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Full text of "Blätter für Gefängniskunde 52.1918"

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BLÄTTER 4 

für 

Gefängniskunde 

Zeitschrift des Vereins der deutschen Strafanstaltsbeamten e. V. 


Herausgegeben 

von 

Direktor Schwandner 

Dr. Jur. h. c. 

Vorstand der Strafanstalten ln Ludwigsburg und Hohen Asperg 
Vorsitzenden« des Vereinsausschusses 


Zweiundfünfzigster Band 

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HEIDELBERG 

CARL WINTERS UNIVERSITÄTSBUCHHANDLUNG 

1918 






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14. Jahresbericht 

des Deutschen Hilfsvereins für entlassene Gefangene 

(Eingetragener Verein mit dem Sitz in Hamburg) 

für das Jahr 1917 

erstattet von Dr. phil, H. Seyfarth, Pastor am Hamburger 
Zentralgefängnis und Geschäftsleiter des Deutschen Hilfs¬ 
vereins für entlassene Gefangene, Hamburg-Fuhlsbüttel. 


In Anbetracht der Papierknappheit und der hohen Kosten, 
die die Herstellung des Jahresberichtes des Deutschen Hilfs¬ 
vereins in der bisher üblichen Form verursachen würde, hat 
die am 1. März 1918 in Hamburg tagende Hauptversammlung 
des Vereins beschlossen, den diesjährigen Bericht in verkürz¬ 
ter Gestalt in den „Blättern für Gefängniskunde“ erscheinen 
und nur eine Anzahl von Separatabdrücken für diejenigen Mit- 
cAv glieder hersteilen zu lassen, denen die Blätter für Gefängnis- 
:: künde nicht zugänglich sind. 

\ Hoffentlich wird es im nächsten Jahre möglich sein, den 
Jahresbericht in alter Form herauszugeben und in demselben 
o von einem neuen Emporblühen des Deutschen Hilfsvereins 
“ Kunde geben zu können. 

" I. 

Seit Ausbruch des Krieges und so auch im verflossenen 
Jahre war es unmöglich, die Hauptaufgabe, die der Deutsche 
Hilfsverein f. e. G. in Hamburg sich innerhalb der deutschen 
Fürsorgebestrebungen gestellt hat, nämlich die Verpflanzung 
Entlassener gebildeter Stände ins Ausland, zu er¬ 
füllen. Auch von unseren Schützlingen, die während des nun¬ 
mehr 14jährigen Bestehens des Vereins in fremden Ländern 
eine neue Heimat gefunden haben, liefen nur sehr spärliche 
Nachrichten ein. Das wenige aber, was wir von ihrem Schick¬ 
sal hörten, gab Zeugnis davon, daß ihre bürgerliche Existenz 
durch die Kriegswirren nicht beeinträchtigt oder gefährdet 
o war. Da namentlich Brasilien, Argentinien und Chile das Ziel 
der Auswanderung für unsere Schützlinge gewesen ist, und 
diese Länder ihre Neutralität lange Zeit bewahrt haben, so 
ist dies ja auch verständlich, wenngleich zu befürchten ist. 


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1 * 



4 


daß namentlich in Brasilien sich im Laufe der letzten Monate 
die Verhältnisse ungünstiger gestaltet haben werden. 

Nachrichten über den Zustand unserer Zweigstationen in 
den genannten Ländern, von denen besonders unsere Station 
in Brasilien, die mit einem Aufwand von M. 10 000.— ein¬ 
gerichtet wurde, uns schon viele wertvolle Dienste geleistet hat, 
konnten wir leider nicht erhalten, so daß ich darüber gar nichts 
berichten kann. 

11 . 

Auch unser zweites Spezialgebiet: die Unterbringung 
Jugendlicher im seemännischen Beruf' die in den letz¬ 
ten Jahren einen außerordentlichen Aufschwung genommen 
hatte, konnte nur in sehr bescheidenem Maßstabe bearbeitet 
werden. Während in früheren Jahren durchschnittlich 200 
bis 250 Knaben durch unsere Organisation dem seemännischen 
Beruf zugeführt wurden, war dies im vergangenen Jahre nur 
in 16 Fällen möglich. Auch in diesen Fällen habe ich immer 
wieder die Antragsteller auf die Schwierigkeiten und Gefahren 
hingewiesen, die der seemännische Beruf jetzt in sich schließt; 
das Drängen der betreffenden Knaben aber war so groß, daß 
sich ihre Eltern oder Vormünder schließlich doch entschlossen, 
ihnen nachzugeben. Die Auswahl geeigneter Kapitäne ist 
während dieser Kriegswirren naturgemäß ebenso erschwert 
wie die Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen, und jeder 
einzelne Fall beanspruchte eine umfangreichere Arbeit und er¬ 
heblich größere Kosten, als dies in früheren Zeiten der Fall 
war. Immerhin gereicht es uns zur Freude, feststellen zu 
können, daß unter den 16 Fällen, die in diesem Jahre erledigt 
wurden, kein einziger war, der eine Enttäuschung zur Folge 
gehabt hätte. Die Jungen besuchen, so oft sie an Land sind, 
unser Schiffsjungenheim, das ihnen das fehlende Elternhaus 
ersetzt, und dessen Wert gar nicht hoch genug veranschlagt 
werden kann. 

III. 

Wenn somit also die beiden Gebiete, denen in früheren 
Jahren unsere Hauptarbeit galt, teils überhaupt nicht, teils 
nur in bescheidenem Umfange bearbeitet werden konnten, 
so stellte der Krieg andere Aufgaben in den Vordergrund, die 
nicht minder wichtig und bedeutungsvoll waren. 

Ich habe in früheren Jahresberichten und auch durch son¬ 
stige Veröffentlichungen (z. B. in den Blättern für Gefängnis¬ 
kunde Band 49, Seite 185ff.) auf die Probleme hingewiesen, 
die durch §31 und §34 des StrGB. während des Krieges für 



5 


das Gefängnisvvesen überhaupt, insonderheit aber auch für 
die Entlassenenfürsorge entstanden sind. Nach diesen Para¬ 
graphen haben die Verurteilung zu einer Zuchthausstrafe so¬ 
wie die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte die dauernde 
Unfähigkeit zum Dienste im deutschen Heere und der Kaiser¬ 
lichen Marine im Gefolge. Während in Friedenszeiten diese 
Bestimmungen für die Allgemeinheit wenig bedeutungsvoll 
und in ihren Folgen kaum bemerkbar waren, zeitigten sie 
während des Krieges Erscheinungen, die die volle Aufmerk¬ 
samkeit aller zuständigen Stellen erregen mußten. 

Auf Grund dieser Bestimmungen mußten nämlich in einer 
Zeit, wo die Kraft jedes einzelnen Deutschen überaus wert¬ 
voll war. Tausende und Abertausende von gesunden, kräftigen 
Männern in den Zuchthäusern zurückgehalten und auf Staats¬ 
kosten verpflegt werden und blieben vor jeder Gefahr sorgsam 
behütet, während die Blüte unseres Volkes auf den Schlacht¬ 
feldern unerhörte Strapazen zu ertragen hatte und Blut und 
Leben für das Vaterland hingeben mußte. 

Ganz gewiß sind ja nun unter den Zuchthausgefangenen 
viele Elemente, deren Gesinnung und Taten so niedrig und 
gemein sind, daß man es verstehen kann, wenn sie der höchsten 
Ehre eines deutschen Mannes, sein Leben für Kaiser und 
Vaterland einsetzen zu dürfen, nicht für würdig gehalten 
werden. Anderseits befindet sich aber unter ihnen auch eine 
große Anzahl, die eine solche Mißachtung durchaus noch nicht 
verdienen und unter ihr außerordentlich leiden. Ich beziehe 
mich dabei nur auf das Urteil eines der erfahrensten und be¬ 
kanntesten Praktiker auf dem Gebiete des Gefängniswesens, 
des Herrn Direktor Dr. Schwandner, Ludwigsburg, der darüber 
schreibt: 

,,Es ist ein großer Unterschied zwischen den einzelnen 
Arten von Zuchthausgefangenen, und viele Berufsgenossen 
werden mir beistimmen, wenn ich auf Grund meiner Be¬ 
obachtungen und Erfahrungen sage, daß unter den erst¬ 
mals mit Zuchthaus Bestraften eine erhebliche Anzahl 
solcher sich befindet, die dem Heere nützliche Dienste 
leisten könnten, ohne eine Gefahr für das Heer und die 
Allgemeinheit zu bilden, und die mit Begeisterung sich 
diesen Diensten unterziehen würden.“ 

Er berechnet die Zahl der Leute, die ihm nach Persönlich¬ 
keit und Vorleben trotz ihrer Zuchthausstrafe für die Ein¬ 
stellung ins Heer würdig erscheinen, auf 26% des Gesamt¬ 
standes der ihm unterstellten Anstalt. Zu ähnlichen Resul¬ 
taten wird man wohl in allen übrigen Strafanstalten auch 



6 


kommen, und da die Zahl der Zuchthausgefangenen in ganz 
Deutschland auf etwa 18—20 000 zu beziffern ist, so würde 
sich die stattliche Zahl von etwa 5000 Mann ergeben, die man 
völlig unbedenklich — etwa im Wege der bedingten Begnadi¬ 
gung — dem Heeresdienste hätte zuführen können, anstatt 
ihnen für immer einen unauslöschlichen Makel aufzudrücken 
und sie mit sehr erheblichen Kosten in den Strafanstalten zu 
verpflegen. 

Ist es bei der vorbezeichneten Kategorie von Zuchthaus¬ 
gefangenen vor allem das Gefühl, daß die Folgen des Ehr¬ 
verlustes während der Kriegszeit sie ganz außerordentlich 
hart treffen, und daß dadurch dem Vaterlande wertvolle 
Kräfte entzogen werden, so sind es bei den nach Schwandners 
Berechnung verbleibenden 74% der Zuchthausgefangenen 
andere Gesichtspunkte, die eine Änderung der bestehenden 
Verhältnisse dringend wünschenswert erscheinen lassen. Ich 
will hier nicht auf die Frage eingehen, ob es nicht angebracht 
gewesen wäre, den Strafvollzug während des Krieges über¬ 
haupt direkt hinter die Front zu verlegen, die Gefangenen in 
Arbeitskolonnen zusammenzufassen und sie unter militäri¬ 
scher Oberhoheit zu schweren Kriegsarbeiten zu verwenden. 
Sicher wäre dies dem Volksempfinden entsprechender gewesen, 
als daß der Staat gerade über die Rechtsbrecher seine schützende 
Hand hält und sie vor aller Gefahr und jeder Not des Lebens 
sorgsam behütet. Die notwendige Konsequenz dieses Zu¬ 
standes wird die sein, daß nach dem Kriege die unbeschol¬ 
tenen Leute, die im Felde gestanden haben, in ungeheuer 
dezimierter Anzahl in die Heimat zurückkehren werden, viele 
von ihnen auch als Krüppel oder mindestens mit stark ge¬ 
schwächter Gesundheit, während die Zahl der Rechtsbrecher 
nur unerheblich vermindert sein wird. Der Prozentsatz der 
Bestraften zu den Unbestraften wird also sehr zu Ungunsten 
der letzteren steigen, was im Interesse der allgemeinen Wohl¬ 
fahrt gewiß nicht wünschenswert ist! Ich will aber — wie 
gesagt — auf diese sozial sehr bedeutungsvolle Frage nicht 
näher eingehen, sondern nur die Zustände beleuchten, die schon 
jetzt auf dem Gebiete der Entlassungsfürsorge sichtbar 
werden, und denen der deutsche Hilfsverein im vergangenen 
Jahre seine Aufmerksamkeit zuzuwenden gezwungen war. 

Ist eine Strafe in den vor jeder Not und Gefahr schützen¬ 
den Zuchthäusern und Gefängnissen verbüßt, so gelangen die 
Entlassenen in die Freiheit. Statt daß ihre Kraft aber wenig¬ 
stens nun jetzt restlos im Interesse des Vaterlandes verwendet 
wird, bleiben sie auch weiterhin vor allen Gefahren und Schwie- 



7 


rigkeiten, die das Kriegsleben mit sich bringt, bewahrt, so¬ 
fern sie unter den Wirkungen des Ehrverlustes stehen. 
Und noch mehr. Während die unbescholtenen Leute aus ihrem 
Beruf und aus ihrem Familienleben herausgerissen werden 
und Gut und Blut opfern müssen, können sich diese entehrten 
Entlassenen bequem nach Arbeitsmöglichkeiten umsehen und 
die Stellen einnehmen, aus denen die ehrlichen und unbeschol¬ 
tenen Leute herausgerissen wurden, um in den Krieg zu 
ziehen. Ich kenne eine große Anzahl solcher Fälle, in denen 
entlassene Zuchthausgefangene während des Krieges Stellun¬ 
gen erworben haben, um die sie mancher völlig Unbescholtene 
beneiden könnte. Viele, die niemals in ihrem Leben über eine 
bescheidene Kommisstellung hinausgekommen wären, haben 
sich jetzt selbständig gemacht und durch Kriegsindustrie oder 
Handel mit Lebensmitteln und dergleichen große Summen 
gewonnen. Manche Akten des Deutschen Hilfsvereins sind 
nach dieser Richtung hin recht interessant und instruktiv. 
Immerhin kann man sich ja schließlich darüber freuen, wenn 
solche Leute noch die Energie zeigen, sich die Zeitumstände 
zunutze zu machen und sich zu einer geachteten Lebensstel¬ 
lung emporzuringen und man braucht sich ihretwegen, sofern 
sie nicht, wie es auch bei manchen der Fall ist, Spekulanten 
und Wucherer werden, keine Sorge zu machen. 

Viel ernster und für die Allgemeinheit gefahrdrohender 
aber sind die Tausende und Abertausende von Gewerbs- und 
Gewohnheitsverbrechern, die mit dem auf Grund ihres Ehr¬ 
verlustes ihnen für ihr Leben ausgestellten Freibrief während 
der Kriegszeit ihre Freiheit sehr zum Schaden ihrer Neben¬ 
menschen ausnutzen. Zwar ist ja die Möglichkeit gegeben, die 
gefährlichsten unter ihnen nach verbüßter Strafe in Sicher¬ 
heitshaft zu behalten. Diese Sicherheitshaft wird in der 
Regel für 24 Monate vorgesehen, muß aber mit Kriegsende 
unter allen Umständen aufhören. Aber nur ein ganz geringer 
Bruchteil der großen Scharen von Gewohnheitsverbrechern 
verfällt dieser Sicherheitshaft. Ich glaube, daß ich eher zu 
hoch als zu niedrig greife, wenn ich sage, daß es nicht mehr 
als 5 bis 10% sind. Da es sich nun aber bei dieser Kategorie 
Entlassener um mindestens 15 000 Männer handelt, die jähr¬ 
lich in die Freiheit gelangen, so fällt diese' Maßregel kaum 
erheblich ins Gewicht, und die Tatsache bleibt bestehen, daß 
unser deutsches Vaterland von derartigen Elementen über¬ 
schwemmt ist. Die allgemeine Rechtsunsicherheit, die in den 
letzten Jahren eingerissen ist, dürfte mit dieser Tatsache im 
engsten Zusammenhang stehen. 



8 


Alle diese Gesichtspunkte haben mich von Anfang des 
Krieges an veranlaßt, einer erweiterten Einstellung Gefangener 
und Entlassener in den Heeresdienst das Wort zu reden. Ich 
habe eine ausführliche Denkschrift darüber verfaßt, deren 
Inhalt in den'folgenden Vorschlägen gipfelt: 

1. Die Militärunwürdigkeit als Wirkung des Ehrverlustes 
müßte bei erstmalig mit Zuchshaus Bestraften und bei 
allen zu entehrenden Gefängnisstrafen Verurteilten, so¬ 
fern es sich um militärpflichtige Leute handelt, für die 
Kriegszeit aufgehoben werden. 

2. Beide Kategorien, also sowohl erstmalig bestrafte Zucht¬ 
hausgefangene als auch mit entehrender Gefängnisstrafe 
belegte Leute, sollten — nach bedingter Begnadigung — 
ins Heer eingereiht werden. Wenn auch zunächst nicht 
als Frontsoldaten, so doch in besonderen unter militäri¬ 
scher Aufsicht stehenden Arbeitskolonnen, aus denen 
bei tadellos guter Führung eine Versetzung an die Front 
zulässig und möglich wäre. 

3. Als Führer derartiger Arbeitskolonnen eignen sich am 
besten die zahlreichen Gefängnisaufseher, die in allen 
militärischen Chargen an der Front oder im Etappen¬ 
dienst stehen. 

4. Auf entlassene Gefangene, die noch unter der Wir¬ 
kung von Ehrverlust stehen, müßten die vorstehenden 
Bedingungen sinngemäße Anwendung finden. 

Bei Befolgung dieser Vorschläge wäre die Möglichkeit 
gegeben gewesen, eine große Anzahl kräftiger und arbeits¬ 
fähiger Menschen im Heeresdienste zu verwenden, die jetzt 
entweder auf Staatskosten im Zuchthause verpflegt werden 
oder — wenn sie entlassen sind — persönliche Vorteile aus der 
wirtschaftlichen Lage unseres Volkes ziehen, die nicht der 
Allgemeinheit, sondern lediglich ihnen selbst zugute kommen. 

Bis auf den heutigen Tag habe ich meine diesbezüglichen 
Bemühungen fortgesetzt, und es sind mir aus meiner Korre¬ 
spondenz mit allen möglichen in Frage kommenden Instanzen, 
zahlreichen Parlamentariern, dem Kriegsministerium, Staats¬ 
regierungen usw. drei dicke Aktenbände entstanden, die zu¬ 
sammen 543 Journalnummern aufweisen. Im Laufe der Zeit 
haben sich viele einflußreiche Persönlichkeiten meinen Er¬ 
wägungen angeschlossen. Der Präsident des Reichstags, 
Exzellenz Dr. Kaempf, hat meine Vorschläge für so wichtig 
gehalten, daß er sie dem Reichstage als Petition unterbreitet 
hat, und in der Sitzung vom 17. Januar 1916 ist beschlossen 



9 


worden, diese Petition dem Herrn Reichskanzler als Material 
zu übergeben. Auch zahlreiche Gefängnispraktiker und her¬ 
vorragende Juristen haben meine Vorschläge in Wort und 
Schrift unterstützt, z. B. Herr Geheimrat Prof. Dr. von Liszt 
im ersten Heft des 38. Bandes der ,,Zeitschrift für die gesamte 
Strafrechtswissenschaft“. Neben ihm nenne ich Se. Exzellenz 
Herrn Wirkl. Geheimrat Prof. Dr. von jagemann, der in 
seinem Aufsatz ,,Kriegserfahrungen und Jugendgesetz“ (Blät¬ 
ter für Gefängniskunde, 51. Band, Seite 22) schreibt: 

,,Der Seyfarthsche Gedanke, der Bildung besonderer 
Arbeitskolonnen aus Bestraften und Entlassenen hinter 
der Front, ist mindestens näherer Prüfung wert, nicht nur 
unter der Herrschaft des Krieges, sondern auch in passender 
Übertragung auf Friedenswerke.“ 

Wenn nun auch — im Laufe des Krieges hin und wieder 
Begnadigungen erfolgt sind, so sind diese Fälle doch immer¬ 
hin sehr selten. Ich erinnere mich im letzten Jahre nur sieben 
solcher Fälle, Direktor Dr. Schwandner nennt 15, in anderen 
Zuchthäusern werden die Zahlen auch nicht viel größer sein. 
Sehr häufig aber war es absolut unmöglich, Leuten, die ge¬ 
dient hatten und brennend gern in den Krieg ziehen wollten, 
um sich dadurch zu rehabilitieren, die Abnahme des Ehr¬ 
verlustes zu erwirken, selbst wenn die verbüßte Zuchthausstrafe 
schon weit zurücklag. Am bemerkenswertesten nach dieser 
Richtung ist folgender Fall: Ein Mann, der vor 17 Jahren 
eine Zuchthausstrafe verbüßte, sich seitdem nach polizeilichem 
Ausweis tadellos und völlig einwandfrei geführt hat, konnte 
seine Einstellung ins Heer, dem er vor seiner Verurteilung 
2 Jahre als Infanterist angehört hatte, nicht erreichen, obwohl 
er alle Hebel in Bewegung setzte. Ich selbst habe für ihn 
zwei ausführliche Gesuche an die zuständige Behörde ein¬ 
gereicht, die aber ebenfalls erfolglos blieben. Der Mann, der 
gewiß dem Vaterlande treu und gewissenhaft gedient hätte, 
wenn man ihm nach so langer tadelfreier Führung Gelegenheit 
dazu gegeben hätte, ist mit Recht über diese Ablehnung aller 
Gesuche tief erbittert und unglücklich! 

Es liegt hier eine der brennendsten Fragen auf dem Gebiet 
der Entlassenenfürsorge vor und zugleich ein Problem, dessen 
Lösung im Interesse der Allgemeinheit dringend erforderlich 
ist. Und diese Lösung wäre jetzt in der Kriegszeit leicht 
möglich gewesen, wenn man den entehrten Entlassenen und 
Gefangenen Gelegenheit gegeben hätte, sich durch Fleiß und 
Treue von dem Fluch zu befreien, den die Paragraphen 31 



10 


und 34 des StrGB. im Gefolge haben. Auch von Jagemann 
schreibt in dem oben zitierten Aufsatz: 

„Die Ausschließung vom Friedensmilitärdienst ist 
etwas ganz anderes als die Ausstoßung aus der 
wehrhaften Volksgemeinschaft“. 

Würde sich aber während des Krieges eine solche Einrichtung 
bewähren, so könnte sie auch leicht in die Friedenszeit 
hinübergerettet werden, und man würde dadurch ein schwie¬ 
riges Problem der Entlassenenfürsorge in einer befriedigen¬ 
den Weise lösen können. Jedenfalls sollte mindestens einmal 
ein Versuch gewagt werden, der ohne Zweifel den Beweis 
liefern würde, daß hier eine Möglichkeit vorliegt, endlich ein¬ 
mal eine reformatorische Neuheit auf dem Gebiete des Straf¬ 
wesens und seiner Folgen einzuführen, die meiner Überzeugung 
nach von ganz außerordentlicher Bedeutung für die All¬ 
gemeinheit wäre!, 

IV. 

Neben diesen speziell durch den Krieg bedingten Auf¬ 
gaben lagen im verflossenen Jahre der Geschäftsleitung die 
Erledigung zahlreicher Fürsorgefälle vor. Im ganzen wurden 
256 Fälle erledigt. 18 Leute fanden Aufnahme und Ver¬ 
pflegung in unserer Übergangsstation, 16 Knaben in unserem 
Schiffsjungenheim und 32 Leute in unserer Schreibstube, die 
wir während des ganzen Krieges offen gehalten haben, und 
die eine Zufluchtsstätte für zahlreiche in Not befindliche 
Menschen, bestrafte und unbestrafte, geworden ist. Für 
Fürsorgezwecke zur Rehabilitation Entlassener wurden 
i. J. 1917 5911 M. 50 Pf. und außerdem in der Schreibstube 
für vorübergehend beschäftigte Stellenlose 3854 M. 75 Pf. 
verausgabt. 

Aus dem Kassenbericht des Herrn Schatzmeisters ist fol¬ 
gendes zu bemerken. Das Vermögen des Deutschen Hilfs- 

^ Kurz vor Drucklegung dieses Berichtes erhielt ich vom Reichs¬ 
amt des Innern in Berlin eine Zuschrift, aus der hervorgeht, daß man 
neuerdings der Angelegenheit eine erhöhte Aufmerksamkeit zuwendet. 
Die Zuschrift lautet; ,,Von Ihrer an den Herrn Reichskanzler gerichteten 
Eingabe vom 2 . 12 . habe ich mit dem lebhaftesten Interesse Kenntnis 
genommen. Sie können versichert sein, daß den von Ihnen angeregten 
Fragen seitens aller beteiligten Ressorts die vollste Aufmerksamkeit 
geschenkt wird. Zurzeit werden bereits im Einvernehmen mit den zu¬ 
ständigen Stellen und dem Herrn Chef des Generalstabes des Feldheeres 
Verhandlungen gepflogen, wie die Arbeitskräfte der nach den §§ 31 und 
34 des StrOB. vom Heeresdienst ausgeschlossenen, u. a. auch der ent¬ 
lassenen Zuchthausgefangenen, sowie der Personen, die mit Aberkennung 
der bürgerlichen Ehrenrechte bestraft sind, für die Allgemeinheit nutzbar 
gemacht werden könnten.“ Der Staatssekretär des Innern. 



11 


Vereins für entlassene Gefangene betrug am 31. Dezember 
1917 an Bargeld, Wertpapieren, Immobilien und Inventar¬ 
gegenständen, einschließlich der in Rio Grande do Sul fest¬ 
gelegten M. 10 000,— zusammen M. 65 123,37, wovon in 
Abzug zu bringen sind für Grundbuchschulden, Bankdar¬ 
lehen und Rücklagen für Versicherungen M. 22 374,33, so 
daß sich ein tatsächlicher Bestand von M, 42 749,04 ergibt, 
wozu noch die Ausstände der Übergangsstation, der Schreib¬ 
stube und gewährte Darlehen in Höhe von zusammen M. 2662,19 
kommen, so daß ein Gesamtvermögen von M. 45 411,23 vor¬ 
handen ist. 

Dieser Betrag zeigt gegen das Vorjahr, dessen Rechnung 
mit einem Gesamtvermögen von M. 45 12^04 abschloß, eine 
Zunahme von M. 288,19, was darauf zurückzuführen ist, daß 
dem Verein im Laufe des Jahres 1917 mehrere Legate zu¬ 
fielen. Es sind nämlich eingegangen: 

1000,— M. von Herrn Gustav Zülzer Testament, 
500,— M. von Herrn Dr. Julius Jänisch Testament, 
500,— M. von Herrn Senator Garrels, Hamburg, 
100,— M. von Herrn Julius Michaels Testament und 
100,— M. von Herrn Felix Masse, Hamburg. 

Leider aber war während des Krieges der Verlust zahlreicher 
Mitglieder zu beklagen, von denen 16 verstorben sind, 37 
ihren Austritt erklärt haben, und 107 mit ihren gewöhnlichen 
Jahresbeiträgen in Rückstand geblieben sind. Die Zeitver¬ 
hältnisse lassen dies ja erklärlich erscheinen, und wohl die 
meisten Fürsorgeorganisationen haben in diesem Jahre mit 
solchen Ausfällen zu rechnen. Immerhin ist es bei den großen 
Aufgaben, die dem D. H. V. nach Friedensschluß zufallen 
werden, dringend wünschenswert, daß diese Verluste nach 
Möglichkeit ausgeglichen werden. Neu beigetreten sind dem 
Verein im Jahre 1917 nur vier Mitglieder mit einem Jahres¬ 
beitrag von zusammen 30,— Mark. 

An Wertpapieren besitzt der D. H. V. M. 10 000,— 4% 
Hamburgische Staatsanleihe von 1909 und M. 1000,— 5% 
deutsche Kriegsanleihe, wovon die ersteren bei der Deutschen 
Bank als Deckung für gewährten Zuschuß hinterlegt sind. 
Diese Summe steht noch mit dem Einstandswert von 10 261,50 
Mark zu Buch. Da die Kurse während des Krieges bedeutend 
gesunken sind, so muß in der nächsten Abrechnung der tat¬ 
sächliche Kurs, welcher zurzeit ungefähr 91beträgt, in An¬ 
satz gebracht und die Differenz als Verlust abgeschrieben 
werden, wodurch sich der Kapitalbestand des Vereins auch 



12 


wieder vermindern wird. Ebenso steht die für unsere Zweig¬ 
station in Rio Grande do Sul unverzinslich festgelegte Summe 
von M. 10,000,— mit dem vollen Betrage zu Buch. In An¬ 
betracht ((er unsicheren politischen Lage, die gar nicht über¬ 
sehen läßt, wie die Verhältnisse in Brasilien sich gestalten 
werden, muß auch von diesem Betrage jährlich ein Prozent¬ 
satz abgeschrieben werden. Das Grundstück in der Bürger¬ 
straße, auf dem sich die Übergangsstation, das Schiffsjungen¬ 
heim und die Schreibstube befinden, steht nach Abschreibung 
von 2%% jährlich für Abnutzung am 31. 12. 1917 mit einem 
Wert von M. 30 070,— zu Buch. Die darauf ruhenden Hypo¬ 
theken betragen M. 15 000,—. 

Die Rechnung ist von den beiden Revisoren, Herrn Ober¬ 
regierungsrat Dr. Droege, Altona, und Herrn Rechtsanwalt 
Dr. H. Poelchau, Hamburg, geprüft und richtig befunden. 

V. 

Personalien. 

Herr Pastor H. Reuß, Hamburg-Fuhlsbüttel, war in¬ 
folge von Krankheit gezwungen, sein Amt als stellvertreten¬ 
der Geschäftsleiter, das er seit Begründung des Vereins inne¬ 
hatte, niederzulegen und aus dem geschäftsführenden Aus¬ 
schuß in den erweiterten Vorstand überzutreten. Er bleibt 
also auch fernerhin mit dem Verein verbunden, der ihm für 
seine langjährige treue Mitarbeit auch an dieser Stelle herz¬ 
lich dankt, nachdem dies durch den Herrn Vorsitzenden schon 
persönlich geschehen ist. Die Wahl eines neuen Stellver¬ 
treters für den Geschäftsleiter wird bis auf weiteres ausgesetzt. 

Herr Kaufmann Ernst Wartenberger hat sich infolge 
des Krieges veranlaßt gesehen, seinen Austritt aus dem D. H. V. 
und damit auch aus dem geschäftsführenden Ausschuß anzu¬ 
melden. Auch Herr Wartenberger war seit Bestehen des 
Vereins ein eifriges Mitglied unseres Vorstandes und hat uns 
viele wertvolle Dienste geleistet. Sein Ausscheiden wird des¬ 
halb lebhaft bedauert, und unser Dank wird ihm an dieser 
Stelle zum Ausdruck gebracht. 


Nachrichtlich: 
Pastor Dr. H. Seyfarth, 
Hamburg-Fuhlsbüttel. 



Der Einfluß des Krieges 
auf die Kriminalität und unsere Seelsorge 
an den Strafgefangenen. 

Ein Vortrag, auf der Jahresversammlung der Geistlichen an 
den Königl. sächs. Landes- und Gefangenanstalten gehalten 
am 25. Okt. 1916 von Pastor Otto Vogel, Anstaltsgeistlichen 
an der Landesstrafanstalt Waldheim i. Sa. 


Keiner von uns wird wohl den Gottesdienst vergessen, 
an dem er zum erstenmal nach Ausbruch des großen Krieges 
vor seiner Gemeinde stand. Ein Kontakt war vorhanden, wie 
nie zuvor. Hunderte, die früher wenig oder gar nicht nach 
Gott fragten, ja seiner offenkundig gespottet hatten oder 
durch ihre sonstige Haltung nicht deutlich genug ihren Wider¬ 
willen gegen jeden religiösen Einfluß zum Ausdruck bringen 
konnten, waren plötzlich aufmerksame Hörer unserer Worte 
und dankbar für den Trost, den ihnen zu spenden unsere 
schöne Aufgabe war. Und kaum wird irgendwo mehr aufrich¬ 
tig Gottes Hilfe gesucht worden sein, als in der alten Schlo߬ 
kirche des Waldheimer Zuchthauses, wo die schwersten Ver¬ 
brecher des Landes in der Unruhe ihres Herzens und in der 
Sorge um das Vaterland und in der Hoffnung auf den Sieg 
zuversichtlich sangen: Eine feste Burg ist unser Gott, eine 
gute Wehr und Waffen! Nicht wahr, wir Anstaltsgeistliche 
fühlten: was wir mit unserer Arbeit nicht fertig gebracht 
hatten, das hatte mit einem Schlage der Krieg getan. 

Und als dann ohne besondere Anregungen sich so viele 
meldeten, zum Besten des Roten Kreuzes oder der Kriegs¬ 
fürsorge kleinere oder größere Beträge geben zu dürfen, da 
freuten wir uns, denn was wir bei vielen, die sich damit brüste¬ 
ten, vaterlandslos zu sein und Menschenverächter und kein 
Hehl daraus machten, sich einst rächen zu wollen, wann und 
wie es nur gehe, für vermeintliches Unrecht, was wir bei vielen 
nicht erwartet hatten, daß sie jemals zeigen würden, auch 
ein Herz im Leibe zu haben, das hatte der Krieg getan. 



14 


Und als weiter der Zugänge immer weniger wurden, also, 
daß die Statistik eine Abnahme der Bestände fast aller Straf¬ 
anstalten verzeichnete, dies, den erfreulichen Rückgang der 
Kriminalität, das hatte der Krieg getan. 

Und doch, meine sehr geehrten Herren, heute nach zv/ei 
Jahren harten Krieges wissen wir, daß unsere Leute im Fromm¬ 
sein und Besserwerden nicht durchgehalten haben, wissen, 
daß die wunderbare Erhebung der Augusttage von 1914 ver¬ 
flogen ist wie ein Rausch, daß die opferwillige Begeisterung 
niederbrannte wie ein loderndes Strohfeuer, daß die Statistik, 
wie so oft, sich gezeigt hat als ein mensonge en ziffres. Und 
also stehen wir heute in unserer Arbeit auf demselben Stand¬ 
punkte wie vor dem Kriege?! 

Ist’s unsere Schuld? 

Waren wir nicht fleißig genug, verpaßten wohl die Gelegen¬ 
heit, das Eisen zu schmieden, als es warm wurde und solange 
es warm war, oder hätten wir uns in den Mitteln vergriffen, 
die uns anvertrauten Seelen zu stärken und zu erhalten in 
Glaube und Liebe und Hoffnung? Gewiß, auch draußen in 
den freien Gemeinden ist die Enttäuschung groß, weil auch 
dort so mancherlei wieder wurde, wie es vor’m Kriege war, 
aber wir hatten doch viel bessere und leichtere Gelegenheit, 
intensiver auf unsere Leute einzuwirken — und nun doch! 
— damit so gut wie keinen Erfolg? 

Ist das unsere Schuld? 

Ich meine, darüber einmal ernsthafter nachzudenken, ist 
unsere Pflicht, ja erkennen, wo unsere Fehler und Versäum¬ 
nisse liegen, um sie wieder gut zu machen, wird nicht nur denen 
zum Segen werden, die zurzeit noch in der Anstalt sind, son¬ 
dern insbesondere auch denen zugute kommen, die, wie es 
scheint, infolge des langen Krieges zahlreicher in Strafe ver¬ 
fallen. Oder sollen sie auch so bleiben, wie sie kommen, daß 
wir uns jetzt schon sagen müssen, was wir tun, ist alles ver¬ 
gebliches Mühen, ist eine Arbeit ohne Erfolg? 

Nein! Wenn auch kürzlich mir ein befreundeter Divisions¬ 
pfarrer, der von Anfang des Krieges an draußen an der Front 
und in der Etappe wirkte, bestätigte, was man soviel hören kann, 
daß nach dem Kriege wir unsere Strafanstalten verdoppeln 
müßten, so bin ich wohl noch Optimist genug, um dies für 
übertrieben zu halten, allein, daß der lange Krieg uns viele 
zuführen wird, unterliegt keinem Zweifel, und unsere Seelsorge 
unter den Gesichtswinkel Krieg einzustellen, dürfte daher 
meiner Meinung nach wesentlich unsere Arbeit erleichtern. 



15 


Mit anderen Worten; über den Zusammenhang von Krieg 
und Verbrechen und unserer Seelsorge sich klar zu werden, 
wird uns förderlich sein. Lassen Sie mich daher reden: 

,,Über den Einfluß des Krieges auf die Kriminalität 
und unsere Seelsorge an den Strafgefangenen.“ 

Ich werde es so tun, daß ich 

zunächst untersuche, was die Erfahrung früherer Zeiten lehrt, 

sodann die des gegenwärtigen Krieges feststelle, 
um dann die Frage anzuschließen: was also ist zu erwarten ? und 
schließlich die Folgerung zu ziehen: was also haben wir zu tun? 

Man hat den gegenwärtigen Krieg anfänglich oft mit dem 
vor beinahe 50 Jahren verglichen. ,,Es geht genau so, wie 
anno 70,“ sagten unsere Wachtmeister, als unsere Heere 1914 
gegen Paris marschierten, später zog man Vergleiche mit 1813, 
und heute hält man die Situation für ähnlich der des alten 
Fritz, als er im 7jährigen Kriege stand, ja sogar an den 30- 
jährigen Krieg hat man vergleichsweise gedacht. Und sicher¬ 
lich lassen sich leicht strategische oder nationale oder politi¬ 
sche oder wirtschaftliche Parallelen herstellen, aus denen man 
für die Gegenwart lernen kann. Wie steht’s in bezug auf die 
Kriminalität? 

Nun, daß der jeweilige Krieg entschiedenen Einfluß darauf 
ausgeübt hat, leuchtet ohne weiteres ein. Die Folgen des 30- 
jährigen Krieges in dieser Beziehung waren ja bis an den 
Anfang des 18. Jahrhunderts zu spüren, wo der sächsische 
Staat die letzten Ausläufer einsperren ließ im Torgauer und 
Waldheimer Zuchthaus. Und was vorher, im letzten Stadium 
des Krieges, und nach seinem Ende gemordet und geraubt, 
gebrandschatzt und gestohlen, gesoffen und geflucht worden 
sein mag, läßt sich ja statistisch nicht feststellen, wenn auch 
Zahlen genug vorhanden sind über Bevölkerungsabnahme, 
verbrannte und zerstörte Ortschaften, verschwundene Dör¬ 
fer, Zahlen, die das erhärten, was man in Grimmelshausens 
Simplicius Simplicissimus nachlesen kann. Und ging’s auch 
in den ersten Jahren des Krieges noch um die idealen Güter 
der Menschheit, mit denen Gustav Adolf seinem Heere ein 
Kriegsziel gab und für die er schließlich starb, später war das 
Kriegführen ein metier geworden, das man um seiner selbst 
willen trieb. Gewiß, es hat am Ende des Krieges noch Kava¬ 
liere und aufrechte Männer genug gegeben, und es ist sicher¬ 
lich eine feine Grabschrift, die man auf des Marschall Rantzau 



16 


Denkmal lesen kann, daß, als er mit 40 Jahren starb, bloß 
noch 1 Auge und 1 Ohr und 1 Arm und 1 Fuß gehabt und sein 
Blut verspritzt habe auf mehr denn 100 Schlachtfeldern, 
aber eines habe man ihm nicht zerschlagen können, sein fröh¬ 
liches lutherisches Herze, aber diese Grabschrift enthält doch 
auch einen großen Teil Freude am Kämpfen, Lust an Aben¬ 
teuern, die Tausende wahllos den Fahnen des Feldherrn zu¬ 
trieb, mit dem man am meisten ,,aventiuren“ konnte. Der 
Krieg dauerte eben zu lang, er stumpfte jedes bessere Ge¬ 
fühl ab und untergrub jede Moral. 

Gelang es aber in den nächsten Jahrzehnten nach dem 
Frieden langsam und doch wieder verhältnismäßig schnell 
Zucht und Ordnung ins deutsche Land zu bringen, so hat 
meiner Meinung nach dabei auch die ev.-luth. Geistlichkeit 
ein großes Verdienst, in deren Reihen — man denke nur an 
Paul Gerhardt — damals wohl etwas knorrige und oft auch 
hausbackene, sicherlich aber glaubensstarke und ehrenhafte 
Männer waren, denen Menschliches nicht fremd war, ein Um¬ 
stand, den für später wir uns merken wollen. 

Damit soll die Tätigkeit des Staates nicht außer Acht 
gelassen werden, der gar wacker dem Einhalt tat, auf eigene 
Faust nach dem Frieden das wilde, vielleicht auch reizvolle 
Kriegsleben fortzusetzen. Des großen Kurfürsten starke Hand 
schuf bekanntlich sehr bald Ordnung in der Mark, und als, 
vielleicht durch die Kriege Karls XH. neu angeregt, der 1706 
Kursachsen besetzte, Lips Tullian viele andere ,,zu aller Bos¬ 
heit anfrischete und Taten mit gröbster Gewalt forcierte“, 
ergriff die sächs. Regierung besonders strenge Maßnahmen, 
nämlich, daß überall Tag und Nacht Wächter die Runde 
machen sollten und die Sturmglocke geläutet werden, sobald 
Räubergesindel sich blicken lasse, daß die Wälder fleißig ab¬ 
zusuchen seien und es den Fuhrleuten bei'Strafe des Festungs¬ 
baues verboten werde, jemand ohne Paß über einen Fluß zu 
setzen, daß alle Teilnehmer an einem Raube nach Beschaffen¬ 
heit der Umstände am Leben bestraft werden sollten, wobei 
,,es denn auf ihr eigenes Bekenntnis und daß solches praecise 
extorquieret werden müsse, eben nicht ankomme, sondern 
genug sein solle, daß sie bei dergleichen Gelegenheit ertappt 
werden“, und die vorhin erwähnten, 6 Jahre später begrün¬ 
deten Zuchthäuser bewährten sich vollkommen. Und wenn 
auch die gewählten Mittel zur Strafe und zur Besserung 
etwas grob waren und schulmeisterlich und oft sehr hand¬ 
greiflich, ich glaube, die Entschiedenheit, mit der der Böse 
verhauen wurde und der meist recht angebrachte Willkomm 



17 


bei rückfälligen Verbrechern förderten den Strafzweck — da¬ 
mals wenigstens — merklich, und daß also rücksichtslose 
Strenge nach dem großen Kriege heilsam war, wollen wir 
nicht vergessen. 

Vielleicht, daß dadurch auch im 18. Jahrhundert, wo doch 
der Kriege sehr viele geführt wurden, einigermaßen Ordnung 
erhalten blieb, jedenfalls wissen wir es von Preußen, daß hier 
in allen Staatsressorts eine straffe Zucht waltete, und daß 
im preußischen Heere trotz der 7jährigen Dauer des III. 
schlesischen Krieges die Disziplin sich gelockert habe, wird 
nirgends berichtet, im Gegenteil konnte der alte Fritz, der auf 
strenge Manneszucht hielt, mit Recht auf einen Anwurf gegen 
das preußische Heer antworten: ,,Regt euch nicht auf, laßt 
sie reden, sie beißen auf Granit!“ Besonders bemerkens¬ 
werte Folgeerscheinungen des langen Kampfes sind in Preußen 
nicht hervorgetreten. Das aber ist eben der vor- und für¬ 
sorgenden Tätigkeit des großen Königs zu danken, der nicht 
nur außerordentliche Strenge gegen das Verbrechen ange¬ 
wendet wissen wollte, wenn er dem justizminister von der 
Recke auf einen Bericht, daß ein Brudermörder mit öjähriger 
Festungsstrafe belegt worden sei, antwortet: ,,sie sind wohl 
nicht gescheit, die solches Urteil sprechen. Denn derjenige, 
der einen anderen ums Leben bringt, muß notwendiger Weise 
wieder am Leben bestraft werden, und ich will wissen, wer 
die Richter sind, die diese Urteile gemacht haben. Denn der¬ 
gleichen grobe Verbrechen müssen schlechterdings schärfer 
bestraft werden oder der Teufel wird sie alle auf die Köpfe 
fahren. Was soll daraus werden, wenn man mit solchen groben 
Verbrechern und Mördern so glimpflich verfahren will? Nein, 
da gehört durchaus sich eine härtere Strafe, die auf das Volk 
Eindruck macht!“, der, so sagte ich, nicht nur alle Strenge 
angewendet wissen wollte, sondern auch dem Verbrechen 
den Boden entzog, indem er Gelegenheit zur Arbeit gab 
und Gelegenheit zum Müßiggänge nahm. Und damit, daß er 
die nach dem Kriege zur Entlassung kommenden Soldaten 
der Landwirtschaft, der es an Arbeitskräften fehlte, zuwies, 
ja etliche Begabte von ihnen zu Schulmeistern machte, die, 
wie er an den Minister von Zedlitz schreibt: ,,auf dem Lande 
die Religion und die Moral den jungen Leuten lehren, daß sie 
Attachement zur Religion behalten und dadurch so weit ge¬ 
bracht werden, daß sie nicht stehlen und morden, wenngleich 
Dieberei nicht aufhören wird, denn das liegt in der mensch¬ 
lichen Natur“, damit hat er gar meisterlich die kulturelle 
und sittliche Förderung seines Volkes miteinander verbunden, 


Blätter für Gefängniskunde, Bd. LU. 


2 



18 


und wir lächeln wohl heute über seine Verfügung an die 
Generaldirektion vom 2. Okt. 1779, wo es heißt: ,,es ist aber 
unsere höchste Willensmeinung, daß von nun an alle Spiele 
und Vorstellungen, wo das Leben und die Gesundheit der 
Menschen auf die Spitze gestehet wird, verboten bleiben sol¬ 
len. Dahin rechnen wir insonderheit den Engländer, welcher 
vor einiger Zeit umher zog, auf zwei Pferden zugleich ritt und 
durch allerhand equilibristische Künste manchen jungen Mann 
zur Nachahmung reizte. Dergleichen verbieten wir. Wollen 
sich die Leute den Hals brechen, so können wir solches in 
fremden Landen zwar nicht hindern, in unseren eigenen 
Provinzen aber verstattet unsere Menschenliebe und landes¬ 
väterliche Fürsorge für das Leben und das Wohl unserer 
Untertanen nicht, dazu Gelegenheit zu geben“, ja, wir lächeln 
wohl darüber und müssen doch zugeben, daß damit er gar 
weise allerlei Torheiten vorbeugte und die Kriminalität trotz 
vorangegangener langer Kriegszeit so beschränkte, daß nach 
seiner eigenen Statistik, die er einst dem Voltaire mitteilte, 
in seinem Lande bei einer Einwohnerzahl von reichlich 5 Mil¬ 
lionen jährlich nur 14 Todesurteile kamen, was sicherlich 
wenig bedeutet, denn, so schreibt er, ,,die meisten Deliquenten 
sind Kindsmörderinnen, andere Mordtaten gibt es wenig, 
und noch seltener ist Straßenraub.“ 

Desto schlimmer sah es in anderen Ländern aus, besonders 
am Mittel- und Oberrhein, wo, besonders später, unter der 
Nachwirkung der französischen Revolution und gleichzeitiger 
Einwirkung der Koalitionskriege ganze Banden, oft zu 50 
Mann und darüber hinaus, ähnlich wie nach dem 30jährigen 
Kriege, sich zusammentaten, um „angesteckt vom kriegeri¬ 
schen Mute der siegreichen Feldhauptleute, bald von Aben¬ 
teuerlust getrieben, bald von der Verzweiflung gepreßt derart 
hausten, daß ein Schrecken unter den Bewohnern erregt 
wurde, der weit über den ging, den sonst die Wechselfälle des 
Krieges erzeugt hatten.“ Man lese im Pitaval etliche ihrer 
hauptsächlichsten Räubereien, lese die Taten des kühnen und 
verschlagenen Matthias Weber, genannt der große Fetzer 
und die des Picard und des Franz Joseph Streitmacher und 
die Karl Heckmanns und wie sie alle heißen, und man wird 
finden, daß es sich trotz aller Scheußlichkeiten ihrer voll¬ 
brachten Verbrechen zumeist gar nicht um grausam ver¬ 
anlagte Menschen handelt, vielmehr um Leute, die gutmütig 
und kameradschaftlich waren, ja sogar weich sein konnten, 
um Männer aber, die Freude an einem gefahrvollen Wagen 
hatten, und, je größer die Schwierigkeiten waren, die sich 


JUkd 



19 


ihrem Vorhaben entgegenstellten, desto lieber sie in Angriff 
nahmen. Sie wollten unter allen Umständen berühmt werden, 
und das Bewußtsein, daß man sie weit und breit bewunderte 
und fürchtete, war ihnen lieber als das erbeutete Geld oder 
Gut, das sie verschwenderisch unter die Genossen warfen oder 
großmütig den Armen gaben. Ja, in einem merkwürdigen 
Gemisch von Renommage und Gerechtigkeitsdünkel und 
Kraft und Phantasterei hielten sie ihre Räubertaten für ein 
ihnen vom Schicksal bestimmten Beruf, und wenn Damian 
Hessel vor dem Mainzer Instruktionsrichter erklärt: ,,Gott 
hat mich in die Welt gesetzt, um die Geizhälse und die schlech¬ 
ten Reichen zu bestrafen. Wir sind eine Art göttlicher Zucht¬ 
rute, und wozu sollten überhaupt Richter dienen, wenn wir 
nicht vorhanden wären,“ so war das eine Anschauung, die weit, 
auch durch das eben durch sie beunruhigte Volk gedrungen 
war, und der zu einem Teile sicherlich auch Schiller seinen 
Erfolg dankt, als er Karl Moor als Rächer allen Unrechts 
auf die Bretter brachte, jedenfalls hat ein Teil des Volkes 
lange Zeit in den kühnen Räubern seine Helden gesucht, und 
ich weiß noch aus meiner Jugend, mit welchem Interesse wir 
der Vorstellung im Dorfgasthofe folgten, als die Puppenspieler 
die Schicksale des Mannes vorführten, der ein berühmter 
Zeitgenosse des Kölner Fetzer war, die großen Taten des 
edlen Räubers aus dem Hundsrück, Johannes Bückler, genannt 
der Schinderhannes, und obwohl wir erst eine Woche lang 
von unserem Kantor das 5. und 7. Gebot erklärt bekommen 
hatten, so waren wir doch alle ebensosehr mit Mitleid mit dem 
Menschen erfüllt, der an falscher Stelle nach Größe suchte, 
wie mit Bewunderung für die Kühnheit und Kraft, mit der 
er es tat. Ich meine, die Lust für Abenteuer und phantasti¬ 
sches Räuberleben liegt nun einmal der Jugend besonders, 
sie sucht nach Gelegenheit, nicht nur ihre Kräfte zu entfalten 
und zu üben, sondern sie auch zu zeigen und ihrer sich zu 
rühmen, ja, gar oft damit zu prahlen, wie sie wiederum jene 
bewundert, die Hervorragendes leisten. Es ist daher wohl er¬ 
klärlich, daß die meisten jener berüchtigten Räuber im un¬ 
gestümen Drange ihrer jugendlichen Kraft — denn Fetzer 
ward mit 25 Jahren hingerichtet, und Picard war gar erst 
18 Jahre alt, als er sich an die Spitze seiner Leute stellte, — 
daß die meisten jener Räuber, denen der Krieg eine Gelegen¬ 
heit nicht mehr gab, Ehre und Ruhm zu gewinnen, auf eine 
andere Weise ihn zu erwerben trachteten, die um so übler 
sein mußte, je weniger eine sie in allem Guten fördernde, 
sittlich und religiös stärkende Erziehung auf sie einwirken 


2 * 



20 


konnte. Und wenn in den Räuberromanen der damaligen 
Zeit, in der Geschichte Rinaldo Rinaldinis sowohl, als auch 
in Hauffs Wirtshaus am Spessart und sonst, wozu ich in diesem 
Zusammenhänge auch die Erzählung vom angeblichen Helden¬ 
tode Karl Moors in der Schlacht bei Prag zähle, dem Ganzen 
dadurch ein versöhnlicher Schluß gegeben wird, daß die Hel¬ 
den irgendwo in Hispanien oder Italien Kriegsdienste nahmen 
und Sich tapfer dabei schlugen und dadurch nach ihren Schand¬ 
taten wieder zu Ehren kamen, so lag wohl darin die Meinung, 
daß der Krieg abenteuerlustigen Gesellen die beste Gelegenheit 
gibt, in Ehren sich zu bewähren, die sonst ihrer Kühnheit und 
Waghalsigkeit wegen irgend in Strafe gekommen wären, eine 
Meinung, die durch die Tatsache bestätigt wird, daß mit 
Beginn der Napoleonischen Kriege sowohl jene Räuberbanden 
verschwanden, als auch sonst besondere Verbrechen nicht 
geschahen. Vielleicht, daß wir dies auch im gegenwärtigen 
großen Kriege ähnlich feststellen können. 

Zur Zeit der Befreiungskriege und nach ihnen von einer 
Verrohung und Verschlimmerung der Sitten zu sprechen, ins¬ 
besondere von wachsender Kriminalität, ist kaum möglich. 
Ich sehe den Grund hierfür in zweierlei: einmal darin, daß 
Napoleon nicht nur auf große Manneszucht hielt, sondern 
auch manchem, von ihm eroberten Lande eine Ordnung 
seiner Verhältnisse brachte, die es vordem nicht kannte, 
zum anderen darin, daß nicht ,,um die Güter der Erde“ 
gekämpft wurde, sondern ,,um das Heiligste mit dem 
Schwerte“. Ja, damals geschah das Merkwürdige, daß, als 
mit den Erfolgen bei Leipzig und Waterloo die heißersehn¬ 
ten Ideale nicht erreicht worden waren, diejenigen, die weiter 
dafür kämpften, in Strafe verfielen, also, daß wir wohl heute 
ein falsches Bild vom Einfluß des Krieges auf die Kriminalität 
bekommen würden, wollten wir nach dem Bestand der Straf¬ 
häuser und Festungsgefängnisse von damals die Folgen des 
Krieges in dieser Beziehung beurteilen. Daß aber auch die 
Freiheitskriege eine Verwirrung der sittlichen Begriffe und 
Maßstäbe und eine große Abenteuerlust bei der Jugend aus¬ 
gelöst hatten, beweist Sands entsetzliche Tat und die große 
Anzahl derer, die hinauszogen, um den Griechen die Freiheit 
zu erkämpfen, zu denen sich auch viele aus der studierenden 
Jugend gesellten, von denen einer, der Student Fischhaber 
aus Tübingen, nach der Chronik des berühmten Württemberger 
Stifts es sogar zum einflußreichen Strafvollzugsbeamten 
Griechenlands brachte, nämlich zum Scharfrichter von 
Nauplia. 





Auch die späteren Kriege, die wir Deutsche dann geführt 
haben, haben einen wesentlichen Einfluß auf die Krimi¬ 
nalität nicht ausgeübt, weder der Krieg gegen die Dänen im 
Jahre 1848, noch der von 1864, noch der Entscheidungskampf 
von 1866 haben besondere Spuren in dieser Beziehung hinter¬ 
lassen. Auch die Revolutionsjahre, bei denen an manchen 
Orten sich doch wirklich die Bande frommer Scheu gelöst 
hatten, haben die Verbrechen irgendwelcher Art nicht gemehrt. 
Lag es daran, daß im Grunde doch ideale Güter; Einigkeit 
und Recht und Freiheit erkämpft werden sollten, lag’s daran, 
daß der Staat sehr bald wieder die Zügel der Zucht und der 
Ordnung straff anzog, lag’s an ihrer kurzen Dauer? 

Sicherlich trifft dies auf 1870 zu. Gerade bei diesem 
Kriege, der ja der letzte war, den unser Volk führte und der 
auch zeitlich nicht allzuweit zurückliegt, habe ich versucht 
festzustellen, ob denn nach seinem Ende die Kriminalität 
größer oder kleiner geworden ist, kann aber ein abschließendes, 
etwa durch Zahlen bekräftigtes Urteil nicht abgeben, weil 
vielerlei Wichtiges aus der Statistik der Jahre 1860—1880, 
wie mir auf meine Anfragen mitgeteilt wurde, bereits ver¬ 
nichtet worden ist. Auch die bestimmten Zahlen, die ich in 
den ,,Statistiken der zum Ressort des Ministeriums des Innern 
gehörenden Straf- und Gefangenenanstalten“ des Königreichs 
Preußen gefunden habe, und die im Jahre 

1869 noch einen Zugang von 65 845 melden, 

1870 einen von 53 400, 

1871 einen von 42 037, 

also in den Kriegsjahren einen merklichen Rückgang der 
Kriminalität verzeichnen, um dann wieder nach dem Kriege 
eine bedeutende Steigerung anzusagen, indem sie 

1877 — freilich bei wachsender Bevölkerung — 
einen Zugang von 100 213 

melden, so daß auf 1000 Köpfe der Bevölkerung Zuchthaus¬ 
gefangene kommen: 

1869 - 0,28 

1870 - 0,23 

1871 - 0,21 

1877 — 0,29, 

diese Zahlen werden mit der Bemerkung versehen, daß nicht 
nur die politischen Ereignisse günstig auf die Abnahme 
der Verbrechen eingewirkt haben, sondern wohl auch die 
Einführung des neuen Strafgesetzbuches, infolgedessen nicht 



22 


unerhebliche Begnadigungen und Haftentlassungen einge¬ 
treten seien. Ein abschließendes Urteil kann also nicht ab¬ 
gegeben werden. Immerhin zeigen sie doch ganz deutlich, 
wie der Krieg die Kriminalität beeinflußt, zunächst sie min- 
cfernd, dann aber sie steigernd, wie das auch die Zugangsliste 
des Waldheimer Zuchthauses augenfällig darstellt, die im 
Männerhause 

1869 — 307 Zugänge verzeichnet, 

1870 - auch 307, 

1871 — aber 704 (darunter 561 allein wegen Dieb¬ 

stahls), einen Zuwachs gegen 1869 also von 
über reichlich der Hälfte 

1872 — wieder 372 und dann so fort, 

im Weiberhause aber noch deutlicher den Einfluß des Krieges 
veranschaulicht, da sie 

1869 — 42 Zugänge meldet, 

1870 - 58 

1871 aber 175 (darunter 158 allein wegen Diebstahls), 
einen Zuwachs also gegen 1869, der reichlich das 4fache 
beträgt. 

Merkwürdig ist es auch, daß die Zahl der Totschläger im 
Jahre 1871 der von 1866 entspricht und erst 1878 höher wird, 
während die Zahl der Morde, die im Jahre 1871 ihre Sühne 
finden, weder in den Jahren vorher, noch später, bis auf den 
heutigen Tag, trotz der Bevölkerungszunahme erreicht wor¬ 
den ist. Daß in den nach 1871 folgenden Jahren sehr bald 
der frühere Zustand eintrat, ist sicherlich auf den wirtschaft¬ 
lichen Aufschwung unseres Volkes zurückzuführen, der Arbeit 
und Verdienst die Menge schuf, ja bald erscheinen in der 
Statistik Zahlen, die, insbesondere in bezug auf Sittlichkeit, 
immer deutlicher uns erzählen von der schlimmen Wirkung 
eines zu langen Friedens. 

Ziehen wir nun in aller Kürze das Fazit der größten Kriegs¬ 
zeiten unseres Volkes in bezug auf die Kriminalität, so müssen 
wir,also feststellen, daß im Krieg immer, vor 300Jahren 
sowohl als auch zur Zeit verfeinerter Kultur, die Kriminalität 
nach anfänglichem Rückgang sich erhöhte, und daß um so 
übler die Folgen des Krieges zu spüren waren, je länger er 
dauerte, je zerrissener die politischen Verhältnisse waren, 
je schlaffer die Zügel staatlicher Ordnung gehalten wurden, 
und je weniger Gelegenheit gegeben war, ausgelöste Kräfte 
sich betätigen zu lassen. Wenn aber ein strenges Regiment 
im Lande auf Zucht und Ordnung sah und stramme Disziplin 



23 


geübt ward, wenn Arbeitsgelegenheiten vorhanden waren und 
Ideale, für die man sich einsetzte, dann kamen üble Folge¬ 
erscheinungen, wie übertriebene Abenteuerlust, Roheit, Un¬ 
sittlichkeit, Habgier usw. entweder gar nicht zum, Ausdruck 
oder besserten sich in kurzer Zeit. Ich wiederhole da, was 
ich vorhin andeutete: der Krieg ist also keine Größe an und 
für sich, er ist vielmehr ein Exponent, der Gutes verstärkt und 
Böses verschlimmert, ja der Krieg ist, wie Max Piccolomini 
sagt: 

„Der Krieg ist schrecklich wie des Himmels Plagen; 

Doch ist er gut, ist ein Geschick, wie sie!“ 

Und nun, was lehrt der gegenwärtige Krieg? 

Im wesentlichen bestätigt er die eben dargelegten Er¬ 
fahrungen der früheren Zeit! 

Anfangs erschüttert durch ihn, den großen Erwecker und 
Bußprediger, dessen Stimme gar wohl auch hinter den stärk¬ 
sten Gefängnismauern vernommen wurde, also, daß viele, 
deren Ideale längst auf den großen Scheiterhaufen des Lebens 
liegen, zu einer Lebens- und Sinnesänderung sich aufraffen, 
ließ man sich doch bald wieder von dem Kleinkram und den 
Sorgen des Alltags beeinflussen. Gewiß, es ist unmöglich, 
dauernd begeistert zu sein! Jeder Tag bringt neue Pflichten 
und fordert neue Arbeit, und nur mit beiden Füßen auf dem 
Boden der Wirklichkeit stehend, werden wir den ungeheuren 
Anforderungen der gewaltigen Zeit gerecht, aber — muß denn 
mit'dem Verlöschen der hellodernden Flammen der Begeiste¬ 
rung ohne weiteres auch die Glut der Sinnesänderung ver¬ 
gehen? Müßte sie nicht wenigstens unter der Asche der nieder¬ 
gehenden Begeisterung glimmen und glühen? Und geschieht 
das nicht, hat das denn nicht seinen Grund darin, daß man sich 
zu sehr an das Große, und sei es noch so erschütternd, ge¬ 
wöhnte? Ist’s nicht eine Folge des zu langen Krieges? 

Innerhalb der Strafanstalten trifft’s sicherlich zu. Denn 
heute, wo die wirtschaftlichen Verhältnisse, Mangel und 
Knappheit an Essen und Fetten und Zucker immer mehr 
und in einer Strafanstalt besonders sich bemerkbar machen, 
und die Gedanken der einzelnen beschäftigen, heute ist’s 
keine Seltenheit mehr, wie am Anfang des Krieges, auf trotzige 
Verbitterung und gänzliche Einsichtslosigkeit zu stoßen^ die 
sich sowohl in Einzelgesprächen äußert, wie auch im Betragen, 
als auch in Briefen, wo die niedergeschriebenen schlechten 
Gesinnungen doch um so ernster genommen werden müssen, 
als die betreffenden Schreiber sich ganz genau bewußt sind. 



24 


daß sie dafür zur Verantwortung gezogen werden und Strafe 
zu gewärtigen haben. In den Anstalten also verflog im Laufe 
des Krieges die Begeisterung der ersten Zeit wie Spinn¬ 
gewebe im Altweibersommer. Dennoch würde es nur geringe 
Menschenkenntnis verraten, wollten wir uns allzusehr darüber 
verwundern. Das Dichten und Trachten des Menschenherzens 
ist eben böse von Jugend auf, und wie bei Menschen mit 
besonders tiefer Veranlagung zum Schlechten und starker 
Neigung zum Schmutzigen, wie wir sie in den Anstalten 
haben, Ansätze zum Guten und lobenswerte Versuche leicht 
vom Bösen überwuchert werden, so muß es sich ja auch wäh¬ 
rend des Krieges innerhalb der Strafanstalten schneller als 
irgendwo bestätigen, was die Erfahrung früherer Kriegs¬ 
zeiten lehrte, nämlich, daß eine läuternde Wirkung des Krieges 
in demselben Maße abnimmt, als die Zeit seiner Dauer wächst. 

Weit bedenklicher aber ist’s, daß auch außerhalb der An¬ 
stalten, draußen im gewöhnlichen Leben, im Verlauf des 
Krieges eine allzugroße Ernüchterung eintrat und gar bald 
die Anzeichen einer großen Verschlechterung der Sitten und 
eines sich mindernden Rechtsbewußtseins zutage traten. Ein 
Blick in die Tageszeitungen bestätigt dies ja ohne weiteres. 
Täglich mehr liest man hier von Rüpeleien, Rohheiten, Unsitt¬ 
lichkeiten, Ehebrüchen, Diebstählen, Einbrüchen, Schwin¬ 
deleien, Betrug, Wucher, Körperverletzungen, Totschlägen, 
und die Statistik redet dazu eine eindringliche Sprache. Sie 
zeigt in den Strafanstalten für Männer wohl eine Verminderung 
des Bestandes, die aber nur selbstverständlich ist, denn Mil¬ 
lionen Männer stehen im Felde, meldet aber desto deutlicher 
einen Zuwachs der Weiberstrafanstalten, deren Bestand z. B. 
in Voigtsberg innerhalb der Kriegszeit 

von 170 älteren Sträflingen auf 249 

,, 16 jugendlichen ,, 24 

„ 27 Korrektionärinnen ,, 61 

gestiegen ist, und was noch schlimmer ist, aber bei dem in¬ 
folge des Krieges immer stärker werdenden Mangel an Er¬ 
ziehern nur verständlich — sie stellt eine erschreckende Stei¬ 
gerung der Kriminalität bei den jugendlichen fest, indem 
im Jahresbericht der Zentrale für Jugendfürsorge in Leipzig 
über das Geschäftsjahr 1. April 1915 bis 31. März 1916 mit- 
geteiit wird, daß der Jugendfürsorge ein Auftrag zum Ein¬ 
greifen zugegangen sei in 1400 Fällen gegen 956 des'vergan¬ 
genen Jahres, darunter von der Staatsanwaltschaft in 261 
Fällen gegen 104 des vergangenen Geschäftsjahres, indem 



25 


ferner die Strafanstalt Bruchsal am 1. Juli 1914 59 Jugend¬ 
liche zählte, am 1. August 1916 aber 90, und die Strafanstalt 
Bautzen Ende August 1914 54 Jugendliche, am 6. August 
1916 aber 228. 

Daß an der Steigerung der Kriminalität, wie man in der 
Presse es jetzt oft lesen kann, auch entlassene Züchtlinge be¬ 
sonders beteiligt seien, denen infolge ihrer Ausschließung vom 
Militär gegenwärtig der Weizen blühe, trifft meiner Meinung 
nach nur zu einem kleinen Teil zu. Man darf nämlich nicht 
außer Acht lassen, daß, wie ich schon vorhin sagte, beinahe 
10 Millionen Männer Kriegsdienste tun, so daß das Verhältnis 
selbstverständlich zu Ungunsten der Entlassenen ausfallen 
muß. Immerhin läßt sich’s an ihnen leichter erkennen, was 
ich aus dem Dargelegten folgere: nämlich, daß der Krieg 
ein Gelegenheitsmacher ist, der, wie ein Jahrmarkt oder ein 
Schützenfest den Taschendieben besondere Gelegenheit gibt, 
ihr unsauberes Handwerk zu treiben, in vielen selbstsüchtigen, 
leichtfertigen, moralisch defekten, schwachwilligen, abenteuer¬ 
lustigen, ungezogenen und unerzogenen Menschen die böse 
Lust reizt und lockt. 

Bisher sprach ich nur von solchen, die nicht Soldaten 
waren, am Kriege selbst also nicht teilgenommen haben. 
Wie aber steht’s nun bei jenen, die wochen- und monatelang, 
ja nun schon Jahre das geordnete Lebgn des Friedens mit dem 
wechselvollen und abenteuerreichen des Krieges vertauschen 
mußten, bei jenen, die jahrelang Zeuge waren des schreck¬ 
lichsten und entsetzlichsten Kampfes, bei jenen, die, wollten 
sie selbst und das Vaterland nicht untergehen, sich beteiligen 
mußten an der grauenvollen Zerstörung von Hab und Gut, 
Leib und Leben der Feinde? Wär’s nicht verständlich, daß 
bei allen Kriegsteilnehmern, den Gebildeten wie Ungebildeten, 
den Hohen wie Niedrigen, den zarten wie starken Seelen 
das Gefühl abstumpfte und die Moral sänke? Ist’s nicht er¬ 
klärlich, daß solches bei denen geschieht, die dazu veranlagt 
sind? Selbstverständlich wird darüber ein genaues Bild erst 
nach dem Kriege gegeben werden können, wenn zuverlässiges 
und ausführliches Material vorliegt und nicht bloß etliche 
wenige Antworten, die ich auf meine diesbezüglichen An¬ 
fragen von befreundeten Kriegsgerichtsräten, Ärzten, älteren 
und jüngeren Offizieren, Kriegsfreiwilligen, Wachtmeistern be¬ 
kommen habe, und die im allgemeinen das Beste über die Moral 
unseres Heeres sagen; aber wenn Professor von Drygalski 
in einem Feldpostbrief, den ich in Everths trefflicher Schrift 
von der Seele des Soldaten gelesen habe, sich ausspricht: 




- 26 - 


„Menschen sterben zu sehen, stört einem kaum noch den 
Genuß eines Kaffees, den man sich frohlockend in starren¬ 
dem Schmutze unter Geschützfeuer bereitet,“ so ist das ein 
krasses, aber wie die Dinge draußen nun einmal liegen, ,,ein 
wahres Wort“, ein Wort aber, das uns verständlich macht, 
wenn etliche Taten verüben, davor sie sich vor dem Kriege 
selber gefürchtet hätten, ein Wort, das uns gleichzeitig zeigt, 
wie der Krieg bei langer Dauer auch die Menschen des 20. 
Jahrhunderts verwildert und verroht. 

Dem entspricht ja auch die Erfahrung im Waldheimer 
Zuchthause, in dem von etwa 50 Militärzüchtlingen, die bis 
Anfang September 1916 eingeliefert wurden, 11 Mann über¬ 
haupt nicht vorbestraft waren; das sind, während wir sonst 
nur etwa 7 bis 8% nicht vorbestrafte Leute haben, 22%, 
von denen aber gerade die schwersten Verbrechen begangen 
worden sind. Einer von ihnen, der, sonst aufs glücklichste 
verheiratet und bisher untadeligen Rufes, nach seiner Ver¬ 
wundung in der Garnison ein leichtfertiges Leben führte und 
dann eine seiner Geliebten kaltblütig erschoß und ihren Leich¬ 
nam in eine Schleuse schleppte, hat es nicht nur vor Gericht 
erklärt, sondern nach seiner Einlieferung mir gegenüber 
wiederholt ausgesprochen, daß der Krieg ihn verloddert habe 
und daß er, nachdem er soviel Tote und Verstümmelte gesehen 
habe und selbst an blutigsten Kämpfen beteiligt gewesen sei, 
daß er die Tötung ohne jedes Mitgefühl ausgeführt habe; 
und ein anderer ist zum Mörder, bzw. Totschläger geworden, 
dem seine Vorgesetzte Behörde, das Pflegerhaus Hochweitz¬ 
schen, das beste Zeugnis ausstellt. Wenn das aber am grünen 
Holze geschieht, was denn am dürren? Tatsächlich werden’s 
immer mehr, die uns vom Heere zum Strafvollzug geschickt 
werden. Und ich fürchte, wenn auch etliche von denen, die 
sonst in der Friedenszeit die bekannte Staffel aufrückten: 
Haft, Gefängnis unter 3 Monaten, Korrektion, Gefängnis 
über 3 Monate, Zuchthaus, sich straflos halten, weil ihnen 
der Krieg reichlich Gelegenheit gab, ihre Kräfte anzubringen 
und zu betätigen und Proben ihrer Kühnheit und ihres Wage¬ 
mutes abzulegen, so werden trotz allem genug bleiben, die 
den alten Trott weiteriaufen. 

Aber die anderen, die als vorbestrafte Leute sich in diesem 
Kriege auszeichnen? Gewiß, es muß anerkannt werden, wenn ‘ 
solche durch Treue und Tapferkeit früher Verfehltes und 
Versäumtes wieder gutzumachen bestrebt sind, aber so er¬ 
greifend es auch ist, wenn mir ein Wachtmeister schreibt: 




27 


„einer, der mit lO^/^ Jahren Gefängnis bestraft worden 
war und bereits Jahr abgesessen hatte, wurde wieder 
ins Feld geschickt und kam zu mir. Man sieht so einen 
Mann nicht gerne kommen, aber ich muß sagen, gerade 
dieser Mann war mir einer der liebsten Leute, unverdrossen, 
unerschrocken tat er seine Pflicht, bis er seine Treue mit 
dem Tode besiegelte,“ 

ja so ergreifend dies auch sein mag, und so groß auch meiner¬ 
seits die Freude war, als ein früherer Züchtling sich irgendwo 
auf der Landstraße mir präsentierte, geschmückt mit der 
Friedrich-August-Medaille und dem Eisernen Kreuz, und so 
schön auch die Geschichte schloß, die mir ein Hauptmann von 
dem Manne erzählte, der, was kein anderer fertig gebracht, 
— denn verwundet wurden sie alle, die es wagten — der die vom 
feindlichen Schützengraben herausfordernd herüberwehende 
französische Trikolore herunterriß und damit den Dank des 
Generals sich erwarb, so schön auch die Geschichte schloß: 
,,und das war ein schwer und oft vorbestrafter Mann,“ ja, so 
bewundernswert vieler Taten sein mögen, die unter Granat¬ 
hagel und sonstiger Lebensgefahr von früher Bestraften getan 
werden, ich stelle dennoch die Frage: sind denn diese Taten 
wirklich alle sittlich wertvoll, können sie wirklich alle als 
Beweise eines innerlich erneuerten Menschen angesehen 
werden? 

Was aber ist nun zu erwarten? 

Es ist bekanntlich eine heikle Sache, Prophet zu sein; allein, 
zu sagen, daß neben den Tausenden, die aus dem Kriege als 
andere und bessere und neue Menschen zurückkehren und 
den guten Kern unseres Volkes verstärken werden, andere 
Tausende stehen, die durch den Krieg schlechter wurden 
und die Zahl derer vergrößern, die jetzt schon ihres Volkes 
Sorge, ja seine Plage sind, das zu sagen, dazu gehört nach dem 
eben Dargelegten keine besondere Prophetengabe. 

