach dem Eindringen des Spermatozoons oder des Sperma- 


168 G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 


kerns erleidet, als Folge der Verletzung oder überhaupt der Schädigung 
seitens des Spermatozoons gedeutet werden können. 

In verschiedenen tierischen Eiern „bezeichnet eine mehr oder 
weniger breite Straße von irgendwie abweichend strukturierter Sub- 
stanz den Weg, welchen das Spermatozoon im Ei genommen hat“ (Kor- 
schelt und Heider, S. 643). Das ist die sogenannte Penetra- 
tionsbahn des Spermatozoons. Bei Nais complanata z. B. hinter- 
läßt nach Lillie der Spermakern eine Straße schaumigen Plasmas, 
das sich stärker tingiert und scharf vom umgebenden dotterreichen 
Plasma abhebt. Solche Penetrationsbahnen sind ferner von Foot bei 
Allobophora, von Brauer bei Branchipus, von Blochmann, Hei- 
der und Henking in Insekteneiern beobachtet worden. Besonders 
eingehend hat sie R. Fick beim Axolotl untersucht, wo die Bahn durch 
reiche Pigmentierung ausgezeichnet ist. — Auch in manchen pflanzlichen 
Eizellen kommen solche Penetrationsbahnen vor. Farmer und Digby 
bilden sie im Ei des Farnes Lastrea Filix mas ab; Webber beschreibt 
sie als eine breite, unscharf konturierte, körnige Straße im Ei von 
Zamiva; Tür Cephalotaxus drupacea gibt Lawson eine vakuolige Pene- 
trationsbahn an. Soviel aus den meist ziemlich dürftigen Beschreibungen 
und Abbildungen hervorgeht, scheint die abweichende Beschaffenheit 
des Plasmas der Penetrationsbahn — schaumige Struktur, stärkeres 
Tinktionsvermögen u. dgl. — auf Desorganisation oder völligem Ab- 
sterben zu beruhen, das vom vordringenden Spermatozoon oder Sperma- 
kerne auf mechanischem oder chemischem Wege bewirkt wird. Sollten 
erneute, eingehendere Untersuchungen diese Annahme als richtig erweisen, 
so läge darin eine schwerwiegende Bestätigung meiner Hypothese der 
Entwicklungserregung der Eizelle durch die Befruchtung. 

Vom Standpunkte dieser Hypothese aus dürfte auch die sogenannte 
physiologische Polyspermie als eine zweckmäßige Anpassungs- 
erscheinung zu deuten sein. Wenn mehr als ein Spermatozoon in das Ei 
eindringt, so führt das gewöhnlich zu einer abnormen Entwicklung. 
Dieser pathologischen steht aber in vielen Fällen die physiologische 
Polyspermie gegenüber, „bei der das Eindringen mehrerer Spermatozoen 
nicht nur unschädlich, sondern dem Anschein nach sogar für die Weiter- 
entwicklung des Eis erforderlich ist“ (Korschelt und Heider, 
S. 694). Regelmäßig kommt diese Polyspermie bei Selachiern, Rep- 
tilien, Vögeln, häufig bei Amphibien, Insekten und Spinnen, im Pflanzen- 
reich bei C'ycas revoluta vor. In allen diesen Fällen vereinigt sich nur 
der Kern eines Spermatozoons mit dem Eikern. Die anderen Sperma- 
tozoen, resp. Spermakerne, gehen bei den Amphibien und Insekten 
früher oder später zugrunde, während sie bei den Selachiern und Rep- 
tilien nach Rückert u. a. die sogenannten Merozytenkerne des Dotters 
bilden. Daß die in ersterem Fall erzielte Mehrproduktion von Wund- 
und Nekrohormonen vorteilhaft ist, dürfte um so wahrscheinlicher sein, 
als es sich um große dotterreiche Eier handelt, für die der Schwellen- 
wert des Reizes nicht erreicht würde, wenn nur ein einziges Sperma- 


Ze 


G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 169 


tozoon die Teilungshormone hervorbrächte. Auch im zweiten Falle kann 
natürlich dieser Vorteil in die Wagschale fallen. Der Nutzen der phy- 
siologischen Polyspermie ist bisher von Boveri u. a. mit der An- 
nahme zu erklären versucht worden, daß es in großen Eiern für ein 
einziges Spermatozoon zu schwierig. sei, den Eikern aufzufinden, wes- 
halb das Ei seine Schutzmittel gegen das Eindringen mehrerer Sper- 
matozoen aufgab. Dieser Vorteil schließt aber die von mir angenom- 
mene Bedeutung der ganzen Erscheinung nicht aus. 

Eine zweckmäßige Mehrproduktion von Wundhormonen seitens der 
Eizelle könnte schon dadurch erreicht werden, daß mehrere Sperma- 
tozoen das Ei anbohren, ohne aber in dasselbe einzudringen. Nur eines 
würde zum Zwecke der Amphimixis in das Eiinnere gelangen. Vielleicht 
erklärt sich auf diese Weise eine von Krueger an dem Nematoden 
Rhabditis aberrans angestellte merkwürdige Beobachtung. Die Sper- 
matozoen der hermaphroditischen Tiere dringen in die Eier zwar ein, 
degenerieren hier aber und werden resorbiert, ohne daß Kernverschmel- 
zung stattgefunden hätte. Es liegt hier also anscheinend ein Fall von 
„Pseudogamie‘“ vor, oder von „Auslösung der Parthenogenesis durch 
Befruchtung“, wie man jetzt häufig zu sagen pflegt, obgleich es ja 
widersinnig ist, von „Jungfernzeugung‘ zu sprechen, wenn ein Sperma- 
tozoon in das Ei eindringt. Nun hat aber Krueger festgestellt, 
„daß sich auch solche Eier völlig normal entwickeln können, in die 
kein Spermium eingedrungen war“. Daraus scheint zunächst hervor- 
zugehen, daß zur Entwicklungserregung der Eizellen die Spermatozoen 
überhaupt nicht nötig sind. Diesen Schluß hat H. Winkler gezogen. 
Man wird aber mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß die Mitwir- 
kung der Spermatozoen auch bei der Entwicklungserregung jener Ei- 
zellen unentbehrlich ist, in die keine Spermatozoen einbrechen. Eine 
bloße Anbohrung der Eizellen könnte zu ihrer Entwicklungserregung 
genügen. 

Nach der von mir vertretenen Auffassung wird in allen Fällen von 
Pseudogamie, in denen arteigene oder auch artfremde Spermatozoen, 
resp. Spermakerne, in die Eizelle eindringen, ohne dab Verschmelzung 
der beiden Geschlechtskerne stattfände, die Entwicklungserregung der 
Eizellen in derselben Weise erfolgen, wie bei normaler Befruchtung mit 
nachfolgender Amphimixis. Die Entwicklungserregsung wird um so 
sicherer eintreten, als der männliche Kern in der Eizelle degeneriert 
und Nekrohormone liefert. Bei den Angiospermen wird es aber viel- 
leicht gar nicht erforderlich sein, daß ein Spermakern in die Eizelle 
‚eintritt. Jenes Plasmagemisch, das aus dem Plasma der Synergide und 
dem des Pollenschlauches bestehend die Eizelle umfließt, dürfte samt 
dem darin enthaltenen Spermakern genug Nekrohormone liefern, um 
die Teilung der Eizelle auszulösen. Vielleicht ist allerdings mit der 
Diploidie der Eizellen eine größere Empfindlichkeit für die betreffen- 
den Reizstoffe verbunden; doch ist, namentlich wenn der Spermakern 
in die Eizelle eindringt, nicht einzusehen, warum nicht auch eine 


170 G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 


haploide Eizelle pseudogame Entwicklung zeigen sollte. Jedenfalls ist 
aber, wie auch Winkler betont hat, in jedem einzelnen Falle erst 
durch das Experiment festzustellen, ob zur Samenbildung Bestäubung 
notwendig ist oder nicht. 


Vu. 


Ist die Entwicklung der Eizelle zum Embryo, sei es nach der 
normalen Befruchtung oder bei künstlicher !) oder natürlicher Partheno- 
senesis durch teilungsauslösende Wund- und Nekrohormone einmal in 
(sang gesetzt, so vermag das derart entstandene embryonale Gewebe 
die Teilungshormone, die von jetzt an die Zellteilungen auslösen, offen- 
bar selbst zu erzeugen. Das wird auch für alle primären embryonalen 
Gewebe gelten, die, wie das Urmeristem der Vegetationsspitzen, direkt 
vom Embryo abstammen. Daß in abgetrennten und auf geeigneten 
Nährsubstraten weiterkultivierten Wurzelvegetationsspitzen der Erbse 
und des Maises die Zellteilungen in der Tat noch lange fortdauern, hat 
vor kurzem in meinem Institut Herr Kotte gezeigt; er wird darüber 
demnächst ausführlich berichten. Auch in den sekundären oder Folge- 
meristemen, so im Phellogen und im Interfaszikularkambium muß wohl 
das betreffende Teilungshormon an Ort und Stelle gebildet werden. 

Bei den höheren, gefäßbündelführenden Pflanzen gibt es sonach, 
dem Orte und der Art ihrer Entstehung nach, dreierlei Zelltei- 
lungshormone: 1. Die Hormone des Embryos und der 
Meristeme, 2. die Hormone des Leptoms;, und 3. die 
Wund- und Nekrohormone. Da über die chemische Beschaffen- 
heit dieser Reizstoffe nichts bekannt ist, so läßt sich auch nicht sagen, 
ob und inwieweit sie untereinander verwandt, bezw. identisch sind und 
wie sie bei der Wundheilung zusammenwirken. Es muß ferner einst- 
weilen unentschieden bleiben, ob in den Bildungsgeweben ein und dasselbe 
Hormon sowohl die Kernteilung wie die Zellteilung anregt, oder ob für 
diese beiden Teilprozesse (vielleicht auch für mehrere) verschiedene 
Reizstoffe in Betracht kommen. Da bekanntlich nicht selten mitotische 
Kernteilungen ohne darauffolgende Zellteilungen stattfinden und anderer- 
seits auch, wie meine Versuche mit plasmolysierten Haaren von Coleus, 
den Blattzähnen von Elodea und anderen Objekten lehren, Zellteilungen 
ohne Kernteilung eintreten können, so ist es wahrscheinlich, daß beim 
Gesamtvorgang mindestens zwei Hormone wirksam sind. 

Im Anschluß an das oben Gesagte muß ausdrücklich betont wer- 
den, daß der Nachweis von Zellteilungshormonen ganz unabhängig von 
den verschiedenen Ansichten ist, die man sich über die Mechanik 
des Teilungsvorganges gebildet hat. Mag der Teilungsmecha- 


nismus wie immer geartet sein, auf jeden Fall wird er 


1) Ich nehme konsequenterweise an, daß nicht nur bei der traumatischen, sondern 
auch in anderen Fällen von künstlicher Parthenogenesis, wenn diese durch hypertonische 
Lösungen, durch Gifte oder Narkotika ete. ausgelöst wird, dieser Erfolg den Teilungs- 
hormonen zuzuschreiben ist, die dabei entstehen. 


G. Haberlandt, Über Zellteilungshormone usw. 11 


erst durch besondere Reizstoffe in den Gang gesetzt. 
Eine solche Aktivierung des Teilungesmechanismus, die 
den Anfang einer ganzen Reihe untereinander zusammenhängender Einzel- 
vorgänge bildet, muß unter allen Umständen angenommen werden. Meine 
Untersuchungen beschränken sich auf den experimentellen Nachweis 
dieses Anfangsgliedes der ganzen Kette. 

Die vorstehenden Sätze gelten im besonderen auch für die Ent- 
wicklungserregung der Eizellen bei der Befruchtung, sowie bei der 
künstlichen und natürlichen Parthenogenesis. Über die Ursachen und 
das Wesen dieser Entwicklungserregung sind bekanntlich von J.Loeb, 
Delage, Lillie,. Bataillon, Heilbrunn u.a. sehr verschie- 
dene, mit einem großen Aufwand von Scharfsinn ersonnene Hypothesen 
aufgestellt worden. Ich brauche auf sie hier ebensowenig einzugehen wie 
auf die Hypothesen betreffs der Mechanik der Zellteilung überhaupt. 


Literatur. 


Die vorstehende Zusammenfassung ist im wesentlichen ein Auszug aus meinen 
unten zitierten, hauptsächlich in den Sitzungsberichten der Preußischen Akademie der 
Wissenschaften veröffentlichten Mitteilungen. Nur das VI. Kapitel, das von der Ent- 
wicklungserregung der Eizellen durch die Befruchtung handelt, ist neu hinzugekommen. 
Das nachstehende Verzeichnis verweist nur auf einige der wichtigsten Arbeiten und 
Werke, die für diese Zusammenfassung unmittelbar in Betracht kommen. Im übrigen 
muß auf die ausführlichen Literaturverzeichnisse in den zitierten Arbeiten und Werken, 
sowie im Bonner Lehrbuch der Botanik verwiesen werden. 

Bataillon, E., L’embryogendse complete provoquee chez les Amphibiens par pigüire de 
l’oeuf vierge, larves parthenogenetiques de Rana fusca, Compt. rend. de l’Acad. 

d. Se. Paris 1910, Bd. 150. 

Bier, A., Beobachtungen über Regeneration beim Menschen, II. Abh., Die Ursachen 

der Regeneration. Deutsche med. Wochenschrift 1917. 

Correns, ©., Über eine nach den Mendelschen Gesetzen vererbte Blattkrankheit (Sor- 
dago) der Mirabilis Jalapa, Jahrb. für wissensch. Botanik, Bd. 56, 1915. 
Cunningham, D. D., On the phenomena of fertilization in Fieus Roxburghii Wall. 

Caleutta 1889. 

Ernst, A., Bastardierung als Ursache der Apogamie im Pflanzenreich, Jena 1918. 
Godlewski, E. jun., Physiologie der Zeugung, Wintersteins Handbuch der Ver- 

gleichenden Physiologie, III. Bd. 2. Hälfte, Jena 1910—1914. 

Haberlandt, G., I. Kulturversuche mit isolierten Pflanzenzellen, Sitzungsberichte der 
Akad. der Wissenschaften in Wien, Math.-naturw. Klasse, 111. Bd. 1902. 
Derselbe, II. Zur Physiologie der Zellteilung, i. Mitteilung. Sitzungsberichte der 

Preußischen Akademie der Wissenschaften 1913. 

Derselbe, III. Zur Physiologie der Zellteilung, 2. Mitteilung, ebenda 1914. 
Derselbe, IV. Zur Physiologie der Zellteilung, 3. Mitteilung, Über Zellteilungen nach 

Plasmolyse, ebenda 1919. 

Derselbe, V. Zur Physiologie der Zellteilung, 4. Mitteilung, Über Zellteilungen in 

Elodea-Blättern nach Plasmolyse, ebenda 1919. 

Derselbe, VI. Zur Physiologie der Zellteilung, 5. Mitteilung, Über das Wesen des 

plasmolytischen Reizes bei Zellteilungen nach Plasmolyse, ebenda 1920. 
Derselbe, VII. Zur Physiologie der Zellteilung, 6. Mitteilung, Über Auslösung von 

Zellteilungen durch Wundhormone, ebenda 1921, 


172 H. Schroeder, Über die Semipermeabilität von Zellwänden. 


Derselbe, VIII. Wundhormone des Erreger von Zellteilungen, Beiträge zur Allgem. 
Botanik, herausgegeben von G. Haberlandt, 2. B. 1921. 

Derselbe, IX. Über experimentelle Erzeugung von Adventiv-Embryonen bei Oenothera 
Lamarckiana, Sitzungsberichte der Preuß. Akademie d. Wissenschaften 1921. 

Derselbe, X. Die Entwicklungserregung der Eizellen einiger parthenogenetischer 
Kompositen, ebenda 1921. 

Derselbe, XI. Die Entwiekelungserregung der parthenogenetischen Eizellen von 
Marsilia Drummondiü A. Br., ebenda 1922. 

Korschelt, G. u. Heider, K., Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungsgeschichte 
der wirbellosen Tiere, Allg. Teil 1. u. 2. Aufl. Jena 1902. 

Krueger, E., Fortpflanzung und Keimzellenbildung von Rhabditis aberrans nov. Sp. 
Zeitschrift für wissensch. Zoologie, 105. Bd. 1913. 

Küster, E., Pathologische Pflanzenanatomie, II. Aufl., Jena 1916. 

Lamprecht, W., Über die Kultur und Transplantation kleiner Blattstückehen, Beiträge 
zur Allg. Botanik, 1. Bd., 1918. 

Murbeck, $v., Parthenogenese bei den Gattungen Taraxacum u. Hieracium, Botan. 
Notiser, 1904. 

Ostenfeld, ©. H., Zur Kenntnis der Apogamie in der Gattung Hieracium, Berichte 
der deutsch. bot. Gesellsch. 22. Bd. 1904. 

Kaunkiaer, C©., Kimdannelse uden Befrugtning hos Maelkebotte, Bot. Tidsskrift, 
25° Bad. 1903. 

Rosenberg, OÖ. I. Über Embryobildung in der Gattung Hieracium, Berichte der 
deutsch. bot. Gesellsch. 24. Bd. 1906. 

Derselbe, II. Cytological Studies on the Apogamy in Hieracium, Bot. Tidsskritt, 
28. Bd. 1907. 

Strasburger, E., Apogamie bei Marsilia, Flora 97. Bd. 1907. 

Wiesner, J., Die Elementarstruktur und das Wachstum der lebenden Substanz. 
Wien 1892. 

Winkler, H., I. Parthenogenesis und Apogamie im Pflanzenreich, Progressus rei 
botanicae, 2. Bd. 1908. 

Derselbe, II. Verbreitung und Ursache der Parthenogenesis im Pflanzen- u. Tierreich, 
Jena 1920. 


Über die Semipermeabilität von Zellwänden. 
Von H. Schroeder. 


(Mit Versuchen von Dr. Hans Möller.) 


$ 1. Meine Ausführungen knüpfen, meine älteren Arbeiten fort- 
setzend!), an eine soeben erschienene Untersuchung meines Schülers 
Dr. Hans Möller?) an. Möller hat eine durch wässerige Silber- 
nitratlösung hervorgerufene Zonenbildung (Liesegangsche Ringe) ın 
den Außenwänden der Aleuronzellen und in den diese umhüllenden 
Nuzellarüberresten der Gramineenfrüchte beschrieben. Die Zonen sind 


1) Schroeder: I. Flora 102 (1911)186; II. Centralblatt für Bakteriologie usw. 
II. Abteilung 28 (1910) 492; III. Biolog. Centralbl. 35 (1915) 8. 

2) Hans Peter Möller, Rhythmische Fällungserscheinungen in pflanzlichen Zell- 
membranen. Kolloidehemische Beihefte Bd. 14 (1921) S. 160. 


H. Schroeder, Uber die Semipermeabilität von Zellwänden. Al 


hier, wiein künstlichen Gallerten senkrechtzur Ausbreitungsrichtung des 
Diffusionsstromes angeordnet. Sie sind bei Körnern, die nach Amputa- 
tion des Embryo, also bei einseitiger Wunde, mit Silbernitrat behandelt 
wurden, senkrecht zur Längsachse des Kornes in den genannten Wänden 
orientiert. (Abb. 1—4 beı Möller.) Damit ist bewiesen, daß das Silber- 
salz bei diesem Modus der Applikation wirklich in diesen Wänden 
wandert und nicht etwa vom Korninneren her in sie eintyitt. Denn träfe 
letzteres zu, so müßte die Schichtung anders gerichtet und ausge- 
staltet sein, als sie es ıst. Zum Beweis mögen Versuche Möllers 
dienen, in welchen nach einem seinerzeit von mir angegebenen Ver- 
fahren durch Behandlung unverletzter Körner mit 50% alkoholig ge- 
löstem Silbernitrat ein allseitiges, also senkrecht zur Körnoberfläche 
erfolgendes Eindringen erzwungen wurde, und in welchen demgemäß 
die Streifung parallel zur Kornoberfiäche verlief (Abb.5 beı Möller). 

Da also das in Wasser gelöste Silbernitrat ın diesen Wänden 
wandert und, wie die Beobachtungen Möllers lehren, ebenso rasch 
wandert wie ım Inneren des Kornes, können diese Wände die Semi- 
permeabilität des unverletzten Kornes gegenüber wässerigem Silber- 
nitrat nicht verursachen. Damit bleibt für dieses Salz und das Weizen- 
korn oder allgemeiner die Gramineenfrucht allein die Samenschale 
als Selektionsort übrig. Denn die Fruchtschale beteiligt sich nach- 
gewiesenermaßen nicht daran, und tiefer gelegene Schichten sind 
selbstverständlich ausgeschlossen. Höchstens könnte man an die 
Kutikula des Nuzellus als Sitz des Selektionsvermögens denken. Durch 
das Zutreffen dieser Annahme würden meine folgenden Ausführungen 
in keiner Weise berührt. 

Nun nimmt das Silbernitrat gegenüber den übrigen aus wässeriger 
Lösung nicht in das Korninnere gelangenden Stoffen vielleicht eine 
Sonderstellung ein, insofern nämlich als es nach Shull?) die gleichfalls 
semipermeable Samenschale von Xanthium glabratum aus rein wässeriger 
Lösung bei Konzentrationen passiert, bei welchen andere Salze dies nicht 
tun. Ehe ich selbst für die Gramineenfrucht verallgemeinere, muß ich 
die Frage behandeln, welche Gründe sprechen für die Annahme einer 
Durchlässigkeit der Aleuron- und Nuzellarzellwände für andere Elek- 
trolyte, die nicht in das unversehrte Korn eintreten ? 

Ein so unmittelbar anschaulicher Beweis, wie er für Sılbernitrat 
vorgetragen werden konnte, fehlt für diese. Doch wird man für einige 
unter ihnen mit hinreichender Sicherheit auf eine Bewegung in den 
fraglichen Wänden schließen dürfen; nämlich für diejenigen, deren 
Gegenwart in diesen Wänden bei angeschnittenen, mit ihrer Lösung 
behandelten Körnern sich daran erkennen läßt, daß die bei nachfolgender 
Einwirkung von Silbernitrat zu beobachtenden Rhythmenbilder charakte- 
ristisch verschieden sind von denen, die bei alleiniger Behandlung mit 
Silbernitrat, also dem Fehlen der vorausgehenden Imprägnation mit dem 


3) Shull, Botanical Gazette 56 (1913), S. 169, 


474 H. Schroeder, Über die Semipermeabilität von Zellwänden. 


von außen zugeführten Stoff, auftreten. Denn nach der herrschenden 
Ansicht ıst die Ausbildung der Zonen an ein einander entgegen Dif- 
fundieren zweier beim Zusammentreffen einen Niederschlag liefernden 
Salze geknüpft. Es muß demnach dem von der Wundfläche in den 
gedachten Zellwänden vorlaufenden Silbernitrat das vorher einge- 
lagerte Salz entgegenströmen. Man könnte vielleicht sogar aus der 
Ausgestaltung der Rhythmen Schlüsse auf die Penetrationsgeschwindig- 
keit der in der Membran vorhandenen Salze ziehen. Doch müßten 
dem weitere experimentelle Untersuchungen vorangehen. Zu den 
Salzen, deren Bewegung innerhalb der erwähnten Wände auf diese 
Weise erschlossen werden kann, gehört das bei einschlägigen Arbeiten 
häufig benutzte Uhlornatrium. 

Ist aber die Bewegung dieser die Silberfällungsrhythmik beein- 
flussenden Salze in den Aleuronzellwänden ) bewiesen, so ist es auch 
die daraus zu ziehende Folgerung, daß diese Wände für jene Salze 
durchlässig, also ihnen gegenüber nicht semipermeabel seien. 

Damit erscheint hier, wie vorn für das Silbernitrat, die von mir 
vertretene Ansicht, die Samenschale sei der Sitz des Selektionsver- 
mögens, erneut gestützt. 

Die Aleuron- und Nuzellarzellwände geben eine besonders schöne 
Chlorzinkjodreaktion, weswegen ich dieselben seit Jahren im Anfänger- 
praktikum als Demonstrationsobjekt für dıe Zellulosereaktion benutze. 
Damit ıst zunächst für einen Einzelfall, Aleuron- und Nuzellarzellwände 
des Gramineenkornes, und einige Salze bewiesen, daß eine aus Zellu- 
lose bestehende?) Zellwand kein Selektionsvermögen besitzt gegenüber 
gelösten Krystalloiden, welchen gegenüber andere leblose Membranen 
dieses Vermögen zeigen. Für die Außenwände der Epidermiszellen 
einiger Blätter ergeben Möllers Versuche gleichfalls Rhythmen, also 
Wanderungen von Silbernitrat in der Zellulosewand. 

$2. Da nach dem eingangs Ausgeführten die bestimmt orien- 
tierten rhythmischen Fällungen in unzweideutiger Weise den Ort des 
Silbereintrittes und den von diesem ım Korninneren zurückgelegten 
Weg anzeigen, habe ich meine älteren Versuche über das Eindringen 
von alkoholig-wässerig gelöstem Sılbernitrat fortgesetzt, in der Hoff- 
nung herauszufinden, ob der angegebene Erfolg auf Veränderungen 
des Zustandes der gebotenen Lösung oder auf solchen der Eigen- 
schaften der Membran zurückzuführen sei? 

Die erste Bedingung für Eindringen, Benetzung der Membran 
durch das Außenmedium, ist sowohl für reines Wasser wie für die 
Mischungen Wasser-Alkohol erfüllt, wie die Gewichtsveränderung der 
eingebrachten Körner beweist®), 


4) Der Kürze wegen spreche ich an mehreren Stellen von Aleuronzellwänden, 
statt, wie ich das streng genommen müßte, diese und die Nuzellarzellwände zu nennen. 
Ich glaube nicht, daß dies zu Mißverständnissen führen wird. 

5) Soweit die mikrochemische Reaktion diesen Schluß zuläßt. 

6) Das gilt noch für 99% (Vol.) Alkohol, denn dieser entzieht lufttrockenen 
Körnern Wasser (Centralbl. f. Bakteriolog. usw., II. Abteilung 28 S. 496 Anm. 5). 


H. Schroeder, Über die Semipermeabilität von Zellwänden. 175 


Zum zweiten muß ein aufnehmbarer Stoff in der Membran oder 
zum wenigsten in einer Phase der Membran”) löslich sein, und die 
eine oder mehrere diesen Stoff lösenden Phasen müssen eine konti- 
nuierliche Bahn quer durch die Membran bilden. Trifft dies zu, so 
werden die absolute Löslichkeit und der Verteilungskoöffizient (Außen- 
lösung : Membran: Innenlösung) die Geschwindigkeit des Durchtrittes 
beeinflussen, ohne die einzigen maßgebenden Faktoren zu sein, wobei 
ich die Voraussetzung mache, daß das Außenlösungsmittel und die 
lösende Membranphrase verschieden seien. 

Silbernitrat löst sich ın Wasser leichter als in Mischungen von 
diesem mit Alkohol, derart daß mit steigendem Alkoholgehalt die Lös- 
lichkeit sinkt. 


Wenn ich nun vorläufig annehme, daß der Alkohol die Eigen- 
schaften der Membran nicht verändere, folgt daraus, daß der Ver- 
teilungskoöffizient sich bei Alkoholzusatz zugunsten der Membran 
verschiebt, und zwar um so mehr, je höher der Alkoholgehalt°). Da- 
nach müßte das Silbernitrat auch aus rein wässeriger Lösung in 
das Innere unverletzter Körner gelangen, wenn die wässerige Lösung 
den gleichen Sättigungsgrad ®) besitzt wie eine permeierende alkoholig- 
wässerige. Denn der Verteilungskoöffizient ıst das Verhältnis des 
Gehaltes gesättigter Lösungen. Der Salzgehalt der Membran wird 
demnach in gesättigter wässerig-alkoholiger und gesättigter rein wässe- 
rıger Lösung der gleiche sein; ebenso aber auch in ungesättigten Lö- 
sungen in beiden Medien, sofern beide in gleichem Sättigungsgrade 
geboten werden !P). 


100 Teile 48%, Alkohol. lösen bei 15° © etwa 40 Teile Silber- 
nitrat. Eine absolut 5%ige Sıilbernitratlösung in diesem ıst daber 
zu ca. 12,5%, gesättigt. Den gleichen Sättigungsgrad besitzt beiläufig 
eine 25%, wässerige Lösung. Es müßte daher — ich betone noch- 
mals, jede Veränderung in der Membran unterbleibend gedacht — 
die selezierende Membran aus einer 25%, wässerigen Silbernitratlö- 
sung bis zur gleichen Konzentration Silbersalz aufnehmen, wie aus 
einer 5%,igen in 48%, Alkohol. Und wenn das Salz aus dieser Lösung 
in das Korninnere gelangt, müßte es dasselbe aus jener tun, wobei 
ich — vielleicht fälschlich !) — entweder von einer Änderung der 
Innenflüssigkeit absehe oder diese der Außenflüssigkeit gleich zu- 
sammengesetzt annehme. 


7) Wenn man die Membran als System von festem Kolloid und Flüssigkeit be- 
trachtet, für das indes die Phasenregel nicht gilt. (Zangger, Ergebnisse der Physiologie 
VII [1908], 121.) 

8) Allerdings unter verschiedenen Voraussetzungen, namentlich auch der, daß die 
wegsame Phase der Membran keine wässerige sei. 

9) Sättigungsgrad — Gehalt der Lösung ausgedrückt in Prozent der in gesättigter 
Lösung vorhandenen Menge. 

10) Die elektrolytische Dissoziation zunächst vernachlässigt. 

11) Vgl. A. Brown u. Tinker, Chem. Zentralbl. 1918 II, S. 41. 


176 H. Schroeder, Über die Semipermeabilität von Zellwänden. 


Ein Versuch ergab, daß ın der Tat Silbernitrat binnen 48 Std. 
aus einer etwa 28%, wässerigen Lösung in das Korninnere gelangt, 
und daß die Nuzellarwände und die Außenwände der Aleuronzellen 
unverletzter Körner nach 48stündigem Verweilen in dieser Lösung eine 
Streifung parallel zur Kornoberfläche erkennen lassen. 

Wenn man mit den Salzkonzentrationen herabgeht, und zwar 
immer in der Weise, daß man rein wässerige und alkoholig-wässerige 
Lösungen vom gleichen Sättigungsgrade miteinander vergleicht, zeigt 
sich ein Unterschied zwischen beiden. Aus einer 0,75%, Silbernitrat, 
64%, alkoholigen Lösung (Sättigung 2,6%) tritt das Salz binnen 48 
Stunden in das Korninnere, während es aus einer rein wässerigen 
vom gleichen Sättigungsgrade, das ist absolut genommen eine unge- 
fähr 5,3%,ige, innerhalb der gleichen Frist nicht eindringt. Das spricht 
nicht gegen die Bedeutung des Teilungskoöffizienten, noch nötigt es 
zur Annahme neuer Komplikation. Wenn die wegsame, lösende Phase 
der Membran nicht eine wässerige, sondern, wie ich das oben annahm, 
eine anderweitige ist, in welcher das Silbernitrat nicht oder doch 
nicht in demselben Maße dissoziiert ist wie in Wasser, ist der Tei- 


lungskoöffizient keine Konstante. An Stelle der Gleichung — Konst. 


li 

| Q, 

(C,= die Konzentration in Wasser, C, —die im zweiten Medium) tritt 

bei Unterbleiben jeder Dissoziation im zweiten Medium die folgende: 

0,— x 5 ZRENM 

A re — Konst., worin x den ın Wasser dissoziierten Anteil bedeutet. 
2 


zerfallene Moleküle 

Gesamtzahl der Moleküle 
5,2%, Silbernitratlösung beträgt 0,72, der einer 28%,igen etwas mehr 
als 0,5. In ersterer wäre‘demnach die Konzentration der undisso- 
zuerten Moleküle rund 1,5%, in dieser 14%. In alkoholig wässeriger 
Lösung ist die Dissoziation schwächer, daher der relative Anteil der 
unzerlegten Moleküle größer. Darum kann der Sättigungsgrad, wie 
er oben aus der gesamten gelösten Salzmenge berechnet wurde, als- 
dann nicht maßgebend sein, sondern er müßte für wässerige wie 
alkoholig-wässerige Lösung, bezogen auf ein nicht dissoziierendes 
Membranlösungsmittel aus der zweiten der obigen Gleichungen be- 
rechnet werden. Die mir bekannten Daten genügen für diese Rech- 
nung nicht, weshalb ich eine quantitative Prüfung zurückstelle und 
mich heute damit begnüge festzustellen, daß auf dem Boden dieser 
Vorstellungen eine Erklärung des Verhaltens der verglichenen Lö- 
‘sungen nicht unmöglich ist 2). 

Daran, daß der Alkohol bestimmte, dem Silbersalz den Eintritt 
verwehrende oder diesen erschwerende Membraneinlagerungen extrahiere, 
ist nicht zu denken, da mit Alkohol vorbehandelte Körner wieder 


12) Vergleiche auch Höber, Physikal. Chemie der Zelle usw. (IV. Aufl. 1914, 
S. 402, 403, 407). Anomalien des Verteilungskoöffizienten. 





Der Dissoziationsgrad ( ) einer wässerigen 





H. Schroeder, Über die Semipermeabilität von Zellwänden. AN 


getrocknet bei einer zweiten Weiche in rein wässerigem Silbernitrat 
sich genau so verhielten wie frische Körner, das heißt das Salz nicht 
aufnahmen 

Wenn man sich die halbdurchlässige Membran als Molekülsieb 
vorstellt, könnte man annehmen, daß der Alkohol entweder die Poren- 
weite derMembran vergrößere oder die Dimensionen der gelösten Teilchen 
verringere'?). Ersteres wäre eine Beeinflussung der Membran, von der 
ich vorläufig absehe. Für die zweite Annahme bestehen einige 
Schwierigkeiten. Zunächst wäre zu erklären, weshalb das Salz bei 
Verwendung rein wässeriger Lösungen aus den stärker konzentrierten 
eintritt, aus den weniger konzentrierten nicht. Die Moleküle der ge- 
lösten Substanz allein können dies nicht bewirken. Außerdem dringt 
Sublimat rasch in das Korn, Kochsalz permeiert nicht !*). Es besteht 
kein Grund diesem in der Lösung eine bedeutendere Teilchengröße 
zuzuschreiben als jenem. Denn das Chlornatrium gehört nicht zu den 
Stoffen, deren Moleküle in wässeriger Lösung polymerisieren und die 
infolgedessen nach von Fürth und Bubanovic') langsamer in Gal- 
lerte penetrieren als andere nicht in dieser Weise zusammentretende 
Moleküle. Die beiden genannten Forscher haben ‚gerade das Chlor- 
natrium als Vergleichsstoff gewählt und auf sein Verhalten das der 
anderen Salze bezogen. Nach einer sorgfältigen Arbeit von Adair:®) 
zeigt eine wässerige Silbernitratlösung fast genau den gleichen 
Diffusionskoöffizienten in Gelatine wie Kochsalz. Danach wäre also 
auch dieses Salz in Wasser nicht polymerisiert. 

Ferner könnte man bei dem Gedanken an ein Molekülsieb 
Hydratation in Erwägung ziehen. Denn diese ausgedrückt durch die 
Zahl der Wassermoleküle, die von einem Jon (oder Molekül) gebunden 
werden, sinkt mit steigender Konzentration der Lösung. Doch zeigt 
das wasserfrei krystallisierende Chlornatrium nach Jones!”) ein sehr 
geringes Hydratationsvermögen, so daß auch diese Vorstellung zum 
wenigsten unwahrscheinlich genannt werden muß. 

Zu den eben mitgeteilten Versuchen wurden unversehrteKörner ver- 
wendet. Behandelt man verwundete Körner (Embryo weggeschnitten) 
mit wässerig-alkoholigem Sıilbernitrat, so findet sich Zonenbildung 
senkrecht zur Kornoberfläche, anzeigend ein von der Wunde her er- 
folgendes Vorlaufen des Silbersalzes, wie sie alsdann in wässerigen 
Lösungen stets auftritt, nur bei geringem Alkoholgehalt. Ist der 


13) Man darf die Begriffe Maschenweite und Teilchengröße nicht zu grob mecha- 
nisch nehmen, sondern man hat Vorstellungen wie „Aktionsradius“ oder „Wirkungs- 
sphäre‘“ einzuführen. 

14) Sublimat penetriert in Agargallerte langsamer als Kochsalz. (Fürth und Bu- 
banovic siehe folgende Fußnote.) 

15) Biochem. Zeitschrift 92 (1918) 139 und 90 (1918) 265. 

16) Biochemical Journal 14 (1920) 762. (Ref. chem. Zentralblatt 1921, I S. 429.) 

17) Jones (und Mitarbeiter). Eine Reihe von Abhandlungen in Americ. Chem. 
Journal und Zeitschrift für physikal. Chemie, zusammengefaßt in: Carnegie Institution 
of Washington. Publikation Nr. 60 (1907). 

42. Band 12 


178 H. Schroeder, Über die Semipermeabihtät von Zellwänden, 


Alkohol stärker konzentriert, so lagern die Schichten parallel zur 
Kornoberfläche, woraus auf allseitiges Eindringen durch die unver- 
letzten Teile der Kornhüllen geschlossen werden muß. - Ich erzielte 
Streifung senkrecht zur Oberfläche in einer 3,75%, Silbernitrat 24%, 
Alkohol-Lösung (Sättigung 4,05%); dagegen aus einer 0,67%, Silber- 
nitrat 64%, alkoholigen Lösung (Sättigung 2,6%) und ebenso aus 3,3% 
Silbernitrat 64%, Alkohol (Sättigung 12,2%) und 5%, Silbernitrat 48%, 
Alkohol (Sättigung 12,5%) auch bei angeschnittenen Körnern Strei- 
fung parallel zur Kornoberfläche, also im ersten Falle Eintreten von 
der Wunde her, in den anderen allseitiges Eindringen unabhängig 
von den Wundflächen. 

Während demnach ın reinem Wasser oder verdünntem Alkohol 
das Silbersalz nicht oder doch nur so langsam durch die Hüllschichten 
tritt, daß es, ehe es auf diesem Wege zu den Aleuron- und Nuzellar- 
zellwänden gelangt, von der Wunde vorlaufend in eben diesen Wänden 
eine weite Strecke im Korn zurückgelegt hat, gelangt bei höherem 
Alkoholgehalt das Silbernitrat derart rasch durch die Hüllschichten, 
daß es auf diesem Wege nahezu allerorts'®) eher ın den fraglichen 
Zellwänden ankommt als bei von der Wunde her erfolgendem Diffun- 
dieren in diesen Zellwänden. 

Es verhalten sich demnach die außen gelegenen Hüllschichten 
(Samenschale) und die Aleuronzellwände bei Zusatz von Alkohol zur 
gebotenen Silbernitratlösung prinzipiell verschieden. Bei jenen wird 
durch den Zusatz der Silberdurchtritt begünstigt, unter Umständen 
erst ermöglicht !?), bei diesen wird die Penetrationsgeschwindigkeit ver- 
ringert, zum wenigsten von bestimmtem Alkoholgehalt an. 

Für die Vorstellung einer hemmenden Wirkung des Alkohols 
auf die Silberbewegung in den Aleuronzellwänden spricht vor allem 
die Beobachtung, daß die Länge der Strecke, die das von der Wunde 
(Embryoschnitt) vorlaufende Silbernitrat durchmißt, in wässeriger 
Lösung größer ist als in gleich konzentrierter alkoholig-wässeriger. 


Versuch. 


Dauer 24 Std. Die Körner durch Amputation des Embryo ver- 
letzt; die Länge der Diffusionszone (N) ist ausgedrückt durch die 
Anzahl der Aleuronzellen, um die das Sılbersalz von der Wunde her 
vorgelaufen war. 

Serie Il. 3,8%, AgNO,, 23,5%, Alkohol-Lösung (Sättigung 4%,). 

N'=58,,:523615754:.55560, 56; 156-5857 Mittels5B. 

Serie II. 3,8%, AgNO, in Wasser (Sättigung 2%). 

N = 955,102:987 9257107; 111° 95,9251002 Mittel 100: 
Serie III. 10% AgNO, in Wasser (Sättigung 5%). 

Das Korn ist bis zur Spitze mit Silbersalz durchtränkt. 


18) In der unmittelbaren Nachbarschaft der Wunde tritt immer homogene Dunkel- 
färbung auf. 


19) Dies beweisen die Versuche mit unverletzten Körnern. 


H. Schroeder, Über die Semipermeabilität von Zellwänden. 479 


Die größere Geschwindigkeit, mit der das rein wässerig gelöste 
Sılbernitrat vorläuft, ıst also unverkennbar. 

Nicht gerade direkt beweisend, aber immerhin diesen Versuch 
gewissermaßen bestätigend sind folgende Befunde. Sie sind insge- 
samt mit angeschnittenen Körnern gewonnen, und die alkoholigen 
Lösungen waren, wie ım vorstehenden Versuch, so arm an Alkohol, 
daß das Eindringen des Silbers von der Wunde her erfolgte. 

1. Die rhythmische Fällung beginnt bei Gegenwart von Alkohol, 
sowohl wenn man Lösungen gleicher absoluter Konzentration als auch 
wenn man solche gleicher Sättigung vergleicht, näher der Wunde als 
in rein wässerigen Lösungen. Da nun in wässerigen Lösungen ver- 
schiedener Konzentration die Fällung um so näher der Wunde be- 
ginnt, jeschwächer die Silberkonzentration, spricht die vorstehende Be- 
obachtung für einen rascheren Konzentrationsabfall, bei der alkoholigen 
Lösung also für langsameres Diffundieren. aus dieser. 

2. Die Feinheit der Streifung ist an der Stelle, an welcher die 
Rhythmik eben erkennbar wırd, größer in der alkoholig-wässerigen 
als in der rein wässerigen Lösung. Als Analogon dazu erwähne ich, 
daß nach Untersuchungen von Köhler?°) und von Moeller?°) beı 
Gelatine mit Abnahme des Wassergehaltes die Streifung enger wird. 

3. Vergleicht man Stellen gleichen Abstandes von der Wunde, 
so zeigt die wässerig-alkoholige Lösung bei gleicher Sättigung deut- 
lich, bei gleichem absolutem Gehalt nicht ganz sicher gröbere Streifen 
als die rein wässerige. Auch dies deutet auf rascheren Konzentrations- 
abfall. Denn je schwächer in wässerigen Lösungen die Konzentration 
des Sılbersalzes, um so gröber ist in gleichem Abstand von der 
Wunde die Streifung. Daß beim Vergleich alkoholig-wässeriger mit 
rein wässeriger Lösung dieses Gröberwerden nicht ausgesprochener in 
Erscheinung tritt, wird damit zu erklären sein, daß dem ein anderer 
Faktor entgegen wirkt. Ist doch, wie vorn unter 2. mitgeteilt wurde, 
bei Anwesenheit von Alkohol die Streifung überhaupt feiner. 

Eine Erklärung für die hemmende Wirkung des Alkohols auf die 
Wanderungsgeschwindigkeit in den Zellulosewänden dürfte darauf 
hinauslaufen, daß, wie bereits angedeutet, bei Gegenwart von Alkohol 
der Wassergehalt geringer, also die Quellung schwächer ist. Für 
Gelatine (Eiweiß) ist bekannt, daß sie aus 10%, Alkohol weniger Wasser 
aufnimmt als aus reinem Wasser?!). Daß bei Möllers??) Versuchen 
mit wechselndem Wassergehalt der Membran bei geringerem Wasser- 
gehalt im gleichen Abstand von der Wunde eine feinere Streifung 
beobachtet wurde als bei höherem dürfte darauf beruhen, daß Möller 
den ungleichen Wassergehalt durch Vorbehandlung der Körner er- 


20) Köhler, Kolloidzeitschrift 19 (1916), S. 855. Moeller, Ebenda 20 (1917), 
S. 259. 

21) Hofmeister, zit. nach Spiro in Oppenheimer, Handbuch der Biochemie 
Il, S. 34. 

22) In der S.1 angeführten Arbeit. 


12* 


180 H. Schroeder, Über die Semipermeabilität von Zellwänden. 


zielte. Es wird also danach in seinen Versuchen das Silber, das mit 
dem nachträglich eindringenden Wasser vorläuft oder wohl noch 
etwas hinter diesem zurückbleibt, nicht beeinflußt werden, wohl aber 
das diesem entgegenströmende, Silber fällende Salz. Dieses ist es, 
das sich in Wänden ungleichen Wassergehaltes bewegen wird. Je 
geringer also der nach der Vorbehandlung gegebene Wassergehalt, 
umso langsamer bewegt sich das fällende Salz dem Silber entgegen. 
Da Versuche Möllers mit eingelagertem Sublimat in verschiedener 
Konzentration lehrten, daß bei Nachbehandlung mit Silbernitrat ın 
gleichem Abstande von der Wunde die Streifung um so feiner, Je 
geringer bei gleichem Silbergehalt die Sublimatkonzentration, spricht 
also dieser zuerst scheinbar entgegenstehende Befund Möllers in 
Wahrheit für meine Auffassung. 

Damit ist die Verzögerung der Invasionsgeschwindigkeit in den 
Aleuronzellwänden bewiesen. 

Die vorgetragene Deutung des gegensätzlichen Verhaltens der 
beiden Hüllschiehten bei Alkoholzusatz nimmt für die Förderung des 
Silbereintrittes in die und durch die Samenschale Veränderung im 
Zustand der Lösung (Herabsetzen der Löslichkeit im Außenmedium 
und Rückgang der elektrolytischen Dissoziation) an, für die Hemmung 
in den Aleuronzellwänden Beeinflussung der Wände selbst (Rückgang 
des Wassergehaltes und damit der Quellung). Die zweite Annahme??) 
ist meines Dafürhaltens durch die mitgeteilten Versuche einigermaßen 
begründet, die erstere bislang nur eine Möglichkeit. Für sie sind 
andere Erklärungen nicht ausgeschlossen, oder ist es denkbar, daß 
die angenommenen Faktoren nicht die allein wirkenden sind. Den Ge- 
danken einer Wirkung der Hydratation habe ich bereits behandelt. 
Daneben könnte man Traubes Vorstellung über Haftdruck bezw. 
Haftdrucklockerung prüfen und anderes. Dabei sollten alle diese Mög- 
lichkeiten nicht, wie das bisher des öfteren geschehen ist, als einander 
ausschließende Gegensätze betrachtet werden, sondern es ist ein 
Nebeneinander sehr gut vorzustellen und dünkt mir in einigen Fällen 
sogar wahrscheinlich. So wird man bei Traubes Hypothese, sofern die 
Membran eine nicht wässerige Phase ist, den Verteilungskoöffizienten 
zu berücksichtigen haben. Wenn weiterhin die Membran heterogeu 
gedacht wird, wird sie für Teilchen oberhalb einer gewissen Größe 
als Molekülsieb wirken, ist dabei die Invasionsbahn keine wässerige, 
so wird nichtsdestoweniger die Verteilung mitsprechen usw. Schließ- 
lich ist auch für die Samenschale eine reversibele Membranbeein- 
flussung denkbar?*). 

Sicher ist, daß die beiden Membranen verschieden strukturiert 
(chemisch oder physikalisch oder beides) sin müssen. Die Aleuron- 
ete.-Zellwände quellen in Wasser und werden damit nicht sprung- 


23) Vgl. dazu auch: Bechhold, Die Kolloide in Biologie und Medizin (III. Auf- 
lage), S. 53, 54, 59 oder Höber, Physikal. Chemie usw. IV. Aufl. (1914), S. 346. 
24) Weitere Versuche sind gemeinsam mit H. Möller im Gange. 


H. Schroeder, Über die Semipermeabilität von Zellwänden. 181 


weise, sondern in kontinuierlichem Übergang durchlässig. Der per- 
meierende Stoff bewegt sich demnach hier in einer wässerigen Phase. 
Mit Sinken des Quellungsgrades wachsen die Widerstände für die 
Diffusion derart, daß sie früher oder später, das wird mit von der 
Natur des gelösten Stoffes abhängen, diese mehr oder weniger ganz 
unterbinden. In absolutem Alkohol, absolut alkoholiger Lösung sind 
daher die Zellulosewände lufttrockener Körner fast undurchlässig. 
Doch vermag Wasser, wie die Gewichtsabnahme erkennen läßt, zu 
passieren. 

Von dem Aufbau der selezierenden Schicht habe ich mir eine 
speziellere Vorstellung nicht gebildet, weil ich weitere Versuche ab- 
warten will, welche die Erörterung fruchtbarer gestalten werden. Auf 
eins sei noch hingewiesen. Wie sich aus dem Gesagten ergibt, 
glaube ich nicht, daß die selezierende Schicht für schwächere Silber- 
salzkonzentrationen absolut undurchlässig sei, für stärkere hingegen 
durchlässig, sondern ich nehme graduelle Unterschiede an. Diese 
werden praktisch den Erfolg haben, daß bei geringer Salzkonzentration 
im Außenmedium binnen bestimmter Fristen kein Silbersalz in nach- 
weisbaren Mengen in das Korninnere gelangt. Die Grenze wird damıt 
je nach der Dauer des Versuches und ‘auch individuell schwanken. 
Für diese Auffassung spricht — neben unveröffenlichten Versuchen — 
die Beobachtung, daß das alkoholig-wässerig gelöste Silbernitrat nach 
dem Durchwandern der dünnen Samenschale ın relativ schwacher 
Konzentration in den Aleuronzellwänden ankommt, wie die Ausgestal- 
tung der Streifung, breite und gekörnelte Zonen, die Mer kmale schwacher 
Konzentration, beweist. Ich Bi ähnliche Überlegungen schon wieder- 
holt vorgetragen”). Danach wäre also die selezierende Schicht nicht 
schlechthin undurchlässig für Silbernitrat (und andere Substanzen), 
sondern nur schwer durchlässig. Das paßt zu der für den Verteilungs- 
koöffizienten vorgesehenen Rolle. Denn je schwächer die Konzentra- 
tion in der Membran ist, um so kleiner ist das Konzentrationsgefälle 
in dieser, um so langsamer verläuft daher das Durchpassieren. Grenzt 
gar Innen (und Außen) an die schwer durchlässige Schicht eine zweite 
an und für sich leicht durchlässige Membran, so wird diese die Wir- 
kung verstärken, weil in ihr Konzentrationsausgleich durch Strö- 
mungen unmöglich ist, womit für die Weiterbewegung der einge- 
drungenen Teilchen nur die Diffusionsbewegung bleibt. Bei der ge- 
ringen Geschwindigkeit mit welcher diese verläuft, wird demnach eine 
derartige Einrichtung dazu dienen das wirksame Gefälle in der schwer 
durchlässigen Schicht zu verkleinern und damit das Durchwandern zu 
verzögern. 

Wurden arane Körner (Embryoschnitt Möllers) und 
unverletzte in identische Lösungen (2%, AgNO, in 64%, Alkohol, 
Ser 2,6%) gebracht, so waren die beidemal parallel zur 


25) Vgl. Schroeder III, S. 21, 


182 H. Schroeder, Über die Semipermeabilität von Zellwänden. 


Kornoberfläche angeordneten Bänder bei den angeschnittenen Körnern 
deutlich kräftiger ausgebildet als bei den intakten, auch reichten sie 
nach gleichen Einwirkungszeiten bei jenen beträchtlich weiter spitzen- 
wärts als bei diesen. Während sie beim unversehrten Material auf 
die Kornunterseite beschränkt blieben, waren sie bei dem verwundeten 
auch auf der Oberseite zu erkennen, wenngleich hier weniger deutlich 
als dort. Es ist möglich, daß diese Verschiedenheit auf Unterschiede 
ım Wassergehalt zurückzuführen ist, wenn das Wasser von der Schnitt- 
fläche vorlaufend dem Alkohol vorauseilt, doch soll das vorläufig nicht 
mehr als eine Vermutung sein. 

Beim Eindringen des Silbernitrates durch die Kornwand waren 
die parallel zur Kornoberfläche orientierten Streifen in der Nachbar- 
schaft des Embryo eng gestellt und wurden mit zunehmender Ent- 
fernung von diesem gröber und breiter. Daraus ıst zu schließen, 
daß die Konzentration der in Aleuron- und Nuzellarzellwände ein- 
tretenden Lösung nach der Spitze zu abnimmt. Aus der Stellung der 
Bänder und aus der Tatsache, daß diese Verbreiterung durchaus konti- 
nuierlich verläuft, folgt weiter, daß lokales Eindringen nicht vorliegt, 
sondern daß das Eintreten allerorts stattfindet, aber mit zunehmen- 
der Erschwerung in der Richtung vom Embryo nach der Spitze. Es 
wird also die semipermeable Schicht oder Schichten von der Spitze 
nach dem Embryo kontinuierlich an Dicke abnehmen, oder die Im- 
prägnation mit der den Stoffeintritt erschwerenden Substanz sinkt in 
der gleichen Richtung. 

Diese Erscheinung, die sowohl bei alkoholig-wässerigen Sılber- 
lösungen wie bei konzentrierter (28%) rein wässeriger zu beobachten 
war, findet eine Parallele in meinen älteren Befunden über die Wasser- 
aufnahme des unverletzten Kornes.. Von den beiden damals für die 
Bevorzugung der Embryohälfte vorgesehenen Erklärungen — allseitiges 
Eintreten mit zunehmender Erschwerung in der Richtung vom Embryo 
nach der Spitze oder lokales Eindringen am Embryo und Vorlaufen 
in den Nuzellarzellen — wird die erstere, :von mir schon seiner- 
zeit für die wahrscheinlichere angesehene, hierdurch bestätigt und 
gezeigt, daß Wasser und Silbernitrat an den gleichen Stellen relativ 
schwerer eindringen. 

Schließlich konnte durch Alkoholzusatz (Alkoholgehalt 48%) auch 
das Chlornatrium zum Eintritt in das unverletzte Korn veranlaßt 
werden. Das ließ sich daran erkennen, daß nachfolgende Behandlung 
mit Silbernitrat die gleiche Ausgestaltung der Rhythmen lieferte, 
einerlei ob die Körner angeschnitten oder unversehrt ın der alkoho- 
ligen Kochsalzlösung gelegen hatten. Die Applikation des Silber- 
salzes erfolgte in beiden Fällen in der gleichen Weise nach der von 
Möller sogenannten Methode des Embryoschnittes. 

Ungeachtet verschiedener Deutungsschwierigkeiten ergeben also 
diese Versuche mit aller Schärfe, wie berechtigt seinerzeit meine 
Warnung gewesen ist, die Kornhülle nicht schlechthin als einheitlich 





H. Schroeder, Über die Semipermeabilität von Zellwänden. 183 


anzusehen. Es werden zwei oder selbst mehr Schichten für den 
Stoffeintritt maßgebend sein, und es wird unter anderem von der 
Natur des Außenmediums abhängen, welche davon in Wirkung tritt 
oder treten. 

$3. Man hat bis vor kurzem die Frage nach der Durchlässig- 
keit der Zellwände nicht besonders erörtert, weil man aus Plasmolyse 
und Färbungsversuchen schloß, daß die wirksamen Stoffe durch die 
Zellwände hindurch gegangen sein müßten ?®). Wenn unverletzte 
Pflanzen oder wenn Pflanzenteile verwendet werden und dafür gesorgt 
wird, daß die Wundflächen mit dem Plasmolytikum oder dem Farbstoff 
nicht in Berührung kommen, ist dieser Schluß berechtigt. Sowie 
aber die Wundflächen eintauchen, und das ist bei den gebräuchlichen 
Plasmolysierverfahren das gewöhnliche, ist ein Eindringen von der 
Wunde her möglich und ein Weiterwandern des Plasmolytikums von 
Zelle zu Zelle durch Wandporen bei undurchlässiger Wand denkbar, 
„worauf Rippel?”) hingewiesen hat?*). 

Nun ist Farbstoffaufnahme und Plasmolyse bei unversehrten 
Pflanzen vielfach beovachtet worden und unschwer festzustellen. Es 
handelt sich dabei zumeist um submerse Pflanzen oder um Teile von 
solchen, schließlich um Wurzelhaare und dergleichen Organe, bei 
welehen die Kutikula schwach entwickelt ist oder gänzlich fehlt, 
während die Zellulosewand ausgebildet ist. Für besonders instruktiv 
halte ich Beobachtungen, über die in einer nachgelassenen Schrift 
von Klebs??) berichtet wird. In dieser findet sich unter anderem 
die Angabe, daß Zellen des Prothalliums, deren Wänden im Gegen- 
satz zu den Kongorot auch bei lebender Zelle speichernden Rhizoid- 
zellwänden diesen Farbstoff erst nach dem natürlichen oder durch 
bestimmte Agentien verursachten Zelltod aufnehmen, in Zucker oder 
Kalisalpeterlösung plasmolysiert waren, ohne daß das Kongorot in den 
Raum zwischen der Zellwand und den abgehobenen Protoplasten ein- 
drang. Hiermit ist ein Durchtritt des die Zellwand passierenden und 
vom Plasma zurückgehaltenen Zuckers durch grobe Poren (Perfora- 
tionen), etwa Plasmodesmenbahnen, ausgeschlossen, denn/diese müßten 
ebenso für das Kongorot wegsam sein. Dagegen könnte man sich 
die Zellwand in diesem Falle als Ultrafilter vorstellen, das die kleineren 
Zuckerteilchen durchließe, die größeren des Farbstoffes zurückhielte. 


236) Vergleiche aber z. B. Pfeffer, Tübinger Untersuchungen II, S. 202/203. 

27) Rippel, Berichte d. deutsch. bot. Ges. 36 (1918) 211/212. 

28) Im Sinne von Rippel-Wanderung durch Perforationen — mag dies raschere 
Eintreten der Plasmolyse in einer Wunde anliegenden Zellen auch dann gedeutet 
werden, wenn die Zellwand für das Plasmolytieum durchlässig ist. Denn in den 
offenen Bahnen wird die Diffusion mit größerer Geschwindigkeit verlaufen als inner- 
halb der Wandsubstanz. Häufig wird der Einfluß der Wunde mit der Beseitigung 
absolut undurchlässiger Hüllen — Kutikula — zu erklären sein. 

99) Klebs, Verhalten der Farnprothallien gegenüber Anilinfarben. Sitzungs- 
bericht der Heidelberger Akademie, Math. Nat. Klasse. Abglt. B, Jahrgang 1919, 
Abhandlung 18, 


184 H. Schroeder, Über die Semipermeabilität von Zellwänden. 


In dieser Weise wird ein festes Kolloid wirken, es fragt sich nur, 
von welcher Teilchengröße ab diese Filterfunktion eintritt. Zu erklären 
bleibt dann erstens die nach dem natürlichen oder durch bestimmte 
Agentien, Substanzen, verursachten Zelltod eintretende Veränderung 
dahingehend, daß Kongorot nunmehr die vordem nicht färbbaren 
Wände tingiert, und der Unterschied im Verhalten der Rhizoidzellen, 
deren Wände auch ım Lehen Kongorot aufnehmen, einerseits und den 
den Farbstoff nicht hereinlassenden Wänden der grünen Zellen. Für 
letztere Verschiedenheit könnten physikalische Differenzen, also viel- 
leicht solche im Quellungszustand der Zellulosewand die Ursache sein. 
Man könnte indes gerade ım Hinblick auf Hansteens Arbeiten an 
Einlagerungen denken, also sekundäre chemische Unterschiede °°). 


Das gilt indes, wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, zu- 
nächst nur für den Farbstoff, für Krystalloide mit kleinen Molekülen 
waren die Wände beider Zellkategorien durchlässig. Und diese sind 
es, die ich bei meinen Darlegungen im Auge habe. Ich glaube, daß 
für diese die Zellulosezellwände im natürlich gegebenen Quellungs- 
zustand im allgemeinen durchlässig sind, wie dies in der Tat für eine 
größere Anzahl von Einzelfällen mit Bestimmtheit nachgewiesen ist. 
Das ist nun nicht so zu verstehen, als ob die Zellulosewände der Salz- 
diffusion überhaupt kein Hindernis bieten. Jede Membran wird, ver- 
glichen mit Wasser, die Diffusionsgeschwindigkeit eines gelösten Elek- 
trolyten verändern (herabsetzen), wie das künstliche Gallerten (Gelatine 
und anscheinend schwächer Agar), und zwar in Abhängigkeit von 
ihrem Wassergehalt tun. Semipermeabel wird man sie selbst bei 
weiter Auslegung dieses Begriffes nur dann nennen, wenn die De- 
pression der Diffusionsgeschwindigkeit praktisch bis zur Undurch- 
lässigkeit gesteigert ist oder eine solche Höhe erreicht, daß zu beiden 
Seiten der Membran für längere Zeit ein deutlicher Konzentrations- 
unterschied bestehen bleibt?!), wobei ich mir einen Ausgleich durch 
Wasserbewegung irgendwie verhindert denke. 


Unterschiede in der Durchlässigkeit der Zellulosewände können, 
wie vorn angedeutet, durch gleichgültig hier auf welche Ursachen 


zurückführende Differenzen im Quellungszustand (Wassergehalt) der 


Membran bewirkt werden oder durch sekundäre Einlagerungen, ın 


30) An dieser Stelle wären Beobachtungen Rosenthalers (Berichte d. deutschen 
pharmazeut. Ges 31 [1921], S. 27) zu erwähnen. R. findet eine Aufnahme von Eisen- 
chlorid in den Zellwänden von Schnitten bei allen Gewebearten, nur die Kutikula 
bleibt ungefärbt. Verwandte er unverletzte Pflanzen, so beschränkte sich die Reaktion 
auf die Zellwände der Wurzel. R. hält das Ausbleiben der Färbung bei intakten 
oberirdischen Teilen für eine Wirkung der Kutikula; er konnte bei Keimlingen durch 
Auskochen mit Chloroform auch bei unversehrten oberirdischen Teilen eine Reaktion 
erzielen. 

31) Siehe vorn 8. 9, 


vr TV 
au Rh 


H. Schroeder, Über die Semipermeabilität: von Zellwänden. 185 


diesem Falle könnte man aber schon nicht mehr von einer Eigenschaft 
der Zellulosewand als solcher sprechen ??). 

Anders als die in Wasser gequollene Wand wird sich die unge- 
quollene Wand im nicht wässerigen Medien verhalten. Ich habe 
oben Versuche beschrieben, aus welchen sich folgern läßt, daß die 
Nuzellar- und Aleuronzellwände für absoluten Alkohol und für in 
diesem gelöste Stoffe undurchlässig sind. Das Gleiche wird für 
Äther, Chloroform und andere organische Flüssigkeiten gelten. Darum 
ist es möglich, daß Rippel recht hat mit seiner Vorstellung, die 
Zellulosehüllen lufttrockener Samen übten diesen Stoffen gegenüber 
die Schutzfunktion aus®?). Eine gewisse Schwierigkeit ergeben jedoch 
von mir vor einigen Jahren veröffentlichte Versuche. Das unver- 
sehrte trockene Korn widersteht der Einwirkung wasserfreien Alkohols 
lange Zeit. Werden indes Frucht und Samenschale, was nach einem 
früher von mir angegebenen, übrigens auf Schuhmann zurückzu- 
führenden Verfahren nur am lufttrockenen Korn und lediglich über 
dem Embryo möglich ist, entfernt, so wird die Keimfähigkeit binnen 
kurzer Zeit vernichtet. Damit ist bewiesen, daß die Widerstands- 
fähigkeit im ersteren Falle nicht eine Besonderheit des wasserarmen 
Protoplasten darstellt, sondern lediglich dem Schutz durch die Samen- 
schale zu danken ist, wie ich das bereits seinerzeit ausgesprochen 
hatte, und wie später Rippel°*) auf Grund von Versuchen, die ich 


32) Der Quellungszustand der Zellwände müßte eigentlich in der natürlich ge- 
gebenen Imbibitionsflüssigkeit untersucht werden. In welchem Maße durch stoffliche 
Einflüsse (H und OH, Metall und Säureionen) Beeinflussungen des Quellungszustandes 
möglich sind, hat die Arbeit meines in englischer Gefangenschaft verstorbenen Schülers 
H. Kotte an Meeresalgen gezeigt (Wiss. Meeresuntersuchungen Neue Folge Band 17 
Abteilung Kiel [1915], S. 115). Turgor, Gewebespannung und andere physikalische 
Einflüsse werden ebenfalls nicht gleichgültig sein. Daher wird die Zellwand der Ge- 
webezellen von Landpflanzen einen anderen, im allgemeinen geringeren Wassergehalt 
im intakten Pflanzenkörper als in dem im Wasser liegenden Schnitt besitzen. 

Auch der Zellinhalt wird durch die Überschwemmung mit Wasser, wie sie im 
Schnitt stattfindet, in Mitleidenschaft gezogen. Ich erinnere dafür an die bekannte 
Degeneration, die Chromatophoren von Blütenblättern bei in Wasser liegenden Schnitten 
zeigen. Aus diesen Überlegungen teile ich den Standpunkt der Forscher, die neuer- 
dings davor warnen, aus dem Verhalten von isolierten Zellen in Wasser oder einstoff- 
lichen Lösungen Schlüsse — auch bezüglich der Permeabilität — auf das Verhalten 
in der Pflanze zu ziehen. 

33) Ich habe bereits früher (l. ce. I, S. 201) auf diese Möglichkeit hingewiesen. 
Sie hat durch die mitgeteilten Versuche eine gewisse Begründung erfahren. Wenn ich 
mich trotzdem noch nicht bestimmter ausspreche, geschieht dies im Hinblick auf die 
oben im folgenden besprochene Schwierigkeit. Die zweite von mir seinerzeit vor- 
getragene Möglichkeit einer Wirkung der selezierenden Schicht scheint mir nach den oben 
mitgeteilten Versuchen nicht mehr haltbar. 

34) Biolog. Centralblatt 37 (1917) 477, Rippel hat an der Stelle, an welcher 
er mit Recht darauf aufmerksam macht, daß zwischen Entfernung von Frucht und 
Samenschale zu unterscheiden ist, übersehen, daß das Schälen angefeuchteter Weizen- 
körner, wie es Kurzwelly ausgeführt hat, lediglich die Fruchtschale, und diese unvoll- 
ständig beseitigt. Frucht und Samenschale lassen sich nur auf die oben beschriebene 
Weise wegnehmen, 


186 H. Schroeder, Über die Semipermeabilität von Zellwänden. 


für weniger beweisend halte als die meinigen, erneut und besonders 
ausdrücklich hervorgehoben hat. 

Es müssen also die lufttrockenen Zellwände des Embryo den 
absoluten Alkohol durchlassen. Dafür lassen sich verschiedene Er- 
klärungen ausdenken. Es wäre möglich, daß diese wachstumsfähigen 
Zellwände eine andere Zusammensetzung zeigten als die fertigen 
(Pektin), oder daß sie ihr Wasser nicht in demselben Maße verlieren 
wie jene, so daß sie selbst im lufttrockenen Korn genügend gequollen 
wären, um Alkohol durchzulassen. Vielleicht ‚wäre sogar nur ihre 
geringere Dicke ausschlaggebend. Ob man bei dieser Art der Ver- 
wundung an Plasmodesmenbahnen denken kann, halte ich für frag- 
lich. Wie dem auch sei, jedenfalls liegt hier eine Verschiedenheit 
vor, die eine Erklärung verlangt°*). 

$4. Daß zwischen Samen (und Früchten) verschiedener Arten 
(gradweise) Unterschiede in der Permeabiltät vorhanden sind, ist also 
wahrscheinlich, und durch den Vergleich des Verhaltens der Schale 
von Xınthium mit der des Weizen bewiesen. Leider ist ein be- 
quemer Weg die Differenzen zahlenmäßig zu definieren nicht gangbar. 
Denn aus der Gewichtszunahme der quellenden Samen, als Maß für 
die Aufnahme von Flüssigkeit, und aus der Titerzunahme der zurück- 
bleibenden Außenflüssigkeit, als Maß für die Aufnahme reinen Wassers, 
könnte nur dann auf den Grad der Semipermeabilität geschlossen werden, 
wenn die selezierende Schicht ın jedem Falle die äußerste Zellage der 
geprüften Samen und Früchte wäre. Wo dies nicht der Fall ist, setzt 
sich die Gewichtszunahme aus zwei Teilgrößen zusammen. Erstens 
aus der durch die Aufnahme von Salzlösung in die außerhalb der 
selezierenden Schicht gelegenen Teile bewirkten Zunahme, und zweitens 


35) Willstätter und Stoll haben gefunden, daß einige organische Solventien, 
wie Athylalkohol, Aceton und andere aus trockenem Brennesselpulver das CP. nur 
dann.gut extrahieren, wenn sie nicht wasserfrei, sondern mit einem beträchtlichen 
Wassergehalt verwendet werden (Aceton z. B. 20%). Da CP. in den genannten wasser- 
freien Substanzen löslich ist, und da weiterhin der Zutritt derselben auch in wasser- 
freiem Zustand zu den Chloroplasten des trockenen Materials durch die Extraktion des 
Karotens bewiesen wird (Arnaud. Compt. rend. 100, S. 751; Willstätter und Mieg, 
Ann. d. Chemie 355 (1907), S.12) glauben Willstätter und Stoll, es würden 
durch das zugesetzte Wasser Salze (etwa KNO,) gelöst, und diese veränderten den 
Zustand des CP. derart, das dasselbe extrahierbar werde. Als notwendige Folgerung 
aus dieser Annahme ergibt sich die Vorstellung eines Unterschiedes im Zustande des 
CP. im trockenen und im wasserdurchtränkten Blatte. 

Ich möchte demgegenüber auf eine andere Erklärungsmöglichkeit hinweisen. Der 
Alkohol ete. dringen in die Zelle (die Wände verhielten sich demnach hier wie beim 
Gramineenembryo!), und lösen hier das CP. wie das Karoten, während aber dieses als- 
dann seinen Weg durch die Zellwand findet, wird jenes von ihr zurückgehalten, es 
sei denn, daß eine gewisse Menge vorhandenen Wassers die Wände so weit quellen 
läßt, daß sie auch für das CP. durchlässig werden. Meine Vermutung läßt sich ex- 
perimentell prüfen, doch fehlen mir dazu gegenwärtig die nötigen Hilfsmittel. Immer- 
hin ergab ein roher Vorversuch, daß caeteris paribus die Anfärbung des wasserfreien 
oder wasserarmen Lösungsmittels um so intensiver war, je feiner die trockenen Blätter 
pulverisiert wurden. 


BI 


H. Schroeder, Überzdie Semipermeabilität von Zellwänden. 187 


aus der hervorgerufen durch den Eintritt von reinem Wasser in das 
von der selezierende Schicht umgebene Innere. Die gefundene Ge- 
wichtszunahme wird daher, sowie die, vollkommen semipermeabel ge- 
dachte Schicht nicht durchaus an der Oberfläche liegt, größer sein 
als die aus Titerzunahme berechnete. Einen Schluß auf den Grad 
des Selektionsvermögens kann man also aus derartigen Versuchen 
solange die Differenz zwischen berechneten und gefundenen Werten in 
mäßigen Grenzen bleibt nicht ziehen ’®). 


Mit Erbsensamen, deren Schale ich für verschiedene nicht in das 
Getreidekorn eintretende Salze für durchlässig gehalten habe, wasRippel 
bestreitet, habe ich neue Versuche nicht angestellt. Die seinerzeit 
natürlich auch von mir bemerkte anfängliche Depression der Wasser- 
aufnahme in der Kochsalzlösung erklärte ich mir damit, daß eben, 
wie ich dies vorn ausgeführt habe, die Zellwände der Samenschale die 
Salzdiffusion verzögern. Rippel denkt für den Ausgleich an das 
Auftreten feiner Risse. Ich gebe diese Möglichkeit zu, indes glaube 
ich nicht, daß die quellenden Kotyledonen diese Rißbildung veran- 
lassen. Denn die Quellung und Ausdehnung der Schale eilt der der 
Kotyledonen voraus. Beim umgekehrten Verfahren, wenn man ge- 
quollene Erbsen trocknet, sprengen die. noch stark wasserhaltigen 
Kotyledonen die trocknende und sich damit kontrahierende Schale bis 
zum Auftreten klaffender Risse. 

Von den Faktoren, die nach Schull und nach Rippel die ge- 
rade bei Leguminosen häufig anzutreffenden Unterschiede im Verhalten 
bewirken könnten, möchte ich besonders ungleichen Reifegrad her- 
vorheben. : 


Obgleich, wie ich an verschiedenen Stellen angemerkt habe, Zel- 
lulosewände verschieden gebaut und damit in ungleichem Maße 
durchlässig sein können, so besteht doch kein Grund, diejenigen Zell- 
wände, deren von Perforationen unabhängige Durchlässigkeit für gelöste 
Krystalloide bestimmt erwiesen ist, — das sind Nuzellar- und Aleuron- 
zellwände der Gramineen, Wände der Epidermis verschiedener Blätter 
und die beiden Kategorien von Zellen der Farnprothallien — für be- 
sonders leicht durchlässig zu halten. Denn wenn man dies auch 
für die genannten Zellwände der Getreidekörner und die der Pro- 
thalliumrhizoidzellen zugeben kann, bei den Wänden der Blattepidermis- 


36) Daher dürfen Rippels Tabellen (Bot. Ber. 36 [1918] 204, 205) nicht in diesem 
Sinne ausgewertet werden. Wenn also R. die Hülle der Roßkastanie vollkommen 
semipermeabel nennt, wird dies damit bewiesen sein, nicht aber das unvollkommene 
Selektionsvermögen derjenigen Samen, bei welchen die theoretische und die gefundene 
Titerzunahme etwas von einander abweichen. Kontrollversuche mit angeschnittenen 
Samen sollten immer angestellt werden. Denn abgesehen von jeder Membranwirkung 
braucht die Quellung der Reservestoffe in Lösungen verschiedener Stoffe und un- 
gleicher Konzentrationen nicht gleich zu sein und nicht mit der in reinem Wasser 
übereinzustimmen. 


c% 


188 St. Konsuloff, Über die Doppelatmung der Mückenlarven. 


zellen und denen der grünen Prothalliumzellen spricht nichts für diese 
Annahme, manches gegen sie. Verwehren doch gerade die Wände 
der grünen Prothalliumzellen im Gegensatz zu den Rhizoidzellen dem 
Kongorot den Eintritt. 

Indem ich die vorgetragenen Resultate und Erwägungen zur 
Diskussion stelle, bin ich mir bewußt nichts abgeschlossenes gebracht 
zu haben. Weitere Versuche sind im Gange. 

Bei dem heutigen Stande scheint mir die bisher verbreitete An- 
sicht einer für Krystalloide allgemeinen Durchlässigkeit der gequollenen 
Zellulosewände berechtigt. 

Das gilt vorläufig nur für Krystalloide mit kleinem Molekül. Für 
Kolloide (große Moleküle) mag in vielen Fällen die Zellwand — wie 
eine Gelatine-Gallerte — als Sieb wirken. Und vielleicht sind Ein- 
lagerungen, die Halbdurchlässigkeit verursachen, ohne die mikro- 
chemische Zellulosereaktion zu verändern, öfter anzutreffen (Klebs, 
Hansteen). | 

Sämtliche in der vorliegenden Arbeit mitgeteilten Versuche hat 
Herr Dr. Möller ausgeführt. Ich spreche ihm dafür auch an dieser 
Stelle meinen Dank aus. 

Kiel, im November 1921. 


Über die Doppelatmung der Mückenlarven. 
Von Dr. St. Konsuloff. 


Privatdozent der Zoologie a. d. Universität Sofia. 
Mit 3 Abbildungen. 

Die europäischen Mückenarten überwintern größtenteils als Imago, 
einige Arten aber können auch als Larven oder nur als Larven die 
kalte Jahreszeit verbringen. Unter anderen überwintert als Larve auch 
Amopheles bijurcatus L. Diese Art ist in Europa stark verbreitet, auch 
in den Zonen, wo die Tümpel im Winter mit Eis bedeckt sind. Unter 
diesen Umständen müssen die Larven auf ihre Tracheenatmung ver- 
zichten und sind auf die Kiemenatmung angewiesen. Welche andere 
Mückenarten als Larven überwintern können, ist noch nicht genau er- 
forscht. Kurze Zeit nach dem Eisschmelzen habe ich am 18. März 
1915 in einem Tümpel bei Gevgeli (Macedonien) erwachsene Larven 
von Theobaldia annulata Schrank gefunden. Andrerseits habe ich 
in Südbulgarien einmal am 1. April, als noch die Eier kaum gelegt 
waren, Männchen von Anopheles maculipennis Meigen gelangen, mit 
gut beschuppten Flügeln, die offenbar nicht überwintert hatten, sondern 
frisch ausgeschlüpft waren. In der Nähe von Sofia habe ich Anfang 
April 1920 erwachsene Larven von Culex sp. gefunden, die auch den 
ganzen Winter unter dem Eis verbracht hatten. 

Alle diese Tatsachen weisen darauf hin, daß die Mückenlarven die 
Fähigkeit besitzen, unter bestimmten Umständen auch die im Wasser 


ss 


St. Konsuloff, Über die Doppelatmung der Mückenlarven. 189 


enthaltene Luft zur Atmung auszunutzen und daß nur einige Mücken- 
arten von dieser Fähigkeit regelmäßig Gebrauch machen; alle übrigen 
überwintern als Imago. 

Welche sind die Organe, die diese Kiemenatmung ermöglichen? Es 
lag die Vermutung nahe, daß diese Rolle wahrscheinlich die Analanhänge 
spielen, die keine Chitinschicht wie die übrige Körperoberfläche besitzen. 

Diese Anhänge sind nicht imstande unter gewöhnlichen Umständen 
die Atembedürfnisse der Larven zu sichern, was aus den folgenden Ver- 
suchen bei Zimmertemperatur ersichtlich ist. 


Ausdauer der Larven von A. maculipennis, die bei Zimmertemperatur ohne 
Berührung mit der Luft gehalten werden. 



































| 
Alter der Larven |Nach 15 Min.|Nach 30 Min. Nach 45 Min.| Nach 60 Min.|Nach 300 Min 
j | 
I. Be mm lebend lebend lebend lebend Nur einige 
lang) noch lebend 
II. (mittelgroß) = 2 einige Jjalle gestorben —_ 
gestorben 
III. erwachsene # einige die meisten Jalle gestorben E 
(Larven) gestorben gestorben 


In der Natur aber können die Mückenlarven nur unter dem Eis zur 
Wasseratmung gezwungen werden, also bei einer Temperatur, die nicht 
bedeutend höher über OÖ ist. Bei einer so niedrigen Temperatur müssen 
die Lebensprozesse sehr herabgesetzt und die Atembedürfnisse sehr be- 
schränkt sein. Infolgedessen könnte man erwarten, daß vielleicht bei 
niedriger Temperatur die Wasseratmung imstande wäre die Atembedürf- 
nisse zu befriedigen. Die folgenden Versuche, ‘die in dieser Richtung 
unternommen waren, haben die Voraussetzung vollkommen bestätigt. 

I. Larven von Anopheles maculipennis verschiedenen Alters wie 
auch Culex pipiens-Larven werden allmählich abgekühlt. Bis ungefähr 
5-—40 GC. sind die Larven beweglich, bei niedrigerer Temperatur sinken 
sie auf den Boden und bleiben dort bewegungslos. Das Wasser fror 
eänzlich, die Temperatur sank bis auf 15° unter 0, die Larven lagen im 
Eise selbst. Als ich nach ungefähr 10 Stunden die Temperatur bis zur 
Zimmertemperatur steigen ließ, erwachten die Larven nicht, sie waren tot. 

Il. Larven von A. maculipennis und C. pipiens bei + 2° 0. gestellt 
liegen am Boden bewegungslos. Nach 10 Stunden bis zur Zimmertempe- 
ratur erwärmt, erwachen sie und steigen an die Oberfläche munter 
empor. Von neuem bis zu + 2°C. abgekühlt, schliefen die Larven wieder 
ein und fielen zum Boden. 

III. In ein Glas mit abgekochtem und bis zu +2° C. abgekühltem 
Wasser wurden Larven von A. Imaculipennis und Ü. pipiens gesetzt, die 
Oberfläche mit flüssigem Paraffin bedeckt und weiter bei +2° ©. ge- 
halten. Ein zweites Glas mit Larven, aber mit durchlüftetem Wasser, 
diente als Kontrolle. Nach 12 Stunden wurden beide Gläser bis zur 


4190 St. Konsuloff, Über die Doppelatmung der Mückenlarven. 


Zimmertemperatur erwärmt: die Larven waren im ersten Glas tot, 
diejenigen im zweiten erwachten und kamen an die Obertläche des 
Wassers unter dem Paraffin herauf. 

Die Kontroll-Larven wurden jetzt bei einer Temperatur von + 4° 
bis 45° C. gestellt. Sie blieben nicht ständig am Boden, sondern 
kamen hin und wieder an die Oberfläche (unter dem Paraffin), ihre 
Beweglichkeit aber war viel schwächer als bei Zimmertemperatur. Nach 
10 Stunden waren diese Larven immer noch lebend. 

IV. Die Analanhänge von A. maculipennis und €. pipiens-Larven 
wurden mit einem Rasiermesser vorsichtig abgeschnitten. Unter Wasser ge- 
stellt, konnten nur die Culex-Larven, dank ihrem Atemrohr, an die 
Oberfläche kommen, die Anopheles-Larven aber, trotz allen Bemühungen, 
konnten es nicht. Die ihrer Annalanhänge beraubten Larven wurden ın 
zwei Gruppen geteilt. Eine Gruppe wurde auf Fließpapier, die andere 
in ein Glas abgekochtes Wasser, mit flüssigem Paraffin an der Ober- 
fläche, gestellt. Beide Gruppen wurden bei einer Temperatur von ca. 
20 C. gehalten. Nach 24 Stunden setzte ich beide Gruppen bei 
Zimmertemperatur aus, wobei ich den über dem Fließpapier befind- 
lichen Larven Wasser zusetzte. Die Larven, die in abgekochtem Wasser 
lagen, waren schon tot, die anderen, die in Kontakt mit der Luft standen, 
obwohl mit entfernten Analanhängen, waren noch lebendig. 

* 7 % 

Aus diesen Versuchen geht folgendes hervor: 

1. Die Mückenlarven sind imstande auch unter Wasser zu atmen. 

2. Diese Fähigkeit ist mit den Analanhängen verknüpft. Der 
übrige Körper ist mit einer dicken Chitinschicht bedeckt, die keine Hant- 
atmung erlaubt. 

3. Die Analanhänge funktionieren als Atmungsorgane verhältnis- 
mäßig sehr schwach und sind imstande nur bei herabgesetzter Lebens- 
tätigkeit der Larven die Atembedürfnisse zu befriedigen. Das ist der 
Fall, wenn sich die Larven im Wasser unter dem Eis befinden und 
wenn die Wassertemperatur nicht höher als 4—5 °C. ist. 

4. Im Eis selbst können die Larven kurze Zeit aushalten, wenn die 
Temperatur nicht zu stark gesunken ist. 

Die biologische Bedeutung dieser Doppelatmung besteht offenbar 
darin, daß sie den Larven ermöglicht, unter gewöhnlichen Umständen 
längere Zeit am Boden zu bleiben um Nahrung zu suchen. Außerdem, 
dank der Kiemenatmung, können die Larven unter dem Eis überwintern. 
Und wenn wir gewöhnlich nur einige Mückenarten finden, die als Larven 
bis zur nächsten Saison aushalten, so ist das nicht durch die Unfähig- 
keit der Larven zu erklären, sondern durch den Instinkt der Weibchen. 
Bei manchen Arten, z. B. bei A. bifurcatus, legen die Weibchen im 
Spätherbst Eier ab und die ausgeschlüpften Larven können bis zum 
Winterbeginn ihre Entwicklung nicht beendigen. Ihr Wachstum hört 
bei der niedrigen Spätherbsttemperatur auf und sie sind zur Über- 
winterung genötigt. Das ist gewöhnlich bei A. maculipennis nicht der 





St. Konsuloff, Über die Doppelatmung der Mückenlarven. 191 


Fall, weil diese Art im Spätherbst keine Eier ablegt. Larven von dieser 
Art habe ich künstlich im Herbst bei niedriger Temperatur gehalten 
und so ihre Entwicklung bis zum Winter verzögert. Mitte Januar 
waren die Larven in einem Wasserbecken immer noch lebend, wobei 


sie am Boden lagen. 


+ 
* x 


Was für Atmungsorgane stellen die Analanhänge dar ? 
Es sind vier hohle Anhänge des Analsegmentes der Larve, die 
bei allen Mückenlarven ziemlich gleiches Aussehen haben. Ihren Bau 





Abb. 1. ZTiheobaldia spathipalpis, Rondani. 
und den Haupttracheen. 





Abb. 2. Theobaldia spathipalpis, Rondani. «a Sagitalschnitt, d = Querschnitt durch 
den Analanhang. 
versuchte ich an den Larven von Theobaldia spathipalpis Rondani 
zu untersuchen, da bei dieser Art die Analanhänge größer als bei 
den anderen Mückenarten sind. 


192 St. Konsuloff, Über die Doppelatmung der Mückenlarven. 


An gefärbten Präparaten sieht man, wie die Analanhänge durch 
feine Verbindungsröhren mit den Haupttracheen in Verbindung stehen, 
sodaß sie dorthin den Sauerstoff treiben und ihn dem ganzen Körper 
übermitteln können (Abb. 1). Das Lumen der Analanhänge steht mit 
der Leibeshöhle in Zusammenhang und ist durch eine Wand in zwei 
Hälften geteilt (Abb. 25)- Diese Wand dient als Schutz von fein ver- 
zweigten Tracheen, die aus einem Medianrohr entspringen (Abb. 24). 
Die Zellkerne der Außenwand sind im Vergleich mit den der Median- 
wand ungewöhnlich groß. 





Abb. 3. Theobaldia spathipalpis, Rondani. a=Längsschnitt durch die Spitze eines 
Analanhangs; ein Teil der Außenwand mit Verlängerung und Erweiterung 
der Endkapillaren im Protoplasma; ce —ein Teil einer Endkapillare, einem 
Kern anliegend; d= kolbenförmige Erweiterung am Ende einer Kapillare, 
in Berührung mit dem Kerne (nur ein kleiner Teil vom Kerne ist in diesem 
Schnitte sichtbar). 


Die Endzweige der Tracheen gehen von der Medianwand in die 
Wandungen der Anhänge über. Dort verlaufen die Tracheenkapillaren 
in verschiedenen Richtungen in den Zellen selbst, die oft schwer zu 
verfolgen sind, wobei sie oft den Zellkernen anliegen. (Abb. 3 e, d). 
An manchen Stellen, hauptsächlich an der Spitze der Analanhänge, 
bilden die Kapillaren kolbentörmige Erweiterungen, die ebenfalls oft 
mit den Kernen in Berührung kommen (Abb. 3d). 

Die Analanhänge sind also Tracheenkiemen. Die Sekretion des 
Sauerstoffs findet in der Außenwand statt. Die sich daran beteiligenden 
Zellen haben auffallend große Kerne, aus denen Chromidien ausgiebig 
austreten (Abb. 3 b, e). Die Größe der Kerne dieser sezernierenden 
Zellen, die Berührung mit den Tracheenkapillaren und deren Erweite- 
rungen die oft zu beobachten sind, endlich die reichliche Chromidien- 
ausscheidung zeigen, daß hier die Kerne bei der Sauerstoffsekretion 
wahrscheinlich eine wesentliche Rolle spielen. 





Junge & Sohn, Univ.-Buchdruckerei, Erlangen 











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Begründet von J. Rosenthal 
Herausgabe und Redaktion: 
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. O. Warburg 


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Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 28 











42. Band. Mai 1922. Nr. 5 


ausgegeben am 1. Mai 1922 





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Den Herren Mitarbeitern stehen von ihren Beiträgen 30 Sonderabdrucke kostenlos zur 
Verfügung; weitere Abzüge werden gegen Erstattung der Herstellungskosten geliefert. 








Inhalt: H. Schmidt, Untersuchungen über den chemischen Sinn einiger Polychaeten. 8. 193. 
P. Schiefferdecker, Uber die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie des Menschen- 
geschlechtes. S. 200. 
F. Alverdes, Zur Lehre von den Reaktionen der Organismen auf äußere Reize. $. 218. 
H. Kappert, Ist das Alter der zu Kreuzungen verwandten Individuen auf die Ausprägung der 
elterlichen Merkmale bei den Nachkommen von Einfluß? S. 223. 
W. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 1I. Teil. Mit5 Abb. S. 231. 





Untersuchungen über den chemischen Sinn einiger 
Polychaeten. 
Von Dr. phil. Hans Schmidt. 


Doflein!) schließt sein Buch „Das Tier als Glied des Natur- 
ganzen“ mit dem Wunsche, daß endlich ein genaues Studium des Seelen- 
lebens der höheren Tiere beginnen und eine Entwicklung einsetzen möchte, 
die uns gesicherte Tatsachen über dieses wichtige Gebiet des Tierlebens 
brächte. Was Doflein hier für eine genaue Erforschung des Seelen- 
lebens der höheren Tiere verlangt, würde aber bei den niederen Lebe- 
wesen nicht minder wertvolle Resultate ergeben. 

Während in der Wissenschaft vom Bau der Tiere die entwicklungs- 
geschichtliche Betrachtungsweise die herrschende geworden ist, wissen 
wir von der „Phylogenie‘“ des psychischen Lebens noch recht wenig. Viel- 
fach fehlen noch für eine vergleichende Behandlung des geistigen Lebens 
die grundlegenden Beobachtungen und Versuche in den einzelnen Tier- 
gruppen. Die vergleichende Physiologie der Sinnesorgane und der Sinnes- 


1) Tierbau und Tierleben von R. Hesse u. F. Doflein. Leipzig und Berlin 
1910/14. 


42. Band. 3 


494 NH. Schmidt, Untersuchungen über den chemischen Sinn einiger Polychaeten 


tätigkeiten der Tiere, besonders auch der niederen, ist noch so wenig ge- 
fördert wie kein anderes Gebiet der Lehre vom Leben. 

Es ist ein entwicklungsgeschichtliches Postulat, daß in den nie- 
dersten Organismen die psychischen Funktionen vorgebildet sind. Sie 
müssen dies sein „in einem undifferenzierten Ganzen seelischer Art, aus 
dem sich durch den Entwicklungsprozeß nach und nach ebensowohl intel- 
lektuelle wie triebartige oder Willenshandlungen als unterscheidbare Zu- 
stände nebeneinander entfalten“ (Külpe). 

Es dürfte eine Aufgabe der nächsten Zukunft sein, das gesamte 
Tierreich — angefangen von den niedersten Lebewesen — systematisch 
einer eingehenden Untersuchung sämtlicher Sinnesorgane (so weit dies 
noch nicht geschehen) und ihrer Funktion vom Universalsinnesorgan 
und dem Wechselsinnesorgan Nagels?) an (letzteres gleich dem ge- 
mischten Sinnesorgan Haeckels) bis zu den komplizierten Sinnes- 
werkzeugen der Wirbeltiere zu unterwerfen. Allerdings „gehört die 
Deutung der Sinnesorgane niederer Tiere ohne Zweifel zu den schwie- 
rigsten Objekten der vergleichenden Physiologie und ist der größten 
Unsicherheit unterworfen“ (Haeckel?)) und es wird noch viel Mühe 
kosten, bis die Verhältnisse in allen Tiergruppen so geklärt sind, daß 
wir zu einer Geschichte der Entwicklung des psychischen Lebens ge- 
langen können. 

Als kleinen Beitrag möchte ich hier das Ergebnis der Unter- 
suchungen mitteilen, die ich im Sommer 1921 an der biologischen An- 
stalt auf Helgoland über den chemischen Sinn einiger Polychaeten an- 
stellte. Ich benutzte zu meinen Versuchen die Arten, die durch Häufig- 
keit und Größe sich besonders für reizphysiologische Experimente eignen. 
Es sind dies Arenicola piscatorum, Nereis pelagica und Nephthys hom- 
bergi. Nereis virens ist leider bei der Insel, wo sie in der Nähe des: 
Hafens häufig vorkam, wohl infolge der gewaltigen Sprengungen, durch 
die nach dem Friedensvertrage das großartige Werk des dortigen Kriegs- 
hafens zerstört wird, fast vollständig verschwunden. 

Zu meinen Versuchen verwendete ich fast ausschließlich Tiere, die 
gerade frisch gefangen waren. Alle drei Arten hielten sich auch gut 
im Sande von Aquarien, deren Inhalt durch fließendes Seewasser fort- 
während erneuert wurde. Zu den einzelnen Versuchen wurden die Tiere 
in Glasschalen gebracht, deren Boden reichlich feucht gehalten wurde. 
Die Tiere fühlten sich dabei wohl und hielten sich ebenso wie im Aquarium 
vollkommen ruhig. Mit einer feinen Pipette wurden die Chemikalien 
auf bestimmte, eng begrenzte Körperstellen gebracht und diese gewisser- 
maßen damit abgetastet. Die Art und Stärke der Reaktion wurde 
jedesmal genau festgestellt. 

Es kam mir darauf an, festzustellen, ob Stoffe, die den einen 
unserer chemischen Sinne (Geschmackssinn) erregen, auch einen Reiz 


Vet FE 
> 


2) Nagel, W. A., Vergl. physiol. und anat. Unters. über den Geruchs- und Ge-. 


schmacksinn und ihre Organe. Stuttgart 1594. 
3) Haeckel, E., Die Familie der Rüsselquallen. 





Be 


H. Schmidt, Untersuchungen über den chemischen Sinn einiger Polychaeten. 195 


auf diese Meereswürmer ausüben und welche Stellen des Körpers für 
solche Reize empfänglich sind. Ich verwandte die Süßstoffe Zucker 
und Saccharin und den Bitterstoff Chinin. Außerdem benutzte ich als 
Reizmittel Flüssigkeiten, die durch Zerdrücken von Seesternen, Mu- 
scheln und Fischen erhalten waren, weil solche Stoffe in der freien 
Natur für die Tiere von biologischer Wichtigkeit sein können. Sehr 


‚wesentlich wäre es auch gewesen, die anatomische Grundlage der Reiz- 


vorgänge näher zu untersuchen. Dies mußte ich mir aber der Kürze 
der Zeit wegen versagen; ich hoffe aber, in einer späteren umfassen- 
deren Arbeit das Versäumte nachzuholen. 

Im folgenden will ich das Verhalten von Arenicola piscatorum, 
Nereis pelagica hund Nephthys hombergi den chemischen Reizen gegen- 
über einzeln schildern. 


1. Arenicola piscatorum. 


Nagel hat sich in seiner Arbeit mit dem chemischen Sinn niederer 
Tiere (Ooelenteraten bis Insekten) beschäftigt und widmet dabei auch 
Arenicola einige Worte. Er sagt: „Die chemische Reizbarkeit, soweit 
sie durch Versuche festzustellen ist, erreicht nicht den hohen Grad wie 
bei Lumbricus und Hirudo. Sie ist am Kopfe am größten, das Hinter- 
ende unterscheidet sich vom Rumpfe nicht. Die Reaktion besteht wieder 
in lokaler Kontraktion, am Kopfe in 'seitlichem Ausweichen und wieder- 
holtem Ein- und Ausstülpen des warzigen Rüssels.“ Nagel hat diese 
Untersuchungen wohl im Zoologischen Institut zu Tübingen angestellt. 
Die Tiere aber, die er aus dem Wattenmeere bei Sylt erhielt, hatten 
sicherlich auf der Reise gelitten und an Reizfähigkeit eingebüßt. Denn 


nur dann, wenn ich Tiere benutzte, die schon tagelang im Aquarium 
) ’ fe) [o) 


lagen, bekam ich dieselben Resultate wie Nagel. Frische verhielten 
sich wesentlich anders. Indem ich später auch das Verhalten von Lum- 
brieus denselben Substanzen gegenüber untersuchte, konnte ich fest- 
stellen, dab frisch gefangene Exemplare von Arenicola sogar erheblich 
empfindlicher sind als Regenwürmer. 

Bei leichteren Reizen auf das Vorderende wendet Arenicola nur 
dieses Körperstück hin und her; dieses und nur dieses hat die Fähig- 
keit, durch seitliches Ausweichen dem Reiz zu entgehen; bei stärkeren 
wird der Rüssel mehrmals hervorgestreckt; es scheint, daß dieser be- 
sonders sensibel ist und vielleicht auch zur Orientierung in der Um- 
sebung mitbenutzt wird; bei anhaltender starker Reizung auf das Vorder- 
ende kommt es auch zu einer Vor- oder Rückwärtsbewegung. Bei ganz 
starken Reizen und besonders, wenn das Vorderende reichlich von der 
Flüssigkeit benetzt wird, wird es sogar in die Höhe gestreckt und in 
der Luft hin- und herbewest. 

Bei Reizen auf einzelne Segmente des Rumpfes erfolgt nur eine 
Kontraktion dieser Segmente, manchmal auch — bei stärkeren Reizen — 
der Nachbarsegmente. 

13* 


496 H. Schmidt, Untersuchungen über den chemischen Sinn einiger Polychaeten. 


Der Rumpf ist in seiner ganzen Länge ziemlich gleichmäßig sen- 
sibel, dagegen erhöht sich die Sensibilität wieder nach dem Hinterende 
zu. Dies habe ich an frischen Tieren einwandfrei feststellen können. 
Wenn ich aber Tiere benutzte, die ich schon länger im Aquarium hielt, 
kam ich zu demselben Ergebnis wie Nagel, der Arenicola eine er- 
höhte Reizbarkeit des Hinterendes abspricht. Je länger man das Tier 
in Gefangenschaft hält, um so mehr verliert es an Sensibilität, besonders 
aber das Hinterende, das sich später in dieser Hinsicht dann nicht 
mehr vom Rumpfe unterscheidet. 

Im einzelnen verhielt sich Arenicola den Reizen gegenüber folgen- 
dermaßen: 


Bei Chininbisulfat in der Konzentration 1/s9u reagiert das Kopfende 
nur leicht, Rumpf und Hinterende überhaupt nicht; in der Stärke 1/150 
wirkt es auch auf das Hinterende, auf den Rumpf aber erst bei 1/j99- 

Zucker muß schon in einer erheblich stärkeren Konzentration ver- 
wendet werden, wenn eine Reaktion erfolgen soll. Weder bei einer 
Lösung von 1/,, noch 1/,, war an irgend einer Körperstelle eine Ein- 
wirkung zu erkennen. Aber 1/,-Lösungen erzielten kräftige Reaktionen 
des Vorderendes, leichte des Hinterendes, aber keine am Rumpfe. 

Saccharin verwandte ich in Lösungen, die für meinen Geschmack 


Zuckerlösungen von tg, !/, und !/, entsprachen. Und nur bei der 


stärksten (1/,) reagierte das Vorderende; die übrigen Körperstellen 
zeigten sich unempfindlich gegen diesen Reiz. 

Zufällig beobachtete ich einmal, wie in einem Aquarium eine kleine 
Arenicola von einem Seestern beinahe ganz aufgefressen wurde. Daraus 
kann man vielleicht schließen, daß auch in der freien Natur, wenn 
sich die Möglichkeit bietet, Asterias ein Feind von Arenicola ist. Doch 
scheint es mir zweifelhaft, ob Arenicola bei seiner Lebensweise im Sande 
oft eine Beute von Asterias werden kann. Indem ich Asterias zerdrückte, 
bekam ich einen Extrakt, den ich mit Hilfe der Pipette auf die einzelnen 
Körperstellen von Arenicola einwirken ließ. Ich fand, daß er eine sehr 
intensive Reizwirkung ausübt. Alle Körperstellen waren für diesen Reiz 
empfindlich, am meisten aber wieder das Vorderende, das gerade auf diesen 
RReiz hin am heftigsten reagierte. Ich hoffe, daß es mir bei späteren Unter- 
suchungen gelingen wird, festzustellen, welche Körpersäfte es sind, 
welche eine so starke Wirkung auslösen. Man, könnte nun auf die Ver- 
mutung kommen, dab Arenicola in der Natur durch von Seesternen 
ausgehende Stoffe rechtzeitig vor einem Feinde gewarnt würde, dab 
sie gewissermaßen durch ihren chemischen Sinn den Feind „wittere“. 
Um mir Aufklärung über diese Frage zu verschaffen, benutzte ich auch 
Extrakte von allen möglichen anderen Tieren, Muscheln, Fischen, Ak- 
tinien u. a. Immer konnte ich eine Empfindlichkeit allen diesen Extrakten 
gegenüber feststellen. Es scheint mir daher wahrscheinlich, daß alle 
diese Stoffe nur eben wie die anderen chemischen Substanzen ihre 
Wirkung haben, ohne daß ihnen als von einem feindlichen Tiere her- 
kommend eine besondere Reizwirkung zukäme. Bei anderen Tieren 


2 A EERETEBEN 





H. Schmidt, Untersuchungen üb>r den chemischen Sinn einiger Polychaeten. 197 


(z. B. Pecten) soll allerdings ein solcher Extrakt von Asierias nach 
v. Buddenbrock die angedeutete biologische Bedeutung besitzen. 


2. Nereis pelagica. 

Da Nagel über Nereis (spec.?) genauere Angaben macht als. über 
Arenicola, will ich mich hier kurz fassen. 

Ebenso wie Nagel stellte ich am ganzen Körper eine chemische 
Reizbarkeit fest, mit dem Unterschiede, daß das Kopfende wieder bei 
weitem am stärksten reizbar ist, das Hinterende wieder mehr als der 
tumpf. Eigentümlich ist es bei diesem Tier, daß es bei Reizung zu 
einer von der Reizstelle ausgehenden allgemeinen Kontraktion kommt, 
bei stärkeren Reizen daran anschließend oft sogar zu einer heftigen 
Schlängelung des Körpers. 

Im einzelnen stellte ich wieder fest: Zucker- und eine für meinen 
Geschmack gleichstarke Saccharinlösung hatten auch stets ungefähr das 
gleiche Ergebnis. Um also nur von den Zuckerlösungen zu reden, so 
reagiert Nereis auf 1/,„-Zuckerlösung nur schwach am Vorderende, auf 
1/,-Lösung heftig am Vorderende, dagegen scheint merkwürdigerweise 
Rumpf und Hinterende gegen diese süßen Lösungen unempfindlich 
zu sein. 

Dagegen ruft Chininbisulfat auch schon in den schwächsten Lö- 
sungen starke Reaktionen hervor; gegen Lösungen von der Konzen- 
tration 1/s9n zeigt sich der ganze Körper empfindlich, am wenigsten 
wieder der Rumpf. 

Chininbisulfatlösung !/so0o Wirkt nur noch schwach am Kopfende, 
Hier beobachtete ich also dasselbe wie Nagel, der ebenfalls feststellte, 
daß Chinin erheblich stärker reizt wie Zucker und Saccharin. 

Die Extrakte von Muscheln, Seesternen und Fischen übten auch 
durchweg einen starken Reiz auf Nereis aus. 


3. Nephthys hombergi. 

An Nephthys sind meines Wissens noch keine Versuche zur Fest- 
stellung eines chemischen Sinnes gemacht worden. Ebenso wie Nereis 
antwortet Nephthys besonders auf stärkere Reize außer durch mehr- 
maliges Hervorstrecken des Rüssels auch durch Schlängelung des Kör- 
pers, die wohl das Tier aus dem Reizgebiet herausbringen soll. (Schlänge- 
lung gehört bei beiden Wurmarten zur natürlichen Fortbewegungsweise, 
während Arenicola zur Fortbewegung die auch bei chemischen Reizen 
stets beobachtete Kontraktion der Ring- und Längsmuskeln benötigt.) 

Nephthys verhält sich den Lösungen gegenüber folgendermaßen : 
U 0-Zuckerlösung erzeugt keine sichtbare Reaktion, bei 1/,-Lösungen 
konnte ich geringen, bei solchen 1/, schon recht heftigen Einfluß be- 
merken. Auch bei Nephthys fand ich wieder die Beobachtung bestätigt, 
daß bei den Würmern stets das Kopfende die bei weitem stärkste 
Sensibilität besitzt; der Rumpf ist auch hier am wenigsten empfindlich, 
dagegen zeigt das Hinterende wieder größere Reizbarkeit. 


198 H. Schmidt, Untersuchungen über den chemischen Sinn einiger Polychaeten. 


Saccharin wirkte selbst in einer Lösung, die einer 1/s-Zuckerlösung 
entsprach, noch nicht stark. Eine heftige Reaktion erzielte ich aber dann, 
wenn ich Saccharinkörner in die Nähe des Tieres ‘streute. 

Chininbisulfat ?/,,, hat nur Einfluß auf das Vorderende, t/,, da- 
segen auch auf das Hinterende und 'den Rumpf; doch auf diesen wieder 
nur wenig. 

Extrakte von Tierkörpern wirkten auf Nephthys erheblich weniger 
als auf die übrigen, doch war immerhin eine deutliche Empfindlichkeit 
dafür vorhanden. h 


Laumbricus herculeus. 


Nur um durch eigene Untersuchungen Vergleichsmaterial zu ge- 
winnen, untersuchte ich auch den Einfluß von Zucker-, Saccharin- und 
Chininlösung auf Lumbricus herculeus. Da Nagel die Reizbarkeit von 


Lumbricus eingehend untersuchte, möchte ich hier nur bemerken, dab 


ich seine Ergebnisse bestätigt fand. Vor allem ist es auch hier 
wieder von Interesse, festzustellen, daß die exponierten Körperstellen, 
Vorder- und Hinterende, die stärkste Sensibilität besitzen, wobei aber 
dem Kopfende doch stets der Vorrang gebührt. Im ganzen ist aber die 
Empfindlichkeit geringer als bei den Polychaeten, denn die Konzen- 
tration der Lösungen muß stärker sein, um entsprechende Reaktionen 
hervorzurufen. 


Die Wirkung von Süßwasser. 


Nagel spricht auch von der Einwirkung von Süßwasser auf 
Würmer. Doch scheint es mir nicht berechtigt, von der deutlichen 
Reaktion, die man hierbei erhält, auf einen chemischen Sinn zu schließen. 
Denn es dürften wohl hauptsächlich physikalische Vorgänge als Ur- 
sache in Betracht kommen, vor allem der verschieden starke 'osmotische 
Druck. Ich brachte z. B. ein Exemplar von Arenicola aus Seewasser 
in Süßwasser und ließ das Tier etwa 5 Stunden darin. Es lebte nach 
dieser Zeit noch, hatte aber schon sehr gelitten. Bevor ich das Tier 
in Süßwasser brachte, hatte ich es nach vorsichtigem Trocknen mit 
Fließpapier gewogen und festgestellt, daß sein Gewicht 4,3 g betrug. 
Nach dem 5stündigen Aufenthalt im Süßwasser wog dasselbe Tier, 
nachdem es wieder außen getrocknet war, 5,8 g; es hatte also um an- 
nähernd 35 % zugenommen. Die Zunahme kann nur auf Wasserauf- 
nahme der Körperzellen und -gewebe zurückzuführen sein, denn Nah- 
rung war dem Tier in dem reinen Süßwasser nicht zugänglich. Es ist 
klar, daß ein solcher Einfluß starke Schädigungen des Tieres im Innern 
hervorrufen muß; daher kann man wohl nicht solche Experimente für 
den Nachweis eines chemischen Sinnes verwenden. 


Versuche mit halbierten Tieren. 
Wenn ich Arenicola, Nereis oder Nephthys in der Mitte quer durch- 
schnitt, so war im allgemeinen die Reizbarkeit erhöht, aber am ganzen 
Körper gleichmäßig, sodaß doch das Verhältnis der Sensibilität am 











H. Schmidt, Untersuchungen über den chemischen Sinn einiger Polychaeten. 199 


Kopf, Rumpf und Hinterleib das gleiche blieb wie bei unverletzten 
Tieren. Abgesehen von der leichteren Erregbarkeit hatte sich das Ver- 
halten des vorderen Stückes nicht im geringsten geändert. Es wußte 
sich. durch Vorwärts- oder Rückwärtsbewegung, resp. Schlängelung, 
starken Reizen zu entziehen. Die hintere Hälfte dagegen brachte es auch 
bei den stärksten Reizen nicht fertig, auch nicht durch heftige Bewegung, 
sich aus der Reizgegend zu entfernen, während doch bei den unverletzten 
Tieren starke Reize Bewegungen des ganzen Körpers hervorriefen, die 
das Tier von seiner Stelle brachten; ein Beweis dafür, dab der vordere 
Teil des Nervensystems für eine geordnete Bewegungstätigkeit nötig Ist. 


Das Verhalten von Tieren, denen kleine Stücke des Bauchmarks 
entfernt waren, chemischen Reizen gegenüber. 


Um etwas über die Leistungen des Bauchmarks bei den „Ge- 
schmacksempfindungen“ festzustellen, nahm ich bei Arenicola und Nereis 
ein etwa 1 cm großes Stück des Bauchmarks durch eine Operation 
heraus. Bei Arenicola ist dieser Eingriff etwas schwierig, da die Ge- 
webe sehr zart sind, sodaß sich die Wunde. nur schwer so vernähen läßt, 
daß sie gut heilt. Immerhin genügten die Eingriffe, um die Beteiligung 
des Bauchmarks an den Reaktionen festzustellen. Am besten lassen sich 
die Tiere operieren, wenn man sie vorher betäubt, entweder mit Ohloro- 
form (auf 10 cem 1 Tropfen) oder mit etwa 5 Yoigen Alkohol. Unter dem 
Mikroskop wurde das herauspräparierte Stück des Bauchmarks unter- 
sucht, damit kein Irrtum möglich war. 

Reizte ich nun das Kopfende eines so operierten Tieres, so wurde 
es bei leichteren Reizen nur hin- und herbewegt, genau als wenn das 
Tier nicht verletzt wäre. Bei starken Reizen am Vorderende gerät ein 
unverletztes Exemplar von Arenieola und von Nereis sofort als Ganzes 
in heftige Bewegung, die Friedländer*) auch Zuckbewegung ge- 
nannt hat. Besitzt das Bauchmark aber eine Lücke, so scheint in bezug 
auf Reizbeantwortung zwischen vorderem und hinterem Stück kein Zu- 
sammenhang mehr zu bestehen. Man erkennt deutlich, wie Kontrak- 
tion bei Arenicola und Schlängelung bei Nereis gerade vor der Bauch- 
marklücke Halt macht. Das hintere Stück bleibt vollkommen ruhig, 
man merkt nicht den geringsten Einfluß, bis es allmählich passiv durch 
die starke Bewegung des vorderen Teiles mitgerissen wird und dann 
auch manchmal sich aktiv zu bewegen beginnt. Reizte ich dagegen mit 
den oben erwähnten Chemikalien das hintere Ende stark, so geriet 
auch dieses in heftige Bewegungen, die sich aber wieder nicht über die 
Bauchmarklücke fortpflanzten. Stärkere chemische Reize auf die bauch- 
markfreie Stelle selbst hatten nur eine Kontraktion der betreffenden 
Segmente zur Folge; eine Weiterleitung der Reize erfolgte also dann 
überhaupt nicht. Aus diesen Versuchen ergibt sich, daß das Bauchmark, 


4) Friedländer, B., Beiträge zur Physiologie des Zentralnervensystems und des 
Bewegungsmechanismus der Algenwürmer. Arch. f. Phys. 58. 1894. 


900 P. Schiefferdecker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 


wie zu erwarten, für die Reizleitung und eine vorteilhafte Reizbeant- 
wortung nötig ist. 

Um zum Schluß noch einmal die wichtigsten Ergebnisse zusammen- 
zufassen, so hat sich zunächst gezeigt, daß Arenicola, Nercis und Neph- 
!kys ein Empfindungsvermögen für chemische Reize besitzen, daß dieses 
aber nicht‘ an eine bestimmte Stelle des Körpers gebunden ist, sondern 
daß es über die ganze Haut verbreitet ist. Aber das Vorderende ist 
bei allen weitaus am stärksten empfindlich, am wenigsten der Rumpf, 
während das Hinterende stets eine mittlere Reizbarkeit zeigt. 

Bei halbierten Tieren ist die Sensibilität geblieben, zum Teil sogar 
noch erhöht. Aber eine geordnete Reizbeantwortung, die dem Tier von 
der Reizquelle sich zu entfernen erlaubt, besitzt nur das vordere Stück. 

Tiere mit Bauchmarklücke reagieren wie zwei vollkommen getrennte 
Hälften. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich es nicht versäumen, Herrn Prof. 
Dr. R. Hesse, Direktor des Zoologischen Instituts Bonn, für die Liebens- 
würdigkeit, mit der er mir stets bei meinen Arbeiten mit seinem Rate 
zur Verfügung stand, herzlichst zu danken. 


Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie des 
Menschengeschlechtes. 
Von Paul Schiefferdeceker. 

Seit einer Reihe von Jahren habe ich in einer Anzahl von 
Arbeiten die „Biologie des Menschengeschlechtes“ zu behandeln ver- 
sucht. Diese Biologie des Menschengeschlechtes bildet einen wesent- 
lichen Teil der _ Anthropologie“ , so habe ich also durch diese Arbeiten 
auch diese letztere zu fördern versucht. Zwei Organsysteme waren 
es hauptsächlich, deren vergleichende Untersuchung günstige Resultate 
zu ergeben versprach und aan ergeben hat: die Haut mit ıhren 
Organen und die Muskeln. Sind sie doch beide sehr wesentlich 
für er Menschen und gleichzeitig verhältnismäßig leicht abänderungs- 
fähig. Diese Abänderungen ’sind weiter durch die mikroskopische 
Untersuchung festzustellen und teilweise auch auf rechnerischem Wege 
in ihrer Bedeutung zahlenmäßig zu erfassen. An die Arbeiten über 
diese Organsysteme schlossen sich dann noch weitere Arbeiten ver- 
schiedener Art an. . 

Meine Muskeluntersuchungen der letzten Jahre stützen sich auf 
ausgedehnte Vorarbeiten, die ihnen ein breites und sicheres Fundament 
verleihen. Zuerst veröffentlichte ich 1903 ausgedehnte Unter- 
suchungen (1) über gesunde und erkrankte Muskeln des Menschen und 
einen hypertrophischen Muskel des Hundes. Diese Untersuchungen 
wurden mit einer ganz neuen von mir gefundenen Methode ausge- 
führt. Dieser bin eu auch bis jetzt: treu geblieben, doch hat sie sich 
natürlich allmählich weiter entwickelt. Prenant(3) hat diese Me- 





y 
N 
Ei: 





P. Schiefferdecker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw, 201 


thode in seinen Muskeluntersuchungen als die „statistische Methode“ 
bezeichnet und als sehr beachtlich hervorgehoben. Diese Bezeich- 
nung hat eine gewisse Berechtigung, doch drückt sich in ihr nicht 
aus, daß der ganze Bau des Muskels eingehend berücksichtigt wird. 
Außer den eigenartigen Verhältnissen der in verschiedener Weise 
erkrankten menschlichen Muskeln konnte ich das Verhalten bei der 
Aktivitätshypertrophie bei einem Hundemuskel beschreiben und dabei 
zugleich feststellen, daß im Muskel eine Symbiose besteht zwischen 
dem Muskelgewebe und dem Bindegewebe. Diese Feststellung ließ 
dann weitere Schlüsse auf das Bestehen einer Symbiose im ganzen 
Körper zu, bei Tieren und Menschen. Damals sprach ich mich auch 
schon dahin aus, daß es wohl möglich sei, daß Menschen mit großen 
und solche mit kleinen Kernen vorhanden seien, wobei ich zunächst 
an Muskelkerne, dann aber auch an die der sonstigen Organe dachte. 
Im Jahre 1909 konnte ich in einer umfangreichen Arbeit (2) eine 
ganze Anzahl einzelner Arbeiten veröffentlichen, die ich zusammen 
mit meinen Schülern fertiggestellt hatte. Nicht nur waren einige 
weitere menschliche Muskeln untersucht worden, sondern auch die 
roten und weißen Kaninchenmuskeln und die entsprechenden Muskeln 
der Karausche. Auch die Aktivitätshypertrophie war noch weiter 
berücksichtigt worden. Diese Arbeit ergab denn auch eine ganze 
Reihe sehr wichtiger Kern- und Fasereigentümlichkeiten und -Bezieh- 
ungen. Es ergab sich dabei auch immer wieder, daß jeder Muskel 
je nach seinen funktionellen Eigentümlichkeiten ganz besondere Bau- 
verhältnisse aufwies, dıe auf keine andere Weise als durch meine 
Methode festzustellen waren. Es ergab sich dabei weiter, daß die 
roten und weißen Muskeln einen verschiedenen Bau besaßen, daß 
aber die roten und weißen Kaninchenmuskeln sich anders verhielten 
als die entsprechenden Karauschenmuskeln, so daß die verschiedene 
Farbe wohl auf eine Verschiedenheit des Baues hindeutete, daß aber 
dieser Unterschied bei den verschiedenen Tieren nicht derselbe war. 
Hatten diese beiden ersten Arbeiten schon Grundlegendes über den 
Aufbau der Muskeln und über die bei ihrer Tätigkeit und. sonst 
während ihres Lebens auftretenden Veränderungen ergeben, so kam 
es nun darauf an, allmählich mehr in das ungeheuer große Gebiet 
des „Muskels“ einzudringen. Hierzu dienten die nächsten vier Ar- 
beiten. Zunächst wurde vergleichend das „Zwerchfell“ (4) von einer 
Anzahl von Menschen und einem Hunde untersucht Hierbei ergaben sich 
interessante individuelle Abweichungen und ebenso eine Verschieden- 
heit gegenüber dem Hunde, doch war manches noch nieht richtig zu 
deuten. Auch Geschlechtsunterschiede traten deutlich hervor. So- 
dann wurden verschiedene Tiere untersucht: Das „Neunauge“ (5) 
wegen seiner tiefen Stellung in der Tierreihe, sodann der „Frosch“ (6), 
der ja zwar bedeutend höher, aber doch immerhin noch ziemlich tief 
steht, und endlich die „Vögel“ (7), welche als hochgradig entwickelte 
Warmblüter einen scharfen Gegensatz zu den vorgenannten Tieren 


302  P. Schiefferdecker, Uber die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 


bilden. Aus diesen Untersuchungen ergab sich immer wieder die 
Tatsache, daß die Muskeln je nach ihrer Funktion verschieden gebaut 
sind und weiter, daß wesentliche Unterschiede zwischen den höheren 
und niederen Tieren bestehen, aber auch zwischen verschiedenen Gat- 
tungen dieser selbst. Die Muskeln sind also jedenfalls hoch- 
gradig differenzierte Gebilde. Um so mehr sind sie da- 
her aber auch dazu geeignet, um aus ihrem Baue wichtige 
Schlüsse zu ziehen. Nachdem ich auf diese Weise eine ziemlich 
große Erfahrung gewonnen und ein starkes Fundament gelegt hatte, 
wagte ich mich an die Untersuchung des „menschlichen Herzens* (8) 
heran, und zwar verglich ıch den Bau desselben in verschiedenen 
Lebensaltern nach der Geburt und den bei Deutschen und außer- 
europäischen Völkern. Hierbei ergaben sich nun sehr: interessante 
Tatsachen. Zunächst die, daß während der kindlichen Herzent- 
wicklung bestimmte Perioden zu unterscheiden sind. Sodann die, 
daß es in der Tat Menschen mit großen und solche mit kleinen 


Kernen gibt, wie ich das’schon in meiner ersten Muskelarbeit als 


möglich hingestellt hatte. Das Kernvolumen des menschlichen Herz- 
muskels erwies sich als weit größer als das der menschlichen Skelett- 
muskeln und zwar beruhte dies auf der Größe des Querschnittes. 
Dieser ist überhaupt weit variabler als die „Kernlänge“. Der Herz- 
muskel nimmt daher in bezug auf seine Kerngröße eine ganz be- 
sondere Stellung ein. Das morphologische Verhältnis des Kernes zur 
Zelle bei dem menschlichen Herzmuskel sprach für eine mäßig große, 
aber andauernde und kräftige Tätigkeit dieses Muskels. Da war es 
denn wohl denkbar, daß zu bestimmten Zeiten der kindlichen Ent- 
wicklung eine stärkere Einwirkung des Kernes auf die Zelle erwünscht 
ist (2. B. für stärkere Wachstumsvorgänge) und daß zu diesen Zeiten 
daher eine Änderung der Form des Kernes, seines „Dieke-Länge-Ver- 
hältnisses“, seiner „Indexzahl“, eintritt. Je mehr sich die Form des 
Kernes einer Kugel nähert, um so kleiner ist seine Oberfläche ım 
Verhältnisse zu seinem Inhalte, je mehr sie von dieser abweicht, um 
so größer wird die Oberfläche. Von der Größe dieser hängt aber, 
caeteris paribus, die chemische Einwirkung des Kernes auf die Zelle 
und damit wohl auch die Größe des Stoffwechsels ab. Vom Kinde 
bis zum Erwachsenen findet eine nicht unwesentliche Zunahme der 
Kernmasse statt; es wird hierbei schon im zehnten Lebensjahre die 
Zahl des Erwachsenen erreicht. Es ergab sich nun, wie schon er- 
wähnt, weiter, daß das Kernvolumen bei jedem Muskel eine spezifi- 
sche Größe ist, daß diese aber bei den verschiedenen Menschen Ab- 
weichungen zweierlei Art zeigen kann: 1. „individuelle“, die verhält- 
nısmäßig gering sind, 2. „urrassige*, die weıt srößer sind. . Die 
ersteren sind Kennzeichen für die Verschiedenheit der Individuen 
untereinander, es sind die ersten zahlenmäßig festgestellten Unter- 
schiede der Menschen untereinander. Die letzteren haben eine ganz 
andere Bedeutung. Sie erlauben den Schluß auf das Vorhandensein 


en: 





P. Schiefferdecker, Uber die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 20% 


von zwei „Urrassen“, von denen wahrscheinlich die sämtlichen jetzt 
lebenden Menschen abstammen: entweder von der durch Vermischung 
dieser beiden Urrassen zustande gekommenen „Urmischrasse® oder 
von den einzelnen Urrassen selbst. Die eine dieser Urrassen war 
„großkernig“, die andere „kleinkernig“ gewesen. Auf die Fasergröße 
hat diese chiedenhe der Kerngröße keinen Einfluß, ebensowenig 
auf die Gesamtkernmasse der Faser. Es handelt sich also nur um eine 
Verteilung der Gesamtkernmasse auf verschieden große Stücke. Das 
würde aber für die Art des ganzen Stoffwechsels von wesentlicher Bedeu- 
tung sein. Sehr interessant war die Feststellung, daß ein „Kamerun- 
neger* kleine Kerne hatte (196 cu), ein „Chinese“ große (296 cu), 
während die Gesamtkernmasse bei beiden ganz gleich war (143, 142). 
Weitere Untersuchungen müssen nun erweisen, ob diese beiden 
Völker je von der Ua und großkernigen Rasse direkt ab- 
stammen, oder ob sie auch von der Urmischrasse herstammen, so daß 
sich bei ihnen, wie bei den Deutschen, beide Kerngrößen finden. Diese 
Untersuchungen müssen natürlich überhaupt noch fortgesetzt werden 
und werden auch fortgesetzt, denn mit der bisherigen Feststellung 
ist nur der Blick getan ın ein völlig neues Gebiet der Forschung. 
Die nächste Muskeluntersuchung bezog sich auf die „Kaumuskeln“ 
(9u.10). Der.Mensch benutzt seine Kaumuskeln in ganz anderer Weise 
als die Tiere und so erschier es sehr wahrscheinlich, daß auch der 
Bau der menschlichen Muskeln ein anderer sein würde als der der 
tierischen. Aber noch eines kam dazu: die menschlichen Kaumuskeln 
dienen nicht nur zum Kauen, sondern auch zum Sprechen, das Sprechen 
aber ist eine so eigenartige Tätigkeit, daß sie einen ganz besonderen 
Bau der Muskeln annehmen ließ. Zur Untersuchung gelangten der 
Masseter, der Pterygoideus internus und der Temporalis. Von diesen 
Muskeln hatte ich Stücke von verschiedenenMenschen erhalten. Von dem 
Pterygoideus int. hatte ich allerdings nur von einem Menschen Stücke 
bekommen, also nur einExemplar und das genügt eigentlich nicht zu 
solcher Untersuchung. Außerdem wurden entsprechende Muskeln 
von verschiedenen Tieren untersucht und zwar von Tieren, die ıhre 
Muskeln verschieden benutzten. Die Ergebnisse bei diesen verschie- 
denen Tieren sind vorläufig noch nicht recht zu deuten, jedenfalls 
ging daraus aber hervor, daß die Verschiedenheiten im Muskelbaue 
nicht nur von der Funktion der Muskeln bei dem betreffenden Tiere 
abhängen, sondern auch von der Abstammung des Tieres, von seinen 
früheren und frühen Vorfahren, so daß meine Methode also auch 
nach dieser Richtung hin Anwendung finden kann. Die menschlichen 
Kaumuskeln zeichneten sich aber vor allen tierischen, inklusiv denen 
eines Mandrills, durch einen ganz besonderen Bau scharf aus: während 
beı den Tieren die Faserquerschnitte ım großen und ganzen nur ge- 
geringe Größenverschiedenheiten aufwiesen, so daß das Querschnitts- 
bild daher ein ziemlich einheitliches war, lagen beim Menschen sehr 
verschieden große Querschnitte bunt durcheinander. Besonders ausge- 


%)4 P. Schiefferdecker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 


sprochen war diese Bildung bei dem Masseter, aber vorhanden war 
sie auch bei den beiden anderen Muskeln. Nun hatte sich aber aus 
meinen bisherigen Muskelarbeiten schon ergeben, daß, je komplizierter 
die Tätigkeit eines Muskels ist, desto kompl auch sein Bau in 
bezug auf die Zuuch n aus dickeren und dünneren Fasern 
ist. Die Fasern sind nämlich je nach der Größe ihres Querschnittes 
nicht nur kräftiger und weniger kräftig, sondern sie sind auch ihren 
Kern- und Faserverhältnissen nach verschieden gebaut, also nicht 
nur quantitativ, sondern auch qualitativ verschieden. Nun sind die 
Kaumuskeln nicht nur beim Kauen in verschiedener Weise tätig, 
je nach der Beschaffenheit der Speise, die zerkleinert werden soll, 
sondern vor allem auch als Sprachmuskeln. Die Sprache erfordert aber 
eine so große Menge von sehr schnell aufeinander folgenden ver- 
schieden starken und verschieden schnellen Bewegungen, daß wohl 
keine andere Muskeltätigkeit mit der für sie nötigen verglichen werden 
kann. Es scheint auch kein Übergang durch es Affen zum Menschen 
hin stattzufinden, denn der Mandrill zeigte einen ausgesprochen tieri- 
schen Typus. Anthropoiden konnten nicht untersucht werden. Das 
entspricht natürlich durchaus der Annahme, daß die Veränderung der 
menschlichen Muskeln durch die Sprache bedingt worden ist. Die 
„artikulierte Sprache“ kann ja nur ermöglicht worden sein durch die 
zunehmende Ausbildung des Gehirnes, diese ist phylogenetisch erst sehr 
spät eingetreten, dem entspricht es, daß ontogenetisch diese Differen- 
zierung zuerst deutlicher erkennbar ist beim Neugeborenen, die Haupt- 
ausbildung muß also erst während des Kindesalters eintreten. Wahr- 
scheinlich ist die Entwicklung im 12. Jahre der Hauptsache nach 
vollendet. Muskeln von tiefstehenden exotischen Völkern konnten 
bisher noch nicht untersucht werden. Es ist wohl möglich, daß man 
durch die Untersuchung verschieden hoch stehender Völker eine ganze 
Skala der Differenzierung -wird aufstellen können. 

Das zweite wichtige Organsytem, das ich untersucht habe, ist die 
Haut mit ihrenOrganen. Zuerst untersuchte ich 1913 den Bau der 
„deutschen Wangenhaut“ (11), genauer der Haut der Parotiden- 
gegend. Hier fand ich unter anderem, daß das elastische Gewebe 
an dieser Stelle eine sehr merkwürdige Beschaffenheit besitzt, die bis 
zu jener Zeit, wenigstens als normal, nicht bekannt war. Das elastische 
Gewebe nämlich, welches dicht unter deın Stratum subepitheliale liegt, in 
meinem „Stratum superius“ des Corium (15), bildet eine dicke Schicht von 
dicht gekräuselten Fasern, so daß es an die Krollhaarfüllung einesKissens 
erinnert. Ich habe rs Schicht daher auch zuerst als „Kissenschicht* 
bezeichnet, später als „Knäuelschicht“, gebildet durch ein ganz eigen- 
artiges Gewebe, das ich als a elastisches (sewebe* be- 
zeichnet habe, und das, wie spätere Untersuchungen gezeigt haben, 
der ganzen mimischen Gesichtshaut zuzukommen scheint, weshalb ıch 
diese Schicht denn auch als „Elastica mimica“ bezeichnet habe (15). 
Später habe ich ersehen, daß Unna diese elastische Bildung schon 


Ze 


BER, 


P. Schiefferdecker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 205 


früher gesehen hat, sie aber als pathologisch gedeutet hat. Diese 
Schieht findet sich in ähnlicher Ausbildung bei beiden Geschlechtern, 
sie mußte also ihre Ursache haben in etwas, das beiden Geschlechtern 
gemeinsam war und das speziell auf die mimische Gesichtshaut wirkte, 
denn außer in dieser fand sie sich nirgends. Das veranlaßte mich zu 
weiteren Untersuchungen über das Verhalten dieser Schicht bei ver- 
schiedenen Völkern, während der Entwicklung, und bei den Affen (15). 
Es zeigte sich nun, daß der Bau der Bildungen in der Haut der 
Parotidengegend bei den verschiedenen Völkern sehr verschieden war. 
Bei einigen fand sich überhaupt keine besondere elastische Schicht 
in dieser Gegend, so bei den Javanern, Ovambo (Bantu), Melanesiern 
und Australiern. Bei diesen Völkern wirkt also das elastische Ge- 
webe des Corium als Ganzes. In diesen Fällen liegen die stärksten 
elastischen Fasern mehr in der Mitte des Corium. Eine „Blastica 
mimica“ fand sich bei den indoeuropäischen Völkern Europas (unter- 
sucht bei: Deutschen, Russen, Rumänen, Serben), bei einem Esten 
(bisher als Mongoloiden angesehen), und einem Berber (zu den Hamiten 
gerechnet), und zwar bei allen diesen Völkern in der Form der Knäuel- 
schicht. Bei dem Berber waren indessen die Fasern dieser Knäuel- 
schicht etwas anders beschaffen als bei den Europäern. Ferner fand 
sich eine Elastica mimica bei den Sudannegern (einschließlich der 
Senegalneger), aber hier von ganz anderem Baue als bei den Euro- 
päern, und bei den Chinesen, wiederum von ganz anderem Baue. 
Auch der Bau der Haut bei den obengenannten Völkern ohne Elastica 
mimica ist wieder‘ verschieden. Es geht aus dem Gesagten hervor, 
daß der Bau der Haut der Parotidengegend und damit überhaupt der 
Bau der mimischen Gesichtshaut bei den verschiedenen Rassen und 
Stämmen sich während der Entwicklung des Menschen aus seinen 
tierischen Vorfahren heraus in ganz verschiedener Weise entwickelt 
hat, und daraus würde folgen, daß die Art dieses Baues als ein Leit- 
faden dienen kann für die Auffindung der Zusammenhänge und Ver- 
schiedenheiten bei den Rassen, d.h. also, daß er als Hilfsmittel 
dienen kann für die Feststellung der Rassen, einem der Ziele, denen 
ich mit meinen Forschungen zustrebe. Der Bau des elastischen Teiles 
der Haut bei den untersuchten europäischen Völkern ıst wohl als der 
höchstentwickelte anzusehen. Die Stufenfolge der übrigen Völker 
mit einiger Sicherheit festzustellen, geht vorläufig 'noch nicht an, 
doch stehen wohl in jedem Falle die Völker, welche der Elastica 
mimica entbehren, am tiefsten. Bei zwei von mir untersuchten Üer- 
copitheeusarten waren die elastischen Fasern in der Parotidengegend 
nur äußerst gering entwickelt, Anthropoiden konnten nicht untersucht 
werden. In der Affenhaut scheinen die elastischen Fasern überhaupt 
nur sehr gering entwickelt zu sein, so zeigte sich das auch in der 
Haut des Handgelenkes eines Gorilla. Dieser Mangel an elastischen 
Fasern würde einen wesentlichen Unterschied ‚bedeuten gegenüber 
dem Menschen und daher als charakteristisch für den Unterschied 


P2 


9306 P. Schiefferdecker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 


zwischen Mensch und Affe angesehen werden können. Er muß 
natürlich beruhen auf dem ganz verschiedenen Gesamtbaue der beiden 
Wesen. Ähnlich wie die Haut der Parotidengegend des Affen ver- 
hält sich die des deutschen Embryo, allerdings nur in bezug auf die 
geringe Anzahl der Fasern. Im 6.—7. Monat nähert sie sich den 
tiefstehenden Völkern, beim Neugeborenen treten die ersten Spuren 
der Knäuelschicht auf. Kindliche Haut habe ich nieht untersuchen 
können. Die Hauptentwicklung muß während der Kindheit erfolgen. 
Daraus folgt, daß auch phylogenetisch dieser Bau der Haut erst sehr spät 
sich entwickelt haben muß. Diese Beobachtung erinnert an die bei der 
Umbildung der Kaumuskeln zu Sprachmuskeln gemachte. Beide Er- 
scheinungen würden zurückzuführen sein auf die Entwicklung des 
Gehirnes. Zwischen beiden kann meiner Meinung nach ein Zusammen- 
hang bestehen. Die Sprache der höheren Wirbeltiere besteht aus 
einzelnen Lauten. Bei zunehmender Gehirnentwicklung werden diese 
Laute mehr und mehr differenziert. Daneben tritt dann aber eine 
neue Art der Verständigung auf durch allmähliche Entwicklung der 
mimischen Muskeln. Diese „mimische Sprache“ wird mehr und mehr 
vervollkommnet und erreicht ihre höchste Entwicklung bei den Anthro- 
poiden und dem Menschen. Wahrscheinlich steht in dieser Beziehung 
der Anthropoide noch höher als der Mensch und die tiefer stehenden 
Völker höher als die höher stehenden, wenigstens was die Stärke der 
Entwicklung der mimischen Muskeln anlangt, die Feinheit der Mimik 
wird wohl höher sein bei den hochstehenden Völkern. Diese mimische 
Sprache genügt aber bei weiterer Gehirnentwicklung auch nicht mehr. 
Es tritt jetzt allmählich die „artikulierte Lautsprache“ auf, die mehr 
und mehr vervollkommnet wird. Jetzt tritt die mimische Sprache 
mehr und mehr zurück. Je stärker das elastische Gewebe der Haut 
ausgebildet wird, um so weniger scharf treten bei der Mimik die 
Hautfalten hervor, um so rascher und vollständiger glättet sich die 
Haut wieder nach Aufhören der mimischen Bewegung. In diesem 
Stadium der Sprachentwicklung befindet sich der Mensch jetzt. Wo- 
hin uns diese Entwicklung noch führen wird, läßt sich noch nicht 
voraussehen. So würden also die Entwicklung der Kaumuskeln zu . 
Sprachmuskeln und die Ausbildung der elastischen Fasern der Wangen- 
haut beide von der Gehirnentwicklung abhängen und beide würden 
nach derselben Richtung hin liegen. Die elastische Faser scheint 
überhaupt ein weit interessanteres Gebilde zu sein, als man bisher 
angenommen hat. Sie entwickelt sich -phylogenetisch und onto- 
genetisch recht spät und scheint eine gewisse Entwicklungsstufe des 
Bindegewebes vorauszusetzen. Sie entwickelt sich nur innerhalb des 
Bindegewebes, aber nicht an jeder Stelle des Bindegewebes und 
außerdem sehr verschieden stark und in sehr verschiedenen Formen. 
Hierfür ist das elastische Gewebe der Wangenhaut ein ausgezeichnetes 
Beispiel. Es ist wohl bisher das erste Mal gewesen, daß ein Gewebe 
so eingehend an derselben Körperstelle bei ganz nahe verwandten 








4 / 


P. Schiefferdecker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 207 


Wesen untersucht und in seinen Verschiedenheiten klargelegt worden 
ist. Diese Verschiedenheiten können ja nur entstanden sein durch 
die Verschiedenheiten des gesamten Körperbaues und die der Funk- 
tion an der betreffenden Stelle. Nun gibt es weiter verschiedene 
Stufen im Leben der elastischen Faser, sowohl phylogenetische, wie 
ontogenetische. So auch eine Greisenstufe. Auch im Bindegewebe 
gibt es verschiedene Formen, die nebeneinander vorkommen und 
direkt ineinander übergehen, eine äußerst merkwürdige Erscheinung. 
Sie lassen sich z. B. unterscheiden durch ihre verschiedene Färbung 
mit der CGallejamethode Danach habe ich unterschieden: das 
„nicht färbbare*, „chromophobe“, und das „färbbare“, „chromophile“, 
Bindegewebe. In der Wangenhaut der meisten Völker findet sich 
nur das „färbbare“, „chromophile*, nur in der Wangerhaut der oben- 
genannten europäischen Völker, welche das Knäuelgewebe besitzen 
(bisher untersucht: Deutsche, Russen, Serben, Rumänen), und weiter 
der „Esten“ findet sich an den Stellen, wo das Knäuelgewebe liegt, 
das „nicht färbbare“, „chromophobe“, Gewebe, das aber am Rande 
der Knäuelschicht in das gewöhnliche „färbbare“ übergeht. Bei dem 
„Berber“ fand sich aber auch an der Stelle der Knäuelschicht das 
„färbbare“ Bindegewebe. Das elastische Knäuelgewebe vermag also 
merkwürdigerweise sowohl in dem färbbaren wie in dem nicht färbbaren 
Bindegewebe sich zu bilden. Daß andersartiges elastisches Gewebe sich 
in dem „nicht färbbaren“ bilden kann, sieht man auch an anderen Stellen 
im Körper, denn das „nicht färbbare* Gewebe entspricht den „Gitterfasern* 
und findet sich weit verbreitet ın Drüsen, Muskeln usw. ebenfalls durch- 
setzt oder frei von elastischen Fasern. Da diese beiden Arten des 
Bindegewebes unmittelbar nebeneinander vorkommen und direkt ın- 
einander übergehen, so kann es sich nicht um zwei verschiedene 
Entwicklungsformen, um „Stufen“ handeln, sondern es müssen zwei 
Modifikationen des erwachsenen Gewebes sein. Wahrscheinlich wird 
ihr Vorkommen auch noch wieder Verschiedenheiten und Zusammen- 
hänge von Rassen und Stämmen anzeigen. So findet man auch bei 
den untersuchten europäischen Völkern schon Beispiele von einer 
mehr oder weniger reichlichen Beimischung von „färbbarem“ Gewebe 
zu dem „nicht färbbaren“. Diese Dinge müssen noch genauer an 
einem reichen Materiale untersucht werden. Es ıst möglich, daß 
hierbei auch individuelle Verschiedenheiten vorkommen. 

In einer weiteren sehr umfangreichen Arbeit, von der allerdings 
infolge der Not der Zeit erst die Ergebnisse als vorläufige Mitteilung 
erscheinen konnten (12), habe ich dann die „Hautdrüsen des Menschen 
und der Säugetiere“ behandelt. Ich konnte diese besser einteilen als 
es bisher geschehen war (in „apokrine“ und „ekkrine* Drüsen), und 
konnte weiter. zeigen, daß diese so wichtigen Drüsen bei den Säuge- 
tieren und dem Menschen in der Weise verteilt sind, daß bei den bei 
weitem meisten Säugern die zu den Haaren gehörigen apokrinen 
Drüsen fast ausschließlich vorhanden ‘sind, nur an wenigen Stellen, 


2308  P. Schiefferdecker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 


an denen auch die Haare fehlen, wie namentlich an den Fußsohlen, 
finden sich auch die ekkrinen Drüsen, die keine Beziehung zu den 
Haaren besitzen. Das ändert sich bei den „Primaten“. Hier treten 
beı den „Affen“ zunächst Mischformen auf, bei denen auch an den 
behaarten Körperteilen neben den apokrinen Drüsen ekkrine auftreten, 
in verschiedener Menge. Beim Menschen ıst diese Entwicklungs- 
richtung noch weiter gegangen, bei ıhm überwiegen die ekkrinen 
Drüsen bei weitem, so daß sich die apokrinen nur noch an wenigen 


Stellen der Haut vorfinden. Sie werden dabei embryonal vielfach _ 


noch angelegt, gehen aber während der weiteren Entwicklung zu- 
grunde. Ein deutliches Zeichen dafür, daß die Vorfahren des Menschen 
sie besessen haben, daß aber die spezifische Eigentümlichkeit des 
menschlichen Körpers für ihre weitere Entwicklung nicht günstig ist. 
Wir haben hier also einen Beweis dafür, daß bei der allmählichen 
Entwicklung des Menschen aus seinen tierischen Vorfahren der ganze 
Körper ein anderer geworden ist. Einen weiteren Beweis hierfür finden 
wir in der oben schon mitgeteilten Tatsache, daß die elastischen Fasern 
beim Menschen weit zahlreicher entwickelt sind als bei den Affen. 
Wie die Anthropoiden bei dieser Entwicklung sich verhalten haben, 
konnte ich aus ‚Mangel an Material noch nicht feststellen. Die Pri- 
maten zeichnen sich also vor allen anderen Tieren dadurch aus, daß 
die ekkrinen Drüsen bei ihnen den apokrinen Drüsen sich an Menge 
mehr und mehr nähern und sie schließlich (beim Menschen) erheblich 
übertreffen. Nur an einigen wenigen enger begrenzten Stellen treten 
beim Menschen die apokrinen Drüsen noch in größerer Zahl auf, 
zusammen mit den ekkrinen Drüsen. Es ergab sich in bezug hierauf 
nun die sehr interessante Tatsache, daß diese Verbreitung der apo- 
krinen Drüsen bei den Menschenrassen wechselt, ja auch bei dem- 
selben Volke eventuell bei den Geschlechtern. So fanden sich bei 
„deutschen Männern“ apokrine Drüsen (abgekürzt: a-Drüsen) in der 
Achselhöhle und im Warzenhofe, am Mons pubis und am Serotum 
fehlten sie. Beim „deutschen Weibe“ dagegen fanden sie sich auch 
am Mons pubis und an den Labia majora, ja sogar noch in der 
„Bauchhaut unterhalb des Nabels“. Sie besitzen also beim deutschen 
Weibe eine weit größere Verbreitung als beim deutschen Manne. Bei 
einem „Ohinesen“ fanden sich die a-Drüsen in der Achselhöhle, am 
Mons pubis, und zwar in recht großer Menge, über den ganzen Bauch 
hin und noch in der Brusthaut, also im wesentlichen über die ganze 
vordere Rumpffläche hin. Warzenhof und Scrotum konnten nicht 
untersucht werden, an Kopf und Hals waren sie nicht mehr nach- 
weisbar. Bei einem „Kamerunneger“ fanden sich die a-Drüsen in der 
Achselhöhle, am Mons pubis, und zwar wieder in großer Menge, und 
auf dem unteren und mittleren Teile des Bauches, auf dem oberen 
Teile des Bauches und auf der Brust fehlten sie schon. Warzen- 
hof und Scrotum konnten nicht untersucht werden, an Hals und 
Kopf fehlten sie. Von einem „Australier“ konnte ich nur die Haut 





P. Schiefferdeeker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 209 


der Parotidengegend untersuchen, und fand auch in dieser a-Drüsen 
in mäßıger Menge, während solche au dieser Stelle bei den Deutschen, 
dem Chinesen und dem Kamerunneger fehlten. An den genannten 
Stellen waren bei den Deutschen, wie bei den Exoten, neben den 
a-Drüsen auch zahlreiche ekkrine Drüsen (e-Drüsen) vorhanden. Wenn 
bei dem Australier die a-Drüsen sogar noch in der Parotidengegend auf- 
treten, wo sie bei den anderen untersuchten Menschen fehlten, bei den 
Affen aber vorkommen, dann darf man wohlannehmen, daß sie bei ihm 
auf der ganzen vorderen Rumpfseite bis zum Kopfe herauf vorhanden 
sind, wenngleich dies natürlich noch erst festgestellt werden müßte. 
‚Sollte sich diese Annahme bestätigen, so würden wir nach dem Grade 
der Ausbreitung der a-Drüsen in abnehmender Reihe die folgende 
Stufenleiter erhalten: sonstige Säugetiere, Affen, Australier, Chinese, 
'Kamerunneger, deutsches Weib, deutscher Mann. Hieraus würde man 
zunächst schließen können, daß das ausgedehnte Vorkommen der a- 
Drüsen auf eine tiefere Stufe der Entwicklung hindeuten würde. 
Ferner deutet die Verschiedenheit zwischen dem deutschen Manne 
und dem deutschen Weibe auf einen Geschlechtsunterschied hin, der- 
art, daß das Weib durch eine weit stärkere Ausbildung der a-Drüsen 
sich gegenüber dem Manne auszeichnen würde. In der Tat sprechen 
auch sonstige Angaben in der Literatur dafür, daß bei dem weib- 
lichen Geschlechte die a-Drüsen, vielleicht auch die e-Drüsen, eine 
stärkere Entwicklung besitzen und von dem Geschlechtsleben stark 
beeinflußt werden. Sollte sich ein solches Verhalten auch bei den 
niederen Säugern nachweisen lassen, so würde auch die Ausbildung 
der Milchdrüse besser zu verstehen sein. „Sollte der Australier 
wirklich a-Drüsen in weiter Ausdehnung besitzen, so würde man für 
ihn eine tiefere Stellung annehmen müssen. Die etwas vermehrten 
a-Drüsen bei dem Chinesen und Kamerunneger zwingen aber wohl 
noch nicht direkt dazu, diesen Rassen eine tiefere Stellung anzuweisen, 
sondern könnten auch vielleicht nur der Ausdruck von besonderen Eigen- 
tümlichkeiten des Körperbaues und des Stoffwechsels oder vielleicht 
auch des Geschlechtslebens sein.“ So schrieb ich 1917 in meiner Arbeit. 
Inzwischen habe ich die Untersuchungen über die elastischen Fasern 
gemacht (15) und bei diesen klärlich nachweisenkönnen, daß der Chinese 
und der Kamerunneger in der Tat tiefer stehen als die Europäer, es 
handelt sich dabei übrigens um dieselben Personen, ebenso wie bei dem 
Australier. Jetzt kann ich also auch in der Verschiedenheit der Drüsen 
nur eine Bestätigung dafür finden, daß diese Rassen in der Tat tiefer 
stehen, und am tiefsten die Australier. Das ist ja überhaupt das Gute 
bei diesen meinen Arbeiten, die alle konzentrisch auf dasselbe Ziel 
losgehen, daß sie sich gegenseitig kontrollieren und daß so die Rich- 
tigkeit des Endergebnisses gewährleistet wird. Der zwischen dem 
deutschen Manne und Weibe bestehende Unterschied in der Drüsenaus- 
bildung würde außer seiner Bedeutung als Geschlechtsunterschied 
gleichzeitig ein Zeichen sein für die Verschiedenheit des männlichen und 
42. Band. 14 


910 P. Schiefferdecker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 


weiblichen Körpers ım ganzen. Ob der größere Reichtum an a-Drüsen 


beim Weibe auch als ein Zeichen für eine tiefere Entwicklungsstufe 
anzusehen sein würde, muß vorläufig noch zweifelhaft bleiben. Aus- 
geschlossen wäre dies nicht, da ja auch in mancher anderen Hinsicht 
das Weib zwischen Kind und Mann steht. Selbstverständlich würden 
nun ausgedehnte Untersuchungen nötig sein -über das Verhalten der 
a-Drüsen während der kindlichen Entwicklung bei beiden Geschlechtern. 
Ich habe leider nicht das Material, um sie ausführen zu können. Man 
darf wohl annehmen. daß es zu den Funktionen der a-Drüsen gehört 
Geruchsstoffe zu erzeugen, welche geschlechtlich reizend wirken. Die 


a-Drüsen verbreiten sich dabeı von den Achselhöhlen an über die. 


vordere Rumpffläche bis zu den Inguinalfurchen und dem Mons pubis 
herab und dann über diesen hinaus auf die Labia majora und den 


Damm bis zu den Cireumanaldrüsen hin. Innerhalb dieses Bezirkes 


liegen mehrere Hautorgane, die von ihnen zusammen mit e-Drüsen 
und u. (Talgdrüsen) gebildet: werden, so das „Achselhöhlen- 
organ“, die „Milchdrüse* zusammen mit en Mamillardeinsen® und 

das „Cireumanalorgan“. “. In der der Achselhöhle entsprechenden Inguinal- 
furche ist die Ausbildung der Drüsen nicht eine so starke, daß man von 
einem Hautdrüsenorgane sprechen kann. Sodann breiten sich die 
Drüsen, wie erwähnt, über Bauch und Brust aus, und seitlich liegen 
die Milchlinien, innerhalb deren sich die Milchdrüsen in verschiedener 
Anzahl entwickeln können. Diese ganze Gegend habe ich daher vor- 
geschlagen, als „Regio sexualis“ zu bezeichnen. Sollten eventuell bei 
tiefstehenden Völkern die a-Drüsen noch heraufsteigen bis auf den 
Hals und das Gesicht, so würden auch diese Gegenden noch zu dieser 
„Regio sexualis“ zu rechnen sein. Nun finden sich in der Regio sexualis 
auch vielfach glatte Muskelfasern, die z. T. in dem Corium, z. T. in 
dem Strat. subeutanem liegen. So finden sich solche in der Achselhöhle, 
wobei dann die Haarbalgmuskeln fehlen können. Ferner in der Brust- 
'warze und dem Warzenhofe, weiter in der Haut des Mons pubis, in der 
der Labia majora, in der der Dammes, bis zum/Circumanalorgane hin. 
Treten abnorme Brustdrüsenanlagen in den Milchlinien auf, so finden 
sich in ihnen wieder glatte Muskeln. Dies alles spricht dafür, daß 
die Haut der Regio sexualis als eine Gegend anzusehen ist, in der 
glatte Muskelfasern mit Vorliebe auftreten und mehr oder weniger 
weit sich flächenförmig ausbreiten. Ich habe daher .für die „Regio 
sexualis* eine „Muscularis sexualis“ angenommen, es würde nötig sein, 
das Verhalten dieser bei niederen Säugern zu untersuchen. Über die 
Funktion dieser glatten Muskelfasern weiß man bisher noch garnichts 
mit Ausnahme der Mamilla. Was sie in der Achselhöhle, am Mons 
pubis, am Damme, in den Labia majora zu tun haben, ist ganz unbe- 
kannt... Es wird ja allerdings angegeben, daß die Labien steif werden 
können beim Geschlechtsreize, ebenso wie die Brustwarze und die Haut 
des Warzenhofes. Jedenfalls scheint es also, daß die geschlechtlich 
wirkenden a-Drüsen mit Vorliebe zusammen vorkommen mit flächen- 














: 





P. Schiefferdecker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 2441 


artig ausgebreiteten glatten Muskelfasern, welche der Haut der be- 
treffenden Gegenden eine Kontraktionsfähigkeit verleihen müssen, so 
daß sie bei Geschlechtsreizen dieker und fester wird. Eine solche 
Eigentümlichkeit wird sicher von unseren tierischen Vorfahren her 
ererbt sein und sich daher schon bei niederen Säugern nachweisen 
lassen. Es scheint übrigens, daß auch die e-Drüsen geschlechtlich 
reizende Duftstoffe erzeugen können. So wird der berauschende Duft 
des weiblichen Haares gerühmt, und auf dem Kopfe kommen ja nur 
e-Drüsen vor. Zu den a-Drüsen-Düften gehört auch der spezifische 
Geruch der Milch, und gerade an dieser kann man auch am leichtesten 
den Einfluß des Nervensystemes auf die Sekrete der Hautdrüsen 
nachweisen und zwar durch das so bequeme und sehr feine Reagenz, 
das dıe Natur uns liefert, durch das Kind. Die e-Drüsen scheinen 
aber gleichfalls Zustände des Nervensystemes in ihren Duftstoffen 
ausdrücken zu können, so daß sie beim Menschen in mehr oder 
weniger hohem Grade die a-Drüsen vertreten zu können scheinen, wo 
diese fehlen. Der spezifische Geruch eines jeden Menschen wird von 
beiden Drüsenarten erzeugt, aber der Geruch der menschlichen Spur 
am Boden nur durch e-Drüsen, denn in der Fußsohle finden sich nur 
solche. Wenn wir die Säuger im allgemeinen als a-Drüsen-Tiere be- 
zeichnen können, so würden die Affen gemischtdrüsige Tiere sein und 
der Mensch ein e-Drüsen-Tier. Die e-Drüsen sind aber für das Leben 
von hoher Bedeutung, da sie neben der Einfettung der Haut und der 
Ausscheidung von Giftstoffen den „Schweiß“ erzeugen, d. h. jene stark 
wasserhaltige Flüssigkeit, welche zur Wärmeregulierung des Menschen, 
nötig und daher von sehr großer Bedeutung ist. Der Schweiß kann 
je nach Bedarf infolge von Nerveneinwirkung sehr verschieden stark 
wasserhaltig sein und durch Verdunstung des Wassers stark wärme- 
entziehend wirken. Die a-Drüsen können diese Funktion bei manchen 
Tieren biszu einem gewissen Grade übernehmen, wie z. B. beim Pferde, 
wirken aber augenscheinlich niemals so vollkommen als die e-Drüsen. 
Die Primaten stehen also auch ın bezug auf ihre Hautorgane höher 
als die übrigen Säuger und am höchsten der Mensch. Da die Haut- 
drüsen in ihrer Tätigkeit so stark von dem Nervensysteme abhängig 
sind, "so wird auch der Geruch, der Körperduft der Tiere und der 
Menschen stark von ihm beeinflußt. Wenn daher die Geruchsfähig- 
keit eines Wesens hoch entwickelt ist, so wird es aus dem Geruche 
der Spuren und aus dem der Luft um den Körper herum seelische 
Zustände erfahren können, um so stärker natürlich je näher das Ge- 
ruchsorgan an den Körper des anderen Wesens herangebracht werden 
kann, resp. je frischer die Spuren sind. Gerade so wie der einzelne 
Mensch seinen spezifischen individuellen Duft besitzt, ist ein solcher 


- den Stämmen, Völkern und Rassen eigentümlich, ein deutliches Zeichen 


für die Verschiedenheit aller Menschen in bezug auf ihren Körperbau 


_ und auf den Stoffwechsel ihres Körpers. Der Geschlechtsgeruch, der 


nicht nur von Tieren, sondern auch von Menschen wahrgenommen 
14* 


9429 _P. Schiefferdecker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 


wird, besonders von Naturvölkern, deren Geruchsfähigkeit weit besser 
entwickelt ist als die des Europäers, deutet wieder hin auf die Ver- 
schiedenheit des Baues der beiden Geschlechter und es scheint sogar, 
daß dieser Geschlechtsgeruch bei den Säugetieren und dem Menschen 
entweder derselbe oder doch sehr ähnlich ist, daß es also einen spe- 
zifischen Geschlechtsgeruch für die ganze Säugerreihe inklusiv des 
Menschen gibt. 

In einer kleinen Arbeit (21) konnte ich dann mitteilen, daß ich 
bei einem älteren Australier mit dichtem Backenbarte in der Haut 
der Wangengegend sehr eigenartige „Gefäßbündel“ gefunden hätte, 
welche an den Haaren emporsteigend und nachher von ihnen ab- 
biegend zu den hier ganz außerordentlich stark entwickelten Haar- 
drüsen (Talgdrüsen) hınzogen und diese mit Blut versorgten. Dabei 
war es weiter sehr merkwürdig, daß diese Bündel zum größeren Teile 
aus Venen bestanden und daß sich um ıhre Verästelungen dicht vor 
ihrer Endigung an den Drüsen ein dicht mit Lymphzellen erfülltes 
Bindegewebe befand. Wenn die Talgdrüsen nun auch wirklich ganz 
außerordentlich groß waren und mitunter schon an Meibomsche 
Drüsen erinnerten, so waren doch sicher derartige Gefäßbündel nur 
zum Zwecke ihrer Ernährung nicht nötig, es ist also wahrscheinlich, 
daß sie noch eine sonstige besondere Bedeutung haben, welche uns 
bis jetzt noch unbekannt ist. Es lag weiter sehr nahe, daß sie er- 
erbt waren von irgendwelchen noch unbekannten tierischen Vorfahren, 
bei denen sie wahrscheinlich eine ganz besondere Bedeutung besessen 
hatten, und es ist nun sehr wichtig, aufzufinden, bei welchen Tieren 
ähnliche Bildungen jetzt noch vorkommen, um auf diese Weise fest- 
zustellen, von welchen früheren Tieren der Mensch hergeleitet werden 
könnte. Jedenfalls aber muß dieser Australier einen vorzüglich ein- 
gefetteten Backenbart besessen haben, in dessen Bereiche sowohl e- 
Drüsen wie a-Drüsen und die sehr stark entwickelten Haardrüsen 
(Talgdrüsen) vorkamen, so daß man hier schon von einem „Haut- 
drüsenorgane* zu sprechen in gewisser Weise berechtigt war, und 
dieser Backenbart wird zweifellos auch stark sexuell reizend durch 
seine Düfte gewirkt haben. Der anreizende Geruch des Backenbartes 
wird ja auch von Europäern angegeben, hier bei dem Australier würden 
wir gewissermaßen eine Art Urform dieses geschlechtlich reizenden 
OÖrganes vorfinden. Es ist ja überhaupt möglich, daß wır beim Men- 
schen noch mehr Hautorgane werden feststellen können, als ich oben 
aufgeführt habe, wenn immer weitere nıedere Menschenstämme unter- 
sucht werden. Im wesentlichen werden diese wohl für die geschlecht- 
liche Reizung und Anlockung sich als wichtig erweisen. Beim Men- 
schen werden diese Organe zu einem großen Teile wahrscheinlich 
eine andere Lage besitzen als bei den Tieren, da ja die aufrechte 
Stellung des Menschen sein Geruchsorgan zu Wahrnehmungen an 
ganz anderen Körperstellen nötigt als bei den Vierfüßlern. Beim 
Menschen kommt nämentlich der obere Teil des Körpers in Frage, 





ER ER MT ne aan ih iz ana 





P. Schiefferdecker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 213 


allenfalls noch herunter bis zu den Geschlechtsteilen, die wenigstens 
beim Liegen noch berücksichtigt werden können. 

In einer weiteren kleinen Arbeit (17) konnte ich dann zeigen, 
daß eine Beobachtung, die Ranvier vor langer Zeit bei einem 
Europäer gemacht hatte, auch bei einem Kamerunneger zu machen 
war. Es handelte sich um das „Vorkommen von körperlichen Rle- 


. menten“ bei der Sekretion ‘der e-Drüsen Diese haben gewöhnlich 


ein rein flüssiges Sekret, jedoch hatte Ranvier einmal, wie es scheint, 
auch kleine Kügelchen darin nachweisen können, die austraten, ohne 
daß die Drüsenzellen irgendwelche Beschädigung erkennen ließen. 
Ganz dasselbe fand ich bei einem Kamerunneger und zwar an den 
Drüsen der behaarten Kopfhaut und des Mons pubis. Ranvier hatte 
es an den Drüsen der Fingerbeere gefunden. An den sonstigen von 
mir untersuchten Drüsen des Negers fand ich diese Art der Sekretion 
nicht, ebenso fand ich sie nicht bei vielen Präparaten von anderen 
Menschen. Es scheint sich also um einen Vorgang zu handeln, der 
selten vorkommt und als eine besondere Art der Sekretion aufzufassen 
ist, der unter besonderen Umständen auftritt, aber weit verbreitet ist. 
Da die Drüsen, wie schon mehrfach erwähnt, von dem Nervensyteme 
stark abhängig sind, so ıst es wohl denkbar, daß besondere Nerven- 
reize dabei beteiligt sind. Ferner zeigt diese Beobachtung, daß die 
e-Drüsen des Kamerunnegers denen der Europäer sehr ähnlich in 
ihrem Baue sein müssen. 

Ein sehr interessantes Problem ist das der „Haarlosigkeit“ des 
Menschengeschlechtes gegenüber den sonstigen Säugern. Wir besitzen 
hierfür die Theorien vonDarwın-Häckelund vonBrandt. Beide haben 
mich niemals befriedigen können. Ich kam in einer „Betrachtung“ (16) 
zu dem Ergebnisse, daß zu einer Zeit seiner Entwicklung das Gehirn 
des Menschen, und zwar wahrscheinlich das Corpus striatum, die 
Fähigkeit erhielt, die Wärmeregulierung so vollständig auszuführen, 
daß eine Haardecke für den Menschen nicht mehr nötig war, diese 
konnte den Tieren verbleiben, der Mensch kam auch ohne sie aus. 
Später wurde die Kleidung zuerst als Schmuck angelegt, dann, nament- 
lich bei den Wanderungen der Menschen in kältere Gegenden, auch 
als Schutz gegen die Witterung, und so entstand allmählich unsere 
jetzige Kleidung. Zweifellos würde ohne sie eine Besiedelung der 
höher nördlich gelegenen Gegenden nicht möglich gewesen sein, und 
so ist die Kleidung denn doch ein wesentliches Hilfsmittel in dem 
Kampfe um das Dasein für den Menschen geworden. Die Haare, welche 
bei dem haarlos gewordenen Menschen noch zurückblieben, haben 
meiner Meinung nach im wesentlichen die Bedeutung von „Duft 
pinseln“, wobei indessen die diese Düfte erzeugenden Drüsen nicht 
immer a-Drüsen zu sein brauchen, diese können augenscheinlich auch 
durch e-Drüsen ersetzt werden. Selbstverständlich können diese Haare 
auch nebenbei noch andere Funktionen erfüllen, wie wir das ım 
Körper öfter finden. Die Theorien von Robinson und Frieden- 


914 P. Schiefferdecker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 


thal über die Bedeutung dieser Haarflecke kann ich aber nicht als 
gerechtfertigt ansehen. Ebensowenig die von S. Exner ausgesprochene 
Ansicht. Da ich selbst nicht in der Lage bin, die Haarlosıgkeit des 
Menschen an Menschen selbst zu untersuchen, so konnte ich darüber 
nur Betrachtungen anstellen, welche andere Forscher, die Gelegenheit 
dazu haben, Krach veranlassen werden, auf der von mir gegebenen 
Grundlage genauere Untersuchungen snzustellan 


In einer kleinen Arbeit habe ich sodann die „Konstitution“ (14) 
des Menschen behandelt, zusammen mit den „Konstitutionsanomalien“ 
und die Art und Weise, wie man diese ändern kann. Sie bilden die 
Ursache für die Disposition zu Krankheiten und sind demgemäß dem 
Menschengeschlechte schädlich, trotzdem besitzt ein jeder Mensch 
eine solche Konstitutionsanomalie von geringerer oder höherer Be- 
deutung. Kleine Vorarbeiten hierfür hatte ich schon in den Jahren 
1903 und 1904 gemacht. Ich bezeichnete diese Arbeit als „Betrach- 
tungen“ über das erwähnte Thema. Wir leben jetzt endlich in dem 
„Zeitalter der absichtichen Korrektur“ solcher fehlerhaften Anlagen. 
Meiner Meinung nach bot die zweigeschlechtliche Zeugung Wege für 
eine solche Korrektur, daher ihre große Bedeutung für die Wesen. 
Sehr wichtig für diese Sache schienen mir die „Innere Sekretion“ ın 
ihren beiden Abteilungen zu sein und weiter die vielen verschiedenen 
Körnchen usw. in den Zellen, die zu einem Teile zur Mitochondria 
gehören, ven denen es sehr unwahrscheinlich ıst, daß sie bei der 
Zellteilung, auch bei der mitotischen, genau gleichmäßig auf die beiden 
Tochterzellen verteilt werden. Diese kleinen Gebilde scheinen aber 
für das Leben und die Tätigkeit der Zellen von größter Bedeutung 
zu sein. Dazu kommt dann der geschlechtliche Geruchsreiz, der ja 
allerdings gerade bei den den höchststehenden Kulturvölkern angehörigen 
Menschen sehr rudimentär geworden ist. Vorhanden ist er bei ihnen 
indessen auch noch und bei einzelnen Menschen noch auffallend gut 
entwickelt, wie das ja immer bei rudimentär werdenden Fähigkeiten 
der Fall zu sein pflegt. Zum Studium dessen, was nötig wäre, um 
solche Korrekturen herbeizuführen, verwies ich auf das Studium von 
monogamen Tieren und tiefstehenden Völkerschaften. 


Die Ausbildung seines „Zentralnervensystemes“ stellt den Men- 
schen hoch über alle Tiere. So war es natürlich, daß ich mich auch 
längere Zeit mit der Betrachtung dieses Organsystemes beschäftigte. 
In einer umfangreichen Arbeit über die „Neurone und Neuronen- 
bahnen“ (13) habe ich es nach zwei früheren kleinen Arbeiten be- 
handelt. Meiner Meinung nach steht der Mensch nicht im Gegensatze 
zum Tiere, sondern steht nur an der Spitze der Tiere. Ich stellte 
dabei eine neue Theorie auf für die Leitungs- und Reizvorgänge im 
Nervensysteme und versuchte auch das Gedächtnis zu erklären. Bis 
jetzt sind mir keine Arbeiten bekannt geworden, welche eine Än- 
derung meiner damals mitgeteilten Ansichten nötig machten. 


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P. Schiefferdecker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 915 


Endlich habe ich, um den „geistigen Zustand des Urmenschen“ 
klar zu legen, so weit das für uns möglich ist, auf ein paar Funde 
von Kunstwerken aus jener Urzeit zurückgegriffen. Zuerst auf ein 
Relief, das im Abrı von Laussel gefunden worden ist von Dr. Lalanne 
und das aus dem oberen Aurignacien herstammen soll (18). Es handelte 
sich um jenes bekannte, von Lalanne in der „Anthropologie“ ver- 
öffentlichte Bild, das von ıhm als Bogenschütze gedeutet-wurde. Ich 
habe mich mit dieser Deutung nie befreunden können und habe vor 
wenigen Jahren zusammen mit einigen kunstverständigen Damen und 
Herren feststellen können, daß es sıch in der Tat nicht um einen 
Bogenschützen handelt, sondern um ein drei Personen einschließen- 
des Relief, auf dem zwei Aurignacienjünglinge um ein Neandertal- 
mädchen kämpfen. Die Rekonstruktion dieses Kunstwerkes habe ich 
bei der jetzigen Not leider noch nicht zu veröffentlichen vermocht. 
Dieses Relief ist ein Beweis dafür, daß es in jener Zeit schon Künstler 
gegeben hat, die etwas derartiges darzustellen vermochten, und zwar 
in voller Lebendigkeit. Eine Kunstschule wird man in jener Zeit 
nicht annehmen dürfen, es muß also damals ein Mann geboren worden 
sein, der eine solche überragende Begabung besaß, daß er, ohne eine 
Schule durchgemacht zu haben, ein richtiges Kunstwerk aus sich her- 
aus za schaffen vermochte. Zugleich ıst dieses Relief deshalb be- 
sonders wichtig, da sich auf ihm das einzige bisher bekannte Abbild 
eines Neandertaler-Menschen findet, wenigstens nach unserer Annahme. 
Der Aurignacmensch dieses Bildes unterscheidet sich sehr deutlich 
von dem Neandertaler. Auf einem zweiten Relief aus Laussel, das 
aber aus dem Solutreen herstammen soll, ıst ein „Koitus“ darge- 
stellt (20), aber nicht die gewöhnliche Art, sondern die, bei der die 
Frau auf dem liegenden Manne sitzt. Die Darstellung dieser Szene 
ist etwas über die Kraft des Künstlers hinausgegangen, immerhin ist 
das Relief verständlich. Die Künstler der damaligen Zeit scheinen 
keine Vielbildner gewesen zu sein, sondern nur einzelne ihnen be- 
sonders wichtig erscheinende Szenen dargestellt zu haben. Vielleicht 
ist diese Art des Koitus damals gerade erfunden und von dem 
Künstler als etwas wichtiges angesehen worden. Der Koitus wird 
damals das Hauptvergnügen gewesen sein und eine neue Art. des- 
selben dementsprechend etwas, was die Allgemeinheit stark interessierte. 
Wir wissen ja von der geistigen Beschaffenheit jener Urmenschen 
außerordentlich wenig, und so ist es sehr wichtig, zu erfahren, daß 
sie diese Koitusart damals schon: erfunden hatten. Der auf dem 
Boden liegende Mann läßt außerdem einen deutlich hervortretenden 
geteilten Kinnbart erkennen, der jedenfalls gepflegt worden ist. So 
können wir daraus einmal den wichtigen Schluß ziehen, daß die da- 
maligen Menschen Bärte besassen und zweitens, daß sie dieselben 
auch pflegten, was gut mit ihrer Neigung zu Schmuck übereinstimmt. 
Diese letztere Neigung war ja damals bei Männern und Weibern hoch- 
gradig ausgeprägt. 


916  P. Schiefferdeeker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 

Eine dritte hierhergehörige Arbeit (19) behandelt einen Teil des 
berühmten Frieses aus der Oueva della Vieja bei Alpera in Spanien, 
der ungefähr in der Mitte desselben liegt. Dieser Teil des Frieses 
enthält eine Szene, die ganz auffallend erinnert an eine Buschmann- 
zeichnung, welche v. Luschan s. Z. mitgebracht hat. Man sieht einen 
Bach angedeutet und daneben und darüber einen Mann der nach der 
besonderen Art der Naturvölker an einer Linie in die Höhe klettert. 
Diese Linie entspricht ihrer Biegung nach einem Seile. Ganz das- 
selbe findet sich auf der Buschmannzeichnung. v. Luschan hat 
dieses letztere Bild so gedeutet, daß aus einer hoch oben gelegenen 
Felsenhöhle ein Seil herunterhängt, an welchem ein Mann in die 
Höhe läuft, um in die Wohnhöhle zu gelangen. Auf beiden Bildern 
fehlt eine Darstellung oder Andeutung der Höhle gänzlich. Fügt man 
"in das spanische Bild die Felswand mit der Höhle hinein, und denkt 
man sich das weitere Felsgelände hinzu, so erhält der Fries erst den 
nötigen Unter- und Hintergrund, und dasselbe würde für die Buschmann- 
zeichnung gelten. In beiden Fällen hat der Künstler sich mit der 
Darstellung der Menschen und Tiere begnügt und die Bodenbeschaffen- 
heit völlig vernachlässigt. Seine Genossen wußten ja auch, daß 
„Boden“ da sein mußte, und die Darstellung war weit einfacher, 
wenn man diesen beiseite ließ. Die so genaue Übereinstimmung dieser 
beiden Bilder, von denen das spanische aus dem Magdalenien her- 
stammen soll, ist eine sehr merkwürdige und bisher noch durchaus 
unerklärt. Jedenfalls lernen wir aber daraus, daß die Menschen des 
spanischen Magdalönien schon Seile von größerer Länge besaßen und 
in Felshöhlen wohnten, welche in verschiedenen Höhen über Bächen 
lagen. Daß diese Menschen Pfeil und Bogen benutzten und an diese 
Waffen durchaus gewöhnt waren, zeigt das spanische Bild weiter 
ganz klar. Ebenso daß sie Vogelfedern als Schmuck benutzten, was 
ihnen möglich war, da sie über Pfeil und Bogen verfügten, während 
die Leute nördlich der Pyrenäen diese Waffen in jener Zeit wohl 
nicht kannten. Wenn wir hinzunehmen, daß diese letzteren Leute 
sich augenscheinlich in Tierhäuten verhüllten, um sich an ihre Jagd- 
tiere unauffällig heranschleichen zu können, so muß das Leben der 
Magdalönienmenschen in der Tat wohl eine gewisse Ähnlichkeit 
mit dem der Buschmänner gehabt haben, wenn natürlich auch 
wohl sicher ein großer Unterschied in der Denkungsweise vor- 
handen gewesen sein wird, entsprechend den Jahrtausenden, die als 
Altersunterschied zwischen beiden liegen. 

Die hier angeführten Ergebnisse meiner Arbeiten sind ja nur 
einzelne Blitzlichte in das Dunkel des angegriffenen weiten Gebietes, 
immerhin als solche von Bedeutung. Um diese Arbeiten fortsetzen 
zu können, wie ich es wünsche, brauche ich vor allem zu vergleichendes 
menschliches Material und würde daher jedem Fachgenossen sehr 
dankbar sein, der mir solches zur Verfügung stellen würde. 








u 


10. 
11: 


P. Schiefferdecker, Über die Ergebnisse meiner Arbeiten zur Biologie usw. 217 


Literatur. 


. Schiefferdecker, Paul, Beiträge zur Kenntnis der Myotonia congenita, der 


Tetanie mit myotonischen Symptomen, der Paralysis agitans und einiger anderer 
Muskelkrankheiten, zur Kenntnis der Aktivitätshypertrophie und des normalen 

 Muskelbaues. Mit klinischen Beiträgen von Prof. Friedrich Schultze. (Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd.25, H.1--4, 1903, S. 1—345, m. 15 Taf.) 


. Derselbe, Muskeln und Muskelkerne. Leipzig, Joh. Ambros. Barth. 1909, IX 


und 3178. m. 20 Fig im Text. 


. Prenant, A, Problemes cytologiques generaux souleves par l’ötude des cellules 


musculaires. (Journ. de l’anat. et de la physiol. Annde 47, 48, 1911 u. 1912.) 


. Schiefferdeceker, Paul, Untersuchungen über den feineren Bau und die Kern- 


verhältnisse des Zwerchfelles in Beziehung zu seiner Funktion sowie über das 
Bindegewebe der Muskeln. (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 139, 1911, 
S. 337—427 m. 7 Textfig und 4 Fahnentabellen.) 


. Derselbe, Untersuchungen über die Rumpfmuskulatur von Petromyzon fluviatilis 


in bezug auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse, über die Muskelfaser als solche 
und über das Sarkolemm. (Arch. f. mikr. Anat. Bd. 78, 1911. S. 422—495, m. 
2'Taf. u..3 Eig.: i. -Text;) 


. Derselbe, Untersuchung einer Anzahl von Muskeln von Rana esculenta in bezug 


auf ihren Bau und ihre Kernverhältnisse. (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 
Bd. 140, 1911, $. 363—435.) 


. Derselbe, Untersuchung einer Anzahl von Muskeln von Vögeln in bezug auf ihren 


Bau und ihre Kernyerhältnisse. (Pflügers Arch f. d. ges. Physiol. Bd. 150, 1913, 
S. 487-548. m 9 Fig. i. Text.) 


. Derselbe, Untersuchung des menschlichen Herzens in verschiedenen Lebensaltern 


in bezug auf die Größenverhältnisse der Fasern und Kerne. (Pflügers Arch. f. 
d. ges. Physiol. Bd. 165, 1916, 8. 499 564.) 


. Derselbe, Untersuchung einer Anzahl von Kaumuskeln des Menschen und einiger 


Säugetiere in bezug auf ihre Kernverhältnisse nebst einer Korrektur meiner Herz- 
arbeit (1916). (Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 173, 1919, S. 265—384, 
m. 36 Textabb.) 

Derselbe, Über die Differenzierung der tierischen Kaumuskeln zu menschlichen 
Sprachmuskeln. (Biol. Zentralbl. Bd. 39, 1919, Nr. 9, S. 421— 432.) 

DerseJlbe. Der histologische und mikroskopisch-topographische Bau der Wangen- 
haut des Menschen. (Arch, f. Anat. u. Physiol. Jahrg. 1913, Anat. Abteil., 
S. 191— 224, m. 3 Taf.) 


. Derselbe, Die Hautdrüsen des Menschen und der Säugetiere, ihre biologische und 


rassenanatomische Bedeutung, sowie die Muscularis sexualis. (Vorläufige Mit- 
teilung.) (Biol. Zentralbl Bd. 37, 1917, Nr. 11, S. 534— 562.) 


. Derselbe, Neurone und Neuronenbahnen. IV u. 323 S. Joh. Ambros. Barth, 


Leipzig 1906. 


. Derselbe, Betrachtungen über die „Konstitution“. (Zeitschr. f. angewandte Ana- 


tomie u. Konstitutionslehre Bd. 4, 1918, H. 4, S. 200— 224.) 


. Derselbe, Über das Auftreten der elastischen Fasern in der Tierreihe, über das 


Verhalten derselben in der Wangenhaut bei verschiedenen Menschenrassen und 
über Bindegewebe und Sprache. (Arch. f. mikr. Anat. Bd. 95, Abt. 1, 1921, 
S. 134—185, m. 6 Taf.) 


. Derselbe, Über die Haarlosigkeit des Menschen. Eine Betrachtung. (Anat. Anz. 


Bd. 53, 1920, Nr. 15/16, S. 383—396.) 


. Derselbe, Über morphologische Sekretionserscheinungen in den ekkrinen Haut- 


drüsen des Menschen. (Arch. f. Dermatol. u. Syphil. Bd. 132, 1921, S. 130—132, 
m. 2. Abb. i. Text.) 


. Derselbe, Bemerkungen über zwei Basreliefs von Laussel und über das Abbild 


eines Neandertalers. (Arch. f. Anthropol. N. F. Bd. 15, 1917, S. 214—229, m. 
2: Abb. i. Text.) 


. Derselbe, Eine eigentümliche Zeichnung aus der Urzeit im Vergleiche mit einer 


Buschmannzeichnung. (Prähistorische Zeitschr. Bd 10, 1918, S. 58—65, m. 
2 Abb. i. Text.) 


. Derselbe, Über ein Relief aus dem Abri von Laussel. (Zeitschr. f. Ethnol. Jahrg. 


1916, S. 179—184, m. 1’ Abb. i. Text.) 


. Derselbe, Über Gefäßbündel an den Haaren des Backenbartes bei einem 


Australier. (Arch. f. Dermatol. u. Syphil. Bd. 132, 1921. S. 121—129 m. 5 Abb. 
i. Text.) 


948 Fr. Alverdes, Zur Lehre von den Reaktionen der Organismen auf äußere Reize. 


Zur Lehre von den Reaktionen der Organismen auf 


äulsere Reize. 
Von Friedrich Alverdes, Halle a. S. 

Von dem Umstande, daß die Protozoen zufolge ıhrer Einzelligkeit 
an den Anfang des zoologischen Systems gestellt werden, ging für 
viele Untersucher die Suggestion aus, die von diesen auf äußere 
Reize hin zur Schau getragenen Reaktionen als möglichst einfache zu 
deuten. So kommt auch Jennings, dem wir an sich einen so außer- 
ordentlichen Fortschritt unserer Kenntnisse verdanken, nicht über die 
Auffassung hinaus, Paramaecium caudatum reagiere auf thermische, 
chemische und taktische Reize wie ein „isolierter Muskel“. Diese 
Auffassung ist grundfalsch; nach meinen Feststellungen 
steht den Paramäcıen eine ebenso große Zahl von Re- 
aktionsmöglichkeiten zu Gebote wie vielen anderen 
(„höheren“) Organismen auch. Da die Jenningssche An- 
schauung in zahlreiche zusammenfassende Darstellungen und Lehr- 
bücher überging, so scheint es mir geboten, ıhr energisch entgegen- 
zutreten (vgl. auch F. Alverdes, 1922: Studien an Infusorien 


über Flimmerbewegung, Lokomotion und Reizbeantwor- 


tung). 

Bringen wir zu dem Infusorienwasser, in welchem Paramäcien sich 
befinden, einen Tropfen 0,5—1%,iger Kochsalzlösung, und warten wir 
kurze Zeit, bis sich ein Konzentrationsgefälle hergestellt hat, so läßt 
sich konstatieren, daß an unserem Objekt nicht nur die von Jennings 
beschriebenen Flucht- und Suchbewegungen vorkommen, sondern auch 


noch viele andere Reaktionen, welche in die Schemata dieses Autors. 


nicht hineinpassen. Man kann alle diese Erscheinungen sowohl auf 
dem Objektträger wie auch im Uhrschälchen beobachten; im letzteren 
Falle-vermag der Einwand nicht erhoben zu werden, wie er im ersteren 
denkbar ist, daß die Paramäcien nämlich auf zwei Seiten durch eine 
Fläche behindert würden und deshalb die normale Bewegungsform 
nicht zur richtigen Entfaltung käme. 

Vielfach vermeiden die Paramäcien die Salzlösung nicht durch 
eine Fluchtreaktion (bestehend aus einem Zurückprällen, einer Dorsal- 
wendung und erneutem Vorwärtsschwimmen), sondern durch ein 
Bogenschwimmen. (Zur näheren Erläuterung muß ich auf die Abb. 44a —d 
und 45a—f meiner ausführlichen Arbeit verweisen.) Diese Ver- 
meidungsbogen können unter Rotation um die Achse des Tieres 
oder unrotiert erfolgen. Der letztgenannte Fall, daß das Tier ım 
Bogen ohne Rotation schwimmt und so der Reizquelle ausweicht, 
vermag zur Not im Sinne der Tropismentheorie Loebs und so- 
gar in dem einer Theorie der lokalen Wirkung gedeutet zu 
werden. Bei Beschreibung der Bogenbahn ohne Rotation kann das 
Tier nach jeder beliebigen Körperseite eine Abweichung zeigen, also 
nach der Dorsal- oder Ventralseite, nach rechts oder links. 





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Fr. Alverdes, Zur Lehre von den Reaktionen der Organismen auf äußere Reize. 219 


Die letztgenannten beiden Erklärungsprinzipien versagen jedoch 
sofort, wenn ein Tier seinen Vermeidungsbogen unter Rotation um die 
eigene Achse ausführt. Damit ein solcher Bogen zustande kommt, 
müssen immer die Cilien derjenigen Körperseite, welche vom Mittel- 
punkt der Kreisbahn abgewandt liegt, stärker schlagen als die übrigen. 
Da das Tier sich um sich selbst dreht, kommt ın jedem Augenblick 
eine andere Cilienpartie in Frage; es kreist also an der Oberfläche 
des Tieres, entgegengesetzt der Rotationsrichtung, ein Impuls zu ver- 
stärkter Flimmerbewegung. Wo sind da die symmetrischen Sinnes- 
flächen, welche ungleichartig gereizt werden, und wo die symmetri- 
schen Körperseiten, welche entsprechend in ungleichförmige Tätigkeit 
verfallen? (Ich sehe ganz davon ab, daß der Körper von Paramae- 
cium an sich schon durchaus asymmetrisch gebaut ist; denn irgend- 
ein Anhänger von Loeb könnte vielleicht auf den Gedanken kommen, 
Paramaecium sei zwar morphologisch, aber nicht physiologisch und 
funktionell asymmetrisch gestaltet!) Meines Erachtens handelt es sich 


_ hier garnicht um eine gleichzeitige verschiedene Reizung symmetri- 


scher Sinnesflächen, sondern um eine Reizung, welche das ganze vor- 
handene Sinnesfeld betrifft, wie ja auch Jennings solche Vorgänge 
auffaßt. Dann aber handelt es sich nicht um einen Tropismus, son- 
dern um eine Unterschiedsempfindlichkeit. 

Außer dem Beschreiben einer Bogenbahn kommt eine weitere 
Vermeidungsreaktion bei Paramaecium caudatum vor, nämlich ein Ab- 
wenden auf der Stelle. Hierbei liegt der Drehpunkt entweder 
am Hinterende des Tieres oder innerhalb der hinteren Körperhälfte. 
Das Abwenden kann nach jeder beliebigen Körperseite erfolgen, also 
nach rechts oder lınks, dorsal- oder ventralwärts. Es ist immer da- 
durch charakterisiert, daß das Tier dabei nicht um seine eigene Achse 
rotiert, wie dies regelmäßig beiden abgekürztenSuchbewegungen 
geschieht. Jennings erkennt direkte Abwendungen nicht als vor- 
handen an; er irrt aber, wenn er die Meinung äußert, bei ungenauer 
Beobachtung könne man leicht die abgekürzten Suchbewegungen für 
direkte Abwendungen halten. Dies trifft nicht zu, sondern es handelt 
sich um zwei verschiedene, wohlcharakterisierte Reaktionen. Abwen- 
dungen, Vermeidungsbogen und Fluchtbewegungen rückwärts (welch 
letztere unter Rotation oder unrotiert vor sich gehen), können in der 
mannigfachsten Weise zu komplizierten Bewegungen miteinander ver- 
quiekt werden; auch mehr oder weniger abgekürzte Suchbewegungen 
sind eventuell eingeschaltet. 

Während Paramaecium caudatım und aurelia Formen sind, welche 
sich hauptsächlich schwimmend dahinbewegen, bevorzugt Paramaecium 
bursaria im allgemeinen das Kriechen auf einer Unterlage; nur nach 
einer Reizung erhebt sich diese Form vom Boden und schwimmt 
eine Strecke weit in spiraliger Bahn. Beim Kriechen ist das Peristom- 
feld stets der Unterlage zugewandt. Bei dieser Fortbewegungsweise 
kann Paramaeeium bursaria nach Reizung durch Licht nicht nur ein 


290 Fr. Alverdes, Zur Lehre von den Reaktionen der Organismen auf äußere Reize. 


Zurückprallen ohne jede Rotation, sondern auch ein Beschreiben von 
Bogen und ein direktes Abwenden nach links oder rechts zeigen, wo- 
bei das Tier den festen Boden nicht verläßt. 

Bekanntlich entstehen nach Jennings bei Paramaecium caudatum 
alle positiven Reaktionen indirekt aus negativen. Es gelang mir, ge- 
rade bei dieser Art nicht nur direkte Abwendungen von einer Reiz- 
quelle, sondern auch ein direktes Hinwenden zu einer solchen nach- 
zuweisen. In den Vorstadien der Konjugation, während des „Liebes- 
spiels“, bei welchem die Partner ein beständiges Bestreben an den 
Tag legen, vermittels thigmotaktisch starr gehaltener Cilien mitein- 
ander ın Berührung zu bleiben, müssen sie unausgesetzt außerordent- 
lich präzise Wendungen ausführen; die „Versuchs- und Irrtums- 
methode“ würde hier völlig versagen. Andererseits konnte ich bei 
Paramäcien, welche bis zu 11 Tage gehungert hatten, in gelungenen 
Fällen ein direktes Hinwandern auf Bakterien nachweisen. Geleitet 
wurden sie dabei ohne Zweifel durch die Stoffwechselprodukte der 
letzteren, und zwar kann man nur annehmen, daß ein Konzentrations- 
gefälle sie zur Reizquelle hinführte, wenn ein Tier einmal allzusehr 
von der geraden Bahn abwich, so daß für dasselbe die Konzentration 
nicht mehr anstieg, dann korrigierte es sich jedesmal sehr bald selbst 
durch Zurückweichen und eine entsprechende Wendung. Auf das 
Gelingen dieser Versuche war kein großer Verlaß, denn vielerlei Um- 
stände konnten sie zum Scheitern bringen; wenn z.B. dem Bakterien- 
wasser irgendwelche 'abstoßenden Bestandteile beigemengt waren, 
kam keine positive Reaktion der Paramäcien, sondern nur eine nega- 
tive zustande. In anderen Fällen geschah es aber, daß alle Individuen 
in derjenigen Zone, in welche die „Witterung“ der Bakterien gelangt 
war, geradlinig auf dieselben zustrebten; kein Tier schwamm dort in 
anderer Richtung. Wer je lebende Paramäcien beobachtet hat, wird 
zugeben, daß ein solches Vorkommnis kein zufälliges sein kann: denn 
sonst schwimmen die Tiere stets ohne jede Ordnung kreuz und quer 
im Wasser umher. 

Die galvanotropischen Reaktionen der Infusorien sind 
nach meiner Auffassung keine direkten Hinwendungen nach der einen 
Elektrode, wohl aber direkte Abwendungen von der anderen; betreff 
der Deutung, welche ich diesen Erscheinungen gegeben habe, muß 
ich auf meine ausführliche Arbeit verweisen. 

Niemals werden nach meiner Auffassung die Tiere geleitet durch 
einen Tropismus, sondern stets durch eine Unterschiedsempfind- 
lichkeit. Es gibt bei den Organismen eine solche für ein Neben- 
einander und für ein Nacheinander. Bei den Infusorien ist bis- 
her mit Sicherheit nur die letztere nachgewiesen worden. Denn auch, 
wenn ein Protist sich in Richtung der Lichtstrahlen einzustellen ver- 
mag, so muß es nicht mit Notwendigkeit von der ersteren, sondern 
kann auch von der letzteren geleitet werden (betreff solcher Einstellungen 
siehe vor allem die Arbeit von Buder). Sehr schön läßt sich die 


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Fr. Alverdes, Zur Lehre von den Reaktionen der Organismen auf äußere Reize. 291 


Unterschiedsempfindlichkeit für ein Nacheinander an Paramaecium 
demonstrieren, wenn man auf dem Objektträger eine Wasserprobe, in 
welcher sich eine Anzahl dieser Tiere befindet, vorsichtig erwärmt. 
Dann führen sie eine Fluchtreaktion nach der anderen aus, obwohl das 
frühere Milieu garnicht mehr existiert. Das Gleiche gilt, wenn man 
die Tiere in ein reizendes chemisches Agens überführt. Sie reagieren 
dann durch Fluchtbewegungen; nur eine Unterschiedsempfindlichkeit 
für zwei nacheinander einwirkende Lebenslagen kann sie hierzu ver- 
anlassen. 

Bei den höheren Organismen gibt es neben der Unterschieds- 
empfindlichkeit für ein Nacheinander auch eine solche für ein Neben- 
einander. Ich erinnere an die Augen der Metazoen. Möglicherweise 
istallerdings bei den einfachst gebauten Augenformen nur die erstere 
vorhanden; bei den kompliierteren besteht dagegen mit Sicherheit 
neben der ersteren auch die letztere. Und zwar befindet sich dann 
bereits jedes einzelne Auge allein im Dienste einer Unterschieds- 
empfindlichkeit für ein Nebeneinander; dieselbe kommt nicht etwa 
bloß dann zustande, wenn symmetrisch gelegene Augenpaare vor- 
handen sind. 

Wenn nun ein Untersucher zu einer ablehnenden Haltung der 
Tropismentheorie gegenüber gelangt, so darf man nicht glauben, daß 
er damit zugleich die „Zwangsmäßigkeit‘‘ der biologischen Vorgänge 
leugnen will (wie auch v. Buddenbrock neuerdings ausgeführt hat). 
Absolut „zwangsmäßig“ verläuft für mich alles Naturgeschehen, also 
auch dasjenige in der belebten Welt, mögen nun die betreffenden 
Vorgänge einfach oder (für uns) unübersehbar kompliziert sein. 

VonsSeiten der Botaniker wurden neuerdings besonders durch 
Oltmanns Bedenken gegen die Jenningssche Auffassung über die 
Reaktionen der Infusorien erhoben. Er studierte die Phototaxis von 
Euglena und fand, daß der Lichtreiz nur dann sofort eine scharfe 
Reaktion auslöst, wenn der Übergang ein schroffer ist; bei minder 
scharfer Abgrenzung handelt es sich um Wirkungen und Nachwir- 
kungen, deren Häufung erst zur Reaktion führt. Je geringer das 
Lichtgefälle, desto kleiner wird der von Euglena gezeigte „Schreck“; 
je weitergehend die Abstufungen, desto tiefer schwimmen die Euglenen 
z. B. ins Halbdunkel hinein, kehren nach einigen Wendungen, die 
nicht übermäßig rasch sind, in die hellen Zonen zurück, überschreiten 
diese und gelangen in noch hellere Gebiete, kehren dann wieder ge- 
mächlich um und kommen in eine Region von mittlerer Helligkeit, 
in weleher sie sich dauernd hin und her bewegen. Je weiter Kuglena 
vom Optimum entfernt ist, umso stärker der Reiz und umso gerad- 
liniger die Bahn, die sie auf dieses zu einschlägt; je näher sie aber 
an dasselbe herankommt, umso größer werden die Abweichungen 
von der geraden Bahn und umso ausgiebiger die Suchbewegungen. 
Oltmanns glaubt nicht, daß ein Zufall die Euglenen ın das 
Hellfeld führt. Denn unmittelbar nach Erhellung des Präparates 


392 Fr. Alverdes, Zur Lehre von den Reaktionen der Organismen auf äußere Reize. 


durch das Spaltbild beginnt von allen Seiten eine Wanderung gegen 
den hellen Bezirk; sie werden nach ihm durch das Licht ange- 
lockt, nicht aber durch die Dunkelheit abgestoßen. Auch nach 
Buder führt Zuglena in vielen Fällen keine „Fluchtreaktion“ aus, 
sie macht dann keine „Versuche“ und „probiert“ die günstigste Lage 
aus, sondern lenkt in einem sauberen Bogen in die neue Lichtrich- 
tung ein. Ja, in günstigen Fällen ist der Bogen so kurz und scharf, 
daß er schon eher als Wendung zu bezeichnen sein soll. Volvox 
zeigt im Lichtgefälle nach Oltmanns ebenfalls keine ‚„Schreck“- 
oder Fluchtbewegung, sondern eine ruhige Umkehr und steuert in 
einem mehr oder weniger großen Bogen zurück. Nach Oltmanns 
und Buder kommen also bei Protisten die positiven Reaktionen nicht 
immer bloß indirekt durch lauter negative zustande, sondern diese 
Autoren kennen rein positive, und Oltmanns hofft, „die apobatischen 
Theorien werden nun selber eine Apobasis antreten“. Bei manchen 
Reaktionen liegt meines Erachtens oftmals eine unlösbare Kom- 
bination einer positiven und negativen Komponente vor, 
und dies ist vielleicht auch nicht selten bei Euglena der Fall. 

Maßgebend für die von den Organismen ausgeführten Bewegungen 
ist auch nach Oltmanns nicht ein Tropismus, sondern eine Unter- 
schiedsempfindlichkeit. Und zwar wird nach ihm entweder auf 
örtliche oder zeitliche Differenzen reagiert. Ich sage statt dessen, 
es besteht bei den Organismen eine Unterschiedsempfindlichkeit für 
ein Nebeneinander oder für ein Nacheinander. Diese Aus- 
drucksweise deckt sich nicht ganz mit der Oltmannsschen; denn 
örtliche Differenzen können entweder gleichzeitig oder nacheinander 
wahrgenommen werden. So glaube ich, mit meiner Bezeichnung mehr 
vom Standpunkt des reagierenden Lebewesens aus zu sprechen. 





Literatur. < 

(Weitere Angaben siehe bei Jennings, Loeb und in meiner ausführlichen Arbeit.) 

Alverdes, F., Studien an Infusorien über Flimmerbewegung, Lokomotion und 
Reizbeantwortung. Arb. a. d. Geb. d. exper. Biol. Herausg. v. J. Schaxel. H. 3. 
Berlin 1922. 

‚Buddenbrock, W. v., Die Handlungstypen der niederen Tiere und ihre tierpsycho- 
logische Bewertung. Berl. klin. Wochenschr. 1921. 

Buder, J., Zur Kenntnis der phototaktischen Richtungsbewegungen. Jahrb. wiss. 
Bot. Bd. 58. 1917. 2 

Jennings, H.$., Das Verhalten der niederen Organismen. Übers. von O. Mangold, 
Leipzig u. Berlin 1910. 

Loeb, J., Die Tropismen. Wintersteins Handbuch. Bd.4, 1913. 

ÖOltmanns, F., Über Phototaxis. Zeitschr. f. Bot. Jahrg. 9, 1917. 





Ist das Alter der zu Kreuzungen verwandten Individuen 
auf die Ausprägung der elterlichen Merkmale bei den 
Nachkommen von Einfluss? 


Von Hans Kappert. 


In zwei, in der Zeitschrift für Pflanzenzüchtung 1914 und 1917 
veröffentlichten Mitteilungen suchte Zederbauer!) den experimen- 
tellen Nachweis zu erbringen, daß die Dominanz gewisser Merkmale 
der Erbsensamen von dem Alter der zur Kreuzung verwandten Pflanzen 
in hohem Maße abhängig sei. So sollte das als dominierend bekannte 
Merkmal: gelbe Kotyledonenenfarbe bei Bestäubung einer eben ‘erst 
aufblühenden grünsamigen Pflanze mit Pollen aus einer der letzten 
Blüten einer gelbsamigen Pflanze fast nur grüne Bastardsamen geben, 
während bei Verwendung gleichalter ‚Blüten nur gelbe Samen entstehen 
sollten. Auch in der zweiten Generation sollte im ersten Falle die Zahl 
der gelben Samen stark gegen die der im allgemeinen rezessiven grünen 
zurücktreten. Da nun ein derartiger Einfluß des Alters .des Ausgangs- 
materials für die praktische Züchtung von außerordentlicher Bedeutung 
und für die Wissenschaft im Hinblick auf die Frage der Veränderlichkelt 
der Gene von großem Interesse sein müßte, so schien mir eine Wieder- 
holung der Versuche Zederbauers erwünscht. 

Für die im Jahre 1919 in Dahlem begonnenen und 1920 in Sorau 
fortgesetzten Versuche wurden nach dem Beispiel Zederbauers die 
Markerbse „Wunder von Amerika“ und die Kneifelerbse „De Gräce‘“ ?) 
benutzt. Beides sind niedrige, weißblühende Erbsensorten, erstere mit 
großen grünen, eckig runzligen, letztere mit rundlichen, glatt-gelben 
Samen. Um zur gleichen Zeit über Individuen verschiedenen Alters 
verfügen zu können, wurden von jeder der beiden Sorten Samen in 
Zwischenräumen von einer Woche ausgesät. Die Sorte Wunder von 
Amerika diente in meinen Versuchen stets als Mutterpflanze, da die 
in beiden hier in Frage stehenden Samenmerkmalen rezessiven Pflanzen 
am ehesten eine Beeinflussung durch eine Bastardierung mit den gelb- 
glattsamigen Vaterpflanzen erkennen lassen mußten. Die Bestäubungen 
wurden so vorgenommen, daß bald gleichalte Blüten (d. h. Blüten der- 
selben Zahl in der Aufblühfolge) zur Kreuzung benutzt wurden, bald 
frühe mit Pollen von späteren, bald spätere mit Pollen von früheren 
Blüten bestäubt wurden. Nach dem Vorgang von Zederbauer seien 
Bestäubungen zwischen einander entsprechenden Blüten im folgenden 
kurz als isochrone, solche zwischen verschieden alten Blüten als hetero- 
chrone bezeichnet. _ 

Indem ich eine Kritik der Mitteilungen Zederbauers auf den 


1) Zederbauer: Zeitliche Verschiedenwertigkeit der Merkmale bei Pisum sativum 
1914 und: Alter und Vererbung 1917. 
2) Bezogen von Benary-Erfurt, 


3 2 Ze share Ka Zn Pe rn u N er. a FU RE = 





Tabelle I. 


I. Samengeneration aus verschiedenartigen Bestäubungen Wunder von Amerika 2 X De Gräce g. 















































E 
=] 
= Anzahl der Anzahl der 
3 Vers. Nr. Art der. Bestäubung erhaltenen Aussehen der Samen erhaltenen 
= Samen . Keimpflanzen 
3 
S 2 48 I. Blüte X I. Blüte 8 Samen groß, in Richtung der Hülsenlängsachse zusammen- 8 
8 Ei gedrückt und etwas eingedellt, Testa grün, in der Nabel- 
= & gegend gelblich durchscheinend. Kotyledonen goldgelb. 
E 49 II. Blüte X II. Blüte | = 6 Samen leicht runzlig, durchscheinende gelbe Partien größer. 6 
5) =) 
> 
5 50 III. Blüte X III. Blüte 7 Samen ziemlich klein, fast ganz grün aussehend. | 7 
En ß 
5 S : 3 38 ü 
S 51 1I. Blüte X I. Blüte | 8:0 7 Samen wie Nr. 48. fi 
& xs 
D 52 II. Blüte X I. Blüte | &5 7 Samen wie Nr. 48. | 7 
Q ES HERE ß 
- 
S 53 IM. Blüte X V1. Blüte 6 Samen kleiner als vor., Testa teilweise durchsichtig (gelb). 6 
8 = 
= 54 II. Blüte X VI. Blüte | 2 6 Samen etwas runder als Nr. 48. 5 
bar } 
un Q 
8 fe) 
S 55 II. Blüte X VI. Blüte 5 8 Samen kleiner und runder als Nr. 48. 8 
Rz Re 
\ 
= 56 II. Blüte X VI. Blüte ( ® 4 Obere Samenhälfte gelb durchscheinend. 4 
© =: 
= BD 
Z 57 II. Blüte X VII. Blüte | X 7 Kotyledonen etwas grünlich, nicht ausgereift ? 0 
58 II. Blüte X VII. Blüte | * 7 Samen alle goldgelb. 7 
+ 
Q 59 IT. Blüte X VII. Blüte ] 7 Samen alle goldgelb. 6 


Li 





H. Kappert, Ist das Alter der zu Kreuzungen verwandten Individuen usw. 225 


Schluß meiner Ausführungen verschiebe, seien hier zunächst nur die 
Ergebnisse meiner eigenen Untersuchungen mitgeteilt. 

Von allen ausgeführten Bestäubungen der sehr frühzeitig und sorg- 
sam kastrierten Blüten der Wunder von Amerika-Pflanzen mit Pollen 
von De Gräce gelangen insgesamt zwölf, bei den übrigen fielen die Blüten 
ab oder die Früchte verkümmerten. Drei der gelungenen Bestäubungen 
waren Kreuzungen gleichaltriger Blüten, beizweien war die Blüte der Mutter- 
pflanze älter als die den Pollen liefernde, bei dem Rest waren frühe 
Blüten der Mutterpflanze mit Pollen später Blüten des andern Elters 
bestäubt worden. Zusammen erhielt ich 80 Bastardsamen. Die Tabelle I 
gibt über das Aussehen der ersten Samengeneration Auskunft. Hier- 
nach sind die Samen der einzelnen Bestäubungen zwar weder hinsicht- 
lich ihrer Größe, noch ihrer Form oder Farbe durchaus eleichmäßig, 
aber eine Beziehung zwischen dem Aussehen der ‘Samen und der Art 
der Bestäubung, ob iso- oder heterochron, ist nicht zu erkennen. So 
gibt es z. B. unter den isochronen Bestäubungen große (Vers. Nr. 48) 
und kleine Samen (Nr. 50), von den heterochronen fielen Nr. 53 und 55 
als relativ kleinsamig auf. Auch in bezug auf die Farbe, die sowohl 
von der Färbung der Testa wie der Kotyledonen abhängt, läßt sich 
für die verschiedenen Bestäubungen keine Regelmäßigkeit feststellen. 
So hat die isochrone Bestäubung Nr. 50 fast ganz grüne Samen ge- 
geben, Nr. 48 grüne, in der Nabelgegend etwas gelbliche. Von den 
Samen der heterochronen Bestäubungen sind die meisten grün mit gelb- 
lichen Flecken, die der Nummern 58 und 59 aber sind geoldgelb. Auch 
in der Form der Samen finden sich Unterschiede, da die einen Bestäu- 
bungen mehr runde, die andern ausgesprochen längliche Samen gegeben 
haben. Es sind aber auch hier keine Zusammenhänge zwischen Form 
des Samens und Art der Bestäubung erkennbar. Die beobachtete Ver- 
schiedenartigkeit muß daher anderen Ursachen, vielleicht den Wachs- 
tumsbedingungen der Samen in der Hülse oder anderen zufälligen Ein- 
flüssen zugeschrieben werden. In dem einen, hier allein ent- 
scheidenden Punkte,-der Farbe der Kotyledonen, sind 
alle Samen zleich, jede Bestäubung gab, wie durch 
Anschneiden der Testa -testgestellt wurde, Samen mit 
soldgelben Kotyledonen, die zuweilen zwar etwas ein- 
gedrückt, aber nie typisch runzlig waren. Eine Ausnahme 
machte die Bestäubung Nr. 57 insofern, als alle 7 Samen derselben eine 
etwas grünliche Färbung der Kotyledonen zeigten, doch waren diese Samen 
entweder krank oder nicht ausgereift, denn aus ihnen ging keine einzige 
Keimpflanze hervor, sondern die Samen verfaulten in der Erde. Die 
andern 73 Samen brachten dagegen mit Ausnahme von zweien gesunde 
Pflanzen. Die Frage also, ob das Alter der Blüten bei Bestäubungen von 
Einfluß auf die Bastardcharaktere der ersten Generation ist, muß für 
die vorliegenden Versuche verneint werden. 

Um zu prüfen, ob verschiedenes Alter der zur Bestäubung benutzten 
Blüten die Spaltungszahlen in der zweiten Generation zu beeinflussen 

42. Band. 15 





Kae a u un ac ui em. u, 


Tabelle LI. | 


Die Spaltungsverhältnisse in der II. Samengeneration verschiedenartiger Bestäubungen. 














Vers.-Nr. 


Art der Bestäubung 


Zahl der 


Gefundene Verhältnisse 
der gelben und grünen 


Erwartete Spaltungsverhältnisse - 


Gefundene Verhältnisse 
glatter und runzliger 





336 H. Kappert, Ist das Alter der zu Kreuzungen verwandten Individuen usw. 























Pu Samen Samen Samen 
48 ER 635 460 : 175 476,3: 158,7 +10,91 460 : 175 
49 5 | IXU 464 351: 113 348 :116 +9,83 336::128 
50 E II X IM 310 239.78 232,5: 77,5 +7,62 254: 56 
| Sa. 140) 1043 : 366 1056,8: 352,2 + 16,25 1050 : 359 
51° 88 17 4 335 259: 76 91,8: 83,7 47,8 250:85 
52 3x N Il SAL 266 196: 70 199,5: 66,5 + 7,06 202: 64 
Di 
32 | Sa. 601 455 :146 450,8: 150,2 + 10,61 452 :149 
53 KL 347 262 :85 260,3: 86,7+ 8,06 261:86 
54 3| mx 297 166: 61 170,3: 56,7 +6,52 172:55 
55 x IX VI 492 362: 130 369 :123 +9,62 358: 134 
56 TE 462 346: 116 346,5:115,5+9,3 333 :129 
= 1 (zus. 1528) (1136 : 392) (1146 : 382 + 16,93) (1124 : 404) 
58 E | IIX VI 508 384:124 381 :127 +9,76 395 :123 
9 & | I SEIEN 480 329 :110 329,3: 109,7 + 9,07 336 : 103 
Ks (zus. 947) (713:234) (710,3 :236,7+ 13,32) (721: 226) 
el Sa. 9475 1849 : 626 1856,3:: 618,7 + 21,54 1845 : 630 

















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H. Kappert, Ist das Alter der zu Kreuzungen verwandten Individuen usw. 927 


imstande sei, wurden die Bastardsamen aus jeder Bestäubung für sich 
ausgepflanzt. Von 80 Samen wurden, wie erwähnt, 71 Pflanzen mit 
insgesamt 4485 F,-Samen erhalten. In Tabelle II sind die Zahlenver- 
hältnisse der gelben und grünen sowie der glatten und runzligen Samen 
für jede Bestäubung getrennt aufgeführt. Außerdem sind die Resultate 
gleichartiger Bestäubungen noch zusammengefaßt, um größere Zahlen 
zur Beurteilung zu erhalten. Diese letzteren zeigen nun, dab in sämt- 
lichen Versuchen die Abweichungen der gefundenen Verhältniszahlen 
von der theoretisch zu erwartenden Zahl außerordentlich gering sind, 
sie bleiben in allen Versuchen kleiner als der einfache mittlere Fehler! 
Wenn also die Bestäubungen alt X jung etwas mehr gelbe und glatte 
Samen, und die Bestäubungen Jung X alt etwas weniger gelbe und 
glatte Samen gaben, als bei idealem Spaltungsverhältnis zu erwarten 
wäre, so können diese bei der Geringfügigkeit der Abweichungen doch 
nicht als Wirkung des verschiedenen Alters der Elterpflanzen aufge- 
faßt werden. Beachtet man noch, ‘dab bei den Bestäubungen zweite 
Blüte X sechste Blüte die Zahl der gelben und glatten Samen geringer, 
bei den Bestäubungen zweite X siebente Blüte die Zahl derselben jedoch 
größer als die zu erwartende ist, während doch bei Abnahme der 


Wertigkeit des Merkmales mit zunehmendem Alter das umgekehrte 


Verhalten zu erwarten wäre, so geht daraus zweifelsfrei hervor, daß 
ein Einfluß des Alters der Elterpflanzen auch in den Spaltungszahlen ° 
der F,-Generation in diesen Versuchen nicht nachzuweisen ist. Auch 
daß dies einzelnen Bestäubungen derselben Art bald 
mehr. bald weniser selbe und. glatte Samen, als zu.er: 
warten wären, hervorbringen, spricht für die Unab- 
hängigkeit des Spaltungsverhältnisses in F, von dem 
Alter der-zwr-Bestäubune verwandten R-Pflanzen: 

Wie ist nun aber der Widerspruch zwischen den hier mitgeteilten 
und den zahlreichen von Zederbauer angeführten Versuchsresultaten 
zu erklären? 

Das zuletzt?) von Zederbauer als Beweis für die vom Alter 
der Elterpflanzen abhängige Verschiedenwertigkeit der Merkmale: glatte 
und gelbe Kotyledonen angeführte Spaltungsverhältnis in F, einer hetero- 
chronen Kreuzung: Wunder von Amerika I. Blüte x De Gräce V. Blüte 
läßt ganz offenbar den Einwand zu, daß die Kreuzung nicht ‘gelungen 
war. Die erste Samengeneration dieser Kreuzung bestand nach den 
Angaben Zederbauers aus 4 grüngelben, runzligen, kubischen Kör- 
nern. Die zweite Generation bestand aus 224 runzligen Samen, von 
denen 194 grün, 30 grüngelbfleckig waren. In der dritten Generation 
traten unter 7517 Samen 4 gelbe auf. Ebenso wurden hier insgesamt 
39 glatte Samen gefunden. Die erste wie die zweite Samengeneration 
zeigen also überhaupt kein Merkmal der Vaterpflanze. Auch in dem 
Auftreten der gelbgrünen Samen ist durchaus kein Beweis für den 
Einfluß des De Gräce-Elters zu sehen, da es eine längst bekannte Tat- 


3) l. c. 1917. 


— 
1 


398 H. Kappert, Ist das Alter der zu Kreuzungen verwandten Individuen usw. 


sache ist, daß grünrunzlige Erbsen unter gewissen äußeren Einflüssen 
die. Neigung zu gelblichen Verfärbungen haben. Bei der Durchsicht 
einer in Sorau gekauften Samenprobe von Wunder von Amerika-Erbsen 
fand ich unter 267 Samen 192 grüne, 16 gelbgrüne und 59 mehr oder 
weniger gelbe*+) Samen, also ungefähr 28 % nicht rein grüne Samen. 
Zederbauer fand dagegen in der zweiten und dritten Samengene- 
ration seiner vermeintlichen Kreuzung nur 13,7 bezw. 13,4% nicht 
rein grüne Samen, also eine Zahl, die in Anbetracht der erwähnten 
Variabilität der Samenfärbung nichts auffallendes hat. Das Auftreten 
rein gelber und glatter Samen in F, ist ebenfalls in so geringen Zahlen 
erfolgt, 0,1 bis 0,5 %, daß es als wahrscheinlich anzunehmen ist, dab 
diese Samen einer Fremdbestäubung durch Insekten, die nach meinen 
Beobachtungen bei den Erbsen gar nicht so selten vorkommt, ihre 
Entstehung verdanken. = 

Auch die 1914 von Zederbauer mitgeteilten Vorversuche machen 
durchaus den Eindruck, daß die von ihm entwickelten Hypothesen auf 
mißlungene Kreuzungsversuche gegründet wurden. Eine der, hetero- 
chronen Kreuzungen dieser Versuche, Wunder von Amerika I. Blüte X 
De Gräce Il. Blüte gab in der zweiten Generation nur runzlige Samen, 


bei 2 von 4 Pflanzen traten einzelne Körner mit gelben Flecken auf, die 


übrigen Samen waren grün. Eine andere heterochrone Kreuzung da- 
gegen, bei der die dritte Blüte von Wunder von Amerika mit der vierten 
Blüte des anderen Elters bestäubt war, gab 2900 grüne, sonst gelb- 
srüne und gelbe Samen, eine isochrone Bestäubung gab 20 % grüne 
Samen, eine Differenz, die bei der geringen Gesamtzahl durchaus den 
Charakter des Zufälligen hat. Daß die aus der stark heterochronen 
Kreuzung Wunder von Amerika I. Blüte x De Gräce V. Blüte ge- 
zogenenPflanzen hochwüchsiger waren als die Eltersippen, dürfte kaum 
als überzeugender Beweis für das Gelingen der Kreuzung anzusehen 
sein. Das Auftreten der gelben Flecken auf einzelnen Samen aber ist 
sicher auf die oben erwähnten, bei grünrunzligen Erbsen häufiger vor- 
kommenden zufälligen Verfärbungen zurückzuführen. 

Die in der gleichen Arbeit (1914) wiedergegebenen Hauptversuche 


Z,ederbauers, die leider nicht über die erste Samengeneration hin- 


aus fortgeführt sind, sprechen ebenfalls nicht für einen Einfluß des 
Alters bei den Bestäubungen. Zunächst muß es auffallen, daß gleich- 
artige Kreuzungen je nach der Pflanze, die bei den Versuchen als Mutter 
diente, verschieden ausfallen. So gaben alle 5 isochronen Bestäubungen, 
bei denen Wunder von Amerika die Mutterpflanze war, außer glatten 
auch runzlige Samen, zusammen 20 0%. Bei der reziproken Kreuzung, 
wo die glattsamige Varietät als Mutterpflanze diente, wurde hingegen 


- 


bei 7 verschiedenen Bestäubungen keine einzige runzlige Erbse erhalten. 


4) Das Gelb solcher Samen unterscheidet sich von der Farbe der gelben Sorten 
ziemlich deutlieh. Während die gelbsamigen Sorten goldgelbe Kotyledonen haben, 
ist das Gelb der verfärbten Körner grünsamiger Sorten mehr fahlgelb. 


+ 


in. BETREUEN NEE TEE RIEGEEEN- 









EB a Laie en an 


I A ni a0 5 1 nd Az hai 





BE a a ae nn 
e 


H. Kappert, Ist das Alter der zu Kreuzungen verwandten Individuen usw. 229 


Schon dieses läßt die Vermutung zu, dab die Kreuzungen teilweise mib- 
lungen sind. Weiter fällt in dem mitgeteilten Versuchsprotokoll Zeder- 
bauers auf, daß bei den Kreuzungen Wunder von Amerika © X De 
Gräce © in jedem Falle die Anzahl der in einer Hülse gefundenen 
runzligen Erbsen mit der in derselben Hülse aufgetretenen Zahl rein 
srüner Samen übereinstimmt. Es liegt nahe, zu vermuten, daß eben die 
runzligen Erbsen auch grün waren, d: h., daß sie in beiden Merkmalen 
mit den aus Selbstbestäubung hervorgegangenen Samen der Mutter- 
pflanze übereinstimmten, was die Vermutung, daß ihr Auftreten auf 
einen Fehler beim Kastrieren zurückzuführen ist 5), noch besonders 
wahrscheinlich erscheinen läßt. Auch die Unterschiede in der Fär- 
bung der Samen (gelb, grüngelb, grünlichgelb), die zur Stütze der An- 
sichten Zederbauers herangezogen werden, können nicht ohne grobe 
Bedenken hingenommen werden, da sich die Vermutung ‚nicht von der 
Hand weisen läßt, daß Zederbauer nicht die Farbe der Kotyledonen, 
die allein Bastardmerkmal ist, sondern die Färbung der intakten 
Erbsen, die durch Kotyledonen un d Samenschalenfärbung bestimmt wird, 
beschreibt. (Bei den in Rede stehenden Erbsen sind die Samenschalen 
nicht selten mehr oder weniger grün gefärbt. Vgl. auch Tabelle I.) Aus 
der Darstellung eines anderen Versuches geht sogar ganz zweifellos 
hervor, daß Zederbauer die Färbung des im Samen liegenden 
Bastardembryos und die Färbung des ihn umschließenden mütterlichen 
Gewebes nicht auseinanderhält, sondern die eine wie die andere von dem 
Alter des zur Bestäubung benutzten Individuums beeinflußt werden 
läßt: Bestäubungen später Blüten der graugrünen  (Testafärbung!) 
Riesenschwertdelikateß-Erbsen mit frühen Blüten der gelbsamigen Erbse: 
Vickschotige Butter gaben in der ersten Samengeneration gelblich-grau- 
srüne Samen oder graugrüne mit gelbem Fleck®6). Da nun bei den 
Erbsen echte Xenien bisher überhaupt noch nicht sicher nachgewiesen 
werden konnten, so kann der Ausfall der letzterwähnten 
Kreuzun.gen nur als Beweis dafür gelten, daß es sich 
beiden vonZederbauerbeobachteten Verfärbungen der 
Bastardsamen wohl nur um zufälligeVerfärbungen ge- 
handelt hat und daß diese Zederbauer einen Einfluß 
des Alters der’Vaterpflanzen vorgetäuscht haben. 
Ob die an anderer Stelle?) veröffentlichten Spezieskreuzungen 
Zederbauers zwischen Primula officinalis und P. acaulis sowie 
zwischen Pinus silvestris und austriaca, die bei gewissen heterochronen 
Bestäubungen Nachkommen gaben, die der Mutter ähnlicher sein sollten, 
beweiskräftiger sind als die Erbsenversuche, kann ich nicht entscheiden. 
Nach dem entgegengesetzten Ausfall der von mir wiederholten Ver- 


5) Das Kastrieren der Blüten macht gerade bei Zwergerbsen große Schwierigkeiten, 
da die Pollensäcke außerordentlich früh aufzuplatzen pflegen. 

6) 1. ec. 1914, S. 25. — (Die Kotyledonen beider Sorten sind goldgelb.) 

7) Verhandlungen der k. k. zoolog.-bot. Gesellsch. 1917 (Ref, Zeitschr. f. Pflanzen- 
züchtung 1917, S. 379). 


330 H. Kappert, Ist das Alter der zu Kreuzungen verwandten Individuen usw. 


suche mit den Erbsen halte ich eine Deutung derartiger Ergebnisse ohne 
Zuhilfenahme des ‚„Faktors Zeit“ für sehr wohl möglich und auch 
wohl den Tatsachen -entsprechender. - : 
Eine weitere, von Zederbauer erörterte Frage beschäftigt sich 
mit dem Auftreten der grünen und runzligen Samen in den verschiedenen 
Hülsen ein und derselben Bastardpflanze. Während bisher von dem 
angeblichen Einfluß des Alters auf die Wertigkeit der Erbanlagen in 
den Keimzellen die Rede war, handelt es sich hier um den Versuch, einen 
Zusammenhang zwischen Alter der Bastardpflanze und den bei der 
Befruchtung entstehenden Gen-Kombinationen nachzuweisen. Veran- 
lassung dazu gab eine Beobachtung Zederbauers, dab das Merk- 
mal runzlig und grün erst in den mittleren und oberen Hülsen bei zwei 
 Bastardpflanzen auftrat. Wenn man mit dieser Angabe die in Tabelle III 


Tabelle III. 


Spaltungsverhältnisse der Samen gleicher Hülsen (II. Samengeneration). 








De 
E 


Hülsen: I II III IV V VI VII | VIII | IX E 














Gefundene 2 
Spaltungsver-'g73:71258:98 | 297:109 | 269:90 | 304:85 | 249:97 | 214:72 | 176:59 | 80:28 [308 
gelb-grün 


er 














Erwartete |258:86 267:89 304,5:101,5/269,3:89,81291,8:97,3259,5:86,5,214,5:71,5/176,3:58,8,87,8:29,3 
Spaltungsver- 4 
hältnisse |+8,03| #817 | +8,73 +8,21 |5+854 .#7,96 # +7,32, | 66,64, |. 34,09 auge 











Gefundene = 
Spaltungsver-»9.990654.102| 301:105 | 275:84 | 295:90 | 253:93 | 217:69 | 180:55 | 77:40 45: 








hältnisse 
glatt-runzlig 























zusammengestellten Ergebnisse meiner Versuche vergleicht, so ist aller- 
dings die Übereinstimmung der gefundenen Spaltungsverhältnisse gelb: 
grün und glatt:runzlig bei einer Zusammenzählung der Samen gleich- 
wertiger Hülsen mitunter weniger gut als bei Zusammenfassung aller 
Samen einer Pflanze. Es bleibt jedoch auch hier der Fehler innerhalb 
der theoretisch zu erwartenden Grenzen, sodaß die Frage, ob in be- 
stimmten Hülsen Samen mit dem einen oder dem anderen Merkmal 
vorzugsweise gebildet werden, offen bleiben muß. Bei der einfach blühen- 
den, gefüllte abspaltenden Levkoje ist das vorzugsweise Auftreten von 
Samen, die gefüllte Pflanzen geben, in den oberen Schoten bekannt und 
bereits so erklärt worden, “daß die in den letzten Schoten einer 
Pflanze herrschenden schlechteren Ernährungsbedingungen die Entwick- 
lung der weniger lebenskräftigen Embryonen mit der Anlage für ein- 
fachere Blüte hemmen und ein. vorzeitiges Absterben dieser Pflanzen 
bedingen sollen. Von einem Bastard zwischen Canna indica und Canna 





Wilh. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 231 


glauca gibt Honing?) an, daß in verschiedenen Jahren aus den durch 
Selbstbestäubung erhaltenen Samen Nachkommenschaften gezogen wur- 
den, die sich durch auffallende Abweichungen in den Spaltungsverhält- 
nissen gewisser Merkmale unterscheiden. Honing vermutet in diesen 
Verschiedenheiten Einflüsse des Alters der Bastardpflanze. Renner?) 
erklärt die Inkonstanz des Spaltungsverhältnisses analog den von ihm 
bei Oenotheren gefundenen Verhältnissen, wo eine Pollenklasse, die 
gewisse Erbfaktoren überträgt, sich unter bestimmten, vom Alter des 
-Pollens und vielleicht auch von Witterungseinflüssen abhängigen Be- 
dingungen ein schnelleres Wachstum zeigt, sodaß unter solchen Um- 
ständen gewisse Gen-Kombinationen häufiger auftreten können als 
andere. Wie weit auch das Alter der die Keimzellen liefernden Pflanze 
oder äußere Bedingungen das Spaltungsverhältnis in F, beeinflussen 
können, soll in Versuchen mit einer mehrere Jahre lang blühenden 
Pflanze. untersucht werden. Nach Abschluß der im vergangenen Jahre 
besonnenen Versuche wird über die Ergebnisse berichtet werden. 
Sorau, N.L., im Februar 1922. 


Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 


IE eil. 
Lebensdauer und geschlechtliche Fortpflanzung bei Hydren. 


Von Wilhelm @oetsch, München. 
(Mit 5 Abbildungen.) 


Im ersten Teil dieser Untersuchungen !) konnte gezeigt werden, 
daß es bei Hydren nicht möglich ist, die bei normaler Lebensweise ge- 
schaffenen Materialien dauernd dem Individuum zuzuführen, seine 
Verluste dadurch zu ergänzen und die Fortpflanzung zu unterdrücken. 
Die Vermehrung trat vielmehr doch ein, vor der Wiederherstellung 
des Individuums, dessen Restituierung erst in zweiter Linie kam. 

Für eine „Unsterblichkeit“ eines beliebigen Hydra-Exemplars 
macht diese Feststellung, so prinzipiell wichtig sie sein mag, indessen 
wenig aus, denn das individuelle Leben wird durch die Ablösung von 
Knospen keineswegs aufgehoben. Es bleibt vielmehr in weit höherem 
Maße erhalten, als bei Protozoen und anderen Tieren, die ın zwei 
Stücke zerfallen. Bei einer Knospung von Hydra gehen ja nicht große 
differenzierte Teile des mütterlichen Körpers verloren, die erst wie 
bei einer Teilung durch regenerative Prozesse ersetzt werden müssen. 
Darin liegt ja gerade der Unterschied zwischen beiden Vermehrungs- 
arten. „Die propagative Teilung besteht in einer Trennung von 
bereits vorhandenen Teilen eines Organismus, von denen jeder wieder 


8) Honing, Versl. Kon. Akad. Wet. Amsterdam Nat. Afd. 1916. 

9) Renner, Zeitschr. für Bot. 11. Jahrg. 1919. 

1) Goetsch, W., Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen, Biolog. 
Zentralbl, Bd. 41, 1921. 


232 Wilh. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 


zu einem Ganzen regeneriert. Die Knospung erzielt ebenfalls eine 
Vermehrung, aber auf einem anderen Wege, nämlich dadurch, daß 
der ursprüngliche Organismus als das eine Sonderungsprodukt weiter 
existiert, während das andere Sonderungsprodukt, die Knospe, erst 


durch Neubildung aus dem ersteren hervorgeht.“ So stellt Goette 


neuerdings diesen Unterschied wieder fest ?). 
Anders liegt es bei der geschlechtlichen Vermehrung; im allge- 
meinen wird mit Ei- und Samenbildung, die von seiten des Mutter- 


tieres viel mehr Material zu ihrer Ausbildung brauchen, das indivi- 


duelle Leben einer Hydra ihren’ Abschluß finden. 


Liegt das Absterben der Sexualtiere bei Hydra direkt 
im Wesen der geschlechtlichen Vermehrung begründet? 


Das ist die zweite Teilfrage dieser Untersuchungsreihe, die wir 
hier erörtern wollen. 

Krapfenbauer°) hat in einer Arbeit gezeigt, daß bei einer Fort- 
pflanzungsperiode nicht alle Exemplare zugrunde zu gehen brauchen 
und andere Forscher‘) haben ebenfalls bei Hydrakulturen feststellen 
können, daß durch sogenannte Zusatzknospen beim Abflauen von Ei- 
und Spermaproduktion einzelne Individuen wieder zur ungeschlecht- 
lichen Fortpflanzung übergehen können. Solche Fälle werden je- 
doch meist als Ausnahmen angesehen, und sollen sich nach P. 
Schulze *) ın der Hauptsache auf Weibchen beschränken, die unbe- 
fruchtete Eier lieferten, sowie auf Männchen, die zu ihrer Hodenbil- 
dung nicht soviel Material verbrauchen, als die weiblichen Tiere. 
Für die männlichen Exemplare getrennt geschlechtlicher Arten könnte 
man die Frage, ob Geschlechtlichkeit mit Tod verbunden ist, demnach 
schon jetzt verneinen und auch ihren ungeschlechtlichen Nachkommen 
müßte dann von dieser Seite kein Tod drohen, da nach bisherigen 
Meinungen alle Knospen das gleiche Geschlecht besitzen sollen°). 

Diese Ansicht muß jedoch revidiert werden. In ein und der- 
selben, von einem einzigen Tier abstammenden Kultur habe ich 
im Laufe des Frühjahrs 1921 zweimal Geschlechtsumkehr feststellen 
können. 

Am 1. März 1921 isolierte ich ein Exemplar einer gono- 
choristischen Aydra-Kultur in einer Boverischale und beobachtete 
sie bis Ende März. Zu dieser Zeit bildete sie Hoden aus und 
dokumentierte sich somit als Männchen. Eine ihrer Knospen 


2) Goette, A., Über die ungeschlechtliche Fortpflanzung von Mierohydra rhyderi. 


Zool. Anz. Bd. LI, 1920. 
3) Krapfenbauer, A., Einwirkung der Existenzbedingungen auf die Fortpflan- 
zung von Hydra. Diss. Phil. Fak. München 1908. 


4) Schulze, P., Neue Beiträge zu einer Monographie der Gattung Hydra. 
Arch. f. Biontologie 4, 1917. 


5) Schulze, P., Bedeutung der interstitiellen Zellen. Sitz.-Ber. der Ges. - 


Naturforschender Freunde. Berlin 1918, H.7, 











- 


Wilh. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 233 


fi 


wurde seit .25. März weitergezüchtet mit allen ihren Nach- 
kommen, deren Zahl bis Ende Mai auf nicht ganz 100 ange- 
wachsen war. In dieser Kultur, die die ganze Zeit über reichlich 
gefüttert worden war, traten zweimal eine große Anzahl weiblicher 
Tiere auf; Mitte Mai und Mitte Juni. Zu dieser Zeit sonderte ich 
eine Anzahl von Exemplaren, die nochkeinerlei Anzeichen irgend welcher 
Fortpflanzungsorgane aufweisen konnten, aus der Kultur aus und 
brachte sie am 17. Juni in eine Temperatur von durchschnittlich 10 bis 
12°, und unter diesen Kältetieren fand ich am 23. Juni ein Exemplar 
mit einem kleinen knopfförmigen Gebilde, über dessen Natur ich mir 
zunächst nicht ganz im Klaren war. Als in ihm tags darauf leb- 
hafte Spermabewegung zu beobachten war, konnte man nicht mehr 
im Zweifel sein, daß man ein Männchen vor sich hatte. 

Diese meinen bisherigen Erfahrungen zuwiderlaufende Tatsache 
einer Geschlechtsumkehr konstatiere ich hier ohne eine längere Dis- 
kussion deshalb, um zu zeigen, daß vielleicht auch männliche 
Hydren und deren Nachkommen zur Eiproduktion übergehen können 
und demnach von derselben Seite her in ihrem Leben bedroht sind. 

Was verursacht nun die Hinfälligkeit einer Hydra, die Eier pro- 
duziert hat? Die Ursachen werden uns klar werden, wenn wir die 
Abbildungen 1—4 betrachten, deren Umrisse alle in der gleichen Ver- 
größerung gezeichnet sind. 

Der Skizze von Abb). 1 lag ein Querschnitt zugrunde durch die 
oberen Teile einer Hydra, die nicht von der Ovarbildung in Mit- 
leidenschaft gezogen waren. Wir sehen da in der inneren und äußeren 
Schicht den normalen Aufbau des Körpers aus dichten Zellen, ge- 
trennt durch die Stützlamelle, an der sich die Durchschnitte der ek- 
todermalen Längs- oder entodermalen Quermuskeln feststellen lassen. 
Das Ektoderm zeichnet sich außerdem noch durch viel interstitielle 
Zellen (I.Z.) aus, dem so wichtigen Reserve- und Neubildungsmaterial. 
Ganz anders stellt sich ein Querschnitt durch die Körperregion dar, 
in deren Umkreis Eibildung stattgefunden hat. Die Zellen sind weder 
innerhalb noch außerhalb der Stützlamelle dicht und fest, sondern 
vielmehr blasig und leer. Und wenn trotz des aufgetretenen Aus- 
sehens der Einzelelemente der Umfang eines solchen Schnittes be- 
beutend geringer ist, wie ein Vergleich von Abb. 1 und 2 lehrt, so 
ist das ein Zeichen dafür, daß eine große Zahl Zellen überhaupt ver- 


'schwunden sein müssen. Von Muskelfibrillen ist nichts zu bemerken. 


In der Tat fehlt den Tieren auch an solchen Stellen jede Ausdeh- 
nungsmöglichkeit. Da auch Nesselkapseln und sonstige Differenzie- 
rungen nicht vorhanden sind, besteht ein solcher Abschnitt fast aus- 
schließlich aus stark vakuolisierten Zellen, die häufig so wenig fest 
miteinander verbunden sind, daß eine kleine Wasserströmung genügt, 
um die Tiere hier zerreißen zu lassen. 

Daß keine interstitiellen Zellen vorhanden sind, wird nicht weiter 
verwunderlich erscheinen, sie sind alle bei der Ovarbildung verbraucht 


234 Wilh. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 


worden. Und da auf diese Weise alles Reservematerial verschwunden 
ist, kann für die abgenützten Zellen kein Ersatz geschafft werden. 
Die Folge davon ist, daß sie sowohl im Ektoderm wie im Entoderm 
an Zahl geringer werden; daher die Verkleinerung des Durchschnitts. 





Abb. 1. Abb. 2. 


Abb. 1. Querschnitt durch einen oberen unveränderten Teil einer © Hydra. Die 
Umrisse sind bei allen Abbildungen mit Zeichenapparat in gleichem Verhältnis 
gezeichnet; das übrige etwas schematisiert. Z%k = Ektoderm mit dunkel ge- 
zeichneten Insterstitiellen Zellen (J.Z.). En = Entoderm. Beide Schichten sind 
getrennt durch die Stützlamelle (St.), an deren Außenseite die quergetroffenen 
Längsmuskelfasern erkennbar sind; innerhalb von St. Ausläufer der Quermusku- 
latur. 

Abb. 2. Querschnitt durch einen weiter unten liegenden Teil derselben Hydra, der 
durch Eiproduktion verändert ist. Zeichnung und Bezeichnung wie in Abb. 1. 
Entoderm und Ektoderm blasig, ohne Muskulatur. Instertitielle Zellen fehlen. 





Abb. 4. 


Abb. 3. Querschnitt durch Teile einer Hydra unterhalb der Eibildungsstelle, an der 
in Abb. 5 mit /II—III bezeichneten Stelle. Aussehen von #% u. En ungefähr 
wie in Abb. 1. 

Abb. 4. Querschnitt durch den Stiel. 

Die, welche noch vorhanden sind, haben die etwa in ihnen vorhandenen 

Reservestoffe abgegeben und sind dadurch so vakuolisiert, daß Stellen, 

die Ovarien trugen, immer eine Ähnlichkeit mit dem gleichfalls material- 

armen Stiel bekommen. (Man vergleiche z. B. Abb. 1 u. 4 mitein- 


ander). 


u 


Wilh. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 235 






Dabei ist es aber nicht richtig zu sagen, daß durch die Eıpro- 
duktion der Stielteil länger wird, denn auch die Stellen, die zwischen 
noch nicht ausgesogenen Partien liegen, bekommen ein derartiges 
Aussehen 

Der Schnitt der Abb. 2 ist beispielsweise einem Exemplar von 
H. attenuata entnommen, das wie Abb. 5 aussah; d. h. wir haben in 


3 
f 





Abb. 5. Hydra attenuata mit 3 Eiern und Knospe oberhalb der Eier. „Sanduhr“- 
Form. Die Zahlen /—/V geben die Stellen an, durch die in Abb. 1—4 die 
Sehnitte geführt wurden. 


der Abb. 2 eine Stelle vor uns, unter der noch nicht ausgesogenes 
(Gewebe vorhanden war. Auch in anderer Hinsicht ist die Gleich- 
setzung von Stiel und ovartragender Partie nicht ganz berechtigt, da 
die Ähnlichkeit beider Teile rein äußerlicher Art ist und nur auf 








235 Wilh. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen, 


einer gewissen Materialarmut beruht, bei der ganz bestimmte Unter- 
schiede zu erkennen sind. Der Stiel enthält nämlich noch stets funk- 
tionsfähige Zellen, wenigstens im Ektoderm, die. an den Basalteilen 
zu besonderen, der Anheftung dienenden Drüsenzellen differenziert 
werden. Und wenn auch in der beiden Partien mangelnden Ausdeh- 
nungsfähigkeit eine funktionelle Ähnlichkeit zu konstatieren ist, so wird 
der Stiel doch trotz der Vakuolenbildung niemals so morbid wie die 
von den Eiern ausgesogenen Stellen, die, wie bereits erwähnt, außer- 
ordentlich leicht zerreißen. 

Daß bei einer solchen Hinfälligkeit einzelner Regionen eine Hydra 
so beschädigt sein kann, dass sie sich nicht wieder erholt, wird nicht 
wundernehmen. Je mehr Eier gebildet werden, desto größer ıst die 
Gefahr, daß fast alles den heranwachsenden, auf dem Muttertier förm- 
lich parasitierenden Eiern in Anspruch genommen wird. 

Dazu kommt noch, daß diese in Gang gekommene Herabsetzung 
der Lebensenergie dadurch beschleunigt wird, daß bei den Tieren die 
Möglichkeit, Nahrung aufzuehmen und damit für die verloren ge- 
gangenen Elemente Ersatz zu schaffen, immermehr verschwindet. Bei 
allen Tieren einer Geschlechtsperiode konnte ich beobachten, daß der 
Fang und die Bewältigung der Beute von Tag zu Tag schwerer wird. 
Es liegt dies vermutlich daran, daß die interstitiellen Zellen in großer 
Anzahl für die Ovarien in Anspruch genommen sind; dadurch ist die 
Möglichkeit eines Ersatzes der Nesselkapseln gering geworden, und 
damit auch die Möglichkeit, Beute zu fangen. Diese Unmöglichkeit, 
vorbeischwimmende kleine Krebschen festzuhalten, ist aber noch nicht 
das Ausschlaggebende. Das ist vielmehr darin zu suchen, daß die 
Tiere auch dann, wenn sie Beute fangen, sie nicht, bewältigen und 
ins Innere aufnehmen können. Die Ursache liegt in der schon an- 
geführten Unmöglichkeit, den Körper an den ausgesogenen Stellen 
auszudehnen. Sie können wohl die Mundpartien, die niemals von 
der Eiproduktion mit angegriffen werden, erweitern und über die 
Böute stülpen; dieselbe aber wirklich in sich aufzunehmen vermögen 
sie nicht. Ich konnte mich bei Hydren stets davon überzeugen, 
- daß gefangene Daphnien nicht hinabzurutschen vermochten, wenn 
die Ovarbildung weit hinaufgegangen war. Bei derartigen ver- 
geblichen Versuchen verloren dann die Hydren immer mehr Nessel- 
kapseln, und da die Möglichkeit ihres Ersatzes immer schwieriger wird, 
ist schließlich jeder Fang unmöglich. Ist es schließlich soweit ge- 
kommen, so geht ein solches Tier bald der Auflösung entgegen, und 
in der Natur wird schließlich jede Hydra, die Feinden und Katastrophen 
entgangen ist, ein derartiges Ende finden. 

Und doch ist die Eibildung nicht notwendigerweise mit dem 
Tode verknüpft, wenn sie auch meistens. von ihm begleitet zu sein 
pflegt. Ovarien können zwar an allen Teilen des Körpers entstehen ° 
und die betroffenen Regionen aussaugen, die dann der Degeneration 
verfallen. Häufig bleiben jedoch einzelne Partien verschont, und be- 





E 
- 
| 





Wilh. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 237 


sonders geschieht dies dann, wenn die entstehenden weiblichen Ge- 
schlechtsorgane ziemlich hoch am Tier ihren Anfang nehmen. An 
den von der Aussaugung freigebliebenen unteren Stellen kann dann, 
wie bereits früher Krapfenbauer?) und Schulze°) beobachteten, 
nach Abflauen der Geschlechtsperiode sogenannte Zusatzknospen ent- 
stehen, ein Zeichen dafür, daß hier noch frisches Material vorhanden 
sein muß. Von da aus kann dann wieder eine Auffrischung des Ge- 
samtorganismus erfolgen; die ausgesogenen Stellen werden ergänzt, 
und das Tier stellt den Ko wieder vollkommen her. 

Die in der Entstehung von Zusätzknospen sich dokumentierende 
Lebenstätigkeit der Geschlechtstlere ist danach mehr oder weniger 


'Zufallssache. Setzt die Eiproduktion aus irgend einem inneren oder 


äußerem Grunde tiefunten ein, so kann keine Zusatzknospe entstehen, 
veil dann kein Material dazu vorhanden ist; es ist dann auch der 
untere Teil ausgesogen. 

Eine andere Körperpartie bleibt jedoch regelmäßig von der Aus- 
saugung durch die Ovarien verschont und nicht nur zufälligerweise. 
Es ist dies die Mundregion. Sie‘wird niemals angegriffen une in die 
Ei- und Samenerzeugung mit eingezogen, sondern erhält sich in regel- 
mäßiger Funktion, so lange überhaupt noch Material vorhanden ist. 
Erst wenn keine Beute mehr aufgenommen wird, und damit der Er- 
satz verloren gegangener Teile aufhört, verfällt sie der Auflösung. 
Wir hatten gesehen, daß bei dem sukzessiven Absinken der Lebens- 
möglichkeit einen Zeitpunkt gibt, an dem wohl noch Beute gefangen, 
aber nieht mehr aufgenommen und bewältigt werden kann. 
Dieser Zeitpunkt ist die kritische Stelle, an der es sich entscheidet, 
ob das Tier die Geschlechtsperiode überseteht oder nicht. Fängt 
die Hydra in diesem Augenblick ein kleines Beutetier, das in dem 
der Aussaugung nicht verfallenen Stelle Platz findet, so bleibt sie 
leben; ist die Beute zu groß, so kann sie nicht hinunterrutschen, sie 
muß wieder losgelassen werden, und damit ist dann das Schicksal 
der Hydra entschieden. 

Diese Beobachtung habe ich bei einer großen Anzahl meiner 
früheren Untersuchungen machen können, und nachdem ich diese 
Erfahrung einmal gewonnen hatte, war es mir möglich, alle weiblichen 
Hydren wieder zur Restitution zu bringen. 

Ein Beispiel aus meinen Protokollen möge für diese Erscheinung 
etwa genauere Daten geben. 

Am 27.Mai hatte ich einige Transplantationsversuche unternommen, 
um zu beobachten, ob aus getrennt geschlechtlichen Tieren Herma- 
phroditen entstehen können. Zu diesem Zwecke wurden zwei Tieren 
der von einem Männchen abstammenden Sel.-Zucht und zwei Exem- 
plaren einer ebenfalls von einem einzigen Tiere abstammenden Kultur, 
die bis dahin nur Weibchen geliefert hatte (Str.), die oberen Teile 
vertauscht; d.h. die einzelnen Individuen wurden zerschnitten und 
die Teilstücke auf ein Haar aufgereiht, daß zu einem Sel.-Kopf ein 


238 Wilh. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 


Str.-Fuß kam und umgekehrt. Da die Tiere der einen Zucht durch 
Algen intensiv grün gefärbt waren®), konnte man die einzelnen Kom- 
ponenten der einzelnen Individuen genau erkennen, auch als die Ver- 
wachsung eingetreten war. Am 6. Juni waren aus den ursprünglichen 
4 Tieren 8 geworden, mit insgesamt 12 weiteren Knospen, und die 
Vermehrung ging nun intensiv weiter, so daß am 11. Juni das Glas 
24 Tiere enthielt. Die Knospenbildung wurde nunmehr etwas sistiert, 
dagegen machten sich vom 13. Juni an die ersten Zeichen beginnender 
Sexualtätigkeit bemerkbar. Trotzdem die ursprünglichen Tiere aus 
männlichen und, weiblichen Bestandteilen zusammengesetzt waren, trat 
bei keinem Exemplar Zwitterbildung auf; vielmehr ließen sich nach 
und nach sieben rein weibliche Individuen mit 1-—-4 Ovarien fest- 
stellen, von denen insgesamt etwas mehr als 1 Dutzend Eier erzielt 
wurden. Da nur ein einziges Männchen entstand, war eine Befruchtung 
nicht bei allen ee Immerhin kam es her 8 Eiern zur Schalen- 
bildung. Die Weibchen zeigten zu dieser Zeit alle die in Abb. 5 fest- 
gehaltenen Formen, allerdings noch ohne Knospe. Sıe waren da, wo 
die Ovarbildung eingesetzt hatte, zusammengezogen, so daß der ganze 
Körper sanduhrförmig deformiert aussah. 


In diesem Zustand war es ıhnen noch möglich, Daphnien zu 
fangen; hinunter zu würgen vermochten sie dieselben jedoch nicht 
mehr. Da nur die oberhalb der Eier liegenden Stellen erweiterungs- 
fähıg waren, mit denen größere Daphnien nieht umschlossen werden 
konnten, mußte solche Beute nach vergeblichen Versuchen wieder 
losgelassen werden. Um ıhr Eingehen zu verhindern, erhielten die 
7 weiblichen Hydren zu dieser Zeit nur kleine, bereits abgetötete 
Cyklopiden. Diese konnten sie noch völlıg aufnehmen, und die am 
Kopfteil bald darauf einsetzende Aufblähung der Körperwand ließ 
erkennen, daß die Verdauung begann’). Eigenartig war es auch, daß 
die unterhalb der Ovarien liegenden, nicht ausgesogenen Stellen von 
der Aufblähung mit ergriffen wurden, obgleich sie doch keine Nah- 
rung umschlossen. Es scheint mir dies ein weiteres Zeichen dafür, 
daß die Entodermzellen hier wohl auf den Reiz der oberen, ın Tätıig- 
keit befindlichen Elemente bei der Verdauung irgend welche Stoffe 
absondern. Die Sanduhrform wurde in solchen Momenten natürlıch 
noch ausgeprägter, die oberen Mundpartien und die unteren am Stiel- 
teil gelegenen Stellen sonderten sich als dicke Kugeln deutlich von 
den ausgesogenen Regionen der Mitte. 


Am 22. Juni konnten die Tiere bereits 2—3 Cyklops aufnehmen, 
auch solche, die sie selbst fingen. Die meisten hatten inzwischen 
auch die Eier abgelegt, wobei eins von ihnen in das Innere des Mutter- 
tieres mit aufgenommen wurde. Es lıtt aber dadurch keinen Schaden. 


6) Goetsch, W., Grüne Hydra fusca. Zoolog. Anz. Bd. 53, 1991, Heft 3/4. 
7):-Goetsch, W. Über die Nahrungsaufnahme, Regeneration und Fortpflanzung 
bei Hydren. „Die Naturwissenschaften“. 1921, IX. Jahrg. Heft 31. 





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Wilh. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem' der Metazoen. 239 


Am 24. Juni war die Restitution weitergegangen und am 27. 
trat bei allen Tieren Knospenbildung ein. Interessant war mir da- 
bei, daß hier wie auch bei anderen gefütterten Weibchen nicht immer 
nur unter den Eiern die sogenannten Zusatzknospen zu finden waren; 
vielmehr kam bei einer Anzahl von ihnen die Knospenbildungs- 
stelle oberhalb der Eier zu liegen. Dies ist ein Beweis dafür, daß 
durch die Fütterung mit passender Beute die Mundpartien so viel 
Reservematerial bilden konnten, um hier Knospen entstehen zu lassen. 

Bei dem zweiten Fall, den ich hier anführen möchte, handelte es 
sich um Nachkommen eines. einzigen Tieres, das Anfang März 1921 
einmal Hoden ausgebildet hatte. Nach reichlicher Knospenbildung 
war diese Kultur bis Ende Mai bis auf ungefähr 100 Exemplare an- 
gewachsen, unter denen am 24. Mai ganz gegen alle Erwartung eine 
große Anzahl von Weibchen auftraten; männliche Tiere wurden 
nieht beobachtet. Wir haben demnach hier bereits zum zweiten 
Male in Hydra-Kulturen eine solche Geschlechtsumkehr vor uns. 
Vier dieser Weibchen wurden isoliert weiterkontrolliert. Sie 
fraßen bei vorsichtiger Auswahl der gereichten Nahrung nach 
und nach immer mehr; es trat bald eine Erholung von der 
Eibildung ein; und am 3. Juni dokumentierte die einsetzende 
Knospenentwicklung, daß die kritische Periode vorbei. Die unge- 
schlechtliche Fortpflanzung hielt 1'/, Wochen an, war aber nicht so 
intensiv wie bei den übrigen, zu gleicher Zeit beobachteten Kulturen, 
Immerhin waren bis zum 11. Juni S neue Nachkommen erzeugt (gegen 
9—-13 der Kontrollgläser). 

Am 13. Juni begann bei zwei Tieren wieder ÖOvarbildung. Die 
Tiere waren demnach nach kurzer Zeit in eine 2. Geschlechtsperiode 
eingetreten, die allerdings nicht sehr ergiebig war. Es wurden nur 
zwei Eier gebildet, und dann bei einer ihrem Zustand angepaßten 
Nahrung bald wieder zur Knospenbildung geschritten. Am 20. Juni 
trat unterhalb der Eier bei beiden Tieren die erste Knospe auf, und 
zwar entgegengesetzt der Eibildungsstelle..e Am 23. Juni erschien die 
zweite unmittelbar über der ersten, nur wenig seitlich verschoben. 
Anfang Juli waren diese Tiere auch nach guter Überstehung der 
zweiten Geschlechtsperiode vollkommen restituiert und hatten bis zu 
5 Knospen angesetzt. 

Diese beiden hier angeführten Beispiele habe ich deshalb etwas 
ausführlicher behandelt, weil sie gleichzeitig noch andere Tatsachen 
‚dartun: erstens daß auch bei Kulturen, die sich von zusammengesetzten 
Tieren herleiten lassen, trotz der zusammengefügten männlichen und 
weiblichen Bestandteile doch immer nur Männchen oder Weibchen 
entstehen; und zweitens, daß weibliche Tiere auch innerhalb ganz 
kurzer Zeit mehr als einmal zur Eibildung schreiten und diesen Zu- 
stand gut überdauern können. 

Im Laufe der weiteren Monate traten alle diese Hydren noch 
wiederholt in Geschlechtsperioden ein, und manche männliche Exem- 





240 Wilh. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 


plare brachten es bis jetzt auf siebenmalige Hodenproduktion, während 
einige Weibchen bereits zum sechsten Male Ovärien ansetzten. 

Außer diesen etwas weiter ausgeführten Beobachtungen gelang 
es mir noch, mit weiteren 13 Kulturen und Geschlechtsperioden und 
mehr als S0 Exemplaren die Weibchen alle zu reiten, die ich in ge- 
eigneter Weise mit Nahrung versorgte. Sie erholten sich auf diese 
Weise stets und schritten zu neuer Knospenbildung, während von 
den übrigen sich selbst überlassenen Tieren die meisten degene- 
rierten En abstarben. 

Die Ursache, warum weibliche Se in dem Stadium der Ovar- 
ausbildung so one sind, daß sie mit dem Ablegen der Eier der 
Auflösung zu verfallen pflegen, ist also äußerlicher Art und nicht be- 
dingt durch Eibildung an sich. Sie liegt in der Unmöglichkeit größere 
Beutetiere hinabzuschlingen. Stehen ihnen gerade nur solche zur 
Verfügung, so gehen sie ein; sie verhungern also genau wie eine 
andere Hydra, die nur Beute nn kann, welche sie nicht zu bewältigen 
vermag. Beseitigt man aber ss Zufälligkeit, und gibt ihnen Nah- 
rung, die sie aufnehmen können, so erholen sie sich. Die niemals 
von der Eibildung mitergriffenen oberen Partien können die Nahrung, 
sofern sie von ihnen nur umschlossen werden kann, gut resorbieren; 
dadurch besteht die Möglichkeit, für die verloren gegangenen Teile 
Ersatz zu schaffen, und die Regenerationskraft, die von hier aus ein- 
setzt, tut dann das ihre, das dm vollkommen wieder herzu- 
stellen. 

Feststellen möchte ich zum Schluß noch, daß auch bei männ- 
‚lichen Tieren das hier von den Weibchen Gesagte Geltung besitzt. 
Allerdings ist bei ihnen die Gefahr niemals so groß, da nur aus- 
nahmsweise die Hodenentwicklung so stürmisch verläuft, daß fast 
alle Teile davon ergriffen werden. Meist können sie unbehindert be- 
liebig große Beute aufnehmen, und nur in seltenen Fällen wird das 
ganze Tier so geschwächt, daß allein vom oralen Stück aus die 
Restitution erfolgen müßte. Ist dies jedoch der Fall, dann besteht 
auch da, wie beim weiblichen Tier die Wahrscheinlichkeit, daß 
durch die Geschlechtsperiode der Tod herbeigeführt wird. Er ist 
dann aber immer nur durch eine Zufälligkeit bedingt, während 
eine innere Notwendigkeit für das Absterben von Sexualtieren 
nicht vorliegt. 





Sedruck, bei Junge & Sohn in Erlangen. 














 Biologisches Zentralblatt 


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Geh, Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. ©. Warburg 


in Berlin 
Veılag von Georg Thieme in Leipzig 
Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW, 8, Wilhelmstr. 28 








42. Band. Juni 1922. Nr. 6 


ED am 1. Juni 1922 








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Den Herren Mitarbeitern stehen von ihren Beiträgen 30 Sonderabdrucke kostenlos zur 
Verfügung; weitere Abzüge werden gegen Erstattung der Herstellungskosten geliefert. 











Inhalt: P. Deegener, Soziologische Beobachtungen au Hyponomeuta eognatellus Hb. 8. 241. 
G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale nach Pearsons verallgemeinerter 
Korrelationstheorie. Mit 2 Abb. S. 253. 
H. Wachs, Zur Ähnlichkeit der Kuckuckseier. S. 270. 
W. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. III. Teil. Mit 3 Abb. 
8. 278. 
Referate: Fr. Doflein, Macedonische Ameisen. Beobachtungen über ihre Lebensweise, 9, 286. 
- M. Caullery, Le Parasitisme et la Symbiose, $. 237. 
C. Correns, Referate... S. 237. 4 
Fr. v. Wettstein, Referate. S. 288. 





Soziologische Beobachtungen an Hyponomeuta 


cognatellus Hb. 
Von Prof. Dr. P. Deegener, Berlin-Charlottenburg. 


In seinem Aufsatze N Analyse der sozialen Instinkte“ (Biolog. 
Zentralbl. Bd. 33, 1913, S. 649) erörtert J. S. Szymanski die Frage 
nach den „primären sekundären Reaktionen“ an der Hand von 
Untersuchungen primitiver Gesellschaftsformen. Wenn ich den Ver- 
fasser richtig verstehe, will er alle Handlungen, die das soziale Tier 

\ auch dann ausführt, wenn es allein ist, Handlungen also, die durch 
> kein Zusammenleben bedingt sind, als „primäre Reaktionen“ ansehen. 
| Sekundär wären dagegen diejenigen Gewohnheiten, welche das Einzel- 
‚tier erst als Mitglied einer Gesellschaft angenommen hat; Gewohn- 
heiten, die somit als Ausdruck der Anpassung des Einzelwesens an 
das Zusammenleben mit seinesgleichen erscheinen. 

Ich will an dieser Stelle nicht entscheiden, ob wir durch Szy- 
manskı wirklich ein sicheres Kriterium in die Hand bekommen, 
primäre von sekundären, also eigentlich sozialen Gewohnheiten, zu 
unterscheiden. Richtig ist, daß die Gewohnheiten und Eigenschaften 

42, Band 16 





949  Deegener, Soziologische Beobachtungen an Hyponomeuta cognatellus Hb. 


der Einzeltiere, bevor sie gesellig werden konnten, schon von der Be- 
schaffenheit gewesen sein müssen, daß sie ein Zusammenleben er- 
möglichten; denn sonst konnten die Tiere eben überhaupt nicht sozial 
werden. Aber diese Gewohnheiten allein können niemals eine Ge- 
sellschaft von der Art und Festigkeit der sozialen Bindung entstehen 
lassen, wie wir sie in den hier in Frage kommenden Fällen vor uns 
haben. Dazu ist es nötig, daß die Mitglieder durch irgendeine beson- 
dere Eigenschaft, durch eine Ursache, deren Wirkung diese Eigen- 
schaft die Richtung gibt, aneinandergebunden werden. 

Zugegeben, es wäre möglich, mit Sicherheit die primären von den 
sekundären zu unterscheiden, so scheint mir, daß die Beobachtungs- 
grundlagen, von denen Szymanski ausgeht, noch zu dürftig seien, 
um auf sie eine Analyse der sozialen Instinkte zu stützen. Alle meine 
Untersuchungen des Verhaltens sozialer Raupen!) und Blatt- 
wespenlarven?) haben mich zu der Überzeugung geführt, daß ein 
spezifisch sozialer Trieb conditio sine qua non des Zustande- 
kommens dieser (deshalb von mir als Triebassoziationen bezeich- 
neten) Gesellschaften se. Wenn wir ihn nicht annehmen, ver- 
stehen wir das Verhalten der Tiere unter den verschiedenen 
künstlich hergestellten Versuchsbedingungen überhaupt nicht. Die 
primitivste soziale Gewohnheit ist, daß ein Einzelwesen sich mit 
einem anderen freiwillig ohne äußeren Zwang zusammenschließt. Dieser 
Zusammenschluß — hier nicht aus äußeren Ursachen allein erklär- 
bar — würde gar nicht zustande kommen, wenn kein die Geselligkeit 
forderndes Bedürfnis vorhanden wäre. Woher dies stamme, wissen 
wir nicht. Welcher Art &s sei, muß von Fall zu Fall festgestellt 
werden, soweit es möglich ist. Wo es aber da ıst, führt es not- 
wendig zur Geselligkeit, wenn ihm primäre Gewohnheiten nicht hin- 
dernd entgegenstehen. N 

Szymanskı meint auf Grund. seiner Erfahrungen ‚(die nie und 
nimmer an Tieren hätten gesammelt werden dürfen, denen durch Ein- 
schluß in ein Glas die freie Bewegungsmöglichkeit genommen worden 
war), daß die Arbeit der Hyponomeuta-Raupen durch die mangelnde 
Neigung zur Fortbewegung und das enge räumliche Zusammenbefinden 
der gleichartigen Raupen desselben Geleges begünstigt worden sein 
möge. .Diese Raupen sind aber nach meiner Erfahrung keineswegs 
der Fortbewegung abgeneigt, vielmehr außerordentlich lebhaft; und 
daß sich die Herstellung ihres gemeinsamen Nestes restlos auf die 
primären Reaktionen zurückführen lasse, habe ich nicht gefunden, wie 
dıe folgenden Beobachtungen zeigen. 

Grundsätzlich wäre noch zu fragen, ob wir mit Szymanskis 
Analyse überhaupt auskommen. Wenn man primäre und sekundäre 
Gewohnheiten in dem von ihm gemeinten Sinne unterscheiden will, 


1) Deutsche Entomol. Zeitschr. 1919, S. 65 u. f. — Sitzungsber. Ges. Nat. Frde. 
Berlin 1919. 
2) Deutsche Entomol. Zeitschr. 1920, S. 310. 





r Deegener, Soziologische Beobachtungen an Hyponomeuta cognatellus Hb. 243 


so müßte festgesetzt werden, ob die aus dem sozialen Triebe un- 
mittelbar folgenden Handlungen als primäre oder sekundäre, als indi- 
viduelle oder soziale Handlungen angesehen werden sollen. Sie sind 
noch keine sekundären Anpassungen an das soziale Leben, sondern 
lassen dieses als solches erst wirklich werden. Man sollte daher ım 
vorliegenden Falle wohl besser so analysieren: 

1. Welche nicht sozialen individuellen Eigenschaften besaßen die 
Tiere schon bevor sie sozial wurden? — Diese Eigenschaften mußten 
derart sein, daß sie ein Zusammenleben möglich machten. 

2. Welche Ursachen ließen das Zusammenleben wirklich werden? 
— Denn die unter 1. begriffenen Eigenschaften bedingen ja nur erst 
die Möglichkeit des geselligen Lebens, nicht seine Wirklichkeit. 

3. Welche Gewohnheiten bildeten sich in Anpassung an das soziale 
Leben aus, nachdem sich die Tiere zu Gesellschaften zusammen- ' 
geschlossen hatten? — 

Einen Beitrag zur Möglichkeit der Durchführung dieser Analyse 
mögen folgende eigene Beobachtungen liefern, die im Zusammenhange 
mit anderen Arbeiten angestellt worden sind. 

Die Raupen der Gattung Hyponomeuta spinnen zeitlebens gemein- 
same Nester und bleiben auch als Puppen noch vergesellschaftet. 
Darin sind sie den Thaumetopoea-Raupen zu vergleichen; aber inner- 
halb beider Gesellschaften herrschen sonst recht verschiedene Sitten. 
Ich hatte im Sommer 1920 Gelegenheit, den sozialen Zusammenhalt 
der Kindervölkchen von Hyponomeuta zu prüfen und einige Versuche 
anzustellen. 

Am 10. Mai fand ich an Evonymus europaeus L. ım Garten des Ber- 
liner Zoologischen Instituts zwei gesonderte Nester. Die Insassen des 
einen Nestes, das etwas mehr als 40 7—9 mm lange Bewohner hatte, 
wurden 12!° bis 12°° Uhr auf einem großen Evonymus-Zweige So ver- 

| teilt, daß jede Raupe auf ein besonderes Blatt kam. Sie liefen schein- 

| bar planlos tastend umher, ohne zunächst mehr zu spinnen als den 
Faden, den jedes Tier auf seinem Wege zu hinterlassen pflegt. Die 
Raupen sind am ganzen Körper und am Kopfe fein und ziemlich lang, 
aber spärlich behaart und gegen Tastreize sehr empfindlich. Schon 
13° Uhr machte sich die Tendenz zum Zusammenschlusse deutlich 
bemerkbar. Die Raupen eines Seitenzweiges waren nämlich ausnahms- 
los von ihren Blättern auf den Zweig gelaufen und ihrer sieben hatten 
sich dort zusammengeschlossen und an der Basis eines Blattstiels 
schon ein kleines gemeinsames Gespinst hergestellt. An anderen 
Stellen hatten sich Gruppen von 2—3 Raupen gebildet. Alle übrigen 
fand ich noch isoliert und in lebhafter Bewegung, die ganz den An- 

. schein erweckte, als suchten sie den Anschluß an ihresgleichen. 1°? Uhr 
bestand die größte Gruppe schon aus 8 Mitgliedern. 

Bei den kleinen nur 2 Mitglieder zählenden Gruppen wurde fest- 
gestellt, daß sie sofort mit der Herstellung eines gemeinsamen Ge- 
webes begannen, wenn sie einander gefunden hatten. Die isolierten 

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244  Deegener, Soziologische Beobachtungen an Hyponomeuta cognatellus Hb. 


Raupen taten dies nicht, sondern irrten suchend umher oder saßen 
irgendwo still. Wo Reste des zerstörten Gewebes mit den Raupen 
auf die Blätter gelegt worden waren, wurden sie von diesen verlassen. 
Das Gewebe ist es also auch hier nicht, was sie primär an den Ort 
bindet (vgl. meine anderen Publikationen über soziale Raupen). — 
Um 2 Uhr bestand die größte Gruppe aus 9, die zweite aus 8 Raupen; 
drei Gruppen enthielten je 7, die kleinste Gruppe 2 Mitglieder. Außer 
diesen sah ich noch 3 Raupen, die isoliert geblieben waren. 

In ihrer Lebhaftigkeit erinnern die Hyponomeuta-Raupen sehr an 
Malacosoma castrense L., sınd aber noch beweglicher und „nervöser“. 
Doch lassen sie sich nicht wie die M. castrense-Raupen bei starken 
Störungen aus ihrem Gewebe zu Boden fallen, was für sie denselben 
Wert hat wie für die, baumbewohnenden M. neustrium-Raupen. - 

2° Uhr bestand die größte Gruppe. der Versuchsgesellschaft aus 
10 Raupen. Die Herstellung des geräumigen lockeren Nestes nahm 
nur wenig Zeit in Anspruch: schon nach wenigen Minuten war ein 
brauchbares Wohngewebe fertig, sobald sich mehrere Raupen zu- 
sammengefunden hatten. Bis zur angegebenen Zeit hatte noch keine 
der isoliert gebliebenen Raupen gesponnen; sie suchten noch. 

1° Uhr waren auch die Bewohner des zweiten Nestes ebenso 
auf einen anderen großen Zweig verteilt worden wie die des ersten. 
Die meisten Raupen hingen anfangs an ihren Seidenfäden vom Zweige 
herab. Diese Stellung behielten sie zunächst einige Zeit untätig bei, 
während die auf den Blättern verbliebenen sogleich mit dem Umher- 
laufen begannen. Bald ‘arbeiteten sich auch die an ihrem Seidenseile 
hängenden ziemlich geschickt und schnell empor und suchten ebenfalls, 
ohne ein Wohngewebe anzulegen. Auch diesmal verließen sämtliche 
Raupen die Reste des alten Gewebes. 1? Uhr machten sich die 
ersten Anfänge einer Gruppenbildung bemerkbar. Sobald 2 Tiere 
einander gefunden hatten, blieben sie beisammen und spannen ein 
Nest. Die Einzelraupen vermochten sich übrigens sehr gut zu be- 
wegen und festzuhalten und benahmen sich durchaus selbständig und 
geschickt auf der Unterlage. Von den Raupen, die anfangs an ihren 
Seilen hingen, fiel keine herab. 

23° Uhr ruhten die Mitglieder der ersten Kinderfamilie in ihren 
neu hergestellten Nestern. Sie hatten drei gesonderte Gruppen ge- 
bildet, deren Mitgliederzahl sich jetzt nicht mehr sicher ermitteln ließ. 
Nur eine Raupe war noch allein geblieben. — Bei den Mitgliedern 
des zweiten Kindervölkchens vollzog sich der Zusammenschluß ganz 
ähnlich, obwohl sie etwas älter und 9—10 mm lang waren. 1°° Uhr 
umfaßte ihre größte Gruppe schon 14 Raupen. — Die Zweige mit 
den Tieren standen während der ganzen Versuchsdauer bei 16° C. 
ohne Sonnenbestrahlung am Nordfenster. In ihrem Verhalten zeigten 
die Raupen keine Abhängigkeit vom Lichte. 

Am Morgen des folgenden Tages hatten die Raupen der größeren 
Kindergesellschaft ein Nest mit 30 und ein’ zweites mit 13 Bewohnern 









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Deegener, Soziologische Beobachtungen an Hyponomeuta eognatellus Hb. 245 


hergestellt. Das zweite Kindervölkchen bestand aus eier reicheren 
Gesellschaft mit 15 und einer ärmeren mit 8 Mitgliedern. Keine 
Raupe war allein geblieben. Die kleineren tags zuvor von 2 oder 
3 Tieren hergestellten Nester waren wieder verlassen worden und in 
ihrer Nähe fanden sich auch keine Fraßspuren. Ihre Bewohner hatten 
sich also nachträglich auch noch den größeren Gesellschaften ange- 
schlossen. und ihre eigenen Nester aufgegeben. Das gemeinsame Nest 
erscheint daher auch in diesen Fällen nur als äußerer Ausdruck der 
Geselligkeit, hält aber die Tiere weder zusammen noch an den ein- 
mal gewählten Ort gebunden. 

Die Insassen aller Nester wurden auf eine kreisförmig begrenzte 
Glasplatte von 18,50 em Durchmesser gesetzt, die auf einem kleinen 
Dreifuß ruhte. Jede Raupe wanderte unter Hinterlassung eines un- 
regelmäßig gewundenen Fadens nach der Fensterseite ohne mit den 
anderen in Fühlung zu bleiben. Viele kehrten jedoch um und wan- 
derten vom Lichte weg, bevor sie den Rand der Platte erreicht hätten, 
ein Beweis, daß sie keine phototropischen Maschinen ım Sinne Loebs 
sind (vgl. meine Abhandl, ın Zeitschr. f. allgem. Physiologie XIX. Bd., 
p. 119). Am Rande der Platte angekommen spannen Sie teils einzeln, 
teils gemeinsam ab, stiegen dann aber an ihren Fäden wieder empor. 
Nachdem zuerst einige Raupen vorausgeeilt waren, folgten andere 
teils einzeln, teils zu einer geschlossenen Kolonne von 10 Stück zu- 
sammengedrängt. In den Kolonnen blieben die Tiere ın ständiger 
Fühlung miteinander. Am Rande der Glasplatte bildete sich eine 
Traube von zusammengedrängten Raupen, die an ihren Seidenseilen 
hingen, ohne die von der Glasplatte 4,50 cm entfernte Tischplatte zu 
erreichen. Bei der Raupentraube entstand ein unregelmäßiges Ge- 
webe, in dem sich die Tiere äußerst unruhig umherbewegten. Mit 
diesem Gewebe wurde ein -Kronymaus-Blatt ın Berührung gebracht, 
auf das die Raupen sofort übergingen. Zuvor aber war die Glas- 
platte so gedreht, worden, daß die Raupentraube am Westrande hing. 
Würden sie nur durch das Licht bestimmt worden sein, so hätten 
sie jetzt zur Nordkante (Fensterseite) wandern müssen. Natürlich 
taten sie das nicht. Wohl gingen viele der noch auf der Glasfläche 
befindlichen Raupen jetzt, ohne den Spuren ihrer Vorläufer zu folgen, 
unmittelbar auf die neue Lichtkante los. Die am Laub befindlichen 
aber unterlagen nicht mehr allein ihrer Lichtliebe. 

Bei dem beschriebenen Versuche waren die Mitglieder beider 
Kindervölkchen miteinander durchmischt worden. Die Mischung voll- 
zog sich ohne jede wahrnehmbare Störung. Zu dieser kombinierten 
Familie (Sysympaedium) setzte ich noch eine dritte. Alle Raupen 
schlossen sich zu einer großen Gesellschaft zusammen und bewohnten 
ein umfangreiches gemeinsames Gewebe. 

Der Evonymus-Strauch, an dem ich die Tiere gefunden hatte, 
stand unter einem hochstämmigen dichtkronigen Weißdorn. Nur 
einige seiner Zweigspitzen wurden tagsüber zeitweise von der Sonne 





246 Deegener, Soziologische Beobachtungen an Hyponomeuta cognatellus Hb. 


beschienen. Man hätte nun mit Loeb und Heß erwarten können, 
die Nester müßten dem Phototropismus der Tiere entsprechend an 
den hellstbeleuchteten Zweigspitzen sitzen. Das traf aber nicht zu; 
denn ein Nest war an der Basis eines tief entspringenden Zweiges 
ziemlich leicht zu finden, die beiden anderen sah ich erst nach 
längerem Suchen an den unteren Zweigchen, keins an einer Zweig- 
spitze. Auch die 'gefangenen Raupen gingen im Zimmer nicht an 
die Zweigenden und bevorzugten nicht die hellstbeleuchteten Stellen. 
Das kombinierte Nest, von dem oben die Rede war, saß an einem 
zımmerwärts gerichteten Zweige. (Vergl. hierzu meine Abhandlung: 
Der sogenannte Phototropismus der Raupen und sein biologischer 
Wert, Zeitschr. f. allgem. Physiologie XIX. Bd. p. 119.) | 

Das gemeinsame Nest der Hyponomeuta-Raupen ist nicht ein 
Kompositum aus lauter Einzelnestern, nicht der Ausdruck oder das 
Ergebnis unabhängiger Webetätigkeit der Einzelraupen, die zufällig 
beisammen sind und von denen jede nur tut, was sie allein auch tun 
würde. Es erscheint vielmehr als das gemeinsame Werk vergesell- 
schafteter Tiere, deren jedes sich in seiner Teiltätigkeit dem gemein- 
samen Gewebe änpaßt. Wie die Raupengesellschaft ein geschlossenes 
Ganzes ıst, so ‚drückt auch ıhr Bauwerk diesen inneren Zusammen- 
halt aus und hat durchaus nieht die Gestalt in sich fertiger sekundär 
miteinander verschmolzener Einzelgewebe. Wie zwei Raupen sich 
webend aneinander anpassen können, um einen gemeinsamen nor- 
malen Seidenkokon herzustellen (vergl. meine Abhandlung über Ge- 
sellschaftskokons, Zeitschr. f. wiss. Imsektenbiologie°)), so paßt 
sich auch hier jedes Einzelmitglied spinnend an die Gesamtheit, an 
das Ergebnis ihrer Bautätigkeit an. Das gilt nicht nur für die 
Hyponomeuta- sondern auch für viele, vielleicht für alle spinnenden ge- 
selligen Raupen. Daß sich jedoch spinnende gesellige Insektenlarven auch 
anders verhalten können, lehren die Larven von Zyda erythrocephala L., 
die gesellig an vorjährigen Trieben verschiedener Kiefernarten in ge- 
meinsamem Gespinnste, jede aber ın einer besonderen Röhre leben. 

In der Ruhe saßen die Raupen stets dicht aneinandergedrängt 
in demselben Teile ihres Nestes. Zum Fraße zerstreute sick nie das 
ganze Völkchen, noch viel weniger die ganze Mischgesellschaft. So 
uniform hat diese Tiere ihr Zusammenleben noch nicht gemacht, ihre 
Individualität noch nicht in dem Maße nivelliert, daß jedes der Ge- 
schwister zu derselben Zeit Hunger verspürt. Eine größere Gruppe 
blieb in Ruhe geschlossen, während die hungrigen Raupen nach der 
Peripherie zweigauf- oder abwärts liefen, bald zum Lichte, bald vom 
Lichte weg, ganz unabhängig von seiner Einwirkung. Auf den 
Blättern bildeten sie fressend kleine Gruppen. Stets schritt mit den 
Wanderungen zum Fraße die Vergrößerung des Nestes fort, weil die 
Tiere niemals fraßen, ohne zuvor ihre Unterlage reichlich besponnen 





3) Erscheint voraussichtlich 1922, 





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Deegener, Soziologische Beobachtungen an Hyponomeuta cognatellus Hb. 247 


zu haben. Daher führte auch nie (wie beispielsweise bei Malacosoma 
neustrium L.) eine schmale Seidenstraße vom Wohnneste ins Laub und 
zurück, sondern” alle Fraßstellen wurden ın das Primärnest mitein- 
bezogen. Auch isolierte Raupen fraßen erst, nachdem sie ein kleines 
Nest hergestellt hatten. — 

Am 15. Maı fand ich eine Hyponomeuta-Gesellschaft in Finken- 
krug. Seine Bewohner waren erst halb so groß wie die meines zu- 
sammengesetzten Völkchens, mit dem sie zusammengebracht wurden. 
Sie verließen ihr eigenes Nest und schlossen sich der kombinierten 
Gesellschaft an, obwohl deren Mitglieder sich großenteils gerade 
häuteten. Bei den drei ım Institutsgarten an demselben Strauche 
gefundenen Völkchen wäre die Möglichkeit in Betracht zu ziehen 
gewesen, daß sie alle von derselben Mutter stammten; und darauf 
könnte dann ihre leichte Mischbarkeit möglicherweise zurückgeführt 
werden. Die Raupen aus Finkenkrug hatten aber sicher andere 
Eltern und schlossen sich freiwillig an die vıel älteren fremden 
Raupen an. Familiensinn, der Familienmitglieder fester aneinander- 
kettet, haben sie entgegen der einmal von anderer Seite ausge- 
sprochenen Vermutung also ebensowenig wie die übrigen von mir 
geprüften Raupenarten (vergl. meine Abhandlung in Arch. f. Naturg. 
1920, S. 91 u.f.). Es besteht weder ein Gefühl engerer Zusammen- 
gehörigkeit zwischen den Kindern derselben Mutter, noch lehnt eine 
Familie die Mischung mit der anderen ab. — 

Wenn man den ruhenden oder fressenden Raupen mit der Hand 
Luft zufächelt, so bemerkt man keine oder höchstens eine schwache 
Reaktion. Bläst man sie dagegen an, so entsteht eine lebhafte Be- 
wegung und Unterbrechung der Nahrungsaufnahme. Diese Tatsache 
verdient eine genaue Untersuchung, deren Ergebnis für die Kenntnis 
der Empfindlichkeit gegen Tastreize wertvoll sein würde. Vielleicht 
kommen auch Temperatur- und Geruchsreize mit in Frage. — 

Am 14. Mai morgens 10?° Uhr wurden etwa 20 Raupen im Dunkel- 
kasten auf einem Evonymus-Zweige zerstreut. 2! Uhr fand ich nur 
vier Gruppen von je 2—3 Raupen; die übrigen waren noch isoliert ge- 
blieben, weil sie sich unmittelbar vor der Häutung, also in einem 
Zustande befanden, der längeres Wandern nicht zuließ. Wenngleich 
schon dieser Versuch bewies, daß sich die Tiere auch im lichtlosen 
Raume zusammenfinden, genügte er natürlich nicht und wurde unter 
günstigeren Bedingungen wiederholt. 

Am 18. Mai verteilte ich 31 Raupen so auf einem 63-blättrigen 
Evonymus-Zweig, daß jede auf einem anderen Blatte saß. Drei oder 
vier fielen dabei auf die Zwingerwand. 12° Uhr wurde der Dunkel- 
kasten geschlossen und 2° Uhr wieder geöffnet. Ich fand eine Gruppe 
von 7, drei Gruppen von je 3, drei von je 2, eine von 4 Raupen, also nur 
noch 5 Raupen isoliert. Der Kasten wurde 21% Uhr wieder geschlossen. 
4°° Uhr zeigte die Prüfung eine Gruppe von 9, je eine von 7, 3, 2, zwei 
von je 4 Raupen und noch zwei Tiere isoliert. Dieses Ergebnis beweist 





Y 
948  Deegener, Soziologische Beobachtungen an Hyponomeuta cognatellus Hb. 


nicht nur den sozialen Trieb dieser Raupen sondern auch, daß sie 
einander nicht sehend finden. Der Zweig mit den in der beschriebenen 
Weise gruppierten Raupen wurde 4° Uhr zu einem*anderen in eine 
Vase gestellt, an dem sich das zusammengesetzte Nest befand. In 
diesem waren nach wie vor die kleinen Raupen mit den großen fest 
vergesellschaftet. Schon am Abend desselben Tages fand ich 7° Uhr 
mehrere kleine Nester von ihren Erbauern ‚verlassen, die sich an 
andere Gesellschaften angeschlossen hatten. Die Gruppierung ge- 
staltete sich jetzt so: eine Gesellschaft von vier Raupen weit vom 
Mischneste entfernt an einer Zweigspitze; eine zweite Gesellschaft 
von vier Raupen und eine dritte von sechs Raupen weit vom. Haupt- 
neste und von einander entfernt; sieben Raupen zusammen nicht weit 
vom Hauptneste, drei isoliert. Sieben Raupen hatten sich also mit 
denen im alten Hauptneste wiedervereinigt. 

Am Morgen des 19. Mai fand ich außer der kombinierten alten 
Gesellschaft nur noch zwei gesonderte Gruppen vor, und keine Raupe. 
war isoliert geblieben. Eine Gesellschaft bestand aus vier, die andere, 
eine Fusion aus drei ursprünglich gesonderten Nestern, aus 16 Mit- 
gliedern. Die nach der Isolierung der Tiere im Dunkelkasten ent- 
standenen Nester, die dem alten ungestörten Neste am nächsten lagen, 
waren durch fortlaufendes Nestgewebe mit diesem verbunden worden. 

Es ist sehr merkwürdig, daß selbst diejenigen Raupen, die schon 
zu einer Gesellschaft verbunden waren, das Bestreben zeigten, sich 
mit den Bewohnern anderer Nester zu vereinigen. Dabei wurde ihr 
altes Nest entweder ganz aufgegeben oder häufiger noch durch Nest- 
gewebe, nicht durch Seidenstraßken mit dem Nachbarneste verbunden. 
So entstanden weit umfangreichere Gewebe als von normalen Gesell- 
schaften oder von besonders volkreichen kombinierten Gesellschaften 
hergestellt zu werden pflegen. Schon die isolierten Raupen spannen 
viel umfangreichere Gewebe als die Einzelraupen in der Gesellschaft. 
Im ganzen sind die Gewebe relativ um so umfangreicher, je weniger 
Raupen ‚an ihrem Aufbau beteiligt gewesen sind. Die Größe des 
normalen Gesellschaftsnestes oder des Gewebes kombinierter Familien 
ist weit geringer als die Summe der Einzelgespinnste gleichvieler 
isolierter Raupen oder entsprechend vieler volkarmer kleiner Gesell- 
schaften. Der unbefriedigte soziale Trieb scheint diese Tiere zur Ex- 
pansion, der befriedigte zur Konzentration zu veranlassen. Zur vollen 
Befriedigung des sozialen Triebes scheint es in der Jugend mehr als 
im Alter einer größeren Anzahl von Raupen zu bedürfen. Woher 
sonst die Tendenz kleinerer Gesellschaften, sich mit anderen zu ver- 
einigen, die ich auch bei den Raupen von M. castrense schon fest- 
stellen konnte? 

Man kann bei der Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen 
kaum zurückhaltend genug sein. Und wenn ich hier Vermutungen 
äußere, geschieht es nur, um künftiger Forschung mögliche Wege 
zu weisen. Wenn die geselligen Raupen ein Bedürfnis nach einer 






a I  Tamai  nı 5 Sal) ai" zn nis; Se et Tan ae yo RE ., Br 





Deegener, Soziologische Beobachtungen an Hyponomeuta cognatellus Hb. 249 


größeren Gesellschaft unter allen Umständen und dauernd beherrscht, 
so müßten isolierte Raupen und kleine Völkchen ihr Gewebe fort- 
dauernd vergrößern oder ganz verlassen, um Anschluß an andere 
Raupen zu finden. Das tun sie wohl oft aber keineswegs immer. 
Es scheint, man dürfe annehmen, daß diese Tiere auf irgendeine 
Weise Kenntnis davon erhielten, ob sich ihresgleichen in der Nähe 
befinden; denn wo sich keine anderen Raupen in der Nachbarschaft 
aufhalten, suchen die isolierten garnicht weiter nach dem verlorenen 
Anschluß. Wo eine nachträgliche Fusion mehrerer Nester statt- 
gefunden hatte, waren die Einzelnester nicht planlos solange nach 
allen möglichen Richtungen hin ausgedehnt worden, bis sie einander 
zufällig an einem Punkte ihrer Peripherie berührten. Man sah viel- 
mehr, wie das Einzelnest sich überall nur in Richtung auf das Nach- 
barnest hin ausgedehnt hatte. Das mochte ein Zufall sein. Aber es 
wäre doch auch nicht unmöglich, daß die Raupen irgendwie von der 
Anwesenheit anderer Beh in nen Nähe Kenntnis erhalten könnten; 
daß sie auf Grund dieser Kenntnis ihrem sozialen Triebe folgend ihr Nest 
nur ın der Richtung auf ihre Nachbarn hin vergrößert Babcn. Daß der 
Gesichtssinn dabei keine Rolle spielen kann, zeigen die Dunkelkasten- 
versuche. Der Tastsinn könnte nur insofern in Frage kommen, als 
die Bewegungen vergesellschafteter Raupen den Zweig in bestimmter 
Weise erschüttern. Der Geruch ist jedenfalls ohne Bedeutung; denn 
meine isolierten Raupen, von denen noch die Rede sein wird, stan- 
den in ihren Zwingern so dicht neben dem Hauptneste, daß sie die 
Raupengesellschaft durch die Tüllfenster hindurch hätten wittern 
müssen. Sie zeigten aber durchaus kein Bestreben zu ihr zu ge- 
langen. — Allenfalls körmte man noch an eine Wahrnehmung von 
Schallwellen denken, die vielleicht nur eine sehr verfeinerte Tast- 
wahrnehmung wäre; denn wenn sich die Raupen in ihrem Neste be- 
wegten, etwa dann, wenn man sie anblies, hörte man ein deutliches 
knackendes oder knisterndes Geräusch, das durch ein Vibrieren der 
gespannten Seidenfäden des Nestes zustandekommen dürfte, wenn 
dessen Bewohner sie aus ihrer Lage drängen oder ziehen und wieder 
zurückschnellen lassen. Man kann wenigstens dieses selbe Geräusch 
dadurch hervorrufen, daß man mit einer Nadelspitze über die ausge- 
spannten Gespinsifäden streicht. — 

Am 20. Mai wurden 10 Hyponomeuta-Raupen verschiedener Alters- 
klassen so im Dunkelkasten verteilt, daß sie möglichst weit von- 
einander entfernt saßen. Nahrung wurde nicht verabreicht, und der 
Kasten 10% Uhr geschlossen. 11°° waren drei Raupen beisammen, 
12° Uhr hatte sich eine zweite Gruppe von drei Raupen gebildet. 
Diese Tatsachen beweisen, daß sich die Raupen auch ohne die ge- 
wohnte Unterlage zusammenfinden können. Aber zu einer dauernden 
Assoziation kann es unter diesen Umständen natürlich niemals kom- 
men, weil der Hunger die nahrungsuchenden Tiere immer wieder aus- 
einandertreibt. 


250  Deegener, Soziologische Beobachtungen an Hyponomeuta cognatellus Hb. 


Am 11. Mai 10° Uhr morgens isolierte ich mehrere Raupen. 
Jede kam mit einem Zweigchen in einen besonderen Zwinger. Bis 
2?° Uhr hatte nur eine ein Gewebe hergestellt; die anderen saßen 
noch ohne Nestgespinst am Blatte und keine hatte gefressen. Um'6!° Uhr 
abends hatte noch eine zweite Raupe in der Einzelhaft ein Nest: fertig- 
gestellt, und die beiden Raupen, die ein Nest besaßen, hatten nunmehr 
auch je eine Scharte in einen Blattrand gefressen. Die übrigen hatten 
sich noch nicht dazu entschlossen, ein Nest: herzustellen und zu fressen. 
Aber am folgenden Tage hatten auch sie morgens ein Gespinst fertig 
und hatten gefressen. Nach meinen Erfahrungen mit isolierten Ma- 
lacosoma-Raupen (vergl. meine Abhandlung im Arch. f. Naturg.) war 
dies Verhalten zu erwarten. Die sozialen Raupen können zwar, da- 
zu gezwungen, ohne Nachteil auch allein leben, tun es aber nicht, 
wenn sie nicht müssen. Meine Einzelhäftlinge unterschieden sich 
fortab durch nichts von den in der Gesellschaft verbliebenen Raupen, 
hatten je ein verhältnismäßig umfangreiches Gewebe hergestellt, von 
ihm aus ganz wie die Gesellschaft benachbarte Blätter besponnen und 
befressen und sich auch zu derselben Zeit gehäutet wie ihre Ge- 
schwister. Die Trennung von der Gesellschaft schien sie in keiner 
Weise merklich zu beeinträchtigen. 

Drei Zweigchen, auf welchen sich bis dahin isoliert gewesene 
Raupen befanden, wurden am 19. Mai 10°° Uhr so gestellt, daß jedes 
ein anderes Blatt des großen Zweiges berührte, der das Hauptnest 
mit der Raupengesellschaft trug. Die erste Raupe (R 1) war 17 cm, 


die zweite (R 2) 7 em, die dritte (R 3) 5 cm von der Peripherie des 


Hauptnestes entfernt. Überall waren die isolierten Raupen durch 


gewebefreies Laub und Zweige vom Hauptneste gesondert. Natürlich 
verblieben die Zweigchen der isolierten Raupen in ihren Wassergläs- 
chen, damit diese das Welken des Laubes nicht zum Übergange auf 
den frischen Zweig zwinge. 

R 3 befand sich schon 10° auf dem Laub des großen Zweiges 
und wanderte in Richtung auf das Hauptnest, während Ri und R2 
noch in ihren Nestern verblieben. R 3 war so zum Hauptneste orien- 
tiert, daß sie lichtwärts wandern mußte, um es zu erreichen. Ihr Ver- 
halten könnte also auf die Lichtliebe zurückgeführt werden, wenn- 
gleich diese die Tiere auf dem Laub weit weniger beeinflußt als auf 
ungewohnter Unterlage. 11°? Uhr hatte sie die Peripherie des Gesell- 
schaftsnestes erreicht und gleich darauf sich dessen Insassen ange- 
schlossen. 

Die anderen isoliert gewesenen Raupen waren so zum Haupt- 
neste orientiert, daß die eine (R1) vom Lichte hätte wegwandern 
müssen, um zum Neste zu gelangen, die andere (R 2) sich bei dieser 
Wanderung in gleich bleibender Lichtstärke hätte bewegen müssen. 
11°? Uhr war R 1 auf den großen Zweig übergegangen und lief an 
dessen Blättern umher als ob sie suche. 11*° Uhr wanderte sie sehr 
energisch auf das Hauptnest los und benutzte dabei unter Umgehung 


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BB... x 


Deegener, Soziologische Beobachtungen an Hyponomeuta eognatellus Hb. 251 


der Blätter nur den Zweig, als hätte sie ein bestimmtes Ziel. Auf 
der Wanderung spann sie, sich von Strecke zu Strecke rückwärts 
wendend, sorgfältig ihren Faden, stellte also kein Nestgewebe her, 
erweiterte ihr Nest nicht in Richtung auf das Hauptnest, kehrte aber 
plötzlich auf halbem Wege wieder zu ihrem verlassenen Neste zurück, 
das sie 11** Uhr erreichte, aber auf demselben Wege sofort wieder 
verließ, den sie zuerst eingeschlagen hatte, als sie auf den großen 
Zweig überlief. Die Raupen im Neste waren gerade jetzt in leb- 
hafter Bewegung, weil sie zum Fraße ins Laub zogen. Dabeı hörte 
man deutlich das erwähnte knisternde Geräusch. — R 1 suchte un- 
schlüssig in der Nähe ihres eigenen Nestes umher und kehrte wieder- 
holt in dieses zurück. 11°’ Uhr fraß sie in ihrem Neste an einem 
Blatte ihres alten Zweigchens. Auch die Raupen der Gesellschaft 
fraßen z. T. zu dieser Zeit gruppenweise an verschiedenen Blättern, 
die sowohl vom Rande her als auch von der Fläche (Lochfraß) be- 
nagt wurden. 

R1 wurde am hinteren Körperende, R2 in der Körpermitte rot 
gezeichnet. 12° Uhr fraßk auch R 2 an den Blättern ihres alten 
Zweiges, R 1 hatte sich in ihr Nest zurückgezogen, trieb sich 2'° Uhr 
wieder auf den Blättern des großen Zweiges umher. Ihr und das 
Verhalten von R2 machten es nicht wahrscheinlich, daß die Raupen 
ihresgleichen aus der Ferne wahrnehmen, man müßte"denn annehmen, 
ihr Wahrnehmungsvermögen habe durch die tagelange Isolation und 
das vergebliche Suchen nach Anschluß gelitten. Sie scheinen viel- 
mehr planlos umherzusuchen, bis sie zufällig auf ihresgleichen stoßen, 
denen sie sich dann sofort und dauernd anschließen. — Bis abends 
7 Uhr hatten sich R 1 und R 2 den anderen Raupen noch nicht zu- 
gesellt. 

Aus dem Verhalten von R 3 könnte etwas voreilig geschlossen 
werden, daß bei der Sammlung der Tiere überhaupt nur das Licht 
wirkt. Wenn alle Raupen schließlich an das hellste Zweigende oder 
die hellste Kante einer Glas- oder Pappeplatte wandern, so müssen 
sie sich ja zusammenfinden. Aber so verhalten sie sich doch in der 
Tat nicht, wie am sichersten die Dunkelkastenversuche zeigen. Sie 
finden einander auch in absoluter Dunkelheit. 

Am 20. Mai war R 2 morgens 8 Uhr aus ihrem Neste ver- 
schwunden, das nicht mit dem Hauptneste durch Nestgewebe ver- 
bunden war. Ich fand die gezeichnete Raupe auf dem Hauptneste 
wieder, wo sie sich in engster Fühlung mit dessen Bewohnern be- 
fand. R 1 saß noch immer in ihrem eigenen Neste, das sie erheb- 
lich vergrößert und auf Blätter des großen Zweiges ausgedehnt hatte. 
Bis zum Abend des 21. Mai verblieb sie in ihrem Neste. 

Am 21. Mai zeichnete ich sechs Hyponomeuta-Raupen aus der 
Gesellschaft mit roter Farbe und setzte sie abends 7% Uhr jede auf 
eins der Endblätter eines anderen Kurztriebes.. Den großen Zweig 
mit den in der beschriebenen Weise besetzten Kurztrieben stellte ich 





959  Deegener, Soziologische Beobachtungen an Hyponomeuta cognatellus Hb. 


so zu einem anderen ins Wasser, daß beide einander nur an ihrer 
Basis durch Vermittlung einiger weniger Blätter berührten. Der 
zweite Zweig trug das sehr große 34 cm lange Nest der vier kombi- 
nierten Kinderfamilien, dıe ihrem jetzt starken Nahrungsverbrauche 
entsprechend zweigaufwärts alle kahlgefressenen Stellen mit Nest- 
gewebe überzogen hatten. Der Abstand der am weitesten vom Neste 
entfernten isolierten Raupen betrug 45 em; die nächste war 18 cm 
‘entfernt (Messung des nächsten Fußweges zum Neste). Die Vase 
wurde so gestellt, daß die isolierten Raupen vom Lichte fortlaufen 
mußten, um das Nest zu erreichen. Abends 10 Uhr wurden die 
Tiere bei künstlichem Lichte kontrolliert. Am äußersten Zweigende 
hatten sich zwei gezeichnete Raupen zusammengefunden und dort 
ein Nest gesponnen. Zwei andere gezeichnete Raupen fand ich etwa 
in der Mitte des Zweiges in gemeinsamem Gewebe. Eine fünfte hatte 
allein ihr Nest gesponnen und sich eine Strecke von 10 cm von der 
Stelle entfernt, an die sie gesetzt worden war. Die sechste hatte 
sich der isoliert gebliebenen R 1 angeschlossen und befand sich in 
deren Neste. Keine der isolierten Raupen hatte also bisher den Weg 
zum alten Neste zurückgefunden. Diese Tatsache zeigt, daß die Tiere 
von der Anwesenheit artgleicher Raupen in ihrer Nähe wahrscheinlich 
keine Kunde haben. Ihr Verhalten bei früheren Versuchen hieß schon 
vermuten, daß wohl ein Bedürfnis nach Gesellschaft die isolierten 
Raupen immer nach ihresgleichen suchen läßt; daß sie planlos suchend 
zufällig finden, und wenn sie auf keine andere Raupe stoßen, ihr Nest 
selbst bauen, das sie z. T. wandernd und suchend wieder verlassen, 
um sich anderen Raupen anzuschließen, z. T. aber auch tagelang be- 
wohnen, ohne durch ihren sozialen Trieb zum Suchen nach Anschluß 
veranlaßt zu werden. 