Eine andere und wichtigere Frage aber wird es sein, ob 
nicht nach dem Kriege das Böse zu sehr an Macht und Einfluß 
gewinnen und viel Gutes überwuchern wird. Diese Gefahr 
aber wird um so größer, je mißlicher sich die Lebensverhält¬ 
nisse gestalten und je oberflächlicher und laxer die sittlichen 
Anschauungen und die Lebensauffassung sein werden. 

Lassen Sie mich nur auf etliches hinweisen! 

Daß es mit großen Schwierigkeiten verbunden sein wird, 
wenn nach dem Friedensschlüsse etwa 10 Millionen Männer 



28 


ins Vaterland zurückfluten, ihnen allen Arbeit und Verdienst 
zu geben, ist klar, denn viele Arbeitgeber, die infolge des 
Krieges ihren Betrieb einschränken mußten, viele Behörden, 
die mit weniger Personal zu arbeiten sich eingerichtet haben, 
viele Betriebe, die Frauen eingestellt und als gleichwertige 
Arbeitskräfte erkannt haben, haben bemerkt, daß sie trotzdem 
annähernd, ja genau so leistungsfähig geblieben sind wie 
früher und insbesonders billiger arbeiteten, und werden daher 
wohl nicht ohne weiteres die Verhältnisse wieder einführen, 
die vor dem Kriege bestanden. Aber gesetzt auch, man 
nähme wirklich wieder alle in dieselben Stellungen an, wie 
sie sie hatten, als sie zu den Fahnen gerufen wurden, gesetzt 
auch, man würde die durch den Tod erledigten Stellen neu 
besetzen, so bleibt doch die große Frage: werden denn Handel 
und Industrie überhaupt imstande sein, sie voll zu beschäfti¬ 
gen? Oder wird der von den Feinden angekündigte ,,Krieg 
nach dem Kriege“ uns Deutsche nicht doch in vielem die 
Arbeitsmöglichkeit beschränken? Sicherlich werden viele, 
Männer wie Frauen, und unter diesen wieder die Vorbestraften, 
denen man selbstverständlicherweise die Kriegsteilnehmer stets 
vorziehen wird, nach dem Kriege arbeitslos trotz aller Mühe, 
die sie sich darum geben, und gar bald dann verdrossen wer-, 
den und unzufrieden, und Not wird sich in manchen Familien 
einstellen. Die Unzufriedenheit, die Not aber — wird sie 
nicht viele zu strafbarer Selbsthilfe veranlassen? 

Viele freilich, die aus dem Feldzug heimkehren, werden 
die angebotene Arbeit ausschlagen, werden nicht arbeiten 
wollen, weil sie meinen, durch eine Verwundung, und sei sie 
noch so geringfügiger Natur, sich eine Rente verdient zu 
haben^ die sie nun dauernd in die Lage setze, das behagliche 
Leben eines Rentiers zu führen. Man glaubt ja gar nicht, 
wie materiell in manchen Kreisen der Dienst fürs Vaterland 
nur ^Is ein Dienst um Lohn angesehen wird. Wiederholt ist 
mir erzählt worden, welche Mühe es koste, arbeitsfähige, wenn 
vielleicht auch beschränkt arbeitsfähige Invaliden davon zu 
überzeugen, daß die ihnen gewährte Rente nur eine Beihilfe 
zu ihrem Fortkommen sei und keine Pension; wie schwer es 
sei, sie aus den Lazaretten heraus zu bringen. Jedenfalls 
werden viele unter ihnen die Lage auszunutzen versuchen, 
werden durch bereitwilligst geübte Nachsicht und allzureich¬ 
lich gespendete Liebesgaben anspruchsvoll und dreist in ihren 
Forderungen, werden bei Rentenkürzung erbittert, werden 
pochen auf vermeintliches Recht — und der Schritt zu straf¬ 
baren Handlungen ist nur noch eine Frage der Zeit. 



29 


Und die dritten haben während des Krieges das Arbeiten 
überhaupt verlernt. Früher schon keine Freunde geregelter 
Arbeit, befanden sie sich zufällig als ältere und nur garnisons¬ 
dienstfähige Leute in der Etappe oder noch weiter hinter der 
Front, so daß ihre kriegerische Tätigkeit in Postenstehen und 
Bahnhofswachen bestand, die ihnen bei guter Kost und reich¬ 
lichem Schlaf genug Gelegenheit gab zum Burnmeln und zum 
Rauchen und.zum Trinken und zum Liebeln, Diese nun 
von weiterem faulen Leben abzubringen wird sehr schwer 
sein, und eine große Zahl derer wird sich aus denen rekru¬ 
tieren, die zusammen mit den anderen die alte Wahrheit 
bestätigen: Müßiggang ist aller Laster Anfang. 

Arbeitslosigkeit wird also nach dem Kriege die Krimi¬ 
nalität erhöhen. 

Mit ihr im Zusammenhänge dann aber auch jener Mangel 
an Gelegenheiten, bei denen bisher etliche ihre besonderen 
Kräfte anwenden und entfalten konnten. Denn als Patrouillen¬ 
reiter und Gefechtsordonnanzen, wo es etwas zu wagen und 
zu erlisten gab, wird man sie dann nicht mehr brauchen und 
bei dem starken Andrang zu den Fliegern und zu den Unter¬ 
seebooten wird man sie dort mit ihrer Bitte um Einstellung 
abweisen, im Büro aber oder in der Fabrik halten sie es nicht 
aus. Auch von ihnen werden etliche, und namentlich die 
Jugendlichen, in ihrem durch den Krieg angeregten Taten¬ 
drange und ihrer Abenteuerlust leicht auf Abwege ge¬ 
raten. 

Ferner werden Krankheiten allerlei Art, nicht zum wenig¬ 
sten die angegriffenen und oft ganz zerrütteten Nerven unserer 
Soldaten, die sie, tagelang im Trommelfeuer liegend, fast bis 
zum Springen spannen mußten, ein gar fruchtbares Feld für 
die Keime des Bösen abgeben, und leichte Reizbarkeit und 
Ungeduld und Zerfahrenheit und Schlaffheit und Wankel¬ 
mütigkeit und Willensschwäche werden sowohl daheim die 
Quelle vielen Unfriedens sein, als auch den Irrenärzten zu 
tun geben, als auch besonders zur Kriminalität die Motive 
bilden. 

Hierzu kommt, daß im Lauf des Krieges sich eine beson¬ 
dere Moral entwickelt hat, die mancherlei für erlaubt hält 
und ohne weiteres fordert, was man sonst bestrafte, ähnlich 
wohl, wie die Pennäler eine besondere Moral haben, wenn sie 
unter Umständen einen Betrug oder eine Unwahrheit dem 
Lehrer gegenüber für selbstverständlich, ja für geboten hin¬ 
nehmen, oder, wie es wohl auch schon im Frieden eine beson¬ 
dere Kasernenmoral gab, nach der ein Soldat, um bei der 



30 


Besichtigung bestehen zu können, oft mit Vorwissen des Vor¬ 
gesetzten einem anderen das Koppel wegnahm oder das Koch¬ 
geschirr, ohne die Tat aber als Diebstahl zu empfinden und 
ohne sich die geringsten Gedanken darum zu machen, ob und 
wie sich der Bestohlene weiterhelfen könne. Ich glaube, die 
Meinung, sich nehmen und tun zu dürfen, was man braucht 
und was man will, wird lange noch nach dem Kriege ver¬ 
breitet bleiben, und die durch den Krieg bedingte, ja oft not¬ 
wendig gewordene Verschiebung sittlicher Maßstäbe 
wird noch lange die moralischen Begriffe der Leute verwirren 
und unter der großen Menge, die den Sinn des Krieges kaum 
begreifen lernen wird, sondern nach wie vor nach panem et 
circenses schreit, namentlich moralisch Schwachsinnige zu 
Handlungen bewegen, die sie irgendwie mit dem Strafgesetz 
in Konflikt bringen. 

Am meisten aber wird sich dies auf sexuellem Gebiete 
äußern, denn, was jetzt schon draußen und drinnen, haupt¬ 
sächlich in Garnisonsorten gegen das 6. Gebot gesündigt, wie 
oft und wie leichtfertig Familienglück zerstört, wieviel Ehen 
gewissenlos gebrochen werden, ist vielen ein Ärgernis und eine 
Sorge zugleich und läßt erwarten, daß eine Menge Vergehen 
und Verbrechen besonders des Affektes und der Leidenschaft 
daraus resultieren, und nicht nur in den untersten Kreisen 
wird die eheliche Untreue die Kriminalität günstig beein¬ 
flussen, sondern auch in den sogenannten besseren. Ja, manche 
Ehe, die so romantisch als Kriegstrauung begonnen wurde, 
wird nach dem Kriege eine üble Fortsetzung finden und ein 
schlimmes Ende nehmen, wenn beide Telle erkennen, daß 
nur ein Überschwang von Gefühlen, sie zusammenführte, der 
nicht standhielt, und unglückliche Ehen, nicht wahr, jetzt 
schon wissen wir’s zur Genüge, wie oft sie die Ursachen von 
Verbrechen sind. 

Und dann — die Kinder, die in solchen Ehen aufwachsen 
— stehen sie nicht alle in der allergrößten Gefahr? 

Ja, was steht zu erwarten? 

Viel Übles und viel Schlechtes und viel Schmutziges. Zu 
wissen aber einerseits, daß eine wesentliche Verschlimmerung 
der Kriminalität nach dem Kriege kommen wird, und ander¬ 
seits, zu wissen, wo ihre Wurzeln am besten Boden fassen, 
kann uns nur erwünscht sein, denn das wird uns die Augen 
für gegenwärtige und kommende Arbeit öffnen. Und also 
stelle ich, dem Ganzen ein praktisches Ziel gebend, die Frage: 
was haben wir nun zu tun? 



31 


Ja, was haben wir nun zu tun? 

Unsere Arbeit ist Spezialarbeit auf dem eng umgrenzteri 
Gebiete des Strafvollzuges und geschieht sowohl im Auf¬ 
träge des Staates, der an der Besserung schlechter Elemente 
lebhaftes Interesse hat, als auch im ausdrücklichen Ein¬ 
verständnis mit der Kirche, die es weiß, daß bei der Rettung 
verlorener Seelen ihr Werk getrieben wird. 

Unsere Arbeit ist Spezialarbeit, und unsere Tätigkeit ist 
dann erst möglich und fruchtbringend, wenn Staat und Kirche 
hierzu Vorarbeit leisteten und unsere stille Arbeit fördern. 
Lassen Sie mich daher zunächst die kommenden Aufgaben des 
Staates in bezug auf Kriminalität kurz berühren, die ich haupt¬ 
sächlich darin sehe, daß er mit aller Strenge und Entschie¬ 
denheit gegen das Böse einschreitet, und, soweit es nur geht, 
durch verwaltungsgesetzliche Maßnahmen alle Gelegenheiten 
für entstehende Verbrechen eindämmt. 

Er wird also zum ersten wirklich strenge Strafen anzu¬ 
wenden haben, besonders gegen Leichtfertigkeit und Roheit, 
die namentlich bei erstmalig Bestraften und Jugendlichen 
die Wirkungen dann nicht verfehlen werden, wenn sie hart 
und kurz sind, und einem frechen Lümmel gegenüber werden 
meiner Meinung nach Prügel, die im Wiederholungsfälle mit 
öffentlicherNennung des Namensausgesprochen werden könnten, 
heilsamer sein, als etwa eine Geldstrafe oder entsprechende Haft. 

Er wird zum anderen zu versuchen haben, daß die Möglich¬ 
keiten entfernt werden, die den schädlichen Wirkungen des 
Krieges Vorschub leisten. 

Hierzu gehört vor allen Dingen die Beseitigung der Arbeits¬ 
losigkeit und daß mit allen Mitteln gegen jene eingeschritten 
wird, die aus irgendwelchen Gründen sich darum drücken 
wollen. Der Heimatdank, nach dieser Richtung den Staat 
unterstützend, dürfte sich damit wirklich selber den Dank 
der Heimat verdienen. 

Dazu gehört ferner, daß gute Wohnungen geschafft oder 
Kriegerheimstätten gegründet werden, damit der an Ver¬ 
wilderung und an aufgehobenes Eigentumsrecht gewöhnte 
Soldat wieder Freude an der Ordnung und an eigener Arbeit 
und an der eigenen Scholle habe. 

Dazu gehört, daß den Stürmern und Drängern ein Feld 
gegeben werde, wo sie sich ungestört und doch zum Segen der 
Gesamtheit austoben können. Mit Recht hat Erwin Rosen 
dieser Tage, gesagt: „Die ungeheure Kraft der Draufgänger 
darf unserem Volke nicht irgendwie verloren gehen, und sie 
zu erhalten ist eine Aufgabe, die wundervoll in das Denken 



32 


in dieser großen Zeit des schweren Krieges hineinpaßt. Rettet 
den deutschen Draufgänger und habt ein Herz für das radau¬ 
lustige, abenteuerliche Bürschchen, ihr Männer, die ihr unsere 
Kolonien der Kultur erschließt, die ihr unsere Schiffahrt 
leiten werdet, die ihr unseren Handel über die Lande treiben 
sollt in der neuen deutschen Zeit. Wir brauchen den Drauf¬ 
gänger! Er ist uns nützlich!“ 

Dazu gehört auch das Fernhalten unserer heranwachsenden 
Jugend von zweifelhaften Vergnügen und Lustbarkeiten und 
anderen üblen Zerstreuungen und Erholungen, wie dies schon 
etlichen unserer stellvertretenden Generalkommandos durch 
äußerst glückliche Korpsbefehle gelungen ist. 

Dazu gehört ferner, daß in den Schulen die Schönheit 
unserer deutschen Heimat mehr als bisher offenbar und lieb 
und teuer gemacht werde und daß die Jugend frisch und fromm 
und fröhlich und frei, in deutschem Geiste erzogen werde. 

Dazu gehört, daß Unzucht und Trunksucht, Prostitution 
und Alkohol mit allen Mitteln bekämpft, daß die Schund¬ 
literatur unterbunden, daß das Kino veredelt und die Ge¬ 
sundheit des Volkes gefördert werde. 

Gewiß, wir Anstaltsgeistliche können an dieser Vor- und 
Fürsorgearbeit, die außerhalb der Anstaltsmauern getan wer¬ 
den muß, nichts tun, als alle anderen auch, nämlich Interesse 
dafür haben und öffentlich dafür eintreten und der Regierung 
den Rücken stärken. Wir werden das aber um so lieber tun, 
als wir uns sagen müssen, daß, versagt der Staat nach dieser 
Hinsicht, unsere Arbeit nur Stückwerk bleiben, ja vergeblich 
sein wird. 

Unsere Arbeit ist Spezialarbeit — die wir treiben auch 
im Namen der ganzen Kirche. Und auch hier wird es gelten, 
daß wir um so leichter und sicherer in den Strafanstalten 
unserem Ziele näherkommen werden, je klarer und bestimmter 
die Kirche sich ihrer Aufgabe bewußt bleibt, das Verlorene 
zu suchen und das Verirrte wiederzubringen und das Ver¬ 
wundete zu verbinden und des Schwachen zu warten und 
die Starken zu behüten und zu pflegen. Und niemals mehr 
hat sie wohl so leicht und so reichlich dazu Gelegenheit gehabt 
wie in dieser Kriegszeit. Die Verantwortung freilich, die jetzt 
auf ihr ruht, ist groß. Unendlichen Segen kann sie stiften, 
und ebenso ungeheuren Schaden anrichten, verpaßt sie die 
Gelegenheit. In unseren Tagen aber muß es offenbar werden, 
ob die,Kirche, die man doch ohne weiteres mit dem Christen¬ 
tum identifiziert, imstande ist^ all den Tausend und Aber¬ 
tausend, die als Gottsucher aus dem Kriege zurückkehren. 



den rechten Weg zu zeigen und all den anderen Zehntausenden 
die inzwischen den rechten Weg verloren, zur Umkehr zu 
bringen. Dabei wird es besonders auf die Pastoren ankommen, 
die da zeigen müssen, daß sie nicht bezahlte Pfaffen sind, 
wie uns die Leute nennen, sondern selbst Gottsucher, und daß 
ihre Arbeit nach höheren Zielen geht, als patriotisch sich zu 
betätigen und wuchtige Weihereden zu halten von Kriegs- 
mälern allerlei Art, nämlich darauf, daß das ganze Volk das 
Evangelium wieder erkenne und festhalte als die — im Welt¬ 
kriege wie danach — allein lebengebende Kraft! 

Also wird es wesentlich auch von der Kirche abhängen, 
ob unsere Arbeit ersprießlich ist oder nicht, und erweisen 
sich insbesondere ihre Vertreter als charaktervolle und zuver¬ 
lässige, überzeugungstreue und ehrenhafte Männer, die für 
die Bedürfnisse ihrer besonderen Zeit Verständnis haben, 
werden auch wir drinnen in der Anstalt mehr und mehr das 
Vertrauen gewinnen, mit dem unsere Mühe und Arbeit über¬ 
haupt erst möglich ist. 

Dazu aber wird weiter nötig sein, daß die Kirche ihr ge¬ 
samtes religiöses Gedankenmaterial unter den durch den 
Krieg gegebenen Gesichtspunkten und die in ihm gemachten 
Erfahrungen neuartig ausbaut. Eine ,,Neuorientierung“ muß 
auch bei ihr stattfinden, wovon wir dann bei unserer Arbeit 
und dadurch auch sie wiederum den allergrößten Gewinn 
haben werden. 

Unsere Arbeit ist Spezialarbeit — ist eine Arbeit, die dort 
anfängt, wo die des Staates und der Kirche versagte oder 
nicht mehr möglich oder zu spät war, denn sobald sie beginnt, 
ist das Unheil, ist das Verbrechen schon geschehen! 

Verhüten können wir nur Rückfälle! 

Unsere eigentliche Aufgabe ist also Rettungs- und Er¬ 
ziehungsarbeit im Geiste des Evangeliums zum Besten der 
Gesamtheit und zum Segen jedes einzelnen gefährdeten Men¬ 
schen. Wir müssen daher zunächst die Arbeit des Staates 
und der Kirche nach Maßgabe der gegebenen Sonderbedürf¬ 
nisse fortsetzen, indem wir bald leiser, bald stärker die vor- 
und fürsorgenden Bestrebungen in Predigt und Seelsorge 
durchklingen lassen. 

Zum anderen müssen wir, und der Krieg wird uns er¬ 
wünschten Anlaß genug geben, in Anknüpfung an die auch 
unseren Leuten wohlbekannten und wohlvertrauten Begriffe: 
Heldentum und Kameradschaft und Heimatliebe und Tapfer¬ 
keit mancherlei zur Vertiefung und Förderung des inneren 
' Lebens tun. 


Blätter für Gefängniskunde, Bd. LU. 


3 



34 


Wir werden, um dies zu erreichen, dafür wirken müssen, 
daß der oberflächliche und gefährliche Heldenbegriff, nach 
dem jeder Wagehals schon ein Held ist, aus unserem Volke 
entfernt und dafür das christliche Heldentum in seiner Tiefe 
und Selbsthingabe begriffen werde. Hat bisher im allgemeinen 
die auch in den Köpfen unserer Leute spukende, von Nietz¬ 
sche beeinflußte Ansicht geherrscht, als sei das Christentum 
an sich weichlich, so bedarf es heute sicher nur weniger Hin¬ 
weise, um Carlyles Wort zu bekräftigen, daß es die heroische 
Art des Daseins sei, denn die stillen Helden des Leidens und 
Duldens und Entbehrens, deren man während des Krieges 
im Lande ebensoviel zählt, wie an der Front, lassen jedes 
Sensations- und Kino- und Romanheldentum verblassen. Bei 
aller Anerkennung der Taten Immelmanns und Weddigens 
wird es nicht schwer sein zu sagen: Jesu Heldentum ist noch 
größer und liegt immer noch eine Oktave höher. 

Welch feine Gelegenheit bietet sich weiter für uns, gerade 
in dieser Kriegszeit im Anschluß an die Kameradschaftlich¬ 
keit den Solidaritätsgedanken, der den meisten unserer Leute 
aus den Gewerkschaften und sonstigen Organisationen ver¬ 
traut ist, mit dem Staatsgedanken zu verknüpfen auf Grund 
des apostolischen Wortes; leidet ein Glied, so leiden alle. 
Ist aber die Erkenntnis vorhanden, daß der Egoismus jede 
Organisation sprengt, so wird man es nicht schwer haben, die 
Vaterlandsliebe mit christlicher Liebe zu durchdringen, um 
dann Verständnis dafür zu finden, daß nur die christliche 
Liebe dazu drängt, für andere zu arbeiten und zu entbehren 
und zu leiden und zu sterben. Leicht läßt es sich in diesem 
Zusammenhänge denn auch reden von christlichem Pflicht¬ 
bewußtsein, von christlicher Freundschaft, von christlicher 
Ehe. In der Liebe Christi ist dies ja alles zusammen souverän 
beschlossen. 

Und war vorm Kriege schon das Wort Heimat der Schlüs¬ 
sel, mit dem wir sonst verschlossene Herzen öffneten, und 
war insbesondere es eine lohnende Aufgabe, lockere oder gar 
zerrissene Fäden zwischen dem Gefängnis und Daheim wieder 
anzuknüpfen oder fester zu spinnen, so werden wir heute, 
wo unseren Leuten die Heimat, für die ihre eigenen Brüder und 
Söhne Leib und Leben opferten, doch doppelt wertvoll er¬ 
scheint, dieser Aufgabe unsere besondere Beachtung schenken 
müssen. Hier werden wir nämlich nicht nur erwünschte Ge¬ 
legenheit haben, das merkwürdig leicht in süßliche und weich¬ 
liche Sentimentalität ausartende Gefühlsleben der Gefangenen 
zu vertiefen, sondern auch ihrem Leben, das vielen bisher 



35 


zweck- und ziellos vorkain, einen neuen Gehalt dadurch zu 
geben, daß wir in ihnen das Verantwortlichkeitsgefühl wecken, 
also, daß sie erkennen, wie sie an Stelle des gefallenen Bruders 
nun für seine Hinterbliebenen, für seine Witwe und seine 
Waisen zu sorgen haben. 

Schließlich müssen wir — und das wird die Spezialaufgabe 
unserer Spezialarbeit im Kriege und Frieden bleiben! —. wir 
müssen unseren Leuten den Willen stärken, denn bei allem 
wird das Wort gelten: ein jeglicher aber wird versucht, wenn 
er von seiner eigenen Lust gelocket und gereizt wird. Dabei 
aber werden wir ein großes Stück vorwärts kommen, wenn wir 
ihnen sagen, daß seine Sünde erkennen und bekennen, daß 
entschiedene Abkehr vom Bösen und Hinkehr zum Guten, 
daß der Anschluß an den Jesus von Nazareth eine Tat ist, 
eine männliche Tat, eine Tat jedenfalls, die an Tapferkeit 
der vorm Feinde geleisteten schlechterdings in nichts nach- 
'steht! — 

Das, meine sehr geehrten Herren, ist’s, was ich Ihnen 
über den Zusammenhang von Krieg und Kriminalität und 
unserer Arbeit sagen wollte! 

Gewiß, der Krieg wird bleiben in der Welt, und die Krimi¬ 
nalität wird immer durch ihn neu befruchtet werden, auf ein 
Minimum aber können ihre bösen Begleiterscheinungen herab¬ 
gedrückt werden, wenn wir den großen Tagesbefehl unseres 
Gottes, den er beim Beginn des Kampfes um die Herrschaft 
der Welt gegen die Sünde an die Menschheit richtete, nicht 
bloß den anderen weitersagen und einprägen, sondern vor allen 
Dingen selber darnach tun, nach dem Tagesbefehl: 

„ist’s nicht so, wenn du fromm bist, so bist du angenehm, 
bist du aber nicht fromm, so liegt die Sünde vor der Tür. 
Du aber lasse ihr nicht den Willen, sondern herrsche über 
sie!“ 


3* 


Die Kriminalität 

der Ausländer im Deutschen Reiche. 

Von J. Ambos, Pfarrer an Gr. Zellenstrafanstalt Butzbach 

(Hessen). 

Ein Gebiet der Verbrechensbekämpfung ist bisher fast un¬ 
beachtet geblieben: Die Kriminalität derer, die im Deutschen 
Reiche als fremde Staatsangehörige Gastfreundschaft ge¬ 
nießen und das Gastrecht mißbrauchen. Der Schaden, den 
diese so in unserem Hause verursachen, ist aber wahrlich 
nicht so unbedeutend, daß man darüber hinwegsehen könnte. 
Sie bedeutet außer vielem anderen für die Rechtssicherheit 
eine nicht nur vermehrte, sondern eine größere Gefahr in 
mancher Hinsicht als die inländischen Verbrecher. Diese Er¬ 
kenntnis sollte aber zu energischeren Anstrengungen wider 
dies Verbrechertum anspornen, und zwar in der Gesetzgebung 
und in der Verwaltung, im Strafvollzug und in der Recht¬ 
sprechung. 

Dank der Reichskriminalstatistik kann man das An¬ 
steigen der Kriminalität der Fremdlinge verfolgen. Seit 1882 
geht ihr die Reichsstatistik nach. Wir kennen so Jahr für 
Jahr nicht nur die Gesamtzahl der verurteilten Ausländer, 
sondern auch ihre Beteiligung an den Verbrechensarten. Zu¬ 
gleich erfahren wir, in welchem Verhältnisse die einzelnen 
Fremdvölker die Rechtssicherheit im allgemeinen bei uns ge¬ 
fährden und auch welche Rechtsgüter besonders von ihnen 
bedroht sind. Die Reichskriminalstatistik für das Jahr 1911 
hat nun hierüber eine zusammenstellende Abhandlung ge¬ 
bracht, die auch der bekannte Statistiker v. Mayr in seinem 
Werke ,,Statistik und Gesellschaftslehre“ 3. Band: 
Moralstatistik mit Einschluß der Kriminalstatistik S. 849/852 
verwertet hat. Danach stellt sich dieser Schmarotzerzweig der 
Kriminalität am Baume des deutschen sozialen Lebens als 
recht üppig entwickelt dar. 

Schon die absoluten Zahlen der Anteilnahme der Reichs¬ 
ausländer an der Straffälligkeit lassen das erkennen, zumal 
in ihrer Zusammenstellung mit den Zahlen der Inländerkrimi- 



37 


nalität. Um nicht zu weitläufig zu werden, seien nur einige 
Jahre aus der betr. Tabelle ausgewählt: 


1882 

1892 

1902 

1907 

1911 

1912 


Verurteilte: 


Inländer 

Ausländer 

327 047 

2 921 

417 645 

4 682 

502 863 

9 466 

515 623 

15 160 

536 122 

16 438 

581 185 

17 753 


Hiernach waren also die Ausländer an der Gesamtzahl der 
Verurteilten beteiligt im Jahre 1882 mit 1% (0,9%) und im 
Jahre 1912 mit 3%. Allerdings, so bemerkt dazu v. Mayr 
a. a. 0. S. 850, habe in dieser Zeit auch die Zahl der Fremd¬ 
linge zugenommen, aber doch nicht in demselben Maße, in¬ 
dem nach der Volkszählung von 1885 372 792 Ausländer bei 
uns gezählt wurden, die nach jener von 1910 auf 1 259 873 
gestiegen waren. 

Im Zusammenhalt mit der Inländerkriminalität ergibt 
sich für die Ausländerkriminalität einzelner Jahre nach den 
Berechnungen in der Reichsstatistik für 1911 unter Zugrund¬ 
legung der jedesmal vorausgegangenen Volkszählung 
folgendes ungünstige Bild: 

Verurteilte: 



Inländer ! 

Ausländer 

1886 . . . . 

. 0,7% 

1,0% 

1891 . . . . 

. 0,8% 

1,1% 

1896 . . . . 

. 0,9% i 

1 1,3% 

1901 . . . . 

. 0,9% 

i 1,3% 

1906 . . . . 

. 0,9% 

1,4% 

1911 . . . . 

. 0,8% 

1 1,3% 


Die RKStk. warnt zwar davor, aus diesen Zahlen Rück¬ 
schlüsse zu machen auf die Moralität und Kriminalität der 
Fremdvölker, denen dieser Ausschuß angehöre, aber die Tat¬ 
sache in ihrer Bedeutung zu beachten und sich danach einzu¬ 
richten ist doch wohl eine Forderung der Kriminalpolitik. 
Ja, dieselbe Quelle der Reichskriminalstatistik für 1911, worin 
uns auch Gründe für diese vorsichtige Beurteilung des statisti¬ 
schen Ergebnisses angeführt werden, enthält gerade in diesen 
Gründen eine um so dringendere kriminalpolitische Mahnung. 
















38 


Es heißt nämlich dort, daß unter den Ausländern das männ¬ 
liche Geschlecht, das ja krimineller ist als das weibliche, 
überwiege, und daß gerade die zu Verbrechen disponierten 
Altersklassen besonders stark vertreten seien, wenn letz¬ 
teres auch noch nicht zahlenmäßig nachgewiesen sei. Bei uns 
Strafvollzugspraktikern besteht darüber wohl kein Zweifel. 
Denn was uns von Reichsausländern unter die Finger kommt, 
ist fast durchweg im Alter von 20 bis 40 Jahren, und bekannt¬ 
lich sinkt, mit den 40er Jahren beginnend, auch die Krimi¬ 
nalitätsbeteiligung. 

Um ein noch klareres Bild für die Notwendigkeit einer 
wirksameren Bekämpfung der Ausländerkriminalität zu er¬ 
halten, darf auch die Staatsangehörigkeit der Rechts¬ 
brecher nicht übersehen werden. Die RKStk. für 1911 liefert 
dafür 2 Belege: den Nachweis dieser Verfehler (Verurteilten) 
nach Zahl und nach gewissen Straftaten. 


Tabelle 1. 



Im Deutschen 
Reich 1.XII.10 
gezählte 
Ausländer 

Im Jahre 1911 
verurteilte 

Ausländer 

Auf 1000 

1. Xll. 10 
im Deutschen 
Reich gezählte 
Ausländer 
entfallene 
Verurteilte 

Ausländer überhaupt ... 
Davon Staatsangehör. 
in: 

Rußland . . 

1 259 873 

16 438 

13,0 

137 697 

3 000 

21,8 

Italien (einschl. Kolon.) 

104 204 

1 457 

14,0 

Österreich-Ungarn . 

667 159 

8 798 

13,3 

Frankreich (einschl. Kol.) 

19 140 

224 

11,7 

der Schweiz . 

68 257 

708 

10,4 

Belgien. 

den Niederlanden 

13 455 

123 

9,1 

(einschl. Kolon.) . 

144 175 

1 304 

9,0 

Luxemburg. 

14 356 

127 

8,8 

Schweden . 

Großbritannien 

9 675 

80 

8,3 

(einschl. Kolon.) . 

18319 

117 

6,4 

Dänemark (einschl. Kol.) 

26 233 

167 

6,4 

Norwegen . 

den Verein, Staaten von 

3 334 

17 

5,1 

Nordamerika.. 

17 599 

66 

3,8 















39 


Tabelle 2. 


1 

Staatsangehörigkeit 

Auf 100000 am 1. XII. 10 im Deutschen 
Reiche gezählte Ausländer aus den neben¬ 
genannten Staaten kommen im Jahre 1911 
Verurteilte wegen; 

Gewalt und 1 ri>fähri i 

Drohungen ' Einfachen ßetrues 

gegen ve^fet "ng Diebstahls I 

Beamte Verletzung 

1 

Rußland . 

60 

477 

536 

81 

Italien (einschl. (Kolon.) . 

31 

274 

163 

73 

Österreich-Ungarn . 

42 

233 

292 

92 

Frankreich (einschl. (Kol.) 

68 

' 84 

219 1 

57 

Schweiz . 

29 

141 

, 218 

88 

Belgien. 1 

37 

186 

186 

59 

Niederlande (einschl. (Kol.)i 

46 

, 186 

147 

40 

Luxemburg. 

35 

118 

, 118 

70 

Schweden . ' 

Großbritannien 

114 

; 93 

1 

124 

; 52 

i 

(einschl. Kolon.) . 

22 

: 33 

, 82 

55 

Dänemark (einschl. Kol.) . 

34 

30 

1 118 

42 

Norwegen . 

60 

— 

, 150 

30 

Ver. Staaten von Amerika, 

6 

34 

28 

57 


ln welchem Maße Ausländer die betroffenen Rechtsgüter 
mehr gefährden, zeigt der Vergleich mit 

Tabelle3. 


Auf 100 000 Personen der strafmündigen Bevölkerung treffen Verurteilte; 


Im Jahre 

Wegen Gewalt 
und Drohungen 
gegen Beamte 

Wegen gefährl. 
Körper¬ 
verletzung 

Wegen 

einfachen 

Diebstahls 

* Wegen Betrugs 

1882 

i 38 

121 

288 

38 

1892 

1 40 

187 

272 

1 59 

1902 

43 

243 

, 224 

66 

1912 

40 

1 206 

! 210 

64 


Die Russen, die wohl zumeist Polen aus Rußland sind, 
stehen in der Kriminalität an der Spitze, wenigstens hinsicht¬ 
lich ihrer Angriffe auf Gesundheit, Leben und Eigentum; / 
auf sie folgen die Italiener durch starke Beteiligung an den 
gefährlichen Körperverletzungen, während die Staatsangehöri¬ 
gen Österreich-Ungarns, die am zahlreichsten bei uns 












40 


vertreten sind, sich aufs Stehlen besser verstehen. In der 
Hauptsache haben wir es aber gerade mit diesen 3 Fremd¬ 
völkern in den deutschen Gefängnissen und Zuchthäusern zu 
tun. Die anderen täuchen in den einzelnen Strafhäusern nur 
ganz vereinzelt auf. 

So stand es mit der Ausländerkriminalität vor dem Kriege. 
Wie es nach dem Kriege damit sein wird, läßt sich mit Be¬ 
stimmtheit jetzt noch nicht Vorhersagen. Aber höchst wahr¬ 
scheinlich ist es doch, daß der Osten uns die alten Gäste 
senden wird, ja daß durch den engeren wirtschaftlichen An¬ 
schluß an den Osten und an die im Kriege mit uns verbündeten 
Völker noch neue hinzukommen werden. Ob das treubrüchige 
Italien wieder, wie früher, Millionen aus Deutschland heim¬ 
schleppen kann, bleibt abzuwarten. Wenn man auf wirtschaft¬ 
lichem Gebiete für sie Ersatz findet, sei es durch eigene oder 
fremde Kräfte, wird man sie als unwillkommene Gäste gern 
ihrer Schwesternation überlassen. Indessen können wirt¬ 
schaftliche Interessen sich immerhin wieder stärker erweisen 
als die Ablehnung aus Abneigung. 

Mögen aber ehemalige Feinde oder Verbündete nach dem 
Kriege ins Land kommen, so gilt es sich gegen ihre Kriminalität 
möglichst zu schützen. Das fordert natürlich Kenntnis der 
Ätiologie dieser Sonderkriminalität. Einmal ist gewiß nicht 
zu verkennen, daß Rasse und Kulturhöhe hier nicht un¬ 
wesentlich mitspielen. Es wird niemand bestreiten wollen, 
daß der heißblütige Italiener weit stärker zu Gewalttätigkeiten 
wider Gesundheit und Leben neigt als der kältere, ruhigere 
Nordländer. Und wenn sich die Gäste aus dem Osten hierin 
als noch gefährlicher erwiesen haben, so spielt dabei Polen¬ 
blut, mit Branntwein zusammen, seine Rolle. Überdies lebt 
der Ausländer in der Fremde unter viel ungünstigeren Ver¬ 
hältnissen als daheim. Dort hält und trägt ihn die Volkssitte 
und der Geist des Elternhauses und der Familie, Draußen 
fällt dieser Schutz weg, er fühlt sich frei und ungebunden. 
Man kennt ihn nicht und er kennt die Leute nicht; weshalb 
soll er sich Zwang auferlegen? Dazu kommt als noch schwer¬ 
wiegender, daß er, wäfirend er in der Heimat kirchlich aus¬ 
reichend versorgt war, dies in der Fremde^entbehrt. Lied und 
Predigt, die er nicht oder kaum versteht, lassen ihn kalt. 
Wozu soll ich zur Kirche gehen? habe ich schon von man¬ 
chem meiner Kriminellen dieser Art hören müssen. Das ist 
nun freilich für einen Katholiken eine nichtige Ausrede. Dem 
Kirchengebot des Besuches einer hl. Messe hat er zu gehorchen, 
und Andacht, Anregung und Festigung kann er auch schöpfen 



41 


aus Gebetbüchern und in anderer Weise, mit der er in seiner 
Heimat bekannt geworden ist. Tatsächlich kehren sich aber 
beispielsweise gerade die Italiener am allerwenigsten an das 
kirchliche Gebot, und das ist so in der Schweiz wie in Deutsch¬ 
land. Die Klage ist allgemein, wie ich dort und bei uns hören 
mußte. Der Pole kommt schon eher an Sonn- und Feiertagen 
zum Gottesdienst und beträgt sich dabei erbaulich. Bei der 
Leichtigkeit, mit der der Slave fremde Sprachen sich aneignet, 
lernt der Pole ziemlich rasch sich verständigen, aber wenn sie 
in Gruppen leben, wie dies meistens der Fall ist, und nament¬ 
lich wenn sie nur als Sommerarbeiter bei uns erscheinen, bleibt 
das Deutsche seinem Ohr fremd. Man hat im Deutschen 
Reiche zwar eine eigene Polenpastoration. Mancher deutsche 
'Geistliche hat mühsam das schwierige Polnisch erlernt, so daß 
er den Leuten in seiner Pfarrei einigermaßen sich widmen 
kann. Es werden auch besondere Geistliche, namentlich 
Ordensleute, eigens für diese Seelsorge ausgebildet und zu 
wenigstens 2 maliger Pastoration ausgeschickt, daß sie von 
Station zu Station in der Diözese reisen. All das ist jedoch 
nur ein Notbehelf und kein voller Ersatz der Heimatseelsorge. 
Der Pole kommt auch den deutschen Geistlichen infolge der 
deutschen Ostmarkenpolitik nicht mit dem rechten Ver¬ 
trauen entgegen. Laxere religiöse Beispiele der Umgebung, 
von Andersgläubigen und Glaubensgenossen, bleiben auch 
nicht ohne Eindruck. Ist es da noch zu verwundern, wenn 
diese Leute in der Fremde sittlich und religiös verwildern 
und schließlich auch über die Stränge der Strafgesetze schlagen! 
Während sie meistenteils in ihrem Vaterlande noch nie mit 
dem Strafrichter zu tun hatten, geraten sie bei uns auf die 
Anklagebank und in das Strafhaus. Die gesteigerte Aus¬ 
länderkriminalität hat ihre guten Gründe! 

Aber haben wir denn nicht dagegen ein hochentwickeltes 
Gefängniswesen ? Daß die Einzelhaft mit all ihren Mitteln, 
den Rechtsbrecher zu bessern, ein bedeutender Fortschritt ist 
gegenüber den früheren Zuständen in den ,,Verbrecherhoch¬ 
schulen“, wird zugegeben, allein dieses System ist auch nicht 
jenes Allheilmittel, von dem man sich so viel versprochen 
hat. Die Reichskriminalstatistik meldet Jahr für Jahr nicht 
Rückgang, sondern Zunahme der Kriminalität bei den jugend¬ 
lichen und Erwachsenen. Wenn nun schon bei den Inländern 
der neuzeitliche Strafvollzug im großen und ganzen versagt 
hat, wie sollte er in der gewollten Weise wirksam sein bei den 
Ausländern? Welchen Nutzen haben diese Leute, so weit sie 
das Deutsche nicht hinreichend beherrschen, vom Unterricht, 



von der Bücherei, von der Predigt, von den Zellenbesuchen 
und dergleichen? Und doch soll die geistige, sittliche und 
religiöse Beeinflussung die Seele des heutigen Straf¬ 
vollzuges sein! Wenn der Anstaltsgeistliche nicht gerade 
virtuoser Polyglotte ist und zu seinen alten und neuen Sprachen 
auch noch Italienisch und Polnisch samt Kroatisch, Slove- 
nisch usw. lernt, um dem Gefangenen wenigstens das Sakra¬ 
ment der Buße spenden zu können, wobei eine tiefere seelische 
Erneuerung gar nicht möglich ist, so bleibt der Kriminelle 
von religiösen Bußgedanken gänzlich unberührt. Aber auch 
die Arbeit wird ohne innere Umwandlung ihren Hauptzweck 
im Strafvollzug verfehlen. 

In unserer hessischen Anstalt, worin vor dem Kriege 
nur Gefängnisstrafen, die mehr als einen Monat betrugen, 
vollstreckt wurden, verbüßen jährlich rund 30 bis 40 Aus¬ 
länder ihre Strafe; Polen und Italiener bildeten unter diesen 
die stärksten Gruppen, für die der Strafvollzug in seiner 
Hauptwirkung beeinträchtigt ist, während doch der Staat 
gerade dafür sein Geld aufwendet. 

Der Ausländer steht auch bei seiner Entlassung aus dem 
Strafhause in mancher Hinsicht viel ungünstiger da als der 
Inländer, sozial und wirtschaftlich. Dieser hat häufig 
entweder bei Angehörigen sein Unterkommen oder findet 
doch leichter Arbeits- und Verdienstgelegenheit als jener. 
Die Schutzvereine haben mit den Inländern in ihrer Für¬ 
sorge für diese schon ihre liebe Not und nehmen statuten¬ 
gemäß Ausländer als Pfleglinge in der Regel nicht an. So ist 
der Fremde, wenn kriminell geworden, in schwierigerer Lage 
und ist größeren Versuchungen ausgesetzt, was ihn dem Rück¬ 
fall in erneute Angriffe auf Rechtsgüter näherrückt. 

Man wird also noch andere Mittel dem Übel entgegen¬ 
werfen müssen. Wer dächte da nicht auch an eine strengere 
Rechtsprechung? Wozu haben wir den Strafrahmen bei 
den einzelnen Gesetzen? Läßt sich nicht bei der Strafzu¬ 
messung auch der Grund verschärfend in die Wagschale wer¬ 
fen, daß der Schuldige auch gegen das Gastrecht und 
die Gastfreundschaft gefrevelt hat? Soll ihm das nicht 
spürbar zum Bewußtsein gebracht werden zur Warnung für 
die Zukunft, wenn auch vielleicht nicht schon bei der ersten 
Entgleisung, so doch ganz bestimmt bei der zweiten und drit¬ 
ten? Könnte dann noch Vorkommen, daß Verbrecher ihr 
Handwerk gerade im Deutschen Reiche mit Vorliebe 
ausüben, weil sie sich sagen, anderwärts komme man so 
glimpflich nicht durch? Bei einer Verhandlung vor der 



43 


3. Ferienstrafkamnier des Landgerichts I in Berlin wider einen 
aus Rußland stammenden Händler namens Gurski, der Mit¬ 
glied einer gefährlichen russischen Diebesbande war, hat am 
27. Juli 1914 der Kriminalschutzmann Busdorf, der den 
raffinierten Taschendieb am Bahnhof bei der ,,Arbeit“ er¬ 
wischt hatte, erklärt, daß ihm schon häufig internationale 
Gauner gesagt hätten, im Deutschen Reiche werde man 
viel milder bestraft als in anderen Staaten; insbesonders 
in England habe man viel härtere Strafen zu gewärtigen; das 
sei der Grund, weshalb sie immer wieder nach Deutsch¬ 
land zurückkämen. Der Taschendieb erhielt 3 Jahre 
Zuchthaus mit 5 Jahren Ehrverlust und Stellung unter Polizei¬ 
aufsicht. Der Staatsanwalt hatte 4 Jahre Zuchthaus bean¬ 
tragt (s. Germania Nr. 338 vom 28. Juli 1914 in der Beilage). 
Könnten die Justizminister nicht allgemein durch die 
Staatsanwälte auf eine strengere Bestrafung hinwirken? 

Eine weitere Handhabe gegen üppig wuchernde Ausländer¬ 
kriminalität bietet die Ausweisung. Indessen ist diese wirk¬ 
sam zurzeit nur recht beschränkt anwendbar. Aus dem 
Reichsgebiet können bekanntlich Ausländer nach dem 
RStGB. nur ausgewiesen werden, wenn sie wegen gewerbs¬ 
mäßigen Glückspieles (§ 284 Abs. 2) bestraft sind oder auf 
Zulässigkeit der Polizeiaufsicht (§ 39 Ziffer 2) oder auf Über¬ 
weisung an die Landespolizeibehörde (§ 362 Abs. 4) erkannt 
ist. Dies trifft aber bei den allerwenigsten der bestraften Aus¬ 
länder zu, so daß die Hauptmasse ruhig und ungestört im 
Reiche ihr Unwesen weitertreiben kann. Wohl können die 
einzelnen Bundesstaaten alle bestraften Ausländer aus 
ihrem Gebiete abschieben. Im Großherzogtum Hessen wird 
von dieser Befugnis seit September 1910 ausgiebiger als vorher 
Gebrauch gemacht, indem der Generalstaatsanwalt im Auf¬ 
träge des Justizministeriums verfügt hat, daß die Straf¬ 
anstaltsleitung dem für die Strafanstalt zuständigen Kreis¬ 
amt Mitteilung zu machen habe über die Entlassung der Aus¬ 
länder unter Vorlage einer Charakteristik und eines Gut¬ 
achtens über die Ausweisungsfrage. Um dieselbe Zeit ist auch 
seitens des Ministeriums des Innern an die Kreisämter eine 
Verfügung ergangen, wonach bezüglich der bestraften Reichs¬ 
ausländer von der Ausweisungsbefugnis „weitgehender Ge¬ 
brauch gemacht werden solle, weil sonst eine wesentliche 
Schädigung der Interessen der einheimischen Bevölkerung ins¬ 
besondere in den Städten“ zu erwarten sei. Dabei solle je¬ 
doch ,,eine schematische Behandlung der Fälle vermieden 
und in leichteren Fällen von der Ausweisung häufig abge- 



44 


sehen werden.“ (Erlaß vom 10. November 1910). Allein damit 
ist nicht viel gewonnen. Die Schädlinge werden nur anderen 
Bundesstaaten auf den Pelz gesetzt. So kommt es nicht 
selten vor, daß selbst Ausländer mit langer Vorstrafenliste 
einen Bundesstaat um den anderen unsicher machen. Seit 
meiner bald 24jährigen Tätigkeit im Strafvollzüge mußte ich 
es oft genug erleben, daß derartige Ausländer bei uns ein¬ 
rückten; aus Preußen, Sachsen und anderen norddeutschen 
Staaten waren sie ausgewiesen, und nun wandten sie sich 
dem Süden zu, um auch dort nach und nach die verschieden¬ 
artigen Gefängnis- und Zuchthauseinrichtungen kennen zu 
lernen. 

Durfte man da als Praktiker des Strafvollzuges nicht 
hoffen, daß das neue Strafgesetzbuch hierin Wandel schaffen 
werde? Der Vorentwurf in seiner ersten Fassung läßt wohl 
einigen Fortschritt erkennen, aber er mußte den Schnitt tiefer 
tun. Die Ausweisung ermöglicht er, wenn nach § 53 auf Zu¬ 
lässigkeit der Aufenthaltsbeschränkung erkannt worden 
ist. Dies kann aber nur geschehen bei einer Zuchthaus¬ 
strafe und bei einer Gefängnisstrafe von mindestens 
einem Jahre. Während aber das Gericht alle zu Zuchthaus 
Verurteilten unter Aufenthaltsbeschränkung stellen kann, darf 
es dies bei einer mindestens einjährigen Gefängnisstrafe bloß 
in einigen im Gesetz besonders bestimmten Fällen tun, so 
bei verabredetem Geheimnisverrat im Komplott, sofern 
dieser noch nicht ausgeführt und noch nicht zu strafbarem 
Versuche gediehen ist (§111 und § 114), ferner bei gewerbs¬ 
mäßigem Glücksspiel (§299) und bei gewissen Sitt¬ 
lichkeitsdelikten [= gewerbsmäßig betriebene widernatür¬ 
liche Unzucht (§ 250 Abs. 3), einfache und schwere Kuppelei 
(§§251 und 252), Frauenhandel und Kuppelei mit hinter¬ 
listigen Kunstgriffen (§ 253) und Zuhälterei (§ 254)]. Das sind 
die Fälle, bei denen das Gericht mit der Verhängung der 
Aufenthaltsbeschränkung der Landespolizeibehörde die Be¬ 
fugnis erteilen kann, den Ausländer aus dem Reichsgebiet zu 
entfernen, und zwar für immer (vgl. Begründung zum VE. 
S. 182). Bei Wegfall der von verschiedenen Seiten angefoch¬ 
tenen Aufenthaltsbeschränkung genössen die Ausländer so¬ 
gar noch größere kriminelle Freiheiten als nach dem alten 
Recht, wenn nicht andere gesetzliche Bestimmungen geschaf¬ 
fen würden. Aber selbst wenn der §53 aufrecht erhalten 
bliebe, so ist der Kreis der von ihm betroffenen Ausländer 
nicht groß genug, um ihrer Kriminalität kräftiger zu begegnen. 
Man denke doch nur an die überaus zahlreichen von Aus- 



45 


ländern verübten Körperverletzungen (s. Tabelle 2 ini 
Zusammenhalt mit Tabelle 3). 

Allerdings bietet der VE. noch eine weitere Möglichkeit 
im § 42 Abs. 2. Ist der Ausländer nach § 42 Abs. 1 zu Arbeits¬ 
haus verurteilt worden, so steht es der Landespolizeibehörde 
zu, ihn statt oder neben der Unterbringung im Arbeitshause 
aus dem Reichsgebiete auszuweisen. Allein diese Maßnahme 
ist nur statthaft, wenn die strafbare Handlung auf Lieder¬ 
lichkeit und Arbeitsscheu zurückzuführen ist und auch 
bloß in den vom Gesetze besonders bestimmten Fällen. 
Diese Fälle lassen gegenüber dem jetzigen Rechtszustande 
wohl eine häufigere Einweisung in das Arbeitshaus zu. Man 
kann außer in den Fällen der bekannten Übertretungen (§361 
und §362 RStGB. und §§305 Ziff. 1-4, 306 Ziff. 1.2, 310 
Abs. 2 des VE.) den Dieb (§ 269), den Erpresser (§ 275), den 
Betrüger (§ 276), den gewerbsmäßigen Glücksspieler (§ 299) 
und gewisse Sittlichkeitsverbrecher (§§250 bis 255) ins 
Arbeitshaus schicken. Aber die Voraussetzung bleibt eben 
doch immer ,,Liederlichkeit und Arbeitsscheu“ als Wurzel 
der Straftat, und solche begegnet uns Strafvollzugsbeamten 
bei Ausländern nur selten. Also auch §42 läßt der Aus¬ 
länderkriminalität noch zuviel Spielraum. 

Wie stellt sich der Gegenentwurf zu unserer Frage? 
Unter Streichung der Aufenthaltsbeschränkung bestimmt er 
im §79: ,,Neben der Verurteilung zu Zuchthaus oder einer 
mindestens ein Jahr betragenden Gefängnisstrafe oder zur 
Unterbringung in einem Arbeitshaus (§ 68) oder einer Verwah¬ 
rungsanstalt (§ 98) kann gegen einen Ausländer auf Auswei¬ 
sung aus dem Inlande erkannt werden. 

Die Ausweisung erfolgt, nachdem die Strafe oder die 
Freiheitsentziehung vollzogen, verjährt oder erlassen ist.“ 

Auch in den Entwürfen zu den neuen Strafgesetzbüchern 
Österreichs und der Schweiz tritt das Bestreben, der Aus¬ 
länderkriminalität zu Leibe zu rücken, mehr oder weniger scharf 
hervor. So heißt es im österreichischen VE. in § 40: ,,Ein Aus¬ 
länder, der zu einer 1 Jahr erreichenden Freiheitsstrafe ver¬ 
urteilt wird, kann für immer oder für 10 Jahre aus dem In¬ 
lande ausgewiesen werden, wenn er nach seinem Lebenswandel 
und der Eigenart seiner Tat als gefährlich für die Sicherheit 
des Staates, die Sittlichkeit oder die Sicherheit der Person, 
des Vermögens oder des Geldverkehrs anzusehen ist.“ Der 
Schweizerische VE. will auch die Ausländer teilnehmen lassen 
an dem Segen des bedingten Straferlasses unter Be¬ 
schränkung der Ausweisungsmaßnahme auf Zuchthaus und 



46 


Verwahrungsbedürftige, Der diesbezügliche §56 lautet: „Der 
Ausländer, der zu Zuchthaus oder zu Verwahrung verurteilt 
wird, kann für drei bis fünfzehn Jahre des Landes verwiesen 
werden. Die Verweisung wird wirksam, sobald der Ver¬ 
urteilte aus der Anstalt endgültig entlassen wird. 

Ist der Verurteilte bedingt entlassen worden und hat er 
sich in der Probezeit bewährt, so kann der Richter die Landes¬ 
verweisung aufheben.“ 

.Mir persönlich geht der GE. noch nicht weit genug, 
da die Ausländer sehr stark an den Gefängnisstrafen unter 
einem Jahre beteiligt sind. Wie wäre es, wenn man dem § 88 
des VE. als Absatz 5 den Zusatz gäbe: ,,Gegen den rück¬ 
fälligen Ausländer kann auf Ausweisung aus dem Reichs¬ 
gebiete erkannt werden; von der Ausweisung kann abgesehen 
werden, falls bedingte Begnadigung eintritt und die Probe¬ 
zeit bestanden wird“? Indessen wollen wir froh sein, wenn 
wenigstens der GE. mit seinem Vorschläge in der Hauptsache 
sich durchsetzt. 


Das Ende des Dualismus im preußischen 

Gefängniswesen. 

Von Direktor Dr. Scliwandner, Ludwigsburg. 

Eines hochwichtigen Ereignisses ini preußischen Gefängnis¬ 
wesen ist auch in diesen Blättern Erwähnung zu tun; der 
Dualismus, d. h. die Unterstellung der Gefängnisse und 
Strafanstalten unter zwei verschiedene Verwaltungen, die 
Justizverwaltung und die Verwaltung des Innern hat auf¬ 
gehört! Ein Allerhöchster Erlaß v. 14. X11. 1917 hat ver¬ 
fügt, daß der Vollzug der gerichtlich erkannten Freiheits¬ 
strafen, soweit sie von den Zivilbehörden zu vollstrecken sind, 
nunmehr ausschließlich der Justizverwaltung übertragen und 
ihr die Verwaltung und Beaufsichtigung der bisher dem Mini¬ 
sterium des Innern unterstellten Strafanstalten und Gefäng¬ 
nisse, mit Ausnahme der Polizeigefängnisse, überwiesen wird. 

Mit einem Federstrich ist damit ein langjähriger, zeitweise 
mit Heftigkeit geführter Streit aus dem Wege geräumt. Was 
die vielen parlamentarischen und literarischen Erörterungen 
nicht fertig gebracht haben, hat der Krieg und der durch ihn 
ausgelöste Ruf nach Vereinfachung der gesamten Staats¬ 
verwaltung zu glatter Lösung geführt. 

Mit dem 1. April hat der Vollzug dieser Vereinheitlichung 
begonnen; die Durchführung wird wohl geraume Zeit in An¬ 
spruch nehmen. Der seitherige Vortragende Rat im Mini¬ 
sterium des Innern, Geh. Oberreg. Rat Dr, Finkelnburg ist 
als Geh. Oberjustizrat und Referent für das Gefängniswesen in 
das Justizministerium versetzt worden. — 

Die Wichtigkeit und Bedeutung dieses Ereignisses für den 
gesamten deutschen Strafvollzug mag es rechtfertigen, wenn 
der jetzt der Geschichte angehörigen, auch in diesen Blättern 
und in unsern Versammlungen mehrfach erörterten Zwei¬ 
teilung ein Nachruf gewidmet und damit ein Ausblick auf die 
künftige Gestaltung des Strafvollzugs in Preußen und in 
Deutschland überhaupt verbunden wird. 

Die Trennung der Justiz von der Verwaltung beruht in 
Preußen auf einer Kgl. Verordnung v. 27. Oktober 1810. Zum 


48 


Geschäftsbereich des Justizministers sollte gehören: Alles ohne 
Ausnahme, was die Oberaufsicht über die gesamte Rechts¬ 
pflege betrifft. Dem Minister des Innern wurde übertragen: 
die Polizeiverwaltung in ihrem weitesten Umfang. Dazu ge¬ 
hörte: Ausmittelung und Ergreifung von Verbrechern, General¬ 
visitationen, Gefängnisse, Straf- und Korrektionsanstalten. 
Untersuchungshaft und Strafvollzug galten als ein im öffent¬ 
lichen Interesse vorzunehmender Polizeiakt. Der Minister 
des Innern hatte demnach die Verwaltung sämtlicher staat¬ 
licher Gefangenanstalten ohne Rücksicht auf Untersuchungs¬ 
oder Strafhaft. Allerdings sollte die Justiz von einer Mit¬ 
wirkung bei dem Gefängniswesen nicht ausgeschlossen sein; 
die Mitwirkung der Landesjustizkollegien sollte sich aber 
lediglich auf die Sorge für die Vollstreckung der Strafen er¬ 
strecken, wobei jenen Kollegien jederzeit eine Untersuchung 
der Gefangenanstalten zugestanden wurde. 

Mit der Einverleibung der Rheinprovinz (1815) kamen die 
nach der französischen Behördenverfassung der Vollzugs¬ 
behörde unterstehenden Gefängnisse und Strafanstalten eben¬ 
falls in die Hände der Verwaltung des Innern. 1819 verlangte 
der Minister des Innern aus finanziellen Rücksichten, daß der 
Justizminister die Untersuchungsgefängnisse zu übernehmen 
habe. Der Justizminister widersprach; der Finanzminister 
schloß sich der Ansicht des Ministers des Innern an. Nach 
langwierigen Verhandlungen erfolgte 1823/24 der Übergang 
sämtlicher Untersuchungsgefängnisse an das Justizministerium. 
Damit war der Dualismus ins Leben getreten. Eine völlige 
Trennung von Untersuchungs- und Strafgefängnissen war 
übrigens nie eingetreten: in der Rheinprovinz blieben sämt¬ 
liche Gefängnisse, auch die Untersuchungsgefängnisse, bei der 
inneren Verwaltung, während in den Untersuchungsgefäng¬ 
nissen der alten Provinzen, die unter der Justizverwaltung 
standen, tatsächlich auch Strafgefangene untergebracht waren. 
Daneben verblieb das Mitwirkungsrecht der Justizverwaltung. 
Dieses ,,gemeinschaftliche Wirken“ führte fortgesetzt zu un¬ 
erfreulichen Reibungen, so daß 1840 der Justizminister dem 
Minister des Innern vorschlug, die gesamten Gefangen¬ 
anstalten, einschließlich der Zuchthäuser, jedoch mit Aus¬ 
nahme der Polizeigefängnisse und der Landarmenhäuser an 
die Justiz übergehen zu lassen. Der Minister des Innern ver¬ 
hielt sich ablehnend; der Justizminister drang wiederum auf 
Vereinigung der Gefängnisverwaltung, wobei er es als ihm 
gleichgültig bezeichnete, in wessen Hand die Vereinigung statt¬ 
finden solle. Auch dieser Vorschlag fand keinen Anklang. 



»• .1 


- 49 — _ 

Im Jahre 1845 erging auf Veranlassung des Reorganisators 
des preußischen Gefängniswesens, Dr. Julius aus Hamburg, 
eine Kabinettsordre, nach der sämtliche Gefängnisse der 
Justizverwaltung zu überweisen seien; die Verhandlungen 
darüber zogen sich bis in das Jahr 1848 hin und fanden ihren 
Abschluß in dem Vorschlag der- beiden Ressortminister vom 
3. Juni 1848: in Rücksicht auf die eingetretenen Ereignisse 
und bei der bevorstehenden ganzen Organisation des Staates 
und namentlich der Kriminalrechtspflege, die Angelegenheit 
auf sich beruhen zu lassen. 1850 trat unter dem Einfluß 
rheinischer Juristen über die ausschließliche Aufgabe der 
Justiz und insbesondere über deren Stellung zum Gefängnis¬ 
wesen der Justizminister die Verwaltung der Untersuchungs¬ 
gefängnisse des Stadtgerichts in Berlin, Breslau, Striegau und 
Hamm an die innere Verwaltung ab, weshalb er im Abgeord¬ 
netenhause 1861 lebhaft angegriffen wurde. Eine weitere 
Vertiefung des Dualismus erfolgte durch die Vereinbarung 
vom 19. Mai 1852 dahin: daß die Verwaltung der Zentral¬ 
gefängnisse zum Vollzug von mehr als dreimonatiger Gefängnis¬ 
strafe, deren sehr nötige Einrichtung beschlossen war, nach 
Herstellung und Einrichtung durch die Justizverwaltung an 
die innere Verwaltung übergehen sollte. Dies geschah mit 
den Gefängnissen in Berlin, Kottbus und Hamm. Bisher 
hatte in allen Provinzen, mit Ausnahme der Rheinprovinz, die 
Justiz den Vollzug aller Gefängnisstrafen, die innere Verwal¬ 
tung den aller Zuchthausstrafen gehabt. Nunmehr erfolgte 
der Vollzug einer und derselben Strafe (Gefängnis) in den 
meisten Provinzen durch zwei Ressorts. 

Bei dem Gebietszuwachs von 1866 hatte der Dualismus 
die Folge, daß die in Hannover und Hessen-Nassau Vorge¬ 
fundene einheitliche Gefängnisorganisation zerrissen wurde. 

Im preußischen Abgeordnetenhause begannen mit dem 
Jahre 1868 die Anregungen zur Beseitigung des Dualismus 
und wiederholten sich seither. Die Streitlage war insofern 
verändert, als nun jeder der beteiligten Minister seinen Besitz¬ 
stand festhalten wollte. Über die Schädlichkeit des beste¬ 
henden Zustandes aber war man einig. Durch die Einfüh¬ 
rung des Gerichts-Verfassungs-Gesetzes und der Strafproze߬ 
ordnung von 1879 kam der Dualismus auch in die Rhein¬ 
provinz: jedes Amtsgericht sollte ein Gefängnis haben; in 
manchen Gerichtsorten befand sich aber kein Gefängnis der 
inneren Verwaltung. Der Justizminister ersuchte um Ein¬ 
richtung der fehlenden Gefängnisse, was die innere Verwal¬ 
tung grundsätzlich ablehnte. Er sah sich daher gezwungen, 

Blätter für Gefängniskunde, Bd. LU. 4 




50 


bei einigen Amtsgerichten Gefängnisse in Verbindung mit den 
Gerichtsgebäuden zu errichten und in eigene Verwaltung zu 
nehmen. Dieses Verfahren fand keinen Widerspruch. Wäh¬ 
rend der Besitzstand der inneren Verwaltung durch Über¬ 
nahme der Kantongefängnisse in den ehemals französischen 
Teilen der Rheinprovinz einen Zuwachs erfuhr, begann die 
Justizverwaltung auch in den alten Provinzen, und zwar 
zuerst in Berlin-Plötzensee aus Mangel an Raum in den Ge¬ 
fängnissen der inneren Verwaltung eigene Gefängnisse für 
Strafgefangene zu bauen. Seit 1879 nahm die Zahl der Plätze 
für solche Gefangene ständig und rasch zu; auch gingen ein¬ 
zelne Gefängnisse der inneren Verwaltung auf die Justiz¬ 
verwaltung über, während erstere wiederum neue Gefängnisse 
erbaute, ohne daß ein organischer Plan bei diesen Änderungen 
erkennbar gewesen wäre; es handelte sich vielmehr lediglich 
um Abrundung des Besitzstandes oder finanzielle Fragen. 
Nach und nach ergab sich ein Übergewicht der Justizverwal¬ 
tung. Zum Schluß war der Besitzstand folgender: 

Dem Ministerium des Innern unterstanden: die sämt¬ 
lichen zur Vollstreckung von Zuchthausstrafen bestimmten 
30 Anstalten, 23 größere Gefängnisse zur Aufnahme von 
Gefängnis-, Haft- und Untersuchungsgefangenen; 45 sogen. 
Kantongefängnisse in der Rheinprovinz, welche die amts¬ 
gerichtlichen Untersuchungsgefangenen, ferner die Haft- und 
Gefängnisgefangenen aufnahmen, die eine Strafe von nicht 
länger als 14 Tagen zu verbüßen haben, mit einer Gesamt- 
Durchschnittsbelegung von 307 Köpfen. 

Der tägliche Durchschnittsstand der 53 Strafanstalten und 
größeren Gefängnisse war (im Jahre 1913) 

an Zuchthausgefangenen: 11361 Köpfe, 

,, Untersuchungsgefangenen: 10934 ,, 

Zusammen: 22295 Köpfe. 

Der Justiz Verwaltung waren alle übrigen Gefängnisse unter¬ 
stellt; ihre Zahl betrug (am 31. März 1914): 1065. Der täg¬ 
liche Durchschnittsbestand betrug (1913): 31411 Gefangene, 
darunter 8831 Untersuchungsgefangene. — 

Am 31. März 1915 standen bei der inneren Verwaltung 
bei einer Belegungsfähigkeit von 25093 Betten 19865 Zellen 
zur Verfügung und zwar 13424 für Tag und Nacht und 6441 
nur für die Nacht; bei der Justizverwaltung bei einer Be¬ 
legungsfähigkeit von 44871 Betten 28667 Zellen, und zwar 
21476 für Tag und Nacht, 7191 nur für die Nacht; m. a. W.: 
in der Verwaltung des Innern konnten 53,4% der Gefangenen 




51 



bei Tag und Nacht, und 25,6% nur bei Nacht in Einzelhaft 
untergebracht werden, in der Justizverwaltung 47,8% bei 
Tag und Nacht, und 16,2% nur bei Nacht. 

Der Ertrag an Arbeitslöhnen belief sich 1913 

in den justizgefängnissen auf. 4480566 M.—, 

in den Anstalten der inneren Verwaltung auf . 2187922 M.—. 

Dieser Dualismus bedeutete als Verwaltungs-Dualismus 
in erster Linie eine Verteuerung des Strafvollzugs: durch eine 
Zusammenlegung können Personal- und Verpflegungskosten 
erspart werden; vor allem aber ist eine zweckmäßigere und 
bessere Ausnützung der vorhandenen Räume möglich, so daß 
Überfüllung der Anstalten in der einen und nichtvollständige 
Belegung in der anderen Verwaltung nicht mehr eintreten 
können; auch läßt sich die Notwendigkeit und die Größe von 
Neubauten besser übersehen und zweckmäßiger gestalten. 

Die bisherige Zweiteilung hatte aber auch einen Vollzugs- 
Dualismus im Gefolge, indem für die beiden Verwaltungen ver¬ 
schiedene Vollzugsverordnungen und verschiedene Haus¬ 
ordnungen, die der Strafe erst den eigentlichen Inhalt geben, 
maßgebend sind. 

Für die innere Verwaltung galt bisher die Dienst¬ 
ordnung vom 14. XJ[. 1902; für die Gefängnisse der Justiz¬ 
verwaltung die Gefängnis-Ordnung vom 21. XII. 1898. Beide 
Vorschriften gehen in zahlreichen Einzelheiten auseinander. 
So hat z. B. die innere Verwaltung in Absicht auf die Behand¬ 
lung der Rückfälligen einen ganz anderen Rückfall-Begriff 
als die Justizverwaltung; bei der ersteren ist rückfällig ein 
Gefangener, welcher wenigstens drei Freiheitsstrafen verbüßt 
hat, darunter eine oder mehrere yon 6 Monaten und darüber. 
Die Justizverwaltung kennt Rückfällige in diesem Sinne 
nicht; sie spricht nur von Vorbestraften; es gibt bei ihr 
keinen festformulierten Rückfallsbegriff, vielmehr wird von 
Fall zu Fall unterschieden, namentlich wegen der allgemeinen 
Behandlung am Straforte (z. B, bezüglich der Anwendung der 
Einzelhaft und der Absonderung in der Gemeinschaftshaft). 
— Auch in der Behandlung des Ehrverlusts, bezüglich der 
Selbstbeköstigung und des Tabakrauchens bestehen Unter¬ 
schiede; namentlich aber auch im Vollzug der kurzen Frei¬ 
heitsstrafen. Bei der inneren Verwaltung werden die Einzelhaft- 
Gefangenen bei Strafen bis zu 14 Tagen in der Regel ohne Arbeit 
gelassen, während die Justizverwaltung die Entziehung der 
Arbeit bis zu 1 Woche nur als Disziplinarstrafe kennt. Ferner: 
die Fesselung ist in der Verwaltung des Innern als Disziplinar- 


4 * 




52 


strafe zulässig, in der Justizverwaltung nur als Sicherungs¬ 
mittel, 

Mißlich war auch, daß bei der Anwendung der vorläufigen 
Entlassung die innere Verwaltung keine entscheidende Mit¬ 
wirkung hatte; auch die Gefängnisse der inneren Verwaltung 
unterstanden in dieser Hinsicht der Justizverwaltung, ein 
Umstand, der im Laufe der Jahre zu zahlreichen Mißhellig¬ 
keiten geführt hat. 

Diese Unterschiede in der Handhabung des Strafvollzugs 
waren vielfach grundsätzlicher Art und insofern war dieser 
Zustand kriminalpolitisch unbefriedigend, zumal er vielen 
Gefangenen, die Vergleiche anstellen konnten, nicht verständ¬ 
lich war. Besonders mißlich wirkten diese Unterschiede, wenn 
Gefängnisse beider Verwaltungen an einem und demselben 
Ort waren. 

War man in Preußen aus diesen Gründen darüber einig, 
daß der Dualismus schädlich und deshalb zu beseitigen sei, 
so herrschte darüber um so mehr Streit: an wen die gesamte 
Verwaltung übergehen sollte. Während in den ersten Jahren 
der Zweiteilung jeder der beiden Minister seinen Teil dem 
andern abgeben wollte, beanspruchte später jeder das Ganze, 
Die innere Verwaltung nahm den Strafvollzug als eine der 
öffentlichen Sicherheit dienende Einrichtung für sich in An¬ 
spruch. Bei der Zunahme des Verbrechertums handle es sich 
beim Strafvollzug nicht so fast um das juristisch-spekulative 
Theorem der Sühne des Rechtsbruchs, als um die praktische 
Aufgabe des Schutzes der Gesellschaft. Die innere Verwaltung, 
bei der alle Fäden der gesamten Sicherheits- und Wohlfahrts¬ 
polizei und der Verbrechensverhütung zusammenlaufen, könne 
diese Aufgabe am besten lösen; ja, sie könne sie gar nicht 
entbehren, weil es den Beamten der öffentlichen Sicherheit 
nur in den Strafanstalten möglich sei, den Verbrecher und seine 
Umwelt näher kennen zu lernen. Ihr den Strafvollzug neh¬ 
men, hieße: sie im Kampf gegen das Verbrechen lahm legen! 
Die Justizverwaltung dagegen wollte den Strafvollzug seinem 
innersten Wesen nach als einen Akt der Rechtspflege zur 
Vollstreckung der Strafurteile, die erst durch ihn Gehalt und 
Inhalt gewinne, betrachtet wissen. Der Strafrechtspflege 
würde mit dem Strafvollzug eine wesentliche, ja beinahe die 
wichtigste Aufgabe entzogen. Das Strafgesetzbuch stelle nicht 
die Sicherung der Gesellschaft als Strafzweck auf, lasse viel¬ 
mehr erkennen, daß sowohl Vergeltung und Abschreckung, 
als auch Prävention und Besserung als Strafzwecke festgelegt 
seien. Die Justiz verliere durch den Strafvollzug an Ansehen, 



53 


insofern die Bevölkerung erkennen müßte, daß der Schwer¬ 
punkt der Strafrechtspflege nicht bei der Justiz, vielmehr bei 
der Verwaltung liege. 