Die Gesellschaft war aus verschiedenalterigen Raupen gemischt 
worden. Als die älteren geraume Zeit vor der Herstellung der 
Puppenkokons die Nahrungsaufnahme einstellten, fraßen die jüngeren 
noch weiter und dehnten dabei das Hann auf benachbarte Be- 
zirke aus. So entstand schließlich ein kleines Nebennest, das etwa 
5 cm vom Hauptneste entfernt und durch wenige Seidenfäden mit 
ihm verbunden war. In diesem Nebenneste hielten sich die noch 
fressenden jüngsten Raupen in den letzten Tagen dauernd auf und 
schienen sich von den übrigen endgültig abgespalten zu haben, die so 
ganz ungestört blieben. Schließlich aber verpuppten sich nur zwei 
von ihnen in diesem Nebenneste. Alle übrigen begaben sich in das 
Hauptnest zurück und schlossen sich dort der größeren Gesellschaft 
wieder an. Die Kokons lagen dann größtenteils so, daß ihre längsten 
Achsen zum Erdboden senkrecht standen. Am 2. Juni hatte sich 
erst etwa die Hälfte der Raupen eingesponnen. Am 6. Juni waren 
alle Raupen verschwunden. Ihre Kokons bildeten folgende Gruppen: 
zwei senkrecht gestellte Kokons im Nebenneste dicht beieinander; 
die Hauptmasse in drei nicht scharf geschiedenen Gruppen im Haupt- 





G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. 253 


neste; die überwiegende Mehrzahl dieser Kokons war gleichgerichtet, 
senkrecht, und sie standen wie Bienenzellen nebeneinander; zweigab- 
wärts im Hauptneste eine kleine Gruppe von 6 Kokons und zwischen 


‚dieser und der Hauptgruppe zwei mehr isolierte Kokons; endlich 


zweigaufwärts eine Gruppe von 5 Kokons, die wagrecht im Neste 
lagen. Die abgestreiften Raupenhäute lagen als schwarze geschrumpfte 
Körper großenteils außerhalb der Kokons an deren Hinterende, wo 
sie aus einer kleinen Öffnung herausragten. — Die ersten Schmetter- 
linge schlüpften zahlreich in der Nacht vom 18. zum 19. Juni. Sie 
zeigten keine Neigung zur Geselligkeit. 

Weitere Versuche zur Lösung schwebender Fragen konnten in 
diesem Jahre nicht durchgeführt werden. Da ich nicht weiß, wann 
ich diese Untersuchungen werde fortführen können, gebe ich die bis- 
her gewonnenen Ergebnisse bekannt in der Hoffnung, daß sie zu 
weiteren Forschungen auf dem so arg vernachlässigten Gebiete der 
Tiersoziologie anregen mögen. 

Berlin-Charlottenburg im November 1920. 


Regressionsgleichungen numerischer Merkmale 
nach Pearsons verallgemeinerter Korrelationstheorie. 


Von Georg Duncker. 
Mit 2 Figuren. 


Während die lineare Regression eines numerischen Merkmals auf 
ein zweites, zu dem es in Korrelation steht, biologisch wohl bekannt 
ist, und ihre Gleichung in biostatistischen Untersuchungen vielfach 
angewendet wird, ist dies bezüglich anderer Regressionsformen nicht 
la Fall, obwohl Karl Percı bereits 1905 eine unschwer anwend- 
bare Methode zu ihrer Behandlung angegeben hat. Den für Biologen 
bestimmten neueren Darstellungen der Korrelationslehre in a 
Sprache (z. B. Goldschmidt 1911, Betz 1911, Johannsen 1913, 
Exner 1913, Lang 1914, Collier 1921) ist nichts darüber zu ent- 
nehmen. Im nachstehenden soll deshalb diese Lücke ausgefüllt werden; 
in mathematischer Hinsicht wird nur die Kenntnis des binomischen 
Lehrsatzes vorausgesetzt. | 
’ 1. Vorbegriffe. 

Numerische Merkmale sind solche, deren Varianten ın Zahlen aus- 
gedrückt werden können. Ihre statistische Untersuchung ergibt als 
empirisches Resultat die Variationsreihen derselben, von der all- 
gemeinen Form 


Varianten: Bon Rs Var 

Frequenzen: f, Ba: fa 

wobei die Gesamtzahl der untersuchten Fälle 
2 (f): 


254 G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. 
Eine Variationsreihe kann durch ihre Bestimmungswerte, nämlich 


das arıthmetische Mittel A= E Z(V), 





die Hauptabweichung Sn v 2(V —A), 
1 
| ol), 
die Momentquotienten &= ” 
s’ 


beschrieben werden. Dann sind A und s in derselben Einheit, wie 
die Varianten Y des Merkmals, benannte, die Momentquotienten- ß, 
dagegen unbenannte Werte und von den letzteren speziell 
P=|1, r=0, 1 

Konstante. Momentquotienten gerader Ordnung (£,,) ergeben stets 
positive, mit steigendem » wachsende Größen, während diejenigen un- 
gerader Ordnung (ß,,+,) unabhängig voneinander positiv, negativ oder 
gleich Null sein können. 

Untersucht man zwei numerische Merkmale bei » Individuen, so 
stellt jedes Individuum eine Variantenkombination dieser beiden 
Merkmale dar. Dann entspricht den Variationsreihen der Einzelmerk- 
male das Kombinationsschema des Merkmalpaares, wie etwa das 
Folgende: 


Kombinationsschema der Stachel- und der Weichstrahlzahlen in der 
Rückenflosse von Acerina cernua L. (Kaulbarsch). 


I. Stachelzahlen. 


Kr 11 12 13 14 15 16 a 
en 9 12 1 22 
= 14 1 N 16 245 
= 13 102 a! 160 6 979 
= 12 21, .308.% 230 9 568 
Bd 2 30 42 4 78 
° 10 1 4 5 
= 9 1 1 2 
u 1 RES ER EBEN 20.189 n 


Die Varianten der beiden Merkmale (I: 11—16, II: 9—15) sind 
am oberen und am linken Rand des Schemas notiert. Innerhalb dieser 
Umrahmung finden sich die Frequenzen der einzelnen Varianten- 
kombinationen, f,, „, deren vertikale und horizontale Summen (2, und 
27) gleich den einzelnen Frequenzen der totalen Variationsreihen der 
beiden Merkmale, /,, , und fo, sind. Daher ergeben diese Frequenzen 
die Beziehung 


BER BEUTE 





G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. 255 


(1) (fh) Fr) N 
Zwischen den beiden Merkmalen besteht Korrelation, solange 
2 
(2) 3 (er nee ‚) => 0 
oder, sofern 
e=f:n, 
solange 
(3) 2 (Oo 6 Po, a > 0. 


Die einzelnen Kombinationsfrequenzen der Spalten und der Zeilen 
des Kombinationsschemas bilden mit den neben bezw. über ihnen 
notierten Varianten die zugeordneten Variationsreihen des einen 
Merkmals, welche durch die über, bezw. vor ihr angegebene Variante 
des andern bedingt sind; so bedingt die Stachelzahl 15 mit der Ge- 
samtfrequenz 454 die folgende zugeordnete Variationsreihe der Weich- 
strahlzahlen 

= 10 2 12 1:3 14 15 

1 4 42 230 160 16 1. 
Die zugeordneten Varıiationsreihen können durch gleichartige Be- 
stimmungswerte, wie die totalen, beschrieben werden; die Symbole 
der zugeordneten Bestimmungswerte seien von denen der totalen durch 
einen Strich unterschieden. Demnach sind die Bestimmungswerte der 
totalen und der zugeordneten Variationsreihen für das 


erste Merkmal zweite Merkmal 
total zugeordnet total zugeordnet 
Ar A'r An A'ır 
SI s'ı Sır Sr 
P,, 0 D 0 Po, v Po, vr 


Bei fehlender Korrelation sind die homologen Bestimmungswerte aller 
zugeordneten Variationsreihen eines Merkmals denen seiner totalen 
gleich, bei vorhandener von diesen und untereinander verschieden. 
Z. B. sind die Bestimmungswerte der totalen und der der Stachel- 
zahl 15 zugeordneten Variationsreihe der Weichstrahlzahlen 
Ar = 12.7259, Sı = 0.788, Pos = — 0.166, (ph — 
Ar 12.313, Sn 090, Bi, 0:20, Br 4026 
Ferner ist die mittlere zugeordnete Hauptabweichung, definiert 


durch 
ERNEST, 
[s’r] == V. >; (fr Ss) 


[s'r] = V, > (fr sin), 


d. h. die Wurzel aus dem Mittel der Quadrate aller zugeordneten 
Hauptabweichungen eines Merkmals, um so kleiner im Vergleich zur 


bezw. 


356 G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. 


totalen Hauptabweichung desselben, je intensiver die Korrelation des 
Merkmalpaares ist, und wird bei 'vollkommener Korrelation zu Null. 
Ein einfaches Maß der Korrelationsintensität ist daher die Korre- 
lationsquote jedes der beiden Merkmale 

: s? RRRe) [s‘ 
(4) = BE, 
mit den Grenzwerten Null bei fehlender und Eins bei vollkommener 
Korrelation und dem ee Fehler 


Eee 








vr 
(A = 0.67449). Nun ist 7; nicht notwendig stets gleich 7?,. Für 
unser obiges Beispiel aber ist 

= — Tr“ = — U 14100. 

Außer den bereits angeführten kommt zur Beschr eibung des Kom- 
binationsschemas zweier numerischer Merkmale noch eine weitere 
Gruppe von Bestimmungswerten in Betracht, die unter dem Namen 
Produkt-Momentquotienten zusammengefaßt seien. Es sind dies 
die Produktmittel der zur u-ten bezw. »v-ten Potenz erhobenen rela- 
tiven, d. h. in der entsprechenden totalen Hauptabweichung ausge- 
drückten, Abweichungen der individuell kombinierten Varianten jedes 
der beiden Merkmale von ihrem totalen Mittel, mithin 


1 
een] 
De USD 


oder kürzer, sofern = V —A, ß 





n 
Pu, v — 7 5; 


SI sır - N 
Sie sind unbenannte voneinander unabhängige Werte und entsprechen 
den Momentquotienten der isoliert betrachteten Variationsreihen. Der 
erste derselben 





vn 9% (#1 xı) = 





Ba — 


ist der allgemein bekannte, in der Literatur meistens mit r oder mit 
0 bezeichnete Korr elationskoeffizient mit dem wahrscheinlichen 
Fehler 


SI 811 


E (Bu) = en 


Die praktische Berechnung sämtlicher in Betracht kommender 
Bestimmungswerte habe ich in einer demnächst in den Wissensch. 
Meeresunters. (Helgoland) erscheinenden Arbeit (Die Korrelation 
zwischen Länge und Gewicht bei Fischen) ausführlich dargestellt: 








G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. 2351 


Regression ist das Größenverhältnis der Abweichungen (x‘) der 
zugeordneten Mittel des einen Merkmals von seinem totalen Mittel zu 
den Abweichungen (x) der sie bedingenden Varianten vom totalen 
Mittel des anderen. Ist ‘dies Verhältnis konstant, so ist die Regression 
linear, und es gilt für sie die Regressionsgleichung ersten 
Grades 


(5) BB Ko bezw. U Ay u 
sowie E 
%b: X 2b: X 
(6) Hy ZT bezw. U—,o, u 
1 2 A > 
Sr SI SI SII 


Hier ist ne A'n S=H Aın, CR V;—-4: USW., sowie 


et Au = 2 =" = 
und 
= Bu: 
Aus (5) folgt laut Definition 
(7) (Au = Au—%ıo Ar + zu /Vı 
14% Ze — Ar — Kg An %yı Vır . 


Die benannte Werte ergebenden Gleichungen (5) bezw. (7) seien als 
physische, die unbenannte Werte ergebenden Gleichungen (6) als 
absolute lineare Regressionsgleichungen des zweiten Merk- 
mals auf das erste, bezw. des ersten auf das zweite bezeichnet. 

Lineare Regression kommt ın der Natur zwar außerordentlich 
häufig, jedoch keineswegs ausschließlich vor. Nicht lineare Regression 
besteht z. B. notwendig zwischen der Totallänge und dem Volumen 
von Organismen, da erstere eine lineare, letzteres eine dreidimensionale 
Größe ist; ferner zwischen der Totallänge und solchen sonstigen 
linearen Dimensionen, deren relative Größe mit der Totallänge ab- 
ändert. Aber auch bei Zählungen gleichartiger Organe verschiedener 
Systeme, bei Erblichkeitsbeziehungen u. a. m. ist nicht lineare Regression 
beobachtet worden. 

Die graphische Darstellung der Werte A‘ des zugeordneten Merk- 
mals als Ordinaten zu den Abszissen V des bedingenden ergibt einen 
Linienzug, die Regressionslinie des zugeordneten auf das bedingende 
Merkmal. . Diese ist bei linearer Regression eine Gerade, bei nicht 
linearer eine irgendwie gekrümmte Kurve, die Regressionskurve. 


2. Regressionsgleichungen zweiten und höheren Grades. 

Pearsons verallgemeinerte Korrelationstheorie (1905) ermöglicht 
die Wiedergabe linearer und nicht linearer Regressionskurven durch 
ein System von Gleichungen verschiedenen Grades. Seinem Verfahren 
liegt die Annahme zugrunde, daß der Verlauf der Regressionskurve 
durch Mae Laurins Reihe 


(8) y- ey tn n®tne+ Yaz! a - 
dargestellt werden könne, vorausgesetzt, daß die Koeffizienten y, der- 
Band 42. 17 


\ 





258 G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. 


selben sich für höhere Werte von » rasch dem Betrag Null nähern. 
In der Form von (6) wird (8) zu 
0 tı® 

(9) ent, et run ee 

Denkt man sich (9) für sämtliche » beobachteten Einzelwerte 
von 7, also n-mal, niedergeschrieben und die homologen Glieder dieser 
n Gleichungen summiert, so ergibt sich nach Division mit n als 
Mittelgleichung derselben 


ee u en 


n sr 


Da nun, wie eingangs definiert, 


Ir 
I (.) —.B, 
n g? 


und .daher‘.$, — 1. = V und 8, 1, so wird (10) zu 


(11) 0=-ytrot Yoßo TYaoßot - : - 

so daß 

(12) Yo = —Yao— Yzo Pso — Yao Po — 

Multipliziert man jetzt die Einzelglieder von (9) mit — und bildet 
I 


hierauf die Mittelgleichung 
1 CI EUTT | %I 1 y ir I x 
(13) - >( )=n„2( rm.) 2l)t 











n 8 7} n s n Sı 
1 X 
Ki Si Roc 
Y30 n (3%) = ? 
so folgt, da 
1 == Cı&ıı 1 STR TEN NR 
a ER Ne — Pu 
SıSı ” S]SII 
aus dieser 
(14) Bı = Yo r Yoo Bso + Y30 Pao == Yıo Pso = re) 
so daß 
(15) 910 = Bir Yao Pso— Y30 Pan Yo Bao — 


2 
In analoger Weise erhält man durch Multiplikation von (9) mit = 
1 


er } 
LI . . . 
„usw. und nach Bildung der entsprechenden Mittelgleichungen 


S 
|? 7 E20 + Yıoßso 4 Yao Bao + Yo ßso + Yaoßoo + - - : 

Pa = YVoßzo + Yıo Bao t Yzo Bso + YsoPfoo FT root - - - 

[B.. — yo Bao + Yıo Bso 4 Y20 Bao I Yao Bro Yo. ßeo 4 

und so fort. Nach Substitution der in (12) und (15) gefundenen Werte 

von y, und y,, nehmen die letzteren Gleichungen die Form 


(16) 





= 


G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. 959 


[Baı — Puußso + Y20 (Par —Prso —1) + Ya0 (Po —Pao Bo— Bao) + 
Bolsa u) - >. 


| (17) | Pa = Bi, Pyo ar Y20 (Bio — P3o Bao Bao) == Y30 (Bo — Bi Ba) + 


Ya (Bro —Broßso—PBaoPi) + - - - 

| Pa =Brıßsot Ya0 (Poo— Paso Pso — Pro) + Y30 (Bro = Pro ßso— Pzoßro) + 

| Yaldoo Bo Pot - : - 
usw. an. Setzt man jetzt die Differenz 

Pao Bastler Bu Ela Ol 1 
und die in Klammern befindlichen Faktoren der Gleichungen (17) in 
ihrer allgemeinen Form 
Pa ß, “IL re, ß.— Pa ß, 1 Di Sr ei x, 


so ıst zunächst 


50 
und 2) eine Größe «+ x-ter Ordnung. Ferner ist 
el), = er I; 
eu) el), —.eal, ie), — El, = so, — 2), — ed), — 


Bei Anwendung der Abkürzungen Ö,, „, und e@, erhält man aus (17) 
die übersichtlichen ne 


dy — Yan EP t Ya0 8 "0 TE a 
| dı = Yon F Yo Tr Ind Ya F - - - 

Ir = Yo t Ye so FT Ya + Ener 

Ös = Yan &®so + a0 & "ko Ar Yan ®so ee 
oder allgemein 


Em, 3)° 4 5 
= 1527,20 ne ah Y30 e\ AN =) Yaoe“ I, 0 am 


(18) 


(6) 
u ale 


Be =.702 ee YosE”,, v2 hr Poren, +1 IR 
Yo5 a tn neh 

Auf Grund dieser Beziehungen stehen also zur Auswertung der »—1 
Unbekannten y, bis y» stets v„—1 Gleichungen zur Verfügung, da die 
Werte 4; den Momentquotienten des bedingenden Merkmals, die 
Werte ö,,, bezw. ö,,, diesen und den Produkt-Momentquotienten des 
Merkmalpaares zu entnehmen sind. 

Bei symmetrischer Variation des bedingenden Merkmals werden 
dessen Momentquotienten ungerader Ordnung Ken sämtlich zu Null. 
Daraus folgt, daß auch alle diejenigen Werte e(@;, bei denen die Summe 


ı+x eine ungerade Zahl ergibt, ın diesem Fall zu Null werden, und 
daß hier 


(18a) 








Öyun 13. Tr, Pam und ö,,,, = Bir ar- i 
Multipliziert man ferner (9) mit a so erhält man die Mittel- 
SI 


gleichung 








260 G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. 
1 ch u X Cr 
(19) —- Zn a. ns 
N SII N SI SI 
1 a, cr Xu 
’ & - BE — BaNE 
?’20 3“ ( s? eu), Y30 3 ( sB Im + 


Hier ıst, wie leicht‘ zu beweisen, 


PH EA 1) N 2 (zP & a — u (ep xı1) 
und 





1.2 2 Et pP) 
1 53 CH Er S ın—|S ır] 
N sı“ sın 

: 3 —_ Ta, 
mithin 


(20 a) un — Yoßıı -: Yao Paı = Yao Paı Ss Ya Paı a : 


ie nach cn des rechtsseitigen a von u (1) für 405° 


(20 b) m = = Pn —+- 20 daı 2 Y30 b. = Yyo Ö 4 sa 


Setzt man endlich die stets positive Differenz 


um — Bi, > Öga 
so erhält man aus (20b) den Wert 
(21) Ög = — Y90 dgı 4 Ya0 951 Yo du En 


mit dem wahrscheinlichen Fehler (ef. Blakeman 1905 p. 339 Glei- 
chung XXVII) 


Ries) 210, do (By?) + don! 


{27 


Bo ı [2 


(77 











Die Gleichungen (9) bis (21) gelten für die Regression des zweiten 
Merkmals auf das erste; die umgekehrte Beziehung ergibt sich überall, 
wie in (18a), durch Vertauschung der Indizes der gefundenen Größen, 
so z. B. ın 


(21) du = Yo de t Yosdıs F rad t - - - 
Bei linearer Regression (Regression ersten Grades) ist 
Ma ee 
daher nach (12) 
yY, = 0 
und nach (15) 
v9 = Bu 
Man erhält also aus (9) die absolute lineare Regressionsgleichung 
are En; 
(6) & — Pı sr 


Bei Regression zweiten Grades, der sogen. quadratischen Re- 
gression, ist 
B =hn=...=0 
somit folgt aus (12) 
ya, = —y® 


ni 1a di, Ei ba 5 md Laie 





G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. 261 


aus (15) | 
9, = Buy "rß 
und aus (18) 


Ay = da : E zo. 
Aus (9) ergibt sich daher die absolute quadratische Regres- 
sionsgleichung 
x 11 5 2 
(22) a Hr Po) + Yo Eh 


Bei Regression dritten Grades, d. h. bei ie Regres- 
sion ist 


yyız...=d, 
daher nach (12) 
nach (15) 


und nach (18) 











vu = 
ei), 
ra) ve, 
’ 20 £e®) 
ye),, = Öz, EM, — dp E so 
dub 8) 12 
EEE) 
Dann ist 5 
Bye TE u ET 
EA le)" 
So erhält man aus (9) die absolute kubische Regressionsgleichung 
& ır ’ ® (3 XI 
(23) SE ee Fu Manßaarr zo Pa) — © Ai 
<r 2 
\ EEE al, 
Y" 20 s2 730 sP 


In entsprechender Weise ergeben sich die absoluten Regressions- 
gleichungen vierten und höheren Grades, z. B. 
ER Bar Na 
a, = ßıY®2ßs — rm, ne ; 
vo, —yO, ya, ei), u yi 
3 
yO, (ec, e9,—e®), e®,) 
& 2, ey (di) 








vn, = y9,— 


und 
Öy FE EI (EI — a [eo ei ), ee EN 
HR [e®;, 2 —(e®), °] er ,g\4 PAR Roy 0—e® NE EB), ] =! 
5 Et ) EN 
EN [LEN zo Ey — Es ENzo] 





yo 40T 





40 € 


262 G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. 


‘Doch wird man Regressionsgleichungen höheren als dritten Grades 
nur ausnahmsweise anwenden, da die zur Auswertung ihrer Koeffi- 
zıenten erforderlichen Momentquotienten siebenter und höherer Ord- 
nung bereits mit sehr großen wahrscheinlichen Fehlern behaftet sind. 
Die physischen Regressionsgleichungen erhält man aus den ab- 
soluten, wenn man #5, durch A'yr — An xzı durch V;— A; ersetzt und 
die Gleichungen nach A‘, hin ha Dann N sich on 


Ar Ay 
(24) A Au Sır re a E bz7S sP tra SE) 
s Ar 
= le rn De al: 


SIT et, 
ats n (Yan — Iy0 IE + 6 a = GE ‚PP? 
SH 

a sp (Y30 — 4 a0. a 


+ War. Me 
I 


Die Resultate der physischen Regressionsgleichungen aber lassen 

sich auch direkt aus denen der absoluten entnehmen, da ja 
Ann Ze 

Der etwaige Mangel an Übereinstimmung zwischen Be- 
obachtung und Berechnung wird durch die.mittlere quadratische 
Differenz der zugeordneten (beobachteten und berechneten) Mittelwerte, 
bezw. ihrer relativen Abweichungen gemessen. Die Einzeldifferenzen 
der letzteren, A, können positiv, negativ oder gleich Null sein und 
ergänzen sich zur Summe Null. Die mittlere quadratische 
Differenz der absoluten Regressionsgleichung v-ten Grades des zweiten ' 
Merkmals auf das erste ıst dann 


(dur), = 2 (rn): 


Diese Größe läßt sich entweder aus den Einzeldifferenzen A;, oder, 
mit Hilfe von 7,7, direkt N N: Da nämlıch 


ae! er 

(25) aan, cr ...)-Aun—0, 
SIT ST SI SI 

so ıst 

< % % 3 

(26) = Hrn te Pa 2 ln = ne 9] — Jr”. 


Nach Entwicklung des Ihklsoineen Ausdrucks von (26), nach Elımi- 
nation von y, und y,, sowie nach Bildung der Mittelgleichung er- 
hält man 
(27) [Air]? a um Bi ar 2 (Ya0 9ı nn Y30 Oaı ar Sg ar Yaoı EN ng: 
2 ya0 Ya0& ao 2 Yo Ye Fr : A Ar Pan di 2 Yan Yan. E so Hr 
R Yao E50 A 









5) 


G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. Y6:; 
oder nach (21) 

2 y 
1 (Au) +V dr (du dur ) > 


und es wird daher 
für lineare Regression 
Anl = #60 
für quadratische Regression 
Ak + V 
DE +V d?—ry dpi 
für kubische Regression 














De (ee 


ar I 2 2 g 3 S ! 
Au, =+ Vin.) a AH £8) 
30 


=+ en yo dar ; 

für Regression vierten Grades 

Anl, =+ Va?—y da — "zo ds — Yo Öy- 

Dann ist notwendige Bedingung für die Anwendbarkeit einer 
Regressionsgleichung »-ten Grades, daß [4]»? einen positiven Zahlen- 
wert ergibt. Wırd [4]? negativ, so-bedeutet dies, daß die durch tat- 
sächlichen Vergleich der beobachteten und der mittels der Gleichung 
v-ten Grades berechneten Regressionswerte erhaltene mittlere quadra- 
tische Differenz größer als [A], ist, mithin diese Regressionsgleichung 
schlechtere Resultate als die lineare liefert. 








3. Numerische Beispiele. 


Die vorstehenden Ausführungen seien an drei Beispielen erläutert, 
von denen das erste die zunehmende Übereinstimmung zwischen Be- 
obachtung und Berechnung bei steigendem Grad der Regressions- 
gleichungen ersten bis dritten Grades ersichtlich macht, das zweite 
einen in mehrfacher Hinsicht interessanten, konstruierten Fall dar- 
stellt, während das dritte zeigt, wie die zu hoch gewählte Regressions- 
gleichung dritten Grades eine schlechtere Übereinstimmung ergibt, als 
selbst diejenige ersten Grades. 

Wicksell (1915) behandelt das männliche (/) und weibliche (//) 
Heiratsalter bei Erst- und Wiederverehelichungen in Schweden für die 
Zeiträume 1391—1900 und 1901—1910 nach eigener, von der Pearsons 
abweichender Methode. In acht Tabellen gibt er die Kombinations- 
schemata der vier Möglichkeiten aa, ab, ba und bb (a = Erst-, 
b = Wiederverehelichung) für jede der beiden Perioden. Hier sei 
nur die Regression des männlichen auf das weibliche Heiratsalter bei 
Erstverehelichungen von 256940 Paaren in 1891—1900 (Wicksell 
1918 p. 39 Tab. I) dargestellt. 

Die Bestimmungswerte dieses Kombinationsschemas sind; 


264 G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. 
Tabelle 1. 
l..g‘ 31.0 Produkt-Momentquotienten 
A 28.61900 Jahre 26.18280 Jahre P, 0.428622 
s 6.085055, 5:02:9007, 5 Pi 0.701390 
ß, 1.46446 1.11 916 Pa, 0.663281 
ßı 6.46839 5.23 016 Bis 2.962583 
ß, 24.35079 17.03841 By 2.732156 
ß, 121.19004 80.49 693 n 256940. 


Es handelt sich also, wie sachlich selbstverständlich, um hyper- 
geometrische, hochgradig positiv asymmetrische Verteilungen, ins- 
besondere bei den Männern. 

Tabelle 2 enthält in der ersten Spalte das Heiratsalter der Mäd- 
chen, in der zweiten deren Anzahl, in der dritten die empirischen, in 
der vierten die berechneten zugeordneten Mittel des männlichen 
Heiratsalters, in der fünften, sechsten und siebenten die relativen Ab- 
weichungen der Werte der ersten, dritten und vierten Spalte von 
ihren totalen Mitteln. Den Werten der dritten und vierten Spalte 
dieser Tabelle entsprechen die der zweiten Spalten der Tabellen E 
und F bei Wiceksell (l. ce. p. 16), deren Übereinstimmung weniger 
gut ıst als die der hier vorliegenden Werte. Auch finden sich ge- 
a. Unstimmigkeiten chen Wicksells und meinen Rech- 
nungsergebnissen. 

Tabelle 2 
1% 2. 3: 4. D- 6. 7. 
Vır Al Re s,Ar KIT SIE RT: ST R; + Ar 
17.5 20330 26.09 26.084 0.01 —1.54251 —0.41544 _ —0.41703 + 0.00159 
22.5 105744 26.90 26.91 — 0.01 —0.65425 -—0.28244 —0.28134 — 0.00110 


2.5 78807 28.70. 2871 — 0.01 0.23400 0.01320. 0.015111 — 0.00191 
32.01238918 31.26... 31:22 .0:.0327.71.12226 0.434580 0.43567 — 0.00087 


37.5 12203 34.45. 34.43 + 0.02 2.01051 0.935850 0.395568 + 0.00282° 


42.5 4135 37.99. ‚38.02 — 0.03 2.389877 1.53975 1.54496 — 0.00521 
47.5 1250 41.43 41.80 — 0.37 3.78702 2.10565 2.16545 — 0.05980 
52.5 409 46.09 45.62 + 0.47 4.67528 2.87181 2.79390 + 0.07791 


57.5 93 50.30 4929 + 1.01 5.56353 3.506228 3.39718 + 0.16510 
62.5 32 52.50 52.62 — 0.12 6.45179 3.92453 3.94466 — 0.02013 
67.5 12 61.67 55.43 + 6.24 7.34005 5.43095 4.40565 + 1.02530 
72.5 7 47.50 57.52 — 10.02 8.22830 3.10284 4.74952 — 1.64668 
256940 . 0.196115 + 0.01275 
MN eg = [47] 
Mit Hilfe der Spalten 2 und 6 der Tabelle 2 findet man 
2 :0,196115 
daher 


O0 Tre Bin 0.012389 
ferner aus Tabelle 1 die Hilfsgrößen 


EI Ba Dia: - u 2.97764 
EN = Pos — Basßea— Los; = 10.06586 
A Bo De — Boa ” — 51.388983 
en 0.183584 


Ö15 — Piz = Pas Pos = 0.490395 





. G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. 265 


und mittels dieser 
ya dm 2 ed = 0.061694 


NE WR 
EEE ÖgE 04 











Ya = SO ma 0.007290 
&) 
a te Por — 0.086302, 
so daß 
[All = 6 — + 0.1113 
Ar = EV in 1992 — + 0.0328 
Ki it Vd— rO Pod = + 011. 


Von den drei Regressionsgleichungen ersten 





bis dritten Grades 


RB = .0 10.428622 77 
a Sır 
va ERDE 
R,: = —0.061654 + 0.359621 7 4.0.061654 7, 
s SIT Sır 
% 2 A) 
R,: = 0.078143 + 0.370164” 40.086302, —0.007290°, 
= Ba SIT SIT 


ist daher die dritte die zutreffendste. Ihre Auswertung findet man in 
Spalte 7 der Tabelle 2, aus welcher Spalte 4 derselben Tabelle ab- 
geleitet ist. Die Bestimmung. von [47], aus den Einzeldifferenzen der 


Spalte 7 ergibt 


so daß eine geringe Unstimmigkeit der beiden Rechnungsweisen, wohl 
infolge logarithmischer und dezimaler Abrundungen, vorliegt. Die 
Zahlenwerte der Spalte 6 (empirische Werte — Kreispunkte) und 7 
(berechnete Werte —= Linienzug) sind in Fig. 1 graphisch dargestellt; 





‚ferner ist die Gerade der linearen Regression ange 
"bedeutend abweichenden, maximal extremen Wert 
je 12 und 7 unter 256940 Beobachtungen. 


geben. Die beiden 
e beruhen auf nur 


I66 G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. - 


Die entsprechenden reziproken Regressionsgleichungen des weib- 
lichen auf das männliche Heiratsalter sind 


RB. ao 10.428622 77 
SI SI 
a4 r 2 
RB,: —= — -— 0.022171 + 0.396154 „Ft oo2217 . 
II 
R,: u —0.034125 + 0. 398770 °° +0. 04093477, —.0.004090°, 
TERN 
sie ergeben 2 mittleren quadr schen Differenzen 
rl — = el 0644, [: Aula, == — a 0. 0501, Ar, — ==ch 0. 0448. 


Die Ergebnisse der quadratischen und der kubischen Regressions- 
gleichung weichen hier von denen der linearen weniger ab, als bei 
dem männlichen Material. 

Das zweite Beispiel ist von W. Johannsen (1913 p. 335) er- 
dacht, um zu zeigen, daß Korrelation selbst dort vorliegen kann, wo 
ihre Messung durch den Korrelationskoeffizienten Null ergibt. Da dies 
Beispiel übereinstimmende, streng symmetrische Variation der beiden 
bei Johannsen mit x (= ]) und y (= II) bezeichneten „Merkmale“ 
bietet, erfährt an ıhm die Berechnung der Regressionskoeffizienten 
wesentliche Vereinfachungen. Seine Bestimmungswerte sind 


Tarbieiiker 3, 
1.1 Produkt-Momentquotienten 
A 0.00000 ß, 0.000000 
s  1.74929 5 0.000000 
Ps 0.00000 Ba: "0.598724 
1: : 2.70537 = Bis 0.000000 
ß;  0.00000 Ps, 0.000000 
ß, 10.82833 ß,, 0.000000 
ß-  0.00000 Bıı 2.428630 
ßs 54.11560 n 500 


Bei symmetrischer Variation eines Merkmals werden alle seine 
ungeraden Momentquotienten söwie diejenigen Werte z(, zu Null, 
für welche die Summe «x ungerade Zahlen ergibt; daher auch 

Ögun, Mr Pau, 1 und Ö1, 2» > Pıyav- 

So erhält man aus den Bestimmungswerten 

A Brei zer L00B3T 
Bohn — 3.12296 
2 — Po —Pio” = 3.590930 
8. Bao— Ban? = 46.796587 
6, —=ßs, — 0.553727 
du=ßı = 2.428630 





und ferner 
2 1 2 
9 Sır —[s 1] Se 8 
2 02 
SI 


=—=!,190627. 


| 
| 


TI 


G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. 267 





Hieraus findet man 








ya —0 ; 
790 — Paı : e®),, = 0.324696 
AR = ei ii 
yo Bunt so Par 5 2 — —= — 0.025768 
FREIES 50 (E”so) 

ri 

Y% B 
n nl En 
yo == ya 3 2 = 0.447434 
g| Is 

9.0 
Te a”, Po = —I.377721, 


mithin 
Be = Tre Ah 
[Arrl, Ser at: vo ya Paı == 4 0.10409 
[A]; = [An], 
[Air = Von Ho Bar — Yo Ba = + 0.073853. 
Von den vier ersten Regressionsgleichungen des zweiten Merk- 
mals auf das erste 








R: 20 
SI 
x ır = a 
R,: = —0.324696 + 0.324696 7, 
IT 
R,: _ Y —_ __0,324696 + 0. 324696” = 
II 
n 4 
R.: _ — 0.377721 + 0.447434 5 — 0.025708 
II I 


erweist sich also die vierte als die eigneisge: 

Tabelle 4 enthält die relativen Abweichungen der den Varianten 
—5 bis 4 5 (Spalte 1) des ersten Merkmals zugeordneten Mittel des 
zweiten, und zwar,nach direkter Berechnung aus dem Kombinations- 
schema (Spalte 4) wie nach den Regressionsgleichungen zweiten und 
vierten Grades (Spalte 5 und 7). Spalte 2 enthält die Frequenz der 
bedingenden Varianten, Spalte 3 ihre relativen Abweichungen, Spalte 6 
und 8 die Produkte fr Ar. Die fünfstelligen Dezimalen der rechne- 
rischen Ergebnisse sind in der Tabelle auf dreistellige abgerundet. 


Tabelle 4. 
A a er 3 REN, 5 6 7 8 
V; fr BESSTN Ar 2 Alr R, 35 Aır fr Ar R, a5 Aır frAr® 
112 0.000 —0.490 —0.325 — 0.165 3.060 — 0.378 — 0.112 1.412 
95 +0.572 —0.162 —0.219—+-0.057 0.598 —0.234--0.072 0.979 
607551.143.4.-0.181 0.100-+-0.081 0.793  0.163-+-0.018 0.038 
2% -21:715 0.651 0.630-+0.021 0.024 0.715 — 0.064 0.244 
IND, 1.270 1.323 0.103 ‚0.190 1.257 +0.013 0.003 
1. +2858 1.15  2.328—:0.613 0.752 1.558-+0.157 0.049 
500 | +0.104 5.417 +0.074 2.725 
—,n } —= [An], 2 —= [Ark en 





18°) 


68 G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. 


Fig. 2 stellt die Werte der Tabelle 4 graphisch dar; R, fällt 'mit 
der Abszissenachse der Figur zusammen. 

Sämtliche reziproken Regressionsgleichungen lauten überein- 
stimmend 
Ry: 


el 
CI 


Ur, 





SI 
und man findet dementsprechend als Korrelationsquote des ersten 
Merkmals 


re. 


Im dritten Beispiel, welches des allzukleinen Materials (332 Be- 
obachtungen) wegen an sich keine günstigen Ergebnisse erwarten läßt, 
handelt es sich um die Regression der Totallänge (7) auf das Körper- 





gewicht (/7/) des Kaulbarsches (Acerina cernua L.). Die reziproke 
Regression ist bei dieser Art von praktischer Bedeutung und eine 
solche dritten Grades. Aus dem an anderer Steile zu veröffentlichenden 
(Duncker l.c.) Kombinationsschema der beiden Merkmale erhält man 
die Bestimmungswerte 


Tabelle 5. 
I. Länge II. Gewicht Produkt-Momentquotienten 
A 12.6686” cm 29.87950 g Pu 0.900581 
s 72.1.13079 | 11.91655 „ Bis 0.668919 
82.011437 1.14860 ßz, 0.270057 
ß,  3.49836 5.14550 Pıs 3.898532 
—0.63183 15.04051 By, 3.159070 
Ps 18.99604 58.40810 n 332 
Da 
— 0.883148, 
ist 
0 =, 0.072102 +; 0.019659 
und 


[Arlı = + 0.2685. 


en 


NEE a En Er. » DENE * x 
4 x Y r Fr r 

en. 

I + \ er 


G. Duncker, Regressionsgleichungen numerischer Merkmale usw. 269 


Ferner sınd 


v9, = — 0.129320 
y®, = 0.206023, 
daher 
[Ars = 0.024837 
[Ar|,? = — 0.062954. 


Die Anwendung der Regressionsgleichung zweiten Grades bedeutet 
demnach eine Verbesserung gegenüber der der linearen; dagegen führt 
die Auswertung der Regressionsgleichung dritten Grades zu gänzlich 


_ unhaltbaren Resultaten (s. folgende Tabelle). 


Naar 6. 


1 2 3 4 5 6 
Vır fr Cır : SıI Din Sa Ir, R, = Ar 
10 11 — 1.668 2:30 — 1.707 — 2.528 + 0.225 
15 21 — 1.249 — 1.666 — 1.178 — 0.976 — 0.690 
20 65 —. 0.329 —. 0.684 — 0.694 0.029 — 0.713 
25 62 — 0.409 — 0.228 — 0.255 0.578 — 0.806 
30 67 0.010 0.110 0.138 0.761 — 0.651 
35 28 0.430 0.625 0.486 0.671 — 0.046 
40 36 0.849 0,914 0.788 0.398 + 0.516 
45 16 1.269 0.950 1.045 0.033 + 0.917 
50 13 1.688 1.503 1.256 — 0.331 + 1.834 
55 2 2.108 1.347 1.422 — 0.604 1.951 
60 6 2.528 1.828 1.542 — 0.694 —- 2.522 
65 — 2.947 — 1.617 —0510+ ? 
70 2 3.367 2.214 1.646 0.039 + 2.175 
75 1 3.786 2.214 1.629 1.045 + 1.169 
80 2 4.206 3.080 1.567 2.598 4 0.492 
332 0.883 + 0.844 
Sal =ır =[4]]; 


u won Regressionsgleichung lautet 

y 2 

R,: = 0.129320 + 0.885791 © zu "0.129320 
ol 


und führt zu 

[A = + 0.1576. 
Dagegen ergibt der Vergleich der empirischen mit den nach der 
kubischen Regressionsgleichung 


R,: 77 = 0.760504 + 0.090164 77 —.0,784067 = „+ 0.206023 7, zu 
Rs Sp Sır 


berechneten Werten 

[Ar = + 0.8436, 
also eine mittlere quadratische Differenz, die mehr als das dreifache 
von [A;], beträgt. Gleichungen vierten Dad höheren Grades würden 
wachsende negative Werte von [4r]" bedingen und dementsprechend 
noch weniger zur Wiedergabe der riirieelen Befunde geeignet sein. 


ER Ba 


270 H. Wachs, Zur Ähnlichkeit der Kuckuckseier. 





Literatur. 
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Leipzig 1911. 88 pp. 
Blakeman, J., On tests for linearity of regression. in frequeney distributions. Bio- 
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Collier, W. A., Einführung in die Variationsstatistik. Berlin 1921. 8°. VI 73pp. 
Exner, F. M., Über die Korrelationsmethode. Jena 1913. 8°. 36 pP: 
Goldsehmidt, R., Einführung in die Vererbungswissenschaft. — Leipzig 1911. 8°, 
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Johannsen, W., Elemente der exakten Erblichkeitslehre. — Jena 1913. 8°. 2. Aufl. 
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Lang, A., Experimentelle Vererbungslehre in der Zoologie seit 1900. Erste Hälfte. 
Jena 1914. gr. 8°. 892 pp. 
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Wicksell, 8. D., Das Heiratsalter in Schweden 1891—1910. Eine korrelationsstati- 
stische Untersuchung. Festskr. Lunds Universitet 250 ärsjubil. 1918. Act, R. Soc. 
Physiograph. Lundens N. F. Bd. 29 Handl. Nr. 18. 46 pp. (14 Tab.). 


Zur Ähnlichkeit der Kuckuckseier. 
Von Dr. Horst Wachs-Rostock. 


Mit der Frage der Mimikry der Kuckuckseier beschäftigt 
sich eine Abhandlung, die Friedrich von Lucanus im Journal für 
Örnithologie 1921, 8. 239 ff. veröffentlicht. Verfasser untersuchte die 
Sammlung an Kuckuckseiern des Berliner Museums, die 728 Gelege 
30 verschiedener Vogelarten mit zusammen 765 Kuckuckseiern ent- 
hält, Weitaus die meisten Kuckuckseier waren gezeichnet, nur 17 
Stück waren einfarbig; von diesen durchlaufen 16 alle Abstufungen 
vom tiefen Blaugrün bis zur milchweißen Farbe, ein Ei aus einem 
Rotkehlchen-Gelege ist lehmgelb, ; 

Die Gruppierung nach „ähnlichen“ und „unähnlichen“ Eiern .er- 
gab eine: fast vollkommene Übereinstimmung für dieGruppe der Sylvien 
(Grasmücken), der weitaus die meisten Gelege angehörten: in 481 Ge- 
legen der Gartengrasmücke waren alle zugehörigen 502 Kuckucks- 
eier als „sehr ähnlich‘ anzusprechen, desgleichen 16 Kuckuckseier in 
15Gelegen der Dorngrasmücke, 2 bei der Zaun- und 4bei der Orpheus- 
grasmücke. Nur bei der Mönchsgrasmücke war von 14 Gelegen in 4 
Fällen das Kuckucksei unähnlieh. Zeigt sich sonach in dieser Gruppe eine 
ganz außerordentliche Übereinstimmung, so ist das Gegenteil der Fall bei 
den Gelegen von Phylloscopus (Laubsänger) und Troglodytes (Zaunkönig): 
hier sind alle gefundenen Kuckuckseier als „unähnlich“ anzusprechen, 
und zwar 4 in 4 Gelegen beim Waldlaubsänger, 6 in 5 Gelegen beim 
Weidenlaubsänger und 120 Kuekuckseier in 109 Gelegen beim Zaun- 





H. Wachs, Zur Ähnlichkeit der Kuckuckseier. 71 


könig. Für die Gesamtheit aller untersuchten Gelege berechnet sind 
als „ähnlich“ anzusprechen 597 Stück (78 %), als „unähnlich‘‘ 168 Stück 
(22%). Da nach obigen Ergebnissen klar ıst, daß das Gesamtergebnis 
jeder derartigen Statistik wesentlich von der zufällig in der betreffen- 
den Sammlung vorhandenen Anzahl der Gartengrasmückennester 
einerseits bezw. der Laubsänger- und Zaunkönigsnester anderseits ab- 
hängig ist, ‚wurden die Verhältniszahlen auch noch nach Abzug eben 
dieser Gelege errechnet; von den dann verbleibenden 133 Kuckucks- 
eiern erwiesen sich 95 Stück (72%) als ähnlich, 38 (28%) als unähn- 
lich; sonach ergibt auch diese Berechnung in diesem Falle annähernd 
die gleichen Verhältniszahlen. 

„Von den Kuckuckseiern der Sammlung des Berliner Museums, 
folgert der Verfasser, ist also der größte Teil den Nesteiern ähnlich, 
und es tritt eine große Anpassungserscheinung deutlich und unver- 
kennbar zutage. Die zahlreichen Variationstypen des Gartengras- 
mückeneies, die gespritzte Zeichnung des Dorngrasmückeneies, das 
fein gestrichelte Muster vom Ei der Bachstelze, die braune Wölkung 
des Fliegenschnäppereies, die blaugrüne Farbe, die das Eı des Garten- 
rotschwanzes zeigt, sowie die Zeichnung und Farbe der Würgereier 
kehren in geradezu verblüffender Weise bei den Kuckuckseiern wieder. 

Eine einzig in ihrer Art dastehende Mimikry zeigt das Kuckucksei 
in dem Gelege von Emberixa ciopsis. Die völlige Übereinstimmung 
der höchst eigenartigen Zeichnung mit ihren kranzartig um das stumpfe 
Ende gewundenen Wurmlinien übertrifft in ihrer Vollendung und 
Eigentümlichkeit alle anderen Anpassungserscheinungen,“ 

Um nun eine richtige Beurteilung dieser Anpassung zu gewinnen, 
zieht Verfasser zum Vergleich verwandte Formen heran, wo wir oft 
eine große Übereinstimmung mit den Eiern der Pflegeeltern finden. 
So legt der Häherkuckuck (Coceystes glandarius L.) seine elsternartig 
gefärbten Eier in die Nester der Elster oder Nebelkrähe, während 
Ohaleococeyz maculatus Gm. seine einfarbig rotbraunen Eier zu den 
ebenfalls einfarbig rotbraunen Eiern von Neornis und Horornis legt. 
Die Pflegeeltern von Ooceystes jacobinus Bodd. sınd die Orateropus-Arten, 
die ebenso wie jener einfarbig blaue Eier legen. Der Koel, Eudynamis 
niger Cab., legt seine Eier ausschließlich in die Nester der beiden 
indischen Krähen Corvus culminatus und splendens Vieill., deren Eiern 
das- Koelei sehr ähnlich ıst. In allen diesen Fällen ist es also voll- 
auf berechtigt, von einer Mimikry der Kuckuckseier zu sprechen. 

„Das Schmarotzertum des Kuckucks, führt der Verfasser aus, 
hat sich offenbar in der Weise entwickelt, daß die Vögel anfingen, zu 
mehreren ein- und dasselbe Nest zu benutzen und gemeinschaftlich 
zu brüten, wie es bei einigen ausländischen Kuckucken heute noch 
der Fall ist (z. B. bei der amerikan. Kuckucksgattung der Maden- 
fresser, Orotophaga). Mit der Zeit gewöhnten sich dann einzelne In- 
dividuen das Brüten ab, andere folgten ihnen, bis dann schließlich 
der Brutinstinkt ganz verloren ging, womit gleichzeitig auch der Trieb 


ei 





7 H. Wachs, Zur Ähnlichkeit der Kuckuckseier. 


zum Nestbau erlosch. Von diesem Augenblick an waren aber die Vögel 
gezwungen, ihre Eier in die Nester fremder Vögel zu legen, und es 
ist nur natürlich, daß sie die Nester solcher Vogelarten wählten, deren 
Eier den ihrigen möglichst ähnlich waren, die sie also gewissermaßen 
für Eier ihrer Artgenossen hielten. So brachte denn Coceystes glandarius 
seine elsternartig gefärbten Eier in den Nestern der Elster und Krähe 
unter, Coccystes en seine blauen Eier in den Nestern der Ora- 
teı opus-Arten usw. Bei dem einheitlichen Typus der Eier dieser aus- 
ländischen Kuckucke läßt sich auf diese Weise die Anpassung ganz 
einfach und natürlich erklären.“ 

Da nun die meisten Eier unseres Kuckucks denen der Garten- 
grasmücke ähneln (502 Eier in 481 Gelegen), und fast zwei Drittel 
des Materials in Nestern der Gartengrasmücke :gefunden. wurde, 
nimmt Verfasser an, daß das ursprüngliche Kuckucksei in seiner 
Färbung dem Gartengrasmückenei glich. Dann wird klar, daß unser 
Ruckuck bei seinem Übergang zum Brutschmarotzertum ebenso wie 
die oben erwähnten land Kuekucke zunächst ausschließ- 
lich solche Vogelarten als Pfleger gewählt haben wird, die möglichst 
ähnliche Eier legten, also in erster Linie die Grasmücken. Da die 
Eier der Gartengrasmücke stark variieren, war, wenn das gleiche für 
die ursprünglich grasmückenähnlichen Bier des Kuckucks zutraf, von 
vornherein eine gewisse Ähnlichkeit mit den Eiern vieler Singvögel, 
wie der Stelzen, Pieper, Fliegenfänger und Würger vorhanden, die 
dem Kuckuck bei seinem Schmarotzertum zugute kam. Seine Eier 
brauchten also den Eiern vieler Pfleger nicht erst angepaßt zu werden, 
sondern die Möglichkeit einer Mimikry war bis zu einem gewissen 
Grade bereits ee 

Nun finden sich aber in einigen Fällen besondere Anpassungen 
an andere Färbungstypen; so wurde oben schon die ganz hervor- 
ragende Anpassung in einem Gelege von Emberiza ciopsis erwähnt; 
an findet sich im nördlichen Europa besondere Anpassung an die 
Eier des Bergfinken, im südlichen Europa an die Eier der Orpheus- 
grasmücke, wie dies für 5 Fälle aus 3 verschiedenen Gegenden (Her- 
zegowina, Dalmatien, Malaga) nachgewiesen wurde. Hr wären auch 
de einfarbig blauen Kuckuckseier in den Nestern des Gartenrötels 
(sollen vor allem in Finnland häufig sein) zu nennen. Wenn wir nun 
annehmen, daß das Kuckucksweibchen mit Vorliebe derjenigen Vogel- 
art sein Ei unterschiebt, von der es selbst großgezogen wurde, so 
ließen sich diese besonderen Anpassungen durch die Selektion er- 
klären: „Dadurch, daß alle unähnlichen Eier von den Nestinhabern 
stets entfernt, und nur die ähnlichen angenommen wurden, wurde in 
den verschiedenen Gegenden mit der Zeit ein Kuckucksstamm heran- 
gezüchtet, dessen Eier sich durch eine große Anpassung auszeichnen.“ 
Dabei wären die einfarbig blauen Kuckuckseier in den Nestern des 
Gartenrotschwanzes und die eigentümliche Anpassung im Emberixa 
ciopsis-Gelege offenbar aus besonderen Variationen herangezüchtet 
worden. 





H. Wachs, Zur Ähnlichkeit der Kuckuckseier. 373 


Bei diesem Gedankengang ist aber stillschweigend vorausgesetzt, 
daß die Stiefeltern die unähnlichen Kuckuckseier entfernen; wie steht 
es hiermit? Versuche, die mit dem Unterschieben „fremder Eier ım 
Nest“ gemacht wurden, haben gezeigt, daß sich verschiedene Vogel- 
arten verschieden verhalten: die Raubvögel nehmen fremde Eier ohne 
weiteres an, während die Singvögel zum Teil auf derartige Eingriffe 
reagieren, was bei den Ammern und anscheinend auch bei der Amsel 
und Misteldrossel wieder stärker hervortritt als bei vielen anderen 
Arten. Es verhalten sich aber auch die einzelnen Individuen der 
gleichen Art eventuell verschieden. Zu den eignen Eiern hinzuge- 
fügte einzelne fremde Eier werden von den Singvögeln vielfach an- 
genommen, noch leichter ein volles vertauschtes Gelege. Nicht an- 
genommen wird ein einzelnes fremdes Ei, das an Stelle des entfernten 
eignen Geleges ins Nest gelegt wird (wie nicht anders zu erwarten 
war! Referent). 

Da hiernach feststeht, daß auch unangepaßte Eier angenommen 
werden (wie ja auch die unähnlichen Kuckuckseier bebrütet werden), 
scheint dem Verfasser eine natürliche Auslese hier nicht wirksam 
und daher nicht für die Erklärung der besonderen Anpassung der 
Kuckuckseier heranzuziehen. Da nun aber „eine so ausgeprägte Miı- 
mikry, wie wir sie außer bei den Sylvien auch ın den Gelegen vom 
grauen Fliegenschnäpper, rotrückigen und rotköpfigen Würger, weißen 
und gelben Bachstelze und besonders bei Eimberixa ciopsis finden, we 
sie geradezu verblüffend wirkt, unmöglich übersehen oder als eine 
Laune des Zufalls betrachtet werden kann, handelt es sich hier offen- 


bar um ein Naturgesetz, dessen Erkenntnis weiterer Forschung vor- 
behalten ist.“ 


Zu diesen hervorragend schönen und gedankenreichen Untersuch- 
ungen des bekannten Autors möchte ich mir noch einige Bemerkungen 
erlauben. Die Feststellung, daß manche Singvögel auch unähnliche 
artfremde Eier, seien es durch Menschenhand untergeschobene, seien 
es ähnliche Kuckuckseier, annehmen, schließt, wie wir ım Gegensatz 
zum Verfasser scheint, eine ‚Auslese‘ der passenden Eier doch nicht aus. 
Lucanus betont (S. 257), daß eine Anpassung des Kuckuckseies nur 
dann erzielt werden kann, wenn alle Eier, die den Nesteiern un- 
ähnlich sind, regelmäßig dem Untergang preisgegeben werden. Mir 
hingegen scheint, daß der Unterschied im Effekt bei der Vernichtung 
aller unähnlichen Eier bezw. bei der Vernichtung nur eines Teiles 
der unähnlichen Eier kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller 
ist: ım ersteren Falle würde der Enderfolg, „vollkommene Anpassung 
in allen Fällen“, schneller erreicht werden, so aber finden wir außer 
den angepaßten Eiern, den „geeigneten“ im Darwinschen Sinne, eben 
gelegentlich auch noch „ungeeignete‘ — unangepaßte. 

42. Band 1 


[0 0) 





974 H. Wachs, Zur Ähnlichkeit der Kuckuckseier. 


In Wahrheit liegen die Verhältnisse viellache noch ein wenig 
anders: bei denjenigen Arten der Pflegeeltern, die andersartige Eier 
„nicht leiden mögen“, findet deren Ausmerzung statt, hier stellen wir 
dann statistisch „Ähnlichkeit“ fest, bei anderen Pflegeeltern, die weniger 
empfindlich sind, finden wir öfter „unähnliche“. Zu den ersteren mögen 
unter anderem die Bachstelzen und Gartengrasmücken gehören; ge- 
rade die letzteren würden so bei uns die ursprüngliche, typische alte 
Arzteichnung des Kuckuckseies. „erhalten“, „bewahren“. Die Tatsache, 
daß die in Grasmückennestern gefundenen Kuckuckseier fast zwei 
Drittel des Gesamtmaterials ausmachen, zeigt, daß bei uns noch die 
überwiegende Anzahl der Individuen (Kuckucke) den alten Typus des 
Eies bewahrt hat. Neben diesem Haupttyp kommen aber immer 
wieder variierende Individuen (Abirrungen) vor, bezw. ganze Familien 
(genealogische Familien!), denen ein anderer Eityp eigen ist. Solche 
Individuen suchen nun ihrerseits nach Nestern, in denen die Eier ähn- 
lich ausschauen wie das eigene Ei! Denn ich halte mit Bestimmtheit 
dafür, daß auch das einzelne Kuckucksindividuum wie jedes Vogel- 
individuum sein Ei kennt! Gerade dieser außerordentlich wichtige 
Umstand darf nicht unberücksichtigt bleiben! Denn die ursächliche 
Verknüpfung der Tatsachen wird danach eine vollkommen andere: es 
ist nicht so. daß der Kuckuck ein blaugrünes Ei legt, wenn er oder 
weil er zu einem Gelege des Gartenrotschwanzes hinzulegt, — nein, 
umgekehrt: weil dieses Kuckuckindividuum blaugrüne Eier legt, sucht 
es nach Nestern, die ähnliche Eier enthalten, ganz genau wie der 
Autor dies für die angeführten ausländischen Kuckucke angibt. Es 
ist doch nicht die „Art“, die die Nester sich aussucht, sondern je- 
weils das „Individuum“! 

Wird nun z. B. für solch blaugrüne Eier das geeignete Nest ge- 
funden, dann gelingt die Nachzucht; und sıe gelingt in diesem Falle 
eben nur oder wenigstens vorzugsweise ım Nest des Gartenrot- 
schwanzes. Ganz vn ee gilt natürlich dann z. B. ım 
Norden für die Individuen, die Bennen ähnliche Eier legen bezw. 
im Süden für solche Individuen, deren Eier denen des Orpheussängers 
ähnelten. Gerade die ın die Bergfinkennester bezw. in die Orpheus- 
sängernester gelegten Eier wurden erbrütet und lieferten Nachzucht! 
So bekommen wir neben der alten Stammrasse mit dem Eityp der 
„Grasmücken-ähnlichen“ neue genealogische Familien mit den Ei- 
typen der „Bergfinken-ähnlichen“ und der „Orpheussänger-ähnlichen‘‘. 

Auf diese Art könnten sich beim Kuckuck biologische Rassen 
entwickeln, die, äußerlich gleich, sich durch die Eitypen und Wahl 
des Wirtes unterscheiden würden — wenn, ja wenn die Kuckucks- 
weibchen parthenogenetisch wären! Denn es ist höchst wahrscheinlich, 
daß kein unmittelbarer Anlaß gegeben ist, der „blau-euge‘ Männ- 
chen gerade nur mit „blau-eiigen‘‘ Weibchen sich paaren ließe, es 
liege denn der Fall vor, daß ein bestimmter Typ innerhalb eines be- 
stimmten Lebensraumes vorherrsche. 


R ii 
y N AT 
Bi 


H. Wachs, Zur Ähnlichkeit der Kuckuckseier. 375 


So wird, vor allem in geographisch-biologisch einheitlichen Ge- 
bieten, immer wieder eine „Rückkreuzung“ mit der Stammrasse 
(Gartengrasmückeneiertyp) oder Durcheinanderpaaren der neuen Ei- 
typenrassen stattfinden ; dadurch ergibt sich eine unendliche Mannig- 
faltigkeit der Eifärbungen, zumal unter Berücksichtigung der offenbar 
großen individuellen Variationsbreite. Natürlich werden auch die un- 
glücklichen Nachkommen solcher Kreuzungen („Zwischenrassen“ könnten 
wir sie nennen, wobei so ziemlich jedes solche Individuum eine be- 
sondere Zwischenrasse wäre) bestens bestrebt sein, geeignete Nester 
zu finden; aber einerseits wird dies Bestreben aus Mangel an ent- 
sprechenden Nestern bezw. Eiern nicht zum Ziele führen, andererseits 
die wahrscheinlich starke Verschiedenheit der Eier solcher Individuen 
zu vielfachen Mißgriffen führen. So werden naturnotwendig jahrein- 
jahraus viele „unähnliche“ Eier abgelegt werden müssen — wie viele 
wir finden, wird abhängen von drei Momenten: 1. dem lokalen Vor- 
handensein atypischer Individuen (Individuen mit Eiern, die keinem 
bestimmten Typ entsprechen und unter sich stark variieren); 2. dem 
Grad der „Auslese“, die die Wirtsvögel eventuell treffen; und 3. dem 
Grade und der Art der Durchforschung der Gegend. 

Aus diesen Gedankengängen wird: verständlich, 

1. daß die überwiegende Anzahl der Kuckuckseier sich in Nestern 
der Gartengrasmücke findet und diese sämtlich ähnlich sind: der „Typ“ 
der Gartengrasmückeneier entspricht dem alten Eityp von Ckeulus 
canorus,; die Nester bezw. Eier der Gartengrasmücke werden daher 
von den meisten Kuckucksweibchen als „geeignet“ angesehen; 

2. daß sich auch in anderen Nestern „sehr ähnliche‘ bezw. „her- 
vorragend angepaßte‘“ Eier finden können: in diesen Fällen hat ein 
Kuckucksweibehen mit abweichendem Eityp ein „geeignetes‘‘ Nest 
gefunden; 

3. daß ın verschiedenen Gegenden an Stelle oder auch neben den 
Gartengrasmückennestern auch in anderen Nestern (Gartenrotschwanz, 
vor allem in Finnland; Bergfink, im Norden; Orpheussänger, im Süden) 
sich oft oder meist oder regelmäßig ‚gut angepaßte“ Eier finden: 
hier ist neben dem Haupttyp oder dem alten Typ ein neuer Typ in 
Ausbildung begriffen und darin schon mehr oder weniger weit fort- 
geschritten; 

4. daß sich auch unähnliche Eier finden, eventuell auch in Nestern 


solcher Arten, wo ebenso oft ähnliche Eier gefunden werden: die 


ähnlichen stammen von Weibchen reineren Typs, die zielsicherer 
auswählen, die unähnlichen von Weibchen gemischten Typs, bezw. 
solchen, deren Eier unter sich stark variieren, sodaß ıhnen eine 
sichere Auswahl unmöglich wird, oder von solchen Weibchen, die 
sehlecht wählten bezw. geeignete Nester nicht fanden. 


Ungeklärt aber bleibt hiernach noch, wie es kommt, daß diejenigen 
Eier, die sich bei Phylloscopus und Troglodytes fanden, regelmäßig 
18* 


276 H. Wachs, Zur Ähnlichkeit der Kuckuckseier. 


unähnlich waren! Die Frage ist sehr wesentlich vor allem ım Hin- 
blick auf die außerordentlich hohe Zahl der Eier aus den Nestern 
des Zaunkönigs (120 Eier aus 109 Nestern) und müßte vielleicht ein 
wenig anders, etwa so lauten: „Wie kommt es, daß die Kuckucks- 
weibchen ıhr Ei so überaus häufig ın das Nest eines Zaunkönigs 
bringen, obgleich dessen Eier keiner Variation des Kuckuckseies 
ähneln ?* 

Vergegenwärtigen wir uns genau den biologischen Vorgang: nach 
der Bauart des Zaunkönigsnestes ist es wohl in allen Fällen ausge- 
schlossen, daß das Kuckucksweibchen sein Ei hinein „legt“, wie man 
den Vorgang des Eierlegens für gewöhnlich im Sprachgebrauch kennt. 
Wenn das Kuckucksweibchen schon in vielen Fällen bei den anderen 
Nestern gezwungen sein wird, sein vorher abgelegtes Ei ins Nest zu 
„tragen“, so wird das für die Kuckuckseier ım Zaunkönigsnest regel- 
mäßig zutreffen! Der Kuckuck muß in diesem Falle sein Eı hinein 
tragen. Tut er dies bei den anderen Nestern, so erblickt er wohl 
meist die’ Eier, ebenso natürlich, wenn er sich zur Eiablage direkt 
aufs Nest setzt — im Zaunkönigsnest aber sieht er die Eier nicht. 
Er kann sie gar nicht sehen, da die Eingangsöffnung wohl immer 
durch seinen eignen Körper verdunkelt ıst. Sonach fehlt ihm hier 
die Kontrolle durchs Auge, die er in den übrigen Fällen doch meist 
ausüben kann. Gerade für die Nester des Zaunkönigs schaltet also 
die optische „Auslese“, die der legende Kuckuck trifft, aus — und 
gerade ın diesem Falle haben wır am typischsten die Ungleichheit 
zwischen Nesteiern und Kuckucksei. Ich glaube, die Sonderstellung, 
die das Zaunkönignest gerade hierin, in bezug auf die „Unmöglich- 
keit des Beschauens der Eier‘ einerseits und der „Unähnlichkeit“ der 
Kuckuckseier andererseits einnimmt, ist so auffallend, daß ein ursäch- 
licher Zusammenhang dieser beiden Erscheinungen bestehen muß! 

Wie die Verhältnisse für die Laubsängernester liegen, vermag 
ich nicht zu beurteilen, doch fällt ihre Zahl(9) gegenüber den Zaun- 
könignestern (109) ja viel weniger ins Gewicht. Von größtem Wert 
aber wird es sein, daß jeweils recht genau auf die Bauverhältnisse 
der Nester geachtet wird, in denen sich die Kuckuckseier finden, 
immer unter Berücksichtigung der Frage: konnte. der Kuckuck sein 
Ei direkt im Nest ablegen oder mußte ers hineintragen und konnte er 
dabei die Eier sehen? Auf dies letztere kommts besonders an! Wie 
wertvoll wäre das Berliner Material, wenn die Finder jeweils hierauf 
geachtet hätten! Bei dieser Gelegenheit sei eine Bemerkung über die 
Farbentafel der Kuckuckseier im Naumann gestattet; ich habe mich 
vergebens bemüht zu finden, nach welchem Prinzip die Abbildungen 
auf der Tafel geordnet sind, ich finde keines! Wie übersichtlich und 
wertwoll würde diese Tafel, wenn die Eier aus artgleichen Nestern 
beisammen ständen! Oder wenn sie schließlich auch nach den Fund- 
orten geordnet wären, möchte’s noch sein, So aber ist diese Tafel 
von einer Unübersichtlichkeit, die ihren Wert und Benutzbarkeit denk- 
bar stark mindert! 





DE 





H. Wachs, Zur Ähnlichkeit der Kuckuckseier DT 


m 


Nach dieser Annahme übergibt das Kuckucksweibchen dem Zaun- 
könignest sein Ei also jeweils ohne optische Kontrolle der „Stief- 
geschwistereier“. Wie erklärt sich aber die Häufigkeit gerade dieser 
Wahl? Oder, anders gefragt: „Wie kommt es, das viele Kuckucks- 
weibchen eine Vorliebe für Zaunkönignester haben?“ Wenn es richtig 
ist, daß der Kuckuck solche Nester bevorzugt, die seiner eignen Wiege 
gleichen, so würden die Zaunkönignester bevorzugt von Kuckucken, 
die in Zaunkönignestern erbrütet wurden. Das scheint auf den ersten 
Blick nur die Verschiebung des Problems um eine Generation zu 
sein, doch dem ist nicht so. Während diejenigen Kuckucke, die in 
irgend einem anderen Singvogelnest erbrütet sind, sich bei der Aus- 
wahl des Nestes für ihre Eier mehr durch die Eier im Nest als durch 
die Form des Nestes leiten lassen mögen, wird bei den Zaunkönig- 
kuckucken gerade und ausschließlich die Form des Nestes, der Ha- 
bitus des Nestes maßgebend sein. Hierdurch tritt das Zaunkönignest 
abermals in Gegensatz zu allen anderen Nestern: alleın das 
Zaunkönignest wird als „Nest“ wiedererkannt, alle (?) anderen aber nach 
den Eiern. Haben wir als Ausgangsmaterial auch nur einen Zaun- 
könig-Kuckuck, so ist dieser besser gestellt als alle seine Geschwister: 
jene müssen in den Nestern der verschiedensten Singvögel herum- 
suchen, er aber erkennt den Platz, wo er hin muß, am „Typ‘ des 
Nestes. 

Und noch ein weiterer Umstand mag die zahlenmäßige Über- 
legenheit der „Zaunkönig-Kuckucke“ veranlaßt haben: die Schwierig- 
keit für den „Wirt“, das Kuckucksei zu entfernen. Immerhin, wollte’s 
der Zaunkönig unbedingt, so würde er wohl Mittel finden, sich seiner 
zu entledigen. Aber daß er’s nicht tut, ist Tatsache. Diese zwei 
Momente, der besondere „Typ“ des Nestes und die stetige Duldung 
der Kuckuckseier haben, nach dieser Auffassung, die große Zahl der 
Zaunkönig-Kuckucke, d. h. solcher Kuckucke, die Zaunkönignester be- 
vorzugen bezw. in ihnen erbrütet wurden, begünstigt; die Unmöglich- 
keit für den Kuckuck aber, die betreffenden Wirtseier zu sehen, be- 
dingt den Mangel einer Anähnlichung der betreffenden Kuckuckseier 
an die Eier des Zaunkönigs. 


Ich glaube, daß wir unter Berücksichtigung all dieser Verhält- 
nisse doch recht gut in die ursächlichen Zusammenhänge hineinschauen, 
die jeweils die „Ähnlichkeit“ bezw. „Unähnlichkeit‘‘ der Kuckuckseier - 
bedingen. Es ist nicht ein Naturgesetz, das hier, unserer Erkenntnis 
verschlossen, waltet, sondern es handelt sich um eine Vielheit mit- 
einander eng verknüpfter Erscheinungen, die, selbst Folge und wiederum 
Ursache, ein z. Z. noch mannigfaltig wechselndes Geschehen bedingen. 
Wir haben hier einen Fall vor uns, wo eine biologische Erscheinung 
noch nicht im typischen, durch Jahrtausende erprobten, ‚„‚eingefahrenen‘ 
Gleise läuft, sondern wo es sich um ein „Werden“, ein unter unseren 
Augen sich vollziehendes „Versuchen“ handelt. Mannigfaltig sind die 


378 W. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 


Umstände, die, teils als äußere Faktoren (z. B. Farbe, Sichtbarkeit der 
Nesteier, Habitus des Nestes, Kombination der Paarung), teils als 
innere Faktoren (z. B. Variabilität des Kuckuckseies, Geschick des 
Weibehens zur Auswahl, Duldung oder Nichtduldung des Eies durch 
die Stiefeltern) dies biologische Geschehen beeinflussen. Freuen wir 
uns, einen solchen Fall gefunden zu haben, und achten wir auf alle, 
alle Feinheiten, damit wir einmal wirklich sagen können, warum es 
in diesem Spezialfalle so wurde, wie es kommen wird. Denn, dies 
mögen wir uns vor Augen halten, welches biologische Phänomen, 
vor allem aber welcher Vorgang in der Phylogenese, und seis auch 
nur die Genese zweier biologischer Arten, kommt so schnell zum Ab- 
schluß, daß die kurze Spanne Zeit eines Naturforscherlebens aus- 
reichen möchte, Beginn und Abschluß zu schauen’? 
Rostock, den 14. Januar 1922. 


Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 
III. Teil. | 
Depressionen und Lebensdauer bei Hydren. 
Von Wilhelm Goetsch, München. 


Mit 3 Abbildungen. 


Neben der geschlechtlichen Fortpflanzung gibt es im Lebenszyklus 
der Hydren noch Momente, die für die Existenz des Individuums gefähr- 
lich sind: die als Depression bezeichneten Erscheinungen, auf die ein 
jeder, der Hydren längere Zeit beobachtete, aufmerksam geworden ist. 

Der Name Depression für diese Zustände stammt von R. Hert- 
wig. Er übertrug die von Calkins für besondere Erscheinungen der 
Protozoenkultur eingeführten Bezeichnungen auf die Hydren, da sie 
mit dem dort oftmals gefundenen periodischen Stillstand der Lebens- 
funktionen übereinstimmten. „Auch bei Hydra treten. Perioden auf, 
in denen Nahrungsaufnahme, Assimilation und Knospung in Stockung 
geraten 1);“ und solche sind dann immer von ganz bestimmten morpho- 
logischen Veränderungen des Hydrakörpers begleitet, von denen ein 
eroßer Prozentsatz der Individuen sich nach den verschiedenen Beob- 
achtungen nicht wieder erholen kann. In den Kulturen von Böcker?) 
starben z. B. während einer seiner Depressionsperioden von 260 Tieren 
231, in anderen Fällen ging die ganze Kultur vollkommen ein, sodaß 
man in diesen Zuständen den normalen Tod der Süßwasserpolypen zu 
sehen glaubte. Für unsere Betrachtungen erhebt sich demnach die 
folgende Frage: 


1) Koch, W., Über die Geschlechtsbildung und den Gonochorismus von: Hydra 
fusca. Biolog. Zentralbl. Bd. 31, 1911. 











W. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 379 


Sind die Depressionen der Hydren ein natürlicher 
Worganaıder unbedines früher.oder später'zum Tode 
der Individuen führt? 

Oder lassen sie sich vermeiden, oder wenigstens in ihrem Ablauf 
so beeinflussen, dab kein Tod eintritt? 

Der Verlauf der Depressionen ist von früheren Beobachtern ?) oft- 
mals so ausführlich behandelt worden, daß eine genauere Beschreibung 
nur Bekanntes wiedergeben würde ®). Die Anzeichen des Beginns einer 
solchen Periode sind stets knopfartige Deformationen der Tentakel, denen 
dann Verkürzungen und Schrumpfungen folgen. Bestimmte Reduktionen 
des gesamten Körpers charakterisieren die folgenden Stadien, und das 
Ende ist in den meisten Fällen eine Auflösung des Tieres, sofern nicht 
ein Stillstand in der Rückbildung eintritt, von dem aus eine Restitution 
erfolgen kann. Eine derartige Restitution ist unter gewissen Umständen 
auch nach verhältnismäßig schweren Schädigungen noch möglich; wir 
werden später einen solchen Fall zu behandeln haben, wobei sich dann 
die Gelegenheit ergibt, auf einzelne Momente der Depressionen etwas 
näher einzugehen. 

Über die Ursachen, welche die Depressionserscheinungen her- 
vorrufen, sind schon die verschiedensten Ansichten geäußert worden. 
Man hat die Depression für einen normalen Zustand im Lebensrhythmus 
der Hydren gehalten; nach Krapfenbauer#) sollen sie. z. B. immer 
der Sexualperiode vorangehen. Das hat sich nicht als richtig erwiesen, . 
im Gegenteil treten für gewöhnlich Tiere, welche Depressionen hinter 
sich haben, nicht in Hoden- und Ovarbildung ein). 

Die Angaben, die Böcker®) über die auslösenden Faktoren der 
Depressionen macht, lassen immer auf eine äußere Ursache schließen 
und auch andere Autoren geben Hunger oder Überernährung, Hitze 
oder Kälte sowie andere schädigende Einflüsse des Milieus an. 

Damit steht es eigentlich überhaupt im Zweifel, ob nicht in der 
Hauptsache alle der beobachteten Depressionen in äußeren Faktoren 
ihre Ursache haben und die vieljährigen Beobachtungen meiner Hydra- 
kulturen haben dazu geführt, die Zweifel zu verstärken. 

Besonders meine letzten Versuche, Hydren über mehrere Geschlechts- 
perioden ungefährdet zu erhalten °), trugen dazu bei, in den Depressions- 
erscheinungen nicht immer normale Zustände zu sehen. 


2) Boecker, Depression und Mißbildung bei Hydra. Zoolog. Anzeiger 1914, 
S2 00. 

3) Hertwig, R., Über Geschlechtsentwicklung und Knospung von Hydra fusca. 
Biolog. Zentralbl. Bd. 26, 1906. 

Frischholz, E., Zur Biologie von Hydra. Biolog. Zentralbl. Bd. 29, 1909. 

4) Krapfenbauer, A., Einwirkung der Existenzbedingungen auf Hydra. Diss. 
Phil. Fak. München 1908. 

5) Koch, W., Über die Geschlechtsbildung und den Gonochorismus bei Hydra. 
Biolog. Zentralbl. Bd. 31, 1911, S. 143. 

6) Boeeker, Depression und Mißbildung bei Hydra. Zoolog. Anz. Bd. 44, 
1914, S. 77. 

7) Goetsch, .W., Hermaphroditismus und Gonochorismus bei Hydrazoen I—IIT. 
Zoolog. Anz. Bd. 54, 1912. 


280 W. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 


Meine Versuche bedingten eine Kulturmethode, die den Tieren die 
allergeünstigsten Bedingungen boten. Die übliche Art und Weise, Hydren 
allein in Glasschalen zu halten, wie sie u. a. auch Hase®) bei seinen 
letzten Untersuchungen angibt, schienen mir auf Grund meiner Erfah- 
rungen noch nicht ganz das Richtige zu sein; die Tiere erlitten trotz 
aller Sorgfalt und oftmaligen Wasserwechsels doch ab und zu Schädi- 
sungen, die sich auch durch künstliche Durchlüftung der Schalen nicht 
vermeiden ließen). Ich modifizierte daher die Art der Behandlung 
etwas, nachdem ich die Bemerkung gemacht hatte, daß die Tiere in den 
größeren Kulturgläsern mit Wasserpflanzen und Bodensatz, Schnecken 
und anderen Mitbewohnern von krankhaften Zuständen auch zu Zeiten 
verschont blieben, in denen die in reinem Wasser gehaltenen Einzel- 
tiere trotz größter Sorgfalt an Depressionen litten. Es mußte nur in den 
Aquarien für rechtzeitige Entfernung verwesender 'Tierteile Sorge ge- 
tragen und das Wasser ab und zu erneuert werden, um sie gesund zu 
erhalten. Letzteres geschah bei Böcker!0) nicht, der im Gegenteil 
betonte, daß eine Wassererneuerung vermieden wurde. 

Auf Grund dieser Erfahrungen hielt ich nun auch die Einzelindi- 
viduen in Gläsern, denen Wasserpflanzen und kleine Tellerschnecken 
beigegeben waren. Etwaiger Bodensatz wurde nicht sofort entfernt, so 
lange ihm nicht Reste von Beutetieren beigemengt waren; für deren 
rechtzeitige Entfernung wurde dagegen Sorge getragen, ebenso für den 
Zusatz von Wasser derselben Qualität und eine gänzliche Erneuerung 
des Inhalts, sofern sich Anzeichen von Verpilzung geltend machten. 

Bei dieser Kulturführung gelang es mir meist monatelang die Tiere 
zu erhalten, ohne daß Depressionen eintraten. Es wurden zum min- 
desten solche vermieden, die nicht wieder rückgängig gemacht werden 
konnten, nachdem die Ursache erkannt und abgestellt worden war. 

Das war manchmal nicht leicht; besonders die Hitze des Sommers 
1921 machte meinen Kulturen viel zu schaffen. 

Diese Hitzedepression, deren Verlauf in der folgenden Tabelle regi- 
striert ist, nahm den üblichen Verlauf: erst fanden sich Tiere mit ge- 
knöpften Tentakeln (D), dann solche mit reduzierten Fangarmen (DD); 
bei einigen kam es sogar zu einem vollständigen Schwund dieser lebens- 
wichtigen Organe (in der Tabelle mit DDD bezeichnet), z. B. bei den 
unter Nr. 1 und 7 angeführten Hydren. Daß es so weit kommen konnte, 
lag an dem zu späten Erkennen der Ursache und der Unmöglichkeit, 
sofort die nötigen Gegenmaßnahmen treffen zu können. Mir wurde aber 
gerade dadurch Gelegenheit gegeben, einige neue Beobachtungen über 
diese Zustände zu sammeln. 

Die ersten Zeichen der Depressionen machten sich am 24. Juli 
bemerkbar; fast alle Tiere hatten zu dieser Zeit leicht geknöpfte Ten- 


8) Hlase, A., Über die deutschen Süßwasserpolypen. . Arch. f. Rassen- u. Gesell- 
schaftsbiologie VI. Jahrg. 1909. 

9) Vergl. Frischholz,E., Zur Biologie von Hydra. Biolog. Zentralbl. Bd. 29, 1909. 

10) Boecker, Depression und Mißbildung bei Hydra. Zoolog. Anz. 1914, S.76. 





W. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 281 


takel. Nachdem die Standorte gewechselt waren und die Gläser mit 
nassen Tüchern bedeckt wurden, trat bei den meisten Exemplaren ein 
Stillstand in dem krankhaften Zustand ein und viele waren schon nach 
einer Woche wieder imstande, selbständig Beute zu fangen und Knospen 
auszubilden. Damit war das Ende der Depression erreicht; in der 
Tabelle ist dies mit B.Kn. ausgedrückt. 





















































Tabelle I. 
| un 

Nr. \veichnung viduen bieAntang| Mitte |». —27.8.—29.30.—31.|1.—2.|8.—5.|6.—8. 

HerKullin Zahl Tel Juli | Juli Juli Juli | Aug. | Aug. | Aug. 
1 Gyn. 2 Ovar Kn. DDP? RE RF BKn | — — 
Di An. 5 Hoden | Kn. | D DF DF RFB | BKn _ 
3% 7a. 5 Hoden | Kn. | DD DB DB RFB | BKn — 
Ar Ho. 5 Hoden | Kn. | D DB RB B BKn — 
D. Her. 3 Kn:ND | B B DB |RBKn BKn 
6. Met. 5 Ovar Kn. | D DF RB BRımı — 
T. Goe. 5 Ovar Kr. D DDDF DDR | DRF|RB BKn 
8. Nem: 2 Ovar Kn!%D | DDF | DEF DF |/DKn | BKn 

Sa. | 32 | | | | | . 

















Es bedeutet: 

Kn = Knospen-Bildung. 
D = leichte Depression; Tentakel geknöpft. 

DD = stärkere Depression; Tentakel reduziert. 

DDD = schwere Depression mit Tentakel-Verlust. 

R = beginnende Restitution. 
F = dargereichtes Futter wurde aufgenommen. 
B = Beute wurde selbständig gefangen. 


Bei einigen Hydren traten jedoch nicht so bald normale Verhält- 
nisse ein; besonders die Kultur Goe. machte starke Reduktionen durch. 
Am 29. Juli waren einige Tiere derselben ganz oder fast ganz ten: 
takellos, sodaß ich sie schon verloren gab. Trotzdem hielt ich ihnen 
einige zerquetschte Daphnien vor, und wirklich streckten sich darauf 
die zusammengezogenen Tiere aus und begannen die typischen Schling- 
bewegungen. Der Mund wurde geöffnet (Abb. 1 und 2) und die Ento- 
dermzellen begannen sich über die Beute hinüberzustülpen !1). Die Zer- 
störung hatte also erst die Kopfpartie intensiv ergriffen, während die 
inneren Elemente zum Teil wenigstens davon verschont waren. Ohne 
die künstliche Hilfe wären sie aber ohne Zweifel ebenfalls beeinflußt 


11) Vergl. Goetsch, W., Ungewöhnliche Nahrungsaufnahme bei Hydra. Biolog. 
Zentralbl. Bd. 41, 1921. 





382 W. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 


worden; einzelne müssen auch schon stark angegriffen gewesen sein, 
denn im Laufe des folgenden Tages wurde eine Masse abgestorbener 
Jıellen ausgestoßen (Abb. 2). Durch die dargereichte Nahrung, so 
müssen wir annehmen, waren nun die intakt gebliebenen Entodermzellen 
befähigt, aufbauende Stoffe aufzunehmen, mit deren Hilfe sich dann 
die Hydra restituieren Konnte. 





Abb. 1. Abb. 2. Abb. 3. 
Abb. 1. Depressions-Exemplare verschlingen Daphnien trotz Tentakelverlust. 
Abb. 2. Höhepunkt der Depression. Auswurf von Zellen. 
Abb. 3. Hydra nach überstandener Depression in Restitution überzählige Tentakel. 


Am 29. und 30. Juli waren alle Tiere der Kultur wieder im Be- 
einnen der Regeneration. Eines derselben bildete sogar Tentakel in 
Überzahl aus, wie die Abb. 3 zeigt, bei welcher noch nicht einmal alle 
der 15 Fangarme eingezeichnet werden konnten. Es kamen zu dieser 
Zeit immer noch Materialausstoßungen vor, während welcher die Auf- 
nahme von Nahrung verweigert wurde; fanden solche nicht statt, so 
fraßen die Tiere dargereichte Beute gierig, auch wenn die Tentakel 
vollständig unfähig waren, dabei mitzuwirken. 

Am 1. August konnten die Fangarme wieder ihre Funktion er- 
füllen, aber erst am 5. August waren die Depressionserscheinungen so 
verwischt, daß normale Verhältnisse bei dieser am schwersten geschä- 
digeten Kultur verzeichnet werden konnten. | 

Bei den Tieren der übrigen Gläser waren ähnliche Erscheinungen 
zu beobachten, wenn auch niemals in ganz so schwerem Maße; alle er- 
holten sich mit mehr oder weniger künstlicher Hilfe, nachdem alles 
getan worden war, die übermäßige Wärme zu dämpfen. Viele ‘von 
ihnen waren schon unfähig gewesen, Nahrung zu fangen; wohl aber 
nahmen sie Futter an, wenn man es ihnen vor die Mundöffnung hielt. 


Daphnien. 





W. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 383 


Bis zum 8. August waren sämtliche Tiere in Restitution und 
bildeten Knospen aus. Das Übermaß der Tentakel war da, wo es auf- 
getreten war, in Rückbildung zu normalen Verhältnissen. Kein ein- 
ziges der 32 Tiere war während dieser Zeit eingegangen. 

Die Bemühungen, die Kulturen zu retten, wurden also von Erfolg 
gekrönt. Alle Tiere waren am Leben geblieben, trotz der so großen 
Deformation mancher Exemplare. Wie bei den Geschlechtstieren ist 
auch hier die Ursache des so häufigen Todes in Materialmangel zu 
sehen; dort durch den Verbrauch bei Ei- und Spermabildung, hier durch 
das Absterben der Zellen infolge widriger Umstände. Wird dieser 
Materialmangel durch die Unmöglichkeit, selbständig sich passende Nah- 
rung einzuverleiben, zu groß, so gehen die Tiere ein. Wird dagegen die 
Regenerationskraft durch die immer noch mögliche Nahrungszufuhr 
unterstützt, so bleiben in beiden Fällen die Hydren am Leben. 

Damit wäre der Beweis geliefert, daß durch Hitze ausgelöste De- 
pressionen bei sorgfältiger Behandlung nicht zum Tode führen, und 
ebenso wird es sich wohl mit anderen Depressionsarten verhalten, so- 
bald es gelungen ist, die Ursache festzustellen. 

Diese Feststellung ist mir in vielen Fällen auch in der Tat ge: 
lungen. Auf alle einzugehen, würde zu weit führen. Eine einzige der 
auslösenden Ursachen möchte ich jedoch hier noch anführen, da sie 
meines Erachtens bisher nicht genügend gewürdigt worden ist: die Ver- 
unreinigung des Wassers durch Reste von Futtertieren, speziell von 

le 

Alle Krebsarten zersetzen sich sehr schnell, tote Daphienmassen 
geben schon durch ihren üblen Geruch ihre Schädlichkeit zu erkennen. 
Bei so empfindlichen Tieren wie den Hydren ist es zweifellos sehr 
verderblich, wenn die dünnen, ausgestreckten Tentakel von solchen 
Giftstoffen getroffen werden. Sie verkürzen sich dann und verlieren 
nach und nach die Fähigkeit Nahrung zu fangen, wenn sie, wie es in 
den verhältnismäßig kleinen Gefäßen gar nicht anders möglich ist, oft- 
mals den Wirkungen eingegangener oder nicht ganz verdauter Daph- 
nien 12) ausgesetzt sind. Bei einer Fütterung mit Oyclops und verwandten 
Formen ist die Gefahr nicht so groß wie es scheint; schon früher hatte 
ich einmal die Erfahrung gemacht, daß bei dieser Art der Beute die 
Hydren weniger leicht Depressionen erleiden 13). Es liegt dies wahr- 
scheinlich daran, daß die Oyclopiden nicht so schnell absterben wie 
die Daphnien, die in den kleinen Kulturgläsern meistens die erste 
Nacht nicht überleben. 

Vermutlich litten auch die Kulturen von Hase, auf die noch zu- 
rückgekommen wird, unter der Daphnia-Fütterung. Auch er hielt seine 
Hydren in reinem Wasser ohne Wasserpflanzen, Bodensatz und anderen 


12) Vergl. Nußbaum, M., Widerstand der Daphnienembryonen gegen die Ver- 
dauungssäfte der Hydren. Verh. d. naturh. Vereins d. preuß. Rheinlande 44, 1887. 
13) Vergl. die Tabelle S. 376 im Biolog. Zentralbl. Bd 41, 1921. 


284 W. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 


Lebewesen, wodurch die Futterreste leichter absorbiert zu werden 
scheinen. \ 

Nicht in allen Fällen braucht die Ursache der Depression so offen- 
sichtlich zu sein wie in den erwähnten Fällen. Manchmal waren die 
Bewohner von einer einzigen Schale allein in Depression, während die 
der übrigen alle gesund blieben, — trotz vollkommen gleicher Behand- 
lungsweise. Ein Umsetzen in andere Verhältnisse half immer, sodaß 
der Verdacht vorliegt, auch hier seien für die Depressionen vermeidbare 
Ursachen verantwortlich zu machen, die nur nicht kenntlich waren. 
Bekanntlich hat Hartmann bei seinen Eudorina-Zuchten ähnliche 
Erfahrungen gemacht 1#). 

Einige Beobachtungen machten mir diese Vermutungen beinahe zur 
Gewißheit. Wenn z. B. in einem Glase die Nachkommen ganz verschie- 
dener Individuen alle zu gleicher Zeit erkranken, während die übrigen 
Exemplare derselben Zuchten von Depressionen verschont bleiben, muß 
man doch wohl annehmen, daß hier keine normale Lebenserscheinung 
vorliegt, sondern eine Schädigung unbekannter Herkunft. 

Derartige Beobachtungen ließen sich oftmals machen. Sehr selten 
dagegen war die Erscheinung, die allein dafür spräche, dab die De- 
pressionen doch vielleicht im Lebensrhythmus der Hydren ein normaler 
Vorgang seien: der Fall nämlich, daß lediglich das eine oder andere der 
zufällig in einem Glas vereinigten Tiere von einer Depression betroffen 
wurde, während die übrigen gesund blieben. Man kann allerdings auch 
hier annehmen, daß gerade das eine Tier irgendwie aus unbekannter Ur- 
sache geschädigt sei, z. B., daß ein gefressenes Futtertier die patho- 
logischen Erscheinungen auslöste. Aber wenn auch wirklich vorausgesetzt 
werden würde, daß im Leben einer Hydra einmal eine Zeit des Still- 
stands vorkommt, der sich in solcher Weise äußert, so würde diese An- 
nahme für unsere Betrachtungen hier gleichgültig sein. Denn in den 
ganz wenigen Fällen, die mir von solchen ‚individuellen Depressionen“ 
vorkamen, waren die Hydren so wenig geschädigt, dab eine Erholung 
bald eintrat. 

Meine bisherigen Beobachtungen und Versuche lassen sich demnach 
dahin zusammenfassen, daß die Depressionserscheinungen im allgemeinen 
vermeidbar sind. Treten sie aber doch einmal auf, aus noch nicht fest- 
stellbaren Ursachen, so ist es bei einiger Sorgfalt und Kontrolle mög- 
lich, die Tiere zu erhalten und normale Verhältnisse herbeizuführen. 
Der unabwendbare Tod ist mit ihnen nicht verknüpft. 

Nach den Resultaten meiner Beobachtungen!?) müssen nun auch die 
Zahlen für die durchschnittliche Lebensdauer der Süßwasserpolypen 
berichtigt werden, die an vielen Stellen zitiert worden sind. Sie gehen 
zurück auf Untersuchungen von Hase). Er hielt seine Tiere einzeln 


14) Hartmann, III. Heft: Die dauernd agäme Zucht von Eudorina elegans. 
Arch. f. Protistenkunde Bd. 43, 1921. 


15) Vgl. hierzu auch den II. Teil dieser Untersuchungen. Biolog. Zentralblatt 


Bd. 42, 1922. 





es 





W. Goetsch, Beiträge zum Unsterblichkeitsproblem der Metazoen. 285 


in Glasschalen von ungefähr 80 ccm Inhalt, deren Wasser wöchentlich 
gewechselt wurde. Futter wurde gereicht an den Tagen, an welchen 
die Hydren auch kontrolliert wurden: in einem Zeitraum von 3 Tagen. 
Die Futterreste und die ausgeworfenen Daphnien blieben demnach tage- 
lang in dem Gefäß, wodurch meiner Meinung nach leicht die Depres- 
sionen herbeigeführt werden mußten, die nach Hases Angaben eine 
der Todesursachen waren. Bei seinen jungen, soeben abgelösten Knospen 
starben auch immer schon einige nach 3—6 Tagen, was nach meinen 
Erfahrungen nicht normal sein kann. 

Als durchschnittliche Lebensdauer bekam Hase bei dieser Art 
der Kulturführung für Hydra jusca (= der Gattung Pelmatohydra 
P. Schulze die Zahl von 55 Tagen, für Hydra grisea (= Gattung 
Hydra, der auch meine Versuchstiere hauptsächlich angehören) die Zahl 
von 95 Tagen, wobei er bei seinen Berechnungen die durch „gewalt- 
samen“ Tod eingegangenen Exemplare ausschließt. Unter diesen Be- 
griff werden auch die Fälle subsumiert, in denen eine auffällige Ver- 
pilzung vorlag. Mit vollem Recht, wie mir scheint. Nur müßten dar- 
unter auch die meisten anderen, an Depressionen eingegangenen Hydren 
eingereiht werden, und die. Exemplare wiederum, die an einer „Art von 
Altersschwäche“ starben, wären nach den angegebenen Symptomen den 
Depressionstieren zuzurechnen. 

Immerhin erreichten auch bei dieser Kulturmethode einige „grisea“ 
die Höchstzahl von 337 Tagen, während es „Jusca“ auf 112 Tage brachte. 

Diese Zahlen sind von meinen Versuchstieren noch nicht ganz er- 
reicht, da die Ältesten der Spezies grisea entsprechenden Angehörigen 
der Gattung Hydra erst im 10. Monat unter Beobachtung sind. Von 
den zur Kontrolle gehaltenen Pelmatohydren lebt das älteste Exemplar 
dagegen bereits 6 Monate und eine Chlorohydra hat trotz mehrmaliger 
Geschlechtsperiode bereits das Alter von 190 Tagen erreicht. Die durch- 
schnittliche Lebensdauer ist dagegen von all diesen Individuen erheb- 
lich überschritten worden. Um wieviel läßt sich bis jetzt noch nicht 
sagen, da die Tiere noch am Leben sind. Einige gingen allerdings auf 
einer Reise zugrunde, auf der ich sie der dauernden Kontrolle wegen 
mitzunehmen genötigt war; derartige unnatürliche Behandlungsweise 
kann aber selbstverständlich nicht in Betracht gezogen werden bei 
einer Berechnung der natürlichen Lebensdauer. 

Da während der 10 Monate dauernden Beobachtungszeit unter den 
wahllos ausgesuchten Tieren auch niemals ein Zeichen von AÄlters- 
schwäche bemerkbar war und andere Hydren über 2 Jahre lebten, isi 
nicht einzusehen, warum diese Individuen nicht auch noch länger am 
Leben bleiben, bei Abhaltung und Ausschaltung jeder Schädigung und 
der Möglichkeit. einer Restitution bei individuellen Depressionen und 
Sexualperioden sogar unsterblich sind. 

Vielleicht ergibt sich im Laufe einer Beobachtungszeit über meh- 
rere Jahre hinaus doch noch ein Grund notwendigen Absterbens für 
die Hydren. So lange "ein solcher aber nicht bekannt ist, müssen in 


386 Fr. Doflein, Macedonische Ameisen. Beobachtungen über ihre Lebensweise. 


der Theorie wenigstens die Hydren als ‚unsterblich gelten, d. h. als 
Organismen, die direkt oder indirekt aus dem Ei hervorgehen, heran- 
wachsen und nun, in ständigem Partialtod zwar wie jedes Lebewesen, 
das Individuum als solches erhalten, ohne daß Material eines anderen 
Individuums derselben Art zugeführt worden wäre. 

Diese Möglichkeit eines ewigen, individuellen Lebens liegt bei den 
Hydren daran, daß einige günstige Momente zusammenkommen. Zu- | 
nächst ist da die Unabhängigkeit der Teilkomplexe eines | 
Hydrakörpers zu nennen. Jeder Abschnitt kann dadurch auf dem Wege | 
der Regeneration das ganze Individuum erneuern, wenn Teile ver- 
loren gegangen sind; das ist der zweite Punkt. Drittens aber besitzt 
Hydra ein Material, das sowohl die Fortpflanzung als auch die Regene- 
ration bedingt: die sogenannten interstitiellen Zellen, die ihren 
Eigenschaften nach den ebenfalls unsterblichen Propagationszellen gleich- 
zusetzen sind. Stammen doch nach den Untersuchungen verschiedener 
Forscher lediglich von diesen interstitiellen Zellen Ei- und Sperma- 
elemente ab, sodaß man dieselben als eine besondere Differenzierung 
der ursprünglichen interstitiellen Zellen anzusehen berechtigt ist. 

Durch Zusammentreten all dieser Momente wird eine Hydra nach 
unserer jetzigen Erkenntnis wirklich zu einem Organismus, der dem 
notwendigen Tod aus inneren Ursachen nicht unterworfen ist, sondern 
ein immerwährendes Leben führen kann, so lange nur die äußeren Be- 
dingungen günstig sind und katastrophale Ereignisse vermieden werden. 

Wir müssen ein solches Individuum demnach als „unsterblich“ ansehen, 
sofern wir den Individualbegriff nicht einer Revision unterziehen wollen. 





Referate. 





Doflein, Fr.: Macedonische Ameisen. Beobachtungen 
über ihre Lebensweise. 
74 S. 10 Abb. u. 8 Taf. Jena, G. Fischer. 1920, Geh. 14 Mk. 


Doflein hatte in Macedonien Gelegenheit, das interessante Treiben der Körner 
sammelnden Messor-Arten eingehend zu studieren und dabei schon von anderen ge- 
machte Angaben teils zu bestätigen, teils zu ergänzen. Das Erwachen der Bautätig- 
keit im Frühjahr und die damit im Zusammenhang stehende Bildung der ringförmigen 
Erdwälle, die im Sommer vom Winde meist wieder ganz verweht werden, die Sammel- 
tätigkeit, das Putzen der eingetragenen Pflanzenteile, die Anlage der Vorratskammern, 
in denen die verschiedensten Samen sorgfältig gereinigt sich vorzüglich halten — an 
ihrer Keimung vermutlich dadurch verhindert, daß die Wandung durch ein Sekret der 
Ameisen gedichtet wird —, die Entstehung der Straßen und Abfallhaufen zieht am 
Leser vorüber. Die Bedeutung der Körnervorräte wird auch durch Doflein nicht 
völlig aufgeklärt. In der Gefangenschaft wurden sie nie angerührt, offenbar stellen sie 
vornehmlich die Nahrung für die Larven dar. Daß die Samen bei feuchtem Wetter 
herausgeschleppt und so zum Keimen gebracht werden, kann Doflein bestätigen. 
Vermutlich tun die Ameisen das, um das embryonale Gewebe zu vermehren, das ihnen 





M. Caullery, Le Parasitisme et le Symbiose. 2387 


besonders mundet, auch die vermehrte Umwandlung der Stärke in Zucker mag ihnen 
*erwünscht sein. Die Vorstellungen, die Neger sich über das erneute Trocknen der 
gekeimten Samen machte, der den Vorgang dem Darren beim Mälzen vergleicht, 
scheinen dem Verfasser nicht richtig zu sein, auch eine Massenproduktion von „Ameisen- 
brotkrümmeln“ hält er nicht für etwas Normales, vermutet vielmehr, daß die ange- 
keimten Samen alsbald im Neste verbraucht werden. 

Beobachtungen über den Hochzeitsflug und die Koloniegründung, sowie über das 
Verhalten in künstlichen Nestern vervollständigen das interessante Lebensbild der 
Messor- Ameisen, P. Buchner- München. 


Caullery, M.: Le Parasitisme et la Symbiose. 
400 8. 53 Textf. Paris 1922. 


Das Buch stellt einen Band der groß angelegten Eneyclopedie scientifique dar, die 
unter der Leitung von Toulouse bei Gaston Doin in Paris erscheint. Sie ist in 
40 Sektionen "eingeteilt und soll etwa 1000 Bände umfassen. Caullery ist Herausgeber 
der Abteilung Allgemeine Biologie, die in ca. 30 Bände behandelt werden wird. Von 
diesen ist bisher erschienen: L’oeuf et les facteurs de l’Ontogenie von Brachet, La 
Teratogendse von Rabaud und der dem Referenten vorliegende. In Bearbeitung ist 
unter anderem eine zweibändige Morphologie und Physiologie der Zelle von Henneguy. 

Caullery gibt eine vorzügliche Darstellung des morphologisch, biologisch und 
physiologisch ja gleich interessanten Gebietes. die sich keineswegs auf die Behandlung 
der Schulbeispiele beschränkt, sondern eine Fülle fernerliegendes Material zusammen- 
trägt und allgemeinen Gesichtspunkten unterordnet. Auch der Fachzoologe wird daher 
mannigfache Anregung in dem Buche finden. Der Abschnitt über die Symbiose ist 
relativ kürzer gefasst und wird der heutigen Bedeutung derselben infolgedessen nicht 
ganz gerecht. In der entschiedenen Verurteilung der Portier’schen Ideen und angeblichen 
Beobachtungen (Les Symbiotes. Paris 1918) harmoniert er vollkommen mit der Kritik 
des Referenten. i P. Buchner (München). 


Hansen, Adolph, Die Pflanzendecke der Erde. Eine allgemeine Pflanzengeographie. 
1 Karte, 24 Abbild., 274 S. Leipzig und Wien, Bibliograph. Institut, 1920. 

Kurz vor seinem Tode hat Verf. es auf den Wunsch des Verlages unternommen, 
aus der von ihm besorgten Neuausgabe von Kerners Pflanzenleben die Pflanzen- 
geographie herauszuschälen und das Wichtigste in einer handlichen Form einem weiteren 
Kreise zugänglich zu machen. Er hat den Abschluß des Druckes nicht mehr erlebt; 
G. Funk hat die letzte Hand angelegt. Der Systematiker und Florist wird an kleinen 
Verstößen hie und da merken, daß ein — freilich weit gereister — Pflanzenphysiologe 
das Büchlein geschrieben hat. So z. B. wenn (8. 98) Hepatica triloba mit Crocus 
vernus in Masse in der kurzgrasigen Alpenmatte blühen soll, oder Berberis in der 
Krummholzregion mit den Alpenrosen (S. 97), oder das kaum spannenlange Büffelgras 
(Buchlo& dactyloides) so hoch werden soll, daß ein Reiter darin untertaucht. Trotzdem 
liest sich das kleine Buch gut und anregend. 

Burgerstein, Alfred, Die Transpiration der Pflanzen. II. Teil (Ergänzungsband). 

18 Abbild. und 264 S. Jena, G. Fischer, 1920. 

1904 hat Verf. eine referierende Zusammenstellung der Literatur über Transpiration 
erscheinen lassen. Der vorliegende zweite Teil bringt die neue Literatur bis Anfang 1920 
und Nachträge aus der vor 1904 erschienenen. Die Zahl der aufgeführten Arbeiten 
ist so auf mehr als das Doppelte gestiegen (von 394 auf 899). Diese gewiß annähernd 
vollständige Literaturliste ist sicher dankenswert; die Besprechung der Arbeiten kann 
aber ihre Einsichtnahme dem auf diesem Gebiete arbeitenden nicht ersetzen. 


88 Referate. 
Fruwirth, C., Allgemeine Züchtungslehre der landwirtschaftlichen Kulturpflanzen 
(I. Band des Handuches der landwirtschaftlichen Pfanzenzüchtung). V., gänzlicH 
umgearbeitete Aufl, 89 Textabb., 8 Tafeln, 442 S. Berlin, Paul Parey, 1920. 
Die neue, fünfte Auflage des allbekannten Buches, das sich in erster Linie an die 
Praktiker wendet, und dessen rascher Absatz am besten für seine große Beliebtheit 
spricht, ist nach der Seitenzahl ganz unverändert geblieben; die Zahl der Abbildungen 
ist etwas vermehrt. Im Einzelnen sind aber überall mit großer Gewissenhaftigkeit die 
Fortschritte der experimentellen Arbeit während der letzten sechs Jahre nachgetragen 
und hineingearbeitet worden, auch die eigenen Erfahrungen des Verfassers. Die Ein- 
teilung des Stoffes ist dabei bis auf die einzelnen Abschnitte genau die gleiche geblieben. 
C. Correns, Berlin. 


E2 
Küster, E., Botanische Betrachtungen über Alter und Tod. Abhandlungen zur theo- 
retischen Biologie, Heft 10, Berlin 1921, 44 S. 

In der kurzen, aus einem Vortrag hervorgegangenen Schrift stellt Verf. den schon 
öfters von zoologischer Seite über das Thema geführten Erörterungen Betrachtungen 
vom botanischen Standpunkt an die Seite. Entsprechend den offenen Systemen im 
Pflanzenreich sind Alterserscheinungen nicht so offenbar, anderseits tritt oft partielles 
Altern und Tod einzelner Teile ein (Holz, abfallende Blätter u. s. w.). Die Ursachen 
sind dann spezifische Organisation oder Absterben der ältesten Teile infolge einseitiger 
Stoffwechselvorgänge, deren Endprodukte schließlich zur Selbstvergiftung führen. Durch 
Abänderung dieser Stoffwechselvorgänge wäre es möglich das Altern hinauszuschieben, 
. eventuell ganz zu unterdrücken, häufig besorgen die Zellteilung oder Befruchtungs- 
vorgänge sol@he Regulationen. Erstere können unter gleichmäßig günstigen Beding- 
ungen genügen, wie es die agame Zucht verschiedener Organismen lehrt. Die leicht 
geschriebene Schrift stellt alles Wesentliche zusammen, in reichlichen Anmerkungen 
findet sich eine große Zahl interessanter Einzel-Angaben. 

Fritz v. Wettstein, Berlin-Dahlem. 


Sorauer, P., Handbuch der Pflanzenkrankheiten. II. Band. Die pflanzlichen Para- 
siten bearbeitet von G. Lindau. .1. Teil, 4. Auflage, Verlag P. Parey, Berlin, 
1921, 382 S., Preis geb. Mk. 90.--. 

Dem vor kurzem erschienenen ersten Band des Handbuches ist rasch der erste Teil 
des zweiten gefolgt. Er enthält die pflanzlichen Parasiten und zwar Myxomycetes, 
Schizomycetes und von den Kumycetes die Oomycetes, Zygomycetes und Ascomycetes. 
Die Basidiomycetes werden mit Algen, Flechten und Cormophyten im zweiten Teile 
behandelt werden. Die Peronosporineen sind von E. Riehm, das andere von Lindau 
selbst bearbeitet. Die Anordnung ist ungefähr die gleiche geblieben wie in der 3. Auf- 
lage. Die seither gewaltig angeschwollene Literatur ist weitgehendst berücksichtigt und 
so das wertvolle Buch wieder auf den neuesten Stand unserer Kenntnisse gebracht. 
Sehr reichliche Literaturangaben erleichtern die rasche Orientierung über das von jedem 
Schädling Bekannte. Fritz v. Wettstein, Berlin-Dahlem. 


Pfeffer, W., Osmotische Untersuchungen. 2., unveränderte Auflage, Leipzig 1921, 
Preis geb. Mk. 32.—. 

Die wichtigste Arbeit Pfeffers war seit langem vergriffen. Sie liegt nun in einem 
Neudrucke hübsch ausgestattet mit einem Geleitworte F. Özapeks vor. Physiker und 
Biologen, alle werden diesen glücklichen Gedanken des Verlages willkommen heißen, 
das klassische Buch wieder zugänglich zu machen. 

Fritz v. Wettstein, Berlin-Dahlem. 




















 Biologisches Zentralblatt 


Begründet von J. Rosenthal 
Herausgabe und Redaktion: 


Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. ©. Warburg 


in Berlin 
Verlag von Georg Thieme in Leipzig 
Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW. Run Wilhelmstr. 28 


42. Band. m. 1922. Nr. 7 
ausgegeben am 1. Juli 1922 




















Der el. Abonnemenispreis (12 Hefte) beträgt ne De: 120 Mk. 
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Den Herren Mitarbeitern stehen von ihren Beiträgen 30 Sonderabdrucke kostenlos zur 
Verfügung; weitere Abzüge werden gegen Erstattung der Herstellungskosten geliefert. 











Inhalt: J. S. Szymanski, Drei Lösungsversuche eines Problems. Mit 3 Abb. S. 289. 
U. Hintzelmann, Medizinisch-zoologische Studien. S. 293. 
R. Goldschmidt, Die Reifeteilungen der Spermatozyten in den Gonaden intersexueller Weib- 
chen des Schwammspinners. Mit einer Abb. S. 301. 
J. Hirschler, Über den Einfluß von Organen metamorphosierter Amphibien auf den Verlauf 
_ der Amphibienmetamorphose. S. 303. 
. Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. S. 308. 
Pax, Die Tierwelt Schlesiens. S. 327. 
. Bütsehli, Vorlesungen über vergleichende Anatomie. S. 328, 
. Krause, Mikroskopische Anatomie der Wirbeltiere in Einzeldarstellungen. S. 328. 
. Küster, Lehrbuch der Botanik für Mediziner. $. 329. 
. Just, Referate. $. 330. 
Meisenheimer, Geschleelit und Geschlechter im Tierreiche. S. 331. 
C. Correns, Referate. 8. 333. 
Einladung zur Gründungsversammlung der Internationalen Vereinigung für theoretische und 
angewandte Limnologie in Kiel. S. 335. 
Einladung zur Jahrhundertfeier für Georg Mendel in Brünn. S. 335. 
Deutsche Gesellschaft für Vererbungswissenschaft. S. 336. 


Referate: 


ERSEROHE 





Drei Lösungsversuche eines Problems. 


Von J. S. Szymanski, Wien. 
Mit drei Abbildungen. 


Die Analyse einer Handlung gestaltet sich besonders lehrreich in 
allen jenen Fällen, in welchen es gelingt, die Lösungsversuche eines 
gleichen Problems durch verschiedene Subjekte von abweichender psycho- 
physiologischer Entwicklungsstufe zu beobachten. 

Als das Kriterium bei dem Vergleich verschiedener Verhaltens- 
arten wird das Prinzip der kürzesten Bahn angenommen, d. h. jene 
motorische Reaktion wird als die vollkommenste aufgefaßt, die das 
oleiche Resultat auf dem, nach menschlichen Begriffen, kürzesten Weg 
erreicht. Von diesem Gesichtspunkte aus habe ich Beobachtungen über 
die Auswertung der räumlichen Eigenschaften der Schraubenlinie durch 
Hummeln, Kleiber (Sitta europea) und Kinder angestellt. 

42. Band. 19 


39 J. S. Szymanski, Drei Lösungsversuche eines Problems. 


Um mit den Hummeln zu beginnen, so haben diese Nektar sammeln- 
den Insekten im Verlauf ihres normalen Lebens die Aufgabe, trauben- 
artige Blütenstände (z. B. Epilobium, Weidenröschen u. dgl. m.) abzu- 
suchen. 

Das Ökonomieprinzip würde verlangen, daß jede Einzelblüte unter- 
sucht und keine übersehen werde. Die vollkommenste Lösung dieser 
Aufgabe wäre demnach die, den Blütenbesuch so zu gestalten, dab 
man, entweder oben oder unten beginnend, sich längs einer Schrauben- 
linie nach der untersten bezw. der obersten Einzelblüte bewegt. 

Einige Hundert in der freien Natur diesbezüglich angestellte Be- 
obachtungen haben mich belehrt, daß die Hummeln diese Aufgabe von 
vornherein nach -den Forderungen des Prinzipes der kürzesten Bahn 
lösen 1). 

Sie fliegen eine Blütentraube stets von unten an, gehen aufwärts 
von einer Einzelblüte zur anderen längs einer Schraubenlinie und, nach- 
dem sie die oberste erreicht haben, verlassen sie die Pflanze und fliegen 
zu einer anderen der gleichen Art, die‘ sie wiederum von unten nach 
oben in einer Schraubenlinie absuchen usf. (Abb. A). 

Wenn die Blüte ein Scheinquirl (z. B. Salvia vertieillata, quirl- 

blütiger Salbei) ist, so suchen die Hummeln die unterste Blütenreihe 
ab, dann die nächste höhergelegene usf. 
Wenn die Einzelblüten in einer Traube sehr dicht nebeneinander 
stehen und von geringen Dimensionen sind (z. B. Mentha piperita) oder, 
wenn die Einzelblüten bezw. die einzelnen Blütenreihen verwelkt sind, 
so kann die Regelmäßigkeit der Bewegungsrichtung mehr oder weniger 
verwischt sein; die allgemeine Tendenz, sich von unten nach oben in 
einer Schraubenlinie zu bewegen, bleibt jedoch bewahrt. 

Durchaus anders löst das Schraubenlinienproblem eine Vogelart, 
und zwar der Kleiber (Sitta europaea). Um die nötige Nahrung, die aus 
Kerbtieren besteht, zu finden, müssen die Kleiber Ritzen und Spalten 
in der Rinde vieler Baumstämme auf die Beutetiere untersuchen. 

Die Vögel, die vorzüglich kopfaufwärts und kopfabwärts klettern 
können, haben also die folgende Aufgabe zu erfüllen: die Mantelfläche 
eines Zylinders (Baumstamm) nach Nahrung abzusuchen. 

Würden die Kleiber nach Art der Hummeln verfahren, so müßten 
sie, um einen Stammabschnitt genau zu untersuchen, ihren Weg in einer 
Schraubenlinie zurücklegen ; dabei müßte die Entfernung zwischen zwei 
Schraubenwindungen zwei Körperlängen des Vogels betragen. In Wirk- 
lichkeit verhalten sich diese Vögel ganz abweichend, wie dies aus den 


1) Eine methodologische Forderung wäre es, die Handlungsweise der jungen 
Hummeln bei ihrem ersten Flug zu untersuchen. Da ich indes viele Tiere beobachtet 
habe, so kann man wohl voraussetzen, daß unter den untersuchten Insekten sich auch 
ganz junge Individuen befanden. Zudem ist zu beachten, daß die meisten Arten von 
Pflanzen nur eine kurze Blütezeit haben, so daß es den Hummeln, die nur einen 
Sommer leben, unmöglich wäre, sich durch die lange Übung die passendste aelnpe 
weise anzueignen, 





Me, , - 


er 


J. S. Szymanski, Drei Lösungsversuche eines Problems. 991 


vierzig genauen Aufzeichnungen von den Wegen der Vögel, die ich ge- 
macht habe, erhellt (als Proben bringt die Abb. B drei derselben). 

Diese Aufzeichnungen, die in der Regel vom Momente, in dem ein 
Kleiber an den Baumstamm herangeflogen war, bis zum Momente, in 
dem der Vogel den Baum wieder verlassen hatte, gemacht wurden, ließen 
erkennen, daß die Kleiber ihre Wanderung, vom Anfangspunkt an be- 
rechnet, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle (in 62,5%) von 
unten nach oben begannen und daß die Vögel in der Regel (in 87,5 % ) 
auf den Baumstämmen ganz regellos kletterten und nur eine Längshälfte 
des Stammes, und zwar diejenige, auf welcher der Ausgangspunkt für 
die ganze Wanderung lag, absuchten. 





A. Die regelmäßige Art der Absuchung der traubenförmigen Blütenstände (Weiden- 
röschenschema) durch die Hummeln. (Die Pfeile markieren die Flugrichtung der 
Hummeln.) 


Daß dieses Verhalten nicht etwa mit der Bevorzugung ausschließ- 
lich einer bestimmten Längshälfte des Stammes durch die Beutetiere 
in Zusammenhang steht, beweist die Tatsache, daß die Kleiber einmal 
die eine und dann wiederum die andere, der ersten entgegengesetzte 
Baumfläche anfliegen und untersuchen. 

: Demnach scheint in der Tat das Verhalten der Kleiber, im Gegen- 
satz zu jenem der Hummeln, regellos zu sein; und diese Regellosigkeit 
ist nicht etwa durch die Lebensbedingungen ihrer Beutetiere bedingt 2). 

2) Nach den Angaben der populären Literatur sollen die anderen Vertreter der 

Fam. Certhiidae (Spechte und Baumläufer) sich öfters bei dem Absuchen der Baum- 


stämme in einer Schraubenlinie bewegen (Brehm, Tierleben 1893, Vögel I. 574; W. 
Kobelt, Die Verbreitung der Tierwelt 1902, S. 131). 


E97 


399 J. S. Szymanski, Drei Lösungsversuche -eines Problems. 


Als Mittelding zwischen dem geregelten Handeln der Hummeln 
und dem regellosen der Kleiber läßt sich das Verhalten von Kindern 
bei der Lösung des Schraubenlinienproblems auffassen. 

Im normalen Lebenslauf hat dieses Problem für die Kinder kaum 
eine biologische Bedeutung. Hier mußte also ein Laboratoriumexperiment 
aushelfen >). 


=B 

B. Die regellose Art der Absuchung der Baumstämme durch die Kleiber. (Die Zylinder 

markieren ca. 4m lange Fragmente, von Kieferstämmen (ca. 15—20 em im Durch- 

messer); die ausgezogenen Linien bedeuten die Wege der Vögel auf der dem Be- 

obachter zugekehrten Stammhälfte; die gestrichelten Linien markieren die Wege der 

Vögel auf der gegenüberliegenden Stammhälfte. Die Pfeile markieren die Be- 
wegungsrichtung der Kleiber). 


C. Zylinder für den Schraubenlinienversuch bei den Kindern (33 cm hoch, 20 cm im 
Durchmesser; ausschließlich die, auf der dem Beobachter zugekehrten Seite liegen- 
den Löcher sind aufgezeichnet; "Durchmesser eines Loches 2 em). 


Die Versuchsanordnung und die Versuchsausführung waren äußerst 
einfach. Die Kinder, von denen stets nur eines im Versuchsraum zu- 
gegen war, wurden aufgefordert, in jedes der Löcher, die in der Mantel- 
fläche eines Kartonzylinders in einer Schraubenlinie ausgestanzt waren, 
einen Nagel einzuwerfen. Dabei wurde dem Kind eingeschärft, es solle 
in kein Loch zwei Nägel einwerfen und kein Loch auslassen (Abb. CO). 

Von den untersuchten 3- und 5jährigen Kindern handelten die letz- 
teren so, daß sie den ersten Nagel in irgendwelches Loch (wohl bemerkt, 
nicht in das unterste bezw. das oberste!) hineinwarfen und daraufhin 
fortfuhren, die weiteren Nägel nicht aufs Geratewohl, sondern in die 
nächstfolgenden, in der aufsteigenden Schraubenlinie gelegenen Löcher 
zu werfen. 

Die 3jährigen Kinder hingegen standen vor dem Zylinder ganz 
unbeholfen. 

Der erwachsene normale Mensch würde zweifelsohne die Aufgabe 
nach Art der Hummeln lösen: er würde mit dem untersten (bezw. dem 


3) Die Versuche an Kindern wurden im Wiener Settlement' ausgeführt; ich ergreife 
diese Gelegenheit, um der Leiterin dieser Anstalt Frl. Else Federn und der Lehrerin 
Frau Fanny Carles meinen verbindlichsten, Dank noch einmal auszusprechen. 


Ey. 
Es - 
u 





U. Hintzelmann, Medizinisch-zoologische Studien. 293 


obersten) Loch beginnen und bis zum obersten (bezw. untersten) in einer 
Schraubenlinie fortfahren. 
Das Verhalten der Menschen in bezug auf das Schraubenlinien- 


problem zeigt einen unverkennbaren Fortschritt in den Lösungsversuchen, 


die sich mit dem zunehmenden Alter der Versuchspersonen immer mehr 
den Forderungen des Prinzips der kürzesten Bahn nähern. 

Die, nach den menschlichen Begriffen, richtige Lösung des Schrauben- 
linienproblems durch die Vertreter von zwei, in der psycho-physiologischen 
Organisation so weit voneinander stehenden Arten, wie es die vorwiegend 
instinktiv handelnden Hummeln einerseits, die vorwiegend intelligent 
verfahrenden erwachsenen Menschen andererseits sind, beweist von 
neuem, daß der Instinkt und die Intelligenz sich in ihren motorischen 
Äußerungen ähneln. 

Diese Ähnlichkeit ist nicht nur oberflächlich, sondern sie geht 
tiefer. 

Denn, wie die kürzlich ausgeführten Versuche über den Arbeits- 
vorgang mir gezeigt hatten, weisen nur die Insekten und die normalen 
erwachsenen Menschen ein rhythmisches, also ein regelmäßiges und öko- 
nomisches Arbeitssystem auf, während die Vertreter der dazwischen 
stehenden Wesen — ähnlich wie die Kleiber und Kinder bei der Lösung 
des Schraubenlinienproblems — unsystematisch und unökonomisch ar- 
beiten #). | 

Die Kontraste berühren sich! Das ist wohl nur deshalb der Fall, 
weil die konträren Begriffe als Endglieder einer kontinuierlichen Reihe 
innerlich verwandt sind. 


Medizinisch-zoologische Studien. 
I. Mitteilung. 


Die antipyretische Wirkung des Regenwurms und programmatische 
Hinweise auf die allgemein-biologische Bedeutung des Tyrosins. 
Von Dr. Ulrich Hintzelmann. 

(Forschungsinstitut für angewandte Zoologie, München.) 


Aufgabe des medizinischen Zoologen ist es, nicht nur die krank- 
heitserregenden, krankheitsübertragenden und den Menschen sonstwie 
schädigenden Tiere zu bekämpfen, sondern auch die theoretischen Grund- 
lagen für diese Tätigkeit zu schaffen. Daneben sind auch u. a. die 
therapeutisch zu verwendenden Tiere zu berücksichtigen und deren Bio- 
logie zu studieren, zumal da sich daraus Beziehungen allgemeiner Art 
ableiten lassen. Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt die Pharmako- 
logie und Toxikologie der Tiere an erneutem, allgemeinem Interesse. 
Von den hier in Betracht kommenden Organismen ist der Regenwurm, 


4) Vergleichende Studie über den Arbeitsvorgang (Zeitschr, für angewandte 
Psychologie 1921), 


294 U. Hintzelmann, Medizinisch-zoologische Studien. 


Lumbricus terrestris, herculeus usw., von Bedeutung, da er in der alten 
wie modernen europäischen und anderen Volksmedizin von jeher eine Rolle 
gespielt hat. Schon im Altertum verwandt (1), wird er im heutigen China 
und Japan als Fiebermittel häufig in getrockneter Form benutzt (2). Da- 
neben sind durch die Arbeiten von Pauly (3), Yagi(4) u. a. Gift- 
wirkungen dieses Tieres bekannt geworden. Wie ich feststellen Konnte, 
liegt jedoch über die antipyretische Wirkung von Lumbricus nur eine 
mit japanischem Tiermateriale angeführte Arbeit von Nukada und 
Tanaka(2) vor. Es war daher von Interesse, zu untersuchen, ob 
auch der europäische, deutsche Regenwurm eine derart wirkende Sub- 
stanz enthalten möchte, da es ja, wie in so vielen Fällen, möglich sein 
könnte, daß diese Eigenschaft nur den in warmen Zonen lebenden Tieren 
zukomme. Daher habe ich es unternommen, die in Rede stehende Frage 
zu verfolgen, zumal da ich glaube, einen Beitrag liefern zu können zu 
der allgemeinen Biologie einer in der Tierreihe sehr weit verbreiteten 
Substanz, ja man kann wohl sagen, eines in jedem tierischen Eiweiß 
vorkommenden Körpers. . 

In den folgenden Zeilen sollen 1. die Beobachtungen über die anti- 
pyretische Wirkung des Regenwurmes und 2. einige allgemeine Bemer- 
kungen über die biologische Bedeutung dieser Substanz Platz finden. 


1. Die antipyretisch wirkende Substanz des Regenwurms. 


Die vom tierischen Organismus hervorgebrachten biologisch wirk- 
samen Substanzen sind in ihrer chemischen Konstitution im allgemeinen 
wenig bekannt. Erst in neuerer Zeit sind Fortschritte in dieser Hin- 
sicht zu verzeichnen. Es dürfte daher von Interesse sein, auf einige 
Beobachtungen an der Aminosäure Tyrosin hinzuweisen. Das Oxy- 
phenylalanin oder Tyrosin ist bekanntlich ein Baustein des Eiweiß- 
moleküls und als solcher sicher in jedem tierischen Organismus ent- 
halten. Nukada und Tanaka(2) haben nachgewiesen, daß es .das 
antipyretisch wirkende Prinzip der in Japan und China benutzten 
Regenwürmer darstellt. Ich werde zeigen, daß man auch aus den deut- 
schen Würmern ein tyrosinhaltiges Extraktionsprodukt gewinnen kann, 
das demgemäß temperaturherabsetzend. wirkt. ; 

Da nach Angabe der japanischen Autoren das wirksame Prinzip 
koktostabil ist, konnte ich gleich daran gehen, es durch Kochen aus den 
Würmern zu extrahieren. Zu diesem Zwecke wurde eine größere An- 
zahl Lumbricus herculeus mit einer geringen Menge konzentrierter Koch- 
salzlösung behandelt, um die dabei absterbenden Tiere zu veranlassen, 
ihren Hautschleim abzusondern. Nach Waschen mit Wasser habe ich 
die Tiere im Trockenofen bei etwa 50° C©. getrocknet, bis sie sich in 
Stücke zerbrechen ließen. Die so weit vorbereiteten Würmer wurden in 
einem Exsikkator über Chlorkalzium definitiv getrocknet und dann pul- 
verisiert. Die folgenden Angaben beziehen sich auf einen Versuch aus 
dem November 1920. 46,5 g des. erhaltenen Ausgangsmaterials habe 
ich mit 220 ccm Aqua destillata einige Zeit gekocht, bis die -Flüssig- 





U. Hintzelmann, Medizinisch-zoologische Studien. 295 


keitsmenge nur noch 40,0 cem betrug. Beim Kochen und Schütteln 
schäumt die dunkelbraun aussehende Flüssigkeit stark. Sie riecht un- 
angenehm fade, was auch schon die getrockneten und pulverisierten 
Würmer tun. Das erhaltene Dekokt wird mit 300 cem 95% igem Alkohol 


‘vorsichtig versetzt. Es entsteht ein voluminöser, graubraun aussehender 


Niederschlag, der nach dem Absetzen mehrmals mit absolutem Alkohol 
ausgewaschen wird. Hierbei wird er immer heller und feinflockiger. 
Das Waschen wird so lange fortgesetzt, bis der Alkohol sich nicht mehr 
färbt. Allem Anscheine nach besteht die gelbe Farbe aus einer karotin- 
ähnlichen Substanz. Untersuchungen hierüber sind im Gange. Der 
erhaltene, nunmehr hellgraubraun gefärbte Niederschlag, wiegt nach 
dem Trocknen 2,35 g. Diese Substanz ist das „Lumbrofebrin“ von 
Nukada und Tanaka. Es ist hygroskopisch, leicht löslich in Wasser, 
unlöslich in Alkohol und Äther. Die wässerige Lösung ist dunkler ge- 
färbt als das trockene Produkt und reagiert auf Lackmus schwach sauer. 
Es gelang mir, in Übereinstimmung mit den beiden japanischen Autoren, 
Phosphorsäure, Kalzium und Eisen nach den gewöhnlichen Methoden 
in der Asche nachzuweisen. Die wässerige Lösung des „Lumbrofebrins“ 
gibt in ausgesprochener Weise die Paulysche (5) Diazoreaktion, was 
für das Vorhandensein von Tyrosin oder Histidin spricht, auch erhält 
man die Xanthoproteinreaktion. Im Gegensatz zu den japanischen 
Autoren gaben meine Substanzen immer in sehr ausgesprochenem Maße 
die Millonsche Reaktion. Auch läßt sich aus der mit Salpetersäure 
behandelten Lösung Oxalsäure gewinnen, was ebenfalls für das Vor- 
handenseir von Tyrosin spricht (6). Nukada und Tanaka befreiten 
das rohe ,„‚Lumbrofebrin“ von dem darin enthaltenen Kalzium, Eisen 
und der Phosphorsäure und konnten daraus Tyrosin in razemischer 
Form abscheiden. Ich habe eine Reindarstellung des Tyrosins aus meinen 
Substanzen unterlassen, weil für mich nur ihre pharmakologische Wir- 
kung und die biologische Aufgabe des darin enthaltenen Tyrosins von 
Interesse war. 

Ich habe gefunden, daß das von mir dargestellte Produkt aus dem 
Körper des Regenwurms auf gesunde Meerschweinchen temperaturherab- 
setzend wirkt. Bei den Versuchen gelangten nur solche Tiere zur Ver- 
wendung, deren Temperatur rektal während einer 3tägigen Beobach- 
tungszeit keine allzu großen Schwankungen aufwies. Da es mir, wie 
schon gesagt, nur darauf ankam, die temperaturerniedrigende Wirkung 
des aus deutschen Lumbricus-Arten dargestellten „Lumbrofebrins“ fest- 
zustellen, habe ich mich jeweils mit wenigen Versuchen begnügt. Die 
folgende Tabelle gibt die Daten eines Versuches aus dem November 
1920 wieder. Die Versuche mit in anderen Monaten gewonnenen Sub- 
stanzen hatten ähnliche Ergebnisse. Die temperaturherabsetzende Wir- 
kung ist dem Lumbricus hereuleus also in jeder Jahreszeit eigentümlich 
und wechselt nicht wie seine Giftigkeit. 


296 U. Hintzelmann, Medizinisch-zoologische Studien. 


Versuche im November 1920. 
1. Meerschweinchen 330 g. Kontrolltier. 





























Datum | Zeit Temperatur Bemerkungen 

13. 10,45 37,55° 

14, 10,00 37,65° 

15. 9,30 37,65 

16. 11,00 38,01° 
11,30 38,01° l ccm NaCl 
12,00 38,11° 
12,30 38; 11° 


2. Meerschweinchen 380 g. (131,58)*). 























Datum Zeit Temperatur Bemerkungen 

13. 11,00 37,650 

14. 11,00 32,07.° 

15. 9,45 37,65° 

16. 11,00 37,95° 
11,30 97950  |POmg Lumbrofebrin 

I J 3 
in 1 ccm NaCl 

12,00 30092 
12,30 37,00° 


Senkung der Temperatur um 0,7° in !/, Stunde. 
3. Meerschweinchen 280 g. (714,29)*). 





























Datum | ai Temperatur Bemerkungen 

13. 14,15 37,3° 

14. 10,15 312% 

eh, 10,00 37n2! 

16. — — 

17: 9,15 37,1° 

10,00 aut, 200 mg Lumbrofebrin 
10,30 36,4° in 25 cem NaCl 
12.30 35.990 subkutan 
4,30 37,25° 
18. | 10,00 37 | 


Senkung der Temperatur um 0,7° in '/, Stunde. 


*) Die Zahlen in runden Klammern geben an, wieviel mg „Lumbrofebrin* auf : 
l kg Meerschweinchen verabreicht wurden. 








U. Hintzelmann, Medizinisch-zoologische Studien. 297 


4. Meerschweinchen 330 g. (227,27)*). 























Datum Zeit Temperatur Bemerkungen 
18. 11,35 37,5° 
75 mg Lumbrofebrin 
12,00 2 in 25 ccm NaCl 
12,30 36,7° subkutan 
3,00 37,3° 


Senkung der Temperatur um 0,8° in !/, Stunde. 


Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß die Temperatursenkung an- 
nähernd 0,70 für das gesunde Meerschweinchen beträgt und dab die 
Substanz auch in der größten Dosis (0,71429 g gegenüber 0,25 g von 
Nukada und Tanaka!) keinerlei toxische Erscheinungen hervorruft. 
Auch eine Wirkung auf das Zirkulations- und Atmungssystem konnte 
wenigstens von den Japanern beim Kaninchen nicht festgestellt werden. 
Meine Tiere fühlten sich während der Beobachtungszeit (24 Stunden ) 
vollkommen wohl, fraßen und zeigten keinerlei Erscheinungen, die auf 
eine Schädigung durch das „Lumbrofebrin“ resp. das darin enthaltene 
Tyrosin hindeuteten. 

Nach diesen Versuchen entstand die Frage, ob das im „Lumbro- 
febrin“ gefundene Tyrosin antipyretische Wirkungen entfalten kann. 
Aus den Versuchen der beiden japanischen Autoren ergibt sich, dab 
reines von Merck bezogenes Tyrosin „in den Dosen von 0,05, 0,15 
bis 0,5 g pro Kilo Körpergewicht auf das beim Kaninchen durch den 
Wärmestich, bezw. durch Kolibazillentoxin erzeugte Fieber temperatur- 
herabsetzend wirkt“ (p. 33). Diese Angaben genügten, um mich zu 
überzeugen, daß reines Tyrosin in der Tat temperaturerniedrigend wirkt. 
Ich habe daher keine eigenen Versuche mit Oxyphenylalanin angestellt. 

Was ist nun die biologische Bedeutung des Tyrosins für den 
tierischen Organismus? Um diese Frage zu beantworten, ist es nötig, 
einen Blick auf die chemische Physiologie der Tiere zu werfen. 


23. Allgemeine Bemerkungen über die biologische Bedeutung des 
Tyrosins. 

Das Studium der über Tyrosin vorliegenden Literatur führt auf 
das ausgedehnte Gebiet der Melanine, also jener im Organismus des 
Warm- und Kaltblüters vorkommenden braunschwarzen Pigmente. Die 
über diese Farbstoffe vorliegenden Arbeiten beschäftigen sich, da sie 
namentlich von. Anatomen, Pathologen und Physiologen ausgeführt wur- 
den, vor allem mit den Melaninen des Menschen und anderer Säuger. 
Nur vereinzelt trifft man Angaben über Melanin niederer (wirbelloser) 
Tiere. So hat z. B. L. Brecher(7) gefunden, daß in der Hämolymphe 
vou Pieris brassicae 'T'yrosin vorhanden ist und;daß es als Chromogen 
wirkt. Sie spricht es als Vorstufe der braunschwarzen Pigmente an, die 


298 U. Hintzelmann, Medizinisch-zoologische Studien. 


demnach in diesem Falle nicht als Abkömmlinge des Hämoglobins an- 
zusehen sind. Auf die verschiedenen Auffassungen ihrer Herkunft 
brauche ich an dieser Stelle nicht weiter einzugehen. Sie sind wieder- 
holt behandelt und kritisiert worden (z. B. von v. Fürth (8)). Nach- 
dem festgestellt wurde, daß sich Melanin unter dem Einflusse eines oxy- 
dierenden Fermentes (Tyrosinase), das auch bei wirbellosen Tieren an- 
getroffen wird, aus Tyrosin bildet (z. B. Przibram(9)) dürfte, wie 
aus einem Gesamtüberblick der einschlägigen Literatur hervorgeht, das 
Problem der Melaninbildung bei hämoglobinhaltigen und hämoglobin- 
freien Tieren seiner Lösung recht nahe gebracht sein. Ein weiteres bio- 
logisch wichtiges Moment in der Pigmententstehung sehe ich in der 
verschiedenen Belichtung. Es ist bekannt, daß sich nicht nur beim 
Menschen und Säuger in der Haut unter dem Einflusse des Lichtes 
Melanin bildet, sondern daß auch die Pigmentierung anderer (wirbel- 
loser) Tiere von diesem Faktor abhängt. So hat bereits List 1899 (10) 
die Angabe gemacht, daß das Licht „einen wesentlichen Einfluß auf die 
Pigmentablagerung der Lamellibranchier“ hat. „Eine verstärkte Be- 
lichtung ruft starke Pigmentablagerung hervor, ebenso ein Lichtmangel 
eine Abnahme des Pigmentes“ (S. 618). Diese Beobachtung gibt mir 
Gelegenheit, auf einige damit im Zusammenhang stehende Unter- 
suchungen über den Lichteinfluß auf die lebende Substanz überhaupt 
einzugehen. Schanz(11) zeigte, daß bei Bestrahlungen mit dem Licht 
einer Quarzlampe oder dem Sonnenlichte das darin enthaltene Ultra- 
violett auf Eiweißkörper ausfällend, aber nicht denaturierend wirkt. 
Diese Lichtwirkung konnte durch die Anwesenheit von Sauerstoff 
wesentlich gefördert werden. Hieraus ist ersichtlich, daß die strahlende 
Energie des Lichtes einen Einfluß auf das Eiweißmolekül auszuüben 
imstande ist. C. Neuberg(12) hat gefunden, daß das Sonnenlicht 
Reaktionen bei Anwesenheit eines als Katalysator wirkenden Uran- 
salzes hervorzubringen imstande ist. Von den von ihm untersuchten 
Substanzen ist für uns hier von Interesse, daß 1l-Tyrosin durch die 
Belichtung in einen Körper umgewandelt wird, der heiße Fehlingsche 
Lösung reduziert. Aus den Versuchen Neubergs geht hervor, dab 
„dem Sonnenlicht in Gegenwart des Katalysators eine ausgesprochen 
spaltende Wirkung eigen ist. Besonders auffallend ist die überall zutage 
tretende Tendenz des Lichtes, aus zahlreichen indifferenten Stoffen des 
Tier- und Pflanzenorganismus karbonylhaltige Substanzen, Aldehyd- 
oder Ketoverbindungen zu erzeugen, deren Reaktionslust und Befähigung 
zu den wichtigsten Synthesen allbekannt ist“ (8. 315). Ich bemerke 
dazu, daß es im Körper der Tiere und Pflanzen sicher nicht an Kataly- 
satoren fehlen wird, die eine ähnliche und eventuell viel nachdrück- 
lichere Wirkung enthalten möchten wie das Uran. Nach Neuberg 
könnten die aufgeführten Versuche imstande sein, „ein Verständnis der 
beim Heliotropismus und beim Phototropismus sich abspielenden che- 
mischen Vorgänge anzubahnen und vielleicht einen Einblick in den 
COhemismus der allgemeinen Wirkung des Sonnenlichtes auf den tierischen 
und pflanzlichen Organismus zu verstatten“ (8. 315). 








U. Hintzelmann, Medizinisch-zoologische Studien. 299 


Verfolgt man den eben skizzierten ‘Gedankengang weiter, so kommt 
man zu der Vorstellung, daß durch katalytische Wirkung des Lichtes 
Produkte in der lebenden Substanz gebildet werden, die Reize auslösen, 
welche man als Lichtwahrnehmungen und Lichtempfindungen deutet. 
Ich habe die Vorstellung, daß an diesem Vorgange namentlich das 
Tyrosin beteiligt ist. Ich möchte es als photosensibilisatorisch tätige 
Substanz im tierischen Organismus bezeichnen und vertrete die An- 
schauung, daß die Lichtempfindlichkeit an das Vorhandensein von Oxy- 
phenylalanin oder Abbauprodukten desselben gebunden sei. Für diese 
Auffassung scheint mir das konstante Vorhandensein von Melanin oder 
melaninähnlichen Substanzen, also Umwandlungsprodukten des Tyro- 
sins, in Lichtempfindungsorganen zu sprechen. Soweit mir bekannt, 
trifft man dieses Verhalten ganz allgemein, abgesehen von den Fällen, 
in denen eine diffuse Lichtempfindung anzunehmen ist, zZ. B. bei 
Amöben. Dementsprechend bestehen Beziehungen zwischen lichtempfind- 
lichen Organen und Pigmentbildungsstellen, in denen Oxyphenylalanın 
vorhanden ist.. Den soeben skizzierten Vorgang der Lichtwahrnehmung 
‚stelle ich mir in der Art vor, wie v. Fürth (1912, 8. 526—27) es für die 
Entstehung von Melaninen angegeben hat. Nur gehe ich noch einen 
Schritt weiter. 

Durch Lichtbestrahlung wird eventuell durch Mitbeteiligung von 
eiweißspaltenden Enzymen die Abspaltung von zyklischen (= tyrosin- 
haltigen) Komplexen aus den Proteinmolekülen veranlaßt. Diese Kom- 
plexe werden nun durch Licht- und Fermentwirkung (Tyrosinase) in 
Melanine übergeführt. Bei dieser Umwandlung entstehen spezifisch wir- 
kende Produkte (Photosensibilisatoren), die zur subjektiven Licht- 
empfindung führen. Diese Stoffe werden dann entweder weiter ver- 
wandelt und treten uns sichtbar als Pigmente entgegen oder sie werden 
durch nicht bekannte Vorgänge in anderer Weise verwandt und wie 
sewöhnliche Stoffwechselprodukte behandelt (Bildung von Homogenti- 
sinsäure USW.). | 

Was nun den strengen Beweis der vorgetragenen Anschauung 
anbelangt, so bemerke ich folgendes. Zwei Versuchsmöglichkeiten 
sind prinzipiell vorhanden: einmal wäre der mikrochemische Nach- 
weis von Tyrosin in den dem Lichte ausgesetzten und Jlichtempfind- 
lichen Organen und wenn möglich, seine Lokalisation in lichtempfind- 
lichen Zellen zu erbringen, zweitens wäre die Wirkung einer über die 
Norm erhöhten Tyrosinmenge im Körper oder in der Umgebung eines 
Tieres zu untersuchen. An dieser Stelle will ich nur so viel sagen, dab 
ich den Eindruck gewonnen habe, als ob sich wirklich eine erhöhte Tyro- 
sinmenge in Lichtsinneszellen niederer Tiere (Regenwurm) fände. Weiter 
will es mir scheinen, als ob weiße Mäuse (es ist nötig, Albinos zu ver- 
wenden, da ihnen ja die Tyrosinase fehlt) nach subkutaner Verabreichung 
von viel Tyrosin das helle Tageslicht als unangenehm, z. B. blendend, 
empfinden. Da die Versuche noch nicht in dem nötigen Ausmaße vor- 
genommen werden konnten, muß ich auf weitere Angaben verzichten. 


1 


Eine ausführlichere Darlegung meiner Ergebnisse und deren Diskussion 
wird später folgen. 

An dieser Stelle soll nur noch auf eine weitere Frage hingewiesen 
werden, die ich im Anschluß an die Beobachtungen des Kollegen 
Dr. Fritz Eckstein bei der Histiolyse tachinierter Lyda-Larven 
ventilieren werde, sobald die histologische Untersuchung abgeschlossen 
sein wird. Wir haben beobachtet, und Eckstein hat dieser Meinung 
schon Ausdruck verliehen, daß bei der vom Wirte (Lyda) dem Para- 
siten (Tachine) gegenüber vorgenommenen Abwehr biochemische Kräfte 
im Spiele sind, die. zu einer Pigmentumhüllung des eingedrungenen 
Fremdkörpers führen. Ich bin der Ansicht, daß dieses Pigment ein 
Melanin ist, das nur aus Tyrosin oder einem seiner Umwandlungs- 
produkte entstanden sein kann. Die näheren Umstände dieses 
Vorganges der Abwehr gegen den Parasiten werden auf ex- 
perimentellem Wege von uns gemeinschaftlich untersucht werden. 
Dann werde ich auch Gelegenheit nehmen, meine Vorstellungen über 
die physiologisch-chemische und medizinisch-zoologische Seite dieses Ab- 
wehrvorganges ausführlich darzulegen. Dabei wird sich auch die Ge- 
legenheit bieten, noch einige andere biologische Aufgaben des Tyrosins 
im Tierkörper aufzuführen unter Heranziehung der einschlägigen Lite- 
ratur. 


300 U. Hintzelmann, Medizinisch-zoologische Studien. 


Literaturverzeiehnis. 


1. Hovorka und Kronfeld, Vergleichende Volksmedizin Bd. I p. 358—59, Stutt- 
gart 1908. 
.8. Nukada und B. Tanaka, Über die antipyretische Wirkung des Regenwurms 
und dessen wirksamen Bestandteil. Mitteilungen aus der medizinischen Fakultät 
der K. Universität zu Tokio, 1915. Bd. XIV, Heft 1 p. 1—35. 
3. 8. Yagi, Über Lumbriein, die haemolytische Subztanz des Regenwurms. Arch. 
intern. de Pharmacod. et de Ther. 1911 Bd. XXI p. 105—17. 
4. M. Pauly, Der Regenwurm. Der Illustrierte Tierfreund S. 42 und 79, Graz 1896. 
Zitiert nach Edwin Stanton Faust Die tierischen Gifte, Braunschweig 1906, p. 228. 
H. Pauly, Zeitschrift für physiologische Chemie, 1904 Bd. 42 p. 508. 
. Beilstein, Organische Chemie Bd. II 3. Aufl. S. 1567.. 
. L. Brecher, Die Puppenfärbung des Kohlweißlings, Pieris brassicae. Archiv für 
Entwicklungsmechanik 1918, Bd. 43 p. 146. 
8. v. Fürth, Probleme der physiologischen und pathologischen Chemie, Leipzig 
1912 Bd. I p, 522#£. 
9. Przibram siehe OÖ. v. Fürth: Chemische Physiologie niederer Tiere, Jena 1903. 
10. List, Theodor, Über den Einfluß des Lichtes auf die Ablagerung von Pigment. 
Archiv f. Entwieklungsmechanik Bd. VIII, 1899 p. 618. 
ll. Schanz, Die Lichtreaktion der Eiweißkörper. Pflügers Archiv Bd. 164 1916 
p- 445. 
12. C. Neuberg, Chemische Umwandlung durch Strahlenarten. 1. Katalytische 
Reaktionen des Sonnenlichtes, Biochemische Zeitschrift Bd. XIII, 1908 p. 304 ff. 


D&D 


a or) | 


R. Goldschmidt, Die Reifeteilungen der Spermatozyten u. s. w. 301 


Die Reifeteilungen der Spermatozyten in den Gonaden 
intersexueller Weibchen des Schwammspinners. 