Dieser letzteren Auffassung hat auch unser Verein schon 
im Jahre 1871 bei seiner Münchener Tagung Ausdruck gegeben 
und zwar war es ein württembergischer Strafanstaltsvorstand 
(Wullen-Ootteszell), der als Hauptaufgabe des Strafvollzugs 
bezeichnet hat: die Verwirklichung des Strafurteils; (,,die Ent¬ 
faltung einer Tätigkeit, welche die loyale Vollziehung des 
rechtskräftig ergangenen Straferkenntnisses in allen ihren Kon¬ 
sequenzen verbürge“, Bl. f. Gef.-Kde. VI. S. 23ff.). Die Ver¬ 
sammlung trat mit großer Mehrheit dieser Anschauung bei 
und sprach sich für Vereinigung des preußischen Strafvollzugs 
bei der Justizverwaltung aus. Dagegen hatte im Jahre 1905 
eine Konferenz katholischer Strafanstaltsgeistlicher innerhalb 
der Rheinisch - Westfälischen Gefängnis - Gesellschaft den 
Strafvollzug für die innere Verwaltung in Anspruch genom¬ 
men und Pfarrer Jakobs-Werden a. Ruhr hat diesen Stand¬ 
punkt in einer im Februar 1906 erschienenen Schrift: ,,Der 
Dualismus im preußischen Gefängniswesen“ nachdrücklich 
vertreten. Seine Ausführungen wurden aber durch Klein, 
den damaligen Direktor von Tegel, im Gerichtssaal, Bd. 68, 
S. 21ff. erschöpfend und ni. E. überzeugend widerlegt, ln 
der Deutschen Juristen-Zeitung, 1905, S. 969 ff. war Hamm 
für die Justizverwaltung eingetreten. Dagegen vertritt Kriegs¬ 
mann in seiner ,,Einführung in die Gefängniskunde“ (S. 135) 
die innere Verwaltung; ebenso Goldschmidt (Vergl. Dar¬ 
stellung, IV, S. 39ff.); letzterer aber in Verbindung mit 
richterlichem Aufsichtsrecht, v. Jage mann (Handbuch des 
Gefängniswesens II, S. 415) spricht sich für die Justizverwal¬ 
tung aus, indem er sagt: ,,sittlich und juristisch richtiger ist 
die deutsche Auffassung des Strafvollzugs als eines den Schlu߬ 
stein der Rechtspflege bildenden Rechtsakts“ und Walffen 
(in ,,Reformbestrebungen auf dem Gebiete des Strafvollzugs“, 
Dresden 1905) sagt: ,,Die Auffassung, daß der Strafvollzug 
von dem Strafprozesse abgeschnitten werden kann, ist für 
unsere Zustände charakteristisch“ und weiter: ,,der ganze 
Strafprozeß trieft sozusagen von Juristerei und im Strafhause, 
wo der Prozeß verdaut werden soll, braucht kein Mensch 
etwas davon zu verstehen!“ 

Wiehern und Krohne, die Reformatoren des Straf¬ 
vollzugs der inneren Verwaltung waren selbstverständlich 
überzeugte Anhänger der Zuständigkeit der inneren Ver¬ 
waltung. — 



Die Entscheidung ist nun auf die Seite der Justizverwaltung 
gefallen und sie mußte dahin fallen, wenn von einer Ver¬ 
einigung überhaupt die Rede sein sollte. Denn darüber war 
kein Streit, daß die Untersuchungsgefängnisse wegen der ma߬ 
gebenden Bedeutung der richterlichen Entscheidung für die 
Untersuchungshaft und die Mehrzahl der kleineren Gerichts¬ 
gefängnisse wegen ihrer räumlichen Verbindung mit den Amts¬ 
gerichtsgebäuden bei der Justizverwaltung bleiben sollten. 
Eine Vereinigung war also nur in der Hand der Justizverwal¬ 
tung möglich. — 

Dieser Rückblick auf die Entstehung und Entwicklung der 
Zweiteilung im preußischen Gefängniswesen soll aber nicht 
abgeschlossen werden, ohne den Hinweis auf die hohen Ver¬ 
dienste, die die innere Verwaltung um die Neugestaltung des 
gesamten deutschen Strafvollzugs sich erworben hat. Namen 
wie Wiehern und Krohne werden unvergessen bleiben! 

Man darf aber nicht außer acht lassen, daß die Justiz¬ 
verwaltung im Anfang der Entwicklung des preußischen Ge¬ 
fängniswesens insofern erheblich im Nachteil war, als sie es 
anfänglich nur mit den Untersuchungs- und den kleineren 
Amtsgerichtsgefängnissen zu tun hatte, die von jeher die 
Schmerzenskinder des Gefängniswesens waren und heute noch 
sind. Erst als sie, gedrängt durch den Raummangel in den 
Strafanstalten der inneren Verwaltung, eigene größere Straf¬ 
gefängnisse bauen mußte, konnte sie zeigen, was sie leisten 
konnte. Und — in der Tat — die neuen Anstalten der Justiz¬ 
verwaltung stehen denen der inneren Verwaltung für den un¬ 
parteiischen, sachverständigen Beobachter in keiner Weise 
nach. Freilich war die Justizverwaltung in der glücklichen 
Lage, die von der inneren Verwaltung — oft mit teuerem 
Lehrgeld — gemachten Erfahrungen für sich verwerten zu 
können. Man hat vielfach der Justizverwaltung den Vor¬ 
wurf gemacht, sie habe in Berlin (Plötzensee, Tegel und Unter¬ 
suchungsgefängnis Moabit) zu groß gebaut, so daß die große 
Zahl der Gefangenen in der einzelnen Strafanstalt nicht über¬ 
sehen werden könne. Dabei muß aber doch auch berück¬ 
sichtigt werden, daß die Verhältnisse in Berlin dazu drängten: 
Die große Zahl der unterzubringenden Gefangenen zwang zur 
Errichtung großer Anstalten. Die Teilung in mehrere kleinere 
Anstalten hätte unverhältnismäßige Mehrkosten für den Bau 
und die Verwaltung verursacht. Das eine Lob, das man dem 
Dualismus oft spenden hörte: der durch ihn hervorgerufene 
Wettbewerb der beiden Verwaltungen habe fruchtbringend 
auf das preußische Gefängniswesen eingewirkt, wird doch wohl 



55 


nicht ernst zu nelimen sein. Sonst müßte ja das Gefängnis¬ 
wesen in den übrigen deutschen Staaten, bei denen (mit Aus¬ 
nahme von Sachsen) das Gefängniswesen von jeher in der 
Hand der Justizverwaltung war, sehr rückständig geblieben 
sein. Und das wird wohl niemand behaupten wollen. — 

Mit dem 1. April 1918 wird ein täglicher Gefangenenstand 
von rund 55000 Köpfen der Justizverwaltung unterstehen — 
eine gewaltige Aufgabe, deren Bewältigung die größten An¬ 
forderungen an die Oberleitung stellen wird, zumal, wenn man 
bedenkt, daß alle Vollzugsverordnungen einheitlich geregelt 
werden müssen. — 

ln der Fachpresse ist die Nachricht von der Vereinheit¬ 
lichung des preußischen Gefängniswesens in der Hand der 
Justizverwaltung im ganzen günstig aufgenommen worden. 
In der Tagespresse hat das wichtige Ereignis wenig Beach¬ 
tung gefunden. Im ,,Tag“ (Nr. 79 von 1918) hat Freuden¬ 
thal seiner Freude besonders darüber Ausdruck gegeben, daß 
künftighin, wenn der Geist der Justiz dem gesamten Straf¬ 
vollzug nahe sein werde, der Gedanke Verwirklichung finden 
werde, daß alle am Strafvollzug aktiv und passiv Beteiligten 
der Norm des geltenden öffentlichen Rechts unterliegen. 
Damit werde Klarheit geschafft werden, daß Eingriffe in 
irgend welche Rechtsgüter des Gefangenen auf gesetzlicher 
Grundlage beruhen müssen. Die neue einheitliche Dienst¬ 
ordnung werde alle Vorschriften vermeiden, deren gesetzliche 
Grundlage fehlt oder auch nur zweifelhaft ist: ein Gefängnis- 
Recht des Rechtsstaates, das Verfassung und Gesetzen Genüge 
tue, werde die Folge sein. Bei Begründung seines Wunsches, 
daß die mit der Vereinheitlichung angestrebte Verbilligung 
des Strafvollzugs nicht zu falscher Sparsamkeit führen möge, 
wendet sich Freudenthal besonders gegen die etwaige Ersetzung 
der bisherigen hauptamtlich angestellten besonderen Ge¬ 
fängnis-Direktoren an den großen Gefängnissen durch Staats¬ 
anwälte oder Richter im Nebenamt; nebenamtliche Tätig¬ 
keit komme hauptamtlichem Wirken, wo es sich um große 
Aufgaben handle, nicht gleich. Auch die Gestaltung der 
Gefängnis-Arbeit dürfe nicht einem fiskalischen Gesichtspunkt 
unterstellt werden. Das Interesse des Staates und eines 
weitblickenden Strafvollzugs an der Ausbildung der Gefan¬ 
genen durch Arbeit sei letzten Endes unendlich größer, als 
das an einer Erhöhung des staatlichen Anteils am Ertrage 
der Arbeit. — Bei der Frage der Auswahl der Gefängnis- 
Direktoren will Freudenthal den Nachdruck darauf gelegt 
wissen, daß die betr. Persönlichkeit im Hinblick darauf, daß 



56 


es das höchste Interesse des Staates bei längerem Strafvollzug 
sei, aus Verbrechern nützliche Menschen zu machen, in diesem 
Sinne zur Erziehung geeignet erscheine. Wenn auch ein ge¬ 
wisses Monopol für die Juristen mit Rücksicht auf ihre for¬ 
male Schulung, ihre Kenntnis des Strafrechts und Straf¬ 
prozesses nicht zu bestreiten sei, so eignen sich doch auch 
Philologen, Theologen, National-Ökonomen, Mediziner, ehe¬ 
malige Offiziere und Kaufleute für diese Stellen, sofern sie 
zur bürgerlichen Erziehung das Zeug haben. Für ihre Durch¬ 
bildung nach der formalen juristischen Seite werde sich sorgen 
lassen und eine solche gründliche Vorbildung sei allerdings 
die conditio sine qua non für ihre Einstellung. — 

In der Zeitschrift für die gesamte Strafrechts¬ 
wissenschaft (Bd. 39, S. 462) begrüßt v. Hippel die ge¬ 
troffene Entscheidung freudig: allein die Zuweisung zum Justiz¬ 
ministerium bringe das Gefängniswesen in den Zusammen¬ 
hang, in den es sachlich gehöre, in den Zusammenhang mit 
dem Strafrecht. Die Zuteilung zum Ministerium des Innern 
hätte zwar auch den Dualismus innerhalb des Gefängnis- * 
Wesens beseitigt, dafür aber einen viel schlimmeren Zustand 
geschaffen: den Dualismus zwischen Strafrecht und Straf¬ 
vollzug. Die Aufgaben der Justiz würden dann endigen mit 
dem Richterspruch; die weitere Behandlung des Verurteilten 
wäre Sache der Verwaltung. Das seien für das neue Straf¬ 
recht überwundene Anschauungen. Wir brauchen engstes Zu¬ 
sammenwirken von Strafrecht und Strafvollzug, der seinem 
Wesen nach nichts anderes sei, als die Durchführung des 
Strafrechts im Einzelfalle,' daher von dessen Zwecken be¬ 
herrscht werde und systematisch ebenso zur Rechtspflege 
gehöre, wie die Zwangsvollstreckung des Zivilprozesses. 

Auch Hasse (in der Deutschen Strafrechtszeitung, 1918, 

S. 10 u. 66ff.) billigt die gefundene Lösung der Streitfrage 
lebhaft und verspricht sich davon namentlich eine gründ¬ 
lichere Vertiefung der Richter und Staatsanwälte in die Fragen 
des Strafvollzugs und des gesamten Gefängniswesens, und 
damit die Beseitigung einer wesentlichen Ursache des geringen 
Erfolges unserer Strafrechtspflege; der nicht genügenden 
Kenntnis des Richters vop der Bedeutung und Wirkung der 
Strafen, die er verhängte. Was die örtliche Leitung der Ge¬ 
fängnisse betrifft, so verlangt er Beibehaltung der besonderen 
Direktoren an den bisher der inneren Verwaltung unterstellt 
gewesenen 39 größeren Strafanstalten, dagegen will er die 
weiteren 14 Strafanstalten, die seither durch Subalternbeamte 
(Oberinspektoren) geleitet wurden, den Erstgn Staatsanwälten 



57 


oder den Richtern, oder einem etwa in der Nähe befindlichen 
Direktor einer größeren Strafanstalt unterstellt wissen. 

Dagegen wendet sich Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. Lotz- 
Berlin (in der Deutschen Str.-Rechts-Ztg., 1918, S. 90ff), der die 
Gründe für die Vereinheitlichung in der Hand der Justiz 
nicht für durchschlagend hält, angesichts der nun nicht mehr 
zu ändernden Entscheidung aber mit Entschiedenheit gegen 
die Verwendung der Staatsanwaltschaft als Aufsichts- und 
Leitungsbehörde des Gefängniswesens ins Feld zieht. Die die 
Strafe vollziehenden Behörden müssen den Gefangenen un¬ 
befangen gegenüberstehen und sich ausschließlich auf den 
Strafrichter stützen; beim Staatsanwalt wirken seine Erfah¬ 
rungen, die er vor dem Urteil und während der Verhandlung 
mit dem Angeklagten gemacht habe, noch nach: er sei nicht 
unbefangen genug, um über Disziplinarstrafen und vorläufige 
Entlassung richtig entscheiden zu können. Nach seinen Er¬ 
fahrungen, die er als jahrelanger Departementsrat in verschie¬ 
denen Regierungsbezirken gemacht habe, und die von vielen 
Strafanstaltsbeamten, Direktoren, Ärzten usw. bestätigt wer¬ 
den, verhindere die maßgebende Mitwirkung der Staatsanwalt¬ 
schaft nicht selten unmittelbar Maßnahmen, die das Straf¬ 
gesetz beabsichtigt und die für die Zurückführung Bestrafter 
in einen geordneten Lebensweg von Wichtigkeit sind. Er 
habe es wiederholt erlebt, daß die Staatsanwaltschaft die vor¬ 
zeitige Entlassung eines Gefangenen aus der Strafhaft oder 
seine Begnadigung gegenüber den Vorschlägen der Gefängnis¬ 
beamten vereitelt habe, indem sie sich auf die Beurteilung 
des Gefangenen zurückzog, die sie selbst vor Aburteilung des 
Sträflings gewonnen habe. Es sei deshalb richtiger, die Lei¬ 
tung des Strafvollzugs, und wo besondere Direktoren ange¬ 
stellt sind, die Aufsicht in die Hand der Gerichte (Straf¬ 
kammern) oder der aus ihnen zu wählenden Kommissare zu 
legen; einschneidende Beschlüsse seien dem Kollegium vor¬ 
zubehalten. — 

Schmidt (in Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissen¬ 
schaft, 39, S. 459) kann die Freude des preußischen Abgeord¬ 
netenhauses über die getroffene Entscheidung nicht teilen. 
Nach seiner Ansicht hätte der Gedanke an die Zukunft für die 
innere Verwaltung sprechen müssen, da künftig im Hinblick 
auf die kommenden sichernden Maßnahmen die Aufgaben der 
Strafrechtspflege ohne weitgehende Mitwirkung der inneren 
Verwaltung keineswegs gelöst werden können. Man würde 
also wiederum einen Dualismus erhalten, der sich vielleicht 
peinlicher bemerkbar machen werde, als der nun überwun- 



58 


dene. Schon jetzt unterstehen alle Fürsorge- und Zwangs- 
Erziehungsanstalten und die Arbeitshäuser dem Ministerium 
des Innern, und daran soll nichts geändert werden. Zweifel¬ 
los werde dies bezüglich der in den Entwürfen vorgesehenen 
anderen Anstalten zum Vollzug der weiteren sichernden Ma߬ 
nahmen auch der Fall sein. Kriegsmann habe es als un¬ 
diskutabel bezeichnet, die Leitung der Fürsorge-Erziehung 
oder der Arbeitshäuser und die Ausführung all der sichernden 
Maßnahmen des künftigen Strafgesetzbuchs der Justizverwal¬ 
tung zu überweisen. Unter einem neuen Strafgesetzbuch 
werden also wiederum die beiden Verwaltungen an der Lösung 
der dann vom Gesetz gestellten kriminalpolitischen Aufgaben 
zu arbeiten haben. Die Befürchtung sei vielleicht nicht ganz 
unberechtigt, daß ein zweckmäßiges Ineinandergreifen voii 
Strafvollzug und sichernden Maßnahmen dadurch gefährdet 
werden könnte. Schon jetzt habe diese Befürchtung zu prak¬ 
tischen Vorschlägen geführt in der Richtung, daß der Justiz¬ 
verwaltung auch die Arbeitshäuser unterstellt werden sollen. — 

Dies hat Dr.Rosenfeld (in der Deutschenjuristen-Zeitung, 
1918, S. 112) vorgeschlagen. Er führt aus: ln den Arbeits¬ 
häusern werden von den Gerichten durch Urteil als zulässig 
erkannte Strafen (Nebenstrafen) vollstreckt und zwar an Per¬ 
sonen, welche fast ohne Ausnahme schon Freiheitsstrafen in 
Gefangenenanstalten verbüßt haben und erfahrungsgemäß frü¬ 
her oder später nach ihrer Entlassung aus Arbeitshäusern 
in die Gefängnisse zurückkehren. Es erscheine deshalb zweck¬ 
mäßig, auch die Arbeitshäuser der einheitlichen Strafvollzugs- 
Behörde zu unterstellen; ebenso die Verwahrungs-Anstalten 
des § 65 VE. (Anstalten für freigesprochene Geisteskranke und 
verurteilte Vermindert-Zurechnungsfähige). Obwohl nicht zu 
verkennen sei, daß diese Anstalten nach dem Wortlaut des 
Entwurfs polizeiliche Einweisungen sein sollen, sei doch 
aus denselben Gründen, wie bei den Arbeitshäusern die Unter¬ 
stellung der geplanten Verwahrungsanstalten unter die Justiz¬ 
verwaltung wünschenswert. 

Bezüglich des Arbeitshauses teile ich die Ansicht Rosen¬ 
felds vollständig. Wenn künftig der Richter unmittelbar auf 
Arbeitshaus erkennen kann, ohne, wie seither, den Umweg 
über die Landespolizeibehörde nehmen zu müssen, und da der 
Vollzug der Arbeitshausstrafen sich in gar nichts vom Vollzug der 
Freiheitsstrafe unterscheiden wird, so ist nicht einzusehen, warum 
der Vollzug einem ganz anderen Verwaltungsgebiet unterstellt 
werden soll, zumal da künftighin auf Arbeitshaus neben Stra¬ 
fen wegen Diebstahls, Erpressung, Betrugs, Hehlerei, Wucher, 



59 


Kuppelei usw., wenn die Straftat auf Liederlichkeit oder 
Arbeitsscheu zurückzuführen ist, erkannt werden kann. Ob 
letzteres wünschenswert ist, ist eine bestrittene Frage; ich 
möchte mich mit v. Hippel (a. a. 0.) dagegen aussprechen. 
Übrigens weist auch v, Hippel (a, a, 0,) darauf hin, daß kor¬ 
rektioneile Nachhaft mit dem Strafrecht zweifellos in engster 
Beziehung stehe. Wenn bei der Vereinheitlichung des preuß, 
Strafvollzugs die Arbeitshäuser ausdrücklich ausgenommen 
worden sind, so hängt dies wohl damit zusammen, daß die 
22 preußischen Arbeitshäuser keine Staatsanstalten sind, son¬ 
dern im Eigentum und in der Verwaltung der Provinzen stehen. 
Mit Recht wünscht daher Rosenfeld, daß diesem Zustand, 
der zur Folge hat, daß in Preußen keinerlei gemeinsame 
Grundsätze über den Vollzug des Arbeitshauses bestehen, bis 
zum Inkrafttreten des neuen Strafrechts ein Ende gemacht 
werde. 

Auch die Sicherungs-Verwahrungs-Anstalten für 
rückfällige und gewerbsmäßige Verbrecher (im Sinne des § 89 
des Kommissions-Entwurfs) stehen m. E. in so engem Zu¬ 
sammenhang mit dem Strafvollzug, daß sie der Justizverwal¬ 
tung unterstellt werden sollten; die sichernde Maßnahme, 
die in ihnen vollstreckt wird, ist ja nur die Fortsetzung der 
Strafhaft; gewissermaßen eine Übergangsstation vom Zucht¬ 
haus zur Freiheit, wobei vorläufige Entlassung mit Schutz¬ 
aufsicht vorgesehen ist, so daß gar nicht einzusehen wäre, 
warum diese Anstalten einer ganz anderen Verwaltung unter¬ 
stellt werden sollten. Anders dagegen verhält es sich nach 
meinem Dafürhalten mit den Verwahrungsanstalten für Geistes¬ 
kranke und Gemindert-Zurechnungsfähige im Sinne des § 65 
VE. und mit den Trinkerheilanstalten (§43 VE.): sie sind 
zugleich Heilanstalten und gehören in die Verwaltung der¬ 
jenigen Behörde, der auch die Irren- und Krankenanstalten 
und das gesamte Medizinalwesen unterstehen. 

Was die Zwangs- und Fürsorge-Erziehungsanstalten be¬ 
trifft, so meint zwar v. Hippel (a, a. 0.), die Zwangserziehung 
lasse sich grundsätzlich sehr wohl als eine vormundschaftliche 
staatliche Tätigkeit und damit als eine Aufgabe der Justiz 
auffassen. Ich möchte dieser Ansicht nicht beitreten, viel¬ 
mehr meinen, die Zwangs-Erziehungsanstalten, eine Abart der 
sonstigen Erziehungsanstalten, gehören in den Tätigkeits¬ 
bereich der Schul-und Erziehungs-Verwaltung. — Freuden¬ 
thal (a. a. 0.), der den Vollzug aller sichernden Maßnahmen 
der inneren Verwaltung zugewiesen sehen will, legt den Ge¬ 
danken nahe, ob nicht eine Zentralkommission zur Bekämp- 



60 


fung des Verbrechens, bestehend aus Vertretern beider Mini¬ 
sterien und anderen Sachverständigen, die dringend gebotene 
sachliche Geschlossenheit der zu ergreifenden Maßnahmen 
sicherstellen sollte. 

Im übrigen hat v. Hippel Recht, wenn er bezüglich der 
Frage der Zuständigkeit des Vollzugs der künftigen sichernden 
Maßnahmen abwarten will, wie sich die Entwicklung dieser 
bessernden und sichernden Maßnahmen weiter gestaltet. 

Freuen wir uns zunächst einmal darüber, daß für den Voll¬ 
zug der Freiheitsstrafen in Preußen endlich Einheitlichkeit er¬ 
zielt worden ist! — 


i 



Polizei und sozialer Gedanke. 


Vortrag vor der Vereinigung der Jugendgerichtshilfe Württem¬ 
bergs, gehalten in Stuttgart am 14. März 1918. Von Polizei¬ 
rat Dr. Aichele, Stuttgart. 


I. Das jus politiae des 16. und 17. Jahrhunderts gab dem 
Landesherrn das Recht, zur Herbeiführung der ,,irdischen 
Glückseligkeit der Untertanen“ Anordnungen aller Art mit 
Zwangsgewalt zu treffen. Dieser Polizeistaat wurde zerbrochen 
philosophisch durch die Lehre vom Naturrecht, politisch durch 
die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 
vom Jahre 1789. Im neuen Rechtsstaat spricht die Ver¬ 
mutung für die Freiheit des Bürgers vom staatlichen Zwang, 
vorausgesetzt daß diese Freiheit die Ordnung des Gemein¬ 
wesens nicht stört, ln Theorie und Praxis hat die Lehre ge¬ 
siegt, daß die Polizei lediglich die Aufgabe hat, das öffent¬ 
liche Recht und die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu 
schützen. Grundsätzlich treibt die Polizei keine Wohlfahrts¬ 
pflege. Es ist nun gewiß, daß die Polizeibehörde, wenn sie 
z. B. einen Verbrecher festnimmt, Verhaltungsmaßregeln bei 
Fliegerangriffen gibt, bei einem Brandfall die Straßen ab¬ 
sperrt, ansteckende Krankheiten bekämpft, daß sie dabei sozial 
im weitesten Sinne handelt, da jene Tätigkeiten in hervor¬ 
ragendem Maße dem allgemeinen Interesse dienen. Aber das 
gemeinsame Merkmal aller polizeilichen Tätigkeit ist doch 
ein negatives, die Gefahrenabwehr. Ihre Handlungsformen 
sind Zwang und Strafe, Freiheitsbeschränkung und Güter¬ 
eingriff; nebenbei bemerkt bringen sie auch, weil sie ihrer 
innern Natur nach nicht besonders sanft sind, ihren Trägern 
kein Übermaß von Beliebtheit ein. 

II. Es kam der Weltkrieg und mit ihm kommen ganz 
neue Aufgaben. Eine der dringendsten aber ist, die ungeheuren 
Menschenverwüstungen nach Möglichkeit wieder gut zu 
machen, unser heranwachsendes deutsches Geschlecht mög¬ 
lichst zu stärken. ,,Das Gesetz ist mächtig, mächtiger ist die 
Not,“ sagt Goethe. Auch die Polizei wird ernstlich zu prüfen 
haben, ob ihre Rüstung und ihre Mittel genügen. Gewiß 



62 


nicht in dem Sinne, daß ihre durch den Rechtsstaat fest¬ 
gestellten Grundlagen zu verlassen seien; daran denkt niemand. 
Vielmehr ist zu prüfen, ob nicht als sinnfälliger Ausdruck der 
Erweiterung des Rechtsstaates zum Kulturstaat ihr bisheriger 
Aufgabenkreis ergänzt werden soll durch sozialpositive 
Mitarbeit, durch Wohlfahrtspflege im eigenen Bereich. 
Ich bejahe diese Frage. Die Polizei ist zu einer aufbauenden 
Tätigkeit um so eher berufen, da sie in ihrer Eigenschaft als 
„Störungsamt“ alle Ordnungswidrigkeiten im Dasein des 
einzelnen und die Erschütterungen des Volkskörpers sorg¬ 
fältig vermerkt. Ist es nicht natürlich, daß sie nicht Halt 
macht bei der Abwehr der Gefahr, sondern weiterschreitet 
zu gebender Hilfe, daß sie aus einem sozial Neutralen ein Ver¬ 
bündeter wird? Dabei darf ich betonen, daß dieser Plan 
nichts völlig Neues ist: schon bisher haben fortschrittliche 
Polizeiverwaltungen die Sittenpolizei durch die Sittenarbeit 
der Polizeiassistentin ergänzt und es ist namentlich die deutsche 
Gesellschaft für soziale Reform, welche für diese Mitarbeit 
der Frau eintritt. Es gilt eigentlich nur, das Verhältnis von 
Polizei und sozialem Gedanken vollends durchzudenken und 
auf zeitgemäße Grundlagen zu stellen. 

111. Meine Forderung ist, daß die Polizei, insbesondere 
die Großstadtpolizei in den kommenden Frieden mit einem 
besonderen Organ, der sozialen Polizei, eintreten soll, 
welches alle aufbauenden Betätigungen im eigenen Bereich 
umfaßt und auswirkt, ln formeller Hinsicht wäre zunächst 
zu vereinheitlichen: alle Arbeitsgebiete mit sozialem Kern 
sind für sich zusammenzufassen und einer besonderen Stelle, 
welche ein geeigneter Beamter zu versehen hat, zu übertragen. 
Solche Gegenstände wären etwa: Arbeiterschutz, Erwerbs¬ 
arbeit von Frauen und Jugendlichen, Lehrlingssacheh, gewerb¬ 
licher Kinderschutz, Kostkinderwesen, Schulpolizei, Kinder¬ 
mißhandlungen, Fürsorge für gefährdete jugendliche, ins¬ 
besondere Obdachlose, Unterkommenslose, Prüfung straf¬ 
barer Handlungen Jugendlicher und Strafunmündiger, über¬ 
haupt der gesamte Jugendschutz, der sicher in Zukunft stär¬ 
kere Rechtsformen finden wird, polizeiliches Notasyl, Sitten¬ 
arbeit an gefährdeten Mädchen, Trinkerfürsorge, Auskünfte, 
Beratungen, Anregungen. 

Sachlich erwächst die Aufgabe, zu erwägen, ob statt oder 
neben Strafe und Zwang und neben der bloßen Erfüllung 
gesetzlicher Vorschriften nicht auch soziale Förderung und 
Fürsorge angezeigt ist. Der Inhalt dieser Wohlfahrtsmaßnahmen 
ist mannigfaltig. Einen gewissen Überblick gibt folgende 



63 


Zusammenfassung der Polizeifürsorge auf den Jahresbericht 
der städtischen Polizeidirektion Stuttgart vom Jahre 1917; 

„Die Kriegsverhältnisse brachten der Polizeiassistentin 
steigende Arbeit. Die lange Abwesenheit der Männer und die 
immer stärkere Heranziehung der Frauen zur Erwerbsarbeit 
beeinträchtigen das Familienleben erheblich. Bekannt sind 
die Klagen über die ungeordnete und kriminell gefährdete 
Jugend. Trotz weitgehender Fürsorgemaßnahmen amtlicher 
und privater Stellen haben sich daher die Fälle der polizei¬ 
lichen Wohlfahrtspflege stark vermehrt. Es sind von der 
Polizeiassistentin im ganzen 470 Familien zu besuchen ge¬ 
wesen (195 im Jahre 1914, 285 im Jahre 1916, also gegenüber 
dem Jahre 1914 eine Steigerung um rund 230%). Die Zahl 
der sittlich gefährdeten Mädchen ist allerdings etwas weniger 
geworden, sie wird aber mit Kriegsende zweifellos stark an¬ 
schwellen. 194 Mädchen sind in Fürsorge genommen worden 
(in 51 Fällen Fühlung mit Eltern, in 17 Fällen Heimholung, 
in 11 Unterbringung in geschlossenen Anstalten und in 17 
Versorgung in Heimen). Im Notasyl sind 152 Kinder unter¬ 
gebracht gewesen. Regelmäßig hat die Polizeiassistentin auch 
an den Sitzungen der Schul-Abrügekommission und zwar mit 
gutem Erfolg teilgenommen.“ 

Einige Beispiele mögen noch darlegen, wie das Wirken des 
sozialen Gedankens innerhalb der Polizeiverwaltung gedacht 
werden kann: Nach dem Gesetz betr. die Kost- und Pflege¬ 
kinder vom 16. August 1909 hat die Polizeibehörde die Er¬ 
laubnis zur Kostkinderhaltung zu versagen solchen Personen, 
die nach ihren persönlichen, gesundheitlichen und wirtschaft¬ 
lichen Verhältnissen ungeeignet sind. Bei einer solchen Ver¬ 
sagung und der Überwachung der Weggabe des Kindes kann 
es aber nicht sein Bewenden haben, vielmehr ist über die Vor¬ 
schriften des Gesetzes hinaus auf sofortige, anderweitige 
Unterbringung in einem guten Kosthaus zu dringen und zu 
diesem Zweck (so in Stuttgart) eine Liste geeigneter Kost¬ 
häuser aufzustellen oder (so fürs Land) der Landesverband für 
Jugendfürsorge anzugehen. Bei Kindermißhandlungen schrei¬ 
tet an sich nur die Kriminalpolizei ein; besser ist es aber, wenn 
von vornherein eine Fürsorgerin diese Fälle in die Hand be¬ 
kommt, unter Umständen auch kriminalpolizeiliches Ein¬ 
schreiten veranlaßt, auf jeden Fall aber für das Kind sorgt 
und die Familie länger beobachtet. Ermittelt die Gewerbe- 
polizei einen Fall verbotener Kinderbeschäftigung, so mag 
auch hier soziale Hilfe neben dem gesetzlichen Verfahren an¬ 
gezeigt sein. Nicht selten werden obdachlose Jugendliche, 



64 


anstatt daß sie eine Unterkommensauflage erhalten und wieder 
auf die Straße gestellt werden, besser einem Heim übergeben. 
Wie oft werden in Polizeiberichten Trinker und Trinkerinnen 
genannt; deren Namen sind vertraulich der Trinkerfürsorge¬ 
stelle mitzuteilen. Das Meldewesen erfüllt jetzt schon auch 
statistische, steuerliche und kriminalpolizeiliche Zwecke. 
Warum soll es nicht der Jugendpflege durch Erfassung der 
wandernden Jugend dienstbar gemacht werden können, w'ie dies 
Stadtpfarrer Wüterich in einem auch sonst beachtenswerten 
Aufsatz ,,Die Wanderfreiheit der Jugendlichen“ in den Blät¬ 
tern für Gefängniskunde 1917 empfiehlt? Es ist kein Verrat 
eines Geheimnisses, wenn ausgesprochen wird, daß Schulver¬ 
säumnisse gerne als Bagatellsachen behandelt werden. Gesell¬ 
schaftlich betrachtet sind sie aber häufig erstes Warnungs¬ 
zeichen für Störungen der Erziehung und des Familienlebens. 
Wie oft erscheinen Schulschwänzer bald darauf zum Beispiel 
als jugendliche Diebe und Fürsorgezöglinge! Mithin genügt 
es nicht, etwa die Eltern zu strafen und die Säumigen vorzu¬ 
führen, sondern man muß auch versuchen, die Fehlerquelle 
zu verstopfen. Endlich ist ein namentlich nach dem Kriege 
wichtiges Kapitel die Fürsorge für gefährdete Mädchen in 
enger Anlehnung an die Sittenpolizei. 

IV. Diese Ausführungen leiten bereits zu der Frage, 
welcher Kräfte sich die Polizei zur Erfüllung ihrer sozialen 
Aufgabe bedienen soll. Zunächst handelt es sich um eigene 
Organe, ln einer größeren Polizeiverwaltung sind diese unent¬ 
behrlich. Die Gefahr einer Bürokratisierung kann unschwer 
vermieden werden. Auf der anderen Seite ist ein Vorteil, daß 
der leitende Polizeibeamte für die Einheitlichkeit des polizei¬ 
lichen und fürsorgerischen Vorgehens sorgen kann und daß 
die Organe selbst den Gang und die Möglichkeiten der Polizei 
kennen, hierdurch in eine sachlich-nüchterne Arbeitsweise ein¬ 
geführt werden und in ihr erhalten bleiben. 

ln erster Linie ist die Polizeiassistentin oder Fürsorgerin zu 
nennen. Ihre Einrichtung ist noch nicht unbestritten, sie hat 
sich aber meines Erachtens bewährt. Wo sich Schwierigkeiten 
ergeben haben, lagen solche ausschließlich auf persönlichem 
Gebiet; die Auswahl der Beamtin muß freilich überaus sorg¬ 
fältig sein. Stuttgart hat als m. W. erste Verwaltung schon 
im Jahre 1904 eine Polizeiassistentin angestellt. Daß jetzt 
bei allen größeren Polizeiverwaltungen das Interesse rege ist 
für diese Einrichtung, entnehme ich auch aus mannigfachen 
Anfragen an die städt. Polizeidirektion. Heute sind bei, so¬ 
viel ich weiß, 20 großstädtischen Polizeibehörden 1 oder gar 



65 


2 Polizeiassistentinnen tätig und auch das in der Hauptsache 
gefährdete Mädchen und verwahrloste Kinder betreffende 
Arbeitsfeld der hiesigen Assistentin ist immer noch in der 
Entwicklung begriffen. Für wohl denkbar in großen Verhält¬ 
nissen halte ich auch die Zuziehung weiterer eigener Helfer. 
Ich erinnere an die Aufgaben polizeilichen Jugendschutzes, 
etwa die Überwachung der Lichtspiele und ihrer Plakate und 
die Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur. 

Besonderen Erfolg verspreche ich mir aber von einer plan¬ 
vollen Verbindung der Polizei mit der freien Liebestätigkeit, 
an welche die geeigneten Fälle auch förmlich abgegeben werden 
können. Aus den Stellen, die hier in Betracht kommen, 
greife ich heute nur heraus jugendsekretariat und jugend- 
gerichtshilfe, zumal die Zufluchtsstätten für Mädchen bei dem 
2. Punkt unserer Tagesordnung wohl erörtert werden. Der 
Jugendgerichtshilfe entspricht die Polizeihilfe, ln Stuttgart 
ist ja schon länger eine Polizeihilfe durchgeführt, indem täglich 
Vertreter des Jugendsekretariats auf der Polizei vorsprechen. 
Diese Einrichtung kommt jungen Männern insbesondere in 
der Altersstufe zwischen dem 14. und 20. Lebensjahr zugute. 
Die Polizeihilfe sorgt für Benachrichtigung der Eltern und 
Vormundschaftsbehörden, für Heimbeförderung, Arbeitsver¬ 
mittlung, Beschaffung von Ausweisen; namentlich aber auch 
für Aufnahme ins Fürsorgeheim. Das Stuttgarter Fürsorge¬ 
heim, ein amtsgerichtlich eingetragener Verein, in dessen Aus¬ 
schuß auch die Polizeidirektion vertreten ist, hat den Zweck, 
gefährdeten jungen Männern sofortige vorläufige Arbeit in 
seiner Arbeitsstätte, als Gegenleistung für die Arbeit Kost 
und Wohnung in einem geordneten Heim, Ergänzung von 
Kleidern und Wäsche, Ermöglichung der Heimkehr oder 
Arbeitsvermittlung tunlichst auf dem Gebiet des erlernten 
Berufes im Einvernehmen mit dem städtischen Arbeitsamt 
und eingehenden persönlichen Zuspruch zu bieten. Es kann 
in der Arbeit der Polizeidirektion nicht mehr weggedacht 
werden. Im Jahre 1917 sind ihm allein von der Polizei 117 
junge Leute zugewiesen worden. Ohne das Wichernhaus 
wären sie der Straße mit ihren Gefahren gerade für das Ent¬ 
wicklungsalter überlassen gewesen. Auch nach dem Kriege 
wird diese Fürsorge namentlich im Hinblick auf die kommende 
Not des Lehrlingswesens nicht weniger dringend werden. 

Von der Verbindung der Polizei mit freier Fürsorge haben 
meines Erachtens beide Teile Gewinn. Stellung und Tätigkeit 
der Polizei werden noch mehr mit dem Volkswohl verankert. 
Aber auch die freie Arbeit wird breiter werden. Außerdem 


Blätter für Oefängniskunde, Bd. LII. 


5 



66 


mag sie es da und dort schon als Lücke empfunden haben, 
keinen Zwang im Hintergründe zu wissen. Nach der Erzie¬ 
hungstatsache von Rute und Apfel kann in solchen Fällen 
künftig auf bessere Ergebnisse mancher Wohlfahrtsarbeit ge¬ 
hofft werden — selbstverständlich ist Voraussetzung, daß die 
Polizei nach Gesetz einschreiten darf. 

Der sozialen Polizei, besonders aber der Polizeihilfe, in 
allen größeren Städten Württembergs Leben zu geben, und 
zwar möglichst bald, scheint mir also eine schöne Aufgabe der 
württ. Polizeiverwaltungen und der Vereinigung der württ. 
Jugendgerichtshilfen zu sein, ln den kleineren Verhältnissen 
der württ. Stadtpolizeiämter empfiehlt sich übrigens eine 
Heranziehung von freien Helfern oder Helferinnen zunächst 
wohl mehr als die Anstellung einer Polizeiassistentin und auch 
die sachlichen Einrichtungen werden sich ganz nach den ört¬ 
lichen Bedürfnissen zu richten haben. Die württ. Polizeihelfer 
oder -helferinnen könnten in ständiger Fühlung miteinander 
stehen, gegenseitig Fälle sich zuweisen und ihre Erfahrungen 
austauschen. Auch für den Gesetzgeber und die obersten 
Landesbehörden könnte die ausgestaltete Polizeihilfe fruchtbar 
gemacht werden, namentlich dann, wenn eine gewisse Zentrali¬ 
sierung erreicht würde. Vom Standpunkt der Behörde wäre 
überhaupt einer Vereinfachung oder Zusammenfassung der 
örtlichen Fürsorgeorganisationen zu einer Zentrale, einer Art 
Arbeitsgemeinschaft das Wort zu reden. Der Geschäftsverkehr 
würde den Behörden sehr erleichtert, wenn sie womöglich nur 
mit einer Stelle zu tun hätten. Nach manchen Erfahrungen 
mit dem Kriegsorganisationswesen wird es auch häufig ge¬ 
nügen, wenn die neuen Ziele von den alten bewährten Vereini¬ 
gungen in ihr Programm aufgenommen werden. 

V. Fürst Bismarck konnte noch in der Zeit nach seiner 
Entlassung gegenüber dem Herausgeber der Hamburger 
Nachrichten, Hermann Hofmann, sagen: „Der Staat muß 
sich auf das ursprüngliche Programm der Sozialreform be¬ 
schränken, wie es in der von mir veranlaßten Kaiserl. Bot¬ 
schaft vom ll.Nov. 1881 enthalten ist: Sicherstellung des 
Arbeiters gegen die Not, in die er durch Krankheit, Unfälle, 
Alter und Invalidität geraten kann.“ Ich glaube, die Ge¬ 
schichte hat den sozialpolitischen Zielen unseres Kaisers, 
welche mit seinem weltpolitischen Streben eine organische 
Einheit gebildet haben. Recht gegeben. Ohne diese Welt¬ 
politik nicht die gewaltige Hebung der deutschen Volkswirt¬ 
schaft und der Arbeiterschaft und ohne diese Sozialpolitik 
keine Führung des furchtbarsten Krieges im 4. Jahre! Und wer 



67 


will gar ermessen, welche sozialen Aufgaben uns der Friedens¬ 
schluß stellt? Mit nüchternem Kopf und warmem Herzen 
gehen wir an sie heran eingedenk des Wortes: ,,Wehe dem 
Volk, dessen Reichtümer steigen, während die Menschen 
sinken.“ Dazu haben uns die Erfahrungen dieses Krieges 
auch gelehrt, mit den Früchten unserer Arbeit nicht mehr 
wahllos Fremde zu beglücken, sondern vor allem Dienst am 
Nächsten, am eigenen Volke zu tun — und das, nicht obwohl, 
sondern gerade weil wir im Laufe des Krieges neben so viel 
Erfreulichem tiefe Schatten gesehen haben. 

Daß bei der Erfüllung dieser Aufgabe auch der Polizei, der 
württ. Polizei, ein Platz verschafft werde, ist mein Wunsch 
und der Zweck meiner Ausführungen. 


5* 




Harrende Aufgaben. 

Sobald der Vorhang sich hinter dem blutigen Drama gesenkt 
haben wird, treten auch an den Strafvollzug Aufgaben heran, 
die denen während der Kriegszeit zu lösenden an Wichtigkeit 
und an Schwere nicht nachstehen werden. Gut ist’s, sich bei¬ 
zeiten mit ihnen vertraut zu machen, um gangbare Wege zu 
einem guten Ziele ausfindig zu machen. Kann es sich nur um 
Anregungen handeln, so werden Richtlinien genügen aus 
diesem und jenem Sondergebiete. 

Greife ich zunächst das Beschäftigungswesen heraus. Wie 
wichtig dieses für uns ist, erhellt aus der Tatsache, daß wir 
kein bedeutungsvolleres Glied in der Kette der Erziehung der 
Sträflinge haben, als dieses. 

Der Krieg hat alte Formen, die sich bewährt hatten, um¬ 
gebildet. Galt es doch, alle Arbeitskräfte in den Dienst des 
Vaterlandes zu stellen. So trat an Stelle der gewohnten Be¬ 
schäftigungsarten Kriegsindustrie in weitestem Sinne. In der 
geschlossenen Anstalt konnte manche zweckdienliche Arbeit 
ausgeführt werden. Nicht alle Hände hätten beschäftigt wer¬ 
den können, wenn nicht das Kriegshilfsdienstgesetz uns Ge¬ 
legenheit geboten hätte. Gefangene der Kriegsindustrie nach, 
außerhalb zuzuweisen. Gerade diese Beschäftigung hat es 
dem Strafvollzüge ermöglicht, in die Speichen des großen 
Kriegsrades erfolgreich mit einzugreifen. Mit Eintritt in den 
Frieden hat eine Neuorientierung zu erfolgen. Kehren zahl¬ 
reiche Außenkommandos in den geregelten Strafvollzug zu¬ 
rück, dann gilt es, die schwierige Aufgabe zu lösen, für diese 
zunächst müßigen Hände Arbeit zu beschaffen. Bevor ich 
diesen Gedankenfaden fortspinne, sind einige Ausführungen 
am Platze über die Erfahrungen, die wir während des Krieges 
gesammelt haben. 

In weitestem Umfange haben wir Gefangene in den Kriegs¬ 
dienst gestellt. Im großen und ganzen hat sich diese Ma߬ 
nahme bewährt. Die Gefangenen, auch die mit längerer Straf¬ 
dauer, haben fleißig gearbeitet; Entweichungen sind vor¬ 
gekommen, jedoch in erträglichem Umfange. Gefördert wurde 
die Arbeit durch zweifache Maßnahmen: die Gefangenen er- 



69 


hielten der Schwere ihrer Arbeit angepaßte, bessere Verpfle¬ 
gung; es fehlte nicht der Tabak als Anregungsmittel und die 
Arbeitsbelohnungen, weil reichlicher zugemessen, spornten zu 
Fleiß und Sorgsamkeit an. — Natürlich mußte der erzieherische 
Strafvollzug leiden, weil die Auswahl zu den einzelnen Indu¬ 
strien nicht nach pädagogischen Gesichtspunkten erfolgen 
konnte. Zur Folge hatte dieser Übelstand, daß kriminell stark 
belastete Elemente mit hoffnungsvollen Sträflingen in Be¬ 
rührung traten und auch des Nachts räumliche Trennung 
nicht stattfinden konnte. 

ln das Friedensverhältnis werden wir mit dem Vorsatz 
zu treten haben. Gefangene in großer Zahl der Melioration - 
von Ödland dienstbar zu machen; es wird aber, so sehr auch 
diese Arbeit dem körperlichen Wohlbefinden Jugendlicher 
dient, im Interesse eines auf Erziehung gegründeten Straf¬ 
vollzuges, sorgsam zu klassifizieren sein. Wer den gestaffelten 
Strafvollzug mit Erfolg durchlaufen hat, wer sich vor allen 
Dingen in der Einzelhaft bewährt hat, nur dieser ist geeignet, 
zur Außenarbeit herangezogen zu werden. Bei dieser muß 
Einzelhaft während der Nacht vorgeschrieben und eingeführt 
sein. 

Gewerbs- und Gewohnheitsverbrecher haben wir in der 
geschlossenen Anstalt zu halten und in Ansehung dieser Ele¬ 
mente werden Schwierigkeiten entstehen bei der Zuweisung 
geeigneter Arbeit. Keine Konkurenz der freien Arbeit! Dies 
Fordernis bindet unsere, Entschliessung Ausschau wird zu 
halten sein, schon heute, nach solcher Arbeit, die dem freien 
Arbeiter das Brot nicht nimmt und dennoch produktiven 
Wert für die Strafhausverwaltung besitzt. 

Aus dem Kriege wird außerordentlich viel Altmaterial 
heimgebracht werden. Dieses Altmaterial kann in Strafanstal¬ 
ten mit Erfolg verarbeitet werden, ohne den freien Arbeits¬ 
markt zu beeinträchtigen. Die sparsame Heeresverwaltung 
wird jeden Abfall verwertet wissen wollen und die Beklei¬ 
dungsämter sind diejenigen Dienststellen, die das Material 
zu vergeben haben werden. 

Schon heute erscheint es zweckdienlich, mit diesen Dienst¬ 
stellen in Verbindung zu treten. Vielleicht wird es auch mög¬ 
lich sein, Altmaterial zu erhalten, um aus diesem für zur Ent¬ 
lassung kommende Sträflinge Anzüge zur Eingliederung in 
die soziale Arbeitsgemeinschaft herzustellen. So könnte ein 
Teil der Arbeit gleichzeitig die Fürsorge tatkräftig unterstützen. 
Die Post, die Eisenbahn werden ausgemusterte Geräte und 
Materialien genug haben, deren Zerlegung und Ausnutzung 



70 


Gelegenheit zur Arbeit in den Strafhäusern bieten wird. So 
könnte ein Teil der Arbeit gleichzeitig die Fürsorge tatkräftig 
unterstützen. 

Die von den Unternehmern im Kriegshilfsdienst gezahlten 
Löhne sind verhältnismäßig recht hohe, sie, erinnern an die 
besten Zeiten gewinnbringender Beschäftigung. Freilich, wenn 
man den gesunkenen Kaufweit des Geldes in Betracht zieht, 
dann verlieren sie erheblich an Wirklichkeitswert, ln die 
Friedenszeit hinein werden wir aber hineinnehmen müssen 
im Interesse der Steuerzahler den Gesichtspunkt, soviel aus 
der Arbeit herauszuschürfen, wie nur irgend möglich. Der 
Gedanke, daß die Arbeit der Sträflinge in erster Linie ihrer 
Erziehung gelte, hat uns stellenweise übersehen lassen, den 
Gewinn aus der Arbeit zu fördern. 

Das Bestreben nach hohen Einnahmen aus der Arbeit 
wird auch der Fürsorge zustatten kommen; es werden höhere 
Arbeitsbelohnungen gewährt werden können, die es ermög¬ 
lichen, in Verbindung mit einer weitherzigen Caritas, in der 
Freiheit diejenigen zu beobdachen, denen Arbeit zunächst 
nicht zugewiesen werden kann. Unser Leitmotiv muß sein: 
alles nützen, was der Fürsorge nottut; diese wird unter dem 
Drucke ernster Zeit ihre Probe zu bestehen haben! 

Die Ernährung während des Krieges hat mit ihrem Sorgen¬ 
hammer gewaltig auch an unsere Pforten geschlagen. Das 
Fehlen eigenen Bebauungslandes hat sich schmerzlich fühlbar 
gemacht. Wo Land zur eigenen Bewirtschaftung vorhanden 
gewesen, konnte die Ernährung der Sträflinge reichlicher und 
hygienischer sein. Vielfach ist Land angepachtet worden; 
diese Einrichtung in den Frieden zu übernehmen, sie zu er¬ 
weitern, sei unser Bemühen! Haben wir zureichend eigenes 
Land, dann kommt dieses nicht nur der Verpflegung zugute, 
sondern auch dem pädagogisch gestaffelten Strafvollzüge. 
Wer nicht geeignet ist, zu entfernten Meliorationsabteilungen 
entsendet zu werden, wer unter der strengen Zucht des geregel¬ 
ten Strafvollzuges bis zu seiner Entlassung zu bleiben hat, den 
wird man gegen Ende der Strafzeit auf eigenen Ländereien 
erfolgreich beschäftigen können. 

Sind die Sträflinge an Landarbeit gewöhnt worden, dann 
wird es möglich sein, sie auf dem platten Lande, auch in Arbei¬ 
terkolonien, unterzubringen, um die Städte von dem Arbeiter¬ 
proletariat tunlichst zu säubern. 

Der Wohnungsnot, die mit elementarer Wucht nach dem 
Kriege einsetzen wird, werden wir etwas begegnen können, 
wenn wir für alle Beamten Dienstwohnungen bauen. Es 



71 


können dann die Mietswohnungen für die freie Bevölkerung 
freigemacht werden. Wird diese Maßnahme durchgeführt, 
dann sind wir in der Lage, recht viele Gefangene im Bauhand¬ 
werke zu beschäftigen und damit dienen wir dem Staate in 
seiner kriminalpolitischen Prophylaxe; wir tragen mjt dazu 
bei, dem Massenrückfall in das Verbrechen zu begegnen. So 
habe ich in großen Zügen wichtige Gebiete gestreift, die in 
Zukunft zu beackern sein werden. Mehr als anregen wollte 
ich nicht und diesem Zwecke gelten meine Ausführungen. 

V. Michaüis, 

Direktor der Strafanstalt in Münstei i. W. 



Die Pfändung von Geldern usw. 
unvermögender Gefangenen. 

Im 44. Bande der Blätter für Gefängniskunde, Seite 450, 
habe ich zu dieser Frage Stellung genommen; ich habe die 
gesetzlichen und die Verwaltungsbestimmungen besprochen, 
aus denen das Recht und die Pflicht zur Pfändung sich ergeben. 

Auf den §811 der ZPO. bin ich nicht näher eingegangen, 
weil ich diesen § für unsere Praxis nicht bedeutungsvoll halte. 
Gleichwohl möchte ich heute auch diesem § einige Ausführun¬ 
gen widmen, um dann der Form der Pfändung, dem Zeitpunkt 
derselben, ihrer Bedeutung für die Staatskasse näherzutreten, 
und schließlich eines Prozesses Erwähnung zu tun, den ich 
in Sachen einer Pfändung mit Erfolg durchgefochten habe. — 

Nach § 9 Abs. 4 der Geschäftsanweisung für die Kassen 
vom 3. Oktober 1908, hat der Vorsteher zu entscheiden, ob 
mit „Rücksicht auf die Vorschriften des §811 Nr. 2, 3 und 8 
der ZPO. eine Pfändung vorzunehmen sei“. — 

§ 2 anlangend, so sollen dem Schuldner und seinem Gesinde 
auf 4 Wochen die erforderlichen Nahrungsmittel usw., nötigen¬ 
falls für 2 Wochen die zur Beschaffung notwendigen Vorräte 
erforderlichen Gelder belassen werden. 

Nach § 3 verbleibt dem Schuldner eine Milchkuh, oder es 
verbleiben ihm zwei Schweine oder zwei Schafe mit dem nötigen 
Futter oder dem Geldbeträge, der die Futterkosten für 2 
Wochen deckt. 

Auf Grund des § 8 muß den Offizieren, Beamten, Geist¬ 
lichen usw. ein Teil der der Pfändung nicht unterworfenen 
Quote für eine gewisse Zeit belassen werden. Für uns haben 
vorangeführte §§ keine praktische Bedeutung. Die §§ 2 und 3 
zielen deutlich auf solche Schuldner hin, die sich in der Frei¬ 
heit aufhalten und auch § 8 hat Verhältnisse im Auge, die 
während der Strafvollstreckung kaum noch zu regeln sein 
werden. Treten Gefangene ihre Strafhaft an, dann sind ihre 
wirtschaftlichen Verhältnisse bereits geordnet, soweit dies 
eben möglich ist. Entweder haben die Sträflinge eine längere 
Untersuchungshaft erstanden oder aber sie melden sich frei¬ 
willig zum Strafantritt, ln beiden Fällen wird die Pfändungs¬ 
frage entschieden sein; es wird vor allen Dingen eine zwei- 


73 


wöchige oder eine vierwöchige Zeitspanne, für die der Gesetz¬ 
geber den Schuldner sichergestellt wissen will, verstrichen 
sein. Etwaige Zweifel in ihre Lage werden während der 
Untersuchungshaft behoben worden sein. Gelder, geldwerte 
Sachen, die die Gefangenen zur Strafverbüßung mitbringen, 
kommen im großen und ganzen Handgeldern von unbedeuten¬ 
dem Betrage gleich. — 

Über die Form der Pfändung ist die Verordnung vom 
11. November 1899 — GS. Nr. 39 S. 545 — und deren Aus¬ 
führungsanweisung vom 28. November 1899 zu beachten. Die 
folgenden Muster 1 und 2 haben sich brauchbar erwiesen. 

MUSTER 1. 

Pfändungsstelle: Strafanstalt MUnster i. W. 

Nummer des Einnahme-Tagebuches:. 

,, ,, Solleinnahme-Buches:. 

Pfändungsverhandlung 

auf Grund der Verordnung vom 15. 11. 1899 
und der Ausführungsanweisung vom 28. 11. 1899. 


D. 

1. D. Gefangenen ist Ab¬ 

schrift der Pfändungsverhand¬ 
lung bei seiner Entlassung zu 
behändigen. 

2. Zu den Personalakten d. 

Gefangenen. 


Verhandelt im Kassenzimmer der 
Strafanstalt 

Münster i. W., den.191.. 

Zufolge Verfügung der König¬ 
lichen Direktion der Strafanstalt 
Münster i. W. ist d. Ge¬ 
fangene . 


bereits mündlich davon in Kennt¬ 
nis gesetzt worden, daß . 


Münster i. W., den.191. 

Der Strafanstaltsdirektor: 

M.Pf. für . 

.Pf. 

Im Anschlüsse hieran wurde ' 
beamten heute. 


M:., Pf. 

eigenes Geld zu den Haftkosten 
zu pfänden seien. Die Haftkosten 
erreichen eine Gesamthöhe von 
. .. . Hafttage zu je M. 

dem Unterzeichneten Vollziehungs- 


M.Pf. gepfändet. 

Dem Schuldner wurde dieses Protokoll vorgelesen, genehmigt und 
unterschrieben. 

Verhandelt wie oben 

Der Vollziehungsbeamte: 


Inspektor und Rendant: 

























74 


MUSTER 2. 

Pfändungsstelle: Strafanstalt Münster i. W. 

Nummer des Einnahme-Tagebuches:. 

,, ,, Solleinnahme-Buches:. 


Pfändungsverhandlung. 

auf Grund der Verordnung vom 15. 11. 1899 
und der Ausführungsanweisung vom 28. 11. 1899. 


Verhandelt im Kassenlokale der Strafanstalt 
Münster!. W., den. 19... 


Zufolge Verfügung der Königlichen Direktion der Strafanstalt 
Münster i. W. ist der Gefangene. 


bereits mündlich davon in Kenntnis gesetzt worden, daß ihm. M. 

.Pf. eigenes Geld zu den Haftkosten zu pfänden seien. Die 

Haftkosten erreichen eine Gesamthöhe von 

.M.Pf. 


für.Hafttage zu je .M.Pf. 

Im Anschlüsse hieran wurden von dem Unterzeichneten Vollzie¬ 
hungsbeamten heute 

.M.Pf. 

gepfändet. 

Dem Schuldner wurde dieses Protokoll vorgelesen, genehmigt 
und unterschrieben. 


Verhandelt wie oben. 

Der Vollziehungsbeamte: 
Inspektor und Rendant: 


Dem Gefangenen ist die Pfändung verhandlungsschriftlich ' 
mitzuteilen. Bei der Entlassung erhält er eine Abschrift der 
diesbezüglichen Verhandlung behändigt. — 

Weigert sich der Sträfling, die Pfändung anzuerkennen, 
dann ist hierüber eine besondere Verhandlung aufzunehmen 
(Muster 3). 
















75 


MUSTER 3. 


Verhandelt: Königliche Strafanstalt 

Münster i. W., den. 19.. 

Königl. Strafanstalts-Direktion. 

Münster i. W., den. 19.. 

Nachdem d. Gefangenen 

K. H. . 


in 


davon Kenntnis gegeben worden 

war, daß von.auf 

Haftkosten zu pfänden seien; 


M 


Pf. 


D. Gefangene 


schuldet der Strafanstaltskasse 

an Haftkosten für.Tage 

zu M. Pf. 

== M. Pf. 

Für d.selbe.... sind in 

der Strafanstaltskasse niedergelegt 
M. Pf. 


widersetzte sich d....selbe einer 
Pfändung mit der Begründung; 


V. g. u. 

Über den Zeitpunkt, wann die Pfändung vorzunehmen sein 
wird, bestehen Zweifel. Zweckmäßig erachte ich diese Vor¬ 
nahme, zum mindesten auf sie den Gefangenen hinzuweisen 
bei Beginn der Strafvollstreckung. Der Sträfling ist dann in 
der Lage, etwaige Eigentumsrechte dritter Personen beweis¬ 
kräftig zu machen. Auch ein weiterer praktischer Gesichts¬ 
punkt darf nicht außer acht gelassen werden. Die Bewegung 
des Sträflings unter dem Zeichen der Draußenarbeit — Landes¬ 
kultur- usw. Arbeiten — ist heute sehr rege; mit dieser (Arbeit) 
Bewegung erwächst der Verwaltung ein erhebliches Maß be¬ 
sonderer Arbeit. Angesichts dessen ist es zur Entlastung 
der Kassen wünschenswert, daß alle Fragen, die vor Beginn 
einer Außenarbeit usw. erledigt werden konnten, auch 
erledigt worden sind. Bei Beobachtung dieser Amtstätigkeit 











































1 


- 76 - 

wird man die Länge der Strafzeit der einzelnen Sträf¬ 
linge im Auge behalten müssen. Etwa erst bei Beendigung 
der Strafzeit pfänden, bei langzeitigen Sträflingen? Ein 
solches Verfahren will mir unzweckmäßig erscheinen! Ob bei 
kurzen Freiheitsstrafen in den Gefängnissen, in denen die 
Sträflinge an Arbeitsbelohnungen so gut wie nichts aufbringen, 
aus praktischer Erwägung heraus — formell halte ich ein 
solches Verfahren für unrichtig —, die Pfändung bis zum 
Zeitpunkt der Entlassung hinauszuschieben sein dürfte, lasse 
ich dahingestellt. — 

Es sollen Beträge von mehr als 3 Mark gepfändet werden. 
Was zunächst diese Begrenzung anbelangt, so wird sie ver¬ 
schieden ausgelegt. Wörtlich verstanden, müssen 3 Mark dem 
Sträfling verbleiben, nur der überschießende Teil ist zu pfän¬ 
den. Handelt es sich um einen geringen Überschuß über 
3 Mark, dann ist der Vorsteher in der Lage, von einer Pfändung 
abzusehen. Abhängig wird er sein Verhalten davon machen, 
ob und welche Arbeitsbelohnung der Sträfling verdient hat. 
Aus dieser Erwägung heraus dürfte allerdings bei kurzzeitigen 
Sträflingen es angebracht sein, mit der Pfändung bis zum 
Abgang zu warten! Dem Wortlaut der Bestimmung entspricht 
dies nicht; aber da mit der Pfändung Schreibwerk und Arbeits¬ 
zeit in Verbindung stehen, wird der praktische Gesichtspunkt 
nicht zu mißbilligen sein. Hat jemand z. B. 3 M. 50 Pf. 
eigenes Geld und verdient derselbe während der Haft voraus¬ 
sichtlich nur so wenig, daß ihm eine Unterstützung beim Ab¬ 
gang zu geben sein wird, dann ist es ja praktisch, von einer 
Pfändung abzusehen, um an der Frage der Gewährung einer 
Unterstützung vorbeizukommen. — 

Die Aufgabe, die wir in Ansehung der Pfändungspflicht 
ich möchte die Schlußsilbe „Pflicht“ unterstreichen, zu er¬ 
füllen haben, ist sehr richtig. Der vermögende Sträfling wird 
während der Haft vom Staate kostenfrei versorgt, da ist es 
nur recht und billig, den Steuerzahler soviel als nur immer 
möglich zu entlasten. Der Weltkrieg hat ungeheure Summen 
verschlungen; wieviel er noch verschlingen wird, das steht 
dahin! Nach dem Kriege wird sparsamste Verwaltung Platz 
zu greifen haben und da wird es Aufgabe der staatlichen 
Organe sein, dieser Sparsamkeit zu dienen und der Staats¬ 
kasse jeden Groschen zu sichern. Im Laufe eines Jahres hat 
eine größere Strafhausverwaltung aus der Pfändung über 1000 
Mark besondere Einnahmen; viele Einzelbeträge ergeben eine 
beachtenswerte Gesamteinnahme! — 


J 



Im allgemeinen stößt man bei der Pfändung fraglicher 
Gelder nicht auf Widerstand; glaubt jemand, daß ihm Unrecht 
geschehen, dann mag er dies beweisen. Raffinierte Ver¬ 
brecher, die einem während der Haft oft mit mutwilligen Pro¬ 
zessen ohne Zahl oder vielmehr mit sehr hoher Zahl, das 
Leben sauer machen, gehen nicht selten gegen eine solche 
Pfändung an. Tatsächlich sind sie vermögend; das Vermögen 
ist aber verschleiert, nach außen sind sie arm, sie erhalten 
Armenattest und Armenrecht. Für ihre eigenen Zwecke haben 
sie aber stets Geld. Hat man es mit solchen Elementen zu 
tun, dann möge einem ihre Drohung mit gerichtlicher Klage 
nicht beirren. Im verflossenen Jahre hatte ich einen als Hoch¬ 
stapler und Industrieritter gekennzeichneten Sträfling, der 
über Gelder verfügte; es war ihm aber nicht recht beizukom¬ 
men. Monatlich gab er allein für Portozwecke mehr aus, als 
die gesamte Gefangenenbevölkerung Portokosten verursachte. 
X ist in mehreren Anstalten zuvor gewesen; eine nach der 
anderen hat Mittel und Wege gefunden, sich dieses unbeque¬ 
men Gastes zu entledigen. Mit einem gewissen Geldbeträge 
— eigenes Geld —, ist er nach Münster überwiesen worden. 
Natürlich gehörte ihm dieses Geld gar nicht; es gehörte einer 
dritten Person, die es ihm lediglich für Portozwecke vor¬ 
gestreckt hatte. Monate nach seiner Entlassung ließ dieser 
Sträfling durch seine „Geschäftsführerin!“ die gepfändete 
Summe einklagen. Diese Klage ist kostenpflichtig abgewiesen 
worden, ln den Entscheidungsgründen heißt es u. a.: ,,Nach 
der Erklärung der Klägerin soll die gepfändete Forderung, 
welche die Klägerin an X. hatte, deshalb der Pfändung 
und Überweisung an einen Dritten nicht unterliegen, weil 
dieselbe kein Darlehen sei. Was es aber sein soll, läßt sich aus 
den Erklärungen der Klägerin nicht erkennen. Es könnte 
sich vielleicht um eine Hinterlegung — § 372 oder Verwahrung 
§688 BGB. — handeln; in beiden Fällen hat der Empfänger 
kein Verfügungsrecht über die ihm übergebene Sache, eine 
Hinterlegung kann auch nur bei der dazu bestimmten öffent¬ 
lichen Stelle erfolgen. Die Hingabe des Geldes an X kann also 
nur ein Darlehen sein. X empfing das Geld als Eigentum 
mit der Verpflichtung, dieselbe Summe zu erstatten (§ 607 
BGB.); die ihm angeblich vorgeschriebene Art der Verwen¬ 
dung des Geldes zu Porto und Beschaffungen ändert an dem 
Charakter des Geschäftes als Darlehen nichts. Das volle Ver¬ 
fügungsrecht steht dem Hingebenden auch beim Darlehen zu; 
er kann seine Forderung abtreten und zurückfordern. Wenn X 
' entgegen der angeblichen Vereinbarung anderweitig über das 



Geld verfügt hatte, so hätte die Klägerin dieses nicht hindern 
können, namentlich nicht das Geld von einem Dritten zurück¬ 
fordern können. Ebensowenig konnte die Klägerin aber auch 
die Zugriffe der Beklagten durch Pfändung und Überweisung 
hindern, diese bestehe zu Recht. Somit rechtfertigt sich die 
Abweisung der Klage; die Prozeßkosten trägt die Klägerin 
nach §913 ZPO.“ 

Angenehm ist es nicht, noch dazu in so schwerer Kriegs¬ 
zeit, wo eine Massenarbeit zu bewältigen ist, zu prozessieren; 
allein das Bewußtsein einer Pflicht zu folgen, macht auch den 
Gang zur Gerichtsstelle leicht! — 

V. MichaHis, Direktor der Strafanstalt in Münster i. W. 



Kürze Einführung in den Strafvollzug. 

Von Geh. Reg.-Rat Reich, Bautzen 1915. 

Die Literatur über die Entwicklung des deutschen Frei¬ 
heitsstrafvollzuges und der damit zusammenhängenden Straf¬ 
rechtseinrichtungen ist so reichhaltig und umfänglich gewor¬ 
den, daß es für den in den Strafanstaltsdienst und insbesondere 
in den Inspektionsdienst neu eintretenden Beamten (Nicht¬ 
juristen) oft schwer hält aus der Fülle der vorhandenen treff¬ 
lichen Hand- und Lehrbücher des Strafrechts und Strafvoll¬ 
zugs rasch einen allgemeinen Überblick über sein neues Ar¬ 
beitsgebiet zu gewinnend 

Das brachte mich auf den Gedanken einmal zu versuchen, 
aus den besten jener Bücher (v. Lißt, Kriegsmann, Krohne 
u. a.) die Hauptpunkte in gedrängtester Kürze z. T. im Wort¬ 
laut herauszuschälen und dazu noch die schwebenden Reform¬ 
bestrebungen auf den genannten Gebieten mit zu verwerten, 
um dem Neuling den Entwicklungsgang des Strafrechts¬ 
und Gefängniswesens in Deutschland und Sachsen als Unter¬ 
lage für ein weiteres Studium handlich vor Augen zu führen. 

Vielleicht, interessiert die kleine Arbeit auch den oder 
jenen Leser außerhalb Sachsens, weshalb sie hier folgen möge. 

Kurzer Abriß der Entwicklung des deutschen Straf¬ 
rechts, seiner Strafzwecke und Strafmittel. 

I. (Privatrecht.) 

Das germanische Strafrecht ist nur Gewohnheits¬ 
recht und reicht mit seinen Anfängen in jene sagenhafte 
Vorzeit zurück, da die Stammesverbände (Blutsgenossen¬ 
schaften) der alten Germanen, nach ihrer Abspaltung von der 
großen indogermanischen Völkerfamilie, in den europäischen 
Tiefebenen zunächst ohne dauernden Wohnsitz, zumeist 
der Jagd und dem Kriege lebend, mehr Viehzucht als Acker¬ 
bau treibend, sich ausbreiteten. 

^ Nach Beendigung des Krieges dürfte wohl zu erwarten stehen, 
daß sich eine größere Anzahl zivilanstellungsberechtigter Offiziere und 
Unteroffiziere dem Oefängnisdienste zuwenden werden. 



80 


Aus dem Zusammenwirken von Götterglauben und den 
Bedürfnissen menschlichen Zusammenlebens entstanden, trug 
es zunächst „sakralen“ Charakter. Zugleich aber war es 
damals schon: die soziale Reaktion gegen antisoziale 
Handlungen, die als „Friedensstörung“ empfunden wur¬ 
den. 

Jahrhunderte hindurch erscheinen als Strafformen gegen 
Stammesgenossen insbesondere: Ausstoßung aus der 
Friedensgenossenschaft, die sogenannte „Friedlos¬ 
legung“. Der Friedlose wird „eliland“ — geächtet; 
gegen Stammesfremde insbesondere: Bekämpfung des 
Fremden und seines Stammes, die sogenannte ,,Blut- 
rache“. 

Der Verletzte war auf Selbsthilfe (Privatrache) angewiesen, 
doch verpflichtete die sogenannte „Friedensbürgschaft“ 
auch die eigene Sippe und selbst die weiteren Geschlechts¬ 
genossen zur Beihilfe (Gruppenrache). 

’ li. (Volksrecht.) 

Mit der Annahme dauernder Wohnsitze lösen sich die 
reinen Stammesverbände (etwa seit dem 2. Jahrhundert 
V. Chr.) auf und schließen sich zu größeren Volksverbänden 
zusammen. Damit ändern sich die Strafen und treten in ihre 
zweite Entwicklungsstufe. Der „privatrechtliche“ Cha¬ 
rakter der Strafe bildet sich zum ,,volksrechtlichen“ um. 

An Stelle der Ausstoßung des Stammesgenossen treten 
z. T. Todesstrafen und verstümmelnde Leibesstrafen, 
zunächst an „Unfreien“, später auch an „Freien“; für 
letztere auch Verbannung, vornehmlich aber Ver¬ 
mögensstrafen, das sogenannte ,,Friedensgeld“ 
(f red um). 

An Stelle der Blutrache gegen Stammesfremde tritt 
die Beilegung des Streitfalles durch Zahlung von 
„Sühnegeld“, das sogenannte „Kompositionen¬ 
system“. 

Die Sühnung aus dem Vermögen erfolgt durch Zahlung 
von „Wergeid“ an den Verletzten oder dessen Sippe und 
zugleich von „Friedensgeld“ an die Gemeinde. Die ur¬ 
sprünglich ,,vereinbarten“ Bußen werden später bei Volks¬ 
gerichten (Dingstätten) eingeklagt und von diesen nach 
bestimmten Bußtaxen je nach den Verletzungen auferlegt. 
Zahlungsunfähige verfallen der ,,Strafknechtschaft“. 





Diese Rechtsformen überdauern sowohl die Eroberungs¬ 
kämpfe der Römer gegen die Germanen (in den beiden ersten 
Jahrhunderten vor und nach Chr.), als auch die spätere fried¬ 
liche Einwirkung Roms, ja selbst die Völkerwanderung (im 
4. bis 6. Jahrhundert n. Chr.). 

Gegen Ende dieses langen Zeitabschnittes, in der mero- 
wingischen und karolingischen Übergangsperiode (8. und 
9. Jahrh.) wird in fränkischen Landen die königliche Bann¬ 
gewalt zum mächtigen Faktor der Rechtsbildung. Zahlreiche 
Strafdrohungen (Kapitulariengesetzgebung) treten kraft 
Amtsrechts neben das Volksrecht. Bußbücher und Kon¬ 
zilienbeschlüsse der Kirche wirken lückenfüllend ein. 

. 111. Staatsrecht 

(älteres gemeines deutsches Recht). 

Unter dem Einflüsse von Monarchie und Christentum 
erhebt sich seit dem 10. Jahrhundert (im erstandenen ,,heiligen 
römischen Reiche deutscher Nation“) die Staatsgewalt 
über die Volksverbände. Die Handhabung der Strafe wird dem 
Verletzten entwunden und besonderen Richtern übertragen. 

Die Strafe tritt als öffentliche, d. h. staatliche in ihre 
dritte und letzte Entwicklungsstufe. Die Strafgewalt gestaltet 
sich zum staatlichen Strafrecht. Unter der Einwirkung 
des römischen und kanonischen Rechts baut es sich zum 
(älteren) ,,gemeinen deutschen Strafrecht“ aus. Im 
Gegensatz zur altgermanischen Rechtsauffassung kommt der 
kanonische Grundsatz der „Gleichheit vor dem Gesetz“ 
zur Geltung. Der Grundsatz des ,,Gottesfriedens“ (treuga 
Dei) erleichtert die Herstellung eines geordneten Rechts¬ 
zustandes. 

„Schöffen“, z. T. unter Vorsitz von Stammesgrafen 
und Herzögen, sitzen zu Gericht, das Reichsoberhaupt 
zieht als letzte und höchste Instanz zur Gerichtshaltung von 
Pfalz zu Pfalz, in dunklen Fällen entscheidet das „Gottes¬ 
gericht“ durch Zweikampf, Feuer- oder Kreuzesprobe. Der 
Begriff des Verbrechens wird bindend umgrenzt, die Strafe 
nach Umfang und Inhalt festgelegt. An die Stelle der ma߬ 
losen, mehr triebartigen ,,Privat- und Volksrache“ tritt 
die nach der Tat abgestufte Vergeltung mit dem aus¬ 
gesprochenen Zwecke der Abschreckung neben den der 
Unschädlichmachung. Dementsprechend wird das Sy¬ 
stem der Schuld-Abzahlung als unwürdig beschränkt, 
dagegen kommen Leibes- und Lebensstrafen immer mehr 
in Übung. 


Blatter für Oefangnisktmclr, Bei. L!I 


6 



82 


IV. Faustrecht. 

Vorübergehend setzt zwar mit dem Zerfall der fränkischen 
Königsherrschaft in Deutschland (zu Beginn des 12. Jahr¬ 
hunderts) wieder eine rückläufige Bewegung ein. Im Straf¬ 
recht treten wieder alte deutsche Rechtsanschauungen in den 
Vordergrund. Die privatrechtliche Auffassung des Straf¬ 
rechts erwacht wieder und verdrängt die bisherige staats¬ 
rechtliche wie auch die vorherige volksrechtliche Auffas¬ 
sung. Das „Gewohnheitsrecht“ gelangt wieder zur Herr¬ 
schaft. Das führt notgedrungen zu einer immer steigenden 
Zersplitterung des Rechts nach Stämmen, ja selbst nach 
Gauen und Gemeinden. Die Unsicherheit der Rechts¬ 
pflege erzeugt das mittelalterliche „Feh der echt“. Das 
„Faustrecht“ herrscht. Da die ordentlichen Gerichte viel¬ 
fach versagen, wird die „heilige Vehme“ („Fem“-Frei- 
gericht) zum Hort gegen die allgemeine Rechtsunsicherheit. 

V. Landesrecht. 

Allein mit der Ausbildung der partikulären Landes¬ 
herrlichkeit in Deutschland, namentlich unter den Kur¬ 
fürsten, und dem Aufblühen der Städte, den erfolgreichen 
Bekämpfern des Raubrittertums, nimmt schon um die Mitte 
des 13. Jahrhunderts wieder die unterbrochene Erstarkung 
der Staatsgewalt erneuten Fortgang. 

Zahlreiche ,,Landfrieden“, „Stadt-, Land- und Hof¬ 
rechte“, ,,Weistümer“, ,,Laienspiegel“ zeichnen das be¬ 
stehende Neben- und Durcheinander von Gewohnheitsrecht, 
römischem und kanonischem Recht auf. Die fremden Rechte 
dringen immer stärker ein. Der aufblühende städtische Ver¬ 
kehr erzeugt neue Verbrechen. Als Ersatz des untergegangenen 
„Stammesrechts“ kristallisieren sich neue Gebiete inhaltlich 
gleichen Rechts um die hervorragendsten Rechtsbücher und 
Stadtrechte. Gelehrte ,,Schöppenstühle“ begutachten die 
schwierigeren Rechtsfragen. 

Entsprechend den barbarischen Anschauungen des Mittel¬ 
alters werden grausame Lebens- und Leibesstrafen 
immer zahlreicher. Die allmächtige Kirche übt keinen mil¬ 
dernden Einfluß. Wohl wirkt sie mit ihrem Asylrecht auch 
versöhnend und ausgleichend, aber sie verbündet sich auch 
mit der staatlichen Strafgewalt zum vernichtenden Kreuz¬ 
zuge gegen Ketzer und Hexen, Neben die weltliche Justiz 
tritt die kirchliche „Inquisition“, Die Todesstrafe wird 
vervielfältigt: Tod durch den Strang (für nächtlichen Dieb¬ 
stahl usw.), durch das Rad (für Untreue, Verrat, Mord usw.), 



durch das Beil (für Notzucht, Ehebruch, Raub, Totschlag 
usw.), durch den Scheiterhaufen oder durch Einmauern 
(für Vergiftung, Ketzerei, Hexerei usw.). Verstümmelnde 
Leibesstrafen an „Hals und Hand, Haut und Haar“ mittels 
Brenneisen, Zange, Messer, Beil, Peitsche gehen Hand 
in Hand mit einem qualvollen Strafverfahren durch die 
Folter. 

Die Verfolgung von ,,amtswegen“ wird durch den 
Kampf gegen das neu auftretende gewerbsmäßige Ver¬ 
brechertum („gemeinschädliche Leute“: Raubritter wie Land¬ 
streicher) gefördert. Alle Versuche, die fremden Rechte 
volkstümlich zu gestalten, schlagen fehl. Die Verkündigung 
des kaiserlichen „ewigen Landfriedens“ (1495) beseitigt 
zwar endgültig das „Faustrecht“ und den Mißbrauch der 
„Femgerichte“, schafft aber keine Einheit im Strafrecht. 
Ebensowenig die Errichtung eines „Reichskammergerichts. 
Die Rechtsverwirrung bei den Laiengerichten wird durch 
das Nebeneinanderbestehen einheimischen und frem¬ 
den Rechts immer größer. 

VI. Altes Reichsrecht. 

(neueres gemeines deutsches Recht). 

Das Zeitbedürfnis erheischt immer dringender eine all¬ 
gemeine gesetzliche Anerkennung der einzelstaatlichen 
Rechte. Territoriale Mißbräuche drängen auch zu reichs¬ 
gesetzlicher Regelung des Strafverfahrens. 

Nach hartem Kampfe gelingt im Jahre 1532 die gesetz¬ 
liche Verschmelzung der aufgenommenen fremden Rechte 
mit den einheimischen und die einheitliche Regelung des 
Strafverfahrens in den deutschen Landen durch die „pein¬ 
liche Gerichtsordnung Kaiser Karls V.“, die „Caro¬ 
lina“. Aufgebaut auf der berühmten „Bambergischen Hals- 
gerichtsördnung“ (mater Carolinae) ist sie aber, wie diese, 
kein eigentliches'Strafgesetz. Ihr Schwerpunkt liegt in der 
Regelung des formellen Rechts. Für das materielle Recht 
hat sie nur subsidäre Wirkung. Die Landesgesetzgebung 
bleibt bestehen, die Weiterbildung des Strafrechts dieser über¬ 
lassen. Trotzdem bleibt die ,,Carolina“ die Grundlage, auf 
der das (neuere) gemeine deutsche Recht während fast 
dreier Jahrhunderte ruht. So in den „Kursächsischen 
Constitutionen“ von 1572 und den verschiedenen „Land¬ 
rechten“ .anderer deutscher Staaten im 16. und 17. Jahr¬ 
hundert. — Auch die Grausamkeit der Strafmittel mildert 
die „Carolina“ nicht. Im Gegenteil fügt sie den bestehenden 



84 


noch unmenschlichere hinzu. So das „Vierteilen“, ,,Leben¬ 
digbegraben“, „Pfählen“, „Schleifen zur Richtstätte“, 
„Abschneiden der Zunge“ usw. Die Milderung der Straf¬ 
mittel erfolgt erst später auf dem Wege willkürlichen Ge¬ 
richtsgebrauches, dem die „Carolina“ selbst die Tür 
geöffnet. Gewisse verschärfte Todesstrafen und verstüm¬ 
melnde Leibesstrafen werden allmählich verdrängt durch 
Pranger, Brandmarkung, Galeere, Festungsbau, Lan¬ 
desverweisung und Staupenschlag. Aber gerade die 
Form richterlicher Willkür zeitigt die Notwendigkeit 
gründlicher Abhilfe. 

VII. (Herren- und Polizeirecht.) 

Der politische Verfall der deutschen Reichsgewalt 
nach dem 30jährigen Kriege schwächt im Reiche wie in den 
Einzelstaaten die gesetzgebende Kraft. Zwar wandeln sich 
die alten „Schöppenstühle“ ini Laufe des 17. Jahrhunderts 
allmählich in geordnete landesherrliche, städtische und 
patrimoniale, mit gelehrten Richtern besetzte „Ge¬ 
richte“ um und verdrängen die Schöffengerichte. Aber die 
zahllosen absolutistischen Einzeledikte und Strafman¬ 
date sind nicht imstande, das Strafrecht dem Zeitfort¬ 
schritt anzupassen und umzugestalten. Ebensowenig der 
Gerichtsgebrauch. — Der Zustand der Strafrechtspflege 
nach gemeinem deutschen Recht wird unhaltbar. Seit 
Mitte des 18. Jahrhunderts setzt deshalb die partikuläre 
Gesetzgebung z. T. wieder ein. So das allgemeine Land¬ 
recht in Preußen, die Theresiana in Österreich, der Krimi¬ 
nal-Codex in Bayern. 

Der ungeheuren Überhandnahme des Landstreicher¬ 
tu ms läßt sich jedoch mit Leibes- und Lebensstrafen, mit 
Landesverweisung, Pranger und Staupenschlag längst nicht 
mehr beikommen. Die Notwendigkeit führt schon gegen 
Ende des 17. Jahrhunderts und weiter zur Einsperrung 
des Verbrechergesindels in polizeiliche ,,Zucht- und Ar¬ 
beitshäuser“. Die Polizeigewalt eilt hier der Strafjustiz 
voraus. Das polizeiliche ,,Zuchthaus“ wird je länger je 
mehr von der Gerichtspraxis als Kriminalstrafe adoptiert. 
Der Nützlichkeitszweck und der Besserungszweck 
gesellen sich den alten Strafzwecken der Vergeltung und 
Abschreckung zu. 

VlII. Neues Reichsrecht. 

Eine neue Weltanschauung dämmert Mitte des 18. Jahr¬ 
hunderts herauf. Die Hexenprozesse verschwinden. Ebenso 



85 


die Folter. Die von einflußreichen Freidenkern verfochtene 
Idee der allgemeinen Menschenrechte durchdringt nach 
der französischen Revolution die übrige Welt. Napoleon be¬ 
endet 1806 das Scheindasein des alten deutschen Reichs 
und damit auch seines Strafrechts (Carolina) und schafft 
unbewußt die Wurzeln zur neuen deutschen Einigung durch 
die Freiheitskriege. Sein code p6nale beeinflußt auch die 
deutsche Strafgesetzgebung. Die gesetzlichen Strafmittel 
werden menschlicher. 

Neue Strafgesetze in den einzelnen deutschen Staaten 
arbeiten einem neuen Reichsrecht vor. Dem trefflichen 
Bayerischen Strafgesetz von 1813 folgt das Sächsische 
Kriminalgesetzbuch von 1838 mit einem geordneten, auf 
den alten Zucht- und Arbeitshäusern fußenden Freiheits¬ 
strafensystem. Es beseitigt zugleich die eingerissene Ver¬ 
mischung von Kriminal- und Polizeistrafen. Ihm 
schließen sich an: die Thüringischen Staaten, Württem¬ 
berg, Hannover, Braunschweig, Hessen, Baden; zu¬ 
letzt Preußen mit seinem Strafgesetz von 1851. 

Sachsen gliedert 1838 das in sein Strafensystem auf¬ 
genommene alte ,,Zuchthaus“ zunächst in einen ,,gelin¬ 
deren“ und einen „schärferen“ Grad (letzterer durch An¬ 
legen von ,,Beineisen“ oder „Klotz und Kette“ ausgezeichnet) 
und stattet nach alter Tradition den Vollzug der Strafen des 
„Zuchthauses“ wie auch des gleichfalls mitübernommenen 
„Arbeitshauses“, ja sogar auch den der neugeschaffenen 
leichteren „Gefängnisstrafe“ noch mit ,,Strafschärfun¬ 
gen“ (hartes Lager, Hungerkost, Züchtigungen) aus, die 
nicht nur von ,,gesetzeswegen“, sondern außerdem auch auf 
„Richterspruch“ eintreten. Die militärische „Festungs¬ 
strafe“ ist für Zivilpersonen lediglich Gnadenstrafe. (Als 
gerichtliche Strafen bestehen noch „Zwangsarbeit und ,,Geld¬ 
strafe“). Polizeiliche Freiheitsstrafen sind ,,Korrektions¬ 
haft“ und ,,Polizeihaft“. 1855 werden die Zuchthaus¬ 
grade, 1868 die Strafschärfungen aufgehoben. 

Das politische Jahr 1848 schafft in der Mehrzahl der 
deutschen Staaten auch dem Laienelement wieder Einfluß 
auf die Rechtspflege. Die Schwurgerichte entstehen. Seit 
1852 werden z. T. auch wieder Schöffen eingeführt, so in 
Sachsen 1868 bei den Bezirksgerichten. (3 Richter, 4 Schöf¬ 
fen, in schweren Fällen: 4 Richter, 3 Schöffen.) 

Die Neugründung des Deutschen Reiches beseitigt 
die noch vorhandenen Verschiedenheiten. Das Reichs¬ 
strafgesetzbuch von 1871 schafft endlich völlige Ein- 




87 


derer Roheit, Bosheit und Grausamkeit des Täters, sowie von 
besonderen ,,sichernden Maßnahmen“ und ,,erzieh¬ 
lichen Maßregeln“ neben oder an Stelle der Bestrafung 
dem Richter Mittel zu individualisierender Urteilsfällung 
an die Hand. Als sichernde Maßnahmen werden bestimmt: 
Unterbringung (auf gerichtliche Verfügung) von arbeits¬ 
scheuen und liederlichen Verbrechern im „Arbeits¬ 
haus“, von trunksüchtigen in Trinkeranstalten, von 
Minderwertigen in Anstalten für solche, sämtlich auf 
begrenzte Zeit und von gewerbs- und gewohnheitsmäßi¬ 
gen für die Rechtssicherheit gefährlichen Verbrechern in 
Sicherungsanstalten auf unbegrenzte Zeit; als ,,erzieh¬ 
liche“ Maßregel: Überweisung von jugendlichen Verbrechern 
und Minderwertigen in staatlich überwachte Erziehung be¬ 
ziehentlich in Schutzaufsicht. Dabei ist für die Eindäm- / 
mung des Verbrecher nach Wuchses von besonderer Wich-’ 
tigkeit: die Heraufsetzung der Strafmündigkeit auf das 
14. Lebensjahr, wodurch bei der verbrecherischen Schul¬ 
jugend der Fürsorgeerziehung der Vorrang vor der Straf¬ 
erziehung erwirkt wird. Dagegen bewahrt die Bestimmung, 
daß Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren nicht strafbar 
sein sollen, ,,wenn sie infolge zurückgebliebener Entwicklung 
oder mangels der erforderlichen geistigen und sittlichen Reife 
nicht die Fähigkeit besitzen, das Ungesetzliche ihrer Tat ein¬ 
zusehen oder ihren Willen dieser Einsicht gemäß zu bestim¬ 
men“, auch die minderwertige Jugend zugunsten einer 
angemessenen Anstaltserziehung vor dem Strafhause. Daß 
alle übrigen Jugendlichen nach den milderen Vorschriften 
über Beihilfe, Versuch usw. zu bestrafen sind, findet seine 
Rechtfertigung darin, daß Jugendliche eben noch nicht voll¬ 
wertige Menschen sind. Die ,,Erziehungsmaßregeln“ kann das 
Gericht sowohl bei Freisprechung wie bei Verurteilung an¬ 
ordnen. 

Gleichfalls im Sinne individualisierender Recht¬ 
sprechung wirken ferner: die Ausdehnung des ,,Systems der 
Bewährung“ d. h. der ,,bedingten Strafaussetzung“ auf 
Erwachsene, die Möglichkeit, in den (im Gesetz vorgesehenen) 

‘ besonders schweren Fällen die Strafe über die Höchst¬ 
grenze des geordneten Strafrahmens hinaus zu erhöhen, so¬ 
wie anderseits in besonders leichten Fällen unter das Min¬ 
destmaß des gesetzlichen Strafrahmens herabzugehen und 
die Füglichkeit, neben der Freiheitsstrafe auch noch auf eine 
angemessene Geldstrafe zu erkennen, wenn die Handlung 
auf Gewinnsucht beruht. 



88 


Dem gesunden Volksempfinden entsprechen endlich die 
Gesetzesbestimmungen, daß die Strafe für öfteren baldigen 
Rückfall erheblich zu verschärfen ist, daß ein in selbst¬ 
verschuldeter „sinnloser“ Trunkenheit begangenes Ver¬ 
brechen nicht mehr ungesühnt bleiben darf, daß unter 
gewissen Umständen schon im richterlichen Urteil außer 
der Strafe auch auf Ersatzleistung des angerichteten 
Schadens erkannt werden kann und daß böswilliger Bettel, 
Landstreicherei, Arbeitsscheu und Tierquälerei nicht 
mehr als bloße ,, Übertretungen“, sondern als „Vergehen“ 
schwerer zu bestrafen sind. — Dankbar zu begrüßen ist end¬ 
lich, daß unverschuldete Untersuchungshaft stets an¬ 
zurechnen ist, daß nach Ablauf einer gewissen Zeit nach 
Beendigung der Strafe bei ehrenhafter Führung und gutem 
. Streben die Wiedereinsetzung in verlorene Ehren¬ 
rechte, bei leichteren Strafen auch Löschung der Strafe 
im Strafregister erfolgen kann und daß die Polizeiaufsicht 
in Wegfall kommt. 

b) Bei den Strafmitteln und dem Strafvollzüge 

trägt die Neuordnung zwar dem Wunsche nach Verein¬ 
fachung des Strafensystems (durch Wegfall der Haft 
und der Festungshaft) keine Rechnung, denn sie beharrt-so- 
wohl bei der alten Dreiteilung der strafbaren Hand¬ 
lungen wie bei den bisherigen vier Freiheitsstrafen. Da¬ 
für setzt sie aber an Stelle der Festungshaft die Strafe der 
„Einschließung“ als custodia honesta mit erweiterter 
Geltung unter Übertragung der Vollstreckung auf die Zivil¬ 
behörde, schränkt den Geltungsbereich der Haftstrafe 
zugunsten auch der Gefängnisstrafe entsprechend ein, 
erweitert den der Geldstrafe und dehnt die Strafe 
des ,,Verweises“ auf Erwachsene aus. Die besonderen 
richterlichen Strafschärfungen und die Sicherungs-, 
Schutz- und Erziehungsmaßnahmen sind bereits unter 
a) erwähnt. 

Von denjenigen Vorschriften, die auf die Strafvoll¬ 
streckung Bezug haben, ist von einschneidender Bedeutung- 
die Einführung der obligatorischen Einzelhaft zu Be¬ 
ginn der beiden schwereren Freiheitsstrafen. (Die Fest¬ 
setzung von Ausnahmen ist dem Strafvollzugsgesetz über¬ 
lassen.) Eingehender als im alten Strafgesetze werden die 
Vollzugsunterschiede der Strafarten behandelt. Einer der 
wertvollsten dieser Unterschiede ist die Bestimmung, daß 
bei den drei leichteren Freiheitsstrafen eine vorläufige 



89 


Entlassung schon nach Verbüßung von */» der Strafe und 
von mindestens 6 Monaten eintreten darf. Dagegen wird die 
Bewährungsfrist auf mindestens 2 Jahre festgesetzt und 
zugelassen, daß der vorläufig Entlassene während der Probe¬ 
zeit der Schutzaufsicht der Entlassenenfürsorge unterstellt 
wird. 

c) Für das Strafverfahren 

(Gerichtsverfassung und Strafprozeß) 

bringt die Neuordnung vor allem Schonung der jugend¬ 
lichen. Die bisher schon im Verwaltungswege vorbereiteten 
besonderen Jugendgerichte werden gesetzliche Ein¬ 
richtung. Die Staatsanwaltschaft wird von der Pflicht der 
Anklageerhebung gegenüber jugendlichen Verbrechern ent¬ 
bunden, solange Erziehungs- und Besserungsmaßnah¬ 
men vorzuziehen sind. Zu dem Zwecke erfolgt Überwei¬ 
sung an die Vormundschaftsbehörde, die weitere Ent¬ 
schließung über solche Maßnahmen faßt. (Unterstellung unter 
die Zucht des gesetzlichen Vertreters oder der Schulbehörde 
oder einer Erziehungsanstalt oder Schutzaufsicht.) Gleiche 
Verfügungen kann auch das Gericht treffen. Hauptver¬ 
handlungen gegen Jugendliche erfolgen unter Ausschluß 
der Öffentlichkeit. Die Zuständigkeit der Amts¬ 
gerichte wird bei Jugendlichen auf gewisse schwere Ver¬ 
brechen ausgedehnt. Ein Verteidiger oder Beistand ist 
von amtswegen zu bestellen. Als Schöffen sind auch Volks¬ 
schullehrer zugelassen. Im übrigen sind zu Schöffen und Bei¬ 
ständen Personen (beiderlei Geschlechts) zu wählen, die auf 
dem Gebiete der Jugenderziehung besondere Erfahrung 
besitzen. So läßt denn das neue Strafrecht, durch eine 
solche Heraushebung der straffälligen Jugend im Rahmen 
des Gesetzes, dem unreifen und erziehungsbedürftigen 
Lebensalter die erwünschte Rücksichtnahme ausgiebig zuteil 
werden. 

Im übrigen finden noch andere staatsbürgerliche Wünsche 
Erfüllung. So gewährt u. a. die Neuordnung des Strafpro¬ 
zesses dem Angeklagten einen größeren Rechtsschutz da¬ 
durch, daß die Tragweite der ,,Beschwerde“ erweitert, die 
„Berufung“ gegen erstinstanzliche Urteile der Landgerichte 
wieder eingeführt, für die ,,Revision“ gegen Urteile der 
Berufungsinstanz neue große Gebiete des P’rozeßverfahrens 
der Rechtsprechung des obersten Gerichtshofes zugängig ge¬ 
macht werden. Durch diese Ausdehnung der ordentlichen 
Rechtsmittel wird das Verfahren mit so zahlreichen neuen 



90 


Garantien umgeben, daß dafür der außerordentliche 
Rechtsbehelf der ,,Wied er auf nähme“ in gewissen Schran¬ 
ken gehalten werden kann. Desgleichen sind die Verein¬ 
fachung und Beschleunigung des Strafverfahrens, die 
Einschränkung der Untersuchungshaft, der Zeugnis¬ 
pflicht und der Eidesleistung sowie die Milderung des 
Zeugniszwanges, Verbesserungen, die den Wünschen weiter 
Kreise ebenso entgegenkommen wie bei den Strafgerichten; 
die Erweiterung der Zuständigkeit der Amtsgerichte, 
die Überweisung unbedeutender Strafsachen an den Einzel¬ 
richter, die Einführung von Schöffen bei den Strafkammern 
(2 Richter, 3 Schöffen) und von Berufungssenaten bei den 
Landgerichten zur Erleichterung des Berufungsverfahrens. 

So steht zu hoffen, daß diese Neuordnung des gesamten 
Strafrechts wieder eine neue Generation weit überdauern 
wird. 


X. Strafzwecke. 

Alles „Recht“ bezweckt den Schutz menschlicher Inter¬ 
essen (Rechtsgüter). Die Zurückweisung unberechtigter In¬ 
teressen ist Aufgabe der „Rechtsordnung“. Das „Strafrecht“ 
hat die Aufgabe, besonders schutzbedürftige und würdige 
Interessen durch ,,Androhung“ und ,,Vollzug“ von Strafen 
zu schützen. Die Strafe ist das Mittel, den Rechtsbrecher 
zur Beugung unter die Rechtsordnung zu zwingen. Sie dient 
zur Sicherung der Rechtsordnung und damit des Bestandes 
der Gesellschaft. Jede Strafe muß deshalb ein ,,Übel“ sein. 
Die ,,Strafandrohung“ tritt warnend und abschreckend in 
vorbeugendem Sinne vor die Gesamtheit der Volks¬ 
genossen hin (Generalprävention). Der ,,Straf Vollzug“ da¬ 
gegen tritt an die verbrecherischen Volksgenossen durch 
den Strafzwang, rückfall vorbeugend, heran (Spezial¬ 
prävention). Die Strafandrohung legt das Schwergewicht auf 
die Tat und deren Erfolg, der Strafvollzug auf den Täter 
und dessen Gesinnung. 

Der ,,Rechtsgrund“ der Strafe liegt nicht in ihrer 
Zweckmäßigkeit, sondern in ihrer sittlichen Notwendigkeit. 
Daher bilden sich besondere „Strafzwecke“ erst allmählich 
mit der Weiterentwicklung des Strafrechts, der Strafmittel 
und ihres Vollzuges als deren sittliche Grundlage heraus. 
Der Kulturfortschritt ist die treibende Kraft. Aus der rohen 
,,Rache“ entwickelt sich die bewußte ,,Vergeltungsstrafe“. 
Die Zwecke der ,,Vernichtung“ bzw. ,,Unschädlich- 


91 


machung“ und der „Abschreckung“ treten später hinzu. 
Diesen Zwecken dienten vornehmlich die Leibes- und Lebens¬ 
strafen. Zu ihnen gesellt sich alsdann der „Nützlichkeits¬ 
zweck“, den insbesondere die Zwangsarbeitsstrafen verfolg¬ 
ten. Der letzte Strafzweck, die „sittliche Hebung“ und 
„Besserung“ des Verbrechers durch erziehliche Einwirkung 
wird erst mit Einführung eines geordneten ,,Freiheitsstrafen¬ 
systems“ erreichbar. 

Bislang ist die Berücksichtigung der Persönlichkeit des 
Verbrechers vornehmlich Aufgabe der Strafvollstreckung, 
weniger der Strafzumessung gewesen. Die neue Straf¬ 
gesetzgebung gibt jedoch der Tendenz der Individualisierung 
und der Spezialprävention mehr Raum. (Siehe unter IX.) 
Der Einfluß der neueren Kriminalistenschulen auf sie ist hier 
unverkennbar. Die jungdeutschen Kriminalisten fordern 
grundsätzlich, daß sich die Rechtsprechung der Eigenart 
der Verbrechergruppen anpasse: Abschreckung der 
Augenblicksverbrecher, Besserung der besserungsfähigen, 
Unschädlichmachung der unverbesserlichen Zustandsver¬ 
brecher. .Demgegenüber hält die alte ,,klassische“ Schule 
daran fest, daß für Strafmaß und Strafart lediglich die 
Eigenart der Straftat entscheidend, ihre Aufgabe also nur 
die Vergeltung sei, während eine ,,dritte Schule“ allen 
Seiten gerecht werden möchte. 

Der Entwurf zum neuen Strafgesetz behält in Anlehnung 
an diese zwar die Aufgabe der Vergeltung der Strafe vor 
und weist die Aufgabe der individuellen Behandlung den 
verwaltungsrechtlichen Maßnahmen zu. Dadurch aber, 
daß das neue Gesetz außer der Strafe noch „sichernde 
Maßnahmen“ für die Zustandsverbrecher vorsieht und die 
Verfügung darüber dem Richter zuweist, anderseits den 
letzteren wiederum ermächtigt, in gewissen Fällen zugunsten 
erziehlicher Maßnahmen von Bestrafung überhaupt Ab¬ 
stand zu nehmen, wird der neuen Rechtsprechung über den 
Vergeltungszweck hinaus der Weg zur Berücksichtigung der 
Eigenart des Verbrechers, d. h. also zur Einflußnahme auf 
die ,,Besserung“ oder ,,Unschädlichmachung“ von Rechts¬ 
verletzern gewiesen. Erst eine Freiheitsstrafe, die zu¬ 
gleich erziehen will, ist imstande, neben dem Gesichts¬ 
punkte der ,,Generalprävention“ den der ,,Spezialprävention“ 
maßgebend zu berücksichtigen, d. h. allen vitalen Straf¬ 
zwecken nach Maßgabe des individuellen Bedürfnisses dienst¬ 
bar zu werden. 



92 


Kurzer Abriß der Entwicklung des Gefängniswesens 
und des Strafvollzugs 

(in Deutschland und Sachsen.) 

I. Gefängnisse im Altertum und Mittelalter. 

„Freiheitsstrafe-“ und „Gefängnis“ sind ursprüng¬ 
lich zwei ganz verschiedene Begriffe. Die Freiheitsstrafe ist 
ein Kind der Neuzeit, das Gefängnis ist uralt. Beider Ent¬ 
wicklung hat nichts miteinander gemein. Das Gefängnis 
des Altertums dient in der Hauptsache nur zur Bewachung 
und Sicherung von Menschen, sei es bis zur Herbeiführung 
ihrer Vernichtung, sei es zur Erpressung von Lösegeld oder 
zur Erzwingung von Schuldenzahlung. Wo es als „Strafe“ 
auftritt, dient es ausschließlich dem Zwecke seelischen und 
leiblichen Quälens. Seine Gestaltung nimmt keine Rück¬ 
sicht auf Leben und Gesundheit des ,,Gefangenen“. Seiner 
Wirkung nach ist es nichts anderes als eine Leibes- und 
Lebensstrafe. 

So verwahrt Ägyptens Pharao im ,,Hausgefängnis des Haupt¬ 
manns“ den Truchseß für den Galgengang. Die Philister sichern den 
starken Simson im ,,Gefängnis zu Gaza“. König Zedekia verwahrt 
im ,,Hofe des Gewahrsams“ seines Palastes den Propheten Jere¬ 
mias. Herodes bringt im ,,Burgverließ von Machärus“ Johannes 
den Täufer zum Schweigen. Im ,,Gefängnis“ zu Athen sitzt Mil- 
tiades in Schuldhaft, Sokrates in Erwartung des Giftbechers. Im ,,Tul- 
lianum“ zu Rom, dem ,,eisigen, dunklen, stinkigen Loche“ stirbt 
König Jugurtha vor Hunger und Kälte, wird Catilinas Genosse Len- 
tulus erdrosselt. Während der Christenverfolgungen werden Tausende 
von Christen in engen ,, Gefängnissen“ zusammengepfercht. Ihr Zu¬ 
stand ist so elend, daß jeden Morgen die Leichen der Verstorbenen weg¬ 
geräumt werden müssen. 

ln Deutschland tritt erst im Mittelalter mit der An¬ 
lage von Klöstern und Städten das Bedürfnis und die Füg¬ 
lichkeit der Beschaffung von ,,Gefängnissen“ ein. — 
Klosterkeller, Burg verließe, Mauertürme dienen da¬ 
zu. Ihre Bestimmung ist die gleiche wie die der Gefäng¬ 
nisse des Altertums. Zur Aufbewahrung des Delinquenten 
für das peinliche Gerichtsverfahren, zur Ausführung gewisser 
Leibesstrafen (,,Stock und Eisen“), zur Erpressung von Löse¬ 
geld, zur Sicherung des Verurteilten bis zur Übergabe an den 
Henker, ja auch zur Beseitigung ohne Urteil und Recht war 
das ,,Gefängnis“ nicht zu entbehren. Auch in der Form ist 
es kaum besser als das Gefängnis des Altertums. Das be¬ 
rüchtigte ,,Lochgefängnis“ unter dem Rathause in Nürnberg 
ist ebenso schauderhaft wie die mittelalterlichen Gefängnisse 



93 


im „Donjon“ von Plessis la Tour, im „Tower“ zu London 
oder in den Kellern des Dogenpalastes von Venedig. „Viele 
Tausende sind in diesen Gefängnissen verhungert, verfault, 
mit zerbrochenen Gliedern elend untergegangen. Gegen das 
Gefängnis des Mittelalters war der Galgen noch eine Barm¬ 
herzigkeit.“ 

II. Polizei-Zuchthäuser und Frongefängnisse. 

Die geschichtlichen Vorläufer unserer heutigen Ge¬ 
fängnisse und Strafanstalten sind daher weder die Ge¬ 
fängnisse des Altertums, noch die des Mittelalters. Auch die 
Gerichtsgefängnisse des 18. Jahrhunderts sind es nur in¬ 
sofern, als die Rechtsprechung diese von da ab zur Verbüßung 
von willkürlich erkannten kürzeren Freiheitsstrafen zu be¬ 
nutzen begann. 

Die unmittelbaren Vorläufer sind vielmehr die poli¬ 
zeilichen ,,Zucht- und Arbeitshäuser“ des 17. und 18. 
Jahrhunderts, die bereits den Erziehungsgedanken er¬ 
kennen lassen. Nur die Freiheitsstrafe als solche hat noch 
einen Vorläufer in der Ende des 16. Jahrhunderts aufkom- 
menden „Festungsbaugefangenschaft“ (Karrenstrafe). 
Aus der Wurzel der öffentlichen Zwangsarbeit erwachsen, 
tritt bei ihr neben letztere zugleich die langwierige Einsper¬ 
rung. Die Freiheitsentziehung wird also hier in umfassendem 
Maße als Strafmittel nutzbar gemacht, doch ohne den Er¬ 
ziehungsgedanken des Zucht- und Arbeitshauses. Die Strafe 
des Festungsbaues verschwindet mit der gesetzlichen Ein¬ 
führung geordneter Freiheitsstrafen Anfang des 19. Jahrhun¬ 
derts wieder völlig. 

Die Veranlassung zur Errichtung von Zucht- und Arbeits¬ 
häusern ist zunächst die Erfolglosigkeit der grausamen Lei¬ 
bes- und Lebensstrafen, die weder imstande waren, Ver¬ 
brecher abzuschrecken, noch dem ungeheuren Anwachsen des 
Landstreichertums Einhalt zu tun. Noch weniger vermochten 
das letztere die gesetzlichen ,,Landesverweisungen“. Zu¬ 
dem begann man allmählich einzusehen, daß es nach göttlichem 
und menschlichem Recht unerlaubt sei, menschliche Wesen 
unmenschlich zu quälen und daß es auch unproduktiv 
sei, die Übeltäter massenhaft zu vernichten, oder sie von 
Land zu Land hin- und herzuschieben, anstatt sie unter 
geordneter Zucht zu nützlichen Gliedern der mensch¬ 
lichen Gesellschaft heranzuziehen. Zwar verkaufte man auch 
hier und da Verbrecher als „Galeerensklaven“ oder in fremde 
,, Kriegsdienste“, aber diese ,,Nutzung“ für den Staat be- 



94 


deutete zugleich die Vernichtung des Verbrechers. Nicht viel 
anders war das auch bei der schweren Karrenstrafe der Fall. — 

Ende des 16., hauptsächlich aber im 17. und 18. Jahr¬ 
hundert entstehen daher in deutschen Staaten und Städten 
außerhalb der Strafrechtspflege jene ,,Zuchthäuser“ 
(auch „Werk“-, „Spinn“-, „Raspel“- und „Arbeitshäuser“ ge¬ 
nannt), um die gefährlichen Leute von „polizeiwegen“ 
dingfest zu machen und zu geordneter Arbeit in anderer 
Forrn anzuhalten. Zugleich tritt die Wohltätigkeit mit Stif¬ 
tungen auf den Plan, um diesen Elenden aus christlicher 
Barmherzigkeit leibliche Wohltaten zu erweisen. Daneben 
ringt sich die Überzeugung durch, daß es Pflicht der Gesell¬ 
schaft sei, auch der sittlichen Erhebung des Übeltäters 
eingedenk zu sein, und daß dieser Zweck nicht durch bloße 
Zwangsarbeit, sondern allein durch eine längere Einsper¬ 
rung unter ernster, sittlich religiöser Zucht erreicht wer¬ 
den könne. 

Das Strafrecht und die Strafgesetzgebung hat bis 
Mitte des 18. Jahrhunderts für diese Gedanken noch keinen 
Raum. Aber durch Kanzlei Verordnungen, durch rich¬ 
terliche Willkür, die aus eigener Machtvollkommenheit im 
Urteil an Stelle der gesetzlichen Leibes- und Lebens¬ 
strafen, bestimmt abgemessene oder auch in der Dauer un¬ 
bestimmte Freiheitsstrafen setzte, durch Kabinettsjustiz, 
durch polizeiliche Gewalt, die über den Kopf des Rich¬ 
ters hinweg gemeingefährliche Personen auf Zeit oder lebens¬ 
länglich der Freiheit beraubte, bahnt sich die „Freiheits¬ 
strafe“ ihren Weg langsam, aber unwiderstehlich in unser 
Strafsystem. — 

Der Sprung von der Unmenschlichkeit zur Menschlichkeit 
gelang nicht auf einmal. Die wenigsten der Zucht- und Arbeits¬ 
häuser entsprachen den Ideen, durch welche sie ins Leben 
gerufen wurden. Unter den Ausnahmen ragen nach Mittei¬ 
lungen von Zeitgenossen die (allerdings erst im 18. Jahrhun¬ 
dert angelegten) Sächsischen Zucht- und Arbeitshäuser her- 
vorL Man hatte zu lange unter dem Banne der Abschrek- 
kungstheorien gestanden. Die Bemühungen der schlecht 
bezahlten „Hausväter“ und „Zuchtmeister“ (meist übelsten 
Rufes) laufen noch darauf hinaus, den Aufenthalt in den 
Zwangsanstalten zu Leibesstrafen zu gestalten. Durch 
hartes Lager, schmale Kost, schwere Arbeit, .Karbatsch¬ 
hiebe zum ,,Willkommen“ und „Abschied“ sowie zwischen- 


1 1716 Waldheim, 1770 Torgau, 1775 Zwickau. 


95 


hindurch, durch rohe Behandlung in Wort und Tat sucht man 
noch den „Gefangenen“ möglichst großes leibliches und 
geistiges Unbehagen zu bereiten. Der enge Verkehr der 
in wahlloser Gemeinschaft gehaltenen Insassen macht 
die Zuchthäuser zu Pflanzschulen des Verbrechens. Doch 
schlimmer noch waren die Zustände in den „Gerichts¬ 
gefängnissen“ jener Zeit, in den Fronfesten, Kasematt-, 
Orts- und Patrimonialgefängnissen“, die von ,,gerichts- 
wegen“ zur Verwahrung von Angeklagten, Schuldgefangenen, 
,,auf Geständnis Sitzenden“ und sonstigen Verurteilten be¬ 
stimmt waren. Sie waren: ,,Kloake, Verbrecherschule, Bor¬ 
dell, Spielhölle, Schnapskneipe, nur nicht Anstalten im Dienste 
des Strafrechts zur Bekämpfung des Verbrechens.“ — 

Allmählich verwischt sich auch die ursprüngliche Be¬ 
stimmung der polizeilichen Zuchthäuser. Die Unklarheit 
über ihr Wesen und ihren Zweck führt dahin, daß man sich 
mit ihrer Hilfe aller Personen, die dem Gemeinwesen oder 
den Machthabern unbequem wurden, zu entledigen sucht. 
Das Zuchthaus wandelt seinen Charakter völlig um. Es dient 
nicht mehr allein zur polizeilichen Bekämpfung des 
böswilligen Bettlertums, sondern wird auch der Armen¬ 
pflege, der Jugendfürsorge, der Irrenpflege und der 
Strafrechtspflege dienstbar gemacht. Ohne Unterschied 
des Geschlechts sind unter demselben Dache ,,Angeklagte 
und Verurteilte, Verbrecher und Schuldgefangene, Geistes¬ 
gestörte und Almosenempfänger, Vagabunden und Waisen¬ 
kinder“ zusammengebracht und der Willkür des Zuchtmeisters 
unterworfen. Daraus entsteht allenthalben eine solche Ver¬ 
wirrung der Begriffe von Recht und Willkür, von richter¬ 
licher und polizeilicher Gewalt, daß das Ansehen der 
Strafjustiz aufs schwerste geschädigt wird. 

III. Strafanstalten und Gerichtsgefängnisse. 

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts setzen die großen Be¬ 
wegungen ein, die auch auf dem Gebiete der Rechtsprech¬ 
ung und des Gefängniswesens Wandel schaffen: Die 
soziale Bewegung, die die Schranken zwischen den Gesell¬ 
schaftsklassen auf hob, die wissenschaftliche, die das Straf¬ 
recht auf neue Grundlagen stellte, die gesetzgeberische, 
die der richterlichen Willkür ein Ende machte und eine reli¬ 
giös-philanthropische, die in dem Verbrecher nicht bloß 
den Feind der Rechtsordnung, sondern auch einen durch 
die Macht der Verhältnisse und die Schuld der Gesellschaft 
gefallenen Unglücklichen sah, der durch die Strafe ge- 



96 


hoben werden und durch Fürsorge vor Rückfall bewahrt 
bleiben soll. Vor allem war es der edle Menschenfreund John 
Howard, der sich die Verbesserung des Loses der Geifangenen 
und des Zustandes der Gefängnisse zur Lebensaufgabe stellte. 
Ihm verdankt auch Deutschland die Anregung zur Refor¬ 
mierung des Gefängniswesens, deren Grundgedanke die Auf¬ 
hebung der verbrecherischen Gemeinschaft und die 
Beseitigung der unmenschlichen Behandlung der Ge¬ 
fangenen war. 

Verwirklichung finden konnten diese Grundgedanken je¬ 
doch erst durch die gesetzliche Einführung eines geord¬ 
neten „Freiheitsstrafensystems“ zu Anfang des 19. 
Jahrhunderts, das mit dem formell noch bis 1806 zu Recht 
bestehenden Leibes- und Lebensstrafensystem der „Caro¬ 
lina“ endgültig aufräumt. 

In Sachsen erfolgt die gesetzliche Einführung der Frei¬ 
heitsstrafe 1838. Da die Justizverwaltung nur über kleine 
Gerichtsgefängnisse verfügt, ist sie außerstande, den ge¬ 
samten Freiheitsstrafvollzug zu übernehmen. Deshalb 
werden die der inneren Verwaltung von alters her zugehörigen 
und der Gerichtspraxis nur subsidär zur Mitbenutzung 
geöffneten landespolizeilichen Zucht- .und Arbeitshäuser 
unmittelbar zu „Strafanstalten“ bestimmt. Dabei werden 
die Kriminalgefangenen von den Polizeigefangenen (Kor¬ 
rektionären) endgültig geschieden, auch die Geschlechter 
und die Jugendlichen abgesondert. (Der Jugendfür¬ 
sorge, der Irren- wie der Armenpflege waren zuvor schon 
andere Unterkünfte zugewiesen.) Daher kommt es, daß in 
Sachsen (wie auch z. T. noch in Preußen) der Vollzug der 
gerichtlichen Freiheitsstrafen von längerer Dauer bis 
heutigen Tages der inneren Verwaltung unterstellt blieb, 
während der Justizverwaltung nur der Vollzug der kurz¬ 
zeitigen Freiheitsstrafen zufiel. 

Bald gestalten neue Hausordnungen die zunächst über¬ 
nommene alte Zuchthauspraxis allmählich zu einem 
rationellen Freiheitsstraf Vollzüge aus. — Die Vorherr¬ 
schaft des Prügels in der Disziplinarbehandlung wird 
gebrochen, die mittelalterlichen Disziplinarmittel: Schand- 
kappe, Schandpfahl, Eisenstrafe, Kauerkäfig usw. verschwin¬ 
den. Hafterleichterungen (Viktualienerkauf) und An¬ 
teile am Arbeitserträge werden gewährt. Die Gesund¬ 
heitspflege wird sorgfältig geordnet, die gesamte Verpfle¬ 
gung durch Regulative auf neue Grundlagen gestellt. Be¬ 
sondere Verhaltungsvorschriften regeln die Stellung der Ge- 



97 


fangenen, ihre Pflichten und Rechte. Eingehende Dienst¬ 
instruktionen wandeln die alten Zucht- und Kerkermeister zu 
Aufsichtsbeamten um, die, entsprechend vermehrt, auch 
an der Lösung der erziehlichen Aufgaben des Strafvollzuges 
mitzuarbeiten haben. 

Nur die räumliche Unterbringung der Gefangenen 
ließ sich nicht ändern. Den Zwecken der Polizei hatte die 
Einrichtung von alten Schlössern, Burgen und Magazi¬ 
nen jahrhundertelang genügt, den Forderungen eines er¬ 
ziehlichen Strafvollzuges lassen sie sich jedoch schwer 
anpassen. Mit unaufhörlichem Flickwerk muß in ihnen auch 
heute noch ausgekommen werden. Zum Bau neuzeitlicher 
Strafanstalten mangelt auf lange Zeit hinaus das Geld. Der 
Geldmangel nötigt sogar noch weiterhin zur Verwertung von 
alten Schlössern und Magazinen zu Straf- und Korrektions¬ 
anstalten nach altgewohnter FormL So mußte denn auch die 
unterschiedslose Gemeinschaft des alten Zuchthauses 
als ,,Haftform“ übernommen werden. 

IV. Haftformen. 

Der Kampf gegen die ,,verbrecherische“ Gemeinschafts¬ 
haft begann in Amerika. Einzelhaft in schärfster Form 
wird angepriesen. In strengster Einsamkeit, onne Arbeit, 
nur mit Zulassung religiöser Einflußnahme, wird das Heil¬ 
mittel zur Besserung des Gefangenen erblickt (Pensylvani- 
sches System von 1791). Bald zwingen üble Folgen auf Geist 
und Gesundheit der also Abgeschlossenen zur Änderung des 
Systems. Trennung des Nachts, gemeinsame Arbeit 
am Tage bei strengem Schweigegebot ist das neue Sy¬ 
stem (Auburnsches von 1816), das weite Verbreitung findet. 
Ungünstige Raumgestaltung und Beamtenmangel erschweren 
jedoch die Durchführung des Schweiggebotes. Zur Erspa¬ 
rung der Baukosten für Einzelzellen greift man zu dem Aus¬ 
weg der Gruppierung der Gefangenen nach ihrem sittli¬ 
chen Zustande (das sogenannte ,,Klassifikationssystem“ 
(in Sachsen 1840). In drei Gruppen teilt man die schlechten, 
die mittelmäßigen und die besseren Elemente und verwahrt 
jede Gruppe gesondert. Die Ausführung des Grundgedankens 
der „Moral“-Klassifizierung scheitert an den Forderungen des 
Arbeitsbetriebes, der durch die räumliche Trennung der 
Gruppen beeinträchtigt wird. Die Einrichtung der „Moral- 

1 1812 Colditz, 1836 Nordgebäude Zwickau, 1837 Hubertusburg, 
1858 Voigtsberg, 1859 Hohnstein, 1864 Hoheneck, 1867 Sachsenburg, 
1874 Grünhain, 1877 Nossen, 1879 Radeberg. 


Blätter für Gefängniskunde, Bd. LII. 


7 



98 




klassen“ wandelt sich deshalb zum System bloßer „Diszi- 
plinarklassen“ ohne räumliche Sonderung der Klassen um, 
das heute nur die Bedeutung eines Disziplinarmittels hat, 
welches aber, recht und gerecht angewendet, unleugbar 
auch erzieherischen Wert besitzt. 

Die Zeilenhaft gewinnt in stark gemildeter Form all¬ 
mählich die Oberhand und breitet sich, zwar wegen der Kosten 
langsam, aber stetig aus. Doch ,,Eins schickt sich nicht für 
Alle“. Die Gemeinschaftshaft kann nicht ganz entbehrt 
werden, nur ihre Form muß verbessert und der Zellenhaft 
gleichwertig gemacht werden. Die Schaffung von räumlich ge¬ 
trennten Einzelplätzen in den Gemeinschaftssälen ermög¬ 
licht auch in ihnen die Gefangenen auseinanderzuhalten, d. h.: 
zu ,,vereinzeln“, ohne sie zu „vereinsamen“. Das bedenk¬ 
liche Moment der Zellenhaft ist eben nur die Vereinsamung, das 
schätzenswerte die Vereinzelung. Die Augen und Ohren genü¬ 
gend zahlreicher Aufseher sollen in der so verbesserten Gemein¬ 
schaftshaft den Ersatz für das Fehlen der Zellenwände bilden. 

Eine systematische Verbindung von Zellenhaft und 
Gemeinschaftshaft erstrebt das Progressivsystem (von 
1854, mit einer Abweichung auch das „Irische“ genannt). 
Die Strafe beginnt bei ihm in Zellenhaft, verläuft nach ge¬ 
wisser Zeit in Gemeinschaftshaft (beim ,,irischen“ System 
auch noch in besonderen Zwischenanstalten mit freiem 
Verkehr nach außen) und schließt mit Beurlaubung auf 
Wohlverhalten. Doch auch dieses System kommt in regel¬ 
rechter Durchführung nur einer Minderzahl von Gefangenen 
zugute. Die Mehrzahl wechselt systemlos zwischen beiden 
Haftformen hin und her. In Sachsen führt diese Erfahrung 
dazu, die Anwendung von Zellenhaft und Gemeinschaftshaft 
nicht schematisch von vornherein zu regeln, sondern 
nach dem Grundsatz der Individualisierung dem Er¬ 
messen der Anstaltsleitung zu überlassen und die Beurlau¬ 
bung nach dem gleichen Grundsätze (1862) einzuführen, die 
1871 als ,,vorläufige Entlassung“ reichsgesetzliche Ver¬ 
breitung erlangt. Zugleich werden die Zellengelasse durch 
Zubauten von Zellenhäusern in den alten Anstalten allmählich 
vermehrt, auch die nächtliche Trennung der Gefangenen 
der Gemeinschaftshaft durchgeführt und letztere selbst 
nach Möglichkeit verbessert. Auch die Justizverwaltung 
wirkt an der Verbesserung des Gefängniswesens an ihrem 
Teile wesentlich mit und bringt solche namentlich durch den 
Bau größerer Zentral-Zellengefängnisse mit glücklicher 
Hand zur Durchführung. 



99 


V. Grundlagen und Neuordnung des Strafvollzuges. 

Die Rechtsprechung straft heute den Übeltäter für den 
Mißbrauch seiner Freiheit in der Hauptsache durch Entziehung 
derselben. Der Strafvollzug verwirklicht das Strafübel der 
Freiheitsentziehung durch den Strafzwang, dem sich der 
Gefangene von rechtswegen unterzuordnen hat. 

Der Strafzwang darf aber nicht soweit gehen, daß aus der 
Freiheitsstrafe eine besondere Ehrenstrafe oder Leibes¬ 
strafe wird. Der Gefangene soll nicht einer schimpflichen 
oder entwürdigenden Behandlung unterworfen werden, denn 
er hat ein Recht darauf, daß die Eingriffe in seine körper¬ 
liche Unversehrtheit und die Beeinträchtigung seiner Ehre 
nicht weiter gehen, als der Zweck der Strafe es erfordert. Die 
Freiheitsstrafe würde ihrer erziehlichen Aufgabe völlig 
entfremdet werden, wenn sie es dauernd auf Kränkungen 
und Beschimpfungen des Gefangenen anlegte. Der Straf¬ 
zwang ist auch nicht berechtigt, die Gesundheit des Ge¬ 
fangenen zu vernichten. Aufgabe der Gefängnishygiene ist 
es, den Schwieiigkeiten gerecht zu werden, die sich in gesund¬ 
heitlicher Beziehung aus der Eigenart des Strafanstaltsbetriebes 
ergeben. 

Im Strafvollzüge tritt infolgedessen ein eigenartiges Rechts¬ 
verhältnis zwischen Staat und Gefangenen ein. Dem Ge¬ 
fangenen wird durch seine Einsperrung nur die persönliche 
Freiheit, nicht aber sein persönliches Recht entzogen. Dem 
Strafvollzüge sind dem Gefangenen gegenüber rechtliche 
Schranken gezogen, auf deren Innehaltung der Gefangene 
einen Anspruch hat. Dem Gefangenen steht deshalb das 
Beschwerderecht gegen hausordnungswidrige Behandlung 
zu. Der Mißbrauch dcs Beschwerderechtes ist disziplinell 
strafbar, sofern er auf Leichtfertigkeit oder Mutwillen beruht. 

Die Einsperrung bedeutet die Abschließung des Gefan¬ 
genen von der Außenwelt und die Beschränkung seines 
Selbstbestimmungsrechtes durch die Bestimmungen der 
Hausordnung. Den Vollzug der Freiheitsstrafen regeln die 
einzelstaatlichen Hausordnungen. Den Verschieden¬ 
heiten ihres Inhalts suchen die bundesrätlichen Grund¬ 
sätze von 1897 nach Möglichkeit abzuhelfen, ihre Beseiti¬ 
gung auf dem Wege des Gesetzes ist Zweck und Aufgabe 
des neuen Strafvollzugsgesetzes. Sein Erlaß erfolgt im 
engen Anschluß an das neue Strafgesetz. Letzteres be¬ 
schränkt sich nicht wie das alte Strafgesetz nur darauf, all¬ 
gemeine Richtlinien für den Strafvollzug auf dem Gebiete 


7* 


100 



der Gefangenenbeschäftigung als Unterscheidungsmerk¬ 
male der Strafarten zu geben und die Grenzen der Zellen¬ 
haft festzusetzen. Es gibt vielmehr als das Hauptgesetz 
in der Reihe der Strafgesetze auch noch Richtlinien für 
die Verwendung der Anstalten und die Trennung der 
Gefangenen nach Strafarten und Geschlecht, für die 
Behandlung geisteskranker Gefangener sowie minder¬ 
wertiger und trunkfälliger Verbrecher, für die Ver¬ 
pflegung der Gefangenen und ihren Verkehr mit der 
Außenwelt, für die sichernden Maßnahmen des „Arbeits¬ 
hauses“ und der „Sicherungsverwahrung“ und end¬ 
lich für die wichtige ,,Schutzfürsorge“ nach der Ent¬ 
lassung. 

Das neue Strafgesetz greift demnach wesentlich tiefer in 
den Strafvollzug ein als das alte. Für all’ diese strafgesetz¬ 
lichen Vorschriften ist daher das Strafvollzugsgesetz nur das 
gefängnistechnische Ausführungsgesetz. Aber auch in all’ 
seinen übrigen Einzelbestimmungen hat es die Aufgabe, eine 
reichsrechtliche Garantie für die Einheitlichkeit des 
Vollzuges zu schaffen durch bindende Anweisungen für die 
Weiterentwicklung des Gefängniswesens in den Einzelstaaten, 
deren gemeinsam vereinbarten Hausordnungen wiederum 
die nähere Ausführung der vollzugsgesetzlichen Bestim¬ 
mungen obliegt. Leider sieht die Neuordnung des Strafvollzuges 
keine Vorschriften über die fachwissenschaftliche Vor- 
und Ausbildung der Vollzugsbeamten vor, wie solche 
in anderen Beamitenberuien für notwendig erachtet werden. 

Gegenüber den Bestimmungen der bisherigen Sächsi¬ 
schen Hausordnung soll die Vereinheitlichung des Straf¬ 
vollzuges nach den Vorschlägen des Vereins der deutschen 
Strafanstaltsbeamten hauptsächlich folgendes Neue bringen: 
die Anwendbarkeit des Jugendstrafvollzuges auf 18- 
bis 21jährige Gefangene, Vollzug der Einschließungs¬ 
strafe (bisherige Festungshaft) und de" ,,Sichernden 
Maßnahmen“ (Arbeitshaus, Sicherungsverwahrung), Zu¬ 
lässigkeit der Auseinanderhaltung der Gemein¬ 
schaftsgefangenen auch am Tage, Milderung des 
Strafzwanges durch Belohnungen (Wiedereinführung 
des Viktualienankaufes, der Kostvergünstigungen und 
Extragenüsse, Auswahl der Arbeit, Verkehrserleichterun¬ 
gen), Regelung des Beschwerderechts der Gefangenen, 
Einschränkung des Unternehmerbetriebes, Regel¬ 
mäßige Zulassung eigener Kleidung und Lagerung für 
Gefängnisgefangene ohne Ehrverlust und der Selbst- 



101 


beköstigung aus Gesundheitsgründen bei Gefängnis- 
gefangenen (ohne Rücksicht auf Ehrverlust), Zulassung 
von Nicht-Anstaltsärzten auf Wunsch und Kosten 
der Gefangenen, Sonderbestimmungen für den Jugend¬ 
strafvollzug, Milderung der Disziplinarstrafen und 
Bestimmungen über die Zuständigkeit des Bundesrates 
und der Landesbehörden für Abänderungen und 
Ausgestaltung gefängnistechnischer Einrichtungen, Ein¬ 
führung gewerbepolizeilicher Beaufsichtigung der 
Anstalten und Zulassung von Vertrauenspersonen zur 
Mitarbeit im Anstaltsdienste. 

VI. Hauptfaktoren im Strafvollzüge. 

Die erziehliche Wirkung des Strafvollzuges hängt je¬ 
doch nicht von der toten Haftform ab, auch nicht von 
richterlichen „Strafschärfungen“, sondern vielmehr von 
lebenden Faktoren, d. h. von der Eigenart des Gefan¬ 
genenmaterials und der Eignung des Beamtenperso¬ 
nals. 

Die neuerlich vorgeschlagene Gruppierung der Verbrecher 
in Augenblicksverbrecher (Gelegenheitsverbrecher) und in 
Zustandsverbrecher (Gewohnheits- und Gewerbsverbrecher) 
kommt für den Strafvollzug nur insofern in Betracht, als 
sich diese Gruppen im allgemeinen auch in Besserungswillige, 
Besserungsfähige und Unverbesserliche einteilen lassen. In 
der Strafanstalt dagegen treten noch unendlich mannigfaltigere 
Wesensunterschiede für die Strafbehandlung zutage. 

Mit dem Grundsätze, daß der Strafvollzug die Besserung 
der Gefangenen auf dem Wege der Individualisierung er¬ 
streben soll, wird zugleich dem Gefangenen ein Anrecht auf 
eine seiner ,,Individualität“ entsprechende Behandlung ge¬ 
geben. Letztere erfordert aber die Erforschung des Wesens 
jedes einzelnen Gefangenen, seiner guten und schlechten 
Eigenschaften, der innern und äußern Triebfedern seines 
Handelns und die Berücksichtigung seiner Bildung und Lebens¬ 
stellung, wie seines körperlichen und geistigen Zustandes, um 
zu erkennen, wie er nach seiner persönlichen Eigenart zu be¬ 
handeln ist. Irrig ist, daß die Hausordnungen durch Schema¬ 
tisierung der Strafbehandlung der Individualisierung „zu 
enge Schranken ziehen, da sie sich bis auf alle Einzelheiten 
des Tageslaufes erstreckten mit dem Grundsätze, daß die 
Gefangenen gleichmäßig zu behandeln seien“. Das trifft 
schon auf die Sächsische Hausordnung nicht ganz zu, da diese 
bereits durch die Klassifikation der Gefangenen in gewissem 



102 


Sinne individualisierende Unterschiede macht. Aber auch 
jedes andere Hausordnungsschema läßt noch hinreichenden 
Spielraum für individualisierende Einzelbehandlung. So 
auf den Gebieten der Gefangenhaltung (Zelle oder Gemein¬ 
schaft), der Disziplin (freies Ermessen bei Bestrafungen, Be¬ 
lohnungen, Klassenwechsel), des Arbeitsbetriebes (Auswahl 
der Arbeit, Pensierung, Prämiierung, Vertrauensposten, Außen¬ 
arbeit), vor allem aber bei der Seelsorge und im Unterricht, 
sowie im persönlichen Auftreten der Beamten dem Ge¬ 
fangenen gegenüber. Gerade der tägliche Verkehr der 
Beamten mit dem Gefangenen ist der wertvollste Faktor 
im Strafvollzüge. Er ist der Schlüssel, der das Herz des Ge¬ 
fangenen öffnet oder verschließt, er ist anderseits aber auch 
der Prüfstein, der erkennen läßt, wie es bei dem Beamten mit 
seiner Menschenkenntnis und Bildung, mit seinem Verständ¬ 
nis und Taktgefühl, mit seiner Auffassung und seinem Urteil, 
kurz, mit seiner Befähigung für die Arbeit an den Ge¬ 
fangenen bestellt ist. 

Der Erfolg des Strafvollzuges hängt daher im höchsten 
Maße von der rechten Eignung der Vollzugsbeamten 
(jeder Art) und ihrer Tätigkeit ab. Sie ist der sprin¬ 
gende Punkt im ganzen Strafvollzüge. Auf pädago¬ 
gischem wie psychiatrischem Gebiete stellt dieser Auf¬ 
gaben so schwieriger Natur, daß eine besondere Schulung 
hierin ebenso unerläßlich ist, wie die rechte Auswahl der 
Beamten. Selbstgerechte kaltherzige Persönlichkeiten, die 
bloß strafende Gerechtigkeit kennen, aber Mitgefühl, Geduld 
und helfende Liebe nicht, die kein Verständnis für die Fehler 
und Schwächen der Gefangenen und für die Verbrechens¬ 
ursachen zu gewinnen vermögen, oder die infolge eigener 
Glaubenslosigkeit unfähig sind, den Blick Anderer nach oben 
zu lenken, taugen zur sittlichen Hebung Gefallener nicht. 
Ihnen bleibt der Zugang zum Innern des Gefangenen ver¬ 
schlossen. Sie schaden oft mehr als sie nützen. Alles das 
trifft noch in erhöhtem Maße beim Jugendstrafvollzuge 
zu, da es bei diesem besonders darauf ankommt, mit Nach¬ 
druck erziehlich einzugreifen, um die Wurzeln des be¬ 
ginnenden Verbrechertums rechtzeitig zu ergründen und 
abzugraben. — 

Aber noch über die Strafzeit hinaus sucht der Straf¬ 
vollzug dem bereits Entlassenen zu nützen. Er bedient sich 
dabei der Entlassenenfürsorge, die, wenn recht geübt, 
rückfallverhütend zu wirken imstande ist. Ursprünglich 
staatlich, ist sie um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in 



103 


die Hände der freien Liebestätigkeit übergegangen, weil 
diese die Entlassenenpflege auf breiterer Basis üben und sich 
auch dem Freigewordenen anders gegenüberstellen kann als 
irgend eine staatliche Fürsorgeeinrichtung. Sie erst bildet 
den eigentlichen Abschluß eines individualisierenden Straf¬ 
vollzuges und wird in Zukunft noch wirksamer arbeiten kön¬ 
nen, wenn sie sich auf einen gesetzlichen Rückhalt stützen 
kann. 


Wegweiser für die Gefangenen-Aufseher. 

Vorwort an den jungen Aufseher. 

Lieber Freund. Du trittst aus dem Militärstande, in dem 
Du Dir getreulich die ,,Zivil Versorgung“ erdient hast, aus 
und willst nun als Lebensberuf den Gefängnisdienst ergreifen. 
Man schätzt an Dir besonders Deinen bisherigen Diensteifer 
und Gehorsam, Deine Pünktlichkeit und Strahheit — alles 
Eigenschaften, die Dich für Deinen neuen Beruf, für die 
Arbeit an Gefallenen recht wohl geeignet machen, wenn Du 
darin nicht nachlässest, Dich aber auch bemühest, den neuen, 
so ganz anderen Verhältnissen Dich anzupassen. Aber es wird 
hier noch mehr von Dir verlangt. Gefangenenerziehung läßt 
sich mit Soldatenausbildung nicht vergleichen, weder in der 
Form noch im Zweck. 

Bisher hast Du dienstlich ziemlich gleichartigen Leuten 
gegenübergestanden; unerfahrenen, ledigen, zumeist unbeschol¬ 
tenen jungen Männern, mit denen Dich ein gemeinsames 
hohes Ziel verband, die mit Dir einer Fahne folgten, die Du 
zu der Ehrenstellung eines Vaterlands Verteidigers vorbe¬ 
reiten und ausbilden halfst. 

Nun trittst Du ganz anderen Menschen gegenüber unter 
völlig anderen Verhältnissen. Du sollst nun Führer und Er¬ 
zieher entgleister Menschen werden, von Feinden vaterländi¬ 
scher Ordnung, von Menschen, die das Schicksal schon hart 
angefaßt, von Familienvätern, die schon schwer mit dem 
Leben zu ringen gehabt und dabei unterlegen sind, von Leuten 
alt und jung, gleichgültig oder verzweifelt, aus allen Ständen 
von allen Enden des Reiches. Jeder will anders genommen, 
jeder nach seiner Eigenart behandelt sein, um den Endzweck 
der Strafe: eine Wendung zum Bessern, zu erreichen. 

Daß hierzu Deine bisher erworbene Menschenkenntnis bei 
weitem nicht ausreicht, und daß die Art Deiner bisherigen 
militärischen Erziehertätigkeit nur wenig verwendbar ist, wird 



104 


Dir wohl ohne weiteres einleuchten. Es bedarf also neuen 
Lernens, ernsten Hineinversenkens in die Aufgaben Deines 
neuen Amtes, in die Pflichten Deiner neuen Stellung, in die 
Ziele Deines neuen Berufes. 

Und dazu möchte Dir dieser kleine „Wegweiser“ die 
erste Hand reichen. Er will Dir, wenn auch nur in kurzen 
allgemeinen Umrissen ein annäherndes Bild von den Haupt¬ 
eigenschaften und Erfordernissen eines guten Aufsehers geben, 
wie es bei Deiner Einführung in den täglichen praktischen 
Dienst, in das sozusagen Handwerksmäßige Deiner Stellung 
nicht gelehrt werden kann, damit sich dieses Bild gleich zu 
Anfang in Dein von anderen dienstlichen Sachen noch un¬ 
belastetes Gedächtnis leicht aber möglichst dauernd und 
unverlöschlich, gewissermaßen als „eiserner Bestand“ ein¬ 
präge. 

Selbstverständlich muß späterer Unterricht und auch 
Selbststudium mit Hülfe der vorhandenen Handbücher für 
den Aufsichtsdienst dieses Bild noch vervollständigen und 
vertiefen, damit Du auch erfährst, warum das alles so sein 
muß und zu Deinem Amte nötig ist. — 

Kommst Du aber nicht aus dem Militärstande, sondern 
aus einem Zivilberufe in den „Staatsdienst“, so kommen 
für Dich noch andere Dinge in Betracht. Dann lasse Dir zu¬ 
nächst erklären, was es für Dich bedeutet, „Staatsbeamter“ 
zu werden. 

Hast Du bisher, abgesehen vielleicht von einer kurzen 
Militärzeit, als Gewerbsgehilfe, Arbeiter oder in anderer Stel¬ 
lung einem sogen, freien Berufe angehört, so konntest Du 
im allgemeinen tun und lassen was Dir beliebte. Wenn Dir 
Deine Arbeitsstelle oder Dein Lohn nicht mehr paßte, legtest 
Du einfach die Arbeit nieder oder ließest Dich wohl gar in 
Lohnstreitigkeiten ein. Hattest Du Dein Tagewerk getan, 
so warst Du ganz Dein eigener Herr, konntes Dich vergnügen 
wie Dir’s gefiel, konntest hingehen wohin Du wolltest, ohne 
daß Dich jemand darin beschränkte. Weder Dein Arbeit¬ 
geber noch Deine Kollegen fragten darnach, was Du alsdann 
triebst, mit wem Du verkehrtest, wie Du Dich unter den 
Leuten bewegtest, welche Reden Du führtest; niemand machte 
Dir Vorschriften, ob das oder jenes schicklich oder nicht 
schicklich sei; Rücksichten brauchtest Du auf Deinen Stand 
nicht zu nehmen. 

Ob Du ein guter oder schlechter Familienvater warst, ob 
Du gut oder schlecht gekleidet gingst, ob Du wohlanständig 
oder liederlich, friedfertig oder streitsüchtig lebtest — alles 


105 


das war anderen als Deinen Angehörigen ziemlich gleich¬ 
gültig. 

Ob Du endlich Deine Christen- und Bürgerpflichten treu 
und gewissenhaft erfülltest, war lediglich Deine Sache und 
ob Du politisch bisher für oder gegen die staatliche Ordnung 
eintratest, das ging vollends niemanden etwas an. 

Alles das ist ganz anders im Beamtenstande und ganz 
besonders beim Staatsbeamten, wie Du einer zu werden 
wünschest. 

Die Staatsbeamten sind durch das Zivilstaatsdienergesetz 
nicht nur unter sich zu einem großen gemeinsamen Stande 
zusammengeschlossen, sondern auch aufs engste mit dem 
Staatskörper selbst verbunden. Die Staatsregierung muß sich 
auf ihre Beamten stützen, wie ein Truppenführer auf seine 
Soldaten, Die Beamten sind die ausführenden Organe der 
Staatsgewalt, die Helfer zur Aufrechterhaltung der Staats¬ 
autorität, der gesetzlichen Ordnung und aller staatlichen 
Einrichtungen in den ihnen übertragenen Staatsdienst-Stellen. 
Deshalb muß der Staat auch besonderes Gewicht legen nicht 
bloß auf die Art der Dienstleistung sondern auch auf die ganze 
Person des Beamten. Das Ansehen des Staates wie seines 
Beamtenstandes fordert unbedingt, daß der Beamte auch 
außer Dienst in jeder Beziehung als Staatsbürger wie als 
Familienvater, als Privatmann wie als Christ, sich jederzeit 
angemessen und einwandfrei verhalte. 

Nur wenn Du das mit gutem Gewissen geloben kannst 
und auch den festen Willen hast. Dein Gelöbnis in rechter 
Treue zu halten, kann aus Dir ein tüchtiger Beamter werden. 

Deine Pflichten. 

a) gegen das Amt: 

1. Sei „Beamter“ und nicht „Tagelöhner“. 

2. Sei ehrbar und gottesfürchtig. 

3. Sei offen und gerade. 

4. Sei friedfertig und dienstgefällig. 

5. Sei gehorsam und getreu. 

b) gegen die Gefangenen: 

6. Beachte den Strafzweck. 

7. Sei streng und gerecht. 

8. Sei menschlich und mitfühlend. 

9. Sei ruhig und besonnen. 

10. Sei beherzt und entschlossen. 




106 


1 . 

Sei „Beamter^^ und nicht „Tagelöhner“. 

Das heißt: . 

Siehe Dein Amt nicht an als eine bloße Versorgung, 
es ist vielmehr Dein neuer Lebensberuf! Setze also Deine 
Ehre darein, Deinen Posten gehörig auszufüllen. Als 
Staatsbeamter bist Du mit Träger des Staatswillens, 
und die Staatsregierung muß sich auf Deine rechte Mit¬ 
arbeit bestimmt verlassen können. Fasse darum Liebe 
zum neuen Lebensberufe und lasse Dich erfüllen mit rechtem 
Verständnis für die höheren Aufgaben Deiner Stellung. 

Wer nur interesselos, mechanisch und stumpf seinen 
täglichen Dienst nach der Uhr „abschraubt“, der ist kein 
,,Beamter“, sondern ein ,,Tagelöhner“ und ,,Mietling“ 
und darf sich nicht wundern, wenn er auch nur als ein sol¬ 
cher von seinen Vorgesetzten bewertet wird. 

Als Staatsdiener darfst Du Dich selbstverständlich auch 
nicht zu Grundsätzen bekennen, die die Grundlagen un¬ 
serer Staatsordnung bekämpfen und Umstürzen wollen. 
Sei vielmehr immer eingedenk, daß Du bei Deiner Anstellung 
unter Anrufung Gottes eidlich gelobst: 

,,Daß Du dem Könige treu und gehorsam sein, die Landes¬ 
gesetze und Verfassung strenge beobachten, jedes Dir 
übertragene Amt und jede Verrichtung im öffentlichen 
Dienste unter genauer Befolgung der gesetzlichen Vor¬ 
schriften und den Anordnungen Deiner Dienstvorgesetz- 
ten gemäß verwalten, auch stets bei der Wahrheit bleiben 
und Dich allenthalben so betragen wollest, wie es einem 
treuen, redlichen und gewissenhaften Staatsdiener gebührt.“ 

2 . 

Sei ehrbar und gottesfUrchtig. 

Das heißt: 

Lebe sittsam und mäßig. Suche Deine Erholung weniger 
im Wirtshaus als in der Familie. Meide unnötige Aus¬ 
gaben. Ehre Dein Weib. Halte auf gute Zucht und Sitte 
in der Familie. Lebe in Frieden mit Deinen Hausgenossen 
und Mitmenschen. Laß Dein Standes- und Ehrgefühl immer 
rege sein. Halte Deine Uniform als Dein Ehrenkleid. 
Unwürdiges Auftreten schändet den Stand. 

Gottesfurcht aber ist die beste Stütze eines ehrbaren 
Wandels. Auch Dein Amt fordert sie. Wie könntest Du sonst 
Deinem Anstaltsvorstande, dem Seelsorger, Inspektor, Lehrer 


.. J 






- 107 - 

ein rechter Helfer sein, gottentfremdete Gefangene zu 
dem Einen, das uns allen not tut, zurückzuführen, wenn 
Du selbst von den kirchlichen Einrichtungen der Anstalt 
geringschätzig denkst oder gar Gottesleugner bist? 
Das ginge doch zugleich gegen Dein eidliches Gelöbnis! 

Hast Du aber eine „andere Überzeugung“ — nun gut, so 
handle als ein Ehrenmann und wähle Dir, statt zu heucheln, 
einen anderen Beruf, bei dem es nicht so darauf an¬ 
kommt, wie Du zu Gott und Kirche stehst. 

3. 

Sei offen und gerade. 

Offenheit und Wahrhaftigkeit sind eine Zierde jedes Man¬ 
nes; laß sie auch die Deinige sein. 

Lüge ist feige und ehrlos, ein Schandfleck für jeden an¬ 
ständigen Menschen. Sie bedeckt den begangenen Fehler 
nur für den Augenblick. 

Wer aber gar, um sich herauszulügen, hinter den Diensteid 
sich versteckt und die zu Lügnern stempelt, die die Wahrheit 
sprachen, der ist ein erbärmlicher eidbrüchiger Mann. 

Ein gerader Mann verbirgt seine Meinung nicht und redet 
nicht nach dem Munde. Deine Geradheit laß aber nie zur 
Grobheit werden; Grobheit verrät Unbildung und stößt zurück. 
Du schadest Dir damit sehr. 