Von Richard Goldschmidt (Berlin-Dahlem). 
(Mit einer Abbildung.) 

Seit der Veröffentlichung meiner „Untersuchungen über Inter- 
sexualität“ ') hat Bridges!) in ein paar Mitteilungen über eigen- 
artige Intersexe von Drosophila berichtet, Untersuchungen, mit denen 
ich mich, so bald sie ausführlich veröffentlicht sein werden, vom 
Standpunkt der Theorie der Geschlechtsbestimmung werde nuseinander- 
zusetzen haben. Bridges erhielt seine Intersexe in triploiden Zuchten 
von Drosophila und zwar erschienen sie, wie er sowohl genetisch als 
auch zytologisch nachweisen konnte, wenn den drei Sätzen von 
Autosomen nur zwei X-Chromosomen gegenüberstehen. Wenn es nun 
auch nach der ganzen Art, wie die Intersexe beim Schwammspinner 
erzeugt werden, ausgeschlossen ist, das irgendwelche derartige Chro- 
mosomenverhältnisse in Betracht kommen, so erscheint es doch 
wünschenswert, diesen Punkt definitiv zu klären, um späteren unnützen 
Diskussionen vorzubeugen. In der Hauptarbeit habe ich bereits er- 
wähnt, daß die Spermiogenese solcher Männchen, die als letzte Inter- 
sexualitätsstufe durch Geschlechtsumwandlung aus gametischen Weib- 
chen entstehen, normal und mit normaler Chromosomenzahl abläuft. 
(Ein Geschlechtschromosom läßt sich ja leider beim Schwammspinner 
nicht nachweisen, die Ohromosomenzahl ist in beiden Geschlechtern 
gleich.) Gegen diesen Befund ließe sich aber einwenden, daß die 
Unterscheidung zwischen echten Männchen und Umwandlungsmänn- 
chen nur statistisch für eine ganze Zucht möglich ist, nicht aber für 
das einzelne Individuum. Deshalb schien es wünschenswert, die Chro- 
mosomenverhältnisse an sicherem intersexuellen Material zu kontrol- 
lieren und dies ließ sich jetzt in einwandfreier: Weise ermöglichen. 
Es handelt sich um eine Zucht aus der Kreuzung der Rassen Berlin 
x. Gifu, bei der sämtliche Weibchen höchstgradig intersexuell werden, 
sogenannte Weibchenmännchen liefern. In diesem Fall läßt sich nun 
die Intersexualität an den Strukturen der Puppenhülle bereits erkennen, 
so daß es möglich ist, ohne die Gefahr eines Irrtums die Geschlechts- 
drüsen während ihrer Umwandlung vom Eierstock ın den Hoden, die 
noch zum Teil im Puppenstadium abläuft, zu konservieren. Im nor- 
malen Hoden finden nun die Reifeteilungen in der älteren Raupe statt 
und der Puppenhoden ist bereits mit Spermien gefüllt. In der ın 
Umwandlung begriffenen Geschlechtsdrüse war aber die Spermato- 
genese am 1. Puppentag in vollem Gang. Der Bau dieser Drüse und 


l) Goldschmidt, R. Untersuchungen über Intersexualität. Ztschr. indukt. 
Abstammungslehre. 23. 1920. — Bridges, ©. B. The origin of variations in sexual 
and sex-limited characters. Amer. Nat. 56. 1922 

2) Goldschmidt, R. und Saguchi, S. Die Umwandlung des Eierstocks in 
einen Hoden beim intersexuellen Schwammspinner. Ztschr. ges. Anatomie. 1922. 


309 R. Goldschmidt, Die Reifeteilungen der Spermatozyten u. s. w. 


die Art ihrer Umwandlung vom Eierstock in den Hoden ist in einer 
gleichzeitig erscheinenden Arbeit näher beschrieben und abgebildet ?). 
Hier interessieren uns nur die Chromosomenverhältnisse in den Reife- 
teilungen der Spermatozyten in der Gonade des intersexuellen Weih- 
chens. Die haploide Chromosomenzahl ist bei allen untersuchten 
Schwammspinnerrassen 31. Abbildungen finden sich in meiner Haupt- 
arbeit. Die Zellen der intersexuellen Drüse sind nun nicht so günstig 





Abb. 1. 


für Chromosomenzählungen wie normale Zellen, weil die Spermato- 
genese hauptsächlich atypische Spermien liefert. Die seit Meves wohl- 
bekannte Abnormität der Entwicklung setzt aber schon in der Äqua- 
torialplatte der 1. Reifungsteilung ein und äußert sich hier darin, daß 
die Chromosomen nicht ganz so schematisch in einer Ebene nebenein- 
anderliegen wie sonst. Trotzdem läßt sich aber an günstigen Zellen 
mit Sicherheit die Zahl 31 feststellen und an den anderen Zellen. eine 
Zahl, die sicher nicht höher ist, wie es die nebenstehende Abbildung 
auch zeigt. 

Dies zeigt also ebenso wie die in der Hauptarbeit gegebenen 
Daten, daß die Intersexualität beim Schwammspinner nichts mit Be- 
sonderheiten der Chromosomenverhältnisse zu tun hat. 








.J. Hirschler, Über den Einfluß von Organen metamorphosierter Amphibien usw. 308 


Über den Einfluss von Organen metamorphosierter 
Amphibien auf den Verlauf der Amphibienmetamorphose. 
Von Prof. Dr. Jan Hirschler. 


, Direktor des zoologischen Instituts a. d. Jan Kazimierz Universität in Lemberg. 

Die Frage nach der Abhängigkeit, respektive Unabhängiskeit ein- 
zelner Vorgänge, die das Gesamtbild der Amphibien-Metamorphose aus- 
machen, ist, wie bekannt, bislang nur äußerst dürftig gelichtet. Ich 
stellte mir nun zur Aufgabe, mittels eines neuen Verfahrens dieser Frage 
näher zu kommen und unternahm eine Reihe von Versuchen, die auf 
folgenden Voraussetzungen fußen: 

‚Metamorphosierte Amphibien mit Larven derselben Spezies ver- 
glichen, weisen, bekannterweise, eine Reihe sehr durchgreifender Unter- 
schiede, sowohl morphologischer wie auch physiologischer Natur auf, 
so dab die Differenzen, die zwischen ihnen herrschen, meistens viel 
sröber sind von denjenigen, welche zwischen Tieren verschiedener Spe- 
zies (also z. B. zwischen zwei Fröschen oder zwischen zwei Kaulquappen 
gleichen Alters, die verschiedenen Spezies angehören) beobachtet werden. 
Angesichts dieser Differenzgröße würde es vielleicht angehen in unserem 
Falle von Speziesdifferenzen zu sprechen, wodurch wir theoretisch für 
unsere Versuche einen wichtigen Anhaltspunkt zu gewinnen glauben. 

Fassen wir nämlich die zuerst genannten Differenzen als Spezies- 
differenzen auf, so ist zu erwarten,. daß Organe metamorphosierter 
Amphibien, Larven derselben Spezies ein- oder aufgepflanzt, in den 
letzteren die Entwicklung von Abwehrkörpern verursachen werden. Da 
den Abwehrkörpern wenigstens eine gewisse Spezifität zukommt, sie 
demnach, vor allem, gegen das einverleibte Organ gerichtet sein werden, 
so ist weiter zu erwarten, daß sie auch das larvale, dem einwverleibten 
homologe Organ oder seine Sekrete angreifen werden, sobald dieses 
Organ eine Entwicklungsstüfe erreicht, welche es dem einverleibten 
Organ näher rückt. Auf diese Weise könnte es zu einer teilweisen 
oder gänzlichen Entwicklungshemmung des betreffenden larvalen Or- 
‚gans, respektive zur Neutralisierung seiner Sekrete kommen und würde 
die Entwicklung oder Involution anderer larvaler Organe von der Ent- 
wicklung dieses Organes oder von der Wirkung seiner Sekrete abhängen, 
so .würde unser Eingriff auch die Hemmung der Entwicklung oder 
Involution dieser Organe zur Folge haben müssen. 

Die Annahme einer Speziesdifferenz, in unserem Falle, scheint mir 
durch Tatsachen auch serologischer Provenienz gestüzt zu sein; so 
konnte nämlich Braus!) den Nachweis führen, daß von Fröschen 
gewonnene Extrakte im Säugetierkörper die Entwicklung von Präzipi- 


1) Braus, H., Über das biochemische Verhalten der Amphibien-Larven (Arch. 
f. Entwicklungsmechanik d. Organismen, Bd. 22, 1906). 

2) Mendelejew-Goldberg, P., Die Immunitätsfrage bei der Trypanosamen- 
‚krankheit der Frösche (Arch f. Protistenkunde, Bd. 31, 1913). 





304 J. Hirschler, Über den Einfluß von Organen metamorphosierter Amphibien usw. 


tinen verursachen, welche eine'Reaktion nur mit Frosch-Extrakten geben, 
nicht aber mit Kaulquappen-Extrakten, obwohl die dazu gebrauchten 
(Juappen derselben Spezies angehörten. Ähnliche Differenzen wurden 
bekanntlich auch für Säugetiere nachgewiesen und die Entwicklung 
von Hämolysinen nach erfolgten Injektionen von embryonalen Blut- 
körperchen in ausgewachsene Tiere derselben Spezies festgestellt, welche 
Tatsachen dafür zu sprechen scheinen, daß zwischen Larven oder Em- 
bryonen und vollkommen entwickelten Tieren derselben Spezies der- 
artige Differenzen herrschen, die für gewöhnlich zwischen Individuen 
verschiedener Spezies vorkommen und demnach als Speziesdifferenzen 
betrachtet werden. | f 

Die Annahme einer Bildung von Abwehrkörpern im Amphibien- 
Organismus scheint mir durch die Tatsachen gestützt zu sein, welche 
Mendelejew-Goldberg?) für das Serum von mit Trypanosomen 
befallenen Fröschen festgestellt hat. In diesem Falle konnte der Nach- 
weis erbracht werden, daß dieses Serum zytolytische Abwehrkörper 
ambozeptorenartiger Natur besitzt, die gegen die Trypanosomen ge- 
richtet sind. Zwar sind mir derartige Tatsachen, die Amphibienlarven 
betreffend, nicht bekannt, dennoch scheint mir die Möglichkeit einer 
Abwehrkörperbildung ihrerseits wahrscheinlich zu sein, angesichts dessen, 
dab es gelungen ist, Larven wirbelloser Tiere (Insekten), Bakterien 
gegenüber, zu immunisieren. 

Gegen meine Versuchsanordnung könnte man dennoch vielleicht 
einwenden, daß die Einverleibung eines Transplantates in den Körper 
einer Amphibienlarve den Organismus vor einen höchst komplizierten 
Faktor stellt, welcher eventuell imstande sein könnte, normal vorhan- 
dene Korrelationen aufzuheben oder neue, normal nicht vorkommende 
Korrelationen zu schaffen. Demgegenüber ist zu betonen, daß unser 
Vorgehen sich keineswegs von anderen, zum Nachweis von physio- 
logischen Korrelationen und Autonomien dienenden Versuchsanordnungen 
prinzipiell unterscheidet, denn wenn wir im zweizelligen Stadium den 
Einfluß einer Blastomere auf ihre Nachbarin studieren wollen, so töten 
wir z. B. eine Blastomere ab; sehen wir dann, daß die zurückgebliebene 
einen ganzen Embryo hervorbringt, so sagen wir, daß die eine Blasto- 
mere auf die andere eine Hemmungskorrelation ausübt; diese Tatsache 
läßt aber auch eine andere Deutung zu, denn man kann ebensogut sagen, 
daß der Tod einer Blastomere eben die Entwicklung einer Totipotenz 
in der zurückgebliebenen zur Folge hat und dann kann natürlich vom 
Wirken der Hemmungskorrelationen im normalen Zweizellen-Embryo 
nicht mehr die Rede sein. Dieses Beispiel, um viele andere nicht 
anzuführen, genügt, wie es scheint, einem Fachmanne zur Erläuterung. 
Der vorher genannte Einwand kann nicht speziell meine Versuchs- 
anordnung treffen, er hat dagegen eine gewisse Erkenntnis — theo- 
retische Berechtigung — in bezug auf die Methoden überhaupt, die 
zum Nachweis von Korrelationen und Autonomien in Anwendung ge- 
bracht werden. 





J. Hirschler, Über den Einfluß von Örganen metamorphosierter Amphibien usw. 305 


In meinen Versuchen wurden Hautstücke von ausgewachsenen Am- 
phibien auf Larven derselben Spezies aufgepflanzt. Die Transplan- 
tationstechnik kam der Uhlenhutschen?) ziemlich nahe, weswegen 
mir eine genaue Darstellung derselben, welche in manchen Einzelheiten 
praktisch modifiziert wurde, überflüssig erscheint. Jungen, nur mit 
kleinen Hinterbeinen versehenen Kaulquappen von Rana esculenta, wur- 
den auf den Kopf (zwischen die Augen) (Serie 1), auf den Rücken 
(Serie 2) und auf den Schwanz (Serie 3) Hautstücke von ausgewach- 
senen Fröschen derselben Spezies transplantiert. Zur Kontrolle wurden 
entsprechende homoplastische Transplantationen mit der Kaulquappen- 
haut ausgeführt. Jungen 34 bis 40 mm langen Larven von Triton 
eristatus, wie auch jungen 30 bis 32 mm langen Larven von Salamandra 
maculosa wurden auf den Rücken Hautstücke ausgewachsener Tiere 
derselben Spezies den ersteren aufgepflanzt, deneletzteren unter die 
Haut eingepflanzt. An den Kaulquappen wurden im ganzen 48 Frosch- 
hauttransplantationen,. an den Triton-Larven 20, an den Salamander- 
Larven 5 Verpflanzungen der Haut von ausgewachsenen Tieren aus- 
geführt. Da mich meine Vorversuche davon belehrten, dab Amphibien- 
Larven mit homoplastischen Transplantaten von metamorphosierten 
Tieren, bei Zimmertemperatur (Sommertage) gezüchtet, schnell ein- 
gehen, kultivierte ich sie hernach mit den Kontrolltieren die ganze 
Versuchsdauer hindurch in Kühlräumen von + 15° C. bis + 170 C,, 
was bei den Versuchstieren die Mortalität vollkommen (bei den Kaul- 
quappen bis zu einer gewissen Zeit) aufhob. Es ist noch zu bemerken, 
daß derartige Transplantationen leicht gelingen, die Transplantate be- 
wahren ıhr frisches Aussehen, unterliegen keiner Resorption und häuten 
sich regelmäßig in mehrtätigen Intervallen, als ob sie auf ihrer normalen 
Unterlage verweilten. Die Versuchs- und Kontrolltiere wurden natürlich, 
wie es bei solchen Versuchen üblich ist, genau auf dieselbe Weise be+ 
handelt, was Nahrung (Regenwürmer, Froschfleisch), Wassererneuerung, 
Wasserniveau und dergleichen anbelangt. Das meinerseits benutzte Kaul- 
quappenmaterial zeigte keine natürliche Tendenz zur Neotenie, indem 
die Tiere, bei Sommertemperatur gezüchtet, rasch ihre Metamorphose 
durchmachten und während der Herbstmonate in den Tümpeln, von 
welchen sie stammten, keine, sowohl Larven-Formen wie auch über- 
haupt, unvollkommen ausmetamorphosierte Tiere zu finden waren. 
Homoplastische Transplantate von. erwachsenen Urodelen (Triton, 
Salamandra), auf Larven gleicher Spezies aufgepflanzt, üben auf die 
Dauer des Larvenlebens und auf den Verlauf der Metamorphose jeden- 
falls keinen größeren Einfluß aus; dies ergibt sich daraus, daß Ver- 
suchs- und Kontrolltiere annähernd gleichzeitig ihre Metamorphose be- 
gsinnen, wobei dann das Involutionstempo larvaler Organe, wie der 
Kiemenanhängsel: und des Flossensaumes, bei beiderlei Tieren an- 


3) Uhlenhut, E., Die Transplantation des Amphibienauges (Arch. f. Entwick- 
lungsmechanik d. Organismen Bd. 33, 1912). 


Band 42. PN) 


[1 


EDER He 


306 J. Hirschler, Über den Einfluß von Organen metamorphosierter Amphibien uswe 


nähernd dasselbe ist; es läßt sich also nach genannter Hauttransplan- 
tation keine „Beschleunigung der Metamorphose“, d. i. weder eine Ver- 
kürzung des Larvenlebens, noch eine schneller verlaufende Involution 
larvaler Organe feststellen; dieses Ergebnis scheint mir im Einklange 
mit meinen früher angestellten Versuchen *) zu stehen, nach welchen 
Larvenhaut auf metamorphosierte Tritonen aufgepflanzt nur dann eine 
Metamorphose durchmacht (und zwar ungefähr 2 Monate nach erfolgter 
Transplantation), wenn diese Auipflanzung an Tieren, welche ungefähr 
vor 2 Wochen ihre Metamorphose beendet haben, vorgenommen wird, 
führt man sie dagegen an Tieren aus, die vollkommen erwachsen und 
geschlechtsreif sind, so bleiben die Transplantate der Larvenhaut auch 


nach viermonatlichem Aufenthalte unmetamorphosiert. Wie also im- 


metamorphosierten, geschlechtsreifen Tritonen-Organismus keine Fak- 
toren mehr herrschen, welche die Metamorphose der Larvenhaut verur- 
sachen könnten, so besitzt die Haut erwachsener Tritonen, auf Larven 
derselben Spezies aufgepflanzt, auch keine Fähigkeit, die Metamor- 
phose der Larven zu beschleunigen. Obwohl nun diese Fähigkeit der 
Tritonenhaut und Salamanderhaut fehlt, möchte ich mich vor einer Ver- 
allgemeinerung dieser Tatsache auf andere Organe erwachsener Tri- 
tonen und anderer Urodelen einstweilen noch jedenfalls zurückhalten. 

Während Hauttransplantate von erwachsenen Urodelen auf den 
Verlauf der Metamorphose gleichartiger Larven keinen jedenfalls grö- 
Seren Einfluß ausüben, konnte ein solcher auf die Metamorphose von 
Esculenta-Quappen, denen Froschhaut aufgepflanzt wurde, nachgewiesen 
werden. 

‚Bei diesen. Versuchen lenkten wir vor allem unsere Aufmerksam- 
keit auf den größten sämtlicher Involutionsvorgänge, die uns aus der 
Amphibienmetamorphose bekannt sind, nämlich auf die Involution des 


Kaulquappenschwanzes. Während bei den sowohl unoperierten wie auch: 


mit Kaulquappenhauttransplantaten versehenen Kontrolltieren die In- 
wolution des ganzen Schwanzes 27 bis 36 Tage dauerte, erwies sich 
las .Involutionstempo des Schwanzes bei. den Versuchstieren stark ver- 
langsamt. Mit dem Beginn der Schwanzinvolution stellte sich leider 
das alte Übel ein, nämlich eine starke Mortalität der Versuchstiere, 
von denen 21 eingingen. Es konnte somit nur bei den 27 übriggebliebenen 
die Schwanzinvolution näher studiert werden. Diese zuletzt genannten 
Tiere zeigten ein folgendes Verhalten: 17 Tiere resorbierten binnen 33 
bis 45 Tagen ihren Schwanz bis annähernd zur Hälfte seiner früheren 
Länge und gingen in diesem Stadium der Metamorphose ein, 10 Tiere 
resorbierten binnen 5l bis 83 Tagen ihren Schwanz etwas über die 
Hälfte seiner früheren Länge; von den letztgenannten gingen 7 Tiere 
in diesem Metamorphosestadium ein, eines vollendete am 108. Tage, 
vom Beginn der Schwanzinvolution rechnend, diesen Vorgang nicht, 


4) Hirschler, J., Sur la metamorphose provoquee chez l’axolotle a Y’aide d’iode 


et des experiences apparentees (Kosmos. bulletin de la Soc. polonaise d. Naturalistes ä 
Leopol An. 1918/19). 


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J. Hirschler, Über den Einfluß von Organen metamorphosierter Amphibien usw. 307 


die zwei übrigen zeigten noch am 150. und 158. Tage (vom Beginn 
der Schwanzinvolution) ziemlich große Schwanzstummeln, beendeten 
also sogar nach dieser Frist die Schwanzresorbtion nicht. Diese Daten 
bedürfen einer näheren Erläuterung nicht, sie zeigen uns aufs deut- 
lichste, daß das Involutionstempo des Kaulquappenschwanzes bei den 
Versuchstieren ‚aufs über zweifache, respektive mehrfache verlangsamt 
und. somit teilweise gehemmt ist. Zu dieser Hemmung der Schwanz- 
involution gesellt sich bei 90 % der 27 vorher genannten Versuchstiere 
die Unmöglichkeit, das Operceulum seitens eines der beiden Vorderfüße 
durchzubrechen, welcher Vorgang bei den Kontrolltieren zu Beginn der 
Schwanzinvolution stattfindet. Die bei den Versuchstieren unter dem 
Operculum verweilenden Vorderfüße scheinen weder in ihrem Wachs- 
tum noch in ihrer Entwicklung gehemmt zu sein, sie dehnen die Oper- 
cularwände stark aus, wobei letztere, wahrscheinlich unter dem Drucke 
der Vorderfüße, sich in geräumige Säcke umwandeln. Da ein zu langes 
Verweilen der Vorderfüße in diesen Opercularsäcken eine Nekrose der 
ersteren herbeiführt, diese aber für das Leben der Kaulquappe ge- 
fährlich ist, habe ich bei den meisten Tieren, um ihr Leben zu ver- 
längern, die Vorderfüße auf operativem Wege aus den Opercularsäcken 
herausgenommen, welcher Eingriff seitens der Tiere sehr gut ertragen 
wird. Diese Anomalie im Verhalten der Versuchstiere scheint mir 
deswegen interessant zu sein, weil die Foramenbildung im Operculum 
(wie Braus°) dies für Bombinator-Kaulquappen nachgewiesen. hat) 
auch bei Abwesenheit der Vorderfüße stattfindet, was darauf hinweist, 
dal sie nicht auf dem Wege eines seitens der Vorderfüße ausgeübten 
Druckes, sondern auf dem Wege einer Gewebsinvolution zustande kommt. 
Somit haben wir in unseren Versuchen neben der Hemmung der Schwanz- 
involution auch mit der Hemmung der kurz vorher genannten Gewebs- 
involution zu tun. 

Dieser Gruppe von Vorgängen, die bei Anwesenheit von Frosch- 
hauttransplantaten eine Alteration aufweisen, ist eine Gruppe von Vor- 
sängen gegenüberzustellen (wie zZ. B. Involution des Darmtraktus, Um- 
färbung des Farbenkleides, Umformung des Kopfes; Entwicklung des 
Froschmaules, Wachstum der Vorder- und Hinterfüße), die in ihrem 
Verlaufe normal erscheinen. Zwischen diesen beiden Gruppen von Vor- 
gängen scheint also eine jedenfalls weitgehende Autonomie zu herrschen, 
während die gleichzeitige Hemmung mancher Involutionsvorgänge. ent- 
weder auf ihre Korrelation oder auf ihre gemeinsame Abhängigkeit 
von einer einstweilen nicht näher bekannten Faktorenkette hinweist, 
deren erstes Glied uns jedenfalls im Froschauttransplantate gegeben ist. 

Die Tatsache der Hemmung mancher Involutionsvorgänge steht 
mit unserer theoretischen Voraussetzung insofern im Einklange, daß 
auch diese, im allgemeinen, eine Dauerverlängerung larvaler Charaktere 


5) Braus, H., Vordere Extremität und Operculum bei Bombinator Larven. Ein 
Beitrag zur Kenntnis morphogener Korrelation und Regulation (Morphologisches Jahr- 
buch Bd. 35, 1906). 

20* 


FIR FR 
Mo 3 


308 .K. Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 


postuliert. Ob aber diese Verlängerung, in unserem Falle, durch Im- 
munisierung oder auf anderem Wege verursacht ist, diese Frage muß 
erst näher analysiert werden. Die Verschiedenheit, welche in unseren 
Versuchen die Urodelen den Anuren gegenüber aufweisen, mag viel- 


leicht ihren Grund darin zu haben, daß die ‚„Speziesdifferenz“, schon nur 


nach morphologischen und physiologischen Kriterien schließend, bei den 
ersteren, zwischen larvalen und ausgewachsenen Tieren, bedeutend ge- 
ringer ist als bei den letzteren. 

Lemberg, im Januar 1922. 


Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung 
in der Embryologie. | 
Von Karl Peter, 


Prof. der Anatomie in Greifswald. 


Inhaltsübersicht. 


Einleitung. 
I. Der Begriff „Homologie*. 
1. Homologie und kausal-analytische Forschung. 
2. Homologie und Abstammungslehre. 
3. Homologie und Morphologie. 
II. Die Anwendung des Homologiebegriffs in der Embryologie. 
1. Anlage eines bleibenden Organs (Riechorgan der Amphibien). 
a) Die primitiven Uhoanen. 
b) Unterer Blindsack und JJacobsonsches Organ. 
c) Die Nasenmuschel der Amphibien. 
. Embryonale Organe. 
. Embryonale Stadien. 


cc DD 


Eine erneute Durcharbeitung der vergleichenden Anatomie und 
Entwicklungsgeschichte des Geruchsorgans der Wirbeltiere führte mich 
zu Problemen, die mich schon vor 20 Jahren beschäftigt hatten. 

Es handelt sich um den Vergleich des Geruchsorgans der Amphi- 
bien in seinen einzelnen Teilen mit den entsprechenden Partien der Nase 
der anderen Vertebraten. Sind sie einander homolog? In dieser Frage 
stehen sich vergleichende Anatomie und Entwicklungsgeschichte gegen- 
über. 

Vom vergleichenden Standpunkt aus fügt sich das Riechorgan der 
l.urche gut zwischen das der Fische und der Amnioten ein, entsprechend 
der systematischen Stellung der Amphibien als niedrigstehender Tetra- 
poden. Schwierigkeiten entstehen beim Vergleich nicht. Wir finden 
ein Rohr mit zwei Öffnungen, deren hintere, wie es bei Luftatmern 
notwendig ist, in die Mundhöhle mündet, — schon die Lungenfische 
zeigen dies Verhalten, dann auch alle Amnioten.. Die Oberflächenver- 
gsrößerung geschieht durch Wülste und Blindsäcke, die bei den Am- 


* 





K. Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 309 
nioten zu reicher Entfaltung gelangen, während die Fische an ihrer 
Stelle Falten zeigen. 

Die Entwicklung dieses Organs lin aber bei den Amphibien einen 
so abweichenden Weg und gestaltet sich so eigenartig, daß sich einer 
Homologisierung ihres Riechapparates mit dem der benachbarten Wirbel- 
tierklassen große Schwierigkeiten entgegenstellen. Der morphologische 
Wert der einzelnen Teile der Amphibiennase im Vergleich zu den ent- 
spreenenden Bildungen bei Fischen und Amnioten ist also noch nicht 
sicher erkannt und es lohnt sich, erneut den Versuch einer Homologi- 
sierung zu wagen. | : 

Dazu ist aber erst notwendig, den Begriff Homologie selbst fest- 
zulegen; wir müssen wissen, was wir mit unserem Versuch erreichen 
wollen. i 

Die Beantwortung dieser Vorfrage ist sehr schwierig und verlangt 
ein tiefes Eingehen in Probleme vergleichender, embryologischer und 
paläontologischer Natur; andere, weitabliegende Beispiele müssen heran- 
geholt werden, um alle Anwendungsgebiete der Homologie zu befragen 
und den Begriff zu präzisieren. Die in der Literatur niedergelegten 
Definitionen genügten nicht völlig, und so wuchs die ursprüngliche 
Nebenaufgabe zur Hauptaufgabe heran, und die Festlegung des mor- 
phologischen Wertes der Amphibiennase sank zu einer Nutzanwendung 
des Gefundenen herab. 

Unsere Aufgabe besteht also darin, eine praktisch verwendbare 
und logisch einwandfreie Definition des Begriffes „Homologie“ zu geben 


und an einigen Beispielen ihre Anwendungsmöglichkeit zu prüfen. 
‘ 


I. Der Begriff „Homologie“. 

Der Begriff Homologie hat, wie Spemann in einem sehr Inter- 
essanten Aufsatz ausgeführt hat, im Laufe der Zeit sehr erhebliche 
Wandlungen durchgemacht. Von drei Standpunkten aus ist man an 
eine Definition herangetreten. Während Owen eine rein morpho- 
logische Erklärung gab und morphologisch gleichwertige Teile homo- 
log nannte, trug die historische Periode den Abstammungsgedanken 
in den Begriff hinein, und Gegenbaur definierte spezielle Homologie 
als „das Verhältnis zwischen zwei Organen gleicher Abstammung, die 
somit aus derselben Anlage hervorgegangen sind“. Dem Versuch einer 
Homologisierung war durch diese Forderung des Nachweises gemein- 
samer Abstammung schon eine große Schwierigkeit entstanden; unser 
Begriff zerfloß aber völlig, wenn die dritte, die kausal-analytische 
"Periode, ihn in Hinblick auf die eigenartigen Ergebnisse ihrer Experi- 
mente zu präzisieren versuchte. Eine feste Definition, die die Resul- 
tate der Entwicklungsmechanik berücksichtigt, konnte Spemann nicht 
geben. Wie haben wir uns nun zu diesen Ausführungen zu stellen? 


1. Homologie und kausal-analytische Forschung. 
Wollen wir uns erst mit den letztgenannten Untersuchungen der 
jüngsten, der kausal-analytischen Periode beschäftigen, so ist es klar, 


310 K.Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 


daß weder die morphologische noch die historische Fassung des Be- 
griffs Homologie sich auf Verhältnisse anwenden läßt, die infolge 
experimenteller Eingriffe oder abnormer Variation vom normalen ab- 
weichen, wie sie in den von Spemann herangezogenen Fällen vor- 
liegen. Diese müssen im folgenden kurz besprochen werden. 

Wird durch Zerschnüren des Tritoneies im Zweizellenstadium jede 
der beiden Blastomeren zur Bildung einer ganzen Larve (einer Halb- 
larve) angeregt, so besteht eine große Schwierigkeit beim Vergleichen 
z. B. der Geruchsorgane der Halblarve mit denen der Vollarven. In 
einem ungeteilten Ei würde jede der beiden ersten Blastomeren nur 
ein Geruchsorgan geliefert haben (die erste Furche hier als Median- 
ebene angenommen, wie es in ein Drittel bis ein Viertel der Fälle ver- 
wirklicht ist), im operierten dagegen liefert sie deren zwei. Sind diese 
Organe trotz ihrer verschiedenen Herkunft als homolog zu bezeichnen? 

Weiterhin: Bateson fand im Oberkiefer eines Affenschädels vier 
Prämolaren statt drei, „und bei keinem Paar derselben ließ sich eine 
engere Zusammengehörigkeit nachweisen“. Wie steht es mit der Homo- 
logisierung dieser vier Zähne mit den dreien im normalen Affenober- 
kiefer? Bateson hält derartige Varianten sogar für sehr geeignet, 
um das Problem der Homologie zu beleuchten. 

Oder ist endlich die vom Irisrand regenerierte Tritonenlinse homo- 
log der aus der Epidermis entstandenen? Wenn auch nach völliger 
Regeneration eine morphologische Gleichheit vorzuliegen scheint, so ist 
doch Genese und Abstammung verschieden und eine Gleichstellung im 
morphologischen oder historischen Sinne abzuweisen. 


Das sind Fälle, die uns an der Möglichkeit der Bestimmung des 
Homologiebegriffs geradezu verzweifeln lassen. Doch meine ich, daß wir 
uns der Resignation nicht hinzugeben brauchen. Denn so interessant und 
prinzipiell wichtig es auch ist, die Anwendbarkeit unseres Begriffs auf 
derartige individuelle Fälle zu untersuchen, für die Vergleichung mor- 
phologischer Gebilde in unserem Sinne kommen diese Ergebnisse nicht 
in Betracht. Denn bei der Homologisierung von Organen 
usw. handeltessich um einen Vergleich nicht zwischen 
Individuen derselben Art, sondern zwischen verschie- 
denen Arten, Gattungen usf. 


Natürlich wäre es unberechtigt, bei dem Vergleich verschiedener 
Arten z. B. eine regenerierte Tritonlinse und eine auf natürlichem Wege 


entstandene Froschlinse als homolog oder nicht homolog zu bezeichnen, 


da auch hier zwischen Individuen, wenn auch verschiedener Arten, 
entschieden werden müßte. Wir wollen aber nicht mit dem Individuum 
arbeiten, sondern mit dem Typus der Art, der unter gewöhnlichen Ver- 
hältnissen zur Ausbildung kommt. Individuen, die infolge experimenteller 
Eingriffe oder weitgchender, nicht mehr ins Gebiet des Normalen fallen- 
der Variation vom Typus nach Gestalt und Entwicklung abweichen, 
dürfen nicht berücksichtigt werden. Allerdings ist ja der Typus auch 














K. Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 311 


ein abstrakter Begriff, den wir erst aus den Individuen herauslesen, — 
man wird eben die Exemplare zur Vergleichung benützen, die dem Mittel 
am nächsten stehen. 

Die Bedenken der kausal-analytischen Forschung an der Präzi- 
sierung des Begriffs Homologie dürfen wir also beiseite lassen. Nicht 
als ob ich die Untersuchung der Frage, wie sich eine regenerierte Linse 
zu einer natürlich entstandenen verhält, für minderwertig erachtete 
—- ich halte sie im Gegenteil für höchst interessant und wichtig —, 
aber den Begriff der Homologie tangiert sie m. E. nicht. Ich möchte 
diesen für normale Organe reserviert wissen, für die eben genannten 
Fälle suche man nach einem anderen Ausdruck. 


2. Homologie und Abstammungslehre. 


Nun erhebt sich die Frage, ob wir den Abstammungsgedanken mit 
dem Begriff Homologie verquicken dürfen, oder ob wir diesen rein 
morphologisch fassen sollen. Halten wir uns an Owens oder an 
Gegenbaurs Definition? 

Die gleiche Abstammung spielt die Hauptrolle in 
der historischen Fassung des Homologiebegriffes. 


Da ist erst festzulegen, was man unter gleicher (gemeinsamer) 
Abstammung versteht. Jedenfalls muß man diesen Begriff auch nur auf 
Arten, Gattungen usf. anwenden, nicht auf Individuen; denn dann er- 
ojbt sich eine Ähnliche Schwierigkeit, wie sie sich aus den kausal-ana- 
lytischen Experimenten einstellte. Streng der gleichen Abstammung 
wäre in diesem Falle, um wieder Spemanns Beispiel zu brauchen, der 
Brustbeinkamm aller Vogelarten und -individuen nur, wenn sämtliche 
Arten dieser Klasse von einem einzigen Individuum einer reptilien- 
ähnlichen Art abstammten. Sind die Vögel aber Abkömmlinge mehrerer 
Exemplare einer Art, so ist die Neubildung durch gemeinsame An- 
passung verschiedener Individuen an dieselben Bedingungen entstanden, 
wäre also streng genommen nicht einheitlicher Abstammung. Im Prinzip 
ist auch diese Anschauung berechtigt, sie bringt uns aber hier nicht 
weiter und ich wiederhole, daß Individuen für den Begriff Homologie 
nicht in Betracht kommen, da wir nur Arten vergleichen wollen; wir 
können also den Brustbeinkamm aller Vögel, wenn sie von einer Art 
abstammen, ohne Rücksicht darauf, ob sich ein oder viele Individuen 
gleichzeitig umgewandelt haben, gut als homolog im Sinne EEE: 
baurs ansehen. 

Nun fragt es sich aber, ob wir die gleiche Abstammung überhaupt 
ftir den Begriff homolog für wesentlich erachten oder nicht. Noch jetzt 
sind die Forscher in dieser Frage verschiedener Ansicht. O. Hert- 
wig faßt den Begriff rein morphologisch und will die gleiche Abstam- 
mung aus ihr verbannen, Roux dagegen betrachtet die gemeinsame 
Deszendenz als das Hauptkriterium. Auf beide Definitionen komme ich 


unten nochmals zurück. 


319 K. Peter, Über den Begriff „Homologie* und seine Anwendung in der Embryologie. 


Wir gehen bei unseren Ausführungen von einigen Sätzen A.Brauns 
aus, denen sich OÖ. Hertwig anschließt: „Den Würfeln, in welchen 
das Kochsalz kristallisiert, wird man den gleichen Ursprung nicht ab- 
sprechen, aber von einer gemeinsamen Abstammung derselben, von einem 
Urwirbel des Kochsalzes wird man nicht reden können. So könnte man 
auch im Gebiete des Organischen eine gleiche Art des Ursprungs typisch 
übereinstimmender Formen sich denken ohne äußeren Zusammenhang 
der Entwicklung.“ 

Den ersten Satz weise ich ab; denn einmal kann man in diesem 
Punkte anorganische und organisierte Körper nicht vergleichen und 
dann spricht Braun wieder von Individuen, auf die wir die Homo- 
logie nicht anwenden wollen. 

Dagegen ist der zweite Satz zu beachten; er läßt sich auch auf 
verschiedene Arten anwenden und trifft sicher in manchen Fällen zu. 
Wenn man z. B. die Rückbildung der Zehen bei den amerikanischen 
und den eurasischen Pferden betrachtet, so hat derselbe Reduktionsvor- 
gang an den gleichen Organen zu dem gleichen Er$ebnis geführt; Thoate- 
rium wie Equus zeigen nur die Mittelzehe in gleicher Weise entwickelt. 
Und doch haben sie diese gemeinsame Eigenschaft nicht von einem 
gemeinsamen Vorfahren geerbt, sind also in dieser Hinsicht nicht der 
gleichen Abstammung, sondern beide Formen haben sich auf Grund 
gleicher Lebensweise unabhängig voneinander entwickelt. Morphologisch 
gleichwertige Gebilde ohne gemeinsame Abstammung, — ist hier die 
Bezeichnung Homologie am Platze? 

Oder, um ein Organ und nicht einen Vorgang als Beispiel anzu- 
führen: wie O. Abel in seiner Paläobiologie schreibt, hat sich bei drei 
Arten der Phalangeriden, die zu drei verschiedenen Gattungen gehören, 
eine Flughaut unabhängig voneinander ausgebildet. Alle drei Flug- 
beutler sollen sich aus verschiedenen Gattungen durch die gleiche Lebens- 
weise entwickelt haben, Petaurus aus Gymnobelideus, Petauroides aus 
Pseudochirus und Aerobates aus Distoechurus. Sind diese Flughäute, 
die sich nur durch ihre verschiedene Breite unterscheiden, die als Haut- 
duplikaturen an den Flanken, also aus homologen Körperteilen her- 
vorgewachsen sind, als homolog aufzufassen, obgleich sie nicht gleicher 
Abstammung sind, sondern nebeneinander entstanden? 

O0. Hertwing würde diese Frage ohne weiteres bejahen, und wenn 
man nichts von der polyphyletischen Abstammung der Flugbeutler wüßte, 
so müßte man ihm unbedingt recht geben. Das einzige, was diesem Ent- 
scheid entgegenzustellen ist, ist eben das Nichtvorhandensein einer ge- 
meinsamen Abstammung. 

Zweifellos verdient diese Beziehung der eben besprochenen Organe 
zueinander eine besondere Bezeichnung, ebenso wie die gleiche Ab- 
stammung der Organe. Man darf diese beiden Fälle aber nicht in einen 
Topf zusammenwerfen und mit dem gleichen Namen belegen ; die gleiche 
oder verschiedene Abstammung ist ein gar zu wichtiges entscheidendes 
Merkmal, das die Trennung dieser Fälle gebieterisch verlangt. Ich 


Pe N RES. 









K. Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 315 


halte es nun nicht für zweckdienlich, den von Gegenbaur bereits eng 
sefaßten Begriff Homologie auf beide auszudehnen, zumal wir auch 
schon für die Nebeneinanderentwicklung der Organe einen guten Aus- 
druck besitzen. Ich beschränke also den Ausdruck homo- 
log auf Gebilde gleicher Abstammung. Andere Organe 
-sınd analog, und wenn sie sich, von homologen Gebil- 
den ausgehend, unabhängig voneinander nebeneinan- 
der im gleichen Sinne umgestaälten, so wird man diese 
Entwicklung nach ee parallele Entwicklung, die 
betreffenden Organe parallele Organe nennen. 

Osborn definiert parallele Anpassung als „analogous adaptations, 
i. e. similar characters arising independently in similar or related anı'- 
mals or organs, causing a similar evolution, and resulting in parallelisms* 

Es würde mich zu weit von meinem Thema abführen, wenn ich die 
Frage des Verhältnisses des Parallelismus zur Konvergenz erörtern 
wollte; Abel hat das in seiner Paläobiologie genügend .ausgeführt. 
Auch kommt für uns .nur ein Teil der von Osborn als parallel be- 
zeichneten Fälle in Betracht, nämlich die parallele Ausgestaltung an und 
für sich homologer Organe, — aber der Grund der Ausmerzung der 
Parallelentwicklung aus unserem Begriff Homologie dürfte klar sein. 

Dagegen müssen wir die gleiche Abstammung in die Fassung des 
Begriffs Homologie einschließen, und es erhebt sich die weitere Frage, 
ob sie für diese Definition genügt. oder ob wir die Morphologie mit 
hineinbringen müssen. 


Die Haupteinwände, die gegen die historische Fassung unseres 
Begriffs erhoben werden, sind die, daß der Nachweis gemeinsamer Ab- 
stammung sehr schwer zu führen ist und daß dieser Nachweis über- 
haupt erst durch Vergleichung morphologischer Einheiten möglich ist. 
„Nicht die Deszendenz ist es, welche in der Morphologie entscheidet, 
a umgekehrt, die Morphologie hat über die Möglichkeit der Des- 
zendenz zu entscheiden“, wie A. Braun dieses Verhältnis sehr glück- 
Jich ausdrückt. Das abe chende ist also die Morphologie der lebenden 
oder ausgestorbenen, ausgebildeten oder werdenden Formen. Dennoch 
wird man die gemeinsame Abstammung in die Definition des Begriffs 
Homologie mit aufnehmen müssen, wenn sie auch erst durch Vergleichung 
morphologischer Gebilde erkannt worden ist, da wir ohne sie ja zu 
keiner präzisen Begriffsbestimmung kommen und homologe und parallele 
Organe nicht trennen können. 


Ich halte also eine Verquickung der morphologi- 
schen mit der historischen Fassung für notwendig und 
befinde mich in diesem Punkte in Übereinstimmung mit Roux, dessen 
Definition, in seiner Terminologie der Entwicklungsmechanik nieder- 
"gelegt, lautet: „Homolog im entwicklungsmechanischen Sinne sind 
nur Bildungen, deren erste phylogenetische Entstehung von einer und 
derselben Alteration des Keimplasmas herrührt, also auf dieselben Fak- 


344 K. Peter, Über den Begriff „Homologie* und seine Anwendung in der Embryologie. 


toren zurückzuführen ist; also Gebilde gleicher Abstammung und in 
diesem Sinne morphologisch gleichwertige Teile, z. B. Arm und Flügel.“ 


In einem Punkte nur möchte ich diese Fassung vervollständigen. - 


Wie erkenne ich die gemeinsame Abstammung? Die Antwort auf diese 
Frage, der Weg, den die Untersuchung einzuschlagen hat, muß sich 
meines Erachtens in der Definition wiederfinden, sonst bedarf der Be- 
griff gemeinsame Abstammung seinerseits erst wieder eine genaue Er- 
klärung, oder er homolog hängt in der Luft, da er nicht zu 
fassen ist. Der Unterschied ist nicht sehr einschneidend und läuft darauf 
hinaus, ob man das direkt aus den Präparaten abzulesende Ergebnis 
oder die sich aus ihm wieder ergebende Schlußfolgerung in die Defi- 
nition aufnehmen will. 

Der zweite Einwand, der gegen die historische Fassung des Homo- 
logiebegriffs erhoben wird, die Schwierigkeit der Erkenntnis der ge- 
meinsamen Abstammung, hat seine Berechtigung. Ein Vergleich jetzt 


lebender Tiere oder ihrer Organe wird uns nur unvollkommen über 


gleiche oder verschiedene Abstammung unterrichten. Ausschlaggebend 
ist das Verfolgen zweier zu vergleichender Arten in ihren paläonto- 
logischen Reihen bis zur eventuell gemeinsamen Wurzel. Das ist für 
Hartgebilde keine schwierige Aufgabe, eine lückenlose Formenreihe vor- 
ausgesetzt. Für Weichteile wird uns diese Methode in den meisten 
Fällen im Stich lassen und für die Homologie der früheren Entwick- 
lungsformen wird sie noch weniger Material liefern. Gerade für unsern 
eingangs erwähnten Fall versagt sie; weder können wir die frühesten 
Amphibien mit den Fischen in Verbindung setzen, noch etwas über den 
Wert der Teile ihres Geruchsorgans erfahren. 

Die Schwierigkeit oder selbst Unmöglichkeit, in einem einzelnen 
Fall zu einem sicheren Entscheid über Homologie oder Nichthomologie 
zu kommen, darf uns aber nicht von einer exakten Begriffsbestimmung 
abhalten, deshalb bleibe ich der Ansicht, die gemeinsame Abstammung 
in die Definition der Homologie mit aufzunehmen. In welcher Weise 
wir der Morphologie dabei gerecht werden können, das wird gleich 
erörtert werden. 

Vorher möchte ich nur noch betonen, daß ich den Begriff homolog 
für absolut unveränderlich feststehend halte. ©. Hertwig unter- 
scheidet zwar verschiedene Grade der Homologie und redet von einer 
kompletten und inkompletten Form, doch möchte ich mich dieser An- 
sicht nicht anschließen. Wir können zwar von einer Sicherheit oder 
einer größeren oder geringeren Wahrscheinlichkeit der Homologie spre- 
chen, aber nicht von verschiedenen Graden; schwankend ist unsere 
Erkenntnis, aber nicht der Begriff. Die Homologie leidet weder unter 
der Entwicklungsweise noch unter der Tätigkeit eines Organs, die 
unseren Untersuchungen Schwierigkeiten entgegenstellen. Entweder 
sind zwei Gebilde homolog oder sie sind es nicht; ein Mittelding gibt 
es. nicht, : 





Prag! 


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K. Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 315 


3. Homologie und Morphologie. 


Inwieweit und in welcher Fassung wir die morphologischen Ver- 
hältnisse in unserer Definition des Homologiebegriffs berücksichtigen 
müssen, das bedarf einer besonderen Besprechung. 

Es handelt sich dabei um die Bewertung der drei Disziplinen, die 
uns über das Verwandtschaftsverhältnis der Tiere und ihrer Organe 
Aufschluß geben können: der Paläontologie, der vergleichenden Ana- 
tomie und der Embryologie. 

Daß die Paläontologie hier das entscheidende Wort zu sprechen 
hat, es aber in vielen Fällen nicht kann, ist schon oben erwähnt worden. 
Wie steht es aber mit den beiden anderen Gebieten? 

Wir gehen am besten von OÖ. Hertwigs Definition aus, die er dem 
letzten Kapitel seines Handbuchs einverleibt hat: „Organe, die in Bau 
und Zusammensetzung, in der Lage und Anordnung und Beziehung zu 
anderen Nachbarschaftsorganen bis zu einem gewissen Grade überein- 
stimmen und daher gewöhnlich auch die gleiche Funktion und Ver- 
wendung im Organismus darbieten, bezeichnet der vergleichende Anatom 
als einander homolog. Als wichtiges Merkmal für eine genaue Fest- 
stellung des Begriffes hat später der Embryolog noch eine Übereinstim- 
mung in ihrer Entwicklungsweise hinzugefügt.“ Hertwig betont selbst, 
daß alle diese Merkmale etwas Flüssiges haben und glaubt daher von 
verschiedenen Graden der Homologie sprechen zu können, eine Ansicht, 
der wir uns nicht anschließen konnten. Ich meine, daß man dem Be- 
griff Homologie ein gut Teil der Unbestimmtheit nehmen kann, wenn 
man die am leichtesten cenogenetischen Veränderungen unterliegenden 
Merkmale aus der Definition ausmerzt. So möchte ich Funktion und 
Verwendung eines Organs im Organismus aus einer morphologischen 
Fassung streichen. 

Hertwig schätzt also Vergleichung der fertigen Tiere und ihrer 
Entwicklungsstufen gleich ein. Wie steht es mit der Bewertung dieser 
beiden Lehren, der vergleichenden Anatomie und der Entwicklungs- 
geschichte? 

In den meisten Fällen wird man die ausgebildeten Tiere mit- 
einander vergleichen müssen, da man über die zur Beurteilung der Ent- 
wicklungsverhältnisse notwendigen Embryonen nicht verfügt. Doch muß 
betont werden, daß die Anlage eines Organs im allgemeinen weit kon- 
servativer ist als sein ausgebildeter Zustand und daher leichter in 
ihrem morphologischen Wert erkannt werden kann als das fertige Organ, 
das die ursprüngliche Lage und Umgebung aufgegeben haben kann, wie 
es Muskeln oder andere Organe bei ihrer Wanderung während Phylo- 
und Ontogenese tun. Ich erinnere an Zwerchfell und Keimdrüsen, die 
sich weit vom Ort ihrer Entstehung entfernen. Solche Organe lassen 
sich, wenn ihre Wanderung bei verschiedenen Tierformen verschiedene 
Grade erreicht hat, infolge ihrer differierenden Lage nicht direkt homo- 
logisieren, man muß Hilfsorgane zum Vergleich heranziehen, die den 
Weg andeuten, der durchschritten worden ist, wie Nerven und Gefäße, 


316  K. Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 


die ihren Ursprungsort nicht verlassen haben, sondern von dem von 
ihnen versorgten Organ mitgenommen und ausgezogen worden sind. 
Das ist ein wichtiger Punkt, daß man beim Vergleichen nicht nur das 
Organ selbst, sondern die Umgebung und sämtliche Hilfsorgane berück- 
sichtigt, wie es ja auch in ausgedehntem Maße bereits geschieht. 

Immerhin, die Betrachtung der ausgebildeten Formen allein hat 
ihre Schwierigkeiten, und wir werden uns besser der Ontogenese 
zuwenden, um eine brauchbare Basis für die Vergleichung der Organe 
zu gewinnen. 

Hertwig will die Entwicklungsweise in Betracht gezogen 
wissen. Ich meine aber, daß diese selbst bei sicher homologen Gebilden 
der Umwelt entsprechend so verschiedene Wege einschlägt, daß sie sich 
für diesen Zweck nicht eignet. Man denke nur an die Genese des 
Nervenrohrs bei Knochenfischen und Selachiern ! 

Wir werden also nicht die Entwicklungsvorgänge, sondern die 
Bilder, die uns die Stadien selbst darbieten, zum Vergleich heranziehen. 
Welches Stadium bewahrt nun den ursprünglichen für uns allein ver- 
wendbaren Zustand am getreuesten? Eigentlich keines, da die Ceno- 
genese an allen angreifen kann. 

Diese cenogenetischen Veränderungen werden sich aber nicht in 
allen Entwicklungsphasen gleich groß zeigen; in Zeiten, in denen die 
Lebensbedingungen der einzelnen Arten erheblich voneinander abweichen, 


werden sie sich besonders mächtig geltend machen, während in „ruhigen“ - 


Perioden die Verschiedenheiten geringer sind und der ursprüngliche 
Typus mehr gewahrt bleibt. Ersteres betrifft gerade die ersten Stadien 
der Keimesentwicklung, die im Interesse ihrer Umwelt besonders stark 
umgestaltet. werden können. Zur Zeit der Anlage der Organe sind wieder 
gleichmäßigere Verhältnisse hergestellt, die in der weiteren Ausbildung 
in Annäherung an den definitiven Zustand wieder wechselnden Platz 
machen werden. 

Die Anlage eines Organs wird also besonders günstig 
sein, um seinen morphologischen Wert zu erkennen. 
Diese werden wir für unsere Fassung des Homologiebegriffs benützen 
und wollen für den morphologischen Teil unserer Definition den Satz 
aufstellen: H.omolog nennen wir die Organe, die sich aus 
dem nach Herkunft, Lage und Beziehung zur Nach- 
barschaft gleichen Material entwickeln. Die Forderung 
der Gleichheit braucht sich nur bis zu den Stadien herab zu erstrecken, 
in denen die Anlage des Organs sichtbar wird. 

Es ist allerdings möglich, daß diese Definition nicht immer aus- 
reicht: für diejenigen Fälle nämlich, in denen cenogenetische Prozesse 
auch die Anlage eines Organs in einer so einschneidenden Weise ver- 
ändert haben, daß eine Vergleichung mit anderen Formen nicht mög- 
lich ist. 

Dies trifft z. B. zu für das Geruchsorgan der Oyclostomen, das 
aus einer unpaaren Anlage entsteht, während es bei allen anderen 









. 


K. Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 317 


Wirbeltieren von Anfang an paarig ist. In einem solchen Falle liefert 
die Anlage selbst keine Antwort auf die Homologiefrage und man 
wird den Ort der Anlage, eventuell auch ihre weitere Entwicklung 
zu deren Beantwortung heranziehen. Nun nähert sich das Riechorgan 
der Neunaugen auch in späteren Stadien in keiner Weise dem der 
anderen Fische, und dasselbe gilt für den ausgebildeten Zustand, wie 
es wohl in allen derartigen Fällen sein wird. Einzig der doppelte 
Riechnerv weist auf ursprünglich bilaterale Entstehung und Bau hin, 
die beide infolge des Parasitismus der Tiere sekundär so erheblich ver- 
ändert worden sind. i 

In solchen Fällen wird man zur Unterstützung alle möglichen 
Faktoren heranziehen, so eine auf anderem Wege festgestellte Homo- 
logie der in Frage kommenden Arten oder einiger dem zu untersuchen- 
den Organ benachbarter Gebilde, oder größerer Organkomplexe, die das 
fragliche Organ in sich schließen. Wenn ich z.B. die von der medialen 
Wand der Geruchsorgane von Amphibien und Amnioten ausgehenden 
Blindsackbildungen vergleichen will, muß ich erst fragen, ob die Tetra- 
poden überhatıpt eine gemeinsame Abstammung haben, dann, ob ihre 
Riechorgane als Ganzes homolog sind. Dann beschränkt sich die Unter- 
suchung schon allein darauf, ob dieses auch für die septale Wand gilt. 
Von Fall zu Fall wird man die Frage nach der Vergleichbarkeit anders 
stellen müssen und als Hilfskräfte zur Beantwortung der Frage andere 
Organe heranziehen. 

Eine für alle Fälle gültige und verwendbare Definition des Be- 
sriffs Homologie, die stets einen sicheren Entscheid über den mor- 
phologischen Wert eines Organs lieferte, läßt sich also nicht geben. 
Am dienlichsten erscheint mir noch folgende Fassung: 

„Homolos:’sind Gebilde, deren - Anlagen nach Her: 
kunft; Bau und Lagebeziehungen gleich sind und die 
von gemeinsamer Abstammung sind.“ Können embryonale 
Stadien nicht-zum Vergleich herangezogen werden, so geben die gleichen 
Verhältnisse bei erwachsenen Tieren oft eine hinreichend sichere Ant- 
wort. 

II. Die Anwendung des Homologiebegriffs in der Embryologie. 

Im zweiten Teil soll der Homologiebegriff auf seine Verwendbarkeit 
hin embryonalen Verhältnissen gegenüber geprüft werden. Und zwar 
wollen wir dies nach drei Richtungen untersuchen. Es sollen ver- 
slichen werden 

1. Anlagen eines bleibenden Organs (Riechorgan der Amphibien), 

2. Embryonale Organe (Deckschicht der Amphibienlarven und 'Tro- 
phoblast der Säugetiere), 

3. Embryonale Stadien (Blastula der Wirbeltiere). 


1. Anlage eines bleibenden Organs (Riechorgan der Amphibien). 
Wie schon eingangs erwähnt, geht die Entwicklung des Geruchs- 
organs der Amphibien in vielen Fällen ihre eigenen Wege, und es 





318 K. Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 


ist schwer, eine Anknüpfung an die Fische einerseits und die Amnioten 
anderseits zu finden. Während die Amnioten sich sehr gut an die 
Fische, besonders die Dipnoer, anschließen, stehen die Amphibien ganz 
abseits. Infolgedessen erheben sich große Schwieriekeiten, wenn wir 
die einzelnen Teile der Amphibiennase mit denen der Amnioten ver- 
gleichen wollen; eine gemeinsame Wurzel für diese Bildungen ist uns 
nicht bekannt, und es ist zu untersuchen, ob der so erheblich modifizierte 
Entwicklungsgang eine Homologisierung der bei Lurchen und Rep- 
tilien vergleichbar scheinenden Gebilde zuläßt. 

Wir sind bei unserer Untersuchung allein auf die Eabrroldgie an- 
gcwiesen; die Paläontologie gibt uns keine Auskunft. Ein phylogene- 
tischer Anschluß der Amphibien an fischähnliche Vorfahren fehlt gänz- 
lich. Man weiß nicht, an welche Formen man die Urahnen unserer 
Lurche, die Stegocephalen, anknüpfen soll. Am nächsten stehen ihnen 
wohl die Crossopterygier. Aber der zu ihnen gehörige Polypterus zeigt 
in seinem hochausgebildeten Riechorgan zwar manche Besonderheit, aber 


gar keine Amphibienähnlichkeit, sondern steht den übrigen Ganoiden 


sehr nahe. Auch gegen die Amnioten sind die Amphibien im Bau ihres 
}eruchsorgans gut abgesetzt, ohne daß uns Übergangsformen bekannt 
wären. B 

Drei Punkte können wir aus der Morphologie der Nase heraus- 
lieben und besprechen: Die Stellung der primitiven Ohoanen, des 
medialen Blindsacks (Jacobsonsches Organ) und der Muschel in 
beiden Wirbeltierklassen. 


a) Die primitiven Choanen. 


Luftatmer brauchen als Geruchsorgan ein Rohr, das mittels einer 
außerhalb der Mundhöhle gelegenen Eingangsöffnung die Luft einzieht, 
am prüfenden Riechepithel vorbeileitet. und durch eine innere Öffnung 
in die Mundhöhle und die Lungen weitergibt. Diese zwei Öffnungen, 
die Narinen und die Choanen, finden sich bei Dipnoern, Amphibien und 
Reptilien. Die Funktion und Lage der Choanen am Gaumen ist die 
gleiche, aber ihre Genese ist sehr verschieden. 

Bei den Lungenfischen und Reptilien entstehen sie dadurch, daß 
seitliche Hautlappen die Geruchsrinne überbrücken und verwachsen, 
so daß die Rinne zum Kanal umgestaltet wird. Die Choanen sind also 
ein Teil der Rinne selbst, sind stets offen gewesen und liegen in der 
ektodermalen Mundbucht. Bei den Amphibien aber fehlt eine Nasen- 
rinne gänzlich; die Riechgrube wächst nach hinten medial in einen 
soliden Zapfen aus und verlötet mit dem entodermalen Vorderdarm. 
Durch sekundäre Lumenbildung entsteht dann die hintere Nasenöffnung. 

Diese Bildungsweise ist zweifellos höchst auffallend, — ist uns 
aber biologisch verständlich, wie ich schon an anderem Ort (1920) aus- 
geführt habe. „Bei den Amphibien ist ein solcher sich ausschließlich 
im Innern des Kopfes abspielender Vorgang nötig, da die Larven wäh- 
rend dieser Entwicklungsprozesse ein freies Leben führen und sich 





TREE HINEIN EN ERSTE 





K. Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 319 


ernähren müssen. Sie bedürfen daher besonderer Organe: der Mund 
muß frühzeitig in Tätigkeit treten und dazu bei Kaulquappen die ver- 
gänglichen Hornkiefer tragen, und schon vor dessen Durchbruch finden 
sich bei Anurenlarven die Haftnäpfe, die die ganze Ventralseite des 
“Kopfes beherrschen, bei Tritonen die Kieferbogenfortsätze. Die Ober- 
fläche des Kopfes ist also von Organen eingenommen, die zur Erhaltung 
der Larve selbst gehören und für Vorgänge, die später funktionierende 
Gebilde entstehen lassen sollen und die an der Außenfläche liegenden 
Bildungen stören könnten, ist gewissermaßen dort kein Platz vorhanden. 
Sie werden vollständig ins Innere des Kopfes verlegt. So erklärt sich 
meines Erachtens die sonst völlig unverständliche und von dem bei den 
übrigen Wirbeltierklassen eingehaltenen Modus ganz abweichende Bil- 
dung des Riechkanals bei Urodelen und Anuren, die eine entodermale 
primitive Choane liefert. 

Ich fasse also diesen Entwicklungsgang, so einfach er auch er- 
scheinen mag, auf als hervorgerufen durch das freie Larvenstadium.“ 
Da °r sich in der Wirbeltierreihe nirgends wiederholt, so ist er sicher 
als eine sekundäre Modifikation anzusprechen. 

Versuchen wir, uns die Entstehung dieser Choanenbildung klar zu 
machen, um Anhaltspunkte für eine Homologisierung zu gewinnen, so 
läßt uns das Studium der primitiven Urodelenformen im Stiche. Bei 
Necturus finden sich anscheinend die gleichen Verhältnisse wie bei 
Triton. Auch bei Necturuslarven früher Stadien sind nur Riechgrüb- 
chen zu erkennen, keine Furche. Eycleshymer undWilson zeichnen 
oder schreiben in ihrer Normentafel von diesem Lurch nichts von einer 
Nasenrinne, und ich vermisse sie auch an den Embryonen meiner Samm- 
lung. Dies ist auch der Fall bei Larven, bei denen (Nr. 33 der Normen- 
tafel) das Organ mit dem Vorderdarm in Verbindung steht oder 
(Nr. 35,36) in ihn durchgebrochen ist. Die gleichen Verhältnisse zeichnet 
Wiedershei'm von seinen Proteuslarven. Der kleine Lappen, den 
er in einem bestimmten Stadium an der Riechgrube fand (Fig. 4, N), 
ist kein Nasenfortsatz, wie ihn die Fische aufweisen. 

Vielleicht haben die fußlosen Gymnophionen den alten Bildungs- 
modus der Choanen in etwas modifizierter Form übernommen; bei 
ihnen entsteht wie bei den Amnioten eine Nasengaumenrinne, und die 
Choane bricht ähnlich wie bei Säugern in den ektodermalen Mundteil 
durch. Allerdings besteht bei diesen Amphibien eine Abweichung inso- 
fern, als diese Rinne nicht innerhalb, sondern seitlich vom Riechgrüb- 
chen liegt, also nur an der medialen Wand Sinnesepithel trägt, das bei 
Amnioten beide Wände der Furche auskleidet. Doch sind Anklänge an 
die Entwicklungsart der Fische und Amnioten in der Verwachsung der 
„Nasenfortsätze‘“ zu finden, dieähnlich abläuft wie bei Säugern. Die seit- 
"lich gerückte Lage der Rinne und die Ausbildung eines nicht Sinnes- 
epithel enthaltenden ‚„Nasenrachenganges“ sind ja einzig dastehend und 
auf die enorme Umbildung des Kopfes infolge der grabenden Lebensweise 
zurückzuführen, sind aber doch wohl kein unüberwindliches Hindernis 


330 K. Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 


für eine Homologisierung der Nasenöffnungen bei Fischen und Gymno- 
phionen, wie ich früher annahm. Ebenso kann sich auch vor den äußeren 
Nasenöffnungen indifferentes Epithel zu einem Einführungsgang ein- 
stülpen. Will man ganz exakt vorgehen, so könnte man die Stellen, an 
denen das Riechepithel nach der Mundhöhle zu aufhört, homologisieren. - 

Die Entstehung der Öffnungen des Geruchsorgans der Gymno- 
phionen schließt sich also an die Verhältnisse bei den Fischen an. Für 
das Verständnis der eigenartigen Choanenbildung bei Urodelen und 
Anuren liefert sie aber nichts; es wäre sehr gewagt, diese abweichenden 
Formen als Zwischenglieder zwischen Fische und Urodelen einzufügen. 
Immerhin weisen sie den Weg, wie wir uns.die Genese der Choanen 
bei Triton vorstellen können. Sie lehren schon eine Emanzipation der 
Geruchsgrube von den Nasenfortsätzen. Denken wir uns nun letztere 
aus biologischen Gründen geschwunden, so haben wir einen tiefen Blind- 
sack vor uns, der leicht auf den Vorderdarm stoßen und mit ihm ver- 
schmelzen kann. Doch fehlt jeder Anhalt für eine solche Annahme. 

Wir kommen also zu dem Schluß, daß die Choanenbildung 
beiSchwanz- und Froschlurchen etwas ganz Neuesdar- 
stellt;ihre Choane ist also der der Fische und Amnio- 
ten nicht homolog, während man das für die Gymnophionen an- 
nehmen kann. 

Zugleich zeigt diese Untersuchung die Bedeutung der Anlage eines 
Gebildes gegenüber dem entwickelten Zustand; bei dem Vergleich der er- 
wachsenen Tiere glaubt man die CUhoanen als homolog bezeichnen zu 
können, erst die Kenntnis des Entwicklungsganges lehrt die Unmöglich- 
keit dieser Auffassung. 


b) Unterer Blindsack und Jacobsonsches Organ. 


Bei Amnioten liegt das Jacobsonsche Organ, soweit es nicht 
völlig rückgebildet ist, medial von der Hauptnasenhöhle. Wo es, wie 
bei Reptilien, eine mehr ventrale Lage zu ihr einnimmt, handelt es sich 
um sekundäre Wachstumsverschiebungen. 

Bei Amphibien finden wir einen „unteren Blindsack“ als Anhang 
der Nasenhöhle, medial oder lateral von ihr gelegen. Ist letzteres der 
Fall, so haben sich ebenfalls Prozesse eingestellt, die das ursprünglich 
von der medialen Wand hervorgewachsene Organ seitwärts gedrängt 
haben. Ich habe mich früher gegen eine Homologisierung dieser beiden 
Anhänge ausgesprochen lauf Grund ‚der verschiedenen Zeit "und Art 
ihrer Entwicklung. 

Beide Blindsäcke entstehen nämlich zu sehr verschiedenen Zeiten. 
Das Jacobsonsche Organ wird als Rinne bei Reptilien und Säugern 
bereits an der medialen Seite der tiefen, aber noch weit offenen Riech- 
grube kenntlich, während der untere Blindsack der Amphibien erst viel 
später in Erscheinung tritt, beim Frosch von 11 mm Länge nach Aus- 
bildung der Hornkiefer, bei Triton alpestris von 12,5 mm Länge nach 
Durchbruch der Choanen. Eine so starke zeitliche Verschiebung der 








K. Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 391 


Anlage ist sehr auffallend, aber doch wohl in der eigenartigen Genese 
- der Amphibiennase begründet; ich will eine solche „Heterochronie“ nicht 
. mehr gegen eine Homologie der beiden Bildungen ins Feld führen, da 
ähnliche bedeutende Verschiebungen auch bei anderen sicher homologen 
Organen bekannt geworden sind. So entsteht die Linsenanlage beim 
Hühnchen in einem Stadium von 18 Ursegmenten, beim ‘Schwein in 
einem solchen von 34—35 Urwirbeln. Beide Entwicklungsstadien liegen 
weit auseinander: beim Hühnchen besteht noch eine geschlossene Mund- 
bucht, beim Schwein ist die Rachenhaut gerissen. Über das Aussehen 
und den Entwicklungsgrad der Organe der betreffenden Embryonen 
orientieren die Abbildungen und Tabellen in Keibels Normentafeln: 
Huhn Tabelle 31, Fig. 13, Schwein Tabelle 67, Fig. 13. 

Die verschiedene Zeit der Anlage ist also kein Grund gegen eine 
Homologisierung, und somit ist nur die Frage zu entscheiden: ist das 
Zellmaterial, aus dem sich unterer Blindsack und Jacobson sches 
Organ entwickeln, das gleiche? Entsprechen sich die medialen Wände 
der Riechsäcke? | 

Die verschiedene Entstehun®& dieser Wände bei Amphibien und Am- 
“nioten, um erst den Entwicklungsprozeß als solchen zu erwähnen, macht 
uns in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten. Bei ersteren entsteht 
das Lumen zwar durch Dehiszenz und die Wände werden aus einer 
soliden Zellmasse auseinandergetrieben, bei letzteren sind sie von vorn- 
herein getrennt. Trotzdem entsprechen sich sicher die medialen und 
lateralen Wände. Dies wird gleich näher ausgeführt werden, wird aber 
schon durch ein anderes Beispiel klar. So ist nie daran gezweifelt 
worden, daß die rechte und linke Seite des Zentralnervensystems bei 
Knochenfischen den gleichen Nervenrohrhälften z. B. der Amnioten 
entsprechen, obgleich sie ebenso durch Dehiszenz von dem soliden Kiel 
abgespalten werden, wie der Seitenwände der Amphibiennase, während 
bei den meisten übrigen Wirbeltieren rechte und linke Nervenrohrseite 
von Anfang an getrennt sind. Der verschiedene Entwicklungsgang an 
und für sich spricht also auch nicht gegen eine: Homologisierung der 
medialen Wände der Geruchsorgane von Amphibien und Amnioten. Es 
bleibt schließlich nur noch zu untersuchen, ob das Material, das den 
unteren Blindsack der Amphibien und das Jacobsonsche Organ des 
Amnioten liefert, das gleiche ist. 

Ich glaube jetzt, daß man diese Frage bejahen kann. Das hintere 
Ende des soliden Geruchsstranges, der dem Vorderdarm entgegenwächst, 
um sich an ihn anzulegen, enthält das Material für alle Wände, also 
auch die Zellen für die mediale und laterale Wand, ebenso wie eine 
solide Drüsenknospe die Zellen, die den späteren Gang ringförmig 
umgeben, alle in sich birgt. In diesem frühen Entwicklungsstadium 
macht der Riechsack nach keine Drehungen und somit ist anzunehmen, 
daß die einzelnen Zellen an ihrem Orte verbleiben, daß also die dem 
Gehirn anliegenden Zellmassen auch nach Entstehung des Lumens die 
mediale Riechsackwand formieren. Und hier, an der ventralen Seite, 

42. Band, 21 


399 K. Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 


sproßt der untere Blindsack aus, wie das Jacobsonsche Organ am 
ventralen Teil der mittleren Riechgrubenwand angelegt wird. 


Somit ist das Zellmaterial, aus dem unterer Blindsack der Am- | 


phibien und Jacobsonsches Organ der Amnioten entstehen, das gleiche, 
und wir können beide Organe als homolog ansehen. 


c) Die Nasenmuschel der Amphibien. 


Mit den letzten Ausführungen über die Verteilung des Anlagemate- 
rials in dem soliden Riechstrang der Amphibien ist auch die morpho- 
logische Bedeutung des bei ihnen allerdings meist schwach ausgebil- 
deten, von der Seite in die Riechhöhle einragenden Wulstes entschieden. 
Während ich mich früher auf Grund der so abweichenden Entstehung 
des Riechorgans der Lurche scheute, ihn der Muschel der Reptilien zu 
homologisieren, glaube ich jetzt nach obiger Überlegung einer Homo- 


logie das Wort reden zu können: Das Anlagematerial der seitlichen 


Nasenwand ist das gleiche, ebenso die Lage: in ihr lagert die seitliche 
Nasendrüse, unter ihr mündet der Tränennasengang. 

Unsere Untersuchung lehrt, daß die Entwicklungsgeschichte 
doch das entscheidende Wort in der Homologiefrage 
zu sprechen berufen ist, wenn die Paläontologie keine 
Auskunft geben kann. Unsere Fassung des Begriffs Homologie 
bewährte sich. Wir wollen nun versuchen, ob sie dies auch tut embryo- 
nalen Neubildungen gegenüber. 


2. Embryonale Organe. 
‘Während die Epidermis bei Selachiern und Amnioten in ihrer 


ganzen Dicke die Anlagen der Sinnesorgane liefert, spaltet sie sich 


bei Knochenfischen und Amphibien in zwei Lagen: die innere Sinnes- 
schicht, die allein das Sinnesepithel hervorgehen läßt und die Deck- 
schicht, die am Aufbau der Sinnesorgane nicht teil nimmt, sondern 
ihrer Aufgabe getreu sich schützend über diese Anlagen breitet. Wie 
steht es nun mit der Homologie z.B. des Geruchsorgans der Amphibien 
und Reptilien, das hier aus dem ganzen Hautblatt, dort nur aus dessen 
Sinnesschicht hervorgeht? Sind die Organe trotz ihrer verschiedenen 
Anlage, die aus der ganzen oder nur einem Teil der Epidermis hervor- 
geht, als gleichwertig zu bezeichnen? Die Riechgruben beider Wirbel- 
tierklassen gleichen sich bis auf geringfügige Differenzen trotz ihrer 
verschiedenen Herkunft, — eine Homologie erscheint da natürlich und 
doch ist diese Verschiedenheit der Anlage ein schwerwiegender. Grund 
gegen sie. Dieser Fall verlangt also eine besondere Besprechung, die 
mit der eines anderen verquickt wird, der noch auffallendere Ver- 
hältnisse darbietet. 

Bei den Anamniern entwickelt sich das ganze Ei zum Embryo, 
es geht keine Zelle verloren. Bei den Amnioten wird aber ein guter 
Teil des Eies zur Bildung der Eihäute verbraucht und nur ein gewisser 
Prozentsatz der Keimmasse liefert den Embryo selbst. ‚Ja bei den Säuge- 







rg 1) a a a he U A a 


RS OHREN 








K. Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 393 


tieren muß sich in früher Zeit außerdem noch der Trophoblast ab- 
spalten. Folgen wir der Vermutung von Van Beneden und Van 
der Stricht, dann liefert eine Blastomere des Zweizellenstadiums 
das Material für den Trophoblast, die andere das für Embryo und Ei- 
häute.. 

Genau das gleiche ist verwirklicht bei Wirbellosen, bei denen sich 
sogar nahe verwandte Formen, die einen mit, die anderen ohne Eihäute 
entwickeln, wie es die Onychophoren zeigen. Die großen dotterreichen 
Eier von Peripatus Novae-Zeelandiae geben nur den Embryo her, der 
sich ohne Eihüllen entwickelt; von den kleinen dotterarmen Keimen 
der amerikanischen Peripatusarten dagegen trennen sich schon in 
frühesten Stadien Zellen ab, die Eihäute und den fetalen Teil der Plazenta 
bilden. Wir werfen bei diesen Fällen genau die gleiche Frage auf wie 
oben: sind die ganzen Eier homolog, die verschiedene Gebilde aus sich 
entstehen lassen, hier nur Embryo, dort Embryo -- Eihäute —- Plazenta, 
oder sind dies nur die verschiedenen Teile der Eier, die das Material 
für die Embryonen selbst liefern ? 

In beiden Fällen handelt es sich darum, daß von einem Ganzen 
(hier Keim, dort Epidermis) cenogenetisch ein Teil abgespalten wird, 
um eine neue Aufgabe, die an den Embryo herantritt, zu erfüllen (der 
Ernährung, des Schutzes). In beiden Fällen lautet die Frage: besteht 
die Homologie vor der Abspaltung der Neubildung, d. h. zwischen den 
ganzen noch ungeteilten Gebilden, so daß, um bei dem einen Beispiel 
zu bleiben, das befruchtete oder zweigeteilte Ei der Maus dem gleichen 
Stadium des Frosches zu vergleichen ist, und reicht diese Homologie 
auch auf fernere Entwicklungsstufen, so daß Mäuseembryo + Fihäute 
—- fetale Plazenta gleich der Froschlarve ist? Oder entsprechen ein- 
ander die Embryonen und ist dann rückwärtsgehend der junge Keim 
(etwa die Morula) des Frosches homolog nur einem Teil des gleichalten 
Mäusekeimes, also gleich Keim — Eihautmaterial — Trophoblastmaterial? 

Ich glaube, daß beide Fragen nur zum Teil zu bejahen sind. 

Den Trophoblast, die Deckschicht der Amphibienepidermis, haben 
wir ohne Zweifel als eine cenogenetische Neubildung anzusprechen, die 
also sich erst im Laufe der ‚phylogenetischen Entwicklung aus der ge- 
meinsamen Anlage herausdifferenziert hat. Vor dieser Zeit lieferte das 
Ei nur den Embryo wie bei den jetzigen Anamniern. Ontogenetisch 
wiederholt sich. diese Differenzierung bei jedem Amniotenembryo. Des- 
halb können wir meines Erachtens das eben gefurchte Ei dieser Wirbel- 
tiere dem der Anamnier trotz der verschiedenen prospektiven Bedeutung 
der Blastomeren homologisieren: es wiederholt in dieser Zwei- oder 
Vierzelligkeit das alte gleiche Stadium der gemeinsamen Ahnen. Mor- 
phologisch und historisch besteht eine einwandfreie Homologie. 

Sobald aber die Neubildung sichtbar geworden ist, muß eine Um- 
schaltung der Homologie eintreten, in Phylogenese wie in Ontogenese. 
Das cenogenetische Organ ist eben etwas ganz Neues, es hat nichts 
Vergleichbares in den Stadien vor seinem In-die-Erscheinung-treten. Des- 


21" 


394 K.Peter Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 


halb konnten wir es ganz außer acht lassen bei einer Homologisierung 


dieser früheren Entwicklungsstufen ; seine Anlage, noch nicht sichtbar, 
bleibt unberücksichtigt. Von dem Zeitpunkt des Erscheinens der Neu- 
bildung aber entsprechen einander nicht mehr die ganzen Keime; das 
neue Organ ist eben ein Gebilde für sich und fällt für eine Vergleichung 
fort. Jetzt sind nur die palingenetischen alten Teile der Keime homo- 
log, der Froschembryo dem Mäuseembryo und das Riechgrübchen des 
Frosches dem der Eidechse; Trophoblast und Eihäute bezw. Deckschicht 
der Epidermis, die eine Homologisierung zu erschweren scheinen, werden 
beiseite gelassen. 

Die prospektive Bedeutung der einzelnen Teile des Keimes muß 
also unberücksichtigt bleiben. Tun ‘wir dies nicht, so stellen sich un- 
überwindliche Schwierigkeiten für den Vergleich ein. Man könnte dann 
z. B. das Zweizellenstadium des Tritoneies nicht mit dem des Frosches 
homologisieren, da eine der beiden Blastomeren beim Molch meist Rücken- 
oder Bauchseite, beim Frosch meist rechte oder linke Körperhälfte her- 
vorgehen läßt. Es handelt sich hier nicht um die Bewertung der ein- 
zelnen Blastomeren — da müßte die Antwort auf eine Homologie- 
frage anders lauten —, sondern um die des ganzen Keimes nach Gestalt 
und Herkunft. Und da kann man sagen: In morphologischem wie in 
historischem Sinne sind beide Keime einander homolog, — unsere Fas- 
sung des Homologiebegriffes scheitert nicht an cenogenetischen Neu- 
bildungen. 

Wir können also zusammenfassen, daß bei Homolögisierung 
embryonaler Organe oder Stadien die prospektive Be- 
deutung der Keimteile nicht berücksichtigt werden 
darf. Vor dem Auftreten cenogenetischer Neubildungen entsprechen 
einander die ganzen Gebilde, wenn wir eine Tierklasse A ohne Neu- 
bildung mit einer Klasse B mit dieser Neubildung vergleichen. Da 
ist Embryoanlage-A — Embryoanlage B — Anlage der Neubildung. 
Nach dem Sichtbarwerden der letzteren sind aber die Embryonen gleich 
zu bewerten, dann ist Embryo A =. Embryo B, also ganzer Keim — 
Neubildung. : 

Wann tritt diese Umschaltung der Homologie ein? „Mit dem 
Sichtbarwerden der Neubildung‘, — das ist kein fester Zeitpunkt. Man 
wird ihn auch nicht präzisieren können und braucht es nicht, denn bei 
Homologisierungsversuchen wird es sich wohl ausschließlich um Stadien 
vor oder nach diesem Moment handeln. 


3. Embryonale Stadien. 


Wir waren schon bei Besprechung des Zweizellenstadiums zur 
Homologisierung embryonaler Stadien übergegangen und wollen dies 
auch bei der Entwicklungsphase der Keimblase der Wirbel- 
tiere, der Blastula, versuchen. 

Dieses Stadium ist für die einzelnen Vertebratenklassen von ver- 
schiedenen Forschern sehr verschieden bewertet worden; der morpho- 


u 1 0 N rd re a ee 









K. Peter, Über den Begriff „Homologie“ und seine Anwendung in der Embryologie. 395 


logische Wert der Keimhöhle und ihrer Wände wird sehr wechselnd 
beurteilt. Kann da unsere Fassung des Homologiebegriffs einen Ent- 
scheid bringen? Nehmen wir die Verhältnisse von Amphioxus als Para- 
diema, so ist hier das Blastocoel oben von Mikromeren ausgekleidet, die 
den Ektoblast liefern, unten von Makromeren, dem späteren Entoblast, 
alle Zellen gehen in den Embryo selbst ein. 

Ohne auf andere Wirbeltierklassen einzugehen, will ich gleich an 
die schwierigste Frage herantreten: ist die Keimblase der Säugetiere 
der der anderen Wirbeltiere, also auch des Amphioxus, homolog? 

Diese Frage wird von verschiedenen Autoren in entgegengesetztem 
Sinne beantwortet. R. Hertwig schreibt im Kapitel „der Furchungs- 
prozeß“ in ©. Hertwigs Handbuch von der Entwicklung des Säuger- 
eies: „Dieses... Morulastadium... entwickelt sich zur Blastula, in- 
dem sich exzentrisch ein mit Flüssigkeit erfüllter Hohlraum bildet“ 
und erhält somit die Homologie aufrecht. Bonnet dagegen betont 
ausdrücklich: „Die Keimblase der Säugetiere ist der Blastula des Lan- 
zettfischehens oder der Amphibien, welche in ihrer Totalität zum Em- 
bryo wird, nicht gleichwertig, sondern muß mit der Keimhaut der 
Reptilien und Vögel verglichen werden, wenn diese, was allerdings der 
sroßen Dotterkugel halber viel später eintritt, den Dotter gänzlich um- 
wachsen hat und an ihrem animalen Pol den Embryo trägt.“ Beide 
Ansichten werden von anderen Autoren vertreten. 

Berücksichtigen wir bei der Homologisierung mit Bonnet die 
prospektive Bedeutung der Zellmassen, so müssen wir ihm Recht geben: 
die Wände der Keimblasenhöhle der Säugetiere lassen ganz andere 
Dinge aus sich hervorgehen als beim Amphioxus: hier äußeres Keim- 
blatt einerseits, inneres anderseits, dort den Trophoblast und nur aus 
einem kleinen Wandstück den Embryo selbst. 

Dieser Punkt spricht aber nicht mit, da wir die prospektive Be- 
deutung der Zellkomplexe bei dem Versuch einer Homologisierung außer 
acht zu lassen haben. Dem Aussehen nach entsprechen einander die 
Keimblasen, auch ihrer Entstehung nach, es fragt sich nur, ob auch eine 
Verwandtschaft zwischen den beiden Entwicklungsstadien besteht, ob 
also die Keimhöhlen homolog sind oder die der Säuger eine Neubildung 
darstellt? Eine ganz sichere Antwort ist auf diese Frage nicht zu 
geben, da wir natürlich die Paläontologie nicht um Rat fragen können. 

Die Furchungsbilder der verschiedenen Wirbeltierklassen zeigen 
uns, wie leicht das Blastocoel im Zellhaufen des Keimes verlagert werden 
kann. Selbst ontogenetisch läßt sich dies beobachten; Ziegler schreibt 
von der Entstehung der Furchungsbilder bei Teleostiern, „dab im Innern 
des Haufens von Blastodermzellen eine Höhle auftritt und dab dann 
die unterhalb derselben gelegenen Blastomeren nach den Seiten aus- 
einandertreten, so daß die Höhle bis zu dem basalen Periblast sich 
ausdehnt und dann unter dem Blastoderm sich ausbreitet“. Eine ähn- 
liche Verschiebung schildert Sobotta nach A. Virchow von den 
Reptilien. Ich folge der Ansicht der meisten Autoren, wenn ich diese 























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228 O. Bütschli, Vorlesungen über vergleichende Anatomie, 


Bütschli, ©.: Vorlesungen über vergleichende Anatomie, 
3. Lief. Sinnesorgane und Leuchtorgane. S. 643— 931: Textf. 452—722. Berlin 1921. 


Bütschli sollte die Drucklegung seines großen Werkes nicht mehr erleben; daß sie 
aus verschiedenen Gründen nach der zweiten Lieferung ins Stocken geriet, bedrückte 
seinen Lebensabend schwer, wie die nunmehrigen Herausgeber, F. Blochmann und 
C. Hamburger, in einem Vorwort bemerken, und es bedeutete für ihn die letzte 
Freude, daß mit dem Übergang des Werkes in den Verlag von Julius Springer 
endlich diese Schwierigkeiten behoben wurden. Nicht minder darf sich die ganze 
zoologisch und anatomisch interessierte Welt darüber freuen, das Vermächtnis des 
großen Meisters nun in absehbarer Zeit zu Druck gebracht zu sehen. Die vorliegende 
Lieferung schließt den ersten Band ab, vom zweiten liegt das Manuskript im wesentlichen 
druckfertig vor, die noch fehlenden Abschnitte über Exkretions- und Geschlechtsorgane 
wird Blochmann bearbeiten. Hinsichtlich der Darstellung der Leuchtorgane muß 
es bedauerlich erscheinen, daß über die für eine Reihe von Tiergruppen nun einwandfrei 
erwiesene symbiontische Natur des Leuchtens nichts mehr aufgenommen werden konnte. 

P. Buchner (München). 


. Krause, Rudolt: Mikroskopische Anatomie der Wirbeltiere 
in Einzeldarstellungen. 


I. Säugetiere, 186 S. 75 Originalabbildungen im Text. Berlin und Leipzig. Ver- 
einigung Wissenschaftlicher Verleger. 1921. 


Das Handbuch von Oppel enthält seiner Bestimmung entsprechend das gesamte 
bisher klargestellte Tatsachenmaterial. Der Grundriß der vergleichendenden Histologie 
von Maurer, ähnlich, wie die vergleichend-anatomischen Lehrbücher von Gegenbaur 
und Schimkewitsch, bietet die einheitlich zusammenfassende Theorie. R. Krause 
schlägt in der ersten Lieferung seines Werkes eine von beiden vorerwähnten abweichende 
Richtung ein: er zeigt den Weg, der zu den Resultaten vergleichend-histologischen 
Forschungen führt. Dieses ist der natürliche Weg jeder histologischen Laboratoriums- 
tätigkeit. Man wählt das Objekt, legt die anatomischen Gebilde frei und behandelt 
mikrotechnisch das Material, bis ein mikroskopischer Befund aus den Präparaten 
abzulesen ist. Jeder, der durch. eigene Forschung in die feineren Strukturen der 
Organismen eingedrungen ist, wird wissen, daß nur auf diesem Wege wirklichkeitsent- 
sprechende Vorstellungen über den histologischen Bau, über die natürlichen Beziehun- 
gen der Teile zueinander und zum Ganzen gewonnen werden können. Schon aus 
diesem Grunde wäre also das Buch von R. Krause zu begrüßen, in dem die ver- 
gleichend-histologische Laboratoriumsarbeit nach dem heute wohl ziemlich veralteten 
Buch von K. ©. Schneider einen neuen Führer findet. Es ist aber, nach der ersten 
Lieferung zu beurteilen, auch als ein ganz ausgezeichneter und geeigneter Führer zu 
bezeichnen. Für jedes Organ und für jede Etappe des Forschens ist es eine reiche 
und klare Quelle erprobter technischer Angaben, charakteristischer Beobachtungen und 


kurzgefaßter, jedoch leicht verständlicher und inhaltsvoller Zusammenfassungen. An- 


regend wirkt im Buche überall das lebendige Wissen, das nur in Werken fühlbar wird, 
die aus eigenen Erfahrungen entstanden sind, nie in den noch so geschickt oder groß- 
zügig zusammengestellten Kompilationen. Auch die 75 Originalabbildungen sind mit 
glücklicher Hand und großer pädagogischer Geschicklichkeit ausgewählt. Es ist nur 
zu wünschen, daß sie, wie das ganze vornehm ausgestattete und verhältnismäßig billige 
Buch, in jedem histologischen Laboratorium allgemein bekannt werden. 

Pe&terfi (Dahlem). 





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E. Küster, Lehrbuch der Botanik für Mediziner. 399 


E. Küster: Lehrbuch der Botanik für Mediziner. 


Verschiedene Wege führen zu der von vielen Seiten als notwendig anerkannten 
"Reform. der naturwissenschaftlichen Vorbildung des Mediziners. Küster hat den ein- 
geschlagen, der zur Zeit am gangbarsten ist, weil er von allen äußeren Änderungen des 
Studienplanes fast unabhängig und daher auch bereits von anderen Disziplinen (mehr- 
fach z. B. in der Physik) beschritten worden ist: dem Mediziner ein Lehrbuch der 
Botanik in die Hand zu geben, das den besonderen Interessen des Arztes 
dient. (C. F. W. Vogel, Leipzig 1920, mit 280 schwarzen und farbigen Abbildungen 
- im Text, VIII u. 420 S.). . 

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dad — welchen Umfang man auch immer 
dem botanischen Unterricht im Lehrplan des Mediziners wird zumessen wollen — Mor- 
phologie und Physiologie der Pflanze durch ihre Einfachheit einen Ausgangspunkt für 
eine späteres gründlicheres Eindringen in den verwickelten Aufbau des tierischen Orga- 
nismus und seine reicheren Leistungen abgeben, den nur mangelndes pädagogisches 
Verständnis wird aufgeben wollen. Und auch darüber hinaus sichern Drogenpflanzen, 
giftige und in der Volksmedizin gebräuchliche Gewächse, die zahllosen Vegetabilien, 
die dem gesunden und kranken (Diätetik!) Menschen als Nahrungs- und Genußmittel 
dienen, der Botanik einen dauernden Platz im Rahmensder vorklinischen Studien. 

Von solchen Erwägungen ausgehend hat Küster den Stoff zu seinem Buche 
ausgewählt. In formvollendeter Sprache, stets fesselnder Darstellung, das Wesentliche 
 betonend, durchsetzt mit zahllosen Ausblicken und Vergleichen auf tierische Organi- 
sation, begegnen uns in der Allgemeinen Botanik zunächst die Abschnitte, die uns 
aus den gewöhnlichen Lehrbüchern der Botanik geläufig sind, aber mit anderer Bewertung des 
Einzelnen. Das I. KapitelMorphologie bietet das Wesentliche über die Gestaltung des 
Pflanzenkörpers und seine Organe; das zweite die „Anatomie“ bringt die Zellenlehre, 
als Basis für eine eingehendere Beschäftigung mit der tierischen Zytologie, ausführlich, 
die Histologie dagegen, zu der sich für den Mediziner wenig Berührungspunkte er- 
geben, mehr gedrängt. Im III. Kapitel Physiologie wird dem künftigen Arzt durch 
eine Annäherung an die Stoffeinteilung der tierischen bezw. menschlichen Physiologie, 
wie sie schon äußerlich in den Abschnittsüberschriften „Baustoffwechsel“, „Betriebs- 
stoffwechsel“ zum Ausdruck kommt, eine vergleichende Bewertung des Stoffes von 
selbst nahe gelegt. 

Diesen Kapiteln des allgemeinen Teils, dieman in keinem Lehrbuch der Botanik ver- 
missen wird, schließen sich noch zwei weitere an, die in solcher Umgrenzung und Aus- 
dehnung als ein Charakteristikum des Küsterschen Lehrbuchs gelten können, in 
denen beiden zugleich die angewandte Botanik im Vordergrund steht. Die 
Pflanzenchemie beschränkt sich nicht auf eine Aufzählung und Charakterisierung der 
Baustoffe nach morphologischen und physiologischen Leistungen im Pflanzenkörper, 
sondern bringt zahlreiche Hinweise und tabellarische Übersichten über ihre Bedeutung 
als Ne Genuß-, Arzneimittel und über ihre Verwendung in Haushalt und 
Gewerbe. 

Daß das Schlußkapitel der allgemeinen Botanik „Pflanzenpathologie“ mit 
zu den reizvollsten des Buches gehört, braucht bei des Verfassers Neigungen und be- 
kannten Leistungen auf diesem Gebiet keiner besonderen Hervorhebung. Auch hier 
begegnen uns auf Schritt und Tritt Begriffe, die aus der menschlichen Pathologie ge- 
läufig sind: Unter- und Überernährung, Traumata, Infektionskrankheiten, Terata u. a. m., 
so daß der medizinisch eingestellte Leser vielfache Brücken zu seinem engeren Tätig- 
keitsfelde gewinnt. 

Der zweite Teil, die Spezielle Botanik, ist mehr als Nachschlagewerk, denn 
zum Lesen bestimmt. Sie gibt einen Überblick über das System der Pflanzen und 
enthält, auch hier der angewandten Botanik zugeneigt, in knapper Form eine erstaun- 
liche Fülle pharmakolögischer und toxikologischer Hinweise, auch einschlägige histo- 
rische Bemerkungen, die verraten, daß der Verfasser auch Interessen nachgeht, die 
über den Rahmen seines Faches in der üblichen Begrenzung hinausreichen, 


330 Referate. 


Ein besonderes Lob verdient noch die glänzende Illustration, die überwiegend 
Originalabbildungen umfaßt; abgesehen von einigen Ausnahmen sind die Abbildungen 
trefflich, stellenweise zugleich ‚von künstlerischer Schönheit, pädagogisch geschickt ge- 
wählt; die Beigabe von farbigen Textabbildungen möchte fast im Hinblick auf die 
Zeiten als üppig erscheinen. 

Wie man auch zu Einzelheiten des Küsterschen Faches stehen mag, der Ver- 
such, dem Mediziner an Stelle der allgemein gehaltenen ein seinen besonderen Bedürfnissen 
entgegenkommendes Lehrbuch der Botanik zu schaffen, muß im wesentlichen und nicht 
in alltäglicher Form als gelöst gelten. Was es vielleicht noch daran zu bessern gibt, 
wird sich erst dann überblicken lassen, wenn auch Vorlesungen gehalten werden, 
die den Ansprüchen des Mediziners in erster Line gerecht werden. Daß jedenfalls die in 
der Reformbewegung am weitesten gehenden Kreise unter den Lehrern der Medizin, die 
Kliniker, in Küsters Lehrbuch einen „großen Fortschritt“ begrüßen, kann man aus dem 
empfehlenden Vorwort entnehmen, das P. Krause dem Buch beigegeben hat. 

: W.J. Schmidt (Bonn). 


Berthold Klatt, Studien zum Domestikationsproblem. Untersuchungen am Hirn. 
III und 180 S. mit 2 Tafeln, 33 Textabb. und 6 Kurventafeln. (Bibliotheca 
Genetica, hrsg. von E. Baur, Bd. II.) Leipzig, Gebrüder Borntraeger, 1921. 
Preis: 135 Mark. : 

Das vorliegende Buch dient der Nachprüfung und dem Ausbau einer 1912 durch 
den Verf. aufgestellten Hypothese über die Änderungen des Hundehirns in der 
Domestikation. Die Untersuchung gipfelt in dem Satze, „daß beim Haushund diejenigen 
Hirngebiete eine Zunahme erfahren haben, welche mit den höheren psychischen Vor- 
gängen in Beziehung gebracht werden, während die Sinnesgebiete zum Teil eine recht 
beträchtliche Abnahme erfahren“. Umfangreiche metrische und morphologische Fest- 
stellungen, die sich auf die Beziehungen von Hirngewicht und Hirngestaltung zur 
Körpergröße, zum Geschlecht, zum Alter, zur Rasse und schließlich auf die Hirnunter- 
- schiede zwischen Wildhund und Haushund beziehen, sind zur Aufstellung jenes Satzes 
notwendig, dessen metrische Grundlagen dann in einer eingehenden Auseinandersetzung 
mit den Befunden und Anschauungen von Dubois und Lapieque geprüft werden, die 
den den Wildhunden gegenüber langsameren Abfall der Hirngewichtskurve des Haus- 
hundes bei sinkender Körpergröße in durchaus anderer Weise deuten. Eine endgültige 
Klärung dieser Streitfrage überläßt der Verf. weiterer Arbeit, zu der er baldige eigene 
Beiträge verspricht. Vergleiche der Befunde am Hundehirn mit anthropologischen 
Ergebnissen und kurze Bemerkungen zur Erblichkeitsfrage beschließen das Buch. 

Günther Just (Berlin-Dahlem). 


Richard Semon, Die Mneme als erhaltendes Prinzip im Wechsel des organischen 
Geschehens. 4. und 5. unveränderte Auflage. Leipzig, Wilhelm Engelmann, 
1920. Gebunden 18 .# und 50/, Verleger-Teuerungszuschlag. 

Eine Besprechung des Buches, das nur ein Neudruch der 1911 erschienenen dritten 

Auflage ist, erübrigt sich an dieser Stelle. Es genügt ein Hinweis auf seinen billigen 

Preis. (Inzwischen auf 54.— Mk. erhöht.) Günther Just (Berlin-Dahlem). 


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J. Meisenheimer, Geschlecht und Geschlechter im Tierreiche. 331 


Johannes Meisenheimer: Geschlecht und Geschlechter im 
Tierreiche. 


I. Die natürlichen Beziehungen; Jena, Fischer. I-XIV. 1-—896. 737 Abbildungen, 
geh. 180.— Mk., in Volleinen 210.— Mk. 1921. 


Wohl kein Problem hat in moderner Zeit die biologischen Wissenszweige mehr 
beschäftigt als das Sexualproblem. Fortpflanzung und Zeugung erscheinen uns ja 
heute als die Angelpunkte aller Formgestaltung und als Ursachen zahlreicher physio- 
logischer Prozesse. Trotzdem gab es bisher kein Werk, das dem dringenden Bedürfnis 
einer kritischen Zusammenfassung des gesamten Tatsachenmaterials Rechnung trug. 
Meisenheimer hat sich als erster dieser Riesenarbeit unterzogen. In welcher geradezu 
bewunderungswürdigen Weise es ihm bisher gelungen ist, den spröden, z. T. äußerst 
heterogenen Stoff zu meistern und in eine einheitliche Form zu gießen, zeigt der vor- 
liegende erste Band. Der Verfasser hat sich in ihm die Aufgabe gestellt, die äußeren 
morphologischen Sexualdifferenzierungen aus ihrer natürlichen physiologischen Bean- 
spruchung im Dienst der Sexualität zu verstehen. Das Tatsächliche steht hier im 
Vordergrund der Betrachtung. Ein 2. Band soll dann vor allem die großen theo- 
. retischen Fragen behandeln, wie z. B. jene über die Beziehungen der einzelnen Ge- 
schlechtsbezirke zu einander, das Wesen der Geschlechtlichkeit, die Bestimmung des 
Geschlechts und anderes mehr. — 


Zunächst galt es für den Verfasser, die verschiedenen Stufen der Geschlechts- 
individuen zu definieren. Als Ausgangspunkt seiner Betrachtung dient ihm die Holo- 
gamie der Protozoen, bei der zwei Individuen zu einer Einheit verschmelzen. In der 
Merogonie entwickelt sich dann auf dem Weg der Arbeitsteilung und Differenzierung 
die Generationsfolge von Gametozyten und Gameten. Bei Volvox nehmen die Game- 
tozyten bereits den Charakter von Organen an, die in der nicht mehr fortpflanzungs- 
fähigen Mutterkolonie ihren Boden und Halt finden. Diese letztere wird hierdurch zu 
einer 3. Generation — dem Gametozytenträger (I. Ordnung). Endlich führen uns die 
Farne zu den kompliziertesten Verhältnissen hinüber, wo eine 4. Generation — der 
Gametozytenträger II. Ordnung — einen Gametozytenträger I. Ordnung samt seinen 
Gametozyten und Gameten trägt. Sie ‘finden sich bei allen höheren Pflanzen, aber 
auch bei manchen stockbildenden Tierformen wie Hydrozoen und Bryozoen. — Von 
hier aus wird nun in den folgenden Kapiteln die ganze ungeheure Mannigfaltigkeit 
sexueller Einrichtungen und sexuellen Geschehens vor uns entwickelt. Im einfachsten 
Fall zeigt sich der Gametozytenträger zunächst gleichgültig gegenüber dem Geschlecht 
der Gameten, aber schon bei nahverwandten Formen kann Zwittertum oder Gonocho- 
rismus fixiert sein. Häufig läßt sich deutlich die Überführung des einen Zustands in 
den andern nachweisen. Zwittertum verwandelt sich dann in Gonochorismus und Go- 
nochorismus in sekundäres Zwittertum. 


In einem Kapitel über die Eigenart zwittriger Organismen erfahren wir, daß 
Zwitterorganisation sich keine besondern, ihr eigenen Verhältnisse schafft, sondern nur 
die verwandter gonochoristischer Typen kombiniert. Hierin allerdings leistet die Natur 
Erstaunliches, namentlich in bezug auf Wege und Vorkehrungen für die mannigfal- 
tigen Arten einseitiger, wechselseitiger und Selbst-Begattung. Während die Aufgabe 
des Gametozytenträgers im primitiven Fall mit der Erzeugung der Geschlechtsstoffe 
beendet ist, werden in den höheren Stufen immer mehr Einrichtungen zur Gewähr- 
leistung der sicheren Vereinigung der Gameten, für ihren Schutz, ihre Ernährung, 
ihre Übertragung geschaffen. UÜberraschend ist oft die morphologisch und physio- 
logisch ähnliche Leistung stammesgeschichtlich gänzlich verschiedener Gebilde — wie 
z. B. vieler unechter und echter Begattungsapparate. Wie sich die letzteren korrelativ 
zu den 2 Begattungsorganen verhalten, zeigt ein ‘weiteres Kapitel. Hier finden sich 
die merkwürdigsten Gegensätze. Formen, bei denen das 2 keinerlei Geschlechtsöffnung 
besitzt und das g' mit seinem Penis die Körperhaut an einer beliebigen Stelle durch- 


332 J. Meisenheimer, Geschlecht und Geschlechter im Tierreiche. 


stößt und andere, bei denen die Kopulationsorgane so aufeinander angepaßt sind, daß 
die Vagina genau die Hohlform des komplizierten Penis darstellt. — Nun folgt eine 
eingehende Behandlung aller jener Nebenapparate, die zum Erfassen und Anheften der Ge- 
schlechtstiere, sowie zu ihrem Gefügigmachen in Form von Reiz und Wollustorganen dienen. 


Wohl zu den reichsten und interessantesten Abschnitten gehören die vier Kapitel 
über die Formen der geschlechtlichen Annäherung. Diese und ein weiteres über 
sexuelle Waffen behandeln im großen ganzen das Tatsachenmaterial, das für Darwins 
geschlechtliche Zuchtwahl eine Rolle spielt. Hier sei besonders auf Kap. 17 verwiesen, 
in dem der Verfasser sehr interessante eigene Ansichten über ornamentale Sexual- 
charaktere vertritt. — 

Es folgt nun eine Erörterung aller der komplizierten Apparate, die bei der Ei- 
ablage eine Rolle spielen. Hier erregen besonders die Insekten durch die Mannigfal- 
tigkeit und Ingeniosität ihrer Vorrichtungen unsere Bewunderung. 


Für viele Tiere findet das Geschlechtsleben auch mit der Eiablage noch nicht sein 
Ende. Es setzt sich dann fort in der Brutpflege, die sehr verschiedene Ausbildung 
erlangen kann. Verfasser unterscheidet 10 Stufen, in deren unterster das betr. Elter- 
tier nur Gelegenheit zur räumlichen Unterbringung der Eier schafft, während es sich 
in der 10. Stufe selbst in einen einfachen Brutbehälter verwandelt, dessen Inhalt all- 
mählich von den Bruttieren aufgefressen wird. — 


Ebenso läßt sich eine Stufenfolge sexueller Organisationshöhe aufstellen. Im ein- . 


fachsten Fall dokumentiert sich der Sexualcharakter allein an den Keimdrüsen und 
deren Ausführgängen, im Extrem erstreckt er sich auf die gesamte innere und 
äußere Körperbeschaffenheit. Vielfach kommt es hierbei im reifen Zustand zu 
bedeutenden Organreduktionen, bis schießlich beide Geschlechtstiere physiologisch zur 
Stufe von Geschlechtsautomaten herabsinken. Bei.den Männchen sind derartige Rück- 
bildungserscheinungen mit Größenreduktionen verknüpft. Es entstehen zunächst Zwerg- 
formen, die allmählich mehr nnd mehr verschwinden, womit dann das Auftreten von 
Zwittrigkeit oder Parthenogenese Hand in Hand geht. Dort wo mehrere Formen der 
Fortpflanzung zyklisch miteinander verbunden sind entsteht Polymorphismus, der auch 
auf den äußeren Habitus übergreifen kann. Aber auch unabhängig von der Ge- 
schlechtsfunktion kann Mehrgestaltigkeit bei Geschlechtsformen eintreten z. B. im 
Mimetismus gewisser tropischer weiblicher Schmetterlinge. — Im Anschluß hieran 


erfolgt die Besprechung von Zuständen geschlechtlicher Reife bei somatischer Unreife, - 


wie sie als Pädogenese, Dissogonie und Neotenie bekannt sind. Das nächste Kapitel 
handelt von der Übertragung der spezifischen Geschlechtsmerkmale des einen Ge- 
schlechts auf das andere, von der Ursache, Bedeutung und Wirkung dieses Vorgangs. 
Eine eingehende Würdigung erfährt hierbei die Frage der geschlechtlichen Präponde- 
ranz. Endlich ein letztes Kapitel beschäftigt sich mit der Ausbildung der peripheren 
Geschlechtsmerkmale Hiermit wird zugleich die Darwinsche Zuchttheorie aufgerollt 
und in vorsichtiger Weise an reichem Material das Für und Wider erörtert, sowie 
unter anderem der Versuch gemacht, die äußeren Sondererscheinungen — besonders 
des männlichen Körpers — aus sexuell-indifferenten Zuständen, denen anfangs keine 
oder ganz andere Aufgaben als solche im Dienste der Sexualität oblagen, abzuleiten. Wie 
dies geschieht muß an Ort und Stelle nachgelesen werden. 


Es konnte hier nur der Versuch gemacht werden, die leitenden Gedanken des 
Werkes in kurzen Zügen wieder zu geben. Von der ungeheuren Reichhaltigkeit seines 
Inhalts, von der fabelhaften Belesenheit seines Verfassers kann ein Referat natürlich 
nur einen schwachen Begriff geben. Das Werk ist im besten Sinne des Wortsobjekiv. Wo 
immer es angeht läßt der Verfasser die Tatsachen für sich sprechen, sie sind dann.aber 
stets so gruppiert, daß aus ihnen eine innere Logik und Gesetzlichkeit hervorgeht. Zu 
allen spruchreifen Problemen nimmt Meisenheimer natürlich seine Stellung. Viel- 
fach gelangt er hierbei, z. T. auf Grund eigener Forschungen, zu neuen Vorstel- 
lungen. — Ganz außerordentlich zu begrüßen ist es, daß auch der Mensch im weiten 
Maße in den Kreis der Betrachtung gezogen wird, namentlich auch in Bezug auf 
die vielen medizinisch orientierten Forscher dieses Gebiets, die sich — wohl aus mangeln- 





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Referate. 353 


der Kenntnis des Stoffes — bisher nicht entschließen konnten, auch ihn im Zusammen- 
hang mit der übrigen Organismenwelt zu betrachten. — Die deutsche Wissenschaft 
kann stolz auf dieses Buch sein. Es wird von dauerndem Werte bleiben, nicht nur 
als Quellenwerk für ein ungeheures Tatsachenmaterial, das bisher in tausenden von 
Spezialarbeiten zerstreut war, sondern auch wegen der Fülle von Problemen und An- 
regungen zu neuen Forschungen, die es enthält. — 

Die Ausstattung des Werks ist nach jeder Richtung, besonders auch in bezug 
auf die vielen sorgfältig gezeichneten Figuren, die fast ausnahmslos auf Originalquellen 
zurückgehen, völlig „vorkriegsmäßig“, ja geradezu verschwenderisch, dazu der Preis 
relativ niedrig. R. W. Hoffmann, Göttingen. 


Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Herausgeber E. Abderhalden, 
Halle a. S. Verlag: Urban und Schwartzenberg, Berlin-Wien, 1920 und 1921. 
Von Abderhaldens Handbuch sind etwa 20 weitere Lieferungen erschienen, 

deren Inhalt sich auf die allerverschiedensten Teile der Biologie bezieht. Nämlich: 

Egon Eichwald-Hamburg. Alkohole, Ketone, Aldehyde, Oxyketone, Oxydalehyde 
Phenol- und Methoxylgruppe. 

Budde-Feldafing. Mathematische Theorie der Gehörempfindung. 

Viktor Grafe-Wien. Die physikalisch-chemische Analyse der Pflanzenzelle.. — 


Methodik der Permeabilitätsbestimmung bei Pflanzenzellen. — Anwendung von 
Adsorption und Kapillarität zur biochemischen Analyse. — Messung der Gas- 


und Wasserbewegungsvorgänge im Pflanzenorganismus. 

Hermann Steudel-Berlin, V. Thannhauser-München und E Winterstein- 
Zürich. Nukleoproteide, Nukleinsäuren und ihre Abbaustufen. 

Joachim Biehringer- Braunschweig. Die wichtigsten stöchiometrischen Berechnungen. 

Friedrich Emich-Graz. Methoden der Mikrochemie. 

Hans Lieb-Graz. Die Mikroelementaranalyse mit Einschluß der Halogenbestimmung 
nach Fritz Pregl. 

J. V. Dubsky-Groningen. Halb-Mikroelementaranalyse nach J. V. Dubsky. 

Andor Fodor-Halle a. S. Die Mikro- und Makrojeldahl-Stickstoffbestimmung. 

Hugo Simonis-Charlottenburg. Makroelementaranalyse mit Einschluß der Halogen- 
bestimmung. 

M. Dennstedt-Hamburg. Die vereinfachte Elementaranalyse. 

Alice Oelsner-Göttingen. Methodik der Gesamtstickstoffbestimmung in Gegenwart 
von Nitrat und Nitrit. 

P. G. Unna-Hamburg. Chromolyse Sauerstofforte und Reduktionsorte. 

H. Spemann-Freiburg i. Br. Mikrochirurgische Operationstechnik. 

Dietrich Barfurth-Rostock. Erforschung der Regeneration bei Tieren. 

Hans Przibram-Wien. Studium des Einflusses der Wärme, des Lichtes, der Elek- 
trizität, der Schwerkraft und Zentrifugalkraft ‘auf die Entwicklung. 

Kurt Herbst-Heidelberg. Die chemischen und physikalischen Methoden auf dem 
Gebiete der Entwicklungsmechanik. 

Ludwig Neumayer-München. Technik der experimentellen Embryologie. 

Paul Vonwiller- Würzburg. Intraviatale Färbung von Protozoen. 

W. v. Möllendorf-Greifswald. Vitale Färbungen der Tierzellen. 

Josef Herzig-Wien und Hans Lieb-Graz. Mikro- und Makrobestimmung der 
Methyl- und Methylimidgruppen. 


334 Referate. 


Franz Wohack-Linz. Die maßanalitische Mikrometholylbestimmung. 


Hugo Simonis-Charlottenburg. Qualitative und quantitative Bestimmungen der 


Acetylgruppen. 

Joachim Biehringer- Braunschweig. Maßanalyse. 

Fr. N. Schulz-Jena. Darstellung von Blutfarbstoffen. 

William Küster-Stuttgart. Die eisenhaltigen Komponente des Blutfarbstoffes, ihr 
Nachweis und ihre Derivate. — Studien auf dem Gebiete der Porphyrine. — 
Der Abbau des Hämatins und der Porphyrine und die Synthese der Spaltungs- 
produkte. Synthesen mehrkerniger Pyrrolderivate und die Konstitution des 
Hämins. Gallenfarbstoffe und Abbauprodukte des Bilirubins. 

Paul Hirsch-Jena. Prüfung der gebräuchlichsten Lösungen und Reagentien auf 
Reinheit. 

Egon Eichwald-Halle. Das Arbeiten mit optisch-aktiven Kohlenstoffverbindungen. 

Julius Schmidt-Stuttgart. Methoden zu Untersuchungen auf dem Gebiete der 
Tautomerei und Desmotropie. 

Georg Lockemann- Berlin. Aschenanalyse. 


L. Rhumbler-Hann. Münden. Methodik der Nachahmung von Lebensvorgängen 


durch physikalische Konstellationen. 

Hans Przibram-Wien. Methodik der Experimentalzoologie. 

H. Bauer-Stuttgart. Methoden zum Nachweis und zur Erkennung ungesättigter 
Verbindungen. : 

K. Arndt-Charlottenburg. Die wichtigsten elektrochemischen Methoden. 

H. J. Hamburger-Groningen. Quantitative Bestimmung von Niederschlägen auf 
mikrovolumetrischem Wege. 

Hans Lieb-Graz. Mikroelektrolytische Bestimmung des Kupfers. 

Karl Scheel-Berlin-Dahlem. Das Arbeiten mit der Makrowage. 

Emil Abderhalden-Halle. S. Das Arbeiten mit der Gewichtszu- und abnahme 
automatisch registrierenden Wage. 

Gustav Embden-Frankfurt M. Eine gravimetrische Bestimmungsmethode für kleine 
Phosphorsäuremengen. 

J. Herzig-Wien. Nachtrag zum Artikel „Über Methoxyl- und Methylimidbestimmung.” 

O. Sehumm-Hamburg. Nachweis und Bestimmung von Porphyrin im Blutserum, 
in der Leber, Niere und anderen Organen und in Knochen. ——- Bildung, Vorkommen 

und Merkmale des Hämatins, dessen Nachweis und Bestimmung im Blutserum. 

Thomas Osborne-New Haven und E. Strauß-Frankfurt a. M. Darstellung «der 

Proteine der Pflanzen welt. 

Fr. N. Schulz-Jena. Darstellung von kristallisiertem Eiweiß. a 

Franz Samuely und Eduard Strauß-Frankfurt a. M. Eigentliche Proteine. 

Eduard Strauß-Frankfurt a. M. Proteinoide. 

H. Geitel- Wolfenbüttel. Photoelektrische Meßmethoden. 

R. Schmehlick-Berlin-Lichterfelde. Stereoskopische Arbeitsmethoden. Projektions- 
methoden. 

Hugo Kauffmann-Stuttgart. Methoden zur Untersuchung von Fluoresenzerschei- 
nungen. 

Die vorstehende Aufzählung zeigt, daß außer den biochemischen und biophysikali- 
schen Abschnitten auch eine größere Zahl von Abhandlungen vorhanden sind, die 
Gegenstände behandeln, die für den Zoologen und Botaniker von Interesse sind. Viele 
davon gehen weit über eine bloße Bearbeitung der Arbeitsmethoden hinaus, sondern 
können als eine Art Lehrbuch des betr. Arbeitsgebietes dienen. Dies trifft z. B. zu 
für die Abhandlungen von Spemann, Przibram, Herbst, Rhumbler, Gräfe. 


Der experimentelle Embryologe sei auf die sorgfältige Darstellung der Methodik von 
Neumayer hingewiesen. 


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Einladungen. 335 


Gründungsversammlung der, Internationalen Vereinigung für 
theoretische und angewandte Limnologie in Kiel 
vom 3. bis 5. August 1922. 

In der Zeit vom 3. bis 5. August 1922 findet ın Kiel die Grün- 
dungsversammlung der Internationalen Vereinigung für theoretische 
und angewandte Limnologie statt. Bisher haben sich 125 Forscher 
aus Brasilien, Deutschland, Dänemark, Deutsch-Österreich, England, 
Estland, Finnland, Italien, Japan, Lettland, Niederlande, Norwegen, 
Polen, Rumänien, Rußland, Schweden, Schweiz, Tschechoslowakei, 
Nordamerika der Vereinigung angeschlossen. 

Es sind bereits zahlreiche Vorträge angemeldet. 

Am Sonnabend den 5. August findet nachmittags ein Ausflug 
nach Plön, am Sonntag den 6. August eine Excursion an die Seen 
und Quellen der holsteinischen Schweiz statt. 

Meldungen zur Teilnahme an der Tagung bis spätestens zum 
15. Juni erbeten an Prof. Thienemann, Plön, der auf Wunsch an 
Interessenten das vollständige Programm schickt. 





Vom 22. bis 24. September wird in Brünn die Feier des 100. Ge- 
burtstages Gregor Mendels begangen werden. Eine große Zahl von 
Forschern aller Nationen hat bereits ihr Erscheinen zugesagt. Wegen 
aller Einzelheiten wende man sich an Professor Dr. Iltıs, Brünn, 
Bäckergasse 10. 


Provisorisches Programm der Jahrhundertfeier für 
Gregor Mendel in Brünn. 
22. Sept : Begrüßungsabend. 
23. Sept.: 10 Uhr vorm. Feier vor dem Mendeldenkmal. 
1. Begrüßung durch den Naturforschenden Verein. 
2. Ansprache des Vertreters der Regierung. 
3. Festreden: 
a) Mendel als Persönlichkeit. 
b) Mendels Werk und seine moderne Ausgestaltung. 
4. Ansprache des Vertreters der Gemeindevertretung. 
4 Uhr nachm.: Vorträge über Mendel und sein Werk 
von bedeutenden Mendelisten des In- und Auslandes. 
Abends: Festliche Veranstaltungen. _ 
24. Sept.: Ausflug in das Höhlengebiet und zur Mazocha. 


336 Einladung. 





Deutsche Gesellschaft für Vererbungswissenschaft. 


Die zweite Jahresversammlung der Gesellschaft findet vom 
25.—27. September in Wien statt (Hauptgebäude der Universität). 


Für die drei Vormittage sind folgende Referate mit anschließender’ 


Aussprache in Aussicht genommen: 
R. Goldschmidt, Berlin-Dahlem: Das Mutationsproblem. 
H. Spemann, Freiburg ı. B.: Die Erbmasse und ihre Aktivierung. 
E. Rüdin, München: Die Vererbung geistiger Störungen. 
Am Montag, den 25. September findet um 7 Uhr abends im 
Festsaale der Universität eine allgemein zugängliche Festsitzung statt 
mit einem Vortrag von 


E. Baur, Berlin: Aufgaben und Ziele der Vererbungswissenschaft 
in Theorie und Praxis. 

Außerdem in den Vor- und Nachmittagssitzungen Vorträge und 

Demonstrationen. Eine Reihe von Vortragsanmeldungen liegt bereits 

vor. Um möglichst baldige Anmeldung weiterer Vorträge (unter der 


Angabe, ob Projektionsapparat, Mikroskope, Immersionen etc. be- 


rötigt werden und der voraussichtlichen Zeitdauer) an den Schrift- 
führer Dr. H. Nachtsheim, Berlin N. 4, Invalidenstraße 42, wird 
gebeten. 

Der Tagung unmittelbar voraufgehen wird die internationale Feier 
des 100. Geburtstages Gregor Mendels in Brünn (22.—24. Sep- 
tember). 

Ein ausführliches Programm wird den Mitgliedern Ende Juli 

" zugehen. 

















Gedruckt bei Junge & Sohn in Erlangen. 





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Biologisches Zentralblatt 


Begründet von J. Rosenthal 
Herausgabe und Redaktion: 


| Geh, Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R, Goldschmidt und Prof. Dr. ©. Warburg 


in Berlin 
Verlag von Georg Thieme in Leipzig 
Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 28 








42. Band. August/September 1922. Nr. 8 u. 9 
ausgegeben am 15. August 1922 








Der jährl. Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt innerhalb Deutschlands 120 Mk. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 


Den Herren Mitarbeitern stehen von ihren Beiträgen 30 Sonderabdrucke kostenlos zur 
Verfügung; weitere Abzüge werden gegen Erstattung der Herstellungskosten geliefert. 











& Lundegardh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. Mit 9 Abb. 8. 337. 

. Roch, Beitrag zur Physiologie der Flugmuskulatur der Insekten. Mit 2 Abb. S$. 359. 

. Hartmann, Über den dauernden Ersatz der ungeschlechtliehen Fortpflanzung durch fortgesetzte Re- 
generationen. S, 364. 

. Süffert, Zur Morphologie und Optik der Schmetterlingssehuppen. $. 382. 

. Sehulze, Über Beziehungen zwischen pflanzlichen und tierischen Skelettsubstanzen und über 
Chitinreaktionen. S. 388. 

M. Popoff, Über die Stimulierung der Zellfunktionen. 8. 395. 

Kurse über exotische Pathologie und medizinische Parasitologie. 8. 399. 

Ausschreiben zur Bewerbung um ein Stipendium der Mochizuki-Stiftung bei der Kaiser-Wilhelm-Gesell- 

schaft zur Förderung der Wissenschaften. S. 400. 


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Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 


Von Henrik Lundegardh. 
(Mitteilungen aus der Ökologischen Station auf Hallands Väderö. Nr. 8.) 
Mit 9 Abbildungen. 


Weil die Kohlensäurekonzentration den zentralen Prozeß im Stoff- 
wechsel der grünen Pflanzen vorstellt, ist es für die Ökologie sehr. 
wichtig, die äußeren und inneren Bedingungen kennen zu lernen, die 
diesen Prozeß bestimmen. Namentlich in dem letzten Dezennium sind 
eine Reihe wertvoller Arbeiten erschienen, von Blackman und 
seinen ‚ Schülern, Willstätter und Stoll, O.'Warburg u. a., 
die unsere Kenntnisse auf diesem Punkt vertieft haben. Wir wissen 
also, daß der Assimilationsvorgang von folgenden Faktoren abhängig ist: 


1. Die Wellenlänge und Intensität des Lichts. 
2. Die Kohlensäurekonzentration. 

3. Die Wasserzufuhr. 

4. Der Chlorophyligehalt der Chromatophoren. 
42. Band. 


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[80] 
ID 


338 H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 


5. Ein Protoplasmafaktor (Willstätters ‚„Assimilationsenzym“). 
> Die Temperatur. 
. Der allgemeine Lebenszustand der Zelle (z.B. Atmung). 


Alle diese Faktoren spielen immer mit hinein und sie bedingen die 
jeweilige Geschwindigkeit des Assimilationsprozesses. Bei experimen- 
tellen Untersuchungen über den Einfluß der einzelnen Faktoren soll 
man darauf achten, daß die übrigen Faktoren konstant sind. Will man 
z. B. die Abhängigkeit der Assimilation von der Lichtintensität stu- 
dieren, so sind die Faktoren 2—7 konstant zu halten, aber sehr wichtig 
ist außerdem, daß die Faktoren möglichst optimal sind, daß z. B. die 
Kohlensäure in Überschuß vorhanden ist. Denn sonst kommt man bei 
immer erhöhter Lichtintensität bald zu einem Punkt, wo die Kohlen- 
säurezufuhr nicht mehr ausreicht, um die Assimilation in die Höhe zu 
treiben, wo also die Kohlensäure statt des Lichts der bestimmende 
Faktor wird. In der Wirklichkeit ist es nun sehr schwierig, alle die 
nicht variierten Faktoren optimal zu halten, denn der Experimentator 
hat es nicht in seiner Hand, die Chlorophylimenge und den Protoplasma- 
faktor, d. h. die intrazellulären Faktoren, beliebig zu beeinflussen. Des- 
halb ist es nicht möglich, die Assimilationskurven in, ihrer ganzen 
Ausstreckung rein zu bekommen. Nur bei den niedrigen Intensitäten 
des variierten Faktors bekommt man das einfache Abhängigkeitsver- 
hältnis zu sehen. Bei den höheren Intensitäten macht sich immer die 
begrenzende Wirkung irgendeines anderen Faktors geltend. Die Assı- 
milationskurven haben deshalb immer einen asymptotischen Verlauf. 

Der untere Teil der Kurven zeigt einen fast geradlinigen Verlauf, 
d. h. es herrscht hier fast Proportionalität zwischen der Stärke des 
variierten Faktors und der Geschwindigkeit der Kohlensäurezersetzung. 
Dies ist für Licht und Kohlensäure nachgewiesen (s. z.B. Brown 
und Escombe' 1902, Warburg 1919, H. Lundegärdh 1921) 
Betreffs der Gesamtform der Kurven, so ist diese ziemlich wechselnd, 
was nicht allein auf methodische Unterschiede zurückgeführt werden 
kann. Die Kurven der Schattenpflanzen gehören in eine besondere 
sruppe, wie weiter unten ausführlich dargelegt wird. Die übrigen bis- 
her in der Literatur ermittelten Kurven haben einen mehr oder weniger 
logarithmischen Verlauf, ohne daß es möglich ist, sie unter bestimmte 
Formeln zu bringen. Dies beruht sicher darauf, daß die Zahl der Fak- 
toren sehr groß ist und daß die Faktoren je nach der Geschwindigkeit 
der Umsetzung verschieden stark einwirken. 

Es ist hier nicht der Ort, auf eine nähere Analyse der Aissimi- 
lationskurven einzugehen oder die bisher erreichten Befunde über die 
Physiologie der Assimilation ausführlich zu referieren. Namentlich 
Willstätter und Stoll (1918) und O. Warburg (1919, 1920, 
1921) haben wichtige Beiträge zur Theorie der Assimilation geliefert. 
Nur eine theoretische Sache sei hier etwas näher beleuchtet, nament- 
lich weil sie für die folgenden ökologischen Überlegungen ein großes Ge- 
wicht haben. Sie betrifft die Auffassung des „begrenzenden Faktors“, 





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H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 339 


Dieser Begriff wurde bekanntlich durch Blackman (1905) 
die Lehre von der Assimilation eingeführt. Er und seine Schüler 
(s. Matthaei 1905, Blackman und Smith 1911) glaubten experi- 
mentell die Tatsache festgestellt zu haben, dab die Assimilationskurve 
in jedem Punkt ausschließlich von demjenigen Faktor bestimmt wird, 
der in Minimum vorhanden ist. War z. B. die Kohlensäure in einer 





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{ I/nlemsifal des Lichls 
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Abb. 1. Assimilationskurve von Nasturtium palustre. Die Kurve wiedergibt die 


direkt beobachtete CO,-Absorbtion, bezw. CO,-Abgabe, also auch den Ein- 
fluß der Atmung auf den Gasaustausch. 















bestimmten niedrigen Konzentration vorhanden, so stieg die Assımi- 
lation bei erhöhter Lichtmenge bis zu einem gewissen Punkt, wo die 
Kurve plötzlich in eine mit der Abszisse parallelen Linie überging. Eine 
weitere Steigerung der Lichtintensität brachte kene weitere Erhöhung 
der Assimilationsintensität mit. 


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CO, assımı/afro: 





/mTemsiTät deslichls 


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Abb. 2. Assimilationskurve von Oxalis acetosella. 


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60 Zö 


Diese Auffassung ist nun, wie ich (1921) zeigen konnte, nicht 
richtig. Ich ermittelte die Assimilationskurven von einigen Schatten- 
pflanzen (Oxalis acetosella, Stellaria nemorum u. a.) bei variierter Licht- 
intensität und variierter Kohlensäurekonzentration der Luft und fand, 
daß die Assimilation in jedem Punkt der Kurve von beiden Faktoren 

| 2a* 


340 H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 


bestimmt wird. Wird z. B. die Kohlensäurekonzentration konstant und 
ziemlich niedrig gehalten, so bekommt man bei Variation der  Licht- 
intensität eine Kurve von der üblichen Form. In jedem Punkt dieser 
Kurve kann man durch Erhöhung der Kohlensäurekonzentration auch 
eine Erhöhung der Assimilationsintensität hervorrufen. In Abb.2 u. 3 
sind die Kurven aus einer Versuchsserie mit Oxalis acetosella wieder- 
gegeben. In Abb. 3 wurde der Kohlensäuregehalt normal gehalten und 
die Lichtintensität wurde von Dunkelheit bis 1/, des vollen Tageslichts 
variiert. Bei den Lichtintensitäten 1/yg, !/s, und Yı des Tageslichts, 
entsprechend den Punkten 1, 2, 3 der Lichtkurve, wurden Versuche mit 
variierender Kohlensäurekonzentration gemacht. Wie Abb.3 zeigt, be- 
kommt man hierbei ein System von Kurven, die mit steigender Licht- 
intensität immer steiler laufen. Um so stärker der eine Faktor ist, 
um so günstiger wirkt also auch der andere. Bei niedrigen Lichtmengen 


7 Licht 1:4 






Licht1:20 


CO, Q@ssı mılaltıon 






Licht 1:40 





m9CO ‚rer3literluf 


BE BO 


Abb. 3. Assimilationskurven von Oxalis acetosella. 


und Kohlensäuremengen ist die Assimilation den beiden Faktoren an- 
nähernd proportional. Bei hoher Lichtmenge und niedriger Kohlen- 
säurckonzentration hat die letztere eine relativ viel bedeutendere Wir- 
kung, sie ist also stärker „begrenzend“. Bei hoher Kohlensäurekonzen- 
tration. und niedriger Lichtmenge wirkt wiederum diese stärker be- 
srenzend. Ökologisch betrachtet: Bei hoher Lichtintensität ist die Assi- 
milation empfindlicher gegen Schwankungen der Kohlensäurekonzen- 
tration als gegen Lichtveränderungen. Der umgekehrte Fall, hohe 
Kohlensäurekonzentration und niedrige Lichtmenge kommt, wie wir sehen 
werden, ausnahmsweise in der Natur vor. Die Pflanzen sind in diesem 
Fall sehr abhängige von Veränderungen in der Lichtintensität. In der 





Er Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 341 


Regel ist aber die Kohlensäurekonzentration in der Natur im Minimum, 
deshalb reagiert bei den Schattenpflanzen die Assimilation in etwa 
gleichem Grad auf Veränderungen .des Lichts und der Kohlensäure- 
konzentration. 

Meine erwähnte Untersuchung umfaßte nur die beiden Faktoren 
Licht und Kohlensäuret). Höchstwahrscheinlich gilt die aufgefundene 
Gesetzmäßigkeit auch für die anderen Faktoren, z. B. die Chlorophyl1- 
menge und den Protoplasmafaktor. Durch die Arbeiten von Lubi- 
menko (1905, 1908), Plester (1912), Willstätter (1918) wissen 
wir, daß die Assimilationsintensität von der Chlorophylimenge abhängig 
ist. Neuerdings zeigte Stälfelt (1922, S. 257), daß bei Pinus sil- 
vestris und Picea excelsa die Assimilation der Sonnen- und Schatten- 
nadeln spezifische Unterschiede zeigt, die mit entsprechenden Verschie- 
denheiten im Chlorophyligehalt zusammenzuhängen scheinen. 


Aus Stälfelts Kurven (1922, Abb. 13) bekommt man folgende 
Werte der Assimilationsintensität bei Ya Licht, neben denen die Chloro- 
phyliwerte angegeben sind (alles auf g Frischgewicht berechnet). 


1) Nach Abschluß des Manuskriptes erschien eine Arbeit von R. Harder. (Kri- 
tische Versuche zu Blackmans Theorie der „begrenzenden Faktoren“ bei der Kohlen- 
säureassimilation, Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 60, H. 4, 1921), die eine volle Bestätigung 
meiner Befunde bringt. Harder hat mit einer Wasserpflanze (Fontinalis) gearbeitet. 
Er zitiert meine frühere Untersuchung auf eine Art, die ich nicht gänzlich unerwidert 
lassen kann. Er meint (S.535), daß ich „nur in beschränktem Umfange und im Nebenzweck“ 
die Sache untersucht habe. An einer anderen Stelle sagt er: „die Lundegärdh- 
schen Werte, an denen ursprünglich ganz andere Dinge gezeigt werden sollen, zu denen 
eine weniger große Exaktheit erforderlich ist, weisen außerordentlich hohe Schwan- 
kungen auf“ (S. 552). Hierzu bemerke ich folgendes: Der Hauptgrund meiner Unter- 
suchung war die Ermittlung der Assimilationskurven von Sonnen- und Schattenpflanzen. 
Hierbei entdeckte ich das erwähnte Verhalten der Faktoren. Die Frage ist in mehreren 
Versuchsreihen eingehend verfolgt. Daß die Ergebnisse sodann ökologisch ausgenutzt 
wurden, kann wohl nicht ihren Wert verringern. Wie wenig die Entdeckung der 
gegenseitigen Wirkung der Faktoren „Nebenzweck“ war, erhellt daraus, daß die Auf- 
fassung der Lebensbedingungen der Schattenpflanzen eben durch sie ausgestaltet wird. 
— Betreffs der Angriffe, die Harder gegen meine Versuchsmethodik richtet, möchte 
ich nur bemerken, daß er selbst eine im Prinzip ganz ähnliche Methode benutzt (näm- 
lich eine geschlossene Assimilationskammer, deren CO,-Gehalt nach dem Versuch be- 
stimmt wird). Meine Methode der CO,-Bestimmung ist exakter als die bisher be- 
kannten Methoden (siehe auch Lundegärdh 1922a). Betreffs der Schwankungen 
der Einzelwerte, auf die ich selbst (1921) mehrmals hingewiesen habe, ist zu be- 
merken, daß sie ganz auf dem Material beruhen, nicht auf der Methodik. Wer 
mit höheren Pflanzen Assimilationsversuche macht, weiß, daß das Material viel 
empfindlicher als z. B. Algen und Moose ist. Störungen sind unvermeidlich, nament- 
lich wenn man im Grenzgebiet zweier Faktoren (z. B. Licht und Kohlensäure) arbeitet, 
dies geht ja auch aus allen früheren Arbeiten hervor. Daß ich trotzdem aus meinem 
Material die richtigen Schlußfolgerungen ziehen konnte, betrachte ich als besonders 
wertvoll, denn bei den höheren Pflanzen kommen anatomisch-physiologische Faktoren 
hinzu, die die Form der Assimilationskurven beeinflussen, wie dies unten näher aufge- 
zeigt wird. Aus diesem Grunde ist auch Harders Auffassung über die Bedeutung 
der sogen. „Knickes“ der Lichtkurven einseitig und zum Teil falsch. Ein recht scharfes 
Abbiegen der Kurve tritt z. B. bei -Schattenpflanzen auf Grund des anatomischen Fak- 
tors auf und er beweist nichts weder für noch gegen Blackmans Auffassung. 


349 NH. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 


Assimilation Chlorophyll (relativ) 


Picea excelsa (Sonnen-) 0,88 1,0 
= 5 (Schatten-) 1,62 1,5 
Pinus silvestris (Sonnen-) 1,80 1,8 
En 5; (Schatten-) 2,06 .2,0 


Bei anderen Lichtintensitäten sind allerdings die Assimilations- 
werte relativ andere. Man findet aber einen recht deutlichen Parallelis- 
mus mit den Chlorophyllwerten. 

Auch bei den von mir untersuchten Schattenpflanzen besteht eine 
ähnliche Abhängigkeit. Die Assimilationswerte beziehen sich auf das 
Licht 1/,, und sind nebst den Chlorophyliwerten (s. unten Tab. III) auf 
50 cm® Blattfläche berechnet. 

Assimilation . Chlorophyll (relativ) 








Stellaria nemorum 1,6 0,88 
Oxalis acetosella 2,3 1,32 
Hier besteht fast völlige Proportionalität, denn se — 0,666 und 
? 
0,88 ; 
a = 0,696. 


? 


Das Chlorophyll verhält sich als Faktor also ähnlich wie das Licht 
und die Kohlensäure und die vorliegenden Tatsachen sprechen dafür, 
daß die Chlorophylikonzentration in der Natur nicht optimal ist,-sondern 
wie die Kohlensäure eine partiell begrenzende Tätigkeit entfaltet. Sonst 
würde man ja keine so erhebliche Abhängigkeit der Assimilation von 
der Chlorophylimenge finden. Die gegebenen Beispiele deuten darauf 
hin, daß sogar bei.den Schattenpflanzen die Chlorophyllmenge nicht in 
Überschuß gegenüber den anderen Faktoren vorhanden ist, wie man 
dies früher geglaubt hat. Ganz zweifellos im Minimum befindet sich 
das Chlorophyll bei den von Willstätter und Stoll (1918, 
S. 143 ff.) untersuchten Chlorina-Formen. Auch die Nadeln von Pinus 
und Picea sollen nach Stälfelt (1922) weniger Chlorophyll als grüne 
Pflanzen im allgemeinen enthalten. Allerdings weiß man noch nichts 
über die Chlorophylikonzentration in den Chromatophoren, was 
doch das Entscheidende ist. Die Chlorophylimenge wurde bisher immer 
auf das Frischgewicht des gesamten Zellmaterials bezogen. Ferner 
bauen alle Vergleiche auf verschiedene Spezies, was selbstverständlich 
eine Unsicherheit mitbringt, da doch hierbei die anderen inneren Fak- 
toren nicht a priori als konstant betrachtet werden können. Hier müssen 
weitere Untersuchungen einsetzen. 


Dieser kurze Überblick über das Zusammenwirken der Assimi- 
lationsfaktoren hatte nur den Zweck, die Aufmerksamkeit auf die hier- 
aus sich ergebenden wichtigen Probleme zu lenken. Ein reiches Feld 
für neue physiologische Untersuchungen öffnet sich hier. Im folgenden 
möchte ich etwas eingehender die Anwendung der theoretischen Er- 
gebnisse auf die Ökologie der Schattenpflanzen aufzeigen. Wir werden 








H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 343 


hierbei finden, daß außerdem noch anatomisch-physiologische Faktoren 
hinzukommen, die die Assimilation beeinflussen. 

Die Assimilationskurven von Sonnen- und Schattenblättern haben 

ein wesentlich verschiedenes Aussehen (s. Boysen-Jensen 1918, 
Stälfelt 1920, Lundegärdh 1921, S. 55ff.).. Falls man die Assi- 
milationsintensität einer Sonnenpflanze bei verschiedenen Lichtinten- 
sitäten untersucht, so bekommt man eine Kurve von logarithmischem 
Typus (Abb. 1). Die entsprechende Kurve einer Schattenpflanze zeist 
anfangs eine Steigung, um später ziemlich schnell in eine mit der 
Abszisse parallele Linie überzugehen (Abb. 2). Der Verlauf der 
Sonnenblattkurve erklärt sich (siehe oben) aus der bei steigender 
Assimilation immer mehr hervortretenden begrenzenden Wirkung der 
Kohlensäurekonzentration?). Bei dem Schattenblatt muß man theo- 
retisch ähnliche Verhältnisse voraussetzen, hier kommt aber außerdem 
ein Faktor hinzu, der die begrenzende Wirkung der Kohlensäure ver- 
schärft. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß der Assimilationsmecha- 
nismus bei den Schattenblättern anders eingerichtet wäre als bei den 
Sonnenblättern. Dagegen ist es bekannt, daß anatomische Unterschiede 
vorliegen und man hat dann zu untersuchen, ob diese Unterschiede die 
Kohlensäurezufuhr zu den Chloroplasten beeinflussen könnten. Ich habe 
in dieser Hinsicht die Blätter von der Sonnenpflanze Nasturtium pa- 
Tustris und die Schattenblätter von Oxalis acetosella und Melandrium 
rubrum einer eingehenden Untersuchung unterworfen. Die Assimilations- 
kurven dieser Pflanzen hatte ich früher (1921) ermittelt. 
; Die Kohlensäure der Luft hat einen ziemlich komplizierten Weg 
zurückzulegen, ehe sie zu den Chloroplasten kommt. Sie muß die 
Spaltöffnungen passieren, dann die Interzellularen, die Zellwand und 
die äußere Grenzschicht des Zytoplasmas. Wir wollen also zuerst unter- 
suchen, ob die Spaltöffnungen und das Interzellularsystem bei den 
Schattenpflanzen der Passage der Kohlensäure größere Hindernisse in 
den Weg stellen als bei den Sonnenpflanzen. 

Das Blatt von Nasturtium palustre besitzt ein doppeltes Palisad- 
parenchym und ein verhältnismäßig unentwickeltes Schwammparenchym. 
Die untersuchten Exemplare wuchsen nämlich am Meeresufer und sind 
deshalb etwas sukkulent. Spaltöffnungen kommen in gleicher Zahl auf 
beiden Seiten vor. Sie sind klein und haben eine ovale Form. Etwa 
die Hälfte sind verkümmert und funktionslos. 

Das Blatt von Nasturtium palustre besitzt ein doppeltes Pallisaden- 
wickeltes Palisadenparenchym und ein lockeres, mächtig entwickeltes 
Schwammparenchym (s. Abb. 4), das aus fast isodiametrischen Zellen 
besteht. Spaltöffnungen kommen nur auf der’ Unterseite vor. Sie haben 
eine schmal elliptische Gestalt. 

Das'Blatt von Oxalis acetosella ist von ausgeprägtem Schattentypus 
(s. Stahl 1885). Die Epidermis ist von sehr großen Zellen aufgebaut 


2) Schon hieraus läßt sich ein Beweis für das Ineinandergreifen der Faktoren 
ableiten (man vgl. OÖ. Warburg 1919). 


344 H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 


und funktioniert offenbar als Wasserreservoir. Das Mesophvll besteht 
nur aus zwei Zellschichten, die Palisadenschicht hat konische Zellen, 
die andere Schicht besteht aus netzförmig verbundenen verzweigten 





Abb. 4. Querschnitt durch ein Blatt von Melandrium rubrum. 


Zellen, die große Interzellularräume umfassen (s. Abb. 5, 6). Spalt- 
öffnungen kommen nur auf der Unterseite vor, in etwa derselben An- 
zahl wie bei Melandrium. 

In folgender Tabelle ist die Zahl und Dimension der Spaltöffnungen 
angegeben. Die Zahlen sind Mittelwerte aus mehreren Messungen. 


Tabelle 1. 
Zahl der Spaltöffnungen ®) ; 
au Oberseite Unterseite = Pinensionen>) 
Nasturtium palustre 29 29 3X 6,5 
Melandrium rubrum 0 10 6x 16 
Ozxalis acetosella 0 11 5X 20 


Die Spaltöffnungen sind bei den Schattenpflanzen wie bei der 
Sonnenpflanze im Licht geöffnet, auch wenn dieses sehr hell ist (vgl. 
Lundegärdh 1921, S. Si). Ihre Bewegungen sind also nicht für 


die Depression der Assimilationskurve bei höheren Lichtmengen ver- 


antwortlich. 

Was die Zahl der Spaltöffnungen betrifft, so ist diese bei Nasturtium 
fast dreimal so groß als bei den Schattenpflanzen. Im Gegenteil ist 
die Öffnungsära bei den letzteren mehr als dreimal so groß als bei 
Nasturtium?). Die Schattenpflanzen haben auch ein geräumigeres Inter- 


3) Im Gesichtsfeld des Mikroskops (Obj. Zeiß 3, Ok. 2). a 

4) In Mikrometerstrichen (große und kleine Achse der elliptischen Offnungsära). 

5) Nach Brown und, Escombe (1900) ist die Diffusionsgeschwindigkeit pro- 
portionell dem Radius der Offnungsära. Der Einfluß der Zahl der Stomata ist weniger 
klar, Auch spielt ja die Form und Größe des Blattes eine Rolle für den Diffusions- 
vorgang, ferner die Luftbewegung, Temperatur usw., d. h. eine Reihe von Faktoren, 
die man noch nicht imstande ist, klar zu überblicken (vgl. Sierp und Noack 1922; 
hier die Literatur). 


E 


H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilatıon. 345 


zellularsystem und sind sehr dünn, der Weg von den Spaltöffnungen 
der Unterseite zu den assimilierenden Zellen der Oberseite ist also ziem- 
lich kurz, was wohl den Besitz von Spaltöffnungen aut der Oberseite 
bei Nasturtium kompensiert. Auch wenn es zurzeit nicht möglich ist, 
eine exakte Berechnung des Diffusionswiderstandes in den verschie- 





Abb. 5. Querschnitt durch ein Blatt von Oxalis acetosella. 





Abb. 6. Flächenschnitt durch ein Blatt von Oxalis acetosella (Unterseite). 


denen Blättern durchzuführen, so geben jedoch die anatomischen Ver- 
hältnisse keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß bei den Schatten- 
blättern die Kohlensäurezufuhr unzureichend wäre. Wie Brow n und 
Escombe zeigten, ist die Durchlüftung des Blattes im allgemeinen 
als sehr gut zu betrachten. Die Spaltöffnungen gestatten eine fast unge- 
hinderte Diffusion. 


346 H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 


Wir gehen nunmehr zum zellulären Stoffaustausch über. Der 
Durchtritt der Kohlensäure durch die: Zellwand und die Hautschicht 
des Protoplasmas ist ein kompliziertes Adsorptions- und Lösungsphä- 
nomen, über deren wahre Natur wir noch sehr wenig wissen. Wie dem 
auch sei, so ist natürlich die in der Zeiteinheit hereindiffundierte Kohlen- 
säuremenge und die herausdiffundierte Sauerstoffmenge proportional 
der Zellfläche (f) ®). Über die Intensität der Assimilation entscheidet wie- 


: f 
derum die Masse (m) der Chlorophylikörper. Der Quotient Sn spielt 


deshalb eine wichtige Rolle für den Stoffumsatz. Bei großem Wert 
des Quotienten, also wenn. f groß ist im Verhältnis zu m, dürfte f keine 
Rolle als begrenzender Faktor spielen. Die Assimilationsgeschwindig- 
keit wird in diesem Fall von der Kohlensäurekonzentration der Inter- 
zellularluft bedingt. Bei kleinem Wert des Quotienten muß aber die 
Größe von f sehr bedeutungsvoll sein und sie wird bei steigender Assi- 
milationsintensität schließlich die Rolle eines absolut begrenzenden Fak- 
tors spielen, hierbei natürlich vorausgesetzt, dab die Kohlensäurekon- 
zentration der Luft konstant ist. 

Da die Permeabilitätskonstante der Kohlensäure unbekannt ist, so 
kann man nicht rechnerisch bestimmen, bei welcher Minimumgröße von 


= die beerenzende Wirkung von f in Tätigkeit tritt. Wir müssen uns 


darauf beschränken, aufzuzeigen, daß der Quotient tatsächlich bei den 
Schattenpflanzen einen viel kleineren Wert hat als bei den Sonnen- 
pflanzen. In folgender Tabelle sind die betreffenden Werte aufgeführt. 
Die Messungen beziehen sich auf Palisadenzellen und jede Ziffer ist 
der Mittelwert aus einer größeren Reihe von Einzelbestimmungen. 





