4. 

Sei friedfertig und dienstgefällig. 

Das heißt: 

Suche immer friedlich auszukommen mit Deinen Kollegen. 
Kameradschaftliches Verhalten erleichtert die Dienst¬ 
leistung. Nur wo ein Geist, ein Sinn, ein Wille herrscht, wird 
das gemeinsame Ziel erreicht. 

Streitsüchtige Beamte machen sich und anderen den Dienst 
und das Leben schwer. Streitsucht gebiert Gehässigkeit, 
Gehässigkeit — Mißgunst, Mißgunst — Schadenfreude, Scha¬ 
denfreude — Hinterlist. Mit solchen Beamten ist ein Zusam¬ 
menarbeiten unmöglich, deshalb besser fort mit ihnen. 

Dienstgefälligkeit wirkt wie ein lieber Freund. ,, Dienet 
einander“ sagt schon ein christliches Gebot. Achte immer 
die Berufserfahrung älterer Kollegen, sieh’ aber auch nicht 
hochmütig auf die jüngeren herab, sondern hilf ihnen dienst¬ 
lich zurecht. Springe Deinen Kollegen im Drange der Ge¬ 
schäfte kameradschaftlich bei und sei gefällig auch ohne 
Jedesmalige Gegenleistung — so schaffst Du Dir Freunde und 
dienest dem Ganzen. 



5. 

Sei gehorsam und getreu. 

Gehorsam und Pflichtgefühl sind die Grundpfeiler des ge¬ 
samten Dienstbetriebes. 

Führst Du die Dienstvorschriften und Befehle nur wider¬ 
willig, nachlässig oder verständnislos aus, so bist Du 
kein gewissenhafter, pünktlicher, verläßlicher, sondern ein 
schlechter Beamter. Nur wer selbst gehorchen gelernt 
hat, kann recht befehlen. 

Mäkle nicht an Einrichtungen und Anordnungen. Hast Du 
begründete Wünsche, so bringe sie angemessen vor. Halte 
Dich aber von Wühlern fern. 

Halte heilig Deinen Diensteid. Wahre strenge das Dienst¬ 
geheimnis. Erfülle treulich Deine Pflicht selbst in klein¬ 
sten Dingen, auch wenn es der Vorgesetzte nicht hört und 
sieht. Nur keine Drückebergerei! Bedenke: Dein Tun und 
Lassen ist stets Gegenstand besonderer Beobachtung Deiner 
Gefangenen. Wie Du’s treibst, so geht’s auch dort. Ver¬ 
nachlässigung Deiner Pflichten bringt Dich dazu um Ansehen 
und Einfluß. 

Achte gut auf Feuer und Licht. Hüte sorgsam Deine 
Schlüssel! Lasse die Gefangenen nieausdenAugen, nament¬ 
lich in den Mußestunden nicht. Wende ihnen nicht den Rücken 
zu. Sorge immer gewissenhaft für ihren sicheren Verschluß 
und lasse Dich nie verleiten zu irgend welchen Zusteckereien 
an Gefangene oder zur Annahme von Geschenken, zu unsau¬ 
beren Geschäften und Vermittlerdiensten zwischen Gefangenen 
und Außenwelt, sonst verlierst Du Dein Amt und viel¬ 
leicht sogar Deine Freiheit! (§347 d. RStrG.). 

6 . 

Beachte den Strafzweck. 

Die Strafe selbst muß zunächst ein Übel sein, damit sie 
als „Strafe“ gefühlt werde; in ihrer Wirkung soll sie aber 
zur Wohltat werden. Doch nur dann kann die ,,strafende 
Faust zur rettenden Hand“, die Strafe zur wohltätigen Buße 
werden, wenn sie der Eigenart des Büßers gerecht, das heißt 
seinem Charakter, seiner Bildung, seinem Lebensgange, sei¬ 
nen körperlichen und geistigen Fähigkeiten angemessen und 
selbst am Verworfensten menschlich vollzogen wird. 

Auf solche Weise wird es auch am ehesten gelingen, auf 
den Gefangenen erziehlich einzuwirken, das heißt ihn nicht 
nur zur Pflichterfüllung, sondern auch zur inneren Einkehr 
und Umkehr zu bringen. 



109 


Niemals aber darf die Strafbehandlung einen Menschen 
geistig, körperlich oder sittlich zugrunde richten! Die 
Verantwortung hierfür träfe auch Dich mit. So nimm 
die Sache ernst, denn gerecht und vernünftig zu strafen ist 
eine schwere Kunst. 

7. 

Sei streng und gerecht. 

Das heißt: 

Führe strenge Aufsicht. Verbrecherischer Wille und Trotz 
-müssen gebrochen werden. Überwache sorgsam den Verkehr 
der Gefangenen. Leide keinen Ungehorsam, keine Trägheit, 
keine Unsitte und Ungezogenheit oder sonstige Übertretung 
der Verhaltungsvorschriften. 

Lasse Deine Strenge aber nie zur Härte werden. Bei 
allem Zwange meide unnötige Quälerei und Plage; Du schafft 
damit nur Verbitterung und Verhärtung, statt Sinnesänderung 
und Besserung. Jugendliche Gefangene bedürfen besonderer 
Sorgfalt und erziehlicher Einwirkung. 

Sei vorsichtig mit Tadel. Tadle nie laut zu Gehör anderer. 
Sei sparsam mit Anzeigen; beuge lieber vor. Was Du aus- 
gleichen kannst, gleiche aus. Mit Verständigung, Beleh¬ 
rung und Mahnung kommst Du in der Regel weiter, als mit 
blanken Rügen. Auch auf den Ton kommt’s an. Ungeschickte 
rauhe Rede verdirbt viel. Treibe auch niemals Scherze. 
Meide Vertraulichkeiten. 

Behandle Deine Schutzbefohlenen gerecht. Der Gefan¬ 
gene ist nicht rechtlos. Er hat ebenso Anspruch auf ge¬ 
rechte Behandlung, wie auf gehörige Verpflegung und Rück¬ 
sichtnahme auf sein leibliches und geistiges Wohl. Schere 
nicht über einen Kamm, sondern sieh’ die Person an. Beachte 
Bildungsgrad, Gemütsverfassung, Vorleben, Verbrechens¬ 
ursachen. Höre nicht auf Schmeichler und Heuchlet. Habe 
keine Günstlinge. Sei nicht launisch, nicht parteiisch, trage 
nicht nach. Räche Dich nicht an dem, der Dich geärgert 
oder sich über Dich beschwert hat. Sei nicht schadenfroh 
über den, den die Strafe ereilt hat. 

8 . 

Sei menschlich und mitfühlend. 

Das heißt: 

Ergründe die menschlichen Schwächen Deiner Schutz¬ 
befohlenen, und habe Geduld mit ihnen. Auch der Verhär¬ 
tetste ist noch des Versuches einer Wiedergewinnung wert. 
Zertritt nicht das Ehrgefühl. Drücke nicht nieder, son- 



110 


dem richte auf. Hilf den Entgleisenden zurecht, das ist 
oft besser als Strafe. Schroffheit und Lieblosigkeit verschlies- 
sen, Teilnahme und Geduld öffnen die Herzen. 

Beachte immer wieder die Verbrechensursachen. Nimm 
teil an den Sorgen und Kümmernissen Deiner Untergebenen. 
Mach aber nicht zu viel Worte und predige nicht unnötig 
Moral. Ein kurzes herzliches Trost- oder Mahnwort genügt. 
Suche das Gottvertrauen zu stärken. Erteile Rat, wo 
Du kannst, meide aber dabei Gespräche über Justizpflege, 
Politik und Religion. Laß die Gefangenen überall fühlen, daß 
Du es gut mit ihnen meinst, aber dränge Dich nicht auf und 
versprich nicht Hilfe, wo Du nicht helfen kannst. Erst das 
Vertrauen Deiner Untergebenen gibt Dir Befriedigung in 
Deinem dornenvollen Amte. — 

Achte endlich auf den körperlichen und geistigen Zustand 
der Gefangenen. Halte peinlich auf rechte Ausführung der 
Vorschriften über Reinhaltung, Lüftung, Unfallverhütung. 
Verzögere nie die ärztliche Hilfeleistung. Kränke nicht 
durch Äußerung von Mißtrauen und Zweifel bei Krank¬ 
meldungen, Du kannst über Verstellungen nicht entscheiden. 

Auch Entlassenen entziehe Deine Teilnahme nicht, nur 
sei vorsichtig im Verkehr mit ihnen, doch kränke wiederum 
nicht durch schroffe Zurückhaltung. 

9. 

Sei ruhig und besonnen. 

Das heißt: 

Beherrsche Dich im Zorne und überwinde Dich im Ärger. 

Befleißige Dich eines ruhigen Tones; denn wie’s in den Wald 
hineinschallt, schallt’s wieder heraus. Poltern, Anschreien, 
Schimpfen und Fluchen, desgleichen der laute rauhe Kom¬ 
mandoton des Exerzierplatzes, wirken im Strafhause auf¬ 
reizend, zumal bei Männern, die das Leben ohnehin schon 
hart mitgenommen hat. Du sollst auf Ruhe halten und darfst 
daher auch die Ruhe nicht selbst stören. 

Der Aufseher von heute ist nicht mehr wie ehedem, ein 
bloßer Schließknecht und roher Zuchtmeister, er soll heute, 
so viel an ihm ist, Erzieher sein! Aber nur wer sich selbst in 
Zucht nehmen kann, vermag andere zu erziehen. 

Dazu hilft die Besonnenheit. Sprich keine unnötigen 
Worte und handle nicht unüberlegt. Du sollst vielmehr ein 
denkender Aufseher sein. Das ist besonders wichtig, wenn Du 
bei plötzlichen Vorkommnissen vor selbständigen Entschlies- 
sungen stehst. 



111 


10 . 

Sei beherzt und entschlossen. 

Je beherzter der Aufseher, desto größer die Gewähr für 
die Sicherheit der Anstalt. Tritt deshalb jeder Gefahr mutig 
entgegen, denn Furcht vergrößert die Gefahr. 

Zum Schutze gegen tätlichen Angriff dient Dir die Waffe. 
Hüte Dich aber vor ihrem unnötigen oder vorschnellen Ge¬ 
brauch. Sie sei Deine letzte Zuflucht. Mißbrauche sie nicht, 
— auch die Notwehr hat ihre gesetzlichen Schranken. Auf¬ 
ruhr und Feuerbrand gelten als die schlimmsten Gefahren 
im Strafhause. Hier helfen nur Geistesgegenwart, Kaltblütig¬ 
keit, Umsicht und Entschlossenheit. 

Bei Ausbruch von Feuer sei Deine erste Pflicht, die Ge¬ 
fangenen zu retten und danach sie zu sichern. 



Die Wanderfreiheit der Jugendlichen. 

Der geneigte Leser erschrecke nicht, wenn er diese Über¬ 
schrift nun zum drittenmal in diesen Blättern findet, und 
fürchte vor allem nicht die Austragung einer Streitfrage. 
Ich habe im Gegenteil Herrn Stadtpfarrer Wüterich für seine 
Ausführungen in Bd. 51 herzlich gedankt und ihm meine 
Freude ausgedrückt, daß er die Wanderfreiheit der Jugend¬ 
lichen ebenfalls als eine der Ursachen des sittlichen und sozialen 
Unterganges vieler jugendlicher scharf bekämpft. Wenn Herr 
Wüterich in manchen Punkten eine andere Regelung der 
Frage für zweckmäßiger hält, als ich sie in Bd. 50 vorschlug, 
so wird die Zukunft einmal entscheiden, welche Lösung die 
bessere ist; viel wichtiger und wertvoller ist mir, daß wir 
dasselbe Ziel erstreben. 

Meine Ansicht ist auch heute noch die, daß den jugend¬ 
lichen unter 18 Jahren die Freiheit des ungehinderten Wan- 
derns entzogen werden und daß der Staat eine sichere Kon¬ 
trolle darüber ausüben muß, daß diese jugendlichen sich nicht 
jeglichem erziehlichen Einflüsse leichtsinnig oder böswillig 
entziehen können, sondern sich unter steter Aufsicht und er¬ 
ziehlicher Leitung befinden. Wenn diese zwei Forderungen 
nicht durch gesetzliche Regelung wirklich gewährleistet wer¬ 
den, so wird auch das Übel mit seinen verderblichen Folgen 
nicht beseitigt werden. — 

Wer es mit unserer Jugend gut meint, der darf dieses Ziel 
nicht mehr aus den Augen verlieren. Die Zahl der so ver¬ 
kommenden jugendlichen ist viel größer, als wir wissen; es 
gibt leider keine statistischen Nachweise darüber. Nur den 
mitten in der Schutzarbeit an den gefährdeten jugendlichen 
Stehenden kommt eine Ahnung von der erschreckenden 
Größe des Unheils. Nach den Beobachtungen, die ich in 
unserem verhältnismäßig kleinen Freiburg machen kann, 
schätze ich die Zahl der durch Mißbrauch der Wanderfreiheit 
jährlich im Deutschen Reiche verkommenden jugendlichen 
Volksgenossen auf weit über 100 000. — Wenn es gelänge, 
auch nur die Hälfte dieser irregeleiteten jugendlichen durch 
Einschränkung der Wanderfreiheit vor dem Untergang zu 
bewahren, so wäre dies schon ein herrlicher sittlicher Erfolg 
von unübersehbarem wirtschaftlichem Nutzen. 



113 


Auch der Krieg bringt neue Beweise für die Verderblich¬ 
keit dieser Wanderfreiheit; 

Militärische Bauten in Baden und Elsaß (Erdarbeiten. 
Straßen- und Barackenbauten u. dergl.) erfordern große Ar¬ 
beiterscharen, Die Unternehmerfirmen lassen überall unter 
Angebot hoher Löhne Arbeiter anwerben. Männliche Arbeits¬ 
kräfte im leistungsfähigen Alter sind natürlich schwer zu be¬ 
kommen, denn sie stecken fast alle in der Uniform. Nur 
solche, die wegen einer erlittenen Zuchthausstrafe oder Ver¬ 
lustes der bürgerlichen Ehrenrechte vom Heere ausgeschlossen 
sind, natürlich auch Reklamierte in geringer Zahl, stehen 
zur Verfügung. Diese Männer genügen aber lange nicht dem 
Bedarf und man nimmt auch jugendliche und weibliche 
Arbeitskräfte an. Aus ganz Deutschland treibt man solche 
Arbeitertransporte zusammen, und in Trupps von 20 bis 100 
Mann kommen sie aus Hessen und Westfalen, aus Lothringen, 
Bayern, Brandenburg usw. Die Agenten der Baufirmen ködern 
sie mit lockenden Versprechungen, z. B. Arbeit in Freiburg 
mit 1 M. und mehr Stundenlohn bei freier guter Verpflegung. 
Manche Eltern sind kurzsichtig genug und geben ihre Er¬ 
laubnis zu diesem Fluge in die ungewisse Fremde, andernfalls 
gehen die Herren Jungen eigenmächtig, und fast alle Eltein 
lassen dann der Sache ihren Lauf, so daß die unfolgsamen 
Bürschlein frei sind von jeglichem Zwange. Sie kommen 
in Trupps, jung und alt bunt gemischt, hier an. Da erleben 
sie die erste Enttäuschung; Nicht Freiburg ist der Arbeits¬ 
platz, sondern der Transport geht weiter nach Oberbaden 
oder ins Elsaß, oft in die Nähe der Front zu schweren Erd¬ 
arbeiten. Hier folgt die zweite Enttäuschung; Nicht ein Stun¬ 
denlohn von 1 M. oder gar 1,30 M., wie sie gehofft hatten, 
sondern ein solcher von 60 oder 70 Pfg. wird ihnen bewilligt. 
Das wäre neben freier Wohnung und Verköstigung immer 
noch ein sehr hoher Lohn, wenn nicht gerade diese beiden 
häufig die dritte Enttäuschung bereiten würden. Die Ver¬ 
köstigung läßt wenigstens vielerorts viel zu wünschen übrig. 
Juiige Burschen zwischen 15 und 18, die in vollem Wachstum 
sind und den ganzen Tag im Freien scliwere und oft ungewohnte 
Arbeit verrichten müssen, können essen! Zusatznahrung aber 
ist in den seit Jahren von Soldaten überfüllten Orten nicht 
zu haben, und wenn sie zu haben ist, werden fast unerschwing¬ 
liche Preise verlangt, z. B. für einen Leib Kommißbrot 3, 
ja 4 M.l Ebenso ist es mit dem Ersatz für zerrissene Kleidungs¬ 
und Wäschestücke. Dies macht es auch erklärlich, daß von 
dem großen Lohn kaum einmal Ersparnisse gemacht werden. 


Blätter für Gefängniskunde, Bd. LU. 


3 




- 114 - 

Auch an die Wohnung in Bretterhütten mit einem Lager, 
das aus Holzpritschen mit etwas Holzwolle besteht, müssen 
sich unsere Jungen gewöhnen! Solche Angaben machen 
wenigstens zahlreiche jugendliche fast übereinstimmend. — 
Kein Wunder, daß oft schon nach wenigen Tagen der Wunsch 
brennend wird: nur weg und wieder heim! Das ist aber nicht 
so einfach. Die Baugesellschaft läßt sie nicht gehen, gibt 
ihnen keinen Abkehrschein, und sie sind zudem ohne Mittel. 
Da tun sich 4 oder 6 zusammen und ermutigen sich gegenseitig, 
um gemeinschaftlich durchzubrennen. Da dem einen Schuhe, 
dem anderen eine Mütze oder Joppe fehlen, läßt man diese 
Kleidungsstücke mitgehen, und nun ist ihr Schicksal besiegelt. 
Nach wenigen Tagen sitzen sie in Untersuchungshaft im 
Gefängnis! Hier werden sie wie echte Stromer eingeliefert: 
abgerissen, schmutzig, verwahrlost, verwildert und verlaust! 
— Das ist innerhalb weniger Monate aus vorher ordentlichen 
jungen Burschen geworden! — Gewiß, es waren nicht alle 
unverdorben, es war auch manch’ böser und verwahrloster 
Junge dabei; er ist noch viel tiefer gesunken und verkommen, 
die Mehrzahl seiner Unglücksgenossen aber ist erst durch 
diesen ,,Hilfsdienst“ auf Abwege geraten und wohl fürs Leben 
verdorben. Das sind herzbewegende Beispiele für das Unheil, 
das die Wanderfreiheit der Jugend anrichten kann. 

Welche Schäden mögen erst im Innern dieser jungen Men¬ 
schen durch den ständigen Umgang mit den oben gekenn¬ 
zeichneten älteren Mitarbeitern bei dem völligen Mangel 
jeglicher schützenden Gegeneinwirkung angerichtet worden 
sein! Die Frage stellen, heißt sie auch für den Sachkundigen 
beantworten. — 

Kein Wunder, daß das Befremden und die Empörung 
über solche Zustände immer weitere Kreise ergreift: Jugend¬ 
gericht, Verwaltungsbehörden, Jugendamt, Jugendfürsorge¬ 
ausschuß, Jugendschutzverein und Pfarrämter rufen nach Ab¬ 
hilfe, und es scheint, daß diese Rufe von zuständiger Stelle 
gehört werden. Sie erklingen, weil durch die große Zahl der 
gefährdeten Jugendlichen, durch die Offenkundigkeit der Mi߬ 
stände das öffentliche Gewissen wachgerüttelt wurde. Das 
Unheil, das hier gehäuft vor Augen tritt, sieht 
der in der Jugendschutzarbeit Stehende in Einzel¬ 
fällen während des ganzen Jahres! Wenn man alle 
diese Einzelfälle von Ju gendlichen, die durch Mißbrauch der 
Wanderfreiheit straucheln und fallen, in geschlossenem Haufen 
vorführen könnte, dann würde auch das deutsche Volks¬ 
gewissen erwachen und in der erschreckenden Erkenntnis 







115 


der Größe des Unheils sicherlich alle politischen, juristischen 
staatswirtschaftlichen oder sonst engherzigen Bedenken gegen 
eine gründliche Abhilfe hinwegfegen. 

Wenn nur vorerst einmal erreicht wird, daß das deutsche 
Volk diese zehrende Wunde an seinem Körper erkennt, und 
daß die großen Organisationen des Jugendschutzes die For¬ 
derung der Einschränkung oder Beseitigung der Wander¬ 
freiheit der Jugendlichen nicht mehr von ihrem Programm 
verschwinden lassen, dann wird sicher der Tag bald kommen, 
der auch diesem schweren Mißstande zum Heile unserer 
Jugend ein Ende bereiten wird. 

C. Behringer-Vrdhurg. 


«• 


Gefängniswissenschaft 
als Lehrfadi in den Hochschulkursen für 
kriegsheschädigte Offiziere. 

Von Pastor Dr. H. Seyfarth, Hamburg-Fuhlsbüttel. 

Schon seit mehreren Jahren haben verschiedene Univer¬ 
sitäten und Akademien auf Anregung der Generalkommandos 
Hochschullehrgänge eingerichtet, die den Zweck haben, 
Kriegsbeschädigten, die aus dem Militärdienst ausscheiden 
und ihren früheren bürgerlichen Beruf zu ändern gezwungen 
sind, einen Einblick in die verschiedensten Berufsarten zu 
geben und ihnen dadurch die Wahl zu erleichtern. Die Lehr¬ 
grenzen sind in diesen Kursen meist sehr weit gezogen. Sie 
umfassen die Reichs-, Staats- und Kommunalverwaltung, 
die deutsche Volkswirtschaft in ihren verschiedenen Zwei¬ 
gen, die Organisationen kaufmännischer, insbesondere in¬ 
dustrieller Betriebe, die Versicherungsfächer, das Genossen¬ 
schaftswesen, das Zeitungswesen, das bürgerliche, Handels-, 
Wechsel- und Scheckrecht, fremde Sprachen, Buchhaltung 
und anderes mehr. Es ist keine Frage, daß diese Kurse für 
diejenigen, die sie besuchen, von außerordentlicher Bedeu¬ 
tung werden können, denn es ist für Berufssoldaten, die in¬ 
folge einer Verwundung zur Verabschiedung gelangen, un- 
gemein schwer, sich für einen neuen Beruf zu entscheiden, 
ohne daß sie wenigstens ungefähr wissen, was sie darin er¬ 
wartet. 

Anfang 1916 schon hat die Handelshochschule in 
Berlin durch hervorragende Praktiker und Theoretiker vor 
kriegsbeschädigten Offizieren einen Zyklus von 30 Vorträgen 
über die verschiedensten Zweige des öffentlichen und wirt¬ 
schaftlichen Lebens halten lassen. Diese Vorträge sind in 
Buchform zusammengefaßt und von dem Rektor der Hoch¬ 
schule, Herrn Professor Dr. Eltzbacher unter dem Titel 
,,Berufswahl“ herausgegeben worden und bei Mittler u. Sohn 
in Berlin erschienen. Im ähnlichen Sinne gedenkt auch die 
am 30. Mai d. Js. begründete Fürst Leopold-Akademie 
für Verwaltungswissenschaften in Detmold vorzu- 



117 


gehen, die jedoch ihre Ziele noch viel weiter gesteckt hat 
- und einen ganz neuen Typus im Hochschulwesen darstellt. 
Sie hat sich zu einem Unternehmen ausgewachsen, das nicht 
vorübergehenden, sondern dauernden Zwecken dienen soll, 
indem sie nicht nur kriegsbeschädigten Offizieren, sondern 
auch nicht Heeresangehörigen, Männern und Frauen, mit 
geeigneter Vorbildung, die die Beamtenlaufbahn einschlagen, 
wollen, ihre Pforten öffnet. 

Von militärischer Seite war es zuerst das stellvertretende 
Generalkommando des 17. Armeekorps, das in der Kgl. 
Technischen Hochschule zu Danzig-Langfuhr Hoch¬ 
schulkurse für kriegsbeschädigte Offiziere einrichtete, deren 
Lehrpläne immer mehr erweitert wurden. In dem fünften, 
der vom 29. April bis 29. Juni 1918 stattfand, wurde auf eine 
von mir gegebene Anregung hin hier zum erstenmal auch die 
Gefängniswissenschaft als Lehrfach in den Rahmen 
der Vorlesungen eingefügt. In meiner Denkschrift, in der 
ich diese Einfügung vorschlug, wies ich darauf hin, daß der 
Beruf eines Gefängnisbeamten für gewesene Offiziere in vieler 
Beziehung ganz besonders geeignet sei, und daß es infolge¬ 
dessen im Interesse der Besucher des Hochschulkursus liegen 
würde, wenn ihnen ein genaues Bild von dem, was der Ge¬ 
fängnisberuf in sich schließt, geboten werde. Der Chef der 
Versorgungsabteilung des 17. Armeekorps, Herr Oberst von 
Horn, ging auf diese Anregung sofort ein, und ich wurde mit 
der Abhaltung der Vorlesungen über Gefängniskunde und 
Entlassenenfürsorge betraut, wie ich auch später an der Det- 
molder Akademie, deren Ehrenausschuß ich angehöre, als 
nebenamtlicher Dozent über die gleichen Fächer lesen werde. 

Ohne Zweifel sind ja die straffe Disziplin, die dem frühe¬ 
ren Soldaten eigen ist, und seine Gewöhnung, mit Menschen 
umzugehen und als Vorgesetzter aufzutreten, Eigenschaften, 
die ihn äußerlich in besonderem Maße für den Beruf des Ge¬ 
fängnisbeamten geeignet machen. Gleichwohl aber wäre es 
sehr verkehrt, wenn sich Leute lediglich deshalb, weil sie 
diese Eigenschaften besitzen, einem so eigenartigen und schwie¬ 
rigen Arbeitsfeld, wie es der Strafanstaltsdienst ist, zuwenden 
wollten. Ich habe daher in meiner einleitenden Vorlesung, 
in der ich über den Beruf des Gefängnisbeamten handelte, 
aufs dringendste davor gewarnt, voreilig diesen Beruf zu 
wählen, ohne daß man sich völlig klar über das ist, was er 
von seinen Trägern fordert. Eine solche Warnung erschien 
mir notwendig, denn der Strafzweck kann ja nur erreicht und 
der ganze Strafvollzug nur dann erfolgreich gestaltet werden. 



118 


wenn der Beamtenkörper sich aus geeigneten Persönlichkeiten 
zusammensetzt, die sich des Ernstes ihrer Aufgabe und der 
Größe ihrer Verantwortung voll und ganz bewußt sind. Ich 
habe darauf hingewiesen, daß Idealismus und Optimismus 
für einen guten Gefängnisbeamten unentbehrlich sind, um 
erfolgreich ein Amt verwalten zu können, das so reich an 
schweren Enttäuschungen und trüben Erfahrungen ist, und 
daß niemand sich diesem Beruf zuwenden darf, der nicht die 
innere Neigung und den ernsten Willen hat, an der großen 
Aufgabe mitzuwirken, verirrte und verlorene Söhne unseres 
Volkes wieder auf den rechten Weg zurückzubringen und 
sie wieder zu brauchbaren Gliedern der menschlichen Gemein¬ 
schaft heranzubilden. Das ist und bleibt ja immer die Haupt¬ 
sache für den Gefängnisbeamten. Ein tüchtiger Buchhalter 
oder Kassenverwalter kann auch ein Mann werden, der ohne 
jede psychologische Veranlagung ist, ein wertvoller Wirtschafts¬ 
inspektor braucht kein Menschenkenner zu sein, aber Beamte, 
die diese Stellungen in Gefängnissen bekleiden wollen, 
müssen neben ihrer technischen Tüchtigkeit vor allen Dingen 
die seelischen Qualitäten besitzen, die sie zugleich zu Er¬ 
ziehern machen. 

Nachdem ich §o auf den Ernst und die Schwierigkeit des 
Berufes des Gefängnisbeamten hingewiesen und betont hatte, 
daß das Fehlen innerer Neigung und Begabung gerade hier 
stets die größten Enttäuschungen im Gefolge hat, habe ich 
vor meinen Zuhörern die großen Probleme entwickelt, die 
Schuld und Sühne umschließen, und ihnen ein anschauliches 
Bild von allem gegeben, was man unter dem Namen Gefäng¬ 
niswissenschaft zusammenfaßt. Es traf sich günstig, daß direkt 
vor meinen Vorlesungen ein Danziger Staatsanwalt über 
Strafrecht und Strafprozeß vortrug, und daß die Hörer so 
über beide Wissenszweige gewissermaßen im Zusammenhang 
orientiert wurden. Denn Strafrecht und Gefängniskunde 
stehen ja in einem großen innern Zusammenhang, und Pro¬ 
fessor Köhler betont in seinem Geleitwort zum 65. Bande 
des Archivs für Strafrecht und Strafvollzug mit Recht, daß 
das Strafrecht mehr und mehr zur Lehre vom Verbrechertum 
sich ausgestalten müsse, und daß die Gefängniskunde einer, 
der wichtigsten Teile dieser Wissenschaft sei, ohne welche 
eine richtige Bemessung der Gerechtigkeitsstrafe überhaupt 
nicht möglich wäre. 

Einen besonderen Wert legte ich in meinen Vorlesungen 
auch auf die Darstellung der Fürsorge für die Entlasse¬ 
nen und versuchte, meinen Zuhörern klarzumachen, daß 



119 


jeder Gefängnisbeamte auch auf diesem Gebiete heimisch 
sein müsse, das ebenso wichtig sei wie alles, was während der 
Strafverbüßung für die Gefangenen geschieht. Denn so ist 
es doch; Was man auch als Zweck und Strafe anerkennen 
mag, welcher Ansicht über Strafsysteme und Strafvollzug 
man auch huldigen mag, das wichtigste ist und bleibt immer: 
ob der Rechtsbrecher nach verbüßter Strafe wieder ein nütz¬ 
liches Glied der Gesellschaft wird, oder ob er weiterhin ein 
asozialer Mensch bleibt, der die Allgemeinheit schädigt. Es 
darf daher kein Gefängnisbeamter achtlos an der Entlassenen- 
fürsorge vorübergehen, wenn sie auch nicht direkt zu seinem 
Ressort gehört. 

Meine Ausführungen waren in sechs Doppelvorlesungen 
zusammengedrängt und wurden durch eine Besichtigung des 
Danziger Gerichtsgefängnisses beschlossen, so daß im Ver¬ 
lauf von einer Woche die Zuhörer ein Bild von dem ganzen 
Gebiet des Gefängniswesens sowohl theoretisch als praktisch 
erhielten. Die Vorlesungen waren nicht allein von kriegs- 
beschädigten Offizieren, sondern auch von einigen Professoren 
und ihren Damen besucht. Auch der stellvertretende Rektor 
der Kgl. Technischen Hochschule, Geheimrat Professor Dr. 
von Mangold, wohnte den Vorlesungen bei, und es ist wahr¬ 
scheinlich, daß die Einfügung der Gefängniswissenschaft in 
den Lehrplan der Danziger Kurse eine ständige Einrichtung 
bleiben wird. 

Ob der eine oder andere meiner kriegsbeschädigten Zu¬ 
hörer sich dem Gefängnisberuf zuwenden wird, weiß ich nicht. 
Sicher aber ist, daß diejenigen, die es tun werden, nicht mit 
falschen Voraussetzungen und falschen Erwartungen ihr neues 
Leben beginnen werden, sondern daß sie nun ganz genau 
wissen, worauf es ankommt, wie schwierig die Arbeit in den 
Gefängnissen ist, und daß niemand durch sie innerliche Be¬ 
friedigung empfangen kann, der nicht für sie disponiert ist, 
und sie mit warmem Herzen und aus innerster Neigung an¬ 
greift. 



120 



Prof. Kriegsmann *f*. 

Von Landesanstalts-Oberinspektor Glauning, z. Zt. im Felde. 

Die Spätherbststürme brausen durchs Land. So recht das 
Präludium für den Champagne-Winter! Wer wie ich schon 
zum dritten Male diese Jahreszeit im Westen erlebt, der weiß 
genau, was zu erwarten steht. Während zu Hause im lieben 
Vaterland die Schneeflocken gar lustig durch die Luft wirbeln 
und die ganze Natur sich in ein festlichweißes Gewand hüllt, 
ist hier auf Monate hinaus mit nur kurzen Unterbrechungen 
nichts zu erhoffen als Regen, Sturm und bodenlose Wege. 

ja, wenn der Frühling auf den Fluren liegt und es überall 
sproßt und grünt, dann ist es leicht, Soldat zu sein. Und 
wenn die Sommersonne die Landschaft segnet, oder auch der 
erste leichte Herbstwind liebkosend über die Ähren streicht, 
auch dann noch gehen die Gedanken des Kriegers lustige 
Pfade. Aber wenn der nahende Winter seine Boten schickt. 
Tag für Tag der Sturm tobt und das große Sterben über die 
Natur kommt, dann beginnen für den Feldsoldaten gar tief- 
ernste„schwere Zeiten. Da eilt dann die Sehnsucht mehr denn 
je zu Weib und Kind und zu der fernen Heimat, da gedenkt 
man noch häufiger als sonst derer, die einem einst waren, und 
wohl in erster Linie apch derer, die dieser Krieg zum Opfer 
gefordert. 

Und da habe ich auch öfters wieder eines gedenken müssen, 
der schon seit dem ersten Kriegsjahre in fremder Erde ruht, 
eines — den ich eigentlich gar nicht kannte und den ich doch 
so gut gekannt zu haben glaube! Und dieser eine ist Pro¬ 
fessor Kriegsmann. 

Woher diese eigenartige Bekanntschaft stammt? Irgend¬ 
wo las ich von seinem Werk, ,,Einführung in die Gefängnis¬ 
kunde“, 1912 ließ ich es mir auf den Weihnachtstisch legen. 
Und damit war unsere Bekanntschaft besiegelt. Ich glaube 
sogar, es ist keine oberflächliche Bekanntschaft gewesen, die 


J 





ich so,gemacht. Wer dieses Buch aufmerksam liest, der weiß, 
wer Kriegsmann gewesen, der weiß zum mindesten, was er 
für unseren Strafvollzug war. Ihm persönlich im Leben zu 
begegnen, war mir nie vergönnt, so sehr ich auch immer ge¬ 
hofft habe, unsere Wege möchten sich einmal treffen. Und 
trotzdem, als ich damals im Anfänge des Krieges die kurze 
Nachricht von seinem Heldentod las, da hatte ich das Gefühl, 
als sei mir ein Bekannter genommen, da hatte ich das Empfin¬ 
den eines schmerzlichen Verlustes. 

Sein Buch ist mir ins Feld gefolgt. Es sollte mir in müßigen 
Stunden, an langen einsamen Abenden ein Unterhalter, es 
sollte mir ein Bindeglied sein mit meinem Friedensberuf. 
Es ist mir mehr geworden! Eine Geschichte des Strafvoll¬ 
zuges, kurz und erschöpfend, eine Fundgrube von Anregun¬ 
gen aus dem Gebiet unseres Gefängniswesens, reich und tief. 
Manchen dieser darin enthaltenen Gedanken habe ich mit in 
den Sattel gehoben, wenn es einen langen Marsch galt, und 
dann fortgesponnen, wenn es auf schon bekannten Wegen 
stundenlang dahinging. Und dabei ist mir der Wunsch ge¬ 
worden, dem Verfasser dieses Buches auch als Mensch, als 
Kamerad — wenn auch erst nach seinem Tode — noch näher 
zu treten und ihm, wenn möglich, ein Wort des Gedenkens 
aus dem Felde zu widmen und damit einen ganz, ganz kleinen 
Teil der Dankesschuld an ihn abzutragen, die er sich um 
unseren Strafvollzug erworben. 

Durch seine Mutter und den Nachruf, den Prof. Liepmann- 
Kiel ihm in der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtspflege 
geschrieben, habe ich Näheres von ihm, über ihn erfahren. 

Zunächst: er war einer liebenden, zärtlich geliebten 
Mutter Sohn! — und das ist wesentlich bei der Einschätzung 
der Begeisterung, mit der er bei Kriegsbeginn zu den Fahnen 
geeilt ist. Und dann: er war einer deutschen Mutter 
Schn — und das ist bezeichnend für die Erziehung, die er 
genossen und für die Ansichten, in denen er großgezogen. 
Aber was darf einer deutschen Mutter Sohn als Opfer gelten 
in diesem heißen Kampf um des ganzen deutschen Vaterlandes 
Sein oder Nichtsein! 

Jedoch Kriegsmann war mehr! Er war ein Mann der 
deutschen Wissenschaft, der sich trotz seiner verhältnismäßig 
jungen Jahren schon eine Stellung in der Gelehrtenwelt er¬ 
worben hatte und von dem sicherlich noch Vieles zu erhoffen 
gewesen wäre! Was er in den wenigen Jahren seiner akademi¬ 
schen Laufbahn, die ihm vergönnt gewesen, für die Rechts¬ 
wissenschaft geleistet, das hat Prof. Liepmann in dem bereits 



122 


erwähnten Nachruf eingehend gewürdigt — als Wissenschaftler, 
Gönner und Freund. Ganz kurz sei aus seinem Leben nur fol¬ 
gendes hier erwähnt: 1882 zu Wandsbeck geboren, hat er in 
Bonn, Marburg, Berlin und Kiel Rechtswissenschaft studiert. 
1903 zum Dr. juris promoviert, diente er kurz darauf als Ein¬ 
jährig-Freiwilliger und begann dann seinen Vorbereitungs¬ 
dienst. Bald aber wandte er sich der akademischen Laufbahn 
zu. 1906 — also 24 Jahre alt — erlangte er die venia legendi 
für Strafrecht und Strafprozeß an der Universität Kiel. 1911 
wurde ihm der Titel ,,Professor“ verliehen; 1913 kam seine 
Berufung als außerordentlicher Professor nach Königsberg, 
und schon 1914 erhielt er das Ordinariat als Nachfolger Franks 
in Tübingen. 

Für uns aber, die wir im Strafvollzug stehen und in ihm 
und durch ihn unsere Lebensaufgabe, unsere Daseinsberech¬ 
tigung und — -befriedigung finden wollen und können: für 
uns war Kriegsmann viel! Die Gefängniskunde wurde ihm 
als Hilfswissenschaft des Strafrechts ein besonders interessan¬ 
tes Gebiet. Dem kriminalistischen Seminar Prof. Liszts ver¬ 
dankte er wohl die ersten Anregungen — 3 Monate hat er 
dann in der Strafanstalt Moabit gearbeitet, um den Strafvoll¬ 
zug in der Praxis kennen zu lernen. Und gerade von dieser 
Tätigkeit muß er tiefe Eindrücke gewonnen haben. Prof. 
Liepmann sagt in seinem Nachruf: ,,Die Ergebnisse dieses 
Studiums waren überaus tiefgreifend. Er sah hinter der 
Monotonie des Anstaltslebens die mannigfach wechselnden 
und vielseitigen Strömungen und Strebungen in der Seele 
der Gefangenen, er lernte es, mit ihnen zu sprechen und sie 
vor allem selbst zum Sprechen zu bringen — nach der Aussage 
eines so Sachkundigen wie des Medizinalrates A. Leppmann 
besaß er diese Kunst sogar in ungewöhnlich hohem Maße. 
So bildete er sich in einem überaus eindrucksvollen Anschau¬ 
ungsunterricht seine ersten Urteile über die Freiheitsstrafe“, 
und an anderer Stelle: ,,-t die Moabiter Studien und mehr¬ 
fache äußere Anregung legten ihm zusammenfassende Unter¬ 
suchungen über das Gefängniswesen nahe. Vorarbeiten dafür 
waren Studien über die geschichtliche Entwicklung der moder¬ 
nen Freiheitsstrafe und ihrer Beziehungen zu den ergänzenden 
Maßnahmen des Strafvollzuges, namentlich der Fürsorge¬ 
erziehung Jugendlicher.“ Die Folge hiervon waren seine 
Arbeiten für Aschaffenburgs ,,Monatsschrift für Kriminal¬ 
psychologie und Strafrechtsreform“. So war er mit seinen 
Schöpfungen und seinen Bestrebungen einer der Unsrigen 
geworden! Ein Reisestipendium setzte ihn dann noch in die 



123 


glückliche Lage, 1910/11 den englischen Strafvollzug an Ort 
und Stelle zu studieren. Und alle die eingehenden Studien 
krönte er 1912 mit seinem Werk ,,Einführung in die Gefängnis¬ 
kunde“, das als I. Band der Bibliothek der Kriminalistik in 
Heidelberg (Carl Winters Verlagsbuchhandlung) erschienen ist. 
Dieses Buch spricht für sich selbst. Sein reicher Inhalt muß 
als zu bekannt vorausgesetzt werden, als daß hier an dieser 
Stelle eingehend darauf eingegangen werden dürfte. Von allen 
Neuerscheinungen über den Strafvollzug, vor allem über den 
modernen Strafvollzug, habe ich das Werk Kriegsmanns als , 
das erschöpfendste und anregendste kennen und schätzen ge¬ 
lernt. Und wenn er selbst es in seinem Vorwort nur eine ,,Ein¬ 
führung in die Gefängniskunde“ bezeichnet, so möchte ich 
es vom Standpunkt des Strafvollzugsbeamten aus einen Leit¬ 
faden, ein Lehrbuch, vielleicht das Lehrbuch der modernen 
Gefängniswissenschaft nennen. Wir Strafvollzugspraktiker 
müssen ihm von Herzen dankbar sein für diese seine Schöpf¬ 
ung, in der er den Leistungen des Strafvollzuges wie selten 
einer gerecht wird, in der er anderseits so viele Anregungen 
gibt für die Strafvollzugsreform und durch die er der Welt 
zeigt, wie vielseitig, wie ernst und auch wieder wie schön und 
wertvoll für Rechtssicherheit und Menschenwerte unser Beruf ist. 

Und wenn Kriegsmann uns Vollzugsbeamten schon so viel 
ist, wieviel mehr muß er denen sein, deren Lebensschiffe an 
den Klippen des Daseins Schiffbruch gelitten haben, die den 
Strafvollzug an ihrem eigenen Leibe kennen lernen mußten 
oder noch kennen lernen werden! Kriegsmann ist tief ein¬ 
gedrungen in das Seelenleben der Rechtsbrecher; er hat sie 
alle kennen gelernt, sowohl die den Weg des Rechtes nicht be¬ 
schreiten wollen, wie die, die ihn nicht einhalten können, so¬ 
wohl die, die aus Fahrlässigkeit oder auch unter dem Drucke 
der Verhältnisse straucheln, als auch die, die völlig haltlos 
immer wieder abseits geraten. 

Er gehört zu denen, die den Glauben an die Menschheit 
nicht so schnell verlieren. Seine Ausführungen über Aufgaben 
des Strafvollzuges, sichernde Maßnahmen, Entlassenenfür- 
sorge, Rehabilitation erscheinen mir besonders fein durch¬ 
dacht und menschlich empfunden und daher auch besonders 
beachtenswert. Kriegsmann steht auf dem Standpunkt des 
Vergeltungsgedankens aber mit weitgehenden Zugeständnissen 
an die Spezialprävention“. Also sprach Zarathushtra: ,,Feind“ 
^ollt ihr sagen, aber nicht ,,Bösewicht“; ,,Kranker“.sollt ihr 
sagen, aber nicht ,,Schuft“; ,,Tor“ sollt ihr sagen, aber nicht 
,,Sünder“. — 



124 


Ich weiß, diese Zeilen des dankbaren Gedenkens kommen 
■ spät — Kriegsmann ist bereits am 6. September 1914 gefallen— 
aber ich glaube, ein dankbares Gedenken kommt nie zu spät. 
Der beste Dank für Kriegsmann wird sein, wenn wir in seinem 
Sinne rastlos weiterschaffen an der Reform unseres Straf¬ 
vollzugs. Jetzt freilich ist hierfür kaum Zeit, die Gegenwart 
hat wichtigere Aufgaben; aber nach dem ersehnten Frieden 
wird eine vermutlich erhebliche Zunahme der Kriminalität 
eine Lösung dieser Fragen gebieterisch fordern und dann 
soll der Geist Kriegsmanns unter uns sein! 



Korrespondenz. 


Aus Strafanstalten. 

Den 

Mitteilungen über die Ergebnisse der Verwaltung des Zwangserziehungs- 
und Gefängniswesens in Elsaß-Lothringen 
für das Rechnungsjahr 1. April 1914 bis 31. März 1915 
(zu vgl. Bd. 51, S. 126) 

entnehmen wir, wie schwer und unmittelbar gerade im Reichslande 
der Ausbruch des Krieges auf diese Verwaltung eingewirkt hat. 

Unmittelbar nach der Mobilmachung wurden aus den Gefängnissen 
die Angehörigen des Beurlaubtenstandes, die wegen einer nicht mit Ehr¬ 
verlust bedrohten Handlung Gefängnis- oder Haftstrafe von höchstens 
1 Jahre verbüßten, soweit sie nicht unter der Wirkung von Ehrenstrafen 
standen oder sich in der Anstalt schlecht geführt hatten, mit Rücksicht 
auf die beabsichtigte Begnadigung behufs Einstellung in das Heer mit 
Strafunterbrechung entlassen, ln gleicher Weise entließen die Strafvoll¬ 
zugsbehörden zur Vermehrung der freien Arbeitskräfte der Volkswirt¬ 
schaft und zur Erleichterung der Lage der Angehörigen alle nicht militär¬ 
pflichtigen Strafgefangenen, deren Entlassung ohne Gefahr für die öffent¬ 
liche Sicherheit angängig erschien. Ähnliche Maßnahmen wurden hin¬ 
sichtlich der Arbeitshausgefangenen und nach Anordnung der Gerichte 
hinsichtlich der Untersuchungsgefangenen getroffen. 

Die hiernach in Haft bleibenden Gefangenen wurden zur Ent¬ 
lastung der Festungen schon am 2. Mobilmachungstage aus dem Bezirks¬ 
gefängnisse zu Metz nach Saargemünd (41 Köpfe) und wenige Tage 
später aus dem Bezirksgefängnisse zu Straßburg in die von dem württem- 
bergischen Justizministerium in entgegenkommender Weise zur Ver¬ 
fügung gestellten Strafgefängnisse zu Heilbronn (50 Köpfe) und Rotten¬ 
burg (100 Köpfe) übergeführt. 

An Stelle der entlassenen oder abgeschobenen Straf- und Unter¬ 
suchungsgefangenen hatten die Gefängnisse alsbald eine große Zahl 
von Schutzgefangenen aufzunehmen. Hierbei handelte es sich in 
der Hauptsache und zunächst ausschließlich um Personen, die wegen 
ihrer politischen Betätigung, wegen spionageverdächtigen oder deutsch¬ 
feindlichen Betragens oder wegen ihrer Eigenschaft als Ausländer von 
den Militärbehörden festgenommen worden waren. Daneben waren in 
den ersten Kriegsmonaten zahlreiche im Lande auftauchende Zigeuner¬ 
banden bis zur Feststellung des aufnahmepflichtigen Staates und Be¬ 
wohner geräumter französischer Ortschaften bis zu ihrer manchmal erst 
nach Monaten ermöglichten Abschiebung durch die Schweiz nach Frank¬ 
reich aufzunehmen. Vorübergehend mußten einzelne Anstalten auch 
Kriegsgefangene auf dem Transporte beherbergen. Im ganzen sind in¬ 
folge dieser Einlieferungen in der Zeit vom 1. April 1914 bis 31. März 
1915 in den größeren Gefangenenanstalten 4670 Polizeigefangene zu¬ 
gegangen gegen 758 Polizeigefangene im vorhergehenden Jahre. Über 
die in der Gefängnisordnung nicht geregelte Behandlung der Schutz- 



I 126 


gefangenen wurden alsbald in einer Verfügung vom 13. August 1914 
Vorschriften getroffen, deren Grundzüge auch weiterhin festgehalten 
werden konnten. Die große Mannigfaltigkeit der Gefangenengattungen, 
die nicht immer klaren Aufnahmeverfügungen und die häuüg eintretende 
Überfüllung stellten an die Umsicht der Anstaltsbeamten hohe Anfor¬ 
derungen. 

Der feindliche Einfall hatte, abgesehen von einigen Amts¬ 
gefängnissen an lange Zeit vom Feinde besetzten oder in der Kampf¬ 
linie liegenden Orten des Oberelsaß, eine Räumung von Gefangenen- 
anstalten nicht zur Folge. Insbesondere blieben während der mehrtägi¬ 
gen feindlichen Besetzung der Betrieb des Bezirksgefängnisses in Mül¬ 
hausen und der Strafanstalt in Ensisheim im Gange und die Beamten, 
allein von allen Beamten der Landesverwaltung, entsprechend der 
ihnen erteilten besonderen Weisung im Dienste. Außer der Befreiung 
einer kleinen Zahl von politischen Gefangenen durch den Feind in Mül¬ 
hausen und der Abforderung einer geringen Lebensmittelmenge in Ensis¬ 
heim, traten hierbei Störungen im Betriebe nicht ein. Jedoch wurden 
bei dem Abzüge der Franzosen aus dem letzteren Orte zwei Inspektoren 
als ,,Geiseln“ mitgeschleppt, die bisher noch nicht zurückgekehrt sind. 
Während der Schlacht bei Mülhausen verrichteten die Beamten über 
24 Stunden lang, während zeitweise Geschosse in geringer Entfernung 
niedergingen und ihre Familien in der Stadt auf sich angewiesen waren, 
Dienst im Gefängnis und vermochten so jede Unordnung, die bei den 
vielen bedenklichen Anstaltsinsasaen leicht schlimme Folgen hätte haben 
können, zu verhüten. 

Die empfindlichen Hemmungen des Verkehrs auf den Eisenbahnen 
des Landes und die Notwendigkeit, die Gefängnisse der großen Orte zu 
entlasten, führten schon bald nach Ausbruch des Krieges zu einer weit¬ 
gehenden Überweisung des Strafvollzuges an die Amtsgefängnisse und 
die kleineren Bezirksgefängnisse. 

Die Hagenauer Besserungsanstalt sowie die privaten Zwangserzie¬ 
hungsanstalten waren schon &im Herannahen der Kriegsgefahr veran¬ 
laßt worden, für den Fall, daß ein Verbleiben der Zöglinge durch die 
Kriegslage unmöglich gemacht würde, deren Aufnahme in Anstalten 
des Innern Deutschlands sicherzustellen. Von diesen Vereinbarungen 
mußten schon wenige Tage nach Ausbruch des Krieges die katholische 
Mädchenerziehungsanstalt zu Neuhof und das Kloster zum guten Hirten 
in Straßburg wegen militärischer Belegung eines großen Teiles der 
Räume für einen Teil ihrer Zöglinge, die protestantischen Anstalten in 
Königshofen und Bornen wegen ihrer gefährdeten Lage vor den Festungs¬ 
wällen von Straßburg und Metz für ihre sämtlichen Zöglinge Gebrauch 
machen. Die Zöglinge der drei ersten Anstalten konnten zum Teil schon 
nach wenigen Monaten, zum Teil wenigstens im Laufe des Jahres 1915 
zurückkehren. Um die Jahreswende 1914/15 mußte wegen der Be¬ 
schießung von Sennheim das dortige Landwirtschaftliche Asyl geräumt 
werden; die dort verpflegten Zwangszöglinge wurden auf die Anstalten 
in Zelsheim und auf dem englischen Hofe verteilt. 

Die unsichere Lage bei Ausbruch des Krieges ließ es angebracht er¬ 
scheinen, dem in solcher Zeit besonders naheliegenden Wunsch der 
Eltern nach Vereinigung mit ihren Kindern, soweit irgend angängig, 
Rechnung zu tragen. Es wurden deshalb von den weniger verwahrlosten 
Zöglingen verschiedener Anstalten zusammen 83, deren häusliche Ver¬ 
hältnisse und bisherige Führung Aussicht auf Wohlverhalten eröffneten, 
unter Bestellung von Fürsorgern widerruflich zu ihren Angehörigen ent- 




127 


lassen. 24 von diesen haben im Laufe der Kriegszeit in die Anstalten 
zurückgebracht werden müssen. 

Die Erziehungs- und Besserungsanstalt für Knaben zu Hagenau 
hatte gleich bei Beginn des Krieges eine große Zahl ihrer älteren Zög¬ 
linge, äe freiwillig zum Heere eintraten, entlassen. Diese Abgänge haben 
sich weiterhin noch öfter wiederholt, so daß bis zum 1. April 1915 94 
Zöglinge dieser Anstalt als Kriegsfreiwillige eingetreten waren. In gerin¬ 
gerem Umfange haben solche Abgänge auch bei den anderen Knaben¬ 
anstalten, in denen schulentlassene Zöglinge nur selten neu untergebracht 
werden, stattgefunden. 

Die Zahl der neuen Zugänge war in den ersten Monaten des Krieges 
zum Teil infolge der Behinderung mancher an dem gerichtlichen Ver¬ 
fahren beteiligten Behörden, zum Teil wohl auch infolge der ersten Ein¬ 
wirkung des nationalen Aufschwunges auf die Jugend, verhältnismäßig 
gering, ln den Knabenanstalten, die durch den Eintritt der älteren 
Zöglinge zum Heere ihre schwierigsten Insassen verloren hatten, war 
durchweg eine Besserung in der Führung der Zöglinge festzustellen, so 
daß hier trotz der Vermehrung der Zöglingszahl und der starken Ver¬ 
minderung des Personals durch Einberufungen Schwierigkeiten in der 
Handhabung der Anstaltszucht nicht entstanden. Dagegen erwies sich 
in den Anstalten für schulentlassene verwahrloste Mädchen bei manchen 
während des Krieges eingelieferten oder vorher schon schwer zu behan¬ 
delnden Zöglingen die Erregung des Trieblebens durch die Ereignisse 
derart mächtig, daß die Vorsteherinnen, zumal bei der immer stärkeren 
Belegung ihrer Häuser, sich der Behandlung nicht mehr gewachsen 
fühlten und Befreiung von diesen Elementen dringend verlangten. 
Da gerade diese Mädchen aus Rücksicht auf sie selbst wie auch auf die 
öffentliche Sittlichkeit und Gesundheit aus der Zwangserziehung nicht 
entlassen werden konnten, blieb bei dem Fehlen einer staatlichen Mädchen¬ 
erziehungsanstalt nur übrig, für die Dauer des Krieges in der Weiber¬ 
strafanstalt zu Hagenau neben den ständigen Abteilungen für Zuchthaus-, 
Gefängnis- und Arbeitshausgefangene eine Abteilung für Zwangszög¬ 
linge einzurichten. Diese von den anderen Abteilungen streng gesonderte 
Zöglingsabteilung zählte am Schlüsse des Berichtsjahres 8 Insassen. 

Von der Familienerziehung konnte angesichts der Schwierigkeiten, 
die sich aus der Abwesenheit mancher Hausväter, der mißlichen Lage 
der zurückbleibenden Familien und der allgemeinen Verhältnisse des 
Operationsgebietes ergaben, nur mit großer Einschränkung Gebrauch 
gemacht werden. Häufiger als sonst wurde es auch nötig, in Familien 
untergebrachte Kinder in Anstalten überführen zu lassen. 

Große Schwierigkeiten bot vom ersten Augenblick des Krieges ab 
in allen Anstalten die Verpflegung der Insassen. Die meisten von den 
vertraglich verpflichteten Händlern stellten sofort die Lieferung ein, 
weil sie sie entweder wegen der Verkehrsschwierigkeiten tatsächlich nicht 
ausführen konnten, oder sie dem in der ersten Kriegszeit weit verbreiteten 
Glauben huldigten, daß der Krieg alle Verträge aufhebe. Manche Be¬ 
darfsgegenstände aber waren nicht an allen Orten ohne weiteres ander- 
weit zu beschaffen. Es erwies sich alsbald als notwendig, den feststehen¬ 
den Speisetarif der staatlichen Anstalten außer Kraft zu setzen und den 
Vorstehern zu überlassen, unter möglichster Festhaltung seiner all¬ 
gemeinen Richtlinien selbständig für eine ausreichende und möglichst 
wechselnde 1 Beköstigung zu sorgen. 

Noch weitergehende Änderungen führten die im Frühjahr 1915 ein¬ 
tretenden Beschränkungen des Brotverbrauches herbei, die für die 



128 


hauptsächlich auf die Brotportion von 650 gr begründete Anstaltskost 
besonders eingreifend waren. Die Anstalten wurden angewiesen, sich 
den ■ allgemeinen Brotbeschränkungen anzupassen und den Ausfall an 
Nährstoff durch Vergrößerung der zu den einzelnen Mahlzeiten zu ver¬ 
abreichenden Menge an sonstigen Speisen sowie durch eine mäßige Ver¬ 
stärkung der Zugabe von Fleisch, Fisch und Fett, zum Teil auch durch 
Ersetzung des Morgenkaffees durch nahrhaftere Gerichte auszugleichen. 
Bei der Arrestantenkost und den Zulagen der Schwerarbeiter, wo die 
Brotbeschränkung sich besonders fühlbar machte, wurde durch mäßige 
Zugabe von beschlagnahmefreiem Schiffszwieback geholfen. An der 
selbständigen Verantwortlichkeit der Anstaltsvorsteher'für die Auswahl 
und Zusammensetzung der Gerichte wurde hierbei festgehalten. 

Der Arbeitsbetrieb der Gefangenenanstalten erfuhr in den ersten 
Monaten des Krieges erhebliche Stockungen durch die Entlassung und 
Abschiebung eines großen Teiles der eingearbeiteten Gefangenen, die 
Hemmungen in der Zufuhr von Rohstoffen und in dem Absatz der Er¬ 
zeugnisse und durch die Einberufungen der Werkführer der Unter¬ 
nehmer. Nicht entlassungsreife Gefangene mit den damals dringlichen 
landwirtschaftlichen Arbeiten in größerem als dem sonst üblichen Um¬ 
fange zu beschäftigen, war bei der Unruhe der ersten Kriegszeit aus 
Sicherheitsgründen nicht angängig. Schon im Laufe des Herbstes 1914 
gelang es jedoch fast durchweg, ständige Arbeitsgelegenheit zu beschaf¬ 
fen. Arbeiten für die Militärverwaltung und deren Lieferanten, wie An¬ 
fertigung von Kleidungsstücken, von Munitionskörben, von Kohlen¬ 
säcken für die Marine, von Bürsten- und Besenwaren für Kasernen und 
Lazarette,'^von Strohschuhen für Pferde, von Düten für Liebesgaben¬ 
sendungen und die Reinigung von Lazarettwäsche, spielten dabei eine 
beim Vorschreiten des Krieges immer zunehmende Rolle. 

In den Zwangserziehungsanstalten wurden der Unterrichts- und 
Handwerkslehrbetrieb zwar allenthalben durch die Einberufung von 
Lehrern und Handwerksmeistern stark beeinträchtigt, er konnte aber 
überall mit kurzen Unterbrechungen aufrecht erhalten werden, da die 
Militärbehörden gerade diesen Anstalten in dringlichen Fällen weit 
entgegenkamen. Während des Rühens der Schul- und der Werkstätten¬ 
arbeit konnten die Knaben überall mit Nutzen in den landwirtschaft¬ 
lichen Betrieben der Anstalten beschäftigt werden, die infolge der Ein¬ 
berufung der älteren Zöglinge zum Heere zeitweise an Arbeitermangel 
litten. 

Zu Lazaretträumen wurden der Militärverwaltung bei Ausbruch 
des Krieges Teile der Knabenerziehungsanstalt und der Weiberstraf¬ 
anstalt zu Hagenau zur Verfügung gestellt. 

Von den bei Kriegsausbruch im Gange befindlichen größeren Bauten 
geriet der Neubau des Amtsgefängnisses in Dammerkirch durch die 
feindliche Besetzung des Ortes völlig ins Stocken. Die Arbeiten an dem 
Neubau des Amtsgefängnisscs in Rohrbach und dem Neubau der Doppel¬ 
kapelle in der Erziehungs- und Besserungsanstalt zu Hagenau erlitten 
eine bis in das folgende Jahr dauernde Unterbrechung. Die für das 
Berichtsjahr bewilligte Herstellung einer großen Entwässerungsanlage 
in der letzterefi Anstalt konnte wegen Mangels an Arbeitern nicht in 
Angriff genommen werden, und selbst die laufenden Unterhaltungs¬ 
arbeiten mußten mancherorts ganz oder teilweise ausgesetzt bleiben. 

Die Beamtenschaft des Verwaltungszweiges wurde, da sie zum 
größten Teil aus Militäranwärtern hervorgegangen ist, von den Ein- 



129 


t 

bcrufungen zum Heeresdienst in besonderem Maße betroffen. Im Frie¬ 
den waren nur die Beamten der Strafanstalt Ensisheim für den Mobil¬ 
machungsfall als unabkömmlich erklärt worden. Auch nach der Mobil¬ 
machung mußte die Unabkömmlichkeitserklärung bei dem besonderen 
Interesse der Militärverwaltung an der Einziehung altgedienter Unter¬ 
offiziere auf einige wenige Unterbeamte beschränkt werden, die als 
Aufseher besonders stark belegter Amtsgefängnisse des Operations¬ 
gebietes oder der Festungsbereiche oder als Leiter gewisse Fachkennt¬ 
nisse erfordernder Zweige des Arbeitsbetriebes nicht zu entbehren waren. 
Der Ausfall an Kräften wurde zum Teil durch zeitweilige Einschränkung 
der Urlaube und dienstfreien Tage der Beamten, zum Teil durch Aus¬ 
hilfsaufseher, zu deren Verrichtung sich namentlich pensionierte Beamte 
und durch den Krieg beschäftigungslos gewordene Handwerksmeister 
bereit und geeignet fanden, gedeckt. Bei manchen schwach belegten 
Amtsgefängnissen erwies es sich als genügend, eine Aushilfe nur für 
die Tage, an denen wenigstens ein Gefangener vorhanden war, zu den 
unbedingt eine männliche Kraft erfordernden Verrichtungen anzu¬ 
nehmen, während im übrigen der Dienst durch die Frau des Aufsehers 
wahrgenommen wurde. An einigen stark mit Gefangenen der Militär¬ 
behörden belegten Gefängnissen wurden nach Vereinbarung mit den 
Militärbehörden Unteroffiziere und Soldaten, insbesondere Landstür¬ 
mer, zur Verstärkung des Personals kommandiert. Teils zum Ausgleich 
der verfügbaren Arbeitskräfte, teils in Verbindung mit dem Abtransport 
von Gefangenen mußten vielfach Beamte außerhalb ihres Amtssitzes 
verwendet werden. 

Die Beamten haben sich den erhöhten Anforderungen, die sich aus 
der Verminderung der Arbeitskräfte und den schwierigen Belegungs¬ 
und Betriebsverhältnissen ergaben, durchweg mit großem Eifer und 
meistens mit anerkennenswerter Umsicht unterzogen. Das gleiche kann 
von der Mehrzahl der zur Aushilfe herangezogenen Personen gesagt 
werden. 

Die Zahl aller Gefangenen, einschließlich der Arbeitshäuser, betrug 
19 256 Männer und 3264 Weiber. Täglicher Durchschnittsstand; 1660 
Männer und 212 Weiber. 

Die Verpflegungskosten betrugen für Gesunde und Kranke durch¬ 
schnittlich für den Kopf und Tag: in den Strafanstalten und Bezirks¬ 
gefängnissen 45,1 Pfg. (gegen 34,6 Pfg. im Vorjahre), im Arbeitshaus 
in Pfalzburg 34 Pfg. (gegen 31,3 Pfg.), in der Hagenauer Knabenanstalt 
76,3 I^g. (gegen 59,2 Pfg.). Die Vergütung für die Verpflegung der 
Gefangenen in den Amtsgerichtsgefängnissen, die durch die Amtsgefäng¬ 
nisaufseher besorgt wird, mußte alsbald erhöht werden. 

Beschäftigung: Während die Zahl der Hafttage von 760 072 im 
Vorjahre auf 618 714 zurückging, stieg die Zahl der (infolge des Krieges) 
beschäftigungslosen Hafttage nicht arbeitspflichtiger Gefangener von 
37 482 auf 98 567 und gingen etwa 20 000 Arbeitstage durch äußere 
Störungen des Betriebes verloren. Die Roheinnahme ist infolgedessen 
von 548 864 M. auf 424 864 M., der Reinertrag von 362 479 M. auf 
259 712 M. gesunken. Immerhin wurde im Durchschnitt eine Steigerung 
der Vergütungen für die Gefangenenarbeit erzielt. Der Reinertrag stieg 
auf den Kopf und Arbeitstag auf 99 Pfg. (gegen 87 Pfg. im Vorjahre). 
Diese Erhöhung entfiel vor allem auf die landwirtschaftlichen und anderen 
Außenarbeiten, sowie auf gewisse in einzelnen Anstalten für eigene 
Rechnung ausgeführte Arbeiten für Heeresbedürfnisse. 


Blätter für Gefängniskunde, Bd. LII. 


9 



130 


Von den beschäftigten Gefangenen waren tätig 

a) für die eigene Anstalt.29,2 Proz. 

davon in Feld und Gartenwirtschaft . . 2,6 ,, 

b) mit Herstellung von Waren zum Verkauf 

und zwar an andere Anstalten der Ge¬ 
fängnisverwaltung, an öffentliche Be¬ 
hörden und Anstalten .... 2,7 Proz. 
an Anstaltsbeamte, Gefangene 
und sonstige Private .... 1,9 ,, 4,6 Proz. ( 4,5 ,, ,, ) 

c) für Dritte gegen Lohn und 
zwar für öffentliche Behörden 

und Anstalten.16,1 Proz. (12,8 ,, ,, ) 

darunter für die Militärver¬ 
waltung .7,9 Proz. 

(gegen 10,9 Proz. im Vorj.) 

für ständige Unternehmer.25,6 ,, (32,5 ,, ,, ) 

für Anstaltsbeamte und sonstige Pri vate 24,5 ,, (27,5 ,, ,, ) 

66,2 Proz. (72,8 im Vorj.) 

davon außerhalb der Anstalt mit land¬ 
wirtschaftlichen und sonstigen Arbeiten 6,8 ,, ( 4,5 ,, ,, ) 

Die schon in Friedenszeiten ständig abnehmende Gelegenheit zur 
Beschäftigung der Gefangenen in den Amtsgefängnissen ist unter den 
Verhältnissen der Kriegszeit weiter zurückgegangen. Der Reinertrag 
dieser Beschäftigung ist von 2053 M. im Vorjahre auf 1083 M. gesunken. 

Disziplinarstrafen: Von der Gesamtzahl der Zuchthausgefan¬ 
genen in Ensisheim und Hagenau (658 Männer, 26 Weiber) wurden 
disziplinarisch bestraft: 27,9 Proz. Männer, 30,8 Proz. Weiber; von den 
übrigen Gefangenen 6,8 Proz. Männer, 2,6 Proz. Weiber. 6 Männer 
(3 Zuchlhausgefangene, 3 Gefängnisgefangene), welche während der 
Haft Körperverletzung, Beleidigung oder deutschfeindliche Kund¬ 
gebungen verübt hatten, wurden gerichtlich bestraft. 

Von den Arbeitshäuslern in Salzburg mußten 30,7 Proz. und in 
der Erzithungs- und Besserungsanstalt Hagenau 40,2 Proz. der Knaben 
bestraft werden; überall eine wesentliche Besserung gegen das Vorjahr, 
die der Bericht dem allgemeinen sittlichen Aufschwung der ersten Kriegs¬ 
zeit zuschreibt — eine Erfahrung, die auch in anderen Strafanstalten 
gemacht wurde. 

Krank im Lazarett behandelt wurden: vom Durchschnittsstand 
der Zuchthausgefangenen in Ensisheim und Hagenau 3,01 Proz. Männer, 
5,82 Proz. Weiber; von anderen Gefangenen: 1,62 Proz. Männer, 4,02 Proz. 
Weiber; vom Arbeitshaus Pfalzburg 0,78 Proz.; Erziehungsanstalt 
Hagenau: 0,36 Proz. An Tuberkulose wurden behandelt: 5 Zuchthaus-, 
27 andere Gefangene. Todesfälle: 5 Zuchthaus- und 10 andere Gefan¬ 
gene, darunter 3 an Tuberkulose, 3 Zwangszöglinge. Die Sterbeziffer 
beträgt im Zuchthaus 0,76 Proz. der Gesamtzahl und 1,36 Proz. des 
Durchschnittsbestandes; im Gefängnis: 0,07 Proz. Männer, 0,08 Proz. 
Weiber der G.samtzahl, und 0,75 Proz. Männer und 1,14 Proz. Weiber 
des Durchschnittsstandes. Die Erkrankungen waren im Verhältnis 
zur Gesamtzahl der Gefangenen erheblich weniger zahlreich als im Vor¬ 
jahre. Wenn im Gegensatz hierzu die Todesfälle häufiger waren, so ist 
dies darauf zurückzuführen, daß infolge der Einberufungen zum Heere 
ein verhältnismäßig größerer Teil der Gefangenen aus älteren oder 
anderweit weniger widerstandsfähigen Personen bestand. 2 Hinrich¬ 
tungen. 


(22,7 im Vorj. 
( 0,6 „ 







131 


Der Zuschuß aus der Staatskasse betrug fUr die Strafanstalten, 
Bezirksgefängnisse und das Arbeitshaus: 989 348 M., pro Kopf und 
Tag: 145 M.; bei der Erziehungsanstalt Hagenau: 188 674 M. (245 Pfg. 
pro Kopf und Tag). Die Ausgaben für die nicht in der staatlichen An¬ 
stalt, sondern in Privatanstalten und in Familien untergebrachten 
Knaben, sowie für sämtliche Mädchen betragen: 327 100 M.; davon 
konnten von den zum Unterhalt der Zöglinge Verpflichteten 3444 M. 
wieder eingezogen werden. Von den Strafvollstreckungskosten wurden 
von 91811 M. eingezogen: 15 614 M.; niedergeschlagen 69 286 M., als 
Rest übertragen: 6909 M. 

Von den neu eingelieferten Zuchthausgefangenen (148 Männer, 
10 Weiber) waren 75 Proz. Männer und 70 Proz. Weiber vorbestraft; 
von den anderen Gefangenen: 53 Proz. Männer, 47 Proz. Weiber. Diese 
Zahlen haben gegenüber dem Vorjahre bei den Männern merklich ab¬ 
genommen, bei den Weibern zugenommen. (Zweifellos auf die Verhält¬ 
nisse der Kriegszeit zurückzuführen). 

Von den mit mehr als 4monatlicher Strafzeit entlassenen Gefan¬ 
genen (740) war die vermutliche Aussicht auf Besserung bei 24,9 Proz. 
gut, bei 35,3 Proz. mäßig, bei 39,8 Proz. gering. Gerühmt wird wiederum 
die mühevolle, stille und segensreiche Tätigkeit der Fürsorgevereine 
in Straßburg, Mülhausen, Colmar und Metz nebst Zweigvereinen, trotz 
der durch den Krieg verursachten Störungen und Hemmungen. 

Vorläufig entlassen wurden 16 Zuchthausgefangene; von diesen 
ist bis zum Schlüsse des Berichtsjahres keiner rückfällig geworden, 
ebenso keiner der in früheren Jahren vorläufig Entlassenen. 

Bedingter Strafaufschub wurde 248 Personen bewilligt in 
32 Fällen der in früheren Jahren und im laufenden Jahre bewilligten 
Aussetzung der Strafvollstreckung erfolgte nachträglich die Einteilung 
des Strafvollzuges. 

Unfall mit Entschädigungsfolge ist im Berichtsjahre keiner zu 
verzeichnen. An Entschädigungen und Kosten der aus der Vorzeit 
noch fortlaufenden Fälle wurden 1396 M. gezahlt. 

Der Bestand an Zwangszöglingen betrug am Anfang des Be¬ 
richtsjahres 1242 Knaben und 846 Mädchen; am Schlüsse: 1104 und 
840, so daß sich eine Verminderung von 138 Knaben und 6 Mädchen 
ergibt, während das Vorjahr eine Vermehrung um 46 Zwangszöglinge 
aufzuweisen hatte. Die Verminderung erklärt sich aus einer Abnahme 
der neuen Zugänge, zum Teil auch aus den bei Ausbruch des Krieges 
vorgenommenen widerruflichen Entlassungen und den Einstellungen 
in den Heeresdienst. Auf Grund des Reichsgesetzes vom 25. VI. 00 
wurden im Berichtsjahre 3, bisher im ganzen 81 jugendliche Prosti¬ 
tuierte in Anstalten untergebracht. Von den ehemaligen Zwangszög¬ 
lingen, die im Berichtsjahre das 25. Lebensjahr vollendeten, blieben 
66 Proz. Knaben und 89 Proz. Mädchen unbestraft, (im Vorjahre 56 
und 89); die Jahre 1912/14 zusammengerechnet: 58 Proz. Knaben, 
88 Proz. Mädchen. Von den im Berichtsjahre widerruflich entlassenen 
128 Knaben und 135 Mädchen mußten 25 Knaben und 27 Mädchen, 
also rund ein Fünftel, noch in dem gleichen Jahre wieder aufgenom¬ 
men werden, ein im Vergleich zu früheren Jahren wenig günstiges Er¬ 
gebnis, das seine Erklärung in den Verhältnissen der Kriegszeit findet. 

Ludwigsburg. Schwandner. 


9 » 



132 


Jahresbericht der Strafanstalt Basel-Stadt für 1917 (Direktor Widmer). 