Tabelle I. 
Zell- Chloroplasten 
Pflanze Dia- Total 2 
. 7 7 min - 
Volumen’), Fläche”) | Zahl ner Fläche en m 
Nasturtium palustre 25 000 5140 35 4,3 58 .| 1460 3,52 
Melandrium rubrum 56 000 7080 27 7,0 153,8 | 4860 1,46 
Oxalis acetosella 8 000 1934 19 6,75 | 136,8 | 3000 0,65 

















6) Für den intrazellulären Diffusionsvorgang dürfte Ficks Gesetz gelten, die 
Diffusionsgeschwindigkeit iet also der Zellfläche und dem Konzentrationsgefälle pro- 
portional. Die Durchtrittsgeschwindigkeit eines Stoffes durch die Zell- und Plasma- 
haut ist proportional der Zellfläche und dem Permeabilitätskonstanten. 

7) Die Dimensionen sind in Mikrometerstriche angegeben. 

8) Wegen der meistens unregelmäßigen Form der Zellen war es nur möglich, das 
Volumen und die Fläche approximativ zu bestimmen. Der Fehler dürfte sich aber 
überall innerhalb derselben Grenzen halten. 





„ . > 
ee Me ie 


a nn 


H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 347 


Aus der Tabelle geht hervor, dab bei der typischen Schattenpflanze 
Oxalis acetosella = fünfmal kleiner als bei der Sonnenpflanze Nastur- 


tium ist. Auch bei Melandrium ist der Quotient klein. Da nun die 
Kohlensäurekonzentration der Luft relativ niedrig ist und, wie die 
Assimilationskurven lehren, bei höheren Lichtmengen immer eine stark 
begrenzende Wirkung ausübt, so ist es wahrscheinlich, daß der Quo- 


: BE: $ Ä > ı 
tient 7 einen großen Einfluß hat. Bei den Sonnenpflanzen ist er sicher 


noch hinreichend groß. Bei den Schattenpflanzen ist es dagegen zum 
mindesten sehr wahrscheinlich, daß die auffallende Depression der Kurve 
bei hohen Assimilationsintensitäten auf der begrenzenden Wirkung des 


Quotienten n beruht. 


In derselben Richtung wie der Quotient 2 wirkt bei den Schatten- 


pflanzen das Verhältnis Fläche: Masse der Chloroplasten. Vorteilhaft 
für den Gasaustausch sind selbstverständlich kleine Chloroplasten. Aus 
Tabelle II finden wir auch in dieser Hinsicht Nasturtium begünstigt: 
Seine Chloroplasten sind beträchtlich kleiner als diejenigen der Schatten- 
pflanzen. Die totale Oberfläche der Nasturtium-Chloroplasten ist des- 
halb fast ebenso groß wie die Totalfläche der Oxalis-Chloroplasten, ob- 
wohl die letzteren ein doppelt so großes Totalvolumen haben. 

Die anatomischen und zytologischen Eigenschaften der Schatten- 
blätter haben also den Nachteil, daß der Gasaustausch der Chloroplasten 
erschwert ist. Andererseits bietet aber der Schattenblattypus gewisse 
Vorteile. Das Schattenblatt ist in der Regel bedeutend dünner als das 
Sonnenblatt, wodurch die Chloroplasten über eine größere Fläche zer- 
streut sind. Außerdem ist das Schattenblatt meistens reicher an Chloro- 
phyll. Schon oben wurden einige frühere Belege auf diese Tatsache 
zitiert. Ich habe mit der von Willstätter und Stoll (1918) ausgear- 
beiteten Methodik einige Chlorophylibestimmungen gemacht, die in fol- 
gender Tabelle wiedergegeben sind. 


Tabelle IH. 








Relativer Chloro- 

















Blattfläche Relativer Chloro- \ 
Pflanze per 1g phyligehalt x ee 
Frischgewicht per 1 cm? er 
gewicht 
Phaseolus vulgaris . . 56,7 cm? 1,7 100 
Stellaria nemorum . . 119.08 0,88 105 


Ozxalis acetosella . . 95,8 
; | 

Von diesen Pflanzen ist Phaseolus eine typische Sonnenpflanze, 

die übrigen sind typische Schattenpflanzen. Die angeführten Zahlen 

lehren, daß ‚die Schattenpflanzen per Flächeneinheit zwar einen nie- 


n 1,32 126 


348 H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 


drigeren Chlorophyligehalt als die Sonnenpflanzen haben, auf das Frisch- 
gewicht berechnet wird aber der Chlorophyligehalt größer. Dies beruht 
natürlich darauf, daß die Chloroplastenmasse der Zellen bei den Schatten- 
pflanzen größer ist (vel. Tabelle II) und daß die mechanischen Gewebe 
schwächer entwickelt sind. 

Der Chlorophylifaktor ist also bei den Schattenpflanzen reichlich 
vorhanden. Daß hierdurch die Assimilation auch bei niedrigen Licht- 
intensitäten günstig beeinflußt wird, unterliegt nach dem S. 342 Ge- 
sagten keinem Zweifel. Dort wurde ja ein Parallelismus zwischen dem 
Chlorophyligehalt und der Assimilation aufgezeigt. — 


Unter den äußeren Bedingungen sind in erster Linie der Kohlen- 
säuregehalt der Luft und das Licht für das Dasein der Schattenpflanzen 
maßgebend. 

Betreffs des Kohlensäuregehalts habe ich nachgewiesen (1921), 
daß derselbe im Wald am Boden erheblich höher als auf dem Feld ist. 
Die Schattenpflanzen stehen deshalb im ällgemeinen unter einer höheren 
Kohlensäurespannung als die Sonnenpflanzen, was zweifelsohne öko- 
logisch sehr bedeutungsvoll und in vielen Fällen für die Verbreitung der 
Pflanzen im Schatten ausschlaggebend ist. 

Ich habe im Sommer 1921 die vergleichenden Analysen über den 
Kohlensäuregehalt der Waldluft und der „freien“ Luft fortgesetzt und 
möchte hier die neuen Ergebnisse wiedergeben. Die Analysen erstrecken 
sich über etwa einen Monat (vom 26. Juni bis 27. Juli). Die Proben 
wurden zu verschiedenen Zeiten, jedoch immer zwischen 9 Uhr vor- 
mittags und 3 Uhr nachmittags aufgenommen. Als Analysenapparat 
diente der andernorts beschriebene (1922a) Glockenapparat, der direkt 
im Feld eine Probe von 2,3 Liter aufsaugt. Dieser Apparat arbeitet 
mit einer Genauigkeit von etwa+1,0%, bezogen auf die Kohlen- 
säurekonzentration. 

Die Luftproben aus dem Wald wurden von dem Niveau der Blätter 
von Viola palustris oder Oxalis acetosella gesogen. Der Apparat stand 
in einem nässen Erlenwald, etwa 50 m von dem Waldrand (vgl. Lun- 
degärdh 1921, S. 71). Die Untervegetation bestand, außer den ge- 


nannten Pflanzen, aus Aspidium filix mas und Asp. spinulosum, Carex 


vesicaria, Peucedanum palustre, Oircea alpina, Melandrium rubrum. 

Der andere Apparat stand auf einem exponierten, etwa 6 m hohen 
Berghügel am Meer, unweit der Ökologischen Station, in etwa 300 m 
Entfernung vom ersten Apparat. 

Das Ergebnis bringt eine Bestätigung meiner früheren Unter- 
suchung). Die Kohlensäurekonzentration ist, ausgenommen an zwei 
Tagen, beträchtlich höher im Wald als am Meer. Bisweilen, wie am 
8. Juli, kann sie fast doppelt so groß sein. Daß Windstille begünstigend 
wirkt, ersieht man aus den Differenzen an den folgenden Tagen: 


9) Damals fand ich durchschnittlich höhere Werte, was zum Teil mit der größeren 
Niederschlagsmenge im Sommer 1921 zusammenhängen dürfte (vgl. unten). 





H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 349 


Tabelle IV. 
R Re Kohlensäure in m 
Datum Ne s per Liter 5 Differenz 
im Wald am Meer 

26. Juni Still 0,59 0,46 +0,13 
DU 8 Still 0,56 0,41 +0,15 
ZUR, Lüftchen 0,55 0,44 +0,11 
DIEN“; Fast still 0,56 0,42 +0,14 
30% 7;, Schwache Lüftchen 0,50 0,47 +0,03 

1. Juli „ ;; 0,49 0,41 —+- 0,08 

N Still, Regen 0,59 0,42 +0,17 

A. Lüftchen 0,51 0,40 +0,11 

5 5 0,64 0,51 +0,13 

BP Still 0,90 0,49 +0,41 
10.87, Lüftchen 0,60 0,49 +0,11 
BF € 0,61 0,47 +0,14 
Tor Starker Zug 0,65 = — 
Fa, Still 0,66 0,48 + 0,18 
109234 = 0,66 - 0,49 +0,17 
18:25 Schwache Lüftchen 0,56 0,51 + 0,05 
IA 4 5 0,67 0,54 +0,13 
20.55 Still 0,75 0,58 +0,17 
Ze Starker Zug 0,62 0,63 — 0,01 

(Sturm am Meer) 

22:3, m Starker Zug, Regen 0,60 0,56 + 0,04 
DI Schwache Lüftehen 0,75 0,54 +0,21 
Ba x & 0,52 0,49 +0,03 
DIE 5 je 0,63 0,65 — 0,02 


21.6,.2.1., ,8..1.,015.7,,.16..7., 20.17... Diese Differenzen . gehören! zu 
den größten, die beobachtet wurden. Dagegen fällt das eine Minimum 
auf einen Sturmtag (den 21.7.). Im allgemeinen kann aber auch recht 
starke Luftbewegung keinen Ausgleich zwischen den Konzentrationen 
am Waldboden und in der freien Luft zuwege bringen. 

Die Abhängigkeit der Kohlensäurekonzentration vom Standort geht 
auch deutlich aus der Untersuchung der Pflanzengesellschaften außer- 
halb des Waldes hervor. Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, die 
Kohlensäureverhältnisse in-den Wiesen zu untersuchen. Dagegen wurden 
die Kulturgesellschaften eingehend untersucht (s. Lundegärdh 1922 b). 
Ich reproduziere hier eine Kurve der täglichen Kohlensäurekonzentration 
in einem Kartoffelfeld auf leichtem Sandboden (Abb. 7). Die Proben 
wurden in 20 cm Abstand vom Boden gesogen. 

Bei einem Vergleich zwischen dieser Kurve und derjenigen der 
freien Luft bemerkt man eine große Ähnlichkeit in der Periode 16.7. 
bis 11.8. Die Übereinstimmung der beiden Kurven ist um so bemerkens- 
werter, als die beiden Orte, wo die Proben aufgenommen wurden, in 
etwa 5 km Entfernung (hiervon 3,5 km Meer) voneinander liegen. Die 
täglichen Variationen in dem Kohlensäuregehalt der Luft sind 
also in großer Ausstreckung nicht an den Standort gebunden. 


350 H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 


Der Standort zeichnet sich betreffs des Kartoftelfeldes durch eine 
durchschnittlich niedrige Kohlensäurekonzentration aus. Dies sieht man 
aus der Lage der Kurve im Verhältnis zur 0,50 mg-Abszisse. Die 
Kohlensäureproduktion des Bodens (vgl. unten) ist hier nicht .aus- 
reichend, um die Assimilation zu kompensieren. Die lokale Kohlensäure- 
produktion kann aber, wie die Kurve zeigt, durch Regen erhöht werden. 


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0.50 y 
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"a a En a a ee ec 
Abb. 7. Die täglichen Schwankungen der Kohlensäurekonzentration der Luft an der 
ökologischen Station (oben) und in einem Kartoffelfeld (unten). 


Nach dem 14.8. zeigt die Kurve einen starken Anstieg, und ein ent- 
sprechender Anstieg tritt nach dem 25.8. hervor. Diese Höheperioden 
der Kohlensäureproduktion beruhen auf korrespondierenden Niederschlags- 
perioden. Die Kohlensäurekonzentration der freien Luft wird nicht 
wesentlich beeinflußt durch diese lokalen Verhältnisse. 

Der Wind hat auf dem freien Feld eine überraschend geringe Wir- 
kung. Dies geht aus meinen ausgedehnten Untersuchungen hervor. 
Gleichzeitig mit den täglichen Kohlensäureanalysen (die mit 9 Appa- 
raten gleichzeitig ausgeführt wurden) wurde die Windgeschwindigkeit 
über dem Feld anemometrisch gemessen. Eine Zusammenstellung der 
während 2, Monate erreichten Ergebnisse ergab keine bestimmte Kor- 
relation zwischen Windgeschwindigkeit und Kohlensäurekonzentration 
in 20 cm Höhe vom Boden, auch in denjenigen Fällen, wo die Kohlen- 
säurekonzentration durchschnittlich höher als die der freien Luft war. 
Die vom Boden abgegebene Kohlensäure bläst also nicht so leicht weg, 
was wahrscheinlich größtenteils auf den erheblichen Windschutz, den 
die dicht stehenden Pflanzen bilden, beruht. 

Man kann aus dem oben dargelegten den Schluß ziehen, daß die 
lokale Kohlensäurekonzentration einen wichtigen Standortsfaktor dar- 
stellt und dies nicht nur im Wald, sondern auch auf dem Feld. 

Der lokale Kohlensäurefaktor !) ist, wie ich früher (1921) ge- 
zeigt habe, eigentlich ein Bodenfaktor, d. h. die Luft wird vom Boden 

10) Man nennt die durchschnittliche Kohlensäurekonzentration zweckmäßig einen 
„Standortfaktor“, in demselben ökologischen Sinn wie man von einem „Wasserfaktor“, 


einem „Nitratfaktor“ usw. des Bodens oder einem „Temperaturfaktor‘ der Luft sprechen 
kann. 





i 


H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäurcassimilation. 351 


aus mit Kohlensäure angereichert. Es ist deshalb von Interesse, die 
Intensität der „Bodenatmung“*, d. h. der absoluten Kohlensäureabgabe 
des Bodens, zu erfahren. 

Um die Kohlensäuremenge zu bestimmen, die ein Stück Boden- 
fläche in der Zeiteinheit abgibt, kann man durch eine Kappe die Luft 
oberhalb derselben abschließen und die Konzentrationserhöhung bestim- 
men. Ich benutzte für die unten mitgeteilten Bestimmungen eine Kappe 
in der Form eines umgestülpten großen Trichters, dessen zylindrischer 
Rand in den Boden hineingepreßt wurde (s. 1922b). Durch Vor- 
versuche hatte ich mich davon überzeugt, daß während der ersten 
Stunde die Kohlensäurekonzentration in dem vgeschlossenen Trichter 
proportional der Zeit stieg. Nach einer Stunde wurde also eine kleine 
Probe von der eingeschlossenen Luft genommen und analysiert. Auf 
diese Weise war es leicht möglich, die Kohlensäureabgabe von 1 m? 
Bodenfläche in 1 Stunde zu berechnen. 

Die von der freien Bodenfläche abgegebene Kohlensäure stammt 
selbstverständlich aus der Bodenluft, wo die Konzentration bedeutend 
höher als im Luftmeer ist. Man kann durch eine feine Röhre die Boden- 
luft aus einer bestimmten Tiefe aufsaugen und sie analysieren. Obwohl 
der Kohlensäuregehalt der Bodenluft an sich uns hier nicht näher be- 
schäftigen kann, habe ich jedoch in der untenstehenden Tabelle einige 
Bestimmungen derselben mitgeteilt, um zu zeigen, wie hoch das Kon- 
zentrationsgefälle ist, das eine bekannte Bodenatmung bewirkt. Die 
Konzentration der Kohlensäure in dem Luftmeer ist etwa 0,03 Volum- 
prozent. 

Sämtliche Analysen datieren sich vom 1.10., die Bodentemperatur 
war nur 9° C. Im Sommer war die Bodenatmung selbstverständlich leb- 
hafter (vgl. Lundegärdh 1921). Die Tabelle veranschaulicht die sehr, 
großen Unterschiede in der Kohlensäureproduktion verschiedener Böden. 
Die auf echtem Mull stehenden Pflanzen (Nr. 1-4) erhalten viel mehr 
Kohlensäure als die auf Rohhumus (Nr.5) oder sandigem Wiesenboden 
(Nr. 6, 8) stehenden. Auch die,Dicke der Mullschicht spielt eine Rolle. 
In Nr. 7 hatte die Mullschicht eine Mächtigkeit von nur 15 cm; die 
Kohlensäureproduktion ist hier auch schwach. Einen Einfluß hat auch 
der Wassergehalt des Bodens (vgl. oben). Anfangs wirkt er günstig, 
zu große Nässe hemmt jedoch den Umsatz im Boden. In nassem 
Sumpiboden (Nr. 3, 4) ist auch die Kohlensäureproduktion schwächer 
als in etwas trockenerem Mull (Nr. 1, 2). 

Der Kohlensäuregehalt der Bodenluft ist meistens wenigstens 10mal 
größer als der des Luftmeeres. Irgendein näherer Parallelismus zwischen 
der Konzentration der Bodenkohlensäure und der freien Bodenatmung 
besteht nicht, was mit der verschiedenen physikalischen Beschaffenheit 
der Böden zusammenhängt!!). In einem gut durchgelüfteten Boden 
steigt die Konzentration niemals zu hohen Werten, auch wenn die 


11) Anders liegen die Verhältnisse z. B. betreffs verschieden gedüngter Parzellen 
desselben Kulturbodens (s. 1922 b). 


359 H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 


absolute Kohlensäureproduktion beträchtlich ist. Dagegen werden in 
wässerigem Boden häufig Konzentrationen bis 1% oder mehr beob- 
achtet. 
































Tabelle V. 
S Kohlensäureabgabe Kohlensäuregehalt in 
= Standort per 1 m? Boden Volumprozent im Boden 
= per 1 Stunde auf 15—20 em Tiefe 
1. || Oxalis acetosella- Aspidium-Asso- 117 mg = 64 ccm 0,24 
ziation im Erlenwald. Boden | (Mittel aus 3 Bestim- 
ziemlich feucht mungen) 
2. || Rubus idaeus-Oxalis acetosella- 8äng = Ad; 'cem 0,50 
Assoziation in gemischtem Laub- 
wald 
3. || Viola palustris-Assoziation in 72 mg = 39 ccm 0,22—0,75 
einem ausgetrockneten Erlen- (Mittel aus 6 Bestim- 
sumpf mungen) 
4. || Ebenda, neben dem Luftanalysen- | 66,6 mg = 36,5 cem — 
apparat (vgl. Tab. IV) 
5. || Majanthemum bifolium- Assozia- | 33,3 mg = 18,2 cem — 
tion am Rand des Erlenwaldes 
(vgl. 1, 3, 4) 
6. || Nardus strieta - Carex panicea- | 33,3 mg — 18,2 ccm 0,26 
Assoziation (noch 25 Spezies, 
sehr dichter Rasen) 
7. || Oenanthe aqwatica - Bestand auf | 27,8 mg — 15,2 cem 0,20 


ausgetrocknetem Sumpfboden 


8. || Abgeweideter und trockener Gras- | 11,1mg = 6,1 cem — 
boden, am Meer 


Die hier geschilderten Verhältnisse deuten auf die Anwesenheit 
eines bisher unbeachtet gebliebenen aber sehr wichtigen Standortfaktors 


hin. Ein Vergleich zwischen den Tabellen IV und V lehrt, daß eine 


Produktion von 66,6 mg —= 36,5 cem Kohlensäure per m? im Herbst 
einem durchschnittlichen Säuregehalt in der unteren Luftschicht von 
20 0) über dem normalen entspricht. In Nr. 1 Tab. V wurde eine zwei- 
mal so große Kohlensäureproduktion beobachtet; auf diesem Standort 
dürfte also der Kohlensäuregehalt noch höher sein. 

Auf den durch schwache Kohlensäurekonzentration ausgezeichneten 
Standorten Nr. 5—8 (Tab. V), besonders den zwei letzten, dürfte dagegen 
der Gehalt der Luft nicht wesentlich höher als normal sein, bei leb- 
hafter Assimilation dürfte er sogar unterhalb der normalen sinken, wie 
dies tatsächlich im Kartoffelfeld beobachtet wurde (s. oben S. 350, 
Abb. 7). 


in 


Be 





H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 353 


Der Kohlensäurefaktor ist, wie gesagt, vor allem ein Bodenfaktor. 
Aber da die Bodenkohlensäure erst nach ihrem Austreten in die Luft 
auf die Blätter wirkt, so wird der Kohlensäurefaktor selbstverständlich 
abhängig von den speziellen meteorologischen Bedingungen des Stand- 
ortes (namentlich Wind, Regen und Sonne), außerdem spielt natürlich 
die Beschaffenheit der Vegetationsdecke selbst eine Rolle. Hohe und 
dichtstehende Pflanzen stellen ja einen vorzüglichen Windschutz dar, 
ferner ist die Kohlensäurekonzentration abhängis von dem Assimilations- 
vermögen der Pflanzendecke. Zur exakten Bestimmung des Kohlensäure- 
faktors genügt nicht die Ermittlung der absoluten Kohlensäureproduktion 
des Bodens, sondern man muß die Luft in der Umgebung der 
assimilierenden Blätter analysieren. Hierzu eignet sich der von 
mir konstruierte Glockenapparat (1922a), der auf dem Standort pla- 
ziert wird. Durch eine Glasröhre, die zwischen den Blättern der zu 
untersuchenden Pflanzen mündet, wird ein bestimmtes Quantum Luft 
in die Glocke gesogen. Die Kohlensäure wird über eine Barytlösung 
absorbiert. Alle Manipulationen, bis auf das Titrieren, werden im Feld 
ausgeführt, man kann also mit diesem Apparat unschwer lange Analysen- 
serien in weiter Entfernung vom Laboratorium ausführen. 


Daß bei den Sonnenpflanzen eine erhöhte Kohlensäurekonzentra- 
tion der Luft die Assimilationsintensität beeinflußt, war ja schon aus 
den früheren Untersuchungen von Blackman und seinen Schülern 
klar. Denn bei hoher Lichtintensität befindet sich die Kohlensäure sehr 
im Minimum. Daß auch bei den Schattenpflanzen eine erhöhte Kohlen- 
säurekonzentration eine gesteigerte Assimilation mitbringt, war nicht 
aus der Theorie Blackmans zu ersehen, denn nach ihr wäre im 
Schatten das Licht der allein ausschlaggebende Minimumfaktor. Erst 
durch den von mir erbrachten Nachweis, daß auch bei niedriger Licht- 
intensität die Kohlensäure ein mitbestimmender Faktor ist, konnte man 
sich eine richtige Vorstellung von den Assimilationsbedingungen der 
Schattenpflanzen bilden. 

Wir finden also jetzt, daß eben für die Schattenpflanzen, die viel- 
fach an der Hungersrenze leben, der vorhin nachgewiesene Kohlensäure- 
faktor außerordentlich wichtig ist. Denn auch bei den kleinsten Licht- 
mengen wird durch Erhöhung der Kohlensäurekonzentration über der 
normalen eine entsprechende Erhöhung der Assimilationsintensität er- 
reicht. Bei Oxalis acetosella wurde bei t/,, Licht die Assimilation durch 
verdreifachte Kohlensäurekonzentration etwa verdreifacht 12). Die 
„Grenze“ wurde bei dieser Lichtintensität erst bei 3-4 facher Kohlen- 
säurekonzentration erreicht (s. Abb. 3). Bei höheren Lichtintensitäten 

12)"Bei Oxalis herrschte bei niedrigeren Lichtintensitäten und bis 3—4facher 
Kohlensäurekonzentration etwa direkte Proportionalität. Bei Stelluria nemorum stieg 
die Assimilation langsamer. Solche spezifische Unterschiede müssen natürlich für jede 


Pflanze besonders ermittelt werden. An der prinzipiellen Bedeutung des Kohlensäure- 
faktors ändern diese Verhältnisse nichts. 


Band 42. 23 


354 NH. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 


wird die Grenze später, bei noch schwächerem Licht als !/,, wahrschein- 
lich früher erreicht, aber in der Natur hat man meistens nur mit 
Kohlensäurekonzentrationen bis höchstens das Doppelte des Normalen 
zu rechnen (s. Lundegäardh 1921 und oben). Die Schattenpflanzen 
dürften also bei jeder Lichtintensität den Kohlensäurefaktor des Stand- 
ortes voll ausnützen können 12). 

Wenn man die Assimilationskurven und die Atmung einer Pflanze 
kennt und dann die an dem Standort herrschenden Licht-, Kohlensäure- 
und Temperaturverhältnisse ermittelt, ist man imstande, die Kohle- 
hydratbilanz zu kalkulieren. Ich habe in meiner Arbeit 1921 durch 
ein paar Beispiele den Gang einer derartigen Berechnung angegeben, 
jedoch darauf hingewiesen, daß namentlich die im Wald herrschenden 
Beleuchtungsverhältnisse allzu unzureichend bekannt waren. 

































































A DE SO NT 8 IL LOFELNTZF AL 25 3A INNEN EIS 
Abb. 8. Die tägliche Lichtkurve von drei verschiedenen Standorten. 


Seitdem habe ich einen Lichtmessungsapparat konstruiert, der das 
assimilatorisch wirksame rotgelbe Licht alle Viertelstunden registriert. 
Der Apparat, der andernorts näher geschildert wird, hat die Gestalt 
eines kleinen Kastens, der direkt auf den Standort plaziert wird und 
die hier herrschende totale Lichtintensität auf einen durch eine Uhr be- 
wegten photographischen Film aufnimmt. Auf diese Weise ist es mög- 
lich, eine detaillierte Kenntnis von dem der Pflanze zugute kommenden 
assimilatorisch wirksamen Licht Zu bekommen. 

Eine ausführliche Beschreibung der mit diesem Apparat erzielten 
Ergebnisse würde hier zu weit führen. Ich beschränke mich darauf, 


5 
E 2 
3 
& 








H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 355 


einige Kurven mitzuteilen, die die an einem hellen Tag Baden 
Lichtverhältnisse in einigen der in Tab. V angegebenen Assoziationen 
wiedergeben. 

Betrachten wir zuerst die in Abb. 8 dargestellten Kurven von Oxalis 
acetosella, Viola palustris und Majanthemum bifokium, die an einem son- 
nigen, wolkenlosen Tag aufgenommen wurden, so sehen wir gleich, dab 
dieselben einen unregelmäßigen -Verlauf haben im Vergleich zu der 
Normalkurve des maximalen Tageslichts. Dies beruht darauf, daß die 
Sonnenstrahlen zwischen den Blättern der Baumkronen hindurchsickern 
und begrenzte Flecken auf den Boden bilden, die sich natürlich mit 
dem Gang der Sonne bewegen und über die Pflanzen hinweggleiten. Die 
kurz dauernden Maxima der Kurven rühren von solchen Sonnenflecken her 
(s. besonders Abb. 9 und die Majanthemum- und Oxalis-Kurven in 
Abb. 8). Auch das diffuse Licht ist natürlich im Wald ähnlichen 
Schwankungen unterworfen, obwohl diese schwächer sind, wie man 
namentlich aus den bei wolkenbedecktem Himmel aufgenommenen Kur- 
ven ersieht. Wegen der hier angedeuteten Verhältnisse empfangen die 
Schattenpflanzen das stärkste Licht selten am Mittag, sondern meistens 
in den späten Vormittags- oder frühen Nachmittagsstunden, je nach der 
Lage der Assoziation im Verhältnis zu den schattengebenden Bäumen 
oder Bodenhügeln. 


Die gebrochene Linie, die mit 





ei — ] bezeichnet ist, bedeutet die- 


jenige Lichtintensität, wo die Atmung und die Assimilation einander das 
Gleichgewicht halten (vgl. Lundegärdh 1921, S. 76). Bei einer frei 
auf dem Waldboden stehenden Oxalis-Pflanze liefert die Assimilation 
etwa von 8 Uhr vormittags bis 4 Uhr nachmittags an sonnigen Tagen 
einen positiven Gewinn. Bei Oxalis-Pflanzen, die unter Farnen, also 
an der unteren Lichtgrenze wachsen, bringen die Sonnenflecken eigent- 
lich erst die Möglichkeit, die Assimilationsarbeit für kürzere Zeiträume 
aui der positiven Seite zu halten. 

An der Hand der Lichtkurven und der Assimilationskurven so- 
wie der Atmungswerte (vgl. 1921, S. 76) kann man eine recht genaue 
Berechnung der täglichen Kohlehydratproduktion der Blätter anstellen. 
Für diejenigen Oxalis-Pilanzen, deren Lichtkurven in Abb. 8 dargestellt 
sind, gestaltet sich die Berechnung folgendermaßen : 

Luft CO, 0,57 mg pro Liter 


Assimilation in mg CO. 9.15 V.M. — 4.30 N.M. +1,82 mg 
"9 0» In den Sonnenflecken +0,80 mg 





„ 
Atmung EI ar 4 V.M. — 9.15 V.M. — 0,48 mg 
. N ABOENME N TIN.M een 
= NEE N Sa 7? N.M. — 4 V.M. — 2,70 mg 
Summe — 0,94 mg 


Luft CO, 0,68 mg pro Liter (nach Tabelle V) 


Assimilation in mg CO, 8.30 V.M. — 5 N.M. +2,21 mg 
».»  » in den Sonnenfleeken +1,20 mg 


Abm) u ma AONENL 8.30 0.16 0,36 me 
„ nalen 5 N.M.— 7 N.M. — 0,36 mg 
h EN. SE VO mg 





Summe +0,12 mg 
23* 


356 AH. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 


Es würde also ein Defizit resultieren in normaler Luft. Dieses 
wird aber in ein geringes Plus verwandelt dank des stärkeren Kohlen- 
säurelaktors und dank der drei Sonnenflecken (vgl. Abb. 8), die etwa 

































a DE - Ai 
N E 
100 
ass, 
er 5 fi Bee le el ne 


BEE n 


ee 
Abb. 9. Die tägliche Lichtkurve eines unter Farnen stehenden Oxalis-Bestandes. 


die Hälfte der ganzen Assimilationsarbeit veranlassen. Für die an sehr 
schattigen Standorten wachsenden Oxalis-Pflanzen (Abb. 9) gibt die Be- 
rechnung folgendes Ergebnis: 








Luft CO, 0,57 mg Luft CO, 0,68 mg 
Assimilation in mg CO, +0,80 mg +1,00 mg 
Atmung EN — 620%, ne | 
Summe — 5,46 mg — 4,96 mg 


Hier wurde fast nur in den „Sonnenflecken“ assimiliert, aber diese 
haben zu kurz gedauert; das Defizit ist deshalb sehr erheblich. Diese 
Berechnungen erheben natürlich keinen Anspruch auf größere Exakt- 
heit. Denn man sollte auch die tägliche und nächtliche Temperaturkurve, 
ferner die Öffnungsweite der Stomata usw. berücksichtigen (s. Lun- 
degeärdh 1921, 8. 794). Auf Grund .der kühleren Nachttemperatur 
wird z. B. der Verlust infolge der Atmung niedriger als wir angenommen 
haben. Trotzdem ist nicht daran zu zweifeln, daß die ausgeprägten 
Schattenpflanzen im Sommer vielfach unterhalb der Hungergrenze leben. 
Nur im Frühling vor der Laubentfaltung der Bäume, der Sträucher und 
der Farne bekommen sie so viel Licht, daß sie das Kohlehydratkapital 
ansammeln können, an dem sie im Sommer zehren (vgl. Hesselman 
1904). Vielleicht bildet der Spätherbst eine ähnliche Assimilations- 
periode. Erst die etwas günstiger plazierten Oxalis-Pflanzen vermögen so 
viel Assimilate zu bilden, daß sie die Atmung gerade in Schach halten, 
aber dies zum großen Teil nur dank der Sonnenflecken und des höheren 
Kohlensäurefaktors. Unsere Beispiele hatten nur den Zweck, die auber- 
ordentliche ökologische Bedeutung dieser beiden Faktoren aufzuzeigen. 


ee ee A rn er 








H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 357 


Eingehende Untersuchungen unter Berücksichtigung der ökologischen 
Faktoren?) werden die wichtige Frage der Kohlehydratbilanz der 
Schattenpflanzen mehr im Detail aufklären. 

Betreffs des Grades der Anpassung an schwaches Licht herrschen 
bekanntlich unter den Pflanzen große Unterschiede, die wahrscheinlich 
zum großen Teil in der Beschaffenheit der inneren Assimilationsfak- 
toren wurzeln. Wir fanden ja oben S. 342, daß der Chlorophyllifaktor 
verschieden stark sein kann. Um so mehr Chlorophyll die Pflanze 
auf der Einheit Fläche oder Frischgewicht besitzt, um so vollständiger 
kann sie die dargebotenen Licht- und Kohlensäuremengen ausnützen. 
Oxalis hat z. B. einen starken Chlorophylifaktor vgl. S. 343, 346) und sie 
Ist ja auch eine sehr ausgeprägte Schattenpflanze. Man kann auch 
beobachten, daß die an sehr schattigem Standort wachsenden Pflanzen 
dunkelgrün gefärbt sind, während diejenigen, die an lichteren Stellen 
stehen, meistens hellgrün sind mit einem Stich ins Gelb. Es gibt wohl 
verschiedene Formen oder Rassen, die durch einen verschieden starken 
Chlorophylifaktor ausgezeichnet sind und deswegen eine verschiedene 
Ausbreitung haben. Unter den übrigen inneren Faktoren sind die anato- 
misch-zytologischen Dimensionsverhältnisse zu nennen. Daß auch der 
„Protoplasmafaktor“ spezifische Unterschiede aufweist, daran kann man 
nach Willstätters Untersuchungen nicht zweifeln (vel. S. 343). 

Aus dem Gesagten erhellt, daß das „spezifische Assimilationsver- 
mögen“ der Pflanzen durch eine Reihe von Faktoren bestimmt wird. 
Die Schattenpflanzen sind in dieser Hinsicht von besonderem Interesse, 
da hier alle Faktoren, sowohl die inneren wie die äußeren, in der Nähe 
des Minimums vorhanden sind. Deshalb spielen schon kleine Schwan- 
kungen irgendeines Faktors eine große Rolle in ökologischer Hinsicht. 
Und jeder Faktor kann hier, ökologisch betrachtet, für die anderen ein- 
treten. So bildet die höhere Kohlensäurekonzentration eine Kompen- 
sation für das schwächere Licht. Die höchste Kohlensäurespannung 
herrscht dicht am Boden oder in Spalten und Höhlen, also wo das Licht 
gerade minimal ist. Unter den inneren Faktoren bildet namentlich das 
Chlorophyll und die Blattgröße eine Kompensation für das schwache 
Licht. Die durch den anatomisch-zytologischen Bau bedingten Übel- 
stände hinsichtlich der Durchlüftung werden wiederum durch den inneren 
Chlorophylifaktor oder den äußeren Kohlensäurefaktor kompensiert usw. 

Bei den Sonnenpflanzen liegen die Verhältnisse insofern anders, 
als hier ein Faktor, nämlich das Licht, in Überschuß vorhanden ist. 
Alle anderen Faktoren befinden sich also hier gegenüber dem Licht im 
Minimum. Sonst ist natürlich auch für die Sonnenpflanzen die „spezi- 
fische Assimilationsintensität“ sehr wichtig. Unterschiede im Chloro- 
phyllfaktor!*®), im Plasmafaktor usw. resultieren in einem besseren oder 
schlechteren Gedeihen der Pflanzen, was im Hinblick auf die furchtbar 
scharfe Konkurrenz der Sonnenpflanzen sehr viel bedeutet. Jedoch 


13) D.h. vor allem das Licht, die Kohlensäure, die Temperatur, die Spaltöffnungen. 
14) Vgl. Westermeier, Zeitschr. für Pflanzenzüchtung. Bd. 8, 1921, S. 14. 


358 H. Lundegärdh, Zur Physiologie und Ökologie der Kohlensäureassimilation. 


spielen für die Sonnenpflanzen andere ökologische Verhältnisse, wie 
z. B. die Transpiration, eine größere Rolle als für die Schattenpflanzen. 
Die Assimilation als Anpassungskomplex tritt dort nicht so sehr in 
den Vordergrund. Es würde jedoch weit über den Rahmen dieses Auf- 
satzes gehen, wollten wir alle die mit dem Assimilationsvorgang im Zu- 
sammenhang stehenden biologischen Anpassungen zu schildern ver- 
suchen. 


' 


Zitierte Literatur. 


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— and Matthaei, 1905. Quantitative Study of carbon-dioxide assimilation ete, 
Proc. Roy. Soc. 76, S. 402. 


— and Smith, 1911. Experimental researches on vegetable assimilation and 


respiration. Ebenda 83, S. 389. 
Boysen-Jensen, P., 1918. Studies on the production of matter in light- and 
shadow-plants. Bot. tidsskr. 36, S. 219. 
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assimilation ete. Philos. Transact. 193, B, S. 223. 
— 1902. The influence of varying amounts of carbon-dioxide in the air on the 
photosynthetie process of leaves etc. Proc. Roy. Soc. 70, S. 397. 
Hesselman, H., 1904. Zur Kenntnis des Pflanzenlebens schwedischer Laubwiesen. 
Beih. bot. Centralbl. 17, S. 311. 
Lundegärdh, H., 1921. Ecological studies in the assimilation of certain forest-plants 
and shore-plants. Svensk bot. tidskr. 15, S. 46. 
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Lubimenko, W., 1905. Sur la sensibilit& de l’appareil chlorophylle des plantes ombro- 
philes et ombrophob. Rev. gen. bot. 17, S. 381. 
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Ebenda 20, S. 162. 
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Art ete. Cohns Beitr. z. Biol. 11, S. 249. 
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Bot. 60, S. 459. 
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Stälfelt, M. G., 1920. Ljuset i fruktträdkronorna. Sveriges pomol. fören. ärsskr., 
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— 1920. Ebenda 103, S. 188. 
— 1921. Theorie der Kohlensäureassimilation. Die Naturwissenschaften. 4, 8.18. 
Willstätter und Stoll, 1918. Untersuchungen über die Assimilation der Kohlen- 
säure. Berlin, 


u 
R 
BL: 


F. Roch, Beitrag zur Physiologie der Flugmuskulatur der Insekten. 359 


Beitrag zur Physiologie der Flugmuskulatur der Insekten. 
Von Felix Roch. 


(Aus dem zoologischen Institut der Universität Berlin.) 
Mit 2 Abbildungen. 

Die im folgenden zu schildernden Experimente beschäftigen sich 
mit der Frage, welchen Einfluß die Amputation der Insektenflügel auf 
die Schwingungszahl derselben besitzt. In seiner Arbeit über die 
Halteren der Fliegen hat v. Buddenbrock!) hervorgehoben, „daß 
die Frequenz des Flügels im stärksten Maße von der Belastung des- 
selben abhängt.“ Wird nämlich die Belastung des Flügels künstlich 
durch Aufkleben eines Pappstückchens erhöht, so verlangsamt sich das 
Schwingungstempo erheblich; tritt jedoch infolge teilweiser Amputation 
des Flügels Unterbelastung ein, „so steigt die Frequenz um so höher, 
je kleiner der restliche Flügelstumpf ist“. Bei Tipwla, deren normale 
Flügellänge 22 mm beträgt, ist, wie in jener Abhandlung angegeben 
wird, bei Stutzung der Flügel auf 10 und 5 mm ein Ansteigen der 
Frequenzziffer von 9 auf 12 bezw. 20 festzustellen. Aus dieser Schilde- 
rung, die sich offenbar auf die Stutzung beider Flügel bezieht, geht 
jedoch nicht hervor, wie sich ein Insekt benimmt, dem nur ein Flügel 
verkürzt ist. Der Feststellung dieses wichtigen Punktes sollen die 
nachfolgenden Erörterungen dienen. 

Als Versuchstiere nahm ich Vertreter dreier verschiedener Fami- 
lien der Dipteren. Zunächst benutzte ich Tipula, die sich ja wegen 
der Länge ihrer Flügel zu derartigen Versuchen besonders gut eignet; 
dann zog ich von den Asiliden Zaphria und von den Musciden Call- 
phora heran. Die Tiere wurden am Rücken des Thorax mit Synde- 
tikon an einem Drahtgestell festgeklebt und die Flügelschwingungen 
auf einem am Flügelende vorbeigleitenden berußten Glasstreifen auf- 
gezeichnet (Schußkymograph von Ritter)?). Mit jedem Individuum 
machte ich drei kymographische Aufnahmen und zwar bestimmte ich 
zuerst die Schwingungszahl eines Flügels des normalen Insekts; dann 
stutzte ich diesen Flügel zur Hälfte, während der andere unversehrt 
blieb, und ließ den Glasstreifen an dem verkürzten Flügel vorbei- 
schießen. Schließlich stutzte ich auch den andern Flügel zur Hälfte 
und machte mit dem schon zweimal benutzten Flügel auch noch die 
dritte Aufnahme. Beim Vergleich dieser Aufnahmen (s. Abb. 1) 
gelangte ich nun zu folgendem interessanten Resultat: 














| Tipula a Laphria | Calliphora 
a) normales Tier \ 6 Schläge | 12 Schläge | 15 Schläge 
b) dasselbe Tier nach Stutzung eines Flügels | 6 4 11 14 R 
ec) dasselbe Tier nach Stutzung beider Flügel | 10 | 14 ® 19 x 


1) v. Buddenbrock, Die vermutliche Lösung der Halterenfrage. Pflügers 
Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, 1919, Bd 175, 3/6. 

2) W. Ritter, The flying apparatus of the blow fly. Smithson. mise. Coll. 
Vol. 56, Nr. 12, 1911. 


360% F. Roch, Beitrag zur Physiologie der Flugmuskulatur der Insekten. 


Wir sehen zunächst aus dieser Tabelle, die sich aus den beigegebenen 
Abb. nach Photographien ergibt, daß entsprechend den v. Budden- 
brock’schen Beobachtungen bei beiderseitiger Flügelstutzung die 
Frequenz steigt. Ganz anders dagegen verhält sich das einseitig 
operierte Tier; es zeigt sich, daß die Zahlen der zweiten Kymogramme 
(s. b in Abb. 1) niemals die der ersten (s. a in Abb. 1) übersteigen, 
obwohl der in Betracht kommende Flügel nur halb so lang ist wie 
in der ersten Aufnahme. Hieraus läßt sich also der Schluß ziehen, 
daß eine einseitige Flügelstutzung keinen Einfluß auf die Schwingungs- 
zahl beider Flügel besitzt, sowie daß der kürzere Flügel nicht, wie 
man vielleicht annehmen könnte, infolge seiner geringeren Belastung 
schneller schwingt. 

Daß bei den dritten Aufnahmen die Zahlen im Verhältnis zu 
denen bei der ersten nicht noch höher sind und bei Laphria und Calli- 
phora nach Verkürzung eines Flügels die Zahlen sogar etwas zurück- 
gingen, möchte ich als eine leichte Ermüdungserscheinung der Tiere 
auffassen, denn schon während der Dauer der Versuche und nament- 
lich nachher konnte ich eine gewisse Ermattung der Insekten fest- 
stellen. Immerhin zeigen die Versuche mit aller Deutlichkeit, daß 
in keinem Falle nach einseitiger Amputation der kürzere Flügel 
schnellere Schwingungen ausführt als vorher. 

Im Anschluß hieran schritt ich nun noch zu Parallelversuchen 
mit Apes, also einem Vertreter der Hymenopteren, die zwar vier 
Flügel besitzen, aber, da sich beim Fluge Vorder- und Hinterflügel 
miteinander verbinden und somit eine Einheit ergeben, physiologisch 
als zweiflüglig anzusehen sind. Durch Kymogrammaufnahmen von 
Apis, die ich derselben Versuchsanordnung wie bisher die Dipteren 
unterwarf, erhielt ich folgendes (s. Abb. 2): 











| Apis 








a) normales Tier 32 Schläge 


b) dasselbe Tier nach Stutzung eines | 32 
Flügels (Vorderflügels) 


c) dasselbe Tier nach Stutzung beider | 39 
Flügel (Vorderflügel) 


”» 





Diese Zahlen besagen also dasselbe wie bei den Dipteren. Es 
läßt sich demnach auch hier der Satz aufstellen: Nach Verkürzung 
eines Flügels (hier eines Vorderflügels) erhöht sich dessen Schwingungs- 
frequenz nicht, sondern behält denselben Wert wie vor der Ampu- 
tatıon bei und schwingt folglich mit dem längeren Flügel synchron; 
wenn dagegen beide Flügel verkürzt sind, ergibt sich für beide eine 
höhere Schwingungszahl als die normale. 

Suchen wir nun zu einer Erklärung dieser merkwürdigen Ergeb. 
nisse zu gelangen. Zunächst ist ganz offenbar die Schwingungszahl 








Celliphors laphrIe Tipula 
Ss marke or Dean, N 








5 


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Abb. 1. 


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362 F. Roch, Beitrag zur Physiologie der Flugmuskulatur der Insekten. 


von der Belastung der Flügel abhängig, Wir sahen, daß sich die 
Schwingungszahl bei geringerer Belastung beider Flügel erhöht. Diesen 
Zusammenhang kann man vielleicht durch die Formel: E = BF aus- 
drücken, wobei E die vom Tiere aufzuwendende Energie bezeichnen 
soll, B die Größe der Belastung der Flügel und F die Frequenz der 
Schläge. Darnach würde sich, wenn man die Energie als einiger- 
maßen konstant annımmt und das Produkt BF denselben Wert be- 
halten soll, ergeben, was der Versuch lehrt, daß bei wachsender Be- 
lastung sich die Frequenz verringert, und umgekehrt die Frequenz 
zunimmt, wenn die Flügel gestutzt sind. Diese Formel trifft jedoch, 
wie die Versuche beweisen, nur zu, wenn beide Flügel eine Kürzung 
erfahren. Bei einseitiger Flügelstutzung nimmt die Gesamtbelastung 
der Flugmuskulatur ohne Zweifel ab; es müßte folglich die Schwingungs- 
zahl soweit ansteigen, daß B’F’ wiederum gleich E ist. Da dies nicht 
eintritt, sondern die Frequenz des gekürzten Flügels genau die gleiche 
wie vorher bleibt, so folgt hieraus, daß die Belastung nicht in allen 
Fällen für die Frequenz der Flügelschläge allein maßgebend ist. Man 
könnte nun versucht sein, die Ursache für das Verhalten des einseitig 
gestutzten Insekts in einer anatomisch bedingten Synchronität beider 
Flügel zu sehen. Bekanntlich haben wir es bei den Dipteren und 
Hymenopteren mit einer indirekten Flugmuskulatur zu tun, d. h. die 
Bewegung der Flügel wird nicht durch direkt an den Flügeln an- 
sitzende Muskeln verursacht, sondern geschieht dadurch, daß infolge 
abwechselnder Zusammenziehung und Erschlaffung der thorakalen 
Längs- und Transversalmuskelpartien eine Deformierung des Thorax 
alternierend in der Längsachse und in dorsoventraler Richtung erfolgt 
und hierdurch die in die Wandung eingelenkten Flügel in Schwingungen 
versetzt werden. Durch diese Anordnung ist es vielleicht mit bedingt, 
daß beide Flügel synchron schwingen; denn, wenn sich z. B. auf der 
einen Seite eine Muskelpartie kontrahiert, müßte durch die damit 
verbundene Näherung der Thoraxplatten sich auch der entsprechende 
Teil der Muskulatur auf der andern Seite kontrahieren. Die ana- 
tomischen Verhältnisse dürften aber sicherlich nicht ausreichen, das 
Phänomen erschöpfend zu erklären; gerade sie müßten uns viel- 
mehr zu dem Schluß führen, daß das einseitig operierte Insekt zwar 
synehrone aber, infolge der geringeren Gesamtbelastung, schnellere 
Schwingungen ausführt als das normale. Aus dem Experiment ge- 
winnt man dagegen die Vorstellung, daß die Seite des normalen 
Flügels garnicht von dem beeinflußt wird, was auf der andern Seite 
vorgeht, sondern lediglich ihren eigenen Rhythmus der andern Seite 
aufzwingt. Es scheint hiermit bewiesen zu sein, daß noch ein anderer 
Faktor für das Zusammenarbeiten der Flügel maßgebend sein muß, 
nämlich eine Koppelung der beiden Hälften des in Frage kommenden 
Thorakalganglions derart, daß vom Ganglion nach beiden Seiten nur 
ein und derselbe Schwingungsrhythmus weitergegeben werden kann. 
Der ganze Vorgang, der rein reflektorischer Natur ıst, verläuft dem- 


F. Roch, Beitrag zur Physiologie der Flugmuskulatur der Insekten. 365 


nach vermutlich folgendermaßen: die beiderseitigen Muskelpartien 
haben das Bestreben, sich — je nach der Belastung des von ihnen 
in Bewegung gesetzten Flügels — schneller oder langsamer zu kon- 
trahieren, werden jedoch durch nervöse Impulse vom Bauchganglion 
her angewiesen, beide im gleichen Rhythmus zu schwingen, wobei die 
langsamere Hälfte das Tempo angıbt. 

Die hier geschilderte nervöse Koordination zweier an sich ge- 
trennter Muskelapparate steht nicht ganz allein da. Ähnliche Er- 
scheinungen konnte L. S. Schultze?°) bei seinen Untersuchungen am 
Salpenherz feststellen. Die Pulsation des schlauchförmigen Herzens 
wird dadurch hervorgerufen, daß durch Kontraktion des einen oder 
anderen Schlauchendes in periodischem Wechsel wellenförmige über 
das Herz hinfließende Bewegungen entstehen, die die Zirkulation des 
Blutes in der einen oder der anderen Richtung bewirken. Um nun 
die Frage zu lösen, an welchen Stellen die Kontraktionsreize ihren 
Sıtz haben, wurde das Herz von COyelosalpa pinnata in vier gleich- 
große Teile zerschnitten. Hierbei stellte sich heraus, daß alle Teile 
fähig sind, Kontraktionen auszuführen,’der Rhythmus der Zuckungen 


‘jedoch bei jedem Teilstück verschieden ist. Die Koordination der 


Bewegungen der einzelnen Abschnitte zur Erzielung einer gleichmäßig 
fortlaufenden Pulsationswelle kommt beim nicht operierten Tiere, wie 
der Verfasser angibt, dadurch zustande, daß „die schnelleren Pulse 
des Herzendes die Herzmitte zwingen, ihren langsameren Eigenrhyth- 
mus zugunsten einer einheitlichen Schlagfolge des ganzen Herzens auf- 
zugeben.“ 

Ferner sei hier auf die Untersuchungen über den Atemrhyth- 
mus von Limulus hingewiesen, von denen Jacques Loeb*) in seiner 
vergleichenden Gehirnphysiologie berichtet. Beim normalen Individuum 
schlagen bekanntlich alle Kiemenbeinpaare gleichzeitig in einem be- 
stimmten Rhythmus. Nun handelte es sich hier darum, festzustellen, 
ob diese koordinierten Bewegungen von einem irgendwo in den 
Ganglien befindlichen Zentrum aus einheitlich reguliert werden oder 
ob nur die rhythmische Bewegung eines Ganglions nötig ist, um 
auch auf alle andern die gleiche Phase zu übertragen. Zu diesem 
Zwecke trennte man die Verbindungen zwischen verschiedenen Gang- 
liengruppen durch, und es ergab sich, daß die einzelnen Gruppen in 
ihren Atembewegungen fortfuhren, in den In- bezw. Exspirations- 
phasen jedoch nicht mehr übereinstimmten. Dasselbe zeigte sich auch 
nach Isolierung einzelner Ganglien. Hiermit, glaubt J. Loeb, sei be- 
wiesen, daß ein allen Ganglien übergeordnetes Zentrum nicht in Be- 
tracht kommt, wohl aber notwendigerweise zur Erklärung einer koor- 
dinierten Atembewegung folgendes angenommen werden muß: „das 


3) L. S. Schultze, Untersuchungen über den Herzschlag der Salpen. Jena- 
ische Zeitschrift für Naturwissenschaft, 35. Band, Jahrgang 1901. 

4) Jacques Loeb, Einleitung in die vergleichende Gehirnphysiologie und ver- 
gleichende Psychologie. Leipzig 1399, 





364 M. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 


zuerst resp. das am schnellsten tätige Ganglion erregt die mit ihm 
nervös verbundenen, und das bestimmt die Phasengleichheit.“ Auch, 
was die koordinierte rhythmische Kontraktion des Schirmrandes der 
Medusen und der einzelnen Teile des Froschherzens betrifft, kommt 
der Autor in demselben Buche zu dem Schluß, daß „der Teil, welcher 
sich am häufigsten kontrahiert, die anderen Teile zwingt, in gleichem 
Rhythmus tätig zu sein.“ 

Aus diesen verschiedenen Beispielen, die eine gewisse Ähnlich- 
keit mit dem Resultat meiner Untersuchungen zeigen, ersehen wir, 
daß auch in anderen Tiergruppen nervöse Regulierungen zur Erklärung 
koordinierter Bewegungen gleichartiger Elemente angenommen werden. 
Deshalb erscheint es wohl gerechtfertigt, auch im vorliegenden Falle 
zu dieser Hypothese zu greifen; der Unterschied zwischen ihm und 
den angeführten Beispielen liegt nur darin, daß bei letzteren der 
schnellere Teil für die übrigen bestimmend ist, während beim Flug- 
mechanismus der Insekten die langsamere Hälfte den Ausschlag gibt. 


Über den dauernden Ersatz der ungeschlechtlichen Fort- 


pflanzung durch fortgesetzte Regenerationen. 
Experimenteller Beitrag zum Todproblem. 


Von Max Hartmann. 
Kaiser Wilhelm-Institut für Biologie. 


Problemstellung. 


Die Versuche, über die ich im folgenden berichten möchte, sind 
hervorgegangen aus langjähriger, bis in das Jahr 1903 zurückgehen- 
der Beschäftigung mit dem Todproblem. In früheren experimentellen 
Arbeiten (1917, 1921) war durch Versuche an Kudorina elegans zu- 
nächst die. Jahrzehnte lang diskutierte Frage zur Entscheidung ge- 
bracht worden, ob Organısmen bei Ausschaltung der Befruchtung 
und unter Ausschluß sonstiger Regulationen ohne irgendwelche Schä- 
digungen ad infinitum gezüchtet werden können. (Potentielle Un- 
sterblichkeit im Sinne Weismanns). Durch die Eudorina-Versuche 
war die Frage im positiven Sinne beantwortet, und somit gezeigt, 
daß es ein Altern von Generationen bei Protisten nicht zu geben 
braucht. Wenn somit auch die sogenannte potentielle Unsterblichkeit 
der Protisten im Sinne Weismanns sachlich erwiesen schien, so 
war jedoch keineswegs das eigentliche Problem des Individualtodes 
und individuellen Alterns der Protisten damit berührt, ein Problem, 
das bekanntlich Weismann durch seine Fragestellung verwischt hat. 
Ich hatte nun früher schon mehrmals, besonders im Anschluß an 
Götte zunächst durch entwicklungsgeschichtliche Betrachtungen den 
Nachweis zu führen versucht, daß es einen natürlichen physiologischen 
Tod, einen Individualtod, auch bei Protozoen gibt, wobei Tod und 
Fortpflanzung zusammenfallen; ja viele Formen, speziell solche mit 








M. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 365 


multipler Vermehrung, weisen sogar bei der Fortpflanzung, ihrem Tode 
eine mehr oder minder große Leiche auf, auf deren Vorkommen bekannt- 
lich Weismann bei der Definition des Todes den Hauptwert gelegt 
hat. Und diese Formen sind durch allerhand Übergänge mit solchen 
verbunden, bei denen der ganze Zelleib bei der Fortpflanzung wieder 
mit verwendet wird. Was aber all diesen Formen auch bei Fehlen 
einer Leiche gemeinsam ist, das ist der scharfe Abschluß einer indi- 
viduellen Entwicklung, der mit der Fortpflanzung zusammenfällt und 
der Beginn einer neuen Entwicklung, der mit diesem Prozeß einsetzt. 
In dieser Formulierung läßt sich ein Individualtod auf alle Protisten 
auch die mit einfacher Zweiteilung ausdehnen. 

Da aber nicht der formale Nachweis eines physiologischen 
Todes das wesentliche physiologische Problem ist, sondern die 
Frage nach einem individuellen Altern, so habe ich es 
für wichtig gehalten, schon um nicht in bloßen Wortstreitigkeiten 
und Begriffsspaltereien stecken zu bleiben, das hier vorliegende 
Problem in eine scharf formulierte physiologische Fragestellung 
zu bringen, die experimentell geprüft werden kann. Dieselbe 
lautet: „Ist es möglich, geschlossene biologische Sys- 
teme dauernd ın Assımilation und Wachstum zu er- 
halten, ohne Alters- und Degenerationserscheinungen und 
ohne Reduktion des Systems durch Teilung oder sonstige 
Regulierung?“ Oderumgekehrtausgedrückt: „Sind mit der Assi- 
milation und dem Wachstum auch bei Protisten, die sich 
nur durch Zweiteilung vermehren, nicht umkehrbare Ent- 
wicklungsvorgänge, also ein Altern, verbunden, und be- 
deutet die Fortpflanzung bezw. die Zellteilung bereits 
eine Verjüngung dieser Systeme?* Daran hätte sich noch die 
andere Frage anzuschließen: „Ist es möglich, die verjüngende 
Wirkung der Fortpflanzung durch eine andere Regulation 
des Systems zu ersetzen?“ 

Die hier mitzuteilenden Versuche beziehen sich nur auf die letzte 
Fragestellung, die ja bis zu einem gewissem Grade die Beantwortung 
der ersteren und zwar im Sinne einer verjüngenden Wirkung der Fort- 
pflanzung voraussetzt. Immerhin werden auch Versuche, die sich nur 
mit der, experimentellen Prüfung der letzteren Frage befassen, eine 
Beantwortung der ersteren Frage bereits in sich schließen !). 

Um die Frage zu prüfen, ob die verjüngende Wirkung der Fort- 
pflanzung durch andere Regulationen zu ersetzen sei, muß man natür- 
lich zunächst die Fortpflanzung völlıg auszuschalten trachten, also 
genau in derselben Weise vorgehen, wie es bei der Prüfung der 
eventuellen verjüngenden Wirkung der Befruchtung bei den vielfachen 
Experimenten über diese Frage geschehen ist. Versuche von Rubner 


1) Die Behandlung der ersten Fragestellung wird im Zusammenhang mit entwick- 
lungsphysiologischen Versuchen an Volvocineen demnächst an anderer Stelle gegeben 
werden. 


366  M. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 


an Hefezellen und von mir an Volvocineen (1904, 1921) haben er- 
geben, daß das für einige Zeit (bei Gonium sogar viele Wochen) 
möglich ist. Die betr. Volvocineen zeigten bei Unterdrückung 
der Fortpflanzung Riesenwuchs und die Kulturen starben nach 
einiger Zeit aus. Es muß also, wie diese Versuche ergeben haben, 
eine Ersatzregulation stattfinden. Wenn wir von allen sexuellen 
Phänomenen irgendwelcher Art absehen, so kommen hier zwei 
Vorgänge in Frage, Encystierung und Regeneration. Auf 
die verjüngende Wirkung der ersteren haben Goette undR. Hert- 
wig vielfach hingewiesen, und auf Grund der Versuche von Jahn 
habe auch ıch auf die eventuell verjüngende Wirkung der Sklerotien- 
bildung bei den Myxomyceten, die ja eine Encystierung ist, aufmerksam 
gemacht. Exakt experimentell geprüft ist diese Frage jedoch bisher 
noch nirgends und unsere eigenen Bemühungen haben uns noch nicht die 
dafür nötigen Bedingungen und Objekte auffinden lassen. Es bleiben 
somit nur fortgesetzte Regenerationsversuche unter Aus- 
schluß der Fortpflanzung. 

Die Gesichtspunkte, die derartigen Regenerationsversuchen zu- 
grunde liegen, sind folgende: Man hat vielfach angenommen, und 
Popoff und Woodruff haben durch Versuche an Infusorien 
die Richtigkeit dieser Anschauung erwiesen, daß die Anhäufung 
von Exkretstoffen der Tiere selbst Depressionen, also Alterser- 
scheinungen hervorrufe.. Das geschieht normalerweise schon bei 
gewöhnlichem Wachstum und drückt sich nach R. Hertwig und 
Popoff an der Verschiebung der Kernplasmarelation während des 
Wachstums aus, die durch die Fortpflanzung (Teilung) bekanntlich 
wieder reguliert wird. Bei gesteigertem Wachstum unter Unter- 
drückung der Fortpflanzung wird man annehmen können, daß natürlich 
die Erscheinung in erhöhtem Maße auftritt. Andererseits hat Child 
den meiner Meinung sehr beachtenswerten Gedanken ausgesprochen, daß 
das Wesen des Alterns darin bestehe, daß in den älteren Zellen der 
ganze Metabolismus gehemmt sei und daß durch die Teilung (Isola- 
tion resp. Verkleinerung des Systems) eine Verjüngung durch Zu- 
nahme des Metabolismus und Forträumung der für den Metabolismus 
vorhandenen strukturellen Hindernisse zustande komme. Bei der Be- 
gründung dieser Auffassung stützt er sich auf Experimente an Pla- 
narien. Wenn diese beiden Gedankengänge richtig sind (und die 
ausgeführten Versuche sprechen in hohem Maße dafür), dann müßte 
es aber möglich sein, durch eine ganz andersartige Regulation, näm- 
lich die künstliche Verkleinerung des biologischen Systems vor Ein- 
trıtt der natürlichen Teilung die verjüngende Wirkung des Systems 
zu erzielen, und auf diese Weise eventuell für längere oder kürzere 
Zeit die Fortpflanzung auszuschalten. Solche Versuche habe ich in den 
letzten Jahren 1920/21/22 an verschiedenen Infusorien und an Turbellarien 
durchgeführt, worüber im folgenden eingehend berichtet werden soll?) 


2) Inzwischen hat auch Goetsch (1921) über gleiche Versuche an Hydren be- 
richtet, die aber nicht zu einer Lösung des Problems führten (s. unten S. 369 Anm. 5). 





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M. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 367 


A. Versuche an Stentor ceoeruleus. 

Von Protozoen konnten bisher zu derartigen Versuchen nur In- 
fusorien benutzt werden. Wohl hatte ich gewünscht, ein günstigeres 
einzelliges Versuchsobjekt zu finden, das keine verschiedenen Kerne und 
vor allem auch nicht mehrere Kerne besitzt, also wirklich nur monoenergid 
ist. Doch stand mir bisher kein derartiges Protozoon zur Verfüung, 
das den sonstigen Anforderungen für solche Versuche genügte. Die Tiere 
müssen sich, nämlich 1. gut und gleichmäßig kultivieren lassen, so 
daß Kontroll-Individualzuchten geführt werden können, 2. gut rege- 
nerieren und 3. groß genug für die Operationen sein. Die beiden 
letzten Bedingungen trafen z.B. nicht für Actinophrys zu. Auch unter 
den Infusorien eignen sich viele Formen nicht, so z.B. Frontonia, die 
leider die Operation nicht vertrug und Bursaria, das sich zwar gut 
operieren ließ, aber auf die Operation mit Eneystierung reagierte. So 
konnten die Versuche bisher nur an Sientor coeruleus ausgeführt werden. 
Das Infusor wurde in Boverischalen oder in hohlgeschliffenen Objekt- 
trägern kultiviert bei einer Temperatur von 21° ım doppelt regulierten 
Thermostaten. Als Kulturflüssigkeit diente durch Berkefeldfilter fil- 
triertes Teichwasser (Grunewaldsee), dem als Futter eine Colpidium- 
aufschwemmung zugesetzt wurde. Die Colpidien ihrerseits wurden 
auf alkalischem Knop-Agar 0,75%, gezüchtet, wo sie ausgezeichnet 
gediehen. Mit einer Pipette Teichwasser wurden sie von der Agar- 
oberfläche abgeschwemmt und ein solcher Tropfen den täglich erneuten 
Stentorkulturen zugesetzt. 

Selbstverständlich müssen neben den fortgesetzten Operationen auch 
Individualzählkulturen geführt werden. So fanden in derselben während 
der Dauer des Versuchs vom 15. IV.— 9. VI. 1920 36 Zellteilungen statt. 
Die Teilungsrate ist bei Stentor nicht so gleichmäßig, wie etwa bei 
Paramaecium und Kudorina elegans. Während in der Regel alle 24 
Stunden eine Teilung erfolgt, stellt sich öfters eine Verlängerung auf 
2 Tage, bisweilen sogar auf 3 Tage ein. Ich vermute, daß diese 
Schwankungen auf Wachstumsschwankungen infolge der Vielkernig- 
keit — der rosenkranzförmige Macronucleus ist natürlich polyenergid 
— zurückzuführen sind. Auch kommen natürlich durch das kompli- 

zierte Fütterungsverfahren (Colpidienaufschwemmung aus Agarkulturen 
_ mit einem Bakteriengemisch) zahlreiche unkontrollierbare Faktoren zu 
den Bedingungen, die ungünstig auf die Teilungsrate einwirken können. 
Es wurden stets eine größere Zahl von Linien nebeneinandergeführt 
(4—8), um bei einem eventuellen Eingehen einer Linie keine Unter- 
brechung des Versuchs befürchten zu müssen. Im folgenden seı von 
einer sStentor-Linie (B,) als Beispiel das genaue Protokoll 1 mit- 
geteilt. 

Die Regenerationsversuche wurden nun an Parallelserien von Stentor 
Aund B in der Weise vorgenommen, daß das betreffende Stentorindi- 
viduum, das gewöhnlich in hohlgeschliffenem Objektträger kultiviert 
wurde, noch bevor es die gewöhnliche Teilungsgröße erreicht hat 


568 M. Hartınann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 


und irgendwelche Anzeichen von Teilungserscheinungen sich bemerk- 
bar machen, durchschnitten wurde. In der Regel wurde die Schnitt- 
richtung ungefähr durch die Mitte geführt, doch wurden auch Serien 
leiten. in denen entweder nur der Mundteil oder das Hinterende 















































Protokoll 1. Protokoll 2. 
Individualzählkultur von Stentor Dauerregeneration von sStentor 
eoeruleus (B,) 15. IV.—9. VI.1920. coeruleus (A!) vom 12. IV.—5. VI. 
Teichwasser filtriert, Colpidium- 1920. Teichwasser filtriert. Col- 

aufschwemmung; 21° C. pidienaufschwemmung; 21° C. 
Nr. der : ! 

Teilungs- Nr. der Zwischen- 

Gen un Be, Operation Dan zeit 
ratıon 

1 15.TV, 2 1 12. 1Y. 5 

2 ae 1 2 IFSNE, 2 

3 IB. 1 3 19, 2 

4 oa 5 4 ee 2 

5 24. „ N 5 Z3Uh 1 

6 Zar, 1 6 BARS 1 

SS Don 1 2 Da 1 

1) 26..., 1 8 SHE" 3 

9 PAR 3 g ZINEES 7 

10 30.05 1 10 6. 4 

11 1. 1, 11 10%, 3 

12 134, 1 12 13ER, 2 

13 Del 1 13 15.6, 1 

14 Sell, 1 14 165%, 1, 

15 Ale 2 15 1 EN 1 

16 6. 1 16 18. 2 

7 Tl 1 1 20.3 2 

18 Bd, 5 18 22. 2 

19. 130% 1 19 DE 2 

20 Tara, 1 20 A 1 

21 HR 2 21 Basen 1 

22 IN 1 22 Zar, 3 

23 Sa 1 23 Sl, 2 

24 IE 1 24 DEN. 3 

25 Bley 2 25 Deanı 

26 Dana 2 

DIA. 24. ; 2 

28 26. 2 

29 230, 2 

30 30% 1 

31 SIE, 2 

32 2. VI 1 

33 3 2 

34 Bl 1 

35 DR 3 

36 eng 





abgeschnitten wurde. Die Operation wurde unter der, binokularen 
Lupe mit einem feinen Augenoperationsmesserchen ausgeführt und die 
durchschnittenen Teile dann mit der Pipette in frische Kulturflüssig- 
keit übertragen. Die Objektträger wurden in einer großen feuchten 
Kammer im Thermostaten von 21° gehalten und mit Oolpidium ge- 
füttert, also genau in derselben Weise wie die Zählkulturen. Auch 











M. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 369 


. hier wurden mehrere Serien nebeneinander geführt und die durch- 
schnittenen Teile gewöhnlich beide bis zur nächsten oder übernächsten 
Operation aufbewahrt und wieder mitoperiert, um im Falle des Ein- 
gehens eines abgeschnittenen Teiles, was sich natürlich nie ganz ver- 
hüten läßt, den ganzen Versuch nicht vorzeitig zu unterbrechen. Auf 
diese Weise konnten in der am längsten durchgeführten Serie 25 Ope- 
rationen an demselben Tier in der Zeit vom 12. IV.—5. VI. 1920 aus- 
geführt werden. In derselben Zeit fanden, wie oben berichtet, 34 
normale Teilungen statt. Es darf angenommen werden, daß der 
Versuch hätte noch länger durchgeführt werden können. Protokoll 2 
gibt die genaueren Daten und Belege wieder. 


B. Versuche an Turbellarien. 


Es lag nahe, solche Versuche nicht nur an Protozoen, sondern 
auch an niederen vielzelligen Organısmen mit vegetativer Vermehrung 
und weitgehendem Regenerationsvermögen durchzuführen. In erster 
Linie kamen dafür Hydren, Turbellarien und Anneliden in Betracht. 
Wir hatten Formen aus diesen 3 Gruppen zu anderen Zwecken schon 
ın Kultur genommen, nämlich um die Frage des Generationswechsels, 
also der echten Metagenesis exakt experimentell zu prüfen. Die bei 
Protisten, Algen und Pilzen (Klebs) durchgeführten Untersuchungen 
über die physiologischen Bedingungen der verschiedenen Fortpflan- 
zungsarten und die Frage der Möglichkeit der Ausschaltung der ge- 
schlechtlichen resp. ungeschlechtlichen Fortpflanzung sollten auch hier 
einmal exakt in Individualzuchten behandelt werden. Kollege Groß 
hat die Bearbeitung der Hydren übernommen und auch hier Regene- 
rationen unter den hier klargelegten Gesichtspunkten durchgeführt?). 
Er wird demnächst über seine Befunde selbst berichten. Herr Dr. 
B£&lar hatte Anneliden (Chaetogaster) kultiviert. Die Regenerationsver- 
suche fielen hier nicht günstig aus. Da die andere Frage (Generations- 
wechsel) inzwischen von Stolte eine ın unserem Sinne geführte, erfolg- 
reiche Bearbeiturg erfahren hat, wurden die Versuche aufgegeben. 
Ich selbst habe mit 2 Stenostomum-Arten gearbeitet, die sich für die 
Regenerationsversuche vorzüglich geeignet erwiesen. Die Voraussetzung 
für die Dauerregeneration mit diesen Vielzellern unter den oben klar- 
gelegten Gesichtspunkten ist selbstverständlich auch hier die Mög- 
lichkeit einer dauernden agamen Vermehrung unter Ausschluß von 
Sexualitätserscheinungen und sonstigen Regulationen, also das Problem, 
das bei Protozoen jahrelang diskutiert und bearbeitet und das durch 
die Kudorina-Versuche entschieden worden ist. Merkwürdigerweise ist 
diese Frage, also die Frage der sogenannten potentiellen Unsterlich- 
keit im Sinne Weismanns, wie ich schon früher hervorhob, bisher 








3) Dieselben haben allerdings zur Lösung unserer Frage nichts beigetragen, da 
bei den Hydren, wie auch Goetsch gleichzeitig gefunden hat, der Knospungsreiz 
stärker ist, als der Regenerationsreiz, die vegetative Fortpflanzung sich also nicht aus-’ 
schalten läßt. 

42. Band. 24 


370  M. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 


noch nie bei den vielzelligen Tieren bearbeitet worden, obgleich bei 
Formen mit vegetativer Vermehrung natürlich dieselbe Möglichkeit 
wie bei den Protozoen vorliegt. Aus diesen Gesichtspunkten heraus 
waren auch die Fragen bei Vielzellern von uns in Angriff genommen 
worden. Inzwischen hat Goetsch die Frage auch bei Hydren auf- 
geworfen und teilweise bearbeitet. Da die Entwicklung über die 
Möglichkeit der dauernd vegetativen Vermehrung ohne Sexualität 
und Depression etc. die Voraussetzung für die fortgesetzten Rege- 
nerationen bildet, so soll sie hier zuerst eine kurze Behandlung er- 
fahren. 


I. Über die Möglichkeit der dauernden vegetativen Vermehrung bei 
Stenostomum (potentielle Unsterblichkeit). 


Es erübrigt sich nach der eingehenden Behandlung der Unsterb- 
lichkeitsfrage in meiner Eudorina-Arbeit die Problemstellung hier 
nochmals zu erörtern. Sie ist die gleiche wie bei den Protozoen (s. 1921 
S.258f). Die Würmer wurden in Boverischalen einzeln kultiviert und 
zwar ebenso wie die Stentoren in filtriertem Teichwasser mit Colpidien- 
aufschwemmung als Futter. Bemühungen, statt des in seiner Zu- 
sammensetzung natürlich nicht bekannten Teichwassers eine künst- 
liche stark verdünnte Nährlösung zu verwenden, gelangen nicht. Der 
Vorteil wäre auch insofern teilweise wieder hinfällig, als durch die 
Colpidienaufschwemmung wieder unbekannte Faktoren ın die Kul- 
turbedingungen hineingeraten. Doch lassen sich unter den ange- 
gebenen Bedingungen die Stenostomum, und zwar sowohl St. unicolor wie 
St. leucops vorzüglich kultivieren. Beide Formen eignen sich insofern 
sehr gut für diese Versuche (und das gilt noch mehr für Regenera- 
tionen), als die vegetative Vermehrung im Gegensatz zu der den ver- 
wandten Microstomum-Arten mit ihrer vielfachen Teilung (Kettenbil- 
dung) nur durch einfache Zweiteilung mit regelmäßig dazwischen ge- 
schalteter Wachstumsperiode sich vollzieht. Die Tiere wurden im 
Oktober 1919 in Kultur genommen und bis heute wurde noch keine 
sexuelle Fortpflanzung beobachtet. Vermutlich sind sie, ebenso wie 
Eudorina, unter den günstigen gleichmäßigen Bedingungen apogam 
geworden; doch bedarf diese Frage noch weiterer Beobachtungen und 
Experimente. 


Die Zählkulturen wurden im Thermostaten bei 21° gehalten. Doch 
wurden zeitweise auch Parallelzuchten bei 16°—18°, 26° und 34° ge- 
führt. In 21° betrug die Teilungsrate von St. unicolor ın der Regel 
einen Tag, bei 16° 2 Tage, bei 26° !/, Tag, während sie bei 34° 
wieder annähernd auf einen Tag zurücksank. Bei 37° starben die 
Kulturen. Es ergibt sich also, daß Wachstum und Teilung innerhalb 
der Temperaturgrenzen von 16°—26° dem Vant Hoffschen Gesetz 
folgen. | 





Er 
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M. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 374 
' Protokoll 3. 


Vergleich der Teilungsrate von Individualzählkulturen von Stenostomum unicolor bei 
verschiedenen Temperaturen im Februar und März 1920. 










































































16-180 ET 
Nr. der Teilungs- Nr. der Teilungs- 
Gen. Datum ee Gen. Datum Sr 
la 13% IT% 1 1a IS SHE 1 
2a T4:;:,3; 4 2a 14. „, 1 
3a 4 3a 15.5, Er 
4a 185%, 3 4a ie 2% 
Da 212, 2 5a 16.5 2 
6a 2 6a 18%% 1 
7a 282.8 2 7a 19. 1 
8a 20... 2 8a 20.2, 1 
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10a ° _ — 10a ZEN, 1! 
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Nr. der Teilungs- Nr. der Teilungs- 
Gen. Datum Aus Gen. Datum BR 
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13 a Da 1, 13 a —_ u 
14 a — 2/5 14 a RB 








Auffallend war auch hier eine zeitweise weitgehende Schwan- 
kung der Teilungsrate, deren Ursache nicht ermittelt wurde. Während 
für St. unicolor die normale Teilungsrate 1 Tag beträgt, kann sie auf 
2, 3 auch 4 Tage verlängert werden. Noch mehr gilt das für gewisse 
Linien für St. leucops, das dagegen in anderer Hinsicht besser kulti- 
vierbar ıst. St. unicolor wird nämlich verhältnismäßig leicht von einer 
Krankheit befallen, wobei die Tiere lokale Auftreibungen (Tumoren) 
erhalten und meist zugrunde gehen. Die Teilungsrate betrug bei der 
St. leucops-Linie A. 1920 durchschnittlich 2 Tage, stieg aber häufig 
auf 1 Tag und sank auf 3 Tage. Doch kamen gelegentlich Schwan- 

24* 


' 
” 


379  M. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 


kungen von 4 bis5 Tagen vor. Noch größere Werte erreicht die Teilungs- 
rate bei der Zeucops-Linie D von 1921/22, gleichfalls mit den ent- 
sprechenden Schwankungen, wie der Vergleich der Protokolle 4 und 5 
zeigt. Die bisherigen Angaben über die Teilungsraten von St. uni- 
color und leucops bezogen sich nur auf die Vordertiere, d. h. wenn 
zur Weiterzucht nach einer Zweiteilung stets nur das aus der vor- 
deren Teilhälfte hervorgegangene Individuum benutzt wird. Ganz 


Protokoll 4. 


Stenostomum unicolor Individual-Zählkultur 1920 21—22° C. Colpidium. Teichw. 
a Vordertier. 






































Tei- | Tei- 2. Tei- 
a Datum | lungs- ns Datum | lungs- ne) Datum | lungs- 
rate ; rate Ö Tate 

a apl 1 43:3: 1,10. 111... 1 85 a 22.1 V33. 0102 
Dan. Den, 1 44.3... 11.25 1 86a DAN 1 
Fan 28, 1 Asa. 200., 0% S7a DD a 3 Indiv. 
Aa 29, 1 Aha ln 2 Lin 85a 26. 5 1 
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6331.00, 1 4841,14... 2 90a 28. 
7.3 EL: 1 49a 16.', 2 
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3a 20.05 il oa la.» un, 78a Sr, 2 

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36a: 2u0, 1 SAN IO SR SVa 3.4, 1 

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41a Fe 2 S3 ann 9a, 2 normal 

42a In: 1 84a | 21. „ 1 7 Tumorbildung beim 

Vordertier, darauf Tod am 
10.. VI. 1920. 














M. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 373 


b = Hintertier. 



































Tei- = Tei- 7 Tei- 
u Datum | lungs- N Datum  lungs- u Datum | lungs- 
5 rate : | rate 3 rate 

CD: 1,26...1. 1 25 b a a en at 49b | 22.IV | 2 

2>D1204,0,; 1 26 b Pe 2 50.6: 24555; 1 

3b 28: 0, 1 27 b AR 2 5b. 29875 2 

4b]. 29% ;, 1 28 b 640,5 5 52. DK 20, 2 

D4b: 1-30: 3%, 1 29h 2 3 53:b1 29%; 2 

6:bru3123,; 1 30 ba. 3 54b 12 V212 

7b 1.8 1 st bike 2|ı b5rbul are, 1 

She. 4 2.55 2 32b.1. 19 375 56 b 4. 4 

Ibn. 17425, 2 33.b 1222.00, 2|® 57b Sn 1 
10 b Ba 1 3tb 24, 3 Hab. Is 2 
11b N 1 SD. k Draııs, 2 bb: ER, 2 
12:B,1.80°,, 2 3629225, 1 6 4 
13.6. 1:10.%,, 2 32b:11,30.3: 2 GEB. 10, 1 
14.12.40; i! 38 b 1: 1IV32.18 62b:| 18.,, 2 
18 an 1 39 b Au: 1 63:b |.20.:-;, 3 
16-bi." IA, 1 40 b Due, 1 64b | 23. ; 4 
17Dr. 19, ,, 2 41b ER 2 65.br 20 3,, 3 
18,D 71a; 2 42 b SHE 3 65. b)‘ 1.30.75; 3 
19b%..19.-°, 1 Abi les, 2 DB. 2aVEr 2203 
20 b.| 20. ',, 2 A423. 2 68 b Dat. 4 
2b 722.5, 2 45h. 19.0, 1 69 b ars 3 
22:b | 24:3, 2 46b | 16. „ 2 70:b..| 125, T 
2B3:b: | 26.) 5, 2 Ar.b. HE. 
24b | 28. „ 2 48b | 20. „, 2 = 











andere Werte für die Teilungsrate erhält man, wenn stets das Hintertier 
zur Weiterzucht genommen wird. Hier beträgt die Durchschnitt- 
teilungsrate für St. unicolor 3 Tage und die Schwankungen sind noch 
erheblicher; entsprechend liegen die Verhältnisse bei den Linien A 
und D von St. leucops, wie die Protokolle zeigen. Gelegentlich, aber 
äußerst selten, kommt es auch vor, daß statt der normalerweise sich 
findenden einfachen Zweiteilung vorübergehende Teilungshemmungen 
auftreten, so daß bei der Teilung, die aber meist nicht gleichzeitig er- 
folgt, 3 Tiere zustande kommen. Es liegt hier offenbar der Anfang 
von Kettenbildung vor, wie sie bekanntlich bei verwandten Formen 
(Mierostomum) angetroffen wird. Diese Dreierformen entstehen in der 
Weise, daß zuerst eine normale Zweiteilung angebahnt wird, jedoch 
das künftige Vordertier, ehe es sich abschnürt, schon die nächste 
Teilungszone anlegt. 

Ich lasse nun die Protokolle einer Linie von St. unicolor beı 21° 
aus dem Jahre 1921 und zweier Linien von St. leucops (A u. D) eben- 
falls bei 21° aus den Jahren 1920 und 1921/22 folgen. Die Zählkul- 
turen von Vorder- und Hintertier sind dabei parallel aufgeführt, und 
das Vordertier nochmals durch den Buchstaben a, das Hintertier durch 
den Buchstaben b gekennzeichnet. Einige Male starb ein Tier der 
Vorder- oder Hintertierserie, und die Serie wurde dann durch das 
entsprechende Vorder- (a) resp. Hinter- (b) Tier der parallelen anderen 
Serie ersetzt. Ein solches von einer Hintertierserie abstammende 
Vordertier ist dann als (b)a [umgekehrt (a)b] bezeichnet. 


374 NM. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 


Protokoll 5. 
Stenostomum leucops (Klon A), Individualzählkultur, 1920. 21--22° C., Colpidium. 


































































































Teichwasser. 
a Vordertier, b = Hintertier. 
a a a 
ß Tei- Tei- Tei- 
Nr.der Nr. der Nr.der 
Datum | lungs- Datum | lungs- Datum | lungs- 
Gen. rate Gen. | rate Gen; rate 
FR | 
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281N28.,%; 2 26:27[3162°,, 1 SE WA Rs Lo >) 
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Tei- Tei- Tei- 
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rate i rate f rate 
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DNB BBlbı. I. Bach, 2 sb. Are 
3.D. 312,5 4 24b D.nn. 7 37b 6.VIlL.| 4 
4b 4.TV. 2 23h 1 2.,; 4 38.ba 10.0: 4 
5b ER 3 26.b 1.10... 3 39:2 AA), 1 
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Da ZEN 4 28.b 1,22. ,; 5) 41'b..| 22. „ 6 
SD 10.0: 4 29 Da 2L. 4 6 42’ BN 28..,,.8018 
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11b,|.24.°,; + 32:b-.14.\.,% 19 45b | 20. „ |— 
Be 33b 3.VH. | 8 ap 
21(a)b| 28. „ 3m ıE 34. baue. rn, 6 














Abgesehen von den erwähnten Schwankungen der Teilungsrate 
erfolgt also, wie die Protokolle zeigen, bei völligem Ausschluß sexueller 
Erscheinungen ein gleichmäßiges Wachstum und gleichmäßige vege- 





M. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 375 


attive Vermehrung ohne physiologische Degeneration und Depression. 
Die Versuche gehen bereits über zwei Jahre. Da die von 1920 geführte 
Zählkultur von St. unicolor bei Generation Nr. 90, resp. 84 abbrach und 
St. unicolor wegen der erwähnten leichten Erkrankungen nicht mehr in 


Protokoll 6. 
Stenostomum leucops (Klon DII), Individualzählkultur. 
18. I. 1921-6. III. 1922, Teichwasser filtriert, Colpidien-Aufschwemmung 20°, 












































a b 
Nr.der Teilungs- Nr.der Teilungs- 
Gen. Datum rate Gen. Datum rate 
1921 1921 
1a 182,01 5 1b T8.T 5 
a < „ = ’ 
4a 285.05, 3 4b 0 Ar 4 
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40a 15% 2E8 7.19 
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376 M. Hartmann, Über den dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 


Zählkultur genommen wurde, kommt als längste Zeit einer Zählkultur 
nur St. lexcops in Betracht. Auch von dieser Form brach die Zählkultur 
von Klon A im November 1920 infolge von Erkrankung ab. Während 
aber St. unicolor völlig eingegangen war, hatte sich St. lewcops in 
Massenkulturen, die seit November 1919 ununterbrochen unter stän- 
diger Kontrolle geführt wurden, erhalten. Von dieser aus wurde im 
Januar 1921 wieder eine neue Zählkultur (Klon D) angelegt, die bis 
heute weitergeht. Der Klon A erreichte bis jetzt (Juli 1922) 71 Gene- 
rationen, der Klon D60. Wenn man aus den vorher geführten Massen- 
kulturen die Teilungsrate des Klones D berechnet — sexuelle Er- 
scheinungen können auch bei den Massenkulturen als völlig ausgeschlossen 
gelten — so kommen wir auf eine Gesamtzahl von 170 Generationen (60 ın 
Zählkulturen + 110 in Massenkulturen 8 Teilungen pro Monat) für die Vor- 
dertiere des Klones D von St. leucops. Die Zahl dieser Generationen scheint 
mir aber auch hier zu genügen, um dieselben Schlüsse zu rechtfertigen, 
wie ich sie nach den Eudorina-V ersuchen für die Einzelligen gezogen habe, 
daß nämlich unter den gegebenen Bedingungen die Möglichkeit einer 
dauernden ungeschlechtlichen resp. vegetativen Vermehrung ohne 
Sexualität und ohne sonstige Regulation außer der gewöhnlichen Tei- 
lung auch für diese vielzelligen Organismen gegeben ist. Somit gilt 
also die sogenannte potentielle Unsterblichkeit der Proto- 
zoen im Sinne Weismanns nicht nur für gewisse Protozoen 
(durchaus nicht alle), sondern auch im Gegensatz zu den 


sonstigen Anschauungen Weismanns über die Ursache und. 


den ne des Daysiölosiccheu Todes auch von niederen 
vielzelligen Tieren mit Zweiteilung. 


II. Regenerationsversuche an St. umicolor und St. leucops. 


Die Regenerationsversuche an diesen Würmern wurden in der- 
selben Weise und unter denselben Bedingungen ausgeführt, wie sie 
oben für Stentor eoeruleus angegeben wurde. An Stelle der hohlge- 
schliffenen Objektträger wurden bei den späteren Versuchen nur noch 
Boverischalen verwendet, weil sich herausgestellt hatte, daß die Ob- 
jektträgerkulturen (wohl wegen der geringen Menge von Kulturflüssig: 
keit) leichter Schädigungen ausgesetzt sind. Andererseits sind die 
ca. 12 mm großen Würmchen groß genug, um als Einzelindividuen 
unter der Lupe leicht auch in den größeren Boverischalen sich auf- 
finden zu lassen, was durch ihre weiße Farbe noch erleichtert wird. Die 
Operation ist bei den Turbellarien ebenfalls bequemer als bei den Stentoren 
durchzuführen. Immerhin erfordert sie eine gewisse Übung und Ge- 
schicklichkeit, da die Tiere ständig in Bewegung sind und in der 
Regel während der Bewegung durchschnitten werden müssen. Be- 
sonders, wenn die Tiere an bestimmter Stelle (Vorder- oder Hinter- 
ende) geschnitten werden sollen, ist Vorsicht und Erfahrung nötig. 
Am besten gelingt es, wenn die Tiere langsam kriechend auf dem 
Grund der Schale sich fortbewegen.. Da St. leucops sich als wider- 


SL EEE, 


IRRE 


M. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 377 


standsfähiger gegen Schädlichkeiten erwiesen hat und daher längere 
Serienversuche mit dieser Form durchgeführt werden konnten, so 
gebe ich im folgenden nur von St. leucops ‘genauere Mitteilungen und 
eingehende Protokolle. Von dieser Form wurden vom Januar 1921 
bis März 1922, also über ein Jahr lang 4 Hauptserien von fortgesetzten 
Regenerationsversuchen durchgeführt. 
I. Serie. Vordere resp. hintere Hälfte nach Durchschneiden der 
Mitte weiter geführt. 
2. Serie. Desgl. 
3. Serie. Tier, dem immer nur ein kurzes Stück (etwa !/, bis 
!/,) des Hinierendes abgeschnitten wurde. 
4. Serie. Tier, dem stets nur der Kopf (etwa !/, bis !/, des ganzen 
Tieres) abgeschnitten wurde. 

Es wurden also bei der ersten und zweiten Serie von einem 
durchschnittenen Tier stets nur die vordere Hälfte dauernd nach 
jeder Operation weiter gezogen und nach Heranwachsen in der gleichen 
Weise wieder operiert, resp. umgekehrt die hintere Hälfte. Die Zeit 
für diese künstliche Regeneration und das darauf erfolgte Wachstum 


Protokoll 7. 
Stenostomum leucops Dauer-Regenerationsserie 1. 
29. I. 1921—6. III. 1922. Teichwasser filtriert; Colpidienaufschwemmung; 21° C. 



































Nr. der Zwi- Nr. der Zwi- Nr.der Zwi- 
Ope- | Datum | schen- Ope- | Datum | schen- Ope- | Datum | schen- 
ration zeit ration zeit ration zeit 

1921 19a RATE VI. 3 32a | 22..X. 8 

Marl 398 E: 4 Lebavl 2: 77, 13 33:8.:1x90.,.5, 26 

%q SET 5 18a 2... VI. 6 34. a. 125.7 XL 3 

3a g, 10 Lan 19%, 7 35a 3. XH. fe) 

Aa BSH, 9 20a2|.20%,; 2 36a. 9 

5a | 20. x 5 ara. 122%, 3 37.2.:120.,,, 8 

EHE 12 Baar WDR 3 38a. 28.6 5 11 

7a DSELTE 4 23a: 284, 4 

Sn a si 3 24a | 1.VIIL| 6 1922 

Da TO, 24 25a Be 8 39a 8: rl. 6 
10a GENE A 26: ar. 39.2 5, 8 40a | 14 ,„ 18 
ln Sara Ar 6 27.0.2314, 9 4la 1.8 7 
19. 5 25a EX, 4 42.b SEI ae, 12 
TR a N: 6 29a De 17. 43.00, N 2060, 7 
14a | 30. 7 Sdarl 22, 20 44a. 2%. 8 
TS Ta RE 3la. 1X; 10 45a | 6 M. 

















dauert länger als für eine Teilung und bei einem Hintertier wieder 
etwas länger als bei einem Vordertier. Bei dieser Art der Operation 
besteht zwischen der normalen Teilung und der künstlichen Regene- 
ration gewissermassen nur ein geringer Unterschied. Bei letzterer 
wird die Zweiteilung verfrüht, durch einen gewaltsamen Eingriff 
durchgeführt, während bei der normalen Zweiteilung die mit der- 
selben verbundene Neubildung des Hinter- resp. Vorderendes bereits 
vor der Durchschnürung einsetzt. Es liegt also bei ersterer nur eine 


378 M. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 


etwas verfrühte und experimentell geänderte Zweiteilung vor. Für 
unser Problem bedeutet daher die Versuchsanordnung der Serie 3 
und 4 eine weit eindringlichere und unzweideutigere Antwort, weil hier 
ein von der normalen Zweiteilung völlig abweichender experimenteller 
Vorgang die Teilung überflüssig macht. Bei Serie 3 und 4 dauert 
die Zeit der Regeneration und des Teilungswachstums in der Regel 
noch kürzer als bei der Serie 1. 


Protokoll 8. 
Stenostomum leucops Regenerationsserie III. (Entfernung des Hinterendes). 
Vom 22.1. 1921—17. IX. 1921. Teichwasser filtriert; Colpidien-Aufschwemmung; 21°C. 





























Nr.der Zwi- Nr. der Zwi- 
Ope- | Datum | schen- Ope-., Datum | schen- 
ration zeit ration | zeit 

Namılm22 7. 8 13b |24. V. | 3 abgezw. 
223.80.’ ,} 5 Va air N Be 
Sara. d. IR 3 15a |30. „. | 212avom 
4a ZU Ad 15 Iaa 2] 1. VL SANEV. 
5b. 22-5, 9 Ian AN ar 3 
7a 3 DT 1 RSS ER N RE) 
8a AR 2 19a 21, 8 
9a (RR 1 20laM 2 5 
10a FRSASYE 2 2La 12975 2 
lla gas, 3 22a NAT 
1292. |ul2270%, 3 23a Dias 2 
ara 2 DRAN Ries 5 
DALE MT N, 2 25a |12. VII|1 
Hau 3 DH. Mama 3 
16a ER 2a loN 4 
Ira al: Be 3 28a 200, 2 
18a Der DV. 2 Dylan 122.40 3 
19 a Re, 6 30a. DER Me 3 
202. HI E, 3 3a 280 2 
vd HR EL 02 5 32a, 130. ld 
Pe sl a N Ba 7 33a |, 9. VIIL| 4 
Paar 26.4 N 14 3a la 8 
24a | 10. V. ir a TR, 4 
| 36.2.1125. 8.08 
+ am 23. V. 1921 3U am, 2ER, 110 
38a 12. „ 5 
39.4 alas E2) T 





Öfters wurden auch die beiden andern Möglichkeiten, fortgesetzte 
Regeneration eines abgeschnittenen Kopfteiles (Umkehrung von Serie 4) 
und fortgesetzte Regeneration eines abgeschnittenen Hinterendes durch- 
geführt, Versuche, die ebenfalls positiv ausfielen, wenn auch die Zahl 
der mißglückten Versuche natürlich erheblich größer ıst. Da lange Serien- 
versuche in dieser Anordnung für unser Problem weniger wichtig als 
Serie 3 und 4 sind und Untersuchungen über den Vorgang der Re- 
generation selbst nicht in unserem Plane lagen, so wurden sie nicht 
länger durchgeführt. Die Regeneration dauert natürlich bei diesen 
kleinen Köpfen erheblich länger als bei allen sonstigen Versuchen, 
wie das beigegebene kurze Protokoll zeigt. 





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e 


M. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 379 


Protokoll 9. 
Stenostomum leucops Regeneration Serie IV (Entfernung des Kopfendes). 
‚29. I. 1921—15. III. 1922. Teichwasser filtriert; Colpidienaufschwemmung; 21° ©. 









































Nr.der Zwi- Nr.der Zwi- Nr.der Zwi- 
Ope- | Datum | schen- Ope- | Datum | schen- Ope- | Datum | schen- 
ration | zeit ration zeit ration zeit 
1921 19b | 103#VE 10 35h, loa 8 
20b ; W200 7 39b.: | 2457, 6 
EN 21h |27.0% 4 40b |30. „ | 15 
3b 6, 7 22b 1. VII: 4 41b | 14... bi. 
ee 7 23b Dee 7 42h: .|,21.8% 17 
5b 5 8 2A. 120005 7 43b 8 RI a 
6b DE 9 25:b.:. 19.0085 2 4b |19. „ 11 
ek 201 Al 2 3,D..W 30.005 7 
7b 9,1 9 97h | 23 8 
8b | 18. 9 "yr 
9b 27 2 6 28h 1.=V.IEE 6 1922 
Er 29b 1% 8 a 
10b 2. IV 9 s0b | 15 # R 46b a 8 
11b .|-11. I) Keen 47b | 14. 8 
2 3ib.| 23. 16 > 
123:b1:.195: 2% 5 22h 9. IX 13 Asb= 22... 17 
i3b.1) 247%, 10 3b 99 1m 3 49b 85, H. 12 
14b 4. aV. 11 34h Be 7 50:5. |,20:, 7 
45b...1719. .@,, 11 35b 3 sr 5 5lb | 27. 7 
165 26:0; 7 36h 8. i 4 52b | 6. III 9 
17b 2.«Vl. 4 37b 10 A Haba line, 
a ie 








Protokoll 10. 
Stenostomum leucops Regeneration IVa. Abgezweigt vom Kopf von St. IV 48b 
vom 22. I. 1922. 














Nr. der Zwischen- 

Operation Zu zeit 
48(b)a| 22. I. 25 
49a 16.18; 27 
50a 15% III: 27 





Ein weiterer Versuch ist noch von Interesse, weil er beweist, daß 
die fortgesetzte Regeneration auch nach langer Durchführung eine Weiter- 
führung durch normale Zweiteilung in keiner Weise beeinträchtigt. Die 
Regenerationsserie IlIa wurde nach der 33. Operation am 27. Oktober 
1921 nicht wieder rechtzeitig operiert und das regenerierte Individuum 
teilte sich am 3. 11. normal. Die Tochtertiere wurden nun weiter- 
geführt und vermehrten sich in der Folge normal bis zum 14. Januar 
1922 auf ca. 60 Tiere. 

Zusammenfassend ist somit auch für diese Turbellarien wie für 
Stentor die Annahme berechtigt, daß durch fortgesetzte Re- 
generationendieFortpflanzungvölligausgeschaltet werden 
kann ohne irgendwelche Beeinträchtigungen und Schä- 
digungen für die Tiere. In Anbetracht der oben geschilderten Ver- 
suchsbedingungen bei St. leucops Serielllu. IV und der normalen weiteren 


380 M. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 


Teilung nach Serie II (Prot. 11), sowie der viellängeren Durchführung der 
Versuche — über 1 Jahr — kann dieser Schluß sogar als viel gesicherter 
gelten als für Stentor. Konnte doch in den besonders beweisenden 
Serien I und IV dasselbe Individuum durch 45 resp. 52 Operationen am 
Leben erhalten werden, während in der gleichen Zeit 47 normale Zwei- 
Protekoll;11. 
Stenostomum leucops Dauerregeneration Serie II mit nachfolgender Normalteilung. 
22. I. 1921—27. X. 1921 resp. 14. I. 1922. Teichwasser filtriert; Colpidien- 
aufschwemmung; 21° C. 





























Nr.der| Zwi- Nr.der Zwi- Nr. der Zwi- 
Ope- | Datum | schen- Ope- | Datum | schen- Ope- | Datum | schen- 
ration zeit ration zeit ration zeit 
1921 L3a= SH EN. 3 26a | 26. VIII. 3 
12 @%.16.,25, 3 27 an og 14 
a ereit. 1b. |.10. , 7 98a | 12. IX. | 10 
lin 3 16.2.1. 26.: VW. 6 EN AI 
Mei, 4 17a NA 4 30a 2ER, 6 
Ba .a8l ” 5 18a SR 10 3la Se 4 
Baar 6 198,10. 8 32a m l20ren, 15 
Ta SAL 7 20a 1 2A, 22 33a, Ze nens 
Bar 3 22.16 VI: 3 
BORN 22a | 19. al 
9a 15. 5 r i 
( E Dh T30SLCH 4 geteilt am 3. XI. und 
10a 20.» 5 Aa 3.VIHl, 4 von da ab bis 14. Jan. 
lila | 5. IV. 3 le 19 1922 normale Teilungen 
12b 8. 5 % (50—60 Tiere) 














teilungen stattfanden. Im März 1922 wurden die Regenerationsversuche 
an St. leucops abgebrochen in der Überzeugung, daß in Anbetracht 
der langen Dauer der Versuche mit dieser Methode die Tiere potentiell 
ad infinitum unter Ausschluß der Fortpflanzung am Leben erhalten 
werden können. Im Gegensatz zur Weismannschen potentiellen 
Unsterblichkeit der Protozoen wäre hiermit die experimentelle Mög- 
lichkeit von echter potentieller Unsterblichkeit von Indi- 
viduen und zwar von gewissen Protozoen wie Metazoen aufgezeigt. 
Wenn wir jedoch von dieser Formulierung der Ergebnisse absehen 
und uns auf die Beantwortung der eingangs gestellten physiologischen 
Frage beschränken, so ist jedenfalls durch die Versuche erwiesen, 
daß jegliche Fortpflanzung bei tierischen Organismen aus- 
geschaltet und .dieverjüngende Wirkung derselben durch 
fortgesetzte Regeneration ersetzt werden kann. 


Zusammenfassung. 

1. Stentor coeruleus kann in Individualzählkulturen in filtriertem 
Teichwasser mit Aufschwemmung von (olpidium (kultiviert auf 
Knop. Agar. mit Bakterien) gezüchtet werden. (35 Generationen 
in 52 Tagen). 

2. Die Teilung von Stentor coeruleus-Individuen desselben Klons 
konnte innerhalb dieser Zeit durch 25 Amputationen desselben 
Individuums mit nachfolgender Regeneration ersetzt werden. 


re 


M. Hartmann, Über d. dauernden Ersatz d. ungeschlechtl. Fortpflanzung usw. 381 


3. Die Turbellarien Stenostomum wunicolor und St. leucops wurden 
mit der gleichen Methode rein agam über zwei Jahre hindurch 
kultiviert, ohne physiologische Degeneration ete. Für diese viel- 
zelligen Tiere gilt also auch die potentielle Unsterblichkeit ım 
Sinne Weismanns. 

4. Innerhalb der Temperaturgrenzen von 16° bis 26° folgen Wachs- 
tum und Teilungsrate von St. unicolor der Vant Hoffschen 
Regel (bei 16° vollziehen sich 10 Teilungen in 15 Tagen, bei 
26° ın 7 Tagen). 

5. Die Teilung von St. unicolor und St. leucops läßt sich durch 
fortgesetzte Amputationen mit nachfolgender Regeneration des- 
selben Tieres ersetzen. Ein Individuum von St. leucops (Ser. IV) 
wurde durch 52 Amputationen eines kleinen Kopfstückes, ein 
anderes (Serie I) durch 45 Amputationen der hinteren Hälfte 
über 13 Monate am Leben erhalten, während in derselben Zeit 
bei anderen Individuen desselben Klons 41 Teilungen stattfanden. 

6. Individuen von St. leucops, bei denen montelang (ca. 9 Monate) 
durch fortgesetzte Amputation jegliche Fortpflanzung ausgeschaltet 
war, können sich weiterhin normal teilen. 


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— (1913): 3300 Generationen von Paramaecium ohne Konjugation und künstliche 
Reizung. Biol. Centralbl. Bd. 33. 


389 F. Süffert, Zur Morphologie und Optik der Schmetterlingsschuppen, . 


Zur Morphologie und Optik der Schmetterlingsschuppen. 
(Vorläufige Mitteilung.) 


Von Fritz Süffert. 
(Kaiser Wilhelm Institut für Biologie, Berlin-Dahlem, Abteilung Goldschmidt.) 


Die älteren Angaben von Spuler, M. Baer u. a. über den Bau 
der Schmetterlingsschuppen, auf die in der Literatur bisher zurück- 
gegriffen werden mußte, sind sehr unvollständig und enthalten prin- 
zipielle Irrtümer und Unklarheiten, die durch falsche Deutung der 
schwierigen mikroskopischen Bilder entstanden sind. Die einzige gründ- 
liche Untersuchung über die optischen Erscheinungen an Schuppen von 
Biedermann läßt viele Fragen offen. Eine Neuuntersuchung schien 


daher bei der Wichtigkeit des Objektes für allgemeine Probleme geboten. 


Die hauptsächlichen Resultate sind folgende: 


1. Der Bau der Normalschuppen. 


Jede Schuppe besteht, wie bekannt, aus einer Oberseiten- und einer 
Unterseitenlamelle, die an den Rändern ineinander übergehen und zwi- 
schen sich ein lufterfülltes Lumen enthalten. Sie sind verbunden durch 
zahlreiche das Lumen durchsetzende Stützbälkchen, die ich „Trabekeln“ 
nennen will. Diese Trabekeln !), die ganz allgemein vorhanden sind, sind 
häufig falsch gedeutet worden: als Leisten, wozu Querschnitte leicht 
Anlaß geben; als Pigmentkörnchen im Aufsichtsbild; vielleicht sind 
sie auch mit den Zäpfchenreihen identisch, in die sich angeblich die 
Längsleisten der Oberseitenlamelle bei stärkerer Vergrößerung auflösen 
lassen, und die ich nirgends finden konnte. 

Die Oberseitenlamelle ist fast stets in außerordentlich regelmäßige 
parallele Längsfalten gelegt, die nach außen scharfgeknickte Grate 
bilden. Diese Grate sind häufig zu kompakten Längsleisten verstärkt. 
Die dazwischenliegenden. Teile der Lamelle sind nur in seltenen 
Fällen kontinuierlich. Meist sind sie durchbrochen, so daß das Schuppen- 
lumen an vielen Stellen nach außen kommuniziert. Die Reduktion 
dieser Verbindungsteile kann verschieden weit gehen. Im einfachsten 
Fall steht zwischen je zwei Längsleisten eine mehr weniger regelmäßige 


Längsreihe von runden Löchern (Lochreihentypus). Sind sehr viele - 


unregelmäßige Löcher vorhanden und sind die stehenbleibenden Brücken 
sehr schmal, so daß sie als Stäbchen erscheinen, so entsteht ein unregel- 
mäßiges Maschenwerk (Netztypus). Denkt man sich eine regelmäßige 
Längsreihe von Löchern als Ausgangspunkt, so entsteht durch Ver- 
größerung der Löcher ein regelmäßiges System von übrigbleibenden 
Querleisten zwischen den Längsleisten (Leitertypus). Zwischen diesen 
Formen sind alle Übergänge zu finden, sie sind aber doch in ihrer typi- 
schen Ausbildung für gewisse systematische Gruppen charakteristisch, 


1) A. G. Mayer (1896) beschreibt sie richtig und nennt sie „Pfeiler“. 





A ae 1 oh N 


| 





F. Süffert, Zur Morphologie und Optik der Schmetterlingsschuppen. 383 


so der Lochreihentypus für Sphingiden, der Netztypus für Papilioniden, 
der Leitertypus für Nymphaliden. Die Verteilung der Trabekeln, so weit 
sie nicht unter den Längsleisten stehen, ist von den genannten Struk- 
turen abhängig. Sie stehen z. B. beim Lochreihentyp unter den meist 
wulstförmig verstärkten Lochrändern, beim Netztyp unter den Knoten- 
punkten der Maschen, beim Leitertyp zu 1—3 unter jedem Querleistchen. 

Die Unterseitenlamelle ist in den meisten Fällen, so wie bisher be- 
kannt, sehr dünn, glatt und homogen. In gewissen Fällen aber trägt 
sie eine fächerförmige Anordnung von Falten (Thais) oder sogar von 
verdickten Längsleisten (gewisse Mikrolepidopteren). Meist stehen die 
letzteren in deutlicher Beziehung zu den Längsleisten der Oberseite als 
deren Verlängerung auf die Unterseite. Es sind sozusagen die Längs- 
leisten selbst, die an ihrem basalen und distalen Ende um die Schüppen- 
kante herum auf die Schuppenunterseite verlaufen und hier, indem sie 
nach einem Punkte nahe dem Schuppenstiel zusammenlaufen, das ge- 
nannte fächerförmige Bild geben. 


Es sei erwähnt, daß ich weder die von M. Baer angegebenen 
röhrenförmigen Hohlräume in den Längsleisten, noch die nach Spuler 
im Chitin eingelagerten Pigmentkörnchen finden konnte. 


2. Optische Erscheinungen an Normalschuppen. 


Bei pigmentierten Schuppen (ich habe das Pigment stets als diffuse 
Färbung des Chitins gefunden) erklärt sich aus dem Vorhandensein eines 
dichten Waldes senkrechter Säulchen (Trabekeln) die starke Licht- 
absorption der Schuppen bei verhältnismäßig geringer Masse des Chitins 
und geringer Konzentration des Pigmentes (ähnliche Wirkung wie beim 
Samt oder der papillösen Epidermis mancher Blumenblätter). 

Fragen wir uns, zu welchen optischen Phänomenen, abgesehen von 
der Lichtabsorption durch Pigmente, der geschilderte Bau der Schuppen 
Veranlassung geben kann, so finden wir vier: Weiß durch diffuse Re- 
flexion, Blau trüber Medien, Interferenzfarben durch dünne Blättchen, 
Interferenzfarben durch Beugung an feinen Gittern. 

1. Das Vorhandensein zahlreicher unregelmäßig gegeneinander ge- 
neigter spiegelnder Flächen (Längsleisten, Querleistchen, Trabekeln, 
Unterseitenlamelle) bewirkt diffuse Reflexion und läßt die Schuppe 
weiß erscheinen, wenn Absorption ausgeschaltet, d. h. wenn die Schuppe 
ungefärbt ist. (Man sieht, es ist nicht richtig, zu sagen: die weißen 
Schuppen sind weiß, weil sie Luft enthalten. ) 

2. Findet die diffuse Reflexion an besonders kleinen Teilchen inner- 
halb der unpigmentierten Schuppe statt, so Kann, falls ein dunkler Hinter- 
srund, etwa durch eine dunkelpigmentierte Stützschuppe, gegeben ist, 
wie es tatsächlich häufig der Fall ist, das Blau trüber Medien er- 
scheinen (z. B. blaue Randilecken der Vanessen). 


3. Wie schon Spuler festgestellt hat, ist die Unterseitenlamelle 
dünn genug, um als interferenzfarbengebende, dünne Schicht zu wirken. 


384 F. Süffert, Zur Morphologie und Optik der Schmetterlingsschuppen. 


Sie erzeugt tatsächlich ziemlich kräftige derartige Farben, die den 
ersten Ordnungen des Newtonschen Ringsystems angehören. Man 
kann sich davon leicht überzeugen, wenn man die Schuppen von der’ 
Unterseite betrachtet, indem man die Schuppenlage eines ganzen Flü- 
gels auf einer klebrig gemachten Fläche abzieht. Dabei fällt auf, dab 
verschieden pigmentierte Schuppenbezirke auch. in der Farbe ihres 
„Unterseitenglanzes“ sich unterscheiden. Es ist also dem chemischen 
Unterschied im Pigment ein Strukturunterschied (in der Dicke der 
Unterseitenlamelle) korreliert, es handelt sich in den verschiedenen 


Zeichnungselementen nicht nur um verschieden gefärbte, sondern auch 


um sonst verschiedenartige Schuppen. Die so im reflektierten Licht 
entstehenden Farbenbilder sind oft (z. B. bei Pyrameis atalanta) sehr 
reizvoll. Es fragt sich nun: Was ist von dieser Pracht normalerweise, 
d. h. von der Oberseite der Schuppen, zu sehen? Bei dunkelpigmen- 
tierten Schuppen naturgemäß sehr wenig. Und doch kann man bei auf- 
merksamer Betrachtung auch bei den dunkelsten Schuppen meistens 
Spuren davon sehen, die zum Teil für den Seidenschimmer der Schmet- 
terlingsflügel verantwortlich sind. Nachdem wir erfahren haben, dab 
die Oberseitenlamelle Löcher hat, ja meist nur aus einem Gitter besteht, 
ist daran nichts Merkwürdiges. Bei weniger dunklen Schuppen und 
bei solchen mit sehr weitem Oberseitengitter und mit weitstehenden 
Trabekeln wird die Erscheinung viel deutlicher (der Bronzeglanz vieler 
Noctuiden gehört hierher), zuweilen so deutlich, daß der Eindruck 
von Schillerfarben entsteht (Papilio philenor, Nyctalemon, Salamis, 
Anaea), am deutlichsten natürlich bei pigmentlosen Schuppen. Auf 
diese Weise entsteht zZ. B. das metallische Grün der Zentralschuppen 
in den Hinterflügelunterseitenozellen von Pyrameis alalanta. 

Geht die Reduktion der Oberseitenlamelle so weit, daß nur noch 
die Längsleisten als der Unterseitenlamelle direkt anliegende Stäbe 
mit rudimentären Querleistchen und Trabekeln übrig bleiben, so haben 
wir eigentlich schon Spezialschuppen vor uns. Solche Verhältnisse, die 
den Unterseitenglanz am ungehindertsten durchtreten lassen, finden sich 
häufig bei den über den eigentlichen Schillerschuppen liegenden glas- 
klaren Deckschuppen von Morpho-Arten, wo dann der Unterseitenglanz 
der Deckschuppen mit der leuchtenden Farbe der Stützschuppen sich 
zu einem eigenartigen Farbenspiel kombiniert. 

4. Gitter, deren Regelmäßigkeit und Feinheit zur Erzeugung von 
Beugungsfarben genügen, haben wir in den: Längsleisten, vor allem 
aber in den Querleistchen des Leitertypus vor uns. Die Abstände der 
letzteren betragen Bruchteile von 1 u. Tatsächlich lassen sich aufs Leich- 
teste Gitterfarben an Schuppen demonstrieren, wenn man auf ein wie 
angegeben auf Glas hergestelltes Klatschpräparat von der einen. Seite 
Licht senkrecht zur Schuppenebene einfallen läßt und von der andern Seite 
aus einer gegen die Lichtrichtung geneigten Richtung das Präparat 
betrachtet. Dann sieht man, wenn das Auge sich in einer Ebene be- 
findet, die von den Längsleisten der Schuppen senkrecht geschnitten 








F. Süffert, Zur Morphologie und Optik der Schmetterlingsschuppen. 385 


wird, die von den Längsleisten erzeugten Gitterfarben. Bei Schuppen 
vom Leitertyp, und nur bei diesen, sieht man, wenn das Auge sich 
in einer Ebene befindet, die von den Querleistchen senkrecht ge- 
schnitten wird, die Gitterfarben der Quergitter. Entfernt man das Auge 
innerhalb einer der eben gekennzeichneten Ebenen immer mehr seit- 
wärts von dem Wege des direkt durch die Schuppen durchfallenden 
Lichtes, so erscheinen der Reihe nach alle Farben des Spektrums, am 
stärksten abgelenkt das Rot, was das Spektrum als Gitterspektrum 
kennzeichnet. 

Auch hier fällt auf, daß die verschieden pigmentierten Zeichnungs- 
elemente gleichzeitig, d. h. bei einem bestimmten Beugungswinkel, ver- 
schiedene Gitterfarben zeigen. Das läßt vermuten, daß die Gitterweiten 
verschieden sind. Messungen bestätigen die Vermutung. Damit haben 
wir einen weiteren Strukturunterschied der Ne einzelnen Zeichnungs- 
elemente bildenden Schuppen gefunden. 

Durchfallendes, Licht kommt für die normale Farbwirkung der 
Schuppen nicht in Betracht. Was sieht man im auffallenden Licht? 
Die an den Quergittern des Leitertyps genau wie beim Rowlandschen 
Gitter durch Beugung reflektierten Lichtes erzeugten Farben sind bei 
sehr vielen Formen, wenn man einmal darauf aufmerksam geworden 
ist, leicht wahrzunehmen, z. B. sehr deutlich an der Hinterflügelunter- 
seite von Pyrameis atalanta. Charakteristisch ist der rasche Farb- 
wechsel bei Hin- und Herwenden der Flügelfläche (Änderung des Beu- 
gungswinkels). Dieser Farbwechsel trägt viel zu dem „Changeant“ der 
Schmetterlinge bei. Er ist mit der Samtwirkung und dem Unterseiten- 
glanz zusammen das, was gerade den eigenartigen stofflichen Eindruck 
der Schmetterlingsflüßel bedingt. Meist herrscht ein Wechsel zwischen 
srünlich und goldbraun vor. Das ganze Spektrum von Blau bis Rot 
zeigen dagegen die schwarzen Flecke auf der Hinterflügeloberseite von 
Arclia caia. Das Blau dieser Flecke ist Gitterfarbe und geht bei stär- 
kerer Beugung in Grün, Gelb, Rot über. Es ist dies der einzige Fall, 
wo ich eine auffällige Farbe mit Sicherheit als Gitterfarbe nach- 
weisen konnte. Sie ist hier deshalb so deutlich, weil die betreffenden 
Schuppen eine stark glänzende Oberfläche haben (sie sind wie lackiert). 
Dieselbe Wirkung kann man z. B. mit schwarzen Atalanta-Schuppen 
erzielen, wenn man sie künstlich (durch Auftrocknenlassen einer ganz 
dünnen Lösung von Canadabalsam) lackiert. 


3. Bau und Optik spezialisierter Schillerschuppen. 

Der Silberglanz ist eine Verstärkung des optischen Weib. Zu 
seiner Erklärung genügt natürlich erst recht nicht der Hinweis auf den 
Luftgehalt der Schuppen. Jede andere Schuppe enthält ebenso Luft. 
Es ist mir nicht gelungen zu ermitteln, wodurch die außerordentlich 
starke Reflexion erzeugt wird. Vielleicht liegen besondere stark reflek- 
tierende Substanzen an den Oberflächen oder ein besonderer Querschnitt 
der Oberseitenmembran bewirkt durch entsprechende Lichtbrechung, daß 

42. Band. 25 


[7 


386 F. Süffert, Zur Morphologie und Optik der Schmetterlingsschuppen. 


auch bei steilem Lichteinfall an der Luft des Lumens Totalreflexion 
stattfindet. Die Silberschuppen (von Argynnis z. B.) zeigen an Beson- 
derem nur eine kontinuierliche Oberseitenmembran ohne Löcher. Die 
von Biedermann angegebenen „Pigmentkörnchen“ sind die (wie die 
ganze Schuppe farblosen) Trabekeln, seine „Luftröhren“ Täuschung. 

Als „spezialisierte Schillerschuppen“ bezeichne ich solche Schuppen, 
deren optische Wirkung durch einen von der Norm stark abweichenden 
Bau bedingt ist. So viel ich gefunden habe, lassen sich die auffallen- 
den Farben der Schmetterlinge auf zwei Bautypen zurückführen. 

1. Der Urania-Typ. Ich nenne ihn nach dem Objekt, an dem 
sich die Erscheinungen besonders klar darstellen. Urania Oroesus trägt 
auf der Hinterflügeloberseite geradezu schematisch das gesamte Spek- 
trum eines der innersten Newtonschen Ringe zur Schau. Tatsäch- 
lich sind diese Farben durch dünne Lamellen erzeugte Interferenzfarben 
und zwar, und das ist das für diesen Typ Charakteristische, sind sie 
das Resultat der summierten Wirkung mehrerer (bei 
Urania 7!) übereinanderliegender Blättehen, die jeweils 
alle die gleiche Farbe ergeben, also offenbar genau gleich dick sind. Auf 
Querschnitten sieht man die übereinandergeschichteten, durch außer- 
ordentlich feine Luftschichten getrennten Chitinschichten. Durch teil- 
weise Imbibition kann man einen Teil davon in seiner Wirkung aus- 
schalten und die dadurch bedingte Abschwächung der Farbintensität 
beobachten. Infolge der summierten Wirkung tritt hier im durchfallen- 
den Licht die zur Reflexfarbe komplementäre Farbe außerordentlich 
kräftig in die Erscheinung, während sie bei einfacher Lamelle (Unter- 
seitenglanz) nur selten andeutungsweise sichtbar ist. 

Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei den farbenprächtigen tro- 
pischen Papilioniden, nur kompliziert durch eine besondere Struktur 
der Schuppen, ferner bei tropischen Lycaeniden und Zygaeniden. 

Fragen wir nach den Beziehungen zum normalen -Schuppenbau, so 
läßt sich zeigen, dab die vielschichtige Lamelle bei Urania der Unter- 
seitenlamelle entspricht, bei Zygaeniden (Erasmia pulchella) der Ober- 
seitenlamelle, weil bei diesen Formen die übrigen Bestandteile (Lumen, 
Trabekeln) gut erhalten sind. Bei Papilioniden fehlt jedes Lumen, 
die Schuppe ist eine solide Platte. 

Jedenfalls ist klar, daß nirgends das Schuppenlumen, wie Bie- 
dermann meint, als dünne Lamelle farberzeugend wirkt. Davon un- 
abhängig ist der von Biedermann geführte Nachweis, dab es sich um 
das Prinzip der Farben dünner Blättchen handelt und daß Ober. 
flächenfarben im Sinne Walters nicht in Betracht kommen. Abwei- 
chend von Biedermann komme ich aber bei sorgfältigem Abwägen 
der nicht ganz eindeutigen Beobachtungen, besonders mit Rücksicht auf 
die Schuppenquerschnittsbilder von Urania dazu, nicht dünne Luft- 
schichten, sondern feste Lamellen als farberzeugend anzusehen. 

2. Der Morpho-Typ. Die von Biedermann und auch. zu- 
erst von mir auf Grund gewisser Imbibitionsbilder und des allgemeinen 








F. Süffert, Zur Morphologie und Optik der Schmetterlingsschuppen. 387 


Eindrucks gehegte Vermutung, daß bei den leuchtend blauen Morpho- 
Schuppen über dem vorhandenen normalen Gitter der Oberseitenlamelle 
dünne Lamellen ausgebreitet seien, bestätigt sich bei der Betrachtung 
von Schuppenquerschnitten nicht. Dafür sieht man eine höchst über- 
raschende Struktur, die den bisherigen Untersuchern ganz entgangen 
ist2). Die Längsleisten der meist dunkelpigmentierten Schuppe sind 
hohe schmale glasklare Chitinleisten, die im Querschnitt aussehen wie 
die Zähne eines Kammes. In Canadabalsam verschwinden sie voll- 
kommen. Man muß in Alkohol untersuchen oder besser noch den Schnitt 
färben. Unter jeder dieser Glasleisten sitzt eine dichte Reihe dunkel- 
pigmentierter, kegelförmiger Körper mit der Basis ihr anliegend, an der 
Spitze (d. h. also nach unten) in eine Trabekel auslaufend. Jeder dieser 
Körper bildet einen Knotenpunkt, in dem die Querleistchen an die 
Längsleiste stoßen. 

Die physikalische. Leistung dieser Struktur ist zunächst gänzlich 
rätselhaft. Manche Querschnitte erinnern unwillkürlich an Schnitte durch 
ein Fazettenauge, wo. unter der Linse der kegelförmige Kristallkörper 
sitzt. Ob das mehr ist als bloße Ähnlichkeit, muß dahingestellt bleiben. 

Nach diesem Prinzip sind weitaus die meisten Schillerschuppen ge- 
baut: bei Morphiden und Verwandten, Eryciniden, zahlreichen Nym- 
phalidengruppen (hierher gehört auch der viel untersuchte Schillerfalter 
Apatura), wahrscheinlich bei Ornithopteren unter den Papilioniden. 

Zusammenfassend kann man jetzt über die Bedeutung der einzelnen 
Farbbildungsprinzipien sagen: 

Ursprünglich hielt man die auffallenden, ohne Pigment zustande- 
kommenden Schmetterlingsfarben für Gitterfarben (gemeinhin gelten sie 
auch jetzt noch dafür). Dabei dachte man hauptsächlich an die Längs- 
leisten als wirksame Gitter. Die Tatsache, daß nicht nur Schillerschup- 
pen, sondern fast alle Schuppen die Längsleisten aufweisen, führte dazu, 
die Bedeutung der Gitterfarben ganz zu bestreiten (z. B. Bieder- 
mann). Jetzt hat sich herausgestellt, daß Gitterfarben doch eine ge- 
wisse Rolle spielen, allerdings nicht als Erzeugnis der Längsleisten, 
sondern der Querleistchen des Leitertyp. Auch bedingen sie im allge- 
meinen keine auffallenden Färbungen, kommen aber sehr wohl für den 
allgemeinen Rindruck in Betracht. Eine ähnliche Rolle spielen die durch 
die dünne Unterseitenlamelle erzeugten Interferenzfarben. Oft sind sie 
allerdings schon der Grund auffallender Erscheinungen. 


Nach demselben Prinzip (dünne Blättchen) entsteht auch der eine 
Teil der besonders farbenprächtigen Erscheinungen, und zwar durch 
Summation der Wirkung mehrerer dünner Blättchen (Urania-Typ). 

Der andere Teil ist an eine eigenartige Struktur geknüpft, deren 
Funktion noch unerklärt ist (Morpho-Typ). 


2) u. a. Spuler in seiner Apatura Arbeit. 


388  P. Schulze, Beziehungen pflanzlicher u. tierischer Skelettsubstanzen usw. 


Angeführte Literatur. 

M. Baer, Über Bau und Farben der Flügelschuppen bei Tagfaltern. Zeitschr. f. wiss. 
Zool. Bd. 65. 1899, S. 50. 

W. Biedermann, Farbe und Zeichnung der Insekten II. Die Strukturfarben (optischen 
Farben) der Insekten. In Wintersteins Handbuch der vergl. Phys. 3. Bd. 
1. Hälfte. 

A. G. Mayer, The Development of the wing scales and their pigment in butterflies 
and moths. Bull. of the Museum of Compar, Zoölogy at Harvard College, 
Cambridge, Mass. 1896. 

A. Spuler, Beitrag zur Kenntnis des feineren Baues und der Phylogenie der Flügel- 
bedeckung der Schmetterlinge. Zool. Jahrb. Abt. f. Anat. Bd. 8. 1895. 

A. Spuler, Zur Phylogenie der einheimischen Apatura-Arten. Stett. entomol. Zeitung, 
51. Jahrgang, 1890. 

A. Spuler, Die Schmetterlinge Europas. Stuttgart, 1910. 


D 


Über Beziehungen zwischen pflanzlichen und tierischen 
Skelettsubstanzen und über Chitinreaktionen. 


Von P. Schulze, Berlin. 


Für den Botaniker ist es eine bekannte Tatsache, daß die Haupt- 
skelettsubstanz der Pflanze, die Cellulose, im Organismus gewöhnlich 
nicht frei vorkommt, sondern in inniger Vereinigung mit andersartigen 
Stoffen, die man als Inkrusten bezeichnet. Ihre höchste Ausbildung er- 
reicht die Inkrustierung im Holz, wo der sogenannte Holzstoff, das 
Lignin, in.so mächtiger Entfaltung auftritt, daß zwar seine An- 
wesenheit, nicht aber die der Cellulose sich unmittelbar mikrochemisch 
nachweisen läßt. Um Holz vom Lignin zu befreien, es aufzuschließen, 
hat man sehr verschiedene Wege eingeschlagen (s. Renker). Neuer- 
dings ist von E. Schmidt und seinen Schülern in dem Chlordioxyd 
ein ganz besonders wirksames Holzaufschlußmittel gefunden worden, 
das die eigentliche Skelettsubstanz ganz unverändert läßt. (Näheres 
s. bei Schmidt und Duysen.) Seine Wirkung besteht darin, daß 
das Chlordioxyd die Inkruste zertrümmert und in lösliche Form über- 
führt. Wie schon kurz an anderer Stelle (P. Schulze b, p. 135, 
139) erwähnt wurde, läßt sich überraschenderweise auch bei den ver- 
schiedensten tierischen Skelettsubstanzen organischer Natur eine durch 
C1O, angreifbare Komponente nachweisen, besonders auch beim Chitin. 
Aus diesem Grunde soll hier die Frage nach den Beziehungen dieses 
Körpers zu anderen Verbindungen und nach ‘seinem mikrochemischen 
Nachweis aufs neue aufgeworfen werden. 

Mit großer Vorliebe wird von den Zoologen für die Kutikularsub- 
stanzen von Wirbellosen, die eine gewisse Konsistenz haben, die Be- 
zeichnung Chitin angewandt, ohne daß oft auch nur der Versuch ge- 


P. Sthulze, Beziehungen pflanzlicher u. tierischer Skelettsubstanzen usw. 389 


macht worden ist, durch mikrochemische Reaktionen den Beweis für 
das Vorliegen dieser Substanz zu erbringen. Der Grund hierfür liegt 
wohl hauptsächlich darin, daß es uns an einer einfachen Reaktion fehlt, 
die, wie etwa die Cellulosereaktion mit Jod-Schwefelsäure, auch in 
einem biologischen Laboratorium ohne große Schwierigkeiten ausge- 
führt werden kann. Fragen wir: Gibt es denn überhaupt ein Verfahren, 
das uns mit Sicherheit alles in einem Objekt vorhandene Chitin anzeigt, 
so lautet die Antwort: Zur Zeit nicht! 

Die zuverlässigste Methode ist die von van Wisselingh ange- 
gebene. Zur Vorbereitung der Reaktion werden zugeschmolzene Röh- 
ren, die das zu prüfende Objekt in 60% Kalilauge enthalten, ım 
Ölbad einige Zeit bei 180° erhitzt. Wester bediente sich dazu eines 
kupfernen Kochtopfes, der das Öl enthielt und durch einen mit Löchern 
versehenen Deckel verschlossen wurde. An diesen Löchern werden 
die zum Schutz gegen Zerplatzen mit Kupfergeflecht umgebenen Röhr- 
chen aufgehängt. 

Wirt) haben diese einleitenden Manipulationen etwas vereinfacht, 
indem wir die Erhitzung in einem kleinen Kochkölbchen vornahmen, 
das mit einem Rückflußkühler in Verbindung stand. Die Objekte kom- 
men direkt in das Kölbchen in 33 % Kalilauge, nachdem ein Siede- 
steinchen zur Verhinderung des Siedeverzuges hinzugefügt worden ist. 
Als Erhitzungsflüssigkeit diente Phtalester oder Glyzerin. Man konnte 
so bei etwa 155-1600 ohne Gefahr bis zu einer Stunde etwa. 
kochen lassen und erzielte in allen Fällen das gleiche Resultat wie bei 
van Wisselingsh. Ein Ersatz von Kali- durch Natronlauge hatte 
dasselbe Ergebnis. Die auf diese Weise vorbehandelten Stücke werden 
gut in Wasser ausgewaschen, kommen in dünne (etwa 2-10 Yige) 
Jodkaliumlösung unter Zusatz von 1—20% Schwefelsäure ?), worauf 
bei chitinhaltigen Objekten eine Violettfärbung eintritt. Van Wisse- 
lingh ist der Ansicht, daß diese Reaktion nicht dem Chitin als sol- 
chem zukomme, sondern daß die Alkalibehandlung das Chitin hydro- 
lisiere und unter Bildung von Essigsäure ein kleinerer Molekülkomplex, 
das Chitosan, abgespalten wird, der die Eigenschaft der Violettfärbung 
besitzt. 

Die Vorbereitungen zu der van Wisselingh-Probe sind so um- 
ständlich, daß man öfter versucht hat, sie handlicher zu gestalten. Zwar 
führt bei dünnen Chitinlagen oft schon ein direktes Kochen im Rea- 


1) Für die Hergabe von Apparaten und Reagentien und die ge bereitwillige 
Beratung in allen chemischen Fragen sei Herrn Dr. E. Schmidt auch an dieser Stelle 
mein herzlichster Dank ausgesprochen. 

2) Die Schwefelsäure scheint für das Zustandekommen der Reaktion nicht von 
wesentlicher Bedeutung zu sein, sie spielt anscheinend nur eine Nebenrolle bei ihrer 
Einleitung. Nimmt man nicht ausgehärtetes Chitin (Flügeldecke einer Hydrophilus-. 
puppe, gelbe Elytre von Lucanus), so tritt schon bei Jodzusatz die typische Violett- 
färbung ein, die in H,SO, einen mehr bläulichen Ton annimmt. ' 


usw. 
390  P. Schulze, Beziehungen pflanzlicher u. tierischer Skelettsubstanzer. 


genzglase oder ein Erhitzen im Wasserbad zum Ziele, bei dickem Chitin 
kommt man aber auf diese Weise nicht zu einem Erfolge. Haß (a, p. 334) 
und Spek (p. 327) haben vorgeschlagen, die Objekte auf dem Objekt- 
träger direkt mit Kalilauge über der Flamme zu schmelzen. In sehr 
vielen Fällen ist diese Methode von Erfolg gekrönt, sie hat aber den 
Nachteil, das Chitin stark zusammenschnurren zu lassen, so dab man 
sich über die etwaige Verteilung dieses Körpers in heterogenen Lamellen 
keine Anschauung bilden kann. (Wie nämlich nachgewiesen wurde 
'P. Sehulze a, Haß b| finden sich in den Chitinlamellen in weiter 
Verbreitung mehr oder weniger mächtige, oft sehr regelmäßig angeord- 
nete Einsprengungen einer nicht chitinigen Substanz, der sogenannten . 
Zwischensubstanz). Herr Kunicke hat jetzt im Zoologischen Insti- 
tut die Höhe der Temperatur durch die Zeit zu ersetzen versucht, in- 
dem er die Objekte in 33 % Kalilauge 8—14 Tage im Thermostaten 
bei 55° liegen läßt. In den meisten Fällen tritt die Reaktion ein, in 
anderen unterbleibt sie, trotzdem sich nach Kochen im Ölbad Chitin 
nachweisen läßt. Oft aber versagen alle angeführten Me- 
thoden. Die bräunliche oder schwärzliche laugenunlösliche hornähn- 
liche Oberflächenschicht vieler Insekten, etwa des Hirsch- oder Nas- 
hornkäfers, die „Lackschicht“ (P. Schulze), ‘die dem Zoologen ge- 
wöhnlich als der Prototyp des Chitins erscheint, ergibt auch bei der 
Wisselingh-Probe keine Reaktion, weshalb sie nach Krawkow 
ein besonderes Chitin darstellen sollte. Zander nimmt ebenfalls zwei 
Formen des Chitins an, eine, die sich violett und eine andere, die sich 
nur braun färbt. P. Schulze bezeichnete diese Lage 1913 als nicht 
chitinig. 

Nach Anwendung des von E. Schmidt für die Entfernung des 
Lignins aus Holz angegebenen Chlordioxydessigsäuregemisches auf Chi- 
tin tritt in allen diesen Fällen bei der Wisselingh-Probe die Chitin-. 
reaktion ein. (Die Zwischensubstanz dagegen gibt auch jetzt keine 
Violettfärbung, ebensowenig wie laugenlösliche Oberflächenauflagerungen 
wie etwa das „Sekretrelief* der Cieindela-Flügeldecke) Es liegt 
hieralso offenbar durch eine Inkruste maskiertes Chi- 
tin vor. 


Diese Inkrustierung ist keine schichtweise, sondern eine moleku- 
lare, "morphologisch. läßt.sich an. dem deinkrustierven 
Chitin keinerlei Veränderung wahrnehmen. 


In einem Fall gelang nach der angegebenen Vorbehandlung bei der 
Lackschicht des Hirschkäfers sogar eine positive Reaktion unter Ein- 
wirkung eines so schwachen Alkalis, wie dem 2 % igen Natriumsulfit bei 
ca. 20 Minuten langem Verbleiben in !Wasserbadtemperatur, was 
dagegen spricht, daß die Violettreaktion dem Chitosan zuzuschreiben ist. 
Ist die Inkrustierung nicht sehr stark, so tritt die Chitinreaktion auch 
ohne vorherige Chlordioxydbehandlung ein, sie wird aber bei Anwen- 
dung dieses Reagenz sehr verstärkt; so geben z.B. die Balkenlagen der 





3 are 
vr 


P. Schulze, Beziehungen pflanzlicher u. tierischer Skelettsubstanzen usw. 391 


Hirschkäferflügeldecke eine schwarz- statt hellviolette Färbung. Da das 
Chlordioxyd ausschließlich auf Körper einwirkt mit doppelten Kohlen- 
stoffbindungen oder solchen von phenolischem Charakter (s. E.Schmidt 
und K. Braunsdorf), zu denen auch die dunklen Pigmente als Tyro- 
sin oder 3,4 Dioxyphenylalanin-Abkömmlinge gehören, so lag die Mög- 
lichkeit vor, daß etwa die Inkruste und die Pigmente in enger Be- 
ziehung stehen könnten, da ja im allgemeinen dunkel gefärbtes Chitin 
härter zu sein pflegt als helleres. In dieser Ansicht wurden wir zu- 
nächst dadurch bestärkt, daß die Lackschicht von Lucanus keine Re- 
aktion bei Alkalibehandlung im Ölbade zeigte — hier war auch das 
Pigment nicht ganz zerstört —, daß dagegen die Violettfärbung auf- 
trat, wenn man eine Decke solange in 33 %0 KOH bei 58° im Thermo- 
staten ließ bis sie schmutzigweiß erschien (etwa 10Tage): Zur 
Nachprüfung dieser auftauchenden Vermutung erwiesen sich die schnee- 
weiben aber sehr harten Elytren der afrikanischen Wüstentenebrionide 
Iphtlimera eburnea Pasc., die wir der Freundlichkeit des Herrn Dr. 
Kuntzen verdanken, als sehr geeignet. Umaufgeschlossene Flügel- 
decken geben nur innen die Chitinreaktion, die Außenschicht bleibt voll- 
kommen unverändert weiß. Nach Behandlung mit Chlordioxydessigsäure 
tritt auch in ihr sofort die Violettfärbung auf. Starke Pigmen- 
tierung und starke Inkrustierung hängen also nicht 
notwendigerweise zusammen?). 

Der Nachweis der Inkruste im Chitin läßt sich nun noch auf an- 
dere Weise führen. Bei dem Angriff des OlO, auf die Holzinkruste 
entsteht Kohlensäure. Derselbe Vorgang tritt auch bei tierischen In- 
krusten — also auch beim Chitin ein (s. auch P. Schulze b, p. 139); 
ganz besonders stark und bisweilen 24 Stunden dauernd ist die Gas- 
entwicklung bei der harten Auskleidung des Vogelkaumagens, z.B. des 
Flamingos. Ferner zeigte Klason, daß Inkrusten enthaltende Cellu- 
lose sich in konzentrierter Schwefelsäure unter Bildung dunkler Flok- 
ken mit brauner oder schwärzlicher Farbe löst, reine Cellulose dagegen 
farblos. Es lag daher nahe, beim Chitin ähnliche Eigenschaften wie 
bei der pflanzlichen Skelettsubstanz zu vermuten. Behandelt man die 
trockene Flügeldecke eines schwach pigmentierten Käfers, etwa des 
Blattkäfers Melasoma X X-punctatum Scop., mit kon. H,SO,, so löst 
sie sich unter Bräunung der Flüssigkeit, in der einige winzige 
dunkle, Flocken ungelöst bleiben. Nach Aufschluß mit Chlordioxyd- 


3) Das Ausbleiben der Chitinreaktionen wurde in vielen Fällen auf das vorhandene 
Pigment geschoben: „Enthalten die Präparate so viel Farbstoffe, daß die Violettfärbung 
nicht zu unterscheiden ist, so kann man diese nach van Wisselingh oft mit verdünnter 
Chromsäure (+1 %ig) entfernen. Diese Methode wirkt meistens vorzüglich. Auch eine 
Behandlung mit warmer (+ iger) Lauge oder zumal eine Einwirkung von Chlorwasser 
(+0,3 %ig) leisteten oft gute Dienste“ sagt Wester (p. 538). Offenbar findet hier 
nicht nur eine Entpigmentierung sondern auch schon ein teilweiser Aufschluß des 
Chitins statt. Chlorwasser ist nach Fremy und Terreil ein Aufschlußmittel für 
Holz! (s. Renker p. 42.) 


399  P. Schulze, Beziehungen pflanzlicher u. tierischer Skelettsubstanzen usw. 


essigsäure findet die Lösung dagegen vollkommen- farblos statt. Hier 
könnte noch der Einwand gemacht werden, die Färbung würde 
von dem in den Flügeldecken befindlichen Zellmaterial und. dem 
Pigment der Flecke auf den Elytren verursacht. Wir wählten 
darauf ein ganz unpigmentiertes Chitin, das Alloscutum einer voll- 
gesogenen großen Zecke (Hyalomma aegyptium L. 9), von dem 
man alle anhaftenden Weichteile sehr leicht entfernen kann. Auch 
hier traten ganz die gleichen Erscheinungen ein. Um ganz sicher 
zu gehen und um gleichzeitig zu entscheiden, ob die Inkruste schon in 
der Puppe vorhanden ist, wurde das Chitin einer völlig weißen Puppe 
von Vespa germanica F. nach restloser mechanischer Entfernung aller 
anhaftenden Weichteile und nachfolgendem Trocknen vor und nach 
Behandlung mit Chlordioxydessigsäure in Schwefelsäure gelöst. “ Der 
Erfolg war der gleiche, in dem einen Fall Braunfärbung der Flüssig- 
keit und Bildung schwarzer Flocken, in dem andern vollkommen klare 
Lösung. Auch in der Puppe ist also schon die Inkruste im Chitin 
vorhanden und läßt sich durch Schwefelsäure nachweisen. 

Nebenbei sei erwähnt, daß das Tunicin von Ciona sich ganz ähn- 
lich verhält, also offenbar auch hier die Inkrustierung. 

Es wurde nun auch ein direkter mikröchemischer Ligninnachweis ver- 
sucht. Wir wandten dazu Phloroglucinsalzsäure und p-Nitranilin an, die bei 
Vorhandensein von Lignin eine rote resp. orange Färbung hervörrufen. Das 
Ergebnis aber war durchaus negativ. Damit ist noch nicht endgültig be- 
wiesen, daß es sich bei der Chitininkruste nicht um einen dem pflanz- 
lichen Lignin nahestehenden Körper handelt, denn die sogenannte Lig- 
ninreaktionen zeigen wahrscheinlich nicht den Holzstoff als solchen, son- 
dern ständige Begleitkörper an, die in der tierischen Skelettsubstanz 
fehlen könnten. Es kann sich aber natürlich auch um ganz andersartige 
Verbindungen handeln. 


Zusammenfassend können wir also sagen, daß nach vorheriger 
Entfernung der Inkruste aus dem Chitin die van Wisselinghsche 
Methode einen sicheren Nachweis des Chitins ermöglicht; die Schwie- 
rigkeiten ihrer praktischen Anwendbarkeit aber haben wir schon hervor- 
gehoben. Das Bestreben mußte nun darauf gerichtet sein, ein handlicheres 
Verfahren zu finden. Bei den bemerkenswerten Beziehungen, die sich 
zwischen Holz und tierischen Skelettsubstanzen ergeben hatten, war es 
vielleicht möglich, unter Anlehnung an die Holzchemie eine geeignetere 
Methode zu finden. Karrer hat das Acetylbromid als einen Körper 
angegeben, der imstande ist, Polysacharide Zu zerlegen. Diese Ver- 
bindung haben wir nun 24 Stunden auf deinkrustiertes Chitin einwirken 
lassen und zwar in verdünnter Form, da sie in konzentriertem Zu- 
stande das Chitin löst. Bei Zusatz von Jod--2 iger H,SO, wird das 
Objekt zunächst kirschrot, dann violett; setzt man dann konzentrierte 
Schwefelsäure zu, so tritt eine klarblaue Färbung ein. Das Bromacetyl 





P. Schulze, Beziehungen pflanzlicher u. tierischer Skelettsubstanzen usw. 393 


gibt also eine sehr charakteristische Reaktion ohne Kochen in Alkali 
in der Kälte. Leider ist die Verbindung nicht leicht herzustellen und 
unangenehm durch ihre weißen Nebeldämpfe. 


'Wir suchten daher weiter und prüften das Verhalten von deinkrus- 
tiertem Chitinmaterial in bezug auf Chlorzinkjod. Bei diesem Zusatz 
gibt nun das Chitin sofort eine leuchtende Violettfärbung, während 
auch hier die Zwischensubstanz ungefärbt bleibt. (Untersucht wurden 
Chitine verschiedenster Herkunft, auch reines Polyporuschitin; doch 
soll hier auf die Verbreitung des Chitins unter den einzelnen Tier- 
gruppen nicht näher eingegangen werden.) Die Angabe von Wester 
(p- 532), der ausdrücklich hervorhebt, daß reines Chitin von Chlor- 
zinkjod weder blau noch violett gefärbt wird, ist also irrtümlich. Nun 
zeigt bekanntlich oft auch die Cellulose mit diesem Reagenz eine Vio- 
lettfärbung, während sonst eine Blaufärbung eintritt. Man vergleiche 
aber z. B. in den Tabellen von Renker, wie ein und dasselbe Aus- 
sangsmaterial sich mit Chlorzinkjod bald‘ blau bald violett färbt .je 
nach dem vorangegangenen Aufschlußmittel zur Entfernung der Inkruste. 
An mittels Chlordioxydessigsäure hergestellten Präparaten aus Fagus- 
holz zeigt die eigentliche Cellulose die Violettfärbung während Hemicellu- 
losen und Pentosane sie vermissen lassen. Die Violettreaktion ist also offen- 
bar gebunden an eine Moleküleruppe, die Joningruppe, wie wir sienennen 
möchten, die in verschiedenen Kohlehydraten und in von ihnen abgeleiteten 
Körpern vorhanden ist, so zeigt sie auch das Chitin als Verbindung eines 
Kohlehydrates mit einem stickstoffhaltigen Körper und die wieder dar- 
aus entstandenen Chitosanverbindungen. Die ‚Joninreaktion tritt teils 
direkt mit Jod ein wie bei der Reisstärke oder erst bei Zusatz eines 
„assistierenden“ Körpers wie Chlorzink bei Cellulose und Chitin oder 
konzentriertem Natriumacetat bei Glycogen (Zander p. 549). 


Zander hat diese Beziehungen schon vermutet, seine Ausfüh- 
rungen haben deshalb nicht die gebührende Beachtung gefunden, weil 
die Violettfärbung mit Chlorzinkjod bei Chitin nicht direkt eintrat, 
sondern nur nach ‚.Reinigung‘ des Chitins in Lauge, so daß für ihn 
derselbe Einwurf galt, den Wester (p. 550) Ambronn machte, als 
dieser die Chlorzinkjodreaktion des Chitins auf Cellulose bezog, daß 
nämlich bei dem verwendeten Material eine teilweise Umwandlung in 
Chitosan stattgefunden habe. Es ergibt sich aus dem Gesagten folgende 


Methode zum Nachweis des Chitins bei Zimmertenm- 
peratur: Das zu untersuchende Objekt kommt in fest schließendem 
Gefäß im Dunkeln in Ohlordioxydessigsäure (unter dem Namen Dia- 
phanol durch E. Leitz, Berlin, Luisenstraße 45 zu beziehen) bis zur 
völligen Bleichung (am besten auf jeden Fall 24 Stunden). Nach gutem 
Auswaschen wird das Präparat mit Chlorzinkjod (käufliche Lösung für 
Cellulosenachweis; vorher prüfen, ob sich Fließpapier damit violett 
färbt) betupft; es zeigt sich — besonders deutlich oft erst nach Abspülen 


394 P. Schulze, Beziehungen pflanzlicher u. tierischer Skelettsubstanzen usw. 


im Wasser — bei Vorhandensein von Chitin eine deutliche Violettfärbung. 
Will man einer etwaigen Verwechslung mit Cellulose oder Tunicin vor- 
beugen, so behandelt man ein zweites Stückchen des Objektes mit Jod- 
jodkalium und konzentrierter Schwefelsäure, worauf bei Cellulose und 
Tunicin sofort eine Blaufärbung eintritt, während beim Chitin das 
Jodbraun sich nur verstärkt. Es ist interessant zu sehen, daß die mit 
den mannigfaltiesten Aufschlußmitteln behandelten Cellulosen verschie- 
denster Herkunft, die sich mit Chlorzinkjod bald blau bald violett fär- 
ben, mit Jod-Schwefelsäure ausnahmslos eine blaue Farbe annehmen, 
während beim Chitin nur bei vorheriger Einwirkung von Acetylbromid 
diese Reaktion einsetzt. 

Auf die praktischen Folgerungen, die sich aus dem Vorhandensein 
von Inkrusten in tierischen Skelettsubstanzen für die mikroskopische 
Technik ergeben, ist an anderer Stelle hingewiesen worden (P. Schulze 
C,,b): 


Literatur. 


Ambronn, H., Cellulosereaktion bei Arthropoden und Mollusken. Mitt. zool. Stat. 
Neapel 1890. 

Haß, W., a) Über Metallfarben bei Buprestiden. S. B. Ges. naturf. Freunde Berlin 1916. 

— b) Über die Struktur des Chitins bei Arthropoden. Arch. f. Anat. u. Phys. 
‘ Phys. Abt. 1916. 

Karrer, P., Verschiedene Arbeiten in: Helv. Chimica Acta 4, 1921. 

Klason, Über Cellulosebestimmung im Holz. Chem. Ztg. 1903. 

Krawkow, N. P., Über verschiedene Chitine. Ztschr. f. Biol. 29, 1892. 

Renker, M., Über Bestimmungsmethoden der Cellulose. Berlin, Bornträger 1910. 

Schmidt, E. und Graumann, E., Zur Kenntnis pflanzlicher Inkrusten. I. Methode 
zur Reindarstellung pflanzlicher Skelettsubstanzen (I). Ber. deutsch. chem. 
Ges. 54, 1860, 1921. 

Schmidt, E.und Duysen, F., Zur Kenntnis pflanzlicher Inkrusten (II). Ber. deutsch. 
chem. Ges. 54, 3241, 1921. 

Schmidt, E. und Braunsdorf, K., Zur Kenntnis der natürl. Eiweißstoffe I. Ver- 
halten von Chlordioxyd gegenüber organischen Verbindungen. Ber. deutsch. 
chem. Ges. 55, 1529, 1922. 

Schulze, P., a) Chitin und andere Outieularstrukturen bei Insekten. Verh. deutsch. 
zool. Ges. 1913. 

— b) Eine neue Methode zum Bleichen und Erweichen tierischer Hartgebilde- 
S. B. Ges. naturf. Freunde Berlin, 1921. 

— c) Über Beziehungen zwischen pflanzlichen und tierischen Skelettsubstanzen usw. 
Verh. deutsch. zool. Ges. 1922. 

Spek, J., Beiträge zur Kenntnis der chemischen Zusammensetzung und Entwicklung 
der Pedula der Gastropoden. 7. f. wissensch. Zool. 118, 1919. 

Wester, D. H., Über die Verbreitung und Lokalisation des Chitins im Tierreiche. 
Zool. Jahrb. Syst. 28, 1909/10. 

Zander, E., Vergleichende und kritische Untersuchungen zum Verständnis der Jod- 
reaktion des Chitins. Arch, f. die ges. Physiol. 66, 1897. 





M. Popoff, Über die Stimulierung der Zellfunktionen, 395 


Über die Stimulierung der Zellfunktionen. 


Von Prof. Dr. Methodi Popoff, Sofia. 
(Vorläufige Mitteilung.) 


Ausgehend von theoretischen Erwägungen, die ich in einer Reihe 
von Veröffentlichungen !) zu begründen suchte, habe ich den Schluß 
gezogen, daß die Agentien der künstlichen Parthenogenese nicht nur 
eine für die Geschlechtszellen allein ‘begrenzte Bedeutung haben, son- 
dern dab sie auf alle Zellen — geschlechtliche wie auch somatische — 
angewandt, dieselbe stimulierende Wirkung der Zellfunktionen haben 
müssen, indem sie dieselben beschleunigen und heben: die Agentien der 
künstlichen Parthenogenese nehmen somit den ‘Charakter allgemeiner 
Zellstimulantien an. 


Durch Injektionen von künstlich parthenogenetischen Mitteln 
(MgCl,, MgCl, + NaCl, MnCl,, Äther) in ruhende Pflanzen (Syringa 
vulgaris) war es mir gelungen (1916), diese zu schnellerem Wachstum 
und zur Entfaltung der Blatt- und Blütenknospen anzuregen. Die- 
selben Mittel auf tierische Gewebe (atonische und langsam heilende 
Wunden beim Menschen) (1916) angewandt, zeigten die nämlichen, 
günstigen Resultate, d. i. eine Belebung des atonischen Gewebes und 
infolgedessen eine schnellere Epithelisierung und Schließung der Wunde. 

Fußend auf diesen Resultaten bei Anwendung der künstlich-par- 
thenogenetischen Agentien auf somatische Zellen habe ich die Ver- 
suche nach allen Richtungen hin fortgesetzt, um die stimulierende Wir- 
kung einer großen Anzahl der empirisch gefundenen künstlich-partheno- 
genetischen Mittel zu erforschen. 

Bei meiner neuen Untersuchungsserie (1920—1922) bin ich wieder 
von den Versuchen mit in Winterruhe sich befindenden Pflanzen aus- 
gegangen. In den Monaten Dezember, Januar und Februar wurden 
gleichgrobe Zweige von einer und derselben Pflanze (Syringa vulgaris, 
Aesculus hippocastanum) abgeschnitten und unter Beibehaltung einer 
normalen Kontrolle (unbehandelte Zweige) und einer Wasserkontrolle 
(die unter den Knospen mit Wasser injiziert wurde) die übrigen Zweige 


1) Depression der Protozoenzelle und der Geschlechtszellen der Metazoen. Arch, 
f. Protistenkunde Festband R. Hertwig 1907. 

2) Experimentelle Zellstudien I, II, III und IV. Archiv für Zellforschung Bd. TI, 
III, IV, XIV 1908, 1909, 1915. 

3) Über den Einfluß chemischer Reagentien auf den Funktionszustand der Zelle, 
Ges. für Morph. und Physiologie in München 1909. 

4) Über stimulierende Einwirkungen auf Zell- und Geweberegeneration. D. Mediz, 
Wochenschrift 1915. 

5) Künstliche Parthenogenese und Zellstimulantien. Biol. Centralblatt 1916. 

6) Über die Behandlung atonischer Wunden mit Äther. Der Militärarzt 1916. 


396 M. Popoff, Über die Stimulierung der Zellfunktionen. 


mit Lösungen verschiedener Konzentration von MgOl,, MgOl, + NaQl, 
MgSO,, MnCl,, MnSO,, Äther, Kal. arsenicosum, Strychninum nitri- 
cum, Ameisensäure, Acidum. lactieum, BaO + MnO,, Fettsäuren u.a. 
— die in der Mehrzahl künstlich-parthenogenetische Mittel sind —, 
unter den Knospen mit sehr feinen Spritzennadeln injiziert. Darauf- 
hin wurden alle Zweige unter ganz gleichen Belichtungs- und Wärme- 
bedingungen in Wasser ins Treibhaus gestellt. Nach ca. 20 Tagen 
zeigten sich schon große Unterschiede zwischen den Kontrollen und 
den Versuchszweigen. Die Kontrollzweige waren zurückgeblieben in 
ihrer Entwicklung, während in derselben Zeit die Versuchszweige stark 
gewachsene, gut entwickelte und aufgesangene Blütenknospen zeig- 
ten. Besonders schöne Resultate gaben die Injektionen mit MgÜl,, 
MgCl, + MgSO,, MgCl, + NaCl, MnCl, + MnSO,, Kalium arseni- 
cosum, Strychninum nitrieum und Ameisensäure. Zu einem Auf- 
blühen der Blütenknospen kam es nicht, da nach der Erschöpfung der 
in dem Gewebe der Versuchs- und Kontrollzweige enthaltenen Reserve- 
nahrung die Entwicklung stehen blieb. Dieser Entwicklungsgrad war 
aber genügend, um die starke stimulierende Wirkung der angewandten 
künstlich-parthenogenetischen Mittel zu beweisen. 

Außerdem wurden Injektionen mit MgCl,, BAO — MnO, und mit 
Äther in die Knollen von wachsenden Cyclamen vorgenommen. Auch 
hier zeigten die behandelten Pflanzen ein üppigeres Wachstum und ein 
reichlicheres Blühen als die normalen, unbehandelt gebliebenen Kon- 
trollen. 


Ermuntert durch diese günstigen Resultate wurden weiter vom 
Jahre 1920 anfangend auch Versuche unternommen nicht nur auf schon 
ausgewachsene oder in Ruheperiode sich befindende Pflanzen stimulie- 
rend einzuwirken, sondern es wurde der Versuch gemacht, mit den- 
selben künstlich-parthenogenetischen Mitteln auch die Pflanzensamen 
selbst zu behandeln, um auf diese Weise ein üppigeres und kräftigeres 
Wachstum der aus denselben sich entwickelnden Pflanzen zu erzielen. 
Und dies ist mir in der Tat gelungen. 

Die mit M&Cl,, MnCl, oder mit Mischungen von MgCl, + MnÜl,, 
MgCl, + Mn(NO,),, MgSO, + MnS0,, MgCl, + Mn(NO,),, mit 
Acidum lacticum, Nikotin, Fettsäuren, NaCl und anderen künstlich- 
parthenogenetischen Mitteln verschieden lang behandelten Samen von 
Getreide, Mais, Petersilie, Gras, Levkojen etc. zeigten ein viel stärkeres 
Wachstum nicht nur im Vergleich mit den Trockenkontrollen, sondern 
auch mit den entsprechenden Wasserkontrollen. So bekam ich bei der 
Petersilie und dem Gras fast um mehr als ein Drittel größere und 
stärkere Pflanzen und dies besonders nach der Behandlung mit MgÜUl,, 
mit M&Cl, + MnCl, und mit MnCl,. Größere, stärker wachsende und 
üppigere Pflanzen erhielt ich auch von Getreidesamen und von Mais. 
Genaue Daten über die Erträge, die aus diesen Pflanzen erzielt wurden, 
werde ich in meiner ausführlichen Arbeit publizieren. 





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' 


M. Popoft, Über die Stimulierung der Zellfunktionen. 397 


Die Versuche mit den Samen beweisen ebenfalls, daß meine im 
Jahre 1915 gemachten Verallgemeinerungen über die Bedeutung der 
künstlich-parthenogenetischen Mittel als allgemeine Zellstimulantien be- 
rechtigt sind und dab diese Mittel auf die somatischen Zellen und folg- 
lich auch auf Pflanzensamen direkt angewendet zu Resultaten führen 
können, die eine große praktische und besonders auch wirtschaftliche 
Bedeutung gewinnen werden. 

Von den zellstimulierenden Versuchen ausgehend sind auch Unter- 
suchungen im Gang, die eine Aufklärung der malignen und gutartigen 
Neubildungen bei Pflanzen und Tieren bezwecken; diese sind, wie 
bekannt, als eine Exaltation der Zellfunktionen aufzufassen. 

Wie wirken nun die künstlich-parthenogenetischen Mittel, beson- 
ders die aktivsten von ihnen, zu welchen die Magnesium-, Mangan- 
und die Natriumsalze zählen, auf die somatischen Zellen? Um diese 
Frage zu beantworten, habe ich Versuche mit einzelligen Tieren, mit 
Infusorien, angestellt. Es zeigte sich, wenn auf normal sich teilende 
Paramaecien für kurze Zeit mit künstlich-parthenogenetischen Lösungen, 
besonders mit solchen von MeCÜl, *ingewirkt wurde, daß eine Fr- 
höhung der Teilungsrate zu erzielen war: Nur ein Beispiel. In einem 
Versuch, angestellt mit gleichgroßen Tieren derselben Filiation, habe 
ich in der mit zwei ausgewachsenen Tieren angefangenen normalen 
Kontrolle am 7. Tage 242 Tiere bekommen. In der optimal mit 
MgtCl, stimulierten Kultur, die ebenfalls mit zwei ausgewachsenen Tieren 
angefangen wurde, war nach derselben Zeit die Zahl der Paramaecien 
2027. In einer dritten gleichfalls mit zwei ausgewachsenen Tieren 
angefangenen, aber weniger günstig stimulierten Kultur habe ich ge- 
nau nach derselben Zeit 864 Tiere gezählt. Wie aus diesen Versuchen 
zu ersehen ist, sind die Unterschiede zwischen den normalen und den 
stimulierten Kulturen sehr große. Man hätte erwarten können, daß 
die Tiere der stimulierten Kulturen infolge des schnelleren Teilungs- 
tempos eventuell in der Größe abgenommen hätten. Gerade das Gegen- 
teil war aber der Fall. Die am schnellsten sich teilende Kultur zeigte 
die größten Tiere, die schwächer stimulierte Kultur bestand aus Tieren, 
welche die Mitte zwischen der Normalkultur und der optimal stimu- 
lierten Kultur hielten. Hier nur einige Mittelzahlen, gewonnen aus 
Messungen von je 30 gleich nach der Teilung in Pikrinessigsäure ab- 
getöteten Tieren: m der Normalkultur war die Länge der Tiere 130 « 
und die Breite 54 a; in der optimal stimulierten Kultur zeigten die 
Tiere eine Länge von 15& u und eine Breite von 58 «: in der schwächer 
stimulierten Kultur waren die Tiere 140 « lang und 64 « breit. Diese 
erhebliche Größenzunahme wurde auch weiterhin beibehalten; ein Be- 
fund, der auch vererbungstheoretisch von Bedeutung ist. Ähnliche 
Resultate ergaben auch die Messungen der aus stimuliertem Sameu 
gezüchteten Pflanzen. Es zeigte sich, daß die erhöhte Größe dieser 
letzteren nicht nur auf die erhöhte Zellenzahl zurückzuführen ist, son- 


398 M. Popoff, Über die Stimulierung der Zellfunktionen. 


dern daß auch die Größe der Zellen selbst eine Steigerung erfahren 
hat. Genaue Zahlenangaben darüber werde ich in der ausführlichen 
Arbeit mitteilen. 

Die Erhöhung der Teilungsrate und die Steigerung der Größe der 
stimulierten Zellen deuten darauf hin, daß unter der Einwirkung der 
zellstimulierenden Mittel eine Erhöhung der Intensität der Lebens- 
funktionen im allgemeinen und folglich der Assimilations- und Oxyda- 
tionsprozesse herbeigeführt wird. In diesem Zusammenhang ist es von 
Bedeutung, die Untersuchungen Willstätters über das Chlorophill 
zu erwähnen, nach welchen das Magnesium ein wichtiger Bestandteil 
desselben ist und eine große biologische Rolle bei seinen Funktionen 
spielt. ; 

Ausführlich über alle diese Fragen und die Ausarbeitung der 
vielen hier nur angedeuteten Resultate werde ich im Archiv für Zell- 
forschung berichten. 


So 472... Jun 1922: 

















Kurse über exotische Pathologie und medizinische 
Parasitologie. 


Im Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten zu Hamburg findet 
in diesem Jahre, vom 16. Oktober bis 9. Dezember, ein Kursus statt. 

Der Kursus umfaßt Vorlesungen, Demonstrationen und praktische 
Übungen über Klinik, Ätiologie, Übertragung, pathologische Anatomie 
und Bekämpfung der exotischen Krankheiten, Einführung in die patho- 
genen Protozoen, medizinische Helminthologie und Entomologie, exo- 
tische Tierseuchen und Fleischbeschau, Schiffs- und Tropenhygiene. (Mit- 
bringen von Mikroskopen erwünscht. Ausführliche Prospekte auf An- 
fragen.) 

Vortragende sind: B. Nocht, F. Fülleborn, G. Giemsa, F. Glage, 
M. Mayer, E. Martini, P. Mühlens, E. Paschen, E. Reichenow, H. da 
Rocha-Lima, K. Sannemann. 

Anmeldungen sind möglichst bis spätestens 1. Oktober an das 
Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten, Hamburg 4, Bernhard- 
straße 74, zu richten. 





Ausschreiben 


zur Bewerbung um ein Stipendium der Mochizuki-Stiftung bei der 
Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. 


| Auf Grund des Beschlusses des Verwaltungsausschusses der Mochi- 
zukistiftung vom 27. Mai d. J. wird gemäß SS 2 und 3 der Stiftungs- 
urkunde ein Stipendium für Forschungsarbeit in dem Fache der Bio- 
logie im weitesten Sinne in Höhe von mindestens 30000 Mk. jähr- 
lich auf 2 Jahre ausgeschrieben. 

Die Bewerbung unterliegt folgenden Bedingungen: 

1. der Bewerber muß promoviert haben; 

2. der Bewerber muß den Nachweis erbringen, daß er Neigung und 
Talent zur Forschung hat. Einreichung eines möglichst vollstän- 
digen Berichts über die bisherige Laufbahn und Tätigkeit, eventuell 
Publikationen, Zeugnisse ; 

3. der Bewerber darf keine besoldete Stelle innehaben ; 

4. der Bewerber darf nicht bereits im Genuß eines ähnlichen Stipen- 

diums sein. 

Gemäß 8 9 der Stiftungsurkunde kann die Kaiser-Wilhelm-Gesell- 
schaft verlangen, daß der Stipendiat seine Forschungsarbeiten in einem 
der Kaiser-Wilhelm-Institute ausführt. 

Bewerbungen, die auch Angaben über die Arbeitspläne enthalten 
sollten, sind bis spätestens 1. Oktober 1922 zu richten an den Präsi- 
denten der. Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 


Seine Exzellenz Professor D. Dr. v. Harnack 
Berlin C. 2, Schloß, Portal 2. 








J unge & Sohn, Univ.-Buchdruckerei, Erlangen 


- Biologisches Zentralblatt 


Begründet von J. Rosenthal 
Herausgabe und Redaktion: 


Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R, Goldschmidt und Prof. Dr. ©. Warburg 


in Berlin 
Veılag von Georg Thieme in Leipzig 
Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 28 








42. Band. Oktober/November 1922. Nr. 10 u. il 
ausgegeben am 15. Oktober 1922 











Der jährl. Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt innerhalb Deutschlands 120 Mk. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 





Den Herren Mitarbeitern stehen von ihren Beiträgen 30 Sonderabdrucke kostenlos zur 
Verfügung; weitere Abzüge werden gegen Erstattung der Herstellungskosten geliefert. 





Inhalt: 








D. Tollenaar. Statistik und Vogelzug. Mit 3 Abb. S. 401, 

A.-L. Steinberger, Über Regulation des osmotischen Wertes usw. 8. 405. 

H. C. v. d. Heyde, Studien über organische Regulation. II. S. 419. 

H. Eidmann, Die Durchlässigkeit des Chitins bei osmotischen Vorgängen. Mit 1 Abb. 8.429. 
R. Stumper, Quantitative Ameisenbiologie. 8. 435. 

Fr. Heikertinger, Sind Wanzen (Hemiptera heteroptera) durch Ekelgeruch geschützt? S. 441. 








Statistik und Vogelzug. 
Von D. Tollenaar (Wageningen, Holland). 


(Eine Kritik auf K. Bretscher „Zahlenmäßiges über den Vogelzug“ im Biol. Zentralbl 
Dezember 1921.) 
Mit 3 Abbildungen. 

In der Dezembernummer 1921 dieser Zeitschrift hat K. Bretscher 
(Zürich) die Ergebnisse Hermanns aus Ungarn bearbeitet und dieselben 
verglichen mit seinen eigenen aus der Schweiz. Er enthält inter- 
essante Resultate über die Ankunft der Vögel in Mitteleuropa in 
verschiedenen Höhen, an verschiedenen Orten, in verschiedenen 
Monaten. 

Am Ende aber gibt der Verfasser noch seine Anschauungen über 
den Zusammenhang zwischen Witterung und Ankunftszeit. In Ab- 
weichung von anderen gelangt er zu dem Schluß, es bestehe wenigstens 
zwischen Temperatur im Ankunftgebiet und Ankunftzeit kein Zu- 
sammenhang. Obwohl ich bezweifele, ob wirklich ein solcher Zu- 
sammenhang fehlt (aufGrund in Holland erworbenen Studiummaterials, 
das an anderer Stelle veröffentlicht wird), habe ich jetzt hier nicht 
die Absicht dieses zu bestreiten. Es scheint mir aber notwendig, die 
Methoden Bretschers, welche ihn zu diesem Schluß führten, zu kri- 
tisieren, weil sie meines Erachtens ganz und gar falsch sınd. 

42. Band. 26 


402 D. Tollenaar, Statistik und Vogelzug. 


S. 569sagt Bretscher: „Ich gestehe gerne, daß meine statistischen 
Zusammenstellungen über die Frage nicht durchaus beweisend waren'), 
weil eben das Beobachtungsmaterial für diesen Zweck immer noch 
in ungenügendem Maß vorhanden ist. Nun glaube ich ein Verfahren 
gefunden zu haben, das gestattet, der Lösung doch mit einiger Sicher- 
heit näher zu kommen. Dies mit einer Anwendung der Plus-Minus- 
Methode (nach Lipps). Ich habe aufgezeichnet, wie oft die mittleren 


Tagestemperaturen im Schweizer Mittelland in den Jahren 1894 bis _ 


1912 vom 1. März bis 15. April von einem Tage zum anderen zu- 
nahmen, abnahmen oder gleich waren. Ich wählte diese Zeit, weil 
aus ihr die meisten Zugsbeobachtungen vorliegen und den 1. März 
bis 15. April, weil der Einzug im genannten Gebiet erst mit März 
kräftiger einsetzt (s. „Vogelzug“ S. 39) und um die Mitte April den 
Höhepunkt erreicht. Während dieser Tage nehmen also im ganzen 
genommen sowohl die mittleren Tagestemperaturen wie die Angabe- 
zahlen zu. Deshalb kann nur die Vergleichung dieses ersten Teils 
der gesamten Zugskurve mit der gleichzeitigen Temperaturkurve ein 
ee Bild Er eine ee Bedingtheit der ersteren durch die 
zweite geben.“ 


Die oben zitierte Methode ist aber. sehr schlecht. Erstens ist es 
doch völlig willkürlich nur den Zusammenhang bis zum Maximum 
zu vergleichen. Wenn die Ankunftzeit der Zugvögel in Wirklichkeit 
eine Art Funktion der Temperatur wäre, so sollte man doch auch die 
Abnahme am Ende daraus erklären können ?). Es ist aber verfehlt (wenn 
wir einen Augenblick annehmen, daß eine Beziehung existiert), daß 
dann jedesmal eine Steigerung der Temperatur mit einer Stei- 
gerung des Zuges und eine Abnahme der Temperatur mit einer 
Abnahme des Zuges zusammentreffen muß. Dies ist der Haupt- 
fehler, welchen wir vorerst noch mit Beispielen erläutern wollen. In 
einer Abhandlung über „Eggproduction and Laying periods of some 
‘wild birds, as compared with those of Domestic Fowl“?) habe ich 
neuerdings bewiesen, daß ein bestimmter Zusammenhang zwischen 
Temperatur und Bıutanfang einiger Meisenarten besteht. Auch eın 
anderer holländischer Ornithologe G. Wolda ist zu demselben Schluß 
Belanbt Er hat mathematisch gezeigt, daß wenn im April die Morgen- 


1) Diejenigen aus Bretschers „Der Vogelzug in Mitteleuropa*. 

2) Im „Vogelzug in Mitteleuropa“ sagt Bretscher S. 155: „Die einfache Über- 
legung, daß der Zug der einzelnen Arten wie als Ganzes nur schwach einsetzt, sich 
bis zu einem Höhepunkt steigert, um dann wieder abzuflauen, während die Wärme 
im allgemeinen bis nach dem Ende der Zugszeit zunimmt, kann schon dazu führen, 
in ihr nicht das bedingende Moment zu erblicken.“ Eben dieser Grundgedanke 
ist aber falsch! 

3) D. Tollenaar, „Legperioden en Eierproductie van .eenige wilde vogels, ver- 
len met die van onze hoenders“, with a summary in english. Meded. Landbouw- 
Hoogeschool, 1922 (Veenman, Wageningen: fl. 1.—). 

4) G. Wolda, „Ornithologische Studies“ avee Resume en francais, 1918 
(V. Langenhuizen, Haag). 


D. Tollenaar, Statistik und Vogelzug. 403 


temperatur mehr als 4° C. beträgt, die Eierproduktion anfängt. Ist die 
Temperatur niedriger, so findet keine Eierproduktion statt, wird so- 
gar die Eiablage gehemmt. Wir wollen einmal den theoretischen Fall 
betrachten, daß die Morgentemperatur sich anfangs April plötzlich auf 
z. B. 8’ ©. stellte und während des ganzen Monats dieselbe blieb. 
Wir dürfen dann auf biologisch-mathematischer Grundlage erwarten, 
daß die Zahl Individuen, welche an jedem Apriltage eine Brut beginnt, 
sich im Laufe des Monats zuerst steigern wird zu einem Maximum, 
darauf wieder regelmäßig hinabfallen wird, wie in Abb. 1a angegeben 
ist. Es geschieht jedoch natürlich nie, daß die Temperatur während des 


Abb. la und b. Normale und einseitige Frequenzverteilung. 


































































































Abb. 2. Abb. 3. 


Abb. 2. Brutanfangsfrequenz bei Parus major im Jahre 1920. 
Abb. 3. Brutanfangsfrequenz bei P, major P. coeruleus mit mittlerer Temperatur im 
Jahre 1919. 

Brutanfangs völlig konstant bleibt. Im Jai:zre 1920 hat sich in Holland 
aber die Temperatur während des Brutanfangs von Parus major innerhalb 
jedenfalls sehr engen Grenzen bewegt und das Resultat war, wie wir 
erwarteten und wie aus Abb. 2 ersichtlich ist: eine annähernde Wahr- 
scheinlichkeits- (oder Galton-, Quetelet- oder binomiale) Kurve trat 
zum Vorschein. 

Wir ersehen also, daß hier bei einer Erscheinung, welche zweifel- 
los mit der Temperatur in Zusammenhang steht, sich doch bei gleich- 
bleibender Temperatur eine Frequenzsteigerung im Anfang und 
eine allmähliche Frequenzabnahme am Ende zeigt. Ja, wir dürfen 


26° 


404 D. Tollenaar, Statistik und Vogelzug. 


sogar annehmen, daß trotz des Zusammenhanges mit der Temperatur 
bei einer kleinen Temperaturabnahme in der ersten Hälfte sich doch 
noch eine Steigerung der Brutanfangfrequenz ergeben wird, ob- 
wohl diese Steigerung geringer sein wird als bei gleichbleibender 
Temperatur. Erst eine große Temperaturabnahme wird imstande sein 
die Frequenzsteigerung ım Anfang in eine Abnahme zu verwandeln, 
wie im Jahre 1919 auch wirklich gefunden wurde und was die Abb. 3 
uns deutlich zeigt. 

Wenn die Temperatur nicht konstant bleibt, aber, wie dies im 
Laufe des Frühlings im Mittel (einer großen Anzahl Jahre) der Fall 
ist, steigt, so darf man bei einer Erscheinung, die wie Brutanfang 
und vielleicht Zug von der Temperatur abhängig ıst, nicht mehr die 
einfache Frequenzverteilung erwarten, welche, wie wir sahen, bei gleich- 
bleibender Temperatur besteht. Die annähernde Wahrscheinlichkeits- 
kurve wird jetzt eine Abänderung zeigen müssen. Stützend auf die 
Betrachtungen von zwei holländischen Mathematikern Kapteyn und 
van Uven über „Skew Frequency-curves in Biology and Statisties“°), 
dürfen wir in diesem Falle eine links schroff ansteigende Kurve er- 
warten. Einen Typus dieser Kurve findet man in Abb. 1b. Sie zeigt 
uns, daß in diesem Falle die Anzahl Tage, an denen die Temperatur- 
zunahme mit einer Frequenzzunahme der Erscheinung zusammengeht, 
geringer ist als die Anzahl Tage, wobei die Temperaturzunahme von 
einer Frequenzabnahme begleitet wird. Der Grund ist einfach dieser, 
daß die Steigerung viel schneller verläuft als die Abnahme. 

Neben der falschen Auffassung, daß bei Existenz eines Zusammen- 
hanges zwischen Temperatur und einer anderen Erscheinung (Brut- 
anfang oder Zug), jede Steigerung und Abnahme der Temperatur auch 
an einer Zu- und Abnahme in dieser Erscheinung beantworten soll, 
wird die Methode Bretschers auch aus anderen Gründen einen 
möglichen Zusammenhang niemals hervorbringen können. 

Bretscher hat zum Beispiel auch niemals der Stärke der Zu- 
und Abnahme Rechnung getragen. Eine große oder sehr kleine Zu- 
nahme alles ist bei ıhm einerlei. Es ist doch einfach einzusehen, 
daß eben die kleinen „zufälligen“ Zu- und Abnahmen der Temperatur 
keinen Einfluß ausüben werden. Wenn wir auf Abb. 2 die Methode 
Bretschers (oder Lipps) anwenden, wird dies sofort ersichtlich. 
Wir finden dabei für: P. major 6+4+, 3%, (ER 2 les sl len 
10 mal ein positiver und 10 mal ein negativer Zusammenhang. Bei 
P. coeruleus finden wir in ähnlicher Weise. 13mal einen negativen 
und 9mal einen positiven Zusammenhang. Während wir sofort mit 
Gewißheit einen Einfluß der Temperatur feststellten, gibt die von 
Bretscher benutzte Methode keinen oder sogar einen negativen 
Zusammenhang! Genau dasselbe erhalte ich, wenn ich die Bret- 
schersche Methode anwende auf die Beziehung zwischen Temperatur 


5) J. G. Kapteyn and M.J. van Uven, „Skew Frequency Curves in Biology 
and Statistics“, 1916 (Hoitsema Brothers, Groningen), fl. 1.—. 





A.-L. Steinberger, Über Regulation des osmotischen Wertes usw. 405 


und Gesang°). Obwohl auch dort ein Zusammenhang der Temperatur- 
maxıma und -minima mit denjenigen des Gesanges überaus deutlich 
ın den Abbildungen zum Ausdruck kommt, ist mit der Bretscher- 
schen Methode in folge der vielen kleinen zufälligen Schwankungen 
und der Vernachlässigung der Größe dieser Schwankungen nicht der 
geringste Zusammenhang nachzuweisen. 

lch glaube, daß mit diesen Beispielen genügend bewiesen ist, 
daß die von Bretscher benutzte Methode zur Auffindung eines 
eventuellen Zusammenhanges zwischen Ankunftzeit der Zugvögel und 
Temperatur in ihrem Brutgebiet nicht richtig ist. 

Ich möchte außerdem noch eine kleine Bemerkung machen. 
Bretscher hat nachgewiesen, daß in südlichen Gegenden und in 
Tiefebenen die Zugvögel im Mittel früher erscheinen, als in nördlichen 
Gebieten und höheren Gebirgsgegenden. Dies scheint für Bretscher 
keine Andeutung, daß vielleicht ein Zusammenhang zwischen Ankunft 
und Klimaverhältnissen besteht (wärmere Süd- und Tiefebenen!). Jeden- 
falls ıst dagegen auch immer der Einwand möglich, dieser frühere 
oder spätere Fintritt sei in früheren Zeiten, als die Umstände viel 
ungünstiger waren (Eiszeit) ererbt worden. Dieser Einwand war 
nicht möglich, wenn wir die Ankunftdaten der Zugvögel in den auf- 
folgenden Jahren mit den jeweiligen Temperaturschwankungen ver- 
gleichen würden und es käme eine Beziehung hervor. Dies hat Bret- 
scher aber ebensowenig getan. Er hat die Ergebnisse aller Jahre 
zusammengefaßt und daraus jedesmal das Mittel berechnet, obwohl 
viele Arten so zahlreiche Daten enthielten, daß eine solche Ver- 
gleichung der aufeinanderfolgenden Jahre berechtigt war. Wir 
dürfen also sagen, daß Bretscher keine einzige Methode be- 
nutzt hat, wobei eine eventuelle Beziehung zwischen 
Temperatur und Ankunftzeit hätte zum Vorschein treten 
können. 


Über Regulation des osmotischen Wertes in den 
Schliesszellen von Luft- und Wasserspalten. 
Von Anna-Luise Steinberger, geb. Hurt. 


Während durch die Arbeiten von Lloyd und von Rosing seit 
1905 bekannt war, dab der Stärkegehalt der Schließzellen mit der Be- 
wegungstätigkeit der Stomata schwankt, hat erst 1915 Iljin aufsehen- 
erregende Mitteilungen über die Schwankungen des osmotischen Wertes 
der Schließzellen gemacht: bei russischen Steppenpflanzen sollte der 
osmotische Wert der maximal turgeszenten Schließzellen, bei weit ge- 
ölfneten Stomata, um 70—80 Atm. über dem der übrigen Epidermis- 





6) Aus: D. Tollenaar „Zangstatistiek en Zangverklaring“, 1922 (Selbstverlag: 
fl. 0,35). Erscheint auch in der deutschen Sprache in der folgenden Lieferung der 
„Mitteilungen über die Vogelwelt“, Ausgabe der Süddeutschen Vogelwarte, Stuttgart. 


406 A.-L. Steinberger, Über Regulation des osmotischen Wertes usw. 


zellen liegen; beim Spaltenschluß, wie er durch Verdunklung und durch 
Wasserentziehung beim Welken herbeigeführt wird, sollte der osmotische 
Wert der Schließzellen rasch sinken bis zur Abgleichung mit dem Wert. 
der umgebenden Epidermiszellen. Diese Befunde widersprachen der herr- 
schenden Schulmeinung, wonach die Turgordruckdifferenzen zwischen 
Epidermis und Schließzellen unbeträchtlich sein sollten und der Spalten- 
schluß beim Welken rein passiv durch Wasserverlust herbeigeführt 
werden sollte. Es verlohnte sich deshalb wohl, die Angaben Iljins 
auf breiterer Grundlage nachzuprüfen, um so mehr, als es Hagen (1916) 
nicht gelungen war, eindeutige plasmolytische Bestimmungen auszu- 
führen. Die im folgenden mitgeteilten Untersuchungen sind auf Ver- 
anlassung und unter Leitung von Herrn Prof. Renner im botanischen 
Institut in München-Nymphenburg ausgeführt worden, in der Zeit von 
Oktober 1919 bis August 1920. Eine ausführlichere Darstellung als 
sie hier gegeben wird ist als maschinengeschriebene Dissertation auf 
der Bibliothek der Universität Jena niedergelegt. — Die Arbeit von 
Wiegans (1921), die Iljins Angaben für 4 Gartenpflanzen be- 
stätigt, ist nach Ablieferung der Dissertation erschienen. 


Vorversuche. a) Plasmolyse mit Salzlösungen. 


Nicht zu dünne Flächenschnitte von gesunden Blättern mittleren 
Alters wurden zur Bestimmung der plasmolytischen Grenzkonzentration 
in Kochsalzlösungen von den Konz. 0,05 bis 2,00 GM (volumnormal), mit 
Abstufungen von 0,05 GM gebracht; seltener wurde, zu Anfang, Kalısal- 
peter verwendet, der bei den höchsten osmot. Werten wegen zu geringer 
Löslichkeit nicht mehr brauchbar war. Die Verringerung des Zellvolu- 
mens bei der Plasmolyse ist nicht berücksichtigt, die gefundenen Werte 
sind also durchweg zu hoch; der Fehler muß um so größer sein, je 
stärker die Membran der turgeszenten Zelle gedehnt war. Die Fest- . 
stellung der Grenzkonzentrationen geschah 5—-10 Min. nach der Ein- 
tragung der Schnitte in die Lösungen. Die ersten Versuche mit KNO; 
hatten nämlich ergeben, daß die Grenzkonzentration .mit der Zeit be- 
trächtlich steigt. So waren die Schließzellen von Zebrina plasmolysiert: 
nach 5 Min. in 0,4, nach 15 Min. in 0,6, nach 60 Min. in 1,0 GM. 
Augenscheinlich permeiert das Salz leicht durch das Plasma. Dazu kann 
noch eine Wirkung auf das enzymatische System kommen: während 
in Wasser oder in Zuckerlösung liegende Schließzellen z. B. von Zebrina 
immer Stärke enthielten, verschwand die Stärke in den Salzlösungen. 
Die Erscheinung soll demnächst von anderer Seite genauer studiert 
werden. 

Die Spaltweite wurde gemessen an in Alkohol fixierten Flächen- 
schnitten, und zwar wurde jeweils das Mittel aus 20 Messungen ge- 
nommen; ein Mikrometerteilstrich. ist so viel wie 2,5 u. Dieselben 
Schnitte wurden, wenn der Stärkegehalt ermittelt werden sollte, in 
wässerige Jodjodkaliumlösung gebracht. 





A.-L. Steinberger, Über Regulation des osmotischen Wertes usw. AIT 
b) Wirkung von Rohrzuckerlösungen. 

Nachdem die hohe Permeabilität der Schließzellen für KNO, er- 
kannt war, wurden Plasmolyseversuche mit Rohrzucker gemacht. Diese 
ergaben zunächst viel niedrigere Werte als die mit Salpeter. Doch han» 
delt es sich dabei nicht nur um das Fehlen des Eindringens des Zuckers 
ins Plasma, sondern um eine aktive Herabsetzung des osmotischen 
Wertes der Schließzellen, wohl infolge der Wasserentziehung durch die 
nicht permeierende Lösung. In einem Versuch lag die plasmolytische 
Grenzkonzentration nach 5 Min. bei 0,60 GM Rohrzucker, bei Spalten, die 
vorher 5 Teilstr. weit geöffnet waren, nach 15 Min. schon bei 0,20 GM, 
nach 60 Min. ebenso; nach 15 Min. hatte entsprechend die Spaltweite 
in hypotonischen Lösungen auch schon auf 1 Teilstr. abgenommen. 
Auf Grund dieser Beobachtungen wurde Zucker nie wieder verwendet. 
Wasserentziehung findet bei Plasmolyse auch statt, wenn KNO, oder 
NaCl das Plasmolytikum ist, aber die erwähnte Wirkung der intra- 
meierenden Salze läßt es nicht zu einer Vermehrung der Stärke kommen, 
sondern arbeitet auf den umgekehrten Prozeß hin, wenn auch mit, wie 
es scheint, geringerer Geschwindigkeit. Nicht zu vergessen ist auch 
die Möglichkeit, daß die Permeabilität des Schließzellenplasma im 
Zustand größter Spaltenweite höher ist als bei geschlossener Spalte. 
zum mindesten, wenn der Spaltenschluß durch Verdunklung herbei- 
geführt ist. 

I. Grundversuche an Zebrina pendula (Tradescantia zebrina). 

Auf alle Fälle ist es bei geöffneten Spaltöffnungen sicher recht 
schwer, genaue osmotische Bestimmungen mit der plasmolytischen Me- 
thode auszuführen, und deshalb ist auf feine Abstufung der Lösungen 
var kein Wert gelegt worden; vielleicht sind manche der beobachteten 
Werte auch infolge des Eindringens der Salzlösung zu hoch ausge- 
fallen. 

Gleich die ersten Versuche ergaben eine Bestätigung der Angaben 
Iljins: bei gar nicht sehr hellem Winterwetter übertraf an gut mit 
Wasser versorgten Topfpflanzen von Zebrina der osmotische Wert der 
Schließzellen den der Epidermis weit, er sank bei Verdunklung rasch, 
in dem Maße wie die Spalten sich schlossen, und stieg auf Erhellung mit 
der Erweiterung der Spalten; er war im Licht besonders hoch zu 
treiben durch Aufenthalt der Pflanzen unter einer feuchten Glocke, 
fiel rasch auf das Niveau der Epidermis an Blättern, die zum Welken 
ausgelegt waren, während die Epidermis ihren osmotischen Wert im 
Lauf einiger Stunden um ein 'weniges erhöhte, und er blieb dauernd 
niedrig bei schlechter Wasserversorgung. Die niedrigen Werte sind 
wegen der groben Abstufung der Lösungen recht ungenau ermittelt. — 
Hand in Hand mit den Veränderungen des osmotischen Wertes gehen 
solche des Stärkegehalts; geschlossene Spaltöffnungsapparate enthalten 
große Stärkekörner in ihren heligrünen Chromatophoren, die Stärkemenge 
nimmt ab mit der Öffnung der Spalten, und bei maximaler Öffnungs- 
weite sind oft nur noch Spuren von Stärke vorhanden. Wird Spalten- 
schluß erzwungen, so erscheint die Stärke auf der Stelle wieder. 


408 A.-L. Steinberger, Über Regulation des osmotischen Wertes usw. 


Einige Versuche: 
1. Wirkung der Verdunklung. 

a) Stomata im Licht: 1,5 GMKNO,; !/,St. dunkel: De 1/, St. dunkel: 0,15 
Spaltweite: 5,0 Teilstr. 2,0 1 2 
b) Stomata im Licht: 1,0 GM; 5 St. dunkel: 0, 30;3 Tagedunkel: 0, 30 
Epidermis: 0415 0. 10° 0, 10 

2. Wirkung der Erhellung unter der Glocke. 
1'/, St. dunkel: Stom. 0,50 GM; Spaltweite 1,8 Teilstr.; Epid. 0,15 GM 
ot. grelle 1.95 4,5 0,15 


Wıiggans hat an demselben Objekt im Licht osmotische Werte 
bis zu 0,19GM CaÜl,, im Dunkeln 0,10 GM gefunden. Der höchste Wert 
entspricht etwa 11 Atm., während in meinen Versuchen Werte von 1,5GM 
KNO, gleich etwa 55 Atm. und darüber vorkommen. Das dürfte mit 
verschieden reichlicher Wasserzufuhr zusammenhängen. Allerdings ist 
bei dem 'wenig permeierenden OaUl, aber auch die Gefahr, zu hohe plas-. 
molytische Werte zu bekommen, geringer als bei KNO, und Nall. 


3. Wirkung des Welkens abgetrennter Blätter im Licht; 
Plasmolytikum KNO;. 
a) Stomata verschiedener Blätter frisch: 0,80 GM 0,50; 0,60; 0,35 


Derselben Blätter welk: 0,30 0,20 0,20 0,15 
b) Stomata: frisch 1,0GM; 1St.w.0,3; 2St.0,25; 3Std. 0,20; 48t.0,20; 58t. 0,2 
Spaltweite: 3,3 Teilstr. 115 ‚2 0,4 0 0 
Epidermis: - 0,15 GM 0,15 0,20 0,20 0,20 0,20 
c) Stomata: 1,0 GM 0,45 0,40 0,25 0,20 
Spaltweite: 2,8 Teilstr. 1,7 0,6 0 0 
Epidermis: 0,15 GM 0,15 0,25 0,20 0,30 
d) Stomata: frisch 1,00GM ;!/,St. w.0,50; 1 St. 0, 40: 11/, St. 0,30; 2St.0,30; 3 St. 0,25 
Spaltweite: 2,6 Teilstr. 2,4 2,2 1,8 155 en 
Epidermis; 0,10 GM 0,15 0,15 0,15 0,15 0,20 


Wiggans hat den Einfluß des Welkens nicht studiert. 
4. Wirkung der Wasserversorgung auf ganze Topfpflanzen. 


a) Topf I trocken gehalten, II sehr feucht gehalten; Bestimmungen 
mittags an ziemlich trüben, zeitweise etwas sonnigen Januartagen. 


1 Tag unter den angegebenen Bedingungen: 4 Tage: 
Stomata Spaltweite Epid. Stomata Spaltw. Epid. 

I. 010GMNaCl 0 Teilstr. 015GM 0,10GM 0 Teilstr. 0,25 GM 

112,20.50 2,0 015 1,45 2.9 0,20 


b) Topf I trocken, II normal feucht, III seit längerer Zeit sehr 
feucht gehalten. Bestimmungen mittags. Spalten bei I und Il fast ge- 
schlossen, bei III 4,1—6,2 Teilstr. weit offen. Epidermis bei I 0,30 
bis 0,35 GM, bei II v, 10—0,15 GM, bei IH 0,10 GM Nadl. 
Schließzellen: 15=.x11. 419 trüb 16. XI. 19 trüb 14.7920. hell 


Pflanze I 0,10 GM NaÜl 0,10 0,10 
u 0,10 0,10 0,35 
III 1.55 1,55 2,0 


Lange dauernder Aufenthalt im feuchten Raum führte nicht immer, 
aber doch oft, eine Überdehnung der Schließzellmembranen herbei, sodaß 





A.-L. Steinberger, Über Regulation des osmotischen Wertes usw. 409 


die Stomata beim Welken und bei Plasmolyse sich nicht mehr ganz zu 
schließen vermochten. Dasselbe hat Bergen (1909) von Keimpflanzen 
berichtet. 


5. Gleichzeitige Wirkung von Welken und starker Belichtung. 
20. Juli 1920. 


Blatt frisch von der Pflanze: Schließz. 1,0 GM Na0l; Spaltw. 5,2 Teilstr. 
!/, St. in der Sonne gewelkt: 5 0,50 GM Sa 6 


6. Wirkung übermäßiger Wasserzufuhr. 

Die Angaben über den Erfolg, den das Einlegen von Schnitten in 
Wasser auf die Spaltweite hat, gehen weit auseinander. Am häufigsten 
sind die Beobachtungen, dab geöffnete Spalten in Wasser sich zunächst 
schließen, um nach längerer Zeit sich wieder zu öffnen; gelegentlich ist 
beim Einlegen welker Blätter in Wasser auch vorübergehende Öffnung 
vorher geschlossener Spalten gefunden worden (Amaryllis nach Mohl, 
zitiert bei Pfeffer 1897, S. 173). Bei Zebrina schlossen sich geöffnete 
Spalten in Wasser ebenso sicher und rasch, meist in Ya Std., wie bei 
Verdunklung und bei Welken, und dabei vermehrte sich die Stärke in 
den Schließzellen in der augenfälligsten Weise. Derselbe Erfolg stellte 
sich ein, wenn ganze Blätter unter der Luftpumpe mit Wasser injiziert 
wurden, langsamer, wenn abgetrennte Blätter einfach in Wasser unterge- 
taucht wurden; durch Wundreiz ist also die Reaktion an Schnitten wohl 
nicht bedingt!). Der osmotische Wert der Schließzellen fiel dabei eben- 
falls wle beim Welken, z. B. von 1,0 GM KNO, auf 0,4, von 1,60 auf 
0,25, von 0,70 auf 0,20, von 0,60 auf 0,20. — Als dieselben Versuche 
später mit Paeonia officinalis wiederholt wurden, sank der osmotische 
Wert von 0,90 auf 0,50—0,30 GM Natl. 


Der Zustand der Stärkearmut und des hohen Turgordrucks scheint 
also in den Schließzellen sehr labil zu sein: durch die verschiedenartigsten 
Reizanstöße wird die Regeneration der Stärke aus den mutmaßlichen 
Hydrolyseprodukten und die Senkung des osmotischen Werts veranlaßt, 
durch. Lichtentzug, durch Wasserentziehung und durch übermäßige 
Wasserzufuhr. Wenn starke Beleuchtung und Wasserverlust gegen- 
einander arbeiten, so siegt der Einfluß der Wasserentziehung, was öko- 
logisch, als Anpassung, wohl zu verstehen ist, kausal noch der Auf- 
klärung bedarf. 

An Epidermisstücken, die in Wasser liegen, bleiben die Schließ- 
zellen der Stomata oft viel länger als die übrigen Epidermiszellen am 
Leben (Leitgeb, Hagen, Linsbauer 1918), und dabei nehmen 
die Schließzellen oft, indem sie sich sehr stark, mitunter bis zur Ring- 
form krümmen, die seltsamsten Gestalten an. Solches beschreibt Leit- 
seb von den Spaltöffnungen an Blütenhüllblättern, und ich selber habe 


1) Linsbauer (1916, S. 105) hat bei Hartwegia eomosa Öffnung der Spalten 
in der Nähe von Blattwunden beobachtet, 


410 A.-L. Steinberger, Über Regulation des osmotischen Wertes usw. 


die Erscheinung am Perigon von Veltheimia viridiflora, Aloe Schim- 
peri, Olivia nobilis gesehen. Eine Turgorzunahme, wie Leitgeb 
meint, findet hier in den Schließzellen nicht statt; bei Veltheimia z.B. 
werden stark verzerrte Schließzellen schon durch 0,10 GM NaCl kräftig 
plasmolysiert. Die Beobachtung Hagens (S.271), dab Spaltöffnungen 
von Tradescantia, die in einer verfaulten Epidermis noch leben und da- 
bei „unnatürlich weit offen“ sind, reichlich Stärke führen, stimmt damit 
überein; wenn mit der Zeit die Stärke durch Wachstum und Atmung 
aufgezehrt wird (Leitgeb), so ist das nicht zu verwundern, falls nicht 
durch Photosynthese in den Schließzellen Ersatz geschaffen wird. Die 
Schließzellen erhalten dadurch, daß der Gegendruck der Nachbarzellen 
wegfällt, Gelegenheit, die Spalte zunächst weit zu öffnen; dann dehnen 
sich ihre Membranen mehr und mehr, und augenscheinlich findet sogar 
noch Wachstum des ganz selbständig gewordenen Zellenpaars statt. Mit 
der Erfahrung, daß übermäßige Wasserzufuhr den Turgordruck der 
Schließzellen auf das Minimum heruntersetzt, steht also die Erscheinung 
der Überdehnung durchaus nicht im Widerspruch. 


Nach Molisch (1921) verlieren abgeschnittene Laubblätter ihre 
Stärke viel rascher, wenn sie Gelegenheit haben zu welken, als wenn 
sie im feuchten Raum turgeszent bleiben. Die Regeneration der Stärke 
in den Schließzellen welkender Blätter ist also eine besondere, den Spalt- 
öffnungen eigene und im Dienst ihrer Funktion stehende Anpassung. 
Mit, dem Verschwinden der Stärke außerhalb der Schließzellen beim 
Welken könnte aber die Steigerung des osmotischen Werts in der Epi- 
dermis zusammenhängen, die sich beim Welken oft einzustellen scheint. 

Jedenfalls sind die Reaktionen der Schließzellen typische Reiz- 
erscheinungen. Den Ausführungen Iljins und Linsbauers (1916, 
1918) ist hier nichts hinzuzufügen. 


7. Osmotischer Wert und Stärkegehalt der Schließzellen. 


Seit Lloyd und Rosing nimmt man an, daß die Turgorsteige- 
rung in sich öffnenden Spaltöffnungsapparaten bei gleichzeitiger Ab- 
nahme der Stärkemenge durch Hydrolyse der Stärke hervorgerufen wird. 
Hagen (S. 272) hat bei Tradescantia virginica auf mikrochemischem 
Weg direkt nachgewiesen, daß mit dem Verschwinden der Stärke redu- 
zierender Zucker auftritt. 

Vorausgesetzt, die Stärke werde bei Zebrina in Glukose umgewandelt, 
fragte es sich, ob die beobachteten Turgorsteigerungen zahlenmäßig mit 
den verfügbaren Stärkemengen im Einklang stehen. Die mit vielen Un- 
sicherheiten behaftete Schätzung der Volumina von Zellsaft und Swärke- 
körnern ließ Übereinstimmung der beobachteten und der berechneten 
Steigerungen des osmotischen Werts wenigstens nach der Größenordnung 
erkennen. Weiter unten wird zu berichten sein, daß auch in Spalt- 
öffnungen, die nie Stärke besitzen, der osmotische Wert zwischen weiten 


A.-L, Steinberger, Über Regulation des osmotischen Wertes usw. 41 


Grenzen verändert wird. Es ist also wohl möglich, daß auch in Stärke- 
blättern die sichtbare Hydrolyse der Stärke nur einer der Vorgänge 
ist, mit deren Hilfe die Turgorsteigerung herbeigeführt wird. 


II. Versuche mit Avena sativa. 

In Töpfen gezogene Hafer-Keimpflanzen zeigten ganz ähnliche osmo- 
tische Werte wie Zebrina und dieselbe Regulation in den Schließzellen 
bei Verdunklung und beim Welken. Unter der Glocke feucht gehaltene 
Blätter gaben an einem trüben Januartag folgende plasmolytische Werte: 
in den Schließzellen 0,55 GM NaCl, in der Epidermis 0,10; offen im 
Gewächshaus gezogene Blätter hatten in beiderlei Zellen 0,30 GM. Der 
erste Topf zeigte bei sonnigem Wetter an mehreren Mittagen in den 
Schließzellen die Werte: 1,25, 1,75, 1,70, 1,30 GM NaCl, bei Spaltweiten 
von 2,4—3,1 Teilstrichen; in der Epidermis blieb der Wert bei 0,10. 
Beim Welken eines abgetrennten Blattes fiel der Wert in Ys Std. 'von 
1,70 auf 0,15, bei Verdunklung eines ganzen Topfes in Ys Std. von 
1,80 auf 0,50 GM. 


III. Freilandpflanzen: Stauden und Holzgewächse. 

Die ersten kleinen Stauden, die im März 1920 ihre Blätter und 
Blüten entfalteten, zeigten das gleiche Verhalten wie die Topfpflanzen 
von Zebrina und Avena, und nicht anders war es mit größeren Stauden 
und mit Holzgewächsen im Frühjahr und im Sommer. In der Sonne 
stieg der osmotische Wert der Schließzellen weit über den der Epi- 
dermis, Verdunklung und Welken setzte ihn rasch herab, bei trübem 
Wetter blieb er auch mittags niedrig, entsprechend der geringen Öff- 
nungsweite. Schwankungen im Stärkegehalt waren meist deutlich. Es 
genügt, die beobachteten Maxima und Minima der osmotischen Werte 
mitzuteilen. 


Stomata max. Stomata min. Epidermis 

(ralanthus Elwesii 0,75GM NaCl 0,30 0,15 —0,30 
Chionodoxa Luciliae 0,65 0,20 0,15—0,25 
Primula denticulata 0,60 0,30(0,15) 0,25(0,15) 
Arabis alpina 0,55 0,25 0,35 —0,15 
Paeonia officinalis 1,0 0,35 0,40 —0,20 
Gentiana lutea 1,35 0,70—0,35.  0,50—0,30 
Betula alba 0,90 0,40(0,20) 0,25— 0,20 
Syringa vulgaris 1.40 0,55 0,45— 0,70 
Forsythia suspensa 1,0 0,40 0,35 —-0,45 
Hedera helix 1,0 0,45 0,40 — 0,45 
Parthenoeissus radi- 

cantissima 0,70 0,350—0,20 0,20 —0,30 
Vinca minor 1,05 0,50 0,40 
Mahonia aquifolium 0,95 0,40 p 


Vor allem für die Holzgewächse ist hervorzuheben, daß an sonnigen 
warmen Sommertagen (im Juli und August) die höchsten osmotischen 
Werte am Morgen zu finden sind, ein beträchtlicher Abfall gegen Mittag 
stattfindet und mitunter wieder eine leichte Hebung am Nachmittag 


412 A.-L. Steinberger, Über Regulation des osmotischen Wertes usw. 


& 
ee 


eintritt; schon Iljin ist bei seinen Objekten auf dieselbe Erscheinung 
gestoßen, und in einem Versuch von Wiggans an ÜOyclamen ist sie 
ebenfalls zu finden. 


7230-2. mi 11 2° 30%2. mi 2% 30'p.-m. 6"p.m. 


Betula 0,90 0,55 0,50 0,40 
Syringa 1,40 1,15 1,00 1,00 
Forsythia 1,0 0.90 0,80 0,40 
Hedera 1,0 0,35 0,45 0,40 
Parthenveissus 0,70 0,30 0,25 0,40 


Denselben Gang hat Livingston für die „relative Transpiration“ 
bei entsprechenden Bedingungen regelmäßig beobachtet, und es ist jetzt 
erwiesen, daß die mittägige Depression der relativen Transpiration min- 
destens zum Teil auf aktiver Herabsetzung des osmotischen Werts der 
Schließzellen beruht. 


IV. Abweichende Typen: Sumpf- und Wasserpflanzen, Eranthis, 
Bei Pflanzen sehr feuchter Standorte ist vielfach mangelhafte Fähig- 
keit des Spaltenschlusses beobachtet worden. Wenn die Angaben ver- 
schiedener Autoren aüseinandergehen, so rührt‘ das wohl von hoher 
Variabilität der betreffenden Funktionen her. In eignen Untersuchungen 
verhielten sich noch ziemlich normal (alla, Alisma; ungewöhnlich war 
die große Unregelmäßigkeit der plasmolytischen Grenzkonzentration. bei 
den offenen Spaltöffnungsapparaten eines und desselben Epidermis- 
stücks. Bei den Schwimmblättern von Nymphaea und Limnanthemmm 
ergab sich, daß tatsächlich die Spaltweite sich auf Verdunklung und 
beim Welken wenig und langsam verändert und dementsprechend die 
Schwankungen des osmotischen Werts und des Stärkegehalts sehr ge- 
ringfügig ausfallen. Das Verhalten von Potamogeton natans ähnelt dem 
von Nymphaea. Auf Verdunklung verengern sich die Spalten sehr lang- 
sam und schließen sich zuletzt fast ganz. Der plasmolytische Wert fiel 
von 0,70 GM in 3 Std. auf 0,60; in 2Std. auf 0,55; von 0,65 über Nacht 
auf 0,55. Auch beim Welkenlassen abgetrennter Blätter ist die Er- 
niedrigung des osmotischen Werts kaum bemerkbar, die Spalten bleiben 
weit geöffnet, ja sie erweitern sich sogar noch; davon unten mehr. 


Stom. max. Stom. min. Epid. 

Calla palustris 0,45—0,80 0,20 0,20 & Na0l 
Alisma plantago, Luftblätter 0,45—0,80 0,20 0,20—0,30 
Nymphaea alba, Schwimm- 

blätter 0,55 — 0,50 0,45 0,20—0,25 
Limnanthemum nymphaeoides 

Schwimmblätter 0,45 0,30 0,30 
Potamogeton natans 

Schwimmblätter 0,65—0,70 0.55 0,30 — 0,35 


Nach Leitgeb und Darwin schließt sich Eranthis an die Sumpf- 
pflanzen an, was die Trägheit der Spaltöffnungsbewegungen betrifft. 
Die Hochblätter von Eranthis eilicica hatten zur Blütezeit Spaltöff- 
nungsapparate recht verschiedenen Entwicklungszustands nebeneinander. 





A.-L. Steinberger, Über Regulation des osmotischen Wertes usw. AS 


In kleineren, noch nicht fertig ausgebildeten Schließzellen war der osmo- 
tische Wert in der Sonne nicht höher als 035 GM NaÜl, er fiel im Dun- 
keln auf 0,30, beim Welken auf 0,25, aber recht langsam. Ausge- 
wachsene Schließzellen hatten osmotische Werte gleich 0,40 GM NaCl, 
im Dunkeln 0,35, in welkem Zustand 0,25. Der Kochsalzwert der 
Epidermis wurde im Licht und im Dunkeln immer zu 0,25 GM be- 
stimmt, nach dem Welken zu 0,30. Dem trägen Spiel des stomataren 
Apparats entspricht also langsame und geringfügige Änderung des Tur- 
sordrucks. 


V. Die Bedeutung der Nebenzellen. 


Viel umstritten ist bis in die neueste Zeit die Rolle, die den Neben- 
zellen, besonders wenn sie typisch differenziert sind, bei der Bewegungs- 
tätigkeit der Spaltöffnungsapparate zukommt. Die Literatur ist bei 
Hagen Teteriert (8. 28411.; Benecke, Botan.. Zeit..,1892,. fehlt). 
Hagen selber findet bei gewissen wintergrünen Blättern im Winter 
mehr Zucker in den Neben- als in den Schließzellen und folgert daraus 
eine aktive Mitwirkung der Nebenzellen beim dichten Schluß der 
Spalten. Die Bestimmung des osmotischen Werts ist ihm aber nicht 
seglückt und ein zwingender Beweis für seine Annahme fehlt deshalb. 
Die sichere Entscheidung kann eben nur die Ermittlung der Verhält- 
nisse des Turgordrucks bringen; alle früheren Ausführungen beruhen 
auf Vermutungen. 

Zebrina pendula. Bei unserem ersten Objekt sind 2 Paar Neben- 
zellen ausgebildet; sie unterscheiden sich in der Größe nicht viel von 
den übrigen Epidermiszellen und schließen sich an diese auch in bezug 
auf die Unveränderlichkeit des osmotischen Werts an. 

Plumbaginaceen. Bei Armeria latifolia war der osmotische 
Wert der Schließzellen 9 Uhr morgens bei sonnigem Wetter 0,70 GM 
NaCl, fiel beim Welken in 4, Std. auf 0,55, bei Verdunklung in mehreren 
Stunden auf 0,350 GM. Die Nebenzellen verhielten sich ganz und gar 
wie die übrigen Epidermiszellen; in beiden war der Kochsalzwert in 
der Sonne 0,35, nach dem Welken 0,45, nach langer Verdunklung 
0,30 GM. 

Statice tatarica, genau gleich behandelt. Schließzellen 0,90 GM, 
welk 0,55, verdunkelt 0,355. Neben- und Epidermiszellen 0,35, welk 
0,45, verdunkelt 0,30 GM. 

Crassulaceen. Bei warmem sonnigem Juliwetter waren an Se- 
dum spectabile und Sempervivum tectorum um 7 Uhr 30 Min. a. m. und 
um 11 Uhr a.m. nur fast geschlossene Spalten zu finden, der osmotische 
Wert in allen Zellen der Epidermis 0,20 GM NaCl. Bei kühlem reg- 
nerischem Wetter waren die Spalten um 7 Uhr 30 Min. a. m. teilweise 
weit geöffnet, ihr osmotischer Wert schwankte je nach dem Alter der 
Stomata zwischen 0,80 und 0,25 GM, in den Nebenzellen und der übrigen 
Epidermis war der plasmolytische Wert 0,20 GM. 

Sedum Selskianum. Kochsalzwert im Freien morgens in den 
Schließzellen 0,45—0,25 GM, in der Epidermis 0,15. Nach 14tägigem 


414 A.-L. Steinberger, Über Regulation des osmotischen Wertes usw. 


Aufenthalt unter der feuchten Glocke morgens in der Sonne etwas 
über 1 bezw. 0,15 GM; dieselben Blätter nach 1 Std. Welken 0,25 
bezw. 0,15 GM. 

Auffällig ist, daß bei heiterem warmem Wetter die Spalten auch 
morgens 7 Uhr 30 Min. kaum geöffnet sind; Besonderheiten der Spalt- 
öffnungstätigkeit sind ja bei den Sa Ulanal mit ihrer nächtlichen 

Säurebildung nicht neu. 

Potamogeton natans. Von dieser Pflanze ist schon berichtet, dab, 
wie schon Leitgeb beobachtet hat, beim raschen Welken des Schwimm- 
blattes die Stomata sich weit öffnen; sie bleiben so, bis das Blatt ver- 
trocknet. Die schmalen Nebenzellen haben zarte Wände und scheinen 
sehr ‘empfindlich gegen starken Wasserverlust zu sein, denn an ge- 
welkten Blättern war Plasmolyse in ihnen nicht festzustellen. Solange 
das Blatt frisch ist, besitzen Nebenzellen und übrige Epidermiszellen 
denselben osmotischen Wert, gleich 0,30—0,35 GM NaÜl, während die 
Schließzellen erst bei 0,70—0,65 GM imLicht, bei 0,60 GM nach 1stün- 
digem Welken, bei 0,55 GM nach längerer Verdunklung plasmolysiert 
werden. Das ungewöhnliche Verhalten beim Welken ist also jetzt ver- 
ständlich: die Schließzellen behalten ihren hohen Turgordruck, die 
Nebenzellen sterben ab, und so muß die Spalte klaffen. 

In den untersuchten Fällen ist also von einer aktiven Beteiligung 
der Nebenzellen am Spiel der Stomata nichts zu finden gewesen. Die 
Nebenzellen verhalten sich durchaus passiv, wie die übrigen Epidermis- 
zellen; höchstens am welkenden Organ hilft die Epidermis bemm Spalten- 
schluß durch Überdruck mit. 


VI. Saccharophylle: Arten von Allium. 


Unter den Saccharophyllien, die im Chlorophyliparenchym des Blattes 
keine Stärke bilden, gibt es verschiedene, die trotzdem in den Schlieb- 
zellen der Stomata Stärke führen. Diese, wie Tulipa Gesneriana, Colcht- 
cum autumnale, Oypripedilum calceolus, haben im Mechanismus der 
Spaltöffnungsapparate keine Besonderheiten. Vollkommen stärkefrei fand 
ich, wie Hagen (8. 270), die Schließzellen bei Allium schoenoprasum, 
A. ursinum, A. porrum. Die Stomata sind normal beweglich, der osmo- 
tische Wert der Schließzellen ist höher bei geöffneter als bei geschlos- 
sener Spalte. Bei sonnigem Wetter im Garten gepflückte Blätter zeigten 
bei allen 3 Arten ziemlich niedrige plasmolytische Werte, 0,35, 0,35, 
0,40 GM NaCl in den Schließzellen der wenig geöffneten Stomata, 0,25, 
0,20, 0,25 GM in der Epidermis; beim Welken und bei Verdunklung sank 
der osmotische Wert der Schließzellen auf 0,20, 0,20, 0,50 GM. Durch 
14tägige Kultur unter einer Glocke bei sehr guter Bewässerung konnte 
aber bei A. schoenoprasum der osmotische Wert in den Schließzellen 
im hellen Licht auf 1 GM NaCl und darüber hinaufgetrieben werden; 
bei Verdunklung der Blätter an der Pflanze und beim Welken abge- 
schnittener Blätter fiel der Kochsalzwert auf 0,40—0,25 GM, ebenso 
beim Einlegen von Schnitten in Wasser. Stärke war auch hier in den 
Schließzellen der geschlossenen Stomata nicht zu finden. In der Epi- 


A.-L. Steinberger, Über Regulation des osmotischen Wertes usw. 415 


dermis war die plasmolytische Grenzkonzentration nicht höher als bei 
den Freilandpflanzen. 

Auf welche Weise hier, beim Fehlen von Stärke, der Turgordruck 
der Schließzellen erhöht wird, wenn die Spalten sich öffnen, ist ganz 
unklar. Übergang von Disaccharid in Monosaccharid, woran Lins- 
bauer denkt (1918, S. 100) könnte den Turgordruck nur verdoppeln, 
wenn dieser ganz und gar durch Zucker zustande käme; aber Hagen 
(S. 270) will Glukose schon in geschlossenen Spalten gefunden haben! 


VII. Wasserspalten. 

Von den Wasserspalten ist bekannt, daß sie teilweise ebensowohl 
verschlußfähig sind wie die Luftspalten, teilweise ganz unbeweglich, 
und daß alle Übergänge zwischen den Extremen vorkommen (vgl. z.B. 
Neumann-Reichardt). Für mich handelte es sich darum bei gut 
beweglichen Typen die Art der Reizbarkeit und etwaige Schwankungen 
des osmotischen Werts festzustellen. 

Untersucht wurden Alchemilla vulgaris, Impatiens Holstiü, Impa- 
fiens noli tangere, Tropaeolum majus, meist an Freilandexemplaren, nur 
Impatiens Holstii ganz und Tropaeolum teilweise an Topfpflanzen. Bei 
Tropaeolum sind die Wasserspalten größer als die Luftspalten und 
liegen zu wenigen in den Kerben des Blattrands, bei Alchemilla und 
Impatiens sind sie sehr klein und in größerer Zahl auf den Blattzähnen 
untergebracht. Gemeinsam ist allen 4 Typen der Schluß der Hydathoden 
beim Welken abgeschnittener Blätter. Der osmotische Wert der 
Schließzellen wird dabei herabgesetzt, z. B. bei /mpatiens Holstii von 
1,15 GM Na0l in Y, Std. auf 0,60, von 0,70 auf 0,20, bei Tropaeolum 
von 0,75 auf 0,25 GM. Schon Verminderung der Wasserzufuhr veran- 
laßt bewurzelte Pflanzen zur Senkung des Turgordrucks in den Schlieb- 
zellen der Wasserspalten ; während z. B. bei Tropaeolum der osmotische 
Wert an einer unter der Glocke gehaltenen Pflanze 0,90—1,0 GM NaCl 
betrug, zeigte eine daneben ziemlich trocken kultivierte Pflanze 
0,35 GM; Impatiens noli tangere hatte am frühen Morgen, bei schwacher 
Guttation, einen Kochsalzwert von 0,50, am Nachmittag, nach Auf- 
hören der Guttation, 0,35 GM; bei Alchemilla sank der osmotische Wert 
schon zwischen 7 Uhr 30 Min. und 9 Uhr a.m. von 0,50 auf 0,30 GM. 

Auf Wasserinjektion des Blattes reagierten offene Hyda- 
thoden von Tropaeolum (die anderen Objekte wurden nicht geprüft) 
nicht mit Schluß, und dementsprechend war auch keine Erniedrigung 
des osmotischen Werts zu finden: unter der Glocke im Licht guttierende 
Spalten geben Werte von 1,0—0,5 GM NaCl, nach Wasserinjektion 
1,0--0,3; die niedrigen Werte wurden an kleineren Spalten mit ge- 
ringer Öffnungsweite gefunden. Daß sehr reichliche Wasserzufuhr, wie 
sie zur Zeit der Tätigkeit der Wasserspalten immer gegeben ist, hier 
keinen Schluß herbeiführt, anders als bei den Luftspalten — in dem 
Versuch mit Tropaeolum sank der osmotische Wert in den Schlieb- 
zellen der Luftspalten bei Injektion des Blattes von 0,60 auf 0,30 GM 


416 A.-L. Steinberger, Über Regulation des osmotischen Wertes usw. 


NaCl —, erscheint als zweckmäßige Abweichung des Verhaltens der 
Wasser- von dem der Luftspalten. Durch Welken zum Schluß ge- 
brachte Spalten öffneten sich aber nicht wieder, als die Schnitte in 
Wasser eingelegt wurden. 

Dem Lichtwechsel gegenüber verhielten sich die 4 Objekte un- 
gleich. Bei Tropaeolum antworteten die großen Wasserspalten über 
den Nervenendigungen des Blattrandes auf Verdunklung nicht mit 
Herabsetzung des osmotischen Werts und Verengerung; an unter der 
Glocke gehaltenen, guttierenden Blättern war der Wert im Licht 0,75 GM 
NaCl, dunkel 0,85; im hellen Licht 0,90, dunkel 1,0 GM; im hellen Licht. 
im Freien unter der Glocke 0,9, über Nacht verdunkeit 0,9 GM. Die 
Luftspalten derselben Blätter dagegen waren durch Verdunklung nor- 
mal reizbar; der Kochsalzwert fiel in einem Fall von 1,0 auf 0,30 GM. 
Die kleineren Nebenhydathoden schließen sich in ihrem Verhalten mehr 
an die Luftspalten an, setzen den osmotischen Wert im Dunkeln deut- 
lich herunter, z. B. von 0,6 auf 0,4 GM NadC!l. 

Bei den 3 übrigen Pflanzen wirkte Verdunklung auf die Wasser- 
spalten ebenso wie auf die Luftspalten: die Spaltweite wird vermindert, 
der Turgordruck erniedrigt. Bei Alchemilla war an einem trüben reg- 
nerischen Tag morgens 7 Uhr 30 Min. der osmotische Wert der mäßig , 
weit geöffneten, guttierenden Hydathoden 0,70 GM, nach 21/5 stündiger 
Verdunklung waren die Spalten fast geschlossen, ohne daß die Guttation 
aufgehört hätte, und der osmotische Wert auf 0,30 GM gefallen; um 
5 Uhr nachmittags, bei Sonnenschein, lag der osmotische Wert im 
Licht wieder höher, bei 0,40 GM, die Guttation hatte aufgehört. Ein paar 
Tage später wurde die Pflanze am Morgen dunkel gehalten, um 8 Uhr 
wurde der osmotische Wert zu 0,40 GM bestimmt, dann nach 2stün- 
digem Aufenthalt im trüben Licht des regnerischen Tages, bei .dauern- 
der Guttation, zu 0,50 GM. 

Impatiens Holstii. Pflanze über Nacht unter Dunkelsturz gehalten, 
Spalten 8 Uhr a.m. fast geschlossen, osmotischer Wert 0,30 GM; jetzt 
unter der Glocke hell gestellt, 3 Uhr 15 Min. p.m. Spalten weit auf, 
osmotischer Wert 0,50 GM; wieder verdunkelt, nach 1 Std. die Spalten 
fast geschlossen, osmotischer Wert 0,40 GM. 

Impatiens noli tangere. 2 Pflanzen über Nacht unter Glocken ge- 
halten, die eine noch mit Dunkelsturz überdeckt. Am Morgen die 
Spalten der vom Licht getroffenen Pflanze gut geöffnet, mit einem 
osmotischen Wert von 0,70—0,50 GM, die Spalten der dunkel gehaltenen 
enger, ihr osmotischer Wert 0,40—0,30 GM Natll. 

Andere Versuche hatten ganz entsprechende Ergebnisse. Was die 
höchsten und die niedrigsten osmotischen Werte betrifft, so verhielten 
sich Luft- und Wasserspalten ziemlich gleich. Schwankungen des Stärke- 
gchalts waren in beiden mitunter, aber nicht immer deutlich. 

Daß bewegliche Wasserspalten sich bei schlechter Wasserversor- 
sung der Gewebe schließen, wie die Luftspalten, erscheint durchaus 
zweckmäßig; diese Art der Reaktionsfähigkeit war auch bei allen 4 Ob- 








Ä.-L. Steinberger, Über Regulation des osmotischen Wertes usw. 47T 


jekten anzutreffen. Lichtreizbarkeit der Wasserspalten dagegen, in dem 
Sinn, daß die größte Spaltweite in hellem Licht erreicht wird und im 
Dunkeln der Porus sich verengert, ist ein überflüssiges, von den Luft- 
spalten her überkommenes Erbstück. Tatsächlich ist diese Eigenschaft 
auch nur bei Alchemilla und Impatiens erhalten, während bei Tropaeolum 
die großen Wasserspalten, gute Wasserversorgung vorausgesetzt, Tag 
und Nacht weit geöffnet stehen. Als schädlich kann die Verengerung 
der Spalten zur Nachtzeit, also zu der Zeit, in der sie hauptsächlich 
funktionieren, nicht betrachtet werden, weil auch die verengerten Poren 
augenscheinlich genügen, die geringen aus den Gefäßen austretenden 
Wassermengen abzuführen. 

Die größten Wasserspalten von Tropaeolum haben manchmal einen 
mächtig weiten, fast kreisrunden Porus und vermögen sich dann auch 
beim Welken nicht mehr zu schließen. Ähnliches ist von vielen anderen 
Pflanzen bekannt. Das Bild erinnert an die überlebenden Spaltöffnungen 
in abgestorbenen Blumenblattepidermen, und Neumann-Reichardt 
vergleicht die beiden Erscheinungen auch miteinander. Gemeinsam ist 
tatsächlich die Überdehnung der Membranen und die Fixierung dieser 
Dehnung durch Wachstum. Aber die Schließzellen der Wasserspalten 
vermögen sich innerhalb der lebenden Epidermis so breit zu machen, 
weil sie ihren osmotischen Wert dauernd sehr hoch halten, weit über dem 
der Nachbarzellen; in Epidermen dagegen, die in Wasser liegend ab- 
sterben, ist der osmotische Wert der Schließzellen auf seinen tiefsten 
Stand gesunken und die Ausdehnung trotzdem möglich, weil jeder 
Gegendruck fehlt. Ob die starr gewordenen Schließzellen der verzerrten 
Wasserspalten den hohen Turgordruck beibehalten, ist nicht geprült 
worden. 


Zusammenfassung der Ergebnisse. 

Die von Iljin an Steppenpflanzen gemachte Beobachtung, dab 
mit dem Öffnen und Schließen der Spaltöffnungen beträchtliche Ver- 
änderungen des osmotischen Werts der Schließzellen einhergehen, wird 
für eine größere Zahl im Garten kultivierter Pflanzen bestätigt. 

Die höchsten osmotischen Werte sind in hellem Licht und bei guter 
Wasserversorgung zu finden; die plasmolytischen Grenzkonzentrationen 
entsprechen nicht selten einer Normallösung von NaÜl (= 45 Atm.), 
so bei Paeonia, Betula, Syringa, Forsythia, Hedera, Vinca, und bei 
Zebrina pendula sind unter Glasglocken sogar Werte gleich 2 GM NaCl 
(90 Atm.) beobachtet worden. In den Epidermiszellen liegt der osmo- 
tische Wert beträchtlich tiefer; bei Zebrina z. B. entspricht er 0,15 
GM NaCl (7 Atm.). 

Wenn auf Verdunklung hin Verengerung und zuletzt Schluß der 
Spalten eintritt, so geht damit Hand in Hand eine Herabsetzung des 
osmotischen Werts der Schließzellen. 

Ebenso wie Verdunklung wirkt Wasserentziehung, wie sie durch 
Welkenlassen abgetrennter Blätter oder durch Behandlung von Schnitten 
mit Zuckerlösung herbeigeführt wird. Am natürlichen Standort tritt in 
den Mittagsstunden warmer Sommertage oft eine vorübergehende Sen- 

42. Band 27 


418 A.-L. Steinberger, Über Regulation des osmotischen Wertes usw. 


kung des osmotischen Werts ein, die zu der seit lange bekannten Er- 
niedrigung der relativen Transpiration führt. Der Spaltenschluß bei 


Wassermangel ist also ebenso ein Reizvorgang wie die Reaktion auf, 


Verdunklung. 

Das Minimum des osmotischen Werts der Schließzellen ist im: Dun- 
keln bei guter Wasserversorgung gleich dem osmotischen Wert der Epi- 
dermiszellen. Bei längerem Welksein liegt der osmotische Wert der 
Schließzellen etwas unter dem der Epidermiszellen, weil diese ihren 
osmotischen Wert etwas erhöhen. 

wutfällieerweise antworten die Schließzellen auch auf übermäßige 
Wasserzufuhr — Einlegen von Schnitten in Wasser, Injektion der Blätter 
mit Wasser — mit einer Senkung des osmotischen Werts auf das 
Minimum. 


Wenn an Schnitten, die tagelang in Wasser liegen, die Stomata 


sich nachträglich öffnen, so beruht das nicht auf einer Wiedererhöhung: 


des osmotischen Druckes der Schließzellen, sondern auf der Aufhebung 
des Gegendrucks der absterbenden Epidermiszellen. 

Bei den Amylophyllen geht mit dem Steigen des osmotischen Werts 
eine Auflösung der Schließzellenstärke Hand in Hand, eine Regene- 
ration der Stärke mit jeder Herabsetzung des osmotischen Werts. Bei 
den saccharophyllen Allium-Arten erfolgen fast ebenso beträchtliche 
Schwankungen des osmotischen Werts ohne Auftreten und Verschwin- 
den von Stärke auf noch ganz unbekanntem Weg. 

Durch geringere Geschwindigkeit der Reaktion unterscheiden sich 
vom gewöhnlichen Typus die Spaltöffnungsapparate der Wasserpflanzen 
und der viel untersuchten Eranthis. Die blattsukkulenten Urassulaceen 
zeieen am natürlichen Standort geringe stomatare Öffnungsweiten und 
dementsprechend geringe Schwankungen des osmotischen Werts, ver- 
mögen aber im feuchten. Raum doch ansehnliche Turgordrucke in den 
Schließzellen zu erzeugen. 

‚Wo typische Nebenzellen ausgebildet sind, verhalten sie sich beim 
Spiel der Spaltöffnungen durchaus passiv. Ihr osmotischer Wert ist 
nicht variabel und schließt sich an den der übrigen Epidermis an. 

Die Schließzellen der untersuchten Wasserspalten antworten auf 
Wasserentziehung im selben Sinn wie die der Luftspalten. Dem Licht- 
wechsel gegenüber verhalten sich die Wasserspalten verschiedener Ob- 
jekte verschieden: die von Tropaeolum haben die Lichtreizbarkeit ein- 
gebüßt, die von Alchemilla und Impatiens dagegen verengern sich im 
Dunkeln, also zur Zeit der stärksten Guttation, beträchtlich. Die Ver- 
änderungen der Spaltweite beruhen auch bei den Wasserspalten auf Ver- 
änderungen des osmotischen Werts. 


Literatur-Auswahl. 
J. G. Bergen, The modifiability of transpiration in young seedlings Bot. Gaz. 1909, 48. 
F. Hagen, Zur Physiologie des Spaltöffnungsapparates. Beiträge zur allgem. Bot. 
19107. 
W.S. Iljin, Die Regulierung der Spaltöffnungen im Zusammenhange mit der Ver- 
änderung des osmotischen Druckes. Beih. z. Bot. Cbl. 1915, 1. Abt., 32. 





H. €. v. d. Heyde, Studien über organische Regulation. II. 419 


W. Leitgeb, Beiträge zur Physiologie der Spaltöffnungsapparate, Mitteil. a. d. bot. 
Inst. Graz 1888, 1. 

K. Linsbauer, Beiträge zur Kenntnis der Spaltöffnungsbewegungen. Flora. 1916/17. 109. 

Derselbe, Über die Physiologie der Spaltöffnungen. Die Naturwissenschaften 1918. 6. 

F. E. Lloyd, The physiology of stomata. Carnegie Inst. of Washington. 1908. 
Publ. n. 82. 

H. Molisch, Über den Einfluß der Transpiration auf das Verschwinden der Stärke 
in den Blättern. Ber. d. D. Bot. Ges. 1921. 39. 

F. Neumann-Reichardt, Anatomisch-physiologische Untersuchungen über Wasser- 
spalten. Beitr. z. allgem. Bot. 1917. 1. 

M. Rosing, Der Zucker- und Stärkegehalt in den Schließzellen offener und ge- 
schlossener Spaltöffnungen. Ber. d. D. Bot. Ges. 1908. 26a. 

R. G. Wiggans, Variations in the osmotie concentration of the guard cells during 
the opening and closing of stomata. Americ. Journ. of Bot. 1921. 8. Ref. 
Zeitschr. für Bot. 1921. 13. 


Studien über organische Regulation. II. 
Die Einschmelzung des Sehwanzes der Froschlarven. 


Von H. C. van der Heyde. 
Aus der Abteilung für Physiologie und physiologische Chemie der West Virginia 
University Medical School. Morgantown. W. Va. U.S.A. 

Einleitung. Die Lösung des Problems der Involution des Kaul- 
quappenschwanzes ist von sehr verschiedenen Gesichtspunkten aus ver- 
sucht worden. Wie in den meisten biologischen Problemen hat man 
die anatomische Seite der Frage ausführlicher studiert als die physio- 
logische. Die Annahme, daß diese besondere Stufe der Entwicklung 
des Frosches eine Rekapitulation darstellt der fischähnlichen Vorfahren 
der Amphibien und das histologische Studium des Schwanzes während 
der Resorption, können uns keinerlei Aufschluß geben über die dyna- 
mische Frage, über die Art, in der das Material resorbiert wird und 
was aus dem resorbierten Materiale wird. Und obwohl das Vorkommen 
von vielen Leukozyten in dem einschmelzenden Schwanze an sich schon 
interessant ist, so gibt es uns doch keinen Beweis für die Annahme, 
daß sie der einzige oder sogar der Hauptfaktor bei der Resorption 
sind und keinen Aufschluß über die Rolle, die sie spielen. 

Atrophie von Organen wird überall in der Natur gefunden und ein 
vergleichendes Studium der Resorptionsprozesse in allen diesen Fällen 
ist ein sehr reizendes und nahezu unberührtes Problem für den ver- 
gleichenden Physiologen. Wenn Ascidia sich festsetzt, resorbiert sie 
viele ihrer Organe, sogar Teile des Nervensystems. Dasselbe findet 
statt bei vielen anderen sessilen Tieren. und vielen Larvenformen. Wenn, 
facile princeps, Saceulina parasitisch wird, werden beinahe alle Organe 
resorbiert. 

Eine Sonderstellung nehmen die zahlreichen Fälle pathologischer 
Atrophie ein und es wird sehr interessant sein zu verfolgen, ob die 
Degeneration eines Muskels, dessen motorischer Nerv abgeschnitten ist, 
oder die sogenannte gelbe Atrophie des Lebers, die man künstlich kann 


27 


420 H. €. v. d. Heyde, Studien über organische Regulation. II. 


hervorrufen, z. B. durch exzessive Phosphorfütterung, denselben Ge- 
setzen folgt. 

Zwei Theorien sind aufgestellt worden über die Atrophie des Kaul- 
quappenschwanzes: die der Phagozytose und die der Autolyse. 
Schon 1883 hat Metschnikoff (11) entdeckt, daß phagozytäre Zel- 
len im Schwanze der Froschlarven auftreten. Er sah „ganze Stücke 
von Nervenfasern und Muskelprimitivbündeln“ in diesen Phagozyten 
und dies in Verband mit seinen anderen Arbeiten hat ihn vielleicht zu 
einer etwas . übertriebenen Vorstellung über ihre Bedeutung verführt. 
Nur wenige Untersucher der Jetztzeit würden das Einziehen der Leuko- 
zyten in den Schwanz „das wesentliche und genealogisch: ursprünglichste 
Moment‘ nennen. 

Die Auffassung, daß Autolyse der primäre Faktor ist im Ein- 
schmelzungsprozeß, wird vornehmlich von Loos (10) und Morse (13) 
vertreten. Sie glauben, daß „fundamentally and primarily a change is 
initiated interpretable as autolysis and that phagocytosis which un- 
questionably is present at a later stage, is of secondary importance“. 
Der aufmerksame Leser kann schon Tatsachen, die diese Auffassung 
stützen, in der originellen Arbeit von Metschnikoff finden, wo 
er sagt: „daß im Beginne der Metamorphose Zellen sich anhäufen, 
welche allmälllich ganze Stücke von Primitivbündeln umwickeln, um 
sie dann vollständig aufzufressen‘ — das Material muß also durch 
eine Art Vorverdauung schon in Stücken aufgelöst sein. 

Material. Zu den Versuchen habe ich die ziemlich großen Lar- 
ven von Rana pipiens. Gm. benutzt. Sie wurden von den dortigen Zoo- 
logen freundlichst für mich bestimmt. Für meine Zwecke habe ich 
sie in fünf Stadia eingeteilt. Stadium I bestand aus Larven, an denen 
von Metamorphose noch nichts zu verspüren war (keine Hinterbeine). 
Als Stadium II habe ich diejenigen Exemplare benannt, die gut ent- 
wickelte Hinterbeine hatten, bei denen aber die Vorderbeine sich noch 
im Kiemensack befanden; die Tiere von Stadium III hatten vier Beine, 
aber noch einen vollständigen Schwanz. Bei Stadium IV war der 
Schwanz schon halb resorbiert; Stadium V bestand aus Miniaturfröschen. 

In einigen Experimenten, die ich im Marine Biological La- 
boratory in Woods Hole. Mass. U.S.A. ausgeführt habe, wo der 
Direktor, Herr Prof. Dr. Frank R. Lillie mir freundlichst einen 
Arbeitstisch zur Verfügung stellte, habe ich mich der Kaulquappen des 
Ochsenfrosches (Rana catesbiana) bedient. Dieselbe Einteilung wurde 
benützt. 

Autolyse. Noch bevor man von außen am Tiere etwas von 
einer nahenden Metamorphose sehen kann, kann man schon histologi- 
sche Verwandlungen am Schwanze sichtbar machen, wie Morse (13) 
gezeigt hat. Und diese Verwandlung findet, wie seine Schnitte be- 
weisen, statt, ehe die Leukozyten in dieselbe Stelle ein- 
ziehen. Dasselbe ist von anderen Forschern auch wahrgenommen ; 
Barfurth(2) z. B. nimmt an: „so sind doch wohl alle Untersucher 
darüber einig, daß die weißen Blutkörperchen nur die Zerstörung schon 





a 


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Fr nn a nn ne 


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H. C. v. d. Heyde, Studien über organische Regulation. II. 421 


abgestorbener, als Fremdkörper wirkender Gewebe und Elemente be- 
fördern können, während sie mit gleicher vitaler Energie begabter 
Zellen nichts anzuhaben vermögen“, und Noetzel (15) sagt, daß so- 
gar große Stücke Muskelsubstanz durch die „Körpersäfte“ gelöst werden 
können. | 

Da diese Verwandlung bekanntlich Eiweißstoffe des Schwanzes be- 
trifft, kann man mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit deren Abbau durch ein 
(intrazelluläres?) proteolytisches Enzym annehmen. Die Abbauprodukte 
werden dann durch das Blut aus den Geweben gespült. Da aber Amino- 
säuren mit einer überraschenden Geschwindigkeit dem Blute entzogen 
werden, nicht nur dem der Säuger, wie die Arbeiten von van Slyke 
u. a. dargetan haben, aber sogar, wie der Verfasser (9) gezeigt hat, 
aus dem der Echinodermen, die doch sehr tief stehen in der Tier- 
welt, ist es Morse(14) nicht gelungen, eine Zunahme in Aminosäure- 
gehalt im Blute metamorphosierender Tiere zu zeigen. 

Es fragt sich nun, ob ein ausgesprochener Unterschied in auto- 
lytischem Vermögen zwischen der Schwanzsubstanz verschiedener Stadien 
besteht. Um dies zu bestimmen, habe ich die Schwänze von vier 
Larven mit Sand zerdrückt (der Sand war, obwohl es käuflich „reiner“ 
Sand war, mit Säure behandelt worden, mit destilliertem Wasser lange 
gewaschen und geglüht). Eine gleiche Menge Wasser ward den Proben 
zugesetzt und Toluol; dann wurden sie in den Brutschrank bei 370 
gestellt und blieben dort drei Tage. 

Die Eiweißsubstanzen wurden in einem Falle mit acidum trichlor- 
aceticum präzipitiert, im andern Falle mit Folin-Wu’s Wolfram- 
säure. Der Gesamtstickstoff ward nach Folins Methode ermittelt, 
die Aminosäuren mit Sörensens Formol-Titrierungsmethode. Die 
Zahlen der Tabelle 1 und 2 sind Milligramm, die Titrationszahlen Kubik- 
zentimeter 0,05 N-KOH. 


Tabelle 1. 

Autolyse der Schwänze von Larven der verschiedenen Stadien. 
21/, Tage Stadium I Stadium II Stadium III 
Gesamt-Nicht-Eiweiß-Stickstoff 5.15 5.95 4.73 
Sörensen Titr. 2.60 2.52 2.14 


Diese Zahlen zeigen aufs deutlichste, daß keine ausge- 
spzrochene -Verschiedenheit.‘ in. autolytischem .Ver- 
mögen zwischen Schwanzsubstanz der verschiedenen 
Stadien besteht, dab man ja gewissermaßen von einer Abnahme 
sprechen könnte. Es läßt sich diese Tatsache auf verschiedene Weise 


Tabelle 2. 
Autolyse der Schwänze von Larven der verschiedenen Stadien. 
4 Tage Stadium I (II) Stadium IV 
Gesamt-Nicht-Eiweiß-Stickstoff 12.93 14.62 
Sörensen Titr. 3.45 3.18 


interpretieren. Erstens ist es möglich, daß wirklich die Autolyse mit 
gleichbleibender Geschwindigkeit während der ganzen Metamorphose ver- 
läuft. Es ist aber auch möglich und sogar wahrscheinlich, daß, wie 


429 H. €. v. d. Heyde, Studien über organische Regulation. 11. 


Morse (13) angenommen hat, die Autolyse zuerst die Lösung der 


leichtverdaulichen Eiweißstoffe herbeigeführt hat, dabei die schwer- 
löslichen Verbindungen für spätere Zerstörung hinterlassend. Dann 
würde man schwerlich eine Zunahme des autolytischen Vermögens er- 
warten können, sogar wenn die „Menge“ des Enzyms oder die Azıdıtät 
zunähmen. 

Verschiedene Umstände könnten zu einer Zunahme des autolyti- 
schen Vermögens führen. Die „Menge“ des proteolytischen Enzyms 
könnte zunehmen. Dies scheint jedoch nach den neueren Unter- 
suchungen nicht sehr wahrscheinlich. Zweitens ist .es von vornherein 
nicht unmöglich, daß die Reaktion der Gewebe sich in der Richtung der 
Optimums für Autolyse, d. h. Pa = 6,2 (Dernby [5]) verschiebt. 


Azidität des Schwanzgewebes. Die Schwänze einiger 
Kaulquappen wurden zerdrückt mit sorgfältig gereinigtem Sand unter 
Paraffinöl. Zweifach destilliertes Wasser wurde in gleicher und ge- 
ringer Menge zugesetzt. Die Masse wurde jetzt in ein spitzes Zentri- 
fugalröhrchen gegossen. Drei Schichten entstanden; das Paraffinöl ganz 
oben, dann eine absolut wasserhelle Flüssigkeit und schließlich die 
Schwanzsubstanz, fest mit dem Sand zusammengedrückt. Als Indi- 
kator benutzte ich „brom-eresol purple“ (dibromsulphonephthaleine), das 
von Pı = 5,2 bis zu Pu = 6,5 benutzt werden kann. Eine Reihe von 
Sörensens Pufferlösungen war vorher hergestellt worden aus NaOH 
und KH,PO,, deren Wasserstoffionenkonzentration mit einem Leeds 
and Northrup Potentiometer (type K) kontrolliert worden war. Eine 
gleiche Menge Indikator ward den Pufferlösungen und dem Schwanz- 
materiale zugesetzt. 


Für die Wasserstoffionenkonzentration der Schwanzsubstanz des 
Stadiums I ward der Wert Pr = 6,6 gefunden; für dem des Stadiums II 
Pı = 6,7 und für Stadium III (IV) = 6,3. Es geht hieraus hervor, 
erstens, daß die Gewebe eine deutlich saure Reaktion zeigen während 
der Metamorphose. Zweitens aber auch, daß während der eigentlichen 
Resorption die Reaktion dem Optimum für Autolyse sehr nahe kommt. 
Ich habe dasselbe Experiment dreimal wiederholen können. Ob die 
Azidität der Anhäufung von CO, oder von Säuren der unvollständigen 
Verbrennung zu verdanken ist, wie Morse (13) angenommen hat, 
konnte nicht weiter untersucht werden. Diese Hypothese ist jedoch 
sehr wahrscheinlich, denn gerade zu dieser Zeit fängt das Wachstum 
des Urostyles an, wodurch eine Okklusion des Blutstromes stattfindet. 
Die Obliteration der Kapillären, über die in vielen der morphologischen 
Arbeiten gesprochen wird (siehe z. B. Barfurth [4|), weist auch 
darauf hin. 

Die Rolle der Leukozyten. Metschnikoff hat sich zwei- 
felsohne in seiner ersten Arbeit eine übertriebene Vorstellung gemacht 
über die Bedeutung der Leukozyten. Barfurth(4) und Bataillon 
waren der Meinung, daß ihre einzige Funktion bestand in der „Fort- 
schaffung der Trümer“. In einer späteren Arbeit ist Metschni- 


\ 


H. €. v. d. Heyde, Studien über organische Regulation. II. 423 


koff auch ein wenig von seinen früheren Ansichten zurückgekommen 
und sagt, er meine „muskuläre Phagozyten-wucherndes Muskelproto- 
plasma”. 

In Verband mit diesem Problem habe ich die Frage zu lösen ver- 
sucht, ob man wahrscheinlich machen kann, daß während einer ge- 
wissen Periode der Metamorphose die Leukozyten eine mehr ausge- 
sprochene Neigung zeigen, in die Schwanzsubstanz einzuziehen, als in 
einer anderen. Die Schwierigkeit der Lösung dieses Problems auf 
experimentellem Wege bestand vornehmlich darin, daß man nicht leicht 
eine genügende Menge von Kaulquappenleukozyten bekommen Kann. 
Ich habe diese Schwierigkeit derart umgangen, daß ich defibriniertes 
Blut erwachsener Frösche zu den Versuchen als Quelle von Leuko- 
zyten benutzte. 

Ich bin mir wohl bewußt, daß man dagegen einwenden kann. daß 
vielleicht eine gewisse Änderung in diesen Leukozyten stattgefunden 
habe; ich habe diese Methode aber als die einzig brauchbare benutzen 
müssen. 

Schwänze von Larven von Stadium I und IV wurden zerdrückt 
mit gereinigtem Sand und ein wenig Wasser. Ich füllte dann ein aus- 
gezogenes kapilläres Röhrchen bis zur Hälfte mit diesem Materiale; 
die andere Hälfte ward mit defibriniertem Froschblut gefüllt derart, 
daß beide Flüssigkeiten mit einer scharfen Linie aneinander stießen. 
Vor dem Versuch war eine Zählung der Leukozyten vorgenommen ; 
nachdem die Proben 24 Stunden gestanden hatten, ward das Röhrchen 
serade an der Grenzlinie abgebrochen, das Schwanzextrakt ausgeblasen 
und wieder eine Leukozytenzählung vorgenommen. 

Ich habe eine ganze Reihe derartiger Versuche gemacht, jedoch 
nie gesehen, daß bei den Leukozyten eine Vorliebe für die Schwanz- 
substanz irgend eines Stadiums besteht. Diese Tatsache schließt sich 
dem Resultat mancher Untersucher an, die in dem einschmelzenden 
Schwanze an Schnitten nicht mehr Leukozyten fanden auf dem c.M.? 
als in den anderen Stadien. 

Ich gebe in der Tabelle 3 nur das Resultat eines typischen Ver- 
suches, der die schönsten Resultate ergab. 


Tabelle 3. 


Das Einziehen der Leukozyten in das Schwanzmaterial. 


Vor dem Versuche Nach dem Versuche e 
Stadium I 2.1 3.3 und 3.2 
Stadium III (IV) 2.0 3.1 und 3.3 


Was mit dem Materiale geschieht und ob es in einer 
ökonomischen Weise benutzt wird, ist ein Problem von sehr großer Be- 
deutung. Daß Aminosäuren gebildet werden beim Prozeß der Ein- 
schmelzung, erscheint wahrscheinlich und wird sehr schön durch ein 
Experiment von Morse (13) demonstriert, der 0,5 g (Naßgewicht) Schwanz- 
substanz einer metamorphosierenden und einer normalen Kaulquappe 
mit 1 c.c. Serum und 2c.c. 0,7% NaCl-Lösung in ein Dialysier- 
röhrchen stellte. Nach 16 Stunden erhielt er eine positive Ninhydrin- 


494 H. ©. v. d. Heyde, Studien über organische Regulation. II. 
reaktion im Dialysat des ersten Experimentes, jedoch eine negative im 
zweiten Falle. 
Ein direkter Nachweis einer Zunahme von Aminosäuren im Blute 
ist sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, wie ich oben erörtert habe. 
Sehr reizend ist die Frage, ob das Material, das vor unseren Augen 
verschwindet, benutzt wird im Aufbau oder im Stoffwechsel des Kör- 
pers oder einfach eliminiert wird in der Form einer Zunahme von 
stickstoffhaltigen Bestandteilen des Harns. Ein Studium der Zusam- 
mensetzung des Blutes könnte hierauf noch näheres Licht werfen. 
Was den Harn betrifft, so habe ich keine Zunahme oder Abnahme 
konstatieren können. Die Versuche wurden folgendermaßen ausgeführt: 
Ich brachte vier oder fünf Larven jedes Stadiums in einen Becher mit 
100 c.c. destilliertes Wasser. Der Becher ward mit einem Uhrgläs- 
chen abgedeckt, um Wasserverlust durch Verdunstung oder durch das 
lebhafte Umherschwimmen der Tiere zu umgehen. Nach 14 Stunden 
ward die Flüssigkeit durch ein doppeltes Filter filtriert und die Menge 
Gesamtstickstoff, Ureum und Ammoniak bestimmt nach den Methoden 
von Follin und Denis (6). Eine negative Jaff&-Probe beweist, 
daß Kreatinin nicht in diesem Harn vorkommt. Harnsäure war vor- 
handen; die Menge jedoch, die in 24 Stunden ausgeschieden wird, ent- 
zieht sich der quantitativen Bestimmung. Zucker war nicht vorhanden. 
Die Resultate dieser Bestimmungen findet man in der Tabelle 4: 


Tabelle 4. 
Harnausscheidung in Milligr. von fünf Larven in 24 Stunden. 
Reihe A. 
Gesamtstickstoff Harnstoff und Ammoniak N. Ammoniak N. 
Stadium I s.1 7.9 4.9 
Stadium II 82 8.0 4.5 
Stadium III 8.2 7.5 3.6 
Reihe B. 
Gesamtstickstoff Harnstoff und Ammoniak N. Ammoniak N. 
Stadium I 2 7.0 3 
Stadium II zanl 6.6 38 
Stadium IV 6.7 6.4 1.5 
Reihe ©. 
Gesamtstiekstoff Harnstoff und Ammoniak N. Ammoniak N. 
Stadium III 6.8 5.8 2.0 
Stadium IV 2.9 499 1.8 
Reihe D.*) 
Stadium I II ERT IV 
Gesamtstickstoff 14.1 12.0 12.0 12.8 
Ammoniak N. 4.7 4.7 2.4 2.5 


Diese Zahlen zeigen erstens deutlich, daß die Stickstoffausscheidung 


der Larven der verschiedenen Stadien nahezu konstant ist und dem- 
jenigen der noch nicht metamorphosierenden Larven des Stadiums I gleich. 


*) Reihe D bezieht sich auf Larven von Rana catesbiana. 


Per 


H. ©. v. d. Heyde, Studien über organische Regulation. II. 425 


Dieses Resultat ist sehr interessant aus ökonomischen Gesichtspunkten. 
Es zeigt sich, daß die gewaltigen Mengen Eiweiß, die in diesem Stadium 
resorbiert werden, wirklich benutzt werden im Körper und nicht nutz- 
los weggeworfen. In diesem Zusammenhang sind die älteren Experimente 
von Barfurth (2 und 3) sehr bemerkenswert. Er fand, daß Hunger 


die Metamorphose verkürzt: Er ging dabei so weit, dab er 


er den Hunger ein „förderndes Prinzip in der Natur“ nannte, dabei 
verschiedene Tatsachen zugunsten seiner Meinung heranziehend. 

Salme fressen nicht während der Periode der Resorption der Follikelmembran der 
Embryonen; dasselbe ist der Fall mit den Lepidoptera, wenn die Spinndrüsen resorbiert 
werden; derartige Erscheinungen sind auch an Muscidae beobachtet worden. 


Die bekannte Tatsache, daß die Kaulquappen für gewöhnlich nichts 
fressen während der Periode ihrer Verwandlung, macht diese Ansicht 
wahrscheinlicher; man fragt sich, inwieweit Aminosäuren und andere 
Spaltungsprodukte des Futters im Blute vielleicht als Antihormonen 
wirken im Prozeß der Involution. 

Die zweite bedeutende Tatsache in diesen Zahlen ist der relativ 
sehr hohe Gehalt des Harns an Ammoniak. In Froschharn ist die Menge 
Ammoniakstickstoff ungefähr !/, des Gesamtstickstoffes (8), beim Men- 
schen Yı. Hier sieht man in einigen Experimenten, daß ungefähr die 
Hälfte des Gesamtstickstoffes Ammoniak-N ist oder gar mehr. Wäh- 
rend im Falle der pipiens-Larven von Reihe A,B und C der absolute 
Wert der Ammoniakzahlen einen geringen Fehler haben kann'), bin 
ich von den Zahlen der Ochsenfroschlarven ganz sicher. Bemerkens- 
wert ist es, daran zu erinnern, daß dieselbe Erscheinung — eine große 
Menge präformierten Ammoniaks im Harn — auch in Fällen der sogenann- 
ten gelben Atrophie des Lebers und in anderen Fällen von natürlicher 
Atrophie wahrgenommen ist, daß auch z. B. in den Experimenten 
mit Fliegenlarven Weinlands eine große Menge Ammoniak auftritt. 
Dies zeigt, daß eine große Ähnlichkeit zwischen allen diesen Prozessen, 
sowohl den pathologischen als den natürlichen besteht. Es wird wahr- 
scheinlich, daß die Natur nur eine Methode hat, um Material zu elimi- 
nieren und daß diese Methode in vielen Fällen benutzt wird. 

Eine dritte bedeutende Tatsache ist die sehr deutliche Abnahme 
des Ammoniakgehaltes des Harns, je mehr wir uns dem Ende der 
Metamorphose nähern. Die Abnahme in diesen Stadien muß wahr- 
scheinlich ebenso erklärt werden als die Abnahme — oder die Nicht- 
zunahme in autolytischem Vermögen in den diesbezüglichen Experi- 
menten. Autolyse ist der vorbereitende und bahnbrechende Prozeß und 
ist wirksamer in den ersten Stadien, später schaffen die Leukozyten 
die Trümmer fort. 

An die Besprechung der Bedeutung dieser Tatsachen werden wir 
bald herantreten. Zunächst muß ich mitteilen, daß ich analoge 





1) Eine gründliche Untersuchung der benutzten Chemikalien, die notwendig ge- 
worden war durch die abweichenden Resultate, hat mich zu der Entdeckung einiger 
kleiner Verunreinigungen geführt, deren eine ziemlich wichtig war, d.h. der Ammoniak- 
gehalt des Permutits (Prof. Folin’s quality). In den oben mitgeteilten Zahlen ist 
hierfür eine Korrektion angebracht, da ich die Menge des Permutit immer konstant 
gehalten hatte. 


426 H. ©. v. d. Heyde, Studien über organische Regulation. 11. 


Experimente mit dem Blüte ausgeführt habe. Die sehr große Menge 
von Larven, die man braucht für ein einziges Experiment und das Nicht- 
vorhandensein einer genügenden Menge Larven der älteren Stadien haben 
mich gezwungen, diese Frage nur sehr oberflächlich zu studieren. Ich 
erhielt das Blut, wie im erwachsenen Frosch, aus dem Herzen (8), ob- 
wohl die Operation hier viel schwieriger war. Insofern Verf. jedoch 
berechtigt ist, einen Schluß aus diesen Experimenten zu ziehen, kann 
er mitteilen, daß in allen Stadien das Blut dieselbe Zusammensetzung hat. 

Es fragt sich jetzt, wie die große Menge Ammonia im larvalen 
Harn und die Reduktion zur normalen Menge sich erklären läßt. Wir 
wissen, daß eine große Menge Aminosäuren fortwährend während der 
Metamorphose gebildet wird. Die Histologie hat uns gelehrt, daß große 
Mengen Fett im einschmelzenden Schwanze vorkommen. Diese beiden 
Tatsachen kombinierend und nicht imstande, eine andere, gleich ein- 
fache Erklärung zu finden, habe ich daran gedacht, ob vielleicht die 
Ammonia entstanden sein kann durch Desamidierung der Aminosäuren, 
ein Prozeß. der bekanntlich auch im normalen Organismus sehr oft 
stattfindet sowie umgekehrt (in der Leber). 

In allen histologischen Studien des einschmelzenden Schwanzes fin- 
den wir Hinweise auf große Mengen Fett. Barfurth z. B. hat ge- 
zeigt, daß eine Anhäufung von Fett-Tröpfehen am Ende der Muskel- 
fasern auftritt. Er hat auch darauf hingewiesen, daß die „Sarkolyten“ 
— d. h. Stücke Muskelgewebe im degenerierenden Muskel — sich mit 
Osmiumsäure viel dunkler färben als normale Muskeln. Zwischen den 
Epithelzellen findet er degenerierende Leukozyten voll Fett-Tröpfchen. 
Andere Untersucher haben Analoges gefunden und überall wird eine Ver- 
gleichung gemacht mit dem degenerierenden Säugermuskel. Die Annahme 
einiger Autoren, daß es sich nur um eine lokale Anhäufung von schon 
diffus vorhandenem Fett handle, erscheint nicht wahrscheinlich und es 
erklärt gewiß nicht, warum die Substanz des einschmelzenden Schwanze 
als Ganzes sich so viel dunkler färbt. 

Eine, Zunahme des Fettgehaltes des ganzen Tieres läßt sich jedoch 
nicht zeigen. Ich habe Larven von Stadium I und IV (V) zerdrückt 
und mit Alkoholäther im Soxhlet extrahiert. Eine gravimetrische 
Fettbestimmung in einem Aliquot ergab für Stadium I: 0,123 g Fett, 
für Stadium IV (V): 0,133 g. 

Dieses scheinbare Paradoxon wird jedoch genügend erklärt durch 
die Tatsache, daß die Larven nicht fressen während der Periode der 
Verwandlung; ihre große Beweglichkeit macht aber einen intensiven 
Stoffwechsel wahrscheinlich. Ein Teil der Aminosäuren findet viel- 
leicht auch Verwendung beim Aufbau der neuen Organe, wie der Beine. 
Eine Eiweißreserve findet sich, soweit mir bekannt, bei den höheren 
Tieren niemals. 

Die Tatsache, dab in den Autolyseversuchen der Gesamtstickstoff- 
gehalt viel höher ist als man aus den Werten für den Amino-N er- 
warten dürfte, kann auch vielleicht durch meine Desamidierungshypo- 
these erklärt werden. Vielleicht gilt hier jedoch die Erklärung, die 








H. ©. v. d. Heyde, Studien über organische Regulation. II. 427 


A 


Morse (13) in einem derartigen Falle gegeben hat, d. h. daß der 
Überschuß den N-Peptonen und höheren Polypeptiden zu verdanken ist. 


Zusammenfassung und Diskussion. 

Das Problem der Involution des Kaulquappenschwanzes wurde vom 
Gesichtspunkt der ökonomischen Verwendung des resorbierten Materials 
aus angegriffen. Es wurde dabei auf Grund der zum Teil histologischen 
Angaben verschiedener Autoren für feststehend angenommen, daß beim 
Involutionsprozeß die Autolyse die Hauptrolle spielt. Es besteht jedoch 
kein deutlicher Unterschied in der autolytischen Fähigkeit zwischen 
den verschiedenen Entwicklungsstadien. Morse hat aber für den Fall 
eines ähnlichen Experimentes eine zufriedenstellende Erklärung gegeben. 
Die wiehtige Rolle der Autolyse wird auch dadurch gezeigt, daß 
Noetzel feststellt, daß die Involution von Chorda, Medulla und so- 
gar einem großen Teil der Muskeln stattfindet, wenn keine Leuko- 
zyten in diesen Geweben nachgewiesen werden können. Nach Loos 
und Noetzel werden große Teile des Muskelgewebes ohne Teilnahme 
von Leukozyten in der Körperflüssigkeit aufgelöst. Es kann nicht ge- 
zeigt werden, daß die Froschleukozyten eine Vorliebe für das in Re- 
sorption begriffene Schwanzmaterial haben. Der Pu-Wert des in In- 
volution begriffenen Schwanzes liegt auf der Säureseite und zeigt eine 
Zunahme der Azidität, je näher der Zeitpunkt der Verkürzung des 
Schwanzes kommt. Dies mag mit einer Anhäufung von CO, und un- 
vollständig verbrannten Säuren zusammenhängen (Morse), was des- 
halb wahrscheinlich ist, weil durch die Bildung des Urostyles eine 
Verminderung des Blutstromes und eine Obliteration der Kapillären 
hervorgerufen wird. Das ’ganze Material wird nicht in Form eines 
Zuwachses stickstoffhaltiger Ausscheidungsprodukte im Urin abge- 
geben. Der Urin der Kaulquappen enthält sehr viel Ammoniak. 
Es wird angenommen, daß dies auf eine Desamidierung des Schwanz- 
materials zurückzuführen ist. Fett ist in dem Kaulquappenschwanz 
in großer Menge vorhanden, wofür vielleicht die Anwesenheit von 
Fettsäuren als Folge des Desamidierungsprozesses verantwortlich zu 
machen ist. Die Frage wird nicht beantwortet, wo diese Desami- 
dierung stattfindet. Es mag in der Leber oder in den Leukozyten 
sein. Es wurde keine Fettzunahme beobachtet. Wahrscheinlich 
wird das Material beim Körperstoffwechsel während der Hunger- 
periode aufgelöst. In diesem Zusammenhang sind. die Versuche 
von Barfurth über Hunger als Reiz für schnelle Metamorphose von 
Interesse ebenso wie die Tatsache, daß Schilddrüsensubstanz die Meta- 
morphose beschleunigt (Gudernatsch), während es bekannt ist, dab 
die innere Sekretion der Schilddrüse den Stoffwechsel erhöht. Die Er- 
klärung der Involution des Kaulquappenschwanzes durch Autolyse läßt 
viel Schwierigkeiten wegfallen, die andern Erklärungen anhaften. Die 
Entwicklung des Urostyls, der darauf folgende Verschluß des Blut- 
stromes, die Anhäufung von Kohlensäure und anderen Säuren, die Ab- 
nahme von Pu sind eine Reihe kausal verknüpfter Erscheinungen, die 
zu einer Erklärung führen. Eine andere Erklärung wird von Bar- 


428 H. C. v. d. Heyde, Studien über organische Regulation. II. 


furth gegeben, der den trophischen Einfluß des Nervensystems in den 
Vordergrund stellt. Die Entwicklung und der zunehmende Gebrauch 
der Extremitäten soll den funktionellen Reiz (Roux) des Schwanzes 
und die regulatorische Tätigkeit des Zentralnervensystems beseitigen 
und dadurch zur Involution führen. Der Autor beantwortet aber‘ nicht 
die Frage, warum dann das Gleiche nicht auch bei den Salamandern statt- 
findet. Diese Schwierigkeit fällt bei unserer Erklärung fort. Die Er- 
klärung von Wintrebert, der die Anwesenheit eines Hormons an- 
nimmt, ist durch Morses Versuche unwahrscheinlich geworden, der 
zeigte, dab die Metamorphose nicht beschleunigt wird durch Injektion 
von Serum oder ausgepreßtem Schwanzsaft von Larven, ‘deren Schwanz 
bereits in Resorption ist. 

Am Ende dieser Arbeit möchte ich meinem hochverehrten Direktor und 
Freunde, Dr. Withrow Morse, für die Unterstützung und Anregung, 
die er mir während meines Verbleibs in Amerika immer in ausgiebiger 
Weise zuteil werden ließ, herzlich danken. 


Literatur. 
1. J. Anglas. Observations sur les m&tamorphoses internes des batrachiens anoures. 
Assoe, Franc. pour l’advancement des sciences. 33me session. p. 855. 1904. 
2. D. Barfurth. Versuche über die Verwandlung der Froschlarven. Arch. Mier. 
Anat. XXIX. p. 1. 1887. 
. D. Barfurth. Hunger als förderndes Prinzip in der Natur. Ibidem. p. 28. 
. D. Barfurth. Die Rückbildung des Froschlarvenschwanzes und die sogenannten 
Sarcoplasten. Ibidem. p. 55. 
5. K. G. Dernby. A study on autolysis of animal tissues, J. Biol. Chem. XXXV 
PLA. 1918, 
. ©. Folin and W. Denis. J. Biol. Chem. XXVI. p. 473. 1916. 
7. A. S. Loevenhart. Am. Journ. Physiol. VI. p. 331. 1902. H. C. Bradley. 
J. Biol. Chem. XIII. p. 407. 1913. M. Morse. Proc. Soc. Exp. Biol. and 
Med. XII. p. 46. 1914. 
8. H. C. van der Heyde. Studies on organie regulation I. The composition of the 
urine and the blood of the hibernating frog. Rand virescens Kalm. (pipiens Gm.) 
J. Biol. Chem. XLVI. p. 421. 1921. 
9. H. ©. van der Heyde. On the physiology of digestion, respiration and exeretion. 
in Echinoderms. C. de Boer. Jr. den Helder. 1922. 
10. A. Loos. Über Degenerationserscheinungen im Tierreich usw. Preisschrift Fürst]. 
Jablowoniski’schen Gesellsch. Leipzig XXXVIII. 1889. S. Hirzel Verlag. (zit. 
nach Morse 13.) 
11. Elie Metschnikoff. Untersuchungen über die mesodermalen Phagocyten einiger 
Wirbeltiere. Biol. Oentralbl. III. p.: 560. 1883. 
12. Elie Metschnikoff. Atrophie des muscles pendant la transformation des 
batrachiens. Ann. Inst. Pasteur. 1892. 
13. M. Withrow Morse. Factors involved in the atrophy of the larval frog. Biol. 
Bull. XXXIV. p. 149. 1918. 
14. Withrow Morse. The amino-acid content of involuting frog larvae. Proc. Soc. 
Exp. Biol. and Med. XI. p. 184. 1914. 
15. W. Noetzel. Die Rückbildung der Gewebe im Schwanze der Froschlarve. Arch. 
Mier. Anat. XLV. p 475. . 1895. 
16. P. Wintrebert. Une demi-metamorphose experimentale. Compt. Rendus. Paris. 
LII. p. 521. 1907 and LX. p. 415. 1903. 


rw 


[er] 


H. Eidmann, Die Durchlässigkeit des Chitins bei osmotischen Vorgängen. 499 


Die Durchlässigkeit des Chitins bei osmotischen 
Vorgängen. 
Von Dr. H. Eidmann, München. 
Mit einer Abbildung. 

Die Frage, ob das Chitin der Arthropoden für osmotische Vor- 
sänge durchlässig ist oder nicht, ist sowohl in der Physiologie der 
Verdauung als auch in der Physiologie der Sinnesorgane der betreffen- 
den Tiergruppe von weittragender Bedeutung. Die meisten Forscher 
 bejahen zwar heute die Frage und der Bau der Sinnesorgane für che- 
mische Reizperzeption ist nur bei Annahme einer Durchlässigkeit dünner 
Chitinmembranen verständlich, doch fehlt es seither an experimentellen 
Untersuchungen, die bei der Kleinheit der Objekte naturgemäß auf 
sroße Schwierigkeiten stoßen. Es hat auch nicht an Stimmen gefehlt, 
die einen osmotischen Austausch von flüssigen oder gasförmigen Stoffen 
durch Chitinhäute bestreiten, im Hinblick auf die große Widerstands- 
fähigkeit des Chitins gegen chemische Einwirkungen einerseits, und 
das Fehlen jeglicher Poren an den in Frage kommenden Stellen an- 
dererseits. Besonders wird von manchen Autoren die Möglichkeit einer 
Nahrungsresorption im Vorder- und Enddarm der Insekten wegen der 
chitinigen Intima dieser Darmabschnitte entschieden in Abrede gestellt. 
So schreibt Cuenot in seiner im Jahre 1895 erschienenen und von 
der französischen Akademie preisgekrönten Arbeit über die Verdauung 
der Orthopteren: „Il parait improbable, au moins dans l’etat actuel de 
nos idees sur l’osmose, qu'il puisse y avoir la moindre absorption dans 
le jabot et l’intestin terminal, revetus tous deux d’une impenetrable 
cuticule chitineuse.‘ Er zieht daraus den Schluß, daß die Nah- 
rung lediglich im Mitteldarm absorbiert werden kann. Unter den neue- 
ren Autoren ist es vor allem Biedermann, der wegen der Chitin- 
intima eine Absorptionsfähigkeit des Kropfes in Abrede stellt, ‚dessen 
histologische Struktur einer solchen Leistung allerdings wenig zu ent- 
sprechen scheint, indem seine Innenfläche von einer Chitincuticula über- 
zogen wird“. 

Für die Nahrungsresorption im Kropf und damit auch für die 
Durchlässigkeit der Chitincuticula erklären sich vor allem Petrunke- 
witsch, der als Resultat seiner Untersuchung den Satz aufstellte: „Der 
Kropf der Insekten ist das Hauptorgan der Absorption.“ Metal- 
nikoff stellte eine Absorption von Eisen im Enddarm fest, der seiner 
ectodermalen Herkunft wegen, gleichfalls mit einer Chitinintima aus- 
gekleidet ist. Auch Deegener sieht in der Chitincuticula kein Hin- 
dernis für die Resorption: „Einige Autoren sind dafür eingetreten, 
daß schon im Kropfe eine teilweise Resorption stattfinde, wogegen die 
wohl zweifellos oft für Flüssigkeiten durchlässige dünne Intima nicht 
sprechen würde.“ 

Was die Sinnesorgane betrifft, so sind es die Organe für chemische 
Reizperzeption, also die Geruchs- und Geschmacksorgane, bei denen 
eine Nervenreizung auf chemischem Wege, durch Chitinmembranen hin- 


430 H. Eidmann, Die Durchlässigkeit des Chitins bei osmotisehen Vorgängen. 


durch, erfolgen muß. Während frühere Autoren, Hauser, Kräpe- 
lin und vom Rath an vielen chemischen Organen eine Öffnung ver- 
muteten oder sogar direkt festgestellt haben wollen, durch die eine 
direkte Berührung der Nervenendigung mit dem zu prüfenden Stoff 
möglich ist, haben mit der Verfeinerung der Methoden die neueren 
Untersuchungen nachgewiesen, daß alle Geruchs- und Geschmacksorgane 
vollkommen geschlossen sind. Allerdings finden sich hier Chitinmem- 
branen von so auberordentlicher Feinheit, wie nirgends sonst am In- 
sektenkörper; ja die geringe Dicke des Chitinüberzugs ist sogar häufig 
ein Unterscheidungsmerkmal dafür, ob man ein Sinneshaar als Tast- 
oder chemisches Organ anzusprechen hat. 

Ich habe nun versucht, auf experimentellem Wege durch Osmose- 
versuche die Frage nach der Durchlässigkeit des Chitins einer Lösung 
näher zu bringen. Dünne Chitinmembranen lieferte mir der Vorder- 
und Enddarm der Küchenschabe, Periplaneta orientalis, des klassischen 
Objektes für die Untersuchung der Verdauungsvorgänge bei den In- 
sekten, an dem auch Cuenot und Petrunkewitsch ihre Experi- 
mente ausgeführt haben. Der Weg, den ich dabei einschlug, war fol- 
sender: Zwei Flüssigkeiten, die bei ihrer Mischung eine deutlich sicht- 
bare chemische Reaktion ergeben, sollten diesseits und jenseits der 
Membran gebracht werden, so dab ein Austausch und eine Mischung 
von beiden nur durch die Membran hindurch erfolgen konnte. Es kam 
dabei darauf an, die Ohitinmembran über die Öffnung einer Glasröhre 
zu spannen. Die Glasröhre muß natürlich von sehr kleinem Kaliber 
sein. Ich stellte sie mir her, indem ich Glasröhren bis zur gewünschten 
Stärke auszog, so daß ich die Röhre einer Pipette mit langem, dünnem 
Endstück erhielt. Nun mußte die Mündung der Röhre mit einem Wulst 
versehen werden, damit das darübergebundene Darmstück nicht her- 
untergleiten und die scharfen Glasränder die zarte Haut nicht ver- 
letzen konnten. Ich erreichte dies nach vielen vergeblichen Versuchen 
in folgender Weise. Zunächst steckt man eine Nadel, deren Durch- 
messer etwa dem Kaliber der Röhre entspricht, von der Mündung her 
in diese hinein. Der Kopf der Nadel, der dicker als die Röhre sein 
muß, hindert ein Weitergleiten. Dann erhitzt man die Mündung der 
Röhre mit dem darauf sitzenden Nadelkopf in der Spitze einer Gas- 
flamme bis zur Rotglut und drückt den Nadelkopf schnell auf einen 
bereit gehaltenen festen Gegenstand, etwa eine Glasplatte. Dadurch 
wird das weiche Glas in der Richtung der Röhre in sich zusammen- 
gedrückt und gleichzeitig durch die starre Nadel verhindert, daß sich 
die Röhre verbiegt und man erhält den gewünschten rundkantigen Wulst. 

Zuerst versuchte ich, die durch Kalilauge isolierte Intima des 
Vorder- oder Enddarms über die Mündung der Röhre zu binden. Dies 
gelang nicht, die Membran für sich allein ist so fein, daß sie bei der 
geringsten Berührung zerreißt oder verletzt wird. Ich benutzte da- 
her die ganze Darmwand zu meinen Versuchen. Der durch Chloro- 
form getöteten Schabe wurde zunächst in physiologischer Kochsalz- 
lösung die Rückendecke abpräpariert und der ganze Darmkanal vor- 


H. Eidmann, Die Durchlässigkeit des Chitins bei osmotischen Vorgängen. 431 


sichtig herausgenommen. Dann wurde mit der Schere der Mitteldarm 
vom Kaumagen bis zum Beginn des Colons entfernt. Soweit kann 
man die Präparation mit unbewaffnetem Auge vornehmen. Bei den 
weiteren Manipulationen ist jedoch die binokulare Lupe unentbehrlich, 
die bei allen derartigen Versuchen unschätzbare Dienste leistet. Man 
schneidet zunächst in einer Uhrschale mit physiologischer Kochsalz- 
lösung den Kropf, an dem man vorteilhafterweise den Kaumagen hängen 
läßt, vom Ösophagus her einige Millimeter weit auf und spült den 
Inhalt mit einer Pipette heraus. Dann zieht man mit einer feinen aber 
stumpfen Pinzette den Kropf über die Mündung der Glasröhre, so 


= 













Phenol; ein 
od.Methylorange= 


lösung 




















H,O + Kalilauge 
od. H,0 +HC. 





Darstellung der Osmoseversuche. 


A. Gesamtansicht der Glasröhre. 

B. Unteres Ende der Glasröhre, vergrößert. 
C. Herstellung des Wulstes am unteren Ende. 
D. Anordnung des Versuchs. 


daß ein Teil der Kropfwand über die Öffnung zu liegen kommt. Dann 
legt man eine Schlinge aus feinster Seide, wie sie in der Chirurgie zum 
Vernähen von Wunden gebraucht wird, über den kappenartig über- 
gestülpten Teil der Membran, zieht sie hinter dem Wulst fest zu und 
verknotet sie. Dann prüft man unter dem Binokular genau, ob die 
Schlinge überall gefaßt hat und ob der Darm nicht verletzt ist. Bei 
dem Enddarm verfährt man genau in der gleichen Weise. 

Zunächst wollte ich die Durchlässigkeit für alkalische Lösungen 
prüfen und verwendete als Reagens auf Alkali Phenolphtalein in einer 
wässerigen Lösung von etwa 1 pro Mille. Die Lösung ist farblos und 
färbt sich bei Zusatz von Alkali rotviolett, dabei eine sehr empfind- 
liche Reaktion ergebend. Die Phenolphtaleinlösung wurde zunächst mit 
einer Pipette in die Glasröhre gefüllt und alle Luftblasen mit einer 


432 H. Eidmann, Die Durchlässigkeit des Chitins bei osmotischen Vorgängen. 


fein ausgezogenen Glaskanüle entfernt. Dann wurde die Glasröhre in 
einem Stativ festgeklemmt- und das untere, zugebundene Ende. einige 
Zentimeter weit in ein Becherglas mit alkalischer Lösung getaucht. 
Diese bestand aus destilliertem Wasser mit Zusatz von einigen Tropfen 
Kalilauge. | 

Ich hatte vorher einen Kontrollversuch mit einer Schwimmblase 
angesetzt. Es war die gleiche Versuchsanordnung, nur an Stelle des 
Schabendarms ein Stück der Schwimmblase einer Schleie verwendet 
worden. Nach einigen Stunden trat in der Röhre die violette Färbung 
auf, die unten anfing und allmählich nach oben fortschritt. 

Das Resultat meines Versuches mit der Chitinmembran war fol- 
sendes: In der Röhre mit dem Enddarm trat nach ‘etwa 10 Minuten 
die violette Färbung auf, während die Röhre mit der Kropfwand erst 
nach etwa 24 Stunden eine schwache Färbung aufwies. Ich wieder- 
holte den Versuch öfters, immer mit dem gleichen Resultat. Um den 
Faktor einer möglichen, verschieden starken Konzentration der Lö- 
sungen auszuschalten, benutzte ich stets in beiden Röhren und Becher-: 
gläsern die gleiche Lösung. Damit ist erwiesen, daß die Chitinintima 
des Enddarms der Schabe für alkalische Lösungen gut durchlässig ist, 
die des Vorderdarms jedoch nur in geringem Grade. 

Um die Durchlässigkeit für saure Lösungen zu untersuchen, be- 
nutzte ich als Reagens auf Säure eine wässerige Lösung von Methyl- 
orange. Diese färbt sich bei Zusatz von Säure intensiv rot. Der 
Versuch hatte die gleiche Anordnung wie der erste, nur daß die Glas- 
röhre eine Methylorangelösung enthielt und in ein Becherglas mit Wasser 
eintauchte, das mit einigen Tropfen Salzsäure angesäuert war. Das 
Resultat war ähnlich wie bei dem ersten Versuch. In der Röhre mit 
dem Enddarm trat nach etwa 15 Minuten die Rotfärbung auf, wäh- 
rend in der andern die Reaktion erst nach einigen Stunden sichtbar 
wurde. 

Die beiden Versuche zeigen, daß die Chitincuticula des Kropfes 
und Enddarmes der Schabe für osmotische Vorgänge durchlässig ist, 
die des Enddarmes jedoch weit besser als die Chitinintima der Kropf- 
wand. 

Aus dem Ergebnis läßt sich zunächst die wichtige Tatsache fest- 
stellen, daß dünne Chitinmembranen kein Hindernis für 
osmotische Vorgänge zu sein brauchen, auch wenn sie 
keine Poren besitzen. Die Chitinintima des Kropfes und End- 
darmes der Schabe ist nämlich vollkommen homogen. Selbst mit den 
stärksten Systemen lassen sich keine Poren nachweisen, höchstens sieht 
man eine Schichtung parallel zur Oberfläche angedeutet. An der Kropf-. 
wand unterscheidet Petrunkewitsch zwei Schichten, eine innere, 
die „grob porös“ ist und Farbstoffe gut aufnimmt und eine äußere, 
die auf Schnitten homogen aussieht, ohne jede Spur von Poren. Ich 
glaube, daß Petrunkewitsch als innere, dem Lumen zugewendete 
Schicht die zwischen den kurzen Borsten der Intima, deren Existenz 
er auch bestreitet, hängenden Nahrungspartikelchen gehalten hat, die 


H. Eidmann, Die Durchlässigkeit des Ohitins bei osmotischen Vorgängen. 433 


in ihrer Gesamtheit allerdings in gleichmäßiger, stark färbbarer Schicht 
die eigentliche Intima überziehen. In dieser, die er als untere Schicht 
betrachtet, hat auch er histologisch keine Spur von Poren nachweisen 
können. „Dennoch“, schreibt er, „habe ich viele Präparate, wo Fett- 
Tröpfehen in der Intima stecken und zwar in verschiedenen Schichten 
derselben.“ Diese Angabe erscheint mir höchst unwahrscheinlich, ein- 
mal deshalb, weil das Fett wahrscheinlich überhaupt nicht als solches 
in Form einer Emulsion resorbiert wird, sondern in den betreffenden 
Darmepithelien aus den Spaltungsprodukten, die durch hydrolytische 
Zerlegung des Fettes im Darm entstehen, synthetisch wieder aufgebaut 
wird, und dann, weil der Kropf der Schabe nach neueren Autoren über- 
haupt keine Nahrung absorbiert. Ich erkläre mir die Bilder, die Pe- 
trunkewitsch erhielt, so, daß Fett-Tröpfchen aus dem Kropfinhalt 
bei der Behandlung der Schnitte über das apa geschwemmt wur- 
den und so die Täuschung hervorriefen. 

Die Chitincuticula des Kropfes hat eine Dicke von etwa 5—8 u, 
während die Intima des Enddarms nur etwa 2 u dick ist. Hieraus er- 
klärt sich die größere und schnellere Durchlässigkeit des Enddarms 
gegenüber dem Kropf, eine Tatsache, die eine logische Folge der physi- 
kalischen Gesetze über die Osmose ist. An Orten, wo es auf eine 
möglichst schnelle Durchdringung von Chitinmembranen ankommt, 
müssen diese also möglichst dünn sein. Das ist der Fall bei den 
chemischen Sinnesorganen, speziell bei den Geruchsorganen. Nach 
Vogel beträgt die Dicke der Chitinmembran an den antennalen Ge- 
ruchsorganen der Wespen nur 0,5 u, während sie bei anderen Hymenop- 
teren naeh Angaben von Wacker so dünn sein kann, daß sie selbst 
mit den stärksten Vergrößerungen keine doppelte Kontur zeigt, also 
überhaupt nicht mehr meßbar ist. Diese Membranen werden überdies 
noch von innen her durch das Sekret akzessorischer Zellen feucht ge- 
halten, so daß es keinem Zweifel unterliegt, daß hier eine fast augen- 
blickliche, osmotische Durchdringung und Nervenreizung durch Ge- 
ruchsstoffe erfolgen kann. 

Kehren wir wieder zu den Folgerungen zurück, die sich für die 
Verdauung ergeben. Nach Petrunkewitsch soll der Kropf das 
Hauptorgan der Nahrungsresorption sein. Ganz abgesehen von den 
Einwänden, die von anderen Autoren, speziell Schlüter, gemacht 
worden sind, erscheint es sonderbar, daß gerade der Kropf als Haupt- 
stätte der Absorption, mit einer dicken und, 'wie die Versuche beweisen, 
schwer durchlässigen Intima ausgestattet ist, während die Verhältnisse 
beim Enddarm gerade umgekehrt liegen. Es erscheint daher auch von 
diesem Gesichtspunkte aus unwahrscheinlich, daß der Kropf das 
Hauptorgan der Nahrungsresorption sein soll. 

Petrunkewitsch erwähnt ferner in seiner Arbeit einige Füt-. 
terungsversuche mit Karmin, nach denen er im Protoplasma der Epi- 
thelzellen der Kropfwand die Karminkörnchen in feiner Verteilung 
wiedergefunden haben will.e Auch hier scheint Petrunkewitsch 
derselbe Fehler unterlaufen zu sein, wie bei dem Nachweis der Fett- 

42. Band. 28 


b 
434 H. Eidmann, Die Durchlässigkeit des Chitins bei osmotischen Vorgängen. 


Tröpfchen in der Intima. Bei der Behandlung der Schnitte sind wahr- 
scheinlich die Karminkörnchen über das- Gewebe geschwemmt worden 
und täuschten so die Resorption vor, ein Fehler, auf den schon 
Schlüter hinwies, der die Karminfütterungsversuche von Petrun- 
kewitsch mit negativem Erfolg nachprüfte © Auch Sinety hatte 
bei seinen Experimenten dasselbe negative Resultat. 

Die Fetteinschlüsse, die Petrunkewitsch in den Kropfepi- 
thelzellen fand, sind nach Schlüter ‘dort abgelagerte Reservestoffe, 
ähnlich wie wir sie in den Zellen des Fettkörpers finden. 

Ich glaube, auf Grund meiner Osmoseversuche behaupten zu kön- 
nen, daß der mit ‚einer dieken, schwer. durchlässigen Intima versehene 
Kropf der Schabe überhaupt als Resorptionsorgan kaum in Betracht 
kommt. 

Es drängt sich nun ohne weiteres die Frage auf, wie es mit der 
Nahrungsabsorption im Enddarm steht. Wie die Experimente beweisen, 
bildet die Intima des Enddarms,‘ entgegen der, Behauptung Cuenots, 
durchaus kein Hindernis für eine ‘solche. Damit ist natürlich nicht 
sesagt, daß deshalb hier die Resorption der Nahrung stattfinden müßte. 
Die Entscheidung darüber könnten auch hier nur Fütterungsversuche 
bringen, die aber, ‘soviel mir bekannt ist, mit Rücksicht auf den End- 
darm noch kaum ausgeführt worden sind. Nur Metalnikoff ver- 
öffentlichte 1896 eine Arbeit „Über Absorption des Eisens’im Ver- 
dauungskanal von Blatta orientalis‘. Er 'behauptet, daß diese aus- 
schließlich im Enddarm stattfinde. Cuenot wies wenige Jahre später 
(1899) nach, dab der Enddarm ‘der Schabe normalerweise Eisen ent- 
hält, da er stets die Eisenreaktion ergibt. Er erhielt bei Tieren, die, 
wie er beobachtete, Eisen zu sich genommen hatten, die Reaktion nur 
im Mitteldarm. Die Tiere Metalnikoffs hätten demnach wahr- 
scheinlich überhaupt nicht von dem eisenhaltigen Brot gefressen. 

Damit bleibt die Frage der Nahrungsresorption im Enddarm vor- 
läufig noch offen, und erst weitere experimentelle Untersuchungen haben. 
hierüber zu entscheiden. 

Ich stelle im Folgenden nochmals kurz die Ergebnisse meiner Ver- 
suche zusammen. 

1. Dünne Chitinmembranen können, auch wenn sie keine Spur von 

Poren aufweisen, für osmotische Vorgänge durchlässig sein. 

2. Je dünner die Chitinhaut ist, desto größer ist ihre Durchlässigkeit. 

3. Daraus folgt, daß die Chitinintima des Vorder- und Enddarms 
kein Hindernis für die Nahrungsresorption zu sein braucht. 

4. Der Kropf von Periplaneta orientalis ist mit einer dicken und 
schwer durchlässigen Intima ausgekleidet, kommt also als Resorp- 
tionsorgan wahrscheinlich überhaupt nicht in Betracht. 

5. Die Organe des chemischen Sinnes der Insekten, speziell die Ge- 
ruchsorgane, brauchen keine Öffnung zu haben, damit die Nerven- 
endigung direkt mit dem zu prüfenden Stoff in. Berührung kom- 
men kann, denn die äußerst dünne Chitinmembran dieser Organe 
bildet kein Hindernis für eine Nervenreizung auf osmotischem Wege. 





=, TE 


R. Stumper, Quantitative Ameisenbiologie. 435 


Literatur. 

1. Biedermann, W., Die Aufnahme, Verarbeitung und Assimilation der Nahrung. 
in: Winterstein, Handbuch der vergl. Physiologie, Bd. 2. Jena 1911. 

2. Cu@not, L., Etudes physiologiques sur les orthopteres. Archive de Biologie, 

Bd. 14. 1896. 

—, La region absorbante dans l’intestin de la Blatte. Arch. de Zoologie exper., 

Bd. 6.1899: 

4. Deegener, P., Der Darmtractus und seine Anhänge in: Schröder, Handbuch der 
Entomologie, Bd. 1. Jena 1913. 

5. Hauser, G., Physiol. und histologische Untersuchungen über die Geruchsorgane 
der Insekten. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 34. 1880. 

6. Kräpelin, Über die Geruchsorgane der Gliedertiere. Hamburg 1883. 

7. Metalnikoff, Über Absorption des Eisens im Verdauungskanal von Blatta orien- 
talis. Bull. d. K. Akad. d. Wissensch. zu St. Petersburg, Bd.4. 1896 (russisch.) 

$. Petrunkewitsch, A., Die Verdauungsorgane von Periplaneta orientalis und Blatta 
germaniea. Zool. Jahrb. Abt. Anat., Bd. 13. 1900. 

9, vom Rath, O., Über die Hautsinnesorgane der Insekten. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 
Bd. 46. 1888. 

10. Sehlüter, ©., Beiträge zur Physiologie und Morphologie des Verdauungsapparates 
der Insekten. Dissert. Leipzig 1911 und Zeitschr. f. allg. Physiologie, Bd. 13. 

11. deSindty, R., Prötendue absorption de graisse par le jabot chez les Blattes. Bull. 
Soc. Entomol. de France. 1901. 

12. Vogel, R., Zur Kenntnis der Geruchsorgane der Wespen und Bienen. Zoologischer 
Anzeiger, Bd. 53. 1921. 


co 
5 


Quantitative Ameisenbiologie. 
Von Dipl.-Ing. Robert Stumper, Luxemburg. 

‘Jegliche Naturforschung strebt nach einem Maximum von Ge- 
nauigkeit. Diese Tendenz findet ihren Ausdruck in der quantitativen 
Methodik, die in allen Teilgebieten der Naturwissenschaften mit 
größtem Erfolg ‚die qualitative Darstellung ergänzt und vertieft. Es 
erübrigt sich, hier auf das erkenntnis-theoretisch wichtige Kapitel des 
Wertes dieser Methode einzugehen: jeder Gebildete kann sich leicht 
einen Begriff davon machen, wenn er die Entwicklung der Natur- 
wissenschaften speziell der Chemie, überblickt. 

Wir haben nun in den letzten Jahren versucht, das quantitative 
Denken in das enge Fachgebiet der Ameisenbiologie einzuführen. Der 
Nachweis, daß auch hier eine konsequente Durchführung dieser Me- 
thode von vollem Erfolg gekrönt ist, soll der nähere Zweck dieser 
Zeilen sein. Jedenfalls steht es fest, daß viele Fragen und Probleme 
der Myrmekologie nur durch meßbare Beobachtung und Experimente 
geklärt werden können. 

Es ist daher auch leicht verständlich, daß eine quantitative Durch- 
arbeitung einzelner Kapitel geradezu eine Notwendigkeit ıst und daß 
sie m. a. W. sozusagen in der Luft liegt. 

Wir geben im folgenden einige unserer Resultate wieder und 
glauben damit die Fruchtbarkeit der exakteren zahlenmäßigen Unter- 
suchungsmethode genügend darlegen zu können. Wir greifen aus 

98% 


436 R. Stumper, Quantitative Ameisenbiologie. 


unseren reichhaltigen Daten nur diejenigen heraus, die allgemeineres 
Interesse beanspruchen können und die auch ein einigermaßen ab- 
geschlossenes Ganze bilden. Es werden folgende Kapitel summarisch 
behandelt werden: 

1. Die Giftsekretion der Ameisen. 

2. Die Temperaturabhängigkeit einiger Lebensäußerungen der 

Ameisen. 
3. Der Mechanismus der Raumorientierung. 


1. Die Giftsekretion der Ameisen. 

Gemeiniglich wird angenommen die toxische Wirkung des Ameisen- 
stiches und -bisses sei auf die Gegenwart von Ameisensäure zurück- 
zuführen. Diese volkstümliche Auffassung macht sich auch ın wissen- 
schaftlichen Kreisen breit und wird erhärtet durch den Umstand, daß 
auch Ameisensäure in den Brennhaaren der Brennessel und der Pro- 
zessionsspinnerraupen vorgefunden wird. Ein oberflächliches Studium 
läßt jedoch schon ahnen, daß die Verhältnisse viel verwickelter liegen 
und daß die Giftwirkung des Stiches mancher tropischen Arten keines- 
wegs genügend durch den H-COOH-Gehalt zu erklären ist. Diese 
Schlußfolgerung wird denn auch von den vorsichtigeren Physiologen 
v. Fürth, Faust, Kobert u.a. m. gezogen und sie hat sich experi- 
mentell als richtig erwiesen. Ich habe dieses Problem in den letzten 
2 Jahren qualitativ und quantitativ durchforscht, und die wichtigsten 
bisher errungenen Resultate in folgenden Sätzen übersichtlich: zu- 
sammengestellt: 

Zuerst sei auf die morphologisch-anatomischen Tatsachen hinge- 
wiesen, die bekanntlich am meisten von Forel geklärt wurden. Nach 
den Untersuchungen dieses Autors hat man grundsätzlich zwei Typen 
von Giftapparaten zu unterscheiden und zwar die „Giftdrüse mit 
Knopf“ (glande a bourrelet) und die „Giftdrüse mit Kissen“. Außer- 
dem gibt es noch eine dritte Art: der „anale Giftapparat“, den man 
nur — neben dem anderen Typus — bei den Dolichoderinae vorfindet. 
Der Giftapparat s. str. besteht ursprünglich aus dem Stachel und der 
zugehörigen Giftdrüse. Jedoch verkümmert der Stachel bei den höher 
entwickelten Ameisen. Diese Tatsachen kann man folgendermaßen 
zusammenstellen: 

1. Unterfamilie: Ponerinae, Stachel u. Giftapparat mit Knopf, 


2: n ; Dorylinae, n 5 a „ "9 
>: L : Myrmicinae, „ N 5 A ER 
4. R : Dolichoderinae, „ B e 5 RS 

aber verkümmert, außerdem Analdrüsen, 
5) h : Camponotinae, kein Stachel, Giftapparat mit 


Kissen; Spritzapparat! 
Meine chemischen Untersuchungen werden aus diesen Tatsachen 
ohne weiteres klar: 
a) Ameisensäure kommt konstant nur bei den Camponotinae vor; 


b) die von mir untersuchten Myrmieinae und Dolichoderinae sekre- 
tieren keine Ameisensäure; 





“ 


), 


R. Stumper, Quantitative Ameisenbiologie. 437 


c) die Männchen aller Ameisen besitzen keinen Giftapparat, sie 
scheiden auch keine H-COOH aus; 

d) neben Ameisensäure kommt im Giftbehälter der Camponotinae 
keine andere freie Säure vor. Es ist aber theoretisch aus der elektro- 
lytischen Dissoziationslehre abzuleiten, daß bei Gegenwart von anderen 
Anionen, z. B. Cl‘, SO,“, Po,“ die aus Salzen heıstammen, auch die 
zugehörigen Säuren in freiem Zustande vorkommen. Jedoch sind 
diese Säuren praktisch nicht sicher nachweisbar. Die volumetrische 
Methode von J. Duclaux zeigt nur die Gegenwart von H-000H 
in der Sekretion von Formica rufa und Cataglyphis bicolor an. 

e) Die Konzentration der Ameisensäure im Gift der Formica rufa 
schwankt zwischen den Werten von 21,50 bis 72,30%. Als eine 
Ursache dieser Tatsache ließ sich der Temperatureinfluß nachweisen: die 
Sekretionsgeschwindigkeit der H-COOH befolgt die R.G.T-Regel 
(9. = 2.16). Andererseits ist auf den physiologisch wichtigen Um- 
stand hinzuweisen, daß die Gewebe der Ameise einer solch konzen- 
trierten Säure le Stärke widersteht. Es wäre interessant zu 
erfahren, welche Schutzwirkung gegen die korrosiven H‘-Jonen hier 
vorliegt! 

f) In nachfolgender Tabelle werden die Ergebnisse quantitativer 
Bestimmungen der H-COOH bei verschiedenen Arten resümiert: 


H-000H 
Art H-COOH pro 100 8 
pro Ameise Körpergewicht 
Camponotus ligniperda 9 . .. 0.0017 g ERDE 
Horimica ruf 92... 0... 22.2:0.002,.5% ISIS 
BE TRAELEHNSSON EEE OVOLZI 12:57, 
Bee iramevcolas 21.2. %.,...0.0004..7 3.87, 
sangamea.9 2... ,..:-0.00035:, 3:6), 
N rufibarbis Or OLHDOLT, 2,8, 
»„.  fusca Se bene „07.1, 0 3 
Lassustjlawus 9 1,07: 28.2 10.000182, ee 
Cataglyphis bieolorS . . . 0.0007 „ 3.905 


Die Myrmieinen Myrmica, Tetramorium, Messor und Acantholepis 
sekretieren in praktisch nachweisbaren Mengen keine Ameisensäure. 