(zu vgl. Bd. 51, S. 135.) 

Gesamtzahl der in der Anstalt und in der Weiberabteilung im 
Lohnhof untergebrachten Gefangenen (Zuchthaus, Gefängnis, Polizei¬ 
haft und administrativ Versorgte) 326 (356 im Vorjahre) mit 33 221 
Verpflegungstagen. Tagesdurchschnitt: 91,01. Höchster Gefangenen¬ 
stand: 109 im Februar; niederster: 77 im Dezember. 

Von den neu eingelieferten Zuchthaussträflingen waren 75 Proz. 
und von den Gefängnissträflingen 57,48 Proz. der Männer und 52,68 Proz. 
der Weiber rückfällig; im Durchschnitt also 57,36 Proz. (65 Proz. im 
Vorjahre). Polizeistrafen sind dabei nicht berücksichtigt. Die 12 Polizei¬ 
sträflinge und die 14 Administrativ-Versorgte waren alle rückfällig, 
jedoch öfter bloß polizeilich vorbestraft worden. (Vaganten, Lieder¬ 
liche und Arbeitsscheue.) 

Nur 5,09 Proz. hatten Strafen von 1 Jahr und darüber; bis zu 3 
Monaten (von 3 Wochen ab) 63,42 Proz.; bis zu 6 Monaten 85,18 Proz.; 
mehr als 6 Monate 14,81 Proz. Von den 186 Gefängnissträflingen hatten 
88,17 Proz. Strafen von 3 Wochen bis zu 6 Monaten zu verbüßen. 79,63 
Proz. der Neueingelieferten waren Schweizer, 20, 37 Proz., Ausländer. 

Disziplinarstrafen: in der Männerabteilung: 98, in der Frauen¬ 
abteilung: 4. 

Von den 33 221 Verpflegungstagen waren 81,32 Proz. Arbeitstage, 
davon wurden 84,54 Proz. mit Kundenarbeit und 15,46 Proz. mit Haus¬ 
arbeiten belegt, die mit 50 Cts. für den Tag berechnet wurden. Netto¬ 
ertrag der Oefangenenarbeit: 134 466 Fr. Durchschnittlich wurde im 
Arbeitstag 4 Fr. 97 Cts. verdient (gegen 3,71 im Vorjahre) abzüglich 
19,82 Cts. als Verdienstanteil des Gefangenen. Der Verdienstanteil ist 
zur Erleichterung des Fortkommens des Entlassenen bestimmt; er darf 
während der Strafzeit nicht verwendet werden, außer zur Unterstützung 
notleidender Angehöriger oder für Anschaffung von Kleidern auf den 
Zeitpunkt des Austrittes. 

Gesamtstaatszuschuß: 84 130 Fr. Es kostete ein Gefan¬ 
gener den Staat netto auf den Tag: 60,8 Cts. (gegen 67,8 Cts. im Vor¬ 
jahre) und 221,92 Fr. (247,47 Fr. im Vorjahre) im Jahre. 

Die Nahrungskosten sind infolge des Krieges bedeutend in die Höhe 
gegangen: sie betrugen im Berichtsjahre 103,9 Cts. (im Vorjahre 79,7 
Cts.); Steigerung: 30,3 Proz. Im Durchschnitt von 10 größeren schweizeri¬ 
schen Strafanstalten beträgtder Nahrungsaufwand im Jahre 1917:109,1 Cts. 
gegen 66,6 Cts. im Jahre 1912. Am schmerzlichsten wurde von den Ge¬ 
fangenen die Verkleinerung derBrotration empfunden (von 650gr auf 225gr). 

Ein Gutes hat der Krieg der Anstalt gebracht: die elektrische Be¬ 
leuchtung, die aus Gasnot eingerichtet werden mußte. Da die ganze 
Anlage mit eigenen Arbeitskräften gefertigt werden konnte, war nur eine 
Ausgabe von: 7800 Fr. für verwendetes Material aufzubringen. 

Im Jahresberichte des Pfarramtes blickt Pfarrer Stückelberger 
auf eine 23jährige Entlassenenfürsorge zurück; seine Bemühungen 
galten in diesem Zeiträume 11 069 Männern und 1175 Frauen. Im 
Berichtsjahre mußten von 228 Entlassenen 77 in Fürsorge genommen 
werden. An Unterstützungen wurden 1534 Fr. ausgegeben. 19 Fami¬ 
lien wurden mit 445 Fr. unterstützt; für 4 Kinder wurde das Kostgeld 
bezahlt und für 3 Frauen die Pflegekosten im Asyl. Von den Entlasse¬ 
nen verpflichteten sich 19 zur Abstinenz, von früher Ausgetretenen 4. 

Der Schutzaufsichtsbeamte hat im Berichtsjahre 120 Entlassene 
untergebracht. 

Ludwigsburg. 


Schwandner. 



133 


Aus Vereinen und Versammlungen. 

32. Bericht üb^r die Tätigkeit der Badischen Bezirksvereine und der Zentral¬ 
leitung für Jugendschutz und Gefangenenfürsorge für die Jahre 1915 

und 1916. 

(Vorsitzender: Senatspräsident von Woldeck, Karlsruhe.) 

(zu vgl. Bd. 50, S. 97ff.) 

Die Gesamtzahl der Mitglieder der 60 Bezirksvereine ist auf 12 191 
(gegen 13 442 im Jahre 1914) gesunken, der Gesamtbetrag der Mit¬ 
gliederbeiträge auf 14 393 M. (gegen 17 794 M.‘ im Jahre 1914), aber 
auch die Zahl der Einzelfürsorgefälle auf 2558 (gegen 4902 im Jahre 
1914). 

Der Gesamtaufwand betrug 1915: 9102 M. und 1916: 9429 M., 
während er im Jahre 1914 noch 16 309 M. betragen hatte. 

Das Gesamtvermögen hat sich in den beiden Berichtsjahren um 
16 127 M. erhöht und beträgt jetzt: 165 456 M. Soweit die Ergebnisse 
der schutzvereinlichen Fürsorge sich feststellen ließen, können sie als 
erfreulich bezeichnet werden. 

Auch der Vermögensstand der Zentralleitung hat zugenommen 
und beträgt nunmthr: 175 441 M. (gegen 167 665 M. im Jahre 1914). 

Die Einzelfürsorge der Zentralleitung hatte sich 1915 auf nur 41 
Schützlinge mit einem Aufwande von 1037 M. zu erstrecken und im 
Jahre 1916 waren für 52 Fürsorgefälle 472 M. zu verausgaben. 

Auch die Verwendungen für allgemeine Vereinszwecke haben sich 
in den beiden Berichtsjahren beträchtlich niedriger gestaltet. Wäh¬ 
rend sie 1914 noch 7726 M. betrugen, wurden 1915 nur 6274 M. und 
1916: 6389 M. erforderlich. 

Ludwigsburg. _ Schwandner. 

Darstellung der Tätigkeit des Bezirksvereins für Jugendschutz und 
Gefangenenfürsorge Mannheim für das Jahr 1917. 

Vorsitzender: Gerichtsassessor Tritschler, stellv. Direktor des Landes¬ 
gefängnisses. 

(zu vgl. Bd. 50, S. 98.) 

Der Verein kann auf eine 35jährige segensreiche Tätigkeit zurück¬ 
blicken. Auch im Berichtsjahre hatten die immer weitere Kreise ziehen¬ 
den Einberufungen zum Heeresdienst, sowie die polizeilichen Ma߬ 
nahmen gegen die Obdachlosen einen Rückgang der Erwachsenenfälle 
zur Folge, die Jugend hat aber auch jetzt wieder den Ausgleich geschaffen. 
Wiewohl eine Reihe von Kriegserscheinungen, wie Abwesenheit des 
Vaters und geeigneter Lehrmeister, sowie verlockender Fabrikarbeits¬ 
verdienst Hemmungen brachten, darf der Verein doch auch von Er¬ 
folgen, die für trübe Erfahrungen entschädigen konnten, berichten. 
Es wird hervorgehoben, daß man im persönlichen Verkehr mit den 
Jugendlichen und deren Angehörigen keineswegs Wahrnehmungen be¬ 
ängstigender Verwilderung, der die Jugend des öfteren zurzeit geziehen 
wird, habe machen müssen; einen guten Kern und bildungsfähigen 
Charakter habe man in den weitaus überwiegenden Fällen feststellen 
können. Eine Fülle keimfähigen Samens konnte bei 886 Unterredungen 
in den sonntäglichen Sprechstunden und gelegentlich der zahlreichen 
Hausbesuche ausgesät werden. 

Der Verein befaßte sich mit 541 Jugendlichen und 206 Erwachsenen 
(davon 257 bzw. 197 Neuzugänge). 



134 


Von den in das folgende Jahr übergehenden 294 Jugendlichen sind 
216 in Lehrstellen und Arbeit untergebracht, 26 weitere Schützlinge 
sind im Heeresdienst. Die Lehre haben 14 beendigt. Einer Reihe Jugend¬ 
licher wurde die Erreichung dieses Zieles nicht möglich durch Einberufung 
zum Heeresdienst. In letzterem erhielten 2 das E. K. 2, mehrere wur¬ 
den befördert, 1 ist vermißt, 1 gefallen; für 1 konnte die gnadenweise 
J-öschung des Strafregistereintrages erwirkt werden. Gestorben sind 3, 
begnadigt wurden 21; in 6 Fällen mußte Widerruf des bedingten Straf¬ 
aufschubes und in 24 Fällen Zwangserziehung erfolgen. 

Über die Tätigkeit des dem Verein angegliederten Jugendfürsorge¬ 
ausschusses berichtet 'dessen Vorsitzende, Frau Alice Bensheimer 
steigende Kriminalität der Jugendlichen; im Berichtsjahre sind 512 
neue Fürsorgefälle zu verzeichnen; in 425 alten Fällen war weitere Be¬ 
handlung erforderlich Im Laufe des Jahres konnten 77 Fälle erledigt 
werden. Von den 512 neuen Fällen wurden 393 vom Jugendgericht 
und 86 vom Bezirksamt überwiesen. 57 Jugendliche waren vorbestraft; 
Strafaufschub wurde in 139 Fällen beantragt und bewilligt, Zwangs¬ 
erziehung wurde in 34 Fällen beantragt, in 12 Fällen ausgesprochen, 
ln 275 Fällen wurden Vorerhebungen für das Jugendgericht gemacht 
bzw. Schutzaufsicht ausgeübt. Dem Bezirksverein wurden 151 neue 
Fälle abgegeben. Im ganzen wurden 472 Fälle ins neue Jahr zur Für¬ 
sorge übernommen. 

Seit Mai 1917 gibt die Staatsanwaltschaft Mannheim dem Jugend¬ 
fürsorgeausschuß Nachricht 1. von allen Anklagen gegen Jugendliche 
vor dem Schöffengericht, 2. von allen Strafkammerurteilen gegen Jugend¬ 
liche, 3. von allen Strafkammeranklagen gegen weibliche Jugendliche; 
je in doppelter Ausfertigung; 1 Exemplar wird an das zuständige Pfarr¬ 
amt weitergegeben. Das Amtsgericht Mannheim hat sich bereit erklärt, 
dem Ausschuß in denjenigen Fällen, in denen ihm die Schutzaufsicht 
übertragen wurde, Kenntnis vom Termin der Erlaßeröffnung zu geben, 
so daß die Fürsorger diesem Akt beiwohnen können, was zur Stärkung 
des Ansehens des Fürsorgers wesentlich beiträgt. 

Ludwigsburg. _ Schwandner. 


90. Jahresbericht der Rheinisch-Westfälischen Gefängnisgeselischaft über 
das Vereinsjahr vom 1. April 1916 bis 31. März 1917. 

(zu vgl. Bd. 51, S. 139ff.) 

Am 10. Oktober 1917 fand die 88. Jahresversammlung — die 
3. Kriegstagung — des Vereins in Düsseldorf statt. Dem vom 1. Geschäfts¬ 
leiter, Pfarrer Just-Düsseldorf, erstatteten Jahresbericht ist zu ent¬ 
nehmen : 

Der Vereinsausschuß hatte sich an die stellv. Generalkommandos 
des 7., 8., 18. und 21. Armeekorps mit der Bitte um Einführung des 
Sparzwanges für Jugendliche gewendet. Diese Stellen haben aber zu 
ihrem Bedauern geglaubt, von dieser Einführung absehen zu müssen, 
weil sie sich davon nur einen Erfolg versprechen, wenn der Sparzwang 
für eine größere, wirtschaftlich zusammenhängendes Gebiet eingeführt 
wird. Namentlich errege die Einschränkung der Maßnahme auf solche 
Jugendliche, deren Lebenswandel eine zwangsweise Einschränkung 
nötig mache, Bedenken, weil dadurch der Sparzwang sich als eine Straf¬ 
maßnahme gegen einen Teil der jugendlichen Arbeiter darstelle. 

Ferner beschäftigte sich der Ausschuß eingehend mit der Frage, 
durch welche Maßnahmen eine Eindämmung des Dirnenunwesens, 
namentlich auch durch erziehliche Maßnahmen gegenüber den jugend- 



135 


liehen Fh-ostituierten über 18 bis 21 Jahren, sowie durch geeignete Siche¬ 
rungsmaßnahmen gegenüber den Pathologischen und den chronisch 
Geschlechtskranken möglich sei. Das gesamte Material wurde vom 
Geschäftsführer gesammelt und zu einer Denkschrift verarbeitet. Der 
Ausschuß beschloß, zum geeigneten Zeitpunkt, die in der Denkschrift 
angedeuteten Schritte zu veranlassen und die Tagesordnung der Mit¬ 
gliederversammlung gänzlich unter dem Gesichtspunkt der so wich¬ 
tigen Frage, ob sich nicht neue Fürsorgemaßnahmen finden lassen für 
gefallene Mädchen nach dem Kriege, zu gestalten. 

Der Krieg hat wiederum große Lücken in die Zahl der Mitglieder 
gerissen, so daß die Einnahmen von 88 530 M. auf 78 348 M. zurück¬ 
gegangen sind. Glücklicherweise ist auch die Zahl der Fürsorgefälle 
von 12 761 auf 11 822 infolge der im allgemeinen sehr günstigen Arbeits¬ 
möglichkeiten für die Entlassenen zurückgegangen. 

ln der Rheinprovinz beträgt die Zahl der Tochtergesellschaften 
95 (gegen 94 im Vorjahre); hinzugekommen ist der Gefängnishilfsverein 
in Brühl. Die Zahl der Mitglieder ist von 19 559 auf 16 777, die Ein¬ 
nahmen sind von 68 580 M. auf 61 910 M. gesunken, die Ausgaben da¬ 
gegen von 69 614 M. auf 75 338 M. gestiegen; die Zahl der Fürsorge¬ 
fälle ist von 10 002 auf 9331 gesunken. Die Tätigkeit der kleineren 
Vereine ist meist nur gering, um so stärker werden die Vereine in den 
größeren Städten in Anspruch genommen. Je schwieriger sich die Mög¬ 
lichkeiten der Volksernährung gestalten, um so ernster wird auch die 
Lage der durch Inhaftierung des Ernährers meist unverschuldet in Not 
geratenen Familien, für die auch die beste Armenpflege in dieser Zeit 
nicht ausreichend sorgen kann und für die nicht, wie für die Krieger¬ 
familien, eine umfassende öffentliche und private Wohltätigkeit helfend 
eintritt. Grundsätzlich werden die Verhältnisse der angemeldeten 
Familien genau geprüft und fortgesetzt im Auge behalten. Die Obhut 
über bedingt begnadigte Personen, sowie die Mithilfe bei Strafverfahren 
gegen Jugendliche wurde in einigen Vereinen, wie Essen, Düsseldorf, 
Köln fleißig und erfolgreich geübt. Auch die Polizeifürsorgestelle in 
Düsseldorf wurde in 151 Fällen durch Vermittlung und Auskunft über 
Kinder, die sich straffällig gemacht hatten, unterstützt. — Der Ge¬ 
fängnisverein in Köln sah sich genötigt, seine Arbeitsstelle und seine 
Schreibstube stillzulegen; ebenso hat auch die Duisburger Schreibstube 
geschlossen werden müssen. Dagegen hat sich die vom Verein in Kreuz¬ 
nach 1912 eingerichtete Arbeitsstätte für arbeitslose Entlassene auf dem 
Hofgut Indenmühle als Übergangsstation gut bewährt. Auch das Arbeits¬ 
asyl in Herbestal hat gute Dienste geleistet. Die Zahl der Jugendlichen 
betrug dort 28,54 Proz. der Belegung (gegen 6,92 Proz. 1913!). Infolge 
des Krieges ist auch die Tätigkeit der Frauenhilfsvereine an weiblichen 
Gefangenen gewachsen. Diese Vereine beklagen vielfach, daß außer¬ 
ordentlich viele von der Sittenpolizei eingelieferte Jugendliche der Sta¬ 
tion für Geschlechtskranke zugeteilt werden müssen. Auch in der Pro¬ 
vinzialarbeitsanstalt Brauweiler hat die Zahl der jugendlichen Prosti¬ 
tuierten zugenommen. Es ist dort Sorge getragen worden, die noch 
Jugendlichen in einem geräumigen Neubau getrennt von den übrigen 
in Einzelhaft unterzubringen. Auch wurden Jugendliche bei guter 
Führung auf Antrag der Eltern bei Zustimmung der Leitung des Arbeits¬ 
hauses vorzeitig entlassen, wenn festgestellt wurde, daß für die Dauer 
der Strafzeit ein gesichertes Unterkommen vorhanden war. — 

ln Westfalen ist durch Hinzukommen des katholischen Männer¬ 
fürsorgevereins in Hamm die Zahl der Hilfsvereine von 41 auf 42 ge- 



I 


- 136 - 

stiegen. Die Gesamteinnahme beträgt 17 437 M. (gegen 19 950 M. im 
Vorjahre), die Gesamtausgabe 17 920 M. (gegen 20 321 M. im Vorjahre). 
Die Zahl der in Fürsorge genommenen Personen ist von 2759 auf 2491 
gesunken; die Zahl der Mitglieder von 5954 auf 5496 gefallen. Auch hier 
ist die Tätigkeit in den größeren Städten wie Bielefeld, Dortmund, 
Hamm, Münster, gestiegen. Als segensreich erweist sich die Mitarbeit 
der Westfälischen Frauenhilfe; ihre 1. Arbeiterinnenkolonie zu Ummeln 
hat 20 Plätze. Dazu ist am 1. IV. 17 die Arbeiterinnenkolonie Mengern 
gekommen. Besonders hervorgehoben wird die Tätigkeit des Bielefelder 
Oefängnisvereins an Entlassenen und bedingt Verurteilten in nach¬ 
ahmenswerter Ausübung der Schutzaufsicht. — Die Zentralstelle 
in Düsseldorf ließ es sich angelegen sein, die Verbindung mit den ein¬ 
zelnen Vereinen zu pflegen; der 1. Geschäftsführer übte eine umfassende 
Reise- und Vortragstätigkeit aus. — 

Die Hauptversammlung hatte zum Gegenstand ihrer Beratung; 

,,Neue Fürsorgemaßnahmen für gefallene Frauen und 
Mädchen nach dem Kriege.“ 

Berichterstatter: Generalsuperintendent D. Zoellner, Münster i.W. 

Mitberichterstatter: Landesrat Dr. Horion, Düsseldorf, 

deren vorzüglichen und eingehenden Ausführungen im Jahresbericht 
abgedruckt sind. Hier sollen nur die gemeinschaftlichen Leitsätze 
hervorgehoben werden: 

1. Es ist zu befürchten, daß die Zahl der Prostituierten und der¬ 
jenigen, die sich auf dem Wege zur Prostitution befinden, nach 
dem Kriege bedeutend zunehmen werden. 

2. Zur Bekämpfung der sich hieraus ergebenden Mißstände und Ge¬ 
fahren stehen bei den Mädchen unter 18 Jahren die Einrichtungen 
der Fürsorgeerziehung zur Verfügung. 

Bei den älteren Personen handelt es sich im wesentlichen um 
drei Gruppen: die gewohnheitsmäßigen Prostituierten, die erst¬ 
malig wegen Gewcrbsunzucht gerichtlich Verurteilten und solche, 
die sich im strafrechtlichen Sinne noch nicht der Unzucht ergeben 
haben, die aber doch auf dem Wege dazu sind, die in dieser engeren 
Bedeutung gefährdeten Mädchen. 

Bei diesen älteren Personen genügen die strafrechtlichen 
Maßnahmen nicht, vielmehr muß hiermit die Fürsorgearbeit Hand 
in Hand gehen. Die Fürsorgemaßnahmen bedürfen aber ent¬ 
sprechend dem größejen und anders gearteten Bedürfnis eines 
weiteren Ausbaues. 

3. Unentbehrlich sind hierzu zunächst die Vereine für nachgehende 
Fürsorge, ln den Industrieorten, namentlich den größeren, ist außer 
den freiwilligen Fürsorgerinnen eine beamtete ,,Fürsorgedame“ 
(Polizeiassistentin) notwendig. In den anderen genügen die erste- 
ren, namentlich, wenn sich auch die Gemeindeschwester und die 
Pfarrer der Sache mit annehmen. Anzustreben ist eine Verbin¬ 
dung unter diesen Vereinen zum Austausch für Stadt und Land, 
und Schaffung einer Zentrale zunächst für die Provinz, dann für 
ganz Deutschland. 

4. Es sind aber auch neue anstaltsmäßige Einrichtungen erforder¬ 
lich, zumal die früher in Betracht kommenden Anstalten (Magda- 
lenenheime, Klöster vom guten Hirten und ähnliche) jetzt fast 
ausschließlich mit Fürsorgezöglingen belegt, und auch ihre Ein¬ 
richtungen mehr auf die Bedürfnisse der Fürsorgeerziehung zu¬ 
geschnitten sind. 




137 


An Neueinrichtungen werden vorgeschlagen: 

a) für viele der oben unter These 2 genannten „gefährdeten Mäd¬ 
chen und vielleicht auch einige der beiden dort genannten Klassen 
ein nach Bielefelder Muster eingerichtetes Haus am Ort selbst; 

b) ein etwa unter dem Namen „Frauen- und Mädchenheim“ zu 
schaffendes Gegenstück zu der männlichen Arbeiterkolonie, wo 
in gesunder Luft vor allem ländliche Arbeit geboten wird. Da 
religiöse Beeinflussung ein wichtiger Faktor der hier zu übenden 
Fürsorge ist, so muß auch die weibliche Arbciterkolonie ebenso 
wie die männliche auf konfessioneller Basis errichtet werden; 

c) staatliche und provinzielle Zwangsanstalten zur Unterbrin¬ 
gung von Unverbesserlichen oder Gemeingefährlichen. 

5. Hinter der weiblichen Arbeiterkolonie muß der Verband der Für¬ 
sorgevereine stehen. Die Vereine haben dafür Sorge zu tragen, 
die für das Frauen- und Mädchenheim Geeigneten ihm zuzuführen. 
Sie werden ferner die sich hier Bewährenden in den ihnen auszu¬ 
machenden Asbeitsstellen weiter pflegen können. 

6. Das Vorhandensein solcher weiblichen Arbeiterkolonien schafft 
den Fürsorgevereinen, namentlich in den größeren Städten, gerade 
da freie Bahn, wo sie jetzt mit ihrer Arbeit stets festsitzen. Den 
Polizeiorganen wird durch solche Anstalten die Möglichkeit ge¬ 
geben, die bestehenden Bestimmungen gegen das Dirnenwesen 
stärker, als jetzt möglich ist, anzuwenden. 

7. Die Gesetzgebung und Verwaltung muß die Arbeit der Anstalten 
unterstützen, dadurch, daß in geeigneten Fällen ein direkter oder 
indirekter Zwang zum Verbleiben in der Anstalt geschaffen wird, 
jedoch darf die Schaffung der Anstalten nicht bis zu einer entsprechen¬ 
den Gestaltung der rechtlichen Verhältnisse verschoben werden. 

8. Muß diese Schaffung weiblicher Arbeiterkolonien demnach zunächst 
dem Vorgehen der Innern Mission bzw. der Caritas überlassen wer¬ 
den, so werden sich doch diejenigen öffentlichen Instanzen, die 
sich der männlichen Arbeiterkolonien auch durch geldliche Unter¬ 
stützung in steigendem Maße angenommen haben, hier ebenfalls 
nicht untätig verhalten dürfen: das öffentliche Interesse zwingt 
in hohem Maße dazu. 

Nach eingehender Besprechung wurde auf Antrag des Bericht¬ 
erstatters beschlossen: den Ausschuß zu beauftragen, alles zu tun, was 
zur Beschleunigung der dringend erforderlichen Gesetzesänderungen 
dienen könne, welche als notwendige Unterstützung der zu schaffenden 
Einrichtungen anzusehen sind. — 

Außerdem hielt Strafanstaltsdirektor Bolles in Anrath einen 
interessanten und anschaulichen Vortrag über ,,Die Strafanstalts¬ 
verwaltung während des Krieges“ auf Grund seiner amtlichen Er¬ 
fahrungen in den Strafanstalten Köln und Anrath. 

In den getrennten Konferenzen der evangelischen und katholischen 
Anstalts- und Asylgeistlichen bildete ,,Die religiös-sittliche Be¬ 
einflussung der Korrigendinnen“ den Gegenstand eingehender Be¬ 
richterstattung und Besprechung; in der evang. Konferenz war Bericht¬ 
erstatter: Pfarrer Distelkamp in Nenninghausen, in der katholischen: 
Pfarrer Flöhr in Brauweiler. — 

Die Anschaffung des reichhaltigen und durch den Abdruck der 
sämtlichen erstatteten Berichte sehr lehrreichen Jahresberichtes (im 
Selbstverlag der Gesellschaft) für die Verwaltungsbüchereien unserer 
Anstalten sei dringend empfohlen. 

Ludwigsbiirg. Schwandner. 



Die Gefängnisgesellschaft für die Provinz Sachsen und das Herzogtum 

Anhalt 

hat das 34. Jahrbuch für 1917 herausgegeben (zu vgl. Bd. 51 dieser 
Blätter S. 122). 

In seinem Geschäftsbericht teilt Pastor Hage mit, daß eine für die 
geplante Übergangsstation Reidehof veranstaltete Hauskollekte den 
schönen Ertrag von 19 915 M. ergeben habe. Alles in allem stehen für 
das geplante Unternehmen jetzt 57 000 M. zur Verfügung. Auch die 
Weüjearbeit zur Gewinnung neuer Freunde und Förderer der Vereins¬ 
sache hat gute Erfolge erzielt: neben dem Beitritt verschiedener Firmen 
aus den Kreisen der Industrie mit namhaften Jahresbeiträgen sind an 
einmaligen Gaben aus den genannten Kreisen 3700 M. eingegangen. 
Der Bestand der alten Vereinsmitglieder ist erfreulicherweise nicht im 
geringsten zurückgegangen. Die Schreibstube in Halle konnte durch¬ 
gehalten werden, ihr Abschluß mit 16 828 M. steht nur wenig gegen 
dem Vorjahre zurück. Dagegen mußte das zur Schreibstube gehörige 
Heim auf 1. Dezember 1917 wegen der Schwierigkeit der Lebensmittel- 
beschaffuhg geschlossen werden. 

Die Bestrebungen der Jugendgerichtshilfe haben in der Provinz 
weiter an Boden gewonnen, so daß zur Gründung eines Provinzialver¬ 
bandes geschritten werden konnte, an der auch die Gefängnisgesellschaft 
beteiligt ist; ihr Schriftführer, Pastor Hage, hat auch die Schrift¬ 
führung des Verbandes übernommen. 

Im übrigen ist im Jahrbuch den einzelnen Gefängnisvereinen in 
größerem Umfang als bisher Raum für ihre Einzelberichterstattung ein¬ 
geräumt worden. Die Berichte der größeren Vereine {Aschersleben, 
Erfurt, Halberstadt, Halle, Magdeburg und Naumburg) enthalten viel 
Wissenswertes. 

Der Kassenbericht der Gesellschaft schloß ab mit einer 
Einnahme von 36 098 M. 47 Pfg. und 
Ausgabe von 17 339 ,,70 ,, 

Bestand 18 758 M. 77 Pfg. Davon sind 12 000 M. 

für den Reidehof bestimmt. 

In der Jahresversammlung vom 17. VI. 1918 hielt Konsistorialrat 
Dr. D. von Rohden einen Vortrag über: ,,Was kann die Gefängnis¬ 
gesellschaft zur Bekämpfung des Dirnenunwesens tun ?“ Er wies nament¬ 
lich hin auf den Entwurf eines Reichsgesetzes über die Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten, in dem die Schutzaufsicht eine bedeutungsvolle 
Rolle spielt, ferner auf die Bielefelder Verfahren in der Dirnenbehandlung 
(bedingte Überweisung an die Landespolizeibehörde und Schutzaufsicht 
durch eine städtische Fürsorgerin), auf die Handhabung des § 1666 BGB. 
gegenüber von Minderjährigen zwischen 18 und 21 Jahren und die 
polizeilich-gerichtliche Behandlung gegenüber den ,,echten“ Prosti¬ 
tuierten mit weiblichen Arbeiterkolonien in Verbindung mit dem Arbeits¬ 
haus, wie sie sich neuerdings in Brauweiler hervorragend bewährt haben. 
Die Dauer der Einweisung ins Arbeitshaus sollte auf 5 Jahre ausgedehnt 
werden. 

Der Vortragende schließt sich dabei den Vorschlägen der Rheinisch- 
westf. Gef.-Gesellschaft vom Oktober 1917 (vgl. S. 134) an. 

Die Versammlung beschloß nach anregenden Erörterungen: der 
Herr Justizminister soll gebeten werden, die Staatsanwälte anzuweisen, 
durch Anträge und nötigenfalls Einlegung von Berufung darauf zu drin¬ 
gen, daß die Gerichte bei Unterbringung von Dirnen regelmäßig gemäß 
§ 362 StrGB. auf Überweisung an die Landespolizeibehörde erkennen. 



139 


Außerdem möchte den Gerichten empfohlen werden, gleichzeitig Straf¬ 
aufschub zu erwirken, wenn die Verurteilten sich der Schutzaufsicht 
unterstellen. Der Vorstand wird beauftragt: 1. den Wortlaut der Eilt- 
schließung aufzusetzen und diese dann weiter zu geben, 2. die vom Vor¬ 
tragenden zur Kenntnis gegebenen Vorschläge der Rhein-westf. Oef.- 
Oesellschaft genau durchzuprüfen, 3. die Vorarbeiten für die Errichtung 
einer Arbeiterinnenkolonie unverzüglich in die Wege zu leiten. 

Weiter sprach Justizrat Bamberger-Aschersleben über ,,Geld¬ 
strafe und Freiheitsstrafe“. Mit großer Wärme, aber nicht frei von Ein¬ 
seitigkeit und Übertreibungen bekämpfte er die kurzzeitigen Freiheits¬ 
strafen, aber auch die Freiheitsstrafe überhaupt und beantragt eine Ent¬ 
schließung der Versammlung dahingehend: es empfehle sich, durch 
Gesetz oder Notverordnung die Gerichte zu ermächtigen, in den Fällen, 
in denen sie Gefängnisstrafe bis 6 Monat aussprechen können, Geld¬ 
strafen von unbegrenzter Höhe zu verhängen.“ Bezüglich der Geld¬ 
strafe wird Ratenzahlung und bedingter Erlaß eines Teiles der aus Mangel 
an Mitteln in Raten zu tilgenden Geldstrafe empfohlen. Vortragender 
führt zur Begründung seines Antrages u. a. aus: ,,Die Einzelhaft übe 
nach keiner Richtung eine wohltätige Wirkung; sie züchte vielmehr 
körperliche und geistige Krankheit; die Selbstmordfrequenz in der 
Einzelhaft sei 6mal so groß wie bei der freien Bevölkerung. Freiheits¬ 
entziehung, die als Strafmittel erst seit 100 Jahren herrsche, sei höchstens 
bei Gewohnheitsverbrechern angebracht, um sie unschädlich zu machen, 
im übrigen aber ein ganz verfehltes, nicht nur nutzloses, sondern gemein¬ 
schädliches Mittel der Bestrafung!“ Man könnte meinen, man höre 
Mittelstädt, auf den sich der Vortragende auch berief. Seine Berufung 
auf Gewährsmänner in der Gefängnisliteratur ist übrigens ganz einseitig; 
in der Erörterung hat ihm auch Prof. Dr. Finger vorgehalten, daß er 
nur Schriften herangezogen habe, die nur die Schattenseiten der Ge¬ 
fängnisstrafe betonen, während doch auch andere Stimmen laut ge¬ 
worden seien, die der Berichterstatter gar nicht erwähnt habe. Als 
solche Stimmen hätte man dem Berichterstatter z. B. Kriegsmann 
entgegenhalten sollen, der (S. 188 seiner Gef.-Kunde) ausdrücklich hervor¬ 
hebt, wie die gesundheitlichen Bedenken, die man gegen die Zelle hege, 
heute im wesentlichen als erledigt zu betrachten seien. Ferner: Lepp- 
mann (Der Gefängnisarzt), der Seite 63 sagt: ,,im Durchschnitt ist die 
Morbidität und Mortalität in der Einzelhaft und Gemeinschaftshaft 
nicht wesentlich verschieden“; ferner S. 193: ,,die Zahl der Selbst¬ 
morde in den Zwangsverwahrungsanstalten bleibt heutzutage hinter 
der in der freien Bevölkerung zurück.“ In den Strafanstalten der preuß. 
inneren Verwaltung betrug die Höchstzahl der Selbstmorde bei einer 
Oesamtbelegung von 12 500 nur 13; wenn sie in der Justizverwaltung 
bei 25 000 Gefangenen 47 betrug, so ist dies auf Rechnung der Unter¬ 
suchungshaft zu setzen, bei der die Angst vor dem drohenden Schicksal 
und die Spannung eine große Rolle spielt. Auch ein Beschluß unseres 
Vereins von 1903 hätte herangezogen werden können, der besagt: die 
Einzelhaft hat nach überaus reichlicher Erfahrung keine nachteiligen 
Einwirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit der Gefan¬ 
genen. (BI. f. Oef.-Kde. Bd. 38, S. 126ff.). 

Gegenüber dem Antrag des Vortragenden warnten Prof. Finger, 
1. St.-A. Brükner und Geh. Justizrat Schultzky vor übereilten Be¬ 
schlüssen mit Rücksicht darauf, daß die Versammlung infolge der vor¬ 
gerückten Zeit so stark gelichtet sei. Auf Vorschlag von Konsistorialrat 
Kallrnus sah die Versammlung davon ab, den Antrag Bambergers 



140 


zur Abstimmung zu stellen, sprach aber dem Vortragenden ihren Dank 
dafür aus, daß er ihr Gelegenheit gegeben habe, dieser ernsten Frage 
nachzudenken und versprach, sich weiter mit diesem Problem zu be¬ 
schäftigen. 

Ludwigsburg. Schwandner. 

Wanderarmenfürsorge. 

I. 

Verein zur Förderung der Wanderarbeitsstätten in Württemberg. 

Aus dem Rechenschaftsbericht über das 7. und 8. Betriebsjahr 1915/1917. 

(zu vgl. Bd. 50, S. lOOff.) 

Sämtliche 40 Wanderarbeitsstätten haben den Betrieb in den 
beiden Jahren voll aufrecht erhalten. Die Zahl der Gäste ist infolge des 
Krieges bedeutend zurückgegangen und betrug im 7. Betriebsjahre 
35 134 mit einem Verpflegungsaufwande von 40 997 M., und im 8. Be¬ 
triebsjahre 20 132 mit einem Aufwande von 25 614 M., gegenüber dem 
Jahre 1914/15 mit 71 916 Gästen und einem Aufwande von 76 368 M. 
ein Rückgang von 72 und 66 Prozent. Wanderscheine sind 2626 und 
1394 (gegen 4286 im Jahre 1914/15) ausgestellt worden. Die Eisenbahn¬ 
fahrtkosten betrugen 1221 M. und 615 M. (gegen 2641 M. im Jahre 1914). 
Die Verpflegung eines Wanderers kam durchschnittlich auf 1 M. 20 Pfg. 
und 1 M. 30 Pfg. (gegen 1 M. 09 Pfg. im Jahre 1914/15). In den beiden 
Berichtsjahren mußten in 921 Fällen der Wanderschein wieder ent¬ 
zogen oder die Ausstellung verweigert werden; von diesen Fällen kamen 
457 auf Arbeitsverweigerung oder Nichtannahme der vermittelten Ar¬ 
beitsstelle, in 211 Fällen lag grundloses Verlassen der vermittelten 
Arbeitsstelle vor, in 61 Fällen handelte es sich um freches Benehmen, 
in 39 um heimliches Verlassen der Wanderarbeitsstätte, in den übrigen 
Fällen um dreimalige Inanspruchnahme einer und derselben Wander¬ 
arbeitsstätte innerhalb von 3 Monaten, um Bettel und sonstige Gründe. 
Auffallend groß ist wieder, wie im Vorjahre die Zahl der Fälle von Ar¬ 
beitsverweigerung und grundlosem Verlassen der vermittelten Arbeits¬ 
stelle (zwei Drittel aller Fälle). 

Bedauerlich ist, daß die Verhängung der militärischen Sicherungs¬ 
haft gegenüber arbeitsscheuen Wanderern und Obdachlosen, mit der 
in der Provinz Westfalen (siehe unten) so gute Erfahrungen erzielt wor¬ 
den sind, in Württemberg nicht zur Anwendung gebracht werden kann. 
Nach einer Entscheidung des Reichsmilitärgerichts vom 1. V. 17 kann 
nämlich die Sicherheitshaft nur verhängt werden, wenn der verschärfte 
Kriegszustand erklärt worden ist. Dies trifft für Württemberg nicht zu. 

Von den 40 Obdachloseneinrichtungen sind im 7. Berichtsjahre 
27 111 Obdachlose an 39 751 Verpflegungstagen beherbergt und be¬ 
schäftigt worden, im 8. Jahre: 18 566 mit 25 319 Verpflegungstagen. 
Die Zahl der Obdachlosen ist im Verhältnis zur Zahl der Gäste der Wan¬ 
derarbeitsstätten eine sehr hohe und zeigt, daß viele Wanderer, die 
sich nicht in die Wander- und Arbeitsordnung fügen wollen, den Aufent¬ 
halt in den Obdachlosenheimen vorziehen. 

Die Strafanzeigen wegen Bettels und Landstreicherei sind in den 
Bezirken mit Wanderarbeitsstätten von 20 766 im Jahre 190809 auf 
2608 im Jahre 15/16 (= 84,44 Proz.) und im Jahre 1916/17 noch weiter 
auf 1551 (=92,5 Proz.) zurückgegangen. Die Haftvollstreckungskosten 
sind von 164 774 M. im Jahre 1908/09 auf 46 563 M. im Jahre 1915/16 
(=71,74 Proz.) und im Jahre 16/17 auf 27 313 M. (=83,42 Proz.) ge¬ 
sunken. Die Gefangenentransportkosten haben sich von 49 631 M. um 
67,43 Proz. bzw. 78,13 Proz. verringert. 





141 


Die Bestrebungen zur Herbeiführung einer einheitlichen Wander- 
und Arbeitsordnung für ganz Deutschland haben zu einer Einigung in 
Brandenburg, Braunschweig, Bremen, Hamburg, Hannover, Hessen, 
Hessen-Nassau, Lippe, Oldenburg, Provinz Sachsen und Westfalen ge¬ 
führt. Nach einer Besprechung vom 4. VH 1.17 hat diese Wander- 
und Arbeitsordnung eine Fassung erhalten, die auch den süddeutschen 
Verbänden den Anschluß ermöglicht, ohne daß an ihren schon bestehen¬ 
den und bewährten Einrichtungen wesentliche Änderungen notwendig 
werden müßten. 

Die 3 Wandererfürsorgeverbände; Gesamtverband Deutscher Ver¬ 
pflegungsstationen, Zentralvorstand deutscher Arbeiterkolonien und 
deutscher Herbergsverein haben im Juli 1917 in einer Eingabe an das 
Reichsamt des Innern dringend um Durchführung der reichsgesetzlichen 
Regelung der Wandererfürsorge gebeten. — 

II. 

In einem Berichte über: „Die westfälische Wanderarmenfürsorge 
während des Krieges“, erstattet von P. Dr. Ephrem Rickling, O.F.M., 
(Kommissionsverlag der Universitätsbuchhandlung Franz Coppen- 
rath in Münster i. W.) ist ebenfalls der erhebliche Rückgang der Zahl 
der Gäste in den westfälischen Wanderarbeitsstätten während des Krie¬ 
ges hervorgehoben, aber auch auf die Zunahme der sogenannten unordent¬ 
lichen Wanderer namentlich der Arbeitsscheuen hingewiesen. Auf Be¬ 
treiben des Verbandes und des Landeshauptmanns der Provinz West¬ 
falen hat das stellv. Generalkommando des VII. Armeekorps unterm 
11. Vlll. 1915 folgende Bestimmung erlassen: ,,Um die noch immer 
bestehende Landstreichergefahr nach Möglichkeit zu beseitigen, ordne 
ich für den Bereich des VII. Armeekorps, soweit es die Provinz West¬ 
falen umfaßt, hiermit an, daß diejenigen auf der Landstraße, in Wander¬ 
arbeitsstätten, in Herbergen oder in Unterkunftsräumen für Obdach¬ 
lose (Asylen) betroffenen Personen, welch? offenkundig arbeits¬ 
scheu sind, in polizeiliche Sicherheitshaft genommen werden. Die 
Polizeiverwaltungen werden angewiesen, die Papiere dieser Leute so¬ 
fort zu beschlagnahmen und ungesäumt dem stellv. Generalkommando 
des VII. Armeekorps zuzusenden. Dieses wird die militärische Sicher¬ 
heitshaft anordnen und sodann umgehend mit dem Herrn Landeshaupt¬ 
mann der Provinz Westfalen in Verbindung treten, welcher sich bereit 
erklärt hat, soweit der Raum und die Überwachungskräfte ausreichen, 
diese Leute auf meine Anordnung in den Arbeitshäusern oder Arbeiter¬ 
kolonien unterzubringen. Die Polizeiverwaltung erhält sodann um¬ 
gehend von hier die Anweisung wohin der Festgenommene zu über¬ 
führen ist. Handelt es sich um alte und gebrechliche Leute, die auf 
der Landstraße, in Wanderarbeitsstätten, Herbergen oder Unterkunfts¬ 
räumen für Obdachlose (Asylen) aufgegriffen werden und nicht zu den 
offenkundig Arbeitsscheuen zu zählen sind, so sind sie nach Feststellung 
ihrer armenrechtlichen Verhältnisse gleichfalls vorläufig in Polizeihaft 
zu nehmen, und es ist zu versuchen, sie in einem Armen- oder Siechen¬ 
hause unterzubringen. Gelingt dieses nicht, so wird mit ihnen ebenso 
wie mit den arbeitsscheuen Personen verfahren.“ — 

Hierdurch war die Möglichkeit gegeben, die Landstreicher und 
Stadtbummler ohne langwieriges Verfahren unschädlich zu machen. 
Der Landeshauptmann stellte das Arbeitshaus Benninghausen zur 
Unterbringung der Aufgegriffenen bereit, sorgte auch für Bereit¬ 
stellung der 3 westfälischen Arbeiterkolonien und zeigte auch in derKosten- 



frage das größte Entgegenkommen. Seit dem genannten Erlaß bis 
zum 10. Juni 1917 wurden 322 männliche und 9 weibliche, zusammen 
331 Personen in militärische Sicherheitshaft genommen, darunter 72 
Stadtbummler, 250 Wanderer und 9 Ausländer. 18 Personen standen 
im Alter bis zu 20 Jahren. 

Bei den 331 in Sicherheitshaft genommenen Personen erübrigte 
sich die Unterbringung in eine Anstalt in 32 Fällen: wegen Entweichens, 
Aburteilung wegen sonstiger Straftaten, Ablehnung der Aufnahme wegen 
Krankheit, Vermittlung einer geeigneten Arbeitsstelle. Von den noch 
verbliebenen 299 Sicherheitsgefangenen wurden überwiesen in das Pro¬ 
vinzialarbeitshaus Benninghausen: 226 Männer und 8 Frauen, in die 
evang. Arbeiterkolonie Wilhelmsdorf 30 Männer und in die kath. Arbei¬ 
terkolonie St. Antoniusheim 35 Männer. Nach Einlieferung in die An¬ 
stalten entwichen 41 Personen, von denen 17 wieder eingeliefert wurden. 
Wegen Fleiß und guter Führung wurden zum Antritt geeigneter Arbeits¬ 
stellen entlassen: aus Benninghausen 133; Wilhelmsdorf 15, aus St. 
Antoniusheim 22 der eingelieferten Sicherheitsgefangenen. Somit sind 
zusammen 170 (mehr als die Hälfte) in Arbeit gebracht worden. Wegen 
Gebrechlichkeit, Arbeitsunfähigkeit und Geisteskrankheit mußten 26 
weitere Personen anderswo untergebracht werden, 25 wurden ins Heer 
eingestellt und 7 schieden durch Tod und Ausweisung aus dem Reiche 
aus. Am 10. Juni 1917 waren noch in Sicherheitshaft 47 Personen. 
Die Kosten der Unterbringung der Stadtbummler wurden von den in 
Frage kommenden Gemeinden bezahlt, die Kosten für die Wanderer 
trugen mit zwei Dritteln die Provinz und mit einem Drittel die Kreise. 
Die Höhe dieser Kosten betrug bis 31. März 1917: 62 664 M. Das un¬ 
mittelbare Ziel dieser Maßnahmen: die Säuberung der Landstraßen 
und Herbergen und die Heranziehung der Arbeitsscheuen zu ernster 
Beschäftigung ist in weitestgehendem Maße erreicht worden. Die Folge 
war der Rüc^ang der Zahl der Gäste in den Wanderarbeitsstätten von 
75 841 im Jahre 1914 auf 10 846 im Jahre 1915 und auf 29 171 im Jahre 
19161 Vor allem sind auf diese Weise die unangenehmsten Gäste fern¬ 
gehalten worden! Seit Ende September 1916 mußten nur noch 23- 
Arbeitsscheue in Sicherheitshaft genommen werden und seit Anfang 
1917 erfolgten Überweisungen in eine Anstalt nur noch ganz vereinzelt. 
Bisher war noch in keinem Falle erneute Haft gegen einen aus der 
Sicherheitshaft entlassenen Arbeitsscheuen notwendig! 

Für die Friedenszeit müssen gleichartige Maßnahmen, die ein schnel¬ 
les und scharfes Zugreifen ermöglichen, ins Auge gefaßt werden, wenn 
nicht die alten Zustände wiederkehren sollen. Damit aber bei diesem 
Vorgehen gegen arbeitsscheue Wanderer unnötige Härten vermieden 
werden, muß ein besonderes Augenmerk auf die Fälle gerichtet werden, 
in denen krankhafte Zustände vorliegen, wie bei den sogenannten,,großen 
Kindern“, d. h. bei denjenigen hilfsbedürftigen Wanderern, die infolge 
krankhafter Willensschwäche nie zu dauernder geregelter Arbeit kom¬ 
men, sondern immerfort ein unstetes Leben führen. 

ln Preußen hat der Minister des Innern im November 1916 und der 
Justizminister im Dezember 1916 Erlasse hinausgegeben, wonach der 
Versuch gemacht werden soll, Wanderer, die wegen Bettels und Land- 
streicherei bestraft und der Landespolizeibthörde überwiesen sind, einst¬ 
weilen nicht im Arbeitshaus untergebracht werden sollen, falls sie frei¬ 
willig in eine geeignete Fürsorgeanstalt eintreten. Wenn sie sich dort 
2 Jahre gut aufführen, wird ihnen die Nachhaft erlassen, wenn nicht, 
tritt sie sofort in Kraft. Dieser Aufenthalt in der Anstalt bietet Ge- 



143 


legenheit, den Geisteszustand zu beobachten und eine etwaige Entmün¬ 
digung wegen Geistesschwäche herbeizuführen, so daß in solchen Fällen 
auch eine dauernde zwangsweise Festhaltung ermöglicht wird. In dem 
Erlasse des Ministers des Innern wird auch auf die Notwendigkeit hin¬ 
gewiesen, für die rechtzeitige Entmündigung derjenigen Fürsorgezög¬ 
linge Sorge zu tragen, ,,die nach den bei ihrer Erziehung gemachten Er¬ 
fahrungen und nach sachverständigem Urteil wegen geistiger Gebrechen 
außerstande sind, selbständig und ohne zu straucheln durchs Leben 
zu gehen.“ 

ln Bielefeld ist dieses Verfahren schon längere Zeit in mustergültiger 
Weise mit Erfolg durchgeführt worden. 

Der Bericht beschäftigt sich auch eingehend mit der Frage der 
jugendlichen Wanderer, die ernsteste Beachtung verdient. Mehren 
sich doch überall die Anzeichen dafür, daß sie einen verhältnismäßig 
großen Teil der mittellosen Wanderer darstellen (nach der Statistik des 
Berichtes: 11,5 Prozent unter 20 Jahren). Neuere Untersuchungen, die 
von der Zentralstelle für Volkswohlfahrt (Berlin) ausgingen, haben gerade¬ 
zu erschreckende Mißstände aufgedeckt, die nach schneller Abhilfe 
rufen. Die Fürsorge für die männlichen zureisenden Jugendlichen Ist 
im allgemeinen viel weniger entwickelt, als die für die weiblichen, und 
doch dürfte sie nicht weniger notwendig sein. Es muß dahin gestrebt 
werden, daß den gefährdeten zuwandernden Jugendlichen überall so¬ 
gleich Rat und Hilfe geboten wird, so daß sie nicht erst ins Elend ge¬ 
raten. (Bahnhofsmission für männliche Jugendliche, Beratungsstellen, 
besondere Abteilungen am Arbeitsnachweis.) In manchen Städten sind 
besondere Einrichtungen für jugendliche Obdachlose vorhanden (Wohn¬ 
heime, Ledigenheime, Darbietung von Schlafgelegenheit durch die 
Jugendvereine, besondere Abteilungen in den Obdachlosenasylen), 
aber diese Einrichtungen reichen bei weitem nicht aus, um auch nur den 
größten Teil der jugendlichen Obdachlosen zu erfassen. Die Mehrzahl 
dürfte bis jetzt auf die allgemeinen Asyle angewiesen sein. Erst in wenigen 
Städten (Berlin, Breslau, Charlottenburg, Dresden, Frankfurt a. M., 
Hamburg, München, Stuttgart bestehen eigentliche Jugendasyle, 
die nicht nur Verpflegung gewähren, sondern zugleich für das weitere 
Fortkommen ihrer Pfleglinge Sorge tragen. 

Ein weiterer Ausbau dieser Fürsorge erscheint um so notwendiger, 
als der Krieg bereits eine wachsende Verwilderung der Jugend gebracht 
hat und damit gerechnet werden muß, daß nach dem Kriege ein Teil 
der zurückkehrenden Kriegsteilnehmer, vorab jungen, nicht sogleich 
den Weg zu einem geordneten Arbeitsleben wiederfindet. Hier stehen 
der Obdachlosenfürsorge große Aufgaben bevor, zu denen sie sich rüsten 
muß. 

Ludwigsburg. _ Schwandner. 


10. Jahresbericht des Vereins Stuttgarter Fürsorgeheim für 1917. 

(Wichern-Haus.) 

Berichterstatter: Stadtpfarrer Wüterich-Stuttgart. 

(zu vgl. Bd. 51, S. 143.) 

181 männlfche Jugendliche konnten im Berichtsjahre aufgenom¬ 
men werden; davon waren 109 Württemberger, 59 aus anderen Bundes¬ 
staaten, 13 Ausländer. Unterbrechung der Lehre spielte diesmal eine 
große Rolle und zwar in 40 Fällen. Darin spiegeln sich die Kriegszu¬ 
stände. 117 sind dem Hause durch die Polizei zugeführt worden. Fast 



144 


täglich wird im Einvernehmen mit der Polizeidirektion das Polizei¬ 
gefängnis besucht. Dabei sind die 117 nur ein Teil der fürsorglich Be¬ 
handelten. Bei solchen, die nicht ins Heim aufgenommen worden sind, 
sorgt die Polizeihilfe des Jugendsekretariats für Benachrichtigung der 
Eltern und Vormundschaftsbehörden, für Heimbeförderung, Arbeits¬ 
vermittlung, Beschaffung von Ausweisen und dergl. — Aus Gefäng¬ 
nissen kamen 33. Manchem hat das Heim die Untersuchungshaft 
gekürzt. Andere Behörden und besonders das jugendsekretariat haben 
26 überwiesen, die Stadtmission 5. — Die Fürsorge des Heims betraf 
Beratung und Geldunterstützung bei 24, Heimbeförderung bei 43, 
Arbeitsvermittlung im erlernten Beruf bei 56, in anderer Beschäftigung 
bei 27, Zurückverbringung in Anstalten bei 18. Freiwillig ausgetreten 
sind 3, entwichen 5, ausgewiesen wurden 2; am 1. Januar 1916 waren 
ohne Lohnarbeit in der Notarbeitsstätte des Wichernhauses noch 3. — 
Das Haus kann nun auf eine 10jährige Tätigkeit zurückblicken; 
die Gesamtzahl der Zöglinge beträgt 1953; davon waren im Alter von 
14—20 Jahren: 1358, über 20 Jahre 415. Aus Strafanstalten kamen 
265; von der Polizei: 758; sonst zugewiesen oder selbst gekommen 930. 
Heimbefördert wurden 143; in Arbeit gebracht 901; sonst gefördert 
484; erfolglos behandelt 125. 

Die Ernährung, Bekleidung und Beschäftigung der Zöglinge machte 
im Berichtsjahre viele Schwierigkeiten. 

Ludwigsburg. Schwandner. 

Die Kriegstagung der Deutschen Jugendgerichtshilfen (4. Deutscher 

Jugendgerichtstag) 

fand am 12./14. April 1917 auf Einberufung der Deutschen Zentrale 
für Jugendfürsorge unter regster Beteiligung der Behörden und frei¬ 
willigen Organisationen statt, wobei das Schwergewicht auf die prak¬ 
tische Ausgestaltung der Jugendgerichtshilfe gelegt wurde. — Das 
praktische Hauptergebnis der Tagung ist die Begründung des ständi¬ 
schen Ausschusses für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen. 

Die reichhaltige Tagesordnung behandelte zunächst 

die Grundlagen der Jugendgerichtshilfe in 
Gesetzgebung und Verwaltung 

mit folgenden Vorträgen: 

Organisation und Tätigkeit der Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen: 

von Amtsgerichtsrat Dr. Friedeberg, Berlin-Weißensee. 
Ausgestaltung der Jugendgerichtsbarkeit auf Grund der bestehenden 
Bestimmungen: von Ruth von der Leyen, Berlin. 
Jugendgerichtshilfe und Polizei: Reg.-Rat Gerland, Dresden, und 
Margarete Dittmer, Fürsorgedame der deutschen Zentrale für 
Jugendfürsorge am K. Polizeipräsidium Berlin. 
jKgendstaatsanwalt und Jugendgerichtshilfe: Staatsanwaltschaftsrat 
Dr. Rosenfeld, Berlin. 

Die Schutzaufsicht als vormundschaftsgerichtliche Maßnahme und ihre 
Ausgestaltung durch den Jugendrichter: Geh. Justizrat, Amts¬ 
gerichtsrat Dr. Fränkel, Breslau, und Stadtpfarrer Wüterich, 
Stuttgart. 

Der bedingte Strafverfolgungsaufschub mit nachfolgender Nieder¬ 
schlagung des Strafverfahrens gegenüber Jugendlichen: Amts¬ 
gerichtspräsident Dr. Becker-Dresden. 



145 


Jugendgerichtsverfahren in Gegenwart und Zukunft: Geh. Justizrat, 
Professor Dr. von Liszt, Berlin, M. d. R. 

Die praktische Arbeit der Jugendgerichtshilfen behandelten 
folgende Vorträge: 

Jugendgerichtshilfe auf dem Lande, in Klein- und Mittelstädten: von 
Geh. Justizrat Winkler, Erfurt, und Amtsrichter Dr. Philipp, 
Rantzau bei Barnstedt (Holstein). 

Gewinnung und Ausbildung von Helfern: von Elsa von Liszt-Berlin. 
Jugendgericht und Arzt: Professor Dr. Kramer-Berlin, und Geh. Medi¬ 
zinalrat, Professor Dr. Anton-Halle a. Saale. 

Straffällige Jugend und Jugendpflege: Pfarrer Dehn-Berlin, und 
Dr. Bloch-Charlottenburg. 

Arbeitsbeschaffung für straffällige Jugendliche: Edith Klausner-Berlin, 
Magistratsassessor Gan ß-Frankfurt a. M., und 
Direktor Stolzenberg-Berlin. 

Wirkung des Kriegsnotrechts und seine Überführung in die Friedenszeit: 

Landesrat Schellmann-Cassel, und Hans Birzer-Nürnberg. 

Der Sparzwang für Jugendliche: Magistratsrat Schoenberner-Berlin. 

Alle diese Vorträge und die daran angeschlossene ergiebige Aus¬ 
sprache sind in einen Band zusammengefaßt, der im Verlag von Fr. 
Zillessen-Berlin C 19 erschienen ist und 3 M. 20 Pfg. kostet; er kann 
zur Anschaffung für unsere Anstaltsbüchereien warm empfohlen werden. 

Ludwigsburg. Schwandner. 


Blätter für Orfänsiiiskmide, Bd LII 


10 


Literatur, 


Welche alkoholgegnerischen Gesetzgebungs- und Verwaltunga- 
maBnahmen sind für die Zukunft erforderlich? (Unter Berücksichtigung 
der Kriegserfahrungen.) 

Unter diesem Titel hat der Deutsche Verein gegen den Mi6- 
brauch geistiger Getränke eine von einer besonderen aus Ver¬ 
tretern der Staats- und Gemeindebehörden, der Kirche und Schule, 
der Parlamente, der Wohlfahrtspflege u. a. bestehenden Kommission 
bearbeitete Denkschrift herausgegeben, welche im Mäßigkeitsverlag 
(Berlin W. 15) erschienen ist (110 S.; Preis 3,— M., 10 Stück 25,— M.). 

Inhalt der Denkschrift: 

Einleitung von Professor J. Gonser, Berlin. 

1. Konzessions-Reform. 

a) Allgemein (insbesondere Regelung der Bedürfnisfrage). 1. An¬ 
träge; 2. Bericht von Wirkl. Geh. Oberreg.-Rat, Präsident a. D. 
Dr. h. c. von Gescher, M. d. A., Münster i. W. 

b) Entwurf einer Polizeiverordnung betreffend die 
Schankwirtschaften mit weiblicher Bedienung. 1. An¬ 
träge; 2. Berichte von Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. Lin- 
denau, Berlin, und Frau L. Gerken-Leitgebel, Berlin- 
Grunewald. 

11. Polizeistunde. 1. Anträge; 2. Bericht von Geh. Kommerzien¬ 
rat Julius Vorster, M. d. A., Köln. 

III. Einschränkung der Herstellung geistiger Getränke. 

a) Staatliche Regelung der Herstellung, Beschaffung 
und Besteuerung des Branntweins. 1. Anträge; 2. Be¬ 
richt von Geh. Kommerzienrat Dr. Möller, Brackwede i. W. 

b) Einschränkung der Herstellung geistiger Getränke — 
Reichsbranntweinstelle — Branntweinmonopol. 1. An¬ 
träge; 2. Bericht von Professor Dr. Trommershausen, Mar¬ 
burg a. L. 

IV. Steuerreform und geistige Getränke. 1. Anträge; 2. Be¬ 
richt von Assessor Dr. Maier, Frankfurt a. M. 

V. Vorschläge und Anregungen für Heer, Flotte, höhere 
Schulen, Hochschulen. 1. Anträge; 2. Bericht von Oberver¬ 
waltungsgerichtsrat Dr. Weymann, Berlin. 

VI. a) Maßnahmen für jugendschutz. 1. Anträge; Bericht von 
Pastor Pfeiffer, Berlin. 

b) Maßnahmen für Jugendpflege. 1. Anträge; 2. Bericht von 
Fräulein Dr. Siemering, Berlin. 

Die Hinübernahme des Kriegssparzwanges als Spar¬ 
versicherunginden Frieden. Von Magistratsrat Dr. Schön- 
herner, Berlin. 


147 


VII. Maßnahmen für die Umgestaltung des Strafgesetzbuchs. 
1. Anträge; 2. Bericht von Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. Böthke, 
Berlin. 

Vill. Maßnahmen für die Trinkerfürsorge. 1. Anträge; 2. Bericht 
von Landesrat Dr. Schellmann, Düsseldorf, 

IX. Maßnahmen für Verkehrswesen, Gasthausreform, Ge¬ 
meindehäuser, Trinkbrunnen usw. 1. Anträge; 2. Bericht von 
Pastor Dr. Stubbe, Kiel. 

Literatur zu den vorstehenden Anträgen und Berichten. 

Für unseren Leserkreis sind besonders wichtig die Maßnahmen 
für Jugendschutz, Jugendpflege, für Umgestaltung des Strafgesetzbuchs 
und für die Trinkerfürsorge. Die hierauf bezüglichen Anträge seien daher 
hier aufgeführt: 


VI. a) Maßnahmen für Jugendschutz. 

Bei Jugendschutz und Kinderfürsorge handelt es sich um diejenigen 
Kinder und Jugendlichen, bei denen die eigenen Familienverhältnisse 
eine geordnete Pflege, Erziehung und Berufsbildung nicht (oder nicht 
mehr) gewährleisten und daher andere Gewalten eingreifen müssen, 
Armenkinder, Fürsorgezöglinge, Mündel usw. 

Die im Blick auf sie nötigen alkoholgegnerischen Maßnahmen 
haben sich in die in Vorbereitung befindliche Neuordnung der öffent¬ 
lichen Kinder- und Jugendfürsorge (Jugendschutz) einzufügen. Der 
Reichstagsausschuß für Bevölkerungspolitik hat bestimmte Richtlinien 
für letztere aufgestellt. 

Polizeigesetzliche Bestimmungen gegen die Verabreichung geistiger 
Getränke an Jugendliche durch Gastwirte usw. sind zu wünschen. 

Von polizeilichen Maßnahmen gegen die Jugend selbst ist nach 
Möglichkeit abzusehen, da sie als Mittel der Erziehung meist unzu¬ 
reichend sind. Jedenfalls ist in erster Linie derjenige, welcher den Jugend¬ 
lichen zum Genuß des Alkohols verführt oder ihm diesen ausschenkt, 
zu bestrafen. 

Die erwähnte Neuordnung (einheitliche Erziehungsauswahl und 
-Aufsicht, Fürsorge für die unehelichen Kinder, allgemeine Berufsvor¬ 
mundschaft, insbesondere Jugendämter) bietet Veranlassung und Ge¬ 
legenheit, alkoholgegnerische Maßnahmen zu ergreifen: Fürsorge für 
entsprechende Beeinflussung der in der Kinderfürsorge tätigen Persön¬ 
lichkeiten; strenge Dienstanweisungen, die das Verhalten der amt¬ 
lichen und ehrenamtlichen Personen regeln und angeben, wie in ihrem 
Dienst der Alkohol zu bekämpfen ist. Hebammen, Fürsorgerinnen, 
Pflegerinnen von Berufsvormundschaften, Waisenpflegerinnen oder 
Vormünderinnen usw. müssen darüber wachen, daß für alle Kinder, die 
in fremder Pflege sind, die alkoholfreie Jugenderziehung streng durch¬ 
geführt wird. Kinder sind aus jeder Familie zu entfernen, in der dem 
Alkoholmißbrauch gehuldigt wird. 

Ferner ist das Jugendamt zu verpflichten, darüber zu wachen, daß 
in allen Säuglings- und Kinderheimen jeder Art, in Rettungshäusern 
und Erziehungsanstalten der Alkohol völlig gemieden wird. Auch die 
Hauseltern, Erzieher und Gehilfen haben sich möglichst jeden Alkohol¬ 
genusses zu enthalten. 


10* 



148 


VI b) Maßnahmen für Jugendpflege: 

1. Auch für die der Schule entwachsene Jugend ist die Enthalt¬ 
samkeit vom Alkohol für möglichst lange Zeit anzustreben. (Die Grenze 
des „Alkoholschutzalters“ ist an das Ende des 17. Lebensjahres zu 
legen. Sie fällt dann für viele mit dem Abschluß der Lehrzeit zusammen. 
Dieser Lebenseinschnitt kommt den jungen Menschen deutlich zum 
Bewußtsein.) 

2. Als Mittel, das in Satz 1 ausgedrückte Ziel zu erreichen, werden 
die alkoholgegnerischen Maßnahmen der ,,Jugenderlasse“ der Stellv. 
Generalkommandos vielfach unterschiedslos angesehen, und es wird 
die Forderung erhoben, ihren Inhalt in entsprechender Rechtsform in 
die Friedenszeit hinüberzunehmen. Es ist indessen fraglich, ob diese 
Maßnahmen allein und ohne weiteres als ein wirksames Mittel gelten 
können. 

3. Teilweise haben sich die Verordnungen der Erlasse im Kriege 
überhaupt nicht durchführen lassen. Im ganzen reichen die Erfahrun¬ 
gen, die mit ihnen gemacht sind, soweit Berichte darüber vorliegen, 
noch nicht zu, um sich ein klares und sicheres Urteil über die Wirk¬ 
samkeit und Zweckmäßigkeit derselben zu bilden. Der gewissenhafte 
Pädagoge wird deshalb bei der Aufstellung von Friedensforderungen 
vorsichtig sein müssen. 

4. Die bisher vorliegenden Urteile der Sachverständigen unter¬ 
scheiden in der Regel scharf zwischen Schutzmaßnahmen und 
Zwangsmaßnahmen. Die ersten werden gefordert, die zweiten meist 
abgelehnt. Allgemein fordert man, daß es dem Gastwirt unter 
schwerer .Strafe untersagt werden soll, geistige Getränke 
an Jugendliche abzugeben, außer in Begleitung Erwachsener. 
Dagegen werden öffentliche Verbote des Wirtshausbesuches und des 
Alkoholgenusses für Jugendliche für Groß- und Industriestädte vielfach 
abgelehnt. Eine allgemein einigermaßen gerechte Durchführung be¬ 
gegnet in diesen Städten großen Schwierigkeiten, außerdem erscheint 
es bedenklich, die zufällig überführten Missetäter eines verhältnismäßig 
geringfügigen Vergehens wegen vor den Jugendrichter zu bringen und 
sie durch eine Vorstrafe in ihrem Fortkommen zu schädigen. Bei leicht 
übersehbaren ländlichen Verhältnissen, die eine einigermaßen gerechte 
Durchführung gewährleisten, könnten solche Verbote indessen zweck¬ 
mäßig sein. 

5. Die positiven Erziehungsmaßnahmen von Jugendverein 
und Fortbildungsschule; Belehrung über die Schäden des Alkoholmiß- 
brauches, körperliche Übungen u. drgl., Stärkung des Willens und gute 
Sitten in allen Formen der Vereins- und Schulgeselligkeit bieten auch 
für die Bewahrung der Heranwachsenden vor Alkoholmißbrauch weit 
bessere Gewähr als Zwangsmaßregeln. Deshalb sind tatkräftige För¬ 
derung der Jugendbewegung und der Kampf für die pflichtmäßige 
Fortbildungsschule die wirksamsten Zukunftsmaßnahmen. 

6. ln Ergänzung dieser Vorschläge erscheint es dringend geboten, 
daß die Schule (sowohl Volks- und Fortbildungs- wie höhere Schule) 
möglichst nachdrücklich und planmäßig bei der Bekämpfung der Alkohol¬ 
schäden und -gefahren mitwirkt. Es besteht jetzt weitgehende Überein¬ 
stimmung darüber, daß eine eingehende Belehrung über diese — vor 
allem etwa im Rahmen des teils schon bestehenden, teils zu fordernden 
Gesundheitsunterrichts — sehr wünschenswert und zweckmäßig ist. 
Ebenso bezüglich der Notwendigkeit alkoholfreier Gestaltung der Schul¬ 
ausflüge und Schulfeste in allen Schulen. Es darf in dieser Hinsicht 



149 


insbesondere auf die Verhandlungen und Ergebnisse des Ersten Deutschen 
Kongresses für alkoholfreie Jugenderziehung hingewiesen werden, der 
im Jahre 1913 unter dem Ehrenvorsitz des damaligen Reichskanzlers 
unter größter Beteiligung aus allen in Betracht kommenden Kreisen 
Deutschlands im preußischen Abgeordnetenhaus in Berlin stattgefunden 
hat. (Vgl. den Berichtband; Gonser, Alkoholfreie Jugenderziehung.) 

Dringend zu wünschen ist auch, daß, soweit nicht schon geschehen, 
in die Schulordnungen für alle Schulen das Verbot des Wirtshaus- usw.- 
besuches und des Alkohol- und Tabakgenusses in der Öffentlichkeit 
außer etwa in Begleitung verantwortlicher Erwachsener aufgenommen 
wird mit der Maßgabe, daß diese Bestimmungen regelmäßig den Schülern 
bekannt gegeben werden. 

Zum Bericht von Magistratsrat Dr. Schoenberner-Berlin über 
,,Die Hinübernahme des Kriegssparzwanges als Sparversicherung in 
den Frieden glaubte die Kommission von Anträgen Abstand nehmen 
zu können, da diese Frage nur in mittelbarem Zusammenhang mit der 
Qesamtfrage steht. 

Vll. Maßnahmen für die Umgestaltung des Strafgesetzbuchs. 

Der Entwurf zu einem neuen deutschen Strafgesetzbuch ist auf dem 
richtigen Wege. Dieser Weg muß zu Ende gegangen werden. Auf Ein¬ 
zelheiten wird zweckmäßigerweise nicht eingegangen. Die hauptsäch¬ 
lichsten Neuerungen sind: 

I. Bestrafung der Trunksucht selbst in beschränktem Umfange. 

II. Behandlung Trunksüchtiger oder Trunkener nach der Begehung 

von Handlungen, deren Bestrafung Trunksucht oder Trunkenheit 

nicht voraussetzt; 

'1. Einführung des Wirtshausverbotes; 

2. Einführung der Unterbringung in eine Trinkerheilstätte 

a) im Falle der Bestrafung, 

b) im Falle der Freisprechung wegen Unzurechnungsfähigkeit; 

3. Einführung der Unterbringung in eine Heil- und Pflegeanstalt, 
wenn die Bestrafung infolge Unzurechnungsfähigkeit unter¬ 
bleibt. 

Das ,,Pollardsystem“ ist im Entwurf nicht vorgeschlagen, kann aber 
auf dem Verwaltungswege gefördert werden. 

Zu empfehlen ist eine Vorschrift, nach der das öffentliche ärgernis¬ 
erregende Auftreten eines Trunkenen bestraft wird. 

Vlll. Maßnahmen für die Trinkerfürsorge. 

Die Maßnahmen, welche auf Grund der Erfahrungen während des 
Krieges für die Förderung der Trinkerfürsorge in Frage kommen, lassen 
sich nach drei Gesichtspunkten hin ordnen: 1. in allgemeine Maßnahmen, 
2. in Maßnahmen gegenüber dem einzelnen Trunksüchtigen, 3. in Ma߬ 
nahmen zum Schutze der Familienangehörigen der Trunksüchtigen. 

I. Die allgemeinen Maßnahmen im Interesse des Trunk¬ 
süchtigen müssen vor allem darauf hinausgehen, die Gelegenheiten, 
Alkohol zu sich zu nehmen, nach Möglichkeit zu erschweren und zu be¬ 
schränken. Hierzu Beibehaltung und strenge Durchführung der be¬ 
währten allgemeinen frühen Polizeistunde, auch für Vereine und ge¬ 
schlossene Gesellschaften auch in Wirtschaften. — Völliges Schnaps¬ 
verbot für Sonn- und Feiertage samt den ihnen unmittelbar voran¬ 
gehenden und nachfolgenden Tagen, sowie für Lohn-, Markt-, Karne¬ 
vals-, Musterungs- und Kontrollversammlungstage; während dieser 
Verbotszeiten sind Destillationen und solche Wirtschaften, welche haupt¬ 
sächlich hochprozentige alkoholische Getränke verkaufen, gänzlich zu 



150 


schließen. — Untersagung der Lohnzahlung in Gastwirtschaften und der 
Leichentrünke — und -schmäuse. — Da allgemeines Schnapsverbot 
wohl in absehbarer Zeit nicht möglich, Einschränkung des Branntwein- 
usw. Verkaufs auf bestimmte Stunden (Verbot in den Abend- und Nacht-, 
sowie in den frühen Morgenstunden) und gänzliches Alkoholverbot auf 
den Arbeitsstätten während der Arbeitszeit. — Abgabe von Brannt¬ 
wein u. drgl. nur zum sofortigen Genuß in kleinen Gläsern zu einem 
Mindestpreise bei Verbot des Kleinhandels mit Spirituosen. — Wün¬ 
schenswert auch Untersagung des Branntweinverkaufs über die Straße. 

Verbot der Abgabe geistiger Getränke an Jugendliche unter 17 
Jahren, außer in Begleitung Erwachsener, desgleichen des Automaten¬ 
ausschanks und der Likörbonbons, zum mindesten Kenntlichmachung 
der letzteren als alkoholhaltig und Verbot ihrer Abgabe an Jugendliche. 

— Fürsorge für alkoholfreie Ersatzgetränke zu mäßigen Preisen. — 
Möglichste Einschränkung des Alkoholausschanks auf den Bahnhöfen 
und in Bahnhofwirtschaften bei Bereitstellung alkoholfreier Erfrischungs¬ 
möglichkeiten. — Vorherige öffentliche Bekanntmachung der neuen 
Schankerlaubnisgesuche mit Einspruchsrecht der Bevölkerung (vgl. 
I a, Konzessionsreform, Ziff. 3). 

II. Die Maßnahmen, welche sich gegenüber dem einzelnen Trinker 
in der Trinkerfürsorge als zweckmäßig auch für die Friedenszeit erwiesen 
haben, bestehen zunächst in einer weiteren Durchführung der polizei¬ 
lichen Trinkerliste. Sodann: Verbot der Verabfolgung geistiger Getränke 
an Angetrunkene, Betrunkene und Trunkenbolde durch Polizeigesetz. 

— Sachleistungen an Trinker anstatt Geldleistungen bei den versicherungs¬ 
gesetzlichen Auszahlungen, ebenso bei Pensionen, Wartegeldern usf. 
aus öffentlichen Mitteln; Ausdehnung auch auf Militärrenten. — Zwangs¬ 
weise Arbeitsversorgung für arbeitsscheue Trunksüchtige, ebenso Mög¬ 
lichkeit zwangsweiser Vorführung von Trinkern an die Trinkerfürsorge¬ 
stellen. Besonders ist aber auch möglichste Förderung und Anwendung 
des ,,Pollardsystems“ zu wünschen, wobei Trinkerfürsorgestellen und 
Antialkoholvereine zur Aufsicht über die Trinker und zur Begutachtung 
ihrer Bewährung heranzuziehen sind. 

III. Die für die Familienmitglieder des Trinkers erforderlichen 
Maßnahmen sind zunächst ein weitgehender Schutz der wehrlosen An¬ 
gehörigen gegen die Ausschreitungen, Mißhandlungen und Drohungen 
der Trunksüchtigen. Gesetzliche Möglichkeit schneller und dauernder 
Entfernung des gewalttätigen Trunksüchtigen aus der Familie. — Für 
die in Betracht kommenden Fälle einfacheres Verfahren der Pfändung 
des Arbeitslohnes des Trinkers für den Unterhalt seiner Familie und 
Strafandrohung gegenüber dem Trinker, falls er aus Anlaß dieser Pfän¬ 
dung grundlos seine Arbeit aufgibt. — Änderung des Mißstandes, daß 
die Entmündigung von Trinkern fast ausschließlich vom Antrag der 
Familienangehörigen abhängig ist (die zur Antragstellung weiter be¬ 
rufene Gemeindeverwaltung glaubt erfahrungsgemäß meist kein Interesse 
an der Entmündigung zu haben), Ermächtigung weiterer Stellen dazu, 
namentlich der Staatsanwaltschaft. — 

Die diesen Anträgen beigegebenen Berichte enthalten auf dem 
Gebiet der Verbrechensverhütung und -Bekämpfung eine Fülle an¬ 
regenden Stoffes. 

Die Denkschrift sei zur Anschaffung in die Büchereien der Straf¬ 
anstalten, und für alle Kreise, denen die Alkoholfrage am Herzen liegt, 
warm empfohlen. 

Ludwigsburg. 


Schwandner. 



151 


Neuordnung der Menschenliebe. Unter dieser Überschrift .hat der 
Wirkl. Geh. Admiralitätsrat Dr. Felisch, Abteilungschef im Reichs¬ 
marineamt, bei Ernst Siegfried Mittler <& Sohn, Berlin 1918, ein Büch¬ 
lein von 165 Seiten erscheinen lassen, das bereits in 2. Auflage vorliegt. 
Während die in diesem Titel enthaltene Verdeutschung von Neuorien¬ 
tierung zu begrüßen ist, ist die Wahl des Ausdrucks Menschenliebe nicht 
glücklich und erweckt falsche Vorstellungen. In der Einleitung schränkt 
der Verfasser selbst auf Grund der bitteren Kriegserfahrungen und an¬ 
gesichts der schweren nationalen Aufgaben nach dem Kriege die Auf¬ 
gabe der universal lautenden Menschenliebe ein zur Forderung einer 
,,enger beschränkten, aber desto wirksameren Nächstenliebe des Deut¬ 
schen“ unter Einschluß derer allerdings, die in dem furchtbaren Völker¬ 
ringen unsere bewährten Kampfesgenossen gewesen sind. Dem ist 
praktisch durchaus zuzustimmen, ohne daß man sich deswegen grund¬ 
sätzlich von der Hoffnung lossagen müßte, daß auch einmal wieder eine 
Zeit kommen werde, in der für eine allgemeine Menschenliebe nach 
Christi Sinn die Bahn wieder frei wird. Vorerst ,,haben wir in der Hei¬ 
mat reichlich und überreichlich Gelegenheit zur Betätigung unserer 
Menschenliebe und starkes Bedürfnis nach ihr.“ Bei dieser Beschrän¬ 
kung wären aber etwa der Ausdruck: Neuordnung der Wohlfahrtspflege 
richtiger und deutlicher für das, was das Büchlein bringt. Dr. Felisch 
nimmt dann für diese national sich betätigende Nächstenliebe die Be¬ 
griffsbestimmung auf: ,,Wohlfahrtspflege ist die freie Tätigkeit zur 
sozialen Besserung, die durch besondere Rechtseinwirkungen zurzeit 
nicht erreicht werden kann!“ Sie umfaßt also alle Bestrebungen, die 
dem Wohl des ganzen Volkes und dem Wohl des einzelnen als eines 
Gliedes der Gesamtheit dienen, soweit dieses Wohl durch Rechtsein¬ 
wirkungen nicht schon gewährleistet ist oder zum mindesten doch an¬ 
gestrebt wird. Für seine Ausführungen kommt dabei nur die freie, 
nicht die erzwungene Liebestätigkeit der bürgerlichen Gesellschaft in 
Betracht. 

Diese freie Liebestätigkeit war schon vor dem Kriege eine mannig¬ 
fache und vielgestaltige. Während des Krieges hat sie sich in einer 
Weise gesteigert, die der Opferwilligkeit des deutschen Volkes das beste 
Zeugnis ausstellt, aber auch zu Erscheinungen geführt hat, die deut¬ 
lich den Charakter des Improvisierten an sich trägt und die verwirrende 
Fülle der Wohlfahrtspflege noch gesteigert hat. Von dem im Krieg 
Entstandenen ist einiges geradezu verwerflich, anderes für den Frie¬ 
denszustand mindestens so, wie es ist, ungeeignet. Bei der Neuord¬ 
nung der Dinge handelt es sich deshalb um zweierlei, eijimal das Brauch¬ 
bare aus der Kriegszeit zu erhalten und in die rechte Dauerform zu brin¬ 
gen, und sodann, das ganze große Gebiet der Kriegs- und Friedens¬ 
fürsorge zu verschmelzen zur Organisation einer ,,neuen deutschen 
Bruderliebe“. 

Ob das deutsche Volk nach dem Kriege zu einem solchen Aufschwung 
nach innen und nach der Seite der Organisation die Kraft haben wird?, 
ob der Krieg fördernd oder hemmend wirkt, ob aus dem gemeinsamen 
Erleben und Leiden ein wahrhaft deutsches Nationalgefühl erstehen 
wird, durch das Stammesbewußtsein nicht geschwächt, sondern berei¬ 
chert? Manche leugnen es, und es ist nicht zu verkennen, daß aus einem 
immer vorhandenen und im Kriege noch genährten Egoismus persön¬ 
licher und stammlicher Art mephitische Dünste aufsteigen. Der Ver¬ 
fasser hat ein wohltuendes, allem Verzagen wehrendes Zutrauen zu dem 
guten Kern unseres Volkes. Er glaubt, daß der ,,Schützengrabengeist“ 



152 


nicht mehr verloren gehen kann und daß dem schmerzvoll aufgelockerten 
Volksboden ein verheißungsvoller Erdgeruch entströmt. Die Gefahren 
der Stammesentfremdung und der international angekränkelten Spal¬ 
tung der Volksschichten und Erwerbsgenossen werde dem gemeinsamen 
Erleben und den großen gemeinsamen Zukunftsaufgaben weichen. 
Die Güter der verschiedenartigen Interessen werden in weiser Erkennt¬ 
nis sich selbst in den Dienst der Allgemeinheit und der Ideale stellen 
und die Herrschaftsbestrebungen einzelner Gruppen dem Wohl der 
Allgemeinheit zum Opfer bringen. Dazu gehören in erster Linie eine 
Hebung der unteren Stände durch freiheitliche Heranbildung zu selbst¬ 
verantwortlichen Persönlichkeiten. ,,Wer den deutschen Menschen will, 
kann nicht den proletarisch gebundenen Deutschen wollen.“ An die¬ 
ser Aufgabe haben sich alle Kräfte und Organisationen des Volkes zu 
beteiligen um so mehr, als die kommende allgemeine Verarmung den 
seelischen Halt ebenso schwierig wie unentbehrlich erscheinen läßt. 
Dazu ruft Dr. Feilsch die Frauenwelt auf, fordert ein weitherziges Zu¬ 
sammenarbeiten der verschiedenen Kirchen auf charitativem Gebiet 
und erwartet einen verständigen und friedlichen Ausgleich zwischen 
den Gebieten kirchlicher und bürgerlicher Tätigkeit. Man kann nur 
wünschen, daß er sich als ein richtiger Prophet erweist. Im übrigen 
wird man auch unverkennbaren Schwierigkeiten gegenüber daran fest- 
halten, daß einem starken Glauben hochgesinnter Menschen auch die 
Kraft innewohnt, auch Schwierigkeiten gegenüber das zu schaffen, 
was man glaubt. 

Nach diesen allgemeinen Ausführungen wendet sich der Verfasser 
den Einzelheiten des inneren und äußeren Aufbaues zu. Bei dem inneren 
Aufbau unterscheidet er zwischen der vorwiegend wirtschaftlichen und 
der vorwiegend pflegerischen Seite. Zur wirtschaftlichen Hilfeleistung 
gehört hauptsächlich die Geldhingabe und die Geldbeschaffung. Bei 
der Gabe von Person zu Person sollte das ,,Almosen“ mehr und mehr 
der ,,Zweckspende“ weichen, die auf Grund persönlicher Teilnahme 
und Erkundigung einem bestimmten Bedürfnis hinreichend abhelfen 
soll. Die meiste Geldhingabe geschieht aber durch Vermittlung von 
Anstalten und Vereinen. Gerade auf diesem Gebiet sind aber, vollends 
im Kriege, Zustände eingetreten, die dringend nach Abhilfe und Rege¬ 
lung verlangen. Was Dr. Feilsch über Geldbeschaffung und Geldver¬ 
wendung auf diesem Gebiet vor und während des Krieges berichtet, 
ist erstaunlich, mannigfaltig und listenreich, manches einwandfrei, 
manches zweifelhaft, vieles empörend. Es war deshalb durchaus an¬ 
gebracht, daß eine ganz erhebliche Ausdehnung der Staatsaufsicht ein¬ 
getreten ist, die bis zur Versagung von Sammlungen und Aufstellung 
eines staatlichen Verwalters gehen kann (Bundesratsverordnung vom 
15. Februar 1917). Da die Not auch nach dem Kriege fortdauern wird 
und berechtigtes und unberechtigtes Klagen die Geneigtheit zum Geben 
wach zu erhalten suchen werden, so ist es als berechtigt anzuerkennen, 
wenn aus der Bundesratsverordnung manches in den Friedenszustand 
herübergenommen werden wird, um weiterem Unfug zu steuern. Doch 
muß erwartet werden, daß dabei nicht über das notwendige Maß hinaus¬ 
gegangen wird. Es könnten sonst der freien Liebestätigkeit auch uner¬ 
trägliche Fesseln angelegt und eine unmittelbare Pioniertätigkeit der 
Liebe unterbunden werden, der die Gesellschaft zu allen Zeiten so vieles 
verdankt hat. Hierüber liegen ja auch bereits wertvolle Besprechungen 
von einer Tagung des deutschen Vereins für Armenwesen und Wohl¬ 
tätigkeit vor. 



153 


Ebenso wichtig, fast noch wichtiger als die wirtschaftliche Hilfe¬ 
leistung ist die pflegerische. Sie soll nicht bloß eine äußerliche Über¬ 
mittlung der Hilfe, sondern darauf ausgehen, ein persönliches Verhält¬ 
nis herzustellen, Seele und Gemüt in das Helfen hineinzulegen und da¬ 
durch das Helfen zugleich zu einer innerlich stärkenden erziehenden 
Tätigkeit zu machen. Dem Verfasser ist darin durchaus recht zu geben, 
daß diese Erziehung bei der fürsorgenden Person selbst anfangen muß. 
Eltern, Vormünder und Berufserzieher, Beamte, Offiziere und Ärzte, 
freiwillige Helfer und Helferinnen von Fürsorgevereinen, besonders 
auch die, welche sich die Ausübung der Nächstenliebe zum Lebensberuf 
gemacht haben, sollten sich ihrer verantwortungsvollen Aufgabe be¬ 
wußt sein und sich zum Volkserzieher erziehen. Da fehlt es oft gewaltig. 
Es würde zu weit führen, auf alle die wertvollen Gedanken und An¬ 
regungen einzugehen. Es mögen nur einzelne der persönlichen Erforder¬ 
nisse aufgezählt werden: Selbstlosigkeit, daß man nach Bedürfnis und 
nicht um Dank arbeitet; Versenkung in die materielle und seelische 
Lage dessen, dem man helfen will; Glaube an die Erziehungsmöglichkeit, 
an die guten Kräfte im Menschen, ernste Einschätzung der wertvollsten 
Erziehungsfaktoren Familie, Schule, alkoholfreie Jugenderziehung, 
Wohnungsfrage, persönliche Beziehungen, die den anderen, auch den 
Jugendlichen, ernst nehmen; Humor; die Fähigkeit seelische Antriebe 
zu vermitteln, zu begeistern. Damit geht der Verfasser über zu den 
Aufgaben, welche führende Männer und Frauen denen gegenüber haben, 
die zwar schon irgendwie zu den Erzogenen zu rechnen sind, in denen 
aber durch Lehre, Vorbild und vermittelte Erkenntnis ein besserer 
Allgemeingeist heranzubilden wäre. Er redet dabei zuerst von der Er¬ 
ziehung zum harmlosen Frohsinn. Die gesteigerte und leidenschafts¬ 
beschwerte Lustigkeit, die luxuriöse Geselligkeit kennen wir aus den 
letzten Jahrzehnten zur Genüge in allen ihren unguten Folgen. Es gilt, 
Freude am Natürlichen, Harmlosen, Kleinen zu wecken, echte Kunst 
zu pflegen, Naturliebe zu pflanzen. Dies sei um so nötiger, als der Krieg 
mit seinem furchtbaren Erleben viel Traurigkeit gebracht und viele 
Jungen um ihre frohesten Jugendjahre gebracht hat. Die Freude an 
Arbeitsamkeit und Sparsamkeit wäre zu wecken, das nationale Bewußt¬ 
sein zu stärken, das religiöse Leben zu vertiefen und eine Mannheit zu 
fördern, die unbeirrt durch anderer Urteil ihren Weg geht. Haupt¬ 
sächlich wäre ein Schaden mit allem Ernst zu beseitigen: die Not des 
Krieges und eine unter den außerordentlichen Verhältnissen der Zeit 
großgewordene Gewissenlosigkeit hat die Achtung vor Recht und Ge¬ 
setz erschüttert. ,,Unsere Volksmoral ist angefressen. Es wird des 
Ernstes aller Ernsthaften bedürfen, das Gleichgewicht wieder herzu¬ 
stellen. Abgesehen von diesen allgemeinen sittlichen Aufgaben muß aber 
der gehobenere Teil der Bevölkerung auch für die besonderen Aufgaben 
der Schutz- und Pflegetätigkeit erzogen werden. Wenn die umfang¬ 
reichen Aufgaben der Wohlfahrtspflege, die unser warten, nicht durch 
die Mittlertätigkeit oberflächlicher und mangelhaft vorbereiteter Helfer 
und Helferinnen empfindlichen Schaden leiden sollen, so bedarf es einer 
sorgfältigen Auslese und einer guten Vorbereitung. Wie das zu erreichen 
ist und wie ein gutes Helfersystem arbeitet, erläutert der Verfasser an 
dem Beispiel des Freiwilligen Erziehungsbeirats für schulentlassene 
Waisen zu Berlin. 

Den Schluß dieser Reihe von Ausführungen macht der Verfasser 
damit, daß er von der Erziehung der Unerzogenen redet. Sie finden 
sich in allen Gesellschaftsschichten, in größerem Umfang aber doch 



154 


eben da, wo die Ungunst wirtschaftlicher Zustände einer tieferen Aus¬ 
bildung Hemmnisse bereitet. Wenn damit schon die Wurzeln der Un- 
erzogenheit aufgedeckt §.i,nd, so ergibt sich auch als erste Aufgabe, be¬ 
klagten Erscheinungen dadurch entgegen zu treten, daß man die be¬ 
kannten Quellen sozialer Mißstände zu verstopfen sucht. Zur Hebung 
gehört auch die Bewegung, die mit dem Kanzlerwort einsetzt: ,,Bahn 
frei dem Tüchtigen.“ Wenn diese Bewegung aber nicht zu einer Ver¬ 
armung der einfachen Berufe von allen Tüchtigen und zu einem un¬ 
gesunden Andrang zu den höheren Berufen führen soll, so wird eine 
Beschränkung auf zweierlei zu befolgen sein. Einmal sollen nur ein¬ 
zelne wirklich hervorragend begabte Jugendliche künstlich ihrer Sphäre 
entnommen werden; sodann müßte die Möglichkeit geschaffen werden, 
daß einfachen Menschen, die sich im späteren Leben praktisch und 
organisatorisch besonders tüchtig erwiesen haben, nachträglich die 
Möglichkeit gegeben würde, ihre Befähigung zu leitenden Stellungen 
unter Entbindung von den Bedingungen, die übliche Ausbildung nach¬ 
zuweisen. Im übrigen ist der Grundsatz der Volkshochschulbewegung 
hochzuhalten, daß man die Tüchtigen innerhalb ihrer eigenen Sphären 
hochzubringen sucht und sie zu Führern in ihren Berufskreisen macht. 
Berufsbildung und Berufsfreudigkeit zu vermitteln, ist das hervor¬ 
ragendste Mittel der Hebung der einfachen Kreise. Daneben ist der 
Sinn für weise Lebensökonomie zu fördern, für die Freuden und Auf¬ 
gaben des Familienlebens und der Kindererziehung, bei den Frauen 
der Sinn für Hausfrauentugenden, die Möglichkeit hauswirtschaftlicher 
Ausbildung. Die Neigung, Almosen und Wohltaten anzunehmen, wo 
man sich selbst das tägliche Brot verdienen könnte, ist zu verpönen; 
die Willensschwäche, im Kampf mit dem Leben nicht zuerst auf die 
eigene Kraft zurückzugreifen, die als Kehrseite unserer trefflichen 
sozialen Gesetzgebung sich nicht selten bei weichlichen Naturen ein¬ 
stellt, ist zu bekämpfen. Für Arbeitsscheue und Zuhälter ist in der 
harten Zukunft kein Raum mehr. Vonnöten ist auch eine Stärkung 
des Staatsgedankens. In den jahrzehntelangen wirtschaftlichen Kämpfen 
ist er schwer gefährdet worden. Der Krieg hat uns zwar seine Bedeutung, 
manchen vielleicht zum erstenmal, recht deutlich vor Augen geführt. 
Aber die Nachwehen der früheren Zeit und die Unzufriedenheit, die im 
Gefolge so mancher unvermeidbarer oder vermeidbarer Unzuträglich¬ 
keiten der Kriegswirtschaft einhergeht, hält dem Fortschritt die Wage, 
so daß die Zukunft in dieser Hinsicht mit schweren Aufgaben belastet 
ist. Felisch verhehlt sich das nicht, meint aber, daß eben jeder Ein¬ 
sichtige hier die Aufgabe hat, langsam in seiner Umgebung mit bester 
Menschenliebe einen Umschwung vorzubereiten und herbeizuführen. 

Der Jugenderziehung ist die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden. 
So warm Felisch im ganzen Büchlein dafür eintritt, daß die Liebe früh 
das Menschenleben erhalten soll und daß sie von allen wirklichen Schä¬ 
digungen bewahrt werden muß, die aus ungünstigen Verhältnissen ihr 
erwachsen, so ist er doch gar kein Freund einer weichlichen Jugend¬ 
erziehung. Er denkt dabei nicht bloß an die Kinderstube, sondern auch 
an die Zeit nach der Schulentlassung. Es ist bekannt, daß gerade für 
diese Periode durch Schlagwörter, die zum Teil einer sentimentalen 
Humanität, zum Teil einer ganz unpädagogischen politischen Agitation 
entwachsen sind, schwerer Schaden entstanden ist. Die Selbstüber¬ 
hebung, der Mangel an Autoritätsgefühl, die Unlust irgend etwas zu 
tun, was nicht entlohnt wird, die Vergnügungssucht, die man mit steigen¬ 
der Sorge beobachtet hat, sieht sich wie Kraft an, bedeutet aber tat- 



155 


sächlich eine Schwächung gesunder Jugendentwicklung, denn sie ist 
Mangel an Zucht. Wer die Jugend selbstlos liebt, muß dagegen wirken. 
Und Feilsch ruft zu dieser Arbeit ausdrücklich auch die Arbeiterschaft 
auf, die an einer zuchtvollen Jugenderziehung dasselbe Interesse haben 
muß, wie alle anderen Schichten des Volkes. Er fordert deshalb eine 
ernste zielbewußte Jugendpolitik mit dem Zweck das Beste zu schaffen, 
mit dem der Staat für die Jugend eingerichtet werden soll. Auf Ein¬ 
zelheiten geht er hier nicht ein, er streift nur den Gedanken einer Reichs¬ 
jugendwehr, für die er nicht den Offizier, sondern den Pädagogen for¬ 
dert und als deren Ziel er nicht Unterordnung, sondern die Ordnung 
bezeichnet. Dem Erlaß des preußischen Kultusministers vom 18. Januar 
1911 zollt er alle Anerkennung. Es sollen neue Erziehungswege er¬ 
schlossen'" werden und alle Kräfte des Volkslebens sollen miteinander 
dahin wetteifern, eine körperlich und geistig gesunde Jugend heranzu¬ 
bilden. Wenn Feilsch diese Erwägungen mit dem Satze schließt: ,,Eine 
Jugendpolitik mit solchem Ziel kann aber ihren besten Ausdruck in 
nichts anderem als in einem umfassenden Jugendgesetz finden. Dieses 
ist berufen, die Sonne des menschlichen Daseins, das Kind, uns schlacken¬ 
rein und fleckenlos zu erhalten und zu gestalten,“ so kann ich dabei 
allerlei Bedenken nicht verschweigen. Einmal sehe ich bei der Massen- 
haftigkeit des Stoffes, der hierfür in Betracht käme, und bei der Viel¬ 
gestaltigkeit der Verhältnisse in Deutschland fast unüberwindbare 
Schwierigkeiten für ein Werk von dem Umfang und dem Inhalt, wie es 
der Verfasser wünscht. Sodann bin ich überzeugt, daß ein großer Teil 
dessen, was in einer umfassenden Jugendpolitik, als der Kunst Richt¬ 
linien und Grundlagen für eine Jugendführung nach allen Seiten auf¬ 
zufinden, ganz vortrefflich zusammengeht, für ein Jugendgesetz sich 
nicht eignet. Vieles vom Feinsten und Innerlichsten und Folgereichsten 
widerstrebt gesetzlicher Festlegung und wird immer eine Sache der 
frei waltenden, erfinderischen, aus dem Liebesgesetz Gottes geborene 
Tätigkeit bleiben. 

Der letzte Teil des Büchleins wendet sich der ,,äußeren Neuord¬ 
nung der Menschenliebe“ zu. Es handelt sich um die Frage: sollte 
es nicht wünschenswert und möglich sein, die Fülle der Wohlfahrts¬ 
bestrebungen im Deutschen Reich zur Einheitlichkeit einer Organi¬ 
sation zusammenzuschließen? Die Hauptaufgabe wäre dabei, die staat¬ 
lichen und gemeindlichen Einrichtungen einerseits und die Liebestätig¬ 
keit der bürgerlichen Gesellschaft anderseits zusammenzuschließen. 
Beide Gebiete haben ihr besonderes Daseinsrecht, aber auch ihre be¬ 
sonderen Einseitigkeiten, die gegenseitige Ergänzung verlangen- Der 
Versuch des Zusammenschlusses ist aber fast noch immer großen Schwie¬ 
rigkeiten begegnet. Ganz abgesehen von persönlicher Eifersüchtelei 
und Eigenbrötelei befürchtet die freie Liebestätigkeit nicht ohne Grund 
von einem Zusammenschluß mit den behördlichen Organisationen eine 
Bürokratisierung ihrer Tätigkeit, die ihr innerstes Wesen gefährden 
müßte. Auf der anderen Seite bedeutet die zurzeit noch fehlende Ver¬ 
bindung der freien, kommunalen oder privaten, der Wohlfahrtspflege 
gewidmeten Organisationen mit den behördlichen Einrichtungen ein 
Manko und eine Vergeudung von Kraft und Zeit, die von vielen Einsich¬ 
tigen schon schwer empfunden wird. Die Sachlage ist durch das Auf¬ 
kommen der ausgedehnten Kriegswohlfahrtspflege noch vermehrt wor¬ 
den. Sie wird später ganz wesentlich in die Friedenswohlfahrtspflcge 
hineinspielen und die Verwirrung noch vermehren. Die Not wird des¬ 
halb schon zu Vereinigungsversuchen drängen. Immerhin liegen Ver- 



156 


suche von Arbeitsgemeinschaft für einzelne größere Komplexe schon 
vor. Was Felisch über den Zusammenschluß der Reichsmarinestiftung 
berichtet, über die Organisation und die gemeinsam aufgestellten Grund¬ 
sätze, gehört zum Interessantesten und Belehrendsten des Büchleins. 
In diesem Zusammenhang erwähnt er auch den württembergischen 
Zusammenschluß der Wohlfahrtspflege bei der Zentralleitung für Wohl¬ 
tätigkeit, der noch älter ist als die Reichsmarinestiftung, im übrigen 
neuerdings in Gefahr geraten ist, auch nicht mehr alle Gebiete der Wohl¬ 
fahrtspflege zu umspannen. 

Für einen Zusammenschluß werden vier Möglichkeiten gezeichnet: 

1. eine freiwillige Vereinigung aller Einrichtungen der bürger¬ 
lichen Gesellschaft, die sich eine gemeinsame Spitze schafft und mit 
den beteiligten Behörden nach Bedürfnis eine Arbeitsgemeinschaft 
herbeiführt; 

2. eine Zusammenfassung unter Anlehnung an die Gemeinden; 

3. eine Zusammenfassung unter Anlehnung an die Einzelstaaten; 

4. eine Zusammenfassung unter Anlehnung an das Reich. 

Von diesen 4 Möglichkeiten wäre die erste ein Aufbauen von unten 
auf der breiten Grundlage der Erfahrung, die zweite eine Art gemischten 
Systems, die dritte und vierte eine Konstruktion von oben herunter 
mit einem mehr oder weniger gesetzlichen Zwang. Felisch würde es sehr 
erfreulich finden, wenn die bürgerliche Gesellschaft aus sich heraus 
zu einem einheitlichen Zusammenschluß gelangen könnte. Das Lebens¬ 
bedürfnis der freien Organisationen nach ungehemmter Bewegungs¬ 
freiheit würde dabei am meisten gewahrt und ihr Zusammenschluß mit 
den Behörden wäre dann deutlich nicht eine Unterordnung unter sie, 
sondern ein freiwilliges Zusammenarbeiten mit ihnen. Aber er denkt 
darüber sehr pessimistisch. Ich vermute, daß ihm dabei die Erfahrung 
mit den großen unübersichtlichen Verhältnissen der Reichshauptstadt 
und Preußens die Zuversicht trübte^ In den übersichtlicheren Verhält¬ 
nissen kleinerer Städte und Bundesstaaten scheint mir dieser natür¬ 
liche Weg durchaus nicht so aussichtslos. Eine Besprechung, die in 
letzter Zeit in Württemberg zwischen Vertretern von Städten und 
freien Organisationen stattgefunden hat, hat gerade diesen Weg als 
den wünschenswertesten und aussichtsreichsten für Württemberg be¬ 
zeichnet. Mehr vertraut der Verfasser der zweiten Möglichkeit, die im 
übrigen nicht so sehr von der ersten abliegen muß, nur daß für die An¬ 
regung zum Zusammenschluß vielleicht mit einer mehr oder weniger 
gelinden Nötigung von der Gemeinde ausgeht. Hier liegen ja auch be¬ 
reits Vorgänge vor in den Städten, die Jugendämter eingeführt haben. 
Ob diese vereinzelten Vorgänge durch landesgesetzliche Regelung oder 
gar durch Reichsgesetz zu einer allgemein deutschen Organisation ge¬ 
macht werden sollen? Die bisherigen Versuche des Reichs mit einem 
allgemein deutschen Wohlfahrtsamt nach dem Anträge des Grafen 
Douglas haben nicht das ergeben, was Felisch wünscht, und der preußi¬ 
sche Staat ist inzwischen zu dem Entwurf einer landesgesetzlichen 
Regelung übergegangen. Das bedeutet zunächst einen Verzicht auf 
reichsgesetzliche Regelung. Sein Erfolg oder Nichterfolg wird jeden¬ 
falls von weitreichendem Einfluß auf andere Bundesstaaten sein. 

Felisch schließt seine Erörterungen über die äußere Neuordnung 
der Menschenliebe mit einem Fragezeichen, man merkt es ihm an, mit 
einem gewissen Schmerz. Er gibt aber die Hoffnung nicht auf, daß aus 
dem Bemühen aller redlichen Menschenfreunde doch noch rechtzeitig 
Pflanze und Frucht sich entwickeln werde. Wir teilen diese Hoffnung. 

Stadtpfarrer Wüterich, Stuttgart. 



157 


Das Gefängniswesen, von Dr. Ervin Hacker, Senatsnotär an der 
kgl. Tafel in Pozsony (Ungarn). In ungarischer Sprache erschienen 
im Verlage der Dunäntu! (Wessely <& Horväth) Aktiengesellschaft, 
Fünfkirchen, 1918. 1 —XVlll und 1—257 Seiten. .Preis 12 Kronen. 

Inhalt: I. Kapitel: § 1. Der Begriff, die Aufgabe und das Wesen 
der Gefängniskunde. §2. Grundlegende Fragen des Strafrechts: Kri¬ 
minologie, der Zweck der Strafe, das Problem der Willensfreiheit. 

11. Kapitel: Die G;;schichte des Gefängniswesens. §3. Die Geschichte 
des Gefängniswesens bis zum XVII. Jahrhundert. §4. Das Zeitalter 
der Gefängnisreformen. § 5. Die Geschichte des Gefängniswesens in den 
neuesten Zeiten. — 111. Kapitel: §6. Das Gefängniswesen der Gegen¬ 
wart (Bibliographie der auf die Gegenwart des Gefängniswesens bezug¬ 
habenden Quellen als auch die der wichtigsten Literatur und der Zeit¬ 
schriften der Gefängniskunde). — IV. Kapitel: Die Kritik der Frei¬ 
heitsstrafen. § 7. Die Einwendungen gegen die Gefängnisstrafen. § 8. 
Die Kritik der Deportationsstrafe. — V. Kapitel: Die Bedingungen des 
Strafvollzuges. § 9. Die Unterscheidung und Differenzierung der Frei¬ 
heitsstrafen. § 10. Die Feststellung der Dauer der Freiheitsstrafen, die 
bedingungsweise Entlassung. §11. Die juridischen Bedingungen des 
Strafvollzuges (Rechtskraft des Urteils, die Anordnung des Strafvoll¬ 
zuges usw.). — VI. Kapitel: Die Gefängnissysteme, § 12. Das System 
der gemeinsamen Haft und der Einzelhaft. § 13. Das Schweige- oder 
Auburnsystem, das Klassen- oder Genfer System und das Münchener 
oder Obermayersche System; § 14. Das Progressivsystem und das 
Markensystem. § 15. Das Reformatory-System. — VII. Kapitel: Die 
Organisation des Gefängniswesens. § 16. Die Grenzen zwischen der 
gefängnisrechtlichen Gesetzgebung und der Verwaltung. § 17. Die 
Organisation des Gefängniswesens und der zentralen Gefängnisbehörden. 
§ 18. Die Organisation einzelner Strafanstalten und deren Beamten¬ 
körper. § 19. Die Ausbildung der Strafanstaltsbeamten und des Auf¬ 
sichtspersonals; deren Dienstverhältnisse. Museum für Oefängniswesen. 
— VI11. Kapitel: Die Hausordnung in den Strafanstalten. §20. Die 
Aufnahme der Verurteilten und deren Verwahrung. §21. Die Tages¬ 
ordnung. § 22. Die Pflichten und die Rechte der Verurteilten. § 23. Der 
Verkehr der Verurteilten mit der Außenwelt: ihr Briefwechsel, Besuche. 
§ 24. Die Entlassung der Verurteilten und deren weitere Unterstützung 
(Patronage). — IX. Kapitel: §25. Das Disziplinarwesen. — X. Kapitel: 
Die Beschäftigung der Sträflinge. § 26. Die Bedeutung der Oefängnis- 
arbeit, die Unterscheidung der Arbeitsarten, die Vorbedingungen der 
Zulässigkeit einer Arbeitsart. § 27. Die Lage der Verurteilten im Arbeits¬ 
betriebe: I. Der Arbeitszwang. §28. 11. Die Arbeitszeit und das Arbeits¬ 
pensum. III. Die Zuweisung der Arbeit. §29. Die Organisation der 
Oefängnisarbeit: Die Arten der Arbeitsbetriebe und die Kritik der¬ 
selben. § 30. Das Verhältnis der Gefängnisarbeit zur freien Produktion. 
§31. Die Arbeitsbelohnung der Gefangenen: 1. Die Existenzberechtigung 
einer Arbeitsbelohnung, die rechtliche Natur der Arbeitsbelohnung. 
§32. 11. Die Arten der B.messung der Arbeitsbelohnung. Das Ver¬ 
fügungsrecht des Verurteilten bezüglich der Arbeitsbelohnung, die Be¬ 
freiung der Arbeitsbelohnung von der Zwangsvollstreckung. — XI. Ka¬ 
pitel: Die geistige Pflege der Verurteilten. §33. Die religiöse Pflege. 
§ 34. Der Unterricht der Gefangenen. § 35. Die Bibliothek der Straf¬ 
anstalten, die Lektüre der Sträflinge. — XII. Kapitel: Besondere Straf¬ 
anstalten. § 36. Überblick über die besonderen Anstalten. § 37. Die 
Anstalten zur Vollstreckung sichernder Maßregeln: I. Das Arbeitshaus. 



1 




- 158 - 

§38. 11. Die Sicherungshaft gemeingefährlicher rückfälliger Verbrecher. 
§39. Die Anstalten zur Vollstreckung der Erziehungsmaßregeln; I. 
Zwangserziehungsanstalten für Jugendliche. §40. 11. Die Anstalten zur 
Vollstreckung der Freiheitsstrafen der Jugendlichen. §41. Die übrigen 
besonderen Anstalten: 1. Die Oerichtsgefängnisse. §42. 11. Die Unter¬ 
suchungsgefängnisse. — XI11. Kapitel: §43. Gefängnispolitik (Klassi¬ 
fizierung der Verurteilten, die Durchführung des Prinzips der Indivi¬ 
dualisierung usw.). — Inhaltsverzeichnis, Sachregister, Verzeichnis der 
Quellen. 

Die Organisation des Gefängniswesens^. Von Dr. Ervin Hacker, 
Senatsnotär an der kgl. Tafel in Pozsony (Ungarn). 

1 . 

1. Bezüglich der Verwaltung des Oefängniswesens verlangt die 
heutige Literatur der Oefängniskunde einstimmig, daß die im Lande 
befindlichen sämtlichen Anstalten einer einheitlichen Leitung, einer 
zentralen Behörde zu unterstellen sind. 

Man führt an, daß es nur so ermöglicht sei, daß in allen Anstalten 
die nämlichen Vorschriften und Gefängnisordnung ins Leben tritt, daß 
es nur auf diesem Wege möglich ist, die einheitliche Vollstreckung der 
Freiheitsstrafen zu sichern und in den Gefängnissen geordnete Verhält¬ 
nisse zu schaffen (Goldschmidt, Kriegsmann, Krohne). 

Sofern die Verwaltung der Gefängnisse zwischen mehreren Ver¬ 
waltungszweigen, zwischen mehreren Ministerien geteilt wird, ist die 
einheitliche Leitung der Gefängnisse in Frage gestellt. 

2. Es ist auch die Frage zu beantworten, welchem Regierungs¬ 
zweig, welchem Ministerium die Leitung des Gefängniswesens unter¬ 
zuordnen sei? 

Bei Lösung dieser Frage folgt man einem verschiedenen Brauche, 
ln England ist das Gefängniswesen dem Ministerium des Innern, in 
Baden, Bayern, Württemberg, Hessen, Belgien, in den Niederlanden, 
in Norwegen, Österreich, Schweden und Ungarn hingegen den Mini¬ 
sterien der Justiz untergeordnet, ln anderen Staaten wieder teilt sich 
die zentrale Leitung der Gefängnisse zwischen mehreren Verwaltungs¬ 
zweigen, so zum Beispiel in Preußen (zwischen den Ministerien des 
Innern und der Justiz)* und in Frankreich (zwischen den Ministerien 
des Innern, der Kolonialangelegenheiten und der Marine). 

Daß das Gefängniswesen dem Ministerium des Innern zu unterstellen 
sei, hierfür führt man an (Jacobs, Kriegsmann, Krohne, Wiehern usw.), 
daß der Vollzug der Freiheitsstrafen keine Sache der Justiz, sondern 
eine Sache der Verwaltung sei. Dann, daß im Ministerium des Innern 
ohnehin schon jene Organe vorhanden sind, die bei einer zentralen 
Behörde für Gefängniswesen unentbehrlich sind, so die bei der Erbauung 
der Gefängnisse notwendigen Architekten als auch die bei der sanitären 
Aufsicht der Gefängnisse unentbehrlichen Organe mit speziellen medi¬ 
zinischen Kenntnissen. Gegenüber jenen Einwendungen, daß sobald 
die Gefängnisse dem Ministerium des Innern untergeordnet werden, 
die während der Strafvollstreckung bezüglich der Berechnung der Straf¬ 
dauer und ähnlicher Sachen entstehenden Fragen, als auch die Erledi- 

1 Der gegenwärtige Aufsatz bildet die §§ 17 — 19 des vom Verfasser 
in ungarischer Sprache erschienenen Werkes: Das Gefängniswesen, 
Fünfkirchen, 1918, I-XVIll u. 1-257 Seiten. 

* Jetzt nicht mehr. 



159 


gung der durch die Verurteilten im Laufe des Strafvollzuges unterbreiteten 
Beschwerden den Justizbehörden entzogen wird, führt man an, dafi 
auch im Falle der Unterordnung der Gefängnisse unter das Ministerium 
des Innern es noch zu ermöglichen sei, die Erledigung der jetzt erwähn¬ 
ten Angelegenheiten den Justizbehörden zu sichern. 

Für die Unterstellung des Oefängniswesens unter das Ministerium 
der Justiz führt man an (Balogh, Oöbel, Jagemann, Klein usw.), daß 
nachdem der Strafvollzug eine mit der Justizpflege im engsten Zu¬ 
sammenhänge stehende Sache ist, sei der Strafvollzug dem Ministerium 
der Justiz zu unterstellen. Dadurch bietet sich auch Gelegenheit, daß 
die Leiter der Staatsanwaltschaften und der kleineren Gerichtsbehörden 
mit der Leitung der kleineren Gefängnisse mit lokaler Bedeutung be¬ 
traut werden; und nachdem die Gebäude dieser kleineren Gefängnisse 
zumeist mit den Gerichtsgebäuden im Zusammenhänge stehen, ist, 
wenn beide demselben Regierungszweige unterstellt sind, ihre Ver¬ 
waltung überaus erleichtert. Man führt auch noch an, daß nachdem 
diese kleineren Gefängnisse zumeist überall dem Ministerium der Justiz 
untergeordnet sind, sofern die größeren Gefängnisse nicht auch dem 
Ministerium der Justiz untergestellt wären (wie dies zum Beispiel in 
Preußen der Fall ist), die Einheitlichkeit beim Strafvollzug gefährdet ist. 
Endlich, daß es nur im Falle der Unterstellung der Gefängnisse unter 
das Ministerium der Justiz genügend ermöglicht sei, die Mitglieder der 
Justizbehörden: der Gerichte und der Staatsanwaltschaften mit Ein¬ 
richtungen der Gefängnisse genügend bekannt zu machen. 

Unsere Meinung ist die, daß das Gefängniswesen dem Ministerium 
der Justiz zu unterstellen sei. 

3. Zur zentralen Leitung der Gefängnisse ist im Ministerium der 
Justiz eine Behörde, womöglich eine selbständige Sektion für Gefängnis¬ 
wesen zu organisieren, an deren Spitze ein Landesgefängnisinspektor 
stehen müßte, der teils persönlich, teils durch die ihm unterstellten 
Beamten die Gefängnisse zu beaufsichtigen hat. 

Die im Lande befindlichen Anstalten wären dieser zentralen Ge¬ 
fängnisbehörde zumeist direkt zu unterstellen. Nur sofern die Zahl 
der Gefängnisse und ähnlicher Anstalten eine zu hohe ist, wäre die Er¬ 
richtung mittlerer Behörden notwendig, damit einige Anstalten einer 
solchen Gefängniszwischenbehörde untergeordnet werden könnten, und 
dadurch die Arbeitslast der obersten zentralen Gefängnisbehörde ge¬ 
mindert werde. 

Bei der obersten zentralen Gefängnisbehörde wären nicht nur 
einige sowohl in der Theorie als auch in der Praxis erfahrene höhere 
Strafvollziehungsbeamte anzustellen, sondern es wären dort als Hilfs¬ 
arbeiter auch Architekten, Ärzte und Pädagogen unentbehrlich. 

Neben der Beaufsichtigung der Anstalten wäre in den Wirkungs¬ 
kreis dieser zentralen obersten Gefängnisbehörde auch noch die Fest¬ 
stellung der Gefängnisordnungen und der Dienstvorschriften, die Orga¬ 
nisierung der Gefängnisanstalten, und die Ernennung der Strafvollzugs¬ 
beamten zu weisen. Diese Behörde hätte dann auch noch das detaillierte 
Budget der einzelnen Strafanstalten festzustellen, und hätte in allen 
zentral zu behandelnden Wirtschaftsangelegenheiten zu verfügen. 

4. Damit der staatsrechtliche Charakter der Freiheitsstrafen und 
Sicherungsmaßregeln genügend zur Geltung käme, ist heutzutage in 
allen Kulturstaaten einstimmig anerkannt, daß der Vollzug der Frei¬ 
heitsstrafen und Sicherungsmaßregeln ausschließlich die Aufgabe des 
Staates sei. 



160 


Zwischen den Strafanstalten können wir hinsichtlich ihrer Leitung 
einen Unterschied machen. Die größeren werden durch ausschließlich 
zu diesem Zwecke angestellte Strafvollzugsbeamte geleitet, hingegen 
die kleineren durch Justizbeamte in Nebenbeschäftigung administriert. 

Daß diese kleineren Strafanstalten ein Schmerzenskind des Ge¬ 
fängniswesens sind, ist nur zur Genüge bekannt. Weder hinsichtlich 
ihrer Leitung, noch hinsichtlich vieler anderer administrativer Fragen 
(zum Beispiel bezüglich des Arbeitsbetriebes) ist deren Organisation 
zumeist eine ungenügende. Da aber im Organismus der Strafrechtspflege 
solche kleine Gefängnisse unentbehrlich sind, ist derzeit diesem Mi߬ 
stand kaum abzuhelfen. 

Die Festlegung der Größe der Strafanstalten ist eine schwierige 
Frage. Bei einer zu kleinen Seelenzahl der Gefangenen stößt die Zu¬ 
sammenstellung des Beamtenkörpers auf Schwierigkeiten, auch fällt 
es schwer, sowohl für eine entsprechende Arbeitsbeschäftigung und Aus¬ 
bildung, als auch für eine genügende religiöse Pflege und Unterricht zu 
sorgen. Dann sind auch die Generalunkosten höher als bei den größeren 
Anstalten. 

Bei zu großen Anstalten ist es hingegen schwer, die Durchführung 
des Prinzips der Individualisierung zu sichern, da es den Vorstehern 
der Anstalten unmöglich wird, sich mit jedem einzelnen der Insassen 
zu beschäftigen. 

Die Seelenzahl der Strafanstalten wäre vielleicht am besten rnit 
400—600 festgestellt. Bei dieser Größe wäre die richtige Zusammen¬ 
stellung des Beamtenkörpers, eine entsprechende Organisierung der 
Arbeitsbetriebe, die Anstellung guter — die Arbeitsausbildung der Ge¬ 
fangenen sichernder — Werkmeister, als auch die religiöse Pflege und 
der Unterricht der Verurteilten gesichert. Und eine solche Seelenzahl 
wäre auch genügend groß zur vollen Beschäftigung eines richtig organi¬ 
sierten Beamtenkörpers. 

5. Die Strafanstalten sind danach zu unterscheiden, ob sie zur 
Internierung Verurteilter des Zivil- oder des Militärstandes — zur Auf¬ 
nahme von Männern, Frauen oder Jugendlichen —, zur Vollstreckung 
von Freiheitsstrafen, Sicherheitsmaßregeln, Zwangserziehung oder Unter¬ 
suchungshaft dienen. 

Es wäre wünschenswert, daß jede Strafanstalt nur zur Vollstreckung 
einer Art Freiheitsstrafe oder Sicherungsmaßregel diene (Stoos: Speziali¬ 
sierung der Strafanstalten), und daß demzufolge die verschiedenen Arten 
der Freiheitsstrafen auch in verschiedenen Anstalten vollstreckt werden. 

Bezüglich der größeren Strafanstalten ist dieser Anforderung un¬ 
bedingt nachzukommen. Sofern in einer Strafanstalt zweierlei oder 
noch mehrere Arten der Freiheitsstrafen parallel vollstreckt werden, 
verwischen sich die Unterschiede der Freiheitsstrafarten nur zu leicht; 
die Differenzierung der Freiheitsstrafarten, sei diese durch Gesetz und 
Gefängnisordnungen noch so scharf durchgeführt, wird verblassen, so¬ 
bald verschiedene Strafarten in der nämlichen Strafart vollstreckt wer¬ 
den; auch noch in dem Falle, wenn die zu verschiedenen Strafarten 
Verurteilten in einem anderen Trakte der Strafanstalt untergebracht 
werden. Überdies muß angenommen werden, daß für die zu einer leich¬ 
teren Strafart Verurteilten die ihnen aufgedrungene Gemeinschaft mit 
zu einer schwereren Freiheitsstrafe Verurteilten als eine unverdiente 
Schärfung erscheint. 



161 


Auch wäre es wünschenswert, die zur Vollstreckung von verschieden¬ 
artigen Freiheitsstrafen dienenden Strafanstalten auf geographisch ver¬ 
schiedenen Orten zu errichten, da erfahrungsgemäß die Volksanschauung 
den Verbrecher nach jener Anstalt beurteilt, in der er seine Strafe ver¬ 
büßt hat. Daß man die Zusammensperrung Erwachsener mit Jugend¬ 
lichen, der erstmals Bestraften mit Rückfälligen unbedingt meiden muß, 
liegt auf der Hand. 

Die Verwirklichung dieser Anforderung in den kleineren Straf¬ 
anstalten stößt an viele Hindernisse. In erster Reihe machen es finan¬ 
zielle Gründe unvermeidlich, daß in den Gerichtsgefängnissen die zu 
einer kurzen Freiheitsstrafe Verurteilten mit den Untersuchungshäft¬ 
lingen gemeinsam in einer Anstalt, doch möglicherweise in verschiedenen 
Teilen des Gebäudes, interniert werden. 

6. Die Zuweisung der Verurteilten in die einzelnen Strafanstalten 
gehört auch in den Wirkungskreis der obersten zentralen Gefängnis¬ 
behörde. Diese weist auf Grund der Ansuchen der Strafvollstreckungs¬ 
behörden die Verurteilten einzelnen Anstalten zu. 

Es wäre wünschenswert, daß bei der Zuweisung der Verurteilten 
nicht nur Geschlecht, Alter und das Vorleben der Verurteilten, sondern 
auch noch andere Gesichtspunkte, so die Religion, die vor der Ver- 
’ urteilung ausgeübte Beschäftigung, und auch noch andere persönliche 
Eigenschaften berücksichtigt werden, und daß die einzelnen Strafanstalten 
diesen Gesichtspunkten entsprechend spezialisiert werden (Stoos). Bei 
einer konsequenten Durchführung der Spezialisierung der einzelnen 
Strafanstalten müßten bei der Einweisung der Verurteilten alle die 
jetzt erwähnten Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Es wäre da¬ 
durch die moralische Verbesserung, die religiöse Pflege, eine den per¬ 
sönlichen Eigenschaften entsprechende Beschäftigung der Verurteilten 
überaus erleichtert. Auch wäre die Durchführung einer wichtigen An¬ 
forderung des heutigen Strafrechts und der Gefängniskunde: das Prinzip 
der Individualisierung bedeutend gefördert. 

II. 

1. Die Leitung und Administration der Strafanstalten, die mit 
Erledigung der Personalangelegenheiten der Beamten, der Aufsichts¬ 
organe und der Verurteilten verbundenen Arbeiten, die Leitung des 
Wirtschaftswesens, die Organisierung der Arbeitsbetriebe, die Ver¬ 
waltung der Anstaltskasse, die ständige Beaufsichtigung der Verurteilten 
sind die Obliegenheiten des Beamtenkörpers. 

Bei Leitung einer Strafanstalt stehen dem Vorsteher der Anstalt 
zumeist Hilfskräfte zur Seite. Die Zahl der bei einer Anstalt angestellten 
Beamten richtet sich vor allem nach der Zahl der Verurteilten; außer¬ 
dem üben aber auch noch das Alter der Verurteilten, das Gefängnis¬ 
system, die Zweckmäßigkeit der Anstaltsgebäude, dann auch die Diszi- 
plinarverhältnisse auf die Zahl der zu anstellenden Beamten einen Ein¬ 
fluß. Der Strafvollzug wird sich nur in dem Falle erfolgreich gestalten, 
wenn zur Leitung der Anstalt eine genügende Anzahl von Beamten 
und zur Beaufsichtigung der Verurteilten eine genügende Anzahl Auf¬ 
sichtspersonal zur Verfügung steht. 

Die in den Strafanstalten Angestellten können wir danach in Grup¬ 
pen teilen, ob sie den bei der Administration der Anstalten erwachsenen 
Arbeiten obliegen, dies sind die Strafanstaltsbeamten — oder ob sie Ob¬ 
liegenheiten untergeordneten Grades: so in erster Reihe die Durchführung 
der Befehle und Anordnungen der Beamten verrichten; diese letzteren 
sind das Aufsichtspersonal und die Werkmeister der Arbeitsbetriebe. 

11 


Blätter für Gefängniskunde, Bd. LII. 



162 


Besteht der Beamtenkörper aus mehreren Mitgliedern, so werden 
die Obliegenheiten unter ihnen zumeist derart verteilt, daß der eine 
Beamte das Wirtschaftswesen der Anstalt, der andere aber die Arbeits¬ 
betriebe leitet, ein dritter hingegen mit Erledigung der anderen Verwai- 
tungssachen: der Personalangelegenheiten der Verurteilten, mit deren 
Aufnahme und Entlassung usw. betraut wird. 

Außerdem erwächst die Notwendigkeit, daß in den Strafanstalten 
auch noch Beamte mit speziellen Fachkenntnissen angestellt werden; 
so ist mit der religiösen Pflege der Gefangenen ein Geistlicher, mit der 
Gesundheitspflege ein Arzt, mit dem Unterricht hingegen ein Lehrer 
zu betrauen. 

In den Anstalten, die zur Aufnahme Verurteilter weiblichen Ge¬ 
schlechts dienen, werden jene Stellen, die einen ständigen Kontakt mit 
den Verurteilten notwendig machen, zumeist mit Frauen besetzt. Nur 
mit der Leitung der Anstalt und auch als Aufsichtsorgane werden Männer 
angestellt. 

2. Ist die Seelenzahl der Strafanstalt so groß, daß die bei der Lei¬ 
tung entstandenen Obliegenheiten die Arbeitskraft eines Beamten ge¬ 
nügend beschäftigen, so leitet die Anstalt ein Beamter in Hauptbeschäf¬ 
tigung. 

Hingegen in den kleineren Anstalten versehen die Anstaltsvorsteher 
ihre Obliegenheiten in Nebenbeschäftigung. Nur in wenigen Ländern 
(Belgien, Niederlande) finden wir eine nachahmenswerte Ausnahme. 
Werden Mitglieder der Anklagebehörden in Nebenbeschäftigung mit der 
Leitung der kleineren Gerichtsgefängnisse betraut, so wird dagegen mit 
Recht eingewendet, daß man jede, die im Strafprozeß eine Partei waren, 
»nachträglich nicht mit der Vollstreckung der erkannten Strafe betrauen 
dürfte (Balogh, Krohne). 

Daß in solch kleineren Strafanstalten die mit der religiösen und 
sanitären Pflege der Verurteilten verbundenen Obliegenheiten auch in 
Nebenbeschäftigung versehen werden, ist natürlich. 

3. Die Oesamtleitung der Strafanstalt liegt in den Händen des 
Vorstehers der Strafanstalt. Er ist in erster Reihe für alle Vorfälle ver¬ 
antwortlich. Sämtliche Beamte sind ihm untergeordnet. Die richtige 
Ausgleichung jener Kontroversen, die gegenüber denen erwachsen, die 
in einem speziellen Fache wirken (Geistlicher, Anstaltsarzt, Lehrer) 
verlangen viel Takt und Umsicht. Es wäre vielleicht eine solche Verfügung 
am Platze, daß der Anstaltsvorsteher die Durchführung der Anord¬ 
nungen des Geistlichen, des Arztes und des Lehrers, sofern sie seine 
Bedenken erregen, bis zur Einlangung des Beschlusses der oberen Ge¬ 
fängnisbehörden suspendieren kann (Krohne). 

In den Wirkungskreis des Anstaltsvorstehers gehört ferner die Aus¬ 
übung der Disziplinargewalt über die Angestellten untergeordneten 
Grades: bezüglich des Aufsichtspersonals und der Werkmeister — als 
auch über die Verurteilten. Über die Beamten hat der Vorsteher nur 
ein Aufsichtsrecht; die Ausübung der Disziplinargewalt fällt außer¬ 
halb seines Wirkungskreises, diese gehört in den Wirkungskreis der 
obersten Oefängnisbehörde. 

Damit die einheitliche Leitung der Strafanstalten gesichert sei, 
ist es wünschenswert, daß der Anstaltsvorsteher auf Grund der durch 
den Beamten ihm täglich zu erstattender Berichte über alle wichtigeren 
Vorfälle ständig am Laufenden gehalten sein möge. Und daß er auch 
in allen bedeutenderen Angelegenheiten auf die Entschließungen ein¬ 
wirken soll. Es ist auch wünschenswert, daß der Vorsteher über die 



163 


persönlichen Umstände und Eigenschaften eines jeden Insassen der 
ihm untergeordneten Anstalt orientiert sei, und eben damit der Anstalts¬ 
direktor dieser Anforderung nachkommen könne, ist es zu vermeiden, 
daß sich die Seelenzahl der Anstalt auf höher als höchstens 500—600 
stelle. 

4. Von den in einem speziellen Fachkreis Angestellten geschieht 
die Berufung der Geistlichen zumeist im Einverständnis mit der betreffen¬ 
den Kirchenbehörde und als Priester bleibt er zumeist auch weiter in 
dem Wirkungskreis der betreffenden Kirchenbehörde. Sofern in der 
Anstalt der Anhang einer Konfession zu gering ist und die religiöse 
Pflege dieser wenigen Gläubigen die Arbeitskraft eines Geistlichen nicht 
erschöpfen möchte, wird deren religiöse Pflege durch einen Geistlichen 
in Nebenbeschäftigung versehen. 

Die Aufgabe des Arztes ist es, den Betrieb der Strafanstalt vom 
sanitären Gesichtspunkt aus zu beaufsichtigen, ln seinen Wirkungskreis 
gehört auch die Behandlung der Kranken. In manchen Fällen ist es 
die Aufgabe des Arztes, mit seinem Gutachten in den Betrieb der An¬ 
stalt einzugreifen (zum Beispiel bei Einteilung der einzelnen Verurteilten 
in einen Arbeitszweig, oder bei Verhängung mancher Disziplinarstrafen). 
Der Arzt leitet auch das Strafanstaltsspital. Am zweckdienlichsten ist 
es, einen solchen Arzt anzustellen, der in allen Fächern der medizinischen 
Wissenschaften durchschnittliche Kenntnisse und Erfahrungen besitzt; 
ein Spezialist findet für seine speziellen Kenntnisse kaum ein Arbeits¬ 
feld. Die in Hauptbeschäftigung angestellten Anstaltsärzte haben zu¬ 
meist auch noch die Beamten, das Aufsichtspersonal wie auch deren 
Familienmitglieder ärztlich zu behandeln. 

Der Anstaltslehrer hat neben dem Unterricht zumeist auch noch 
die Bibliothek der Strafanstalt zu verwalten. Damit die geistige Pflege 
der gebildeteren Sträflinge wenigstens einigermaßen gesichert sei, wäre 
es wünschenswert, daß nur solche Lehrer in den Gefängnissen eine An¬ 
stellung finden mögen, die dieser Aufgabe nachkommen können. 

5. ln manchen Orten kommt in der Organisation der Strafanstalten 
auch die Beamtenkonferenz als ein Konsultationsforum zur Geltung. 

Die Mitglieder der Beamtenkonferenz sind außer den höheren 
Beamten der Strafanstalt noch der Anstaltsgeistliche, der Arzt und der 
Lehrer, ln den periodischen Sitzungen wären einzelne im Laufe der 
Strafvollstreckung erwachsende Fragen zu beratschlagen. 

Manchen Ortes ist bei Verhängung der schwereren Disziplinar¬ 
strafen, vor der bedingungsweisen Entlassung und Begnadigung der 
Verurteilten die Meinung der Beamtenkonferenz einzuholen. 

6. In manchen Ländern hat man bei den einzelnen Strafanstalten aus 
Staats- und anderen öffentlichen Beamten, als auch aus Laien, Aufsichts¬ 
kommissionen zu dem Zwecke organisiert, daß diese Körperschaft den 
Strafvollzug und den Betrieb der Strafanstalten beaufsichtige, eventuell 
auch noch, damit sie in manchen Fragen des Strafvollzuges (zum Bei¬ 
spiel bei der bedingungsweisen Entlassung der Verurteilten) ihre Meinung 
abgebe. 

Gegen die Institution der Aufsichtskommissionen führt man an 
(Balogh, Fayer, Finkey, Goldschmidt, Krohne, Kriegsmann, — für 
sie: Jagemann), daß mit Betracht darauf, daß bei Zusammenstellung 
der Mitglieder dieser Kommissionen nur höchst selten sich solche fin¬ 
den, die im Gebiete des Gefängniswesens über entsprechende Kennt¬ 
nisse verfügen, — man von ihrem Wirken nicht einen besonderen Erfolg 
erwarten darf. Außerdem kann die Errichtung der Aufsichtskommissionen 


11» 



164 


mit dem Nachteil verbunden sein, daß hierdurch in den Strafvollzug 
solche Leute Einfluß erlangen, die für ihre Stellungnahme und Meinung 
unverantwortlich sind; dann kann auch hierdurch die einheitliche Lei¬ 
tung der Strafanstalten gefährdet werden, und können demzufolge 
Reibereien zwischen den Beamten entstehen. Im Endresultat wiegen 
diese Nachteile keineswegs den mit der Errichtung der Aufsichtskomitees 
verbundenen Vorteil auf, daß hierdurch das Interesse für das Oefängnis- 
wesen in den Laien erregt wird und daß sich aus der Reihe der Mit¬ 
glieder der Aufsichtsbehörden oft geeignete Personen finden, die die 
auf dem Gebiete der Patronage erwachsenden Obliegenheiten durchführen. 

Unsere Meinung geht dahin, daß dort, wo eine entwickelte Auto¬ 
nomie vorhanden ist, und sich bei Zusammenstellung der Aufsichts¬ 
komitees Leute mit entsprechenden Fachkenntnissen finden, — die 
Aufsichtskommissionen eine Existenzberechtigung haben können. Hin¬ 
gegen bei einer guten Beamtenhierarchie ist es zweckdienlicher, von der 
Errichtung der Aufsichtskommissionen abzusehen. 

7. Zur Durchführung aller jener Vorschriften und Regeln, die sich 
auf die Bewachung der Verurteilten, auf die Tagesordnung der Straf¬ 
anstalten, als auch auf alle anderen Details der Freiheitsstrafen beziehen, 
— ist Aufgabe des Aufsichtspersonals, der Gefangenenaufseher. Diese 
vermitteln eigentlich den Verkehr zwischen den Beamten und den Ver¬ 
urteilten, diese bringen zur Durchführung die Anordnungen der Beamten. 

Zur Anwendung von Disziplinarmaßregeln sind die Gefangenen¬ 
aufseher zumeist nicht berechtigt, hingegen sind sie berechtigt, im Not¬ 
fälle von ihrer Waffe Gebrauch zu machen. 

Die Zahl der anzustellenden Gefangenenaufseher wird sich nicht 
nur nach der Seelenzahl der Anstalt richten, sie wird auch vom Ge¬ 
fängnissystem, vom Alter der Verurteilten, von ihrem Vorleben, von 
der Zweckdienlichkeit der Anstaltsgebäude und auch von den Disziplinar- 
verhältnissen abhängen. Im Durchschnitt kann man auf 20 Gefangene 
einen Aufseher rechnen. 

Gleichfalls zum Personal untergeordneten Charakters sind die 
Werkmeister zu rechnen, die zur Führung der Arbeitsbetriebe und zum 
Unterricht der Verurteilten in den ihnen zugewiesenen Arbeiten berufen 
sind; hierher gehören auch noch jene, die zur Durchführung unter¬ 
geordneter Wirtschaftsobliegenheiten angestellt wurden (Diener, Maschi¬ 
nenwärter, Pfleger im Spital usw.). 

8. Es ist auch noch die Frage zu beantworten, ob es wünschenswert 
sei, die Arbeitskraft der Verurteilten bei der Leitung der Striifanstalten 
in Anspruch zu nehmen? Vor allem müssen wir einen Unterschied 
zwischen diesen Obliegenheiten machen. 

Daß man gegen die Anstellung der Verurteilten in der Wirtschaft 
der Strafanstalt, dann als Krankenpfleger usw., kein Bedenken zu hegen 
braucht. Hegt auf der Hand. 

Hingegen ist die Betrauung der Verurteilten mit solchen Obliegen¬ 
heiten unbedingt zu vermeiden, auf Grund welcher sie zu einer gewissen 
exzeptionellen Stellung gelangen könnten; solche Arbeiten sind unseres 
Erachtens schriftliche Arbeiten und Buchhaltungsarbeiten in den Kanzleien 
der Strafanstalt, die Handhabung von Triebmaschinen. Durch solche 
Betrauungen kämen die Verurteilten, besonders wenn sie dadurch auch 
noch in die Personalangelegenheiten ihrer Genossen, oder aber besonders 
der Beamten Einsicht erlangen könnten, — gegenüber den Beamten 
in ein solches Vertrauensverhältnis, daß dadurch die bei der Vollstrek- 
kung der Freiheitsstrafen unbedingt zu wahrende Gleichheit zwischen 
den Verurteilten und die Disziplinarverhältnisse gefährdet wären (Krohne). 



165 


III. 

1. Die Verwirklichung der Strafzwecke wird nur dann wahrlich 
gesichert sein, wenn an der Spitze der Strafanstalten entsprechende 
und genügend fachgebildete Strafanstaltsbeamte stehen. Nicht nur 
für die Ausbildung von Beamten, sondern auch für die der Aufseher 
ist Sorge zu tragen. Es liegt viel Wahrheit darin, daß die erfolgreiche 
Vollstreckung der Freiheitsstrafen viel besser gesichert sei, wenn an 
der Spitze der Strafanstalten vorzügliche Direktoren stehen und auch 
deren Mitarbeiter gut ausgewählt sind, — als wenn die Strafanstalten 
noch so vollkommen eingerichtet, das Oefängnissystem noch so sorg¬ 
lich ausgewählt und die Gefängnisordnung noch so gekünstelt zusammen¬ 
gestellt ist, doch die Anstaltsvorsteher zur Durchführung der ihnen 
gestellten Fragen unmächtig sind (Frederic Hill). 

Der Hauptzweck der Freiheitsstrafen, die moralische Besserung 
der Verurteilten, wird nur in dem Falle gesichert sein, wenn die Ver¬ 
urteilten unter die Obhut solcher Beamten gelangen, deren Intelligenz 
und Bildung um ein sehr Bedeutendes höher steht, als die der Gefan¬ 
genen. Im entgegengesetzten Falle wird die moralische Einwirkung 
der Beamten eine gänzlich illusorische bleiben. Es liegt in der Natur 
der Sache, daß die Beamten auf die Verurteilten entsprechend moralisch 
übrigens nur in dem Falle einzuwirken vermögen, wenn ihre Zahl eine 
so große ist, daß sie sich mit jedem einzelnen Gefangenen genügend 
beschäftigen können. 

Damit die Strafanstaltsbeamten zur Lösung dieser überaus schweren 
Fragen mächtig seien, ist es unumgänglich notwendig, daß sie nicht 
nur über entsprechende kriminalistische, sondern auch über genügende 
pädagogische Kenntnisse verfügen. Daß die heutige Lage der Straf¬ 
anstaltsbeamten, ihr Gehalt, ihre gesellschaftliche Stellung nicht ge¬ 
eignet ist, die zur Lösung von so überaus schwierigen Fragen mächtigen 
Männer für diese Laufbahn zu gewinnen, ist nur zu gut bekannt. 

Und wenn dies in solchen Anstalten, wo die Beamten ihre Obliegen¬ 
heiten als Hauptbeschäftigung versehen, schwer fällt, — um so schwerer, 
beinahe unmöglich ist es, diese Fragen in den kleinen Strafanstalten, 
wo die Leitung der Anstalten in Nebenbeschäftigung geschieht, befrie¬ 
digend zu lösen. 

ln den zur Aufnahme von Frauen bestimmten Strafanstalten ist 
es — neben anderen Gesichtspunkten — auch noch deshalb empfehlens¬ 
wert als Beamte weibliche Kräfte anzustellen, dä die Frauen über eine 
große Anzahl solcher Tugenden (ein größeres Interesse für das Los, für 
die Verhältnisse ihrer Mitmenschen, ein richtiges Erkenntnis der Be¬ 
handlungsweise der Unglücklichen und Leidenden) verfügen, die sie zur 
Lösung der den Strafanstaltsbeamten gestellten Aufgaben prädesti¬ 
nieren. 

2. ln den meisten Ländern trägt man auch noch heute keine ge¬ 
nügende Sorge zur Ausbildung der Strafanstaltsbeamten. Zumeist be¬ 
gnügt man sich damit, daß man den höheren Beamten die Absolvierung 
des juridischen Studiums vorschreibt, von den in einem speziellen Fach¬ 
kreise wirkenden Beamten (Geistlicher, Arzt, Lehrer) aber die Absol¬ 
vierung der betreffenden Fachstudien verlangt. 

Für die Aneignung spezieller Kenntnisse auf dem Gebiete der 
Gefängniskunde trägt man nirgends Sorge (eine Ausnahme bildet Japan). 
Und auch auf den Universitäten bildet nur in wenigen Orten die Ge- 
fängniskunde den Gegenstand der Vorlesungen. 



166 


Um den Strafanstaltsbeamten Gelegenheit zu bieten, neben ihrer 
allgemeinen Ausbildung sich auch noch Kenntnisse auf dem Gebiete 
der Gefängniskunde anzueignen: organisiert man an vielen Orten zeit¬ 
weise Gefängniskurse mit längerer oder kürzerer Dauer. Die Vertrags¬ 
gegenstände dieser Kurse bilden neben Strafrecht natürlich auch Ge¬ 
fängniskunde, Kriminalätiologie, die Grundzüge der Pädagogik, Ge¬ 
sundheitswesen usw. 

An die Vorträge schließt sich zumeist noch die Ansicht von Muster¬ 
anstalten, das Studium ihrer Einrichtungen und der Besuch gefängnis¬ 
wissenschaftlicher Museen. Bei der Organisierung dieser Kurse wäre 
darauf Gewicht zu legen, als Vortragende nicht nur einseitige Theoretiker 
zu gewinnen, sondern dahin zu trachten, daß die Besucher der Kurse 
auch ihre praktischen Kenntnisse erweitern. Die Erlaubnis zum Besuche 
des Kurses könnte man davon abhängig machen, daß die betreffenden 
Beamten durch eine längere Zeit in einer Strafanstalt mit Erfolg prak¬ 
tisch tätig waren. Und man könnte die Kurse mit einer entsprechenden 
Fachprüfung beschließen. 

Durch eine zeitweise Wiederholung müßte man allen Strafanstalts¬ 
beamten zum Besuche des Kurses Gelegenheit bieten. Und die Erlan¬ 
gung höherer Stellen wäre davon abhängig zu machen, ob die Beamten 
diese Kurse mit genügendem Erfolg absolviert haben. 

Und ähnlich wäre durch Organisierung kürzerer Lehrkurse auf die 
Ausbildung der Gefangenenaufseher auch Sorge zu tragen. 

3. Zwecks Wahrung des staatsrechtlichen Charakters der Freiheits¬ 
strafen und des Strafvollzuges stehen alle Strafvollzugsbeamten im 
staatlichen Dienst. 

Ihre Dienstverhältnisse sind ähnliche als die der anderen Staats¬ 
beamten. 

Die Ernennung der höchsten Beamten vollzieht das Staatsober¬ 
haupt. Hingegen die Ernennung der anderen Beamten als auch die 
Beförderung des Aufsichtspersonals in die höheren Stellen geschieht 
durch die höchste zentrale Amtsstelle des Gefängniswesens. Die An¬ 
stellung beziehungsweise Ernennung des Aufsichtspersonals in die 
niedrigeren Stellen vollzieht zumeist der Vorsteher der betreffenden 
Strafanstalt. 

4. Nicht nur zur Sicherung der Ausbildung der Strafanstalts¬ 
beamten, sondern auch für die weitere Entwicklung des Gefängniswesens 
und der Gefängniskunde ist die Errichtung gefängniswissenschaftlicher 
Museen von großer Bedeutung. 

In diesen Museen wären alle jene Gegenstände zu sammeln, die auf 
den Vollzug der Freiheitsstrafen, der ähnlichen sichernden Maßnahmen, 
der Zwangserziehung und auf die Geschichte des Strafvollzuges Bezug 
haben. Hier wären auch die Grundrisse und Pläne der wichtigeren und 
bedeutsameren Strafanstalten aufzubewahren. Hierher kämen alle 
jene Gegenstände, die auf die Ethnographie, auf die Psychologie der 
Verutreilten Bezug hat, dann auch die von den Verurteilten angefertigten 
Photographien, die durch die Strafanstaltsärzte von den Verurteilten 
angefertigten anthropologischen Beschreibungen, weiter jene Gegen¬ 
stände, welche auf das Seelenleben der Verurteilten Bezug haben, so 
ihre literarischen Produkte, die Abbildungen der typischen Mauer¬ 
aufschriften in den Zellen, endlich jene Sachen, die auf die Gebräuche, 
Neigungen, Aberglauben und Lebensweise der Verurteilten bezeichnend 
sind. 

Der Zweck dieser Sammlung wäre, durch sie die Entwicklung der 
Gefängniskunde zu fördern. 



167 


Dr. August Köhler, a. o. Professor der Rechte in Jena, Deutsches 
Strafrecht. Verlag von Veit & Comp., Leipzig 1917. VlII u. 723 S. 
Preis lliSO M., gebunden 14 M. 

Das Werk enthält den Allgemeinen Teil des Strafrechts und soll 
später durch eine besondere Darstellung der einzelnen Verbrechen 
fortgesetzt werden. 