&) Vergleichen wir unsere Resultate mit den morphologischen 
Ergebnissen und fassen wir diesen Vergleich summarisch zusammen, 
so ergibt sich folgende tabellarische Übersicht: 


Formicinae: 236 Gattungen = 100 %. 


Giftapparat: Sekretion: 
1. Subf. Ponerinae — 64 Gattungen = 27.2 % | En 
Ne “ i L 
2: = Dorylinae 77= 6 y == 25 % Eisen a Ameisen- 
3. —  Myrmieinae — 120 e = 50.837 Sr 
: ? .. Me keine 
4. — Dolichoderinae — 16 n 08 \ Übergangsform Ee COOH 
. 92 Zi ” \ verkümmerter Stachel \ H COOH 
5. — Camponotinae — 30 ” — 127% j Giftapparat m. Kissen fjvorhanden 


Hieraus geht hervor, daß die Ameisensäure nur vom „Giftapparat 
mit Kissen“ sekretiert wird. Jedoch mag auch die eine oder die 


438 R. Stumper, Quantitative Ameisenbiologie. 


andere Gattung der anderen Unterfamilien H-COOH produzieren, was 
noch experimentell nachzuweisen bleibt !). 


2. Die Temperaturabhängigkeit einiger Lebenserscheinungen der 
Ameisen. 

Schon 1874 schreibt Forel bezüglich des Einflusses der Tempe- 
ratur auf das Verhalten der Ameisen: „lactivite vitale des fourmis, 
comme celle des insectes en general, augmente et diminue avec la 
temperature.“ Seither hat die Physiologie den Nachweis erbracht, daß 
die Lebensvorgänge dasselbe quantitative Gesetz wie die „unbelebten“ 
chemischen Reaktionen befolgen. Diese Gesetzmäßigkeit wird allge- 
mein als R.G.T.-Regel oder van’t Hoff’sche Regel genannt und 
sie besagt, daß eine Temperaturerhöhung von 10° ©. die Geschwin- 
digkeit des Vorgangs verdoppelt bis verdreifacht. Die anfangs ver- 
tretene Meinung der Konstanz des Temperaturkoeffizienten Q,, ist 
aber falsch, vielmehr zeigen alle chemischen Reaktionen sowie alle 
Lebensvorgänge — letztere noch ausgesprochener — einen Gang und 
zwar wird der Temperaturkoeffizient mit steigender Temperatur kleiner. 
Heutzutage spricht man deshalb nicht mehr von der van’tHoff’schen 
Regel, sondern von dem Arrhenius’schen Gesetz. Da aber der Nach- 
weis, daß dieses Gesetz auch für Lebensvorgänge gültig ist, Unter- 
suchungen über größere Temperaturabschnitte verlangt, die nicht 
immer ohne spezielle Einrichtungen einzuhalten sind, so kann man 
sich auch mit dem Nachweis der Gültigkeit der R.G.T.-Regel be- 
gnügen. Diesen Weg haben wir eingeschlagen und haben für nach- 
folgende Lebenserscheinungen der Ameisen den Temperaturkoeffi- 
zıenten Q,, = 2—3 gefunden. 

Die numerischen Werte wurden aus den beobachteten Daten 
nach den bekannten Formeln 1. und 2. berechnet. 

1.0.1010 
ER, —Io5K, 
T,—T.. 


a) Lokomotion von Formica rufa 9°. 

Auf einer natürlichen Heerstraße wurde die Marschgeschwindigkeit 
der rufa 99 gemessen und zwar stets unter gleichen Bedingungen, als 
einzige Variable wurde die Temperatur genommen. Der Temperatur- 
koeffizient wurde aus dem Mittel von je 75—100 Einzelmessungen 
berechnet. Es ergab sich 

für den Temperaturintervall 11°—19°: Q,, = 2.17 und 
für den Temperaturintervall 19 —28°: Q,, = 1.63. 


b) Lokomotion von Messor barbarus 9 und 9. 


Die Messungen wurden an einem einzelnen Individuum vorge- 
nommen und sie ergaben: 
für Bas Weibchen Q,, = 1.95 und für den 
RR Arbeiter Qu 1.8. 
1) Ich möchte bemerken, daß chemische Untersuchungen über das Ameisengift 


vor etlicher Zeit vom Berliner. Pharmakologen Dr. Flury angestellt wurden. Jedoch 
war es mir trotz redlicher Mühe nicht möglich, diese Arbeiten : zu Gesicht zu bekommen, 


a 





Be 


R. Stumper, Quantitative Ameisenbiologie. 439 


c) Sekretion der Ameisensäure von Formica rufa. 

Es wurde die Zunahme des Ameisensäuregehalts an Formica rufa 
als Funktion der Temperatur berechnet und es ergab sich Q,, = 2-10. 
d) Angriffslust und Kampfbereitschaft der Formica rufa- 

Arbeiter. 

Auf einem abgemessenen Abschnitt einer rufa-Straße wurde der 
Prozentsatz „feindlicher* Begegnungen zwischen vereinzelten Arbeitern 
gezählt und dieselbe Operation bei verschiedenen Temperaturen vor- 


‘genommen. Unter „feindlichen“ Begegnungen ist folgendes zu ver- 


stehen: trifft eine Ameise eine andere derselben Kolonie, so betasten 
sich beide. Der bekannte Koloniegeruch löst nun keinerlei feindliche 
Reaktion aus. Primär ıst'aber die Reaktion meist feindlich („mißtrauisch*“), 
was sich in einem Zurückweichen und einem bedrohenden Öffnen der 
Mandibel äußert. Damit steht es fest, daß die Ameisen stets kampf- 
bereit sind und so auch stets auf feindliche Begegnungen vorge- 
stimmt sind. Die Kampfbereitschaft läßt sich als Funktion der Lauf- 
geschwindigkeit auffassen: mit steigender Geschwindigkeit wächst die 
freie Energie des Ameisenkörpers, wird daher auch der Anprall hef- 
tiger, daher muß auch die %,Zahl der feindlichen Antworten mit der 
Temperatur steigen. Unsere Messungen ergaben den Temperatur- 
koeffizienten Q,, = 1.87. 

In dieser Tatsache läßt sich in einem gewissen Sinne eine regu- 
latorische Vorrichtung für die Beseitigung der mit der Temperatur 
anwachsenden Giftmenge sehen. 

e) Bekanntlich verläuft die äußere Tätigkeit der Ameisen inner- 
halb eines bestimmten Temperaturabschnitts. So fangen diese Insekten 
erst etwas oberhalb 0° an zu arbeiten und suchen bei zu hoch ge- 
legenen Temperaturen auch tiefere, kühlere Orte des Nestes auf. Der 
betreffende Temperaturabschnitt variiert von Art zu Art, sogar von 
Rasse zu Rasse; er bestimmt den thermophilen oder thermofugen 
Charakter der Art, erklärt manche Unterschiede im Verhalten _der- 
selben Art bei verschiedener geographischer Lage u.s.w. Messungen 
ergaben folgende Werte: \ 

Formica rufa: 8° — 40° 
Lasius niger: 10 .— 28 
Mymica rufra: 8° — 26°. 

Die Beobachtungen müssen aber noch überprüft und vor allem 
ergänzt werden. 

3. Über den Mechanismus der Raumorientierung der Ameisen. 

Das äußerst komplexe Kampfproblem der Raumorientierung der 
Formiciden harıt noch immer seiner befriedigenden Lösung. Einen 
Schritt voran zu machen, gelingt uns jedenfalls mit der Einführung 
der quantitativen Methodik. Und zwar müssen wir uns speziell an 
die so wichtigen Begriffe der modernen Reizphysiologie: Intensität des 
Reizes und Unterschiedsempfindlichkeit wenden. Den experimentellen 
Untergrund liefert uns beispielsweise der bekannte Santschi’sche 
Spiegelversuch: 


440 R. Stumper, Quantitative Ameisenbiologie. 


Wirft man auf die Fährte des ausgesprochenen Geruchtieres 
Lasius fuliginosus mit Hilfenahme eines schattenspendenden Rahmens 
und eines Spiegels das Spiegelbild der Sonne von der anderen Seite, 
so sieht man fast alle Ameisen beim Eintritt in die gefährdete Zone 
stutzig werden und umherirren. Dieser Versuch ist äußerst suggestiv: 
Es ist zu betonen, daß Lastus fuliginosus ein ausgesprochenes Geruchs- 
tier ist, das sich also hauptsächlich nach den am Boden deponierten 
Geruchsspuren orientieren soll. Es geht aus dem Versuch hervor, daß 
auch bei einem typischen Geruchstier der Lichtsinn eine 
Rolle spielt, d. h.: unter bestimmten Bedingungen über- 
wiegt der Einfluß des Lichtsinns und hemmt die Reaktion 
auf den Geruchsstoff. Dies ist nur durch die Intensität des be- 
treffenden Reizes zu erklären. Die Orientierung erwächst nach unserer 
Auffassung aus dem Zusammenwirken verschiedener Reizqualitäten 
und Reiz-Intensitäten, wobei jeweilig der relativ intensivste Reiz die 
Reaktion des Tieres bestimmt. Auf diese Weise verstehen wir, . daß 
ein und dasselbe Tier oft unter scheinbar gleichen Bedingungen 
verschieden reagiert. Weitere experimentelle Nachforschungen sind 
hier aber noch notwendig. 

Brüssel, Juni 1922. 


Literaturverzeichnis. 


1. Bohn, La chimie et la vie, 1921. 

2. Brun, Raumorientierung der Ameise, 1914. 

3. Forel, Fourmis de la Suisse, 1874. 

4. — Monde Social des fourmis, 1920. 

5. Kanitz, Temperatur und Lebensvorgänge, 1915. 

6. Matisse, Influence de la chaleur et du froid sur les animaux, 1915. 

1% Stumper, Rob., Ontogenrese der Ameisenkolonien II (Arch. f. Naturgesch. 1917). 

8. —  Reflexions Generales sur la Psychologie animale, suivies de quelques exp6riences 
sur l’odorat des fourmis. (Annuaire de l’Assoc. Gener. des Etudiants Luxbg. 
1919— 1920). 

9. — Untersuchungen über die Psychologie der Ameisen. (Monatsb. Gesellsch. Luxbg. 
Naturf. 1920.) 

10. — Anomalien des Ameisenlebens. (Archiv f. Naturgesch., 1919 85. Jahrg.) 

11./13. — Eitudes sur les fourmis I, II und III. (Bulletin de la Societ& Entomo- 
logique de Belgique, 1921.) 

14. — Kritische Untersuchungen über Ameisenpsychologie. (Archiv für Naturgesch. 
1921. 

15. — En sur la psychologie des fourmis. (Journal de Psychologie 1921.) 

16. — Coeffieient de Temperature de la locomotion des fourmis. (©. R. Soc. Biol. 
T. LXXX.) 

17. — Coefficient thermique de la Combativit@ des fourmis. (C. R. Soc. Biol. 
T. LXXX.) 

18. — Le venin des fourmis, en particeulier l’acide formique. (©. .R. Academie des 
Sciences, Nr. 1 1922.) 

19. — Nouvelles observations sur le venin des fourmis. (©. R. Acad&mie des Sciences, 
Nr. 6 1921. 

20. — L’acide idee (Monatsb. G. Luxbg. Naturf. 1921.) 

21. — Le Venin des fourmis. (Annales des Sciences naturelles N 

22. — Influence de la Temperature sur l’activite des fourmis. (C. R. Soc. Biologie, 
T. LXXX1.) 

23. — Etudes sur les fourmis IV. (Annales Soc. entomol., Belgique, 1921.) 


24. — Note sur le me&canisme de l’orientation des fourmis, 1922. 


Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt ? 441 


Sind die Wanzen (Hemiptera heteroptera) durch Ekel- 


geruch geschützt? 
Beobachtungen und Versuche auf dem Gebiete der Tiertrachthypothesen. 
Von Franz Heikertinger, Wien. 
Inhaltsübersicht: 
A. Ergebnisse eigener Versuche. 
B. Versuche anderer Forscher. \ 
C. Mageninhaltsuntersuchungen. 
D. Prüfung der Hypothesen. 
E. Zusammenfassung. 


A. Ergebnisse eigener Versuche. 

Zur objektiven Lösung der Frage, ob der bekannte Wanzen- 
gestank insektenfressenden Tieren gegenüber tatsächlich als ein Ab- 
wehrmittel dient, ob also die auf dieser Annahme aufgebauten Fär- 
bungshypothesen (Schutzfärbung, Warnfärbung, Mimikry) auf fester 
Tatsachengrundlage stehen, habe ich eine Reihe von Versuchen unter- 
nommen, die leider durch die trüben Verhältnisse der Kriegs- und 
Nachkriegszeit in engem Rahmen gehalten wurden. Immerhin dürften 
sie zur Klärung der Frage von Wert sein. Es liegt ja, soviel über 
diese Dinge auch theoretisiert worden ist, an exakten Experimenten 
fast nichts vor. 

Ich erinnere daran: für oder wider die Auslesehypothese 
können nur solche Versuche gewertet werden, die mit 
Tieren der gleichen natürlichen Lebensgemeinschaft (Bio- 
zönose), also mit Tieren des gleichen Gebietes, der gleichen Er- 
scheinungszeit, des gleichen Substrats, der gleichen Aktionsstunden usw. 
unternommen werden. Nichts in Sachen der Selektion wird er- 
wiesen durch Versuche, bei denen einheimische und exotische Tiere, 
Freilandtiere und Haustiere, Erd- und Baumtiere, Nacht- und Tag- 
tiere usw. usw. zusammengestellt werden, denn diese Zusammen- 
stellungen entsprechen nicht den Verhältnissen ın der Natur, unter 
denen eine wirksame Auslese denkbar wäre. e 

Ich habe, wenn sich mir Gelegenheit bot, indes auch solche Zu- 
sammenstellungen nicht vermieden. Sie können zur Klärung der Frage 
dienen, ob, wie dies so oft angenommen wird, der Wanzengestank 
ein den Insektenfressern ım allgemeinen Widerwärtiges 
ist oder nicht, ober im allgemeinen beachtet wird oder unbeachtet 
bleibt. 

Für Unterstützung und Förderung meiner Versuche bin ich zu 
Dank verpflichtet Herrn Universitätsprofessor Dr. F. Werner, Herrn 
Menagerieinspektor A. Kraus, Herrn Dr. M, Wolf und Herrn 


A. Brand, sämtlich in Wien. 


Ich führe die Versuchsergebnisse nach den Wanzenarten geordnet 
auf. Ich habe getrachtet, die Versuche nicht so sehr mit einer Fülle 
von Arten durchzuführen, als vielmehr mir einige wenige Arten 


442 Fr Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 
typischer Stinkwanzen in größerer Stückzahl zu beschaffen und so die 
Versuche mehr einheitlich vergleichend zu gestalten, was mir zum 
Teil auch gelang. Bei jeder Wanzenart gebe ich eine kurze, orien- 
tierende Charakteristik. Die zu den Versuchen verwendeten Käfig- 
vögel waren durchaus gut gehalten und reichlich ernährt; die Ver- 
suche erfolgten zuweilen zur Zeit der normalen Fütterung, zuweilen 
nach stattgefundener Fütterung; niemals war ein Vogel aus- 
gehungert. 


Versuchsprotokoll. 
Eurygaster maura (l) und nigrocueullsta (U) (= hottentota). 


(Pentatomidae, Subfamilie Scutelleridae. Eirund, flach gewölbt, 
braungrau, seltener schwarz, ansehnlich, 9—13 mm lang. Das Schild- 
chen ist zu einem fast den ganzen Rücken deckenden, gewölbt platten- 
förmigen Rückenschild vergrößert, „Schutzpanzer“. Färbung aus- 
gesprochen unansehnlich, verbergend. Besitzen typischen Wan- 
zengestank!'). 

Gallus domesticus, Haushuhn. — E. maura von einer Henne so- 
fort verzehrt (4. 9. 17). Von mehreren Hühnern sofort verzehrt 
(24. 5. 18). Desgleichen (4. 9.18). — E. nigrocucutellata von Hühnern, 
die frei in einer Wiese gingen, sofort verzehrt; nach fünf Minuten 
Pause das gleiche Ergebnis (2. 8. 18). Von etwa 25 Hühnern in 
6 Laufkäfigen in beliebiger Anzahl gierig verzehrt; die Hühner sind 
nicht hungrig (4. 8. 18). — Über Versuche mit künstlich gefärbten 
Eurygaster siehe weiter unten. 

Pavo eristatus, Piau. — Nahm II unverzüglich an und verzehrte 
sie (16. 8. 18). 

Sylvia atricapilla, Mönchsgrasmücke. — Der nicht hungrige 
Vogel fraß I ohne Zögern (25. 7. 17). | 

Gymnorhina tibicen, Flötenvogel (Corvidae, Australien). — Ver- 
zehrte 1 ohne Zögern. 

Passer domestieus, Haussperling. — Die Wanzen wurden Sper- 
lingsscharen im Stadtpark vorgeworfen. Ein Sperling schoß blindlings 
auf eine Wanze los, ergriff sie und flog damit fort (Fraß?). Auf eın 
zweites Vorgeworfenes Stück fuhr die Schar gleichfalls los; diesmal 
aber fand der vorderste Sperling Zeit, das Tier anzusehen — er hielt 
inne und ließ es unbehelligt. Auch die übrigen Sperlinge beachteten 
weitere vorgeworfene Wanzen gar nicht (2. 8. 18)?). 


1) Es muß auf den Widerspruch mit den Trachthypothesen hingewiesen werden: 
unansehnlich gefärbte Tiere sollen wohlschmeckend sein. 

2) Zu diesem Versuche ist zu erwähnen, daß Kontrollversuche erwiesen, daß Sper- 
linge auch andere Insekten (darunter solche, die zuverlässig keinen „Schutz“ genießen, 
sondern erfahrungsgemäß von insektivoren Vögeln sehr gerne genommen werden, z. B. 
Forficula auricularia, der Ohrwurm, Larven von Locusta viridissima, der Laubheu- 
schrecke, von G@ryllus campestris, der Feldgrille, öfters auch Feldheuschrecken. der 
(Gattung Stenobothrus u. s. w.) unberührt ließen. Der erwachsene Sperling ist eben kein 
eigentlicher Insektenfresser. 


1 





Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 443 


Lacerta agilis, Zauneidechse. — Gepackt, im Maule gequetscht, 
schließlich liegen gelassen’). Von einer kleinen Eidechse vergeblich 
zu packen versucht, bezüngelt. — (Ausnahmefälle. In der Regel 


bleiben Wanzen dieser Konsistenz ebenso wie Käfer von Zauneidechsen 
unbeachtet und leben tagelang unter diesen im Terrar. Die Eidechsen 
sind besonders Heuschreckenjäger.) 

Hyla arborea, Laubfrosch. — 1 sofort angenommen und ver- 
zehrt (1. 7. 17). (Der vor kurzem erworbene Frosch schien sehr 
hungrig; später beachtete er im allgemeinen Wanzen verschiedener 
Arten ebensowenig wie Käfer. Er ist Jäger anfliegender 
Beute). 

Mantis religiosa, Eaikesandetent — I lebte tagelang unbe- 
helligt im Käfig der Fangheuschrecke; dieser schien es ch zu ge- 
lingen, die glatt gepanzerte Wanze mit ihren Fangbeinen fest zu fassen). 

Araneus diadematus, Kreuzspinne. — Im Netz einer etwa Smm 
langen Spinne (sp.?) sah ich eine umsponnene, aber noch lebende 
E. maura hängen; die Spinne saß an der Wanze, die Mundteile an 
deren Brust gedrückt, und schien zu saugen, bezw. es zu versuchen. 
Ich nahm ihr die sich noch regende Wanze und hängte sie ins Netz 
einer Kreuzspinne; diese ergriff sie sofort, umspann sie ein wenig, 
versuchte vielfach an ihr zu saugen. Insbesonders beschäftigte sie 
sich an der Gegend der Beineinlenkungen der Wanze; wiewohl gerade 
dortselbst die Stinkdrüsen münden, bemerkte ich innerhalb der halb- 
stündigen Beobachtung nicht, daß die Spinne von dem Geruch Notiz 
genommen oder von ihm abgewehrt worden wäre. Dagegen schien 
der feste Chitinpanzer der Spinne hinderlich zu sein. 

Gesamtergebnis: Insektenfresser, in deren Normalnahrungskreis 
hartschalige Insekten von Größe, Gestalt und Bewegungsweise dieser 
Wanze fallen, verzehrten dieselben ohne Zögern oder Ekelzeichen. 
Eine Ablehnung, die auf Ekelgeruch bezogen werden könnte, er- 
folgte nicht. 

Aelia acuminata. 

(Pentatomidae , „Spitzling“; länglich rhombisch, mäßig groß, grau- 
gelblich mit schwärzlicher, Pd chener ra ziemlich 
unansehnlich, een. gekleidet. Besitzt Wanzengeruch.) 

Hypolais hypolais, Gartenlaubvogel. — Sofort verzehrt; Vogel 
nicht hungrig (31. 7. 17). 

Sturnus vulgaris, Star. — Sofort verzehrt; Vogel nicht hungrig 
(11. 6. 18, Menagerievoliere). 

Carabus (Procrustes) coriaceus, Lederlaufkäfer. — Ließ diese 
sowie sämtliche ihm lebend gebotenen Wanzen und Käfer unbehelligt 
(anderer Nahrungskreis). 

Ergebnis: Von den Insektenfressern ohne Beachtung des. Ge- 
ruches sofort verzehrt. 

3) Gleiehes Benehmen beobachtet bei Bienen, Wespen, Käfern. 


4) Die Mantis bemühte sich u. a. auch vergeblich, die halbkugeligen Marienkäfer 
(Coceinella septempunctata) zu ergreifen; sie entglitten ihr stets wieder, 


z 
444 Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 


Carpocoris purpuripennis (nigricornis). 

(Pentatomidae; groß, mit seitlich zahnförmig vorspringender Hals- 
schildecke. Färbung variabel, meist ockerbräunlich, oft ockerrot oder 
gelblich; Auffälligkeit oder Verborgensein wird von der Umgebung ab- 
hängen. Besitzt starken Wanzengestank.) 

Erinaceus europaeus, Igel. — Berochen, verschmäht (25. 7. 17)°). 
— Sofort angenommen und begierig verzehrt, 2 Stücke (soviel vor- 
gelegt wurden) (28. 7. 17). 

Gallus domesticus, Haushuhn. — Sofort gierig verzehrt (8. 8. 17). 
Desgleichen (30. 8. 17). Desgleichen (24. 5. 18). 

Sturnus vulgaris, Star. — Ohne Zögern verzehrt (18. 7. 17). In 
mehreren Stücken gierig verzehrt; Vogel nicht hungrig (11. 6. 18). 

Gymnorhina tibicen, Flötenvogel (Australien). — Sofort mit Be- 
hagen verzehrt (16. 8. 18). 


Lacerta agilis, Zauneidecehse — Unbehelligt gelassen (18. 7.17, 


21. 2. 17 m.0). 
Locusta viridissima, Laubheuschrecke. — Sofort gepackt und ver- 
zehrt; die Heuschrecke war erst kurze Zeit in Gefangenschaft (24. 7. 17). 
Ergebnis: Von allen verwendeten Insektenfressern (ausgenommen 
die alle ähnlichen Formen verschmähende Fidechse) ohne Beachtung 
des Gestanks gierig verzehrt. 


Dolycoris baccarum. 

(Pentatomidae; gemeine Beerenwanze; mäßig groß, oben nicht auf- 
fällig gefärbt. Unterseite des Coriums der Hemielytren rot, eine 
„Kontrastfärbung“, die beim Flug des Tieres sichtbar wird. Besitzt 
starken Wanzengestank.) 

Erinaceus europaeus, Igel. — Mit Behagen verzehrt (28. 7. 17). 

Gallus domestieus, Haushuhn. — Sofort verzehrt (8. 8.17). Gierig 
mehrere Stücke verzehrt (24. 5. 13). 

Sylvia atricapilla, Mönchsgrasmücke. — Sofort angenommen, 
in gewohnter Weise öfters an die Sitzstange geschlagen und nach 
etwa halbminutenlanger Bearbeitung verschluckt (23. 7. 17). Gerne 
verzehrt.(25. 7. 17). In zwei Stücken sofort verzehrt (13. 5. 18). In 
drei aufeinanderfolgenden Versuchen nicht angenommen (8. 5. 18, 
9.5.18, 10.,5..48)9). 

Sylvia nisoria, Sperbergrasmücke. — Sofort verzehrt (11. 6.18). 

Hypolais hypolais, Gartenlaubsänger. — Sofort (in der bei 
S. atrieapilla geschilderten Weise) verzehrt (25. 7. 17). Von dem 
einen Vogel nicht angenommen, von dem anderen verzehrt (31.7. 17). 
Von einem — satten — Vogel nicht genommen (13. 5. 18). 

Turdus iliacus, Weindrossel. — Untersuchte die Wanze mit 
komischer Vorsicht und verzehrte sie dann (18.7.17). Nach längerem 
Bearbeiten verzehrt (4. 9. 17). Mit Begierde sofort verzehrt (11.6. 18). 


5) Der Igel verschmähte an diesem Tage auch Stenobothrus, sonst eine Lieblings-. 


nahrung; Versuch daher ohne Beweiskratft. 
6) Die ersten drei Versuche mit Vögeln des H. A. Brand; nur von einem Vogel 
des H. Dr. Wolf wurde die Wanze ohne Prüfung nicht angenommen, 


N 


Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 445 


Sturnus vulgaris, Star. — Ohne Zögern verzehrt (18. 7.17). Des- 
gleichen, etliche Stücke (11. 6. 18). 

Coturnix eoturnixz, Wachtel. — Einige Stücke hintereinander 
sofort verzehrt (8.5.18). Nicht angenommen (9. 5.18). Sieben Stücke 
verzehrt, dann keines mehr (10. 5. 18). Von einem Vogel nicht an- 
genommen, von einem zweiten teilweise verzehrt; Vögel gesättigt 
(13:9..18): 

Lacerta serpa, Dalmatinische Eidechse. — Die Wanze blieb, _ 
gleich anderen Wanzen, Käfern u. dgl. unbeachtet und lebte tagelang 
ım Terrar”) (9.—27. 8. 17). 

Carabus Scheidleri, Laufkäfer. — Die Wanze blieb gleich anderen 
Wanzen, Käfern u. dgl. trotz tagelangen Hungerns des Käfers unbe- 
helligt (19. 7.—2. 8.17). (Dagegen nahm der Käfer Raupen mit wilder 
Gier an.) 

Carabus Ullrichi, Laufkäfer. — Ein ausgehungertes Pärchen 
des Laufkäfers erhielt eine lebende Wanze; des anderen Tags lag 
diese mit ausgefressenem Hinterleibe im Käfig (7. 5. 18). 

Locusta viridissima, Laubheuschrecke. — Tote Wanze nicht 
berührt (29. 7. 17; 2. 8. 17). Lebende Wanze verzehrt (4. 8. 17). 

Ergebnis: Vom Igel, allen Versuchs-Vogelarten und von der 
Laubheuschrecke ohne Rücksicht auf den Geruch verzehrt. 


Palomena prasina. 

(Pentatomidae. Große, fast einfarbig grüne Stinkwanze. Typisch 
verbergende grüne Schutzfärbung. Besitzt den Wanzen- 
geruch.) 

Gallus domestieus, Haushuhn. — Mehrere Stücke der Wanze von 
mehreren Hühnern sofort verzehrt (24. 5. 18). Eine große Larve so- 
fort verzehrt (16. 8. 18). Eine Imago gierig verzehrt (4. 9. 18). 

Hypolais hypolais, Gartenlaubsänger. — Eine große Larve vom 
Vogel mit fast auf Furcht deutbaren Geberden angenommen und ver- 
zehrt (25.7.17). Eine fast erwachsene Larve sofort verzehrt (31. 7.17). 

Gymnorhina tibicen, Flötenvogel (Australien). — Mit Gier ver- 
zehrt (16. 8. 18). 

Rana temporaria, Taufrosch. — Ein sehr kleiner Taufrosch er- 
schnappte eine für ihn viel zu große halberwachsene Larve (sie war 
fast so breit wie er selbst) und würgte sie hinab (31. 7. 17). 


Tropicoris (Pentatoma) rufipes. 

(Pentatomidae; als „rotbeinige Baumwanze* eine der bekanntesten 
großen Stinkwanzen; bronzebraun, Schildchenspitze hell gelbrot; Auf- 
fällıgkeit von der Umgebungsfärbung abhängig‘). Besitzt Wanzen- 
geruch.) 

Nasua socialis, Nasenbär (Brasilien). — Drei Stücke (mehr er- 
hielt er nicht) mit sichtlichem Behagen verzehrt (15. 9. 18). 

7) Die zu Versuchen verwendeten Wanzen müssen, um ihr Emporklettern an den 
Glaswänden zu verhindern, wenigstens zum Teil der Tarsen beraubt werden. 


8) Die Wanze kann nicht als grellfarbig bezeichnet werden, ist aber gut sichtbar. 
Es gibt Mitteldinge zwischen grell und verbergend, die selten klar qualifizierbar sind. 


446 Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 


Gallus domesticus, Haushuhn. — Gierig verzehrt (14. 8.18). Des- 
gleichen (15. 9. 18). 

Turdus sp. (Amerika). — Eın Vogel beschäftigte sich mit komischer 
Ängstlichkeit mit der Wanze, wagte sich aber nicht recht über sie. 
Ein anderer verzehrte ein anderes Exemplar der Wanze sofort (15. 9. 18). 

Gymnorkina tibicen, Flötenvogel (Australien). — Sofort gierig 
verzehrt (15. 9. 18). 


Furydema oleraceum. 

(Pentatomidae; „Kohlwanze*; gemein auf Kruziferen, mäßig groß, 
stahlgrün, metallblau oder metallbraun, mit weißer, gelber oder roter 
Zeichnung. Färbung, in der Nähe betrachtet, auffällig, „warnend“. 
Larven hell mit dunkler Zeichnung, gleichfalls auffällıg. Besitzt 
typischen Wanzengeruch.) 

Gallus domesticus, Haushuhn. — Sofort verzehrt (8. 8. 17). 

Lacerta agilis, Zauneidechse. —-Von einer hungrigen Eidechse 
von der Pinzette genommen und verzehrt (6. 7. 17). Ansonsten nicht 
oder kaum beachtet (8. 7. 17 u. a.). 


Bufo vulgaris, Erdkröte. — Larven verschiedener Größe in be- 
liebiger Zahl verzehrt (18. 6. 17). Sofort verzehrt (9. 7. 17). 

Bufo calamita, Kreuzkröte. — Larven sofort verzehrt (3. 7.17). 

Bombinator igneus, Unke. — Eine Larve erschnappt, ausgespuckt, 


dann nochmals genommen und verzehrt (18. 6. 17). Sofort verzehrt 
(3. 7.17). Desgleichen: (9. 7. 17). 
Rana agilis, Springfrosch. — Sofort verzehrt (9. 7. 17). 


Rana arvalis, Moorfrosch. — Mehrfach Larven sofort verzehrt 
(18..,6,..170)..  Desgleichen (3 7. 19). Deseleichen (9.7. 20: 
Hyla arborea, Laubfrosch. — Larven von einem kürzlich er- 


worbenen, offenbar ausgehungerten Frosch sofort verzehrt (1. 7. 17). 


Larven verschmäht, wiewohl sie dem Frosch unmittelbar vor den Mund 


gehalten wurden (8. 7.17). In der Regel blieben Larven und Imagines 
dauernd unbeachtet (28. 7. 17 u. a.). 

Ergebnis: Von allen Versuchstieren (mit Ausnahme der ge- 
schmacklich speziell orientierten Zauneidechse und des Laubfrosches) 
ohne Berücksichtigung des Geruches verzehrt. 


Syromastes marginatus. 

(Coreidae; groß, besonders auf Ampfer gemein. Färbung unan- 
sehnlich braungrau, typisch verbergend; Gestalt gleichfalls verbergend. 
Hinterleibsrücken gelbrot, was erst bei der fliegenden Wanze sichtbar 
wird — „Kontrastfärbung“. Geruch stark, aromatisch obstartig?). 

Gallus domesticus, Haushuhn. — Sofort verzehrt (8.8.17). Von 
drei Gruppen Hühnern sofort verzehrt, und zwar lebende wie tote 
Stücke (24. 5. 18). Gierig verzehrt (4. 9. 18). 

9) Der Geruch dieser Wanze erscheint mir nicht unangenehm und wird auch von 
zahlreichen anderen Forschern als nicht unangenehm bezeichnet. Bei dem Urteil spielen 


vielfach Vorurteile mit. Hier wie bei allen Stinkwanzen sind Exemplare, die schwach 
oder fast gar nicht riechen, nicht selten. 


3 


Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 44T 


Sylvia atricapilla, Mönchsgrasmücke. — Verschmäht (8. 5. 18; 
9. 5. 18; Vogel des Herrn Dr. Wolf). 

Sylvia nisoria, Sperbergrasmücke. — Nach kurzer Bearbeitung 
liegen gelassen (11. 6. 18). 

Turdus sp. (Amerika). — Eine fast erwachsene Larve sofort ver- 
zehrt (30. 8. 17). 

Turdus merula, Amsel. — Sofert verzehrt (11. 6. 18). 

Coturnix coturnix, Wachtel. — Sofort verzehrt (9. 5. 18). 

Lacerta agils, Zauneidechse. — Von hungrigen Tieren an- 
genommen, aber schließlich ungefressen liegen gelassen. 

Ergebnis: Von Gallus, Turdus, Ooturmix gerne verzehrt, von 
Sylvia (und Lacerta) verschmäht. 

Lygaeus saxatilis. 

(Lygaeidae;, auf Blüten, mäßig groß, länglich-schmal, schwarz mit 
tiefroter Zeichnung, ausgesprochen auffällig, „warnfarbig“. Einen 
nennenswerten Geruch fand ich nicht.) 

Erinaceus europaeus, Igel. — Larven mit Imagines in einiger An- 
zahl sofort verzehrt (8. 8. 17). Desgleichen (11. 8, 17). 

Gallus domesticus, Haushuhn. — Gepackt, fallen gelassen (12. 8.17). 
Sofort verzehrt (30. 8. 17). Desgleichen (4. 9. 17). 

Penelope jueucaca, Schakuhuhn (Brasilien). — Zwei Exemplare 
gierig verzehrt (4. 9. 17). 

Turdus sp. (Amerika). — Ohne Zögern verzehrt (30. 8. 17). 

Turdus iliacus, Weindrossel. — Lange bearbeitet, dann liegen 
gelassen; Tier satt. Derselbe Vogel fraß hierauf umständlich ein Exem- 
plar von Dolycoris baccarum (übelriechend! 4. 9. 17). 

Lacerta agilis, Zauneidechse. — Larve wie Imago von einer 
hungrigen Eidechse gepackt, doch wieder fallen gelassen (8. 8. 17). 
Ansonsten blieben beide unbeachtet. 

Lacerta serpa, Dalmatinische Eidechse. — Larven wie Imagines 
unbeachtet gelassen (9. 8. 17). Desgleichen (29. 8. 17). 

Hyla arborea, Laubfrosch. — Fing zweimal eine Larve und ein- 
mal eine Imago, spuckte aber alle mit deutlichen Zeichen von Un- 
behagen aus (6. 8. 17). Eine tote Imago fiel dem Frosch auf den 
Kopf, er erschnappt sie blindlings, suchte sie vergeblich etliche Male 
zurückzugeben (sie klebte an der Zunge) und schluckte sie schließlich 
(10. 8. 17). Desgleichen eine lebende Imago; ein weiteres rasch auf- 
geschnapptes Stück entfernte er mit Hilfe eines Vorderfußes energisch 
von der Zunge; nach einer halben Stunde fing er dasselbe Tier und 
gab es ebenso eilig wieder von sich (29. 8. 17). Einzelheiten im Be- 


nehmen des Frosches, z. B. die sofort erfolgende Rückgabe, scheinen 


mir darauf hinzudeuten, daß es sich nicht um eine Geruchs- oder Ge- 
schmacksempfindung (die beide nicht augenblicklich wirksam sind), 
sondern um eine unangenehme Tastempfindung auf der Zunge (Kantıig- 
keit, Härte der Wanzen u. dgl.) handeln dürfte. 

Ergebnis: Vom Igel und den Vögeln (mit Ausnahme einer satten 
Drossel) gerne verzehrt. Außerhalb des Spezialgeschmackskreises von 
Eidechse und Laubfrosch liegend. 


448 Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 


Pyrrhocoris apterus. 


(Pyrrhocoridae; die allbekannte, gemeine „Feuerwanze“; Larven 
rot mit sehr spärlicher schwarzer Zeichnung; Imagines schwarz mit 
roter Umrandung und roten Flügeldecken, die jederseits einen runden, 
schwarzen Fleck tragen: typische auffällige „Warnfärbung“. 
Larven schwach wanzenartig riechend, Imagines ohne Wanzen- 
geruch!) 


Nasua socialis, Nasenbär (Brasilien). — In beliebiger Anzahl 
gerne verzehrt (15. 9. 18). 
Gallus domestieus, Haushuhn. — Totgepickt, besehen, liegen ge- 


lassen, schließlich von einem Hahn verzehrt (30.8. 17). Larven genau 
besehen, nicht angenommen, schließlich aber doch ohne Anzeichen von 
Unhehagen verzehrt (30. 8. 17). Mehrere Imagines nach flüchtigem 
Anblick unbeachtet gelassen (17. 4. 18). Versuche in 4 verschiedenen 
Laufkäfigen: I. Angehackt, liegen gelassen. Il. Verzehrt. III. Genau 
besehen, nicht berührt; kein Zeichen von Angst. IV. Angepickt, laufen 
gelassen, besehen, von einer heranstürzenden Henne verzehrt (24. 5. 18). 
Versuche in 2 Laufkäfigen: I. Von einem Huhn zwei Exemplare ver- 
zehrt, ein zweites Huhn ließ ein vorgeworfenes Exemplar liegen. 
Il. Neun Exemplare verzehrt, manche sofort, manche nach kurzer: Zeit 
Liegenbleiben; kein Stück blieb unverzehrt (29. 5.18). Etwa 25 Hühner, 
verteilt in 5 Käfigen, verzehrten mehr als 20 Wanzen, zumeist ohne 
Zögern (1.8.18). Von frei gehenden Hühnern ohne Zögern verzehrt 
(2. 8. 18). Versuche in 5 Laufkäfigen: I. Larven sofort verzehrt. 
II. Imagınes in 4 Käfigen verzehrt, ın einem (von einem Huhn) ver- 
schmäht (4. 8. 18). Sofort verzehrt (16. 8. 18). Versuche ın 3 Lauf- 
käfigen: I. Angesehen, nicht angenommen. II. Desgleichen. Ill. Von 
drei Hühnern angepickt, mehrmals bearbeitet, liegen gelassen (15.9. 18). 

Pavo eristatus, Pfau. — Larve besehen, nicht angenommen (da- 
gegen eine Forficula auricularia, Ohrwurm, sofort mit Gier verzehrt 
(16.78.18). 

Anas domestica, Hausente. — Ins Wasser geworfene Wanzen 
von schwimmenden Enten unbeachtet. Eine Ente auf dem Lande ver- 
zehrte 1 Exemplar, eine andere beachtete die Wanzen nicht (9. 4. 18). 
Nicht beachtet (4. 9. 18). 

Sylvia atricapilla, Mönchsgrasmücke. — Sofort verzehrt 
(25. 7. 17; Vogel des Herrn Brand). Nicht angenommen; Vogel 
satt (13. 5.-18; Brand). Nicht genommen (8., 10., 11., 12., 17., 18., 
19. IV., 185, De. WolR. 

Sylvia nisoria, Sperbergrasmücke. — Zwei Exemplare mit Be- 
hagen verzehrt (11. 6. 18). 

Erithacus rubeeula, Rotkehlehen. — Nicht angenommen (8., 10., 
11., 12. VIII. 18;,Vogel des Herrn Dr. Wolf). 

Hypolais hypolais, Gartenlaubsänger. — Nicht angenommen 
(17. 7. 17; Vogel satt). Desgleichen (13. 5. 18). 

Turdus sp. (Amerika). — Sofort verzehrt (30. 8. 17). Betrachtet, 
dann verlassen (4. 9. 18). Nicht angenommen (15. 9. 18). 


“i4 


Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt ? 449 


Turdus ibacus, Weindrossel. — Nicht angenommen (21. 6. 18). 
Angegriffen, dann einem anfliegenden anderen Vogel überlassen (11.7.17). 
Nicht beachtet; dagegen wurde eine Stubenfliege (Musca domestica), 
über und über mit dem Leibesinhalte einer Pyrrhocoris-Larve bestrichen, 
sofort gierig verzehrt (1. 8. 18). Der Geschmack letzterer kann somit 
nicht ekelhaft sein. | 


Turdus merula, Amsel. — Nicht angenommen (21. 6. 18). 
Sturnis vulgaris, Star. — Sofort verzehrt (18. 7. 17). Zögernd 


verzehrt (11.7. 17). Eine Larve hastig verzehrt; weitere Larven und 
Imagines z. T. angehackt, dann aber liegen gelassen (11.6. 18). Ver- 
schmäht (21. 6. 18). 

Gymmnorhina tibicen, Flötenvogel (Australien). — Larven mit 
Behagen verzehrt (16. 8. 18). Imagines in beliebiger Anzahl verzehrt 
(15. 9. 18). 

Alauda arvensis, Feldlerche!?). — Nicht beachtet, dann langsam 
verzehrt (8. 4. 18). Angepickt, liegen gelassen; ein Mehlwurm (Larve 
von Tenebrio molitor) wurde neben die Wanze gelegt, und die Lerche 
fraß zuerst den Mehlwurm dann die Wanze (9. 4. 18). Unberührt ge- 
lassen (10. 4. 18). Am Morgen ein Exemplar verzehrt; mittags Mehl- 
würmer, doch ‚keine Wanze genommen (11. 4. 18). Keine Wanze, 
doch Mehlwürmer genommen (12. 4.18). Nicht angenommen (17. 4. 18). 
Nachdem die Lerche mittags kein lebendes Futter erhalten, verzehrte 
sie abends die Wanze sofort (18. 4.18). Nicht angenommen (19. 4. 18). 

Ooturnix coturnix, Wachtel!®), — Totgepickt, nicht verzehrt 
(8. 4. 18). Zwei Exemplare verzehrt, ein drittes nicht (10. 4. 13). 
Morgens 4 Exemplare, dann 2 weitere Exemplare, mittags 1 Exemplar, 
zusammen also 7 Exemplare verzehrt (11. 4. 18). Nicht angenommen 
(12. 4. 15). Sofort verzehrt (17. 4. 18). Desgleichen mittags und 
abends (18. 4. 18). — Versuche mit Vögeln des Herrn Brand: Ein 
Vogel verschmähte die Wanze, ein zweiter verzehrte 2 Exemplare 
(13. 5. 18). 


Paroarva eucullata, Graukardinal (Südamerika). — Zuweilen ver- 
zehrt, zuweilen verschmäht. 
Passer domesticus, Haussperling. — Freilebenden Sperlingen 


(Stadtpark) vorgeworfene Larven wie Imagines blieben dauernd un- 
beachtet; mehrfache Versuche (17. 6. 18; 31. 7. 18; 2. 8. 18). 


Passer arcuatus, Kapsperling (Südafrika). — Ein Exemplar ver- 
zehrt (11. 6. 18). Nicht angenommen (21. 6. 18). 
Lacerta agilis, Aauneidechse. — Besehen, nicht berührt (1. 7.17). 


Nicht beachtet (20.7. 17). Trotz Hungerns wochenlang nicht beachtet 
(29. 5. 18). 


Lacerta serpa, Dalmatinische Eidechse. — Nicht beachtet 
(28. 8. 17). 
Bufo vulgaris, Erdkröte. — 7 Imagines (soviel geboten wurden) 


sofort nacheinander verzehrt (24. 3. 18), Mehrere Exemplare gerne 
verzehrt (4. 5. 18). 


10) Versuche von H. Dr. Wolf durchgeführt. 
42. Band. 29) 








450 Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 


Bufo ealamita, Kreuzkröte. — Sofort verzehrt (3. 7. 17). 

Hyla arborea, Laubfrosch. — Vom kürzlich erworbenen, wahr- 
scheinlich ausgehungerten Frosch erschnappt und verschluckt (1.7.17). 
Nach Verzehren einer Vespa vulgaris, eines Stenobothrus, einer weiteren 
Vespa vulgaris, einer Adonia variegata (Coccinellide) und zweier Musca 
dlomestica verzehrte der Frosch ein Exemplar Pyrrhocoris und hierauf 
eine dritte Vespa vulgaris (9. 9. 17). Erschnappt, loszuwerden ver- 
sucht, da dies nicht rasch genug ging, verschluckt; das Schlucken 
schien dem Frosch Schwierigkeit zu bereiten (harter, kantiger Leib 
der Wanze?); die unmittelbar auf den Moment des Erschnappens 
folgende Abstreifbewegung scheint auf eine Tastempfindung hinzudeuten; 
Geruchs- und Geschmacksurteile bedürfen einer Zeitspanne, um so 
mehr als die Drüsen der Imago auf der Unterseite liegen, der Frosch 
die Wanze indes vom Rücken her fing. Der Frosch lernte nicht durch 
Erfahrung: eine halbe Minute später erschnappte er ein weiteres 


Exemplar, machte augenblicklich nach dem Fang dieselben schwachen . 


Entledigungsversuche und schluckte es dann mit derselben Anstrengung 
hinunter. Eine dritte Wanze nahm er an, entledigte sich ihrer aber 
rechtzeitig; eine vierte nahm er nicht mehr (9. 4. 18). Ansonsten, 
wenn er nicht hungrig war, lebten die Wanzen tagelang unbeachtet 
ın seinem Käfig. 

Carabus Ullrichi, Laufkäfer. — Tagelang unbehelligt im Käfige 
(1T.4, 18): | 

Gesamtergebnis: Diese Wanze, deren Imago der Wanzen- 
gestank fehlt!!), wird trotz ihrer „Warnfärbung* ın der Regel 
verzehrt, im Verhältnis aber doch öfter verschmäht als die stinken- 
den Pentatomiden. Über die Ursachen der Ablehnung ist aus den 
einander teilweise widersprechenden Ergebnissen keine völlige Klar- 
heit zu gewinnen. Die Ablehnung erfolgt ohne Beriechen und zumeist 
ohne Verkosten, also nach dem Gesichtssinn (befremdendes Aus- 
sehen). Die Annahme eines Ekelgeruchs oder Ekelgeschmacks wird 
widersprechend durch die Tatsache, daß derselbe Vogel, der die Wanze 
das einemal unbeachtet ließ, sie ein andermal (zuweilen in mehreren 
Stücken!) gerne verzehrte!?). Eine Stubenfliege, mit dem Leibesinhalt 
einer Wanzenlarve bestrichen, wurde von einem Vogel, der die letztere 


11) Auf Seiten der Hypothesen steht hier der Einwand bereit, das menschliche 
Geruchsorgan sei nicht maßgebend, Pyrrhocoris könne recht wohl einen für Insekten- 
fresser ekelhaften Geruch oder Geschmack haben. Der Einwand ist treffend, ver- 
nichtet aber zugleich die Trutzfarbenlehre. Denn wenn einerseits die wirklich feinde- 
abwehrenden Gerüche (und Geschmäcke) für den Menschen gar nicht wahrnehmbar zu 
sein brauchen, andererseits aber die dem Menschen wahrnehmbaren Ekeldüfte erfahrungs- 
gemäß von den Insektenfressern nicht beachtet werden, dann ist erwiesen, daß die 
menschlichen Sinnesorgane zur Beurteilung der tierischen Geruchswahrnehmungen eben 
nicht verwertbar sind. Und da die Hypothese vom Ekelgeruch nur auf mensch- 
lichen Sinneswahrnehmungen aufgebaut ist, bricht sie in ihren Grundlagen 
nieder, wird gegenstandslos. 

12) Ich bemerke ausdrücklich: Hungerzwang bei den Versuchsvögeln ist stets 
völlig ausgeschlossen; keiner von ihnen war mein Eigentum und ihre Besitzer ließen 
sich durch meine Versuche nicht in der liebevollen Fürsorge für ihre Tiere stören, was 
ich übrigens auch nie von ihnen verlangt hätte. Freilandvögel werden zu Zeiten sicher- 
lich weit hungriger sein. 


Fr Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 451 


selbst verschmäht hatte, gerne verzehrt (Unwirksamkeit von Geruch 
und Geschmack). Hiemit soll nicht gesagt sein, daß der Geschmack 
dieser Wanze dem Spezialgeschmacksempfinden jedes Insektenfressers 
zusagen müsse. 
Nabis lativentris. 

(Reduriidae, Larve bekannt als Ameisennachahmerin. Ge- 
ruch?). 

Syleia atricapilla, Mönchsgrasmücke. — Sofort verzehrt 
(25. 7. 17). 

Hypolais hypolais, Gartenlaubsänger. — Sofort verzehrt (31.7.17). 


Capsidae (sp. SP.)- 
(Die verwendeten Blindwanzen waren zumeist verbergend aus- 
gestattet und zeigten zumeist Geruch.) 


Lacerta agilis, Zauneidechse. — Zögernd angenommen und ver- 
zehrt(". 1, 17.. 

Bufo vulgaris, Erdkröte. — Sofort verzehrt (18. 6. 17). 

Bombinator igneus, Unke. — Sofort verzehrt (18. 6. 17), 

Bombinator pachypus, Bergunke. — Gierig verzehrt (18. 6. 17). 

Rana arvalis, Moorfrosch. — Sofort verzehrt (18. 6. 17). 


Dies das Protokoll meiner Versuche mit heteropteren Hemipteren 
und Insektenfressern. 


Eine Gegenüberstellung der Färbungen und Gerüche ergibt 
folgendes Bild: 


Eurygaster maura und nigrocueullata schutzfarbig — stinkend 
Aelia acuminata 5 an 5 
Carpocoris purpuripennis N) = Be 
Dolyeoris baccarım in — AN 
Palomena prasina 5 = he 
Tropicoris rufipes N R 
Eurydema oleraceum auffällig — stinkend 
Syromastes marginatus schutzfarbig —- obstduftend 
Lygaeus saxattlis auffällig — nicht stinkend () 
Pyrrhocoris apterus 5 — nicht stinkend 
Nabrs lativentris schutzfarbig — 2 
Capsidae sp. — stinkend. 


Schutzfärbung und starker Geruch en Smal, Warnfärbung und 
starker Geruch nur Imal zusammen. Die nicht stinkendeu (auffälligen) 
Arten wurden im allgemeinen etwas häufiger verweigert als die typischen 
(meist unauffälligen) Stinkwanzen, die von Insektenfressern, welche 
Tiere dieser Größe und Konsistenz a jagen, fast ausnahmslos gerne 
und wiederholt verzehrt wurden. 


13) Carpocoris und Tropieoris könnte man in manchen Formen auf bestimmten 
Untergrund auch als auffällig bezeichnen. In der natürlichen Umgebung wird indes 
auch ihr Gelb, Rotgelb, Braun usw., das der Färbung absterbender Pflanzenteile u. dgl. 
entspricht, kaum herausfallen. Ich stelle die Arten daher zu den in der Natur unauf- 
fälligen Formen. 

BIN 


459 Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 
4+)I2 ger, > 5 


Kontrollversuche. 


Zur Aufklärung der etwas geringeren Beliebtheit der grellfarbigen 
Wanzen wurden Kontrollversuche unternommen. Maßgebend für diese 
waren die Überlegungen: 

1. Ist Ekelgeruch oder Ekelgeschmack die Ursache der 
Ablehnung, dann muß eine andere Nahrung, reichlich mit 
dem Drüsen- oder Leibesinhalt der Wanzen bestrichen oder 
vermischt, auch ekelhaft werden. 

2. Ist die auffällige Färbung für sich allein die Ursache 
der Ablehnung, dann muß dieselbe Färbung, einem an- 
sonsten gerne gefressenen Insekt gegeben, die gleiche Ab- 
lehnung erzeugen. | 


I 
Versuchsreihe ad 1: 


Eine Anzahl (etwa zehn) Pyrrhocoris wurde zerquetscht, mit einem’ 
(Juantum Ameisenpuppen innig vermengt und das Gemisch sodann in 
kleinen Gaben an Hühner verfüttert. Die Hühner befanden sich hinter 
einem relativ engmaschigen Drahtgitter, die prapärierten Ameisen- 
puppen konnten sehr nahe an sie herangebracht werden ohne ihren 
Schnäbeln erreichbar zu sein; sie hätten, falls ein Geruch in Betracht 
kam, diesen auf die wenigen Zentimeter Entfernung zuverlässig wahr- 
nehmen müssen. Sie nahmen indes das Gemisch, sobald es in erreich- 
bare Nähe gebracht wurde, gierig an und jene Hühner, die davon ge- 
fressen hatten, drängten sich von neuem heran. / RE 

Brotkrümchen, reichlich bestrichen mit dem ausgequetschten 
Drüseninhalte von Pyrrhocoris, ferner Brotkrümchen mit eingekneteten 
Stücken dieser Wanze (auch solchen von den stärker riechenden Larven) 
wurden von Sperlingen (Passer domesticus), die die unversehrten Wanzen 
ausnahmslos verschmähten, bis auf die letzten Krümchen aufgepickt. 

Eine Stubenfliege (Masca domestica), über und über mit dem Leibes- 
inhalt einer Pyrrhocoris-Larve bestrichen, wurde von einer Weindrossel 
(Turdus ihacus) gierig verzehrt; der Vogel wartete angelegentlich auf 
weiteres. Dieselbe Drossel verschmähte lebende Feuerwanzen. 

Eine Feldheuschrecke (Stenobothrus sp.), über und über mit dem 
Leibesinhalt einer fast erwachsenen Pyrrhocoris-Larve bestrichen und 
für das menschliche Riechorgan auf etwa 4 cm Nähe deutlich einen 
charakteristischen Geruch ausströmend, wurde von einem kleinen 
Exemplare der Zauneidechse (Lacerta agilis) gierig angenommen und 
mit Behagen verspeist. Ein zweiter, größerer Stenobothrus, mit dem 
Leibesinhalt von zwei großen Pyrrhocoris-Larven bestrichen, wurde 
hald darauf derselben Eidechse geboten; er wurde, seiner Größe halber 
mühsam, aber sichtlich mit Behagen verzehrt. Der Geruch und Ge- 
schmack des Pyrrhocoris hat der Eidechse das Mahl nicht verleidet. 
Einen Pyrrhocoris selbst haben die Eidechsen nie verzehrt. 

Die Versuche erweisen, daß Geruch und Geschmack 
nicht im allgemeinen als die Faktoren bezeichnet werden 
können, welche die Ablehnung der Feuerwanze bedingen. 





n 





Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 453 


Versuchsreihe ad 2: 

Eurygaster nigrocucullata wurde von Hühnern sofort gierig ange- 
nommen (siehe oben). Dieselbe Wanze, beklebt mit den grell-schwarz- 
roten Flügeldecken von Pyrrkocoris, wurde von einem Huhn betrachtet, 
aber verschmäht. Bei einer anderen Hühnergruppe wurde dasselbe 
Stück von einer Henne nach sekundenlangem Zögern angenommen 
und verzehrt. Ein zweites, gleich behandeltes Exemplar dieser Wanzen- 
art wurde von einer Hühnergruppe verschmäht, von einer zweiten 
angenommen. 

Eurygaster nigrocucullata, lebend, oberseits mit Wasserlarbe in 
Färbung und Zeichnung eines Pyrrhocoris grell bemalt, wurde von 
einer Hühnergruppe betrachtet, aber nicht berührt. Bei einer zweiten 
Hühnergruppe dasselbe Resultat; bei einer dritten Gruppe nahm nach 
kurzem Zögern ein Hahn die Wanze an, ließ sie aber fallen und liegen, 
worauf ein Huhn sie nahm, aber wieder verlor, bis schließlich ein 
anderes Huhn sie erwisehte und in Eile fraß. Ein zweites Stück der- 
selben Wanzenart, gleichfalls grell mit der Zeichnung eines Pyrrhocoris 
bemalt, wurde von einer Gruppe Hühner betrachtet, aber unberührt 
gelassen; bei einer zweiten Gruppe nahm sie ein Hahn und fraß sie. 

Das Resultat war in allen Versuchen übereinstimmend: Eın sonst 
‚ bedingungslos angenommenes Tier wurde, sobald ihm ein 
an Pyrrhocoris erinnerndes Äußeres gegeben wurde, ebenso 
wie eine Pyrrhocoris behandelt, d. h. zweifelnd betrachtet, 
verschmäht oder zögernd angenommen. Die Ursache der 


Ablehnung lag also wohl in der Färbung. 
Es steht die weitere Frage zur experimentellen Behandlung: 


Wirkt nur die Ähnlichkeit mit Pyrrhocoris in solcher Weise, 
oder kommt gleiche Wirkung jeder beliebigen grellen 
Färbung zu? IstesnurdasGrelle, Befremdende, Auffällige 
im allgemeinen, dasangrıffhindernd oder verzögernd wirkt? 

Ich habe lebende Kurygaster mit Wasserfarben (die keinen für 
mich wahrnehr:baren Geruch hinterließen) grellrot mit schwarzen 
Längsstreifen bemalt. Sie ähnelten keinem Pyrrhocoris (eher einem 
. Graphosoma ttalieum) und wurden beim Versuche von Hühnern dreier 
Gruppen verschmäht; die Hühner dreier anderer Gruppen aber, die 
zu den vorangeführten Versuchen stärker herangezogen worden waren 
und hierbei wohl die farbigen Wanzen kennen gelernt hatten, drängten 
sich bei Vorweisung des gestreiften Artefakts eifrig heran. Auch 
Eurygaster, grellrot quer gestreift, wurden von diesen Hühnern nach 
kurzem Zögern angenommen und verzehrt. (Die Hühner hatten sich 
anscheinend allgemach an die Fütterung mit den grellfarbigen Tieren 
gewöhnt.) Kurygaster, ganz erdgrau oder ganz grün bemalt, wurden 
von den ersterwähnten Hühnern, die eben die rotgezeichneten Wanzen 
abgelehnt hatten, angenommen und verzehrt; nur eine Hühnergruppe 
nahm einmal eine grünbemalte Wanze nicht an. Zwischen den Ver- 
suchen zur Kontrolle gebotene unbehandelte Kuryyaster wurden stets 
mit einer von dem Zögern vor grellbemalten Stücken gut zu unter- 
scheidenden gierigen Hast genommen. 


454 Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 


Gleiches Ergebnis brachten Versuche mit bemalten Ameisenpuppen. 
Diese Puppen waren grellrot mit schwarzen Flecken, Binden oder 
Streifen bemalt und machten einen überaus „warnenden“ Eindruck. 
Die engen Käfiggitter boten Gelegenheit, den Hühnern diese Puppen 
aus großer Nähe mit Muße betrachten zu lassen. Während normale 
Ameisenpuppen nun stets mit unbedenklicher Gier angenommen wurden, 
zeigten sich die Hühner gegenüber den farbigen Puppen aufällig zurück- 
haltend. Sie betrachten sie wie verwundert, reckten die Hälse, drehten 
die Köpfe, um sie besser ins Auge fassen zu können; manche Hühner 
gingen davon, manche ließen sich zögernd zum Picken herbei. Früher 
oder später wurden allerdings auch diese Puppen aufgepickt, aber die 
Art und der zum Verzehren benötigte Zeitraum waren wesentlich 
andere als bei normalen Puppen. Das Gebahren der Hühner vor 
diesen bemalten Puppen war das gleiche wie jenes von Feuerwanzen. 

Gelb gefärbte Ameisenpuppen wurden von Hühnern genommen, 
blau gefärbte nur zögernd. In einem gnoßen Flugkäfige mit Drosseln, 
Graukardinalen u. s. w. wurden unbehandelte Ameisenpuppen sofort 
verzehrt, rot gelärbte dagegen blieben lange unbeachtet liegen, bis 
sich gelegentlich ein Vogel zweifelnd mit ihnen beschäftigte. Von 
freilebenden Sperlingen wurden essigäthergetränkte, stark riechende, 
aber ungefärbte Ameisenpuppen sofort aufgepickt, unbehandelte, 
geruchlose Puppen aber, die beim Bemalen der anderen etwas Rot- 
färbung abbekommen hatten, blieben von den Sperlingen nach ein- 
fachen Hinsehen unbeachtet. Ein Sperling, der eine von ihnen er- 
wischte, ließ sie ungefressen fallen. 

(Ich erwähne hier, daß nach meinen Erfahrungen das Anpicken, 
Anhacken eines Insekts durch einen Vogel keine Geschmacks- 
prüfung ist, sondern eine mechanische Untersuchung. Hühner 
verhielten sich nach dem Anpicken bemalter Ameisenpuppen ebenso 
unentschlossen wie vor demselben. Etwa wie ein Mensch in einer 
Speise, die er aus irgendwelchem Grunde nicht zu genießen gedenkt, 
doch noch herumstochert, wie er einen im Walde gefundenen, ver- 
dächtigen Pilz zerbricht u. dgl. Über die außerordentliche Geruchs- 
und Geschmacksstumpfheit der Vögel habe ich andernorts Angaben 
gebracht). !*) 

Die Versuchsergebnisse erweisen: Die Ursache der Ablehnung 
liegt in der auffälligen Färbung und ist unabhängig von 
(Geruch oder Geschmack. 


B. Versuche anderer Forscher. 


Dr. J. Fahringer hat mir eine Reihe Beobachtungen mitgeteilt, 
welche erweisen, daß Blindschleichen (Angus fragilis), größere Eı- 
dechsen (Lacerta viridis u.a.) Wanzen als Nahrung nicht bevorzugen, 
aber keinen Abscheu vor ıhnen zeigen. Desgleichen wurden Stink- 
wanzen (Palomena prasina, Eurydema oleraceum) und Lygaeus equestris 
von Fischen (Salmo Fario, Leueiscus rutilus, Misgurnus fossilis, Perca 


14) Z.B. Zoologischer Anzeiger, Bd. LI, Nr. 11/13, S. 294—29. 








Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 455 


fluwiatilis) verzehrt. Wiewohl Wanzen nicht in den Normalnahrungs- 
kreis von Spinnen fallen, nahmen hungrige Araneus diadematus ohne 
Zeichen von Ekel Graphosoma ilalicum, Syromastes marginatus, Nabis 
lativentris und Pyrrhocoris apterus in der Regel an. Ein Weberknecht 
(Phalangium opilio), den Beobachter in einem Hotel ın Jalowa (Klein- 
asien) unter seinem Bette fing, trug eine Bettwanze (Cimex lectularia), 
an der er saugte, zwischen seinen Kieferklauen. (Einem Briefe von 
0.Schrottky, Puerto Bertoni, entnehme ich, daß auch in Südamerika 
Baumwanzen vielfach eine Spinnenbeute bilden.) 

Von Raubinsekten sah Fahringer die Asilide ZLaphria flava 
folgende Wanzenarten aussaugen: (alocoris sexguttata, Burydema 
oleraceum, Nezara wiridula. Die Sphegide Tachysphex nitidus trug 
stichgelähmte Larven von Kurydema oleraceum und Pyrrhocoris apterus 
als Larvenfutter ein. Astata boops, gleichfalls eine Sphegide, trug 
Nexara viridula ein (Belgrader Wald bei Konstantinopel). Dinetus 
pietus trägt vornehmlich Larven von Nabis lativentris (Ameisennach- 
ahmer!) ein (Öajnica, Bosnien) ’°). 

Ausgedehnte, schöne Versuche (leider mit exotischen Insekten- 
fressern und britischen Insekten, also vom Selektionsstand- 
punkte aus wegen mangelnder natürlicher Lebensgemeinschaft wertlos) 
hat R.J. Pocock im Zoologischen Garten in London unternommen '°). 
Hinsichtlich Wanzen folgende: 


Tropicoris (Pentatoma) rufipes. 
(Charakteristik siehe oben). 

Cercopithecus mona, Nonnenaffe (Meerkatze, Nigeria). — 
Nach langem Betasten, Beriechen und Kosten verzehrt (31. 7. 09). 

„Eine auf den Boden gelegte wurde von einem Fliegenfänger 
(Fantailed Flycatcher, Rhipidura tricolor, aus Australien) gepackt und 
ein halbdutzendmal angepickt. Der Vogel wurde dann von einem 
weiblichen Black Tanager (Tachyphonus melaleueus, Mittel- und nörd- 
liches Südamerika) vertrieben, welcher an der Wanze mehrmals pickte 
und sie dann verließ, Ein Syrischer Bulbul (Pyenonotus zanthopygus, 
Nordostafrika, Syrien) fiel über sie her, versucht sie, gab sie aber auf, 
nachdem er sich eine Weile mit ihr beschäftigt. Dann machte der 
Tanager einen weiteren Angriff, verließ sie aber wieder. Ich gab so- 
dann die verstümmelten Überreste einer „Harmonious Shrike-Thrush* 
(Collyriocincla harmonica, Australien), welche sie nach einigen Picken 
verschluckte. — Eine (lebende) mit sehr wenig Verzug gefressen vom 
Silberfasan (Silver Pheasant, Gennaeus nyethemerus, Südchina); aber 


15) Vgl. auch: ©. Schmiedeknecht, Die Hymenopteren Mitteleuropas. 
Jena, 1907. — F. F. Kohl, Die Gattungen der Sphegiden. Annalen nat.-hist. 
Hofmuseum, Wien, XI., 1896. — Daß auf Seiten räuberischer Arthropoden irgend- 
welche Abneigung gegen Wanzen nicht besteht, ergibt sich aus E. B. Poultons ver- 
dienstvoller Zusammenstellung: Predaceous Insects and their Prey. Trans Ent. 
Soc. London, 1906. 

16) On the Palatability of some British Insects, with Notes on the 
Significance of Mimetic Resemblances. Proceed. Zool, Soc. London, 1911, 2. 
p. 847. 


456 Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt ? 


zur Erde geworfen, als er sie aus meiner Hand genommen hatte. 
Eine (tote) in derselben Weise behandelt und verzehrt von dem 
gleichen Vogel. 
Therapha hyoseyami. 

(Coreidae; blutrot und schwarz gezeichnet; den Geruch bezeichnet 
J. Gulde!”) als „angenehm zimtartig“). 

Liothrix luteus, Pekin-Robin (China). — Sofort genommen und 
nach längerer Beschäftigung damit verzehrt (20. 9. 10). 


Dies sind Pococks sämtliche Versuche mit Wanzen. Ich habe 
einen Teil der Schilderung P.s absichtlich ungekürzt wiedergegeben. 
Deutlich erhellt aus ıhr die Geringwertigkeit der mit satten Voliere- 
vögeln angestellten Versuche. Solche Vögel behandeln die ihnen vor- 
gelegten Insekten überhaupt nicht ernstlich als Mittel zur Befriedigung 
eines Nahrungsbedürfnisses, sondern mehr als Gegenstand ihres Be- 
schäftigungstriebes, als Zeitvertreib, Spielzeug; es ist ihnen nicht ernst 
mit dem Verzehrenwollen, da sie ja gesättigt sind. (Ganz anders wird 
ein Freilandvogel handeln, neben dem nicht den ganzen Tag über der 
gefüllte Futternapf steht.) Daher die zahlreichen unbestimmten und 
einander oft widersprechenden Ergebnisse der Versuche mit Käfigvögeln. 

Ergebnis der Pocockschen Versuche: Nicht eine einzige der 
vorgelegten Wanzen, auch nicht der Rest einer solchen, 
blieb ungefressen'°). 

G. Rörig!?) hat Kiefernstämmchen, ın deren Rinde verborgen 
zahlreiche Rindenwanzen, Aradus cinnamomeus, saßen, Meisen (Parus) 
und Goldhähnchen (Regulus) vorgelegt. Die Vögel hatten rasch die 
verborgen sıtzenden Wanzen ausfindig gemacht, machten dieselben 
durch Loshacken der Rinde frei und verzehrten sie. Diese Wanze 
besitzt einen „intensiven Geruch, der dem der Bettwanze ähnelt“ 
(A. Krausse). | 

Weitere mir bekannt gewordene gleichsinnige Versuchsergebnisse 
anderer Forscher übergehe ich Raummangels halber. Sie stehen in 
Einklang mit, den Ergebnissen meiner Untersuchungen. 


C. Mageninhaltsuntersuchungen. 

Die Hauptfeinde der im allgemeinen pflanzenbewohnenden Hemi- 
pteren sind Vögel und Insekten (Räuber und Halbparasiten). 
Was ein Vogel verzehrt hat, ist in seinem Kropf oder Magen, in 
seinem Gewöll oder Kot nachzuweisen. Was sich in seinem Magen 


17) Bericht der Senckenbergischen naturforsch. Gesellsch. Frankfurt a. M., 1902, 
S. 123. 

18) Ich kann die im Anhange zu P.s Arbeit ausgedrückte Meinung E. B. Poultons, 
diese Versuche bildeten eine „Bestätigung der offenbaren Unschmackhaftigkeit der 
Hemipteren“, nicht zutreffend finden. Das Zögernde, Spielerische beim Fraße hat seine 
Ursache in der Sattheit der Versuchstiere und nicht in einem Ekelgeschmack der Wanzen. 
Wäre letzteres der Fall, so müßten die Wanzen schließlich ungefressen bleiben, da ein 
satter Vogel keinen Grund hat, ein ihm Widerwärtiges zu verzehren. 

19) Studien über die wirtschaftliche Bedeutung derinsektenfressen- 
den Vögel. Arb. Kais. Biol. Anst. Land- u. Fortswirtsch., Berlin, IV., H. 1, S. 47; 
1905. — Die wirtsch. Bedeutung der Vogelwelt als Grundlage des Vogel- 
schutzes. Mitt. Kais. Biol. Anst. f. Land- u. Forstwirtsch., Berlin, H. 9, 1910. 


Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt ? 457 


regelmäßig vorfindet, muß von ihm gefressen worden sein, kann vor 
ihm keinen Schutz genießen, kann ihm nicht ekelhaft sein. 

Man könnte den folgenden Darlegungen den Einwand entgegen- 
halten: daß Wanzen überhaupt nie gefressen werden, wird nicht be- 
hauptet. Kein Schutz ist vollkommen. Aber der Ekelgeruch bedingt, daß 
die Wanzen in geringerem Ausmaße gefressen werden als sie es wür- 
den, wenn sie keinen Ekelgeruch besäßen, und dies ıst der Auslesefaktor. 

Ruht diese Behauptung auf Erfahrungstatsachen oder wurde sie 
aufgestellt ohne solche, zur theoretischen Stütze der Ekelgeruchs- 
hypothese? Prüfen wir die Tatsachen. | 

Das Experiment hat gezeigt, daß der „Ekelgeruch“ der Wanzen 
von den geruchsstumpfen Vögeln völlig unbeachtet bleibt. Aus 
den Versuchsergebnissen entspringt somit keine Stütze 
der Annahme, die Wanzen würden in irgendwie geringerem 
Ausmaße verzehrt alsandere Insektenähnlicher Konsistenz. 

Die vergleichende Statistik der Mageninhaltsunter- 
suchungen zeigt, daß die Wanzen (nächst den dominierenden Käfern) 
ein Hauptkontingent zur Vogelnahrung stellen und im Verhältnis hinter 
den anderen Insektengruppen nicht zurückstehen (man vergleiche 
die weiter unten angeführten Mitteilungen nordamerikanischer Forscher, 
die ihre Ergebnisse unbeeinflußt von den Trackthypothesen auf ange- 
wandt entomologischem Gebiete gewannen). Mit den Ergebnissen der 
Mageninhaltsuntersuchungen läßt sich die Annahme, die Wanzen würden 
in größerem Ausmaße verzehrt, wenn sie keinen (für den Menschen 
wahrnehmbaren) Geruch besäßen, nicht stützen. 

Die Annahme, der Wanzehgeruch sei ein auch nur bedingter 
Schutz, entbehrt daher der Tatsachenstütze, ısb abzulehnen. Zu gleichem 
Ergebnisse führt die einfache Überlegung: ein wirklich Ekelhaftes wird 

‚verschmäht, aber nicht in geringerem Ausmaß verzehrt. 

Die umfangreichsten Untersuchungen über die Mageninhalte mittel- 
europäischer Vögel verdanken wir E. Csiki?). Es seı hier auf die 
Schwierigkeit der sicheren Identifizierung der Insektenreste im Vogel- 
magen hingewiesen. Der Vogel verdaut sehr rasch?!). Nach wenigen 
Stunden, oft nur nach Bruchteilen von Stunden, sind die Hartteile 
eines Insekts aus dem Magen verschwunden. Gut erkennbare, zur 
Artbestimmung geeignete Reste dürften daher in der Regel nur aus 
etwa der letzten halben Stunde oder Stunde des Lebens des Vogels 
stammen. Je nach der Art des Vogels, nach der Qualität der aufge- 
nommenen Nahrung, nach der Sachkenntnis des Determinators u.s.w. 
wird ein Mageninhalt nur wenige sichere Artnamen der verzehrten 
Insekten (oft nur 2 bis 4, häufig gar keinen) liefern. 

Die Csikischen Untersuchungen, von dem Fachentomologen eines 
Museums an sehr reichem Material durchgeführt, sind die entonologisch 
genauesten, die mir bekannt geworden sind. 





20) Positive Daten über die Nahrung unserer Vögel. Aquila, Zeitschr. 
d. Ungar. Ornitholog. Zentrale, Budapest. Bd. XI.—XXI. 1904— 1915. 

21) Vgl. G.Rörig, Untersuchungen über die Verdauung verschiedener Nahrungs- 
stoffe im Krähenmagen. Arb. Kais. Biol. Anst. Land- u. Forstwirtsch., Berlin, Bd. V.,H.5. 


458 Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 


Csikı führt unter anderen auf: 

Im Großen Würger (Landus excubitor) die Wanzenarten: Aelia 
acuminata, Pentatomidae sp., Harpactor iracundus. — Im Kleinen 
Würger (Lanius minor): Aclhia acuminata, Tropieoris rufipes (2-1), 
arpocoris nigricornis, verbasci, Kurygaster maura, Pentatomtdarum Sp., 
Lygaeidarum sp. — Im Dorndr eher (Lanius a) Pentatomidae 
sp. (3 Fälle), Eurygaster maura (3 Fälle), Tropieoris rufipes (3 Fälle), 
Dolyeoris baccarım (3 Fälle), Palomena prasina (6 Fälle), Aelia acuminata 


(3 Fälle), Harpactor iracundus, Capsidarım sp. — Im Pıirol (Oriokıs 
galbula): Pentatomidarum Sp., Palomena prasina (13 Fälle), Trop. rufipes, 
Acanthosoma haemorrhoidale. — In der Hausschwalbe (Ohelidonaria 


urbiea):: Aelia acuminata. — In der Rauchschwalbe (Herundo rustiea): 
Pentatomidarum sp., Eurygaster hottentotta, Dolycoris baccarum, Lygus 
campestris. — Im Grauen Fliegenfänger (Museicapa grisola): Eury- 
gaster maurus. — Im Halsbandfliegenfänger (Museicapa collaris): 
Pentatomidarum sp. — Im Kuckuck ((keulus canorus): Aelia acuminata, 
Pentatomidarum sp. — In der Blaurake (Coracias garrula): Eury- 
gaster hottentota, Eurygaster sp. — Im Baumläufer (Certhia familiaris): 
Capsus sp., Hemiptera sp. — In der Spechtmeise (Sitta europaea): 
Pentatomidae sp. (3 Fälle. — In der Kohlmeise (Parus major): 
Pentatomidae sp. (4 Fälle), Eurygaster maura (2 Fälle), Aelia acuminata, 
Eusarcoris melanocephalus, Capsidae sp., Phytocoris sp. — In der 
Tannenmeise (Parus ater): Aelia acuminata. — In der Sumpf- 
meise (Parus palustris): Pentatomidae sp., Rhopalotomus ater. — Im 
- Goldhähnchen (Regulus regulus): Pentatomidae sp., Gastrodes abietis, 
Anthocoris nemorum. — In der Dorngrasmücke (Sylvia sylvia): 
Aelia acuminata, Pentalomidae sp. — In der Zaungrasmücke (Sylvia 
curruca): Pentatomidae sp. — Im Gartensänger (Hypolais hypolais): 
Aelia acuminata (2 Fälle). — Im Waldlaubsänger (Phylloscopus 
sibilator): Aelia acuminata, Anthocoris sp., Tingitidarum sp- (3 Fälle): 
— Im Zaunkönig (Troglodytes troglodytes): Aelia acuminata, Penta- 
tomidae sp. — Im der Amsel (Turdus merula): Eurygaster maura, 
Rhaphigaster nebulosa, Zierona coerulea, Lygus pratensis. — In der 
Wacholderdrossel (Turdus pilaris): Pentatomidae sp., Aelia acumi- 
nata, Dolycoris baccarım, Seiocoris cursitans, Sciocoris sp. (2 Fälle). — 
In der Misteldrossel (Turdus viscivorus): Pentatomidae sp., Palomena 
prasina. — In der Singdrossel (Turdus musiceus): Aelia acuminata. — 
Im Gartenrotschwanz (Ruteilla phoenicurus): Aelia acuminata, 
Eurygaster maura, Corizus sp., Nabis ferus. -— Im Rotkehlchen 
(Erithacus rubecula): Aelia acuminata, Eurygaster maura (2 Fälle), 

Jusarcoris aeneus, Syromastes marginatus, Lygus pabulinus, Tingitidae. 
Im Rotfußfalken (Oerehneis vespertinus): Eurygaster maura (3 Fälle), 
Aelia acuminata (2 Fälle), Dolycoris baccarum (2 Fälle), Palomena 
prasina, Rhaphigaster nebulosa (grisea), Pentatomidarum sp., Syromastes 
marginatus (4 Fälle. — Im Nußhäher (Nwueifraga caryocatactes): 
Palomena prasina (2 Fälle), Pentatomidarum sp. — Im Eichelhäher 
(Garrulus glandarius): Kurygaster hottentota (3 Fälle), Aelia acuminata 





Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgerueh geschützt? 459 


(2 Fälle), Palomena prasina (17 Fälle), Dolycoris baccarıum, Tropicoris 
rufipes (8 Fälle), Rhaphigaster nebulosa (15 Fälle), Pentatomidarum sp., 
Harpactor iracundus (3 Fälle). — In der Nebelkrähe (Corvus cornix): 
Pentatomidae sp., Aelia acuminata, Burygaster hottentota (2 Fälle), 
Rhaphigaster nebulosa, Dolycoris baccarım, Nepa einerea. — Im Reb- 
huhn (Perdix perdix): Pentatomidarum sp., Eurygaster maura (4), 
Oydnus nigrita (6, 2), Aelia accuminata (4 Fälle), Dolycoris baccarım 
(2 Fälle), Burydema oleraceum (4 Fälle), Corizus sp., Lygaeidarum Sp., 
Pyrrhocoris apterus (94 Stücke in einem Magen!), Nabis ferus. 


Soweit Osiki. Der Uneingeweihte könnte die Angaben dürftig 
finden; der Kenner aber weiß, daß die übrigen Insektenordnungen 
(sofern wir von den in den Mageninhalten fast stets weitaus dominieren- 
den Käferresten absehen) ??) noch mit weit spärlicheren Angaben ver- 
treten sind und daß die obangeführten Daten einen relativ sehr 
reichen Anteil der Wanzen an der normalen Vogelnahrung bezeugen. 
(Vgl. auch die Angaben von Beal u. a. weiter unten.) Außer den 
Csikischen liegen noch Arbeiten anderer Forscher (ich nenne nur 
a. Reichert, und E’-Rey,. G; Rorıg,. W. Baer... -K. Loos, 
W. Schuster u. a.) vor, aus denen ebenso wie aus Usikis Unter- 
suchungen die Schutzlosigkeit der Wanzen erhellt. Die Untersuchungen 
erweisen sogar, daß es Vogelarten gibt, welche Wanzen mit be- 
sonderer Vorliebe jagen. Ein solcher Vogel ist beispielsweise der 
heimische Pirol (Oriolıs galbula)??). Eine Mageninhaltsliste seines 
indischen Vetters Orziolus kundoo, die ich weiter unten gebe, wird dies 
augenfällig machen. 

Das U. S. Department of Agriculture ın Washington hat 
seinerzeit mit bekannter Großzügigkeit Mageninhaltsuntersuchungen 
nordamerikanischer Vögel (an 40000) durchführen lassen. Die Ergeb- 
nisse sind in zahlreichen Arbeiten von W.L. Mc Atee, F.E.L. Beal, 
S. Judd u.a. niedergelegt. Da eine eingehende Besprechung raumes- 
halber hier untunlich ist, greife ich kurz einige Daten heraus. 

Beal über die Nahrung nordamerikanischer Fliegen fänger**); 
einer Tabelle ist zu entnehmen, daß beim Graukehligen Fliegenfänger 
(Miyiarchus cinerascens) die Hemiptera (s.1.) 20-11%, beim Gehäubten 
Fliegenfänger (M. erinitus) 14-26%, beim Kleinen Fliegenfänger 
(Empidonax minimus) 11-12%, bei der Schwarzen Phoebe (Sayornis 
nigricans) 10-56%, bei der Phoebe (Sayornis phoebe) 10-38%, beim 
Scheerenschwänzigen Fliegenfänger (Muscivora forficata) 10-179, u.s. w. 
ausmachen. Also ein Prozentsatz, der ihrer Bedeutung im Landschafts- 





22) Das Dominieren der Käferreste mag seine Ursache teilweise im Arten- und 
Individuenreichtum dieser Insektengruppe, in der leichten Erbeutbarkeit, zum großen 
Teil sicherlich aber auch in der starken Chitinisierung der Käfer haben, welche 
der Verdauungsarbeit relativ länger Widerstand leisten als die Körperhüllen anderer 
Insekten. 

23) W. Schuster, Wertsehätzung unserer Vögel (Gera-Untermhaus, Stutt- 
gart, 1906, S. 55) betont, Pirole fräßen „mit Vorliebe‘ Wanzen. 

24) Food of our more important Flycatchers. U. S. Dept. of Agrie., Biol. 
Surv., Bull. 44, Washington 1912, p. 6. 


460 Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 


bilde reichlich entspricht. Beal bemerkt hierzu: „Hemiptera (Wanzen) 
werden von einigen in sehr großem Ausmaße verzehrt, insbesonders 
die größeren, fliegenden Arten... .“ e 

Beal über die Nahrung nordamerikanischer Schwalben®). Pur- 
purschwalbe, Progne subis: untersucht 205 Magen, ın 70 davon 
Hemiptera; Anteil der Hemiptera an der Gesamtnahrung 14-58; 
am häufigsten darunter Pentatomiden (stinkbugs); ein Magen enthielt 
26 Stück von Nezara hilaris, andere je 27, 25, 11 und 8 Stück von 
Myodocha serripes; „... dies zeigt, wie diese Wanzen von der Purpur- 
schwalbe ohne weiters verzehrt werden“. — Klippenschwalbe, 
Petrochelidon lunifrons: Hemiptera bilden 26-32% der Nahrung. — 
Scheunenschwalbe, Hirundo erythrogastra: Hemiptera bilden 15-1%, 
der Nahrung; hauptsächlich Pentatomiden; „. ... aus der Regelmäßig- 
keit des Vorkommens in den Magen erhellt, daß sie schmackhaft sind 
(. . . evidently very palatable,“ — Baum- oder Weißbauch- 
schwalbe, Iridoprocne bicolor: „Hemiptera ... haben in ihrem Geruch 
nichts Widerwärtiges für Vögel“; ein Magen enthält die Reste von 
80 Exemplaren von Blissus leucopterus, „ein Zeichen, daß sıe schmack- 
haft sind“. — Violettgrüne Schwalbe, Tachyeineta thalassina: 
„Hemiptera bilden den Hauptanteil der Nahrung (35-96%)“; hier sind 
allerdings auch Homoptera stark vertreten u. s. w. Es bilden die 
Hemiptera im Durchschnitt 17-20%, der Nahrung nordamerikanischer 
Schwalben. 

Beal über die Nahrung nordamerikanischer Kuckucke°®). 
Pentatomiden wurden ın einer größeren Anzahl von Magen gefunden, 
Hemiptera bilden von Mai bis August etwa 12%, der Nahrung. 

Raumeshalber sehe ıch von der Anführung weiterer mir vor- 
liegender Daten ab. In der Nahrung mancher Vogelgruppen bilden 
die Wanzen zuweilen einen geringeren Prozentsatz; daß dies indes 
nicht auf einen „Schutz“ der letzteren zurückzuführen ist, sondern 
lediglich auf besondere Eigenheiten in der Jagdweise, im Jagdorte, in 
der Spezialgeschmacksrichtung jener Vögel, erhellt aus der Tatsache, 
daß — die Hemiptera mögen reich oder spärlich in der Normalnahrung 
vertreten sein — in den meisten Fällen gerade die stinkendsten 
Arten den Hauptteil des Hemipterenanteils der Nahrung ausmachen. 

Zusammenfassend sagt Beal auf Grund sehr reicher Erfahrung?’). 
„... es hat die Untersuchung der Mageninhalte zahlreicher Vögel er- 
wiesen, . . . daß trotz schützender Färbung, trotz schützender oder 
nachahmender Form, ekelhafter Gerüche, scharfer Absonderungen und 
abwehrender Rüstungen die dergestalt geschützten Insekten von den 
Vögeln gefunden und gefressen werden und in vielen Fällen einen 
namhaften Prozentsatz deren jährlicher Durchschnittsnahrung aus- 

25) Food Habits of the Swallows. U. S. Dept. Asgrie.. Bull: ‚Nr. 619. 
Washington, 1918. 

26) Cuekoos and Shrikes. U. 'S. Dept.  Agrie., Biol. Surv., Bull. 9. 
Washington, 1898. 3 

27) The Relation between Birds and Insects. Yearbook Dept. Agrie. 1908, 
Washington, p. 346. 


Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 461 


machen ... So besitzen Pentatomiden einen äußerst widerlichen 
Geruch und Geschmack ... und haben hierzulande den Namen »Stink- 
wanzen« (stınk bugs) erhalten. Es ıst indes offenkundig, daß die Vögel 
sie gar nicht ekelhaft oder irgendwie unangenehm finden, denn sie 
fressen dieselben ohne weiteres. In der Tat sınd wenige Insekten ın 
den Magen so vieler Vogelarten und Vogelindividuen gefunden worden 
wie diese.“ 

Es liegt hier das Urteil eines über reichste Tatsachenerfahrung 
verfügenden, vom agrikulturellen Standpunkte ausgegangen, an der 
Frage der Trachthypothesen also völlig unbeteiligten Forschers vor. — 

©. W.Mason und H.Maxwell-Lefroy handeln über die Nahrung 
der Vögel Indiens°*). Sie stellen fest: „... Die Heteroptera oder 
Wanzen bilden eine durchaus allgemeine Nahrung der 
Vögel...*, und bringen eine ansehnliche Liste der Vögel, in denen 
Wanzen gefunden wurden. Über die indischen Pirole Oriolus kundoo 
und melanocephalos findet sich die Bemerkung, diese Vögel besäßen 
eine besondere Vorliebe für Wanzen. Nachfolgend eine Liste 
der Mageninhalte von ©. kundoo, alles ın den Magen gefundene 
Tierische aufführend (Heteroptera sind durch ein vorgesetztes 
Sternchen gekennzeichnet). 

7. 1. 08. 1 kleiner Carabide. *1 Lygaeus hospes. 1 Nematode 

8. 2. 07. *4 Dysdercus cingulatus. *3 Lyg. hospes. *2 Lygaeus sp. 

20. 2. 07. *2 Dysdercus cingulalus. 

13. 3. 07. 2 Rüsselkäfer. *1 Dysd. eingulatus. *1 Nexara viridula? 
(Pentatomidae). *2 Schildehen von Hemipteren. 

20. 3. 07. 3 Myllocerus sp. (Rüsselkäfer). 

11. 4. 09. 1 Camponotus compressus (Ameise). 5 Myllocerus discolor 

15. 4. 07. *3 Dysdereus cingulatus. 2 Geometridenraupen? 

20. 5. 07. 4 Larven (Ocinara varians?). 

16. 5. 08. 1 großer Rüsselkäfer. 4 Myllocerus sp. *1 Hemipteren- 
schildchen. 

13. 6. 08. *6 Dysdereus cingulatus. 2 Spinnen. 

7. 9. 08. 4 Myllocerus maculosus. "1 Hemipterenschildehen. 


Ein ähnliches Bild bietet O. melanocephalus. 

F. Dahl zeichnet ein Bild des Lebens der Vögel auf den Bis- 
marckinseln”?’). Er findet eine große Aradide in einem Falconiden; 
11 Stück Pyrrhocoriden in den Magen von 4 Exemplaren von Caco- 
mantis insperatus, einem kleinen Kuckuck; 2 bunte Pentatomiden, eine 
große und zahlreiche kleine rot und schwarz gefärbte Pyrrhocoriden 
in 3 Magen von Lamprococeyx plagosus, einem anderen kleinen Kuckuck; 
eine Pentatomide in einer Nachtschwalbe, Caprimulgus macrurus; 
2 Pentatomiden, 8 Köpfe von solchen (Agapophyta) und eine Scutel- 
leride in 4 Magen eines Seglers, Macroptery& mystacea; eine Reduvüde, 

28) The Food of Birds in India. Mem. Dept. Agric. India. Calcutta. 1912. 
III. 343. 


29) Das Leben der Vögel auf den Bismarckinseln. Mitt. a. d. Zool. 
Sammlg. d. Mus. f. Naturk., I., Berlin, 1899. 


462 Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Fkelgeruch geschützt? 


eine Pyrrhocoride und eine Scutelleride in 4 Magen eines Drongos, 
Dierurus laemostictus; 5 Heteropterenköpfe und 2 Pentatomidenköpfe 
in 3 Magen eines Schwalbenstars, Artamus insignis; in anderen Vögeln 
noch Pentatomiden, Seutelleriden, Tingiden u. s. w. 

G. A. K. Marshall, der Studien (in geringerem Umfange) in Süd- 
afrıka anstellte®®), verzeichnet Pentatomiden aus den Magen von 
Geoeichla litsitsirupa, Laniarius guttatus, Irrisor erythrorhynchus, 


Verchneis amurensis, Coccystes glandarius, ferner Reduviiden aus 


Maeronyx capensis und Rhinopomastus eyanomelas. 

E. B. Poulton, Anreger der Marshallschen Forschungen und 
führender Vertreter der Trachthypothesen, bemerkt hierzu, die Zahl 
der Vögel, welche Pentatomiden fräßen, sei „remarkable“ °!). 

Die angeführten Daten erweisen, daß die Hemiptera heteroptera, 
speziell die übelriechenden Pentatomiden, auch in den Tropen keinerlei 
wirksamen Schutz vor ihren Feinden aus der Vogelwelt genießen. 


D. Prüfung der Hypothesen. 

Messen wir die Trachthypothesen an den Untersuchungsergebnissen, 
so ergibt sich: 

1. In den Trachthypothesen gilt der Wanzengestank als 
Abwehrmittel gegen Feinde (Ekelgeruch). Die Träger solcher 
Gerüche sollen im allgemeinen von Insektenfressern unbe- 
rührt bleiben. — Die Versuche brweisen das Gegenteil: 
Der Wanzengestank hindert Insektenfresser nıcht am Fraße, 
er wird von ihnen nicht beachtet. 

2. Nach den Trachthypothesen sollen die genießbaren 
Insekten verbergend, unansehnlich ausgestattet, die ekel- 
haften dagegen grellfarbig, warnend sein. — Das Versuchs- 
material erweist im, allgemeinen das Gegenteil: die ekel- 
haft stinkenden Arten waren zumeist verbergend ausge- 
stattet, einige nicht stinkende Arten dagegen grell. 

Es ergibt sich: ad 1. Der Wanzengestank ist kein Abwehr- 
mittel gegen wirkliche, natürliche Feinde, und ad2. Geruch 
und Färbung stehen nachweislich nicht in jenem Zusammen- 
hange, den die Trachthypothesen fordern und behaupten. 
Damit brechen die Trachthypothesen (hinsichtlich der Hemiptera 
heteroptera) in den Grundlagen nieder, 

3. Dem Zusammenbrechen der Ekelgeruchs- und Ekelgeschmacks- 
hypothesen Rechnung tragend hat F. Dahl ein neues Grundprinzip, 
das der „Bekömmlichkeit“ aufgestellt®?). Er setzt: Ekelgeruch 
oder -Geschmack brauchen nicht mit Grellfärbung ver- 
bunden zu sein (Aufgeben des Warntracht- und Mimikryprinzips). 
Maßgebend ist allein die „Bekömmlichkeit“, d. h. die Ver- 


30) Five Year’s Observations and Experiments (1896—1901) on the 
Bionomics of South African Insects, chifly directed to the Investigation 
of Mimiery and Warning Colours. Trans. Ent. Soc. London 1902, p. 351. 

3l).l.7e.p.1353; 

32) Zoolog. Anzeiger. Bd. LIII., Nr. 11/13, S. 266—273; 1921. 





ES 


Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 463 


daulichkeit der Nahrung im Magen. Das Tier erkennt die 
Verdaulichkeit einer Nahrung mit Hilfe eines von Dahl 
angenommenen Instinktes; dieser Instinkt entscheidet allein, 
unbeirrt durch Färbung, Geruch oder Geschmack °?) für Annahme oder 
Ablehnung. — Dieses Prinzip ist zur Stütze der Trachthypothesen 
unverwendbar, da es die Grundlagen der letzteren (Färbung, die mit 
Ekelgeruch und Ekelgeschmak in steter ursächlicher Beziehung steht) 
verwirft. Versuche wie Mageninhaltsuntersuchungen zeigen, 
daß ebensowohl grellfarbige wie unansehnliche, ebensowohl 
übelriechende wie geruchlose Wanzen dauernd verzehrt 
werden, somit zweifellos bekömmlich und verdaulich sind. 
Ein Zusammenhang zwischen Färbung und Verdaulichkeit einerseits 
und zwischen Ekelgeruch und Verdaulichkeit anderseits ist nicht nach- 
weisbar, die Hilfshypothese von der Bekömmlichkeit ist daher hier 
ohne Arbeitswert. 

4. Der aus Erfahrungstatsachen abgeleitete Begriff der Unge- 
wohnttracht, des Misoneismus, besagt: Jedes geistig auf ge- 
wisser Höhe stehende Tier bringt ihm Unbekanntem, Auf- 
fälligem ein zögerndes Mißtrauen entgegen, welches so lange 
währt, bis Gewöhnung eintritt. — Die in den Versuchen er- 
mittelte Tatsache, daß die Ablehnung in der Regel auf den bloßen 
Anblick hin, ohne Beriechen oder Verkosten erfolgt, daß bei 
erfolgendem Angriff aber das Tier in der Regel auch verzehrt wird 
(also nicht ekelhaft sein kann), steht in vollem Einklang mit dem 
Satze von der Ungewohnttracht. 


E. Zusammenfassung. 


1. Zahlreiche Hemipterenarten sondern ein Sekret ab. Die Be- 
griffe „ekelhaft“, „widerwärtig“ für den Geruch dieses Sekrets sind 
Anthropodoxismen, gelten für den Menschen allein und auch für ıhn 
nicht allgemein®*). Die Annahme, ein dem Kulturmenschen unange- 
nehmer Geruch’) müsse auch insektenfressenden Tieren ekelhaft 
seın und sie abwehren, entbehrt wissenschaftlicher Berechtigung. 
Nur Beobachtung und Versuch können entscheiden, ob ein 
Geruch ein Tier abwehrt oder nicht. 

2. Die Hauptfeinde der Wanzen sind Vögel. Mageninhaltsunter- 
suchungen freilebend erlegter Vögel (Osiki, Rörig, Baer, Reichert, 
Beal, Mc Atee, Mason und Maxwell-Lefroy, Dahl, Marshall 
u. a.) ergaben, daß die Wanzen einen sehr wesentlichen Be- 


33) Dahl läßt den Ekelgeschmack als für sich abwehrend nebenbei aufrecht 
(„Kontrolle“ des Instinkts). 

34) Nicht wenige Wanzenarten werden von unbefangenen Autoren (ich nenne 
Fallen, De Geer, Snellen van Vollenhoven, Heymons, Gulde, Locy, 
Schumacher u. a.) geradezu als angenehm duftend bezeichnet. Nähere Angaben 
unterdrücke ich aus Gründen der Kürze des Aufsatzes. 

35) Der Begriff „unangenehm“ gilt hier nur für zivilisierte Völker. Minder 
kultivierte und Naturvölker verwenden stark riechende Wanzen öfter als Nahrung oder 
Nahrungswürze (z. B. in Hinterindien, auf den indomalaiischen Inseln). 


464 Fr. Heikertinger, Sind die Wanzen durch Ekelgeruch geschützt? 


standteil normaler Vogelnahrung ausmachen, daß sie weder 
einen absoluten noch einen relativen Schutz genießen. 

3. In den Versuchsreihen wurden die Wanzen von allen ver- 
wendeten Insektenfressern, welche auf Insekten solcher Größe, Gestalt 
und Körperbedeckung Jagd machen, angenommen und verzehrt (mehr 
als 200 Versuche). Eine Schutzwirkung der Stinkdrüsen trat nie ın 
Erscheinung. 

4. Selektionshypothetisch, d. h. zur Stütze der Anschauung, die 
Stinkdrüsen seien das Ergebnis natürlicher Auslese, könnten nur Ver- 
suche mit Wanzen und Insektenfressern, die in gleicher Lebens- 
gemeinschaft (Biozönose) leben, in Betracht kommen. Nur ein 
Feind, der der Wanze ım Freileben unablässig begegnet, kann ein 
wirksamer Auslesefaktor für dieselbe sein. 

5. Nach der Hypothese sollten Wanzen ohne Schutzgestank ver- 
bergend, Wanzen mit Schutzgestank warnend gefärbt sein. Die Tat- 
sachen stehen im Gegensatz zu dieser Forderung. 

6. Relativ am meisten verschont blieben die grellfarbigen, wenn 
auch nicht stinkenden Wanzen. Es findet keine Auswahl nach Geruch 
oder Geschmack, wohl aber eine (schwache) nach der Färbung statt. 

7. Die Färbung der Feuerwanze (Pyrrhocoris apterus) ist keine 
Schreckfärbung, da die Feinde im Experiment weder Fureht noch 
Erschrecken zeigen. Sie ist keine Warnfärbung, da die Wanze 
als für die Vögel genießbar erwiesen ist. Sie ist keine Mimikry, 
da kein geschütztes Modell vorliegt. 

8. Das Benehmen der Vögel deutet meist auf Erstaunen, MiıB- 
trauen, Befremden gegenüber dem auffälligen Unbekannten. Das 
Prinzip der Ungewohnttracht, des Misoneismus ersetzt die kom- 
plizierten Prinzipien der Schreck-, Warn- und Scheinwarntracht 
(Mimikry). Das Prinzip ist die zwanglose Erklärung für eine Ab- 
lehnung, sofern eine Ablehnung überhaupt nachgewiesen ıst. In der 
Mehrzahl der Fälle aber stellt Grellfärbung erfahrungsgemäß gar 
keinen Anlaß zur Ablehnung dar. 

Die ohne Tatsachengrundlagen auf anthropodoxischer Basis auf- 
gestellte und vertrauensvoll fortgeführte Lehre von einem Schutz- 
geruch der Wanzen und einem Zusammenhang zwischen Schutzgeruch 
und Färbung muß somit — so unmittelbar einleuchtend sie auch 
scheinen mag — endgültig aufgegeben werden. Die exakt vorgehende, 
vorurteilsfreie Wissenschaft weiß bis zur Stunde nichts über die Be- 
deutung der Stinkdrüsen der Hemiptera heteroptera und deren Werde- 
bedingungen. 


Junge & Sohn, Univ.-Buchdruckerei, Erlangen 














iologisches Zentralblatt 


Begründet von J. Rosenthal 
Herausgabe und Redaktion: 


Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. ©. Warburg 


in Berlin 
Veılag von Georg Thieme in Leipzig 
Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 28 








42. Band. Dezember 1922. Nr. 12 


ausgegeben am 15. Dezember 1922 





Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 





Den Herren Mitarbeitern stehen von ihren Beiträgen 30 Sonderabdrucke kostenlos zur 
Verfügung; weitere Abzüge werden gegen Erstattung der Herstellungskosten geliefert. 








Inhalt: C. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverhältnis der Geschlechter beim Sauerampfer 
(Rumex Acetosa). Mit 1 Abb. S. 465. 
R. Goldschmidt, Über Vererbnng im Y-Chromosom. 8. 481. 
W. Ziegelmayer, Einige biologische Notizen zn Cyelops viridis Jurine bezw. Cycelops vulgaris 
Koch. Mit 2 Abb. u. 8 Kurven. S. 488, 
M. Dingler, Eine Schutzeinrichtung bei Arctia caia. S. 495. 
Berichtigung. S. 496. 


Geschlechtsbestimmung und Zahlenverhältnis der 
Geschlechter beim Sauerampfer (Rumex Acetosa). 


Von C. Correns, 


Kaiser Wilhelm-Institut für Biologie, Berlin-Dahlem. 
Mit 2 Abbildungen. 

Die ersten Angaben über das Geschlechtsverhältnis des Sauerampfers 
hat H. Hoffmann (1885, Sp. 152) veröffentlicht, der im Freien nach 
5 Zählungen an sehr verschiedenen Stellen bei Gießen unter 584 Pflanzen 
454 Weibchen und 130, also 23,26 Prozent Männchen feststellen konnte. 
Die Pflanzen wurden beim Weiterschreiten nach 1—3 Schritten aufs 
Geratewohl aufgenommen und eingetragen. Eine Aussaat ins freie Land 
gab nach und nach unter 127 Pflanzen 37,8 Prozent Männchen. Auch 
F. Roth (1907) gibt an, „wenigstens an manchen Stellen‘ bedeutend 
mehr Weibchen gefunden zu haben. 

A. Sprecher (1913) ermittelte bei seinen Aussaaten, die einen 
dichten, regelmäßigen Rasen bildeten, unter 6049 Pflanzen 29,33 + 0,585 
Prozent Männchen. Auf den einzelnen, verschieden gedüngten Feldern, 
die 607 bis 847 Individuen trugen, schwankte die Zahl der Männchen 
zwischen 32,79 und 22,22 Prozent. Die Herkunft des Saatgutes finde 
ich nicht angegeben. Eine Sortierung der (einsamigen) Früchte in große, 

Band 42. 30 


466 €. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverbältnis der Geschlechter usw. 


mittlere und kleine hatte keinen Einfluß auf das Geschlechtsverhältnis. 
— Eine Zählung im Freien (auf einem Wege am Ostabhang der Kur- 
firsten) gab auf 1437 Weibchen 702 Männchen, also 32,52 + 1,015 
Prozent. Die 7 einzelnen Gruppen (von 204 bis 396 Individuen) 
schwankten zwischen 20,59 und 35,55 Prozent Männchen. 

Rumex Acetosa ist eine sehr vielförmige Art (vergl. die Zusammen- 
stellung der bekannten Unterarten und Formen bei Ascherson und 
Graebner 1913), und weder Hoffmann noch Sprecher haben 
ihr Material in dieser Hinsicht genauer untersucht). ©. Raunkiär 
hält dagegen (1918) Rumex Acetosa und R. thyrsiflorus scharf ausein- 
ander. Ob die von ihm eingangs erwähnten Zählungen an der zuerst 
genannten Art veröffentlicht sind, weiß ich nicht. Für die zweite gibt 
er nach Aufnahmen in der Umgebung von Logstor vom Jahre 1897 
auf 6000 Individuen 9,56 Prozent Männchen (also 90,44 Prozent Weib- 
chen!) an. Bei den einzelnen Tausenden schwankte die Prozentzahl der 
Männchen zwischen 7,7 und 10,9, bei den einzelnen Hunderten zwischen 
3 und 24, doch fiel sie bei 50 von den 60 Hunderten zwischen 4 und 13. 

Aussaaten der Früchtcehen von 7 Weibchen des R. thyrsiflorus aus 
einer anderen Gegend Dänemarks (Jonstrup) ergaben zwar alle ein 
starkes numerisches Überwiegen der Weibchen, dazu aber zwischen 
den einzelnen Nachkommenschaften große Differenzen. Zwei, eine be- 
sonders reich an Weibchen von Pflanze „A“, und eine verhältnismädig 
arm daran von Pflanze „B“, wurden näher untersucht, indem je 5 
halbierte Weibchen mit je einem Männchen aus der Nachkommenschaft 
von A und aus der von B bestäubt wurden. Die Weibchen aus A gaben 


zusammen wieder viel mehr Weibchen — 95,6 Prozent — als die aus 
B — 74,5 Prozent. Der Einfluß der Männchen — ob aus A oder B 
Stammend — war gering oder fehlte ganz. 


Raunkiär kommt zu dem Schluß, daß es sich dabei um Sippen- 
merkmale handelt, und daß das Zahlenverhältnis der Geschlechter aus- 
schließlich oder doch wesentlich von der Mutterpflanze abhängt. Er 
sucht das Verhalten unter der Annahme zu erklären, daß das weib- 
liche Geschlecht heterogametisch sei (weiblich und männlich bestimmte 
Eizellen hervorbringe), während das männliche homogametisch sei (nur 
einerlei Keimzellen bilde). 

Auch ich habe seit längerer Zeit mit Rumex Acetosa gelegentlich 
experimentiert, so von 1915 ab über die Ursache, weshalb die Weibchen 
so sehr an Zahl überwiegen. Einige Ergebnisse sollen im folgenden auch 
mitgeteilt werden. Zunächst möchte ich aber über Versuche berichten, 
die nach dem Erscheinen der oben besprochenen Abhandlung Raun- 
kiärs angestellt wurden, um die Frage zu entscheiden, welches Ge- 
schlecht bei Rumex das heterogametische sei. Bei den genauer bekannten 
zweihäusigen Blütenpflanzen hat sich sonst stets das männliche Ge- 
schlecht als heterogametisch herausgestellt und das weibliche als homo- 





1) Bei dem Standort Sprechers am Ostabhang der Kurfirsten könnte man z. B. 
an Rumex arifolius All. denken. 


©. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverhältnis der Geschlechter usw. 467 


oametisch, so bei Bryonia (Correns 1907), Melandrium (Correns 
1907, E. Baur 1912, Shull 1914, Correns 1917), Cirsium arvense 
(Oorrens 1916), wohl auch Vitis (Hendrick and Anthony, nach 
Rasmuson 1917). Damit ist natürlich nicht gesagt, dab das in allen 
Verwandtschaftskreisen der Blütenpflanzen so sein müsse. Wir dürfen 
uns vorstellen, daß die Getrenntgeschlechtigkeit in den verschiedensten 
Familien unabhängig voneinander aufgetreten sei, und wenn wir im 
Tierreich innerhalb derselben Klasse (Insekten) bald das weibliche Ge- 
schlecht (Lepidopteren), bald das männliche (Hemipteren) heterogame- 
tisch finden, so ist etwas derartiges innerhalb der Blütenpflanzen noch 
viel eher möglich. 


A. Die eschleehtsbestimmung. 


Es gibt zurzeit vier Wege, auf denen sich zeigen läßt, welches Ge- 
schlecht heterogametisch ist: 1. Unterschiede im Chromosomenbestand 
der Männchen und der Weibchen, 2. geschlechtsbedingte Vererbung, 
3. Bastardierung der getrenntgeschlechtigen Sippe mit einer gemischt- 
geschlechtigen und 4. der Konkurrenz-(Zertations-)Versuch mit mög- 
lichster Steigerung und Herabsetzung des Wettbewerbes der Pollen- 
schläuche Um die Samenanlagen resp. Eizellen (Melandrium-Versuche 
1917; vergl. die Zusammenstellung 1921). 

Der erste und zweite ‚Weg scheidet für Rumex, wenigstens zurzeit, 
ganz aus. Den dritten habe ich vergeblich eingeschlagen. Es ist zwar 
nach Angaben in der Literatur im Freien der Bastard zwischen Rumex 
Acetosa und dem zwittrig polygamen?) R. alpinus (von Zapalo- 
wicz 1907) gefunden worden, und ebenso schon früher der zwischen 
Rumex arifolius (der mit R. Acetosa nahe verwandt ist) und R. alpi- 
nus (von Brügger 1880). Ascherson und Graebner nehmen 
auch wenigstens die erste Angabe ernst (1913, S. 787). Mir schlugen 
alle Versuche fehl, R. Acetosa, arifolius und Acetosa —- arijolius als 
Weibchen mit R. alpinus als Männchen zu kreuzen; der Ansatz war 
entweder ganz null oder gab einzelne ganz der Mutter entsprechende 
Pflanzen. 

Es blieb also nur der vierte Weg übrig, der sich ja überall versuchen 
läßt, wenn man genügend große Individuenmengen aufziehen Kann, näm- 
lich Rumex Acetosa mit möglichst viel und möglichst wenig arteigenem 
Pollen zu bestäuben und die so erzielten Nachkommenschaften zu ver- 
gleichen. Gibt die größere Pollenmenge (also die gesteigerte Konkur- 
renz um die Eizellen) ein Zahlenverhältnis der Greschlechter, das von 
dem mechanischen 1:1 mehr abweicht, als das, welches die kleinere 
Pollenmenge gibt, so muß das männliche Geschlecht das heterogame- 


tische sein. Ein negatives Resultat — gleiches Verhalten in beiden 
Fällen — wäre dagegen noch kein Beweis, dab das weibliche Ge- 


2) Neben den zwittrigen Blüten kommen auf derselben Pflanze männliche und 
(mehr) weibliche vor, wie schon A. Schulz (1890) richtig angibt. Für kumex eripsus 
vergl. Winfield Dudgeon, 1918. 


30* 


468 ©. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverhältnis der Geschlechter usw. 


schlecht heterogametisch ist. Es hätte ebensogut jener physiologische 
Unterschied zwischen männchenbestimmenden und weibchenbestimmen- 
den Pollenkörnern hier fehlen können, auf dem bei Melandrium der Er- 
folg bei Änderung der Pollenmenge beruht. Es reizte mich, die Methode, 
die ich bei dieser Versuchspflanze ausgearbeitet hatte, an einem ganz 
anderen Objekt zu prüfen. 


Den Transport des Pollens der Männchen auf die Narben der Weib- 
chen besorgt bei Rumex der Wind, und die Blüten beider Geschlechter 
sind in ausgesprochenster Weise hieran angepaßt. Bei der hängenden 
Blüte des Weibchens (Abb. A) sind die drei äußeren Perigonblätter 
zurückgeschlagen; die drei inneren schließen aufgerichtet mit ihren 





A. Weibliche Blüte von Rumex Acetosa (1*, gez. Dr. OÖ. Römer). B. Längsschnitt 
durch eine der drei Symmetrieebenen eines Fruchtknoten, der auch einen Griffel mit 
der Narbe halbiert, E die Eizelle. (Halbschematisch, stärker vergrößert.) 


Rändern zu einem dreiseitigen Gehäuse zusammen. Aus jeder der drei 
so gebildeten Spalten tritt eine pinselförmige Narbe mit ihren spreizen- 
den Ästen hervor. Entfernt man das Perigon, so findet man den drei- 
kantigen Fruchtknoten, von dessen Spitze die drei kurzen Griffel etwa 
wagrecht abgehen. Im Fruchtknoten steht eine einzige, aufrechte Samen- 
anlage (Abb. B). Aus dem befruchteten Fruchtknoten wird eine drei- 
kantige, einsamige Schließfrucht, ein Nübchen. 


Für die Versuche wurden im Frühjahr 1920 5 kräftige Pflanzen 
aus dem Freiland, 3 Weibchen und 2 Männchen, eingetopft, die aus 
der Aussaat vom Jahre 1916 stammten (Versuch 11B „wirsingblät- 
triger, dunkelgrüner Sauerampfer“ von Benary, Erfurt, wohl R. Ace- 
tosa pratensis W allr.:Q A, und Versuch 12B „‚deutscher großblättriger 


GL; 


©. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverhältnis der Geschlechter usw. 469 


Sauerampfer“, ebenfalls von Benary, wohl R. Acetosa hortensis Dier- 
bach: @ B, C und J D, E). Die Weibchen waren halbiert worden, 
wie das schon Raunkiär getan hatte. Jedes sollte mit einem Männ- 
chen, D oder E, bestäubt werden; die eine Hälfte mit möglichst viel, 
die andere mit möglichst wenig Pollen. Die Stöcke wurden in verschie- 
denen Häusern isoliert, einzeln oder zum Teil, die Hälften der Weib- 
chen, die für dasselbe Männchen bestimmt waren, zusammen. Sobald 
die Weibchen gut in Blüte standen, und von den Männchen genug Pollen 
zu erhalten war, wurde mit dem Bestäuben begonnen. Die einen Hälften 
wurden horizontal gelegt und mit dem durch Schütteln gewonnenen, 
ganz losen Pollen überschüttet, wobei der nicht haftende auf Papier 
aufgefangen und wiederholt benutzt wurde, bis die Narben ganz dick 
bepudert waren, wie die Besichtigung mit der Lupe lehrte. Dann wurde 
der überflüssige Pollen abgeschüttelt oder abgeblasen. Die andere 
Hälften wurden aus 1 bis 1,5 m Entfernung mit etwas Pollen von einem 
Blatt Papier angeblasen. Die reichliche Bestäubung wurde nach einigen 
Tagen einmal wiederholt, die spärliche zwei- bis dreimal. Der Unter- 
schied zwischen den verschieden behandelten Hälften — der vorzügliche 
Ansatz bei den einen, der schwache bei den anderen — war auffällig ge- 
nug und bewies, daß im letzteren Falle die angeblasene Pollenmenge 
wirklich zu gering war, alle Blüten zu befruchten, daß also, bei der 
ganz lockeren Beschaffenheit des Pollens, auf eine Blüte zumeist nur 
ein taugliches Pollenkorn gekommen war. 

Aus der Ernte wurden gute Früchtchen ausgesucht und im Früh- 
jahr 1921 nach und nach ausgesät, immer 250 in einen Topf mit steriler 
Erde: Am 2. I. resp. 12. II. von jedem Versuch 500, am. 2. II. noch- 
mals je 500 und am 9.1IV. je 250. Es gingen zwischen 100 und 85 Pro- 
zent in jedem Saattopf auf, ohne die letzte Aussaat (für die die Aus- 
wahl des Saatgutes zum Teil weniger streng sein mußte) zwischen 
100 und 94 Prozent (vergl. Tabelle 9, S. 478). Die drei Weibchen ver- 
hielten sich darin gleich. Bei zweien keimten die mit viel Pollen er- 
zeugten Früchtchen etwas besser als die mit wenig erzeugten (98,7 gegen 
95,5 und 97,4 gegen 95,4 Prozent), beim dritten etwas schlechter (94,0 
gegen 97,5 Prozent). Ich hatte für die Früchtchen, die ohne Konkurrenz 
unter den Pollenkörnern entstanden waren, durchgängig schlechtere Re- 
sultate erwartet. Belichtung beschleunigte die Keimung nur sehr wenig. 

Die Keimlinge wurden in Kisten pikiert und von April ab aus- 
gepflanzt. Für die Aufnahme wurden die einzelnen Saattöpfe getrennt 
gehalten und ihr Inhalt nochmals (annähernd) geteilt, sodaß also jeder 
der 6 Versuche in 10 Teilversuche zerlegt war. 

Bei jeder Aufnahme wurden die untersuchten Pflanzen ausgegraben 
und beseitigt. Das Ausgraben mußte gründlich geschehen, da stärkere 
im Boden bleibende Wurzeln sehr leicht Adventivsprosse bildeten (wie 
das für Rumex Acetosella längst bekannt ist). Es bestand sonst die 
Möslichkeit, dieselbe Pflanze zweimal aufzunehmen, was, so lange nicht 
für beide Geschlechter gleiche Regenerationsfähigkeit nachgewiesen ist, 


470 €. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverhältnis der Geschlechter usw. 


zu Fehlern hätte Anlaß geben können. | 

Da ein großer Teil der Pflanzen, vor allem aus der 1. und 2. Aus- 
saat, schon im ersten Jahre blühte, wurde schon in diesem mit der Auf- 
nahme begonnen; der Rest wurde 1922 untersucht. Es blieben noch eine 
Anzahl Pflanzen übrig, die nicht zum Blühen gekommen waren und 

















Tabelle 1. 
Se Basen alnuch taeun 
Vers. Vers. ls - - noch 
TE Pollen |. les 1921 1992 12112 |... 
2g Nr. = = ; steril 
<TıM 


a 2|sl% | [2 |s|R Sn | 2 |S1%S 








21 A,B 


(>| 
[>] 
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180) 
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-] 
[66} 
ot 
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DD 


7,9 ızglıs7| a2]23,5 | 456! 392| 64 14,0| — 





| viek 21 C,D,E| 750 7353791353| 26| 6,9 340282] 58117,1 | 719) 635| 84| 11,7| — 
) 


| i 


22 A,B| 500 493381226| 55|14,4 1198104) 94147,5 | 479] 330149| 31,1] — 
wenig‘ 22 C, D,E 750] 705/210265| 45/21,4 |36312231140138,6 | 673| 488185) 27,5| — 








22 zus. |112501198/591491 100|16,92)561/327234.41,7111152| 8181334|28,99| — 


viel 23 125012181475460| 15| 3,16 6705597 73!10,9 1114511057 88] 7,68| 11 
wenig 24 125011921444 364, 80118,0 674389285|42,3 |1118| 753365| 32,65 | 15 


wenig 26 12501219 394340 54 13,71746446300140,191140) 786354| 31,05 | 21 

















| viel 25 125011175416407| 9| 2,2 1693632] 61| 8,8 1110911039) 70) 6,31 | 17 



































Tabelle 2. 











I. Viel Pollen II. Wenig Pollen Diff | BR 
Versuch Se 212075 = Nr. Br Kal: m el Diff. 











AO+DE | 21 [1175| 148 | 12,60 | + 0,97| 22 1152| 334 | 28,99 | + 1,34|| 16,39 | + 1,65 
B2O-+EZG | 23 |1145| sS| 7,68|+0,79| 24 [1118| 365 | 32,65 | + 1,42] 24,97 | +1,61 
CO -+EZG | 25 |1109| 70| 6,31 | +0,65) 26 [1140| 354 | 31,05 |+ 1,39 











24,74 | +1,52 






































hier unberücksichtigt bleiben müssen, im ganzen 64, noch nicht 1 Pro- 
zent und ganz ohne Einfluß auf das Ergebnis. 

Tabelle 1 und 2 bringen die Resultate, 1 etwas ausführlicher, 2 mög- 
lichst zusammengedrängt. 

Man sieht sofort, daß eine Konkurrenz der männchenbestimmenden 
und weibehenbestimmenden Pollenkörner vorliegt, also das männliche 


| 21 zus. 12501234656608| 48| 7,32151914191100|19,271117511027.148| 12,60 | — 


# 
2 er 


C. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverhältnis der Geschlechter usw. 471 


Geschlecht heterogametisch ist. Die Konkurrenz ist die 
gleiche wie bei Melandrium, die Weibchenbestimmer sind im Vorteil 3), 
nur noch viel auffälliger: Die Prozentzahl der Männchen ist nach der 
Aufhebung des Wettbewerbes mehr als zweimal (AQ — Do) bis fast 
viermal (CQ + Ed) so groß als bei möglichst- scharfem Wettbewerb. 
Die beobachteten Differenzen zwischen den Prozentzahlen der Männchen, 
16,39 bis 24,97, sind 10 mal bis 16 mal größer als ihre mittleren Fehler, 
also jenseits allen Zweifels. — Es ist auch bei jedem der 30 Teilver- 
suche mit sehr ‚viel Pollen die Zahl der Männchen geringer gewesen 
(Maximum 23 © unter 133 Individuen, Minimum 4 © unter 115) als 
bei irgendeinem Teilversuch mit sehr wenig Pollen (Maximum 50 
unter 125 Individuen, Minimum 26 © unter 104). 

Rumex Acetosa eignet sich — in den untersuchten Sippen — also 
noch besser als Melandrium, um den Einfluß der ‚„Zertation“ auf das 
Geschlechtsverhältnis zu zeigen. 


Der Weg, den die Pollenschläuche zurückzulegen haben, zerfällt ganz 
allgemein in zwei Abschnitte (vergl. Abb. B). Der zweite ist für alle 
gemeinsam, also gleich lang, er geht hier vom oberen Ende des Grif- 
fels(b) bis zu der Mikropyle der einzigen Samenanlage. Der erste ist 
variabel; er reicht hier von der Stelle, wo das Pollenkorn an der Narbe 
festhaftet, bis zu dem oberen Ende des Griffels (b), wo der zweite Ab- 
schnitt anfängt. Auch im ungünstigsten Fall, wenn das Pollenkorn an 
der Spitze des längsten Narbenastes sitzt (beia), ist der zweite Abschnitt 
noch ungefähr so lang als der erste (etwa 0,7 mm). Hierin liegt ein 
wesentlicher Unterschied gegenüber Melandrium. Bei diesem ist die 
Strecke, die jeder Pollenschlauch durchwachsen muß — von der Griffel- 
basis bis zur Spitze der Plazenta (vergl. Abb. 1, 1921, S. 6) — gegen- 
über der möglichen längsten Gesamtstrecke — von der Griffelspitze 
bis zur Basis der Plazenta — fast verschwindend gering und macht 
auch vom durchschnittlichen Weg nur ein kleines Stück aus. 
Wenn, wie bei reicher Bestäubung, die Pollenkörner die Narben be- 
decken, ist die Konkurrenz nicht von der absoluten Weglänge, sondern 
von dem Verhältnis der beiden Teilstrecken untereinander abhängig; sie 
ist um so stärker, je länger die zweite Strecke im Verhältnis zu der 


3) Die Begünstigung der Weibehenbestimmer wirkt, wenn das männliche Geschlecht 
heterogametisch ist, wenigstens theoretisch als Korrektionsmittel, um extreme Verhält- 
niszahlen der Geschlechter zu verhindern: Je geringer die Zahl der Männchen auf 
einem Standort ist, gegenüber der Zahl der Weibchen, desto weniger Pollenkörner 
kommen auf die Narben der Weibchen, desto geringer ist die Konkurrenz und desto 
mehr männliche Embryonen werden entstehen. Je größer aber die Zahl der Männchen 
auf dem Standort ist, desto mehr Pollenkörner sind vorhanden, desto schärfer ist die 
Konkurrenz, und desto mehr weibliche Embryonen werden gebildet. Wären die 
Männchenbestimmer im Vorteil, so würde, wenn schon viel Männchen vorhanden sind, 
die Zahl derselben auf einem Maximum (das durch die Größe des Vorteils bedingt ist) 
bleiben. Im Freien spielt bei Rumex Acetosa die Konkurrenz wahrscheinlich keine 
große Rolle (S. 473). 


412 €. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverhältnis der Geschlechter usw. 


ganzen Weglänge ist. Deshalb muß, ceteris paribus, bei Rumex die Kon- 
kurrenz schärfer sein. 

Auch der Umstand, daß bei Rumex der Fruchtknoten nur eine 
Samenanlage enthält, wird ebenfalls die Wirkung der Bestäubung mit 
sehr viel Pollen steigern, gegenüber Melandrium mit seinen 300 bis 400 
Samenanlagen im Fruchtknoten. Es kann nur der erste, schnellste Pollen- 
schlauch eine Befruchtung ausführen und auf seine geschlechtliche Ten- 
denz geprüft werden, während bei Melandrium die Pollenschläuche die 
Samenanlagen nicht genau in ihrer Reihenfolge in der Plazenta von 
oben nach unten befruchten (1921, S. 13), und also selbst die getrennte 
Ernte des obersten Samens hier nicht sicher die Tendenz des schnellsten 
Schlauches zeigen würde. Die Zahl der Pollenkörner, die um eine Samen- 
anlage konkurrieren, läßt sich endlich bei Rumex viel größer machen 
als bei Melandrium, weil die Narbenoberfläche, die auf eine Samenanlage 
kommt, sehr viel größer ist. 

Auf der anderen Seite ist freilich bei Rumex durch die Einzahl der 
Samenanlagen die völlige Aufhebung der Konkurrenz erschwert. 
Es sollte immer nur ein Pollenkorn auf eine Samenanlage, also auf eine 
von den drei Narben der weiblichen Blüte kommen, eine Bedingung, die 
sich nicht scharf erfüllen läßt, weil die Pollenkörner nicht einzeln über- 
tragen werden können. So ist ganz sicher auch bei meinen Versuchen 
mit sehr wenig Pollen die Konkurrenz nicht immer ganz ausgeschlossen 
gewesen, trotzdem lange nicht alle Blüten des Weibchens befruchtet 
wurden. Es werden manche auch zwei und mehr Pollenkörner er- 
halten haben, so gut wie andere gar keine. Das Zahlenverhältnis der 
beiden Geschlechter hätte also bei völligem Ausschluß der Konkurrenz 
noch etwas günstiger für die Männchen gefunden werden müssen. 

Die Versuchsanordnung war auch insofern etwas roh, als dabei weib- 
liche Blüten aller Altersstufen bestäubt wurden, und der Pollen selbst 
nicht aus lauter gleichzeitig entleerten Antheren stammte. Der erste 
Umstand war wohl ohne Bedeutung; der zweite konnte, nach dem für 
Melandrium Ermittelten (1921, S. 17), Einfluß auf das numerische Ver- 
hältnis der Geschlechter haben. Es war aber anzunehmen, daß beide Be- 
stäubungsweisen, die mit viel und die mit ‘wenig Pollen, unter diesem 
Umstand in annähernd gleicher Weise litten. 

Einflußreicher mag eine andere Fehlerquelle gewesen sein. Nach 
der reichlichen Bestäubung ließen sich die überflüssigen (nicht an der 
Narbe haftenden) Pollenkörner von den weiblichen Blütenständen nicht 
vollständig entfernen, und von den neu sich öffnenden Blüten werden 
manche durch eines dieser überflüssigen Körner befruchtet worden sein, 
ohne oder mit sehr geringer Konkurrenz. So entstandene Früchtchen, 
mit den durch sehr viel Pollen entstandenen zusammen geerntet, müssen 
den Erfolg der Konkurrenz etwas herabgedrückt haben. 

Nach allem hätte die Differenz also noch größer ausfallen können, 
wenn die Versuchsanstellung hätte verfeinert werden können. 


C. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverhältnis der Geschlechter usw. 475 


Um einen kurzen Ausdruck zu haben, nennen wir das Zahlenver- 
hältnis der Geschlechter, das nach möglichstem Ausschluß der Konkur- 
renz unter den Keimzellen gefunden wird, das proximale (weil es 
dem „mechanischen“ 1:1 am nächsten liegt) und das nach möglichster 
Steigerung der Konkurrenz zu beobachtende das distale (weil es sich 
von dem mechanischen am weitesten entfernt). Dazwischen liegt das 
spontane Verhältnis, welches man für eine gegebene Sippe im Freien 
beim Auszählen erhält, oder das eine Aussaat von Samen ergibt, deren 
Entstehungsweise, wenigstens hinsichtlich der Konkurrenzverhältnisse, 
unbekannt ist. 

Bei Rumex Acetosa steht dies spontane Geschlechtsverhältnis dem 
proximalen offenbar sehr viel näher als dem distalen. Die Gartensorte 
von Versuch 12 gab z. B. (Tab. 7) aus gekauftem Saatgut 27,3 Prozent 
Männchen, während die daraus isolierten Weibchen B und C mit dem 
Männchen E gleicher Herkunft als proximales Verhältnis 28,99 und 
32,65 Prozent Männchen und als distales 7,7 und 6,3 Prozent gaben. 
Trotz der entleerten Pollenmengen und der Riesennarben kommen also 
im Freien offenbar auf einmal nur einzelne Pollenkörner auf die 
Narben, und die Möglichkeit einer sich oftmals wiederholenden Be- 
stäubung hat für dıe einzelnen weiblichen Blüten wenig Bedeutung, 
weil Schlauchbildung und Befruchtung hier offenbar sehr rasch vor sich 
gehen. Wenigstens enthielt ein Fruchtknoten, der 2mal 24 Stunden 
nach der künstlichen Befruchtung fixiert und geschnitten wurde, einen 
noch kugligen, aber doch schon auffallend großen Embryo (von etwa 
40 Zellen auf dem medianen Längsschnitt). 

Die von mir untersuchten’ Pflanzen entsprachen offenbar den relativ 
männchenreichen Raunkiärs. 


B. Die Abweichung vom mechanischen Zahlenverhältnis 

der Geschlechter. 

Die voranstehenden Versuche haben gezeigt, daß das männliche 
Geschlecht heterogametisch ist, und daß sich — bei den untersuchten 
Sippen — durch möglichsten Ausschluß der Konkurrenz das Zahlen- 
verhältnis der Geschlechter so weit verschieben läßt, daß etwas mehr als 
30 Prozent Männchen entstehen. Dann fehlen aber immer noch 20 Pro- 
zent zu dem mechanischen Verhältnis 50 Männchen:50 Weibchen. Denn 
daran, daß dieses auch hier ursprünglich vorliegt, ist nicht zu zweifeln. 
Es frägt sich nur, wodurch die fehlenden 20 Prozent verursacht sind. 

Zunächst sei aber bemerkt, daß ich bei anderen Sippen und unter 
etwas anderen Bedingungen eine weitere Annäherung der Prozentzahl 
der Männchen an 50 beobachten Konnte. 

1912 wurde ein Weibchen aus der Umgebung von Münster i. Westf. 
mit dem Pollen eines rein weißen Astes eines weißbunten Männchens 
von einer anderen Stelle bei Münster bestäubt. Von der reingrünen 
Nachkommenschaft zog ich leider nur 9 Sämlinge auf, die sich alle 
als Weibchen herausstellten. 5 davon wurden 1914 in meinem Haus- 


474 ©. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverhältnis der Geschlechter usw. 


garten in Münster isoliert, wo sie. nur ganz spärlich ansetzten. Die 
Ernte wurde 1915 vollständig ausgesät und gab, wie Tabelle 3 zeigt, 
zwischen 39 und 45, im Durchschnitt 42,1 Prozent Männchen. Die Be- 












































Tabelle 3. 
ME RCHN ) Insgesamt | we Peronospora-krank 

Skat DE 
5 113 | 6 — 50 44 33 19 14 30 28 
6 87 | 48 1 38 45 3l 18 13 37,5 | 34 
d 1419 28 En 46 39 54 36 18 49 39 
) 25| # 1 29 40 18 14 4 40 14 
9 36 | 20 — 16 44 10 5 5 25 31 
zw. | 40249 | 2 |ım 146 | 92 | 54 | 369 | 30,2 


























stäubung war offenbar durch einzelne angeflogene Pollenkörner, unter 
weitgehendstem Ausschluß aller Konkurrenz, erfolgt. Wie weit der 
Zufali und wie weit eine Sippeneigentümlichkeit an der hohen Männchen- 
zahl schuld war, kann ich zurzeit nicht mehr entscheiden. 


Es liegt nahe, zur Erklärung der Differenz anzunehmen, dab unter 
den (im Durchschnitt sicher trägeren) männchenbestimmenden Pollen- 
körnern ein größerer Teil irgendwie untauglich sei, als unter den (durch- 
schnittlich aktiveren) weibchenbestimmenden. Zu sehen ist von un- 
tauglichen Körnern aber nicht viel. Bei 10 Männchen, I—X, die aus 
den Versuchen 21—26 beliebig herausgegriffen worden waren, wurde 
der Gehalt an sichtlich untauglichen Pollenkörnern bestimmt, gewöhn- 
lich von je einer Anthere, bei I aber von vier. Er war zum Teil en 
fallend gering (1,2 Prozent), zum Teil nicht groß (15,8 Prozent); 
übrigen sei auf Tabelle 4 verwiesen. 


Tabelle 4. 











d | n taub 








DR | d n taub % d n taub | 








11 | 1001 | 72 | 72 | ı | 1000 | 122 | 12,2 || vır | 1001 | er. | 6,1 
ı2 |ı0083| s& | sa | mm | 1000 | ı2 | 1,2 vom | 1503 | 237 |15,8 
ı3 |2oo2 |ıes | 82 | ıv | 1000| as | 43 || ıx | 1000 | 66 | 66 
14 1023| 8&5 | 85 || wlaooL! 33 0 33] x 1010. 1102211041 
1 zus. 5029 1494 | 803 | vr | 1610 239 | 148 


























15154 | 919 | 6,06 











C. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverbältnis der Geschlechter usw. 475 


Daß die Werte für die vier Antheren des Männchen I so nahe bei- 
einander liegen, spricht dafür, daß diejenigen der anderen Männchen für 
diese charakteristisch sind ®). 

Selbst wenn man annehmen dürfte, daß alle tauben Pollenkörner 
ausschließlich Männchenbestimmer wären — was gewiß nicht zutrifft —, 
würde die mittlere Menge, 6 Prozent, den Fehlbetrag von 20 Prozent 
Männchen noch lange nicht decken. 


Man kann die Ursache auch in einer größeren Sterblichkeit der 
männlichen Keime und Sämlinge während der Entwicklung bis zum 
bestimmungsfähigen, blühenden Zustand suchen. 

Prüft man Weibchen, die nur einmal und dabei nur schwach (durch 
Anblasen mit etwas Pollen) bestäubt worden waren, so zeigt sich, dab 
zur Zeit der Fruchtreife neben den guten Früchtchen auch taube auf 
allen Entwieklungsstadien, bis zu den unverändert eingetrockneten 
Blüten, vorhanden sind. Bei den tauben war der Embryo zum Teil in 
den herauspräparierten, kollabierten Samenanlagen in den verschie- 
densten Größen ohne weiteres nachzuweisen; bei den übrigen wäre er 
mit feineren Methoden wohl meist auch noch zu finden gewesen. Ich 
habe verschiedene Äste untersucht, gebe aber in der Tabelle 5 nur die 
Resultate für den größten (mit 1212 Blüten). 

Tabeile 5. 
Gute Früchtchen 632 (73 %) \ 
862 


Taube [ mit deutlichen Embryonen 108 | 230 (27 %) 
Früchtchen \ ohne deutliche Embryonen 122 | a 


Unbefruchtete Blüten 332 
Monströse Blüten, wohl darch Befall von Läusen 18 
Selbst wenn man annehmen dürfte — was kaum zutreffen wird —, 


daß die tauben Früchtchen alle männliche Embryonen enthielten, so 
würden sie noch nicht ganz die fehlenden 20 Prozent auffüllen, wie eine 
kurze Überlegung zeigt). 

Für die Zählungen wurden schwach bestäubte Fruchtäste gewählt, 
um eine möglichst große Zahl männlicher Keime zu haben. Man könnte 
überhaupt versuchen, durch die Bestäubung mit sehr viel und sehr 
wenig Pollen zu zeigen, daß die männlichen Embryonen leichter absterben 
als die weiblichen. Tun sie es, so muß die Prozentzahl der tauben Frücht- 
chen nach spärlicher Bestäubung größer sein als nach reicher, weil ja 


4) Zur Technik sei bemerkt, daß ganz reife Antheren einzeln auf Objektträger 
gelegt wurden. Nachdem sie aufgesprungen waren, wurden die leeren Beutel entfernt, 
und der ausgefallene Pollen gleich an Ort und Stelle in Glyzeringelatine eingebettet. 
Gezählt wurde mit Hilfe des Kreuztisches. 

5) Von 100 befruchteten Blüten gaben 27 taube und 73 gute Früchtchen. Von 
diesen 73 guten enthielten ”/,— 51 weibliche und °/, — 22 männliche Embryonen. 
Kommen dazu noch die 27 tauben Früchtchen, so stehen den 51 weiblichen erst 49 
männliche gegenüber. 


476 €. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverhältnis der Geschlechter usw. 


überhaupt mehr männliche Keime entstehen 6). Grehen die männlichen 
und weiblichen gleich leicht ein, so ist nach beiden Bestäubungsweisen 
die gleiche Prozentzahl tauber Früchtehen zu erwarten. Es könnten 
aber auch „konstitutionelle“ Unterschiede zwischen den Pollenkörnern 
vorkommen, die nichts mit ihrer geschlechtlichen Tendenz zu tun, aber 
auf die Lebensfähigkeit der Nachkommen Einfluß hätten. Dann würden 
sowieso nach Ausschluß der Konkurrenz mehr Embryonen absterben. 


Die Annahme einer geringeren Lebensfähigkeit der männlichen Em- 
bryonen läßt sich durch die merklich größere Sterblichkeit der erwach- 
senen männlichen Pflanzen stützen. Ich habe einen einschlägigen Ver- 
such seit 1916 im Gang. Auf demselben Versuchsfeld wurden als Ver- 
such 11B (,wirsingblättriger, dunkelgrüner Sauerampfer“ von Be- 
nary) und 12B (,deutscher, großblättriger Sauerampfer“, ebendaher) 
Sämlinge zu 4 und 3 im Verband in gleichen Abständen (25 cm in der 


Tabelle 6 (Aussaat 1916). 




































































Abgestorben 

| 1916 u. 1917 || 1917 1918 1919 1920 1921 1922 
Vers. | | | | 
72 lee leere 
11 |278| 170 |108| ı | Pa ale to ea zz 
| mm | een u me | Tamm un me | Nm mr | mn SEINE 

zusammen 1 2 6 17 il 163 

in Prozent 0,4 0,8 2,2 6,1 43,2 58,6 

| 

12% |a92| 359 1135| 3 1 | 6 |-2.| 16 |. | 4 | 13 |114 | 69 198 | 93 
I Nm mn ——— ———— — oe er 

4 8 23h .10A7) 37 183 291 

in Prozent | 0,8 1:6 0 AA rad 37,0 58,9 


























Reihe und 25 cm zwischen je zwei Reihen) ausgepflanzt, nachdem sie 
aus den Saattöpfen möglichst vollständig, also ohne Wahl, in Kisten 
pikiert worden waren. Noch 1916 und dann 1917 kamen 772 Pflanzen 
zur Blüte. In den folgenden Jahren wurde immer zur Blütezeit der Be- 
stand revidiert, und jede zugrunde gegangene Pflanze in ein Verzeich- 
nis eingetragen. Dann wurde das ganze Feld vor der Fruchtreife abge- 
schnitten, eventuell ein zweites Mal, um ein spontanes Sichaussäen und 
damit den Ersatz einer abgestorbenen Pflanze durch einen Sämling zu 


6) Nehmen wir als Extrem an, die Hälfte der männlichen Embryonen sterbe ab 
und kein weiblicher. Von 100 mit viel Pollen erzeugten seien zunächst 90 9 und 
10 &, so bleiben nach dem Absterben 90 9 und 5 Z' übrig; 5% stürben ab. Von 
100 mit wenig Pollen erzeugten seien zunächst 70 @ und 30 g', dann sind später 70 9 
und 15 Z' übrig; 15% stürben ab. 


ua; 


C. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverhältnis der Geschlechter usw. 477 


verhindern °). Tabelle 6 gibt die Zahl der Abgestorbenen und zugleich 
ihr Geschlecht an. Man sieht, daß die Sterblichkeit von Jahr zu Jahr 
zunimmt, aber erst mit dem 6. Lebensjahre beträchtlich wird. 

Tabelle 7 bezieht sich auf die Zahl der lebenden Pflanzen. Sie 


. zeigt, daß sich nach 6 Jahren das Zahlenverhältnis der Geschlechter 


entschieden zugunsten der Weibchen verschoben hat, bei Versuch 11B 

um 11,1 Prozent, bei Versuch 12B um 6,6 Prozent, im Durchschnitt 

um 8,2 Prozent. Groß ist der Unterschied freilich nicht: der mittlere 

Fehler der Differenz beträgt + 2,90 Prozent; sein Dreifaches (8,7) ist 

etwas größer als die Differenz selbst (8,2). Trotzdem scheint sie mir 

ganz sicher. In Tabelle 7 sind die einzelnen 5 Beete, auf denen die 
Tabelle 7 (Aussaat 1916). 










































Ka 186m. 1917 | II. 1922 | un 

Versuch Proz. Proz. | Proz. | Proz. 
N elierenal sd | | 

111 a | 52 | oo.| 6 | 58 | 38 | 1a | 0 +10 
1m 32a? | 80 | a2, | oe2 | As | a8 +13 
11Iu.It || 278 | 108 | ı70 | 38,9 = 41,4 | 32 | 83 | 27,8 | + 11,1 
121 | / | 2 | 3 | MR 
1211 Ir 
12 IT ee 





12 I- INN | 135 | 359 le 11,1 1225. /| 161 20% | 66 


| 


11u.12 Ne 243 Ei 315 | 318 |412 | 7a | 24 23,3 | + 82 


+1,67 +3,37) + 2,90 
Versuchspflanzen ausgepflanzt worden waren, getrennt aufgeführt. ‚Jedes 
für sich allein gibt schon, wie die letzte Spalte zeigt, annähernd die 
gleiche Differenz zwischen 1916/17 und 1922, wie alle zusammen. 

Eine zweite Versuchsreihe, 1917 mit Saatgut von Versuch I1B und 
12 B begonnen und schon 1920 abgebrochen, gab kein deutliches Resultat. 
Die Sterblichkeit war viel größer -—— im 4. Lebensjahr waren schon fast 
die Hälfte der Pflanzen abgestorben, während auf dieser Altersstufe bei 
den früheren Versuchen erst 6 und 7 Prozent tot waren —, und es 
überwogen auch hier die Männchen. Aber der Unterschied betrug kaum 
1 Prozent. Das Absterben war wohl hier auf eine andere Ursache, die 
beide Geschlechter gleich stark angriff, zurückzuführen 3). 

7) Durch das Abschneiden wurden die Weibchen — die dann keine Früchte zu 
reifen brauchten — mehr beeinflußt als die Männchen, verglichen mit unberührten 
Pflanzen. Doch schien mir dieser Fehler gegenüber der Selbstaussaat geringer. 

8) Die Witterung kann nicht daran schuld gewesen sein, denn bei den neuen 
Versuchen war schon nach dem Winter 19 auf 20 mehr als die Hälfte der Pflanzen 


abgestorben, bei den alten begann das starke Eingehen erst im Winter 20 auf 21; bis 
dahin waren nur 6 % abgestorben. 












































478 €. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverhältnis der Geschlechter usw. 


1916 hatte ich auch Gelegenheit, die Pflanzen von Versuch 5—9 
zum Teil von Peronospora Rumicis befallen zu sehen. Die Daten sind 
schon in der rechten Hälfte der Tabelle 3 (S. 474) mitgeteilt wurden. Von 
den 179 Männchen waren 54. also 30,2 Prozent erkrankt, von den 
249 Weibchen dagegen 92, also 36,9 Prozent. Es waren demnach auch 
relativ mehr Weibchen als Männchen erkrankt; doch ist bei dem 
geringen Umfang des Versuches hierauf kaum viel Gewicht zu legen. 


Daß die Männchen bei Rumex Acetosa im Durchschnitt kleiner 
(kürzer) sind als die Weibchen, hat schon Sprecher (1913) festge- 
stellt, und konnte ich an den Pflanzen von Versuch 11B und 12B be- 
stätigen. R 

























































































Tabelle 8. 
Rumex Acetosa, Größe der Männchen und Weibchen in cm. 
d 2 
Versuch | 
1.511282 .12 a. 126 4 12e)|| vr] S12- 0128 op naar 
n 65 || 135 30 83 22 93.211333 91.31.195 69 
Max. 104 98 98 90 | 85 |133 | 142 | 118 | 142 | 119 
Mittel Re er 1 71 104 | 94,4 | 91 93 95 
Min. 5s|ıe2e|i5|@ | 50 | sı | 40 | 20. | 4 | eı 
[ 
Tabelle 9. 
Von den Früchten Von den Von den zur Blüte gelangten . 
Verzich : 1 “  Keimlingen Pflanzen blühten erst im 2. Jahr 
en Pen blühten 2-+-d |von allen | von allen 
in.% in'% in % in 04% ER 
Ellen 98,7 94,0 95,2 44,2 40,8 57,6 
+ 
+ 1L22w 95,8 92,2 96,1 48,7 40,0 70,1 
ea) | 23V 97,4 91,6 94,0 58,5 56,5 82,9 
4 
Sl 95,4 89,4 94,0 60,3 51,7 78,1 
ea) [ 2 v 94,0 88,7 91,8 62,5 60,8 87,1 
r 
aloe“ 97,5 912 93,5 64,4 56,7 84,7 
zus. 96,4 91,2 94,5 56,48 51,28 77,48 
v= viel, w = wenig Pollen. 


























Setzt man die durchschnittliche Länge der Männchen (77 und 


1 cm) gleich 100, so messen die Weibchen bei Versuch 11 B im Mittel 
(104 cm) 135, bei Versuch 12B (94,4 cm) 123, während Sprecher 
das Verhältnis 100:122 fand. Gemessen wurde zur Zeit der vollen 
Blüte vom Erdboden bis zur Spitze des längsten Triebes. — Sprecher 


C. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverhältnis der Geschlechter usw. 479 


fand auch (mit der kryoskopischen Methode) den osmotischen Druck 
bei den Männchen um eine halbe Atmosphäre höher als bei den Weib- 
chen zur gleichen Zeit (7,67 statt 7,21 Atmosphären). 

Raunkıär konnte für sein Material zeigen, daß die Männchen 
später blühreif werden als die Weibchen. Auch mir war das aufge- 
fallen. Ich stelle aber nur für die letzten Versuche (21-26) die Beob- 
achtungen in Tab. 9 zusammen, weil sie viel umfangreicher als diejenigen 
Raunkiärs sind. Es sind hier Prozente angegeben; die gefun- 
denen Zahlen selbst sind schon in Tabelle 1 aufgenommen worden und 
können dort nachgesehen werden. 

Im ersten Jahre kam also schon mehr als die Hälfte der Weibchen 
zur Blüte, aber noch nicht einmal der vierte Teil der Männchen. Im 
übrigen verhalten sich die drei Kombinationen (A+-D, B-E, C+E) 
etwas verschieden. — Man wird auch in dieser Eigenschaft der Männ- 
chen keine Bevorzugung sehen dürfen. 


Nach den Nachteilen der erwachsenen Männchen des Rumex Ace- 
tosa, wie sie sich in verschiedenen Eigenschaften verraten, ist es sehr 
wahrscheinlich, daß schon die männlichen Embryonen eine größere Sterb- 
lichkeit aufweisen als die weiblichen, ja dab auch bereits die männchen- 
bestimmenden Pollenkörner häufiger taub oder untauglich sind. Diese 
verschiedenen Ursachen, zusammen mit der größeren Geschwindigkeit, 
mit der die weibchenbestimmenden Pollenschläuche zu den Eizellen ge- 
langen, reichen vielleicht aus, das starke Überwiegen der Weibchen zu 
deuten. 

Auf eine weitere Möglichkeit, dieses Verhalten zu erklären, kann 
hier nır noch hingewiesen werden. F. Roth (1907) sucht es wahr- 
scheinlich zu machen, dab wenigstens ein Teil der Embryonen apogam 
entsteht. Nach allem, was wir sonst wissen, müßten sie dann weiblichen 
Geschlechtes sein, woraus sich wiederum ein Überwiegen der weiblichen 
Nachkommen ergeben würde. Der starke Erfolg, den die  Bestäubung 
mit sehr viel Pollen hat, beweist aber jedenfalls, daß (bei meinen Ver- 
suchspflanzen) die Apogamie keine bedeutende Rolle spielen kann, denn 
ihre Folgen —- prozentische Zunahme der Weibchen — müßten sich 
um so bemerkbarer machen, je weniger Blüten in einer Infloreszenz be- 
stäubt und befruchtet werden. Die sichere Feststellung der Apogamie 
ist hier, wie auch Roth angibt, durch allerlei Eigenschaften der Pflanze 
sehr erschwert; meine eigenen Versuche befriedigen mich noch nicht. 


Zusammenstellung der Hauptergebnisse. 

1. Es ist ein sehr beträchtlicher Unterschied vorhanden in der 
Schnelligkeit, mit der die männchenbestimmenden und weibchenbestim- 
menden Spermakerne zu den Eizellen gelangen. 

2. Bei Rumex Acetosa ıst also das männliche Geschlecht das 
heterogametische. 

3. Die Konkurrenz der beiderlei Pollenkörner hat hier auf das 
Geschlechtsverhältnis noch mehr Einfluß als bei Melandrium. Beim 


480 €. Correns, Geschlechtsbestimmung und Zahlenverhältnis der Geschlechter usw. 


„proximalen“ Verhältnis (nach der Aufhebung der Konkurrenz) sind 
mehr als doppelt bis fast viermal so viel Männchen vorhanden als beim 
„distalen“ (nach höchster Konkurrenz). 

4. Zum Teil ist der Bau der Blüte daran schuld, der die Herstel- 
lung einer besonders scharfen Konkurrenz ermöglicht. 

5. Das „spontane“ Zahlenverhältnis der Geschlechter (im Freien) 
ist offenbar dem proximalen ähnlich. 

6. Das mechanische Geschlechtsverhältnis 1: 1 wird auch bei Aus- 
schluß der Konkurrenz lange nicht erreicht; je nach der Sippe fehlten 
bis 20 Prozent daran. 


‘. Der Blütenstaub der Männchen ist gut bis sehr gut. Je nach 
dem Individuum enthielt er 15,5 bis 1,2 Prozent untauglicher Körner. 


8. Es sterben nach spärlicher Befruchtung ziemlich viel Embryonen 


ab (festgestellt wurden z. B. 27 Prozent). 

9. Die erwachsenen Männchen zeigen eine merklich höhere Sterb- 
lichkeit als die erwachsenen Weibchen. Wahrscheinlich überwiegen unter 
den absterbenden Embryonen die Männchen noch mehr. 

10. Die Männchen sind, wie schon Sprecher fand, im Durch- 
schnitt wesentlich kleiner (niedriger) als die Weibchen. 

11. Die Weibchen kommen (wie schon Raunkiär feststellte) viel 
häufiger im ersten Jahr zur Blüte als die Männchen. 


Zum Schlusse danke ich Allen, die mir bei den Versuchen geholfen 
haben, vor allem Herrn Dr. Fr. von Wettstein, Fräulein E. Lau 
und Frau Dr. Belar. | 


Literatur. 


H. Hoffmann, 1885. Über Sexualität. Botan. Ztg. Bd. 43, Sp. 145. 

F. Roth, 1907. Die Fortpflanzungsverhältnisse bei der Gattung Rumex. Diss. Bonn 
A. Sprecher, 1913. Recherches sur la variabilit@ des sexes chez Cannabis sativa L- 
et Rumex Acetosa L. Ann. des Sc. Nat. Bot. 9e serie, XVII, S. 254. 

C. Raunkiär, 1918. Über die verhältnismäßige Anzahl männlicher und weiblicher 
Individuen bei Rumex thyrsiflorus Fingerh. Kgl. Danske Videnskab. Selskab. 

Biol. Meddelelser, I. 7. Kopenhagen. 


P. Ascherson und P. Graebner, 1908—1913. Synopsis der Mitteleurop. Flora, 
Bd. IV. 
E. Baur, 1912. Ein Fall von geschlechtsbegrenzter Vererbung bei Melandrium album. 
Zeitschr. f. ind. Abst. u. Vererb.-Lehre, Bd. 8, S. 335. 
Brügger, 1880. Jahrb. d. Naturf. Ges. Graubündens, XXIV, 115. 
C. Correns, 1907. Die Bestimmung und Vererbung des Geschlechtes. Berlin. 
— 1916. Untersuchungen über Geschlechtsbestimmung bei Distelarten. Sitzb. d. 
königl. preuß. Akad. d. Wiss. Berlin, 6. April. 
— 1917. Ein Fall experim. Verschiebung des Geschlechtsverhältnisses. Ebenda, 
13. Dez; 
— 1921. Versuche, bei Pflanzen das Geschlechtsverhältnis zu verschieben. Here- 
ditas, II. Bd. 
Winfield Dudgeon, 1918. Morphology of Rumex erispus. Bot. Gaz. LXVI, 393. 
H. Rasmuson, 1916. Kreuzungsuntersuchungen bei Reben. Zeitschr. f. ind. Abst.- 
u. Vererb.-Lehre. Bd. 17, S. 1. 
A. Schulz, 1890. Beitr. z. Kenntn. d. Bestäubungseinrichtungen und Geschlechtsver- 
teilung b. d. Pflanzen. II. Bibl. Botan. Heft 17. 
G. H. Shull, 1914. _Sex-limited inheritance in Zychnis dioica. Zeitschr. f. ind. Abst.- 
u. Vererb.-Lehre. Bd. 12, S. 265. 
Zapalowicz, 1907. Bull. intern. Acad. Se. Galie. Cracovie IX. 


R. Goldschmidt, Über Vererbung im Y-Chromosom. 481 


Über Vererbung im Y-Chromosom. 
Von Richard Goldschmidt, Berlin-Dahlem. 

Bis vor Kurzem galt das Y-Chromosom, der Partner des X-Chromo- 
soms im heterozygoten Geschlecht, als „leer“, d. h. es waren keinerlei 
Erbfaktoren bekannt geworden, die, nach ihrem Erbmodus zu schließen, 
im Y-Chromosom gelegen sein müßten, wie ja auch in den Koppe- 
lungsexperimenten niemals bei Drosophila ein Faktorenaustausch zwi- 
schen X- und Y-Chromosom aufgetreten war. Auf der anderen Seite 
hatte sich aber in den Versuchen von Bridges gezeigt, daß trotz- 
dem dem Y-Chromosom eine Funktion zukommen muß, da X—0—d 
von Drosophila (ohne Y-Chromosom) steril sind. Ich konnte es nun 
als erster wahrscheinlich machen (1919), daß auch im Y-Chromosom 
bestimmte Qualitäten vererbt werden. Bei den Versuchen über Inter- 
sexualität hatte es sich gezeigt, daß der Weiblichkeitsfaktor F rein 
mütterlich vererbt wurde, was, bei Heterozygotie des weiblichen Ge- 
schlechts, Vererbung im Plasma oder im Y-Chromosom bedeuten konnte. 
Bestimmte Experimentalergebnisse, die dann 1920 genauer mitgeteilt 
wurden, sprechen aber sehr dafür, daß es sich um Vererbung im Y- 
Chromosom handelt. Im gleichen Jahr (1920) erschien nun eine Ar- 
beit von Johs. Schmidt, in der gezeigt wurde, daß bei Bastarden 
von Lebistes, einem tropischen Fisch, rein väterliche Vererbung eines 
Färbungscharakters vorkommt, was nur so erklärt werden kann, daß 
das männliche Geschlecht heterozygot ist und der betreffende Cha- 
rakter im Y-Chromosom übertragen wird. In diesem Jahr (1922) er- 
schienen nun zwei weitere Arbeiten, die sich auf das Y-Chromosom 
beziehen. Federley untersuchte Speziesbastarde von Pygaeraarten 
und kommt bei der Analyse einer zu Triploidie führenden Rück- 
kreuzung zur Überzeugung, daß das Y-Chromosom etwas enthalten 
muß, was mit der Bestimmung der Weiblichkeit zu tun hat, schließt 
sich also meiner Anschauung an. Endlich erschien kürzlich eine Ar- 
beit von Aida, wieder über Fischkreuzungen. Und hier wird nun 
wieder, wie auch von Schmidt, der Nachweis geführt, daß ein ge- 
schlechtsgekoppelter Farbeharakter im Y-Chromosom vererbt wird, 
und auch zum ersten Male der Nachweis eines Faktorenaustausches 
zwischen X- und Y-Chromosom erbracht. 

In diesem Jahr erhielt ich nun ein in meinen früheren Mitteilungen 
fehlendes Experiment zum Beweis der Übertragung des Weiblichkeits- 
faktors F im Y-Chromosom von Lymantria dispar und will nun die 
betreffenden Tatsachen hier im Zusammenhang darstellen, um so mehr, 
als die genannten Autoren, ebenso wie Castle (1921), der über 
Schmidts Befunde schrieb, meine Befunde nicht erwähnen. 

In den genannten Untersuchungen habe ich gezeigt, daß das Ge- 
schlecht — es handelt sich bei den Schmetterlingen ja um weibliche 
Heterogametie — durch die rivalisierende Aktion weiblicher und 
männlicher, gleichzeitig vorhandener Faktoren bestimmt wird, eine 

42. Band. 3l 


489 R. Goldschmidt, Über Vererbung im Y-Chromosom. 


Annahme, die sich ja jetzt immer mehr Bahn bricht, und der sich 
nun ja auch als erster der Drosophilaforscher Bridges angeschlossen 
hat. Der Männlichkeitsbestimmer wird bei weiblicher Heterozygotie 
im X-Chromosom übertragen ; der Weiblichkeitsbestimmer F aber wird 
bei Lymantria dispar vein mütterlich vererbt, wie die ganze Fülle der 
Experimente unwiderleglich beweist. Die Geschlechtsformeln sind also 
[F}Mm =O [FIMM — d, wobei die Einrahmung des F seine rein mütter- 
liche Vererbung kennzeichnen soll. Mütterliche Vererbung kann nun 
Vererbung im Cytoplasma des Eies sein. Es kann aber bei weiblicher 
Heterozygotie auch Vererbung im Y-Chromosom sein, das ja immer 
nur von Mutter durch weiblich determiniertes Ei auf Tochter über- 
tragen wird. Zunächst scheint nur dann eine Entscheidung zwischen 
beiden Möglichkeiten getroffen werden zu können, wenn es gelingt, 
einen geschlechtsgekoppelten Faktor zu finden und einen Faktoren- 
austausch zwischen X- und Y-Chromosom nachzuweisen. In den Inter- 
sexualitätsexperimenten bot sich aber auch eine andere Probe. 
Zunächst ist da eine scheinbare Schwierigkeit zu beheben; die 
Eier, die sich za Männchen entwickeln, besitzen ja nach den Reife- 
teilungen kein Y-Chromosom. Trotzdem müssen sie, wie die Inter- 
sexualitätsexperimente zeigen, den Weiblichkeitsfaktor enthalten, resp. 
in Wirksamkeit sehen. Falls also F im Y-Chromosom gelagert ist, 
muß seine Wirkung eine derartige sein, daß es bereits vor der Reife- 
teilung irgendwie in Tätigkeit tritt. Nun findet ja vor der Reife- 
teilung das ganze Wachstum des Eies statt, und in dieser Zeit müssen 
ja alle die Prozesse stattfinden, die bei einem determinierten Ei die 
spezifische Organisation des Eiplasınas hervorrufen, auf der bekannt- 
lich die determinierte Entwicklung. beruht. Da auch diese Prozesse 
zum Erbgut gehören, so ist die Annahme selbstverständlich, daß die 
Bildung spezifischer Eiorganisation (organbildende Keimbezirke etc.) 
von den in Chronıosomen gelegenen Erbfaktoren bedingt wird. Unter 
solchen Umständen bereitet auch die Annahme keinerlei Schwierig- 
keiten, daß das Y-Chromosom seine Tätigkeit bereits während der 


Wachstumsperiode des Eies durch Hervorrufung irgendeiner Spezifität 


im Eiprotoplasma entfaltet. Alles in allem wäre übrigens dann eine 
Vererbung im Y-Chromosom auch indirekt eine Art plasmatischer Ver- 
erbung, natürlich nur bei weiblicher Heterozygotie 

Die Möglichkeit, die Lage des Faktors F im Y-Chromosom zu 
prüfen, ist nun durch das Auftreten von Fällen von Nichtauseinander- 
weichen der Geschlechtschromosomen (non-disjunetion von Bridges) 
gegeben. Wenn in einem Ei die XY-Gruppe bei der Reifeteilung bei- 
sammen bleibt (primäres N.), so können durch die Befruchtung XXY £ 
gebildet werden. In deren Geschlechtszellen können dann die Chromo- 
somenkombinationen X— XX—XY-- Y gebildet werden. Kommt 
also ein solches 5 zur Befruchtung, so sind Abweichungen im Erb- 
verhalten zu erwarten. In den Intersexualitätsexperimenten findet 
sich nun die Kombination, daß bei Kreuzung von Q mit quantitativ 


R. Goldschmidt, Über Vererbung im Y-Chromosom. 483 


schwachen Geschlechtsfaktoren mit g mit quantitativ starken Ge- 
schlechtsfaktoren, alle genetischen 99 in Sg umgewandelt werden, 
weil das vom Vater stammende starke M über das mütterliche schwache 
F auch im heterozygoten Zustand gewinnt, wie dies in meinen Ar- 
beiten ausgeführt ist. Also wenn die „starken“ Faktoren durch das 
Suffix S bezeichnet sind 


e) [F}Mm Xd [FS]MsMs — d' (aus genet. 0) [Msn +d [FMM,. 


In solchen Zuchten findet sich gelegentlich einmal ein einzelnes 9 
und dies kann, wie in früheren Arbeiten ausgeführt wurde, nur so er- 
klärt werden, daß der Vater ein solches non-disjunction d war, das 
auch einzelne Geschlechtszellen mit einem Y-Chromosom erzeugt, die 
mit einem X-Ei ein Q 'ergeben. Ob diese Erklärung für die „Extra- 
weibehen“ richtig ist, kann im Augenblick nicht experimentell be- 
wiesen werden, da bisher keine geschlechtsgekoppelten Faktoren bei 
Lymantria bekannt sind, ohne die sich bekanntlich der experimentelle 
Beweis für non-disjunction nicht erbringen läßt; der Schluß ist also 
bis jetzt nur ein solcher per exclusionem. Mit seiner Richtigkeit steht 
und fällt natürlich das Folgende. 


Kommen also die Extraweibchen auf diese Weise zustande, so 
ist folgendes die genetische Situation in Bezug auf Geschlechtsfaktoren 
und Chromosomen: In der Formel entspricht dem Y-Chromosom der 
rezessive Faktor m. Die abnorme Spermie wäre also mit m zu be- 
zeichnen. Das Ei, das sie befruchtet, heißt [F|[M, und das Resultat 
ist [Mm —=9. Liegt nun F im Protoplasma, dann ist es also in den 
aus obiger Kreuzung hervorgegangenen Individuen das gleiche schwache 
F wie das ihrer Mutter, d.h. das Extraweibehen hat, da auch das. M 
von der Mutter kam, genau die gleiche genetische Beschaffenheit wie 
seine Mutter und muß sich also bei weiteren Kreuzungen genau wie 
ein typisches „schwaches“ o der betreffenden Rasse verhalten. Anders 
nun, wenn F im Y-Chromosom vererbt wird. Das Y-Chromosom des 
Extraweibchens stammt ja ausnahmsweise vom Vater. Wenn nun der 
F-Faktor darin liegt, so ist dies ja der starke Faktor Fs. Das Extra- 
weibchen wäre also in diesem Fall zu schreiben [Fs]Mm ; dies ıst 
aber die Formel eines F, — 9 aus der reziproken Kreuzung „starkes“ 
Weibchen X „schwaches“ Männchen: 


o [Fs]Msm X S [HMM = g[Fs|Mm+ 4 [FJMMN,. 


Daraus folgt also, daß für den Fall, daß F ım Y-Chromosom ver- 
erbt wird, das Extraweibchen sich in der weiteren Vererbung genau 
verhalten muß wie ein gewöhnliches F, — 2 der Kreuzung stark 2 X 
schwach J‘, also ganz anders als ım Fall der Annahme der plasma- 
tischen Vererbung. | 

Bisher liegen nun drei Proben vor, die mit solchen Extraweibchen 
angestellt wurden: 

31° 


484 R. Goldschmidt, Über Vererbung im Y-Chromosom. 


1. Wenn die „schwache“ Rasse, die zur Kreuzung verwandt wurde, 
der Rasse Hokkaido und die „starke“ der Rasse Tokyo angehört, 
dann haben wir die folgende Situation. (Wir setzen den Geschlechts- 
faktoren das Suffix T resp. H zu, um ihre Rassenherkunft zu be- 
zeichnen): 


9 Tokyo [Fr]Mım x d Hokkaido [F4]MıMı 
F,9— 4 |Er]Mum +1 [Fr]M-m 
Bu Fr]MuM» + 4 [Fr]MuM1, (Umwandlungs-g). 

Wie in unserer früheren Arbeit ausführlich dargelegt, werden 
genetische d, bei denen die zwei sehr schwachen My-Faktoren 
dem sehr starken Fr gegenüberstehen, in 9 umgewandelt, also ıst das 
Resultat 30:1. Wenn also F im Y-Chromosom liegt, muß F, aus 
einem „Extraweibchen“, das durch non-disjunction entstand, das ge- 
nannte Resultat geben. Wäre aber F im Plasma gelegen, so hätten 
wir ja beim Extraweibehen ein schwaches Fı. Bei Kreuzung mit 
einem F, = erhielten wir deshalb die weiblichen Kombinationen 
ı [Fu]M-rm +4 [F]Mum. Ersteres wären aber wieder die Umwand- 
lungsmännchen, d. h. wir erhielten hier 39:19. Diese Probe ist, 
wie bereits früher berichtet, zweimal ausgeführt und das Resultat 
nähert sich der ersteren Erwartung, ja entspricht ihr ziemlich genau, 
wenn wir die in unserer früheren Arbeit diskutierten Fehlerquellen 
berücksichtigen. In diesem Fall fanden sich auch die Konsequenzen 
für F, verwirklicht, wie in den „Untersuchungen über Intersexualität“ 
p. 72 näher ausgeführt ist. 

2. Wenn die schwache Rasse eine der deutschen Rassen z. B. 
Schneidemühl ist und die starke Rasse die japanische Rasse Tokyo 
oder Aomori, so ist die Situation etwas anders. Die Formeln für die 
Kreuzung stark g X schwach £ und F, hieraus sind natürlich die 
gleichen wie in Fall 1, nur daß für Fx und My, Fs und Ms ge- 
schrieben werden muß. Ms ist nun nicht so schwach wie My» und 
infolgedessen werden g der Formel [Fr]MsMs nicht in 9 umgewandelt, 
sondern bleiben Z. Nur ein Teil von ihnen wird, wie ebenfalls früher 
genau abgeleitet, zu intersexuellen J. Das Auftreten dieser inter- 
sexuellen 5 in F, der Kreuzung stark 9 X schwach S ist überaus 
charakteristisch und niemals wurden solche bisher gefunden, wenn 
die „mütterliche“ Linie schwach war. Nach den vorhergehenden Er- 
örterungen muß nun das Resultat der Zucht von F, aus einem Extra- 
weibchen der Kreuzung Schneidemühl g x Tokyo g' ım Fall plasma- 
tischer Vererbung von F wieder sein: 35:19; im Fall der Vererbung 
im Y-Chromosom aber das eben abgeleitete, also Auftreten inter- 
sexueller Männchen. Auch diese Probe wurde zweimal ausgeführt 
und zwar einmal von Schweitzer und einmal von mir und in beiden 
Fällen traten die intersexuellen $ auf, das F des Extraweibchens 
mußte also F, gewesen sein. 





R. Goldschmidt, Über Vererbung im Y-Chromosom. 485 


3. Wenn F ım Plasma liegt, das Extraweibchen also wie seine 
Mutter Fs oder Fı ist, muß dieses mit einem gewöhnlichen homo- 
zygoten d der starken Rassen gekreuzt nur d' liefern. Liegt da- 
gegen F ım Y-Chromosom, dann verhält sich, wie abgeleitet, das 
Extraweibcehen wie ein starkeso (durch den Besitz von Fr) und muß 
daher mit einem starken Z normale Geschlechter erzeugen. Diese 
Probe konnte in diesem Jahre ausgeführt werden und ergab das 
letztere Resultat, nämlich: 

1922, 227 (Hok X Ao) Extra 0 X Aod' 229 22. 

Somit stimmen alle mit den Extraweibehen ausgeführten Proben 
zu der Annahme, daß F im Y-Chromosom vererbt wird. 

Nun gibt es noch eine ganz andere Möglichkeit, diesen Punkt zu 
prüfen. Wir sahen soeben, daß die Kombination [Fr]MuMy trotz der 
männlichen Formel Weibchen liefert (Umwandlungsweibchen). Wenn 
wir also ein F,:9 der Kreuzung Tokyo 2 x Hokkaido f mit dem 
reinen Hokkaido g rückkreuzen, erhalten wir ausschließlich 9, von 
denen die Hälfte genetische sind, die andere Hälfte Umwandlungs- 
weibchen, nämlich: 


F, == Q [F-]M.m x Hok d [F4]MuMn 
—o [Fr]Mım + Umwandlungs 9 [Fr]MnM. 


Diese Umwandlungsweibchen besitzen nun die männliche gene- 
tische Beschaffenheit, haben also zwei X-Chromosomen und kein Y- 
Chromosom. Ihre Eier bilden sich also ohne die Tätigkeit eines Y- 
Chromosoms. Wenn F im Y-Chromosom liegt, dann können diese 
Weibchen also überhaupt keinen Weiblichkeitsfaktor übertragen, also 
nur g' erzeugen, dies allerdings auch nur, wenn eine männliche Ent- 
wicklung oder überhaupt eine Entwicklung ohne den Faktor F ım Eı 
möglich ist. Leider ist bis jetzt eine Entscheidung noch nicht mög- 
lich gewesen, da diese Kombinationen immer von einem besonderen 
Mißgeschick verfolgt waren. Wenn Nachkommenschaft aus solchen 
Zuchten erhalten wurde, war sie normal. Ein auffallend hoher Pro- 
zentsatz der Gelege, allerdings nicht die Hälfte, kam überhaupt nicht 
zur Entwicklung, trotz normaler Befruchtung und Eiablage, sodaß es 
fast so aussieht, als ob die Eier von Umwandlungsweibchen nicht 
entwicklungsfähig wären. Vielleicht bringt ein angesetzter neuer Ver- 
such die Entscheidung. 

Wir betrachten es somit als höchst wahrscheinlich, ja fast sicher, 
daß bei Aymantria dispar der mütterlich vererbte Weiblichkeitsfaktor 
F im Y-Chromosom gelegen ist. Wenn wir nun noch einmal auf die 
Entdeckung eines im Y-Chromosom gelegenen Pigmentierungsfaktors, 
der Faktorenaustausch mit dem X-Chromosom zeigt (Aida), zurück- 
kommen, so veranlaßt diese wichtige Entdeckung, alle jene Fälle 
eines unerwarteten Erbganges nochmals kritisch zu betrachten, in 
denen auf das Vorhandensein von „non-disjunction* geschlossen wor- 
den war, ohne daß der experimentelle wie eytologische Beweis dafür 


486 R. Goldschmidt, Über Vererbung im Y-Chromosom. 


erbracht wurde. Denn nunmehr besteht auch die Möglichkeit, daß 
die betreffenden Ausnahmsindividuen (es handelt sich ja um Fälle 
geschlechtsgekoppelter Vererbung) durch Faktorenaustausch zwischen 
X- und Y-Chromosom zustandekommen. In meinen Untersuchungen 
über den Melanismus der Nonne ZLymantria monacha hatte ich ge- 
zeigt, daß der Melanısmus auf dem polymeren Zusammenarbeiten 
autosomaler mit einem geschlechtsgekoppelten Faktor © beruht. Wenn 
wir hier nur den geschlechtsgekoppelten Faktor berücksichtigen, so 
bedingt seine Anwesenheit die höheren Stufen des Melanısmus. Wer- 
den nun dunkle 9, die C im X-Chromosom enthalten, mit hellen Z, 
also ohne Ü, gekreuzt, so müssen wir die typische Übers-Kreuz- Ver- 


erbung erhalten. Alle Söhne, die ihr eines X mit C von der Mutter 


erhalten, sind dunkel, alle Töchter deren einziges X ohne C vom 
Vater kommt, sind hell. In einer ganzen Reihe von Fällen wurden 
nun außer den typischen Individuen einzelne dunkle Weibehen und 
helle Männchen erhalten. Sie wurden analog dem Fall von Bridges 
durch non-disjunction erklärt: Bei einer abnormen Reifeteilung einer 


Samenzelle blieben die beiden X-Chromosomen zusammen, und es- 


wurden Spermien mit 2 X und solche ohne X gebildet. Erstere er- 
zeugen auch mit einem Y-Eı ein g, das nun beide X vom Vater hat, 
also nicht die Übers-Kreuz-Vererbung zeigen kann, letztere erzeugen 
auch mit einem X-Ei ein 9, das slen- sein X von der Mutter hat und 
damit. deren geschlechtsgekoppelte Eigenschaft. Es ist nun klar, daß 
das gleiche Resultat zustande käme, wenn ein Faktorenaustausch 
Ce zwischen X- und Y-Chromosom vorkäme: denn dann erhielten 
wir männchenbestimmende X-Eier ohne © und weibcehenbestimmende 
Y-Eier mit ©. Leider wurde niemals von den Ausnahmsindividuen 
Nachzucht erhalten, sodaß keine Möglichkeit einer Entscheidung vor- 


liegt. Nunmehr würde sich eine Analyse wohl verlohnen; denn die 


weitere Untersuchung über Vererbung im Y-Chromosom könnte uns 
einmal wichtige Aufschlüsse über das Verhältnis des X—Y-Mecha- 
nismus und dessen mutmaßliche phylogenetische Entstehung liefern. 
Castle hat bereits einige diesbezügliche Gedanken zum Ausdruck 
gebracht, doch scheint uns der Augenblick für solche Spekulationen 
noch nicht gekommen. 

Schließlich sollte noch auf einen interessanten Punkt hingewiesen 
werden. Bei Schmetterlingen kommt bekanntlich die Erscheinung 
der geschlechtskontrollierten Vererbung vor. Die Analyse solcher 
Fälle (Colias-Gerould, Papilio-de Meijere, Fryer, Argynnis- 
Goldschmidt und Fischer) hat nun ergeben, daß es sich um das 
Vorhandensein und Mendelsche Rekombination von 1 oder 2 Faktoren 
handelt, die in beiden Geschlechtern gleichmäßig mendeln, aber ım 
männlichen Geschlecht keinen phänotypischen Effekt hervorzurufen 
vermögen. Dies ist, wie wir näher ausführten, bedingt durch eine 
Reaktion zwischen den betreffenden Faktoren und den Hormonen der 
geschlechtlichen Differenzierung. Nach den neuen Entdeckungen über 





R. Goldschmidt, Über Vererbung im Y-Chromosom. 487 


Faktoren im Y-Chromosom ist aber noch eine andere Erklärung mög- 
lich. Das polymorphe Geschlecht war ın den analysierten Fällen das 
heterogamete Geschlecht (9), das je eine X—-Y-Gruppe besitzt. Wenn 
sich nun ım Y-Chromosom ein Pigmentierungsfaktor fände, der nach 
‘Art bekannter Mendelfälle mit dem autosomalen Faktor so zu- 
sammenarbeitete, daß die betreffende Färbung nur bei Anwesenheit 
beider auftritt, dann. könnte tatsächlich die Färbung auch nur beim 
Weibchen erscheinen, das allein das Y-Chromosom besitzt. Ein Be- 
weis für die Richtigkeit dieser Darstellung könnte erhalten werden, 
wenn gelegentlich ein Faktorenaustausch zwischen X- und Y-COhromosom 
einträte. Dann wären auch Männchen der besonderen Form möglich, 
deren Erbverhalten dann leicht abzuleiten ist. Bei dem erwähnten 
Colias sind in der Tat gelegentlich auch weiße J beobachtet worden 
(Gerould), ihre gametische Analyse wäre von entscheidendem Interesse. 


Zitierte Literatur. 


Aida, Tatuo, On the inheritance of color in a freshwater fish Aplocheilus latipes 
Temmick und Schlegel with special reference to sex-Jinked inheritance. Gene- 
ties 6. 1921. 

Bridges, ©. B., Non-disjunetion as a proof of the chromosome theory of heredity. 
Geneties 1. 1916. 

Bridges, ©. B., The origin of variations in sexual and sexlimited characters. Amer. 
Natur. 56. 1922. 

Castle, W. E., A new type of inheritance, Science 53. 1921. 

Federley, H., Über einen Fall von criss-cross- Vererbung bei einer Artkreuzung, 
Hereditas III. 1922. 

Fryer, J. ©. J., An Investigation by Pedigree breeding into the polymorphism of 
Papilio polytes Linn. Phil. Trans. R. Soc. 204. 1913. 

Gerould, J. H., The Inheritance of Polymorphism and sex in Colias philodice. Amer. 
Natur. 45, 1911. 

Goldschmidt, R. u. Fischer, E., Argynnis paphia-valesina, ein Fall geschlechts- 
kontrollierter Vererbung, Genetica 1922. 

Goldschmidt, R., Intersexualität und Geschlechtsbestimmung, Biol. Zentralblatt 39. 
1919. 

— , Untersuchungen über Intersexualität, Ztschr. f. indukt. Abstammungs- und Ver- 
erbungslehre 23. 1920. 

—, Erblichkeitsstudien an Schmetterlingen III. Ebenda 25. 1921. 

De Meijere, J. ©. H., Über Jacobsens Züchtungsversuche usw. Zeitschr. ind. Abst. 3, 
1910. — Über getrennte Vererbung der Geschlechter. Arch. Rass. Gesellschafts- 
biol. S. 1911. 

Schmidt, Johs., Racial investigations IV. The genetic behavior of a secondary 
sexual character. ©. R. Laboratoire Oarlsberg 14, Nr. 8. 1920. 


488 W. Ziegelmayer, Einige biologische Notizen zu Cycelops viridis Jurine usw. 


Einige biologische Notizen zu Cyclops viridis Jurine 
bezw. Cyclops vulgaris Koch. 


Von W. Ziegelmayer, Saarbrücken. \ 
Mit 2 Abbildungen u. 8 Kurven. \ 


An die verschiedenartige Bezeichnung in der Überschrift anknüp- 
fend, möchte ich daran erinnern, daß augenblicklich ein kleines Chaos 
in bezug auf die Systematik der Gattung Cyelops herrscht. Nach den 
neueren Arbeiten G. ©. Sars’ hätten wir bei C’yelops nämlich ©. viri- 
dis Jurine als €. vulgaris Koch zu führen. Man muß W. Klie 
recht geben, wenn er sagt!): „So zweckmäßig und glücklich die Auf- 
stellung und Begründung der neuen Familien und Gattungen?) 
ist, so bedenklich muß die Umbenennung von Arten erscheinen, deren 
Bezeichnung allgemein eingebürgert war, und die unter den von 
Schmeil gebrauchten Namen in zahlreichen Faunenlisten übergegangen 
sind.“ 












5.Thareg, Basalglied 


Borste des 


— Endglied Basalgliedes 


Apikalborste 





Abb. 1. 5. Füßchen von (Ü. viridıs Abb. 2. Lokalvariation von 0. veridis 
Jurine. Normal. Jurine ohne Fiederung an den Borsten. 


Jurine’s Name „viridis“ ist übrigens (nach Sven Ekman) 
18 Jahre älter als Koch’s Bezeichnung ‚vulgaris“. 

„Viridis“ ist eine sehr labile Form. 

Ekman stellt Beziehungen fest zwischen der vwiridis-Form und 
0. gigas Claus, veranlaßt durch den Vergleich der Größe und (nach 
Lilljeborg 1901, Sars 1913) der Struktur der Furka (nach Lillje- 
borg gigas = 2,5 mm und viridis = 1,9 mm). Schmeil geht noch 
weiter: C. gigas ist große Form von (. virädis, ©. clausi Jugend- 
stadium von viridis. 

Sven Ekman findet im Vättern den „Unterschied der beiden 
(ersten) ‚Arten‘ völlig verwischt und kann nichts anderes sehen, als 


1) Bd. VIII der Internat. Revue. 
2) Es sind die marinen Gattungen Euryte u. Halicyclops u. die Süßwassergattungen 
Uyelops, Meso-Pachy-Lepto- u. Platyeyelops. 


W. Ziegelmayer, Einige biologische Notizen zu Cyclops viridis Jurine usw. 489 


daß wir hier eine einzige, obgleich stark variierende Art 
haben“. 

Schmaßmann (1920) bestätigt durch dieselben Beobachtungen 
profund lebender Tiere aus der Bodenfauna hochalpiner Seen ‚diese 
stark variierende Art‘, „dies um so mehr, als nach eigenen Beobach- 
tungen sogar linkes und rechtes Bein des 5. Paares in ihrer Form oft 
verschieden sind“. 

Zuletzt möchte ich an die Ausführungen F. Alverdes an diesem 
Orte erinnern), die so trefflich an Hand der überzählig auftretenden 
Borste am 5. Füßchen und sonstiger Anomalien, Plus- und Minusvaria- 
tionen, bei Versuchen an viridis die „labilere“ Reaktionsweise vor Augen 
führen. 

Vor kurzem gelang es mir, gelegentlich eines Aufenthaltes an der 
Plöner Anstalt, im Ostteile des Gr. Plöner Sees an Hand von Minus- 
variationen bei C. viridis Jurine weiterhin die sehr starke Labi- 
lität dieser Formen nachzuweisen. Es handelt sich um Bodenfauna aus 
der litoralen Zone zwischen C'hara-Arten und Potamogeton. Äußerlich 





5. Füßchen. Apikalborste. 
Wechselnde Größe bei gleichgroßen „Viridis“-Exemplaren. 


sind .lle Tiere auffallend durch die unverhältnismäßig große Anzahl 
sessiler Protisten und Flagellaten. In akzidentiellem Symphorismus oder 
irreziproker Assoziation sind meist auf ein und demselben Cyelops- 
Substrat Vorticellen (oft 70 Stück!) Epistylis, Vampyrella spirogyra 
(an der 1. Antenne!) angesiedelt, ferner durchschnittlich 100—150 
Collatium vesiculosum über den ganzen Körper verbreitet. Dazu tritt 
noch eine Belastung durch zahlreiche Pilz-(Schimmel?)Fäden, die an 
den zerstörten Furkalborsten saßen und bei deren Auftreten ich nicht 
festzustellen in der Lage war, ob dieser Borstenschwund eine primäre 
oder sekundäre Rolle spielt. 

Bei sämtlichen durchgesehenen Exemplaren macht sich am 5. Füß- 
chen ein Schwund der bis heute typisch auftretenden feinen*) Fieder- 
3) Über das Manifestwerden der ererbten Anlage einer Abnormität bei C. wrius 
Jurine 1920. Biolog. Zentralblatt. 


4) Man läuft oft Gefahr, diese feinste Fiederung zu übersehen. Strengste Prü- 
fung mit Leitz: Periplanat 25 u. ?/,J. (3000 fach!). 


490) W. Ziegelmayer, Einige biologische Notizen zu Oyelops viridis Jurine usw 


härchen der Apikalborste und Borste des Basalgliedes bemerkbar. 

Offenbar handelt es sich hier um eine Lokalvariation mit auf- 
tretender Reduktion der Fiederung, um eine relativ einfache Aberration, 
wie sie in Abb. 2 gezeigt. ist. 

Auffallend waren die Unregelmäßigkeiten in der Struktur der beiden 
5. Fußpaare an ein und demselben Exemplar. Der nicht eingelenkte Chitin- 
fortsatz des Endgliedes, der Innenranddorn, besitzt eine außer- 
ordentlich große Variationsbreite. Meist reicht dieser Dorn nicht über 
das Endglied hinaus. Oft bleibt er weit zurück. Stellenweise ragt er 
dann wieder weit über dieses hinaus. 

Ich habe nun versucht, diese fluktuierende Variabilität sowie die 
Formen derselben bei der Lokalvariation von ‚„viridis“ Testzustellen. 




























































































2 28 48 76 8 88 96 10 10% 108 110 1% 


5: Füßchen. Borste des Basalgliedes. 
Wechselnde Länge bei gleichgroßen „Viridis“-Exemplaren. 


Mit Hilfe der Reihenbildung gewann ich ein Variationspolygon und 
erhielt damit eine besondere Größen-Kurve, deren Bild hier wieder- 
zugeben kein weiteres Interesse hat; auf deren Ergebnisse wurde dann 
aufgebaut. Bei 2000 durchgezählten, zu einer Reihe angeordneten und 
gemessenen Lokalvarianten ergab sich eine eingipfelige Kurve, deren 
Ordinate in der Zahl 96 ihren Höhepunkt fanden — also von 2000 
viridis-Exemplaren hatten 96 die gleiche Größe. 

Diesen 96 Copepoden, die alle Q9 Tiere waren, wurden die 
verschiedenen Organe gemessen, Reihen darüber auf- 
gestellt und die Verteilung der Größenverhältnisse ver- 
slichen. Vor allem legte ich Wert auf die Feststellung der Varia- 





W. Ziegelmayer, Einige biologische Notizen zu Oyelops viridis Jurine usw. 491 


bilitätsgröße und ihrer Schwankung bei den labilsten Organen, den 
5. Füßchen; und zwar wurde Messung sowohl der apikalen Borste als 
auch der Borste des Basalgliedes, des Endgliedes sowie des Innenrand- 




















02 O4 06 08 1 12 16 2 


12 16 2% 24 2B 6 


Kurve des Innenranddornes 5. Fußpaar. 
apik. Borste des 5. Füßchens. Endglied des Basalglieds. 


dornes im einzelnen vorgenommen. Daraus entsprangen die nachfolgen- 
den Variationskurven. Die Zahlen seben die Größe des betreffenden 


492 W. Ziegelmayer, Einige biologische Notizen zu Cyelops viridis Jurine usw. 


Organes in Mikronen an, die Anzahl der Quadrate die Zahl der Exem- 
plare. 

Zur Vervollständigung stellte ich auch Reihen und Variationsply- 
sone über die 1. Antenne, über die mittlere Borste des Endglieds der 
1. Antenne, ferner über die Länge des 1. Thoraxsegments und der 
Furkalborste auf. 

Sehr gerne hätte ich umfangreicheres Material benützt, aber nicht 
immer gelang es mir, selbst die Zahl 96 durchzuführen, da bei Vor- 








472 5015 525 542,5 560 570 595 6125 620 6475665 6825 700 TTS 735 732,5 770 


Länge der 1. Antenne. 
Wechselnde Größe bei gleichgroßen „Viridis“-Exemplaren. 


nahme der Organe der einzelnen Tiere es sich ergab, daß manche be- 
schädigt waren (mechanische Verletzungen oder Schwund durch Schim- 
melpilze!) oder sonstwie fehlten. 

Es konnte nun nicht eine Wahrscheinlichkeitskurve nt wer- 
den, die zudem eingipfelig sein müßte, und man mußte bei den 
5. Füßchen und ihren Borsten infolge ihrer Labilität auf eine erheb- 
liche Schwankung gefaßt sein. 

Die 5. Füßchen zeigen nun auch, wie die Kurven der apikalen 
Borste, der Borste des Basalglieds und des Dorns beweisen, eine unver- 
hältnismäßig große Variationsbreite. Man muß sich vor Augen stellen, 
daß alle Exemplare dieselbe streng ausgesuchte Größe besitzen. Ich 
vermute, daß die „viridis“-Exemplare, die bei den Kurven nur durch 
einen Vertreter ausgezeichnet sind, Zufallsgrößen darstellen. So mub 
man wenigstens so lange annehmen, als nur solch relativ geringes 
Zähl- und Messungsmaterial vorliegt. 





W. Ziegelmayer, Einige biologische Notizen zu Cyelops viridis Jurine usw. 493 


Durch eine große „Ruhe“ zeichnet sich beim 5. Fußpaar das 
Endglied aus, das, wie die eingipfelige Kurve ausführt, geringen Schwanr- 
kungen unterworfen ist. 




















815108 125 MO 1875 175 210 525 560 5775 595 612 630 647,5665 682 700 7175 TAS TATS 
Wechselnde Länge der großen Wechselnde Länge des Cephalothoraxsegmentes 
Sinnesborste. 1. Antenne. bei „Viridis“-Exemplaren von gleicher Größe. 


Die 1. Antenne fällt durch ihre Zweigipfeligkeit auf; die 
Ordinaten finden ihren Höhepunkt bei 525 » und 612,5 u. Eine sehr 


494 W. Ziegelmayer, Einige biologische Notizen zu Cyclops viridis Jurine usw. 


geringe Variationsbreite weist die 3. Sinnesborste der 
1. Antenne auf, deren Größe sich um 140 u bewegt. Durch Zwei- 
bezw. Dreigipfeligkeit zeichnen sich auch die ‚Thoraxsegmente 
und die große Furkalborste aus. 

Auf Grund dieser Ergebnisse dürfte es vielleicht nicht allzu schwer 
sein, die kausalen Zusammenhänge für diese verschiedenartigste Ge- 
staltung unserer Kurven zu ‚ergründen. Gute oder schlechte Lebenslage 
als auslösender Faktor dürfte hier wohl in Wesfall kommen, da dasselbe 
Characeen- und Potamogeton - Milieu vorliegt und somit keine ver- 






































45 525 577 595 612 630 64256895 700 7175 735 752.5 770 7875 805 8225 9245 


Wechselnde Größe der großen Furkalborste von gleichgroßen „Viridis“-Tieren. 


schiedenartige Lebensbedingungen vorherrschen, — die Tiere ent- 
stammen alle ein und derselben Umwelt von der Größe einiger Quadrat- 
meter. 

So kämen für die Mehrgipfeligkeit eigentlich nur noch die 
Wirkung mehrerer erblicher Rassen oder aber Zwischen- 
"assen in Betracht. - 

Für die Annahme der Zwischenrassen spräche, dab bei gleicher 
Größe der einzelnen Individuen eine normale oder anormale Gestal- 
tung der einzelnen Organe auftritt. 

Die Kurven sprechen aber auch durch ihre Mehrgipfeligkeit für 
verschiedene erbliche Rassen, die in der „viridis“-Form liegen, 
ein Faktum, dem durch Schmeil’s, Lilljeborg’s, Ekman’s, Sars’ 
und Schmaßmann’s Annahme, es handle sich um eine einzige, wenn 
auch stark variierende Art, widersprochen wird. 





M. Dingler, Eine Schutzeinrichtung bei Arctia caia. 495 


Eine Schutzeinrichtung bei Arctia caia. 
Von Dr. Max Dingler, München. 


Eine im Biologischen Zentralblatt, Heft 3, Jahrgang 1922, 
erschienene Mitteilung von Aue über die vermeintlichen Leucht- 
organe am Thorax des braunen Bären Arctia caia L. veranlaßte 
mich, bei gegebener Gelegenheit auf dıese Erscheinung mein Augen- 
merk zu richten. Doch stand mir fürs erste kein Zuchtmaterial zur 
Verfügung; erst am 10. Juni 1922 brachte ich von einem mit Hım- 
beeren dicht bestandenen Hang am Heimgarten (Bayrische Alpen) 
neben einer Anzahl Raupen von Rhyparia purpurata L. auch eine 
solche von Arctia caia heim. Das Tier verpuppte sich bald darauf 
in einem Zuchtkasten und schlüpfte am 7. August. Es war ein nor- 
mal gezeichnetes Männchen. 

Als ich mir das fertig entwickelte Tier innerhalb des Zuchtkastens 
auf den Finger kriechen lassen wollte, bewegte es die Flügel in 
wenigen kleinen Schlägen und senkte den Kopf, :sodaß die lebhaft 
rote Kragenlinie am Prothorax deutlich sichtbar wurde. Auf diesem 
Kragensaum traten gleichzeitig zwei helle, stark glänzende Tropfen 
links und rechts der Medianlinie hervor, welche etwa °/, mm Durch- 
messer hatten und 2 mm voneinander entfernt waren. Der Eindruck 
eines Leuchtens war in dem Dämmer des Zuchtkastens für das nicht 
akkommodierte Auge tatsächlich vorhanden. Bei genauerer Betrach- 
tung der Tropfen überzeugte ich mich aber, daß es sich nur um eine 
sehr starke Lichtbrechung der wasserklaren Flüssigkeit handelte, 
welche für Sekunden ein Eigenleuchten vortäuschte. Der Widerspruch 
in den Ansichten der bisherigen Beobachter über die Leuchtfähigkeit 
der Tropfen scheint mir dadurch befriedigend aufgeklärt; von den 
zufälligen Lichtverhältnissen der Umigebung hing es eben jeweils ab, 
ob ein vermeintliches Leuchten gesehen wurde oder nicht. 

Die beiden Tropfen wurden von dem Tier, als ich es ungestört 
ließ, ein wenig, aber nicht vollständig zurückgezogen. Bei erneutem 
Reizen — an den Fühlern oder Beinen, nicht an der Austrittstelle 
der Tropfen — traten sie wieder stärker hervor. Nachdem ich sie 
abgehoben hatte, wurden sie nicht mehr erneuert. Ihr Geruch er- 
schien mir schwach und, wie auch Aue feststellt, ähnlich dem von 
Coceinella. Dagegen fand ich ihren Geschmack scharf harzıg und das 
Brenngefühl, das er auf der Zunge hervorrief, etwa 10 Minuten an- 
haltend. 

Zweifellos handelt es sich in den beiden Sekrettropfen um eine 
Schutzeinrichtung, wie dies ja auch durch den Versuch Aue’s mit 
dem Rotkehlchen bestätigt wird; ein Analogon also zu den Vorrich- 
tungen mancher Raupen, wie der Kopfgabel der Schwalbenschwanz- 
raupe, den Gabelfäden der Ceruraraupen. Auch die Analröhren- 
sekrete der Blattläuse wären hier zu nennen. Eine Einrichtung, 
welche noch mehr derjenigen bei Archa caia entspricht, findet sich 


496 M. Dingler, Eine Schutzeinrichtung bei Actia caia. 


bei gewissen Cocciden. So lassen die Weibchen der Pseudococceus- 
Arten auf Reize hin zwischen dem vorletzten und letzten Abdominal- 
segment auf beiden Seiten je einen Tropfen austreten. Bei dem 
Weibchen von Pseudococeus eitri habe ich beobachtet, daß, wenn man 
es weiter reizt, außer den beiden Tropfen am Abdomen auch noch 
zwei Tropfen zwischen Kopf und Thorax austreten. 

Da die Tropfen bisher nie an älteren, z. B. im Freiland ge- 
fangenen Faltern von Arctia caia beobachtet worden sind, möchte ich 
vermuten, es handle sich hier um eine Schutzeinrichtung, welche 
lediglich der Abhaltung von Feinden in dem hilflosen Zustande 
zwischen dem Auskriechen und der Flugfähigkeit dient. Aue hat 
zwar das Austreten der Tropfen bei seinen Tieren beliebig oft her- 
vorrufen können, aber, soviel ich seiner Mitteilung entnehme, auch 
nicht an geflogenen Faltern. 


Berichtigung. 

In meiner Arbeit: Beziehungen zwischen pflanzlichen und tierischen Skelettsub- 
stanzen etc. in Nr. 8/9 sind 2 sinnstörende Fehler stehen geblieben, die ich zu be- 
richtigen bitte. Auf p. 389 10. Zeile von unten muß es statt 2% Schwefelsäure 
2 %iger Schwefelsäure heißen und auf p. 394 6. Zeile von oben aufhellt statt verstärkt. 

P. Schulze. 


Der völlige Stabilitätsverlust der deutschen Markwährung hat eine 
ungeheure, sprunghaft fortschreitende Verteuerung aller Herstellungs- 
kosten mit sich gebracht und vollkommen unsichere Verhältnisse 
für die Preisbildung geschaffen. Angesichts dieser Sachlage ist es 
erklärlich, daß auch die Bücher- und Zeitschriftenpreise wie die aller 
anderen Waren nur noch gleitende sein können. Der Verlag ist nicht 
mehr in der Lage, den Abonnementspreis für das „Biologische Zen- 
tralblatt“ wie bisher auf längere Zeit im voraus festzusetzen; es muß 
vielmehr die Berechnung für jedes einzelne Heft Platz greifen, denn 
nur so ist eine Anpassung an die jeweiligen Herstellungskosten 
möglich. Die am Kopfe angegebenen Auslandspreise sind für den 
ganzen Jahrgang 1923 feststehend, bleiben also von den Valuta- 
schwankungen unberührt. 

Aus Gründen der Ersparnis erfährt die Erscheinungsweise vom 
1. Januar 1923 ab eine Änderung. Es werden hinfort in Abständen 
von zwei Monaten Doppelhefte herausgegeben, deren Zahl im Jahre 
1923 je nach Entwicklung der Verhältnisse 5 oder 6 betragen soll. 

Trotz der schier unüberwindlichen Schwierigkeiten hoffen Redak- 
tion und Verlag, den Fortbestand des Zentralblattes sichern zu können, 
was jedoch nur möglich sein wird, wenn unsere Leser den veränderten 
Zeitläuften volles Verständnis entgegenbringen und uns auch weiter- 
hin treu bleiben. 

Leipzig, im Dezember 1922. 

Antonstraße 15. 
Georg Thieme, Verlag. 


Junge & Sohn, Univ.-Buchdruckerei, Erlangen. 














Alphabetisches Namenregister, 


A bderhalden 30. 333. 
Abel 312. 
Adair 177 
Agar, W. E. 47. 
Aida 481. 485. 
Alverdes 143. 218. 489. 
Ambronn 393. 
Aristoteles 125. 
Arrhenius 438. 
Ascherson 466f. 
Aue 141. 4951. 


Baer 382f. 459. 463. 
Baglioni 127. 135. 
Barfurth 420. 422. 425£f. 


Bataillon 151. 165. 167. 171. 


422. 
Bauch 9. 
Bateson 310. 
Baur 113. 116. 467. 
Beal 459f. 463. 
Beaufort 129. 
Bechhold 180. 
Bechstein 90. 
Beijerinck 46. 146. 
Belar 369. 
Benecke 413. 
Bergen 409. 
Betz 253. 
Beyerinck 7. 


Biedermann 382. 386f. 429. 


Bier 147. 


Blackman 337.339.341. 353. 


Blakeman 260. 
Blakeslee 35. 

Bloch 119. 121f. 124. 
Blochmann 168. 
Böcker 27Sff. 
Böker 87. 
Bongardt 2ff. 138f. 
Bonnet 325. 

Borelli 125 ff. 
Boveri 169. 
Boysen-Jensen 343. 
Brand 441. 444. 
Brandt 213. 

Brauer 168. 

Braun 312f. 
Braunsdorf 391. 
Braus 303. 307. 
Brecher 297. 
Brefeld 10. 12f. 18. 
Brehm (Vater) 87. 291. 
Bretscher 401 ff. 


42. Band 





Bridge and Haddon 129. 
32: 

Bridges 116. 301. 481f. 486. 

Brown 338. 3441. 

Brügger 467. 

Bubanovie 177. 

Buchner 38. 44. 47f. 93. 
139. 286f. 328, 

v. Buddenbrock 
359f. 

Buder 220. 222. 

Burgeff 41. 51. 

Burgerstein 287. 

Bütschli 328. 


Calkins 60. 62.-278. 

Calleja 207. 

Castle 481. 

Caullery 287. 

Child 366. 

Claus 488. 

Claußen 10. 20. 

Cohnheim 28. 

Colditz 80. 84. 

Colias-Gerould 486. 

Collier 253. 

Correns 112. 114. 116f. 164, 
288. 465. 467. 

Cori 83. 

Corning 129ff. 134. 

Coulter 167. 

Csiki 457 ff. 463. 

Cuenot 429. 434. 

Cunningham 157. 


Dahl 461 ff. 
Dallinger 51f. 
Darwin 412. 
Darwin-Häckel 213. 
Dawson 58. 
Deegener 241. 429. 
De Geer 463. 
Degeer 142. 
Deineka 128. 135. 
Deinneka 129. 
Delafield 120. 129. 
Delage 171. 
Demoore 6. 

Denis 424. 

Derby 422. 
Dieffenbach 80f, 
Digby 168. 
Dingler 495. 
Doflein 193. 286. 


197. 221. 


Dubois 4. 9. 
Duclaux 437. 
Dudgeon 467. 
Duerst 87 ff. 
Duncker 253. 268. 
Duysen 388, 


Eckstein 300. 
Eidmann 97. 429, 
Eißele 125. 

Ekman 488. 495. 
Enriques 51. 
Erdmann 49. 57. 
Ernst 164. 
Escombe 338. 344 f. 
Exner 214. 253. 
Eycleshymer 319. 


Fahringer 454f. 
Fallen 463. 
Farmer 168. 
Faust 436. 
Federley 481. 
Fick 168. 346. 
Fischer 486. 
Fitting 163. 
Flury 438. 
Folin 421. 424f. 
Folin-Wu 421. 
Foot 168, 

Forel 436. 438. 
Franz 48. 
Fremy 391. 
Friderich 87. 90. 
Friedenthal 213. 
Friedländer 199. 
Frischholz 279t£ 
Fruwirth 288. 
Fryer 486. 

v. Fürth 177. 298f. 436. 


@anong 158. 

Gegenbauer 309. 311. 313. 

Gerould 487. 

Gerretsen 1. 8. 

Giesenhagen 144. 

Goetsch 231. 238. 27Sf. 366, 
369£. 

Goette 232. 364. 366 

Goldschmidt 117. 253. 301. 
481. 

Graebner 466f. 

Groß 369. 

Gudernatsch 427. 


32 


498 


‚Gulde 456. 463. 
Guyenot 127. 


WHaberland 145. 
Haeckel 194. 
Hagen 406. 409f. 413 ff. 
Hammarsten 6. 
Hance 58. 

Hansen 287. 
Hansteen: 184. 188. 
Harder 341. 
Harms 111. 
Hartmann 284. 364. 
Harvey 8. 

Hase 280. 283ff. 
Haß 390. 

Hauser 430. 

Heck 129. 
Hegelmaier 158. 
Hegner 54ff. 
Heidenhain 120. 
Heider 168. 
Heikertinger 441. 
Heilbrunn. 171. 
Heinemann 5. 


Hendrich and Saar 467. 


Henking 168. 
Herlant 167. 
Hermann 401. 


Hertwig, O. 163, 165, 311. 


al4f. 325. 


Hertwig, Rich. 97 ff. 106. 


108. 163. 278. 325. 366. 
van Herwerden 109. 
Heß 246. 


Hesse 128. 193. 
Hesselman 356. 

van der Heyde 419. 
Heymons 463. 
Hilzheimer 87. 
Hintzelmann 293. 
Hirschler 303. 
Höber 176. 180. 
Hoffmann, H. 465. 
Hoffmann, R. W. 333. 
Hofmeister 179. 
Honing 231. 

Horn 118. 
Huschke 118. 


Jaffe 424. 
Jäger 127ff. 134£. 
Jahn 366. 


Jakobs 120f. 123. 129. 134, 


Jakobson 318. 320ff. 
Janson 128. 

Jaquet 129. 132. 

Jegen 143. 

Jennings 5Off. 63. 218ff. 
Ikeno 166. 

Iljin 405ff. 410. 412. 417. 


Johannsen 50. 56. 253. 266. 


Jollos 57 f. 64. 


Alphabetisches Namenregister. 


Jones 177. 
Isaak 141ff. 
Judd 459. 
Juel 159. 
Jurine 48Sf. 
Just 65. 142. 


Kappert 223. 

Kapteyn 404. 

Karrer 392. 

Keibel 321. 

Kerb 76. 

Kirchner 159. 

Klason 391. 

Klatt 330. 

Klebs 10. 17. 20. 
369. 

Klie 488. 

Kniep 9ff. 18. 20 ff. 36. 

Knoche 139f. 

Kobelt 291. 

Kobert 436. 

Koch 278t.- 488. 

Köhler 179. 

Kölliker 1381. 

Kohl 455. 

Konsuloff 188. 

Korschelt 168. 

Kotte 170. 

Kräpelin 430. 


Krapfenbauer 232. 237. 279. 


Kräl 11. 

Kraus 441. 

Krause 328. 
Krauße 456. 
Krawkow 39. 
Krueger 169. 
Külpe 194. 
Kunicke 390. 
Kuntzen 391. 
Kurzwelly 185. 
Kuschakewitsch 97. 
Küster 96. 147. 288. 329. 


Lalanne 215. 
Lamprecht 146. 
Land 167. 
Landis 58. 
Lang 253. 


Lantzsch 72ff. 80. 82. S4f. 


Lawson 168. 
Leitgeb 409f. 412. 414. 


Leydig 118f. 121. 126. 129. 


Lieske 144. 
Lillie 168. 171. 420, 
Lilljeborg 488. 495. 
Lindner 41. 91. 
Lindstedt 72. 
Linsbauer 409. 415. 
Lipps 402. 

List 298. 

Livingston 412. 
Lloyd 405. 410. 


183. 188. 


Locy 463. 

Loeb 171. 218f. 245f. 363. 
Longo 158. 

Loos 420. 427. 459. 
Lubimenko 341. 

v. Lukanus 270. 273. 


Lundegärdh 337ff. 341. 


343f. 348f. 351. 354. 
v. Luschan 216. 
Lutz 139. 


Mac Laurin 257. 
Mangold 139. 

Marshall 87. 89£. 4621. 
Mason 461. 463. . 

Mast 58. 

Matthaei 339. 
Maxwell-Lefroy 461. 463. 
Mayer, A. G. 382. 
Mayer, P. 47. 

Me Atee 459. 463. 
Meigen 188. 

de Meijere 486. 
Meisenheimer 331. 
Mendel 50. 66. 486f. 
Mendelejew-Goldberg 303f. 
Menghini 51. 
Metalnikoff 429. 434. 
Metschnikoff 420. 422. 
Mewes 166. 302. 

Miehe 144. 

Middleton 58 ff. 

Mieg 186. 

Millon 295. 

Mitchell 58. 

Moeller 179. 

Möller 172ff. 179£f. 
Mohl 409. 

Molisch 96. 144. 410. 
Moreau 126f. 129. 135f. 
Morse 420ff. 427. 
Müller 1261. 129. 132. 134. 
Musy 127. 


Nachtsheim 143. 

Nagel 194ff. 

Naumann 81ff. 87. 276. 

Neuberg 298. 

Neumann-Reichardt 415. 
417. 

Nitzsch 87. 

Noetzel 421. 427. 

Nukada 294ff. 

Nussbaum 119. 121.. 1231. 
129. 131. 283. 


&hler 74. 
Oltmanns 2211. 
Oppenheimer 7. 
Oppel 129. 
Orban 35. 
Osborn 313. 
Östenfeld 159. 
Owen 309. 311. 








Pascher 51. 

Patten 58. 

Pauly 294f. 

Pax 327. 

Pearson 253. 257. 263. 

Peter 308. 

Peterfi 328. 

Peters 74. 

Petrunkewitsch 120. 
42988. 


% 


129. 


Pfeffer 157. 183. 288. 409. 
Pierantoni 8. 38. 40. 42. 


46. 139. 
Plester 341. 
Pocock 455t. 
Popoff 366. 395. 
Popta 127. 
Poulton 455. 462. 
Powers 58. 
Prenant 200. 
Pringsheim 96. 
Przibram 298. 
Pütter 72. 


Raeiborski 10. 20. 
Ranvier 213. 
Rasmuson. 467. 
vom Rath 430. 
Rathke 118. 126. 


Raunkiaer 159. 466. 469. 


473. ATI. 
Reiehenow 94. 
Reichert 459. 463. 
Reis 129. 131. 
Renker 388. 393. 
Renner 231. 406. 
Rey 459. 

Rippel 183. 185. 187. 
Ritter 359. 

Robinson 213. 

Roch 359. 

Rörig 456f. 459. 469. 
Root 53. 

Rosenberg 152. 159. 161. 
Rosenthaler 184. 
Rosing 405. 410. 
‘van Rossum 165. 
Roth 479. 

Roux 311. 313. 428. 
Rubner 365. 

Rückert 168. 


Sachs 157. 
Sadikoff 29. 
Sagemehl 132. 135f. 
Saguchi 301. 
Sakamura 115. 

Sars 488. 495. 
Schanz 298. 
Schiefferdecker 200. 


Alphabetisches Namenregister. 


Schlüter 4331. 
Schmaßmann 489. 495. 
Schmeil 488. 495. 
Schmidt, E. 388f. 390. 
Schmidt, H. 193. 
Schmidt, Johs. 481. 
Schmidt, W. J. 330. 
Schmiedeknecht 455. 
Schrank 188. “una. 
Schroeder 172. 181. 
Schrottky 455. 
Schuhmann 185. 
Schumacher 463. 
Schull 187. 

Schultze, L. S. 363. 
Schulz, A. 467. 


Schulze, Paul 142. 232. 237. 


285. 388LE. 
Schulze 3. 119. 
Schuster 459. 
Schweitzer 484. 
Semon 330. 

Shaw 163. 

Shull 112£f. 173. 467. 
Sidoriak 119. 123 £. 
Siemens 143. 

de Sinety 434. 

Smith 339. 


Snellen van Vollenhoven 463. 


Sobotta 325. 
Sörensen 421f. 
Soldanski 142. 
Sorauer, P. 95. 288. 
Speck 390. 
Spemann 309 ff. 
Sprecher 465f. 478. 480, 
Spuler 382f. 387. 
Stahl 343. 
Stälfelt 341ff. 
Stannius 129. 


Steinberger, Anna-Luise 405. 


Stoll 186. 337f. 342. 347. 

Stolp 60 ff. 

Stolte 36%. 

Strasburger 112. 115. 
157f. 163. 

Stumper 435. 

Süffert 382. 

Sulc 39, 41f. 

van Sylke 421. 

Szymanski 241f. 289. 


Tanaka 294 ff. 

Ternetz, Charlotte 10. 20. 

Terreil 391. 

Thilo 120. 124. 128. 
136. 

Tollenaar 401ff. 

Tracy 129. 

Traube 180. 


an 


152. 


132. 


499 


v. Ubisch 112. 
Uhlenhut 305. 
Unna 204. 

van Uven 404. 


Wan Beneden 323. 

Van der Stricht 323. 
Vant Hoff 370. 381. 438. 
Verhoeff 138f. 

Verworn 2f. 5£. 9. 
Virchow 325. 

Vogel 138. 433. 

Voß 167. 


Wachendorff 78. 

Wachs 270. 

Wacker 433. 

Walter 386. 

Warburg 337£. 

Webber 167f. 

Weber 118. 126. 

Wegener 135. 

Weinberg 65. 

Weinland 425 

Weismann 364f. 369. 376. 
381. 

Weitlaner 3. 

Werner 441. 

Wester 389f. 393. 

Westermeier 357. 

Wettstein, Fritz v. 95. 288. 

Wicksell 2631. 

Wiedersheim 319. 

Wielowiejsky 2ff. 138. 

Wiesner 147. 

Wiggans 406. 408. 412. 

Willstätter 186. 337 f. 341f. 
347. 357. 398. 

Wilson 319. 

Winkler 158. 165. 169f. 

Winterstein 5. 

Wintrebert 428. 

van Wisselingh 389 f. 

Witschi 103. 

Wolda 402. 

Wolf 441. 444. 449, 

Woodruff 56ff. 366. 


Yagi 294. 


Zander 390. 393. 
Zapalowiez 467. 
Zederbauer 223. 227 ff. 
Ziegelmayer 488. 
Ziegler 325. 

Zillig 9ff. 20. 35. 
Zimmer 327. 
Zweibaum 51. 


32* 


Alphabetisches Sachregister. 





Abweichungen vom mechan. Geschlechts- 
verhältnis bei Melandrium dioicum 112. 

Acantholepsis 437. 

Acanthosoma haemorrhoidale 458. 

Acerina cernua 254. 268. 

Actinophrys 367. 

Adonia variegata 450. 

Adventivembryone 145. 151. 154. 156f. 
161. 

Aelia acuminata 443. 451. 458 f. 

Ahnlichkeit der Kuckuckseier 270ff. 

Aerobates 312. 

Aesculus hippocastanum 395. 

Agapophyta 461. 

Alauda arvensis 449. 

Alburnus lueidus Heck 129. 133. 

Alchemilla 415. 418. 

Alchemilla vulgaris 415f. 417. 

Alvsma 412. 

Alisma plantago 412. 

Allium 418. 

Allium porrum 414. 

Allium schoenoprasum 414. 

Allium ursinum 414. 

Allobophora 168. 

Aloe Schimperi 410. 

Alter der zu Kreuzungen verwandten In- 
dividuen 223 ff. 

Alter und Tod, botan. Betrachtungen 288. 

Althaea rosea 146. 

Amaryllis 409. 

Ameisenbiologie, quantitative 435. 

Ameisen, macedonische 286. 

Amphibienmetamorphose 303. 

Amphioxus 325f. 

Anaea 384. 

Anas domestica 448. 

Anatomie der Pflanze 144. 

Anatomie, mikroskopische der Wirbeltiere 
328. 

Anatomie, vergleichende 328. 

Anguis fragilis 454. 

Anopheles bifurcatus 188. 190. 

Anopheles maculipennis 188ff. 

Anthocoris 458. 

Anthocoris nemorum 458. 

Antipyretische Wirkung des Regenwurms 
293. 

Apatura 387. 

Aphalara caltha 41. 45. 

Aphrophora 39. 441. 

Apis 360. 

Apis mellifica 143. 

Arabis alpina 411. 


Aradus cinnamomeus 456. 
Arcanus diadematus 443. 455. 
Arcelia dentata 54. 
Archieracium 159. 161. 

Arctia caja 141. 142. 385. 495£. 
Arenicola piscatorum 194ff. 
Argynnis 386. 

Armeria latifolia 413. 

Artamus insignis 462. 


' Ascaris megalocephala 166. 


Ascidia 419. 

Ascophanus 10. 20. 

Aspidium filia mas. 348. 
Aspidium spinulosum 348. 352. 
Astata boops 455. 

Asterias 196. 

Atalanta 385. 

Avena sativa 411. 

Axolotl 168. 


Baeillus fluorescens liquefaciens 73. 

Baecillus radieicola 42. 

Bacterium phosphorescens 46. 

Bakteroidenbildung bei Hemipterenensym- 
bionten 38 ff. 

Barbus barbus 129. 133. 

Basidiobolus ranarum 10. 20. 

Befruchtung 145. 

Betula 412. 417. 

Betula alba 411. 

Biologie des Menschengeschlechtes 200. 

Biologische Arbeitsmethoden, Handbuch 
333. 

Biologische Notizen zu Üyeclops viridis 
Jurine bezw. Üyclops vulgaris Koch 
488 ff. 

Biologische Vorträge, populäre 144. 

Blatta orientalis 434. 

Blissus lewcopterus 460. 

Bombinator 307. _ 

Bombinator igneus 446. 451. 


* Bombinator pachypus 451. 


Bonellia viridis 106. 

Botanik, Lehrbuch 144. 

Botanik, Lehrbuch für Mediziner 329. 
Botanik, Taschenbuch 144. 
Branchipus 168. 

Brassica oleracea gongylodes 146. 
Bryonia 112. 467. 

Bryophillum 146. 

Bryophyllum erenatum 148. 
Bufo calamita 446. 450. 

Bufo vulgaris 446. 449. 451. 
Bursaria 367. 





ee ne nn 


Alphabetisches Sachregister. 


Cacomantis insperatus 461. 

Caelebogyne ilieifolia 158. 

Calanus 73. T6ff. 

Calla 412. 

Calla palustris 412. 

Calliphora 3591. 

Calocoris sexguttata 455. 

Camponotinae 436 f. 

Camponotus compressus 461. 

Camponotus ligniperda 437. 

Canna glauca 231. 

Canna indica 230. 

Caprimulgus macrurus 461. 

Capsidae 451. 458. 

Capsidarum 458. 

Capsus 458. 

Carabus (Procrustes) coriaceus 443. 

Carabus Scheidleri 445. 

Carabus Ullrichi 445. 450. 

Carex panicea 352. 

Carex vesicaria 348. 

Carpocoris purpuripennis 
444. 451. 458. 

Carpocoris verbasci 458. 

Cataglyphis bicolor 437. 

Cavia cobaya 166. 

Centropyzis aculeata 53. 

Cephalotaxus drupacea 168. 

Cerchneis amurensis 462. 

Cerchneis vespertinus 458. 

Cercopithecus mona 455. 

Certhia familiaris 458. 

Certhiüidae 291. 

Chara 490. 

Ohaetogaster 369. 

Chaleococeyxz maculatus 271. 

Chelidonaria urbica 458. 

Chemischer Sinn einiger Polychaeten 193. 

Chionodoxa Lueciliae 411. 

Chitin, Durchlässigkeit 429 ff. 

Chitinreaktionen 388ff. 

Chlorohydra 285. 

Cicada orni 41. 45. 

Oicadomyces 42, 

Cieindela 39. 

Cimex lectuaria 455. 

Ciona 392. 

Circea 'alpina 348. 

Cirsium arvense 467. 

Citrus aurantium 152. 158. 

Olivia nobilis 410. 

Cobitis 118ff. 124. 

Cobitis barbatula 120. 122. 

Cobitis fossilis 119 ff. 

Coceinella 142. 

Coceinella septem punctata 443, 

Coecystes glandarius 271f. 462. 

Unecystes jacobinus 271. 

Colchieum autumnale 414. 

Coleus 170. 

Ooleus hybridus 150. 

Collatium vesiculosum 490. 

Collyriocincla harmonica 455. 


(nigricornis) 


901 


Colpidium 367f. 372. 374f. 380. 
Colpidium colpoda T4f. 78f. 82. 
Coracias garrula 458. 


 Corerdae 446. 


Oorizus sp. 4581. 

Corvidae 442, 

Corvus cornix 459. 

Corvus culminatus 271. 
Corvus splendens 271. 
Ooturnix coturnix 445. 447. 449, 
Crassula 146. 

Crassula lactea 148. 
Örateropus 2711. 
Crotophaga 271. 

Cuculus canorus 275. 458. 
Oulex sp. 188. 

Oulex pipiens 189f. 

Oyecas revoluta 166. 168. 
Oyelocypris 76. 79. 
Oyclops 488. 490. 

Oyclops elausi 488. 

Uyclops gigas 488. 

Oyclops viridis Jurine 488. 
Oyelops virius Jurine 489. 
Oyelops vulgaris Koch 488. 
Uyelosalpa pinnata 363. " 
Oydnus nigrita 459. 
Cyprianus carpio 129. 133. 
Cypriniden 127f. 133. 135. 
Uypripedilum calceolus 414. 
Cytology 47, 


Daphnia T6ff. 

Daphnia pulex 109ff. 

Dianthus carthusianorum 19. 

Dianthus chinensis 35. 

Dianthus deltoides 10. 19ff, 35. 

Dianthus superbus 19. 

Dierurus laemostictus 462. 

Didinium 58. 

Didinium nasutum 5S. 

Difflugia corona 521. 

Dinetus pietus 455. 

Distoechurus 312. 

Dolichoderinae 436, 

Dolyeoris baccarum 444. 451. 458f. 

Domestikationsproblem, Studien zum 330. 

Doppelatmung der Mückenlarven 188. 

Dorylinae 436. 

Drosophila 66. 116. 301. 481. 

Durchlässigkeit des Chitins bei osmotischen 
Vorgängen 429ff. 

Dysdercus cingulatus 461. 


Echeveria secunda 148. 

Einfluß des Alters auf elterliche Merkmale 
bei den Nachkommen 223. 

Einschmelzung des Schwanzes der Frosch- 
larven 419ff. 

Ekelgeruch der Wanzen 441 ff. 

Elodea 170. 

Emberiza ciopsis 271ff. 

Empidonax minimus 459. 


502 


Epilobium 290. 

Epistylis 490. 

Equus 312. 

Eranthis 418. 

Eranthis ceilieica 412. 

Erasmia pulchella 386. 

Erblichkeitsstatistik, Empirie 65. 

Erblichkeitsstatistik, Wahrscheinlichkeit 65. 

Erinaceus europaeus 444. 447. 

Erithacus rubecula 448. 458. 

Ernährung, parenterale der Wassertiere 72. 

Eudorina 284. 369f. 376. 

Eudorina elegans 284. 367. 

Eudynamis niger 271. 

Euglena 221f. 

Euphorbia duleis 158. 

Euplotes longipennis 60 f. 

Eurygaster 453. 458. 

Eurygaster maura 442f. 451. 458. 

Eurygaster nigrocucullata (hottentotta) 
442. 451. 453, 458. 

Eurygaster nigrocucutellata 442. 

Eurydema oleraceum 446, 451. 454f. 459. 

Euryte 488. 

Eusarcoris aeneus 458. 

Eusarcoris melanocephalus 458. 

Evoniymus 243. 245. 

Evonymus euwropaeus 243. 

Kalter von Aretia caja, besitzt er Leucht- 
fähigkeit? 141. 

Ficus Roxburghii 157. 

Flugmuskulatur der Insekten, Physiologie 
359. 

Fontinalis 341. 

Forfieula auricularis 442. 

Formica fusca 437. 

Formica pratensis 437. 

Formica rufa 437 ft. 

Formica rufibardus 437. 

Formica sanguinea 437. 

Formica truncicola 437. 

Forsythia 412. 417. 

Forsythia suspensa 411. 

Fortpflanzung, ungeschlechtl., Ersatz durch 
Regenerationen 364 ff. 

Frontonia 367. 

Froschlarven, Einschmelzung des Schwan- 
zes 419 ff. 

Funkia ovata 158. 


Galanthus Elwesii 411. 

Galathea 166. 

Gallus domestieus 442. 444 ff. 

Garrulus glandarius 458. 

Gastrocles abietis 458. 

Gennaeus nycthemerus ADD. 

Gentiana lutea 411. 

Geoeichla litsitsirupa 462. 

Graphosoma italicum 453. 455. 

Gryllus campestris 442, 

Geschlecht und Geschlechter im Tierreiche 
331. 

Geschlechtsbestimmung bei Apis mellifica 
143, 


Alphabetisches Sachregister. 


Geschlechtsbestimmung beim Sauerampfer 
4bbff. 

Geschlechtsmerkmale, sekundäre 9f. 20. 
34f. 37. 

Gonaden des Bean innere 301 ff. 

Gonium 366. 

Gymnobelideus 312. 

Gymnorhina tibieen 442. 444ff. 449. 


Halieyelops 488. 

Harpactor iracundus 458 f. 

Hartwegia comosa 409. ns 

Hedera 412. 417. 

Hedera helix 411. 

Hemiptera 458. 

Hemiptera heteroptera 462. 464. 

Hemipterensymbionten 38.. al. 

Hieracium 159. 

Hieracium aurantiacum 159. 

Hieracium excellens 159. 

Hieracium flagellare 159. 161f. 

Hieracium umbellatum 161. 

Hirudo 195. 

Hirundo erythrogastra 460. 

Hirundo rustica 458. 

Homologie und ihre Anwendung in der 
Embryologie 308.. 317. 

Horornis 271. 

Hyalomma aegyptium 392. 

Hydra 231 ff. 278ff. 

Hydra attenuata 235. 

Hydra fusca 238. 278f. 285. 

Hydra grisea 285. 

Hydren, Depressionen 27Sft. 

Hydren, geschlechtliche Fortpflanzung 231. 

Hydren, Lebensdauer 231. 278. 

Hyla arborea 443. 446f. 450. 

Hypochaeris radicata 159 ff. 

Hypolais hypolais 445ff. 448. 451. 458. 

Hypomoneuta 242 ff. 

Hypomoneuta cognatellus 241. 





Icerya 42. 

Impatiens 415. 418. 
Impatiens Holstii 415 ff. 
Impatiens noli tangere 415 ff. 
Iphtimera eburnea 391. 
Iridoprocne bicolor 460. 
Irrisor erythrorhynchus 462. 


Kalanchoe 146. 

Kohlensäureassimilation, Physiologie und 
Ökologie 337. 

Kopulationsbedingungen ff. 18. 

Korrelationstheorie nach Pearson 253. 

Kuckuckseier, Ähnlichkeit 270. 

Kultur der Mikroorganismen 96. 


Lacerta agılis 443f. 446f. 449. 451. 
Lacerta serpa 445. 447. 449. 
Lacerta viridis 454. 

Lactuca perennis 159. 
Lamprococcey& plagosus 461. 
Lampyris 38. 


a Te an 1 


en) 


Alphabetisches Sachregister. 


Lampyris noctiluca 2. 13Sff. 

Lampyris splendidula 2. 4. 

Landwirtschaftliche Kulturpflanzen, Züch- 
tungslehre 288. 

Laniarius guttatus 462. 

Lanius collurio 458. 

Lanius excubitor 458. 

Lanius minor 458. 

Laphria 359f. 

Laphria flava 455. 

Lasius flavus 437. 

Lasius fuliginosus 440. 

Lasius niger 439. 

Lastrea Filix mas. 168. 

Lebensweise macedonischer Ameisen 286. 

Lehrbuch der Botanik 144. 

Lepidoptera 425. 

Leptoeycelops 488. 

Leuchten des juvan, Leuchtkäfers 1ff. 

Leuchtorgane der Imagines 139. 

Leuchtorgane der Larven 138. 

Leueiscus rutilus 454. 

Limnaea 109. 

Limnaea ovata 110. 

Limnanthemum 412. 

Limnanthemum nymphaeoides 412. 

Limulus 3053. 

Liothrix luteus 456. 

Locusta viridissima 442. 444. 

Lösungsversuche, drei, eines Problems 289. 

Loxia 87. 90ff. 


-  Lueiferase 9. 


Luciola italica 6. 

Luciola vittata 1ff. 9. 
Lumbrieus 195. 2941. . 
Lumbrieus hereuleus 198. 294f. 
Lumbrieus terrestris 294. 
Lumbrofebrin 295 ff. 

Lyaeus sp. 461. 

Lyaeus hospes 461. 

Lyehnis dioica 113. 

Lyda 300. 

Lyda erythrocephala 246. 
Lygaeidae 447. 

Lygaeidarum sp. 4581. 
Lygaeus equestris 454. 
Lygaeus saxatilis 447. 451. 
Lygus campestris 458. 
Lygus pabulinus 458. 

Lygus pratensis 458. 
Lymandria monacha 486. 
Lymantria dispar 481 ff. 485. 


Macrony& capensis 462. 
Macropsis microcephala 41. 45. 
Macroptery& mystacea 461. 
Makonia aquifolium 411. 

Maja 166. 

Majanthemum bifolium 352. 355. 
Malacosoma castrense 244. 248. 
Malaecosoma neustrium 244. 247. 
Mantia religiosa 443. 

Marsilia Drummondii 162 ff. 


503- 


Marsilia vestita 164. 

Melandrium 112. 114f. 117. 467f. 471. 
479. 

Melandrium album 113. 

Melandrium dioicum 112. 

Melandrium rubrum 343f. 346f. 348. 

Melandrium album 191. 

Melasoma XX punctatum 391. 

Merkmale, elterliche bei Nachkommen 
223. 

Merkmale. numerische 253. 

Mesocyclops 488. 

Messor 437. 

Messor barbarus 438. 

Metamorphosierte Amphibien 303. 

Metazoen, Unsterblichkeitsproblem 231tf. 
278 11 

Mentha piperita 290. 

Mierostomum 370. 

Mikrochemie der Pflanze 96. 

Mikrohydra rhyderi 232. 

Mirabilis Jalapa 164. 

Misgurnus fossilis 454. 

Mneme als erhaltendes Prinzip 330. 

Morpho 384. 387. 

Mulgedium alpinum 159. 

Musca domestica 450. 452. 

Muscicapa collaris 458. 

Muscidae 425. 

Museivora forfieata 459. 

Muscieapa grisola 458. 

Myiarchus cinerascens 459. 

Myiarchus erinitus459. 

Miyllocerus sp. 461. 

Myllocerus maculosus 461. 

Myodocha serripes 460. 

Myrmica 437. 

Myrmica rufra 439. 

Myrmieinae 436. 


Nabis ferus 458f. 

Nabis lativentris 451. 455. 

Nais complanata 168. 

Nardus strieta 352. 

Nasturtium palustre 339. 343 f. 346. 

Nasturtium palustris s. Nasturtium pa- 
lustre 343. 

Nasua socialis 445. 448. 

Nebennierenrinde des Rindes, Einfluß auf 
Gesundheit und Wachstum verschiedener 
Organismen 109. 

Nectarus. 319. 

Nekrohormone 158. 170. 

Neornis 271. 

Nepa cinerea 459. 

Nephthys hombergi 194f. 197 ff. 

Nereis pelagica 194. 197 ff. 

Nereis virens 194. 

Nezara hilaris 460. 

Nezara viridula 455. 461. 

Nothoscordum fragrans 158. 

Nuecifraga caryocatactes 458. 

Nyctalemon 384. 


504 Alphabetisches Sachregister. 


Nymphaea 412. 
Nymphaea alba 412. 


Ocinara varians 461. 

Oenanthe aquatica 352. 

Oenothera Lamarckiana 151f. 154. 156f. 
161. 167. 

Opuntia vulgaris 158. 

Organismen, ihre Reaktionen auf äußere 
Reize 218. 

Oriolus galbula 458. 

Oriolus kundoo 459. 461. 

Oriolus melanocephalus 461. 

Orthezia 45. 

Osmotische Untersuchungen 288. 

Osmotische Vorgänge 429 ff. 

Osmotischer Wert, Regulationen 405 ff. 

Oxalis acetosella 339. 342 ff. 346 ff. 
352 1.8998 

Oxytricha hymenostoma 58. 

Pachycyelops 488. 

Paeonia 417. 

Paeonia officinalis 409. 411. 

Palomena prasina 445. 451. 454. 458f. 

Papilio philenor 384. 

Paramaecium T4Af. 367. 

Paramaecium aurelia 219. 

Paramaecium bursaria 219. 

Paramaecium caudatum 218ff. 

Paramecium aurelia 56ff. 63; siehe auch 
Paramaecium aur. 

Paramecium caudatum 56ff. 63; siehe 
auch Parumaecium ce. 

Le Parasitisme et la Symbiose 287. 

Paroaria cucullata 449. 

Parthenocissus 412. 

Parthenoeissus radicantissima 411. 

Parthenogenesis 145. 151. 153. 156. 158. 
165. 

Parus 456. 

Parus ater 458. 

Parus coeruleus 404. 

Parus major 403f. 458. 

Parus palustris 458. 

Passer arcuatus 449. 

Passer domesticus 442. 449. 452. 

Pavo cristatus 442, 448. 

Pelargonium zonale 150. 

Pelmatohydra 285. 

Penelope jueucaca 447. 

Pentatomidae 442{f. 458. 461. 

Pentatomidarum 458. 

Perca fluviatilis 129. 131. 455. 

Perdix perdix 459. 

Peripatus Novae-Zeelandiae 323. 

Peronospera Rumiecis 478. 

Petauroides 312. 

Petaurus 312. 

Periplaneta orientalis 430. 434. 

Petrochelidon lunifrons 460. 

Pencedanum palustre 348. 

Pflanzendecke der Erde 287. 

Pflanzenkrankheiten, Handbuch 95. 288. 


Phalangium opilio 455. 

Phaseolus vulgaris 347. 

Phausis splendidula 138ff. 

Pholas dactylus 7. 

Phosphaenus hemipterus 138. 

Photogenase 8. 

Phycomyces nitens 35. 

Phycosoma Lanzarotae 111. 

Phylloscopus 270. 275. 

Phylloscopus sibilator 458. 

Physiologie der Flugmuskulatur der In- 
sekten 359. 

Physoklysten 125. 127. 129. 

Physostomen 127. 129, 

Phytocoris 458. 

Picea excelsa 341f. 

Pieris brassicae. 

Pilosella 159. 

Pinicola enucleator 92. 

Pinus austriaca 229. 

Pinus silwestris 229. 341f. 

Pisum sativum 223. 

Platyeyclops 488. 

Polychaeten 193. 

Polypterus 318. 

Ponerinae 436. 

Potamogeton 490. 

Potamogeton natans 412. 414. 

Primula acaulis 229. 

Primula denticulata 411. 

Primula offieinalis 229. 

Problem, drei Lösungsversuche 289. 

Progne subis 460. 

Protisten, Art u. lcune 49. 

Pseudochirus 312. 

Pseudococcus 496. 

Pseudococcus adonidum 42, 45. 

Pseudococeus eitri 42. 496. 

Pseudogamie 169. 

Ptyelus lineatus 39. 43. 45. 

Pyenonotus zanthopygus 455. 

Pyocyaneus 139. 

Pyrameis atalanta 384f. 

Pyronema confluens 10. 20. 

Pyrrhocoridae 448. 

Pyrrhocoris 450. 452 ff. 

Pyrrhocoris apterus 448. 451. 455.459. 464. 


Rana agilis 446. 

Rana arvalis 446. 451. 

Rana catesbiana 420. 424. 

Rana esculenta 99ff. 111. 305£. 

Rana fusca 151. 

Rana pipiens 420. 425. 

Rana temporaria 97. 99ff. 445. 

Rassen- und Artbildung 143. 

Rassenbildung bei Hemipterensymbionten 
38. 

Reaktionen der Organismen auf äußere 
Reize 218. 

Redwviidae 451. 

Regenerationen, fortgesetzte, Ersatz der 
ungeschlechtlichen Fortpflanzung 364 ff. 





Alphabetisches Sachregister. 


Regenwurm, antipyretische Wirkung 293. 

Regressionsgleichungen numerischer Merk- 
male 253. 

Regulus 456. 

Regulus regulus 458. 

Rehneltianus 150. 

Rhabditis aberrans 169. 

Rhaphigaster nebulosa 458. 

Rhinopomastus cyanomelas 462. 

Rhipidura tricolor 455. 

Rhopalotomus ater 458. 

Rhyparia purpurata 495. 

Rubus idaeus 352. 

Rumex 467f. 472. 

Rumex Acetosa 466ff. 471. 473. A7Sf. 

Rumex Acetosa hortensis 469. 

Rumex Acetosa pratensis 468. 

Rumex Acetosella 469. 

Rumex alpinus 467. 

Rumex arifolius A66f. 

Rumex erispus 467. 

Rumex thyrsiflorus 466. 

Rutieilla phoenicurus 458. 


Sacculina 419. 

Saintpaulia ionantha 150. 

Salamandra maculosa 305. 

Salamis 384. 

Salmo Fario 454. 

Salvia verticillata 290. 

Saponaria officeinalis 10. 20. 

Saprolegnia mixta 10. 

Sauerampfer 465 ff. 

Sayornis nigricans 459. 

Sayornis phoebe 459. 

Schließzellen von Luft- und Wasserspalten 
405 ff. 

Schmetterlingsschuppen, Morphologie und 
Optik 382 ff. 

Schutzeinrichtung bei Arotia caia 4951. 

Schwammspinner 301 ff. 

Schwimmblase 125ff. 

Schwimmblasenapparat bei Cobitis 118. 

Sciocoris sp. 458. 

Sciocoris ceursitans 458. 

Scorpaena 73. 

Seutelleridae 442. 

Sedum Selskianum 413. 

Sedum spectabile 146. 413. 

Semipermeabilität von Zellwänden 172. 

Sempervivum montanum 148. 

Sempervivum tectorum 413. 

Silene nutans 19. 

Silurus glanis 129. 132. 

Sitta europea 289f. 458. 

Skelettsubstanzen, Beziehungen zwischen 
pflanzlichen und tierischen 388ft. 

Sonchus oleraceus 159. 

Soziologische Beobachtungen an Hypono- 
menta cognatellus Hb. 241. 

Sphaerocarpus terrestris 112. 

Spermatozyten, Reifeteilungen 301 ff. 

Sporodinia grandis 10. 17. 20. 


505 


Statice tatarica 413. 

Statistik und Vogelzug 401 ff. 

Stellaria nemorum 339. 342. 347. 353. 

Stenobothrus 442. 444. 450. 452, 

Stenostomum 369. 

Stenostomum leucops 37Off. 381. 

Stenostomum unicolor 37Off. 381. 

Stentor coeruleus 367. 376. 380. 

Stimulierung der Zellfunktionen 395 ff. 

Strahlenpilze, Morphologie und Biologie 
144, 

Studien, histologische 125. 

Sturnus vulgaris 443ff. 449. 

Stylonychia pustulata 58f. 61. 

Süßwasserfische, Schwimmblase 125. 

Sylvia atricapilla 442. 444. 447f. 451. 

Sylvia curruca 458. 

Sylvia nisoria 444. 447f. 

Sylvia sylvia 458. 

Syringa 412. 417. 

Syringa vulgaris 395. 411. 

Syromastes marginatus 446. 451. 455. 458. 

Sysympaedium 245. 


Tachine 300. 

Tachyeineta thalassina 460. 

Tachyphonus melaleucus 455. 

Tachysphex nitidus 455. 

Taraxacum officinale 159ff. 

Taschenbuch der Botanik 144. 

Tetramorium 437. 

Tettigonia viridis 43ff. 

Thaumetopoea 243. 

Theobaldia annulata 188. 

Theobaldia spathipalpis, Rondani 191f. 

Therapha hyoscyami 456. 

Thoaterium 312. 

Tier und Pflanze in intrazellularer Sym- 
biose 93. 

Tierwelt Schlesiens 327. 

Tinca tinca 129. 133. 

Tingitidae 458. 

Tingitidarum 458. 3 

Tipula 359. / 

Tomaspis rubra 39. 45. 

Topographie der Leuchtorgane von Phausis 
splendidula Leconte 138. 

Torreya taxifolia 167. 

Tradescantia virginica 410. 

Tradescantia zebrina 407. 410. 

Transpiration der Pflanzen. 287. 

Triton 319. 

Triton alpestris 320. 

Iriton eristatus 305. 

Troglodytes 270. 275. 

Troglodytes troglodytes 458. 

Tropaeolum 415. 418. 

Tropaeolum majus 415f. 417. 

Tropieoris (Pentatoma) rufipes 445. 451. 
455. 458. 

Trutta iridea W. Gibb. 129. 

Tulipa Gesneriana 414. 

Turbellarien 369 ff. 


506 


Turdus iliacus 444. 447. 452. 

Turdus merula 449. 458. 

Turdus musieus 458. 

Turdus pilaris 458. 

Turdus sp. 446ff. 

Turdus viseivorus 458. 

Tyrosin, allgemein-biologische Bedeutung 
293. ! 


Überkreuzung der Schnabelspitzen der 

.. Gattung Loxia 87. 

Überreife, Einwirkung auf Eier von Rana 
temporaria 97. 99. 

Urania ÜOroesus 386. 

Uroleptus mobilis 60. 

Ustilago maydis 20. 

Ustilago violacea If. 18. 20. 36. 

Vampyrella spyrogyra 490. 

Veltheimia viridiflora 410. 

Vererbung im Y-Chromosom 481 ff. 

Vervollkommnung in der lebenden Natur 
48. 

Vespa germanica 392. 

Vespa vulgaris 450. 

Vinca 417. 

Vinca minor 411. 

Viola palustris 348. 352. 355. 

Vitis 467. 


+ Zahlenverhältnis 


Alphabetisches Sachregister. 


Vogelzug, Statistik 401 ff. 
Volvax 222. 


Wanzen, sind sie durch Ekelgeruch ge- 
schützt? 441 ff. 

Weinbergsche Geschwister-Methode 65 f. 
68 ff. 

Weinbergsche Probanden-Methode 65 f. 

Wuchsenzyme 146. 

Wundendosperm 154. 161. 

Wundheilung 145. 

Wundhormone 147ff. 153. 170. 


Xanthium glabratum 173. 
Xanthoxylum Bungei 158. 


Y-Chromosom, Vererbung 481ff. 


der Geschlechter ‘beim 
Sauerampfer 465 ff. 

Zamia 167 f£. 

Zebrina 406f. 409ff. 417. 

Zebrina pendula 407. 413. 417. 

Zellfunktionen, Stimulierung 395 ff. 

Zellteilungshormone 145f. 

Zierona ecoerulea 458. 

Zoomikrötechnik 47. 














Biologisches Zeniralblail 


Begründet von J. Rosenthal 
Herausgabe und Redaktion: 


Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. O. Wen 


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Verlag von Georg Thieme in Leipzig 


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‘ der letztjährigen Ausgabe sich nicht bewährt hat. Durch Verwendung von Dünn- 
druckpapier ist der Umfang vermindert, so daß das Taschenbuch ohne” Kürzung des 
Textes handlicher gestaltet wurde. Öse mit Bleistift ist angebracht. 

Alle Aufsätze wurden sorgfältig durchgesehen und auf den neuesten Stand ge- 
bracht. In den Daten und Tabellen für den Praktiker sind die Angaben über Er- 

nährung, gemäß ihrer durch die Zeitverhältnisse erhöhten Bedeutung, durch Professor 
Ad. Löwy, Berlin, neubearbeitet. 

Die Bearbeitung der Übersicht über die wichtigsten Bade- und Kurorte hat 
Professor Winckler, Bad Nenndorf, übernommen, die Zusammenfassung der Heil- und 
Kuranstalten Sanitätsrat Woelm, Peterswaldau. Auch die Übersicht der Blinden- 
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54 Abbildungen und 2 Tafeln. 8. Auflage. Geb. M. 21.—. 


Das Kompendium enthält in nuce alles Wissenswerte aftıs dieser täglich mehr in 
den Vordergrund tretenden Disziplin und steht auf ganz modernem wissenschaftlichen 
Standpunkt... Deutsche med. Wochenschrift. 





. Eine klinische und ernährungs- 

Das Hungerödem. physiologische Studie. Von Dr. 

C. Maase und Priv.-Doz. Dr. H. Zondek, Assistenten der I. med. 
Klinik zu Berlin. Mit 17 Abbildungen. Geh. M. 18.—. 


Eine ausführliche und allen Seiten der Frage gerecht werdende Abhandlung über 
jene eigentümliche Stoffwechselanomalie, die, wie in anderen Industriezentren. ferner in 
Gefangenenlägern usw., so auch in Berlin im Winter 16/17 auftrat, und wie die Er- 
fahrungen lehrten, ausschließlich auf der Unterernährung basierte und durch körperliche 
Ruhe und forzierte Ernährung zur Heilung gebracht werden konnte. Uber die für 
Stoffwechselpathologen höchst bedeutsamen Details lese man das Original. 

Zeitschrift f. physik. u. diätet. Therapie. 





y 9 zum Laboratoriumsgebrauch. 

Von Dr. W. Glikin. Mit 44 Abbildungen. M. 36.—, geb. M. 45.—. 
... Als Hilfsbuch bei chemisch-physiologischen Arbeiten wird sich das G.sche 
Werk als kaum entbehrlich erweisen, zumal es auch dem weniger Geübten durch die, 


übersichtliche, präzise Darstellungsweise zu Hilfe kommt. 
‚Zentralblatt f. innere Medizin. 





1 1 Roth’s Klinische. Zusammenstellung der 
Terminologie, in der Medizin gebräuchlichen technischen 
Ausdrücke mit. Erklärung ihrer Bedeutung und Ableitung. Von 
E. Oberndörfier }-: 9. neubearbeitete Auflage von Dr. Franz 
Dörbeck. Geb. M. 60.—. TE 


... . Insbesondere ist auf die große Vollständigkeit hinzuweisen, mit der die in 
der gesamten Medizin gebräuchlichen technischen Ausdrücke mit Erklärung ihrer Be- 
deutung und Anleitung wiedergegeben sind. Was die vorliegenden Auflagen von den 
früheren vorteilhaft unterscheidet, ist die starke Ergänzung des pharmakologischen 
Wortschatzes, und in der Tat finden wir kaum ein — selbst neueres — Arzneimittel 
nebst seiner Zusammensetzung und Anwendung unerwähnt. Aber. auch die in die 
übrigen Disziplinen fallenden Stichwörter sind zeitgemäß ergänzt. 

Jeder Kollege wird gern in dem Buche blättern und jeder wird etwas Neues 
daraus lernen. Schmidts Jahrbücher d. ges. Medizin. 








Vorstehende Preise sind innerhalb Deutschlands zuschlagsfrei. 


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Neuerschienene Bücher 


die der Zeitschrift zugegangen sind. 


(Eine Besprechung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) 


Bitting, M. S. K. G., The Effect -of Certain Agents on the Development of Some 
Moulds. With 62 Plates. 


Collier, Dr. W. A., Einführung in die Variationsstatistik. Mit besonderer Berück- 
sichtigung der Biologie. Mit 8 Abbildungen. 72 S. Berlin 21. Verlag von 
Julius Springer. 


Fodor, Prof. Dr. A., Das Fermentproblam. Mit 24 Textfiguren und zahlreichen 
Tabellen. Dresden u. Leipzig 1922. IX. 2808. Verlag von Theodor Steinkopff. 


Handbuch der Pflanzenkrankheiten. Begründet von Paul Sorauer. Vierte 

vollständig neu bearbeitete Auflage, herausgegeben von Prof. Dr. P. Graebner, 

‘ Berlin, Prof, Dr. G. Lindau, Berlin und Prof. Dr. Reh in Hamburg. 2. Bd.: 

Die pflanzlichen Parasiten. Erster Teil. Mit 56 Textabbildungen. VII. 382 8. 
Berlin 1921. Verlag von Paul Parey. ' 


Handbuch der Biologischen Arbeitsmethoden. Unter Mitarbeit von 400 be- 

deutenden Fachmännern herausgegeben von Geh. Med. Rat Prof. Dr. Emil 

‘ Abderhalden in Halle a. S. Berlin und Wien 1921. Verlag von Urban & 
Schwarzenberg. 


Janet, Charles, Considerations sur l’Etre vivant. Deuxiöme Partie L’individu, la 
Sexualite, la Parthenogenese et la Mort, au point de vue orthobiontique Beauvais 
1921. Imprimerie Dumontier & Hague. 


Korschelt, Dr. E., Lebensdauer, Altern und Tod. Mit 107 Abbildungen im Text. 
2. umgearbeitete und stark vermehrte Aufl. VIII. 307 S. Jena 1922. Verlag 
von G. Fischer. 


Krause, Prof. Dr. R., Mikroskopische Anatomie der Wirbeltiere in Einzeldarstellungen. 
I. Säugetiere. Mit 25 Originalabbildungen im Text. VI. 186 S. Berlin und 
Leipzig 1921- Vereinigung wissenschaftlicher Verleger. 


Morstatt, Dr. H., Bibliographie der Pflanzenschutzliteratur. Das Jahr 1920. 718. 
Berlin 1921. Verlag von Paul Parey. 


Pfeffer, Dr. W., Osmotische Untersuchungen. Studien zur Zellmechanik. 2. unver- 
änderte Auflage. Mit 5 Holzschnitten. XIV. 236 S. Leipzig 1921. Verlag 
von Wilhelm Engelmann. 


Reinke, Prof. Dr. J., Biologische Gesetze in ihren Beziehungen zur allgemeinen 
Gesetzlichkeit der Natur. Vortrag. Leipzig 1921. 30 S. Verlag von Joh. 
Ambr. Barth. 


Tschulok, Prof. Dr. S.,. Deszendenzlehre (Entwiekelungslehre). Ein Lehrbuch auf 


historisch-kritischer Grundlage. Mit 63 Abbildungen im Text und 1 Tabelle. 
XII. 324 S. Jena 1922. Verlag von Gustav Fischer. 


Vexküll, Dr. J. von, Umwelt und Innenwelt der Tiere. 2. vermehrte und verbesserte 
Auflage. Mit 16 Textabbildungen. 224 S. Berlin 1921. Verlag von Julius * 
Springer. 

Ziegler, Prof. Dr. E. Tierpsychologie. Mit 17 Figuren. Berlin und Leipzig 1921. 
115 S. Vereinigung wissenschaftlicher Verleger. 


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Verlag von Georg Thieme in Leipzig 














Vorlesungen über Wirkung und Anwendung der 


Deutschen Arzneipilanzen 


Für Ärzte und Studierende 
Von | 
Prof. Dr. Hugo Schulz 
Geh. Med.-Rat in Greifswald 
Unveränderter Manuldruck 
M. 39.—, geb. M. 48.— 


Ärzten und Studierenden wird hier Gelegenheit gegeben, sich in aller Kürze über 
den wirklichen Nutzen der V.olksmittel, die im Bereiche ihrer Tätigkeit von ihren 
Patienten benutzt werden, zu interneien: 

Das Buch ist gerade zur rechten Zeit erschienen und verdient weite Verbreitung: 
gerade der Praktiker namentlich auf dem Lande wird viel Nutzen daraus ziehen. 

Münchener med. Wochenschrirtt. 


Vorlesungen über Wirkung und Anwendung der 


Unorganischen Arzneistofie 


Für Ärzte und Studierende 


Von 


Prof. Dr. Hugo Schulz 


Geh. Med.-Rat in Greifswald 
Unveränderter Manuldruck mit einer Ergänzung: „23. Vorlesung" 


-M. 48.—, geb. M. 60.— 


Nicht nur Studierende, sondern gerade auch Ärzte können viel aus diesem Buche 
lernen, das auf das angelegentlichste empfohlen zu werden verdient. 
Fortschritte der Medizin. 


Der Mensch alsKraftmaschine 


Von 
Prof. Dr. Carl Oppenheimer 
M. 18.— 


Wer sich über die verborgenen Triebfedern des gemeinsamen Ineinandergreifens 
aller Räder unseres Organismus näher unterrichten will, wird in dem vorliegenden 
Werke ein fesselndes Hilfsmittel zu diesem Studium finden. 

(Berichte der Pharmazeutischen Gesellschaft.) 











Vorstehende Preise sind innerhalb Deutschlands zuschlagsfrei. 











Gedruckt bei Junge & Sohn in Erlangen 


& 








Begründet von J. Rosenthal 
Herausgabe und Redaktion: 


Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. O. Warburg 


in Berlin 
Veılag von Georg Thieme in Leipzig x 
Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 28 








42. Band März 1922 Nr. 3 
ausgegeben am 1. März 1922 








Der jährl. Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt innerhalb Deutschlands 50 Mk. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Pöstanstalten. 





Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 


Biologisches Zentralblatt 


| 
| 











Medizinische Psychologie 
‘ Ein Leitfaden für Studium und Praxis 


Von 


Priv.-Doz. Dr. Ernst Kretschmer, Tübingen 


> 


. 
. EITETTE EEE 
‚ 


Mit 22 Abbildungen. M. 39.—, Geb. M. 48.—. 








Theoretische und klinische 


Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte 


Von 


Prof. Dr. Franz Müller, Berlin 
M. 34.—, geb. M. 42.—. 


e 











- Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 











Entwicklungsgeschichte, "free. ac 168 
g g + H. Triepel. Mit 168 
Abbildungen. Geb. M. 30.—. 
„Kurz und bündig“ gibt der Verfasser auf nicht ganz 14 Bogen eine erschöpfende 
. Einführung in das gewaltige Forschungsgebiet der tierischen und menschlichen Ent- 
wicklungsgeschichte und gibt sie in so übersichtlicher Darstellung, daß man kein 
Kapitel ohne Belehrung durcharbeiten wird. Berl. klin. Wochenschrift. 





Entwicklungsgeschichte des Menschen, Kompendium. 
Mit Berücksichtigung der Wirbeltiere. Prof. Dr. L. Michaelis. Mit 
54 Abbildungen und 2 Tafeln. 8. Auflage. ‚Geb. M. 21.— | 


Das Kompendium enthält in nuce alles Wissenswerte aus dieser täglich mehr in 
den Vordergrund tretenden Disziplin und steht auf ganz modernem wissenschaftlichen » 
Standpunkt... Deutsche med. Wochenschrift. 





\ = Eine klinische und ernährungs- 

Das Hungerödem. physiologische Studie. Von: Dr. 
C. Maase und Priv.-Doz. Dr. H. Zondek, Assistenten der I. med. 
Klinik zu Berlin. Mit 17 Abbildungen. Geh. M. 21.—. 


Eine ausführliche und allen Seiten der Frage gerecht werdende Abhandlung über 
jene eigentümliche Stoffwechselanomalie, die, wie in anderen Industriezentren, ferner in 
Gefangenenlägern usw., so auch in Berlin im Winter 16/17 auftrat, und wie die Er- 
fahrungen lehrten, ausschließlich auf der Unterernährung basierte und durch körperliche 
Ruhe und forzierte Ernährung zur Heilung gebracht werden konnte. Über die für 
Stoffwechselpathologen höchst bedeutsamen Details lese man das Original. 

Zeitschrift f. physik. u. diätet. Therapie. 





Methodik. Ein Handbuch 
| Stoffwechse lanalyse 9 zumLaboratoriumsgebrauch. 
Von Dr. W. Glikin. Mit 44 Abbildungen. M. 36.—, geb. M. 45.—. 


. Als Hilfsbuch bei chemisch-physiologischen Arbeiten wird sich das G.sche 
Werk als kaum entbehrlich erweisen, zumal es auch dem weniger Geübten durch die 
übersichtliche, präzise Darstellungsweise zu Hilfe kommt. 
Zentralblatt f. innere Medizin. 


> > Rottrs Klinische. Zusammenstellung der 
Terminologie, in der Medizin gebräuchlichen iellng de 
Ausdrücke mit Erklärung ihrer Bedeutung und Ableitung. Von 
E. Oberndöriier 7. 9. neubearbeitete Auflage von Dr. Franz 
Dörbeck. Geb. M. 72.—. 


. Insbesondere ist auf die große Vollständiekeit hinzuweisen, mit der die in 
der gesamten Medizin gebräuchlichen technischen Ausdrücke mit Erklärung ihrer Be- 
deutung und Anleitung wiedergegeben sind. Was die vorliegenden Auflagen von den ' 
früheren vorteilhaft unterscheidet, ist die starke Ergänzung des pharmakologischen 
Wortschatzes, und in der Tat finden wir kaum ein — selbst neueres — Arzneimittel 
nebst seiner Zusammensetzung und Anwendung unerwähnt. Aber auch die is die 
übrigen Disziplinen fallenden Stichwörter sind zeitgemäß ergänzt. 

Jeder Kollege wird gern in dem ‚Buche blättern und jeder wird etwas Nenea 
daraus lernen. ? y Schmidts Jahrbücher d. ges. Medizin. 








Vorstehende Preise sind innerhalb Deutschlands zuschlagsfrei. 


Verlag von Georg Thieme in Leipzig 








Monographien 


über die 


Zeugung beim Menschen 


Von Dr. med. Hermann Rohleder 


Spezialarzt für Sexualleiden in Leipzig. 


Band |: 
Normale, pathologische und künstliche Zeugung beim Menschen. 
2. vermehrte und verbesserte Auflage. 
; M. 33.—, geb. M. 42.,—. 
Band Il: 
Die Zeugung unter Blutsverwandten. 
M. 16.50, geb. M. 21,—. 
Band Ill: 
Die Funktionsstörungen der Zeugung beim Manne 
(Samenflüsse, Impotenz, Sterilität). 
M. 24.—, geb. M. 30.—. 
Band IV: 
Die libidinösen Funktionsstörungen der Zeugung beim Weibe. 
M. 11.50, geb. M. 18.—. 


Band V: 
Die Zeugung bei Hermaphroditen, Kryptorchen, Mikrorchen und 
- Kastraten. 
M. 24.—, geb. .M. 33.—. 
Band VI: 


Künstliche Zeugung und Anthropogenie (Menschwerdung). 
M. 30.—, geb. M. 39.—, 


Band VII (Ergänzungsband): 
Die künstliche Zeugung (Befruchtung) im Tierreich. 
M. en geb. M. 33.—. 


Münchener med. Wochenschrift: Das ganze Buch ist eine hochinteressante und 
spannende wissenschaftliche Lektüre. 

Klinisch-therapeutische Wochenschrift: Rohleder hat mit dem vorliegenden 
Werke geradezu erschöpfend ein Gebiet behandelt, das für die Arzte ebenso wichtig ist, 
wie es ihnen unbekannt zu sein pflegt. 

Folia urologica: Jeder, der sich für diese Fragen interessiert, und das sollten 
selbstverständlich in erster Linie alle Arzte sein, sollte dieses neue Werk Rohleders 
„Die Zeugung unter Blutsverwandten“ genau durchstudieren. 

Deutsche Mediz. Wochenschrift: Eine Fundgrube anregenden, durch eigene 
Forschung befruchteten und durch Kritik gewürzten Inhalts, aus welcher der Arzt viel 
Belehrung zu schöpfen vermag. 

Correspondenzblatt der sächs. ärztlichen Bezirksvereine: Das interessante, ge- 
dankenreiche Buch beruht auf gründlicher Forschung und ist durchaus wissenschaftlich 
gehalten. 


Vorstehende Preise sind innerhalb Deutschlands zuschlagsfrei. 


’ 


Verlag von Georg Thieme in Leipzig 








Vorlesungen über Wirkung und Anwendung der 


Deutschen Arzneipflanzen 


Für Ärzte und SER eng 
Von 


Prof. Dr. Hugo Schulz 


- Geh. Med.-Rat in Greifswald 





Unveränderter Manuldruck 


M. 42.—, geb. M. 54. - 


Ärzten und Studierenden wird hier Gelegenheit gegeben, sich in aller Kürze über 
den wirklichen‘ Nutzen der Volksmittel, die im Bereiche ihrer Tätigkeit von ihren 
Patienten benutzt werden, zu unterrichten. 

Das Buch ist gerade zur rechten Zeit erschienen und verdient weite Verbreitung; 
gerade der Praktiker namentlich auf dem Lande wird viel Nutzen daraus ziehen. 

Münchener med. Wochenschrift. 


Vorlesungen über Wirkung und Anwendung der 


Unorganischen Arzneistofie_ 


Für Ärzte und Studierende 


Von 


Prof. Dr. Hugo Schulz | = 


Geh. Med.-Rat in Greifswald 





Unveränderter Manuldruck mit einer Ergänzung: „23. Vorlesung‘ : 
M. 51.—, geb. M. 69.— B5 


Nicht nur Studierende, sondern gerade auch Ärzte können viel aus diesem Buche 
lernen, das auf das angelegentlichste empfohlen zu werden verdient. 
Fortschritte der Medizin. 


Der Mensch als Krafimaschine 


Von 
Prof. Dr. Carl Oppenheimer 
Ma 


Wer sich über die verborgenen Triebfedern des gemeinsamen Ineinandergreifens 
aller Räder unseres Organismus näher unterrichten will, wird in dem vorliegenden 
Werke ein fesselndes Hilfsmittel zu diesem Studium finden. 

(Berichte der Pharmazeutischen Gesellschaft.) 





Vorstehende Preise sind innerhalb Deutschlands zuschlagsfrei. = 











Gedruckt bei Junge & Sohn in ‚Erlangen 
” : 





Biologisches Tentralblatt. 


Begründet von J. Rosenthal 





Herausgabe und Redaktion: 
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. ©. Warburg 


in Berlin 
ne von Georg Thieme in, Leipzig 
Anzeigen- er Hans Pusch, Berlin SW. er Wilhelmstr. 28 





42. Band April 1922 Nr. 4 
ausgegeben am 1. April1922 











Der jährl. Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt innerhalb Deutschlands 50 Mk. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 








Verlag von Georg Thiemei in 1 Leipzig, 











4 
Der Mensch alsKraftmaschine 
Von 
Prof. Dr. Carl Oppenhei 


M:#21. 





Wer sich über die verborgenen Triebfedern des gemeinsamer nein nähderg ns 
aller Räder unseres Organismus näher unterrichten will, wird in dem egenden 
Werke ein fesselndes Hilfsmittel zu diesem Studium finden. 

(Berichte der Pharmazeutischen Gesellschaft.) 


Vorstehende Preise sind innerhalb Deutschlands zuschlagsfrei. 














CC 


Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 


Deutsche 
Medizinische Wochenschrift 


Herausgeber: Geh. San.-Rat Prof, Dr, Julius Schwalbe 


Literaturberichte: Prof. Dr. R. von den Velden 
 Vereinsberichte: Ober-Stabsarzt Dr. O. Strauß 


Vierteljährlich 30 Mark 


Auslandspreis ist beim Verlag zu erfragen. 











Die „Deutsche Medizinische Wochenschrift“ ist das vielseitigste und lehrreichste 
medizinische Fachblatt deutscher Sprache. Außer sorgfältig ausgewählten Aufsätzen 
hervorragender Kliniker, Krankenhausärzte und praktischer Ärzte sollen die mit großem 
Beifall aufgenommenen 


spezialärztlichen Ratschläge für den Praktikor 


aus der Feder allgemein anerkannter Fachgelehrter fortgesetzt werden. Es folgen zunächst 
die „Speziellen chirurgischen Ratschläge“ von Geheimrat Prof. Ledderhose (München), 
die „Psychiatrischen Ratschläge“ von Geheimrat Prof. Henneberg (Berlin). Die 
besonders wichtigen Aufsätze aus dem Gebiet der Inneren Medizin werden bearbeitet von: 





Geheimrat Minkowski (Breslau) Stoffwechselkrankheiten — Geheimrat Goldscheider 
(Berlin) Lungenkrankheiten — Geheimrat-Fleiner (Heidelberg) Magenkrankheiten — 
Geheimrat L. Kuttner (Berlin) Darmkrankheiten — Professor Umber (Berlin) 
Nierenkrankheiten — Geheimrat Rosin (Berlin) Blutkrankheiten — Geheimrat Hoche 
(Freiburg) Nervenkrankheiten. 

Als Ergänzung hierzu erscheinen Aufsatzreihen über 


spezialärztliche diagnostische una therapeutische Technik, 





Der Praktiker gewinnt damit allmählich ein für seine Bedürfnisse sehr geeignetes 


Kompendium der gesamten spezialärztlichen Ausbildung. 





Beiträge aus der Feder berufener Fachmänner werden regelmäßig veröffentlicht über den 
jetzigen .Stand bedeutungsvoller wissenschaftlicher Probleme. 





Als zuverlässiger Wegweiser dureh die therapeutische Literatur dient eine 
kritisch-therapeutische Rundschau. 
Vom April ab erscheint als neue Beilage eine 
Sozialhygienische Rundschau 


redigiert von Professor Rott, Direktor im Kaiserin Auguste. Vıktoria-Haus, Reichs- 
anstalt zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im deutschen Reich. 


Auch der sonstige reichhaltige Inhalt wird weiterhin eine sorgfältige Pflege er 
fahren. Es seien hiervon hervorgehoben: 

Umfangreichste Literaturübersicht — Referate über bedeutendere Aufsitze aus der 
Literatur des gesamten Auslands — Standesangelegenheiten (ständiger Mitarbeiter: Geh. 
Sanitätsrat S. Alexander, Berlin) — Rechtsfragen aus der, ärztlichen Praxis (ständiger 
Mitarbeiter: Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer, Leipzig) — Öffentliches Gesundheitswesen 
— Soziale Medizin und Hygiene — Medizinalgesetzgebung — Technische Erfindungen 
— Berichte über Vereinsverhandlungen und Kongresse — Kleine Mitteilungen — Hoch- 
schulnachrichten — Auswärtige Briefe — Feuilletonartikel — Aufsätze aus der Ge- 
schichte der Medizin, Philosophie usw. 


Probenummer unberechnet und portofrei. 








: Diesem Heft liegt ein Prospekt der Verlagsbuchhandlung R. Oldenbourg, München, 
betr. en DR UE der Paläontologie“ bei. 








Junge & Sohn, Univ.-Buchdruckerei, Erlangen 


—i 





3 











Biologisches Zentralblatt. 


Begründet von J. Rosenthal 


Herausgabe und Redaktion: 
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. O. Warburg 


in Berlin 
Verlag von Georg Thieme in Leipzig 
Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 28 





42. Band 02 Nr. 5 


ausgegeben am 1. Mai 1922 

















Der jähr!. Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt innerhalb Deutschlands 50 Mk. 
. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 
Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 


























Medizinische Psychologie 


Ein Leitfaden für Studium und Praxis 
Von 


Priv.-Doz. Dr. Ernst Kretschmer, Tübingen 
Mit 22 Abbildungen. M. 39.—, geb. M. 57.—. 





- Theoretische und klinische 


Pharmakologie 


Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte 
Von 


Prof. Dr. Franz Müller, Berlin 
M. 36.—, geb. M. 48.—. 


| Vorstehende Preise sind innerhalb Deutschlands zuschlagstfrei. 






















Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 











Entwicklungsgeschichte des Menschen, Kompendium. 
Mit Berücksichtigung der Wirbeltiere. Prof. Dr. L. Michaelis. Mit: 23 
54 Abbildungen und 2 Tafeln. 8. Auflage. Geb. M. 30.—. 


Das Kompendium enthält in nuce alles Wissenswerte aus dieser täglich mehr in 
den N ne tretenden Disziplin und steht auf ganz modernem wissenschaftlichen 
Standpunkt . Deutsche med. Wochenschrift. 


n oz Eine kureche und ernährung- 
Das oaaeoden. physiologische Studie. Von Dr. 

C. Maase uud Priv.-Doz. Dr. H. Zondek, Assistenten der I. med. 
Klinik zu Berlin. Mit 17 Abbildungen. Geh. M. 24.—. 


Eine ausführliche und allen Seiten der Frage gerecht werdende Abhandlung über 

jene eigentümliche Stoffwechselanomalie, die, wie in anderen Industriezentren, ferner in 5. 
Gefangenenlägern usw., so auch in Berlin im Winter 16/17 auftrat, und wie die Er- 
fahrungen lehrten, ausschließlich auf der Unterernährung basierte und durch körperliche 
Ruhe und forzierte Ernährung zur Heilung gebracht werden konnte. Über die für 
Stoffwechselpathologen höchst bedeutsamen Details lese man das Original. 2 
. Zeitschrift f. physik. u. diätet. Therapie. 


Der Mensch als Kraftmaschine, 2. 
er MENSCH Ais KFAImMAaschine, pror. 
Dr. Carl Oppenheimer. M. Z1.—. 

Wer sich über die verborgenen Triebfedern des gemeinsamen Ineinandergreifens 
aller Räder unseres Organismus näher unterrichten will, wird in dem vorliegenden 
Werke ein fesselndes Hilfsmittel zu diesem Studium finden. 

(Berichte der Pharmazeutischen Geseitschaft.) 


zum Laboratori 1UMISg era 
Von Dr. W. Glikin. Mit 44 en M. 60.—, geb. M. 72.—. 
.... Als Hilfsbuch bei chemisch-physiologischen Arbeiten wird sich das G.sche 
Werk als kaum entbehrlich erweisen, zumal es auch. dem-weniger Geübten durch die 
übersichtliche, präzise Darstellungsweise zu Hilfe kommt. 
Zentralblatt f. innere Medizin. 


Roth’s Klinische. Zusammenstellung der 
Terminologie, in der Medizin gebräuchlichen technischen 
Ausdrücke mit, Erklärung ihrer Bedeutung und Ableitung. Von 


E. Oberndöriier 7. 9. neubearbeitete Auflage von Dr. Franz 
Dörbeck. Geb. M. 96.—., 


. Insbesondere ist auf die große Vollständigkeit hinzuweisen, mit der die in 
der gesamten Medizin gebräuchlichen technischen Ausdrücke mit Erklärung ihrer Be- S 
deutung und Anleitung " wiedergegeben sind. Was die vorliegenden Auflagen von den 
früheren vorteilhaft unterscheidet, ist die starke Ergänzung des pharmakologischen 
Wortschatzes, und in der Tat finden wir kaum ein — selbst neueres — Arzneimittel 
nebst seiner Zusammensetzung und Anwendung unerwähnt. Aber auch die in die 
übrigen Disziplinen fallenden Stichwörter sind zeitgemäß ergänzt. 
Jeder Kollege wird Be in dem Buche blättern und. jeder wird etwas Neues 
daraus lernen. Schmidts Jahrbücher d. ges. Medizin. 


























Vorstehende Preise sind innerhalb Deutschlands zuschlagsfrei. 








Junge & Sohn, Univ.-Buchdi "uckerei, "Erlangen 








Biologisches Zentralblatt 


Begründet von J. Rosenthal 
Herausgabe und Redaktion: 
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. ©. Warburg 


in Berlin 
Verlag von Georg Thieme in Leipzig 
Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 28 








42. Band Juni 1922 Nr. 6 
ausgegeben am 1. Juni 1922 











Der jährl. Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt innerhalb Deutschlands 50 Mk. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 





Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 











Medizinische Psychologie 


Ein Leitfaden für Studium und Praxis 
Von 


Priv.-Doz. Dr. Ernst Kretschmer, Tübingen 
Mit 22 Abbildungen: M. 39.—, geb. M. 60.—. 





Theorie und klinische 


Pharmakologie 


Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte 


Von 


Prof. Dr. Franz Müller, Berlin 
M. 39.—, geb. M. 54.—. 





Vorstehende Preise sind innerhalb Deutschlands zuschlagsfrei. 








Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 











Entwicklungsgeschichte des Menschen, Kompendium. 


Mit Berücksichtigung der Wirbeltiere. Prof. Dr. L. Michaelis. Mit 
54 Abbildungen und 2 Tafeln. 8. Auflage. Geb. M. 33.—. 
Das Kompendium enthält in nuce alles Wissenswerte aus dieser täglich mehr in 


den Vordergrund tretenden Disziplin und steht auf ganz modernem wissenschaftlichen 
Standpunkt... Deutsche med. Wochenschrift. 


- Eine klinische und ernrährungs- 

Das Hungerödem. physiologische Studie. Von Dr. 

C. Maase und Priv.-Doz. Dr. H. Zondek, Assistenten der I. med. 
Klinik zu Berlin. Mit 17 Abbildungen. Geh. M. 30.—. 


Eine ausführliche und allen Seiten der Frage gerecht werdende Abhandlung über 
jene eigentümliche Stoffwechselanomalie, die, wie in anderen Industriezentren, ferner in 
Gefangenenlägern usw., so auch in Berlin im Winter 16/17 auftrat, und wie die Er- 
fahrungen lehrten, ausschließlich auf der Unterernährung basierte und durch körperliche 
Ruhe und Sorzierte Ernährung zur Heilung gebracht werden konnte. Über die für 
Stoffwechselpathologen höchst bedsutsamen Details lese man das Original. 

Zeitschrift f. physik. u. diätet. Therapie. 











Von 


Der Mensch als Kraftmaschine, 


Dr. Carl Oppenheimer. M. 24.—. 


Wer sich über die verborgenen Triebfedern des gemeinsamen Ineinandergreifens 
aller Räder unseres Organismus näher unterrichten will, wird in dem vorliegenden 
Werke ein fesselndes Hilfsmittel zu diesem Studium finden. 

(Berichte der Pharmazeutischen Gesellschaft.) 





Methodik. Ein Handbuch 


Stoffwe chselan a | yS£6, zum Laboratoriumsgebrauch. 


Von Dr. W. Glikin. Mit 44 Abbildungen. M. 72.—, geb. M. 90.—, 


... Als Hilfsbuch bei chemisch-physiologischen Arbeiten wird sich das G.sche 
Werk als kaum entbehrlich erweisen, zumal es auch dem weniger Geübten durch die 
übersichtliche, präzise Darstellungsweise zu Hilfe kommt. 

Zentralblatt f. innere Medizin. 


m. - 





h 1 Roth’s Klinische. Zusammenstellung der 
Terminologie, in der Medizin gebräuchlichen technischen - 


Ausdrücke mit Erklärung. ihrer Bedeutung und Ableitung. Von 
E. Oberndörffer 7. 9. neubearbeitete Auflage von Dr. Franz 
Dörbeck. Geb. M. 105.—. 


..... Insbesondere ist auf die große Vollständigkeit hinzuweisen, mit der die in 
der gesamten Medizin gebräuchlichen technischen Ausdrücke mit Erklärung ihrer Be- 
deutung und Anleitung wiedergegeben sind. Was die vorliegenden Auflagen von den 
früheren vorteilhaft unterscheidet, ist die starke Ergänzung des pharmakologischen 
Wortschatzes, und in der Tat finden wir kaum ein — selbst neueres — Arzneimittel 
nebst seiner Zusammensetzung und Anwendung unerwähnt. Aber auch die in die 
übrigen Disziplinen fallenden Stichwörter sind zeitgemäß ergänzt. 

Jeder Kollege wird gern in dem Buche blättern und jeder wird etwas Neues 
daraus lernen. Schmidts Jahrbücher d. ges. Medizin. 





Vorstehende Preise sind innerhalb Deutschlands zuschlagsfrei. 











Junge & Sohn, Univ.-Buchdruckerei, Erlangen 











Biologisches Zentralblatt - 


| 
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Begründet von J. Rosenthal Ay FE hen 

Herausgabe und Redaktion: '® 
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns e% | . 

Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. ©. Warburg h 
in Berlin . » 47; ö 


Verlag von Georg Thieme in Leipzig 
Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW. 2 Wilhelmstr. 28 








42. Band Juli 1922 Nr. 7 


ausgegeben am 1. Juli 1922 








Der Der jährl. re (12 Hefte) beträgt innerhalb Deutschlands 120 Mk. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 





Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 











Ein Leitfaden für Studium und Praxis | 
Von 


= 
Medizinische Psychologie 


Priv.-Doz. Dr. Ernst Kretschmer, Tübingen 
Mit 22 Abbildungen. M. 39.—, geb. M. 63.—. 








Theoretische und klinische 


Pharmakologie 


Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte 


i Von 
Prof. Dr. Franz Müller, Berlin 
M. 39.—, geb. M. 60.—. 


Vorstehende Preise sind zuschlagsfrei. Anpassung an die Geldentwertung. vorbehalten. 
| 

















Neuerschienene Bücher 
die der Zeitschrift zugegangen sind. 


(Eine Besprechung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) 


‘Abel, Prof. Dr. O., Lebensbilder aus der Tierwelt der Vorzeit. Mit 1farbigem Titel- 
; bild und 507 Abbildungen im Text. Jena 1922, Verlag von G. Fischer. 


Abhandlungen zur theoretischen Biologie. Herausgegeben ‘von Prof. Dr. 
J. Schaxel. Heft 15: Haecker, Dr. V., Über umkehrbare Prozesse in der 
organischen Welt. Berlin 1922, Verlag von “ebr. Borntraeger. 


Becher, Prof. Dr. S., Untersuchungen über die Echtfärbung der Zellkerne mit künst- 
lichen Beizfarbstoffen und die Theorie des histologischen Färbungsprozesses mit 
gelösten Lacken. Berlin 1921, Verlag von Gebr. Borntraeger. 


Fischer, E., Gesammelte Werke. Aus meinem Leben. Herausgegeben von Max 
Bergmann. Berlin 1922, Verlag von J. Springer. 


Handowsky, Dr. H., Leitfaden der Kolloidehemie für Biologen und Mediziner. 


Mit einem Anhang: Über die Anwendbarkeit kolloidchemischer Erfahrungen zur 
Aufklärung biologischer Probleme. Mit 33 Abbildungen, 27 Tabellen u. 1 Tafel. 
Dresden und Leipzig 1922, Verlag-von Theodor Steinkopff. 


Lehmann, Prof. Dr. O., Flüssige Kristalle und ihr scheinbares Leben. Mit 161 Ab- 
bildungen im Text. Leipzig 1922, Verlag von Leop. Voß. 


Liesegang, Dr. R. Ed., Beiträge zur Kolloidchemie des Lebens. (Biologische 
Diffusionen.) 2. vollständig umgearbeitete Aufl. Dresden und Leipzig 1922. 
Verlag von Theodor Steinkopff. 


Monnig, Dr. Herm. O., Über: Leucochloridium maerostomum. (Leueochloridium 
. paradoxum Carus.) Ein Beitrag zur Histologie der Trematoden. Mit 5 Tafeln. 
Jena 1922, Verlag von G. Fischer. 


Przibram, Dr. H., Form und Formel im Tierreiche. Beiträge zu einer quantitativen 
Biologie I-XX. Mit Tabellen tierischer Konstanten im Anhang.” Leipzig und 
Wien 1922. Verlag von F. Denticke. 


Mathematisch-Physikalische Bibliothek Band 42: M. Schirps, Mathematik 
und Biologie. Leipzig und Berlin 1922, Verlag von B. G. Teubner. 





Diesem Hefte liegen 3 Prospekte bei: „Dacque, Vergleichende biologische Formen- 
kunde der fossilen niederen Tiere“, Verlag von Gebr. Borntraeger, berlin. — 
„Handovsky, Leitfaden der Kolloidehemie“, Verlag Theodor Steinkopff, Dresden und 
Leipzig. — „Internationale Revue der ges. Hydrobiologie und Hydrogr ante Verlag 
von Dr. Werner Klinkhardt in Leipzig. : 














Gedruckt bei Junge & Sohn in Erlangen 





en, 


Bolagsche, Zentralblatt 


Begründet von J. Rosenthal 





Herausgabe und Redaktion: 
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. ©. Warburg 


in Berlin 
Verlag von Georg Thieme in Leipzig 
Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 28 








42. Band August/September 1922 Nr. 8/9 


ausgegeben am 15. August 1922 








Der Ah, Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt innerhalb Deutschlands 120 Mk. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 











Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 








Soeben erschien: 


Lehrbuch derEntwicklungsgeschichte 


» Von Professor Dr. H. Triepel, Breslau 
a 2. verbesserte Auflage 
Mit 173 Abbildungen. M. 78.—, geb. M. 120.—. 


Vorstehende Preise sind zuschlagsfrei. Anpassung an die Geldentwertung vorbehalten. 








Universität zu Riga. 


Die Professur für systematische Zoologie verbunden mit der Direktorstelle am 
system.-zoologischen Institut soll zum 15. September d. J. besetzt werden. Fachgelehrte, 
welche sich für die ausgeschriebene Stelle interessieren, mögen ihre Änmeldungen nebst 
einem curriculum vitae und einem Verzeichnis ihrer Publikationen systematisch- 
zoologischen, zoogeographischen oder hydro-biologischen Inhalts bis zum 1. September 
an das Dekanat einsenden. 





Das Dekanat der 
Mathem.-Naturwiss. Fakultät der Universität Riga. 


Die an der Universität tätigen Ausländer übernehmen die Verpflichtung in 


spätestens fünf Jahren in lettischer Sprache zu dozieren. 








Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 








Entwicklungsgeschichte des Menschen, kompendum. 
Mit Berücksichtigung der Wirbeltiere. Prof. Dr. L. Michaelis. Mit 
54 Abbildungen und 2 Tafeln. 8. Auflage. Geb. M. 51.—. 


Das Kompendium enthält in nuce alles Wissenswerte aus dieser täglich mehr in 
den Vordergrund tretenden Disziplin und steht auf ganz modernem wissenschaftlichen 
Standpunkt ... Deutsche med. Wochenschrift. 


_. Eine klinische und ernährungs- 

Das Hungerödem. physiologische Studie. Von Dr. 

C. Maase und Priv.-Doz. Dr. H. Zondek, Assistenten der I. med. 
Klinik zu Berlin. Mit 17 Abbildungen. Geh. M. 54.—. En 


Eine ausführliche und allen Seiten der Frage gerecht werdende Abhandlung über 
jene eigentümliche Stoffwechselanomalie, die, wie in anderen Industriezentren, ferner in 
Gefangenenlägern usw., so auch in Berlin im Winter 16/17 auftrat, und wie die Er- 
fahrungen lehrten, ausschließlich auf der Unterernährung basierte und durch körperliche 
Ruhe und forzierte Ernährung zur Heilung gebracht werden konnte. Uber die für 
Stoffwechselpathologen höchst bedeutsamen Details lese man das Original. 

Zeitschrift f. physik. u. diätet. Therapie. 


Der Mensch als Kraftmaschine. 


Dr. Carl Oppenheimer. . M. 42.—. 


Wer sich über die verborgenen Triebfedern des gemeinsamen Ineinandergreifens 
aller Räder unseres Organismus näher unterrichten will, wird in dem vorliegenden 
Werke ein fesselndes Hilfsmittel zu diesem Studium finden. 

(Berichte der Pharmazeutischen Gesellschaft.) 


Methodik. Ein Handbuch 
Stoffwechselanalyse, zum Laboratoriumsgebräuch. 
Von Dr. W. Glikin. Mit 44 Abbildungen. M. 120.—, geb. M. 150.—. 


... Als Hilfsbuch bei chemisch-physiologischen Arbeiten wird sich das G.sche 
Werk als kaum entbehrlich erweisen, zumal es auch dem weniger Geübten durch die 
übersichtliche, präzise Darstellungsweise zu Hilfe kommt. 
Zentralblatt f. innere Medizin. 


| 2 4 Roth’s Klinische Zusammenstellung der 
Terminologie, in der Medizin gebräuchlichen technischen 
Ausdrücke mit. Erklärung ihrer Bedeutung und Ableitung. Von 


E. Oberndöriier f. 9. neubearbeitete Auflage von Dr. Franz 
‘Dörbeck. Geb. M. 240.—. 


. :.. Insbesondere ist auf die große Vollständigkeit hinzuweisen, mit der die in 
der gesamten Medizin gebräuchlichen technischen Ausdrücke mit Erklärung ihrer Be- 
deutung und Anleitung wiedergegeben sind. Was die vorliegenden Auflagen von den 
früheren : vorteilhaft unterscheidet, ist die starke Ergänzung des pharmakologischen 
Wortschatzes, und in der Tat finden wir kaum ein — selbst neueres — Arzneimittel 
nebst seiner Zusammensetzung und Anwendung unerwähnt. Aber auch die in die 
übrigen Disziplinen fallenden Stichwörter sind zeitgemäß ergänzt. 

Jeder Kollege wird gern in dem Buche blättern und jeder wird etwas Neues 
daraus lernen. Schmidts Jahrbücher d. ges. Medizin. 


























Vorstehende Preise sind zuschlagsfrei. Anpassung an die Geldentwertung vorbehalten. 














Junge & Sohn, Univ.-Buehdruckerei, Erlangen 





i 


Biologisches Zentralblatt. 


Begründet von J. Rosenthal 


Herausgabe und Redaktion; 


Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof. Dr. ©. Warbur 
in Berlin . 
Veılag von Georg Thieme in Leipzig. 
Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 28 
42. Band Oktober/November 1922 Nr. 10/11 


ausgegeben am 15. Oktober 1922 














Der jährl. Abonnementspreis (12 Hefte) beträgt innerhalb Deutschlands 120 Mk. 
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 











Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 








Von 


Prof. Dr. Carl Oppenheimer 
! M. 135.— 


Wer sich über die verborgenen Triebfedern des gemeinsamen Ineinandergreifens 
aller Räder unseres Organismus näher ‘unterrichten will, wird in dem. .vorliegenden 
Werke ein fesselndes Hilfsmittel zu diesem Studium finden. 

(Berichte der pharmazeutischen Gesellschaft.) 


Der Mensch als Kraftmaschine 





Medizinische Psychologie 


Ein Leitfaden für Studium und Praxis 





Von 


Priv.-Doz. Dr. Ernst Kretschmer, Tübingen. 
Mit 22 Abbildungen. M. 90.—, Geb. M. 180.—. 


Vorstehende Preise sind zuschlagsfrei. Anpassung an die Geldentwertung vorbehalten, 


a... 














Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 











Deutsche 
Medizinische Wochenschrift 


Herausgeber: 


Geh. San.-Rat Prof. Dr, Julius Schwalbe 


Professor Dr. R. von den Velden — Professor Rott 


Die „Deutsche Medizinische Wochenschrift“ ist das vielseitigste und lehrreichste 
medizinische Fachblatt deutscher Sprache. Außer sorgfältig ausgewählten Aufsätzen 
hervorragender Kliniker, Krankenhausärzte und praktischer Ärzte. sollen die mit großem 
Beifall aufgenommenen 


spezialärztliichen Ratschläge für den Praktiker 


aus der Feder allgemein anerkannter Fachgelehrter fortgesetzt werden. 
Die besonders wichtigen Aufsätze ausdem Gebiet der Inneren Medizin werden bearbeitet von: 


Geheimrat Minkowski (Breslau) Stoffwechselkrankheiten — Geheimrat Geldscheider 
(Berlin) Lungenkrankheiten — Geheimrat Fleiner (Heidelberg) Magenkrankheiten — 
Geheimrat L. Kuttner (Berlin) Darmkrankheiten — Professor Umber (Berlin) 
Nierenkrankheiten — Professor Morawitz (Würzburg) Blutkrankheiten — Geheimrat 
Hoche (Freiburg) N ervenkrankheiten. 


Als Ergänzung Kern erscheinen Aufsatzreihen über 


spezialärztliche diagnostische und therapeutische Technik, 


‘ Der Praktiker gewinnt damit allmählich ein für seine Bedürfnisse sehr geeignetes 


Kompendium der gesamten spezialärztlichen Ausbildung. 


Beiträge aus der Feder berufener Fachmänner werden regelmäßig veröffentlicht über den’ 
jetzigen Stand bedeutungsvoller wissenschaftlicher Probleme. 


Als zuverlässiger Wegweiser durch die therapeutische Literatur dient eine 


kritisch-therapeutische Rundschau. 


Seit April 1922 erscheint als neue Beilage eine 
Sozialhygienische Rundschau 


redigiert von Professor Rott, Direktor im Kaiserin Auguste Viktoria-Haus, Reichs- 
anstalt zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im deutschen Reich und Vorsitzen- 
der der Arbeitsgemeinschaft der sozialhygienischen Reichsfachverbände. 


Auch der sonstige reichhaltige Inhalt wird weiterhin eine sorgfältige Pflege er- 
fahren. Es seien hiervon hervorgehoben: 

Umfangreichste Literaturübersicht — Referate über bedeutendere Aufsätze aus der 
Literatur des gesamten Auslands — Standesangelegenheiten (ständiger Mitarbeiter: Geh. 
Sanitätsrat S. Alexander, Berlin) — Rechtsfragen aus der, ärztlichen Praxis (ständiger 
Mitarbeiter: Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer, Leipzig) — Öffentliches Gesundheitswesen 
— Soziale Medizin und Hygiene — Medizinalgesetzgebung — Technische Erfindungen 
— Berichte über Vereinsverhandlungen und Kongresse — Kleine Mitteilungen — Hoch-. 
schulnachrichten — Auswärtige Briefe — Feuilletonartikel — Aufsätze aus der Ge- 
schichte der Medizin, Philosophie usw. \ ; a 











m. 
Junge & Sohn, Univ.-Buchdruckerei, Erlangen 


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Biologisches Zentralblatt. 





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Begründet von J. Rosenthal 


Herausgabe und Redaktion: 


Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. C. Correns 
Prof. Dr. R. Goldschmidt und Prof: Dr. O. Warburg 


in Berlin 
Verlag von Georg Thieme in Leipzig 
Anzeigen-Annahme: Hans Pusch, Berlin SW. 48, Wilhelmstr. 28 








42. Band Dezember 1922 Nr. 12 
ausgegeben am 15. Dezember 1922 














Bezussbedinsungen ab 1: Januar 1923: In Deutschland, Österreich, Ungarn 
und allen anderen Ländern mit schwacher Valuta Berechnung für jedes einzelne Heft. 


-Nach dem übrigen Ausland pro I. Semester 1923: Amerika $ 2.25, Argentinien 


Pes.Pap. 3.—, BrasilienMilr. 10.—, Bulgarien Lewa 140.—, Chile Pes.Pap. 10.—, Däne- 

mark Kr. De England sh. 8 d. 6, Finnland Mka. 40.—, Frankreich Fres. 20.—, 

Griechenland Drachm. 40.—, Holland fl. 5.—, Japan Yen 4.—, Italien Lire 95. 

Jugoslavien Dinar 55.—, Norwegen Kr. 10.-—, Portugal Milr.Port. 30.—, Rumänien 

Leu 150.—, Schweiz Fres. 10.—, Schweden Kr. 7.—, Spanien. Pes. 10.—, Tschecho- 
slowakei Kr, 30.—. 











ee von ee Thieme in 1 Leipzig. 











erschienen: 


Grundriß der allgemeinen ERROBIE 
Für Studierevde 


Von 


Alfred Kühn 


o. Professor der Zoologie und vergleichenden Anatomie an der Universität Göttingen 


Mit 170 Abbildungen. 2, ‚4.157 geb. 6.75 * 


Die Grundlagen 
der biologischen Konstitutionslehre 





Von 
Dr. Hans Günther 
Privatdozent für innere Medizin an der Universität beine 
Mit 22 Abbildungen. G.2.1.80,°:kart2.10 





* Der Verkaufspreis ergibt sich durch Multiplikation der obigen Grundzahlen mit 
der SL geltenden Schlüsselzahl: diese Entwertungsziffer ist in jeder Buchhand- 
lung oder beim Verlag zu erfragen. 


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Bedeutendes chemisches Werk sucht einen mit der 


Schädlingsbekämpfung 
ın Obst-,. Wein- u. Gartenbau vertrauten Herrn (Entomologe, Pflanzen- 
anal oder dergl.). 


Angebote u. Nr. 10 an den Verlag Georg Thieme, Leipzig, 15. 





Neuerschienene Bücher, 
die der Zeitschrift zugegangen sind. 


(Eine Besprechung der hier genannten Bücher ist vorbehalten.) 


Archives Nederlandaises de Physiologie de l’homme et des animaux 4 


Bd. VI, Lfg. 4; Bd. VII cplt. Haag 1922, M. :Nybhoff. 


Ascoli, Prof. Dr. A., Die Thermitenpräzipitinreaktion. Deutsche verbesserte und ver- 


mehrte Auflage von Dr. Rud. Stephan in Wien. Mit 8 Abbildungen, 124 8. 
Wien und Leipzig 1922, Verlag von Josef Säfär. 

Dennert, Prof. Dr., Harte Nüsse für Mechanisten. Ein Beitrag zur Verständigung 
über das Wesen des Lebens. Mit 19 Abbildungen, 114 S. Halle a. S., C. Ed. 
Müllers Verlagsbuchhandlung. 


Handbuch der Biologischen Arbeitsmethoden. Herausgegeben von Geh. Med.- _ 


Rat Prof. Dr. Abderhalden. Life. 69, Entwickelungsmechanik. Lfg. 71 
Zoologische allgemeine Methoden. 

D’Herelle, Der Bakteriophage und seine Bedeutung für die Immunität. Nach einem 
erweiterten und verbesserten Text des Autors, übersetzt von Dr. R. Pfreimbter, 
Dr. W. Sell und L. Pistorius. Mit 1 Abbildung und 14 Kurven. Braun- 
schweig 1922. Verlag von Friedr. Vieweg &'’ Sohn. 

Höber, Prof. Dr. R., Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe. 5. neube- 
arbeitete Auflage, 1. Hälfte Mit 81 Textfiguren, XIV, 514 S. Leipzig 1922. 
Verlag von Wilh. Engelmann. 

Mayer, Prof. Dr. P., Einführung in die Mikroskopie. 2. verbesserte Auflage. Mit 
30 Textabbildungen, 210 S. Berlin 1922. Verlag von Julius Springer. 

Naef, Dr. A., Die fossilen Tintenfische. Eine paläozoologische Monographie, Mit 


1 Titelbild und 101 Abbildungen im Text, VI, 3228. Jena 1922. „Verlag von. 


Gustav Fischer. 


Nageotte, J., L’Organisation de la Matiöre dans les oe avec la vie. VI, 5608. 


Paris 1922 2. Librairie Felix Alcan. 


Sammlung naturwissenschaftlicher Taschenbücher. Bd. IX: Otto Feh- , 


ringer, Die Singvögel Mitteleuropas. VIII, 1078. Mit 96 farbigen Tafeln nach 
Aquarellen von Kunstmaler W. Heubach und 17 Textabbildungen. ' Heidelberg 
1922. Carl Wintersche Univ,-Buchhandlung. 

Vorträge und Aufsätze über Entwickelungsmechanik der Organismen. 
Herausgegeben von Wilhelm Roux. Heft 29: Die allgemeine Biologie als Lehr- 
gegenstand des medizinischen Studiums. Ein Gutachten vorgelegt den Regie- 
rungen Mitteleuropas von Prof. Dr. Vlad. Ruzicka, 29 S. Berlin 1922. Ver- 
lag von Julius Springer. 








Gedruckt von Junge & Sohn in Erlangen 


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Verlag von Georg Thieme in Leipzig. ne 





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