Der Verfasser bezeichnet seine Arbeit als schlichten Beitrag zur 
Förderung des Rechtsstoffes. Diesen Zweck wird sie in reichem Maße 
erfüllen. Zwar ist das Buch vornehmlich für den Unterricht geschrie¬ 
ben. Der Anfänger findet darin alles, was er zum Verständnis der schwie¬ 
rigen Lehren des allgemeinen Strafrechts braucht. Doch auch dem 
Fachmann bietet es reiche Gelegenheit zur Vertiefung und Erweiterung 
des Wissens. Vor allem wird idn befriedigen, wie der Verfasser es ver¬ 
standen hat, die verschiedenen Lehren auf den einzelnen Gebieten 
übersichtlich zusammenzustellen und in eigener Meinung zu würdigen. 
Besonders wertvoll sind ferner die zahlreichen Hinweise auf die Recht¬ 
sprechung höchster Gerichte, die der Verfasser in seltenem Umfange 
beherrscht. Recht zweckmäßig sind die Beispiele gewählt; sie werden 
häufiger als sonst üblich angewendet und tragen ungemein zum Verständ¬ 
nis der Lehrsätze bei. 

Die Sprache ist im allgemeinen knapp und klar. Durch eine Aus¬ 
merzung der leider sehr zahlreichen, oft entbehrlichen Fremdwörter 
würde das Werk jedoch erheblich gewinnen und namentlich dem jungen 
Rechtsbeflissenen noch dienlicher werden. Erfreulich ist es, daß der 
Verfasser in der Beurteilung fremder Ansichten den vornehmen wissen¬ 
schaftlichen Ton zu wahren und persönliche Gegensätze fernzuhalten 
weiß. 

ln der Einleitung wird die Geschichte des Strafrechts zuletzt be¬ 
handelt. Das ist richtig. Der junge Anfänger tritt ungern an ein Werk 
heran, dessen Ausgangspunkt geschichtliche Rückblicke bilden. Der 
Einleitung folgen drei Bücher. Im ersten werden die Strafgesetze und 
ihre Anwendungsgebiete untersucht. Das zweite Buch enthält die Lehre 
vom Verbrechen (Tat- und Schuldseite, Schuldausschließungsgründe, 
Versuch, Teilnahme, Häufung). Im letzten Buche behandelt der Ver¬ 
fasser die Strafarten und die Anwendung der Strafen, wobei er zur 
Strafanwendung auch die Begnadigung und Verjährung rechnet. Ob 
das letztere zutrifft, muß freilich bezweifelt werden. 

Alles in allem genommen, ist das Werk empfehlenswert und auch 
für die Bücherei einer größeren Gefangenenanstalt nützlich. 

Berlin. Kammergerichtsrat Hanschmann. 


„Fort aus Stadt und Gefängnis, durch Arbeit zurück zur Natur“L 

Diesen Ruf erhebt Geh. Baurat, Prof. Dr. Meydenbauer-Godes- 
berg in Heft 7/8 des 5. Jahrganges (1918) der Deutschen Straf¬ 
rechts-Zeitung (S. 220ff.). 

ln einer Zeit wie der jetzigen, in der der Mangel an freien Arbeits¬ 
kräften in der Landwirtschaft und in der Fabrik, bei Straßenbauten, 
Waldarbeiten und Staatsbauwesen und der Mangel an Innenarbeit in 
der Strafanstalt die Bedeutung der Außenarbeit wieder so recht in den 
Vordergrund hat treten lassen, ist er von besonderer Bedeutung und ver¬ 
dient sorgfältige Prüfung. 




J69 


Seite und enthält die Anstalt in der üblichen Form, bestehend aus einem 
durch alle Geschosse gehenden freien Mittelraum, der sich unmittelbar 
nach den Flügelbauten öffnet. Diese Flügelbauten haben ebenfalls 
einen durchgehenden Mittelraum, zu dessen beiden Seiten sich die Zellen 
befinden, die in 4 Stockwerken übereinander liegen und nur durch 
schmale, in den Mittelraum vorgekrägte Gänge zugänglich sind. Das 
Erdgeschoß wird von Arbeitsräumen, Werkstätten, Kellern und Küchen 
eingenommen. In der Regel werden 3 Flügelbauten und ein kurzer Flügel 
für Verwaltung, Lehrzimmer und Zellen für Untersuchungsgefangene an¬ 
genommen. Bei einem Kemwerk von etwa 1(X) m Seite und einem Mittel¬ 
raum von etwa 10 m Seite verbleiben für die Flügelbauten rund 45 m 
Länge. Die 4 Flügel teilen daher die ganze Fläche in 4 Höfe, die nach 
2 Seiten durch die Anstaltsmauern mit den Zellenfenstern begrenzt, 
nach den anderen Seiten völlig frei liegen, aber durch den mit massiven 
Böschungen eingefaßten Wassergraben des Kernwerks abgeschlossen 
sind. Die 4 Höfe dienen zur Einrichtung des landwirtschaftlichen Be¬ 
triebes. Den einzigen Zugang zum Kernwerk bildet eine Zugbrücke, 
mit deren Aufziehen jede Verbindung nach außen aufhört. Die ganze 
Anstalt mit ihrem System von Wehrgängen, Wassergräben und Kern¬ 
werk ist daher gewissermaßen eine umgekehrte Festung, dazu bestimmt, 
den Insassen in abgezählten kleinen Gruppen eine außerordentliche 
freie Bewegung in streng beaufsichtigter Arbeit zu gestatten, die das 
Entweichen aber besser unmöglich macht als einfache Mauern. Der 
Dienst ist so geregelt, daß niemals 2 Gruppen sich auf den schmalen 
Wegen begegnen können und beim Aus- und Eintreten in die An¬ 
stalt sich in Reihen auflösen müssen, die eine Begegnung in den 
schmalen Gängen ausschließen. Es geschieht dies zum Zweck eines 
völligen Abschlusses jedes einzelnen in der ganzen Zeit, in der nicht 
gearbeitet wird, mit anderen Worten: strengste Einzelhaft bei 
Nacht und Arbeit im Freien unter strengster Aufsicht. 

Geh. Rat Dr. Meydenbauer fügt der Beschreibung dieser Straf¬ 
anstalt der Zukunft noch besondere Vorschläge für 2 technische Neuerun¬ 
gen zur Beseitigung der Fäkalien und der Zellenbeheizung bei, auf die 
hier nicht näher eingegangen werden soll. 

Für die Bauausführung wird der Grundsatz aufgestellt: kleinere 
Anlagen sich zu größeren auswachsen zu lassen. Begonnen wird mit der 
Errichtung des Kernwerks, das mit seinen in Beton auszuführenden 
Umfassungsmauern des wassergefüllten Grabens den Anfang bildet. 
Mit Vollendung des Wassergrabens ist der vorläufige Abschluß bereits 
erreicht und mit Vollendung des Verwaltungsflügels, des Mittelbaues 
und eines Zellenflügels mit etwa 150 Gefangenen bereits betriebsfähig. 
Es ist sogar nicht ausgeschlossen, daß von da ab sich die Anstalt aus 
sich selbst heraus erweitert und ausbaut. Die Ausführung der Gräben, 
Hecken und Wehrgänge kann durch Gefangene selbst erfolgen ebenso 
wie die Errichtung der Bauten in Zementbeton. 

Ein jeder neu anzufügende Polter wird durch einen Gefangenen¬ 
trupp von etwa 50 Mann ausgeführt, die durch 2 Posten an den Ecken 
überwacht werden und eine große Vermehrung der Bewachungsmann¬ 
schaften bei Arbeiten im Freien nicht erfordern. 

Nach vorläufiger Vollendung des Kernwerks zur Aufnahme von 
80 bis 100 Gefangenen mit Verwaltung wird zunächst um das Kern¬ 
werk ein Kranz von Poltern angelegt, so daß die Anstalt 3mal 300 m, 
also 9 ha groß ist. Mit weiterem Fortschritt des Baues folgt ein zweiter 
Kranz von Poltern und so fort, bis die Anstalt 9mal 900 m = 81 ha 
umfaßt. 



170 , 


Nach der Ansicht des Verfassers würde eine so eingerichtete An¬ 
stalt 5 bis 8 Gefangene auf den Hektar ernähren und sich selbst mit 
allen Beamten, die in besonderen Kolonien unterzubringen wären, er¬ 
nähren können. Für die Beamtenstellen müßte bis zum Ausbau der 
Anstalt Bautechnikern, vom Direktor bis zum letzten Aufseher, 
der Vorzug gegeben werden! Später wäre ein Lehrgang in praktischer 
Landwirtschaft unbedingt erforderlich. Als Hauptvorteil der vor¬ 
geschlagenen Anstalten verspricht sich der Verfasser, daß an Stelle 
eines großen Prozentsatzes von gar nicht oder nur halb Gebesserten, 
die alljährlich auf die Gesellschaft losgelassen werden, künftig Spezialisten 
für einzelne Gebiete der Landwirtschaft in die Freiheit hinaustreten, 
die nach Selbständigkeit streben und sich aus ihren kleinen Erspar¬ 
nissen und mit Hilfe gemeinnütziger Einrichtungen kleinere landwirt¬ 
schaftliche Betriebe einrichten könnten. 

Der Zeitpunkt für die Ausführung solcher Anstalten sei günstig, 
da die Unterbringung zurückgekehrter Krieger neue Anstellungen als 
Beamte nötig mache und überflüssig gewordener Stacheldraht genug 
da sei. Die Art des neuen Strafvollzugs gestatte eine weitgehende Diffe¬ 
renzierung von 3 Tagen Haft bis zu lebenslänglichem Zuchthaus und 
könne daher nicht ohne Einfluß auf die Strafgesetzgebung bleiben! 

So einleuchtend und vielversprechend diese Vorschläge für eine 
neue Art von Strafanstalt auch erscheinen, so viele Fragezeichen muß 
der Strafvollzugskundige hinter sie setzen. Die vorgeschlagene Ein¬ 
teilung des zu bebauenden Geländes in mit Wall und Graben und Stachel¬ 
draht-Zaunhecken umgebene ,,Polter“ wird, das wird zuzugeben sein, 
die Bewachung der Gefangenen erleichtern. Doch müßte man Zeich¬ 
nungen und Pläne dieser Einrichtung sehen, bevor man ein endgültiges 
Urteil abgeben kann. Aber das kann wohl jetzt schon gesagt werden: 
der Verfasser setzt zu große Hoffnungen auf den Stacheldraht; er kennt 
wohl unsere Spezialisten in Aus- und Einbruch nicht genau genug, um 
zu wissen, daß ihnen ein S'tacheldrahtzaun kein ernstliches Hindernis 
ist. Wenn die Wälle nicht ausgiebig mit Wachen besetzt werden, könn¬ 
ten in den Poltern gefährliche und fluchtverdächtige Gefangene nicht 
beschäftigt werden. Der Verfasser verläßt sich in seinen Vorschlägen 
auf Militärwachen! Er weiß offenbar nicht, daß diese seit 1905 auf¬ 
gehoben sind; ihre Wiedereinführung wird auch nach dem Kriege bei 
der Heeresverwaltung auf unüberwindliche Abneigung stoßen. So wird 
auch in der Landwirtschaftsstrafanstalt der Zukunft die Bewachung 
lediglich durch besondere Aufseher zu besorgen sein. Daß aber ein ein¬ 
ziger Aufseher 50 Gefangene in den einzelnen ,,Poltern“ sicher sollte 
bewachen können, halte ich nur dann für möglich, wenn es sich nur um 
kurzzeitige, ungefährliche Gefangene handelt. Diese können aber auch 
ohne Polter im Freien ohne Gefahr in größerer Anzahl, wenn auch nicht 
gerade 50, aber doch bis zu 20 — von einem Aufseher überwacht wer¬ 
den; wenn es sich aber um fluchtverdächtige Leute handelt, so kann 
man auch im Polter einem Aufseher nicht mehr als 12 Leute anver¬ 
trauen, wenn man sich nicht der Fahrlässigkeit schuldig'machen will. 
Ferner ist zu bedenken, daß diese Polter-Einrichtung mit Wall und 
Graben eine sehr viel größere Grundfläche beansprucht und deshalb 
die ganze Anlage verteuern wird. Dabei bleibt die Errichtung einer 
kostspieligen Ringmauer um das ,, Kernwerk“ die Einrichtung von 
Zellen, Werkstätten, Ställen und Schuppen usw. nicht erspart. Billig 
wird also eine derartige Anstalt nicht werden. 

Dann scheint mir aber auch der Verfasser zu große Hoffnungen 
auf die erziehliche Bedeutung der landwirtschaftlichen Beschäftigung 



171 


zu setzen. So ist es denn doch nicht, daß unsere Rückfälligen und Ge¬ 
wohnheitsverbrecher, wenn sie in der Strafanstalt im Polter mit Land¬ 
wirtschaft beschäftigt werden könnten, als geläuterte und brauchbare 
landwirtschaftliche Spezialisten in die Freiheit treten würden! Dagegen 
sprechen die Erfahrungen aller Strafvollzugspraktiker, da ja jetzt schon 
in vielen Strafanstalten Landwirtschaft, wenn auch nicht mit Poltern 
und Stacheldraht, betrieben wird. Diese letztgenannten Einrichtungen 
werden das Wunder wohl auch nicht zustande bringen. Auch die Tech¬ 
niker und Landwirte nicht, die der Verfasser an Stelle der seitherigen 
Strafanstaltsbeamten setzen möchte. Es kann einer ein recht tüchtiger 
Techniker und Landwirt sein; ob er auch zum Strafanstaltsbeamten 
taugt, ist wieder eine andere Frage. Man hat seither ja auch Straf¬ 
anstalten gebaut; es ist aber der Regierung nirgends eingefallen, des¬ 
halb Techniker zu Strafanstaltsbeamten zu machen, oder jedem, der 
Strafanstaltsbeamter werden will, die Auflage zu machen, vorher einen 
Kurs in Schreinerei und Schlosserei usw. mitzumachen. 

Die einseitige Beschäftigung mit Landwirtschaft ist erziehlich auch 
verfehlt. Die vielen Handwerker, die durch die Strafanstalt gehen, 
sollen doch ihr Handwerk nicht verlernen und nun Landwirt werden! 
Möglichst vielgestaltige Arbeit ist das Richtige in der Strafanstalt. 
Und wohin mit den vielen kränklichen und schwächlichen Gefangenen, 
die zu landwirtschaftlichen Arbeiten vom Arzt für untauglich erklärt 
werden? Für sie muß auch in der Anstalt, wenn sie nach des Verfassers 
Vorschlägen eingerichtet wird, leichte, mechanische, meinetwegen auch 
,,stumpfsinnige“ Arbeit geschafft werden. Auch bei der Landwirt¬ 
schaft gibt es manche ,,stumpfsinnige“ Arbeit. 

So einfach ist die Sache eben nicht, wie Geh. Rat Meydenbauer 
sie sich vorstellt; wenn das Problem so einfach zu lösen wäre, dann wäre 
es doch auffallend, daß in 40 Jahren — als so alt bezeichnet der Ver¬ 
fasser seine Vorschläge selbst — nicht einmal ein Versuch mit einer 
derart gestalteten Anstalt gemacht worden wäre! das kann doch nicht 
am Fehlen des Stacheldrahts gelegen sein! solchen gab es schon lange 
vor dem Krieg! — 

Trotz all dieser Bedenken steckt aber ein brauchbarer Kern in den 
Meydenbauerschen Vorschlägen, und den möchte ich in folgendem heraus¬ 
schälen: Mit jeder größeren Strafanstalt sollte in Zukunft ein landwirt¬ 
schaftlicher Betrieb verbunden werden. Das gilt besonders für die künf¬ 
tigen Sicherungs-Verwahrungs-Anstalten. Wie wichtig und wertvoll 
das ist, hat uns die Kriegszeit gelehrt: die Anstalten mit eigener Land¬ 
wirtschaft hatten lange nicht so viel Ernährungsschwierigkeiten und 
keine so hohen Verpflegungskosten. Auch der erziehliche Wert der 
landwirtschaftlichen Arbeit soll nicht gering angeschlagen werden. 
Nur darf nicht alles auf eine Karte gesetzt werden: gewerbliche Betriebe 
sind aus erziehlichen Gründen und wegen des Bedarfs in der eigenen 
Anstalt beizubehalten. Mit dem sogenannten Poltersystem sollen Ver¬ 
suche gemacht werden, es wird die Beschäftigung von fluchtgefährlichen 
Gefangenen im Freien erleichtern; diese könnten im Polter, die un¬ 
gefährlichen im freien Gelände und im Stall usw. beschäftigt werden; 
auch ließe sich ein stufenweiser Strafvollzug: Zelle — Polter — freies 
Gelände — einrichten. 

Zur Erstellung von neuen Strafanstalten sind selbstverständlich 
Techniker zuzuziehen, wie dies überall geschieht; Verwendung der 
Techniker im Strafvollzugsbetrieb ist abzulehnen. Zur Leitung des 
landwirtschaftlichen Betriebes ist ein tüchtiger Landwirt als Oberauf- 



172 


Seher oder Inspektor, oder wie man ihn heißen will, anzustellen; ebenso 
sind als Aufseher einige gelernte Landwirte heranzuziehen. — 

Schließlich möchte ich bitten, daß auch noch andere Berufsgenossen, 
namentlich solche, die mit landwirtschaftlichen Betrieben schon Er¬ 
fahrungen gesammelt' haben, cfas Wort in diesen Blättern ergreifen. 

Auch Herr Geh. Baurat Prof. Meydenbauer hat vielleicht die 
Güte, die gegen seine Vorschläge geäußerten Bedenken zu widerlegen 
und Zeichnungen der von ihm vorgeschlagenen Polter zu veröffentlichen, 
wozu ihm unsere Vereinszeitschrift zur Verfügung gestellt wird. 

Ludwigsburg. Direktor Dr. Schwandner. 

Die Jugendfürsorge in Württemberg, mit besonderer Berücksichtigung 
der bedingten Begnadigung. Eine Sammlung aller Gesetze und Ver¬ 
ordnungen vom 1. Januar 1900 bis heute. Von Landgerichtsrat v. Wider 
in Ravensburg. 248 Seiten, kl. 80, kart. M. 4.50. Verlag des Stuttgarter 
Jugendsekretariats in Stuttgart, Hohestr. 11, II, 1918. 

Zum erstenmal begegnen wir hier einer Zusammenstellung aller Ge¬ 
setze und Verordnungen, die das große Gebiet der Jugendfürsorge be¬ 
treffen. Dieses Gebiet, das — außerhalb der Berufskreise — bis in die 
neueste Zeit nur geringer öffentlicher Beachtung begegnete, ist durch 
den Krieg und seine Folgeerscheinungen zu einem der wichtigsten Felder 
sozialer Tätigkeit geworden. Staat und Gemeinde, Kirche, Schule und 
freiwillige Verbände vereinigen sich in dem Bestreben unsere schwer 
gefährdete Jugenderziehung in gesunde Bahnen zu lenken, der Zucht¬ 
losigkeit und Verwilderung entgegenzuwirken und ein arbeitsfähiges und 
arbeitswilliges, körperlich, geistig und sittlich gesundes Geschlecht heran¬ 
zuziehen. Unter Zusammenfassung ihrer einzelnen Teile wird die Jugend¬ 
fürsorge als große Organisation in den Frieden hineinwachsen und wie 
wir zuversichtlich hoffen dürfen, sich zu einer für unser deutsches Vater¬ 
land bedeutungsvollen und segensreichen Institution auswachsen. Ein 
Führer auf diesem Gebiete ist das vorliegende Werkchen, das auch außer¬ 
halb Württembergs zur Verbreitung warm empfohlen werden kann. 

Die Fürsorgeerziehung in Württemberg und die Bedürfnisse der Gegen¬ 
wart. Unter diesem Titel ist soeben im Verlag des Stuttgarter Jugend¬ 
sekretariats, Hohestr. 11, II eine Broschüre von Stadtpfarrer Wüterich 
erschienen. Nach einer gründlichen, mit statistischem Material belegten 
Schilderung der bisherigen Entwicklung des Fürsorgeerziehungswesens in 
Württemberg werden die Probleme der-Gegenwart erörtert und Vor¬ 
schläge zu einer umfassenden Reform gemacht. Nachdem eben erst eine 
gesetzliche Erhöhung des Antragsalters für F. E. vom 16. auf das 18. 
Lebensjahr beschlossen worden ist, dürften die allgemein existierenden 
Ausführungen allen an der Frage beteiligten Ämtern, Anstalten, Vereinen, 
auch Privatpersonen willkommen sein. Es ist zum Preise von M. 1.— 
beim Stuttgarter Jugendsekretariat, Hohestr. 11, II und im Buchhandel 
zu haben. 

Deutsche Juristenzeitung. Den Forderungen der Zeit entsprechend, 
hat die Deutsche Juristenzeitung, die sich seit den 23 Jahren ihres Be¬ 
stehens als großes, rechtspolitisches Organ bereits mit allen Fragen des 
Rechts und der Verwaltung beschäftigt, eine wesentliche Erweiterung 
ihres Tätigkeitsgebietes vorgenommen. Zum Zwecke des engeren An¬ 
schlusses und der Pflege der wechselseitigen Beziehungen zwischen 
Recht und Verwaltung einerseits, Handel und Verkehr, Gewerbe, In- 



173 


dustrie und Landwirtschaft anderseits, und in Rücksicht darauf, daß 
nach dem Kriege das Übergangsrecht und nach dem Wiederaufbau 
des neuen Rechts dieses gepflegt und volkstümlicher gestaltet werden 
müsse, sind neben den nach dem Tode von Exz. Prof. Dr. Laband ver¬ 
bleibenden Mitherausgebern-Exz. Dr. Hamm und Geh.,Justizrat Dr. 
Heinitz folgende führende Männer aus Verwaltung und Verwaltungs¬ 
recht, aus Handel und Verkehr als Mitherausgeber gewonnen, ebenso 
ist ihr Kreis aus ersten Sachkennern aus Wissenschaft und Praxis des 
Rechts erweitert worden: Geh. Justizrat Prof. Dr. Kahl, der bayer. 
Staatsminister Dr. v. Landmann, Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. Lin- 
denau, Senatspräsident b. Reichsgericht, Exz. Dr. Planck, Geh. Justiz¬ 
rat, Prof. M. d. R. Dr. Rießer, Unterstaatssekretär im Reichsschatzamt, 
M. d. A. Schiffer, Bürgermeister Exz. Dr. Schwander, Oberlandes¬ 
gerichtspräsident Dr. V. Staff, Exz. Prof. Dr. Wach, Geh. Justizrat 
Dr. Wildhagen, Geh. Justizrat Prof. Dr. Zittelmann. Zur Stärkung 
der Rechtsannäherung zwischen den Mittelmächten und im unmittel¬ 
baren Anschlüsse an den Ausbau des deutsch-österreichischen Bündnisses 
2 u einem Wirtschafts- und Waffenbunde sind außerdem die als Vor¬ 
kämpfer des waffenbrtiderlichen Gedankens bekannten beiden Justiz¬ 
minister, von Österreich Exz. Dr. Klein und von Ungarn Exz. Dr. Plosz, 
als Mitherausgeber eingetreten. Bedeutet jeder einzelne dieser neuen 
Männer ein Programm für das von ihm vertretene Gebiet, so tritt ander¬ 
seits irgendwelche Änderung in den gewohnten und gesicherten Bahnen 
der Juristenzeitung nicht ein. Diesem oben gedachten Ausbau gemäß, 
enthält das eben erschienene Juniheft neben einer Fülle aktueller rechts¬ 
politischer Beiträge einen Wegweiser durch alle neuen Reichssteuer¬ 
vorlagen, über die die ersten Sachkenner aus Steuer-, Juristen- und 
Wirtschaftskreisen kritische Äußerungen veröffentlicht haben. 

Jahrbuch des Strafrechts und Strafprozesses, herausgegeben von 
Dr. Th. Soergel, K. Bayer. Hofrat und Krause, Regierungsrat. 
{Als Gratisbeilage zu: Das Recht, Rundschau für den deutschen Juristen¬ 
stand; 16 M. jährlich.) Hannover, Helwingsche Verlagsbuchhandlung; 
für Nichtabonnenten: 4 M. 50 Wg. für den gebundenen Jahrgang. 

Dieses Jahrbuch enthält alle oberstrichterlichen Entscheidungen 
auf dem Gebiete des Strafrechts, Strafprozesses, Gerichtsverfassungs¬ 
und Gerichtskostengesetzes, einschließlich des Militärstrafrechts und 
Militärgerichtsverfahrens, und der sämtlichen strafrechtlichen Neben¬ 
gesetze, auch die der einzelnen Bundesstaaten, unter besonderer Hervor¬ 
hebung der Originalrechtsgrundsätze und eines an der Spitze eines 
jeden Rechtssatzes stehenden Stichworts, sowie ein sorgfältig ausgearbeite¬ 
tes alphabetisches Wort- und Sachregister. Die Rechtsgrundsätze sind 
— unter Beifügung der einschlägigen Literatur — so ausführlich mit¬ 
geteilt, daß der Leser sich sehr rasch über den augenblicklichen Stand 
der Rechtsprechung zuverlässigen Rat holen kann, ohne die ganze 
Entscheidung bei der Hand zu haben. Das Kriegsnotrecht ist in be¬ 
sonderer Sammlung: Soergel — Kriegsstrafrecht, Rechtsprechung 
und Rechtslehre 1914 und 1915 (in demselben Verlag; Preis 2 M.) be¬ 
handelt. 

Da in unseren Anstaltsbüchereien die Sammlungen der oberst¬ 
richterlichen Entscheidungen in der Regel nicht vorhanden sind, ist 
für unsere Zwecke eine derartige Sammlung zu rascher und zuverlässiger 
Aufklärung sehr willkommen. 

Ludwigsburg. 


'Schwandner. 



Personalnachrichten 


1 


Vereinsmitglieder. 



Auf dem Felde der Ehre gefallen: 
Claus, Direktor der Gefangenenanstalt Chemnitz. 


Ausgetreten : 

Baden: 

Bleicher, Dr., Oberlandesgerichtsrat, in Karlsruhe. 

Huber, Dr., Staatsanwalt, in Karlsruhe. 

Stumpf, Oberamtsrichter, in Kenzingen. 

Wohlgemuth, Oberamtsrichter a. D., Freiburg i. B. 

Bayern: 

Denzner, Gefängnisdirektor a. D., in Würzburg. 

Schirmer, Dr., Hausarzt am Arbeitshaus Rebdorf. 

Wüst, Strafanstaltslehrer, in Lichtenau b. Ansbach. 

Elsaß-Lothringen: 

Mülhausen i. E., Kgl. Staatsanwaltschaft. 

Mecklenburg: 

Ahrend, Pastor, Gefängnisgeistlicher, in Bützow. 

Preußen: 

Egler, Strafanstaltsinspektor, in Lingen. 

Frankfurt a-. O., Kgl. Regierungspräsidium. 

George, Strafanstaltsdirektor a. D., in Brandenburg a. H. 
Goldschmidt, Oberinspektor an der Strafanstalt in Lichtenburg. 
Hagen, 1. Staatsanwalt, in Wiesbaden. 

Hohn, Dr., Strafanstaltsarzt, in Siegburg-Bruckberg. 

Janetzko, Strafanstaltsoberinspektor, in Ratibor. 

Kloß, Dr., Anstaltsarzt, in Striegau. 

Langer, Landgerichtsdirektor, in Ratibor. 

Liebau, Dr., Sanitätsarzt, Gefängnisarzt, in Hamm i. W. 
Maltzahn, von, Direktor des Gerichtsgefängnisses Magdeburg. 
Meurers, von. Geh. Med.-Rat, Anstaltsarzt, in Rendsburg. 
Wagner, Landgerichtspräsident:, in Allenstein. 

Wienitzki, Strafanstaltsoberinspektor, in Breslau. 

Willemsen, Frau, Strafanstaltsoberin, in Köln a. Rh. 









175 


Sachsen: 

Böttcher, Dr., Anstaltsarzt, in Hohnstein. 

Württemberg: 

Oöhner, Hauptlehrerin an der Strafanstalt Ootteszell. 
Schiele, Landrichter, in Tübingen. 

Schräg, Oberkriegsgerichtsrat, in Stuttgart. 


Oestorben : 

Bayern: 

Hi Iler, Domkapitular, in Würzburg. 

Bremen: 

Müller, Pastor, evang. Hausgeistlicher, in Oslebshausen. 

Preußen: 

Al brecht, Strafanstaltsinspektor, in Naugard i. P. 

Gliemann, 1. Staatsanwalt, in Elbing. 

Mülverstedt, von, Oefängnisdirektor, in Alt-Moabit. 

Lummer, Pfarrer, Gefängnisgeistlicher, in Hamm i. W. 

Rüstow, Gefängnisdirektor, in Neumünster. 

Schrötter, Oberinspektor an der Arbeitsanstalt Brauweiler b. Köln. 

Sachsen-Meiningen: 

Den sing, Direktor des Zuchthauses Untermaßfeld. 

Württemberg: 

Schnell, Pfarrer, Hausgeistlicher am Landesgefängnis Hall. 
Wieland, Inspektor am Zuchthaus Ludwigsburg (Vereins-Rechner). 

Österreich: 

Pötting-Persing, Graf, Staatsanwalt in Wiener-Neustadt. 
Schimm, Dr., Kaiserl. Rat, Strafanstaltsarzt in Marburg a. Drau. 
Urban, K. K. Oberleutnant, Strafanstaltskontrolleur in Zara i. Dalmat. 


Eingetreten: 

Baden: 

Sichert, Dr., Pfarrer, Anstaltsgeistlicher am Männerzuchthaus Bruchsal. 
Strobel, Dr., Landgerichtsrat, stellv. Strafanstaltsdirektor, Bruchsal. 

Preußen: 

Baetz, Direktor der Korrektions- und Landarmenanstalt Breitenau. 
Corswant, von, Frau, Vorsteherin des Frauengefängnisses in Berlin. 
Hasse, Gefängnisdirektor, in Bochum. 

Sachsen: 

Gäbler, Reg.-Assessor, Anstaltsinspektor, in Bautzen. 

Reinicke, Reg.-Assessor an den Strafanstalten in Waldheim. 



176 


Sonstige Veränderungen: 

Kärcher, Dr., 1. Staatsanwalt in Karlsruhe, jetzt Geh. Ober-Reg.-Rat. 

Schütt, Oer.-Assessor in Freiburg, jetzt Amtsrichter in St. Blasien. 

Kölblin, Strafanstaltsdirektor in Freiburg, erhielt den Titel: Reg.-Rat. 

Ott, Dr., Amtsrichter in Durlach, jetzt Oberamtsrichter, z. Zt. Leutnant 
d. L., kommandiert zum stellv. Generalkommando des 14. A.-K. 
in Karlsruhe. • 

Ritter, Dr., jetzt Ministerialrat im Gr. Justizministerium in Karlsruhe. 

Böhringer, Direktor in Bruchsal, erhielt den Titel: Regierungsrat. 

Merta, kath. Hausgeistlicher in Freiburg; jetzt Divisionspfarrer, er¬ 
hielt das Eiserne Kreuz I. Klasse. 

Sieglitz, Dr., Hausarzt am L.-G. Freiburg, erhielt den Titel: Medizinal 
rat. 

Hauser, Dr., Anstaltsarzt in Bruchsal, erhielt den Titel: Oberarzt. 

Frauendorfer, Dr., Anstaltsarzt in Mannheim, erhielt den Titel: 
Oberarzt. 

Graf, Revisor beim Gr. Ministerium der Justiz pp., jetzt Oberrevisor. 

Eberl, kath. Hausgeistlicher in Rebdorf, zum K. Geistlichen Rat ernannt. 

Pracht, evang. Hausgeistlicher in Rebdorf, zum K. Kirchenrat ernannt. 

Ranft, Direktor der Strafanstalt Ebrach, nun Vorstand der Gefangenen¬ 
anstalt in Amberg, Oberpfalz. 

Weiß, Pfarrer an der Gefangenenanstalt Zweibrücken, jetzt Divisions¬ 
pfarrer, Inhaber des Eisernen Kreuzes I. und 11. Klasse. 

Seyfarth, Pastor Dr., in Hamburg-Fuhlsbüttel, das Fürstlich-Lippische 
Kriegsverdienstkreuz am weißen Bande verliehen. 

Schillis, Strafanstaltssekretär in Striegau, jetzt Insterburg, Pregel- 
tor 3/6. 

Röder, Dr., Strafanstaltsdirektor in Tegel, jetzt Landgerichtsdirektor 
in Berlin Nr. 2, 87. 

Hickmann, Direktor des Zentralgefängnisses in Werl, jetzt Geh. 
Justizrat, Landgerichtsdirektor am Landgericht Berlin HL 

Niedwiedrinski, Pastor am Zentralgefängnis in Wronke, jetzt in 
Jarotschin. 

Meinecke, Inspektor am Strafgefängnis Tegel; zurzeit Komrhandeur 
des E.-Fußart.-Regts. 18 in Kassel-Niederzwehren. 

Rad lisch, Gefängnisdirektor Preungesheim; zurzeit Vorstandsmitglied 
der Kriegsbekleidungsstelle und Direktor bei der Kriegswirtschafts- 
Aktiengesellschaft. 

Merkatz, von, Strafanstaltssekretär in Breslau, jetzt Strafanstalts¬ 
inspektor in Görlitz. 

Kemner, Strafanstaltsoberinspektor in Fordon, kommandiert als 
Leiter des Gefängnisses in Elberfeld. 

Wittkowski, Insp.-Assistent in Hannover, jetzt Gefängnisinspektor 
am Strafgefängnis in Warschau-Mokolar. 

Finkelnburg, Dr., Geh. Reg.-Rat im preuß. Min. des Innern, jetzt 
Geh. Oberjustizrat im K. Justizministerium in Berlin. 

Müller, Strafanstaltsinspektor in Köln, nun Oberinspektor. 

Schmidt, Anstaltsinspektor Hoheneck, jetzt Strafanstalt Waldheim 
i. S. 

Haupt, Pastor in Zwickau, jetzt Gefängnisgeistlicher an der Gefangenen¬ 
anstalt in Dresden. 

Höckner, Direktor der Strafanstalt Hohnstein, erhielt den Titel Ober- 
Regierungs-Rat. 

Müller, Dr., Anstaltsarzt in Hoheneck, erhielt den Titel Medizinalrat. 




177 


Hagen, Reg.-Assessor in Zwickau, jetzt Strafanstaltsassistent an der 
Strafanstalt Bautzen. 

Freund, Strafanstaltsdirektor in Zwickau, erhielt den Titel Ober- 
Regierungsrat. 

Kannegießer, Strafanstaltssekretär in Dresden, jetzt Inspektor der 
Strafanstalt in Kowno. — Deutsche Feldpost 209. — 

Bardili, Amtsrichter in Heilbronn, jetzt Landrichter beim K. Land¬ 
gericht Ulm a. D. 

Bertsch, Pfarrer, evang. Hausgeistlicher am Zuchthaus Ludwigsburg, 
• das Ritterkreuz 1. Klasse des Friedrichsordens verliehen. 
Linder, Ober-Steuerrat In Stuttgart, jetzt Ministerial-Rat. 

Dem Strafanstaltsdirektor Büttner am Strafgefängnis zu Breslau, 
ist anläßlich seines 50jährigen Dienstjubiläums der Rote Adlerorden 
III. Klasse mit der Schleife und der Zahl 50 verliehen worden. 

Seitens der Königl. Oberstaatsanwaltschaft überbrachte Herr Erste 
Staatsanwalt Schreiber, von der Königl. Regierung Herr Oeheimrat 
von Lippa die Glückwünsche. 

Nachdem die Oberbeamten und Beamtinnen des Männer- und 
Frauengefängnisses ihre Glückwünsche ausgesprochen hatten, folgte 
eine Deputation der Aufsichtsbeamten und Beamtinnen. Auch eine 
Anzahl anderer Gratulanten waren erschienen. Mit Rücksicht auf die 
ernste Zelt war von einer öffentlichen Feier abgesehen worden. 

Infolge Erkrankung im Feldzuge 1870/71 mußte der Jubilar als 
Offizier später den Abschied nehmen und trat in den Strafanstaltsdienst 
über. 

Nachdem er sodann als Vorsteher an den Gefängnissen zu Anklam 
und Münster i. W. gewirkt hatte, wurde er am 1. Juli 1883 als Direktor 
an die Strafanstalt zu Rawitsch berufen. 

Am 1. Oktober 1893 wurde ihm die Leitung der Gefangenenanstalten 
zu Breslau übertragen. Bereits 1908 konnte er sein 25jähriges Direktor¬ 
jubiläum begehen. 

Klein, Oberstaatsanwalt in Naumburg a. L. erhielt den Roten Adler¬ 
orden III. Klasse mit der Schleife. 

Reich, Geh. Reg.-Rat, Direktor der Strafanstalt in Bautzen (Sachsen), 
ist am 1. September 1918 in den Ruhestand getreten (Anschrift: 
Klotzsche bei Dresden, Königsbaustraße 106); erhielt das Komtur¬ 
kreuz II des Sächs. Albrechtsordens. 


Ausschufimltglleder 

(nach der am April vorgenommenen Ergänzungswahl). 
Ehren-Vorsitzender: 

Engelberg, Dr. von, Gr. Kammerherr, Präsident der Generalintendanz 
der Oroßherzogl. Zivillisten, in Karlsruhe. 

Schwandner, Dr., Direktor des Zuchthauses in Ludwigsburg und der 
Strafanstalten auf Hohen-Asperg. I. Vorsitzender. 

Klein, Oberstaatsanwalt beim K. Oberlandesgericht, Naumburg a. S. 
II. Vorsitzender. 

Brümmer, Dr., Direktor der Strafanstalten in Fuhlsbüttel-Hamburg. 
Büttner, Strafanstaltsdirektor, Hauptmann a. D., in Breslau. 
Clement, Direktor der Zellenstrafanstalt Butzbach i. Hessen. 
Finkelnburg, Dr., Geh. Oberjustizrat im K. Justizministerium, Berlin. 


Blätter für Oefängniskunde, Bd. LII. 


12 



Fliegenschmidt, Direktor der Strafanstalt in Oslebshausen. 

Oöbel, Direktor des Untersuchungsgefängnisses Alt-Moabit 12a in 
Berlin N. W. 52. 

Jacobs, Dr. Msgr., Strafanstaltsgeistlicher in Werden a. Ruhr. 

Jarotzky, von, Direktor der Provinzialarbeitsanstalt Brauweiler. 

Just, Pastor, Strafanstaltsgeistlicher in Düsseldorf-Derendorf. 

Kölblin, Reg.-Rat, Direktor des Landesgefängnisses Freiburg i. Baden. 

Lenhard, Öber-Reg.-Rat, Strafanstaltsdirektor a. D., in Heidelberg. 

Leppmann, Dr., Geh. Medizinalrat, K. Kreisarzt, in Berlin N. W. 40, 
Kronprinzenufer 22. 

Michal, Ober-Reg.-Rat, Direktor des Zellengefängnisses in Nürnberg. 

Pollitz, Dr., Strafanstaltsdirektor in Düsseldorf-Derendorf. 

Preetorius, Dr., Geh. Rat, Generalstaatsanwalt, in Darmstadt. 

Reich, Geh. Reg.-Rat, Strafanstaltsdirektor in Bautzen i. Sachsen. 

Röcker, Ministerialdirektor im K. Justizministerium in Stuttgart. 

du Roi, Reg.-Rat, Direktor der Gefangenenanstalten in Wolfenbüttel 
i. Braunschweig. 

Serda, Oberdirektor der K. K. Männerstrafanstalt Marburg a. Dr. 
i. Österreich. 

Seyfarth, Dr. Pastor, Hausgeistlicher am Gefängnis 1 in Fuhlsbüttel 
b. Hamburg. 

Vogel, Geh. Reg.-Rat, Direktor der Strafanstalt Waldheim i. Sachsen. 

Reuter (VereinsrRechner), Buchhalter am Zuchthaus Ludwigsburg. 



Auszug 

aus der Rechnung vom 1. Januar bis 31. Dezember 1917. 


I. Einnahmen. 

1. Kassenrest von voriger Rechnung.1158 M. 89 Pfg. 

2. Rückstände und nachgezahlte Beiträge. 72 

3. Mitgliederbeiträge. 2328 „ — ,, 

4. Kapitalzinsen. 266 ,, 50 ,, 

5. Rückerhobene Kapitalien. 

6. Absatz von Heften. 1 ,, 50 ,, 

7. Erlös aus Inseraten. i, — 

8. Sonstige Einnahmen . 

9. Vorschuß und Ersatz. 16 

10. Außerordentliche Einnahmen. 46 


3888 M. 89 Pfg. 


II. Ausgaben. 

1. Druckkosten und Buchbinderlöhne. 973 M. 95 Pfg. 

2. Porto und Versandkosten.162 37 ,, 

3. Einrichtungsgegenstände. 

4. Honorare . 15 

5. Kapitalanlagen. 2033 ,, 40 „ 

6. Bürokosten und Kassenführung. 475 ,, 89 ,, 

7. Literatur. _ 

8. Sonstige Ausgaben. 20 ,, ,, 

9. Vorschuß und Ersatz. — 

10. Außerordentliche Ausgaben. 80 ,, — 


3760 M. 61 Pfg. 


Abschluß. 

Die Einnahmen betragen. 3888 M. 89 Pfg. 

Die Ausgaben. 3760 ,, 61 ,, 

Somit Mehreinnahmen. 128 M. 28 Pfg. 


12 * 


































Vermögensstand-Darstellung. 


Das Vermögen des Vereins besteht in 

1. Kässenrest vom 31. Dezember 1917.128 M. 28 Pfg. 

2. Kapitalien: 

in Wertpapieren, Reichsanleihe und 

Pfandbriefe..' 620011/1. —Pfg. 

Einlagen bei der Oberamtssparkasse 

■ .-rn Ludwigsbnrg .. . . 868 „ 77 r,-, 7068 i 77 ,, 

3. Wert des Inventars laut Vorgang. 500 ,, — ,, 

7697 M. 05 Pfg. 

Hiervon sind abzuziehen: 

die für 1918 vorausbezahlten. Mitgliederbeiträge ... 16 

verbleibt somit auf 31. Dezember 1917 ein Reinvermögen 

von • .. 7681 M. 05 Pfg. 

Dasselbe hät am 31. Dezember 1916 betragen .... 6662 ,, 26 ,, 
Somit Vermögenszunahme .... 1018 M, 79 Pfg. 


Ludwigsburg, im Juli 1918. 


Für den Vereinsausschuß: 

Der Vorsitzende: 
Direktor Dr. Schwandner. 







Inhalt 


Seife 

I. 14. Jahresbericht des Deutschen Hilfsvereins für entlassene 
Gefangene (Eingetr. Verein mit dem Sitz in Hamburg) für 
das Jahr 1917 erstattet von Dr. phil. H. Seyfarth, Pastor 
am Hamburger Zentralgefängnis und Geschäftsleiter des 
Deutschen Hilfsvereins für entlassene Gefangene, Hamburg- 
Fuhlsbüttel . 

II. Der Einfluß des Krieges auf die Kriminalität und unsere 
Seelsorge an den Strafgefangenen. Ein Vortrag, auf der 
Jahresversammlung der Geistlichen an den Königl. sächs. 
Landes- und Gefangenenanstalten gehalten am 25. Okt. 1916 
von Pastor Otto Vogel, Anstaltsgeistlichen an der Landcs- 


strafanstalt Waldheim i. Sa. 13 

III. Die Kriminalität der Ausländer im Deutschen Reiche. Von 

J, Ambos, Pfarrer an der Gr. Zellenstrafanstalt Butz¬ 
bach (Hessen). 36 

IV. Das Ende des Dualismus im preußischen Gefängniswesen. 

Von Direktor Dr. Schwandner, Ludwigsburg. 47 

V. Polizei und sozialer Gedanke. Vortrag vor der Vereinigung 
der Jugendgerichtshilfe Württemberg, gehalten in Stuttgart 
am 14. März 1918. Von Polizeirat Dr. Aichele, Stutt¬ 
gart . 61 

VI. Harrende Aufgaben. Von Strafanstaltsdirektor v. Micha- 

6lis, Münster i. W. 68 

VII. Die Pfändung von Geldern usw. unvermögender Personen. 

Von Strafanstaltsdirektor v. Michaelis, Münster i. W. . 72 

VIII. Kurze Einführung in den Strafvollzug. Von Geh.-Rat 

Reich, Bautzen 1915. 79 

IX. Die Wanderfreiheit der Jugendlichen. Von C. Behringer, 

Freiburg. 112 

X. Gefängniswissenschaft als Lehrfach in den Hochschul¬ 
kursen für kriegsbeschädigte Offiziere. Von Pastor Dr. H. 
Seyfarth, Hamburg-Fuhlsbüttel. 116 

XL Prof. Kriegsmann. Nachruf von Landesanstalts-Oberinspek- 

tor Glauning, z. Zt. im Felde.'. 12U 















182 


Seite 

xn. Korrespondenz: 

Aus Strafanstalten: 

1. Mitteilungen über die Ergebnisse der Verwaltung 
des Zwangserziehungs- und Oefängniswesens in 
Elsaß-Lothringen für das Rechnungsjahr vom 

I. April 1914 bis 31. März 1915. 125 

2. Jahresbericht der Strafanstalt Basel-Stadt für 1917 132 

Aus Vereinen und Versammlungen: 

1. 32. Bericht über die Tätigkeit der Badischen Be¬ 
zirksvereine und der Zentralleitung für Jugend¬ 
schutz und Oefangenenfürsorge für die Jahre 1915 

und 1916. 133 

2. Darstellung der Tätigkeit des Bezirksvereins für 
Jugendschutz und Oefangenenfürsorge Mannheim 

für das Jahr 1917. 133 

3. Jahresbericht der Rheinisch-Westfälischen Ge¬ 
fängnisgesellschaft über das Vereinsjahr vom 1. 

April 1916 bis 31. März 1917. 134 

4. Die Oefängnisgesellschaft für die Provinz Sachsen 

und das Herzogtum Anhalt. 138 

5. Wanderarmenfürsorge: 

1. Verein zur Förderung der Wanderarbeits¬ 
stätten in Württemberg. 140 

II. Bericht über die Westfälische Wanderarmen¬ 
fürsorge während des Krieges. 141 

6. 10. Jahresbericht des Vereins Stuttgarter Fürsorge¬ 
heim für 1917 (Wichernhaus). 143 

7. Die Kriegstagung der Deutschen Jugendgerichts¬ 
hilfen am 12./14. April 1917. 144 

XII. Literatur: 

Welche alkoholgegne rischen Gesetzgebungs- 
und Verwaltungsmaßnahmen sind für die Zu¬ 
kunft erforderlich ? Herausgegeben vom Deutschen 
Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, bespr. 

von Schwandner. 146 

Felisch, Neuordnung der Menschenliebe, besprochen 

von Wüterich. 151 

Hacker, Das Oefängniswesen. 157 

Hacker, Die Organisation des Gefängniswesens . . . 158 

Köhler, Deutsches Strafrecht, bespr. von Hansch- 

mann . 167 

Meydenbauer, Fort aus Stadt und Gefängnis, durch 
Arbeit zurück zur Natur, besprochen von Schwandner 167 

Wider, Die Jugendfürs »rge in Württemberg. 172 

Wüterich, Die Fürsorgeerziehung in Württemberg und 

die Bedürfnisse der Gegenwart. 172 

Deutsche Juristenzeitung. 172 

Soergel-Krause, Jahrbuch des Strafrechts und . 
Strafprozesses, besprochen von Schwandner. . . . 173 

XIV. Personalnachrichten. 174 


XV. Auszug aus der Rechnung vom 1. Januar bis 31. Dez. 1917 179 




















Bibliothekskommission 


5. Nachtrag zum Bücherverzeichnis 
(Sept. 1918). 

Achleitner, Artur: Das Bähnle. Hum. Hochlandsroman. Regensb. 

Habbel, erw. Kath., ungeb. M. 2. — , geb. M. 3. —. 

Archier, Armin : Die Gefangenen des Zaren. Histor. Novelle. Ebenda. 

Erw. ungeb. M. 2. —, geb. M. 3. —. 

Barthels, Adolf; Wilde Zeiten. (Rolves Karsten.) Erz. a. d. Dith¬ 
marscher Geschichte. 204 S. u. 1 Karte. Wiesb. Volksb. Erw. 
ungeb. M. 0.50. 

Baumgartner, Jul.; Die Glocken v. St. Benedikt. Regensb. Habbel. 

erw. Kath. ungeb. M. 2. —, geb. M. 3. —. 

Bezzel, D. Dr. j. v.: Die sieben Worte Jesu am Kreuz. München, 
Müller & Fröhlich, geb. ev. Erw., geb. M. 2. —. 

Bloem, Walter; Das verlorene Vaterland. Rom. Leipz. Grethlein 
<& Co. geb. Erw., ungeb. M. 5. —, geb. M. 6. —. 

Braeß,. Martin: Tiere der Heimat. 192 S. ill. München, Callwey. 
ungeb. M. 3. —. 

Broermann, Karl: Lebenswirren. Volksgeschichten. Regensb. Habbel. 

Erw., ungeb. M. 2. —, geb. M. 3. —. 

Butscher, Aug.; Der Birkenhof. Rom. Ebenda. Erw., ungeb. 

M. 2.-, geb. M. 3.-. 

,, ,, Das Heimatle. Volksroman. Ebenda, geb. Erw., 

ungeb. M. 2. —, geb. M. 3. —. 

Champol, L.; Die Rivalin. Rom. Ebenda, geb. Erw., ungeb. M. 2.—, 
geb. M. 3.-. 

Charles, Emmy: Die Herrin von Ravenstein. Rom. Ebenda, weibl. 
ungeb. M. 2. —, geb. M. 3. —. 

Dincklage-Campe: Wie wir unser eisern Kreuz erwarben. Leipz. 
Bong & Co. Erw., geb. M. 16. — . 

Dorf 1er, Peter; Dämmerstunden. Erzn. 208 S. Freiburg, Herder. 

geb. erw. Kath., ungeb. M. 2.60, geb. M. 3.40. 
,, ,, Der Roßbub. Erz. Paderborn, Bonifaziusdr. geb. 

erw. Kath., ungeb. M. 5.—, geb. M. 6. —. 
Feval, Paul: Der schwarze Bettler. Nov. Regensb. Habbel, geb. 

erw. Kath., ungeb. M. 2. —, geb. M. 3. —. 

Fleuriot, Zenaide; Ein Geheimnis. Rom. Ebenda, geb. Erw., 
ungeb. M. 2. —, geb. M. 3. —. 

Frankenstein, Hermine: Unter schwerem Verdacht. Rom. Ebenda. 

geb. Erw., ungeb. M. 2.—, geb. M. 3.—. 
,, ,, Verhängnisvolle Schuld. Rom. Ebenda. 

geb. Erw., ungeb. M. 2. — , geb. M. 3. — . 
,, ,, Das Geheimnis des Blinden. Rom. Ebd. 

geb. Erw., ungeb. M. 2. — , geb. M. 3.—. 



2 


Fullerton, Lady O.; Die Gräfin v. Bonneval. Erz. a. d. Z. Ludw. XIV. 

Ebenda, geb. Erw., ungeb. M. 2. —, geb. M.3.—. 

Harte, Bret: Ausgew. Erzählungen. Stuttg. Lutz. Erw.5 Bde., je M.3.50. 
Meinen, A.; Dqs häusliche Glück. Ein Büchlein f. Frauen u. Mütter 
mit vollständ. Haushaltungsunterricht. Mit Nachtr.: 
,,Was uns der Krieg f. d. Hauswirtsch. gelehrt hat“. 
Hrsg. V. Verb. f. soz. Kultur u. Wohlfahrtspflege 
Arbeiterwohl. 28. Aufl. M.-Gladbach, Volksverein. 
317 S., ungeb. M. 1. — , 20 Stück Je M. 0.95, 100 Stück 
M. 0.90, 500 Stück M. 0.85; geb. M. 2.-. 

,, ,, Lebensführung. Anleitung z. Selbsterziehung f. d. weibl. 

Jugend. Ebenda. 192 S. ill., ungeb. M. 1.—, geb. M. 2.— 
Heer, J. C.: An heiligen Wassern. Rom. Stuttg. Cotta. Erw. ungeb. 
M.3.50, geb. M. 4.50. 

Herbert, M.: Lebensbeichte. Erz. 102 S. Köln, Bachem, ungeb. M. 2.25, 
geb. M. 2,70. 

Hisgen, Franz: O du falsche Welt! In der Falle. 2 Erz. Regensb. 

Habbel, geb. erw. Kath., ungeb. M. 2. —, geb. M. 3. —. 
Hoffmann, Frau Adolf: Deine Ehe. Ein Farn.-Buch f. Bräute u. 

Ehefrauen. 250 S. Hamb. R. Haus. geb. M. 4.50. 

Huppertz, Hans: Christ u. Mohammedaner. Hist. Rom. a. d. Z. d. 
30jähr. Kr. Regensb. Habbel, geb. erw. Kath., ungeb. M. 2. -, 
geb. M. 3. —. 

Köck, Maria : Das Vorstadthaus. Wiener Rom. 331 S. ill. Köln, Bachem. 

erw. m. Kath., ungeb. M. 7.50, geb. M. 9. —. 

Krane, A. v.: Wenn d. Steine reden. Rom. a. d. 2. Jahrh. n. Chr. 335 S. 

Ebenda, erw. Kath., ungeb. M. 7.50, geb. M. 9. —. 

Lassar-Cohn, Prof. Dr.: Einführung i. d. Chemie in leichtfaßlicher 
Form. 301 S. ill. Leipz. L. Voß. geb. M. 5.20. 

Lassar-Cohn, Prof. Dr.: Die Chemie im tägl. Leben. Gemeinverst. 

Vorträge. 8. Aufl. 360 S. ill. Ebenda, geb. M. 5.50. 

Löns, Herrn.: Aus Forst u. Flur. 40 Tiernovellen. 319 S. ill. Leipz. 
R. Voigtländer, geb. M. 6.60. 

Meerwarth, H. u. Soffel, K.: Novellen a. d. Tierleben. Neue Natur¬ 
geschichte europ. Säugetiere u. Vögel mit 2701 urkundtreuen Photo¬ 
graphien freilebender Tiere. Leipz. R. Voigtländer. Säugetiere 
3 Bde. u. Vögel 3 Bde. je ungeb. M. 12.- , geb. M. 14.- . 

Aus diesem Werke ist eine Auswahl in 12 Bdn. getroffen worden, 
jeder Band über 200 S. stark u. reich ill. geb. M. 3.85. 
Rohrbach, Paul: Weltpolitisches Wanderbuch. 303 S. Königstein 
i. T. u. Leipz. R. Langewiesche. geb. Erw., ungeb. M. 2. —. 
Roth, A.: Grundlagen d. Elektrotechnik. 143 S. ill. Leipz. Teubner. 
geb. M. 2.35. 

Rubiner, Ludw.: Leo Tolstoi. Tagebuch v. 1895—99. Zürich, Rascher. 
Gebild. geb. M. 5. —. 

Schellendorf, Br. v.: Afrikanische Tierwelt. Leipz. Haberland. geb. 

Erw. 5 Bd je ungeb. M. 3. —, geb. M. 4.—. 

Schupp, Ambros: Die Kaiserblume u. d. Königstochter. Erz. Pader¬ 
born, Bonifaziusdr. jug. Kath., M. 0.50. 

,, ,, Der Scherenschleifer von Guckleguck. Erz. Ebenda, 

jug. Kath., geb. M. 1.50. 

Soffel, Else: Der Steppenreiter u. 45 andere Tiernovellen. 278 S. ill. 

Leipz. R. Voigtländer, geb. M. 6.60. 

Sudermann, Herrn.: Litauische Geschichten. Essen, Fredebeul 
& Koenen. Erw. ungeb. M.3.50, geb. M. 5. —. 



3 


Wissenschaft und Bildung. Einzeldarstellungen aus allen Gebieten d. 
Wissens. Leipz. Quelle <S Meyer, geb. je M. 1.55. 

1. Dannenberg, P.; Zimmer- u. Balkonpflanzen. 171 S. ill. 

2. Machatschek, Dr. Fritz: Die Alpen. 146 S. ill. 

.3. Milch, L.: Deutschlands Bodenschätze. 2 Bde. je 150 S. ill. 

4. Zimmer, Dr. Curt; Anleitung z. Beobachtung d. Vogelwelt. 
140 S. ill. 


„Männer und Völker“. Berlin, Ullstein <& Co. gebild. Erw., 
je ungeb. M. 1.50. 

1. Bulle, Prof. Dr. Oskar :j^Die Verkünder des deutschen Idealis¬ 
mus (Luther — Klopstock — Lessing — Herder — Goethe — 
Schiller — Kleist). 

2. Fournier, August: Österreich-Ungarns Neubau unter Kaiser 
Franz Joseph I. Eine histor. Skizze. 213 S. 

3. Herre, Dr. Paul: Weltpolitik u. Weltkatastrophe 1890 — 1915. 
271 S. 

4. Peters, Carl: Afrikanische Köpfe. Charakterskizzen a. d. neueren 
Gesch. Afrikas. 260 S. 

5. Preyer, Dr. Thierry: Ägypten u. Indien, zwei Säulen britischer 
Weltmacht. 209 S. u. 1 Karte. 

6. Zimmermann, Dr. Alfred: Die Kolonialreiche d. Großmächte 
1871-1916. 251 S. 


Bücher vom Weltkriege. 

Ardemie, v.: Das Buch vom großen Kriege. Stuttg. Union, geb. Erw. 
2 Bde., je M. 14.50. 

Aspern, Karl: Illustr. Geschichte d. europäischen Krieges. Regens¬ 
burg, Habbel. I. Bd. 552 S., geb. M. 7.-. 

B. F. V. : Nikolaus 11. u. das Ende d. Romanows. Leipz. Thomas, geb. 

Erw., ungeb. M. 3.60, geb. M. 4.80. 

Dehn, Paul: Hindenburg als Erzieher in s. Aussprüchen. 112 S. Leipz. 
Th. Weiser, ungeb. M. 2.20. , 

Godin, M. A. V.: Feinde. Rom. 230 S. Köln, Bachem, geb. Kath., 
ungeb. M.6. —, geb. M. 7.50. 

Hettler, Alfred: Englands Weltherrschaft u. ihre Krisis. Leipz. 

Teubner. geb. Erw., ungeb. M. 4.20, geb. M. 5.—. 

Heymann, Rob.: Eine deutsche Heldin. 

Leipz. List. geb. Erw., ungeb. M. 3.—, geb. M. 4.—. 
,, ,, Rasputin. 

Leipz. List. geb. Erw., ungeb. M. 2.—, geb. M. 3. — . 
,, ,, Der Gefangene von Zarskoje-Selow. 

Leipz. List. geb. Erw., ungeb. M. 2.—, geb. M. 3. — . 
,, ,, Die von da drüben. 

Leipz. List. geb. Erw., ungeb. M. 2. — , geb. M. 3. — . 
Körber, Ad. Vict.: Luftkreuzer im Kampf. Leipz. Amelang. Erw. 

M. 3.-. 

,, ,, Feldflieger a. d. Front. Leipz. Amelang. Erw. 

M. 3.-. 

Lennemann, Wilh.: Vergebt sie nicht, die große Zeit. Kriegserzn. 

121 S. ill. Köln, Bachem. Erw., ungeb. M. 1 .50, geb. M. 1.80 
Otto, Fr.: Das Unterseeboot im Kampfe. Leipz. Amelang. Erw. M.3. —. 







4 


♦ 

' • ■ 

Presber, R.: Notizen am Rande des Weltkriegs. 

geb. Erw., ungeb. M. 3. —, geb. M. 4. —. 
Rothenfelder, Frz.: Casement i. Deutschland, 
geb. Erw., M. 2.50. 

Thissen, Dr. Otto: Der Kaiser im Weltkriege, 
dichte, Kaiserworte. 208 S. Köln, Bachem. 


Skittg. Verl.-Anst. 

Augsburg, Reichel. 

Schilderungen, Ge- ^ 
geb. Erw., ungeb.* 


M. 3.-, geb. M. 3.60. 

Thoring, K-: Die Mutter des Feldmarschalls v. Mackensen. 96 S. ill. 
Berl. Curtius. ungeb. M. 2.75. 

Tiaden, Heinr.: Das eiserne Geschlecht. Erz. 121 S. ill. Köln, Bachem, 
jug. m. Kath., ungeb. M. 1.50, geb. M. 1.80. 


Der große Krieg in Einzeldarstellungen. Hrsg. i. Auftr. des General¬ 
stabes des Feldheeres. Oldenburg, G. Stalling. 


Bd. 20 
Bd. 26 
Bd. 33 


Redern v.: Die Winterschlacht i. Masuren. 56 S. 2 Relief¬ 
karten u. 9 Kartenskizzen, ungeb. M. 1.35. 
Pehlmann: Die Kämpfe d. Bugarmee. 63 S., 1 Rk. u. 8 
Ksk., ungeb. M. 1.35. 

Vogel: Die Befreiung Siebenbürgens u. d. Schlachten bei 
Targu Jiu u. am Argesch,134 S. 1 Rk. u. 15 Ksk. ungeb. 
M. 1.65. 


Kriegsbücher, a. d. Verl. v. Aug. Scherl-Berlin, ungeb. je M. 1.50. 

1. Brandis: Der Stürmer v. Douaumont. 

2. Brauer, Otto: Die Kreuzerfahrten des ,,Prinz Eitel-Friedrich“. 
115 S. 

3. Gottberg, Otto v.: Als Adjutant durch Frankreich und Belgien. 
130 S. 

4. Henkelburg, Hans: Als Kampfflieger am Suezkanal. 116 S. ill. 

5. Immelmann, Max; Meine Kampfflüge. Selbsterlebt u. selbst¬ 

erzählt. 132 S. ill. 

6. Kettner : Vom goldenen Tor zum goldenen Horn u. nach Bagdad. 

7. Krack, Dr. Otto: General Ludendorff, der Generalstabschef 

Hindenburgs. 101 S. ill. 

8. Lauterbach, Jul.: Tausand Pfund Sterling Kopfpreis tot od. 

lebendig. 

9. Müller: Unter feindlicher Flagge zur Heimat zurück. 

10. Nerger, Fregattenkpt.: S. M. S. Wolf. 149 S. ill. 

11. Richarz, Karl: Die Wikingerf^hrt der Tinto 12 000 Meilen 

über den Ozean. HO S. ill. 

12. Rosner, Karl: Vor der Siegfriedstellung. 

13. Selow-Sermann K. E.: Kapitänleutnant v. Möllers letzte 

Fahrt. 125 S. 

14. — ,,Z 181“. Im Zeppelin gegen Bukarest. Von dem 1. Offizier 

eines Z-Luftschiffes. 107 S. 


Ullstein-Kriegsbücher. Berl. Ullstein & Co. ungeb. je M. 1.50. 

1. Erdmann, Hugo: Im heiligen Kriege nach Persien. 188 S. 

2. Roda-Roda: Serbisches Tagebuch. 251 S. u. 1 Karte. 

3. Valentiner, Max: 300 000 Tonnen versenkt. Meine U-Boots- 
fahrten. 155 S. ill. 

4. Wlad, Franz: Meine Flucht durch d. mongolische Sandmeer. 
247 S. 





BLÄTTER 


für 

Gefängniskunde 

Zeitschrift des Vereins der deutschen Strafanstaltsbeamten e. V. 


Herausgegeben 

von 

Direktor Schwandner 

Dr. Jur. h. c. 

Vorstand der Strafanstalten in Ludwigsburg und Hohen Asperg 
Vorsitzendem des Vereinsausschusses 


Zweiundfünfzigster Band 


HEIDELBERG 1918 

CARL WINTERS UNIVERSITÄTSBUCHHANDLUNG 


Verlagt-Nr. 1444. 











CARL WINTERS UNIVERSITÄTSBUCHHANDLUNG 

HEIDELBERG 


Blätter 

für Gefängniskunde. 



Preise der erschienenen 

Hefte und Bände: 


Bd. 

: Heft: 

Preis: 

Bd. 

Heft: 

Preis: 

Bd.: 

Heft: 

Preis: 

I. 

1 

vergriffen 

13. 

3/4 

2.— M. 

34. 

1/2 

2.50 M. 


2 

1.40 M. 


5 

1.20 „ 


3/4 

2.50 „ 


3 

1.20 „ 

14. 

1/2 

3.20 „ 


5/6 

3.— „ 


4 

1.20 „ 


3 

1.— 

Vergeltungsidee 



-5 

1— ,, 


4/5 

2.75 „ 

v. Calker 

vergriffen 

2. 

1 

vergriffen 

15. 

1/2 

2.75 „ 

Hoffmann, Hess 



2 

—.90 M. 


3/4 

2.75 „ 

Gefängnisse 



3 

vergriffen 

16. 

1/2 

2.75 „ 

35. 

1/2 

3.— M. 


4 

vergriffen 


3/4 

2.75 ,. 


■ 3/4 

2.60 „ 


5 

1.20 M. 

17. 

1/2 

2.75 „ 


6/6 

3.— „ 


6 

1.40 „ 


3 

1.50 „ 

Sonderheft 

3.— „ 

Separatheft 

1.— 


4 

1.80 „ 

36. 

1/2 

3.— 

3. 

1 

1.20 „ 

18. 

1/2 

3.— „ 


3/4 

3.50 „ 


2 

I— 


3 

1.50 „ 


5/6 

3.— „ 


3 

1.— » 


4 

2.— „ 

Verzeichnis der 



4 

1.— 

19. 

1/2 

2.50 „ 

Strafanstalten 



5 

1.40 „ 


3/4 

2.— „ 

Sonderheft 

1 •— 

Separatheft 

1.40 „ 


5 

1.50 „ 

37. 

1/2 

3.50 „ 

4. 

I 

1.40 „ 

20. 

1 

1.- „ 


3/4 

4.— „ 


2 i 

1.20 „ 


2/3 

2.50 „ 


5/6 

3.— 


2 n 

vergriffen 


4/5 

3«^“ >» 

38. 

1/2 

4.50 „ 


3 

1.20 M. 

21. 

1/2 

3.— „ 


3/4 

3.— „ 


4 

1.20 „ 


3 

1.50 „ 


5/6 

3.— 


5 

1.50 „ 


4/5 

3.— „ 

39. 

1/2 

3.— „ 


6 

1.— 

22. 

1/2 

3.— „ 


3/4 

3.— „ 

Extraheft 

vergriffen 


3/4 

3.50 „ 


5/6 

3.60 „ 

Separatheft 

1.40 M. 

23. 

1/2 

3.— „ 

40. 

1 

4.50 „ 

5. 

1 

1.40 „ 


3/4 

3.— „ 


2 

3.— „ 


2 

1.40 „ 

Separatheft: Fuchs, 


3 

2.50 „ 


3 

1.40 „ 

Vereinsfürsorge 

2.— „ 

41. 

1 

3.— „ 


4 

1.20 „ 

24. 

1 

1.50 „ 


2 

3.— „ 


5 

1.20 „ 


2/3 

3.— „ 

Register zu 


6. 

1 

1.50 „ 


4 

1.50 „ 

Bd. 

1—40 

3.50 


2 

1.50 „ 

25. 

1 

vergriffen 

42. 

1 

vergriffen 


3 

1.20 „ 


2 

2.— M. 


2 

vergriffen 


4 

1.— 

1. Sonderheft 

3.50 „ 


3 

2.50 M. 


5 

—.80 „ 

2. 


1.— „ 

43. 

1 

4.50 „ 

7. 

1 


26. 

1/2 

2.— „ 


2 

3.— „ 


2 

1.40 „ 


3/4 

2.— „ 


3 

3.— „ 


3 

1.40 „ 


5/6 

2.— „ 

44. 

1 

4.— „ 


4 

1.40 „ 

Generalregister 



2 

4— „ 

8. 

I 

1.40 „ 

ZU 

Bd. 1—26 

2.50 „ 


3 

4.50 „ 


2 

1 — 

27. 

1/2 

2.— „ 

45. 

1/2 

5— » 


3 

1.40 „ 


3/4 

2.— „ 


3 

4.— 


4 

1.20 „ 


5/6 

2.40 „ 

Sonderheft: Vorschläge 


5 

1.50 „ 

Sonderabdruck 

der 

z. e 

Entw. e. Reichs- 

9. 

1 

1.50 „ 

Gutachten 

vergriffen 

ges. 

ü. d. Vollzug d. 


2 

vergriffen 

28. 

1/2 

2.40 M. 

gerichtl. erkannten 


3 

vergriffen 


3/4 

2.20 „ 

Freiheitsstrafe 

1.30 M. 


4 

1.50 M. 

Sonderheft 

2.50 „ 

46. 

1/2 

4.60 „ 


5 

1.— » 

29. 

1/2 

2.50 „ 


3 

4.— „ 


6/7 

2.50 „ 


3/4 

2.50 „ 

47. 

1/2 

5.— „ 

10. 

1/2 

3.— „ 


5/6 

2.— „ 


3 

4.— .. 


3/4 

3.— „ 

30. 

1/2 

2.— „ 

Sonderheft A und B 


5/6 

3.— „ 


3/4 

2.— „ 

Vorschläge z. e. 

Reichs- 


7 

1.20 „ 


5/6 

2.— „ 

ges. 

ti. d. Vollzug d. 

n. 

1/2 

2.60 „ 

31. 

1/2 

2.— „ 

Freiheitsstrafen 

und 


3/4 

2.50 „ 


3/4 

2.— ., 

sichernder MaC 



5 

1.50 „ 


5/6 

2.— „ 

nahmen 

1.50 M. 


6 

1.20 „ 

32. 

1/2 

2.— „ 

48. 

I 

5.40 „ 

12. 

1/2 

3.— „ 


3/4 

2.— „ 


2/3 

5.40 .. 


3 

1.60 „ 


5/6 

2.50 „ 

49. 

1 

3.50 „ 


4 

1.30 „ 

33. 

1/2 

2.50 „ 


2 

1.80 „ 


5 

1.40 „ 


3/4 

2.50 „ 

50. 

• 

2.40 „ 

13. 

1/2 

3.— „ 


5/6 

3_„ 

51. 


3.— „ 





















CARL WINTERS UNIVERSITÄTSBUCHHANDLUNG, HEIDELBERG ^ 
- ^ 

Bücherverzeichnis / 

für Gefängnisse, Arbeitshäuser, Korrektionshäuser 
und ähnliche Anstalten 
2. durchgesehene und erweiterte Ausgabe. 

Im Aufträge des Vereins der deutschen Strafanstaltsbeamten zuscimmen- 
gestellt von einer Kommission, bestehend aus den Herren Anstaltspfarrer 
Dr. JACOBS-Werden a. d. Ruhr alsVorsitzenden, Anstaltsinspektor BIRKIGT- 
Bautzen, Anstaltslehrer BONN-Werden a. d. Ruhr, Anstaltsassessor FRHR. 

V. EGLOFFSTEIN-Rebdorf in Bayern und Anstaltspfarrer JUST-Düsseldorf. 

Preis 1.60 M. 


Bürgertum und Umsturz 

Ein Mahnruf in letzter Stunde! 

Von E. tho Rahde. 

Preis 80 Pf. 

INHALT; Einleitung. Der Militarismus. Ein Recht auf Umsturz? Die 
Zersetzung der Autoritäten. Die Sozialisierung des Wirtschaftslebens. 
Einheitsstaat oder Bundesstaat? Der Weg zur Staatsordnung. 


Organisation 

Ihr Wesen und ihre politische Bedeutung 

von 

Freiherrn Otto von der Pfordten 

weiland Professor an der Universität Straßburg. 

Preis 1.50 M. 

Die AUdSBURGER POSTZEITUNG schreibt über die 1917 erschienene Schrift; 

Ein Kriegsziel verfolgt in gewissem Sinne auch der Stiassburger Universitäts¬ 
professor Frhr. Otto v. d. Pfordten mit seiner Schrift: „Organisation, 
Ihr Wesen und ihre politische Bedeutung“ (Carl Winter, Heidelberg 1917,110 Seiten), 
denn seine Darlegungen gehen zum Schluß in eine Erörterung der Frage über, 
inwieweit die Übernahme von Eigentum durch den Staat erfolgen könne. Er 
steht auf dem Standpunkt: Nichts soll verstaatlicht werden, was dauernd der 
Initiative einzelner Persönlichkeiten bedarf. Es käme da also nur das Eigentum 
unpersönlicher Vereinigungen in Betracht, die lediglich den Privatinteressen ihrer 
Mitglieder dienen. Man sieht: Eine Frage, die nicht ohne schwere Auseinander¬ 
setzungen zu lösen sein wird. Außerhalb des Bereichs strittiger Gegenwartsfragen 
liegen in der Hauptsache die übrigen Darlegungen, von denen wir trotzdem sagen 
möchten, daß sie vielfach recht ,,aktuell“ sind. Was da über die Relativität der 
Freiheit, über die Zusammengehörigkeit von Rechten und Pflichten, über Akratie 
und Aristagie (das wäre also eine soziale Herrschaft der wirklich Tüchtigsten), 
über die Notwendigkeit von Persönlichkeiten und führenden Köpfen, über den 
Unterschied von Individualität und Persönlichkeit, über die Einheitsschule und 
die Erziehung von Führern, über Militär und Kirche, besonders die katholische 
(V. d. Pfordten ist Nichtkatholik) und ihre Bedeutung für die Erziehung von 
Führern u. a. gesagt wird, verdient gelesen zu werden als Gedanken eines ernsten 
Mannes, die ln Zeiten, wo mehr als je fast Oberflächlichkeit und Mittelmäßigkeit 
sich breit machen, auch da mit Interesse gelesen werden können, wo man nicht 
jeder Einzelheit zustimmt. 


Carl Winters Universitätsbuchhandlung, Abteilung Druckerei, Heidelberg.